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Full text of "Wiener klinische Wochenschrift"

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UNIVERSITY  OF  ILLINOIS 
LIBRARY 


Volum^ 


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I 


WIENER 


KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


OßGim  DER  K.  K.  GESEllSCHAfT  DER  AERZTE IH  WIEN. 


BEGRÜNDET  VON  WEIL.  HOERAT  PROF.  II.  v.  BAMREROER. 


HERAUSGEGEBEN  VON 

ANTON  FREIH.  v.  EISELSBERG,  THEODOR  ESCHERICH,  ERNST  FUCHS,  JUL.  HOCHENEGG,  ERNST  LUDWIG, 

EDMUND  V.  NEUSSER,  L.  R.  v.  SCHRÖTTER  UND  ANTON  WEICHSELBAUM. 

REDIGIERT  VON  PROF.  Dr.  ALEXANDER  FRAENKEL. 


XX.  JAHRGANG. 


W  I  E  N  UNI)  LEIPZIG. 

WILHELM  BRAÜMÜLLER,  K.  U.  K.  HOF-  UND  UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER. 

X. 


1907’ 


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Die 

,, Wiener  kliiilsclie 
Woclieu.sclirift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 


Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 


Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVeilags- 


4-. 

4- 


handlung. 


Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  Ton  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


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jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
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VerlaTshandlung: 

Telephon  Nr.  17 .618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenhurggasse  13. ,  ^ 


XX.  Jahrgang.  Wien,  3.  Januar  1907.  Nr.  1. 


INH  A  LT: 


I.  Origiiialartikel;  1.  lieber  Wirkungsweise  und  Indikation 
einiger  diuretisch  wirkender  Mittel.  Von  0.  Loewi,  Wien. 

2.  Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium  des  k.  u.  k.  Militär¬ 
sanitätskomitees.  lieber  ungiftige  dissoziierbare  Verbindungen 
der  Toxine.  Von  Dr.  Robert  Doerr,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

.3.  Heber  das  Vorkommen  des  Meningokokkus  und  des  Micro¬ 
coccus  catarrhalis  im  Nasenrachenraum  und  Desinfektions¬ 
versuche  mit  Pyozyanase  bei  diesen  Infektionen.  Von  Dr.  Ludwig 
Jehle,  klin.  Assistenten  an  der  k.  k.  Universitäts-Kinder¬ 
klinik.  (Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  Th.  Escherich.) 

4.  Alis  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien.  (Vor¬ 
stand  :  Prof.  A.  Weichselbaum.)  Ueber  Endocarditis  gonorrhoica. 
Von  Dr.  K  ü  1  b  s. 

5.  Die  Entwicklung  der  modernen  Immunitätslehre.  Von  Dr.  Karl 
F  ii  r  n  t  r  a  1 1,  k.  k.  Sanitäts-Assistenten  bei  der  steiermärkischen 
Statthalterei,  Graz. 


II.  Referate;  Die  experimentelle  Bakteriologie  und  die  Infektions¬ 

krankheiten  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Immunitäts¬ 
lehre.  Von  Dr.  W.  Kolle  und  Dr.  H.  H  et  sch.  Arbeiten  aus 
dem  Pathologischen  Institute  zu  Berlin.  Von  Johannes  Orth. 
Die  heutige  Lehre  von  den  pathologischen  und  anatomischen 
Grundlagen  der  Herzschwäche.  Von  L.  Aschoff  und 
S.  Tawara.  Die  Erlahmung  des  hypertrophierten  Herz¬ 
muskels.  Von  Dr.  med.  und  phil.  Robert  Schlüter.  Arbeiten 
aus  dem  königl.  Institute  für  experimentelle  Therapie  zu 
Frankfurt  a.  M.  Von  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  P.  Ehrlich. 
Ref. :  Joannovics. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten, 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Eougreßberi elite. 


Ueber  Wirkungsweise  und  Indikation  einiger 
diuretisch  wirkender  Mittel.^) 

Von  0.  Loewi,  Wien. 

Meine  Herren!  Wenn  ich  mir  erlaube,  mir  Ihre  Auf¬ 
merksamkeit  für  eine  kurze  Darstellung  neuerer  Forschungs¬ 
ergehnisse,  betreffend  den  Wirkungsmechanismus  einiger 
wichtiger  Diuretika  zu  erbitten,  sO'  möchte  ich  die  Berech¬ 
tigung  hiezu  daraus  ahleiten,  daß  diese  Ergebnisse  in  wesent¬ 
lichen  Punkten  von  früher  gewonnenen  abweichen,  die  dem 
heutigen  therapeutischen  Handeln  zugrunde  liegen.  Ferner 
haben  sich  in  jüngster  Zeit  die  Bedingungen,  welche  für 
den  Eintritt  und  den  Grad  der  Wirkung  der  Diuretika  ma߬ 
gebend  sind,  präzis  genug  feststellen  lassen,  daß  man  in 
Zukunft  vielleicht  seltener  als  bisher  einen  therapeutischen 
Mißerfolg  auf  ,, individuell  verschiedene  Reaktion“  wird 
zurückführen  brauchen,  vielmehr  diese  wird  ursächlich  be¬ 
gründen  können. 

Es  kann  nicht  beabsichtigt  sein,  im  Rahmen  eines 
Vortrages  das  ganze  Gebiet  lückenlos  darzustellen.  Nur 
einige  Punkte  sollen  besprochen  werden.  Sie  betreffen  nicht 
alle,  sondern  nur  die  viel  angewendeten  Diuretika  der  Purin¬ 
reihe  (Koffein,  Theobromin,  Theophyllin)  und  die  Digitalis¬ 
körper.  Unbesprochen  bleiben  demnach  von  gebräuchlichen 
Diuretizis  das  Kalomel,  sowie  Wasser,  Salze  und  salzartig 
wirkende  Stoffe  (Harnstoff,  Milchzucker  etc.).  Das  Kalomel 

*)  Vortrag,  gehalten  am  30.  November  1906  in  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  in  Wien. 


muß  ans  der  Betrachtung  ausscheiden,  weil  wir,  abgesehen 
von  derjenigen  .1  e  n  d  ra  s  s  i  k  s  ^)  kaum  eine  brauchbare  Hypo¬ 
these,  geschweige  denn  eine  experimentelle  Tatsache  zur 
Begründung  seiner  Wirkung  anznführen  haben.  Wasser  mit 
und  ohne  Beimengung  obsoleter  Ingredienzien  und  Salze, 
von  denen  eigentlich  nur  das  essigsaure  Kali  praktisch  in 
Betracht  kommt,  sind  wenigstens  in  der  Weise,  wie  sie 
angewandt  zu  werden  pflegen,  nach  den  übereinstimmenden 
Erfahrungen  der  Klinik,  wie  des  Experimentes  keine  ratio¬ 
nellen  Entwässernngsmittel,  weshalb  ich  an  dieser  Stelle 
von  der  Besprechung  ihrer  dinretischen  Wirkung  absehe. 

Steigeiamg  der  Diurese  kann  giamdsätzlich  auf 
zweierlei  Art  erzielt  werden :  entweder  durch  primäre  Stei¬ 
gerung  der  Gesamtzirknlation,  so  daßi  der  Niere  in  der  Zeit¬ 
einheit  mehr  Blut  zufließt,  oder  durch  primäre  Funktions¬ 
steigerung  des  harnbereitenden  Apparates  in  der  Niere  selbst. 
Hienach  hat  die  Analyse  des  Wirkimgsmodus  der  Diuretika 
in  erster  Linie  festzustellen:  Liegt  eine  allgemeine  Zirkii- 
lationswirkung  oder  eine  Nierenwirknng  vor? 

1  Beginnen  wir  mit  den  Diuretizis  der  Purinreihe: 

I  Die  geläufige  xVnschauimg  über  die  Wirkungsweise 

I  dieser  Mittel  stützt  sich  aut  Versuche  v.  Schröders.^) 
j  Dieser  ausgezeichnete  Forscher  stellte  zunächst  mit  Sicher- 
!  heit  fest,  daß  die  genannten  Mittel,  mindestens  beim  Ka¬ 
ninchen,  mächtig  Harn  treiben  können,  ohne  gleichzeitig 

b  Jendrassik,  Deutsch.  Archiv  für  klin.  Medizin,  Bd.  38, 
S.  499  und  Bd.  48,  S.  226. 

*)  V.  S  c  h  r  ö  d  e  r,  Archiv  für  experiment.  Pathologie  und  Pharma¬ 
kologie  1887,  Bd.  22,  S  39  und  1888,  Bd.  24,  S.  69. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  t 


selieii;  das  kann  sie  doch  mir  sein,  wo  sie  existiert;  aber 
die  B 1  u  t  d  r  n  c  k  s  t  e  i  g  e  r  u  n  g  f  e  li  1 1  n  n  e  n  d  1  i  c  li  o  f  t  n  n  d 
doch  tritt  starke  Diurese  ein. 

Alle  Untersiichnngen  des  Blntdriickes,  die  mit  guter 
Alelhodik  ansgeführt  wurden  —  ich  nenne  die  von 
V.  Czyhlarz,^^)  Sahli,^^)  G  eisböck,!* *')  A.  Franke  1^0 
(vgl.  auch  V.  Recklinghausen^®),  -  haben  beim  ge¬ 
sunden  Menschen  immer,  lieim  kranken  Alenschen  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  zu  dem  Ergebnis  geführt,  daß  der  Blut¬ 
druck  unter  dem  Einfluß  von  Digitalis  nicht  ansteigt,  sondern 
gleichhleibt  oder  fällt.  Ich  spreche  nur  von  medizinalen, 
heilsamen,  nicht  von  toxischen  Gaben. 

Da  demnach  die  Digitalis  weder  auf  die  Niere  wirkt, 
noch  in  diesen  Fällen  steigernd  auf  den  Blutdruck,  muß 
hier  die  Ursache  der  diuretischen  Wirkung  anderswo  ge¬ 
sucht  werden. 

Nun  ist  über  jeden  Zweifel  erhaben,  daß  die  Digitalis 
die  Herzarbeit  begünstigt:  die  Systole  wird,  wo  sie  es  nicht 
schon  ist,  vollständiger  und  die  Diastole  wird  ausgiebiger, 
dabei  wird  in  der  Regel  die  Frequenz  der  Herzaktion  herab¬ 
gesetzt.  Das  ist  die  Herzwirkung.  Existiert  auch  eine  Gefä߬ 
wirkung?  Eine  direkte  Gefäßwirkung  im  Sinne  einer  Ver¬ 
engerung,  wie  sie  beim  Hund  nach  toxischen  Dosen  eintritt 
(z.  B.  Bradford  und  Philips,^®)  Gottlieb  und  Mag¬ 
nus  scheint  der  Digitalis,  mindestens  in  nicht  toxi¬ 

schen  Dosen  beim  Menschen  nicht  zuzukommen; 
das  muß  aus  folgendem  erschlossen  werden:  Wie  wir 
sjiJien,  bleibt  beim  gesunden  Menschen  nach  Digitalis 
der  Blutdruck  unverändert.  Er  müßte  steigen,  falls  seine 
Gefäße  sich  verengerten.  Dieser  Effekt  auf  den  Blutdruck 
könnte  allerdings  durch  einen  gleichzeitigen  Blutdruckabfall 
infolge  Pulsverlangsamung  verdeckt  werden.  Dann  müßte 
nach  Ausschaltung  der  Pulsverlangsamung  —  und  mit  Atro¬ 
pin  läßt  sich  dies  erreichen  —  die  durch  die  supponierte 
Gefäßkonstriktion  befwirkte  Steigerung  in  die  Erscheinung 
treten.  Nun  steigt  zwar  nach  Atropin-Digitalis  der  systo¬ 
lische,  nicht  aber  der  diastolische  Blutdruck.  (Fränkel 
loc.  cit.)  Damit  ist  die  systolische  Steigerung  als 
reine  Herzwirkung  charakterisiert  und  wir 
können  eine  Steigerung  des  Gefäßtonus  als 
Folge  der  D  i  g  i  t  a  1  i  s  d  a  r  r  e  i  c  h  u  n  g  in  heilsamen 
Gaben  beim  Menschen  aus  schließen.  Dazu  be¬ 
durfte  es  übrigens  kaum  dieser  Analyse.  Jeder  Arzt  weiß, 
daß  der  Digitalispuls  voll  ist,  nicht  gespannt,  wie  etwa  bei 
Steigerung  des  Gefäßtonus,  z.  B.  infolge  Bleikolik  oder 
Nephritis  (vgl.  hierüber  v.  Recklinghausen  loc.  cit.). 

Demnach  haben  wir  höchstwahrscheinlich  als  alleinige 
primäre  Wirkung  der  Digitalis  auf  die  Zirkulation:  Steige¬ 
rung  der  Herzarbeit  zu  betrachten.  Wie  kommt  es  nun, 
daß  diese  bei  Stauungszuständen,  wo  doch  die  Herzaktion 
unzureichend  ist,  oft  nicht  zu  Blutdrucksteigerung,  eher  zu 
Blutdruckabfall  und  dennoch  gleichzeitig  zu  Diurese  führt? 
Dies  zu  verstehen,  sind  wir  genötigt,  kurz  auf  das  Bild 
der  Stauung  —  u.  zw.  zunächst  primär  Nierengesunder  — 
einzugehen.  Das  Bild  wird  beherrscht  davon,  daß  das  ge¬ 
schwächte  Herz  ungenügend  Blut  auswlrft. 

Da  die  Größe  des  Blutdruckes  abhängig  ist  einmal 
von  der  Größe  der  Herzarbeit,  anderseits  von  dem  Wider¬ 
stand  in  den  Gefäßen,  sollte  danach  hei  Stauungszuständen 
der  Blutdruck  tiefer  sein  als  in  der  Norm,  falls  dabei  ledig¬ 
lich  die  Herztätigkeit  geändert  wäre.  Das  ist  wohl  in 
manchen,  aber  offenbar  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht 
der  Fall :  nach  vielfachen,  neueren,  einwandfreieren  Befunden, 

‘h  V.  Czyhlarz,  Wiener  klin.  Rundschau  1900,  Nr.  15. 

Sahli,  Verhandlungen  des  Kongresses  für  innere  Medizin 
1904,  S.  45. 

'*)  Geis  bock,  Deutsch.  Archiv  für  klin.  Medizin  1905,  Bd.  83,  S.  396. 

A.  Fränkel,  Münchener  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  32. 

‘®)  V.  R  eck  li  n  g  h  a  US  e  n,  Archiv  für  experiment. Pathologie  und 
Pharmakologie  1906,  Bd.  56,  S.  1. 

**)  Bradford  und  Philips,  Journ.  of  physiol.  1887,  Bd.  8,  S.  117. 

*°)  Gottlieb  und  Magnus,  Archiv  für  experiment  Pathologie 
und  Pharmakologie  1901,  Bd.  47,  S.  135. 


—  ich  nenne  die  von  Sahli,^^)  Hensen^^)  und.Geis- 
böck  loc.  cit.  —  ist  auch  bei  rein  kardialen  Stauungs¬ 
zuständen,  wo  also  ein  nephrogenes  Element  nicht  mit¬ 
wirkt,  der  Blutdruck  häufig  unverändert  oder  sogar  gestei¬ 
gert;  dabei  kann  der  Puls  ganz  klein  sein:  Geisböck 
heJ)t  diesen  Kontrast  ausdrücklich  hervor. 

Demnach  muß  bei  Slauungszuständen  der  periphere 
Gefäßwiderstand  abnorm  gesteigert  sein.  Dies  uiigemein 
wichtige  Moment  scheint  bei  den  Klinikern  —  mit  Aus¬ 
nahme  von  Sahli  —  bisher  ziemlich  unbeachtet  geblieben 
zu  sein. 

Was  ist  die  Ursache  dieses  peripher  gesteigerten  Wider¬ 
standes  ?  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  izwei  Ursachen  : 
die  erste  ist  vielleicht  das  Vorhandensein  der  Oedeme;  da¬ 
durch  mögen  rein  mechanisch  die  kleinen  Arterien  zu¬ 
sammengedrückt  werden.  Ferner  dürfte  Reizung  des  Vaso¬ 
konstriktorenzentrums  durch  Asphyxie  mitspielen.  In  spä¬ 
teren  Stadien,  wenn  die  Niere  schon  lange  unter  Asphyxie 
gelitten  hat,  mag  dazu  eine  von  ihr  ausgehende,  der  bei 
Nephritis  analoge  Gefäßkontraktion  den  Schaden  mehren. 

Ich  empfinde  wie  Sie,  meine  Herren,  daß  sich  in 
diesem  Kapitel:  Verhalten  der  Gefäße  bei  Stauung,  die 
,, wahrscheinlich“  und  ,, vielleicht“  unbehaglich  häufen.  Es 
liegen  eben  merkwürdigerweise  kaum  verwertbare,  direkte 
Beobachtungen  und  Versuche  bislang  vor,  so  daß  wir  nur 
indirekt  folgern  können. 

Nach  dem  vorausgehenden  ist  der  Stauungszustand 
häufig  genug  charakterisiert : 

1.  Durch  verminderte  Herzarbeit; 

2.  durch  vermehrten  peripheren  Widerstand; 

3.  durch  oft  normalen,  mitunter  auch  übernormalen 
Blutdruck. 

Die  Niere  wird  dabei  durch  folgende  Momente  ge¬ 
schädigt  : 

1.  Mangelhafte  Blutversorgung  infolge  mangelhafter 
Herzarbeit  und  Gefäßkonstriktion ; 

2.  venöse  Stauung. 

Erst  nach  diesem  Umweg  können  wir  zur  Beantwor¬ 
tung  der  oben  aufgeworfenen  Frage  schreiten,  wie  es  mög¬ 
lich  ist,  daß  Digitalis  oft  den  Blutdruck  herabsetzt  und  doch 
gleichzeitig  diuretisch  wirkt.  Jetzt  ist  die  Beantwortung 
leicht:  Wie  wir  sahen,  arbeitet  das  Herz  unter  dem  Ein¬ 
fluß  der  Digitalis  besser:  dadurch,  daß  es  nicht  nur  mehr 
auswirft,  sondern  auch  mehr  schöpft,  verschwindet  die 
Stauung  samt  den  Üedemen,  infolge  der  reichlicheren  Durch¬ 
blutung  hört  die  Asphyxie,  damit  auch  die  Reizung  des 
Vasokonstriktorenzentrums  und  die  dadurch  mitbedingte  ver¬ 
mehrte  Gefäßspannung  auf;  Folge  davon  ist:  der  Blutdruck 
fällt  infolge  Gefäßentspannung  und  -entlastung;  die  Niere 
erhält  mehr  Blut  infolge  gesteigerter  Herzarbeit  und  infolge 
Nachlasses  der  Gefäßspannung  und  kann  wieder  arbeiten, 
da  gleichzeitig  die  venöse  Stauung  aufhört. 

Solchergestalt  dürfte  sich  beim  heutigen  Stand  der 
Dinge  die  diuretische  Wirkung  der  Digitalis  bei  den  oben 
charakterisierten  kardialen  Slörungszuständen  zwanglos  er¬ 
klären. 

Die  Tatsache,  daß  die  Digitalis  dabei  häufig  blutdruck¬ 
herabsetzend  wirkt,  führt  uns  folgerichtig  zur  Diskussion 
der  Frage  nach  der  Berechtigung  der  Anwendung  der  Digi¬ 
talis  in  Fällen,  wo  der  Blutdruck  von  vornherein  gesteigert 
ist.  Sie  wissen,  daß  seit  jeher  viele  Aerzte  auf  dem  Stand¬ 
punkt  stehen,  daß  hoher  Blutdruck  eine  Kontraindikation 
für  Digitalisanwendung  bilde.  Nun,  wir  sahen,  daß  bei  kar¬ 
dialer  Stauung  das  Gegenteil  der  Fall  ist.  Prüfen  wir  andere 
Fälle,  wo  der  Blutdruck  gesteigert  ist:  Sehen  wir  von  der 
ihrem  Wesen  nach  wenig  geklärten  und  relativ  seltenen 
Hypertonia  polycythaemica  (vgl.  Geisböck  loc.  cit.)  ab,  so 
bleiben :  Bleivergiftung  und  Nephritis,  sowie  manche  Fälle 
von  Arteriosklerose  (Romberg^®)  und  Aorteninsuffizienz. 

^  q  S  a  h  1  i,  V erhandlungen  des  Kongresses  für  innere  Medizinl901,  S.  45. 

“)  Hensen,  Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin,  Bd.  67,  S.  436. 

*q  Romberg,  Verhandlungen  des  Kongresses  für  innere  Medizin 
1904,  S.  83. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Denkt  der  Arzt  in  diesen  Fällen  überhaupt  daran,  Digitalis 
anzu wenden,  so  wird  er  zu  dieser  Ueberlegung  geführt  durch 
Symptome,  die  auf  Inkompensation  hinweisen:  in  dieser 
ist  aber  wohl  regelmäßig  mehr  oder  weniger  Oodem  und 
Asphyxie  mit  ihrer  Folge:  gesteigerte  Gefäßspannung  im 
Spiele.  Sie  bildet  mindestens  eine  Ursache  der  Blutdruck¬ 
steigerung  und  da  ihr  Digitalis,  wie  wir  bereits  sahen, 
entgegenwirkt,  dürfte  wohl  in  keinem  einzigen  Fälle  be¬ 
stehender  hoher  Blutdruck  eine  Kontraindikatioii  gegen  Digi¬ 
talisanwendung  sein. 

Eine  weitere  wichtige  Frage  betrifft  die  nach  dem 
Vorteil  einer  kombinierten  Koffein-Digitalistherapie. 

Da  das  Vorhandensein  massiger  Dedeme  naturgemäß 
die  Wirksamkeit  der  Digitalis  auf  das  ohnehin  geschwächte 
Herz  erschweren  muß,  ist  die  alte  Empfehlung,  vor  Ein¬ 
leitung  der  Digitalistherapie  erst  die  Oedeme  durch  Koffein, 
Theobromin  oder  Theophyllin  zum  Verschwinden  zu 
Irringen,  wohl  zu  erwägen.  Daß  Diuretin  allein  imstande  ist, 
lediglich  durch  seine  diuretische  nichtkardiale  Wirkung 
Oedeme  zu  beseitigen,  das  beweist  zur  Genüge  seine  mit¬ 
unter  wohl  zweifellose  Wirkung  bei  Aszites  infolge  Pfort¬ 
aderstauung,  wo  das  Herz  nicht  geschwächt  ist,  sondern 
nur  deshalb  kein  Blut  fördert,  weil  ihm  keines  zu  Gebote 
steht.  Deshalb  soll  in  diesen  Fällen  ja  Digitalis  völlig  un¬ 
gebräuchlich  und  erfolglos  sein. 

Nach  dieser  Erfahrung  dürfte  es  in  vielen  Fällen, 
immer  dann,  wenn  die  Zeit  nicht  drängt,  durchaus  rationell 
sein,  der  Digitalistherapie  eine  Diuretintherapie  vorangehen 
zu  lassen. 

Eine  gleichzeitige  Kombination  Diuretin-  (oder 
Koffein  oder  Theophyllin-)  Digitalis  dürfte  immer  durchaus 
angezeigt  sein.  Sie  ist  immer  unschädlich,  oft  zweifellos 
von  großem  Nutzen.  Sicher  zur  Beschleunigung  der  Diurese. 
Vielleicht  auch,  um  durch  Diuretin  eine  eventuelle  vaso- 
konstriktorische  Wirkung  der  Digitalis  auf  die  Koronargefäße 
zu  paralysieren,  deren  Vorkommen  nach  Anwendung  heil¬ 
samer  Dosen  beim  Menschen  übrigens  fraglich  ist. 

Meine  Herren,  ich  bin  am  Ende.  Es  wird  Ihnen  als 
Praktikern  besonders  aufgefallen  sein,  daß  vielfach  allzu 
schematisch  dargestellt  wurde  und  jeder  von  Ihnen  wird 
Fälle  anführen  können,  auf  die  die  hier  gegebene  Darstellung 
scheinbar  nicht  zutrifft.  Wenn  es  sich  aber  darum  handelt, 
Hegeln  und  Maximen  aufzustellen,  und  das  ist  die  Auf¬ 
gabe  des  Theoretikers,  die  ihm  u.  a.  auch  vom  ärztlichen 
Praktiker  gestellt  ist,  dann  ist  das  Schwergewicht  auf  die 
Aufsuchung  des  den  verschiedenen  Individuen  Gemein¬ 
samen  zu  verlegen;  dabei  muß  mitunter  das  individuell 
.\bweichende  unberücksichligt  bleiben.  Dies  anderseits  hat 
der  ärztliche  Praktiker  zum  Gegenstand  besonderer  Beob¬ 
achtung  zu  machen,  ohne  wiederum  darüber  das  Gemein¬ 
same  vergessen  zu  dürfen. 

Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium  des 
k.  u.  k.  Militärsanitätskomitees. 

lieber  ungiftige  dissoziierbare  Verbindungen  der 

Toxine. 

Von  Dr.  Robert  Doerr,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

Bereits  Ehrlich^)  hat  gewisse  Modifikationen  des 
Diphtherie-  und  Tetanustoxins  gekannt,  welche  durch  die 
Einwirkung  von  Jod,  Schwefelkohlenstoff,  resp.  Jodtrichlorid 
auf  die  genannten  Toxine  zustande  kommen;  noch  älter 
ist  die  der  Vergessenheit  atiheimgefallene  Beobachtung  von 
Houx  und  Yersin,^)  nach  Vvelcher  Diphtheriegiftlösungen 
durch  Älilchsäure  oder  Weinsäure  entgiftet  werden.  In 
neuerer  Zeit  wurden  derartige  Untersuchungen  über  das 
Verhalten  von  Toxinen  verschiedener  Art  gegen  che¬ 
mische  Einwirkungen  wieder  auf  genommen.  So  haben 
Flexner  und  Noguchi^)  am  Krotalusgift  gesehen,  daß  das 
Hämorrhagin  durch  Behandlung  des  ursprünglichen  Roh¬ 
giftes  mit  Salzsäure  unwirksam  gemacht  wird  und  einge¬ 


hende  Untersuchungen  hat  Morgenroth  am  Kobragift 
geführt.  ,1 

M  0  r  g  e  n r  o  th konnte  zeigen,  daß  man  die  Verbindung 
Kobragift-Antitoxin  durch  Behandeln  mit  Salzsäure  in  Gegen¬ 
wart  von  Lezithin  sprengen  kann;  es  bildet  sich  zunächst 
ein  (Toxin+Antitoxin-)Lezilhid,  das  dann  durch  die  Salz¬ 
säure  in  seine  Komponenten  zerlegt  wird.  Dabei  erfährt 
sowohl  das  Hämolysin,  als  das  Neurotoxin  des  Kobragiftes 
durch  die  Säureeinwirkung  eine  merkwürdige  Aenderung : 
es  wird  thermostabil  und  kann  nach  exakter  Neutralisation 
der  überschüssigen  Säure  durch  eine  Stunde  gekocht  werden, 
ohne  erheblich  an  Wirksamkeit  zu  verlieren. 

Die  Arbeit  Morgenrot  und  Pane®)  brachte  weitere 
wichtige  Entdeckungen.  Kobragiftlösung  mit  ^  HCl  zum 
Sieden  erhitzt,  neutralisiert  und  sofort  nach  dem  Abkühlen 
geprüft,  zeigt  nur  einen  kleinen  Teil  des  ursprünglichen 
hämolytischen  Vermögens.  Einige  Tage  im  Eisschrank  ge¬ 
halten,  gewinnt  es  ganz  oder  zum  Teil  den  früheren  Titre 
wieder,  wie  Morgenroth  meint,  durch  Rückverwandlung 
einer  ungiftigen,  aber  reversiblen  Modifikation,  die  aus  dem 
Kobragift  infolge  der  Säurewirkung  entstand. 

Auch  längere  Einwirkung  von  HCl  in  der  Kälte 
hat  denselben  Effekt,  namentlich  bei  Zusatz  von  Lezithin. 
Die  Verfasser  empfehlen  dieses  Verfahren  als  das  schonen- 
clere,  indem  das  Hämolysin  nahezu  quantitaliv  in  die  rever¬ 
sible  Modifikation  übergeführt  wird,  während  sich  beim 
Kochen  ein  wechselnder  Teil  der  letzteren  in  eine  definitiv 
irreversible,  ungiftige  Verbindung  verwandelt. 

Auch  das  Neurotoxin  des  Kobragiftes  reagiert  mit  Salz¬ 
säure  ganz  ähnlich.  Während  die  zehnfache  Dosis  letalis 
des  genuinen  Giftes  weiße  Mäuse  nach  12  bis  15  Vlinuten 
sicher  tötet,  erscheint  die  Inkubation  bei  einem  mit  ^  HCl 
versetzten  und  14  Tage  im  Eisschrank  aufbewahrten  Gift 
auf  das  Fünffache  verlängert,  wenn  man  sofort  nach  der 
Neutralisation  injiziert.  Läßt  man  aber  die  neutralisierte 
Lösung  einige  Tage  stehen,  so  ist  das  frühere,  kurze  Latenz¬ 
stadium  der  Toxinwirkung  wieder  hergestellt.  Aus  diesem 
Versuch  folgert  Morgenroth,  daß  unter  .Umständen  die 
Inkubationszeit  mancher  V ergiftungen  auch  so  erklärt  werden 
kann,  daß  der  Organismus,  wie  beim  eben  neutralisierten 
Kobragift  eine  gewisse  Zeit  braucht,  um  aus  der  reversiblen 
ungiftigen  Modifikation  eine  tödliche  Dosis  abzuspalten. 

M o  r  g  e  11  r  0 1  h  und  Pane  haben  die  allgemeinere  Bedeu¬ 
tung  dieser  Prozesse  beim  Kobragift  für  die  übrigen  Toxine 
völlig  erkannt.  Sie  schreiben :  ,,Wir  bezweifeln  nicht,  daß 
Vorgänge  ähnlicher  Art,  wenn  erst  einmal  die  Aufmerksam¬ 
keit  darauf  gerichtet  ist,  auf  dem  Toxingebiete  noch  öfter 
zur  Beobachtung  kommen  und  eine  erhebliche  Bedeutung 
gewinnen  werden.“  Die  folgenden  Versuche  bringen  eine 
völlige  Bestätigung  dieser  Behauptung. 

Zunächst  schien  es  allerdings  wenig  aussichtsvoll  die 
Wirkung  von  Säuren  auf  Bakterientoxine  einer  eingehen¬ 
deren  Prüfung  zu  unterwerfen.  So  schreibt  Oppen¬ 
heimer^)  noch  1904:  ,, Starke  Säuren  und  Basen  wirken 
natürlich  vernichtend,  schwache  Basen  schädlich,  sehr 
schwache  Säuren,  besonders  die  organischen,  wahr¬ 
scheinlich  fördernd.“  Auch  die  Angaben  von  Kilasato,^) 
sowie  von  Fermi  und  Pernossi®)  bergen  bei  allen  zahlen¬ 
mäßigen  Angaben  so  viele  Unwahrscheinlichkeiten  und 
innere  Widersprüche,  daß  wenigstens  beim  Tetanus  gift, 
mit  dem  hauptsächlich  gearlieitet  worden  war,  die  Wieder¬ 
aufnahme  der  Experimente  keine  tjesonderen  Ergebnisse 
versprach.  Wie  wir  hören  werden,  ist  es  auch,  wenigstens 
bisher,  nicht  gelungen,  beim  Tetanustoxin  restituierbare,  un¬ 
giftige  Modifikationen  (durch  Säurewirkung!)  zu  erzeugen. 

Dagegen  findet  sich  schon  bei  Roux  und  Yersin^®) 
eine  Angabe  über  das  Diphtheriegift,  die  Morgenroth  und 
Pane  entgangen  zu  sein  scheint,  und  deren  Bedeutung 
offenbar  bisher  völlig  ignoriert  worden  war.  Roux  und 
Yersin  bewirkten  durch  Ansäuerung  von  Diphtheriegift¬ 
lösungen  mit  Milchsäure  oder  Weinsäure  fast  völlige  En(- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


giftung.  Neutralisierung  stellte  die  Wirksamkeit 
zum  Teil  wieder  her. 

Auch  mir  waren  diese  Versuche  unbekannt,  als  ich 
durch  zufällige  Ergebnisse  größerer  Experimentalreihen  auf 
das  Bestehen  restitiiierbarer  ungiftiger  Verbindungen  des 
Dysenterietoxins  aufmerksam  gemacht  worden  war,  deren 
völlige  Uebereinstimmung  mit  Morgenroths  Erhebungen 
am  Kobragift  zu  genauerem  Studium  dieser  Frage  für  die 
anderen  Toxine  herausforderte. 

Wie  bekannt,  wirkt  das  Gift  des  Shiga-Krus eschen 
Bazillus,  intravenös  injiziert,  bei  Kaninchen  in  höclist  charak¬ 
teristischer  Weise.  Um  nun  die  Angabe  Rosenthals^^) 
zu  prüfen,  daß  Mineralsäuren  schon  in  geringen  Konzentra¬ 
tionen  dieses  Gift  zerstören,  Essigsäure  dagegen  nicht,  wurde 
eine  größere  Menge  Giftlösung  mit  20/oiger  Salzsäure  ver¬ 
setzt,  durch  24  Stunden  stehen  gelassen  und  dann  intravenös 
injiziert  (2  cm^).  Da  es  aber  bedenklich  schien,  eine  so 
große  Menge  der  stark  sauren  Flüssigkeit  direkt  in  das 
Gefäßsystem  einzuführen,  so  neutralisierte  ich  die  saure 
Toxinlösung  mit  konzentrierter  Sodalösung  bis  zur  deutlich 
alkalischen  Reaktion  und  injizierte  nach  zwei  Stunden.  Wider 
Erwarten  starb  das  Tier.  Ein  andermal  hatte  ich  Toxin  mit 
Trypsin  in  alkalischer  und  zur  Kontrolle  in  salzsaurer  Lösung 
versetzt  und  nach  acht  Stunden  eingespritzt.  Drei  Tiere 
mit  0-5,  1-0  und  2  0  cm^  der  sauren  Lösung  blieben  am 
Leben,  wobei  die  Trypsinwirkung  bei  der  sauren  Reaktion 
ausgeschaltet  war.  Diesmal  war  jedoch  die  Säure  nicht 
neutralisiert  worden. 

Es  war  also  nur  die  Deutung  möglich,  daßi  das  Dys- 
eiiterietoxin  durch  Salzsäure  nicht  zerstört,  sondern  in  eine 
ungiftige  Verbindung  übergeführt  wird,  die  durch  Alkali- 
sieren  wieder  zerlegt  werden  kann.  Ad  hoc  angestellte 
weitere  Experimente  ergaben  die  Richtigkeit  dieser  Ver¬ 
mutung. 

Versetzt  man  Dysenteriegiftlösung  mit  1  bis  2®/o  kon¬ 
zentrierter  Salzsäure,  mit  l^/o  konzentrierter  Schwefelsäure, 
mit  1  bis  2%  konzentrierter  Salpetersäure,  so  erweisen  sich 
vier-  bis  achtfache  Mengen  der  letalen  Dosis,  intravenös 
injiziert,  als  völlig  unwirksam.  Doch  ist  hiezu  nötig,  das 
Toxin  mit  der  Säure  wenigstens  einige  Stunden  bei  Zimmer¬ 
temperatur  in  Berührung  zu  lassen.  Essigsäure  (4°/o)  hatte 
diese  Wirkung  nicht. 

Bei  den  Injektionen  muß  man  entweder  den  Schädel 
der  Kaninchen  fixieren  oder  sehr  rasch  einspritzen,  da  die 
Tiere  unter  lebhaften  Schmerzäußerungen  Abwehrbewegun¬ 
gen  machen  und  die  Gefahr  besteht,  das  Toxin  subkutan 
einzubringen ;  vom  Unterhautzellgewebe  aus  wirkt  aber  das 
Ruhrgift  nach  den  Untersuchungen  von  Kraus  und  Doerr 
weit  weniger  sicher  und  erst  in  größeren  Dosen. 

Neutralisiert  man  die  sauren  Giftlösungen  mit  kon¬ 
zentrierter  Sodalösung,  so  erweisen  sie  sich  nach  24stün- 
digem  Stehen,  doch  auch  schon  nach  viel  kürzerer  Zeit 
wieder  wirksam.  Die  Neutralisation  hat  bis  zum  Phenol¬ 
phthaleinneutralpunkt,  resp.  bis  zur  deutlichen  Alkaleszenz 
für  Lackmus  zu  erfolgen;  es  genügt  nicht,  die  Flüssigkeiten 
einfach  lackmusneutral  zu  machen,  um  die  Ausgangstoxizität 
zu  erreichen.  Auch  nach  kurzem  Stehen  der  überneutrali- 
sierten  Flüssigkeiten  erscheint  die  Inkubationszeit  dem  ge¬ 
nuinen  Toxin  gegenüber  verlängert,  die  Giftigkeit  also  etwas 
herabgesetzt. 

Vers uch  I. 

20  ein®  Toxin  I  (Dosis  letalis  —  0-5  cm®)  +  0-4  cm®  Acid, 
hydrochloric,  konzentriert.  Nach  14  Stunden  injiziert  (intra¬ 
venös)  : 

Kan.  ;361 :  20  cm®  am  31.  Oktober.  Bleibt  dauernd 
gesund. 

Kan.  396:  4  0  ein®  am  31.  Oktober.  Bleibt  dauernd  gesund. 

Der  Rest  mit  konzentrierter  Sodalosung  neutralisiert,  nach 
24  Stunden  injiziert; 

Kan.  302:  2‘0  cm®  am  1.  November.  Am  2.  November 
früh  t. 

Kan.  341 :  4’0  cm®  am  1.  November.  Am  2.  November 
früh  t-  (Positiver  Darmbefund.) 


Versuch  II. 

20  cm®  Toxin  I  +  0‘2  A  c  i  d.  s  u  1  f  u  r  i  c.  c  o  n  c.,  davon  nach 
14  Stunden: 

Kan.  399:  2’0  cm®  am  31.  Oktober.  Ue  he  riebt,  bleibt  gesund. 

Mit  konzentrierter  Sodalösung  neutralisiert,  24  Stunden 
stehen  gelassen,  sodann 

Kan.  336:  2  0  cm®  am  1.  November.  Am  2.  November 
früh  f.  (Positiver  Darmbefund !) 

Versuch  III. 

10  cm®  Toxin  II  (Dos.  letalis  1  cm®)  +  0’2  Acid,  nitric,  cone, 
davon  nach  18  Stunden: 

Kan.  352:  1  cm®  am  24.  Oktober.  Vom  25.  bis  29.  Oktober 
gesund,  am  30.  Oktober  eingegangen. 

Kan.  388:  2  cm®  am  24.  Oktober.  Bleibt  dauernd  gesund. 

Kan.  391:  3  cm®  am  27.  Oktober.  Bleibt  dauernd  gesund. 

Der  Rest  mit  Sodalösung  überneutralisiert  und  nach 
20  Stunden  injiziert. 

Kan.  385:  1  cm®  am  25.  Oktober.  Am  26.  Oktober  Para¬ 
lysen,  am  27.  früh  f.  (Positiver  Darmbefund !) 

Kan.  337 :  2‘0  cm®  am  25.  Oktober.  Am  26.  Oktober  früh 
Paralysen,  Mittags  f.  (Positiver  Darmbefund!) 

Kan.  336;  2’0  cm®  am  28.  Oktober.  Am  29.  Oktober  früh  f. 

Kan.  327 :  3’0  cm®  am  28.  Oktober.  Am  29.  Oktober  früh  f. 

Versuch  IV. 

20cm®  Toxin  I  +  0'8  Acid,  acetic.  Nach  18  Stunden: 

Kan.  383;  2'0  cm®  am  31.  Oktober.  Am  1.  November  früh  f. 

Wiederholungen  ergaben  stets  das  gleiche  Resultat. 
Auch  bestand  keine  Differenz,  wenn  man  statt  der  Bouillon¬ 
kulturfiltrate  die  sehr  giftigen  lebenden  oder  bei  56°  C  ab¬ 
getöteten  Leiber  der  Dysenteriebazillen  in  Anwendung 
brachte.  Eine  Emulsion,  von  der  0-2  cm^  ein  Kontrolltier 
innerhalb  24  Stunden  bei  intravenöser  Injektion  töteten, 
war  mit  2^/0  HCl  versetzt,  nach  20stündigem  Stehen  in 
derselben  Menge  unwirksam.  Mit  Sodalösung  übemeutrali- 
siert  und  nach  vier  Stunden  injiziert,  zeigte  sie  noch  ein 
verlängertes  Inkubationsstadium : 

Kan.  344:  0'2  cm®  am  2.  November.  Am  3.  November 
Paresen  der  Hinterbeine,  am  4.  November  früh  t-  (Positiver 
Darmbefund !) 

Nach  24  Stunden  war  die  volle  Giftigkeit  der  unbehandelten 
Emulsion  wieder  erreicht: 

Kan.  352:  0'2  cm®  am  3.  November.  Am  4.  November  früh  f. 
(Positiver  Darmbefund  I) 

Die  Deutung  dieser  Versuche  bietet  nur  eine  Schwierig¬ 
keit.  Es  könnte  befremden,  daß  die  mit  sauren  Toxinlösungen 
behandelten  Kaninchen  überhaupt  keine  Krankheitserschei¬ 
nungen  zeigen;  denn  die  Gewebssäfte  und  vorzüglich  das 
Blutserum  sind  alkalisch  und  sollten  daher  durch  Neiitrali- 
sation  der  Säure  die  ungiftige  Verbindung  in  die  giftige 
revertieren,  genau  so  wie  die  Sodalösung  in  vitro.  Danach 
hätte  man  erwartet,  daß  die  mit  saurem  Toxin  behandelten 
Tiere  lediglich  eine  längere  Inkubation  zeigen,  etwa  wie 
in  den  Mäuseversuchen  Morgenroths,  schließlich  aber 
doch,  wenigstens  bei  Anwendung  der  mehrfach  letalen  Dosis, 
erkranken  und  eingehen.  Gegenüber  unseren  Versuchen  be¬ 
steht  aber  die  Differenz,  daß  Morgenroth  und  Pane  ihre 
sauren  Kobragiftlösungen  stets  vor  der  Injektion  neutralisiert 
haben;  aus  welchem  Grunde,  ist  allerdings  nicht  recht  ein¬ 
leuchtend,  da  es  sich  doch  um  die  Ermittlung  der  Wirkungen 
des  angesäuerten  Toxins  handelte. 

In  unseren  Experimenten  wurde  jedoch  das  nicht  neu¬ 
tralisierte,  säurehaltige  Toxin  verwendet  und  Mengen  von 
0-04  cm^  konzentrierter  Salzsäure  oder  einer  anderen 
Mineralsäure  in  den  Organismus  eingeführt.  Direkte  Unter¬ 
suchungen  haben  nun  ergeben,  daß  30  bis  40  cm^  Kanin¬ 
chenserum  zur  Erreichung  einer  schwachen  Lackmusalka- 
leszenz  erforderlich  wären,  wenn  man  sie  zu  2  cm^  einer 
dergestalt  säurehaltigen  Giftlösung  hinzufügt. 

Auch  wird  das  Dysenterietoxin  rasch  durch  die  Darm¬ 
schleimhaut  ausgeschieden,  wie  meine  Versuche  ergaben, 
schon  in  wenigen  Stunden,  während  die  Umwandlung  der 
ungiftigen  sauren  Verbindung  in  die  giftige  doch  eine  gewisse 
Zeit  in  Anspruch  nimmt,  so  daß  die  jeweils  abgespaltenen 
Giftmengen  zur  Elimination  gelangen  können,  bevor  sie  sich 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


7 


in  letalen  Mengen  im  Körper  anhäufen.  Bei  Injektion  ins 
Gefäßsystem  besteht  ja  übrigens  auch  die  Möglichkeit  einer 
raschen  Ausscheidung  der  ungiftigen  Modifikation  als 
solcher.  In  der  Tat  werden  wir  beim  Diphtherietoxin  sehen, 
daß  andere  Arten  der  Applikation,  z.  B.  die  subkutane, 
selbst  bei  kleinen  Mengen  saurer  Giftlösungen,  doch  eine, 
wenn  auch  geringe  pathologische  Reaktion  der  Gewebe  nach 
sich  ziehen. 

Schließlich  wurden  höchstens  vier-  bis  sechsfache 
Multipla  der  letalen  Dosis  injiziert.  Höhere  Dosen  von 
sauren  Dysenteriegiftlösungen  vertragen  die  Tiere  nicht;  sie 
sterben  akut  an  der  intravenös  injizierten  Säure  und  außer¬ 
halb  des  Organismus  zu  neutralisieren,  hatte  keinen  Zweck, 
da  die  Restitution  beim  Dysenteriegift  viel  rascher  als  beim 
Kobratoxin  vor  sich  zu  gehen  scheint  und  man  bei  Neu¬ 
tralisation  in  vitro  (auch  unmittelbar  vor  der  Applikation) 
Gift  frei  machen  würde,  statt  diesen  Vorgang  in  den  Or¬ 
ganismus  zu  verlegen. 

Beim  Diphtherietoxin  waren  die  Verhältnisse 
ganz  konform  dem  Verhalten  des  Dysenteriegiftes;  nur 
^virkten  hier,  wie  nach  den  Angaben  Roux’  und  Yersins 
vorauszusetzen  war,  auch  organische  Säuren  (Milchsäure, 
Essigsäure  u.  dgl.).  Ferner  bestand  insofeme  eine  Differenz, 
als  die  sauren  Diphtheriegiftlösungen  in  fünf-  bis  sechsfach 
tödlicher  Dosis  des  genuinen  Toxins  zwar  nicht  den  Tod 
der  Tiere,  wohl  'aber  das  x\uftreten  von  Infiltraten  und 
Hautnekrosen  hervorriefen,  deren  Größe  nach  der  injizier¬ 
ten  Menge  variierte. 

Das  Diphtherietesttoxin  des  staatlich  serotherapeuti¬ 
schen  Instituts  wirkte  im  natürlichen  Zustand,  wie  folgt; 

gestorben  am : 


M.  131  am  7./11.  O'ö  cm*  subkutan  üb.  d.  Proc.  xiph.  8./11.  früh 


M.  18 
M.  251 
M.  182 
M.286 
M.  88 


0-3  „ 
0-2  „ 
OT  „ 
0-05  „ 
0-03  „ 


,,  iD  a.  m. 

,,  11^  a.  m. 

„  p.  m. 

9./11.  früh 
früh 


Die  Lebensdauer  von  M.  131  betrug  nicht  mehr  als  18  Stunden, 
von  M.  18  und  M.  251  nicht  mehr  als  26  Stunden,  von  M.  182 
nicht  mehr  als  31  Stunden,  von  M.  286  und  M.  88  nicht  mehr 


als  40  Stunden. 

10  cm*  dieses  Toxins  +  0‘2  Acid,  hydrochl.  conc.  durch 
20  Stunden  stehen  gelassen,  dann  injiziert: 

M.  61  am  8. /ll.  0'5  cm*  subkutan,  fünfkronenstückgroße  Hautnekrose 
M.  21  „  „  0‘3  „  „  hellergroße 

M.  203  „  „  0’2  „ 

M.  258  „  „  OT  ,,  „  linsengroße 

M.205  „  „  0-05  „ 

M.  120  „  „  0-03  „ 

Sämtliche  Tiere  blieben  am  Leben. 

Der  Rest  der  Giftlösung  bis  zum  Phenolphthaleinneutralpunkt 
neutralisiert  (also  bis  zur  Lackmusalkaleszenz),  nach  24  Stunden 
injiziert: 

Lebensdauer: 


M.  75 

am 

8./11.  0’5  cm* 

subk.  9./11. 

lO*^ 

a.  m.  t 

24  Stunden 

M.  66 

> ) 

0-3  „ 

„  9./11. 

7h 

p.  m.  t 

36 

M.  8 

n 

5) 

0-2  „ 

„  9./11. 

7h 

p.  m.  t 

36 

nicht  mehr  als 

M.  85 

}  f 

}  J 

OT  „ 

„  lO./ll. 

früh  t 

40  Stunden 

M.  179 

j) 

0-05  „ 

„  lO./ll. 

„  t 

M.  167 

0-03  „ 

„  lO./ll. 

„  t 

1 1 

Die  Lehensdauer  der  Tiere  erscheint  allerdings  gegen¬ 
über  der  originären  Giftlösung  verlängert;  doch  ist  zu  be¬ 
denken,  daß  die  letztere  durch  den  Zusatz  der  Säure  und 
noch  mehr  der  Sodalösung  (1-2  cm^  auf  4-0  cm^  Toxin) 
eine  nicht  zu  unterschätzende  Verdünnung  erfahren  hatte. 

Bei  sehr  hohen  Dosen  salzsaurer  Lösungen  gehen  die 
Versuchstiere,  wenn  auch  verzögert,  ein.  Offenbar  werden 
durch  die  alkalische  Gewebsflüssigkeit  hier  doch  solche 
Toxindosen  freigemacht,  daß  eine  tödliche  Menge  gleich¬ 
zeitig  auf  den  Organismus  wirken  kann.  So'  z.  B.  war  ein 
anderes  Diphtherietoxin  in  Mengen  von  0  02  om^  noch  sicher 
in  48  Stunden  letal.  Es  wurde  am  3.  November  mit  2o/oiger 
Salzsäure  versetzt  und  am  T.  November  injiziert. 

M.  91:  0’5  cm*  (25  Dos.  let.).  Am  5.  November  Infiltrat, 
am  6.  November  großes  Infiltrat,  am  7.  November  früh  t-  Lebens¬ 
dauer  ca.  70  Stunden. 


M.  143:  10  cm*  (50  Dos.  let.).  Am  5.  November  nichts,  am 
6.  November  früh  f.  Lebensdauer  ca.  40  Stunden. 

M.  288:  2'0  cm*  (100  Dos.  let.).  Am  5.  November  nichts,  am 
6.  November  früh  f.  Lebensdauer  ca.  40  Stunden. 

20  cm*  der  sauren  Giftlösung  +  2’5  cm*  Soda  nach 
18stündigem  Stehen  bei  Zimmertemperatur,  wirkten  wie  folgt: 

M.  95  0‘5  cm*  am  5./11.  Am  6./ 11.  1'*  p.  m.  f.  Lebte  ca.  28  Stunden 
M.  197  l’O  „  „  „  „  „  12^  mittags  f-  „  „  27 

M.  68  2'0  „  „  _  „  ,,  ,,  früh  f-  „  „  18 

Die  ursprüngliche  Toxinlösung  ergab  ähnliche  Werte  wie  die 
neutralisierte. 

Ueber  die  Wirkung  anderer  Säuren  auf  ein  Diphtherie¬ 
gift,  dessen  letale  Dosis  bei  0-07  cm^  lag,  gibt  folgende 
Tabelle  Aufschluß : 

Kontrolle : 

M.  221  am  27. /ll.  0  2  cm*  Toxin.  Am  28. /ll.  4'^  p.  m.  f. 

M.  146^  ,,  ,,  0‘05  ,,  ,,  ,,  ,,  und  29. /ll.  In¬ 

filtration,  Wm  2.  Dezember  Nekrose.  Ueberlebt. 


An¬ 

gewendete 

Säure 

Meerschweinchen  behandelt  mit 
saurem  Toxin  nach  14  Stunden 
langem  Stehen 

Meerschweinchen  behandelt 
mit  neutralisierten 
Toxinsäuregemengen  nach 
20  Stunden  langem  Stehen. 

Schwefel¬ 
säure  l®/o 

M.  246  0  2  cm*.  Ueberlebt. 

M.  568  0  05  cm*.  Ueberlebt,  kein 
Infiltrat. 

M  253  0-2  cm*.  N,25Std.t. 
M.  279  0’05  cm*.  N.  48Std.f. 

Salpeter¬ 
säure  l”/o 

M.  182  0'2  cm*.  Ueberlebt,  kleine 
Infiltration. 

M.  219  0  (l5  cm*.  Glatt. 

M-  75  0-2  cm*.  N.  20  Std.  f. 
M.  85  0  05  cm*.  Starkes  In¬ 
filtrat. 

Essig¬ 
säure  4®/o 

M.  226  0  2  cm*.  Ueberlebt,  kleines 
Infiltrat. 

M.  267  0  05  cm*.  Ueberlebt. 

M.  295  0-2  cm*.  N. 40  Std.  f. 
M.  72  0  05  cm*.  Großes  In¬ 
filtrat. 

Milch¬ 
säure  10®/o 

M.  189  0'2  cm*.  Ueberlebt. 

M.  167  0  05  cm*.  Ueberlebt. 

M.  216.  N.  40  Std.  f. 

M.  18  sehr  großes  Infiltrat. 

Die  injizierten  Mengen  betrugen  überall  0’2  cm*.  Bei  den 
Tieren  295  und  216,  die  40  Stunden  lebten,  kommt  wieder  die 
Diluition  des  Giftes  durch  die  zugefügte  größere  Menge  Soda¬ 
lösung  in  Betracht. 

Auch  beim  Diphtherietoxin  beginnt  die  Restitution  der 
Giftwirkung  außerordentlich  rasch  im  Vergleich  zu  den  Wahr¬ 
nehmungen,  die  Morgenroth  am  Kobragift  gemacht,  ja 
noch  schneller  als  beim  Dysenteriegift;  nur  muß  man  auch 
hier  die  sauren  Lösungen  überneutralisieren.  In  dieser 
Richtung  ist  zu  erinnern,  daß  die  genuinen  Giftlösungen 
sowohl  bei  den  Dysenterie-,  als  bei  den  Diphtlieriebazillen 
auf  Lackmus  stark  alkalisch  reagieren,  ja  in  den  meisten 
Fällen  den  PhenolphthaleinneutraJpunkt  überschritten  haben, 
daß  man  also  durch  Hinzufügen  einer  Base  bis  zur  Lackmus¬ 
neutralität  die  ursprünglichen  Verhältnisse  nicht  wieder  her¬ 
gestellt  hat..  Ja  man  kann  noch  einen  Schritt  weiter  gehen. 
Wie  bekannt,  liefern  Diphtheriebazillen  und  wie  eigene  ^^)^^) 
Versuche  gelehrt  haben,  auch  Dysenteriebazillen  in  saurer, 
lackmusneutraler  oder  sehr  schwach  alkalischer  Bouillon 
wenig  oder  überhaupt  kein  Toxin  und  es  liegt  wohl  nahe, 
daran  zu  denken,  daß  in  solchen  Kulturflüssigkeiten  die  se- 
zernierten  Gifte  durch  vorhandene  Säure  in  ungiftige  Ver¬ 
bindungen  übergeführt  werden.  Es  sind  Untersuchungen 
im  Zuge,  die  über  diese  Vorgänge  Aufschluß  bringen  sollen. 
Jedenfalls  aber  ist  es  einleuchtend,  daß  man  die  durch  die 
Säurewirkung  gesetzten  Veränderungen  nur  dann  völlig 
rückgängig  machen  kann,  venn  man  die  ursprünglichen 
Reaktionsbedingungen  restituiert,. 

Unter  diesen  Kautelen  kann  man  Giftwirkungen  be¬ 
obachten,  wenn  man  unmittelbar  nach  der  Neutralisation 
injiziert;  die  volle  Toxizität  wird  allerdings  erst  nach 
zirka  22stündigeni  Stehen  der  neutralisierten  Säuretoxin- 
mischungen  erreicht.  Es  ist  klar,  daß  es  bei  sO'  langsam 
wirkenden  Giften  nicht  leicht  ist,  zu  beurteilen,  ob  unmittel¬ 
bar  nach  Abstumpfung  der  Säure  die  Giftigkeit  wieder¬ 
kehrt  ;  die  verlängerten  Inkubationen  legen  vielmehr  die 
Deutung  nahe,  daß  die  Restitution  der  ursprünglichen,  gif¬ 
tigen  Modifikation  auch  hier  länpre  Zeit  beansprucht  und 
sich  einfach  im  Tierkörper,  statt  in  vitro  vollzieht.  Bei  akut 
wirkenden  Zellgiften  (Hämolysinen)  oder  Bakterientoxinen 
liegen  die  Verhältnisse  klarer.  Leider  haben  Experimente 


8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


N  r.l 


mit  dem  Blutgift  und  dem  akuten  Toxin  der  El-Tor-Vibrionen 
nur  negative  Resultate  ergeben;  die  folgenden  Ergebnisse 
sind  daher  mit  diesem  Vorbehalt  zu  verwerten.  Sicher  ist 
nur  die  völlige  Regeneration  des  Diphtheriegiftes  nach 


III.  am  20.  November 


III.  am  20.  November 


22  Stunden. 

Kontrollen: 

M.  167 :  0'2  cm^  Diphtherietoxin 
SLildcutan.  Nach  22  Stunden  f. 

M.  143:  0’05  cm®  Diphtherietoxin 
subkutan.  Nach  25  Stunden  f- 

a)  Gift  +  27o  HCl  nach  24  Stunden  injiziert. 

M.  235:  0'2  cm®  am  20.  November.  Bleibt  am  Leben,  große, 
streifenförmige  Nekrose. 

M.  91:  0‘05  cm®  am  20.  November.  Bleibt  am  Leben,  kleines 
Infiltrat,  das  sich  zurückbildet. 

b)  Alkalisiert  (20  cm®  saurer  Lösung  +  2'0  cm®  konzentrierter 
Sodalösung). 

Sofort  injiziert:  M.  252  0‘2  cm®.  Nach  32  Stunden  t 

nach  1  Stunde:  M.  268  0‘2  ,,  ,,  40  ,,  t 

nach  5  Stunden:  M.  18  0'2  ,,  ,,  44  ,,  f 

M.  53  0'05  ,,  ,,  9  Tagen  f 

M.  85  0'2  ,,  ,,  30  Stunden 

M.  299  0'05  ,,  ,,  6  Tagen  t 

M.  73  0‘2  „  ,,  20  Stunden  t 

M.  267  0'05  „  „  20  Stunden  f. 


nach  8  Stunden: 
nach  22  Stunden: 


t 


Im  Gegensatz  zum  Kobragift  sind  die  Toxinsäure¬ 
gemenge  beim  Diphtherie-  oder  Dysenteriegift  nicht  kokto- 
stabil.  Nach  15  Minuten  langem  Kochen  war  die  Giftigkeit 
völlig  erloschen  und  kehrte  auch  nach  achttägigem  Stehen 
der  überneutralisierten  Lösungen  nicht  wieder  zurück.  Die 
Injektion  hoher  Multipla  der  letalen  Dosis  hatte  nicht  ein¬ 
mal  die  Bildung  eines  Infiltrats  zur  Folge. 

Die  Versuche  mit  anderen  Toxinen  ergaben,  wenig¬ 
stens  bei  den  bisher  angewendeten  Säurekonzentrationen 
keinen  Erfolg.  Zum  Teil  blieben  die  Lösungen  trotz  der 
Säurewirkung  giftig  (Rizin),  zum  Teil  war  es  nicht  mehr 
möglich,  den  durch  Säurezusatz  ungiftig  gewordenen  Flüssig¬ 
keiten  durch  Neutralisation  ihre  frühere  Toxizität  zu  ver¬ 
leihen  (Tet  anus  toxin,  Toxine  und  Hämolysine  der 
El-Tor-Vibrionen) . 

Bei  diesen  Giften  scheint  alsO'  die  Säure  tatsächlich  zer¬ 
störend  einzuwirken,  resp.  das  Toxin  zu  atoxischen,  nicht 
restituierbaren  Derivaten  abzubauen.  Dieser  Prozeß  geht 
sowohl  beim  Tetanus-,  als  beim  El-Tör-Toxin  sehr  rasch 
und  bei  niedrigen  Säurekonzentrationen  vor  sich.  So  war 
eine  Tetanusgiftlösung,  mit  0-33 °/o  Salpetersäure  versetzt, 
zwar  nach  einer  Stunde  noch  wirksam;  der  partielle  Unter¬ 
gang  des  Toxins  fand  nur  in  der  um  24  Stunden  verlängerten 
Inkubationszeit  seinen  Ausdruck. 


A. 

Genuine  Giftlösung,  subkutan  bei  Meerschweinchen  unter 
die  Haut  des  Schenkels  (23.  November). 

M.  263:  OT  cm®.  Am  24.  November  lokaler  Tetanus,  am 
26.  November  allgemeiner  Tetanus.  12  Uhr  mittags  f. 

M.  172:  0'05  cm®.  Am  24.  und  25.  November  lokaler  Tetanus, 
am  26.  November  allgemeiner  Tetanus,  am  27.  November  früh  f. 

M.  123:  0  01  cm®.  Am  24.  November  nichts,  vom  25.  November 
bis  2.  Dezember  lokaler  Tetanus. 


B. 

Toxin  +  0'33®/o  Acid,  nitric,  cone.,  nach  1  Stunde  injiziert: 
jM.  267 :  OT  cm®.  Am  24.  nichts,  am  25.  November  allgemeiner 
Tetanus.  Um  5  Uhr  nachmittags  f. 

M.  18:  0'05  cm®.  Am  24.  nichts,  am  25.  November  lokaler 
Tetanus,  am  26.  November  allgemeiner  Tetanus  und  t- 

M.  143:  O'Ol  cm®.  Am  24.  nichts,  am  25.  November  leichte 
Steifigkeit,  vom  26.  November  bis  2.  Dezember  lokaler  Tetanus. 


C. 

Nach  einstündiger  Säurewirkung  bis  zur  deutlichen  Alkaleszenz 
mit  konzentrierter  Sodalösung  überneutralisiert  und  nach  24  Stunden 
injiziert: 

M.  41:  OT  cm.  Am  25.  nichts,  am  26.  November  lokaler 
Tetanus,  am  27.  November  allgemeiner  Tetanus  und  f. 

M.  68:  0’05  cm®.  Am  25.  nichts,  am  26.  November  lokaler 
Tetanus,  am  27.  November  allgemeiner  Tetanus,  nachmittags  f. 

M.  274:  O'Ol  cm®.  Am  25.  November  nichts,  vom  26.  November 
bis  1.  Dezember  lokaler  Tetanus. 


Wie  man  sieht,  vermochte  die  Abstumpfung  der  Säure 
die  frühere  kurze  Inkubation  nicht  wiederherzus teilen. 

Bei  zweistündiger  Einwirkung  von  0-33  ®/o  Salpeter¬ 
säure  war  in  01  cim^  überhaupt  kein  Toxin  mehr  nach¬ 
weisbar,  auch  nicht  nach  dem  Neutralisieren,  weder  so¬ 
fort,  noch  nach  mehrtägigem  Stehenlassen  des  neutralisier¬ 
ten  Gemenges. 

Andere  Säuren  (Salzsäure,  Essigsäure)  ergaben  immer 
das  nämliche. 

Wir  können  also  sagen : 

1.  Gewisse  Toxine  (Dysenterie-,  Diphtheriegift)  werden 
durch  Mineralsäuren  und  zum  Teil  auch  organische  Säuren 
in  wenigen  Stunden  in  atoxische  Modifikationen  übergeführt. 

2.  Diese  Verbindungen  sind  durch  Bindung  der  Säure 
mit  starken  Basen  innerhalb  einer  relativ  kurzen  Zeit  (zirka 
20  Stunden)  vollständig  in  die  ursprüngliche,  giftige 
Form  zurückzuverwandeln. 

3.  Andere  Toxine  (Tetanus-,  El-Tör-Toxin,  Vibriolysin) 
werden  durch  Säuren  zerstört,  bzw.  so-  weit  abgebaut,  daß 
eine  Restitution  des  ursprünglichen  Moleküls  nach  Auf¬ 
hebung  der  Säurewirkung  nicht  mehr  eintritt. 

In  einer  folgenden  Arbeit  sollen  die  mit  Staphylolysin 
erzielten  Resultate  und  die  Beziehungen  der  sauren,  un¬ 
giftigen  Modifikationen  zum  Antitoxin  eine  detaillierte  Be¬ 
sprechung  erfahren. 

Literatur. 

9  Ehrlich,  Klin.  Jahrbuch  VI.  —  9  Houx  und  Vers  in. 
—  ®)  Flexner  und  Noguchi,  Journal  of  med.  Research  1904.  — 
9  Morgenroth,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1905.  —  9  Derselbe,  Fest¬ 
schrift  zur  Eröffnung  des  path.  Institutes  in  Berlin  1906.  —  ^Dß^^selbe 
und  Pane,  Biochem.  Zeitschrift  1906.  —  Oppenheimer,  Toxine 
und  Antitoxine,  Jena  1904.  —  ®)Kitasato,  Zeitschrift  für  Hygiene  1891. 
®)  Fermi  und  Pernossi,  Zeitschrift  für  Hygiene  1894.  —  Roux 
und  Yersin,  Contr.  ä  l’etude  de  la  diphth.  Ann.  Past.  HI,  IV.  — 
Rosenthal,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1903.  —  *9  Kraus  und 
D  0  e  r  r,  Zeitschrift  für  Hygiene  1906.  —  *®)  D  o  e  r  r.  Das  Dysenterie¬ 
toxin.  Fischer,  Jena  1907.  —  '9  Her  sei  be,  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906. 


UeberdasYorkommendesIVIeningokokkusunddes 
Micrococcus  catarrhalis  im  Nasenrachenraum 
und  Desinfektionsversuche  mit  Pyocyanase 
hei  diesen  Infektionen. 

Von  Dr.  Ludwig:  Jelile,  klin.  Assistenten  an  der  k.  k.  Universitäts- 

Kinderklinik.  (Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  Th.  Escherich.) 

Emmerich  und  Löw  haben  ihre  Beobach Lungen  über 
die  bakterizide  Wirkung,  welche  die  Pyocyanase  an  verschie¬ 
denen  Bakterienzellen  ausübt,  ii\,  mehreren  Publikationen 
veröffentlicht.  Sie  haben  sowohl  bei  dem  Milzbrand,  als 
auch  hei  der  Cholera,  Diphtherie  und  Typhus  schon  auf  einen 
geringen  Zusatz  von  Pyocyanase  ein  rasches  Zugrundegehen 
der  genannten  Bakterien  beobachtet.  Auch  bei  künstlichen 
Infektionen  mit  Milzbrand  und  Streptokokken  war  eine  gün¬ 
stige  Wirkung  einer  subkutanen  Pyocyanaseinjektion  auf 
den  Krankheitsverlauf  zu  beobachten,  wenn  die  Injektion 
vor  oder  kurz  nach  der  Infektion  erfolgte. 

Das  wirksame  Agens  ist  nach  ihrer  Meinung  ein  bak- 
teriolytisches  Enzym,  die  als  Zymogene  in  den  Bakterien¬ 
zellen  produziert  werden,  welche  erst  außerhalb  des  Bak¬ 
terienleibes,  vielleicht  unter  dem  Einfluß  der  Luft  ihre 
Enzymnatur  manifestieren. 

In  der  allerletzten  Zeit  berichtet  Zucker  auf  Grund 
seiner  Arbeiten  an  der  Grazer  Kinderklinik,  über  die 
günstigen  Erfolge  der  lokalen  Behandlung  mit  Pyocyanase 
bei  Diphtherie. 

Unsere  Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  zwei  Bak¬ 
terienarten:  den  Micrococcus  catarrhalis  und  den  Meningo¬ 
kokkus. 

Die  Versuche  wurden  sowohl  mit  Reinkulturen  der 
genannten  Bakterienarten,  als  auch  hei  natürlichen  Infek¬ 
tionen  mit  denselben  vorgenommen. 

Die  Pyocyanase  wurde  uns  in  liebenswürdigster  Weise 
von  dem  chemischen  Laboratorium  des  Herrn  Geheimrates 
Lingner  in  Dresden  zur  Verfügung  gestellt. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


A.  Meningokokkus. 

Zu  diesen  Versuchen  wurden  sowohl  Verreibungen  von 
Reinkulturen  in  1  cm®  einer  physiologischen  Kochsalzlösung  als 
auch  frische  Lumbalpunktionsflüssigkeiten  von  Genickstarrekranken 
verwendet.  Diesen  Medien  wurde  tropfenweise  unverdünnte  oder 
verdünnte  Pyocyanase  zugesetzt  und  das  Bakterienwachstum  in 
verschiedenen  Zeitabständen  durch  das  Kulturverfahren  auf  As- 
zitesagarnährböden  geprüft. 


legenheit  bot  sich  uns  vorerst  bei  einer  Säuglingsgrippe, 
welche  durch  den  Micrococcus  catarrhalis  hervorgerufen 
wurde.  Die  zahlreichen  Genickstarrekranken  und  deren  Um¬ 
gebung,  welche  ich  in  Wien,  sowie  in  Schlesien  und  im 
Rheinland  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  lieferten  uns 
weiterhin  auch  ein  reichliches  und  vielseitiges  Material  zu 
Versuchen  mit  dem  Meningokokkus. 


sofort 

10  Min. 

8  Std.' 

24  Std. 

Kontrolle 

1 

1 

cm®  Meningokokken, 

Stamm  11  -f-  6  Tropfen  Pyoc. 

1507 

reichlich 

0 

0 

0 

reichlich 

1 

>  » 

II  -f  3 

y> 

> 

1507 

> 

0 

0 

0 

9  ■ 

1 

»  » 

II  4-  1 

y> 

1507 

» 

0 

0 

0 

» 

1 

»  T> 

11+5 

» 

Vio  - 

1507 

» 

0 

0 

0 

9 

1 

II  +3 

» 

VlO  * 

1607 

0 

0 

0 

9 

1 

II  +  1 

VlO  * 

1607 

> 

0 

0 

0 

» 

1 

cm®  Meningokokken, 

Stamm  III  -|-  5 

» 

> 

1507 

0 

0 

0 

> 

1 

»  > 

III  +3 

1507 

0 

0 

0 

» 

1 

»  y> 

» 

III  +1 

•» 

1607 

0 

0 

0 

1 

»  » 

t> 

III  -i-3 

V5  * 

1507 

0 

0 

0 

» 

1 

T>  y> 

» 

III  +1 

» 

Va  > 

1507 

» 

0 

0 

0 

» 

1 

» 

» 

III  -f  3 

» 

VlO  » 

1507 

einzeln 

einzeln 

0 

9 

1 

»  » 

III  -4-1 

y> 

Vio  » 

1507 

» 

reichlich 

reichlich 

0 

9 

1 

»  » 

III  +3 

y> 

V20  » 

1507 

» 

> 

reichlich 

9 

1 

III  +1 

> 

Vso  * 

1507 

» 

9 

9 

9 

Ein  ähnliches  Resultat  erhielten  wir  auch  mit  dem  Meningo¬ 
kokkus,  Stamm  IV.  In  einer  anderen  Reihe  von  Versuchen  wur¬ 
den  frische  Lumbalpunktionsflüssigkeiten  benützt.  Zu  diesem 
Zwecke  wurden  5  cm®  zentrifugiert,  von  dem  Sediment  eine  bis 
zwei  Oesen  1  cm®  physiologischer  Kochsalzlösung  zugesetzt 
und  dieser  Aufschwemmung  Pyocyanase  zugesetzt. 


sofort 

6  Std. 

24  Std. 

Kontr. 

1  Oese  Sediment II +  5Tropf.  Pyoc.  1507 

reichlich 

0 

0 

reichlich 

1  » 

9 

II+3 

9 

9 

1507 

9 

0 

0 

9 

1  » 

9 

II -f  5 

9 

Va 

9 

1507 

9 

0 

0 

» 

1  » 

9 

II 4-3 

9 

Va 

9 

1507 

9 

0 

0 

9 

1  . 

9 

11+5 

9 

VlO 

» 

1607 

9 

0 

0 

9 

1  » 

9 

II+3 

9 

VlO 

9 

1507 

9 

0 

0 

9 

2  Oesen  Sediment  II  + 1 

9 

9 

1507 

9 

ziemlich 

reichlich 

spärlich 

9 

2  » 

9 

1  +  5 

9 

9 

1507 

9 

spärlich 

9 

9 

2  p 

9 

I+l 

9 

9 

1507 

9 

9 

9 

9 

Aus  dieser  Zusammenstellung  sehen  wir,  daß  schon 
eine  relativ  sehr  geringe  Menge  unverdünnter,  oder  ver¬ 
dünnter  Pyocyanase  genügt,  um  das  Wachstum  der  Meningo¬ 
kokken  zu  verhindern.  Viel  geringer  ist  die  Wirksamkeit 
auf  das  zellreiche  Sediment  einer  Lumbalpunktionsflüssig¬ 
keit  (I.).  Es  vermögen  zwar  drei  Tropfen  Pyocyanase 
noch  in  der  Verdünnung  1:10  in  einer  Oese  Sedi¬ 
ment  das  Wachstum  der  Meningokokken  zu  verhindern,  da¬ 
gegen  trat  bereits  in  zwei  Oesen  Sediment,  selbst  bei  einem 
Zusatz  von  fünf  Tropfen  unverdünnter  Pyocyanase,  nur  eine 
Hemmung  des  Wachstums  der  Meningokokken  auf.  Diese 
Differenz  beruht  wohl  einesteils  auf  der  geringeren  Resistenz 
wiederholt  abgeimpfter  Reinkulturen,  anderseits  auf  dem 
Umstand,  daß  ein  großer  Teil  der  Meningokokken  intrazellu¬ 
lär  gelegen  ist  und  dadurch  vor  einer  Schädigung  durch 
die  Pyocyanase  geschützt  bleibt.  Man  kann  sich  auch  durch 
die  mikroskopische  Untersuchung  davon  überzeugen,  daJß  die 
Leukozyten  ihr  Aussehen  und  ihre  Färhbarkeit  durch  den 
Zusatz  von  Pyocyanase  fast  niemals  ändern,  während  die 
Meningokokken,  zum  Teil  auch  die  intrazellulären  Indivi¬ 
duen,  verquellen  und  schwer  tingierbar  erscheinen;  es 
scheint  sich  demnach  der  Leukozyt  viel  resistenter  zu  ver¬ 
halten,  als  der  Meningokokkus. 

B.  Versuche  bei  natürlichen  Infektionen  mit  dem 
Micrococcus  catarrhalis  und  Meningokokkus. 

Diese  Versuche  wurden  auf  Anregung  meines  hochver¬ 
ehrten  Chefs,  Herrn  Hofrat  Es  che  rieh,  vorgenommen.  Ge¬ 


ich  will  hier  ausschließlich  von  den  Versuchen  einer 
Nasendesinfektion  bei  Jen  genannten  Erkrankungen 
sprechen,  da  die  intraduralen  Injektionen,  welche  wir 
zu  therapeutischen  Zwecken  bei  Genickstarrekranken  ver¬ 
sucht  haben,  in  der  von  uns  vorgenommenen  Anwendungs¬ 
weise  keine  nennenswerten  günstigen  Resultate  lieferten. 

Bevor  ich  zu  den  Ergebnissen  der  Versuche  selbst 
schreite,  muß  ich  vor  allem  einiges  über  die  Art  der  Unter¬ 
suchung  sagen.  Sowohl  die  Meningokokke'n  als  auch  der 
Micrococcus  catarrhalis  nistet  im  hinteren  Nasenrachenraum 
und  ist  in  der  Regel  niemals  in  den  vorderen  Nasenhöhlen 
zu  finden.  In  diesen  Partien  wird  er  wohl  durch  die  trock¬ 
nende  Wirkung  des  Luftstromes  bei  der  Atmung  sehr  rasch 
zugrunde  gehen.  Die  erste  Bedingung  ist  demnach,  daß 
man  bei  der  Untersuchung  der  Nasenhöhle  bis  in  den  Nasen¬ 
rachenraum,  das  heißt  bis  an  die  hintere  Rachenwand  vor¬ 
dringt.  Dies  gelingt,  insbesonders  bei  Kindern,  sehr  leicht, 
wenn  man  in  der  von  Hofrat  Escherich  angegebenen  W eise 
vorgeht :  Ein  dünnes  Glasröhrchen  wird  mit  einem  ca.  10  cm 
langen,  dünnen  Kautschukschlauch  armiert.  Beide  können 
in  einer  Eprouvette  leicht  sterilisiert  und  aufbewahrt  werden. 
Vor  dem  Gebrauch  wird  in  den  Schlauch  und  in  das  Röhr¬ 
chen  physiologische  Kochsalzlösung  aufgezogen.  Dann  wird 
der  dünne  Kautschukschlauch  durch  den  unteren  Nasen¬ 
gang  bis  an  die  Rachenwand  vorgeschoben,  die  Kochsalz¬ 
lösung  durch  Einblasen  in  den  Rachenraum  befördert  und 
darauf  sofort  durch  Ansaugen  wieder  in  den  Schlauch 
gezogen.  Dann  wird  der  Schlauch  aus  der  Nase  entfernt  und 
isein  Inhalt  in  eine  sterile  Eprouvette  geblasen.  Auf  diese 
Weise  erhält  man  regelmäßig  Schleimpartikelchen  aus  dem 
Nasenrachenraum,  welche  zur  bakteriologischen  Unter¬ 
suchung  vollkommen  geeignet  sind. 

In  ähnlicher  Weise  kann  man  durch  eine  einfache, 
ziemlich  dicke  Platinöse,  welche  durch  den  unteren  Nasen¬ 
gang  bis  an  die  Rachenwand  eingeführt  wird,  durch  Auf-  und 
Abwärtsbewegen  derselben  in  der  Regel  geeignete  Schleim¬ 
massen  herausbefördern.  Beide  Prozeduren  sind  absolut 
schmerzlos  und  geben,  wie  ich  mich  durch  sehr  zahlreiche 
Versuche  überzeugen  konnte,  sehr  gute  und  einwandfreie 
Resultate.  Ich  will  an  dieser  Stelle  kurz  erwähnen,  daß 
die  Bakterienflora  im  Nasenrachenraum  bei  den  einzelnen 
Menschen  eine  ganz  auffallend  konstante  i  ist.  Bei  den 
wiederholt  vorgenommenen  Versuchen  zeigte  es  sich,  daß 
ein  Individuiun  regelmäßig  fast  ausschließlich  Strepto¬ 
kokken  in  seinem  Nasenrachenraum  birgt,  während  bei  dem 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIET.  1007. 


Nr.  1 


anderen  wieder  das  Bacterioin  coli,  der  Bazillus  Friedländer 
•oder  Pneumokokken  usw.  dominieren. 

Niemals  konnte  ich  bei  Menschen,  die  nicht  aus  der 
nächsten  Umgebung  eines  Genickstarrekranken  stammten, 
Meningokokken  im  Nasenrachenraum  nachweisen. 

•  Das  Kulturverfahreo,  zu  dem  ausschließlich  Aszites¬ 
agar  verwendet  wurde,  habe  ich  sofort  der  Entnahme  an¬ 
geschlossen.  Zu  diesem  Zwecke  habe  ich  die  Nährböden 
in  eigenen  Blechkassetteii  verwahrt  und  an  Ürt  and  Stelle 
der  Untersuchung  beschickt.  Nach  längstens  zwei  bis  drei 
Stunden  wurden  die  geimpften  Platten  in  den  Brutschrank 
gestellt,  so  daß  eine  Schädigung,  der  Bakterien  durch  Licht 
und  Austrocknung  absolut  ausgeschlossen  werden  konnte. 

Die  Pyocyanase  wurde  entweder  durch  eigens  kon¬ 
struierte  kleine  Spray -Apparate,  oder  durch  einfaches  Ein¬ 
trän  fein  in  den  Nasenrachenraum  zur  Anwendung  gebracht. 

Die  Menge,  welche  in  jedem  einzelnen  Fäll  zur  Ver¬ 
wendung  kam,  schwankte  zwischen  0-5  bis  3  cm^.  Da  das 
Mittel  absolut  unschädlich  ist  und  auch  ohne  Schaden  ver¬ 
schluckt  werden  kann,  so  ist  die  Menge  an  sich  nicht  von 
Bedeutung.  Von  Vorteil  ist,  wenn  bei  dem  Einträufeln  das 
Röhrchen  möglichst  tief  in  den  Nasengang  eingeführt  wird. 
Der  Kopf  wird  dabei  nach  rückwärts  gebeugt.  Bald  nach  der 
Einträuflung  expektoriert  der  Patient  die  überschüssige  Pyo- 
cyanase,  wodurch  dieselbe  eine  Wirksamkeit  vielleicht  auch 
an  den  Rachenorganen  ausüben  kann. 

Ueber  die  Resultate  dieser  Versuche  läßt  sich  in 
Kürze  folgendes  sagen : 

1.  Micrococcus  catarrhal  is. 

Gelegentlich  einer  Grippeepidemie,  welche  im  Säug¬ 
lingszimmer  unseres  Spi tales  durch  diesen  Erreger  hervor¬ 
gerufen  wurde,  konnte  der  letztere  zu  wiederholten  Malen 
im  Nasenrachenraum  sämtlicher  Patienten  in  außerordent¬ 
licher  Menge  und  häufig  in  Reinkultur  nachgewiesen  werden. 
xVnfangs  Januar  d.  J.  wurde  nun  sämtlichen  kleinen  Patienten 
einmal  Pyocyanase  eingeträufelt.  Schon  am  nächsten  Tage 
waren  bei  sämtlichen  bis  auf  einen,  bei  letzterem  nach 
48  Stunden,  die  Mikrokokken  trotz  wiederholter  Unter¬ 
suchung  nicht  mehr  nachweisbar.  Gleichzeitig  sistierten  die 
Erkrankungen,  die  vorher  durch  zwei  Monate  die  Kinder 
in  Attacken  ergriffen  hatten.  Eine  ausführliche  Publikation 
dieser  Grippeendemie  erfolgte  im  Jahrbuch  für  Kinderheil¬ 
kunde,  Band  LXIV,  Heft  .5. 

2.  Meningitis  cerebrospinalis. 

Es  wurden  bei  über  170  Individuen  die  Untersuchung 
des  hiasenrachenraumes,  u.  zw.  regelmäßig  mittels  des 
Kulturverfahrens,  vorgenommen.  Davon  waren  ca.  35  an 
Geuickstarre  erkrankte  Patienten,  etwa  120  Personen,  welche 
aus  der  Umgebung  Genickstarrekranker  stammten,  während 
etwa  30  Personen  kontrollweise  untersucht  wurden.  —  ln 
39  Fällen  fanden  sich  Meningokokken  in  der  Regel  in  großer 
Menge  und  oft  in  Reinkulturen  vor.  Niemals  fand  ich,  wie 
ich  schon  erwähnt  habe,  Meningokokken  bei  Personen,  in 
deren  allernächster  Umgebung  keine  Genickstarreerkrankung 
vorkam  oder  bei  Patienten  oder  deren  Angehörigen,  wenn 
die  Erkrankung  der  ersteren  länger  als  drei  Wochen  vorher 
begonnen  hat.  Ebensowenig  konnte  ich  Meningokokken  im 
Nasenrachenraum  bei  jenen  Kindern  finden,  welche  infolge 
einer  Fehldiagnose  in  ein  Genickstarrezimmer  gelegt  wurden, 
selbst  wenn  dieselben  lange  Zeit  dort  verweilt  haben.  Auch 
in  der  Umgebung  der  Meningitiskinder,  welche  in  unserem 
Spital  in  die  allgemeinen  Krankensäle  in  größerer  An¬ 
zahl  aufgenommen  wurden,  konnte  ich  niemals  Meningo¬ 
kokken  nachweisen. 

Es  wairde  auch  dementsprechend  niemals  eine  Haus¬ 
infektion  beobachtet,  trotzdem  die  Genickstarrekinder  nie¬ 
mals  isoliert  wurden.  Diese  Beobachtungen  sind  wohl  Be¬ 
weise  dafür,  daß  die  an  Genickstarre  erkrankten  Kinder 
als  Infektionsträger  gar  nichc  in  Betracht  kommen,  denn 
sonst  müßten  wir  doch,  wenn  nicht  schon  eine  Neuerkran¬ 
kung,  so  doch  eine  Infektion  in  der  Umgebung  derselben  be¬ 
obachtet  haben. 


Die  Resultate  der  Pyocyanasebehandlung  lassen  sich 
aus  der  folgenden  Tabelle  ersehen.  Der  positive  Meningo¬ 
kokkenbefund  ist  mit  +,  der  negative  mit  —  bezeichnet, 
während  jede  Pyocyanaseiiistillation  mit  .  angegeben  ist. 


Aus  den  Ergebnissen  dieser  Untersuchungen  sehen  wir 
also,  daß  die  Meningokokken  fast  regelmäßig  durch  diese 
Behandlungsart  aus  dem  Nasenrachenraum  verschwinden 
und  daß  zum  Erreichen  dieses  Effektes  in  den  meisten  Fällen 
eine  ein-  bis  zweimalige  Applikation  der  Pyocyanase  genügt. 
Die  energische  Wirkung  der  Pyocyanase  wird  wohl  nicht 
zum  geringen  Teil  darauf  zurückzuführen  sein,  daß  durch 
dieselbe,  im  Gegensatz  zu  anderen  antiseptischen  Mitteln, 
die  Schleimmassen  nicht  zum  Gerinnen  gebracht  werden. 
Dadurch  vermag  dieselbe  einerseits  leichter  in  dieselben 
einzudringen,  anderseits  ist  dadurch  auch  die  energischere, 
mechanische  Spülung  und  die  Expektoration  erleichtert. 
Nach  meinen  Beobachtungen  bin  ich  der  Ansicht,  daß  die 
Meningokokken,  wenigstens  bei  den  gesunden  Zwischen¬ 
trägern,  nur  in  den  Schleimmassen,  nicht  aber  in  der 
Schleimhaut  selbst  nisten,  ein  Umstand,  der  bei  den  Ver- 


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WIKNEJi  KLINISCIIK  \VO('[fENSCJllUFT.  1907. 


1! 


suchen  einer  Desinfektion  gewiß  schwer  in  das  Gewicht 
fällt  und  die  Anwendung  eines  geeigneten  Mittels  erfolg¬ 
reich  gestaltet. 

Selbstverständlich  hatte  ich  ini  Verlaufe  der  zahlreichen 
Untersuchungen  hinreichend  Gelegenheit,  die  Wirkung  der 
Pyocyanase  auch  auf  die  anderen  zahlreichen  Bakterienarten, 
die  sich  im  Nasenrachenraum  häufiger  vorfinden,  zu  beob¬ 
achten.  Die  Wirkung  war  hei  den  meisten  derselben: 
Streplo-,  Staphylo-,  Pneumokokken  und  Bacterium  coli,  sowie 
Friedländer,  eine  äußerst  geringe  oder  vollständig  fehlende. 
Es  scheint  demnach  die  Pyocyanase  gerade  auf  die  Meningo¬ 
kokken  und  den  ihnen  so  iialie  verwandten  Micrococcus 
catarrhalis  eine  energische  Wirkung  auszuüben  und  für  die 
Behandlung  des  Nasenrachenraumes  bei  Infektionen  mit  den 
genannten  Bakterienarten  geeignet  zu  sein. 


Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien. 

(Vorstand:  Prof.  A.  Weichselbaum.) 

lieber  Endocarditis  gonorrhoica. 

Von  Dr.  Külbs. 

Den  elf  bislang  veröffentlichten,  durch  Gelingen  von 
Reinkulturen  gestützten  gonorrhoischen  Endokarditiden 
möchten  wir  im  folgenden  einen  ebenfalls  kulturell  mit 
positivem  Resultat  untersuchten  Fäll  hinzufügen  und  im 
Anschluß  daran  den  Standpunkt  hervorheben,  den  wir  nach 
unseren  heutigen  Erfahrungen  bei  der  Beurteilung  gonor¬ 
rhoischer  Endokarditiden  einzunehmen  gewillt  sind. 

K  r  a  n  k  e  n  g  e  s  c'h  i  c  h  t  e  ; 

E.  F.,  20  Jahre,  Köchin,  ledig.  Aufnahme  auf  die  I.  medi¬ 
zinische  Universitätsklinik  (weil.  Hofrat  Nothnagel)  am 
10.  Juni  1899. 

Pat.  früher  gesund,  wurde  am  1.  Januar  1899  wegen  Hygroma 
praepat.  operiert  und  verließ  nach  einem  Monat  gesund  das  Spital. 

Menses  vom  13.  Jahre  an;  regelmäßig.  Im  Anschluß  an  die 
letzte  Menstruation,  die  am  13.  Mai  begann,  trat  gelber  Ausfluß 
aus  der  Scheide  auf,  der  bis  heute  andauerte.  Seit  gestern  hat 
Pat.  wieder  die  Menstruation.  Am  25.  Mai  (zwölf  Tage  nach 
dem  Beginne  des  Ausflußes)  Schmerzen  im  linken  Schultergelenk. 
Am  nächste)!  Tage,  morgens,  heftiger  Schüttelfrost  (zirka  eine 
Viertelstunde  anhaltend),  dem  starker  Schweißausbruch,  heftige 
Kopfschmerzen  und  Durst  folgten.  Die  Schmerzen  im  Schulter¬ 
gelenk  ließen  nach  drei  Tagen  nach.  Heftige  Schüttelfröste  mit 
Schweißausbruch  und  Kopfschmerzen  wiederholten  sich  in  der 
Folgezeit  jeden  zweiten  oder  dritten  Vormittag.  Seit  zwölf  Tagen 
Druckgefühl  auf  der  Brust  und  Schmerzen  im  Kreuz.  Seit  acht 
Tagen  i)i  der  Frühe  Herzklopfen,  Schmerzen  in  den  Fingergelenken 
beider  Hände,  die  nacheinander  befallen  wmrden.  Die  Gelenke 
w'aren  dabei  geschwollen  und  gerötet.  Beim  Urinlassen  vor  drei 
Wochen  leichtes  Brennen,  zurzeit  keine  Beschwerden.  Gestern 
Mittag  letzter  Schüttelfrost. 

Status  praesens:  10.  Juni.  Mittelgroße,  grazil  gebaute, 
ziemlich  kräftige  Person.  Spuren  von  Oedem  an  den  unteren 
Extremitäten.  Puls;  beiderseits  gleich,  110,  rhythmisch  äqual. 
Temperatur  39-8;  Lungen  ohne  Befund. 

Herz  :  Dämpfung  normal.  Auskultation  ;  Spitze  :  lautes,  kurzes 
systolisches  Geräusch;  leiseres  und  längeres  blasendes,  diasto¬ 
lisches  Geräusch.  Trikuspidalis :  derselbe  Befund.  Pulmonalis : 
systolisches  Geräusch,  Andeutung  eines  zwmiten  Tones,  diasto¬ 
lisches  Geräusch.  Aorta :  sehr  lautes,  blasendes,  diastolisches, 
leisejes,  kürzeres  systolisches  Geräusch.  Ueher  beiden  Karotiden 
lautes  gefäßdiastolisches  Geräusch. 

Abdomen:  Gegend  des  Proc.  xiph.  sehr  druckempfindlich. 
Leber;  ohne  Befund.  Milz:  perkutorisch  vergrößert,  bis  zum 
Bippenbogen,  nicht  palpabel.  Urin:  leicht  gleichmäßig  getrübt, 
Nukleoalbumin  reichlich.  Sediment:  zahlreiche  Leukozyten  und 
Epithelien,  keine  Zylinder.  Aus  der  Urethra  Eiter  auspreßbar. 
Mit  Methylenblaufärbung  zahlreiche  Kokken  (Diplokokkenform), 
keine  Intrazellularformen. 

H.  Juni.  Um  5  Uhr  früh  Schüttelfrost,  8  Uhr  Tempera¬ 
tur  38-2,  Puls  110,  Spannung  etwas  unter  der  Norm.  Subjektives 
Befinden  etwas  besser  wde  gestern.  Um  9  Uhr  früh  zweiter 
Schüttelfrost. 

12.  Juni.  In  der  Nacht  Hämoptoe.  Um  7  Uhr  früh  Exitus 
letalis. 


Klinische  Diagnose;  Endocarditis  acuta  (gonor¬ 
rhoica?),  Insufficientia  valv.  Aorta e  —  Bronchitis 
—  Urethritis  gon.  —  Lungenembolie. 

Sektion:  3  Uhr  p.  m.  (Dr.  Landstei)ier) :  Weiblicher 
Kadaver,  mittelgroß.  Haut  und  sichtbare  Schleimhäute  sehr  blaß. 
Lungen  frei.  In  der  Pleura  sehr  reichliche,  punktförmige  Hämor- 
rhagien.  Am  Perikaixl  zahlreiche  Ekchymosen. 

Herz  von  normaler  Größe.  Muskulatur  braunrot.  An  der 
Ventrikel  fläche  des  Aorten  zip  fei  s  der  Mitralklappe  eine 
fast  nußgroße,  unregelmäßige,  weiche  Auflagerung,  welche  auf 
die  hintere  und  linke  Aortenklappe  übergreift,  so  daß  die  Inser¬ 
tionsstelle  dieser  beiden  Klappen  vollkommen  zerstört  ist.  Der 
A  o )'  t  e  n  z  i  p  f  e  1  ist  p  e  r  f  o  r  i e  r  t  und  durch  die  Oeff nung  ragen 
Anteile  der  Auflagerungsmassen  nach  der  Vorhof  fläche*  des  Mitral- 
ostiums.  Die  Substanz  der  Auflagerungen  ist  brüchig,  von  fihrin- 
ähidicher  Konsistenz,  rötlich  gefärl)t.  Leber  entsprechend  groß, 
braunrot,  azinöse  Zeichnung  gut  erhalten.  Niere  normal  groß, 
Rinde  und  Mark  von  wenig  differenter,  grauroter  Farbe.  In  der 
linken  Niere  ein  weißlicher  Herd  an  der  Oberfläche  sichtbar,  diesem 
Flecke  entsprechend  die  Nierenoberfläche  deprimiert.  Milz: 
13:8:3  cm,  dunkelrot.  Follikel  an  der  Schnittfläche  deutlich  sicht¬ 
bar.  Am  Genitale  ist  der  Hymen  mehrfach  eingekerht.  Vagina 
ziemlich  eng.  Uterusschleimhaut  namentlich  an  der  linket!  Seite 
geschwellt  und  gerötet. 

Im  Uterus  kein  Inhalt.  In  der  Vagina  kein  Eiter,  kein  Schleim. 
Im  !-echten  Ovarium  ein  Corpus  luteum,  in  beiden  Ovarien  kleine 
Follikularzysten.  An  den  Tuben  nichts  Abnormes.  Blasenschleim¬ 
haut  gerötet.  Am  Orificium  urethrae  intern,  springen  die  Follikel 
als  hirsekorngroße  Körper  vor.  In  der  Urethra  kein  Eiter.  Barlhol. 
Drüsen  nicht  verändert.  Magen:  Andeutung  von  Etat  mamelonne. 
Ileum-  und  Kolonschleimhaut  normal. 

Bakteriologischer  Befund; 

1.  Endokarditis  che  Effloreszenz  (steril  ent¬ 
nommen).  Deckglaspräparate;  Mäßig  reichliche  Mengen 
Gram  -  negativer  Diplokokken  vom  Typus  des  Gonokokkus,  oft 
in  kleineren  Gruppen,  sowohl  extra-  wie  intrazellulär  gelegen. 
Andere  Bakterien  nicht  nachweisbar. 

Kulturen  (Plattenstrichkulturen  auf  Hydrokelenagar) ; 
reichlich  bis  1  mm  im  Durchmesser  haltende,  rundliche  (jder 
wellig  begrenzte,  grauglänzende  Kolonien,  teilweise  einzeln 
stehend,  teilweise  konfluierend,  die  mikroskopisch  nach  24  Stunden 
fein  gekörnt  sind,  nach  48  Stunden  reichlich  Bröckelchen  in  den 
zentralen  Partien  erkennen  lassen.  Deckglaspräparate  davon 
zeigten  Diplokokken  vom  Typus  des  Gonokokkus,  gleichmäßig 
rasch  nach  Gram  sich  entfärbend.  Auf  allen  acht  Platten  keine 
anderen  Kolonien. 

"Wiederholte  Abimpfungen  auf  gewöhnlichem  Peptonagar  und 
gew’öhnlicher  Peptonfleischbrühe  blieben  stets  negativ,  während 
jederzeit  entsprechend  üppiges  Whachstum  zu  erzielen  war,  Avenn 
serumhaltige  Nährböden  (Agar  nrit  Hydrokelen-,  Aszites-  oder 
Ovarialzystenflüssigkeit)  verwendet  wurden.  Der  Stamtu  wmrde 
in  mehr  als  17  Generationen  fortgezüchtet  und  zeigte  immer  das¬ 
selbe  Verhalten :  die  Kulturen  auf  serumhaltigen  Nährböden  er¬ 
gaben  immer  das  für  Gonokokkenkulturen  charakteristische  Aus¬ 
sehen  und  ließen  immer  in  Deckglaspräparaten  Diplokokken  nach- 
w*eisen,  in  Form,  Größe  und  Lagerung  wie  der  Micrococcus  gonor- 
rhoeae,  gleichmäßig  rasch  nach  Gram  sich  entfärbend. 

2.  Abgestreiftes  Sekret  aus  der  Vagina:  D'  e  c  k  g  1  a  s  p  r  ä- 
parate:  Reichlich  mono-  und  polynukleäre  Leukozyten  und 
Epithelien;  Gram -positive  Kokken  einzeln  oder  in  Häufchen  und 
reichlicher  Gr  an!- negative,  semmelförmige  Diplokokken, 
meist  intrazellulär.  Kulturen  auf  Hydrokelenagar  (drei 
Platten) :  Neben  Kolonien  des  Staphylococcus  pyogenes  albus 
etwas  w'eniger  reichlich  Kolonien,  die  denen  aus  der  endokarditi- 
schen  Effloreszenz  völlig  gleichen  und  in  Deckglaspräparaten 
Gr  am -negative  Kokken  von  Kaffeebohnenform  erkennen  lassen. 

3.  Urethra:  Polynukleäre  Leukozyten  und  reichlich  Gram¬ 
negative  Diplokokken,  dem  M  i  c  r  o  c  o  c  c  u  s  g  o  n  o  r  r  h  o  e  a  e  voll¬ 
kommen  gleichend,  meist  intrazellulär;  sonst  keine  Bakterien. 

4.  Uterus:  Deckglaspräparate  vom  Uterussekret:  keinerlei 
Bakterien.  In  drei  Flydrokelenagar-Strichkulturen  wmr  nach  drei¬ 
mal  24  Stunden  auf  einer  Platte  nur  eine  Kolonie  von  Staphylo¬ 
coccus  pyogenes  albus  zu  sehen,  die  zwei  anderen  Platten 
blieben  steril. 

Histologischer  Befund: 

1.  Endokarditis:  Das  stark  entzündlich  itüiltrierte,  zum 
Teil  nekrotische  Klappengewebe  ist  mit  einem  Thrombus  bedeckt, 
der  aus  einem  dichten  Fibrinnetz,  aus  polynukleären  Leukozyten, 
roten  Blutkörperchen  und  feinkörnigen  Massen  besteht.  Dieses 
sehr  unregelmäßig  begrenzte  Gebilde  ist  förmlich  überschw*emmt 


12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


mit  G  r  a  m  -  n  e  g  a  t  i  V  e  n,  s  e  m  m  e  1  f  ö  r  m  i  g  e  n  D  i  p  1  o  k  o  k  k  <3  ii, 
die  besonders  an  der  Oberfläche  zu  dichten  Haufen  zusammen¬ 
liegen  und  zumeist  intrazelluläre  Anordnung  zeigen.  iVndere  Bak¬ 
terien  sind  nicht  vorhanden.  (Borax — IMethylenblau  und  Grarn- 
Weigert.) 

2.  Vagina  und  Urethra:  Das  Pflasterepithel  der  Vagina 
ist  fast  überall  gut  erhalten.  An  zwei  Stellen  sieht  man  indessen 
eine  Auflockerung  der  obersten  Epithelschichte  und  dieser  hier 
aufgelagert  ein  aus  roten  Blutkörperchen  und  mono-  wie  poly¬ 
nukleären  Leukozyten  bestehendes  Exsudat.  In  diesem  Exsudat 
und  fast  auf  der  ganzen  Oberfläche  der  Schleimhaut  finden  sich 
Gram -positive  Bazillen  und  Kokken,  letztere  teils  einzeln,  teils 
in  Häufchen  und  in  Boraxmethylenblauschnitten  spärlich  Kokken, 
die  in  Form  und  Anordnung  Gonokokken  gleichen.  Im  Stratum 
subpapillare  der  Vagina  zeigt  sich  eine  reichliche  und  ausgedehnte 
Infiltration,  mit  vorwiegend  mononukleären  Leukozyten,  die  Blut¬ 
gefäße  selbst  sind  strotzend  gefüllt.  Bakterien  lassen  sich  hier 
nicht  nachweisen.  Das  Epithel  der  Urethra  zeigt  keine  Ver¬ 
änderungen.  Auf  dem  Epithel  sieht  man  an  einer  Stelle  eine 
aus  polynukleären  Leukozyten  und  roten  Blutkörperchen  be¬ 
stehende  Auflagerung.  Bakterien  sind  weder  in  Boraxmethylen- 
blau-,  noch  in  Gram-Weigertschnitten  nachzuweisen. 

3.  U  t  e  r  u  s,  R  e  k  t  u  m  u  n  d  B 1  a  s  e :  Die  e  twas  auf  gelockerte 
Schleimhaut  des  Uterus  ist  der  Menstruation  entsprechend  von 
vielen  roten  Blutkörperchen  durchsetzt.  Der  Uterus  zeigt  sonst 
keine  Veränderungen  und  keine  Bakterien  im  Schnitt.  Auf  der 
Schleimhaut  des  Rektums,  die  akut  entzündlich  infiltriert  und 
mit  schleimig  -  eitrigem  Exsudat  belegt  ist,  lassen  sich  so  reichlich 
Bazillen  und  Kokken  verschiedener  Art  nachweisen.  daß  eine 
Identifizierung  der  Kokkenformen  unmöglich  erscheint.  Dagegen 
liegen  zwischen  dem  Epithel  der  Blase,  das  stark  aufgelockert 
und  mit  poly-  und  mononukleären  Leukozyten  infiltriert  ist,  nur 
G  r  a  m  -  negative,  kaffeebohnenförmige  Kokken,  die  sich  nur  in 
Boraxmethylenblau-,  nicht  in  Gram-Weigertschnitten  nach¬ 
weisen  lassen. 

4.  Ovarium  und  Tube:  ohne  pathologische  Ver¬ 
änderungen. 

5.  Bakterienschnitte  von  Niereninfarkt,  Milz  und  Pleura : 
ohne  Befund. 

Dieser  mit  Abslclit  ausführlicher  angeführte  Fall  läßt 
uns  zu  folgendem  Ergebnis  gelangen: 

Ein  20jähriges  Mädchen  akquiriert  eine  gonorrhoische 
Affektion.  Nach  mehreren  Tagen  treten  Schüttelfrost,  Fieber, 
(lelenksschmerzen  und  Herzklopfen  auf.  Die  alle  zwei  bis 
drei  Tage  eintretenden  Schüttelfröste  veranlassen  die  Pa¬ 
tientin  das  Krankenhaus  aufzusuchen,  wo  sie  nach  drei 
Tagen  unter  schweren  endokarditischen  Erscheinungen 
stirbt.  Die  Sektion  bestätigt  die  klinische  Diagnose:  Endo¬ 
karditis. 

Endokarditis  gonorrhoica  im  Anschluß  an  akute 
oder  subakute  Gonorrhoe  entstanden. 

I. 

Nur  physikalisch  festgestellt. 

R  i  c  0  r  d  1847. 

Brandes  1854. 

H  e  r  V  i  e  u  x  1858. 

T  i  X  i  e  r  1866. 

Lorain  1866,  siehe  b.  Marty. 

Voelker  (zwei  Fälle)  1868. 

Bourdon  1 868. 

Desnos  etLemaitre  1874. 

Marty  1876. 

Morel  (zwei  Fälle)  1878. 

Pfui  1878. 

Del  or  at  (zwei  Fälle)  1882. 

Morel  1883. 

D  e  r  i  g  n  a  c  1884. 

R  ai  1 1  o  n  1884. 

V.  d.  Velden  (2  Fälle)  1887. 

Wille  1887. 

G 1  u  z  i  h  s  k  y  (acht  Fälle)  1889. 

Litten  1890. 

Mac  Donnel  (3  Fälle)  1891. 

Winternitz  1892. 

Flügge  1892. 

Flügge  1892  (w.). 

Näheres  siehe  bei  Finger,  Ghon  und  Schagenhaufe  r. 

His,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1892.  Fall  III,  B.  N.  (m.). 

V.  Leyden,  1893,  erwähnt  zwei  Fälle  (ein  Fall  aus  der 
Traube  sehen  Klinik). 

Hecker,  D.  militärärztl.  Zeitschr.  1893  (m.). 

Nobl,  Jahrbuch  der  Wiener  Krankenanstalten  1892,  zwei  Fälle  (m.). 

We  lander,  Nord.  med.  Arch.  1894  (m.),  1 


Singer,  Wiener  med.  Presse  1896  (m.). 

Fallien  et  Sibut,  Ann.  d.  mal.  d.  org.  g4n.-urin.  1898  (w.). 
Rosenthal,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1900  (m.). 

Brodier  und  Laroche,  Gaz.  d.  hop.  1900,  zwei  Fälle  (m.). 

II. 

Histologisch  f  e  s  t  g  e  s  t  e  1 1 1;  bakteriologisch:  keine 
Schnittfärbung,  keine  Kultur. 

D  e  s  n  0  s,  Aorta  u.  Mitralis  (m.).  Soc.  mddic.  d.  hop.  Paris  1877. 
Sch  edler,  Aorta  (m.).  Diss.  Berlin  1880. 

Draper,  Mitralis  (m.).  Med.  Bull.  Philadelphia  1882. 

Fleury,  Aorta  (m.).  Journal  de  M6d.  de  Bordeaux  1883/84. 
Rothmund,  Aorta  (m.).  Diss.  Zürich  1889.  Fall  VII  im  Herzblut 
Diplokokken. 

H  i  s,  Aorta  (m.).  Fall  H.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1892. 

L  e  n  h  a  r  t  z,  Aorta  (m.).  Aus  dem  Jahre  1897,  siehe  Nothnagels 
spez.  Path.,  HI,  2.  Fall  XLH. 

Eichhorst,  Aorta  (?)  in  spez.  Path.  u.  Ther.  inn.  Krankh. 

HI. 

Bakteriologisch  unentschieden,  histologisch  fest¬ 
gestellt. 

Martin,  Mitralis  (m.).  Revue  radd.  de  la  Suisse  Romande  1882. 
Keine  Gramfärbung,  keine  Kultur. 

W  e  c  k  e  r  1  e,  Pulmonalis  (w.).  München,  med.  Wochenschr.  1886, 
Kultur,  keine  Gramfärbung. 

His,  Aorta  (m).  Berl.  Klin.  Wochenschr.  1892.  Falll,  keine  Kultur, 
gram,?  Härtung  in  Müller. 

Goltz,  Pulmonalis  (m.).  Diss.  Berlin  1893.  Keine  Kultur,  in  Vege¬ 
tationen  kleine  bis  mittlere  Kokken,  in  Haufen  und  Ketten,  keine  Gramf. 

Keller,  Pulmonalis  (m.).  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  1896.  Kultur 
und  im  Schnitt  nur  Streptokokken. 

P.  Krause,  Aorta  (m.).  Berl.  klin.  Wochenschr.  1904.  Fall  I, 
Auflagerung  histologisch  nicht  untersucht.  Kultur  auf  Blut-  und  Glyzerin¬ 
agar  kein  Wachstum. 

Wynn,  Mitralis  und  Tricusp,  (m.).  The  Lancet  1905.  Fall  H, 
Kultur  negativ,  keine  Schnittfärbung. 

IV. 

Histologisch-bakteriologisch:  Mischinfektion. 

Weichselbaum,  Aorta,  Tricusp,  Mitr.  (m.).  Zieglers  Bei¬ 
träge  1888.  Im  Schnitt  intrazelluläre  gramnegative  Kokken.  Kulturell: 
nur  Streptoc.  pyog. 

Ely,  Mitr.  (m.).  Med.  Record  1889.  (Keine  Kultur.)  In  Klappenauf¬ 
lagerungen  Kokken  und  Bazillen. 

Zadawsky  und  Bregmann,  Mitr.  (w.).  Wiener  med. 
Wochenschr.  1896.  (Keine  Kultur.)  In  Klappenauflagerungen  außer  anderen 
Mikroorg.  gramnegative  Diplokokken  vom  Typus  des  Gonokokkus. 

Osler,  Pulm.  (m.)  b.  Thayer  und  La  z  ear  erwähnt  1899: 
neben  grampositiven  gramnegative  Kokken  im  Schnitt,  anscheinend 
Gonokokken.  Kultur:  Nur  Pneumokokken. 

Prochaska,  Aorta  (m.).  Virchows  Archiv  1901.  Kultur: 
Gonokokken  und  Staphylokokken. 

V. 

Gramnegati^ve  Diplokokken  im  Schnitt.  Keine  Kultur. 

V.  Leyden,  Aorta  und  Mitr.  (m.).  D.  med.  Wochenschr.  1893. 
Wilms,  Aorta  (m.).  Münchn.  med.  Wochenschr.  1893. 

Fressei,  Mitr.  und  Aorta  (w.).  Leipzig  J.  D.  1894. 
Winterberg,  Sämtl.  Klappen  (m.)  insb.  Aorta  u.  Pulm. 
Festschr.  z.  25jähr.  Jubil.  d.  V.  deutscher  Aerzte  i.  d.  Franzisko  1904. 
Berg,  Aorta  (m.).  Medical.  Record  1899  Iref.  Zentr.  f.  Bakt.  1900.) 
Bjelogolowy,  Aorta  (m.).  Wratsch.  1900  (im  Blut  kult.  Go.) 

L  0  e  b,  Aorta  (m.).  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  1900,  Bd.  65. 

Hr.  N  e  i  ß  e  r,  Mitr.  (m.).  Berl.  klin.  Wochenschr.  1901. 

VI. 

Im  Schnitt  und  im  Ausstrich  gramnegative  Diplo¬ 
kokken  vom  Typus  des  Micro  c.  gonorrh.  Agarkulturen 

negativ. 

Finger,  Ghon  und  Schlagenhaufe  r,  Aorta  (m.)  (auch  auf 
Rinderserumagar  kein  Wachstum).  Arch.  f.  Dermatol,  u.  Syphilis  1895.*) 
D  a  u  b  e  r  und  Borst,  Aorta  (m.).  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  1895. 
Michaelis,  Aorta  (m.).  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1896. 

Babel  und  Sion,  Aorta  (m.).  Arch.  d.  S.  M.  de  Bucarest  (auch 
auf  Blutserum  kein  Wachstum), 

Thayer  und  B  1  u  m  e  r,  Mitralis  (w,).  Bull,  of  John  Hopk.  Hosp. 
1896.  Kultur:  Rinderblutserum:  negativ. 

Carageordiages,  Aorta  (m.).  Thöse  1896. 

Haie  White,  Pulm,  (m ).  Lancet  1896.  Auch  auf  Glyzerinagar 
kein  Wachstum. 

Stengel,  Mitr.  (w.).  Univ.  Med.  Mag.  Philad.  1897, 

S  i  e  g  h  e  i  m,  Aoarta  (m.).  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1898.  Kultur: 
Kiefers  Agar:  negativ. 

Wynn,  Mitr.  (m.).  The  Lancet  1905. 


*)  Ausführliche  Zusammenstellung  der  bis  1896  beschriebenen 
Fälle  und  kritische  Sichtung  des  Materials. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


VII. 

Histologisch  und  ba^kteriologisch  gramnegativ  Diplo- 
kokken;  auf  serum  h'altigen  Nährböden  Reinkulturen 
vom  Typus  des  Microcc.  gonorrh. 

Rendu  etHaII4,  Aorta  (w).  Rull.  etm4in.  Soc.  m4d.  de  hop.  de 
Paris  1897. 

HonI,  Aorta  (m.).  Z.  f.  Bakt.  1899  (Lekarskych  Rozhiedu  VII). 

Thayer  und  L  a  z  e  a  r,  Tricusp.  (m.).  The  Journ.  of  exper. 
Med.  1899. 

Michaelis  und?Jakob,  Aorta  (m.)  Verein  f.  innere  Med.  Berlin 
8/ VII.  1901. 

Wassermann,  Aorta  (m.).  München,  med.  Wochenschr.  1901. 

Harris  und  Dabrey,  Aorta  (w.)  Bull,  of  John  Hopk.  Hosp.  1901. 

V.  Frendl,  Aorta  (m.).  Wiener  KHn.  Wochenschr.  1903 

Prochaska,  Aorta  (w.).  D.  Arch.  f.  Klin.  Med.  1905  (Fall  IV). 

Hunter,  Aorta  (w.).  Brit.  med.  Journ.  1905. 

K  ü  1  b  s,  Aorta  (w.). 

VHI. 

Histologisch  und  bakTeriologisch  gramnegative  Di¬ 
plokokken,  kulturell  typische  Gonokokken;  durch 
Uebertragung  des  Thrombusbreies  (Lenhartz)  bzw.  der 
R  e  i  n  k  ul  t  u  r  j  (G  h  0  n  und  S  c  h  1  a  g  e  n  h  a  u  f  e  r)  spezifische 

Urethritis. 

Lenhartz,  Pulm.  (w.).  München,  med.  Wochenschr.  1897. 

Ghon  und  Schlagenhaufe  r,  Aorta  (w.).  Wiener  Klin. 
Wochenschr.  1898. 

Ich  habe  versucht,  in  vorstehender  Tabelle  die  in  der 
Literatur  unter  Endocard.  gon.  auffindbaren  Mitteilungen  zu¬ 
sammenzustellen.  Eine  statistische  Berechnung  aus  dieser 
Tabelle  zu  ziehen  ist  freilich  nicht  leicht,  solange  es  keine 
Grenze  gibt  für  Endokarditiden,  die  man  als  sicher  gonor¬ 
rhoische  ansehen  kann.  Abgesehen  von  den  beiden  letzten 
Fällen  (unter  VIII,  erfolgreiche  Uebertragung  der  Reinkul¬ 
turen  auf  die  Urethra  und  Erzeugung  einer  spezifischen 
Urethritis)  müssen  wir  heute  auch  diejenigen  Endokardi¬ 
tiden  als  sicher  gonorrhoische  bezeichnen,  die  kulturell  einen 
Gram-negativen  Mikrokokkns  boten,  der  den  scharf  abgrenz- 
baren  Eigentümlichkeiten  des  Gonokokkus  entspricht.  Es 
dürften  daher  die  bei  VII  angeführten  auch  vom  bakterio¬ 
logischen  Standpunkt  unzweifelhafte  Endokarditiden  gonor¬ 
rhoischen  Ursprunges  sein.  Die  unter  VI  eingereihten  Fälle, 
bei  denen  die  Identifizierung  mit  dem  Micrococcus  gonor- 
rhoicus  seinerzeit  deswegen  angegriffen  wurde,  weil  auf  ge¬ 
wöhnlichen  Nährböden  kein  Wachstum  erfolgte,  könnten, 
rein  bakteriologisch  gedacht,  schon  Zweifel  erwecken.  Aber 
da  wir  das  Versagen  des  Gonokokkus  auf  gewöhnlichen 
Nährböden  nach  unseren  heutigen  Kenntnissen  zu  indirekter 
Beweisführung  benutzen,  so  möchte  ich  auch  diese  Rubrik 
den  einwandfreien  gonorrhoischen  Endokarditiden  einrech¬ 
nen,  ungeachtet  dessen,  daß  hie  und  da  als  Ausnahmen 
Stämme  in  der  Literatur  erwähnt  werden,  die  auch  auf 
gewöhnlichem  Agar  mehr  oder  weniger  wachsen  (s.  b.  Wild¬ 
bolz).  Schwieriger  ist  die  Beurteilung  schon,  wenn  Gram¬ 
negative  Diplokokken  nur  im  Schnitt  beschrieben  werden  (V). 
Hier  ist  vor  allen  Dingen  für  spätere  Veröffentlichungen  zu 
fordern,  daß  betont  wird,  ob  ausschließlich  Gram-negative 
Kokken  zu  sehen  sind  oder  nicht.  Vom  klinischen  Stand¬ 
punkt  aus  sind  die  unter  V  aufgezählten  Fälle  ohne  Zweifel 
gonorrhoische  Endokarditiden.  Für  die  bakteriologische 
Diagnose  ist  aber  ein  kultureller  Nachweis  notwendig,  weil 
wir  heute  wissen,  daß  von  den  beiden  dem  Gonokokkus 
verwandten  pathogenen  Arten,  dem  Meningokokkus  Weich¬ 
selbaum  und  dem  Micrococcus  catarrhalis  Pf  ei  ff  er,  sicher 
auch  der  Meningokokkus  Endokarditis  zu  erzeugen  im¬ 
stande  ist.  Einschlägige  Fälle  beschrieben  Warfield  und 
Walker,  W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  m  und  Ghon,  die  erstgenannten 
Autoren  einen  Fäll  ulzeröser  Endokarditis  der  Aortenklappen, 
die  letztgenannten  einen  Fall  einer  papillären  Endokarditis 
der  Mitralklappe.  Endokarditis  durch  den  Micrococcus  catar¬ 
rhalis  (Pfeiffer)  kennen  wir  bisher  nicht,  da  seine  patho¬ 
gene  Bedeutung  für  den  Menschen  aber  sichergestellt  er¬ 
scheint,  darf  die  Möglichkeit,  gleichfalls  als  Erreger  von 
Herzklappenentzündung  in  Betracht  zu  kommen,  auch  für 
diesen  Kokkus  nicht  a  priori  ausgeschlossen  werden. 

Ziehe  ich  vom  klinischen  Gesichtspunkt  aus  eine  Sta¬ 
tistik  unter  Berücksichtigung  der  bei  V  bis  VHI  aufgezählten 
Fälle,  so  finde  ich : 


bei  20  Männern  und  10  Frauen  erkrankt  die  Aorta  20mal: 
die  Mitralis  4nial ;  die  Pulmonalis  Imal ;  die  Aorta  und  Mitralis 
2nial;  sämtliche  Klappen  Imal. 

Dehnt  man  diese  Berechnung  auf  die  Fälle  von  il  bis  Vlll 
aus,  so  ergehen  sich  bei  36  Männern  und  12  Frauen  (1  Fall? 
Eichhorst)  als  befallen:  die  Aorta  28mal;  die  Mitralis  8mal;  die 
Pulmonalis  6mal;  die  Trikuspidalis  Imal;  die  Aorta  und  Mitralis 
3mal;  die  Mitralis  und  Trikuspidalis  Imal;  die  Aorta,  Triku¬ 
spidalis  und  Mitralis  Imal ;  sämtliche  Klappen  Imal. 

Literatur. 

Ghon  A.  und  Pfeiffer  H.,  Der  Micrococcus  catarrhalis 
(R.  Pfeiffer)  als  Krankheitserreger.  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin,  44.  Bd.  — 
Lenhartz,  Die  septischen  Allgemeinerkrankungen.  Nothnagel,  spezielle 
Pathologie  und  Therapie  1904,  HI,  2.  —  Neißer  A.  und  Scholz  W., 
Gonorrhoe,  in  Kolle  und  Wassermann,  Handbuch  der  pathogenen  Mikroorgan. 
—  Wild  bolz,  Zur  Biologie  der  Gonokokken.  Zentralbl.  f.  Bakteriologie 
1891.  —  Weichselbaum,  Zur  Aetiologie  der  akuten  Endokarditis. 
Zentralbl.  f.  Bakteriologie  1887,  IL  —  Derselbe,  Beiträge  zur  Aetiologie 
und  pathol.  Anatomie  der  Endokarditis.  Zieglers  Beiträge  1888.  — 
Weichselbaum  und  Ghon,  Der  Micrococcus  mening.  cerebrospin.  als 
Erreger  von  Endokarditis  sowie  sein  Vorkommen  in  der  Nasenhöhle  Ge¬ 
sunder  und  Kranker.  Wiener  klin.  Wochenschr.  1905.  —  WarfieldM. L. 
und  Walker  J.  K.,  Acute  ulcerative  Endocarditis  caused  by  the  Meningo¬ 
coccus  (Weichselbaum).  (Bulletin  of  the  Pennsylvania  Hospital,  1903,  Nr.l.) 


Die  Entwicklung  der  modernen  Immunitäts¬ 
lehre.*) 

Von  Dr.  Karl  Fürntratt,  k.  k.  Sanitäts-Assistenten  bei  der  steier¬ 
märkischen  Statthalterei,  Graz. 

Das  Studium  der  Infektionskrankheiten  nnd  die  Bemühungen 
sie  zu  bekämpfen,  führten  zu  einer  schon  heute  ganz  stattlichen 
Zahl  von  spezifischen  Behandlungs-  bzw.  Schutzimpfungs- 
raethoden.  Die  vielen  Arbeiten,  die  nötig  waren,  um  zu  brauchbaren 
Resultaten  zu  gelangen,  beschäftigten  sich  in  eingehender  Weise 
mit  der  grundlegenden  Frage,  in  welchen  Verhältnissen  eine  ange¬ 
borene  oder  erworbene  Immunität  den  verschiedenen  Krankheits¬ 
erregern  gegenüber  begründet  sein  könne.  Die  dabei  gewonnenen 
Erfahnmgen,  so  lückenhaft  sie  bis  jetzt  auch  sein  mögen,  waren 
aber  nicht  nur  imstande,  uns  über  diese  Verhältnisse  mehr  weniger 
befriedigende  Aufklärnng  zu  bringen,  sondern  ließen  uns,  wie  wir 
sehen  werden,  auch  einen  tiefgehenden  Einblick .  gewinnen  in 
zahlreiche  feinere  Vorgänge,  die  sich  heim  Lebensprozesse  der 
tierischen  Zelle  abspielen. 

Eine  sichere  Grundlage  für  eine  wissenschaftliche  Immuni¬ 
tätsforschung  war  erst  von  dem  Zeitpunkte  an  gegeben,  als  uns 
die  Bakteriologie  die  Erreger  der  verschiedenen  Infektionskrank¬ 
heiten  kennen  lehrte,  obschon  gerade  die  praktisch  wichtigste 
Entdeckung  auf  dem  Gebiete  der  Schutzimpfungen,  nämlich  die 
Jenn  ersehe  Vakzination,  schon  lange  vor  diesen  Zeitpunkt 
fällt.  In  erster  Linie  verdanken  wir  der  Bakteriologie  die  Mög¬ 
lichkeit,  mit  Reinkulturen  zn  arbeiten,  nicht  mehr  mit  einem 
völlig  unbekannten  „Virus“,  hernach  lehrte  sie  uns,  daß  die 
Bakterien  bei  ihrem  Wachstume  giftige  Stoffwechselprodukte 
(Toxine)  erzeugen,  denen  die  auftretenden  Krankheitserscheinungen 
ganz  oder  zum  Teil  zuzuschreiben  sind  und  daß  die  Bakterienzelle 
aber  auch  innerhalb  ihres  Leibes  (intrazellulär)  gewisse  Giftstoffe, 
die  erst  in  neuerer  Zeit  bekannt  gewordenen  Endotoxine  enthält, 
welche  bei  ihrem  Freiwerden  ebenfalls  Ursache  verschiedener 
krankhafter  Reaktionen  des  betroffenen  Organismus  werden 
können. 

Die  Erforschung  einerseits  des  Schicksales  der  einverleibten 
Mikroorganismen  im  infizierten  Tierkörper,  anderseits  der  Reak¬ 
tionen  desselben  auf  die  Einbringung  der  Krankheitserreger  oder 
deren  isolierter  Gifte  brachte  uns  insbesondere  die  Erkenntnis 
von  spezifischen  Reaktionsprodukten,  die  sich  im  Blut¬ 
serum  der  Versuchstiere  anhäufen  und  die  wir  zusammenfassend 
als  Antikörper  bezeichnen.  Seitdem  nun  das  Auftreten  solcher 
Antikörper  im  Blutserum  auch  nach  Einbringung  verschiedener 
anderer  organischer  Substanzen  beobachtet  wurde  und  in  ihrem 
Auftreten  ein  allgemein  gültiges  biologisches  Gesetz  erkannt  wurde, 
gewann  die  I  m  m  u  n  i  t  ä  t  s  1  e  h  r  e  eine  vorher  ungeahnte 
Bedeutung,  welche  schon  heute  weit  über  das  Gebiet 
der  Bakteriologie  und  der  Infektionskrankheiten 
h i n a u s g e w a c h s e n  is t. 

Ihnen,  meine  Herren,  einen  Ueberblick  über  die  bisherigen 
Ergebnisse  der  modernen  Immunitätsforschung  zu  gehen,  ist  der 
Zweck  meines  heutigen  Vortrages. 

*)  Vortrag,  gehalten  bei  der  Versammlung  der  steiermärkischen 
Amtsärzte  zu  Graz  am  7.  Dezember  1906. 


14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


Die  alte  Erfahiaing,  daß  gewisse  Krankheiten  den  Slenschen 
imr  einmal  ini  Leben  befallen  und  daß  auch  milde  verlaufende 
Fälle  dieser  Krankheiten  ebenso  Schutz  vor  späterer  Erkrankung 
(immimität)  verleihen,  wie  schwere  Fälle,  bildet  den  Ausgangs¬ 
punkt  aller  unserer  Immunisierungshestrebungen.  Leber  die 
Schutzpockenimpfung  Jenners,  die  nun  schon  über 
lOü  Jahre  alt  ist,  lirauche  ich  an  dieser  Stelle  nicht  weiter  zu 
sprechen.  Das  dabei  angewendete  Prinzip,  ein  Krankbeitsvirus 
durch  Tierpassagen  für  den  Menschen  so  weit  abzuschwächen, 
daß  es  nur  eine  sehr  leichte  und  ungefährliche  Krankheit  aus¬ 
löst,  wurde  auch  in  neuerer  Zeit,  wenn  auch  mit  einiger  xVb- 
änderung,  für  mehrere  Tierseuchen  verwendbar  befunden 
(Schweinerotlauf,  Rinderpest  und  einige  tro])ische  Tierseuchen). 

Eine  Reihe  von  auch  in  der  Humanniedizin  brauchbaren 
Impfstoffen  wurde  aber  in  einigen  Krankheitserregern  gefunden, 
deren  Virulenz  durch  versebiedene  physikalische  oder  chemische 
Einwirkungen  methodisch  abgeschwächt  wurde.  Hieher  gehört 
zunächst  die  Schulzimplüng  gegen  Lyssa,  welche  darin  besieht, 
daß  das  Rückenmark  von  Kaninchen,  welche  an  dieser  Er¬ 
krankung  eingegangen  sind,  einem  verschieden  langen  Ausli'ock- 
nungsprozesse  unterworfen  wird,  wobei  nach  Pasteurs  Er¬ 
fahrungen  das  in  einem  solchen  Mark  enthaltene  Lyssavirus  soweit 
abgeschwächt  wird,  daß  man  eine  Emulsion  solchen  Markes  einem 
IMenschen  ohne  Schaden  unter  die  Haut  einspritzen  kann.  Durch 
allmählichen  Uebergang  zu  einem  immer  weniger  lang  ausge¬ 
trockneten,  also  immer  virulenteren  Marke  tritt  nach  drei  bis  vier 
Wochen  eine  völlige  Immunität  gegenüber  der  I^yssainfektion 
ein.  Diese  Methode  ist  aber  nicht  nur  als  eine  Schutzimptungs- 
methode  zu  bezeichnen,  sondern  als  eine  eigentliche  Heilmethode, 
da  man  auf  den  Eintritt  des  Impfschutzes  auch  noch  bei  bereits 
gebissenen  Personen  rechnen  kann,  beträgt  doch  die  durchschnitt¬ 
liche  Inkubationszeit  der  Lyssa  —  wenigstens  bei  erwachsenen 
Personen  —  nach  neueren  Statistiken  60  bis  70  Tage.  Einen 
ebenfalls  durch  Austrocknung  gewonnenen  Impfstoff  hat  Pasteur 
ferner  für  die  Hühnercholera  gefunden.  Hieran  reiht  sich 
das  weitere  Verfahren  Pasteurs,  Haustiere  gegen  eine  spätere 
M  i  1  z  b  r  a  n  d  i  n  f  e  k  t  i  o  n  dad u  rch  zu  schü  tzen ,  daß  ihnen  du rch 
verschieden  lange  Erhitzung  abgeschwächte  Anthraxkulturen 
eingespritzt  werden. 

Bei  eine)'  Anzahl  von  Infektionskrankheiten  hat  man  in  den 
durch  vorsichtiges  Erhitzen  abgetöteten  betreffenden  Reinkulturen 
Impfstoffe  gefunden,  welche  wenigstens  zum  Teil  auch  schon 
praktisch  verwertbar  geworden  sind.  So  verwendet  Kohle  abge¬ 
tötete  Vibrionenkulturen  als  Impfmaterial  gegen  Cholera;  es 
kommt  an  der  Impfstelle  zu  einer  lokalen  Reaktion;  nach  Ablauf 
von  fünf  Tagen  ist  bereits  Immunität  gegenüber  einer  Cholera¬ 
infektion  eingetreten  und  soll  erst  nach  etwa  einem  Jahre  wieder 
erlöschen.  Dieses  Schutzimpfungsverfahren  kommt  tiamenÜich 
dann  in  Betracht,  wenn  einzelne  Personen  einer  besonders  hohen 
Ansteckungsgefahr  ausgesetzt  sind,  wie  z.  B.  Aerzte  und  Kranken¬ 
wärter  in  Epidemiezeiten.  Bei  den  englischen  Truppen  in  Indien 
hat  es  sich  auch  bereits  bewährt.  In  ganz  ähnlicher  AVeise  arbei¬ 
teten  Pfeiffer  und  Kolle,  sowie  unabhängig  von  ihnen  der 
Engländer  AV right  ein  Schutzimpfungsverfahren  gegen  Typhus 
aus.  Dabei  ist  die  lokale  Reaktion  allerdings  von  einer  vorüber¬ 
gehenden  Temperatursteigerung  und  Abgeschlagenheit,  Kopf¬ 
schmerz  und  Schwindel  begleitet.  Nach  der  Angabe  AAMights, 
der  das  A'erfahren  in  Indien  bereits  in  ausgedehntem  Alaße  an¬ 
wendet,  soll  dasselbe  ganz  ungefährlich  sein;  der  Schutz  soll 
zehn  Tage  nacb  der  Impfung  eintreten  und  ungefähr  drei  Jahre 
andauern.  AVeniger  günstig  sind  dagegen  die  Resultate,  welche 
Haffkin  bei  der  Bekämpfung  der  Pest  vermittels  Impfungen 
mit  abgetöteten  Pestkulturen  und  Kruse  bei  der  in  gleicher 
AAMise  versuchten  prophylaktischen  Bekämpfung  der  bazillären 
Ruhr  hatte. 

Bei  allen  bisher  besprochenen  Schutzimpfungsverfahren 
wurde  die  Immunität  durch  Einverleibung  der  Krankheitserreger 
selbst  zu  erreichen  gesucht.  Alittlerweile  hat  sich  aber  .auch 
die  Alöglichkeit  ergeben,  auf  (due  andere  Art  Immunität  zu  er¬ 
zeugen.  Man  hat  erkannt,  daß  die  Krankheitserscheinungen  bei 
den  Infektionskrankheite))  nicht  auf  die  bloße  Anwesenheit  der 
pathogenen  Mikroorganismen  zu  beziehen  sind,  sondern  auch  a)if 
die  von  ihnen  produzierten  giftigen  Stoffwechselprodukfe 
(Toxine).  Einzelne  dieser  Toxine  lernte  man  in  den  von  den 
Bakterien  selbst  abfil liierten  Kulturflüssigkeilen  direkt  nachweisen, 
zunächst  das  Diphtherie-  und  das  Tetanustoxin,  welche,  Versuchs¬ 
tieren  einverleibt,  bei  diesen  auch  dieselben,  zum  Tode  führenden 
Krankheitsej'scheinungen  hervorzurufen  imstande  sind,  wie  die 
Einspritzung  der  betreffenden  Bazillen  selbst.  Behring  und 
Kitasato  gelang  es,  das  Diph  I  he rie toxin  durch  Erhitzen 
oder  auch  durch  Zusatz  von  Jodtrichlorid  derart  abzuschwächen. 


daß  es  Tiere  ohne  Schaden  vertrugen.  Nach  einer  inzwiseben 
von  Ehrlich  entdeckten  Methode  konnten  die  beireffenden  Tiere 
durch  allmähliche  Steigerung  der  Giftdosis  bald  gegen  das  volle 
Toxin  selbst  unempfindlich  gemacht  werden.  Solche  mit  Diph- 
therietoxin  vorbehandelte  Tiere  hatten  also  dadurch  eine  Immuni¬ 
tät  gegenüber  dem  betreffenden  Toxin  gewonnen. 

Da  man  seit  den  Untersuchungen  von  Lister,  Fodor 
und  Nuttal  wußte,  daß  das  AVachstum  mehrerer  Bakterienarten 
durch  Blut  gehemmt  werden  kann  und  da  Behring  erkannt 
halte,  daß  diese  bakterienschädigende  Eigenschaft  des  Blutes  nicht 
etwa  an  den  Blulkörperchen,  sondern  am  Blutserum  hafte,  so 
unleisuchte  der  letztgenannte  nun  auch  das  Blutserum  von  gegen 
Diphtheiie  immunisierten  Tieren  auf  seine  bakteriziden  Eigen- 
sebaften  den  Diphtheriebazillen  gegenüber.  Dabei  sah  er  jedoch, 
daß  solches  Immunblut  dutchaus  nicht  imstande  war,  das  Wachs¬ 
tum  der  Diphtheriebazillen  in  vitro  zu  schädigen.  Beim  weiteren 
AMi'folgen  dieser  Tatsachen  kamen  aber  Behring  und  Kitasato 
zur  Erkenntnis,  daß  das  Blutserum  von  Tieren,  welche  mit  einem 
bestimmten  Toxin  vorbehandelt  waren,  imstande  sei,  dieses  Toxin 
auch  in  vitro  völlig  zu  entgiften.  Eine  an  und  für  sich  tödliche 
Menge  von  Toxin  kann  durch  Zusatz  einer  hinreichenden  Alcase 
des  entsprechenden  Immunseiauns  vollkommen  wirkungslos  ge¬ 
macht  werden.  Die  wirksamen  Stoffe,  welche  man  in  einem  sol¬ 
chen  Serum  annehmen  muß,  werden  Antitoxine  genannt.  Alan 
sah,  daß  diese  Stoffe  streng  spezifisch  sind;  das  Diphtherieanti¬ 
toxin  ist  nur  imstande,  Diphtherietoxin,  das  Tetanusantitoxin  nur 
Tetanustoxin  zu  entgiften.  Sein'  wichlig  und  gewissermaßen  der 
Schlußstein,  wenigstens  für  die  praktische  Seite  der  Frage,  war 
die  Entdeckung  Behrings,  daß  man  mit  einem  solchen  anti- 
toxinhaltigen  Serum  auch  ein  anderes  Individuum  vor  der 
deletären  AAurkung  des  betreffenden  Toxins,  bzw.  der  betreffenden 
Infektion  schützen  kann,  wenn  man  ihm  eine  genügende  Quantität 
Antitoxin  subkutan,  eventuell  intravenös  beibringt. 

Diese  Art  der  Immunisierung  ist  grundverschieden  von  allen 
voiher  besprochenen  Immunisierungen.  Dort  wurden  die  Krank¬ 
heitserreger,  bzw.  das  krankmachende  ATrus  in  einem  irgendwie 
modifizierten  Zustand  dem  zu  schützenden  Organismus  einver¬ 
leibt  und  dieser  hatte  nun  einen  Reaktionsprozeß  dui'chzumachen, 
nach  dessen  Ablauf  erst  die  Immunität  eintrat;  liier  macht  die 
notwendige  Reaktion  ein  vorbehandeltes  Tier  (ein  Pferd)  durch. 
Dieses  ei'zeugt  in  seinem  Organismus  die  Schulzstoffe,  welche- 
dann  in  bereits  fertigem  Zustand  dem  zu  schützenden  Organis¬ 
mus  einverleibt  Averden.  Eine  solche  Immunisierung  nennt  man 
eine  passive,  zum  Unterschied  von  der  vorher  besprochenen 
aktiven.  AAMhrend  bei  der  passiven  Immunisierung  die 
schützende  AAdrkung  beinahe  sofort  nach  der  Injektion  des  Serums 
sich  äußert,  tritt  bei  der  aktiven  Immunisierung  der  Impfschutz 
immer  erst  nach  Ablauf  einer  geA\dssen  Reaktionszeit  ein,  die 
eben  zur  Bildung  der  Schutzstoffe  nötig  ist.  Während  aber  der 
durch  aktive  Immunisierung  erreichte  Impfschutz  lange  Zeit  an¬ 
hält,  kann  die  passive  Immunisierung  immer  nur  einen  recht, 
kurz  dauernden  Schutz  bringen,  da  das  einverleibte  artfremde 
Serum,  das  der  Träger  der  Schutzstoffe  ist,  aus  dem  Organismus 
bald  ausgeschieden  Avird;  bei  A^erAAmndung  artgleicher  Seren  Avürde 
der  Schutz  Avesentlich  länger  anhalten.  Jede  passive  Immunität 
scliAvindet  nach  einiger  Zeit  gänzlich  und  ohne  eine  Spur  zu 
hinterlassen;  dagegen  bleibt  bei  der  aktiven  Immunität  auch 
dann,  Avenn  die  Schidzstoffe  selbst  schon  wieder  geschAvunden 
sind,  dennoch  ein  solcher  Zustand  zurück,  daß  sie  bei  neuer¬ 
lich  gegebener  Gelegenheit  rascher  und  in  größerer  Menge  Avieder 
erzeugt  werden  können.  Es  bleibt  also  laach  Ablauf  einer  aktiv 
ei'Avorbenen  Immunitäl  immer  noch  ein  Zustand  von  ,, potentieller“ 
Immunität  zurück. 

Diese  skizzierten  Unterschiede  zwischen  aktiver  und  passi¬ 
ver  Immunität  bedingen  es,  daß  erstere  vornehmlich  als  pro¬ 
phylaktisches  A'erfahren  in  Betracht  kommt,  letztere  aber  ins- 
besonders  als  therapeutisches. 

Die  AMi'Avendung  eines  Immunserums  zu  HeilzAvecken  setzt 
aber  die  genaue  Kenntnis  von  seinem  Antitoxingehalt  voraus. 
Ueher  die  Prüfung  desselben  kann  ich  an  dieser  Stelle  nur 
so  viel  sagen,  daß  er  nur  durch  den  Tierversuch  festgestellt 
Averden  kann,  indem  man  bestimmt,  Avieviel  von  dem  zu  prüfenden 
antitoxinlialtigen  Serum  einer  Dii>hthei'iebouillon  von  genau  be¬ 
kannter  Giftigkeit  zugeselzt  Averden  muß,  bis  diese  soAveit  entgiftet 
ist,  daß  sie  ein  MeerscliAAminchen  unter  genau  festgelegten  Ver¬ 
suchsbedingungen  eben  noch  zu  töten  imstande  ist.  Der  zAvischen 
Toxin  und  Antitoxin  sich  abspielende  AMrgang  ist  nach  Ehrlich 
als  eine  chemische  Bindung  aufzufassen;  beide  Subsfanzen  bilden 
nach  ihrer  Vereinigung  eine  völlig  neutrale,  physiologisch  in¬ 
differente  Substanz.  Ehrlich,  der  die  Verhältnisse  speziell  beim 
Diphtheiiegift  eingehend  untersucht  hat,  Amrdanken  aaTi  die  Kennt- 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


nis  mancher  bedeutungsvoller  Tatsachen.  Die  Beobachtung,  daß 
die  Giftigkeit  einer  Diphtheriebouillon  hoi  längerem  Stehen  be¬ 
deutend  abnimmt,  ohne  daß  aber  gleichzeitig  das  Bindungsver¬ 
mögen  dieser  Diphtheriebouillon  für  das  Antitoxin  abnimmt,  führte 
Ehrlich  zur  Annahme,  daß  das  Giftmolekül  verschiedene  Atom¬ 
komplexe  besitzen  müsse.  An  dem  einen  ist  die  toxische  Wirkung 
geknüpft,  an  dem  anderen  die  antitoxinbindende.  Der  erstere 
Atomkomplex,  den  Ehrlich  ,,toxophore  Gruppe“  nennt,  geht 
hei  längerem  Aufbewahren  einer  Toxinlösung  allmählich  zugrunde, 
während  die  andere,  die  ,,haptophore  Gruppe“,  bestehen 
bleibt.  Diese  resistentere  Gruppe  im  Toxinmolekül  nennt  Ehr¬ 
lich  „Toxoid“;  es  ist  ein  unwirksam  gewordener  Abkömmling 
des  Toxins. 

Die  Vorstellung,  daß  ein  Toxin  nur  durch  Vermittlung  be¬ 
sonderer  haptophorer  Gruppen  mit  seinem  Antitoxin  in  Verbin¬ 
dung  trete,  führte  Ehrlich  zur  Annahme,  daß  eine  Organzellc 
auch  nur  dann  von  einem  bestimmten  Toxin  geschädigt  werden 
könne,  wenn  ihr  Zellprotoplasma  gewisse  Atomgruppen  besitzt, 
welche  in  die  baptophore  Gruppe  des  Toxins  einpassen.  Erst 
durch  den  Besitz  solcher  zur  Aufnahme  der  hapto- 
phoren  Gruppe  geeigneter  ,,Re  z  e  p  t  o  r  e  n“  wird  eine 
Zelle  für  das  betreffende  Gift  empfänglich.  Ehrlich 
stellt  daher  die  Theorie  auf,  daß  das-  Zellprotoplasma  außer  seinem 
physiologisch  charakterisierten  Leistungskern  noch  andere  Atom¬ 
gruppen  besitzt,  die  er  Rezeptoren  oder  ,,S ei  t e n k e t te n“  nennt; 
diese  seien  unter  normalen  Verhältnissen  insbesonders  für  die 
Bindung,  Verdauung  und  Assimilation  von  Nährstoffmolekülen 
bestimmt,  können  sich  aber  gegebenenfalls  auch  mit  einem  Toxin 
verankern,  wodurch  für  die  Zelle  eine  krankhafte  Störung  jcsul- 
tiert.  Die  Beziehungen  des  Toxins  zu  seinem  Antitoxin,  sowie 


Fig.  1. 

a)  Toxin,  b)  Antitoxin,  1.  Zelle, 

a)  toxophore  Gruppe,  2.  Rezeptor, 

ß)  baptophore  Gruppe.  3.  Toxin. 

zu  einer  giftempfindlichen  Zelle  sind  in  Fig.  1  nach  der  von 
Ehrlich  hiefür  eingeführten  Art  symbolisch  zum  Ausdruck 
gebracht. 

Durch  diese  Ehrlichsche  ,, Seitenkettentheorie“,  so 
vielumstritten  sie  auch  ist,  wurden  mit  einem  Schlage  viele 
feinere  Vorgänge  im  Zelleben  unserem  Verständnis  näbergerückt, 
viele  Rätsel  der  Immunitätsforscbung  wurden  durch  sie  in  ver¬ 
blüffend  einfacher  Weise  gelöst,  wie  wir  noch  heute  zu  sehen  Ge¬ 
legenheit  haben  werden,  ja  so  sehr  hat  sie  uns  alle  durchdrungen, 
daß  wir  heute  in  Immunitätsfragen  fast  unbewußt  auf  Grundlage 
Ehrlichscher  Vorstellungen  denken. 

Kommt  eine  Zelle,  deren  Rezeptoren  sie  für  die  Einwirkung 
eines  Toxins  empfänglich  machten,  mit  dem  Leben  davon,  so 
wird  sie  ihre  durch  die  Erkrankung  chemisch  veränderten  Plasma - 
teilchen,  das  sind  die  befallenen  Rezeptoren,  eliminieren  und 
durch  neue  ersetzen.  Nach  einem  von  Weigert  begründeten 
biologischen  Gesetze  erfolgt  unter  dem  Reize  des  Giftes  sogar 
eine  Ueberregeneration  von  neuen  derartigen  Rezeptoren;  die 
überschüssig  gebildeten  werden  aber  von  der  Zelle  abgestoßen 
und  gelangen  in  den  Kreislauf.  Im  zirkulierenden  Blute  sind  nun 
diese  Rezeptoren  imstande,  jenes  Toxin,  dessen  baptophore  Gruppe 
sich  mit  ihnen  verankern  kann,  abzufangen  und  selbes  dadurch 
von  den  giftempfindUchen  Organzellen  fernzuhalten.  Da  aber 
nur  jenes  Toxin,  welches  ursprünglich  die  Schädigung  der  Zelle 
verursacht  hatte,  die  passende  haptophore  Gruppe  besitzt,  so  er¬ 
klärt  sich  hiedurch  ganz  ungezwungen  die  Spezifität  des  im 
Immunserum  vorhandenen  Antitoxins;  dieses  ist  ja  nach  Ehr¬ 
lichs  Theorie  identisch  mit  den  abgestoßenen  Zellrezeptoren. 

Außer  gegen  Diphtherie  gelang  es  auch  noch,  gegen  T etanus 
ein  antitoxisches  Heilseram  darzustellen,  welches  das  Tetanus¬ 
toxin  in  vitro  völlig  zu  entgiften  imstande  ist.  Die  praktischen 
Erfolge  bei  der  Anwendung  dieses  Serums  steben  jedoch  hinter 
denen  bei  Dipbtlierie  weit  zurück,  da  man  eben  mit  der  Anwen¬ 
dung  meist  schon  zu  spät  kommt.  Nach  Meyer  und  Ransom 
erfolgt  die  Resorption  des  Tetanusgiftes  von  der  infizierten  Wunde 
aus  auf  der  Bahn  der  'motorischen  Nerven  u.  zw.  mit  erstaun¬ 
licher  Schnelligkeit;  das  Tetanusantitoxin  hingegen  wird  nur  durch 


Vermittlung  der  Lymphhahnen  in  das  Blut  aufgenoinmen  und  erst 
mit  diesem  dem  Zentralnervensystem  zugeführt.  Es  wurden  dalier 
für  das  Tetanusanlitoxin  verschiedene  Anwendungsarten,  versucht 
mit  der  Absicht,  einen  rascheren  Eintritt  dei-  Wirkung  zu  er¬ 
zwingen.  Der  praktische  Wmrt  des  Tetanusserums  liegt  gegen¬ 
wärtig  nur  in  seiner  prophylaktischen  Anwendung.  Insbesonders 
bei  Pferden,  die  gegen  Tetanus  ungeheuer  empfindlich  sind,  be¬ 
richtet  No  card  in  dieser  Beziehung  über  sehr  schöne  Erfolge. 

Das  Tetanusgift  hat.  für  die  Immunitätsforschung  eine  be¬ 
sondere  Bedeutung  dadurch  erlangt,  daß  sein  Studium  mannig¬ 
fache  theoretische  Erkenntnisse  zutage  gefördert  hat.  Uns  soll 
für  heute  nur  das  eine  interessieren,  daß  die  Ehrlichsche' 
Seitenkettentheorie  in  den  interessanten  Bindungsverhältnissen 
dieses  Giftes  eine  schöne  experimentelle  Stütze  fand.  Da  die 
klinischen  Symptome  des  Tetanus  alle  auf  das  Zentralnerven- 
sysleni  zu  beziehen  sind,  so  ist  anzunehmen,  daß  das  Tetanus- 
loxin  eine  besondere  Affinität  zu  den  Zellen  des  Zentralnerven¬ 
systems  besitzt.  Wie  Wassermann  zuerst  zeigte,  ist  nun  eine 
Hirn-  oder  Bückenmarksemulsion  tatsächlich  imstande,  wenn  sie 
einer  tetanusgifthaltigen  Bouillon  zugesetzt  wird,  dieser  das  Gift 
zu  entreißen  und  dadurch  vollständig  zu  entgiften.  yVndere  Or¬ 
gane,  selbst  telanusempfindlicher  Tiere,  besitzen  diese  entgiftende 
Kraft  aber  nicht.  Nach  Ehrlich  gesprochen,  besitzen  die  Zellen 
des  Zentralnervensystems  Rezeptoren,  welche  in  die  haptophore 
Gruppe  des  Tetanusgiftes  einpassen.  Dieselben  Rezeptoroi  sind 
aber  auch  im  Antitetanusserum  enthalten,  welches  ja  (üner  Te¬ 
tanusgiftlösung  beigemischt,  diese  ebenso  entgiftet  wie  ein  Hirnbrei. 

In  gleicher  AVeise,  wie  man  Versuchstiere  gegen  die  Toxine 
der  Diphtherie  und  des  Tetanus  immunisieren  kann,  gelingt  es 
auch,  gegen  einige  pflanzliche  Eiweiß  gifte  Immunität  zu 
erzeugen.  Ehrlich  immunisierte  Kaninchen  gegenüber  Rizin, 
jenem  Blutgift,  das  im  Preßrückstand  der  Rizinusbohne  enthalten 
ist,  dann  gegen  Abriii,  dem  Gifte  der  Jeci'uirity-  oder  Patemoster- 
bohne  Abrus  precatoria  und  gegen  einige  andere  Pflanzengifte. 
Das  Blutserum  solcher  immunisierter  Tiere  schützt  andere  Tiere 
vor  der  tödlichen  WTrkung  der  betreffenden  Gifte.  Dabei  ist,  wie 
Römer  zeigte,  das  Antiabrinserum  imstande,  auch  bei  konjunkti- 
valer  Einträuflung  die  durch  das  .leffuirityinfus  bervorgerufene 
Augenentzündung  zu  mildern,  wodurch  die  Augenärzte  in  den 
Stand  gesetzt  sind,  die  Jequiritytherapie  des  trachomatösen  Pannus 
nach  Bedarf  einzurichten.  Auch  hier  ist  die  AVirkung  eines  jeden 
Immunserums  streng  spezifisch :  Ahrinserum  wirkt  nur  auf  Abrin, 
Rizinserum  nur  auf  Rizin.  Wie  man  sich  ausdrückt,  hat  ein  Anti¬ 
toxin  zu  nichts  anderem  in  der  W^'elt  eine  Beziehung 
als  zum  betreffenden  Toxin;  Toxin  und  Antitoxin 
müssen  zueinander  passen  wie  ein  Schlüssel  zu 
seinem  zugehörigen  Schlosse. 

Hieran  reiht  sich  die  Serumbehandlung  des  Heufiebers. 
Die  Pollen  der  Gramineenblüten  enthalten  ein  toxischesi  Protein, 
welches  bei  dazu  disponierten  Personen  einen  heftigen  Augen- 
und  Nasenkatarrh,  das  sogenannte  Heufieher  auslöst.  Weich¬ 
hardt  fand  im  Blutserum  von  Pflanzenfressern  zur  Zeit  der 
Gramineenblüte  Scbiitzstoffe  gegen  das  Heufiebergift;  dieses 
Serum  —  Graminol  genannt  —  soll  bei  Heufieberkranken  eine 
gewisse  Wirkung  haben.  Ein  anderes,  gegenwärtig  öfter  in  Ver¬ 
wendung  gezogenes  Heufieberserum  ist  das  ,,Pollantin“,  welches 
Dunbar  durch  Vorbehandlung  von  Pferden  mit  dem  Pollengift 
herstellt.  Dieses  wird  in  die  Nase  oder  in  das  Auge  eingeträufelt 
oder  auch  im  gepulverten  Zustand  aufgeschnupft.  Der  dadurch 
bedingte  Schutz  vor  den  gefürchteten  Heufieberanfällen  dauert 
allerdings  nur  etwa  einen  Tag. 

Auch  gegen  tierische  Ei  weiß  gifte  lernte  man  durch 
zuerst  schwache  und  dann  immer  stärkere  Giftdosen  allmäh¬ 
lich  immunisieren.  Das  Blutserum  der  vorbehandelten  Tiere  ent¬ 
hält  dann  immer  das  hetreffende  Antitoxin.  So  bereitete  Cal¬ 
mette  ein  S c  h  1  a  11  g e n  gi f  t  se ru  m,  das  gegen  den  Biß  der 
verschiedensten  Giftschlangen  verwendbar  is(,  Sachs  stellte  das 
Gift  und  Gegengift  der  Kreuzspinne  dar. 

Antitoxinhaltige  Seren  wurden  schließlich  noch  hergestellt 
gegen  die  Wurstvergiftung  (Botulismus)  und  gegen  die 
bazilläre  Ruhr.  Das  von  Kemp n er  durch  Vorbehandlung 
von  Ziegen  mit  filtrierten  Bouillonkulturen  des  Bacillus  bolulinus 
gewonnene  Serum  wurde  beim  Menschen  allerdings  kaum  noch 
praktisch  verwertet;  üher  das  von  Pal  tauf  hergestellte  .anti- 
toxische  Ruhrheilserum  liegen  jedoch  schon  jetzt  sehr  günstige 
Erfahrungen  vor. 

Nach  den  glänzenden  Erfolgen,  welche  die  Serumtherapie 
der  Diphtherie  seit  zirka  zehn  Jahren  aufweist,  soll  es  uns  eigent¬ 
lich  wundei'nelnnen,  daß  die  Reihe  der  Krankheiten,  gegen  die 
wir  eine  wirksame  Serumbehandlung  besitzen,  eine  noch  so  kleine 
ist.  ln  vielen  Fällen  gehen  eben  die  als  Blutspender  herange- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


zogeneii  Tiere  zugrunde,  bevor  es  bei  ihnen  zur  Bildung  einer 
,,Gnindimmunität“  gekommen  ist;  in  anderen  Fällen  wieder  ist 
die  ausgelöste  Antitoxinbildung  eine  so  geringe,  daß  das  gewonnene 
Senim  zu  wenig  Heilkraft  besitzt,  um  greifbare  Erfolge  zu  zeigen. 
So  günstig  wie  bei  der  Diphtherie  liegen  eben  die  Verhältnisse 
bezüglich  einer  raschen  und  ausgiebigen  Produktion  von  Anti¬ 
toxin  durch  den  Pferdeorganismus  nicht  leicht  wieder.  Dennoch 
brachten  uns  die  Bemühungen,  für  verschiedene  Infektionskrank¬ 
heiten  wirksame  Seren  darzustellen,  wenigstens  in  anderer  Bich- 
lung  schon  bis  jetzt  einige,  auch  praktisch  wichtige  Ergebnisse. 

Pfeiffer  machte  die  Beobachtung,  daß  jene  Seren,  welche 
bei  Vorbehandlung  von  Tieren  mit  abgetöteten  Bakterienleibern 
gewonnen  werden,  nicht  antitoxisch,  sondern  vielmehr  bakteri¬ 
zid,  d.  h.  bakterientötend  wirken.  Ein  solches  Serum  ist  näm¬ 
lich  imstande,  wenn  es  zugleich  mit  virulenter  Kultur  in  die 
Bauchhöhle  eines  Meerschweinchens  eingespritzt  wird,  die  be¬ 
treffenden  Bakterien  zu  raschem,  körnigem  Zerfall  zu  bringen, 
sie  gewissermaßen  aufzulösen.  ,,Bakteriolysine‘'  nennt 
Pfeiffer  die  in  einem  solchen  bakteriziden  Serum  enthaltenen 
spezifischen  Antikörper.  Versuchstiere,  denen  man  z.  B.  eine 
vimlente  Cholerakultur  zugleich  mit  einem  bakteriziden  Cholera¬ 
immunserum  einspritzt,  gehen  nicht  zugrunde.  In  gleicher  Weise 
erliegen  Tiere,  welche  durch  Injektionen  von  abgetöteten  Cholera¬ 
bazillenleibern  genügend  immunisiert  wurden,  nicht  einer  nach- 
herigen  Infektion  mit  virulenter  Cholerakultur.  Da  die  Bakterio- 
lysine  in  ihrer  Wirkung  streng  spezifisch  sind,  also  ein  bakterizides 
Choleraserum  nur  Choleravibrionen,  ein  Typhusserum  nur  Ty¬ 
phusbazillen  aufzulösen  imstande  ist  usw.,  so  wird  der  Eintritt 
einer  Bakteriolyse  zur  exakten  Bakteriendiagnose  oft  herange¬ 
zogen;  dies  ist  der  sogenannte  Pfeiffersche  Versuch. 

Die  Bakteriolysine  auch  für  die  Zwecke  der  Therapie  nutz¬ 
bar  zu  machen,  dahin  ging  begreiflicherweise  das  nächste  Be¬ 
streben.  Man  konnte  ja  hoffen,  durch  Einverleibung  eines  bak¬ 
teriziden  Semms  die  in  einem  Organismus  vorhandenen  lebenden 
Krankheitserreger  abzutöten  und  so  dem  Organismus  auf  dem 
direktesten  AVege  Schutz  vor  denselben  —  also  eine  passive 
Immunität  —  zu  verleihen.  Daß  sich  diese  Hoffnung  nicht  ohne 
weiteres  erfüllte,  hat  seinen  Grund  zunächst  in  der  eigentüm¬ 
lichen  Struktur  der  Bakteriolysine.  Pfeiffer  hatte  ursprünglich 
angenommen,  daß  die  bakteriziden  Seren  ihre  Wirksamkeit  nur 
im  Tierkörper  entfalten  können,  da  er  im  Reagenzglas  keine  wesent¬ 
liche  bakterien tötende  Kraft  nachweisen  konnte.  Da  zeigten 
Metschnikoff  und  Bordet,  daß  ein  bakterizides  Immunserum 
auch  außerhalb  eines  Tierköi-pers,  in  vitro,  dadurch  wirksam  ge¬ 
macht  werden  kann,  daß  man  ihm  ein  wenig  frisches,  gewöhn¬ 
liches  Blutserum  (Normalserum)  zusetzt,  das  an  und  für  sich 
gar  nicht  bakteiiolytisch  wirkt.  Bald  erkannte  man,  daß  ein 
Immunserum  auch  in  vitro  bakterienlösende  Kraft  äußert,  so¬ 
bald  es  ganz  frisch  gewonnen  ist  und  daß  es  erst  durch  längeres 
Stehen  seine  Wirksamkeit  verliert.  Bordet  zeigte  ferner,  daß 
man  einem  frischen  Immunserum  durch  Erhitzen  auf  60°  seine 
bakterizide  Kraft  nehmen  kann;  auch  in  diesem  Falle  wird  das 
unwirksam  gemachte  Serum  durch  Zusatz  einer  geringen  Menge 
Nonnalserums  wieder  vollständig  wirksam.  Es  zeigte  sich  also, 
daß  in  einem  bakteriziden  Serum  zwei  verschiedene  Substanzen 
vorhanden  sein  müssen,  eine  durch  längeres  Stehen  oder  durch 
Wärme  zerstörbare  und  eine  haltbare,  wärmebeständige  Sub¬ 
stanz.  Erst  durch  das  Zusammenwirken  beider  Substanzen  kommt 
die  bakteriolytische  Wirkung  zustande.  Die  Bakteriolysine  sind, 
wie  man  sich  ausdrückt,  ,,komplexe“  Substanzen. 

Da  die  AVirkungsweise  solcher  komplexer  Substanzen,  sowie 
die  Eigenschaften  ihrer  beiden  Komponenten  ursprünglich  bei 
den  Hämolysinen  studiert  wurden,  da  diese  für  die  experimen¬ 
telle  Untersuchung  viel  leichter  zugänglich  sind  als  die  Bakterio¬ 
lysine,  so  haben  auch  wir  uns  ein  wenig  mit  den  Hämolysinen 
zu  befassen.  Spritzen  wir  einem  Tiere,  z.  B.  einem  Kaninchen, 
mehrere  Kubikzentimeter  defibriniertes  Blut  einer  anderen  Tier¬ 
gattung,  z.  B.  eines  Meerschweinchens,  unter  die  Haut,  oder 
besser  intraperitoneal  ein,  so  hat  nach  Ablauf  mehrerer  Tage  das 
Semni  unseres  vorbehandelten  Kaninchens  die  Fähigkeit  ge¬ 
wonnen,  die  roten  Blutkörperchen  des  Meerschweinchens  aufzu¬ 
lösen.  Um  immer  gleiche  A^ersuchsbedingungen  zu  haben,  pflegt 
man  den  Versuch  in  der  AVeise  anzustellen,  daß  man  in  eine 
Anzahl  kleiner  Eprouvetten  je  eine  gemessene,  gleiche  Quantität 
von  einer  öligen  Aufschwemmung  defibrinierten  Meer¬ 
schweinchenblutes  in  isotonischer  Kochsalzlösung  gibt.  Von  dem 
Serum  des  vorbehandelten  Kaninchens  bereitet  man  sich  mehrere 
Verdünnungen  (20 — 40— SOfach  usw.)  vor,  setzt  eine  gleiche  Quan¬ 
tität  von  jeder  in  die  mit  der  Meerschweinchenblutaufschwemmung 
beschickten  Eprouvetten  und  stellt  diese  alsdann  in  den  Brut¬ 
schrank.  In  ein  Kontrollröhrchen  gibt  man  Blutaufschvvemmung 


ohne  Kaninchenserum,  in  ein  anderes  kann  inan  Blutauf¬ 
schwemmung  mit  Normalserum  versetzt  geben.  Schon  nach  Ab¬ 
lauf  einer  Viertel-  oder  einer  halben  Stunde  kann  man  sehen,  daß 
in  denjenigen  Eprouvetten,  in  die  wir  Immunserum  zugesetzt 
hatten,  die  Blutaufschwemmung  vollkommen  durchsichtig  (Lack¬ 
farben)  geworden  war,  während  sie  in  den  beiden  Kontrollröhrchen 
undurchsichtig  geblieben  ist.  Diesen  Vorgang  nennt  man  Hämo¬ 
lyse,  jene  Substanzen  des  Immunserums,  welche  die  Lösung 
der  roten  Blutkörperchen  zustandebringen,  Hämolysine  (oder  auch 
Hämotoxine).  Die  gleiche  blutlösende  Kraft  konnte  man  im  Serum 
jeder  beliebigen  Tierart  nachweisen,  der  man  vorher  die  Blut¬ 
körperchen  einer  anderen  Tierspezies  einverleibt  hat.  Dabei  sind 
die  entstehenden  Hämolysine  immer  streng  spezifisch,  d.  h.  sie 
lösen  nur  die  Blutkörperchen  jener  Tierart,  deren  Blut  zur  Vor¬ 
behandlung  gedient  hatte. 

In  gleicher  AVeise  wie  die  bakteriolytischen  werden  nach 
Versuchen  Bordets  auch  die  hämolytischen  Sera  durch  Er¬ 
wärmen  auf  60°  oder  durch  längere  Aufbewahrung  unwirksam, 
können  aber  durch  Zusatz  einer  geringen  Menge  frischen  Normal¬ 
serums  wieder  hämolytisch  wirksam  gemacht  werden.  Man  nennt 
diesen  Vorgang:  Inaktivieren  und  Reaktivieren  eines  Immun¬ 
serums.  Den  Ausdruck  „Irnmunisieren“  gebrauchen  wir,  nebenbei 
bemerkt,  jetzt  nicht  nur  für  das  Vorbehandeln  mit  Bakterien, 
Bakterienprodukten  und  Eiweißgiften,  sondern  auch  für  die  Vor¬ 
behandlung  mit  jeder  beliebigen,  eine  Antikörperbildung  aus¬ 
lösenden  Substanz,  also  auch  für  die  Vorbehandlung  mit  roten 
Blutkörperchen. 

Die  Hämolyse  beruht  auf  dem  Zusammenwirken  von  zwei 
Substanzen,  einer,  welche  die  Erwärmung  auf  60°  aushält  und 
welche  nur  in  dem  durch  Vorbehandlung  gewonnenen  Serum  ent¬ 
halten  ist,  und  einer  Substanz,  welche  bei  der  Erwärmung  auf 
60°  zugrundegeht  und  die  auch  bereits  in  dem  Seimn  des*  normalen, 
nicht  vorbehandelten  Tieres  sich  befindet.  Nun  kannte  man  schon 
von  früher  her,  hauptsächlich  durch  die  Arbeiten  Buchners, 
im  Normalserum  gewisse  aktive  Substanzen,  welche  befähigt  sind, 
Bakterien  und  fremdartige  Zellen  zu  zerstören.  Diese  Schutzstoffe 
nennt  Buchner  Alexine;  sie  sind  thermolabile,  fermentähnlich 
wirkende  Köiper.  Bordet  behielt  die  Bezeichnung  Alexine  für 
jenen  nicht  hitzebeständigen  Körijer  des  Serums  bei,  der  bei  der 
Hämolyse  mit  in  Tätigkeit  tritt;  die  zweite  zur  Hämolyse  erforder¬ 
liche  Substanz  nennt  er  ,,Sub stance  sensibilisa trice“ ; 
sie  macht  das  Blutkörperchen  erst  für  die  EiiiAvirkung  des  Alexins 
empfindlich. 

Indem  Ehrlich  seine  Seitenkettentheorie  auf  den  Vorgang 
der  Hämolyse  anzuwenden  suchte,  mußte  er  sich  die  Frage  vor¬ 
legen  :  AVelche  von  den  beiden  Komponenten  des  Hämolysins 
tritt  mit  den  Blutkörperchen  in  direkte  Beziehung,  welche  Kom¬ 
ponente  kann  sich  mit  ihm  verankern?  Denn  eine  Verankerung 
der  wirksamen  Substanz  mittels  passender  haptophorer  Gruppen 
an  geeignete  Rezeptoren  des  Blutkörperchens  mußte  Ehrlich 
auf  Grund  seiner  Vorstellungen  über  das  Zusüindekommen  von 
Giftwirkungen  annelimen.  Auf  die  darüber  angestellten  klassischen 
Versuche  von  Ehrlich  und  Morgenroth,  kann  ich  leider  an 
dieser  Stelle  nicht  näher  eingehen,  kann  es  aber  nicht  unterlassen. 
Ihnen  die  kleine  Schrift  von  AA^ assermann:  ,, Hämolysine, 
Zytotoxine  und  Präzipitine“,*)  in  der  diese  Versuche  kurz  und 


a)  Zelle;  b)  Immunkörper  (Ambozeptor)  mit  a)  komplementophiler  und 
ß)  —  zytophiler  Gruppe;  c)  Komplement  (Alexin). 

klar  dargestellt  sind,  angelegentHch  zum  Studium  zu  empfehlen. 
In  einwandfreier  AVeise  zeigten  uns  Ehrlich  und  Morgenroth, 
daß  sich  das  rote  Blutkörperchen  immer  nur  mit  dem  hitze¬ 
beständigen  Anteil  des  Immunserums  verbinde,  nie  aber  mit  dem 
Alexin.  Dieses  tritt  immer  erst  durch  Vermittlung  des  hitze- 
beständigen  Körpers  mit  den  Blutkörperchen  in  Beziehung.  Ehr¬ 
lich  nennt  den  hitzebeständigen  Körper,  die  Substance  sensibili- 
satrice  Bordets,  Immunkörper,  weil  nur  er  beim  Vorgänge 
der  Immunisieiung  gebildet,  bzw.  einseitig  vermehrt  wird  und 

*)  Aus  der  Volkmannschen  Sammlung  klinischer  Vorträge,  Heft  331 . 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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er  auch  der  ausschließliche  Träger  der  Spezifität  eines  Immun- 
semms  ist.  Wegen  seiner  Fähigkeit,  sich  nach  zwei  Seiten  hin 
zu  verbinden,  nämlich  mit  dem  Rezeptor  der  Zelle  und  mit  dem 
Alexin,  nennt  Ehrlich  diesen  Körper  auch  Ambozeptor.  Für 
das  Alexin  führte  Ehrlich  die  Bezeichnung:  Komplemenl. 
(Ergänzungskörper)  ein.  Die  nebenstehende  symbolische  Dar¬ 
stellung  wird  diese  Verhältnisse  erläutern  (Fig.  2). 

Weitere  sehr  fein  angelegte  Versuche  drängten  Ehrlich 
zur  Annahme,  daß  auch  schon  im  normalen  Blute  nicht  ein  einziges 
Komplement  vorhanden  sei,  sondern  eine  ganze  Reihe  von  Komple¬ 
menten,  die  sich  durch  mehr  oder  weniger  differente,  haptophore 
Gruppen  unterscheiden.  Diese  Erkenntnis  wurde  bei  der  Ueber- 
tragimg  der  bei  den  hämolytischen  Seren  gewonnenen  Anschau¬ 
ungen  auf  die  bakteriziden  Sera  ebenso  praktisch  wichtig,  wie 
jene  andere,  daß  sich  nämlich  jeder  Immunkörper  wieder  aus 
einer  Reihe  von  ,, Partialimmunkörpern“  zusammensetzt. 

Wir  keliren  nun  zü  den  Bakteriolysinen,  zurück.  Wegen 
der  besprochenen  Labilität  ihrer  Komplemente  führen  wir  bei 
der  Injektion  eines  bakteriziden  Serums  immer  nur  die  eine,  zur 
Abtötung  der  Bakterien  notwendige  Komponente,  nämlich  den  Im¬ 
munkörper  zu.  Man  müßte  daher  bei  der  Anwendung  von  solchen 
Seren  immer  annehmen,  daß  der  Immunkörper  das  notwendige 
Komplement  in  dem  zu  heilenden  Organismus  schon  fertig  vor- 
finde.  Daran  sind  eben  viele  Versuche  bei  der  therapeutischen 
Verwendung  der  bakteriziden  Seren  bisher  gescheitert.  Um  die 
Wahrscheinlichkeit  zu  vergrößern,  daß  ein  eingeführter  Immun¬ 
körper  im  Blute  des  zu  behandelnden  Organismus  ein  passendes 
Komplement  vorfinde,  geht  man  jetzt  darauf  aus,  Immunkörper 
mit  möglichst  vielen  und  verschiedenen  komplementophilen 
Gruppen  zu  erzeugen.  Dies  kann  man  durch  Verwendung  von 
Serumarten,  die  von  verschiedenen  Tierspezies  gewonnen  und  dann 
vermischt  werden,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  schon  heute  er¬ 
reichen.  Weiters  ist  es  notwendig  zu  beachten,  daß  das  Zellproto¬ 
plasma  mancher  Bakterien  keine  biologisch  einheitliche  Substanz 
ist,  sondern  sich  aus  mehreren  Komponenten  zusammensetzt,  von 
denen  jede  einen  eigenen  Immunkörper  auslöst.  Da  die  einzelnen 
Komponenten  bei  den  verschiedenen  Stämmen  vieler  Bakterien 
schwanken,  so  kann  ein  mit  nur  einem  einzigen  Bakterienstamme 
erzeugtes  Immunserum  nicht  allgemein  verwendbar  sein.  Es  ist 
vielmehr  notwendig,  die  blutspendenden  Tiere  mit  einer  möglichst 
großen  Zahl  der  verschiedensten  Bakterienstämme  zu  immuni¬ 
sieren,  um  so  ein  „p  o  1  y  v  a  1  e  n  te  s“  Serum  zu  gewinnen.  Schlie߬ 
lich  ist  zu  berücksichtigen,  daß  bei  den  bakteriziden  Seren  bisher 
die  erforderlichen  hohen  Konzentrationen  noch  nicht  eiTeiCht 
werden  konnten,  die  ja  notwendig  sind,  um  in  einer  geringen 
Quantität  Serums  möglichst  viel  bakterizider  Substanz  einzu¬ 
verleiben. 

Von  den  bisher  praktisch  versuchten  bakteriziden  Seren  ist 
insbe.sondere  das  Streptokokkenserum  oft  genannt.  M ar¬ 
me  re  k  und  Aronson  stellten  schon  vor  längerer  Zeit  ein 
solches  Serum  dar,  wobei  sie  von  der  Annahme  ausgingen,  daß 
alle  Streptokokkenstämme  untereinander  identisch  seien.  Tavel, 
ebenso  Moser  und  Menzer  verwendeten  dagegen  zur  Darstellung 
ihrer  Streptokokkenseren  möglichst  verschiedene  Streptokokken¬ 
stämme,  was  jedenfalls  einen  Fortschritt  gegenüber  Marmorek 
bedeutet.  Solches  Serum  wird  häufig  mit  Erfolg  angewendet  bei 
Puerperalfieber,  Pyämie,  Scharlach,  Erysipel,  aku¬ 
tem  und  chronischem  Gelenksrheumatismus  und 
Chorea. 

Das  von  Römer  dargestellte  Pneumokokkenserum, 
sowie  die  gegen  Typhus,  Cholera,  Ruhr  und  Pest  ver¬ 
suchten  bakteriziden  Seren  ergaben  bisher  noch  recht  zweifel¬ 
hafte  Erfolge. 

In  der  Tiermedizin  hat  sich  dagegen  das  von  So  bernheim 
dargestellte  Milzbrandserum  bereits  bewährt,  insbesonders 
wenn  es  zugleich  mit  der  Pasteurschen  aktiven  Immunisierang 
kombiniert  angewendet  wurde.  Solche  kombinierte  oder  Si¬ 
multanimmunisierungen,  welche  die  Vorteile  der  aktiven 
mit  denen  der  passiven  Immunisierung  zu  vereinen  suchen,  wurden 
unter  anderem  auch  beim  Schweinerotlauf  mit  Erfolg  an¬ 
gewendet  (Lorenz). 

Bei  der  Verwendung  aller  bakteriziden  IminUnseben  ist  jedoch 
stets  ein  weiterer,  sehr  wichtiger  Umstand  zu  berücksichtigen; 
wenn  unter  dem  Einflüsse  des  Immunserums  die  im  Organismus 
vorhandenen  Bakterien  aufgelöst  werden,  so  werden  dadurch  die 
im  Innern  der  Bakterienleiber  enthaltenen  (intrazellulären)  Zell¬ 
gifte  frei,  welche  alsdami  für  den  Organismus  einen  größeren 
Schaden  bedingen  kömien,  als  durch  die  Vernichtung  der  Bak¬ 
terien  selbst  genützt  wurde.  Diese  sogenaimten  Endotoxine, 


welche  immer  erst  durch  das  Absterben  der  Bakterienzelle  frei 
werden,  sind  von  den  seit  längerer  Zeit  bekannten  Toxinen  streng 
zu  trennen,  welch  letztere  die  durch  den  Lebensprozeß  der  Bak¬ 
terien  gebildeten  Gifte  darstellen.  Es  sind  von  diesem  Gesichts¬ 
punkte  bakterizide  Seren  —  wenigstens  in  ihrer  gegenwärtigen 
Form  —  überhaupt  nur  dann  zu  empfehlen,  wenn  die  Bakterien¬ 
menge  eine  geringe  ist,  so  daß  durch  deren  Abtötung  keine  zu 
große  Giftmenge  in  Freiheit  gesetzt  wird. 

Die  therapeutische  Seite  der  Immunitätsforschung  hätten  wir 
hiemit  erschöpft;  es  bleiben  uns  aber  noch  einige  weitere  und 
zwar  sehr  interessante  Immunitätsphänomene  zu  besprechen,  zu¬ 
nächst  die  von  Gruber  und  Durham  entdeckte  Agglu¬ 
tination.  Das  Wesen  dieser  Erscheinung  ist  kurz  folgendes; 
Wenn  man  ein  Tier  mit  einer  bestimmten  Bakterienart' immunisiert 
(u.  zw.  mit  den  Bakterien  selbst,  nicht  etwa  mit  den  Toxinen 
derselben),  so  gewinnt  das  Seium  dieses  Tieres  außer  der  bereits 
besprochenen  bakteriolytischen  auch  noch  die  weitere  Fähig¬ 
keit,  Bakterien  der  betreffenden  Art,  welche  in  gleichmäßiger 
homogener  Verteilung  in  Kochsalzlösung  aufgeschwemmt  sind, 
zur  Zusammenballung  und  Verklebung  zu  bringen.  War  die  Im¬ 
munisierung  des  serumgebenden  Tieres  genügend  hoch  getrieben, 
so  tritt  dieses  Agglutinationsphänomen  noch  bei.  mehrtausend¬ 
facher  Verdünnung  des  Serums  ein.  Daß  die  Agglutination  zur 
Bestimmung  und  Identifizierung  verscldedener  Bakterienarten 
gegenwärtig  ausgedehnte  Verwendung  findet  und  den  bakterio¬ 
lytischen  Meerschweinchen  versuch  nach  Pfeiffer  meist  zu  er¬ 
setzen  imstande  ist,  dürfte  wohl  ebenso  bekannt  sein,  Avie  die 
Verwendbarkeit  des  Agglutinationsphänomens  als  Unterstützungs¬ 
mittel  der  klinischen  Typhusdiagnose.  Der  Gehalt  des  Blutserums 
eines  Typhuskranken  oder  TyphusrekoiiAmleszenten  an  Agglutinin 
ist  natürlich  nie  ein  so  hoher,  als  der  eines  künstlich  hoch  immuni¬ 
sierten  Tieres.  Das  Serum  der  Typhuskranken  agglutiniert  Typhus¬ 
bazillen  meist  nur  in  50-  bis  etwa  200facher  Verdünnung.  Agglu- 
I inine  sind  streng  spezifische  Körper;  daß  ein  Immunserum  nicht 
nur  gegenüber  derjenigen  Bakteiienart,  die  zur  Vorbehaullung 
gedient  hatte,  agglutinierende  Eigenschaften  zeigt,  sondern  aind. 
gegenüber  verwandten  Bakterienarten,  stört  die  Richtigkeit  dieses 
Satzes  keineswegs,  denn  die  Unterschiede  in  den  Verdünnungs¬ 
graden,  bei  welchen  ein  und  dasselbe  Serum  einerseits  die  zuge¬ 
hörige  Bazillenart,  anderseits  verwandte  Arten  zu  agglutinieren 
imstande  ist,  sind  stets  sehr  in  die  Augen  springend  und  voll¬ 
kommen  konstant.  Mit  der  eigentlichen  Immunität  haben  die 
Agglutinine  nichts  zu  tun ;  agglutinierte  Bazillen  bleiben  zum 
Beispiel  vollkommen  wachstumsfähig. 

Wir  haben  früher  gesehen,  daß  der  tierische  Organismus 
auf  eine  Einspritzung  von  Bakterien  mit  der  Bildung  von  Bakterio¬ 
lysinen  antwortet,  auf  eine  Einspritzung  von  Blutkörperchen  mit 
der  Bildung  von  Hämolysinen.  Es  AAOirde  nun  weiterhin  beob¬ 
achtet,  daß  darin  ein  allgemein  gültiges  biologisches 
Gesetz  zum  Ausdruck  kommt,  welches  besagt,  daß  durch  die 
Einspritzung  von  tierischen  Zellen  die  Bildung  von  Antikörpern 
ausgelöst  wird,  die  sich  im  Blutserum  anliäufen  und  bezüglich 
ihrer  Entstehung,  ihres  Baues  und  ihrer  Wirkungsweise  vollständig 
den  Hämolysinen  entsprechen.  Alan  nennt  diese  zelltötenden 
Antikörper  Zytotoxine.  So  erhält  man  durch  Vorbehandeln 
eines  Tieres  mit  lebenden  Spermatozoen  ein  Serum,  welches  im 
Reagenzglase  sehr  rasch  die  Spermatozoen  der  betreffenden  Tier¬ 
art  lähmt  und  tötet  (Spermatoxin),  durch  Immunisieren  mit 
Flimmerepithelien  ein  entsprechend  wirkendes  Antiepithelserum, 
durch  Immunisierung  mit  Knochenmarksemnlsion  ein  weiße  Blut¬ 
körperchen  auflösendes  Serum  (Leukotoxin),  durch  Nierenemulsion 
ein  Serum,  das  anderen  Tieren  eingespritzt,  bei  diesen  Albuminurie 
erzeugt  (Nephrotoxin),  durch  Leberemulsion  wiederum  ein  Serum, 
das  bei  Versuchstieren  die  Erscheinungen  der  Leberinsuffizienz 
hervorzurufen  imstande  ist  (Hepatotoxin),  durch  Zentralnerven- 
systemsubstanz  ein  Serum,  das  bei  intrazerebraler  Applikation 
Kränrpfe,  Lähmungen  und  raschen  Tod  herbeiführt  (Neurotoxin). 

Nach  diesen  interessanten  Versnchsergebnissen,  die  uns  die 
Immunisierung  mit  geformten  Körperelementerr,  mit  zelligem  Ma¬ 
terial  gebracht  hatte,  wurde  mm  durch  Bordet  gezeigt,  daß 
man  auch  durch  Vorbehandeln  mit  nicht  geformten  Substanzen 
die  Bildung  von  Antikörpern  mit  ganz  eigenartiger  Wirkung  aus- 
lösen  kann.  Spritzt  man  einem  Tiere  BluLseium  einer  anderen 
Tierspezies  ein,  so  gewinnt  das  Blutserum  des  vorbehandelten 
Tieres  die  Eigenschaft,  daß  es  im  Reagenzglase  mit  jenem  Blut¬ 
serum,  das  zur  Vorbehandlung  verwendet  wurde,  nach  kurzer 
Zeit  einen  Niederschlag  gibt.  In  ähirlicher  Weise  entsteht 
durch  Injektion  von  Älilch  in  dem  Serum  des  behandelten  Tieres 
ein  Stoff,  welcher  das  Kasein  der  Alilch  derselben  Tierspezies 
zum  Ausfallen  bringt.  AllgcMnein  ausgedrückt,  karm  man  sagen ; 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Wenn  man  einem  Tiere  gelöste  Ei  wei  ß  sn  b  s  tan  zen  einer 
anderen  Tierart  subkutan,  eventuell  intraperitoiieal  oder  intra¬ 
venös  —  nur  nicht  auf  dem  Wege  des  Darmapparates,  sondern 
„parenteral“  —  einverleibt,  so  löst  die  Einführung  dieses  körper¬ 
fremden  Eiweißes  in  dem  vorbehandelten  Organismus  eine  Reak¬ 
tion  aus,  die  sich  in  der  Bildung  eines  neuen  Stoffes  im  Blutserum 
äußert,  der  beim  Zumischen  zur  ursprünglichen  Eiweißlösung 
eine  Ausfällung  in  derselben  veranlaßt.  Diesen  Stoff  nennt  man 
cm  Präzipitin  oder  Koagulin.  Da  diese  Stoffe  in  der  vorher 
angedeuteten  Richtung  streng  spezifisch  sind,  so  wurde  ihr  Auf¬ 
treten  von  Uhlenhuth  zur  Feststellung  der  Provenienz  von 
Blutflecken  verwertet.  Da  meist  die  Frage  zu  entscheiden  ist, 
ob  ein  irgendwo  angetrockneter  Blutfleck  von  Menschenblut  her¬ 
rührt  oder  nicht,  ist  es  nötig,  ein  Kaninchen  mit  menschlichem 
Blutserum  zu  immunisieren.  Der  fragliche  Blutfleck  wird  in  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung  aufgeweicht,  zur  filtrierten  Flüssig¬ 
keit  wird  etwas  von  dem  Serum  des  vorbehandelten  Kaninchens 
zugesetzt.  Entsteht  nach  halbstündigem  Aufenthalte  der  anee- 
setzten  Prol)e  im  Brutschränke  ein  Niederschlag,  so  handelt  es  sich 
um  menschliches  Blut.  Die  Methode  hat  sich  in  der  gerichtsärzt¬ 
lichen  Praxis  schon  wiederholt  bewährt.  Ausdrücklich  bemerken 
muß  ich,  daß  solches  präzipitinhaltiges  Serum  aber  nicht  allein 
mit  dem  betreffenden  Blutserum  Niederschläge  gibt,  sondern  auch 
mit  allen  anderen  eiweißhaltigen  Flüssigkeiten  der  zur  Vorbe¬ 
handlung  verwendeten  Tierart,  so  mit  Sperma,  mit  Milch,  mit 
Auszügen  der  verschiedenen  Organe  usw.  Die  Methode  ist  daher 
eigentlich  eine  biologische  Eiweißdifferenzierungsmethode.  Ob  es 
sich  in  einem  bestimmten  Falle  überhaupt  um  Blut  handelt,  muß 
daher  bereits  vor  Anstellung  der  Präzipitinreaktion  auf  irgendeine 
Art  festgeslellt  worden  sein.  Das  Alter  des  Blutfleckes  hat  jedoch 
gar  keinen  Einfluß  auf  die  Verwertbarkeit  der  Reaktion;  auch  an 
jahrelang  getrockneten  Organen  ließ,  sich  ihre  Flerkunft  mit  hülfe 
spezifischer,  präzipitierender  Seren  bestimmen.  J.  Meyer  erhielt 
eine  Präzipitinreaktion  sogar  mit  dem  wässerigen  Extrakt  von 
^Muskeln  ägyptischer  Mumien !  In  ähnlicher  Weise  wie  bei  den 
Agglutininen  die  Spezifität  einigen  Abbruch  dadurch  zu  erleiden 
scheint,  daß  auch  verwandte  Bakterienarten  agglutiniert  werden, 
ebenso  ist  die  bei  den  Präzipitinen  vorhandene,  auf  die  Tierart 
gerichtete  Spezifität  in  der  Weise  eingeschränkt,  daß  ein  präzi- 
pitierendes  Serum  nicht  nur  mit  Eiweißilösungen  der  zur  Vor¬ 
behandlung  verwendeten  Tierart,  sondern  auch  mit  solchen  von 
verwandten  Tierarten  Niederschläge  ergibt;  doch  tritt  die  Reaktion 
in  der  direkt  zugehörigen  Eiweißilösung  stets  viel  intensiver  und 
rascher  ein  als  in  der  des  verwandten  Tieres.  Besonders  inter¬ 
essant  ist  in  dieser  Beziehung  die  gemeinschaftliche  Reaktion 
von  Menschen-  und  Affenserum,  die  Wassermann  zum  ersten 
Male  nachgewiesen  hat. 

Ich  habe  versucht,  in  knappen  Umrissen  einiges  aus  der 
Innnunitätslehre  darzustellen.  Manches  dürften  Sie,  meine  Herren, 
dabei  vermißt  haben,  z.  B.  die  bereits  von  verschiedenen  Gesichts¬ 
punkten  aus  versuchte  Immunisierung  gegen  Tuberkulose, 
ferner  die  gewiß  wichtige  Lehre  Metschnikoffsi  von  der  bak¬ 
terienfressenden  Tätigkeit  der  weißen  Blutzellen,  der  sogenannten 
Phagozytose,  welcher  gerade  in  neuerer  Zeit  von  deutschen 
Immunitätsforschern  wieder  mehr  Beachtung  geschenkt  wird;  be¬ 
zieht  sich  doch  eine  ganze  Reihe  von  noch  mehr  oder  weniger 
hypothetischen  Stoffen,  die  in  bakteriziden  Seren  angenommen 
wurde,  wie  die  Aggressine,  Stimuline,  Opsonine,  die  bakteriotropen 
Substanzen  etc.  auf  die  Beeinflussung  des  Vorgangs  der  Phago¬ 
zytose!  Der  Zweck  meiner  kurzen  Ausführungen  konnte  es  gar 
nicht  sein,  auf  Details  oder  gar  auf  theoretische  Streitfragen  ein¬ 
zugehen;  ich  bezweckte  vielmehr  neben  einer  Darstellung  der 
zurzeit  geübten  rmmunisiemngsmethoden  und  in  möglichstem 
Zusammenhänge  damit.  Ihnen  klarzulegen,  wieso  durch  das 
Studium  der  Immuni  tä  ts  v  e  rhäl  tni  s  s  e  eine  Reihe  von 
interessanten  und  wichtigen  allgemein  biologischen 
Erscheinungen  bekannt  geworden  ist,  die  berufen 
erscheinen,  bei  ibreni  weiteren  Ausbau  unsere  Vor¬ 
stellungen  über  viele  physiologische  und  pathologi¬ 
sche  Vorgänge  im  Organismus  weitgehend  zu  b e e i n- 
flnssen.  Die  Lehre  vmn  den  verschiedenen  Antikörpern,  die 
ZcM'gliederung  der  Wirkung  der  verschiedenen  spezifischen  Immun¬ 
seren,  ist  ein  Gebiet,  das  immer  mehr  und  mehr  das  Interesse' 
zahlreicher  Forscher  erweckt.  Es  ist  nicht  zu  vemundern,  daß 
uns  die  bezügliche  Literatur  fortwährend  von  neuen,  mehr  minder 
feinsinnig  angelegten  Versuchen  berichte^  welche  alle  der  Lösung 
der  verschiedenen  Probleme  gelten,  die  sich  auf  dem  weiten  Felde 
der  Immunitätsforschung  in  so  überaus  reicher  Fülle  darbieten. 


l^eferate. 


Die  experimentelle  Bakteriologie  und  die  Infektions¬ 
krankheiten  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 

Immunit  ätsl  ehr  e . 

Ein  Lehrbuch  für  Studierende,  Aerzte  und  Medizinalbeamten. 

Von  Dr.  W.  Kolle,  o.  ö.  Professor  der  Hygiene  und  Direktor  des 
hygienisch-bakteriologischen  Institutes  au  der  Universität  Bern  und 
Dr.  H.  Hetscli,  Stabsarzt  und  Vorstand  der  bakteriologischen  Unter¬ 
suchungsstation  des  XVI.  Armeekorps  in  Metz. 

Mit  3  Tafeln  und  125  größtenteils  mehrfarbigen  Abbildungen. 
Berlin  und  Wien  1906,  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg, 

Wenn  auch  Kolle  und  Wassermann  in  ihrem  Handbuche 
der  patliogenen  Mikroorganismen  ein  vollständiges  und  ausführ¬ 
liches  Werk  geschaffen  haben,  in  welchem  der  Fachmann  das 
gesamte  Forschungsmaterial  auf  dem  Gebiete  der  Infektionskrank- 
lieiten  einschließlich  der  Bakteriologie  und  der  damit  in  engem 
Zusammenhänge  stehenden  Immunitätslehre  in  sorgfältigster  Weise 
zusammengestellt  findet,  so  fehlte  doch  noch  ein  kurz  gefaßtes, 
dem  jetzigen  Stande  des  Wissens  Rechnung  tragendes  Lehrbuch, 
dessen  Zweck  es  ist.  Studierende  in  diesen  neuen  Wissenszweig 
einzuführen,  sie  mit  den  wichtigsten,  grundlegenden  Tatsachen 
vertraut  zu  machen  und  dem  praktischen  Arzte  ein  für  seine 
Zwecke  notwendiges,  abgeschlossenes,  übersichtliches  Bild  der 
fachmännischen  Forschung  in  dieser  Disziplin  zu  geben.  Uni 
diesem  dringenden  Bedürfnisse  Abhilfe  zu  schaffen,  hat  Kolle 
gemeinsam  mit  Fletsch  das  vorliegende  Lehrbuch  verfaßt,  welches 
in  seiner  Anlage  und  Darstellung  die  bestehende  Lücke  voll  aus¬ 
zufüllen  geeignet  erscheint.  Es  werden  darin  die  Infektionskrank¬ 
heiten  nicht  ausschließlich  vom  Standpunkte  des  Bakteriologen 
betrachtet,  sondern  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Lehren  der 
experimentellen  Bakteriologie,  welche  so  wesentlich  unsere  Kennt¬ 
nisse  über  Epidemiologie,  Prophylaxe  und  Therapie  dieser 
Krankheiten  gefördert  haben,  dargestellt,  ohne  jedoch  dabei  jene 
Momente  zu  vernachlässigen,  welche  namentlich  für  den  Kliniker 
bei  der  Feststellung  der  Diagnose  in  Betracht  kommen.  Eine 
eingehende  Besprechung  erfahren  daher  aus  der  Immunitätslehre 
jene  Kapitel,  welche  von  praktischer  Bedeutung  sind:  die  Sero¬ 
diagnostik,  die  Serotherapie  und  die  Schutzimpfung.  Natürlich 
erschien  es  auch  hier  notwendig,  auf  gewisse  rein  theoretische 
Fragen  näher  einzugehen,  da  nur  durch  ihre  Lösung  das  Ver¬ 
ständnis  der  Verhältnisse,  wie  sie  sich  im  Verlaufe  der  einzelnen 
Infektionskrankheiten  bieten,  möglich  war.  Indem  auch  hierin 
die  beiden  Autoren  die  richtige  Auswahl  treffen,  liegt  der  große 
Wert  des  vorliegenden  Lehrbuches,  in  welches  nur  Tatsachen 
aufgenommen  sind,  die  feststehen  und  anerkannt  sind,  während 
noch  ungeklärte  Fragen  nicht  berührt  werden.  Es  wurden  daher 
auch  jene  Theorien,  welche  heuristisch  von  Bedeutung  sind,  in 
das  Bereich  der  Ausführungen  auf  genommen,  um  so  dem  Leser 
an  der  Hand  der  Lehren  Ehrlichs,  M  e  t  s  c  h  n  i  k  o  f  f  s,  Pfeiffers 
und  Buchners  die  komplizierten  Immunitätsprobleme  klarzu¬ 
legen.  Da  (das  Lehrbuch  von  Kolle  und  Hetsch  für  Studierende 
der  Medizin,  Aerzte  und  Medizinalbeamte  gedacht  ist,  so  erschien 
es  auch  nur  insoweit  notwendig,  auf  die  Infektionskrankheiten 
der  Tiere  einzugehen,  als  diese  ein  allgemeines  Interesse  haben 
oder  in  engeren  Beziehungen  zu  den  Lehren  der  Immunität  stehen. 

'  Das  in  Form  von  Vorlesungen  verfaßte  Buch  zerfällt  in 
drei  Abschnitte.  Der  erste  macht  uns  vertraut  mit  der  allgemeinen 
Morphologie  und  Biologie  der  Bakterien,  entwickelt  dann  das 
Wesen  der  Infektion,  die  Gesetze  und  Theorien  der  Immunität 
und  die  serodiagnostischen  Methoden.  Im  zweiten  Teile  werden 
die  einzelnen  menschlichen  Infektionskrankheiten  der  Reihe  nach 
durchgenommen,  zunächst  jene,  welche  durch  Bakterien  verur¬ 
sacht  werden,  dann  die  durch  Protozoen,  durch  Schimmel-  und 
Sproßpilze  hervorgerufenen.  Wo  es  nötig  ist,  wird  noch  speziell 
auf  jene  schon  im  ersten  Teile  allgemein  dargestellten  Verhält¬ 
nisse  zurückgegriffen  und  näher  eingegangen.  Den  Schluß  bildet 
ein  als  Anhang  beigefügter  dritter  Abschnitt,  in  welchem  kurz 
die  Methoden  der  Bakterienzüchtung  und  ihrer  Färbung,  sowie 
die  Technik  der  Fixieiung  und  Einbettung  zwecks  histologischer 
Untersuchung  dargestellt  ist. 

Alle  diese  in  ihrer  klaren,  Uebersichtlichkeit  gleich  voll¬ 
kommenen  Ausfühlungen  der  beiden  verdienten  Autoren  werden 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


iiocli  durch  eine  Anzahl  zumeist  farbiger  Abbildungen,  deren 
Auswahl  für  das  zielbewußte  Vorgeben  schon  allein  spricld,  er¬ 
gänzt,  so  daß  das  vorliegende  Werk  in  jeder  Hinsicht  seinem 
Zwecke,  als  Lehrbuch  der  experimentellen  Pathologie  und  der 
Infektionskrankheiten  zu  dienen,  vollauf  entspricht.  Es  wird  ge¬ 
wiß  auch  nicht  verfehlen,  alsbald  in  den  weitesten  medizinischen 

Kl  ■eisen  jene  Würdigung  zu  finden,  die  es  verdient. 

* 

Arbeiten  aus  dem  Pathologischen  Institute  zu  Berlin, 

Zur  Feier  der  Vollendung  der  Institutsneubauten. 

Herausgegeben  von  Joliauues  Ortli,  Direktor  des  Institutes. 

Mit  7  Tafeln  und  91  Abbildungen  im  Text. 

R  e  r  1  i  n  1906,  Verlag  von  August  Hirschwald. 

Ein  stattlicher  Band,  in  welchem  Orth  gemeinsam  mit 
seinen  Schülern  eine  Reihe  von  Arbeiten  niedergelegt  hat,  ist 
bestimmt,  eine  dauernde  Erinnerung  an  die  Eröffnung  des  neuen 
Heimes  der  pathologischen  Anatomie  an  der  Universität  Berlin 
zu  bilden.  Virchow,  unter  dessen  Leitung  die  Pläne  entslauden 
waren  und  der  den  Grundstein  zu  diesem  Gebäude  gelegt  hat,  war 
es  nicht  mehr  gegönnt,  das  begonnene  Werk  vollendet  zu  sehen. 
So  fiel  Orth  die  Aufgabe  zu,  die  Arbeit  zu  krönen  und  den 
Forschungen  in  der  Pathologie  ein  allen  modernen  Anforderungen 
entsprechendes  Mnsterinstitut  zu  schaffen,  durch  welches  dem 
verewigten  Äteistei'  ein  würdiges  Denkmal  gesetzt  wird.  Aus  dem 
seiner  F oder  entstammenden  Aufsatze :  ,,D  a  s  pathologische' 
Institut  in  Berlin“  erfahren  wir,  daß  in  dem  neuen  Anatomie- 
gebäude  vier  xVbteilungen  und  ein  Museum  untergebracht  sind, 
die  einzeln  mit  größter  Sorgfalt  ausgestattet  wurden  und  dadurch 
dem  Zwecke  ernster  wissenschaftlicher  Forschung  und  gründ¬ 
lichen  Unterrichtes  in  gleich  vollkommener  Weise  gerecht  zu 
werden  vermögen.  i\.n  der  Hand  der  reichlich  beigegebenen  Ab¬ 
bildungen  und  Pläne  durchwandern  wir  mit  Orth  die  anato¬ 
mische  und  histologische,  ferner  die  bakteriologische  Abteilung, 
dann  zeigt  uns  Bickel  ,,die  innere  Einrichtung  der  ex¬ 
perimentell-biologischen  Abteilung“  und  schließlich  er¬ 
klärt  Salkowski  ,,die  innere  Einrichtung  der  chemi¬ 
schen  Abteilung“.  Von  der  allgemeinen  Anlage  an  bis  in  die 
Ausstattung  der  kleinsten  Räume  herrscht  größte  Zweckmäßigkeit, 
die  nicht  zum  geringen  Teile  der  reichen  Erfahrung  Orths  zu 
verdanken  ist.  Den  zur  Demonstration  bestimmten  eigens  konstru¬ 
ierten  Apparat  beschreibt  K  a  is  e  r  1  i  n  g :  ,,U  e  be  r  die  Schwie¬ 
rigkeiten  des  demonstrativen  Unterrichtes  und 
seine  Hilfsmittel,  insonderheit  über  einen  neuen 
Universalprojektionsapparat.“  Derselbe  ist  nach  seinen 
Angaben  auf  Grund  eingehender  Studien  ausgeführt  und  üher- 
trifft  in  der  dermaligen  Ausgestaltung,  welche  zur  epidiaskopischen 
und  mikroskopischen  Projektion  dient,  alle  ähnlichen  Apparate. 

Die  Publikationen  aus  der  anatomischen  und  histologischen 
Abteilung  werden  durch  einen  ,,Beitrag  zur  Pathologie  der 
Speicheldrüsen“,  von  Davidsohn  eingeleitet,  der  in  12°/0 
der  Fälle  von  Amyloidose  Amyloid  in  der  Glandula  submaxillaris 
nachweisen  konnte.  Es  waren  dies  Fälle  von  Tuberkulose,  Lues, 
Nephritis  und  Karzinom.  Rimann  (,,Pathologisch-anato- 
mische  und  ätiologische  Beiträge  zur  Arthritis  de¬ 
formans“)  untersuchte  200  Kniegelenke,  von  denen  sich  134 
verändert  erwiesen,  davon  50  im  Sinne  der  Hypertrophie,  84  im 
Sinne  der  Atrophie.  Für  diese  beiden  Formen  niimmt  der  Autor 
eine  gemeinsame  Aetiologie  an,  die  in  einer  chronischen  mit 
Kachexie  veihundenen  Allgemeinerkrankung  zu  suchen  ist. 
Während  für  die  im  vorgeschrittenen  Alter  beobachtete  hyper¬ 
trophische  Form  Arteriosklerose  ätiologisch  in  Betracht  zu  ziehen 
ist,  findet  man  die  atrophische  im  jugendlichen  Alter  vej'gesell- 
schaftet  mit  Tuberkulose.  Speroni  (,,Ueher  das  Exsudat 
bei  Meningitis“)  untersuchte  in  Ausstrich-  und  Schnittpräpa¬ 
raten  das  Exsudat  bei  Meningitiden,  verursacht  durch  verschie¬ 
dene  Erreger:  Meningokokkus,  Tuberkelbazillus,  Pneumo-  und 
Streptokokkus.  Das  Exsudat  der  akuten  epidemischen  Meningitis 
zeichnet  sich  durch  den  reichen  Gehall  an  neutrophilen  Leuko¬ 
zyten  in  (len  verschiedensten  Stadien  von  Degeneralion  ans,  sie 
fehlen  bei  chronischem  Verlaufe,  doch  ist  das  Exsudat  immer 
seroalbuminös,  zum  Unterschiede  des  fibrinreichen  bei  Menin¬ 
gitiden,  deren  Erreger  Pneumo-  und  Streptokokken  sind.  Bei 
der  Tuberkulose  der  Meningen  erscheinen  Tuberkelknötchen  in 


der  \yand  der  Venen  und  das  Exsudat  charakterisiert  sich  durch 
Vorwiegen  mononukleärer  Zellen.  „Path  olo  gisch -anato¬ 
mische  und  experimentelle  Beiträge  zur  Pathogenese 

der  Erkrankungen  des  männlichen  Urogenital- 
Iraktes“  liefert  Kulm,  indem  er  zeigt,  daß  Bakterien 
und  Farbstoffpartikel  auf  direktem  Wege  durch  peristal  tische  Be¬ 
wegungen  des  Vas  deferens  aus  der  Urethra  in  den  Hoden  ge¬ 
langen  können.  Diese  Experimente  erklären  die  Beobachtung, 
daß  sich  in  der  Prostata  nicht  selten  die  schwersten  tuberkulösen 
Veränderungen  finden.  „Zur  Frage  der  kongenitalen 
Nierentumoren“  veröffentlicht  Rosen  hach  zwei  Fälle  der¬ 
artiger  Geschwülste,  die  infolge  der  vorhandenen  xVnlage  aller 
drei  Keimblätter  als  teratoide  anzusprechen  sifid.  An  einem 
,,L  y  m  p  h  a  n  g  i  o  m  a  c  a  v  e  r  n  o  s  u  m  c  o  n  g  e  n  i  t  u  m“  zeigt  R  h  e  i  n- 
dorf,  daß  für  die  Diagnose  einer  solchen  Geschwulst  nicht  der 
Nachweis  von  sprossenden  Lymiihgefäßen  unbedingt  nötig  ist, 
daß  es  vielmehr  genügt,  Zellwucherungen  an  der  I^eripherie  der 
Gefäße  festzustellen,  aus  denen  sich  durch  Dehnung  von  Spalten 
und  Lücken  durch  die  transudierte  Lymphe  Zysten  entwickeln. 
Perrone:  ,,Entwic klung  eines  primären  Kankroides 
V  o  n  d  e  r  W  and  einer  tuberkulösen  K  a  v  e  r  n  e.“  Der  Platten¬ 
epithelkrebs  breitete  sich  nur  wenig  auf  die  übrigen  Teile  der 
Lunge  aus,  setzte  nur  hier  vereinzelte  kleine  IMetastasen,  obwohl 
die  Geschwulst  selbst  eine  ganz  bedeutende  Größe  erreichte  und 
auf  Wirbel,  Rippen,  Gefäße  und  Nervensystem  Übergriff.  Nast- 
Kolbs:  ,,Spongiö.ser  Knochen  in  einer  Tracheotomie¬ 
narbe“,  fand  sich  im  Zentrum  der  Durchtrennung  des  Knorpels, 
welcher  nur  an  seiner  Peripherie  vom  Perichondrium  her  knorpelig 
verwachsen  war.  v.  M  öller  berichtet  ,,Ueber  einen  Fall  von 
Aneurysma  dissecans“  der  Bauchaorta,  Iliaca  communis  und 
des  Anfangteiles  der  Iliaca  externa  und  hypogastrica  sinistra. 
Del'  Fall  zeigte  die  Nebenbefunde  von  Arteriosklerose :  Aorten- 
stenose  und  Herzhypertrophie.  Ein  Fall  von  ,, Aneurysma 
dissecans  der  Aorta  mit  Intimaneubildung“  wird  von 
Geisler  publiziert  und  erscheint  dadurch  ipteressant,  daß  die 
sklerotische  Inlimawucherung  sich  auf  die  Stelle  des  Aneurysmas 
beschränkte.  Eine  vollständige  Literaturübersicht  nebst  eigenen 
Versuchen  und  Untersuchungen  bringt  M.  Koch  in  seiner  iVrbeit: 
,,Zur  Kenntnis  des  Parasitismus  der- Pe  ntas  tomen“. 
Aus  derselben  geht  hervor,  daß  die  emhryonenhaltigen  Eier  dieser 
Tiere  sich  in  Pflanzenfressern  entwickeln,  während  die  Laiwen 
frei  oder  enzystiert  in  den  Magen  des  Hundes  gelangen,  von  wo 
sie  mittels  ihrer  Haken  und  ihres  Stachelkleides  nach  Mund-  und 
Nasenhöhle  emporsteigen.  Hier  lebt  das  geschlechtsreife  Tier  von 
Liiiguatula  rhinaria,  sowohl  bei  Hund,  Fuchs  und  Wolf,  als  auch 
seltener  bei  Pferd,  Ziege  und  Schaf.  Beim  Vlenschen  kommen  die 
Larven  nicht  so  selten  vor,  in  Berlin  in  11-75“, »,  die  geschlechts¬ 
reife  Form  wurde  hingegen  bisher  nur  einmal  beobachtet. 

Die  nächste  Gruppe  von  Arbeiten  entstammt  der  bakterio¬ 
logischen  Abteilung.  Zunächst  untersuchten  Beitzke  und 
Rosenthal:  ,,Zur  Unterscheidung  der  Streptokokken 
mittels  Blutnährböden“  30  Streptokokkenstämme  auf  Blut¬ 
agar,  welche  jedoch  zur  Differenzierung  von  Streptokokkenarien 
nicht  geeignet  erscheint.  ,, Untersuchungen  über  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  der  Tuberkulose  des  Menschen 
un  d  der  Tie  re“  veröffentlicht  R  abi  n  o  wits  c  h ;  nach  denselben 
ist  es  der  Verfasserin  gelungen,  aus  'inenischlichem  tuberkulösen 
Matei'ial  Kulturen  zu  gewinnen,  die  nach  ihrem  Verhalten  auf  künst¬ 
lichen  Nährböden,  sowie  auch  biologisch  vollständig  dem  Erreger 
der  Rindertuberkulose  entsprechen.  ,, Weitere  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Schlangengifte  und  ihrer  Antitoxine“ 
liefert  Morgenrot  und  zeigt,  daß  das  Lezithin  auch  mit  der 
Verbindung  Kobrahämolysin- Antitoxin  sich  kombiniert,  daß  also 
die  Verbindung  Toxin-Antitoxin  ihre  Irreversibilität  bewahrt,  selbst 
wenn  durch  das  Eingreifen  des.  Lezithins  im  das  Hämolysin  eine 
Veiringerung  der  Avidität  des  Hämolysins  zum  Antitoxin  hervor¬ 
gerufen  ist.  Während  das  Neurotoxin  gewisse  Analogien 
in  seinem  Verhalten  mit  dem  Hämotysin  des  Kobragiftes  zeigt, 
so  wird  es  doch  durch  Lezithin  in  seiner  Wirkung  weder  verstärkt, 
noch  gelingt  es,  das  Gift  auf  diese  Weise  thermostabiler  zu  machen. 

Nun  folgt  eine  Reihe  von  Arbeiten  aus  der  oxperimentell- 
hiologischen  Abteilung;  es  berichtet  zunächst  Bickel  über  „Ex¬ 
perimentelle  und  klinische  Untersuchungen  z  u  r  n  o  r- 


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malen  und  pathologischen  Physiologie  der  Saftbil- 
flung  im  Magen  und  zur  Therapie  seiner  Sekretions- 
Störungen“.  In  der  Einleitung  gibt  Verf.  eine  Uebersicht  der 
einschlägigen  Lileratiir  und  geht  dann  zur  Schilderung  seiner 
eigenen  experimentellen  Untersuchungen  über,  die  er  an  Hunden 
und  Ziegen  mit  dem  P  a  w  1  o  w  sehen  Scheinfütterungsversuch  und 
mit  Pawlowschen  kleinen  Magen  vornahm.  Hinsichtlich  der 
Ergebnisse  )nuß  auf  das  Original  verwiesen  werden,  da  sie  eine 
kurze  Zusammenfassung,  wie  sie  für  ein  Referat  geeignet  erschiene, 
nicht  gestatten.  Eine  Metliode  Radiumemanation  zu  gewinnen 
und  annähernd  zu  dosieren,  beschreibt  Berg  eil  in  seiner  Publi¬ 
kation;  „Ueber  die  Gewinnung  der  Radiumemana¬ 
tionen  in  dosierbarer  Form“.  Sie  besteht  darin,  daß  pul¬ 
verisierte  Uranerze  mit  wenig  Wasser  erhitzt  werden  und  unter 
Anwendung  fraktionierter  Kühlung  die  Emanation  mit  flüssiger 
Luft  kondensiert  wird.  Die  Priifung  der  Emanationen  erfolgt  dann 
auf  elektroskopischem  Wege.  Als  zufälligen  Befund  sah  David¬ 
sohn:  ,,K a  1  k a  1)  1  a g e r u n g  m i t  F r a g m e n t a t i o n  der  elasti¬ 
schen  Fasern  beim  Hunde“.  Diese  Kalkmetastasen  fanden 
sich  in  den  Lungen  und  da  der  Hund  reichlich  mit  Salzsäure 
gefüttert  worden  war,  lag  die  Annahme  nahe,  daß  hierin  die 
Ursache  dieses  eigentümlichen  Befundes  gelegen  wäre.  Aehnlich 
Irehandelte  Hunde  zeigten  jedodi  niemals  diese  Veränderungen. 
„Experimentelle  und  klinische  Studien  über  fermen¬ 
tative  F e  1 1 s p a  1 1 u n g  im  Magen“  unternahm  Heinsheiraer 
nach  der  Methode  von  Volhard  und  konnte  feststellen,  daß  die 
Fundusdrüsen  beim  Menschen,  beim  Hunde,  beim  Schweine  und 
beim  Kaninchen  ein  fettspaltendes  Ferment  liefern,  durch  welches 
emulgierte  Neutralfette  im  Magen  gespalten  werden.  ,,Ueber 
den  Einfluß  des  Alkohols  auf  die  Magensekretion“ 
arbeitete  Käst  und  fand,  daß  dieses  Genußmittel  sekretions¬ 
erregend  auf  die  Magenschleimhaut  einwirke.  ,,Zur  Frage  der 
Veränderung  hämolytischer  Eigenschaften  im  Blut¬ 
serum  Urämischer“  liefert  Laqueur  einen  Beitrag,  indem 
er  bei  experimenteller  Urämie  am  Hunde  weder  eine  Abnahme  der 
hämolytischen  Kraft  des  unveränderten  Blutserums,  Jioch  eine 
antihämolytische  Wirkung  des  inaktivierten  Serums  beobachten 
konnte.  Aus  der  Arbeit  von  H.  Meier;  „Zur  Kenntnis  des 
Blutdruckes  hei  der  Strychnin-  und  Ku  rar  in  Vergif¬ 
tung“  geht  hervor,  daß  diese  Substanzen  eine  anfängliche  Blut¬ 
druckerhöhung,  die  namentlich  beim  Strychnin  bedeutend  ist, 
verursachen,  worauf  erst  gegen  Ende  der  Vergiftung  die  Blut¬ 
drucksenkung  eintritt.  Ueber  ,,Die  Einwirkung  der  Koh¬ 
lensäure  auf  die  Magensekretion“  berichtet  Pincus- 
sohn  und  zeigt,  daß  hiebei  nicht  nur  ein  Anwachsen  der  Menge, 
sondern  auch  der  Azidität  des  Magensaftes  stattfindet.  Aus  der 
experimentell-biologischen  und  der  bakteriologischen  Abteilung  ge¬ 
meinsam  stammt  die  Publikation  von  Rheinboldt:  „Zur  bak¬ 
teriziden  Wirkung  der  Mineralquellen“,  in  der  gezeigt 
wil'd,  daß  die  natürliche  Emanation  eine  gewisse  hemmende  Wir¬ 
kung  auf  die  Entwicklung  der  Mikroorganismen  auszuüben  ver¬ 
mag,  womit  ja  auch  in  Einklang  stünde,  daß  frische  Wasser  stärker 
bakterizid  wirken  als  Wasser,  welche  schon  lange  der  Quelle 
entnommen  sind.  Schließlich  veröffentlicht  Wohlgemuth  „Ex¬ 
perimentelle  Untersuebun gen  über  den  Einfluß  des 
Kochsalzes  auf  den  Chlorgehalt  des  Magensaftes“, 
in  denen  er  für  die  Grub  er  sehe  Sekretionstheorie  eintritt. 

Die  Arbeiten  aus  der  chemischen  Abteilung  leitet  Sal- 
kowski  ein.  Unter  dem  Titel  „Pathologisch-chemische 
Mitteilungen“  zeigt  er  die  Darstellung  von  Cholesterinpalmitin¬ 
säureester  aus  Hautschuppen  von  Dermatitis  exfoliativa.  Beim 
Vergleich  dieser  chemisch  rein  gewonnenen  Substanz  mit  Cho¬ 
lesterin  ergeben  sich  in  verschiedenen  Proben  ganz  ekla¬ 
tante  Differenzen.  Ferner  arbeitete  der  Autor  die  Methode  des 
Nachweises  und  der  Bestimmung  von  Harnstoff  in  Körperflüssig¬ 
keiten  und  Organen  weiter  aus,  desgleichen  die  des  Nachweises 
von  Uro-  und  Bilirubin  bei  ihrem  Vorkommen  nebeneinander  im 
Dünndarm  und  endlich  teilt  er  eine  sehr  wertvolle  Modifikation 
der  Phenylhydrazinprobe  mit,  nach  welcher  auch  der  Nachweis 
kleinster  Zuckermengen  im  Harne  gelingt  „Chemisches  zur 
Karzinomfrage“  bringt  Neuherg,  der  bei  Karzinomen  ab- 
noi-malen,  ferjnentaüven  Prozessen  eine  gewisse  Bedeutung  für 
die  Pathogenese  dieser  Tumoren  zuschreiht.  Auch  gelang  es  ihm. 


aus  Krebsgeschwülsten  ein  Nukleoproteid  darzustellen,  über  dessen 
Gewinnung  er  berichtet.  Schließlich  studierte  Verf.  noch  die  Wir¬ 
kung  von  Röntgen-  und  Radiumstrahlen  auf  das  Krebsgewebe,  die 
er  hei  ersterer  Stralilenart  weniger  intensiv  fand.  Eine  verglei¬ 
chende  Untersuchung  über  die  Leistungsfähigkeit  verschiedener 
Methoden  stellt  Manasse  in  seiner  Arbeit:  ,,Ueber  die  quan¬ 
titative  Bestimmung  des  Zuckers  im  Harne“  zusammen 
und  findet  die  Patein-  und  Dufausche  Methode,  sowie  die 
Modifikation  nach  Lava  Ile  der  Knapp  sehen  wesentlich  über¬ 
legen.  Nach  seinen  Untersuchungen  „Ueber  die  chemischen 
Veränderungen  bei  der  fettigen  Degeneration  des 
Herzmuskels“  hält  Alexander  die  Entstehung  von  Fett  aus 
Eiweiß  für  möglich.  ,,Chemische  Untersuchungen  über 
menschliches  Knochenmark  bei  verschiedenen  pa¬ 
thologischen  Affektionen“  führten  Wohlgemuth  dazu, 
den  Nachweis  von  Albumosen  und  eines  Nukleoproteids  mit  be¬ 
trächtlichem  Phosphorgehalt  im  Knochenmark  zu  erbringen.  Eine 
Methode,  die  Cholsäure  von  der  Taurocholsäure  und  dem  größten 
Teile  der  Glykocholsäure  in  den  Fäzes  zu  trennen,  gibt  Ury 
in  seiner  Arbeit:  „Ueber  das  Vorkommen  von  Gallen¬ 
säuren  in  den  Fäzes  in  der  Norm  und  unter  patho¬ 
logischen  Verhältnissen“.  Auch  mit  ihr  gelingt  es  nicht, 
in  normalen  Stühlen  mehr  als  minimale  Spuren  von  Cholsäure 
aufzufinden.  „Ueber  den  Nachweis  des  Pepsins“  teilt 
Jacoby  höchst  interessante  Experimente  mit,  die  zeigen,  daß 
im  Rizin  ein  Reagens  voriiegt,  mit  welchem  man  imstande  ist, 
noch  0-000001  g  Pepsin  nachzuweisen. 

Es  geht  nicht  an,  die  kurze  Besprechung  dieses  Werkes, 
welches  eine  Sammlung  sehr  wertvoller  Beiträge  auf  den  ver- 
scliiedenen  Zweigen  theoretischen  Wissens  aus  der  Feder  aus¬ 
gezeichneter  Arbeiter  darstellt,  zu  schließen,  ohne  die  vorzüglich 
ausgeführten  farbigen  Tafeln  zu  erwähnen,  welche  sowohl  makro-, 
als  auch  mikroskopische  Befunde  in  ganz  tadelloser  Weise  wieder¬ 
geben.  ,  Und  wenn  wir  aus  der  einleitenden  Beschreibung  des 
Instituts  eine  genaue  Vorstellung  seiner  Anlage  und  seiner  Räume 
erhalten,  so  gewährt  uns  der  zweite  Teil  dieses  Buches,  in  wel¬ 
chem  alle  Institute  sich  mit  ihren  Kräften  beteiligt  haben,  um 
die  Eröffnung  des  neuen  Gebäudes  durch  Beiträge  des  Geistes 
und  ernstlicher,  wissenschaftlicher  Forschung  festlich  zu  gestalten, 
einen  Einblick  in  die  rege  Tätigkeit  wissenschaftlichen  Lebens, 
welches  die  neue  Stätte  zU  beherbergen  bestimmt  ist. 

* 

Die  heutige  Lehre  von  den  pathologischen  und  anatomi¬ 
schen  Grundlagen  der  Herzschwäche. 

Kritische  Bemerkungen  aut  Grund  eigener  Untersuchungen. 

Von  L.  AsclioflP,  Professor  in  Marburg  i.  H.  und  S.  Tawara,  Arzt  in 

Japan. 

Jena  1906,  Verlag^  von  Gustav  Fischer. 

Gerade  in  den  letzten  Jahren  hat  die  Lehre  der  Erkrankungen 
des  Herzmuskels  durch  die  Arbeiten  von  Krehl  Lind  Romberg, 
welche  entzündlichen  Veränderungen  hiebei  eine  wesentliche  Rolle 
zuschreiben,  eine  ganz  bestimmte  Richtung  erfahren,  welche 
Ehrenfried  Albrecht  zur  Grundlage  seiner  Untersuchungen 
diente,  um  die  These  aufzustellen,  daß  die  Erlahmung  des  Herz¬ 
muskels  in  bestimmten  lokalisierten  Entzündungsherden  auch  für 
die  Fälle  von  Vitium  cordis  ihre  Erklärung  finde.  Wohl  blieb 
er,  wie  Aschoff  und  Tawara  in  der  vorliegenden  Monographie 
überzeugend  darzutun  vermögen,  für  eine  ganze  Reihe  seiner 
Behauptungen  den  Beweis  schuldig,  zumal  die  gründlichen  Unter¬ 
suchungen  Ta  war  as  über  das  Reizleitungssystem  des  Herzens 
eine  Deutung,  wie  sie  Albrecht  seinen  Befunden  gibt,  nicht 
zulassen.  Es  kommt  aber  noch  hinzu,  daß  Albrecht  durch 
Außerachtlassung  wichtiger  Forschungsergebnisse  über  die  nor¬ 
male  histologische  Struktur  des  Herzmuskels,  wie  sie  von  v.  E  bne  r 
und  Heidenhain  in  der  Literatur  niedergelegt  worden  sind, 
eine  Unterlassung  begangen  hat,  durch  welche  allein  schon  seine 
Befunde  und  die  daran  geknüpften  Schlüsse  dem  Stande  unserer 
Kenntnisse  nicht  entsprechen  und  daher  auch  in  ihrem  Werte 
und  ihrer  Bedeutung  eine  wesentliche  Einbuße  erleiden  müssen. 
Denn  eine  wirkliche  zeitige  Zusammensetzung  des  Herzmuskels 
ist  weder  beim  Menschen,  noch  bei  unseren  Haustieren  bewiesen 
und  die  mit  modernen  Färbungsmethoden  hierauf  gerichteten 
Untersuchungen  von  Aschoff  und  Tawara  konnten  auch  keine 


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neuen  Momente  aufdecken,  welche  geeignet  wären,  die  seiner¬ 
zeit  als  Zellgrenzen  beschriebenen  Bildungen  als  solche  zu  deuten. 
Bezüglich  der  Kernformen  des  nonnalen  Herzmuskels  stehen  die 
beiden  Autoren  ebenfalls  im  Gegensatz  zu  Albrecht,  da  nach 
ihren  Erfahrungen  die  ,,Leistenkeme“  sicher  normalerweise  Vor¬ 
kommen,  wenn  auch  zugegeben  werden  muß,  daß  sie  an  hyper¬ 
trophischen  Kernen  beobachtet  werden. 

Der  Arbeit  von  Aschoff  und  Ta  war  a  liegt  eine  äußerst 
sorgfältige  histologische  Untersuchung  von  nicht  weniger  als 
112  Herzen  zugrunde,  um  etwa  vorhandene  Veränderungen 
an  der  Muskulatur  und  dem  nervösen  Apparat  festzustellen.  Sie 
konnten  mit  Sicherheit  die  Möglichkeit  ausschließen,  daß  nach¬ 
weisbare  Veränderungen  der  nervösen  Elemente,  etwa  im  Ver¬ 
laufe  chronischer  Entzündungsprozesse,  sich  fänden,  auf  welche 
die  Herzlähmung  zurückzuführen  wäre.  Was  die  untersuchten 
Herzen  anbelangt,  so  stammten  sie  von  Fällen  mit  Herzklappen- 
und  Herzmuskelerkrankungen  rheumatischer  und  nicht  rheumati¬ 
scher  Natur,  von  Fällen  mit  ausgesprochener  Herzhypertrophie 
bei  chronischer  Nephritis,  von  Fällen  typischer  Arteriosklerose, 
ferner  von  Fällen  verschiedener  Infektionskrankheiten:  Typhus, 
Schaiiach,  Diphtlierie,  Masern  und  Tuberkulose.  Bei  letzterer 
kommen  interstitielle  Entzündtmgen  oder  fortschreitender  Zerfall 
der  Herzmuskelsubstanz  ebensowenig  vor,  wie  bei  chronischer 
Bronchitis  und  Emphysem,  sowie  bei  pneumonischen  und  broncho- 
pneumonischen  Prozessen.  Dann  dienten  der  Untersuchung  Her¬ 
zen  von  Individuen,  die  malignen  Tumoren  erlegen  waren,  von 
Personen  mit  erworbener  und  kongenitaler  Lues,  Herzen  bei 
akuten  septischen  Infektionen  und  endlich  Herzen  chronischer 
Ernährungsstörungen  und  von  Fällen  tödlicher  Traumen.  Trotz 
dieser  reichen  Auswahl  konnten  nur  bei  den  Fällen  von  Diph¬ 
therie  die  gefundenen  schweren  parenchymatösen  und  interstitiel¬ 
len  Veränderungen  des  Herzmuskels  die  Erklärung  für  die  Herz- 
lähnmng  abgeben.  Für  die  Fälle  von  Erkrankungen  der  Herzklappen 
reichen  die  pathologischen  Befunde  nicht  mehr  hin,  die  Myokard- 
veiänderungen  sind  so  beschränkt,  daß  sie  zur  Deutung  im  Simie 
der  bisher  gültigen  Lehre  nicht  herangezogen  werden  können. 
Wohl  haben  Aschoff  und  Ta  war  a  wiederholt  die  Bildung  von 
Kittlinien  und  das  Auftreten  von  Fragmentation  bei  den  ver¬ 
schiedensten  Krankheitsprozessen  zu  beobachten  Gelegenheit  ge¬ 
habt.  Die  Fragmentation  findet  sich  weitaus  am  häufigsten  im 
höheren  Alter,  was  auch  für  das  Auftreten  der  Kontraktionslinien 
gilt;  trotzdem  aber  haben  diese  beiden  Phänomene  direkt  mit¬ 
einander  nichts  zu  tmi.  Die  Kontraktionslinien  entsprechen  einem 
abnorm  kontrahierten  Muskelfach,  während  die  Fragmentierung 
mit  ungleichmäßigen  Verdichtungen  des  absterbenden  Protoplas¬ 
mas  außerhalb  der  Kontraktionslinien  zusammenhängt.  Keines¬ 
falls  aber  ist  außer  acht  zu  lassen,  daß  Fragmentation  auch 
bei  noch  so  sorgfältiger  Manipulation  als  Artefakt  bei  der  Prä¬ 
paration  zustande  kommen  kann.  Die  schon  in  einer  früheren 
Publikation  beschriebenen  arteriitischen  und  periarteriitischen  Ent¬ 
zündungsherde  in  Fällen  von  rheumatischen  Erkrankungen  konn¬ 
ten  die  beiden  Autoren  neuerdings  beobachten  in  Form  der 
charakteristischen  großzelligen  und  riesenzellenhalti'gen  Knötchen, 
wodurch  für  sie  die  früher  ausgesprochene  Vermutung,  es  handle 
sich  hier  um  spezifische  Bildungen  bei  rheumatischen  Infektionen, 
zur  Tatsache  wird. 

'Hiemit  sei  nur  in  Kürze  der  Inhalt  der  vorliegenden,  in 
jeder  Hinsicht  höchst  beachtenswerten  Schnft  wiedergegeben,  be¬ 
züglich  der  Einzelheiten  muß  auf  das  Original  verwiesen  werden, 
aus  welchem  sowohl  Anatomen,  als  auch  Kliniker  so  manchen 
Vorteil  werden  schöpfen  können,  denn  nicht  allein  das  Ergebnis 
jahrelanger,  ernster  Forschung  ist  darin  niedergelegt,  sondern 
man  erkennt  in  ihm  aucli  den  tiefen  Blick  des  erfahrenen  Patho¬ 
logen,  der  uns  warnt  vor  Abirrungen  von  dem  Wege,  welcher, 
in  richtiger  Erfassung  der  Tätsachen  angebahnt,  unendlichen 
heuristischen  Wert  in  sich  schließt,  solange  nicht  durch  einseitige 
Betrachtung  der  eingeschlagene  Kurs  in  falsche  Richtung  gerät. 
Hier  einzugreifen,  um  uns  von  langen,  mühevollen  Irrfahrten 
zu  bewahren  und  die  Forschung  wieder  in  die  richtigen  Bahnen 
zu  lenken,  bedeutet  ein  Verdienst  um  die  Wissenschaft,  das  nicht 
hoch  genug  angeschlagen  werden  kann.  Aschoff  gemeinsam  mit 
Ta  war  a  haben  durch  die  vorliegende  Arbeit  sich  dieses  Ver¬ 
dienst  erworben.  Ihre  klare  und  überzeugende  Beweisführung 


läßt  keinen  Zweifel  darüber,  daß  die  von  ihnen  gefundenen  Tat¬ 
sachen  und  die  denselben  gegebenen  Deutungen  die  richtigen  Wege 
zeigen,  auf  denen  sich  unsere  Kenntnisse  der  Pathologie  des 
Herzens  weiter  zu  entwickeln  haben. 

* 

Die  Erlahmung  des  hypertrophierten  Herzmuskels. 

Mit  pathologisch-anatomischen  Untersuchungen. 

Von  Dr.  med.  und  phil.  Robert  Schlüter,  Spezialarzt  in  Magdeburg. 

Leipzig  und  Wien  1906,  Verlag  von  Franz  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Auch  die  vorliegende  Arbeit  hat  es  sich  zur  Aufgabe  ge¬ 
macht,  dem  Problem  der  Erlahmung  des  hypertrophischen  Herz¬ 
muskels  auf  Grund  pathologisch-anatomischer  und  histologischer 
Untersuchungen  näherzukommen.  Nach  eingehender  Besprechung 
der  Literatur  der  Pathogenese  der  Herzhypertrophie,  der  anato¬ 
mischen  Veränderungen  und  der  Erlahmung  des  hypertrophischen 
Herzens,  geht  Schlüter  zur  Schilderung  seiner  eigenen  Befunde 
über,  welche  er  an  hypertrophischen  Herzen  erheben  konnte, 
deren  Träger  an  Herzinsuffizienz  gestorben  waren.  Es  handelt 
sich  dabei  um  Herzen  bei  Arteriosklerose  und  Klappenfehlern,  bei 
Lungenkrankheiten,  bei  chronischen  Nierenaffektionen  und  um 
Herzen  mit  idiopathischer  Hypertrophie.  Von  Individuen,  die  In¬ 
fektionskrankheiten  erlegen  waren,  untersuchte  Verf.  ein  Typhus- 
und  ein  Diphtherieherz.  Zunächst  wäre  aus  seinen  Befunden 
hervorzuheben,  daß  sich  weitaus  häufiger  allgemein  über  das 
Herz  verbreitete,  als  zirkumskripte  Veränderungen  linden.  Es 
fallen  Kernverschiedenheiten  auf,  die  wohl  nicht  als  pathologisch 
aufzufassen  sind,  da  sie  auch  bei  völlig  normalen  Herzen  be¬ 
obachtet  werden.  Wenn  jedoch  Muskelfasern  zugrunde  gehen, 
dann  treten  die  auch  für  andere  Organe  gültigen  Erscheinungen, 
Karyolyse  und  Karyorhexis, '  an  ihren  Kernen  auf.  Teils  allge¬ 
mein,  teils  zirkumskript  fand  sich  der  Fettgehalt  der  Muskel¬ 
fasern,  doch  erreichte  er  nie  jene  höchsten  Grade,  welche  zur 
Beeinträchtigung  der  Funktion  des  Herzmuskels  notwendig  vor¬ 
ausgesetzt  werden  müssen.  Im  Gegensatz  zu  Aschoff  und  Ta- 
wara  vermißt  Schlüter  jedoch  die  Fragmentation  in  seinen 
Herzen  bei  Arteriosklerose  und  Klappenfehlern,  ebenso  auch  bei 
den  idiopathisch  hypertrophischen  Herzen.  Von  rein  lokalen,  zir¬ 
kumskripten  Befunden  beschreibt  Verf.  Rund-zellenanhäufungen 
und  Bindegewebsvermehrung,  die  in  ihrer  Spärlichkeit  ebenso¬ 
wenig  als  die  allgemeinen  Veränderangen  zur  Erklärung  der  Herz¬ 
erlahmung  herangezogen  werden  können. 

Wenn  also  Schlüter  hinsichtlich  seines  Schlusses  mit 
Aschoff  und  Ta  war  a  vollständig  darin  übereinstimmt,  dab^ 
die  pathologischen  Befunde  am  Herzen  die  Erlahmung  des  Herz¬ 
muskels  nicht  zu  erklären  vermögen,  so  steht  er  gleich  diesen 
im  Gegensatz  zu  E.  Albrecht  und  Dehio,  so  daß  auch  ihm 
das  Verdienst  gebührt,  gegen  jene  Lehren  Stellung  genommen 
zu  haben,  von  welchen  der  Entwicklung  unserer  Kenntnisse  der 
Pathologie  des  Herzens  Gefahr  drohte.  Was  aber  seine  Vorstel¬ 
lung  über  die  Ursache  der  Erlahmung  des  Herzens  anbelangt, 
so  folgt  er  hierin  den  Anschauungen  Rickers  und  erblickt  in 
einer  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  des  Herznervensystems  das 
wichtigste  Moment,  auf  welches  einerseits  die  gefimdenen,  aber 
nicht  ausreichenden  pathologischen  Veränderungen,  anderseits  aber 
auch  die  Erlahmung  des  Herzens  zurückzuführen  wären.  So  gerne 
man  Schlüter  seinen  pathologisch-anatomischen  und  histologi¬ 
schen  Untersuchungen  folgt,  so  wenig  Anklang  wird  seine  Er¬ 
klärung  der  Erlahmung  des  hypertrophischen  Herzens  linden  und 
befriedigen  können,  da  sie  ja  keineswegs  einen  Fortschritt  der 
Erkenntnis  des  in  Frage  stehenden  Problems  bedeutet. 

* 

Arbeiten  aus  dem  königl.  Institute  für  experimentelle 
Therapie  zu  Frankfurt  a.  M. 

Herausgegeben  von  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  P.  Ebrlicli» 

Heft  1  und  2. 

Jena  1906,  Verlag  vonTQustav^F  i  s  c  h  e  r. 

Das  erste  Heft  dieser  neuen  wertvollen  Sammlung  von  Ar¬ 
beiten  aus  dem  Ehr  lieh  sehen  Institut  in  Frankfurt  a.  M.  ent¬ 
hält  drei  Publikationen  der  Abteilung  für  Krebserforschung.  Nach 
einem  einleitenden  Vorwort  aus  der  Feder  Ehrlichs,  berichtet 
H.  Apolant  unter  dem  Titel:  „Die  epithelialen  Ge¬ 
schwülste  der  Maus“  über  die  Histologie  und  die  Histogenese 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  J 


der  der  Krebsforschung  in  dem  genannten  Institut  zugrunde  liegen¬ 
den  epithelialen  Mäusetumoi’en.  Bei  der  ganz  ansehnlichen  Zahl 
der  zur  Untersuchung  gelangten  Geschwülste,  es  handelt  sich  um 
276  Einzeltumoien,  gelang  es,  unzweifelhaft  festzustellen,  daß 
weitaus  die  IMehrzahl  (259)  der  Spontantunioren,  an  der  Bauch¬ 
seite  der  Tiere  gelegen,  aus  der  Mamma  hervorgehen.  Wie  die 
histologische  Untersuchung  lehrt,  sind  es  zum  Teil  Adenome,  vom 
Typus  des  Adenoma  simplex,  Cystadenoma  simplex,  Adenoma 
cysticum  oedematosuin  seu  haemorrhagic  um  und  Cystade¬ 
noma  papilliferum,  zum  Teil  Karzinome,  die  alveolär  oder  papillär 
gebaut  sein  können.  Auffallend  erscheint  es,  daß  Metastasen  der 
malignen  Tumoren  sowohl  bei  spontaner  Entwicklung  des  Neo- 
idasmas,  als  auch  nach  Transplantation  selten  sind.  Wohl  lassen 
sich  häufiger  mikroskopisch  kleine  Herde,  mit  Vorliebe  in  der 
Lunge,  nachweisen,  die  besonders  bei  Mäusen  mit  transplantierten 
Tumoren  Vorkommen,  doch  fällt  die  Differentialdiagnose  von  pri¬ 
märem  Lungenkrebs,  der  bei  Mäusen  auch  beobachtet  wird,  schwer. 
Ein  ganz  besonderes  Interesse  beansprucht  die  Feststelluug  der 
Tatsache,  daß  ein  KarzinomiStamm,  der  primär  eine  Lungenmeta¬ 
stase  gesetzt  hatte,  auch  bei  Transplantierung  diese  Eigenschaft 
eine  Reihe  von  Generationen  hindurch  bewahrt.  Was  nun  die 
Entwicklung  von  Sarkomen  auf  dem  Boden  transplantierter  Kar¬ 
zinome  anbelangt,  so  sah  Apolant  drei  solche  Fälle  und  zwar 
jeden  ohne  Metastasen.  Die  schon  früher  erwähnte  geringe  Ten¬ 
denz  der  Mäusekarzinome  zu  metastasieren,  erklärt  sich  auch 
aus  dem  histologischen  Verhalten  der  Geschwülste,  Avelche  man 
nicht  auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen  propagieren  sieht,  die  aber 
von  einem  mächtigen,  entzündlichen  Wall  an  ihrer  Peripherie 
umgeben  sind,  der  ihr  infiltrierendes  Wachstum  hemmt.  M^enn 
auch,  wie  gezeigt  wird,  einzelne  Typen  der  epithelialen  Mäusetumo¬ 
ren  sich  auf  stellen  lassen,  so  bilden  sie  doch  sowohl  genetisch, 
als  auch  strukturell  eine  einlreitliche  Geschwulstgruppe,  in  wel¬ 
cher  die  einzelnen  Typen  durch  fließende  Uebergänge  verbunden 
sind.  Es  entbehren  daher  auch  die  meisten  eines  einheitlichen 
Baues  und,  je  nachdem  die  Geschwulst  schneller  oder  langsamer 
wächst,  drückt  sich  dieser  Unterschied  auch  strukturell  aus,  in¬ 
dem  einmal  ein  alveolärer,  das  andere  Mal  ein  mehr  papillärer 
Bau  zustande  kommt. 

„U  e  b  e  r  ein  t  r  a  n  s  p  1  a  n  t  a  b  1  e  s  Chondrom  d  e  r  M  a  u  s“ 
berichtet  Ehrlich.  Dieser  als  besondere  Rarität  zu  bezeich¬ 
nende  Tumor  ist  im  Netze  entwickelt  gewesen  und  zeichnete 
sich  durch  eine  ganz  außerordentliche  Transplantationsfähigkeit 
aus.  Während  von  den  überimpfbaren  Karzinomen  nur  10 “/'o 
angeh en,  ergab  diese  Geschwulst  in  90%  ein  positives  Transplan¬ 
tationsresultat. 

Mit  einem  zusammenfassenden  Berichte :  Experimentelle 
K  a  r  z  i  11  o m  s  t u  d i  e n  a  n  M  ä  u  s  e n  schließt  E  h  r  1  i  ch  das  vor¬ 
liegende  erste  Heft.  Hier  stellt  er  die  gesamten  Impfresultate 
in  der  ihm  eigenen  übersichtlichen  und  klaren  Weise  zusammen, 
aus  denen  unzweifelhaft  die  geringe  Infektiosität  der  Spontan¬ 
krebse  der  IMaus  hervorgeht.  Weitaus  die  Mehrzahl  derselben 
sind  nicht  transplantäbel  und  aucli  jene  Stämme,  welche  hei 
üeberimpfimg  angehen,  geben  nur  eine  recht  geringe  Ausbeute, 
doch  läßt  sich  durch  fortgesetzte  Transplantation  eine  deutliche 
Steigerung  der  Virulenz  erzielen.  Sehr  interessant  erscheint  Ehr¬ 
lichs  Beobachtung,  daß  die  Mäusekarzinome  sich  zwar  auf  die 
den  Mäusen  phylogenetis'cli  nahestehenden  Ratten  übertragen 
lassen,  daß  sie  aber  in  diesen  Tieren  sehr  bald  rückgebildet  werden. 
Eine  brillante  Erklärung  für  diese  Tatsache  gelingt  Ehrlich 
auf  die  Weise,  daß  er  für  die  Ratte  eine  bestimmte  Art  von  Im¬ 
munität  annimmt,  die  er  als  atreptische  bezeichnet,  weil  der 
Ratte  ein  für  das  iMäusekarzinom  unentbehrlicher  AVuchsstoff 
fehlt.  Eine  einmal  geimpfte  Ratte  verhält  sich  vollkommen  re¬ 
fraktär  gegen  eine  neuerliche  Impfung  mit  demselben  Stamme, 
so  daß  man  hier  von  einer  erworbenen,  aktiven  Immunität 
sprechen  muß.  Die  Experimente  Ehrlichs  zeigen  nun,  daß  auch 
bei  .Mäusen  eine  aktive  Immunität  zu  .erreichen  ist,  denn  Mäuse, 
welche  bei  der  Verimpfung  eines  Spontantumors  sicli  miempfind- 
lich  erwiesen  haben,  sind  dadurch  auch  gegen  hochvirulente 
Stämme  immun  geworden.  Mit  spannender  Aufmerksamkeit  muß 
man  Ehrlichs  geistreichen  Ausführungen  folgen,  die  er  liin- 
sichtlich  der  Geschwulstätiologie  und  der  Metastasenbildung  auf 
Grund  seiner  Vorstellung  von  Atrepsie  entwickelt  und  wie  be¬ 


scheiden  klingt  dagegen  bei  der  reichen  Fülle  der  von  ihm  dar¬ 
gelegten  fruchtbringenden  Ideen  doch  der  Schluß:  ,,Als  Haupt¬ 
resultat  meiner  x\rbeit  betrachte  ich  den  Nachweis,  daß  eine 
aktive  Immunität  erreichbar  ist  und  daß  sich  dieselbe  auf  eine 
Reihe  verschiedener  Geschwülste  gleichmäßig  erstreckt.“ 

Das  zweite  Heft  füllt  R.  Ottos:  Die  staatliche  Prü¬ 
fung  der  Heilsera  aus.  In  einigen  einleitenden  Worten  wird 
die  geschichtliche  Entwicklung  der  prüfungstechndschen  Abteilung 
des  Frankfurter  Institutes  für  expeiimentelle  Therapie  dargestellt. 
Ihr  obliegt  die  Aufgabe,  die  staatliche  Kontrolle  über  die  von 
^'erschiedenen  Fabriken  in  den  Handel  gebrachten  Serumproben 
durchzuführen.  Für  Ddphtherieserum,  Tetanuisanti toxin,  Tuber¬ 
kulin,  Susserin  und  Taurunian  ist  die  staatliche  Prüfung  obliga¬ 
torisch,  während  für  das  Antistreptokokkenserum  (Aronson),  Sui- 
sepsdn.  Galloserin,  das  polyvalente  Schweineseuchenserum  und 
das  Antidysenterieserum  nach  Shiga  nur  eine  provisorische  staat¬ 
liche  Prüfung  vorgeschrieben  ist.  Die  amtliche  Kontrolle,  welcher 
gesetzmäßig  die  in  den  Handel  kommenden  Sera  in  Deutschland 
unterstehen,  hat  nicht  allein  hinsichtlich  der  Wertbeniessung  der 
einzelnen  Proben  stattzufinden,  sondern  sie  erstreckt  sich  auch 
auf  die  Ueberwachung  der  Herstellung  derselben,  so  daß  die 
einzelnen  Fabriken,  welche  sich  mit  der  Gewinnung  von  Heil¬ 
seren  befassen,  ständig  unter  staatlicher  Koirtrolle  stehen,  welche 
für  die  zweckmäßige  Darstellung  zu  sorgen  hat.  Es  müssen  daher 
die  Fabriken  vorerst  eine  Reihe  von  Bedingungen  erfüllen,  bevor 
ihre  Sera  überhaupt  zur  staatlichen  Prüfung  zugelassen  werden. 
Diese  erfolgt  dann  getrennt  von  der  lokalen  Kontrolle  an  der 
Fabrikationsstelle  im  Institute  für  experimentelle  Pathologie  in 
Frankfurt  a.  M.  und  hat  die  Unschädlichkeit  und  den  Wirkungswert 
des  Serums  festzustellen,  somit  die  Angaben  der  Fabrik  zu  kon¬ 
trollieren  und  wemi  nötig,  richtig  zu  stellen.  Die  Schildenurg 
der  bei  dieser  Aufgabe  streng  vorgeschriebenen  Maßregeln  bildet 
nun  den  wichtigsten  Teil  der  vorliegenden  Abhandlung,  welche 
dinen  klaren  Einblick  in  die  auf  Grund  exakten  Wissens  und  reicher 
Erfahrung  fußende,  verantwortungsvolle  Arbeit  der  prüfungstech- 
*  nischen  Abteilung  des  Institutes  gewährt.  Hiebei  finden  natürlich 
nicht  nur  alle  rreuen  Errungenschaften  der  Wissenschaft  auf  diesem 
Gebiete  volle  Berücksichtigung  und  werden  die  einzelnen  An¬ 
gaben  sorgfältigst  nachgeprüft,  sondern  auch  eine  Reihe  von 
Untersuchungen,  voir  den  ausgezeichneteir  Mitgliedern  des  Instituts 
ausgeführt,  haben  in  so  manche  Fragerr  Licht  hineingetragen  und 
damit  deir  Beweis  geliefert,  daß  die  Anstalt  den  an  sie  gestellten 
Forderungen  jederzeit  gewachsen  ist.  Joannovics. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitsehriften. 

1.  (Aus  dem  pharmakologischen  Institut  in  Zürich.) 
Ueber  die  Kuniula  tivwi  rkung  der  Digitalis.  Von  Pro¬ 
fessor  M.  Cloetta.  Man  kann  sich  bis  heute  keine  richtige 
Vorstellung  von  den  Ursachen  der  Kumulativwirkung  der  Digi¬ 
talis  machen.  Ihr  Vorkommen  bestätigt  die  kliniscbe  Erfabrung 
und  das  Experiment.  Abgesehen  von  dem  charakteristischen 
Selbstversuch  von  Köppe,  zeigen  namentlich  die  Versuche  von 
Fränkel  an  Katzen  die  langsam  einsetzende  Kumulativwirk ung. 
Fränkel  stellte  fest,  daß  es  genau  bestimmbare  Dosen  von 
Digitoxin,  cryst.  gibt,  die  bei  einer  einmaligen  subkutanen  In¬ 
jektion  nicht  die  geringsten  Veränderungen  bedingen,  dagegen 
bei  wiederholter  Einspritzung  schwere  Kumulation  bis  zum  letalen 
Ausgang  bedingen  können,  wobei  regelmäßig  Pulsverlangsamung 
und  Erbrechen  auftreten,  also  dieselben  Erscheinungen  wie  beim 
Menschen.  Als  nun  Verf.  vor  zwei  Jahren  auf  das  Digalen  (Digi¬ 
toxin.  solub.)  aufmerksam  machte,  war  die  Frage  der  Kumulation 
für  ihn  von  besonderem  Interesse.  In  allen  bisherigen  Publika¬ 
tionen  wird  auf  das  Fehlen  der  Kumulativwirkung  des  Digalens 
hingewiesen,  ausgenommen  zwei  Fälle  von  VI ach,  wo  jedoch 
Digitalisbehandlung  vorausgegangen  war.  Verf.  hatte  sich  bei 
seinen  früheren  Tierversuchen  ausschließlich  des  Digalens  be¬ 
dient,  in  der  bestimmten  Voraussetzung,  daß  bezüglich  der  Ku¬ 
mulation  das  kristallinische  Digitoxin  und  das  Digalen  identisch 
seien.  Nun  wiederholte  er  die  Fränkel  sehen  Experimente  an 
Katzen  unter  xVnwendung  des  Digalens.  Die  Versuche  zeigen  eine 
erhebliche  Differenz  gegenüber  den  Resultaten  von  Fränkel. 
Verf.  wollte  nun  aber  auch  feststellen,  wie  sich  seine  Tiere  gegen- 


Nr.  1 


WIENKIi  KLINISCHE  VVOCHENSCHillET.  1907. 


Über  dem  kristallisierten  iDigitoxin  verhalten.  Er  ging  so  vor, 
daß  er  die  Tiere  zünächst  mit  kristallisiertem  Digitoxin  auf  ihre 
indivtduelle  Empfindlichkeit  eichte  und  dann  die  Digalenversache 
anschloß.  Auch  hier  fand  er  eine  erhebliche  Toleranz  des  Tieres 
gegenüber  dem  Digalen.  Es  stimmen  also  bezüglich  des  Fehlens 
der  Kum'ulativwirkung  die  Beobachtungen  beim  Menschen  'mit 
dem  Tierexperiment  überein.  Um  nun  den  Unterschied  zwischen 
kristallisiertem  Digitoxin  und  Digalen  zu  erklären,  ermittelte  Ver¬ 
fasser,  da  die  Analyse  für  beide  Substanzen  die  gleichen  Werte 
gibt,  das  Molekulargewicht  zunächst  durch  die  Gefrierpunkterniedri¬ 
gung.  Dann  wurden  noch  Siedepunktbestimmungen  ausgeführt. 
Es  ergab  sich  für  das  kristallisierte  Digitoxin  im  Mittel  ein  Mole¬ 
kulargewicht  von  552,  für  Digitoxin,  amorpli.  CI.  ein  solches  von 
280.  Danach  lautet  also  die  Formel  für  das  kristallisierte  Digi¬ 
toxin  C28H46O10,  für  das  Digalen  CuHasOs.  Es  lag  nun  der  Ge¬ 
danke  nahe,  daß  die  Ursache  der  Kumulativwirkung  ihren  Grund 
in  den  verschiedenen  Molekulargrößen  haben  könnte.  Es  wurden 
wieder  die  entsprechenden  Versuche  an  Katzen  ausgeführt.  Die 
Ergebnisse  zeigen,  daß  die  Größe  des  Molekulargewichtes  nicht 
maßgebend  ist  für  den  Eintritt  der  Kumulation.  Sicher  erscheint 
nur,  daß  das  einmal  kristallisiert  gewesene  Präparat  die  Gift¬ 
wirkung  auslöst.  Naheliegend  ist  daher  die  Annahme  einer  mit 
dem  Vorgang  der  Kristallisation  verbundenen  Konstitutionsände¬ 
rung,  welche  dann  die  Kumulation  begünstigt.  Verf.  bemüht  sich 
nun,  doch  aus  den  vorliegenden  Resultaten  für  die  Kumulativ¬ 
wirkung  der  Digitalis  Folgerungen  zu  ziehen.  Da  ihm  von  vielen 
Aerzten  bestätigt  wurde,  dah  die  ganz  frischen  Blätter  fast  nie 
kumulativ  wirken,  anderseits  das  kristallisierte  Digitoxin  dies 
mit  einer  gewissen  Regelmäßigkeit  tut,  das  Digalen  dagegen  nicht, 
so  ist  anzunehmen,  daß  das  Digalen  das  Digitoxin  in  dem  Zu¬ 
stande  darstellt,  wie  es  in  den  frischen  Blättern  sich  findet. 
Kumulative  Wirkungen  an  Folia  digitalis  wären  demnach  so  zu 
erklären,  daß  eine  Ueberführung  des  Digalens  in  einen  dem  kristalli¬ 
sierten  Digitoxin  analogen  Zustand  stattgefunden,  ein  Vorgang 
für  den  Analogien  bekannt  sind.  Die  Kumulativwirkung  ist  so¬ 
mit  keine  notwendige  Eigentümlichkeit  der  Digitalis,  sonst  müßte 
das  Digalen  isie  auch  aufweisen;  vielmehr  ist  ihr  Auftreten  an 
bestimmte  Umstände  und  Veränderungen  der  Blätter  gebunden. 
Verf.  hat  noch  zwei  Präparate,  die  in  Frankreich  Verwendung 
finden,  geprüft.  Das  ,, Digitaline  chloroformique  du  Code“  erwies 
sich  als  ein  sehr  unreines  Präparat  mit  ca.  50°/o  Digitoxingehalt; 
es  läßt  sich  nicht  genau  dosieren.  Das  ,, Digitaline  cristallisee 
Frangaise“  erwies  sich  als  ganz  reine  Substanz;  sie  zeigte  bei 
gleicher  Dosierung  die  gleichen  Kumulativwirkungen  wie  das 
kristallisierte  Digitoxin.  Dies  spricht  gegen  die  in  Frankreich; 
verbreitete  Meinung,  als  ob  das  S chmi e d e b e rgsche  Digitoxin 
giftiger  sei  als  das  franzötsische.  —  (Münchener  medizinische 
Wochenschrift  1906,  Nr.  47.)  G. 

* 

2.  U  e  b  e  r  die  S  c  h  m  e  r  z  r  e  a  k  t  i  o  n  der  Pupillen  als 

ein  d  i  f  f  e  r  e  n  t  i  a  1  d  i  a  g  n  o  s  t  i  s  c  h  e  s  Zeichen  zwischen 
organischer  und  psychogener  Druckschmerzhaftig- 
keit.  Vorläufige  Mitteilung  von  Dr.  Max  Löwy,  Marienbad. 
Verf.  machte  die  Wahrnehmung,  daß  bei  erheblicher  Druckschmerz¬ 
haftigkeit  an  organisch  kranken  Köi'perteilen  die  —  zum 
Beispiel  durch  Blick  in  einen  hell  beleuchteten  Spiegel  —  stark 
verengten  Pupillen  sich  deutlich,  gelegentlich  außerordentlich,  er¬ 
weitern,  daß  aber  an  Stellen  auch  stärkster  Druckschmerzhaftig¬ 
keit  funktioneller  Natur,  Ovariengegend  usw.,  diese  Er- 
weitemng  der  stark  verengten  Pupillen  ausbleibt.  Löwy  formu¬ 
liert  seinen  Befund  in  folgender  Weise:  Die  durch  grelle  Beleuch¬ 
tung  stark  verengten  Pupillen  werden  deutlich  weiter  bei  erheb¬ 
lich  schmerzhaftem  Druck  auf  organisch  kranke  Teile,  diese 
Erweiterung  bleibt  aus  bei  psychogener  Druckschmerzhaftig¬ 
keit.  Dieses  Unterscheidungsmerkmal  kann  ein  wichtiger  Behelf 
werden,  um  sich  gegen  die  Vortäuschung  organischer  Krankheits¬ 
bilder  durch  die  Hysterie  zu  schützen  und  um  bei  der  traumati¬ 
schen  Neurose  zu  entscheiden,  ob  die  Druckschmerzhaftigkeit  an 
Verletzungsstellen  noch  der  Verletzung  zuzuschreiben  oder  psy¬ 
chogen  ist.  —  (Neurolog.  Zentralbl.  1906,  Nr.  20.)  Pi. 

* 

3.  Ueber  einen  akuten  Darm  ver  sch lu  ß,  hervor¬ 
gerufen  durch  einen  Haar  ballen  berichtet  A.  Scott- 


Turner.  Ein  29jähriges  Hausmädchen,  das  seit  .fahren  an  An¬ 
fällen  von  Darmkolik  litt,  wurde  unter  den  Erscheinungen  des 
Darmverschlusses  ins  Spital  gebracht;  bei  der  Operation  zeigte 
sich  im  Ileum  ein  harter  Tumor,  der  weder  vorwärts  noch  rück¬ 
wärts  geschoben  werden  konnte  und  sich  als  Haarballen  von 
2V3  Zoll  Länge,  4V2  Zoll  Umfang  und  iVs  Zoll  Durchmesser 
erwies.  Nach  der  Operation  befand  sich  die  Patientin  durch 
vier  Wochen  sehr  wohl,  bis  sie  Symptome  des  Pylorusverschlusses 
zeigte;  im  Erbrochenen  fanden  sich  Haare.  Die  neuerliche 
Operation  zeigte  im  Pylorus  festgeklemmt  einen  Haarballen  von 
150  g  Gewicht,  der  4V2  Zoll  in  der  Länge  und,  3  Zoll  im  Durch¬ 
messer  maß.  Seither  befindet  sich  die  Patientin  wohk  —  (British 
med.  Journ.  1906,  S.  1126.)  F.  W. 

* 

4.  (Aus  der  k.  k.  Lebensmitteluntersuchungsanstalt 
der  deutschen  Universität  in  Prag.  Vorstand  Prof.  Hueppe.) 
Ueber  Bleivergiftungen  durch  eine  Wasserleitung. 
Von  Inspektor  Dr.  S.  Fortner.  In  einem  Hause  waren  von 
27  Inwohnern  17  an  Bleivergiftung  erkrankt,  zwei  Kinder  derselben 
erlegen.  Die  ganze  Sachlage  wies  auf  das  Trinkwasser  tals  Krank¬ 
heitsquelle  hin,  das  auch  17-5  mg  Bleioxyd  im  Liter  aufwies. 
Mit  Berücksichtigung  aller  Umstände  wurde  das  Gutachten  dahin 
abgegeben,  daß  die  bleilösende  Wirkung  des  vorliegenden,  ziem¬ 
lich  weichen  Wassers  unterstützt  worden  sein  dürfte  1.  durch 
die  ziemlich  lange  (680  m)  Bleirohrleitung,  2.  durch  die  Be¬ 
schaffenheit  des  Wassers  an  sich,  namentlich  durch  seine  geringe 
Härte,  3.  durch  geringe  Mengen  von  eindringenden  ni  tri  thältigen 
Fäkalwässern.  Erst  IV2  Jahre  später  gelangt  man  zur  Ariffindung 
der  wahren  Ursache,  als  Schönleins  Abhandlung  ,, Ueber  die 
Umwandlung  der  alkalischen  Nitrate  in  Nitrite“  berücksichtigt 
wurde.  Schön  lein  hat  1861  darauf  hingewiesen,  daß  Blei 
wässerige  Lösungen  von  Alkalinitraten  reduziert,  in  dem  Alkali- 
nitrit  gebildet  wird  und  Blei  in  Lösung  geht.  Die  im  Institute 
ausgeführten  Versuche  ergeben  nun,  daß  schon  geringe  Mengen 
von  Nitraten  genügen,  eine  Bleilösung  — ■  auch  in  geschwe¬ 
felten  Bleiröhren  —  herbeizuführen,  daß  daher  ein  auch  noch 
so  geringer  Nitratgehalt  des  Wassers  die  Benutzung  von  Bleiröhren 
zu  Wasserleitungszwecken  vollständig  ausschließt.  —  (Archiv  für 

Hygiene,  54.  Bd.,  4.  H.)  Pi. 

* 

5.  (Aus  dem  pathologischen  Institut  Tübingen.)  Ex- 
p  e  r  i  m  e  n  t  e  ü  b  e  r  d  i  e  Wirkung  der  B  i  e  r  s  c  h  e  n  S  t  a  u  u  11  g 
auf  infektiöse  Prozesse.  Von  Prof.  Dr.  P.  v.  Baum¬ 
garten.  Verf.  hat  seine  Untersuchungen  über  die  Wirkung  der 
Bi  er  sehen  Stauung  an  Kaninchen  angestellt,  an  deren  einer 
unteren  Extremität  die  venöse  Stauung  durch  Umschnüiung  mit¬ 
tels  eines  8  min  dicken  Gummirohres  in  der  Schenkelbeuge  her¬ 
beigeführt  wurde.  Als  Infektionserreger  wurden  Tuberkelbazillen, 
Staphylokokken  und  Milzbrandbazillen  verwendet.  Die  Infektion 
geschah  teils  intraartikulär  (Kniegelenk),  teils  subkutan.  Die 
Dauer  der  Stauung  betrug  bei  den  Tuberkuloseversuchen  eine 
bis  zwei  Stunden  täglich,  wochenlang  fortgesetzt,  bei  den  Staphylo¬ 
kokkenversuchen  12  bis  24  Stunden,  mit  Pausen  von  24  Stan¬ 
den,  längere  Zeit  fortgesetzt,  bei  den  Milzbrandversuchen  ein¬ 
malig  24  bis  48  Stunden.  Am  günstigsten  waren  die  Resultate 
bei  den  Milzbrandversuchen.  Hier  gelang  es,  bei  Verimpfung 
einer  nicht  zu  großen  Bazillenmenge,  die  Infektion  durch  die 
Stauung  vollständig  zu  unterdrücken,  wenn  sofort  nach  der  Im¬ 
pfung  die  Stauung  begann  und  36  bis  48  Stunden  fortgesetzt  wurde. 
Weniger  günstig  verliefen  die  Staphylokokkenverisuche.  Bei  klei¬ 
neren  Haut-  oder  Gelenkseiterungen  kam  die  Heilung  mit  Hilfe 
der  Stauung  rascher  zustande,  als  ohne  dieselbe.  Ausgedehntere 
Abszedierungen  erfuhren  unter  der  Stauung  eher  eine  Verschlim¬ 
merung  und  in  einigen  Fällen  trat  nach  Lösen  der  Binde  rascher 
Tod  der  Versuchstiere  ein,  wahrscheinlich  infolge  rapider  Auf¬ 
saugung  des  mit  Toxinen  und  Endotoxinen  der  Staphylokokken 
geschwängerten  Stauungstranssudates.  Eine  andere  ungünstige  Be¬ 
obachtung  ist  der  Befund  von  virulenten  Kokken  in  den  Gelenks¬ 
membranen.  der  anscheinend  geheilten  Gelenke.  Fast  ^\drkungs- 
los  blieb  die  Stauungsbehandlung  in  den  Tuherkuloseversuchen. 
Es  wurde,  um  analoge  Verhältnisse  wie  bei  der  menschlichen 
Gelenkstuberkulose  herzustellen,  den  Versuchstieren  durch  intra¬ 
artikuläre  Injektion  von  Tubei’kelbazillen,  besondei*s  von  Perl- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


siichtbazillcn,  ein  klassischer  Tumor  albns  eines  oder  beider  Knie¬ 
gelenke  beigebracht.  Zur  Kontrolle  wurden  in  einer  Reihe  von 
Experimenten  beide  Kniegelenke  tuberkulös  infiziert.  Trotz  der 
wochenlang  fortgesetzten  Stauungsbehandlung  erreichte  der  Tumor 
albus  auf  der  behandelten  Seite  dieselbe  Größe  wie  auf  der  an¬ 
deren,  nicht  beliandelten.  Histologisch  komiten  keine  Heilungs¬ 
erscheinungen  in  den  der  Stauung  untei'worfenen  tuberkulösen 
Gelenkstumoren  konstatiert  werden.  Es  gelang  in  den  Versuchen 
auch  nicht,  die  von  der  tuberkulösen  Lokalinfektion  ausgehende 
Allgemeintuberkulose  durch  Stauung  zu  unterdrücken  oder  zu 
hemmen ;  die  behandelten  Tiere  starben  ebenso  früh  an  der¬ 
selben  schweren  Allgemeintuberkulose,  wie  die  nicht  behandelten. 
Aber  auch  in  den  mit  menschlichen  Tuberkelbazillen  erzeugten 
Infektionsfällen  war  die  Stauungsbehandlung  weder  imstande,  die 
Lokaltuberkulose  zur  Heilung  zu  bringen,  noch  die  tödliche  All¬ 
gemeintuberkulose  zu  verhüten.  Selbst  geringfügige,  lokalisiert 
bleibende  Gelenkstuberkulosen  konnten  durch  die  Stauungsbehand¬ 
lung  nicht  zur  Heilung  gebracht  werden.  Die  Ursache  der  aller¬ 
dings  nur  bedingt  günstigen  Wirkmig  des  Bier  sehen  Verfahrens 
bei  akuten  Infektionsprozessen  liegt  nach  Verf.  einerseits  in  der 
verstärkten  bakteriziden  Wirkung  der  Körpersäfte,  also  in  der 
Verstärkung  der  natürlichen  Heilkräfte  des  Organismus,  und  ander¬ 
seits  in  der  Hemmung  der  Resorption  durch  die  Binde.  Als  ein 
weiterer  Faktor  der  Wirksamkeit  des  Verfahrens  dürfte  die  Zir¬ 
kulationsverlangsamung  und  Venninderung  der  Blutzufuhr  anzu¬ 
sehen  sein,  wodurch  das  den  Bakterien  verfügbare  Sauerstoff- 
ffiiantum  herabgesetzt  wird,  was  namentlich  für  aerophile  Mikro¬ 
organismen,  wie  Milzbrandbazillen,  von  Belang  sein  muß.  Nicht 
ohne  günstigen  Einfluß  dürfte  auch  die  durch  das  Stauungsödem 
herbeigeführte  Verdünnung  der  Toxine  sein,  sowie  die  dadurch 
bewirkte  pathologische  Veränderung  des  Gewebstoffwechsels,  die 
auf  die  Bakterien  schädigend  ein  wirkt,  deren  Existenz-  und  Wachs¬ 
lumsbedingungen  hemtnt.  Nicht  allein  auf  die  bakterizide  Wir¬ 
kung  des  Staumigsödems  die  Heilerfolge  des  Bier  sehen  Ver¬ 
fahrens  zurückzuführen,  nötigt  den  Verfasser,  die  Beobachtung 
des  langsamen  Absterbens  und  teilweisen  Ueberlebens  der  Infek- 
lionsorganismen  im  Stauungsgebiet,  eine  Erscheinung,  die  weit 
mehr  den  Eindruck  eines  Hungertodes,  als  den  eines  Vergiftungs¬ 
todes  durch  bakterizide  Substanzen  macht.  Da  die  Tuberkel¬ 
bazillen  gegen  die  bakteriziden  Substanzen  des  normalen  Serums 
so  gut  wie  unempfindlich  und  auch  gegen  Plunger  äußerst  wider¬ 
standsfähig  sind,  ist  es  begreiflich,  daß  diese  Behandlung  bei 
den  tuberkulösen  Prozessen  versagt.  —  (Münchener  medizinische 
Wochenschrift  1906,  Nr.  48.)  G. 

* 

6.  (Aus  der  chirurgischen  Fakultätsklinik  des  Professors 
W.  J.  Rasumovsky  in  Kasan.)  Die  Unterbindung  der 
Schilddrüsenarterien  beim  Kropfe.  Von  Dr.  B.  P.  Eno- 
chin.  Nach  einem  Bericht  über  sechs  seit  1902  ausgeführte 
Schilddrüsen- Arterienunterbindungen  bei  parenchymatösen  Gefäß*- 
kröpfen,  nach  welchen  es  bei  vier  zirka  ein  bis  zwei  Jahre 
post  opera  tionem  beobachteten  Patientinnen  zu  ausgezeichneten 
Resultaten  kam  (Abnahme  der  Halszirkumferenz  um  6  bis  13  cm. 
Verschwinden  der  dyspnoischen  Beschwerden,  Besserung  des 
Allgemeinbefindens  —  ein  Patient  ging  durch  Verblutung  aus  der 
Karotis  am  15.  Tage  post  operationem  zugrunde,  infolge  Usur 
des  Gefäßes  durch  ein  Drainrohr,  in  einem  Fall  schien  es  sich 
um  einen  malignen  Kropf  zu  handeln  — )  kommt  Verf.  zu  folgenden 
Schlußthesen:  1.  Die  Unterbindung  der  Schilddrüsenarterien  ist 
hauptsächlich  bei  vaskulösen  Kröpfen  indiziert.  2.  Bald  nach  der 
Operation  wird  eine  Verkleinerung  des  Kropfes  beobachtet, 
die  progressiv  weiterschreitet.  3.  Zweifellos  schwinden  in  einigen 
Fällen  die  subjektiven  Beschwerden  (Husten,  Atembeschwerden); 
in  einigen  Fällen  folgt  allgemeine  Kräftigung;  Wiederherstellung 
zum  gewohnten  Bemf.  4.  Das  kosmetische  Resultat  ist  ein  ver¬ 
hältnismäßig  geringes.  5.  Zur  Unterbindung  der  Art.  thyr.  inf. 
erscheint  das  Verfahren  nach  Drobnik  als  das  beste;  die  Arterie 
muß  samt  umhüllendem  Zellgewebe  ligiert  Averden;  eine  doppelte 
Ligatur  ist  nicht  obligatorisch.  6.  Die  Einlegung  eines  Drainrohres 
zwischen  Arteria  carotis  und  Wirbelsäule  muß  wegen  Dekubitus 
und  drohender  tödlicher  Nachblutung  vermieden  werden.  — 
(Archiv  für  klinische  Chirurgie  1906,  80.  Band,  4.  Heft.)  F.  H. 

♦ 


7.  Ueber  eine  neue  Anwendungsweise  der  kon¬ 
zentrierten  Karbolsäure  in  der  externen  Therapie,’ 
vor  allem  bei  Bubonen  und  Furunkulose  berichtet  cand. 
med.  Werner  Wolff.  In  der  medizinischen  Universitätspoliklinik 
in  Leipzig  (Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Hoffmann),  Abteilung  für 
Hautkranke  (Assistent  Dr.  Hans  Vörner),  wurden  Bubonen  in¬ 
folge  von  Ulcus  molle,  dann  Fuiamkel,  Skrofuloderma,  Stoma¬ 
titis  aphthosa  und  ulcerosa  mit  bestem  Erfolg  mit  Acid,  carbolic, 
per  alcoholem  liquefactum  (9 :  l)  behandelt.  Geschlossene  Bu¬ 
bonen  wurden  am  ersten  Tage  mit  einem  Anstrich  von  reiner 
Karbolsäure  im  Bereiche  der  Schwellung  versehen.  Die  Karbol¬ 
säure  wurde  mittels  eines  mit  Watte  umwickelten  Stäbchens  in 
einem  etwa  0-5  bis  1  cm  breiten  Strich  einmal  aufgetragen.  Das 
Verfahren  wird  einige  Tage  lang  fortgesetzt,  bis  die  Haut  an¬ 
fängt,  sich  abzuschuppen.  Einige  Tage  Pause,  dann  nochmaliger 
Anstrich,  wenn  der  Bubo  nicht  zurückgegangen  ist.  Der  fluk¬ 
tuierende  Bubo  wird  ebenfalls  zwei  bis  drei  Tage  bestrichen, 
am  vierten  Tage,  wenn  die  Fluktuation  nicht  geschwunden,  er¬ 
öffnet  (Inzision  von  etwa  2  cm  Länge),  der  Eiter  abgelassen, 
die  Abszeßhöhle  mit  reiner  Karbolsäure  ausgestrichen,  dann  ver¬ 
bunden.  Letzteres  wird  jeden  zweiten  und  dritten  Tag  wieder¬ 
holt,  bis  die  Höhle  granuliert,  dann  ein  indifferenter  Verband 
(Salbe  oder  Jodoformgaze)  appliziert.  Durchbrochene  Bubonen 
werden  wie  durch  Schnitt  eröffne te  behandelt.  Die  Furunkel 
werden,  wenn  sie  klein  und  nicht  erweicht  sind,  nur  zentral  mit 
Karbolsäure  betUpft;  bei  größeren  Furunkeln  werden  die  zentral 
gelegenen  Haarbälge,  bzw.  Talgdrüsen  Öffnungen  mit  einer  feinen 
Nadel  oder  Sonde  tuschiert.  Ist  der  Knoten  erweicht,  so  wird 
der  schon  vorhandene  oder  durch  Einstich  gemachte  Kanal  (nach 
Abfluß  des  Eiters)  dazu  benützt,  die  Höhle  mit  Karbolsäure  zu 
tuschieren.  Das  geschieht  einmal  täglich,  oft  genügt  aber  eine 
einzige  Betupfung.  Nach  der  Aetzung  wird  eine  Bor-  oder  Silber¬ 
salbe  appliziert,  bei  starker  Schwellung  die  Vörner  sehe  Lösung 
angewandt  (Acidi  borici  4-00,  Liqu.  alumin.  acet.  ad  lOO).  Beim 
Tuschieren  tauche  man  das  mit  Watte  umwickelte  Stäbchen  nicht 
zu  tief  in  die  Karbolsäure,  um  ein  Ueberfließen  derselben  auf  das 
gesunde  Gewebe  zu  venneiden.  Bei  Stomatitis  aphthosa  und 
ulcerosa  (Stomakake)  genügte  ein-  oder  zweimaliges  Betupfen 
der  Schleimhaut,  um  alle  krankhaften  Erscheinungen  zu  beseitigen. 
Skrofuloderma  oder  skrofulöse  und  tuberkulöse  Drüsen  wurden 
in  derselben  Weise  behandelt,  erst  ausgekratzt,  dann  mit  Karbol¬ 
säure  betupft.  —  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1906, 

Nr.  ;45.)  E.  F. 

* 

8.  Ueber  die  Heilbarkeit  des  Karzinoms  im 
allgemeinen  und  des  Zungenkarzinoms  im  beson¬ 
deren.  Von  P.  Poirier.  Obwohl  kein  Heilmittel  gegen  den 
Krebs  existiert,  so  ist  er  doch  in  der  Mehrzalil  Mer  Fälle  durch 
frühzeitiges,  ausgiebiges  und  die  Verbreitungswege  berücksich¬ 
tigendes  operatives  Eingreifen  heilbar.  Unter  allen  Umständen 
ist  daran  festzuhalten,  daß  der  Krebs  als  lokale  Erkrankung 
beginnt  und  je  nach  der  Art  und  dem  Boden,  auf  welchem  er 
sich  entwickelt,  verschieden  lange  Zeit  auch  lokal  bleibt.  Aus 
diesem  Grunde  ist  es  erklärlich,  daß  die  Möglichkeit  einer  Dauer¬ 
heilung  von  20  bis  40%  der  Fälle  bei  frähzei tiger,  den  xAnfor- 
derungen  des  Falles  entsprechender  Operation  gegeben  ist.  Die 
Röntgenstrahlen  wirken  auf  oberflächliche  Läsionen  heilend,  viel¬ 
fach  auch  schmerzlindernd,  sind  aber  gegen  die  viszeralen  Kar¬ 
zinome  wirkungslos.  Bei  diesen  Formen  sind  aber  auch  die 
chirurgischen  Eingriffe,  weil  die  Erkrankung  erst  in  einem  vor¬ 
gerückteren  Stadium  diagnostiziert  wird,  wenig  erfolgreich.  Be¬ 
züglich  des  Zungenkarzinoms  erstrecken  sich  die  Erfahrungen 
des  Vortragenden  auf  32  Fälle,  wovon  sieben  unmittelbar  nach 
der  Operation  zugrunde  gingen,  ein  Fall  zehn  Tage  nach  der 
Operation  iin  Anschluß  an  eine  Adrenalininjektion;  diese  un¬ 
mittelbare  Mortalität  von  25%  erklärt  sich  aus  der  außerordent¬ 
lichen  Schwere  der  als  inoperabel  betrachteten  Fälle.  In  elf 
Fällen  kam  es  innerhalb  des  ersten  Jahres  nach  der  Operation 
zu  Rezidive,  welche  fünfmal  in  den  Lymphdrüsen,  bei  den  übrigen 
Fällen  als  massive  Infiltration  der  Halsgegend  auftrat.  Die  Rezi¬ 
dive  der  ersten  Gruppe  wurden  neuerlich  operiert  und  es  sind 
zwei  Fälle  seit  13,  resp.  sieben  Monaten  anscheinend  geheilt. 
Die  übrigen  acht  Fälle  sind  seit  verschieden  langer  Zeit,  zwei 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


darunter  seit  fünf  Jahren  geheilt,  über  fünf  Fälle  konnten  keine 
Nachrichten  erhalten  werden.  Die  Radiotherapie  ist  gegen  den 
Zungenkrebs  vollständig  machtlos,  zunächst  tritt  wohl  Schmerz- 
hndcrung  ein  und  die  Drüsen  werden  kleiner,  inzwischen  dringt 
jedoch  das  Karzinom  in  der  Tiefe  weiter  und  es  wird  in  der 
Weise  der  richtige  Zeitpunkt  für  einen  cliirurgischen  Eingriff 
versäumt.  In  allen  Fällen  von  suspekter  Ulzeration  oder  IiuUi- 
ration  der  Zunge  muß  man  sofort  an  Epitheliom  denken  und  die 
Diagnose  durch  Untersuchung  eines  Gewebsstückchens  zu  sichern 
(rächten.  Da  sich  das  Karzinom  meist  auf  dem  Boden  der 
Leukoplakie  entwickelt,  so  ist  in  gewissem  Sinne  eine  prophy¬ 
laktische  Therapie  möglich,  indein  man  beim  ersten  Anzeichen 
einer  Transformation  der  Läsionen  operativ  eingreift.  Tabak¬ 
rauchen  und  Syphilis  stehen  in  der  Aetdologiei  des  Zungenkarzinoms 
in  erster  Reihe.  Unter  den  32  Fällen  des  Verfassers  waren  sämt¬ 
liche  Raucher  und  bei  27  war  Syphilis  mit  Sicherheit  nachweisbar. 
Man  darf  das  Zungenkarzinom  als  die  Erkrankung  der  syphiliti¬ 
schen  Raucher  bezeichnen.  —  (Bull,  de  TAcad.  de  Med.  1906, 
Nr.  36.)  a.  e. 

* 

9.  Aus  der  Anstalt  Herzberge  der  Stadt  Berlin  (Direktor: 
Geheimrat  Moeli).  Untersuchungen  über  die  Erweite¬ 
rn  n  g  d  e  r  Pupillen  a  u  f  p  s  y  c  h  i  s  c  b  e  und  sensible  Reize 
nebst  einigen  allgemeinen  Bemerkungen  über  P  u- 
pillenreaktionen.  Von  Dr.  med.  Artur  Hermann  Hül)ner. 
Laqueur  hat  seinerzeit  zuerst  die  Wes  tie  n  sehe  Lupe  zur 
Beobachtung  der  Schwankungen  des  Irissaumes  mit  Erfolg  be¬ 
nützt  und  Bumke  erwies  mit  Hilfe  desselben  Instrumentes  das 
Fehlen  der  psychischen  und  sensiblen  Reaktion  bei  Fällen  von 
E einen tia  praecox.  Hübner  bediente  sich  gleichfalls  der  We¬ 
st  i  e  n  sehen  Lupe  zu  seinen  Untersuchungen  über  die  Pupillen- 
bewegungen  bei  geistesgesunden  und  geisteskranken  Versuchs¬ 
personen  auf  psychische  (plötzliches,  heftiges  Erbrechen)  und  sen¬ 
sible  Reize  (Nadelstiche).  Bezüglich  der  iVufmerksamkeits-  und 
Vorstellungsreflexe  kam  Hübner  zu  dem  Resultat,  daß,  von 
seltenen  Ausnabmef allen  abgesehen,  jedes  psychische  Geschehen 
von  einer  Erweiterung  der  Pupillen  begleitet  ist.  Der  mit  der 
Lupe  beobachtete  Pupillensaum  zeigt  meistens  mehr  oder  minder 
lebhafte  Bewegungen,  die  in  der  Aufeinanderfolge  und  Ausschlags¬ 
größe  schwankend,  bei  Gesunden  nie  fehlen:  die  Pupillenunruhe 
(Laciueur).  Es  handelt  sich  hier  uni  Balancierbewegungen  der 
unter  verschiedenen  Einflüssen  stehenden  Irismuskulatur,  wes¬ 
halb  die  Pupillenunruhe  wohl  zu  unterscheiden  ist  vom  Hippus, 
einem  klonischen  Iriskrampf.  Bei  organischen  Hirnerkrankungen, 
die  mit  Störungen  des  Lichlreflexes  einbergehen  —  Tabes,  Para¬ 
lyse,  Lues  cerebralis,  Dcnientia  senilis  —  bleibt  die  Pupillenunruhe 
aus  u.  zw.  schon  zu  einer  Zeit,  in  der  man  die  auf  Licht 
erfolgende  Iris  verenge  rung  noch  nicht  als  pathologisch  l)ezeichnen 
kann.  Bei  Dementia  praecox  und  bei  manchen  Imbezillen  fehlen 
die  feinen  IrisschwankUngen,  ohne  daß  der  Lichtreflex  gleich¬ 
zeitig  beeinträchtigt  wäre.  Hübner  hat  auch  das  Verhalten  der 
psychischen  und  sensiblen  Reaktion  bei  der  Intoxikation  mit 
Alkohol  untersucht  und  gefunden,  daß  unter  gewissen  Umständen 
unter  dem  Einfluß  des  Alkohols  eine  Steigerung  der  Pupillen¬ 
reaktionen  zustande  konimt.  Die  gleiche  Beobachtung  machte 
man  an  Patienten,  die  an  Unfallsneurosen  leiden.  Bei  Epileptikern, 
Hysterischen,  im  Beginne  der  Paralyse  und  namentlich  bei  Neu¬ 
rasthenikern  finden  sich  in  einem  Teile  der  Fälle  die  Pupillen- 
i'eaktionen  gesteigert.  Hübner  bespricht  dann  noch  an  einzelnen 
Fällen  die  Herabsetzung  und  das  völlige  Ausbleiben  der  psychi¬ 
schen  und  sensiblen  Reaktion.  Während  diese,  sowie  die  Pupillen¬ 
unruhe  bei  den  funktionellen  Psychosen  ausbleiben  können,  ohne 
daß  eine  Störung  des  Lichtreflexes  nachzuweisen  ist,  geschieht 
dies  bei  den  organischen  Erkrankungen  des  Gehirns  nur  dann, 
wenn  die  Verengerung  auf  Licht  träge  ausfällt  oder  fehlt.  Das 
Fehlen  der  Pupillenunruhe  und  sensiblen  Reaktion  bei  erhalteneoi 
oder  ,, schießendem“  Lichtreflex  und  prompter  Ko^nvergenzver- 
cngeiimg  spricht  für  Denientia  praecox,  während  das  alleinige 
Fehlen  der  Pupillenunruhe  bei  noch  vorhandeneni  Lichtreflex 
und  erhaltener  sensibler  Reaktion  den  Verdacht  auf  eine  orga¬ 
nische  Gebirnerkrankung  (Tabes,  Paralyse,  Lues)  erweckt.  Im 
allgemeinen  bringt  Hübners  Arbeit  manches  Bekannte,  aber 
daneben  zahlreiche  neue  Befunde,  welche  praktischen  Wert  haben 


und  zu  weiteren  Studien  Anregung  geben  dürften.  —  (Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  41,  IL  3.)  S. 

5t< 

10.  (Aus  dem  hygienischen  Institut  des  Prof.  Rübner 
in  Berlin.)  Die  Bakteriendurchlässigkeit  der  nor¬ 
malen  Magendarmschleimhut  im  S äu g  1  i n g s alte r.  Von 
Dr.  Hilgermann.  Fütterungsversuche  an  neugeborenen  Kanin¬ 
chen  und  Meerschweinchen  mit  Blindschleichentuberkel-  und  Petri¬ 
bazillus  ergaben  einen  Durchtritt  dieser  sowohl  im  Magen,  als 
auch  im  Verlaufe  des  ganzen  Darmkanals  in  die  Schleimhaut. 
Daß  die  Aufnahme  der  Bazillen  in  die  Schleimhaut  durch  vor¬ 
handene  Läsionsstellen  erfolge,  ist  nicht  anzunehmen,  viel  näher 
liegt  der  Gedanke,  daß  gemäß  der  Behauptung  Behrings  die 
Schleimhaut  im  jugendlichen  Zustande  der  natürlichen  Schutz¬ 
stoffe  entbehre,  um  einen  Uebertritt  durchwandernder  Bakterien 
verhindern  zu  können.  —  (Arch,  für  Hyg.,  54.  Bd.,  4.  H.)  Pi. 

* 

11.  lieber  die  Aktin omykosis  des  Processus  ver¬ 

miformis  sprach  F.  H.  Ke  Hock  in  der  Medical  Society 
von  London ;  er  hat  in  den  letzten  drei  Jahren  sieben  Fälle  beob¬ 
achtet.  Die  Streptothrixinfektion  des  Wurmfortsatzes  kommt  in 
zwei  Formen  vor,  für  sich  und  in  Verbindung  mit  einer  septischen 
Pyelophlebitis ;  auf  die  Tendenz  der  Abszesse,  in  einiger  Ent¬ 
fernung  von  dem  Krankheitssitze  durchzubrechen,  ist  großes  Ge¬ 
wicht  zu  legen.  Neben  der  lokalen  Therapie  ist  von  reichlichen 
Gaben  von  Jod  und  von  xArsen  Gebrauch  zu  machen.  —  (The 
Lancet  1906,  p.  996.)  F.  W. 

12.  x4us  der  psychiatrischen  Klinik  in  Freiburg  i.  B. 
(Prof.  Dr.  Hoche).  Experimentelle  Tabes  bei  Hunden 
(T  r  y  p  a  n  0  s  o  in  e  n  t  a  b  e  s).  Von  Dr.  W.  S  p  i  e  1  in  e  y  e  r,  xAssistenz- 
arzt  der  Klinik.  Verf.  berichtet,^ daß  sieb  infolge  von  Trypano- 
someniiifektion  degenerative  Veränderungen  im  Zentralnerven¬ 
system  von  Hunden  entwickeln  können,  die  denen  bei  der  ge- 
wöhnlicben  Tabes  des  Menschen  prinzipiell  gleich  sind.  xAnlaß 
zu  diesen  Versuchen  gab  dem  Verfasser  die  Tatsache,  daß  zwischen 
der  sogenannten  Schlafkrankheit  und  der  progressiven  (post¬ 
syphilitischen)  Paralyse  gewisse  anatomische  und  klinische  Be- 
ziehmigen  bestehen.  Hier  wie  dort  finden  sich  degenerative  Ver¬ 
änderungen  des  nervösen  Gewebes  neben  entzündlichen  Verände¬ 
rungen  an  den  Gefäßen.  xAiich  in  klinischer  Beziehung  gesellen 
sich  bei  beiden  zu  den  Symptomen  der  fortschreitenden  psychi¬ 
schen  Schwäche  körperliche  nervöse  Störungen  (Sprachstörung, 
xAiiomalien  der  Reflexe,  der  Sensibilität  etc.).  Weiter  sollen  nach 
Ansicht  vieler  Autoren  die  Trypanosoinen  den  Spirochäten  nahe 
verwandt  sein.  Diese  Beziehungen  nun  bewogen  den  Verfasser, 
auf  experimentellem  Wege  festzustelleii,  ob  und  welche  genieiu- 
saine  Züge  zwischen  Trypanosonierikrankheiten  und  syphilitischen, 
resp.  postsyphilitischen  Erkrankungen  sich  auffinden  ließen.  Mit 
einem  Stamme  von  Trypanosoma  Brucei  machte  Verf.  Ueber- 
tragungsversuche  auf  Tiere,  von  denen  Aläuse,  Ratten  und  Affen 
der  Infektion  schnell  erlagen.  Bei  Hunden  dagegen,  die  neun  bis 
zehn  Wochen  nach  der  Impfung  am  Leben  erhalten  werden 
konnten,  gelang  es,  mit  Hilfe  der  Marc  hi  scheu  Chromosmiuin- 
methode  frische  Degenerationen  im  Gebiete  der  hinteren  Rücken- 
maikwurzeln,  der  sensiblen  Trigeminuswurzel  und  im  Optikus 
nachzuweisen.  Klinisch  ließen  sich  bei  den  Tieren  sichere  An¬ 
zeichen  für  eine  Erkrankung  dieser  Systeme  nicht  nachweisen. 
abgesehen  davon,  daß  die  Sehnenreflexe  an  den  vorderen  Extremi¬ 
täten  schwächer  waren  als  vorher.  Wenn  Verf.  von  einer  Tabes 
bei  Flunden  spricht,  so  bezieht  er  sich  lediglich  auf  den  histo¬ 
logischen  Befund,  vor  alleni  auf  die  elektive  Degeneration  der 
Hinterwurzeln.  Aus  einem  beigegebenen  Querschnittbilde  vom 
oberen  Halsmark  geht  hervor,  daß  sich  die  Hinterwurzelerkrankung 
im  wesentlichen  auf  die  zervikalen  Segmente  beschränkt;  denn 
die  aufsteigende  Degeneration  von  Hintenvurzelfasern  aus  den 
tieferen  Abschnitten  des  Rückenmarks  ist  sehr  gering.  An 
Schnitten  ans  den  Brust-  und  Lumbalsegmenten  des  Rückenmarks 
überzeugt  mau  sich,  daß,  je  tiefer  man  konimt,  desto  geringer 
die  Zerfallserscheinungen  an  den  sensiblen  Wurzelfasern  sind. 
]\lan  bat  es  also  mit  einer  zervikalen  Tabes  im  ersten  Stadium 
zu  tun.  Die  Berechtigung  von  einer  tabischen  Rückenmarksvei’- 
ilnderung,  von  einer  „Trypanosonientabes“  zu  reden,  gründet 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


Verf.  vor  allein  auf  diese  elektive  Erkrankung  des  zentripetalen 
Abschnittes  des  sensiblen  Protonelirons.  Regelmäßiger  noch  als 
diese  Hinterwurzelveränderungen,  fanden  sich,  bei  den  Hunden 
Entartungsprozesse  in  der  sensiblen  Trigeminus wurzel,  d.  h.  also, 
in  einem  zerebralen  ,,Hinterwui’zel“gebiete.  Es  stimmt  also  auch 
darin  der  histologische  Befund  bei  dieser  „Trypanosomentabes“ 
mit  dem  bei  der  postsyphilitischen  Tabes  des  Menschen  überein. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  endlich  noch  die  Miterkrankung  des 
Optikus,  die  Verf.  allerdings  nur  in  zwei  Fällen  nachweisen 
konnte.  Mit  Rücksicht  auf  die  Lokalisation  der  degenerativen 
Vorgänge  —  die  Erkrankung  der  Hinterwurzelsysteme  und  die 
Beteiligung  des  Optikus  —  und  mit  Rücksicht  auf  die  Eigenart 
des  degenerativen  Prozesses  —  die  primäre  Fasererkrankung  — 
erscheint  es  dem  Verfasser  gerechtfertigt,  hier  von  einer  tabischen 
Erkrankung  bei  Hunden  zu  sprechen:  die  „Trypanosomentabes“ 
dieser  Hunde  stimUit  in  ihrem  histologischen  Verhalten  prinzipiell 
mit  der  postsyphilitischen  Tabes  des  Menschen  überein.  — 
(Münchener  mediz.  Wochenschrift  1906,  Nr.  48.)  G. 


^/ermisehte  flaehrichten. 

Verliehen:  Den  Privatdozenten  an  der  Universität  in 
Lemberg,  Dr.  Franz  Kosmiiiski  (Greburtshilfe),  Dr.  Ladislaus 
Bylicki  (Geburtshilfe)  und  Dr.  Gustav  Bikeles  (Neurologie), 

der  Titel  eines  außerordentlichen  Universitätsprofessors. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Artur  Brückner  für  Augenheilkunde 
in  Würzburg. 

♦ 

Gestorben:  Der  Privatdozent  für  Arzneimittel  und  innere 
Medizin,  Prof.  A.  Buchwald  in  Breslau. 

* 

Nach  Ablauf  der  Funktionsdauer  der  bisherigen  Mitglieder 
wurde  der  niederöste  rreichische  Landes  sanitätsrat 
neu  zusammengesetzt.  Derselbe  besteht  für  das  Triennium  1907 
bis  1909  aus  folgenden  Mitgliedern  u.  zw.  dem  niederösterreichi¬ 
schen  Landessanitätsreferenten,  Statthaltereirate  Dr.  August  Neto- 
litzky,  aus  den  von  der  Regierung  ernannten  sechs  Mitgliedern: 
a.  o.  Universitätsprofessor,  Regierungsrat  Dr.  Julius  Mauthner, 
Dr.  Anton  Merta,  kaiserlicher  Rat  und  Polizeichefsarzt  Dr.  Josef 
Nowak,  Direktor  des  k.  k.  Elisabeth- Spitales,  o.  ö.  Universitäts¬ 
professor  Hofrat  Dr.  Leopold  Oser,  o.  ö.  Universitätsprofessor 
Dr.  Richard  Pal  tauf,  o.  ö.  Universitätsprofessor  Dr.  Artur 
Schattenfroh,  endlich  aus  den  vom  niederösterreichischen 
Landesausscbusse  entsendeten  zwei  Mitgliedern:  dem  .Hegierungs- 
rate  Dr.  Ludwig  Piskacek,  Professor  an  der  k.  k.  Hebammen¬ 
lehranstalt  und  Regierungsrate  Dr.  Adalbert  Tilkowsky,  Direktor 
der  niedei'österreichischen  Landesirrenanstalt  in  \\Ten.  Als 
ständige  außerordentliche  Mitglieder  hat  der  Statthalter  in  Oester¬ 
reich  unter  der  Enns  für  bestimmte  Fachangelegenheiten  den 
Mitvorstand  des  Wiener  Apothekerhauptgremiums  Mag.  pharm. 
Hugo  Bayer,  den  Oberbaurat  und  Vorstand  des  Hochbaudepar¬ 
tements  der  Statthalterei,  Michael  Fellner,  den  Direktor  der 
staatlichen  Impfstoffgewinnungsanstalt  Dr.  Gustav  Paul,  denOber- 
stadtpbysikus  Dr.  Theodor  Szongott  und  den  Landesveterinär¬ 
referenten  Karl  Wittmann  berufen.  Die  Wiener  Aerztekammer 
hat  ihren  Vizepräsidenten  Dr.  Eduard  Dirmoser  und  als  dessen 
Stellvertreter  Dr.  Heinrich  Grün,  die  Aerztekammer  für  Nieder¬ 
österreich  mit  Ausnahme  von  Wien  ihren  Präsidenten,  Doktor 
Josef  List  in  Retz  und  als  dessen  Stellvertreter  Dr.  Friedrich 
J  a  n  e  c  z  e  k  in  Herrnbaumgarten  zu  ihren  Delegierten  im  Landes¬ 
sanitätsrate  gewählt. 

* 

Durch  eine  Kundmachung  des  k.  k.  Statthalters  im  Erz- 
herzogtume  Oesterreich  unter  der  Enns,  vom  13.  Dezember  1906, 
/.  XI— 955/3,  betreffend  ein  allgemeines  Regulativ  für 
den  Transport  und  die  Abgabe  Infektionskranker  in 
die  öffentlichen  und  privaten  Krankenanstalten  in 
M  ien,  werden  die  seinerzeitigen  Bestimmungen  vom  Jahre  1903 
außer  Kraft  gesetzt.  Nach  der  neuen  Verordnung  sind  zur  Auf¬ 
nahme  Infektionskranker  nur  nachstehende  Spi- 
läler  berechtigt:  A.  Oef fentliche  Spitäler,  a)  K.  k. 
Kaiser-Franz- Joseph- Spital  für  Pest,  Blattern,  Cholera, 
Flecktyphus  und  andere  hochinfektiöse  Krankheitsformen,  Baucb- 
typhus,  Dysenterie,  Scharlach,  Masern,  Varizellen,  Diphtheritis 
nnd  Rotlauf;  b)  k.  k.  K  r  a  nk  e  n  a  n  s  tal  t  „Ru  d  o  1  p  h- S  ti  f  tu  n  g“ 
für  Banchtyphus,  in  beschränktem  Maße  auch  Rotlauf;  c)  k.  k. 
Kai  serin- Elisabeth- Spital  für  Diphtheritis,  Bauchtyphus, 
Dysenterie  und  Rotlauf;  d)  k.  k.  Krankenanstalt  Erz- 
herzogin-Sophien-Spitalstiftung  für  Bauchtyphus,  Dys¬ 


enterie  und  Rotlauf;  e)  ,k.  k.  Wilhelminen- Spital  für 
Bauchtyphus,  Rotlauf  (in  beschränktem  Maße  und  Dys¬ 
enterie  (bei  Erwachsenen) ;  Diphtheritis,  Keuchhusten,  Masern, 
Rotlauf,  Scharlach  und  Varizellen  (nur  für  Kinder).  B.  Privat¬ 
spitäler.  a)  Krankenhaus  der  Barmherzigen  Brüder 
in  der  Leopoldstadt,  für  Bauchtyphus  und  Rotlauf;  b)  Leo¬ 
poldstädter  Kinderspital  für  Diphtheritis,  Masern  und 
Scharlach;  c)  Kr  onprinz- Rudolph-Kinderspi  tal  für 
Diphtheritis,  Masern  und  Scharlach;  d)  St.  Annen-Kinder- 
spital  für  Diphtheritis,  Masern  und  Scharlach;  e)  St.  Joseph- 
Kinderspital  für  Diphtheritis,  Masern  und  Scharlach;  f)  Karo- 
linen-Kinderspital  für  Diphtheritis,  Masern,  Scharlach  und 
Varizellen.  Zum  Transporte  Infektionskranker  in  eines  dieser 
Spitäler  darf  nur  der  städtische  Infektions  wagen  be¬ 
nützt  werden,  welcher  im  Wege  des  zuständigen  k.  k.  Polizei¬ 
kommissariates  zu  requirieren  ist.  Die  Benützung  öffentlicher 
Lohnfuhrwerke  zur  Beförderung  von  Infektionskranken  ist  strenge 
untersagt. 

* 

Die  Neuwahl  des  Vorstandes  des  ,, Vereines  der  Aerzte  des 
1.  Bezirkes“,  welche  am  10.  Dezember  v.  J.  stattfand,  ergab 
folgendes  Resultat:  Obmann:  Prof.  Dr.  L.  Königstein;  Ob¬ 
mannstellvertreter:  Prof.  Dr.  E.  Finger;  Kassier:  Dr.  J.  Sa- 
muely;  1.  Schriftführer:  Dr.  Walter  Bienenstock;  H.  Schrift¬ 
führer:  Dr.  Otfried  Fellner. 

* 

Der  24.  Kongreß  für  Innere  Medizin  in  Wies¬ 
baden,  findet  vom  15.  bis  18.  April  1907,  unter  dem  Vorsitzei 
des  Herrn  Geheimrat  v.  Leyden,  statt.  Am  ersten  Sitzungstage: 
Montag,  den  15.  April  1907,  soll  folgendes  Referatthema  zur 
Verhandlung  kommen:  Neuralgien  und  ihre  Behandlung. 
Referent:  Schnitze -Bonn.  Folgende  Vorträge  sind  bereits 
angemeldet:  Hui smans- Köln:  Ein  Beitrag  zur  pathologischen 
Anatomie  der  Tay-Sachs sehen  familiären  amaurotischen  Idiotie. 
V.  Jaksch-Prag:  Ueber  chronische  Mangantoxikosen.  Treupel- 
Frankfurt  a.  M. :  Der  gegenwärtige  Stand  der  Lehre  der  Perkussion 
des  Herzens.  F  r  a  n  z  e  -  Bad  Nauheim :  Demonstration  einer  durch¬ 
sichtigen  Zeichenebene  für  Orthodiagraphie.  C.  Hirsch- Leipzig 
und  W.  Spalte  holz -Leipzig:  Koronarkreislauf  und  Herzmuskel, 
anatomische  und  experimentelle  Untersuchungen.  Ed.  Müller- 
Breslau  :  Das  proteolytische  Leukozytenferment  und  sein  Anti¬ 
ferment.  Ed.  Mül  1er- Breslau  und  J ochmann -Berlin :  Demon¬ 
stration  einer  einfachen  Methode  zum  Nachweise  proteolytischer 
Fermentwirkungen.  Anmeldung  von  Vorträgen  nimmt  Geh.  Sani¬ 
tätsrat  Dr.  Emil  Pfeiffer,  ständiger  Sekretär  des  Kongresses  für 

Innere  Medizin,  Wiesbaden,  Parkstraße  13,  entgegen. 

♦ 

Mit  Beginn  des  neuen  Jahres  erscheint  im  Verlage  von 
Urban  &  Schwarzenberg  in  Wien  eine  Halbmonatsschrift, 
die  sich  ,,Gynäkolo gische  Rundschau“  betitelt  und  von 
Dr.  Oskar  Frankl  in  Wien  redigiert  wird.  Wenn  sich  die  gynäko¬ 
logische  Literatur  bisher  nur  auf  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete 
des  erkrankten  und  graviden  Genitales  beschränkt  hat,  so  soll 
die  neue  Zeitschrift  auch  Originalien  und  Referate  aus  den  Grenz¬ 
gebieten  zwischen  Frauenheilkunde  und  den  übrigen  medizinischen 
Disziplinen :  Innere  Medizin,  Neurologie,  Kinderheilkunde,  Chi¬ 
rurgie,  Urologie  und  gerichtliche  Medizin,  Hebammenwesen,  Ge¬ 
schichte  der  Gynäkologie  bringen.  In  der  Rubrik  ,, Referate“ 
sollen  nur  Lehrbücher  und  Monographien  einzeln  besprochen, 
sonst  ein  Hauptgewicht  auf  Sammelreferate  gelegt  werden.  Alle 

14  Tage  soll  ein  Heft  erscheinen.  Preis  des  Jahrganges  K  18. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  Sanitätsstatistik  bei 
der  Mannschaft  des  k.  und  k.  Heeres  im  Oktober  1906. 
Krankenzugang  24.291  Mann,  entsprechend  78°/oo  der  durch¬ 
schnittlichen  Kopfstärke;  an  Heilanstalten  abgegeben  13.074  Mann, 
entsprecliend  42%o  der  durchschnittlichen  Kopfstärke;  Todes¬ 
fälle  44  Mann,  entsprechend  0-14Voo  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiet.  50.  Jahreswoche  (vom  9.  bis 
15.  Dezember).  Lebend  geboren,  ehelich  623,  unehelich  225,  zusammen  848. 
Tot  geboren,  ehelich  45,  unehelich  35,  zusammen  80.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  639  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
17-0  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  2,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  10, 
Scharlach  7,  Keuchhusten  5,  Diphtherie  und  Krupp  9,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  4,  Lungentuberkulose  95,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  57,  Wochenbettfieber  2.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  31  ( —  18),  Wochenbettfleber  3  (-|-  2),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  89  (+  27),  Masern  269  (+  56),  Scharlach  89  (-f  13),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  6  (—  1),  Ruhr  1  (-f  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  120  (+  1),  Keuchhusten  39  (—  7),  Trachom  6  (-j-3). 
Influenza  0  (0). 


Nr.  1 


27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Yerhandlungen  ärztlicher  Glesellschaften  und  Eongreßberichte. 

INHALT: 


fJesellscliaft  für  iunere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  13.  Dezember  1906. 

Wissenschaftlicher  Verein  der  Älilitärärzte  der  (larnison  Wien. 
Sitzung  vom  15.  Dezember  1906. 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn.  Sitzung  vom  21.  November  1906  und 
12.  Dezember  1906. 

78.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Stuttgart, 
16.  bis  22.  September  1906. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil-  I 

künde  in  Wien. 

* 

Sitzung  vom  13.  Dezember  1906. 

Ad.  Zeman  demonstriert  das  anatomische  Präparat  eines 
Falles  von  narbiger  Stenose  des  linken  Conus  ar¬ 
teriosus.  Der  19jährige  Patient  war  an  ulzeröser  Endokarditis 
gestorben.  Das  ganze  Herz  ist  vergrößert,  namentlich  der  linke 
Ventrikel;  an  der  Bikuspidalis  finden  sich  endokarditische  Auf¬ 
lagerungen,  im  Conus  arteriosus  sitzt  ein  aus  fibrösem  Gewebe 
bestehender,  quergespannter  Ring,  mit  enger,  zentraler  Oeffnung. 
lieber  dem  Ring  befindet  sich  eine  aneurysmatische  Ausbuchtung, 
die  Klappen  sind  stark  ausgebuchbet  und  stellenweise  zerrissen. 
Der  Ring  dürfte  durch  einen  im  Fötalleben  durchgemacliten  ent¬ 
zündlichen  Prozeß  entstanden  sein.  Bemerkenswert  ist  die  un¬ 
gewöhnliche  Enge  sämtlicher  Arterien. 

Maxim.  Sternberg  bespricht  die  Krankengeschichte  des 
Falles.  Der  junge  Mann  wußte  seit  seiner  Jugend,  daß  er  herz¬ 
leidend  sei.  Kurz  vor  dem  Tode  trat  die  Endokarditis  auf.  Am 
ganzen  Thorax,  vorne,  war  ein  Schwirren  zu  verspüren,  am 
stärksten  im  zweiten  Interkostalraum,  aber  nicht  auf  eine  um¬ 
schriebene  Stelle  desselben  beschränkt.  Dem  Schwirren  entsprach 
ein  sehr  lautes,  systolisches  Geräusch,  der  Puls  war  nicht  ab¬ 
norm  niedrig. 

Maxim.  Weinberger  berichtet  über  den  Obduktionsbefund 
des  in  der  Sitzung  vom  18.  Oktober  vorgestellten  Falles  von 
Aneurysma  der  Aorta  am  Bogen  und  dessen  absteigendem  Teile, 
welches  eine  Kompression  des  Nervus  recurrens,  der  Trachea 
und  des  linken  Hauptbronchus,  mit  folgender  Atelektase  des  linken 
Unterlappens  und  Retraktion  des  Herzens,  sowie  des  Mediastinums 
in  die  linke  Thoraxhälfte  herbeigeführt  hatte.  Seit  der  Zeit  der 
Vorstellung  nahmen  die  Beschwerden  des  Kranken  und  die  iltem- 
not  zu  und  nach  wenigen  Tagen  erfolgte  der  Exitus.  Bei  der 
Obduktion  fanden  sich :  Chronische  Endarteriitis  der  Aorta  ascen- 
dens,  in  den  linken  Bronchus  perforiertes  Aneurysma  der  Aorta; 
Kompression  des  linken  Bronchus,  eitrige  Bronchitis  und  lobuläre 
Pneumonie,  links  Emphysem,  Perikarditis,  totale  Anwachsung  der 
linken  und  partielle  der  rechten  Lunge,  hochgradige  Kompression 
des  linken  Hauptbronchus  mit  Atelektase  der  Lunge.  Durch 
die  Anwachsung  der  Lunge  an  den  Thorax  läßt  sich  erklären, 
daß  die  linke,  bei  der  zunehmenden  Kompression  ihres  Bronchus 
luftarm  werdende  Lunge  sich  nicht  gegen  den  Hilus  retrahierte, 
sondern  gegen  die  Thoraxwand  zu  und  daß  sie  dabei  das  Media¬ 
stinum  mit  sich  zog  und  so  dislozierte. 

L.  Hofbauer  bemerkt,  dieser  Fall  zeuge  deutlich,  daß 
die  früher  als  charakteristisch  für  Bronchostenose  angesehene 
Wanderung  des  Mediastinums  nicht  mehr  vorhanden  ist,  respek¬ 
tive  auch  bei  anderen  Fällen  Vorkommen  kann.  Wie  er  in  einer 
ausführlich  in  Holzknechts  ,, Mitteilungen“  enthaltenen  Arbeit 
mit  Holzknecht  nachweisen  konnte,  kann  als  Folge  einer  ein¬ 
seitigen  Lungeninfiltration  schon  inspiratorische  Mediastinal- 
wanderung  auftreten. 

M.  W e i n b e r g e r  s t imnit  den  von  Hofbauer  ange- 
führten  Tatsachen  bei,  auf  welche  er  schon  früher  aufmerksam 
gemacht  hat.  Die  Bedingungen,  welche  zu  einer  Verschiebung  des 
Mediastinums  führen,  entstehen  auch  durch  die  verschieden¬ 
artigsten  Krankheiten,  welche  das  Eindringen  der  Luft  in  die 
Lunge  erschweren. 

Salomon:  Versuche  über  Ser  um  diagnose  des 
Karzinoms.  Vortr.  hat  diese  Versuche  bereits  vor  IV2  Jahren 
vorgenommen,  konnte  sie  aber  aus  äußeren  Gründen  nicht  weiler¬ 
führen.  Er  untersuchte  die  Frage,  ob  das  spezifische  Gewebe 
des  Karzinoms  nach  Einverleibung  in  den  Tierkörper,  dem  Serum 
besondere  Eigenschaften  mitteilt.  Die  Versuche  ergaben,  daß  es 
den  Anschein  hat,  als  ob  im  Karzinomserum  sich  Antifermente 
befinden,  welche  auf  die  Autolyse  des  Karzinomgewebes  hemmend 
einwirken.  Die  Hemmung  der  Hämolyse  durch  Karzinomserum 
verläuft  nicht  anders  als  diejenige  durch  normales  Serum,  beide 
wirken  stark  hemmend  auf  die  Hämolyse.  Wurde  ein  Kaninchen 
mit  getrockneter,  zerriebener  und  in  Kochsalzlösung  auf¬ 
geschwemmter  Karzinomsubstanz  injiziert,  so  lieferte  es  ein 


Serum,  welches  Karzinomserum  fällte.  Dieser  Befund  läßt  sich 
aber  nicht  verallgemeinern,  weil  er  nur  in  einem  einzigen  P'alle 
erhoben  wurde. 

E.  Ranzi  hat  zahlreiche  Versuche  unternommen,  um  zu 
einer  Serumdiagnose  des  Karzinoms  zu  gelangen;  dieselben  fielen 
aber  sowohl  bezüglich  der  Präzipitinreaktion,  als  auch  der  Kom¬ 
plementablenkungsmethode  negativ  aus. 

L.  Hofbauer  weist  darauf  hin,  daß  derartige  Versuche 
vielleicht  über  die  Aetiologie  des  Asthma  carcinomatosum  (Alte¬ 
ration  des  Serums)  Aufklärung  bringen  könnten. 

Pribram  bemerkt,  daß  seine  Serumversuche  ebenfalls 
negativ  ausgefallen  sind. 

Art.  Klein  erklärt  den  Vorgang  bei  der  „Komplement¬ 
ablenkung“. 

K.  Stejskal  bemerkt,  daß  es  sich  bei  den  vom  Vor¬ 
tragenden  erhaltenen  Präzipitinen  nach  ihren  Eigenschaften  nicht 
um  Karzinompräzipitine,  sondern  um  Allgemeinpräzipitine  für 
Menscheneiweiß  handeln  dürfte,  welche  der  Absättigung  ent¬ 
gangen  sind. 

Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  vom  15.  Dezember  1906. 

Stabsarzt  Dr.  Franz  stellt  mehrere  Soldaten  mit  Herzneu¬ 
rosen  vor,  bespricht  die  xVetiologie  und  den  Einfluß  gewisser 
militärischer  Dienstleistungen  auf  die  Entstehung,  bzw.  Ver¬ 
schlimmerung  derselben.  Verhältnismäßig  häufig  treten  Herz¬ 
neurosen  bei  Leuten  des  M  i  1  i  t  ä  r  w  a  c  h  k  0  r  p  s  auf,  welchen  die 
Bewachung  der  Sträflinge  obliegt. 

Weiters  werden  vom  Vortragenden  drei  Fälle  von  Endo¬ 
karditis  nach  Gonorrhoe,  Pneumonie  und  Gelenks¬ 
rheumatismus,  endlich  eine  Concretio  cordis  cum  per i- 
cardio  demonstriert  und  besprochen. 

Regimentsarzt  Dr.  Mattau schek  stellt  einen  Fall  von 
psychogener  Hemiplegie,  nach  Trauma  vor. 

Bei  einem  hereditär  belasteten,  neuropathischen  Individuum 
traten  nach  einem  Sturze  aus  einer  Höhe  von  ca.  4  m,  nach 
wenigen  Minuten  Bewußtseinsverlust,  tonisch -klonische  Krämpfe 
auf,  welche  während  der  24  Stunden  dauernden  Bewußtlosigkeit 
durch  Druck  auf  die  Lendenwirbelsäule  und  auch  durch  Be¬ 
rührungen  mit  der  bloßen  Hand  mehrmals  in  Form  von  Jak¬ 
tationen  und  tonischen  Kontraktionen  auszulösen  waren. 

In  dieser  Zeit  kamen  auch  delirante  Phasen,  sowie  leiden¬ 
schaftliche  Stellungen  (Attiludes  passionelles),  wobei  Pat.  im  Bette 
auf  beiden  Füßen  stand,  zur  Beobachtung.  Später  linksseitige 
Hemiparese,  ohne  Hirnnervenstörung,  ohne  Reflexsteigerung  (Ba- 
binski,  Oppenheim -Gordon  nicht  vorhanden)  oder  Reflex¬ 
differenzen,  statische  Skoliose.  Bei  den  ersten  Gehversuchen 
starkes  und  auffallendes  Taumeln,  linker  Füß  dabei  mit  der  Sohle 
schleifend,  oder  mit  der  Ferse  stampfend,  Flankengang  nach  der 
gesunden  Seite  besser. 

Außerdem  nur  geringe  Herabsetzung  des  Lagegefühles  im 
linken  Sprung-  und  an  den  Zehengelenken,  sowie  faradokutane 
Hypästhesie  des  Beines. 

Rasche  Heilung  unter  Psychotherapie  und  faradischer  Be¬ 
handlung.  Nach  Erörterung  der  differentialdiagnostischen  Mo¬ 
mente,  gegenüber  organischer  Affektion  Feststellung  des  psycho¬ 
genen  Charakters  der  Erkrankung. 

Regimentsarzt  Dr.  Koder  stellt  neun  Fälle  aus  der  fünften 
Abteilung  des  Garnisonspitales  Nr.  1  (Stabsarzt  v.  Wolff)  vor, 
u.  zw.  je  einen  Fall  von  Fractura  colli  anatomici  humeri, 
Fractura  patellae,  Fractura  et  luxatio  hallucis  com¬ 
plicata,  einen  Fall  von  Mus  artic.  genusi,  zwei  Fälle  von 
Abtragung  epiphysärer  Exostosen  der  Tibia,  zwei  Fälle 
von  Zysten  des  Samenstranges,  endlich  einen  Fall,  bei 
welcbem  die  Hämorrhoidalknoten  nach  der  Methode  von 
Whitehead  exzidiert  wurden.  Diese  auf  der  Abteilung  geübte 
Methode  liefert  nach  den  Älilteilungen  des  Vortragenden  gute 
Erfolge  und  baldige  Heilung. 

Diskussion:  Begimentsarzt  Dr.  Jeney  macht  einige  Be¬ 
merkungen  bezüglich  der  Exzisionsmethode  der  Häm  or- 


28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


r h o i d alk n 0 1 e n  nach  Whitehead.  Diese  zeichnet  sich  zwar 
durch  eine  kurze  Zeitdauer  aus,  doch  haften  derselben  derartige 
Nachteile  an,  daß  sie  dermalen  von  den  meisten  deutschen 
Chirurgen  verlassen  ist.  Als  Nachteile  der  Exzisionsmethode 
sind,  wenn  die  Heilung  nicht  per  primam  erfolgte,  Stenosen 
und  Bildung  von  rigiden  Narben  aju  Anus  anzuführen. 
Als  ein  weiterer  Nachteil  ist  die  lästige  Schleimahsonderuiig  zu 
nennen,  da  die  Mastdarmschleimhaut  unmittelbar  an  die  Haut 
angrenzt.  Auch  wurde,  allerdings  in  seltenen  Fällen,  eine  relative 
Inkontinenz,  anschließend  an  die  Operation  beobachtet.  Diese 
ist  durch  eine  leichte  Läsion  des  Sphinkters  zu  erklären,  welche 
sich  c'iuch  bei  sorgfältiger  Ablösung  der  Hämorrhoiden  kaum 
vermeiden  läßt.  Die  kürzere  Heilungsdaucr  der  Exzisionsmethode 
ist  im  Vergleich  zur  längeren  der  deutschen,  sogenannten 
L  a  n  g  e  n  1)  e  c  k  sehen  Methode,  zwar  bestechend,  doch  setzt  dies 
eine  prima  intentio  voraus,  welche  gerade  in  der  Anal¬ 
gegend  nicht  immer  zu  erreichen  ist.  Durch  eine  Heilung  per 
granulationem  würde  dem  Kranken  nur  geschadet  werden. 

Regimentsai'zt  Dr.  Sc  hei  dl  stellt  vier  Fälle  aus  seiner 
Abteilung  vor;  1.  Einen  Fall  von  komplizierter  Fraktur  des 
Unterschenkels.  2.  Einen  Fall  von  Periostitis  mit  Karies  des 
rechten  Unterkieferknochens.  Da  der  JManii  vor  seiner  Militärdienst¬ 
zeit  in  einer  Zündhölzchenfabrik  beschäftigt  war,  so  kann  es 
keinein  Zweifel  unterliegen,  daßi  die  Nekrose  auf  diese  Be¬ 
schäftigung  zu  beziehen  ist.  Auffallend  ist  auch,  daß  die  Schädi¬ 
gung  des  Knochens  durch  Phosphor  durch  zwei  Jahre  okkult  blieb 
und  es  erst  im  Anschlüsse  an  die  geischilderte  Beinhautentzündung 
zur  Nekrose  kam.  3.  Komplizierter  Bruch  des  Unterkiefers. 
4.  Selbstmordversuch  mit  einem  Infanteriegewehr,  wobei  der  Täter 
die  Gewehrmündung  zwischen  Kinn  und  Kehlkopf  ansetzte. 

Begiinentsarzt  Dr.  Urpani  stellt  aus  der  dermatosyphiliti- 
schon  Abteilung  des  Garnisonspitales  Nr.  2  zwei  Fälle  von  extra- 
genitalem  syphilitischen  Primäraff  ekte  vor,  von 
welchen  der  eine  an  der  linken  Stirnseite  und  der  zweite  an 
der  linken  Wange  saß.  Ferner  demonstriert  Urpani  einen  Fall 
von  E  r  y  t  h  e  m  a  exsudativ  u  m  m  u  1 1  i  f  o  r  m  e  g  y  r  a  t  u  m. 

Regimentsarzt  Dr.  Borschke  stellt  einen  Mann  vor,  der 
seit  zirka  fünf  Wochen  an  Husten  und  seit  drei  Wochen  an 
Atemnot  leidet,  die  nur  nach  stärkeren  Anstrengungen  auf  tritt 
und  nach  ganz  kurzer  Zeit  der  Ruhe  wieder  verschwindet.  Der 
Mann  hat  vor  zwei  Jahren  eine  linksseitige  Pleuritis  durchgeraacht. 
Die  Untersuchung  ergibt  über  der  linken  Spitze  Schallverkürzung 
und  zahlreiche  kleinblasige  Rasselgeräusche,  an  der  Basis  links 
eine  Dämpfung,  welche  vorne  bis  zur  dritten  Rippe,  hinten  bis 
zum  fünften  Dornfortsatz  reicht.  Das  Atmungsgeräusch  daselbst 
abgcschwächl,  bzw.  aufgehoben.  Handbreit  nach  links  vom  achten 
Dornfortsatz,  hört  man  ein  Geräusch  von  Rasseln  und  Reiben, 
mit  deutlich  singendem,  musikalischem  Charakter,  das  synchron 
mit  der  Herzaklion  ist.  Am  deutlichsten  hört  man  daselbe  bei 
maximaler  Inspiration  und  leicht  vorgeneigtem  Körper,  in  welcher 
Stellung  es  so  laut  ist,  daß  man  es  schon  hört,  wenn  das  Ohr 
noch  einige  Zentimeter  von  der  Brustwand  entfernt  ist. 

Redner  glaubt,  daß  es  sich  hier  um  eine  Kaverne  liandelt, 
welche  mit  den  großen  Luftwegen  direkt  kommuniziert  und  welche 
durch  die  Herzaktion  erschüttert  wird.  Es  mag  gleichzeitig  durch 
die  Herzbewegung  an  der  Pleura  pulmonalis  und  pericardialis  ein 
Reibegeräusch  entstehen,  welches  durch  den  Hohlraum  der  Ka- 
vei'iie  wie  durch  einen  Resonator  verstärkt  wird. 

Regimentsarzt  Priv.-Doz.  Dr.  Reuter  demonstriert  die  ana¬ 
tomischen  Präparate  zweier  Herzen  mit  hochgradiger  Ste¬ 
nose  des  linken  arteriellen  Ostiums.  Diese  hatte  sich  in 
beiden  Fällen  auf  dem  Boden  einer  mykotischen  Endo- 
kai'ditis  entwickelt  und  zeichnen  sich  diese  Fälle  namentlich 
dadurtdi  aus,  daß  trotz  der  schweren  anatomischen  Veränderungen 
die  klinischen  Erscheinungen  nur  geringgradige  waren  und  der 
Tod  plötzlich  eintrat. 

peil  Schlußi  der  Sitzung  bildet  die  Fortsetzung  der  Dis¬ 
kussion  über  den  Vorlrag  des  Liiiienschiffsarztes  Doktor 
Koren  can,  an  welcher  sich  die  Regimentsärzte  Dr.  Schcidl 
und  Priv.-Doz.  Dr.  Biehl  beteiligen. 

Sc  hei  dl  bemerkt,  daß  auch  er  mit  der  Bi  er  sehen  Stauung 
recht  gute  Resultate  erzielt  habe  und  verweist  unter  anderem 
auf  den  Inhalt  seines  Vortrages,  den  er  voriges  Jahr  im  Vereine 
hielt.  Priv.-Doz.  Dr.  Biehl  betont  unter  spezieller  Besprechung 
einiger  Fälle  aus  seiner  Praxis,  daß  er  keine  günstigen  Er¬ 
fahrungen  mit  der  Bier  sehen  Stauung  gemacht  habe.  Er  müsse 
im  allgemeinen  vor  der  Anwendung  derselben  in  der  Obrenheil- 
kunde  warnen,  nur  bei  der  Oloskhn’ose  könne  sie  von 
günstigem  Einflüsse  sein,  namentlich  mit  Rücksicht  auf 
die  subjekliveu  Beschwerden  bei  derselben.  Hingegen  empfehle 
er  auf  Grund  eigener  Erfahrungen  die  Saugung  nach  Klapp, 


wenn  diese  mit  entsprechender  Vorsicht  vorgenommen  werde. 
(Demonstration.) 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzung  vom  21.  November  1906. 

Vorsitzender:  Kais.  Rat  Dr.  Kroczak. 

Schriftführer ;  Dr.  Schweinburg. 

Di rektor  Dr.  Bittner  demonstriert : 

1.  Einen  Fall  von  Karies  des  Humerus,  der  unter  Anwendung 
der  M ose tig sehen  Jodoforinplombe  geheilt  wurde;  gleichzeitig 
wird  das  Röntgenbild  eines  anderein,  mit  Hilfe  desselben  Verfahrens 
behandelten,  geheilten  Falles  (Caries  calcanei)  demonstriert. 

2.  Einen  operativ  geheilten  Fall  von  Atresia  ani  vaginalis; 
die  Operation  bestand  in  der  Bildung  eines  Afters  und  im  Ver¬ 
schlüsse  der  Komlnunikationsfistel. 

3.  Einen  Fall  von  Kryptorchismus,  der  durch  Operation 
geheilt  wurde.  Da  der  Samenstrang  so  kurz  war,  daß  der  Hoden 
nicht  in  das  Skrotum  heruntergezogen  werden  konnte,  mußten 
die  Gefäße  des  Samenstranges  durchschnitten  werden,  da  Vor¬ 
tragender  aus  zahlreichen  Erfahrungen  weiß,  daß  dieser  Eingriff 
ausgeführt  werden  kann,  ohne  daß  Nekrose  des  Hodens  oder  der 
in  Betracht  kommenden  Gebilde  auftritt.  Von  16  einschlägigen 
Fällen  hat  Vortr.  fünf  Fälle  in  der  angegebenen  Weise  operiert: 
auch  der  demonstrierte  Fall  zeigl,  daß  der  Eingriff  keine  schäd¬ 
lichen  Folgen  hat,  anderseits  aber  den  Zweck  der  Operation  er¬ 
möglicht. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  S 1  e  r  n  b  e  r  g  demonstriert : 

1.  Einen  Ischiopagus  parasiticus;  von  den  beiden  mit  den 
Becken  verwachsenen  Früchten  ist  die  eine  vollständig  nonnal, 
die  andere  rudimentär  entwickelt,  indem  der  Kopf  derselben  von 
einem  behaarten,  fleischig  anzufühlenden  Wulst  gebildet  wird 
und  ihre  oberen  Extremitäten  stark  mißbildet  sind;  ihre  unteren 
Extremitäten  sind  normal  entwickelt.  Beide  Früchte  haben  ein 
besonderes,  ziemlich  normal  geformtes  (männliches)  Genitale,  das 
beiderseits  an  der  Flanke  der  Mißbildung  sitzt.  Die  SektioJi  der 
inneren  Organe  ergab  an  der  entwickelten  Frucht  keine  Beson¬ 
derheiten  (bis  auf  den  Befund  am  Dickdarm).  Bei  der  rudimen¬ 
tären  Frucht  fehlen  die  Brastorgane,  sowie  Milz,  Leber  und 
Magen;  an  ihrer  Stelle  liegt  ein  von  Schleimhaut  ausgekleideler 
Sack,  in  dessen  Wand  sich  einige  knorplige  Einlagerungen  finden. 
Der  Sack  geht  in  ein  Konvolut  von  Dünndarmschlingen  über,  an 
welches  sich  ein  Dickdarm  mit  Processus  vermiformis  anschließt. 
5  cm  dir.tal  von  der  Bauhinschen  Klappe  münden  sowohl  der 
Dickdarm  der  eni wickelten,  als  jener  der  rudimentären  Frucht 
in  einem  gemeinsamen  ämpullären,  mit  Mekonium  prall  gefüllten 
xAnteil,  von  welchem  beiderseits  je  ein  einem  Enddarm  entsprechen¬ 
des  Darmstück  abgeht.  Der  eine,  offenbar  der  rudimentären  Frucht 
angehörige  Enddarm  führt  zii  einem  in  der  linken  Flanke 
gelegenen  Anus,  der  andere  mündet  in  eine  in  der  rechten  Flanke 
gelegene  Harnblase  (iVtresia  ani  vesicalis).  Die  zu  dieser  Harn¬ 
blase  gehörigen  Nieren  und  Ureteren  sind  normal  entwickelt; 
auf  der  anderen  Seite  findet  sich  eine  hochgradige,  sehr  große 
Zystenniere,  während  die  zweite  Niere  normal  ist,  eine  sehr 
beträchtliche  Erweiterung  beider  Ureteren  und  eine  hühnerei¬ 
große,  sehr  dickwandige  Harnblase. 

Vortr.  bespricht  im  Anschluß  an  diese  Demonstration  die 
Einteilung  und  Entstehung  der  Mißbildungen  im  allgemeinen,  so¬ 
wie  namentlich  die  Entstehung  der  Doppehnißbild’ungen,  im  Lichte 
der  neueren  Ergebnisse  der  Entwicklungsmechanik. 

2.  Zwei  Präparate  von  Ulcus  rotundum  duodeni.  In  dem 
einen  Falle  handelte  es  sich  um  einen  26jährigen  Taglöhner, 
der  ganz  plötzlich  unter  dem  Bilde  der  Perforationsperitonitis' 
erkrankt  war;  in  der  Annahme  einer  Appendizitis  Avurde  die 
Operation  ausgeführt,  der  Appendix  liiebei  jedoch  normal  befunden'. 
Die  Obduktion  ergab  ein  perforiertes  Ulcus  duodeni.  Der  zweite 
Fall  betrifft  einen  79jährigen  Mann,  der  an  einer  schweren 
Arteriosklerose  mit  Enzephalomalazie  verstorben  war;  bei  der 
Obduktion  fand  sich  der  Darmtrakt  mit  Blut  ausgefüllt  und  als 
Ursache  der  Blutung  ein  sehr  umfangreicher  Ulcus  duodeni,  das 
die  Arteria  gastro-duodenalis  arrodiert  hatte.  Vortr.  bespricht 
die  Häufigkeit  und  Komplikationen  des  Ulcus  duodeni. 

Diskussion:  Prim.  Mager,  Dr.  Haas,  Direktor  Bi ttnci-, 
Dr.  Ster n b erg.  ‘ 

Prim.  Dr.  Mager:  lieber  Pachymeningitis  caseosa 
externa.  -  i  ' 

Bei  einer  26jährigen  Patientin  ergab  die  klinische  Unter¬ 
suchung  eine  notorische  und  sensible  Paraplegie;  der  Ausfall 
reichte  bis  zur  sechsten  Rippe;  es  bestand  eine  Schmerzhaftigkeit 
in  der  Gegend  des  vierten  und  fünften  Dorsalwirbels  auf  Druck. 
Der  Babinskische  Reflex  war  beiderseits  heiworzurufen,  rechts 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCHllIFT.  1907. 


29 


viel  stärker  als  links;  es  hesland  an  der  linken  Mamma  Skrofulu- 
derma  und  in  den  letzten  Tagen  der  Beobaclitung  trat  ein  reclds- 
seitiges  pleuritisches  Kxsudat  auf.  Die  Erkrankung'  dauerle  acht 
Wochen.  Vortr.  bespricht  die  Differentialdiagiiose  und  begründet 
die  klinisch  gestellte  Diagnose  auf  Caries  cohunnae  vertebralis 
sequente  compressione  medullae  spinalis.  Die  Obduktion  (Doktor 
Sternberg)  ergab  nun  das  Bild  einer  Pachymeningitis  caseosa 
externa  (Demonstration  des  Präparates);  in  der  Höhe  des  fünften 
und  sechsten  Brustwirbels  fand  sich  an  der  Außenfläche  der 
Dura  mater,  zwischen  dieser  und  der  Wirbelsäule,  mehr  ent¬ 
sprechend  der  linken  und  vorderen  Zirkumferenz  des  Rücken¬ 
markes,  ein  mächtiges,  zum  Teil  verkästes,  tuberkulöses  Granu¬ 
lationsgewebe.  Die  Wirbelsäide  bot  weder  bei  der  Obduktion,  noch 
am  mazerierten  Knochen  eine  Veränderung.  Die  Pleuritis  war 
auf  den  Durchbruch  einer  erweichten  Bronchialdrüse  zurückzu¬ 
führen  (Kommunikation  mit  dem  Oesophagus).  Vortr.  bespricht 
das  Krankheitsbild  der  Pachymeningitis  caseosa  externa,  aus¬ 
gehend  von  der  bekannten  Arbeit  Kahlers  und  begründet  das 
klinische  Bild  aus  dem  anatomischen  Befund. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Sternberg  bespricht  an  der  Hand 
dieses  Falles  die  durch  Erweichung  der  Bronchialdrüsen  liervor- 
gerufenen  Komplikationen  und  deren  klinische  Symptome. 

Diskussion:  Dr .  Weiß,  Dr.  S  t  e  r  n  b  e  r  g. 

Sitzung  vom  12.  Dezember  1906. 

Vorsitzenider ;  Kais.  Rat  Dr.  Kroczak. 

Schriftführer:  Dr.  Schweinburg. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Sternberg  beginnt  die  ange¬ 
kündigten  Vorträ,ge  ,,U  eher  sicht  über  die  Ergebnisse  der 
Pmmunitätsle  hre“  und  bespricht  zunächst  die  antitoxischei 
Immunität,  die  Serotherapie  und  Ehrlichs  Seitenketten theorie. 


78.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 

Aerzte 

in  Stuttgart,  16.  bis  22.  September  1906. 

(Schluß.) 

Sitzung  vom  20.  September,  vormittags  8  Uhr. 

V orsitzender :  Fehling. 

S  c  h  i  c  k  e  1  e  -  StraJßburg :  U  e  b  e  r  die  Implantation  der 
Eier  im  Ovarium. 

S  i  p  p  e  1  -  Frankfurt  a.  M. :  Ueber  einen  neuen  Vor¬ 
schlag  zur  Bekämpfung  schwerster  Eklampsie¬ 
formen.. 

Die  aktive,  auf  möglichst  rasche  Beseitigung  der  Schwanger¬ 
schaft  gerichtete  Therapie  genügt  nicht  in  allen  Fällen,  ln  vielen 
Fällen  ist  die  Ausscheidung  des  Giftes  auch  nach  der  Entbindung 
noch  gehemmt  und  hier  kommt  der  zweite  therapeutische  Weg 
in  Betracht:  die  Entfernung  der  im  Körper  vorhandenen  Toxine. 
Die  hiezu  angewandten  bekannten  Mittel  reichen  nicht  aus,  oft 
genug  gehen  die  Kranken  im  Koma  zugrunde.  Dies  hat  seine 
Ursache  in  einem  Versagen  der  Nierenfunktion,  die  ihrerseits 
wieder  auf  degenerativen  Vorgängen  infolge  von  Stauung  beruhen. 
Diese  kommt  in  einer  Volumvergrößerung  des  Organs  zum  Aus¬ 
druck.  Einen  nicht  unerheblichen  Einfluß  auf  die  Stauung  haben 
die  Konvulsionen  selbst.  Die  intrakapsuläre  Drucksteigerung  läßt 
sich  durch  Spaltung  der  Kapsel,  bzw.  Nephrotomie  beseitigen. 
Sippel  schlägt  vor,  in  Fällen,  in  denen  nach  der  Geburt  trotz 
entsprechender  Hilfen  die  Nierensekretion  nicht  in  Gang  kommt, 
die  beiderseitige  Spaltung  der  Nierenkapsel  vorzunehrnen,  ein 
Vorschlag,  den  er  bereits  im  Jahre  1900  gemacht  hat.  Ede- 
hohls  hat  diese  Operation  zwar  schon  mit  Erfolg  gemacht, 
jedoch  ohne  weitere  Begründung,  speziell  ohne  jede  pathologisch¬ 
anatomische  Unterlage. 

Diskussion:  K  r  ö  n  i  g  -  Freiburg  i.  B. :  Von  chirurgischer 
Seite  wird  die  Wirksamkeit  der  Dekapsulation  bei  akuten  Nieren¬ 
erkrankungen  bezweifelt.  Krönig  wird  aber  im  gegebenen  Falle 
nach  dem  Vorschlag  von  Sippel  operieren. 

Pankow- Freibürg  i.  B. :  Ueber  Reimplantation  der 
Ovarien  beim  Menschen. 

Man  imterscheidet  autoplastische  (Umpflanzung  der  eigenen) 
und  homoplastische  (Einpflanzung  der  Ovarien  anderer  Frauen) 
Transplantationen.  Pankow  berichtet  über  neun  eigene  Fälle 
u.  zw.  sieben  autoplastische  und  zwei  homoplastische.  Die  sieben 
ersteren  wurden  ausgeführt  einmal  wegen  Osteomalazie,  viermal 
wegen  Blutungen,  einmal  wegen  Blutungen  und  Dysmenorrhoe, 
einmal  wegen  Dysmenorrhoe  allein.  Die  Ovarien  wurden  in  eine 
Bauchfelltasche  zwischen  Blase  und  Uterus  eingenäht  und  Ein- 
heihmg  in  fünf  Fällen  beobachtet.  Die  Resultate  sind  noch  zweifel¬ 
haft:  Dysmenorrhoe  und  Blutungen  zeigten  keine  oder  nur  ge¬ 


ringe  Besseiuiig.  Bei  der  Osteomalazie  trat  anfangs  rasch  Besse¬ 
rung,  nach  Wiedereintreten  der  Periode  aber  erneule  Verschlecb- 
(einng  ein,  erst  auf  Allgemeiubehaiidlung  mit  Solbädern  und 
Lebertran  erfolgte  völlige  Heilung.  Die  beiden  Fälle  von  homo¬ 
plastischer  Transplantation  hatten  keinen  Erfolg,  vielleicht  läßl 
sich  dieser  mit  einer  Modifikation  des  Verfahrens  erreichen,  elwa 
durch  Verwendung  der  Ovarien  von  Neugeborenen. 

'Diskussion:  Krönig-  Freiburg  i.  B.  pflanzt  kleine  Stücke 
von  Ovarien  von  Neugeborenen  ein;  er  glaubt,  daß  die  Weis¬ 
mann  sehe  Theorie  durch  zahlreiche  homoplastische  ITunsplan- 
talionen  gelöst  werden  könnte. 

Pankow:  Die  implantierten  Ovarien  passen  sich  in  ganz 
kurzer  Zeit  ihren  neuen  Funktionen  an. 

S  c  h  a  1 1  e  r  -  Stuttgart :  Z  u  r  V  a  p  o  r  i  s  a  t  i  o  n  s  f  r  h  g  e. 

Z  i  e  g  e  n  s  p  e  c  k  -  München :  U  e  her  P  e  s  s  a  r  i  e  n . 

Sitzung  vom  21.  September,  vormittags  8  Uhr. 

Vorsitzender:  Sippel.! 

Lewith-Wien:  Ueber  S  t  au  u  n  g  s  b  e  h  a  n  d  I  u  ng  bei 
gynäkologischen  A  f f e  k  t i o  n e n. 

Lewith  bedient  sich  eines  mit  Gummipfropf  geschlossenen 
und  mit  einem  Manometer  versehenen  Glasröhrenspekulums.  An¬ 
gewandt  wurde  das  Verfahren  bei  Erosionen,  Dekubitus,  Zervix- 
katarrh,  Endometritis  und  Metritis,  chronischer  Parametritis  mit 
Endometritis,  Hypoplasia  uteri  mit  dys-  und  amenorrhoischen 
Beschwerden.  Gesaugt  wird  5  bis  15  Minuten  jeden  zweiten  bis 
dritten  Tag,  im  ganzen  drei  bis  sechs  Wochen  lang.  Resultate: 
Bei  Erosionen  und  Dekubitus  kein  Erfolg,  bei  Zervixkatarrh, 
Endometritis  und  Metritis  momentan  rasche  Besserung,  nach  Auf¬ 
hören  der  Behandlung  WTedereinsetzen  der  Beschwerden.  In  Fällen 
von  chronischer  Parametritis  wirkt  die  Saugbehandlung  analog 
der  Massage.  In  Fällen  von  Hypoplasie  endlich,  verbunden  mit 
Dys-  und  Amenorrhoe,  wurden  keine  günstigen  Resultate  erzielt. 

Sektion  für  innere  Medizin,  Chirurgie  und  Neu¬ 
rologie. 

Gemeinschaftliche  Sitzung  vom  19.  September  1906. 

Ueber  Hirn-  und  Rückenniarkschir urgie. 

V orsitzender :  Bruns-  Hannover. 

Saenger-Hamburg:  Ueber  Palliativtrepanation 
bei  inoperablen  Hirntumoren. 

Trotz  der  großen  Fortschritte  in  der  Chirurgie  und  Neuro¬ 
logie  ist  doch  noch  bei  weitem  der  größere  Teil  aller  diagnosti¬ 
zierten  Hirngeschwnilste  operativ  unzugänglich.  Anderseits  gibt 
es  auch  eine  recht  große  Zahl  von  Hirntumoren,  die  nach  unseren 
gegenwärtigen  Kenntnissen  nicht  lokalisiert  werden  können.  WTe 
sollen  wir  uns  nun  solchen  Tumorkranken  gegenüber  verhalten? 
Schon  1902  hat  Vortr.  diese  Frage  auf  dem  Chirurgenkongreß  zu 
Berlin  behandelt.  Der  Vortragende  verfügt  jetzt  im  ganzen  über 
19  Fälle,  bei  denen  die  PalliativHepanation  des  Schädels  aus¬ 
geführt  worden  ist.  In  zwei  Fällen  trat  erst  ein  Erfolg  ein, 
als  die  Trepanationsöffnung  erweitert  worden  war  und  mehr 
Liquor  cerebrospinalis  abfließen  konnte.  In  zwei  anderen  Fällen 
hatte  die  Trepanation  keinen  Erfolg.  In  einem  Falle  von  Basis¬ 
tumor  trat  unmittelbar  nach  der  Trepanation  Sopor  ein,  in  dem 
der  Exitus  erfolgte.  In  allen  anderen  Fällen  war  die  wohltälige 
Wirkung  der  Trepanation  evident:  Kopfschmerz,  Erbrechen, 
Krämpfe  und  andere  Symptome,  die  durch  den  erhöhten  Druck 
im  Schädelinnern  hervorgerufen  waren,  so  die  Stauungspapille, 
ließen  nach  und  verschwanden  völlig  in  einem  Teil  der  Fälle. 
Harvey  Cushing  empfiehlt,  den  Schädeldefekt  in  der  Temporal- 
ünd  Okzipitalgegend  mittels  Muskulatur  zu  decken.  Diese  Methode 
wurde  von  Dr.  WM  e  sing  er  bei  der  Trepanation  über  dem 
Kleinhirn  schon  seit  vielen  Jahren  mit  Erfolg  angewendet.  Als 
Zeitpunkt  des  operativen  Einschreitens  ist  der  Beginn  der  Herab¬ 
setzung  des  Sehvermögens  zu  empfehlen.  Trepaniert  man  später, 
so  bleibt  sehr  leicht  eine  Optikusatrophie  zurück.  Was  den  Ort 
der  Trepanation  betrifft,  so  ist  in  erster  Linie  diejenige  Stelle 
der  Hirnschale  ins  Auge  zu  fassen,  unter  welcher  man  den  Tumor 
vermutet.  Ist  eine  Lokaldiagnose  gar  nicht  zu  stellen,  so  dürfte 
sich  empfehlen,  über  dein  rechten  Parietallappen  zu  trepanieren, 
da  von  dieser  Gegend  am  wenigsten  Ausfallssymptome  zu  be¬ 
fürchten  sind.  Die  Trepanation  über  den  Kleinhirnhemisphären 
ist  nach  den  Erfahrungen  des  Vortragenden  nicht  so  gefährlich, 
wie  man  früher  angenommen  hat.  Man  muß  nur  sehr  vorsichtig 
zu  Werke  gehen  und  nach  Freilegung  der  Dura  eine  Zeitlang 
warten,  bevor  man  dieselbe  eröffnet.  Die  Lumbalpunktion  und 
die  Punktion  der  Sei  ten  Ventrikel  können  sich  in  bezug  auf  Wirk¬ 
samkeit  nicht  mit  der  Trepanation  des  Schädels  messen.  Vortr. 
resümiert  auf  Grund  seiner  erweiterten  Erfahrungen  seine  Ansicht 
dahin:  die  Palliativtrepanation  des  Schädels  ist  bei  dem  heutigen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


Stande  der  Chirurgie  in  den  Händen  eines  geübten  Operateurs 
eine  nahezu  ungefährliche,  ungemein  segensreiche  Operation,  die 
hei  jedem  inoperablen  Hirntumor  zu  empfehlen  ist,  um  die  Qualen 
des  Patienten  zu  erleichtern  und  um  denselben  namentlich  voi¬ 
der  drohenden  Erblindmig  zu  bewahren.  (Autoreferat.) 

Fedor  Krause-Berlin:  lieber  die  operative  Behand¬ 
lung  der  Hirn-  und  Rückenmarkstumoren. 

Kortikal  sitzende  Cxeschwülste  sind  nach  lappenförmiger 
Duraleröffnung  meist  leicht  zu  erkennen,  bei  subkortikalen  leistet 
die  faradische  einpolige  Reizung  mit  sehr  schwachem  Strome 
ausgezeichnete  Dienste,  wie  überhaupt  diese  Methode  auch  im 
Operationssaal  für  den  Chirurgen  unentbehrlich  ist.  Ebenso  wie 
Tumoren,  müssen  Gummata,  Solitärtuberkeln  und  Zystenbildungen 
behandelt  werden. 

Doch  die  Chirurgie  der  Zentralwindungen  stellt  heule  nur 
ein  recht  kleines  Gebiet  der  Hirnchirurgie  dar.  Als  Beispiel  für 
einen  Tumor  der  Parietalregion  zeigt  Krause  die  Operationsbilder 
eines  von  H.  Oppenheim  diagnostizierten  pflaumengroßen,  an 
zwei  Stellen  eitrig  geschmolzenen  Solitärtuberkels,  der  in  toto 
exstiriDiert  wurde.  Wegen  der  Eitemng  mußte  die  Wunde  zwölf 
Tage  tamponiert  und  offengehalten  werden ;  der  eintretende  große 
Hirnprolaps  ließ  sich  durch  Zurückklappen  des  Dural-  und  Haut¬ 
knochenlappens,  sowie  durch  exakte  Vernähung  der  weithin  ab¬ 
gelösten  umgebenden  Haut  beseitigen,  so  daß  Heilung  eintrat. 
Der  Kranke  ging  später  an  Lungenphthise  zugrunde;  die  Autopsie 
zeigte  im  Gehirn  vollkommene  Heilung  und  hier  auch  an  keiner 
anderen  Stelle  einen  Tuberkelherd. 

Dann  ging  Krause  auf  die  Operationen  am  Stirnlappen 
und  in  der  vorderen  Schädelgrube  über  und  im  Anschluß  daran 
besprach  er  die  Freilegung  der  Hypophyse  von  vorn  her  nach 
Bildung  eines  Stirnlappens.  Dieser  Operation  wesentlichen  Teil 
hat  er  mit  vollständigem  Erfolge  vor  sechs  Jahren  ausgeführt, 
um  eine  schwere  Symptome  veiursachende  Revolverkugel  aus 
der  Gegend  des  Chiasma  zu  entfernen.  Der  Operierte  ist  voll- 
konunen  gesund  geblieben. 

Die  Geschwülste  der  mittleren  Schädelgrube  werden  in  ana¬ 
loger  Weise  entfernt,  wie  Krause  bei  der  Exstirpation  des 
Ganglion  Gasseri  vorgeht.  Die  letztere  Operation  hat  er  51mal 
mit  sieben  Todesfällen  ausgeführt  und  niemals  innerhalb  eines 
Zeitraumes  von  14  Jahren  ein  Rezidiv  der  Trigeminusneuralgie 
beobachtet.  Diese  radikale  Methode  wendet  er  aber  nur  in  den 
schwersten  Fällen  an,  wenn  die  ungefährlichen  Resektionen  der 
peripheren  Tiigeininusäste  erfolglos  geblieben  sind;  dann  aber 
ist  die  Exstirpation  des  Ganglion  Gasseri  durchaus  zu  empfehlen. 

Bei  den  Eingriffen  in  der  hinteren  Schädelgrube  und  am 
Kleinhirn  bildet  es  einen  Unterschied  in  der  Technik,  ob  beide 
Seiten  oder  nur  eine  freigelegt  werden  sollen.  Letzteres  Verfahren 
kommt  vor  allem  bei  den  sogenannten  Akustikustumoren,  den 
Geschwülsten  des  Kleinhirnbrückenwinkels  in  Betracht.  Durch 
Freilegen  und  vorsichtiges  Verschieben  der  betreffenden  Klein¬ 
hirnhemisphäre  medianwärts  oder  nach  innen  und  oben  kann 
man  die  hintere  Felsenbeinfläche  und  den  hinteren  Abschnitt 
der  Schädelbasis,  sowie  der  hier  liegenden  Himnerven  (Akustikus, 
Fazialis,  Glossopharyngeus,  Vagus,  Akzessorius)  zu  Gesicht  bringen 
und  die  in  dieser  Tiefe  liegenden  Tumoren,  zumal  sie  meist  ab¬ 
gekapselt  und  ausschälbar  sind,  entfernen.  Eine  derartige  operativ 
geheilte  Kranke  ist  in  der  neurologischen  Gesellschaft  zu  Berlin 
vorgestellt  worden.  Im  ganzen  hat  Krause  zelm  solche  Opera¬ 
tionen  ausgeführt;  einen  genauen  Bericht  über  neun  Fälle  hat 
er  auf  dem  diesjährigen  Chirurgenkongreß  geliefert. 

Weiter  erörtert  Krause  die  Prognose  aller  erwähnten 
Hirnoperationen.  Die  wirkliche  Heilutig  einer  Hirngeschwulst  durch 
den  Chirurgen  gehört  immer  noch  zu  den  Seltenheiten.  Bedenkt 
man  aber,  daß  jeder  Kranke  sonst  verloren  ist  und  zumeist 
unter  den  allergrößten  Qualen,  so  findet  die  Operation  doch  ihre 
Berechtigung.  Gelingt  die  radikale  Entfernung  nicht,  so  bedeutet 
die  Trepanation  mit  Duraleröffnung  als  druckentlastende  Operation 
eine  große  Erleichterung  für  den  Kranken  und  häufig  eine  Ver¬ 
längerung  seines  Lebens.  Einen  solchen  palliativen  Eingriff  darf 
man  mit  demselben  Recht  vornehmen,  wie  z.  B.  die  Gastrostomie 
beim  Speiseröhrenkrebs  und  dergleichen  mehr.  Die  Hauptgefahren 
der  Operation  sind  Blutung  und  Shock,  während  die  Infektion 
mit  einem  hohen  Grade  von  Wahi-scheinlichkeit  auszuschalten 
ist.  Wenigstens  hat  Krause  unter  allen  Operationen  wegen  Hirn¬ 
geschwulst  und  Epilepsie,  sowie  bei  den  51  Exstirpationen  des 
Ganglion  Gasseri  keinen  Kranken  an  Meningitis  verloren.  Man 
muß  immer  auf  die  einzeitige  Vollendung  der  Operation  gefaßt 
sein,  da  die  Verhältnisse  dazu  zwingen  können.  Wenn  aber  die 
Wahl  offen  bleibt,  so  ist  das  zweizeilige  Verfahren  am  Gehirn 
vorzuziehen.  Man  verteilt  damit  die  Gefahr  und  vermindert  sie 
für  jeden  der  beiden  Eingriffe. 


Ganz  anders  bei  der  Entfernung  der  Tumoren  der 
Rückenmarkshäute;  hier  ist  das  einzeitige  Verfahren  das 
richtige,  außerdem  sollen  die  Wirbelbögen  nicht  erhalten,  sondern 
geopfert  werden.  Die  Wundverhältnisse  wenlen  dadurch  verein¬ 
facht,  zudem  haben  die  Bögen  für  die  Stützfähigkeit  der  Wirbel¬ 
säule  keine  Bedeutung.  Krause  hat  19  derartige  Operationen 
mit  fünf  Todesfällen  ausgeführt.  Die  älteste  Patientin  ist  vor 
sechs  Jahren  operiert  und  lebt  —  72  Jahre  —  noch  jetzt;  es 
handelte  sich  um  ein  Psammon  in  der  Höhe  des  siebenten  Brust¬ 
wirbels,  das  von  Dr.  Böttiger  diagnostiziert  worden  war.  Am 
gefährlichsten  sind  die  Eingriffe  am  oberen  Halsinark;  von  drei 
derartig  Operierten  sind  zwei  im  Kollaps  gestorben;  bei  einem 
dritten  mußte  der  Bogen  des  Epistropheus,  des  dritten  und  vierten 
Halswirbels  entfernt  und  nach  Spaltung  der  Dura  der  untere 
Teil  der  Medulla  oblongata  freigelegt  werden,  die  Kranke  ist 
geheilt  und  hat  sich  zwei  Jahre  nach  der  Operation  in  guter 
Gesundheit  vorgestellt. 

Von  besonderen  Schwierigkeiten,  die  sieb  bei  Rückenmarks¬ 
operationen  berausstellen,  sind  zu  erwähnen :  inoperable  Ge¬ 
schwülste;  dann  Verwachsungen  im  Arachnoidalraurn,  die  Tumor¬ 
symptome  Vortäuschen  oder  oberhalb  der  wirklich  vorhandenen 
Geschwulst  weit  hinaufreichencl,  zu  einer  falschen  Segment¬ 
diagnose  Veranlassung  geben;  endlich  die  sogenannte  Meningitis 
ex  Arachnitide  chronica,  die,  bereits  von  Oppenheim  betont, 
von  Krause  in  mehreren  Fällen  bei  der  Operation  gefunden 
wurde.  Für  alle  diese  Vorkommnisse  werden  operative  Erfah¬ 
rungen  an  Diapositiven  vorgeführt. 

Selbst  bei  Rückenmarksgeschwülsten  können  also  noch  dia¬ 
gnostische  Schwierigkeiten  mancherlei  Art  erwachsen;  und  doch 
ist  hier  die  Diagnostik  dank  der  Segmentierung  des  Organs  so 
viel  leichter  und  so  viel  weiter  ausgebildet,  als  beim  Gehirn. 
Schon  aus  diesem  Grunde  sind  die  operativen  Erfolge  bei  Rücken¬ 
markstumoren  viel  besser  als  bei  Hirngeschwülsten;  dazu  kommt 
noch  die  geringere  Gefahr  des  Eingriffs.  Wenn''  es  aber  der 
einst  gelingen  sollte,  die  von  vornherein  inoperablen  Hirntumoren 
als  solche  zu  erkennen  und  dann  höchstens  der  druckentlastenden 
Trepanation  zu  unterziehen,  so  werden  die  operativen  Ergebnisse 
auf  diesem  Gebiete  bessere  werden.  Die  großen  Fortschritte  der 
neurologischen  Diagnostik  in  den  letzten  Jahren,  namentlich  auf 
dem  Gebiete  der  Tumoren  in  der  hinteren  Schädelgrube,  berech¬ 
tigen  zu  den  begründeten  Hoffnungen  auch  für  die  Clürurgie 
des  Großhirns.  Die  Fortschritte  der  Neurologen  sind  es,  welche 
auch  die  Chirurgen  vorwärts  bringen;  denn  diese  sind  ihre  aus¬ 
führende  Hand.  (Selbstbericht.) 

Steinthal- Stuttgart  stellt  einen  Patienten  vor,  bei  dem 
die  Palliativtrepanation  gemacht  worden  ist.  37jähriger  Mann, 
bei  dem  ohne  vorausgegangene  anderweitige  Erkrankung  am  1.  Mai 
dieses  Jahres  eine  Jack  son  sehe  Epilepsie  der  linken  Köi-per- 
seite  auftrat.  Nach  mehreren  Anfällen  blieb  zunächst  nur  eine 
Lähmung  der  linken  Oberextremität  und  nach  weiteren  Anfällen  eine 
Lähmung  der  linken  unteren  Extremität  zurück.  Keine  Allgemein¬ 
symptome  von  Hirndruck,  speziell  keine  Stauungspapille.  Zwei 
Tage  nach  letztem  Anfall  zunehmende  Somnolenz,  Sinken  der 
Pulszahl,  auch  jetzt  keine  Stauungspapille.  Wegen  steter  Ver¬ 
schlechterung  des  Allgemeinzustandes  Trepanation  über  der 
rechten  motorischen  Region.  Weder  kortikal  noch  subkortikal 
Tumor  gefunden,  deshalb  Schluß  der  Lücke  unter  Wegnahme  des 
Knochenstückes.  Am  Abend  des  Operationstages  kehrt  das  Be¬ 
wußtsein  wieder.  Im  Laufe  der  nächsten  Wochen  stete  Besserung. 
Jetziger  Zustand:  durchaus  normales  psychisches  Verhalten,  von 
Hirnnerven  nur  noch  im  linken  Fazialis  leichte  Parese  in  sämt¬ 
lichen  Zweigen.  Linksseitige  zerebrale  spastische  Paralyse  der 
oberen  Extremität,  an  der  unteren  Extremität  keine  motorische 
oder  sensible  Störung,  nur  leichte  Erhöhung  der  Sehnenreflexe, 
Babinski  positiv.  Operation  war  indiziert  durch  die  zunehmende 
Somnolenz  und  die  vorausgegangene  typische  Jacksonsche  Epi¬ 
lepsie.  Ob  der  Tumor  nur  nicht  gefunden  wurde,  oder  ähnlich 
wie  in  den  bekannten  Fällen  von  Nonne  überhaupt  nicht  exi¬ 
stiert,  ist  eine  Frage  der  Zukunft.  (Autoreferat.) 

Oppenheim-  Berlin  verliest  zunächst  für  den  durch  Krank¬ 
heit  am  Erstatten  seines  Referates  verhinderten  Geheimen  Rat 
Schultze-Bonn  folgendes,  von  demselben  eingesandtes  Resümee: 

1.  Von  97  Gehirntumoren  wurden  im  ganzen  19  operiert: 

a)  nur  einmal  wurde  eine  Heilung  konstatiert,  die  ein  paar 
Jahre  nach  der  Operation  noch  festgestellt  wurde  u.  zw.  bei 
einem  Kleingehirntumor ; 

b)  einmal  wurde  durch  Ventrikelpunktion  nach  dem 
Ne  iss  er  sehen  Verfahren  eine  sehr  erhebliche  Besserung  erzielt, 
so  daß  Stauungspapille  und  starke  Amblyopie  nebst  Kopfschmerz 
schwanden.  Diese  Besserung  dauerte  etwa  drei  Vierteljahre,  dann 
trat  rasch  der  Exitus  letalis  ein; 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Hl 


c)  nur  in  wenigen  Fällen  wurde  durch  Palliativirepanation 
eine  monatelange  Besserung  erzielt. 

Das  Ergebnis  ist  also  leider  trübe. 

2.  Dagegen  wurden  bei  insgesamt  elf  Geschwülsten  der 
Rückenmarkshaut  vier  völlige  Heilungen  und  eine  dauernde  we¬ 
sentliche  Besserung  konstatiert. 

In  den  letzten  vier  noch  nicht  publizierten  Fällen  wurde 
jedesmal  der  Tumor  an  der  richtigen  Stelle  lokalisiert,  war  aber 
zweimal  entgegen  der  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  maligner 
Natur  und  lag  ein  drittes  Mal  so  hoch  am  oberen  Halsteil,  daß 
der  Operateur  ihn  nicht  zu  operieren  wagte.  Im  vierten  Falle 
erfolgte  vollständige  Heilung.  In  den  beiden  ersten  Fällen  wurde 
die  Operation  selbst  gut  überstanden. 

Oppenheim-Berlin:  lieber  die  operative  Behand¬ 
lung  der  Hir n -Rückenmarks tu mo re n.  (Referat,  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  gemeinschaftlich  mit  F.  Krause 
angestellten  Beobachtungen.) 

Der  Vortragende  beschränkt  sich  auf  die  Mitteilung  persön¬ 
licher  Erfahrungen,  die  dank  seiner  Beziehungen  zu  der  v.  Berg¬ 
mann  sehen  Klinik  und  einer  Reihe  anderer  Chirurgen  auf  diesem 
Gebiete  unverhältnismäßig  große  sind.  Zunächst  ergänzt  er  die 
Krause  sehe  Kasuistik,  soweit  sie  sich  mit  der  seinigen  deckt, 
durch  die  Schilderung  der  klinischen  Verhältnisse  und  die  Moti¬ 
vierung  der  Diagnose  in  einzelnen,  besonders  dringenden  Fällen 
von  Tumor  cerebri.  Dahin  gehört  einer,  in  dem  es  gelungen  ist, 
durch  die  Entfernung  einer  Geschwulst  aus  dem  linken  Lohns 
occipitalis  vollkommene  Heilung  herbeizuführen,  ein  geradezu 
ideales  Resultat,  wie  es  nur  ausnahmsweise  erzielt  wird. 

Ein  zweiter  gibt  Anlaß,  die  Diagnose  der  Tumoren  der 
hinteren  Zentralwindungen  des  Scheitellappens,  auf  Grund  von 
fünf  eigenen  Operationsfällen  dieser  Art,  mit  jedesmal  zutreffender 
.Diagnose  zu  besprechen.  Von  einem  erfolgreich  Operierten  (Pro¬ 
fessor  Bor  char  dt)  dieser  Kategorie  zeigt  Oppenheim  das 
stereoskopische  Bild  des  Operationsbefundes  und  den  heraus¬ 
genommenen  Tumor.  Dann  bespricht  er  eingehender  die  Ge¬ 
schwülste  der  hinteren  Schädel  grübe  und  des  Kleinhirnbrücken¬ 
winkels  unter  Demonstration  der  Präparate  von  mehreren,  teils 
mit  Krause,  teils  mit  Borchardt  behandelten  Fällen.  Er  hat 
in  den  letzten  Jahren  acht  dieser  Patienten  dem  Chirurgen  über¬ 
wiesen.  Davon  ist  nur  einer  geheilt,  ein  zweiter  vorübergehend 
gebessert  worden,  während  bei  sechs  die  Operation  mittelbar 
oder  unmittelbar  den  Exitus  veranlaßt  hat.  Aber  es  handelte  sich 
immer  um  Gewächse  von  enormem  Umfang. 

Der  Vortragende  gibt  dann  eine  Bilanz  seiner  seit  Anfang 
1903  operierten  Fälle  von  Tumor  eörebri.  Es  sind  27.  Davon 
sind  drei  (11%)  geheilt,  sechs  vorübergehend  gebessert  (22-2%), 
15  gestorben  (55-5%),  wobei  allerdings  zu  berücksichtigen,  daß 
es  sich  zwölfmal  um  Gewächse  der  hinteren  Schädelgrube  han¬ 
delte.  Drei  Palliativoperationen  mit  zum  Teil  unsicherem  Er¬ 
gebnis.  In  23  von  den  27  Fällen  war  sowohl  die  allgemeine,  wie 
die  lokale  Diagnose  eine  zutreffende.  Einmal  wurde  statt  des 
erwarteten  Kleinhirntumors  ein  Hydrozephalus  gefunden,  bei  einem 
anderen,  bei  welchem  Hydrozephalus  für  wahrscheinlich  gehalten 
wurde,  fand  sich  außer  diesem  ein  Tumor  des  Lobus  temporalis. 
Einmal  schwankte  die  Diagnose  zwischen  Tumor  lobi  frontalis 
und  corporis  striati;  im  Bereich  des  ersten  wurde  er  bei  der 
Operation  nicht  gefunden,  der  Kranke  ging  in  andere  Behandlung 
über.  In  dem  vierten  Fall,  in  welchem  Oppenheim  eine  Neu¬ 
bildung  ,im  Bereich  der  motorischen  Region  diagnostizierte,  war 
der  dort  bei  der  Operation  erhobene  pathologische  Befund  nicht 
sicher  als  Tumor  zu  deuten.  Diesen  Patienten  hat  Oppenheim 
aus  den  Augen  verloren.  Im  ganzen  hat  nach  seiner  Erfahrung 
von  zehn  oder  neun  für  die  chirurgische  Behandlung  sorgfältig 
ausgesuchten  und  fast  durchweg  richtig  diagnostizierten  Fällen 
nur  einer  Aussicht  auf  volles  Heilresultat.  Die  chirurgische  Be¬ 
handlung  der  Hirntumoren  bildet  also  trotz  einzelner  blendender 
Erfolge  immer  noch  eine  der  schwierigsten  und  undankbarsten 
Aufgaben  ärztlicher  Tätigkeit.  Wenn  es  sich  auch  meist  um 
ein  ohne  diese  Therapie  tödliches  Leiden  handelt,  verlangen  doch 
die  Erfahrungen  mit  der  Meningitis  serosa,  der  akuten  Hirn¬ 
schwellung  und  dem  sogenannten  Pseudotumor  cerebri  volle  Be¬ 
rücksichtigung.  Die  Lehre  v.  Bergmanns,  daß  die  Hirnchirurgie 
eine  Chirurgie  der  Zentralwmdungen  sei,  hat  nach  den  neueren 
Erfahiungen  ihre  Gültigkeit  verloren.  Von  Oppenheims  Ge¬ 
heilten  gehört  kein  einziger  diesem  Gebiete  (im  Bergmann- 
schen  Sinne)  an. 

Weit  günstiger  sind  die  Ergebnisse  der  chirurgischen 
Therapie  der  Rückenmarkshautgeschwülste.  Der  Vor¬ 
tragende  gibt  hier  zunächst  eine  Statistik  der  eigenen  Beobach¬ 
tungen,  wobei  er  die  Wirbelgeschwülste  ausschaltet.  In  acht  von 
elf  seiner  Fälle  war  sowohl  die  allgemeine,  wie  die  lokale  Dia¬ 


gnose  eine  zutreffende,  so  daß  der  Tumor  an  der  envarteten 
Stelle  gefunden  wurde.  (Demonstration  der  Präparate.)  In  zweien 
lag  eine  lokalisierte  Meningitis,  bzw.  Meningitis  serosa  spinalis 
vor,  in  dem  letzten  die  Kombination  eines  intramedullären  Pro¬ 
zesses  mit  lokalisierter  Meningitis  am  Orte  des  Eingriffs.  Was 
die  therapeutischen  Resultate  anlangt,  so  ist  die  Operation  in 
den  fünf  von  den  elf  Fällen  eine  glückliche,  erfolgreiche  gewesen. 
In  sechs  hat  sie  mittelbar  oder  unmittelbar  den  (ödlichen  Aus¬ 
gang  herbeigeführt.  Dazu  kommen  noch  vier  weitere  Fälle,  in 
denen  die  Operation  von  vornherein  als  explorative  ausgeführt 
war  und  gerade  diese  Frage,  die  Berechtigung  der  explorativen 
Laminektomie  bedarf  der  eingehendsten  Erörterung.  Nur  in 
einem  dieser  Fälle  ist  der  Exitus  der  Operation  zur  Last  zu 
legen,  in  einem  zweiten  hat  sie  Nutzen  gebracht,  in '  den  beiden 
anderen  ist  sie  für  den  Verlauf  irrelevant  gewesen. 

Oppenheim  gibt  eine  Schilderung  der  klinischen  und 
diagnostischen  Verhältnisse,  wie  sie  in  den  vier  Beobachtungen 
Vorlagen  und  faßt  seine  Anscliauungen  über  die  chirurgische 
Behandlung  der  Rückenmarkshautgeschwülste  zu  folgenden  Thesen 
zusammen:  1.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel  mehr,  daß  bei  den 
Krankheitszuständen,  die  die  typische  Symptomatologie  der 
Rückenmarkstumoren  bieten,  die  chirurgische  Behandlung  dringend 
indiziert  ist.  Beschränkt  man  sich  auf  diese  Fälle,  so  ist  schon 
nach  den  jetzigen  Erfahrungen  in  ca.  50%  auf  einen  Heilerfolg 
zu  rechnen,  der  um  so  vollkommener  sein  wird,  je  früher  der 
Eingriff  vorgenommen  wird.  2.  Auch  bei  typischer  Symptomato¬ 
logie  sind  diagnostische  Fehler  möglich,  indem  das  Bild  des  extra¬ 
medullären  Tumors  einmal  durch  Wirbelgeschwülste  vorgespiegelt, 
als  auch  ausnahmsweise  durch  einen  lokalisierten  meningi tischen 
Prozeß  oder  duch  die  intramedulläre  Neubildung  vorgetäuscht 
werden  kann.  Daß  die  Differentialdiagnose  zwischen  dem  extra¬ 
medullären  Tumor  einerseits,  dem  intramedullären  und  den  Wirbel¬ 
gewächsen  anderseits  noch  keine  ganz  sichere  ist,  wird  beson¬ 
ders  durch  die  Kasuistik  Nonnes  (Stertz)  bewiesen.  3.  Unter 
den  Formen  der  lokalisierten  Meningitis,  die  das  Krankheitsbild 
des  extramedullären  Tumors  täuschend  nachahmen  können,  ver¬ 
dient  die  von  Oppenheim  und  Krause  beschriebene  Menin¬ 
gitis  serosa  spinalis  ein  besonderes  Interesse.  Es  muß  aber  hervor¬ 
gehoben  werden,  daß  es  sich  um  einen  noch  nicht  genügend  fun¬ 
dierten  Begriff  handelt,  daß  es  noch  an  abgeschlossenen  Beobach¬ 
tungen  fehlte,  die  die  Existenz  und  die  Pathogenese  dieses  Leidens 
dartun  und  seine  Beziehungen  zur  Symptomatologie  in  durch¬ 
sichtiger  Weise  erläutern.  4.  Die  Symptomatologie  der  extramedul¬ 
lären  Rückenmarksgeschwülste  ist  sehr  häufig  eine  atypische. 
Eine  große  Zahl  der  chirurgisch  heilbaren  Neubildungen  würde 
also  dieser  Behandlung  entzogen  werden,  wenn  die  Grenzen  der 
Indikationen  nicht  weiter  gesteckt  würden.  Es  muß  somit  die 
Berechtigung  der  explorativen  Laminektomie  unbedingt  anerkannt 
werden.  Gewiß  soll  sie  nur  ausnahmsweise  auf  Grund  sorgfäl¬ 
tigster  Erwägungen  bei  deutlicher  Progredienz  des  Leidens  in 
differentialdiagnostisch  schwierigen  Fällen  u.  zw.  dann  vorge¬ 
nommen  werden,  wenn  unter  den  verschiedenen  Möglichkeiten 
die  Annahme  einer  extramedullären  Geschwulst  ein  gewisses  Maß 
von  Wahrscheinlichkeit  besitzt.  Es  muß  aber  dann  verlangt  wer¬ 
den,  daß  bei  unsicherer  Allgemeindiagnose  die  Niveaudiagnose 
eine  möglichst  bestimmte  ist,  damit  der  probatorische  Eingriff 
ein  möglichst  beschränkter  bleibt  und  kein  wesentliches  Peri- 
culum  vitae  mit  sich  bringt.  5.  Die  explorative  Laminektomie 
soll  nicht  an  der  Dura  mater  Halt  machen.  6.  Die  Annahme 
eines  sog.  Pseudotumor  des  Rückenmarkes  schwebt  noch  in  der 
Luft,  desgleichen  die  der  spontanen  Rückbildung.  7.  Es  ist  sehr 
wünschenswert,  daß  von  dieser  Versammlung  die  Anregung  zu 
einer  Sammelforschung  auf  dem  Gebiete  der  Hirn-  und  Rücken¬ 
markschirurgie  ausgeht. 

Bruns -Hannover  hat  bisher  noch  keinen  vollen  Erfolg 
bei  Hirntumoren  gehabt,  ist  aber  trotzdem  auf  dem  Standpunkt, 
daß  wir  weiter  operieren  müssen  und  auch,  daß  wir  das  Gebiet, 
in  dem  wir  operieren,  möglichst  weit  ausdehnen.  Lokal  zu  dia¬ 
gnostizieren  und  operabel  sind  auch  Geschwülste  im  linken 
Schläfenlappen,  wie  ein  von  ihm  schon  1898  beobachteter  Fall 
bewies.  Er  hat  in  den  letzten  Jahren  zwei  Tumoren  der  einen 
Kleinhirnhemisphäre  und  zwei  des  Kleinhirnbrückenwinkels  nach 
richtiger  Diagnose  zur  Operation  gebracht.  Sie  sind  aber  alle 
bald  nach  der  Operation  gestorben.  Im  letzten  Falle  war  Oppen¬ 
heims  Areflexie  der  Kornea  sehr  deutlich,  dazu  noch  Areflexie 
von  Nasenloch  und  Gaumen  auf  der  Tumorseite.  Den  palliativen 
Operationen  steht  er  sehr  günstig  gegenüber,  hat  sie  auch  schon 
früher  wiederholt,  ebenso  wie  jetzt  Saenger  empfohlen  (Ver¬ 
sammlung  niedersächsischer  und  westfälischer  Irrenärzte  1903 
und  Eulenbur gs  Realenzyklopädie  1905).  In  den  letzten  Tagen 
hat  er  einen  Fall  zur  Operation  gebracht  unter  der  Diagnose 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1 


Tumor  der  Häiilo  am  oberon  Zervikalmark,  bei  dem  zuiiäcbsl  uur 
eine  lokale,  mit  Serum  gefüllte  Ausdehnung  der  IMeningen  ge¬ 
funden  wurde.  DifferenUaldiagnostiscli  kommt  hier  auch  manch¬ 
mal  die  mnlliple  Sklerose  in  Betracht.  Schließlich  erwähnte 
llruns  zwei  Fälle,  deren  Symptome  alle  für  Ttunoren  im  Rücken¬ 
mark  spräche]),  aber  alle  oder  teilweise  wieder  zurückgingen : 
Pseudotumor  jnedullae  spinalis. 

IN  on  ne -Hamburg  tritt  aueb  für  die  Palliativtrepanalion  bei 
inoperablen  und  nicht  genau  zu  lokalisierenden  Hirntumoren  ein. 
Fünfmal  hat  Nonne  die  Operation  ausführen  lassen,  vdermal  mit 
erheblichem  Rückgang  der  cRiälenden  subjektiven  Symptome. 
Nonne  berichtet  über  zwei  neue  Fälle  von  ,,Pseudotuino)' 
cerebri“,  von  denen  einer  unter  Zerebellum-,  der  andere  unter 
Halbseitensymptomen  verlief;  bei  beiden  nicht  der  geringste  An¬ 
halt  für  Syphilis,  keine  sonstige  Aetiologie;  zunächst  unter  Queck¬ 
silberbehandlung  progressiver  Verlauf,  dann  Rückbildung  der  Sym¬ 
ptome  bis  zu  restloser  Heilung.  Nonne  betont  für  sein  Hirn- 
luniorenniaterial  die  große  Seltenheit  der  Puls  Verlangsa¬ 
mung;  er  warnt  an  der  Hand  eines  neuen  vierten  Falles  aus 
seinem  Material  aufs  neue  vor  Lumbalpunktion  bei  Tumor  cerebri. 
Daß  bei  extraduraleiu,  komprimierendem  Rückenmarks  tumor  jeder 
weseniliche  S(ch'merz  fehlen  kann,  erläutert  Nonne  an  der 
Hand  eines  eigenen  Falles,  in  dem  wegen  Fehlens  der  Schmerz¬ 
symptome  die  Gelegenheit  zur  Entfernung  eines  gutartigen  extra¬ 
duralen  Zystofibroms  versäumt  wurde.  Er  tritt  für  die  häufigere 
Ausführung  der  Prohelaminektomie  ein.  Auch  bei  multipler 
Sklerose  können  heftige  Schmerzparoxysmen  auftreten,  wie 
Nonne  dies  exquisit  in  einem  Falle  sah,  in  dem  die  Obduktion 
multiple,  kleine  Gliawucherungen  an  den  liinteren  Wurzeln  zeigte. 
(S.  einen  Fall  von  Dinkier.) 

=1= 

H.  Pf  eif  f  er-Graz  :  Weitere  experimentelle  Stu¬ 
die  n  ü  h  e  r  d  i  e  Aetiologie  d  e  s  p  r  i  m  ä  r  e  n  Verbrennungs¬ 
todes, 

Vortr.  berichtet  über  seine  an  90  Tieren  und  an  drei 
menschlichen  Verbrühungsfällen  durcligeführten  experimentellen 
Untersuchungen.  Er  rekapituliert  zunächst  seine  in  den  Jalireu 
1904  und  1905  veröffentlichten  Befunde  über  das,  Erscheinen  eines 
toxischen  Prinzipes  im  Harne  und  Serum  verbrannter  Kaninchen 
und  über  die  als  Folge  der  Verbrühung  auftretenden  Krankheits¬ 
symptome  und  pathologisch-anatomischen  Erscheinungen.  Von 
den  letzteren  sind  bei  den  Versuchstieren  konstant  die  Zerstörung 
der  roten  Blutkörperchen  und  die  Entwicklung:  zaldloser  ekchy- 
motischer  Geschwüre  im  Magendarmtrakt.  Durch  quantitative 
Messung  des  nach  dem  Eingriffe  erscheinenden  toxischen  Prin¬ 
zipes  und  durch  den-  Nachweis  seiner  Wirksamkeit  auf  die  Spezies 
des  Giftproduzenten  wird  der  Beweis  erhrtacht,  daßi  es  bei  einer 
großen  Gruppe  von  letalen  Verbrühungsfällen  sich  tatsächlich 
um  das  Vorliegen  einer  Autointoxikation  durch  den  in  Rede  stehen¬ 
den  Giftköiper  handelt.  Dieser  ist  komplexer  Natur,  besitzt  na¬ 
mentlich  eine  intensive  Fernwirkung  auf  das  Zentralnervensystem 
und  eine  davon  streng  verschiedene  nekrotisierende  Lokalwirkung, 
vermag  aber  die  Erythrozyten  nicht  zu  schädigen.  Die  Giftwir¬ 
kung  normaler  Tierseren  gegenüber  einer  anderen  Tierart  ist 
im  wesentlichen  zurückzuführen  auf  ilir  Hämolysin  und  äußert 
sich,  im  Gegensatz  zu  der  Giftwirkung  des  Verbrennungsmaterials, 
an  der  Tierart  nicht,  von  welcher  es  stammt.  Sie  ist  sicherlich 
nicht  identisch  mit  dem  bei  der  Verbrennung  wirksamen  giftigen 
Prinzip.  Hingegen  ist  die  Giftwirkung  der  im  Vakuum  unter  Ver¬ 
meidung  hoher  Temperaturen  gewonnenen  Rückstände  normalen 
Menschen-  und  Tierharnes  von  weitestgehender  Analogie  mit  jener 
im  Harne  und  Serum  Verbrannter  beschriebener.  Auch  hier 
könne  man  zwischen  einer  neurotoxischen  und  nekrotisierenden, 
voneinander  unabhängigen  Komponente  unterscheiden.  Außerdem 
besitzt  aber  ein  so  gewonnener  Rückstand  im  Gegensatz  zum 
unveränderten  Harne  eine  intensive  agglutinierende  Wirkung  auf 
rote  Blutkörperchen,  die  auf  einen  nicht  dialysablen,  bisher  noch 
unbekannten,  thermolabilen  Körper  zurückgeführt  werden  muß. 
Diese  Versuche  und  der  kurvenmäßige  Ausdruck  des  Auftretens 
der  Gifte  im  Organismus  verhrannter  Kaninchen  machen  es  wahr¬ 
scheinlich,  daß  es  sich  bei  dem  Verbrennungstod  um  nichts 
anders  als  um  eine  Autotoxikose  handelt,  hervorgerufen  durch 
die  Ueberproduktion  und  terminale  Retention  eines  normaler- 
Aveise  in  Sporen  den  Organismus  passierenden  Giftes  durch  die 
primär  von  ihm  geschädigten  Nieren.  Diese  Vermutung  wurde 
durch  die  Untersuchungen  des  Vortragenden  an  nephrektomierten 
Tieren  bestätigt,  bei  welchen  nicht  nur  das  Auftreten  derselben 
Giftwirkung  im  Serum,  sondern  auch  die  Entwicklung  derselben 


hier  so  prägnanten  Veiänderungen  des  Darmtraktes  erkannt  Aver- 
den  konnte.  In  demselben  Sinne  sprechen  die  Tatsachen,  daß 
es  durch  Verdauung  von  EiAveißköipern  gelingt,  Lösungen  ana¬ 
loger  Giftwirkung  zu  erzielen  und  daß  es  bei  einem,  durch 
andere  krankhafte  Uisachen  bedingten,  gesteigerten  EiAveißzerfall 
zum  Auftreten  derselben  GiftAvirkungen  im  Harne  der  Patienten 
kommt. 

Es  handelt  sich  also  bei  der  durch  Nephrektomie  erzeugten 
Urämie  um  eine  reine  Retentiojistoxikose,  bei  dem  primiiren 
Verbrühungstod  um  eine  Autointoxikation  durch  pathologische 
Ueberproduktion  und  terminale  Retention  desselben  giftigen  Prin¬ 
zipes  durch  die  geschädigten  Nieren.  Inwiefern  daneben  bei  der 
Veibrühung  noch  ,andere  ätiologische  Momente  (Shock)  eine  Rolle 
spielen,  läßt  Vortr.  dahingestellt.  Die  Blutveränderungen,  die 
übrigens  ausschließlich  auf  die  Hitzewirkung  und  nicht  auf  die 
Wirkung  eines  Hämolysins  zurückzuführen  sind,  haben  sicherlich 
für  den  Eintritt  des  Todes  in  den  typischen  Fällen  keine  Avesent- 
liche  Bedeutung.  Die  bisher  beohachteten  drei  Verbrühungsfälle 
an  Menschen  sprechen  dafür,  daß  hier  dieselben  ursächlichen 
Momente  eine  Rolle  spielen,  wie  dies  für  das  Kaninchen  gezeigt 
wurde.  Der  geringen  Zahl  der  Fälle  wegen  enthält  sich  aber 
Vortragender  bindender  Schlüsse.  Die  Entscheidung  der  F rage, 
ob  die  beobachteten  Giftkörjrer  echte  Toxine  sind,  ob  also  durch 
Vorbehandlung  mit  ilinen  ein  Antiserum  gewonnen  werden  kann, 
konnte  Vortr.  aus  Mangel  an  entsprechendem  Material  nicht  ent¬ 
scheiden.  Auch  diese  Frage,  ebenso  wie  jene,  ob  die  tierexperi¬ 
mentellen  Tatsachen  auf  den  Menschen  übertragen  Averden  dürfen, 
können  vom  Kliniker  nur  durch  systematische  Bearbeitung  eines 
reichen,  menschlichen  Materials  beantwoiiet  Averden.  (Die  Arbeit 
erscheint  ausführlich  in  der  Zeitschrift  für  Hygiene  1906.) 

Prof.  R.  Kretz- Wien;  Untersuchungen  über  die 
Aetiologie  der  Appendizitis. 

Kretz  hat  von  1901  bis  1905  unter  3579  Obduktionen 
19  frische,  akute  Appendizitiden  (phlegmonöse  Form)  untersucht 
und  in  14  Fällen,  in  denen  die  Halsorgane  auch  seziert  Averden 
konnten,  jedesmal  frischere  Anginen  mit  akuter  Halslymphdrüsen¬ 
entzündung  gefunden.  Kretz  hält  darum  dieses  Nebeneinander 
von  Wunnfortsatz-  und  Halsentzündung  für  ein  typisches  Er¬ 
eignis;  da  sich  mikroskopisch  der  Tonsillen-  und  Halslymph- 
drüsenbefund  so  verhält  Avie  bei  tonsillärer  Bakteriämie  und  Aveil 
er  in  einem  ganz  frischen  Falle  von  Typhlitis  in  dem  adenoiden 
GeAvebe  der  Pey  er  sehen  Plaques  embolisch  mykotische  Herde 
fand,  glaubt  Kretz,  daß  die  Appendizitis  im  Sinne  Adrians 
eine  durch  das  Blut  vermittelte  Lokalisation  der  septischen  Infek¬ 
tionen,  etAva  analog  der  Osteomyelitis  und,  Avie  diese,  gebunden 
an  ein  geAvisses  Funktionsstadium  des  hämopoetischen  Systems, 
darstelle.  Auf  Grund  einer  klinischen  Beobachtung  fand  Kretz 
Veranlassung,  auch  AAmniger  foudroyante  Fälle  von  Appendizilis 
auf  Residuen  von  Angina  anatomisch  zu  untersuchen  und  konnte 
denselben  Zusammenhang  auch  hier  nachweisen.  Kretz'  hält 
die  relative  Gutartigkeit  dieser  späteren  Manifestationen  der  sep¬ 
tischen  Infektion  für  den  Ausdruck  einer  gesteigerten  Resistenz 
des  Individuums  im  Verlaufe  der  längeren  Krankheitsdauer.  Kon- 
trolluntersuchungen  eines  großen  Materiales  auf  Angina  und  ihre 
Residuen  ergaben,  daß  etAva  die  Hälfte  aller  pyogenen  Infektionen 
und  namentlich  die  dem  Internisten  zugehörigen  (Endokarditis, 
Pleuritis,  kryptogenetische  Sepsis  etc.)  mit  Halsentzündungen  im 
ätiologischen  Zusammenhang  stehen  und  er  meint,  daß  gewisse 
Fieberzustände  des  Kindesalters  als  frustane,  postanginöse  Bak¬ 
teriämien  anzusehen  seien.  Im  Sinne  von  SemmelAveiß  vereint 
die  Angina  ätio-  und  epidemiologisch  die  heterogenen  Formen 
der  pyogenen  Infektion. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  am  Montag  den  7.  Januar  1907,  7  Uhr  «abends,  im 
Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenfurmstraße  19,  unter  dem  Vorsitze 
des  Herrn  Hofrat  Prof.  Obersteiner  stattfindenden  wissenschaftlichen 

Versammlung. 

Doz.  Dr.  A.  Schiff :  Die  praktische  Bedeutung  neuerer  physiologi¬ 
scher  Experimente  für  die  Therapie  der  Magenkrankheiten. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Nächste  Sitzung  Mittwoch  am  9.  Januar  1907. 

Programm:  Demonstrationen. 

Nach  der  Sitzung  Zusammenkunft  im  Riedhof. 


Vwantwortlicher  R#dakt«ur:  Adalbert  Karl  Trapp.  Verlag  Ton  Wilhelm  Branmüller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  Theresiengasee  3. 


rr . . 

Die 

,, 'Wiener  klluiHclie 
WocUeusciirift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/f,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 

- 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  V.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


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jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
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Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prot* *.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlagshandlung: 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  10.  Januar  1907. 


Nr.  2. 


INH 

I.  Original artlkel:  1.  Zweiter  Bericht  über  die  Behandlung  des 
endemischen  Kretinismus  mit  Schilddrüsensubstanz.  Von 
Prof.  Wagner  v.  Jauregg. 

2.  Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  städtischen  allgemeinen 
Krankenhauses  in  Linz  a.  d.  Donau.  (Primararzt :  Dr.  A.  Brenner.) 
Ein  weiterer  Fall  von  Totalluxation  der  Halswirbelsäule  mit 
Ausgang  in  Genesung.  Von  Dr.  Hermann  Riedl,  Assistenten 
der  Abteilung. 

3.  Die  Radioaktivität  der  Teplitz-Schönauer  Urquelle.  Von  med. 
Dr.  Artur  Hauser  in  Teplitz-Schönau. 

4.  Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien.  (Vor¬ 
stand:  Prof.  A.  Weichselbaum.)  Ein  Fall  von  Aktinomykose 
der  großen  Zehe.  Von  Dr.  Külbs. 

5.  Erwiderung  auf  den  Vortrag  L.  Töröks  „Die  Angioneurosen¬ 
lehre  und  hämatogene  Hautentzündung“.  Von  Prof.  Doktor 
K.  Kreibich. 


A  LT: 

II.  Referate;  Das  pathologische  Institut  der  Universität  Leipzig. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Marc  hand.  Atlas  der  Blutkrankheiten  nebst 
einer  Technik  der  Blutuntersuchung.  Von  Priv.-Doz.  Doktor 
Karl  S  c  h  1  e  i  p.  Ref. :  Carl  S  t  e  r  n  b  e  r  g.  —  Zur  Kenntnis  der 
Variabilität  und  Vererbung  am  Zentralnervensystem  des 
Menschen  und  einiger  Säugetiere.  Von  .J.  R.  Kar  plus.  Ref.: 
Ob  er  st  ein  er.  —  Vorlesungen  über  spezielle  Therapie 
innerer  Krankheiten  für  Aerzte  und  Studierende.  Von  Doktor 
Norbert  Ortner  und  Prof.  Dr.  Ferdinand  Frü h wald.  Ref.: 
v.  Kogerer. 

III.  Aus  verschiedeiieu  Zeitschrifteu.  Der  gegenwärtige  Stand  der 

Lehre  von  der  Bierschen  Stauung.  Sammelreferat  von  Doktor 
E.  Venus. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 


Zweiter  Bericht  über  die  Behandlung  des 
endemischen  Kretinismus  mit  Schilddrüsen¬ 
substanz. 

Von  Prof.  Wagner  v.  Jauregg. 

Ich  habe  ia  einem  früheren  Aufsätze  über  Versuche 
berichtet,  den  endemischen  Kretinismus  mit  Schilddrüsen- 
snbstanz  zu  behandeln.  Die  Dauer  der  Behandlung  betrag 
damals  nur  in  'wenigen  Fällen  zwei  bis  drei  Jahre;  die  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  (45)  befanden  sich  erst  12  bis  15  Monate 
in  Behandlung. 

Seither  ist  Zeit  vergangen  und  ich  verfüge  jetzt  über 
eine  größere  Anzahl  von  Fällen,  die  seit  drei  Jahren  und 
darüber  in  Behandlung  stehen.  Ich  halte  es  daher  für  an¬ 
gemessen,  meine  weiteren  Erfahrungen  auf  diesem  GeJnete 
der  Oeffentlichkeit  zu  übergeben. 

Daß  die  Schilddrüsenbehandlung  der  Kretins  zu  gün¬ 
stigen  Erfolgen  führt,  habe  ich  schon  in  dem  früheren  Auf¬ 
sätze  nachgewiesen;  über  das  Maß  der  zu  erzielenden  Er¬ 
folge  wird  aber  mit  um  so  größerer  Zuverlässigkeit  geurteilt 
werden  können,  je  länger  die  Behandlung  andauert,  respek¬ 
tive  je  längere  Zeit  seit  dem  Beginne  der  Behandlung  ver¬ 
gangen  ist.  Denn  es  handelt  sich  nicht  bloß  um  die  erzielten 
Bessenmgen,  sondern  auch  um  die  Feststellung  ihrer  Be¬ 
ständigkeit;  und  auch  die  Natur  einzelner  Symptome  des 
Kretinismus,  daß  sie  nämlicli  Entwicklimgsstörungen  sind, 
macht  die  Einhaltung  einer  längeren  Beobachtungsfrist  not¬ 
wendig. 


Ich  habe  bereits  in  meinem  Aufsätze  über  endemischen 
lind  sporadischen  Kretinismus^)  darauf  hingewiesen, 
daß  die  Behandlung  des  Kretinismus  um  so  mehr  Aussicht 
auf  Erfolg  hat,  in  je  früherem  Lebensalter  mit  der  Behand¬ 
lung  begonnen  wird,  was  ja  übrigens  selbstverständlich  ist. 
Ich  konnte  auch  in  dem  ersten  Berichte  über  die  Behand¬ 
lungserfolge  ^)  einige  auffallend  günstige  Resultate  be¬ 
richten  bei  Kindern,  die  schon  im  Alter  von  2  und 
2V2  Jahren  zur  Behandlimg  kamen.  Ich  kann  jetzt  über  den 
weiteren  Verlauf  der  Fälle  berichten  und  denselben  eine  An¬ 
zahl  ähnlicher  Fälle  anreihen. 

Fall  8.®)  Im  Beginne  der  Behandlung  zwei  Jahre  alt,  Bruder 
des  später  zu  erwähnenden  Falles  7,  sprach  damals  noch  kein 
Wort,  hatte  in  Nasenbildung  und  Bildung  der  Weichteile  Kenn¬ 
zeichen  eines  leichten  Grades  von  Kretinismus.  Er  nahm  durch 
ein  Jahr  jeden  zweiten  Tag  eine  Tahlette.  Schon  nach  drei 
Monaten  wurde  mir  berichtet,  daß  er  jetzt  zu  sprechen  anfange 
und  als  ich  ihn  ein  halbes  Jahr  nach  Beginn  der  Behandlung 
sah,  sprach  er  schon  so  ziemlich  seinem  Alter  entsprechend. 
Er  war  viel  mägerer  geworden,  seine  Nase  hatte  viel  weniger  von 
der  kretinischen  Bildung ;  gewachsen  ist  er  seither  (gegenwärtig 
sechs  Jahre  alt,  also  in  viel'  Jahren)  um  26  cm,  also  ungefähr 
dem  Durchschnitt  entsprechend.  Nach  einjähriger  Behandlung 
war  der  Knabe  schon  so  weit,  daß  er  in  den  Kindergarten  ge¬ 
schickt  werden  konnte.  Gegenwärtig  (neun  Jahre  nach  Beginn 
der  Behandlung)  ist  er  ein  frischer,  lebhafter,  aufgeweckter  Knabe, 
der  sehr  gut  aussieht  und  absolut  nichts  Kretinisches  mehr  an 

')  Wiener  klin.  Wochenschrift  1900,  Nr.  19. 

Wiener  klin.  Wochenschrift  1904,  Nr.  30. 

*)  Die  Nummern  der  Fälle  bis  52  beziehen  sich  stets  auf  meine 
Publikation  vom  Jahre  1904,  resp.  auf  die  darin  enthaltene  Tabelle. 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCflRlET.  1907. 


Nr.  2 


Üi 


sich  hat.  Er  spricht,  seinem  Alter  ganz  entsprechend,  sagt  mir 
hei  meinem  Eesuche  ganz  fließend  und  mit  guter  Artikulation 
ein  Gedicht  auf.  Er  wird  heuer  im  Herbst  die  iSchule  zu  Ite- 
suchen  anfangen.  Die  Schilddrüsenmedikation  hatte  nur  etwas 
über  ein  Jahr  gedauert;  der  erfreuliche  Fortschritt  hatte  also 
trotz  Aussetzens  der  Behandlung  angehalten. 

Fall  52.  Im  Beginne  der  Behandlung  2V2  Jahre  alt,  hatte 
damals  noch  die  Fontanelle  weit  offen;  er  hatte  erst  .mit  neun 
.Monaten  deji  ersten  Zahn  bekommen.  In  Nasenbildung,  Beschaf¬ 
fenheit  d(u'  Weichteile  und  Gesichtsfarbe  typisch  kretinisch;  geht 
noch  sehr  unbeholfen,  spricht  noch  kein  Wort. 

Schon  nach  dreimonatlicher  Behandlung  (eine  halbe  Tablette 
jeden  Tag)  war  die  Fontanelle  fast  geschlossen;  das  Kind  aß 
viel  mehr.  Es  wurde  lebhafter  und  aufmerksamer  und  fing  zu 
sprechen  an. 

Im  weiteren  Verlaufe  machte  es  rapide  Fortschritte  und 
war  nach  einjähriger  Behandlung  in  der  Sprachentwicklung  ganz 
so  weit,  als  es  seinem.  Alter  entsprach.  Es  hatte  alle  Zähne  seines 
i\llers  bekommen,  war  viel  mägerer  geworden  und  hatte  das 
Gedunsene  vollständig  verloren,  dafür  aber  eine  gesunde  Ge¬ 
sichtsfarbe  bekommen.  Es  hatte  riesigen  Appetit,  hatte  gehen 
und  auch  laufen  gelernt.  Sein  torpides  Temperament  hatte  einem 
lebhaften,  übermütigen  Platz  gemacht. 

Jetzt,  3^/4  Jahre  nach  Beginn  der  Behandlung,  ist  der  Knabe 
um  32  cm  gewachsen,  so  daß  er,  ursprünglich  mit  78-5  cm  um 
4  cm  hinter  dem  Durchschnitt  zurück,  denselben  jetzt  mit  110  cm 
um  4  cm  übertrifft.  Er  spricht  tadellos,  rezitierte  mir  z.  B.  bei 
einem  meiner  letzten  Besuche  ein  Gebet  mit  ganz  guter  Artiku¬ 
lation;  er  ist  feinhörig,  flink  und  lebhaft  und  hat  in  seinem 
Aussehen  absolut  keine  Merkmale  des  Kretinismus  mehr.  Bemer¬ 
kenswert  ist,  daß  sich  auch  bei  ihm,  wie  im  vorangehenden 
Falle,  der  günstige  Erfolg  trotz  Aussetzens  der  Medikation  er¬ 
halten  hat;  denn  in  den  letzten  IV2  Jahren  ungefähr  hat  er  keine 
Tabletten  mehr  genommen. 

Vor  zwei  Jahren  kam  auch  ein  Bruder  des  soeben  erwähnten 
Knaben  in  Behandlung  (Fall  53),  der,  im  Beginne  der  Behandlung 
IV4  Jahre  alt,  ganz  kreidebleich  war,  typische  Sattelnase  und 
leichte  Weichteilschwellungen  hatte;  er  sprach  noch  kein  Wort, 
sondern  stieß  nur  unartiikulierte  Laute  aus  und  zeigte  ziemlich 
torpides  Wesen.  Er  nahm  seither  jeden  zweiten  Tag  eine  Ta¬ 
blette.  Schon  nach  einem  halben  Jahre  sprach  er  eine  Menge 
Wörter,  aß  viel  mehr  als  früher  und  hatte  acid  neue  Zähne  be¬ 
kommen,  im  ganzen  16. 

Gegenv^ärtig  ist  er  äußerst  lebhaft  und  sieht  sehr  frisch 
aus ;  gesunde  Gesichtsfarbe.  Er  bezeichnet  alle  ihm  vorgezeigten 
Gegenstände,  spricht  viel  spontan  und  redet  aucli  in  alles  drein. 
Er  ist  in  den  zwei  Jahren  um  18  cm  gewachsen  (dem  Durch¬ 
schnitt  würden  I3V2  cm  entsprechen).  Auch  in  diesem  Falle  ist 
die  Behandlung  nur  durch  ein  Jahr  fortgesetzt  worden. 

Diesen  Fällen  ähnlich  ist  auch  folgender:  Ein  im  Beginne 
der  Behandlung  2V2  Jahre  alter  Knabe  (Fall  54)  ging  noch  sehr 
unbeholfen  und  sprach  kein  Wort.  Er  bot  in  Gesichtsbildung 
und  Beschaffenheit  der  W^eichteile  erst  geringe  Zeichen  des  Kre¬ 
tinismus.  Er  nahm  jeden  zweiten  Tag  eine  Tablette. 

Nach  wenigen  Monaten  fing  der  Knabe  zu  sprechen  an. 
Nach  lV2jähriger  Behandlung,  die  aber  nicht  regelmäßig  fortge¬ 
setzt  worden  war,  konnte  er  einzelne  Gegenstände  bezeichnen, 
vorgesagte  WWrter  und  kurze  Sätze  uachsprechen,  aber  noch 
mangelhaft  artikuliei't.  Gegenwärtig  hat  er  im  Aussehen  gar  nichts 
Krelinisches  mehr;  er  ist  sehr  lebhaft,  geschickt  in  seinen  Be¬ 
wegungen,  läuft  fleißig  herum,  hat  intelligentes  Aussehen  und 
lebhafte  Augen.  Er  spricht  ganz  seinem  Alter  entsprechend,  rezi¬ 
tiert  vor  mir  ein  Gebet,  nur  ist  die  Aussprache  .einzelner  Kon¬ 
sonanten  eine  mangelhafte.  Er  ist  feinhörig;  im  Herbst  wird  er 
zur  Schule  kommen.  Gewachsen  ist  er  in  3V2  Jahren,  seit  Beginn 
der  Behandlung,  um  30  cm,  8  cm  mehr,  als  dem  Durchschnilt 
entspricht.  Dabei  muß  bemerkt  w^erden,  daß  der  Knabe  die  Ta¬ 
bletten  oft  unregelmäßig  genommen  hat.  Seit  einem  halben  Jahre 
wurde  die  Behandlung  ganz  ausgesetzt. 

I lieber  gehört  auch  Fall  22,  ein  im  Beginne  der  Behandlung 
2^,2  Jahre  alter  Knabe,  der  damals  noch  gar  nicht  sprach  und 
sehr  schlecht  hörte.  Im  übrigen  waren  bei  ihm  die  körperlichen 
Merkmale  des  Kretinismus  deutlich,  wenn  auch  nicht  hochgradig 
entwickelt,  mit  Ausnahme  der  Wachstumslörung.  Im  Laufe  der 
diesjährigen  Behandlung  stellte  sich  bei  ihm  das  volle,  seine’u 
.\lter  entsprechende  Sprachvermögen  ein;  auch  sein  Gehör  hat 
sich  so  gebessert,  daß  es  jetzt  fast  als  normal  zu  bezeichnen  ist. 

Aehnliches  bietet  Fall  58,  ein  im  Beginne  der  Behandlung 
zweijähriger  Knabe,  der  noch  nicht  sprach,  etwas  schwerhörig 
war,  di(‘  .\h‘rkmale  des  Kreliuisnuis  in  leichtem  Grade  und  einen 


kleinen  Kro])f  des  Mittellappens  hatte.  Auffallend  war  bei  ihm 
auch  die  bei  Kretins  so  häufige  Salivation. 

Schon  nach  vierteljähriger  Behandlung  fing  er  an  zu  sprechen 
und  jetzt,  nach  zweijähriger  Behandlung,  hat  er  das  volle  Sprach¬ 
vermögen  seines  Alters,  nur  ,,sch“  und  ,,r“  spricht  er  unbeholfen 
aus.  Er  hört  Flüsterstimme  ziemlich  gut.  Der  Kropf  war  schon 
nach  kurzer  Zeit  vei'schwunden ;  die  Salivation  hat  erst  nach 
längerer  Behandlung  aufgehört. 

In  den  eben  referierten  Fällen  handelt  es  sich  um 
Kinder,  die  sehr  frühzeitig,  vor  dem  dritten  Lebensjahre, 
in  Behandlung  gekommen  waren  und  rasch  das  bisher  feh¬ 
lende  Sprachvermögen  erlangt  haben. 

Zweifelhaft  bezüglich  seiner  Zugehörigkeit  zum  Kre¬ 
tinismus  ist  folgender  Fall  (60) : 

Ein  zwei  Jahre  und  acht  Monate  alter  Knabe  wird  mir  vor¬ 
gestellt,  weil  er  fasi  noch  gar  nichts  spricht.  Er  sagt  nur:  Nein, 
ja,  Tata,  Mamma,  kann  aber  z.  B.  noch  keinerlei  Objekte  be¬ 
zeichnen.  Von  sonstigen  Merkmalen  aber,  w'elche  berechtigen 
würden,  den  Fall  als  Kretinismus  aufzufassen,  ist  nur  sehr  wenig 
vorhanden.  Der  Knabe  hört  anscheinend  gut,  er  hat  auch  ziem¬ 
liches  Sprachverständnis.  Die  Nase  ist  etwas  kurz  und  ihre 
Wurzel  etwas  abgeflacht,  aber  beides  nicht  in  einem  ausge¬ 
sprochenen  Grade.  Keine  Hautschwellungen,  kein  Kropf;  Gesichts¬ 
farbe  gut.  Ziemlich  lebhafter  Knabe.  Körperlänge  88  cm,  also 
etwas  über  dem  Durchschnitt. 

Schon  nach  einem  halben  Jahre  konnte  der  Knabe  atle 
Gegenstände  seines  Gesichtskreises  benennen.  Vorgesagtes  nach- 
sageu.  Nach  einem  weiteren  halben  Jahre  waren  Sprachvermögen 
und  Sprachlust  des  Knaben  schon  so  entwickelt,  daß  die  Mutter 
fand,  er  spreche  schon  zu  viel.  Sie  hatte  ihm  deshalb  auch  seit 
Monaten  keine  Tabletten  mehr  gegeben.  Gewachsen  war  der  Knabe 
in  dieser  Zeit  um  8V2  cm,  also  IV2  cm  mehr,  als  dem  Durch¬ 
schnitt  ents])richt,  eine  Differenz,  aus  der  mau  keine  weitgehenden 
Schlüsse  ziehen  kann. 

Es  dürfte  sich  hier  wahrscheinlich  um  einen  jener 
hie  und  da  vorkommenden  Fälle  gehandelt  haben,  in  denen 
die  Sprachentwicklung,  bei  sonst  normalen  Kindern  aus 
unbekannten  Ursachen  verspätet  auftritt.  Immerhin  ist  es 
auffallend,  in  wie  kurzer  Zeit  das  Versäumte  nachgeholt 
wurde. 

Der  Fall  gibt  aber  noch  zu  einer  praktischen  Bemerkung 
Anlaß.  Soll  man  solche  Fälle  mit  Tabletten  behandeln? 
Ich  glaube,  wenn  sie  sich  im  Bereiche  der  Endemie  er¬ 
eignen,  ja.  Demi  man  kann  doch,  wenigstens  vorläufig,  nicht 
mit  Sicherheit  ausschließen,  daß  es  sich  um  einen  jener 
Fälle  handelt,  in  denen  ßich  der  Kretinismus  etwas  später 
entwickelt.  Und  daß  der  Kretinismus  in  den  meisten  Fällen 
eine  nicht  angeborene,  sondern  sich  erst  in  den  ersten  Kinder¬ 
jahren  entwickelnde  KraidUieit  ist,  wird  noch  zu  erörtern 
sein.  Es  wäre  also  doch  möglich,  daß  hier  das  Ausbleiben 
der  Sprachentwicklung  das  erste  Symptom  eines  schleichend 
auftretenderi  Kretinismus  gewesen  ist,  dem  sich  später  andere 
Symptome  angeschlossen  hätten,  wenn  nicht  die  Behandlung 
dazwischen  gekommen  wäre. 

Der  Versuch  einer  Behandlung  rechtfertigt  sich  um 
so  mehr,  als  durch  denselben,  meiner  Erfahrung  nach,  nie 
ein  Schaden  gestiftet  werden  kann. 

Die  bisher  geschilderten  Fälle  waren  leichtere  Fälle 
von  Kretinismus  oder,  vorsichtiger  ausgedrückt,  es  waren 
noch  nicht  sehr  weit  vorgeschrittene  Fälle.  Denn  da  der 
Kretinismus  nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle  eine  angeborene 
Erkrankung  ist,  verrät  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  an 
dem  neugeborenen  Kinde  nichts  den  späteren  Kretin;  erst 
im  Laufe  des  ersten  bis  zweiten  Lebensjahres,  ja  in  selte¬ 
neren,  aber  darum  besonders  lehrreichen  Fällen  noch  später, 
kommen  die  Symptome  des  Kretinismus  allmählich  zum 
Vorschein. 

Der  folgende  Fall  betrifft  einen  schwereren  Grad  der 
Erkrankung,  die  aber  auch  in  diesem  Falle  durch  die  Be¬ 
handlung  so  günstig  beeinflußt  wurde,  da'ß  man  berechtigte 
Hoffnungen  auf  einen  vollen  Erfolg  haben  kann. 

Das  iin  Beginne  der  Behandlung  zweijährige  Mädchen 
(Fall  62)  konnte  damals  weder  gehen,  noch  sprechen;  es  hatte 
von  der  Geburt  bis  zu  IV2  Jahren  viel  Fraisen  gehabt.  Die  Be¬ 
handlung  wurde  durch  Herrn  Dr.  Ehrlich  in  Knittelfeld  ein¬ 
geleilet;  ich  sah  das  Kind  erst  ein  halbes  Jahr  später.  Das 


Nr  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


35 


Kind  bot  damals  noch  das  typische  Bild  eines  schweren  Falles 
von  Krelinisnms.  Ty])ische  flache  Sattelnase;  die  Nasö  außer¬ 
ordentlich  kurz.  Bleiche  Gesichtsfarbe;  sehr  schwammig  im  Ge¬ 
sicht,  doppeltes  Kinn;  am  Körper  sehr  viel  schlaffes  Fell. 

Gleich  nach  den  ersten  Tahletten  hatte  die  Mutter  eine 
Veränderung  bemerkt;  das  Kind  war  viel  lebhafter  geworden  und 
hatte  bald  zu  gehen  angefangen;  als  ich  es  sah,  fing  es  auch 
schon  an,  nachzusiirechen.  Nach  zehnmonatlicher  Behandlung 
sagte  das  Kind  alles  nach,  was  man  ihm  vorsagte,  sprach  auch 
spontan  ziemlich  viel. 

Nach  zirka  zweijähriger  Behandlung  war  das  Kind  be¬ 
deutend  magerer  geworden;  es  hatte  im  Habitus  und  Gesichls- 
ausdruck  kaum  mehr  etwas,  das  an  Kretinismus  gemahnen  würde; 
selbst  die  Nase  hat  die  charakteristische  Bildung  ziemlich  ver¬ 
loren.  Das  Kind  spricht  in  ganzen  Sätzen,  spricht  ganz  gut 
artikuliert  (Gehör  ist  intakt);  es  merkt  sich  Dinge,  die  sich  vor 
Monaten  zugetragen  haben.  Es  ist  lebhaft  und  sehr  beweglich: 
ging  z.  B.  im  Sommer  zu  Fuß  auf  die  Ahn.  Die  Mutter  merkte 
anfangs,  daß  das  Kind  sofort  wieder  dicker  wurde,  wenn  man  die 
Tabletten  aussetzte.  Gewachsen  ist  das  Kind  im  Laufe  von 
18  Monaten  (seit  der  ersten  durch  mich  vorgenommenen  Messung), 
von  80T)  cm  auf  95  cm,  also  um  14-5  cm. 

In  diesem  sonst  schweren  Falle  war  der  wichtigste 
Erfolg,  die  Entwicklung  des  Sprachvermögens,  durch  den 
Umstand  begünstigt,  daß  keine  nennenswerte  Störung  der 
Gehörsfunktion  vorlag. 

* 

Daß  aber  auch  noch  in  einem  späteren  Lebensalter 
eine  bedeutende  Besserung  des  Sprachvermögens  zu  er¬ 
reichen  ist,  beweisen  die  folgenden  Fälle. 

Schon  in  meinem  früheren  Berichte  hatte  ich  des 
Falles  7  Erwähnung  getan,  der  im  Beginne  der  Behand¬ 
lung,  April  1901,  im  Alter  von  7V2  Jahren,  erst  seit  andert¬ 
halb  Jahren  zu  sprechen  angefangen  hatte  und  noch  sehr 
mangelhaft  artikuliert  sprach.  Er  hörte  schlecht,  so  daß  er 
Flüsterstimme,  auch  aus  nächster  Nähe  gesprochen,  nicht 
verstand.  Er  hatte  im  Beginn  der  Behandlung  103  cm,  war 
also  gegenüber  dem  Durchschnitt  um  10  cm  zurück. 

Im  Laufe  der  zweijährigen  Behandlung  ist  das  Gehör  ganz 
normal  und  die  Sprache  ganz  artikuliert  geworden.  Es  wurde 
dann  die  Behandlung  ausgesetzt;  trotzdem  machte  der  Knabe, 
besonders  geistig,  noch  weitere  Fortschritte,  so  daß  er  bis  in 
die  vierte  Klasse  aufsteigen  konnte.  Gewachsen  ist  er  während 
und  nach  der  Behandlung,  in  ungefähr  fünf  Jahren  von  103  cm 
auf  137-5  cm,  also  um  34-5  cm,  um  5  cm  mehr,  als  dem  Durch¬ 
schnitte  entspricht.  Auf  die  Wachstumsbeförderung  scheint  aller¬ 
dings  das  Aussetzen  der  Tabletten  nicht  ohne  Wirkung  geblieben 
zu  sein.  Denn  während  der  Knabe  in  den  ersten  2V2  Jahren 
um  21  cm  gewachsen  ist,  betrug  seine  Zunahme  in  den  drei 
folgenden  Jahren  nur  13  cm. 

Fall  55,  im  Beginn  der  Behandlung  über  acht  Jahre  alt. 
hat  erst  nach  dem  zweiten  Lebensjahre  zu  gehen  und  erst  im 
fünften  bis  sechsten  Lebensjahre  zu  sprechen  angefangen;  er 
hört  schlecht,  Flüsterstimme  gar  nicht,  sonst  wechselnd.  Zu  Zeiten 
hört  er  Konversationston;  zu  anderen  Zeiten  muß  man  recht 
laut  sprechen,  damit  er  etwas  vernimmt.  Er  spricht  mit  schreck¬ 
licher  Artikulation,  so  daß  seine  Sprache  fast  unverständlich  ist. 
In  Nasenbildung  und  Beschaffenheit  der  Weichteile  typische  Kenn¬ 
zeichen  des  Kretinismus.  Der  Mund  ist  stets  offen ;  Atem 
keuchend.  Kleiner  Kropf  des  Mittellappens.  Hals  sehr  kurz. 
Schrecklich  apathisch. 

Im  Laufe  einer  fast  vierjährigen  Behandlung,  während  der 
er  anfangs  die  Tabletten,  ein  Stück  täglich,  nicht  ganz  regelmäßig 
genommen  hat,  weil  öfters  Erbrechen  auftrat,  sind  folgende  Ver¬ 
änderungen  vor  sich  gegangen :  Er  ist  viel  mägerer  und  sehr 
lebhaft  geworden.  Der  Kropf  und  die  Weichteilschwellungen  sind 
ganz  verschwunden.  Er  hat  viel  größeren  Appetit  und  hat  jetzt 
regelmäßigen  Stuhl,  während  er  früher  immer  verstopft  war. 
Den  keuchenden  Atem  hat  er  ganz,  verloren.  Der  Hals  ist  recht 
lang  geworden.  In  der  Gesichtsbildung  fehlen  jetzt  alle  Merk¬ 
male  des  Kretinismus.  Sein  Gehör  hat  sich  wesentlich  gebessert, 
wechselt  aber  noch  immer.  Doch  hört  er  oft  Flüsterstimme,  links 
besser  als  rechts,  jederzeit  aber  leisen  Konversationston.  Auch 
seine  Sprache  ist  jetzt  ganz  gut  artikuliert,  vollkommen  verständ¬ 
lich.  Er  konnte  in  der  Schule  schon  bis  in  die  dritte  Klasse 
aufsteigen.  Er  hat  auch  im  letzten  Jahre  mit  der  Medikation  öfters 
ausgesetzt,  einmal  während  der  Heilungsdauer  eines  Beinbruchs, 
einmal  während  einer  Gelenkserkrankung. 


Gewachsen  ist  er  in  der  Zeit  der  Behandlung,  das  heißt  in 
3V4  Jahren,  von  112  cm  auf  133  cm,  also  um  21  cm,  ungefähr 
so  viel,  als  dem  Durchschnitte  entspricht. 

Das  im  Beginn  der  Behandlung  9Vajährige  Mädchen  Nr.  59 
konnte  damals  noch  nichts  sprechen  als  ,, Vater“,  „Mutter“  und 
,,nein“.  Es  hatte  erst  mit  vier  Jahren  zu  sprechen  angefangen. 
Bei  der  Geburt  soll  es  eine  große,  aus  dem  Munde  herausstehende 
Zunge  gehabt  haben.  Es  ist  schwerhörig,  hört  nur,  wenn  man 
sehr  laut  spricht.  Im  übrigen  auch  andere  Zeichen  des  Kreti¬ 
nismus.  Körperlänge  105  cm,  also  17-5  cm  unter  dem  Durch¬ 
schnitt. 

Gewachsen  ist  es  im  Laufe  der  vierjährigen  Behandlung 
um  31  cm,  so  daß  es  jetzt  nur  mehr  um  6-5  cm  hinter  dem 
Durchschnitt  zurückbleibt.  Seine  Intelligenz  hat  auch  zugenommen. 
Doch  in  bezug  auf  die  Sprache  und  das  Gehör  war  lange  Zeit 
keine  Besserung  zu  merken.  Erst  im  letzten  halben  Jahre,  nach¬ 
dem  die  Dosis  der  Tabletten  gesteigert  worden  war  (IV2  täglich) 
ist  ein  deutlicher  Fortschritt  zu  bemerken.  Gleichzeitig  mit  einer 
deutlichen  Besserung  des  Gehörs  fängt  das  Kind  an,  das  Vor¬ 
gesagte  nachzusprechen,  sehr  mangelhaft  artikuliert  zwar^  aber 
doch  im  Vergleich  zu  dem  bisherigen  Verhalten  ein  großer  Fort¬ 
schritt,  wobei  in  Betracht  kommt,  daß  das  Kind  jetzt  schon 
I3V2  Jahre  zählt. 

Fall  40,  ein  im  Beginn  der  Behandlung  SWjähriger  Knabe, 
hat  erst  im  vierten  Lebensjahr  zu  gehen  angefangen;  spricht 
kaum  mehr  als  die  Worte:  Vater,  Mutter.  Artikulation  schlecht. 
Nasenbildung  typisch;  mäßige  Schwellung  der  Weichteile.  Gehör 
schlecht,  aber  nicht  genauer  zu  prüfen. 

Nach  kurzer  Behandlung  schon  wurde  der  Kuabe  viel  leb¬ 
hafter  und  beweglicher,  dabei  magerte  er  anfangs  ab. 

Zwei  Jahre  nach  Beginn  der  Behandlung  konnte  er  in  die 
Schule  geschickt  werden,  in  der  er  allerdings  bisher  nicht  viel 
Fortschritte  macht. 

Nach  dreijähriger  Behandlung  verfügte  er  über  einen  ziem¬ 
lichen  Wortschatz,  sprach,  besonders  zu  Hause,  viel  und  ziemlich 
gut  artikuliert.  FlüstersLimme  hörte  er  noch  immer  nicht.  Seine 
Nasenbildung  hatte  sich  gebessert.  Gewachsen  war  er  von  104  cm 
auf  122-5  cm,  also  um  18-5  cm.  Er  hatte  also  das  durchschnittliche 
Wachstum  seiner  Altersperiode  um  2  cm  übertroffen,  während 
er  vor  der  Behandlung  entschieden  geringeres  Wachstum  hatte, 
da  er  um  12  cm  hinter  dem  Durchschnitt  zurückgeblieben  war. 

Die  Tabletten  hatte  er  schon  seit  fast  einem  Jahre  nicht 
genommen;  ein  charakteristisches  Beispiel  für  die  Teilnahmslosig¬ 
keit  der  Eltern,  mit  der  man  zu  kämpfen  hat.  Die  Mutter  hat 
ihm,  trotz  der  unverkennbaren  Besserung,  die  Tabletten  aus  bloßer 
Indolenz  nicht  mehr  gegeben. 

Fall  45,  ein  im  Beginn  der  Behandlung  neunjähriger  Knabe, 
hat  erst  mit  fünf  Jahren  zu  sprechen  begonnen.  Er  spricht 
mit  fürchterlicher  Artikulation,  so  daß  das  Gesprochene  ganz 
unverständlich  ist. 

Seine  Nasenbildung  ist  ganz  typisch.  Deutliche  Schwellung 
der  Weichteile  im  Gesicht.  Kleiner  Kropf  im  Vlittellappen.  Ge¬ 
sichtsfarbe  blaß.  Gehör  schlecht,  wechselnd.  Flüsterstimme  wird 
gar  nicht  gehört.  Große  Apathie. 

Im  Laufe  der  vierjährigen  Behandlung  wurde  der  Knabe 
viel  frischer  und  lebendiger,  schaut  jetzt  nicht  unintelligent  drein. 
Der  Kropf  ist  ganz  geschwunden,  ebenso  die  Gedunsenheit  des 
Gesichtes.  Gesichtsfarbe  gut.  Die  Nase  hat  jetzt  den  kretinischen 
Charakter  fast  ganz  verloren.  Das  Gehör  ist  noch  immer  nicht 
gut,  auch  wechselnd,  doch  bedeutend  gebessert;  der  Knabe  fängt 
jetzt  an,  Flüsterstimme  zu  hören,  er  hört  die  Vokale  deutlich 
und  spricht  auch  einige  Worte  nach.  Die  Artikulation  ist  noch 
immer  mangelhaft,  aber  bedeutend  besser.  Vor  allem  ist  jetzt 
die  Sprechlust  eine  viel  größere.  Intelligenz  bedeutend  gebessert. 

Gewachsen  ist  er  von  107  cm  auf  134  cm,  also  um  27  cm ; 
um  6-5  cm  mehr  als  dem  Durchschnitte  entspricht,  während  er 
im  Beginne  der  Behandlung  um  15  cm  hinter  dem  Durchschnitte 
zurückgeblieben  war. 

* 

Bei  den  zuerst  referierten  Kindern  im  Alter  unter  drei 
Jahren  ist  es  fraglich,  inwieweit  etwa  die  Einwirkung  der 
Behandlung  auf  die  Gehörfunktion  an  der  Entwicklung  des 
Sprachvermögens  einen  Anteil  gehabt  hat.  Denn  in  hohem 
Grade  schwerhörig  waren  alle  diese  Kinder  nicht;  imd  ol) 
sie  etwa  geringeren  Grad  von  Gehörstörung  hatten,  ließ  sich 
bei  dem  Alter  und  in  den  Verhältnissen,  unter^  denen  sie 
geprüft  wurden,  nicht  feststellen,  wobei  noch  ihre  Torpi- 
dität  vor  der  Behandlung  als  weiteres  Hindernis  einer  ge¬ 
naueren  Prüfung  hinzukam.  Es  erklärt  sich  aber  bei  ihnen 
das  Ausbleiben  der  Sprachentwicklung  auch  ohne  Annahme 


Öö 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


eiliei'  (»eliörslüruiig  aiii"  ganz  eiiiiache  \Ycise.  Krelius  langen 
eJ)en  spül  zu  si)reclieii  an,  (‘benso  wie  sie  spät  zu  gehen 
anfangen:  infolge  der  Störung  ilirer  liirnenIwiekJung.  Jn 
(fein  Momente,  als  diii'cli  die  Ik'seiligung  dieser  Störung 
durcJi  die  Hohandlung  die  (lehirnenlwickdung  eine  normale 
wuide,  slellle  sicdi  auch  das  Sprachvermögen  prompt  ein. 

hei  den  elxm  referieiien  Kindern,  die  sclion  in  einem 
späteren  Alter  standen  (zwischen  7Vä  und  Jahren)  han¬ 
delt  es  sich  um  (dwas  anderes;  sie  sprachen  zum  Teil 
schon,  ab(‘r  infolge  einer  Störung  des  (leliörorganes  in  einer 
ganz  schrecklicli  artikulierten  Weise  (wobei  allerdings  auch 
ihr  Schwachsinn  milspielen  dürfte;  geistig  frische  Kinder 
mit  derselben  (iehörslörnng  würden  wahrscheinlich  besser 
artikulieren);  zum  Teil  hatten  sie  aindi  kanin  zu  sprechen 
angefangen  u.  zw.  sichtlich  auch  teilweise  unter  dem  Ein¬ 
fluß  einer  schweren  Gehörstörung. 

ln  allen  diesen  Eällen  lernen  wir  als  hehandlmigs- 
erfolg  neben  der  Besserung,  resp.  Weckung  des  Sprach- 
vermögens  die  Besserung  der  Gehörfunktion  kennen,  die  in 
allen  eben  berichteten  Fällen  eine  ganz  unzweifelhafte  war. 

Es  ist  ein  solcher  Erfolg  nicht  ühermäßig  befremdend, 
wenn  man  hört,  daß  an  der  Gehörstörung  dieser  Kinder 
einen  wesentlichen  Anteil  adenoide  Vegetationen  hatten. 

Die  Gehörstörmig  der  Kretins,  die  man  fast  durch¬ 
gängig  hei  ihnen  findet  u.  zw.  von  den  leichtesten  Störungen 
bis  zur  totalen  Taubheit,  ein  Umstand,  auf  dessen  Bedeu¬ 
tung  ich  zuerst  aufmerksam  gemacht  hal)e,‘^)  heruht  nach 
den  Untersuchungen,  die  Dr.  Alexander  an  einer  großen 
Zahl,  der  von  mir  behandelten  Kretins  gemacht  hat,  zum 
mindesten  a\d'  zwei  Erkraiücungen ;  auf  dem  Auftreten  von 
adenoiden  Vegetationen,  verbunden  etwa  noch  mit  Tuhen- 
katarrhen,  kurz  mit  Prozessen,  die  das  Mittelohr  schädigen; 
dann  a])er  auch  auf  einer  Labyrintherkrankung. 

Die  das  Mittelohr  schädigenden  Prozesse,  vor  allem 
die  adenoiden  Vegetationen,  sind  bei  weitem  häufiger  als 
die  Lahyrintherkrankungen.  Zu  diesen  adenoiden  Vegeta¬ 
tionen  ist  aber  noch  eine  Bemerkung  zu  machen.  Zwischen 
diesen  adenoiden  Vegetationen  und  dem  zum  Kretinis¬ 
mus  führenden  Prozeß  muß  ein  kausaler  Zusammenhang 
angenommen  Averden.  Es  sind  das  nicht  die  hanalen  ade¬ 
noiden  Vegetationen,  wie  man  sie  allerwärts  bei  Kindern 
findet.  Dazu  kommen  sie  bei  den  Kretins  viel  zu  häufig 
vor.  Es  sind  das  also  spezifische  adenoide  Vege¬ 
ta  t  i  o  n  e  11. 

Auf  diese  den  kretinischen  Prozeß  hegTeitenden  ade¬ 
noiden  Vegetationen  hat  nun  offenbar  auch  die  Schilddrüsen- 
behaiidlung  einen  gewissen  Einfluß  (wohl  auch  auf  heglei¬ 
tende,  vielleicht  auch  spezifische  Tuben-  und  Mittelohr¬ 
katarrhe);  und  so  erklärt  sich  zum  Teil  die  günstige  Wirkung 
der  Schilddrüsenbehandlung  auf  die  Gehörfunktion. 

In  jenen  Fällen  aber,  in  denen  eine  Gehörstörung 
höheren  Grades  besteht,  reichen  die  Mittelohrprozesse  nicht 
aus;  ii)  diesen  Fällen  muß  angenommen  werden,  daß  auch 
oder  sogar  vorwiegend  das  Labyrinth  erkrankt  ist. 

Das  sind  jene  Fälle,  von  denen  ich  schon  in  meinem 
früheren  Bericht  sagte:  ,, Dagegen  muß  konstatiert  werden, 
daß  schwere  Störungen  des  Sprach-  und  Gehörvermögens 
durch  die  Behandlung,  bei  der  bislierigen  Dauer  derselben, 
nicht  behoben  werden  konnten  u.  zw.  auch  in  Fällen,  in 
denen  die  Behandlung  früh  hegonnen  und  lange  fortgesetzt 
wurde.“ 

Wenn  ich  auch  heute  im  großen  und  ganzen  das  auf 
Grund  (dner  noch  längeren  Behandbmgsdauer  gelten  lassen 
muß,  zeigt  sich  doch,  daß  auch  scliwere  Labyrintherkran- 
kimgen,  wenn  frühzeitig  in  Behandhmg  genommen,  der  Be¬ 
handlung  gegenüber  sich  ]\icht  ganz  unbeeinflußbar  zeigen. 

Ich  will  zum  Belege  ein  paar  Fälle  mitteilen. 

Am  überzeugendsten  wirkte  aid'  mich  jener  Fall,  den  ich 
in  dem  früheren  Aufsätze  unter  Nr.  3  mitgeteilt  habe.  Bas 
Kind  stand  am  TTige  der  letzten  Untersuchung  fi'inf  Jahre  und 
vier  Monate  in  Behandlung  und  war  ini  Beginn  der  Behandlung 
ziemlich  genau  drei  Jahre  att.  Es  liatte  damals  77-5  cm  Körper- 

h  Mitteilungen  des  Vereines  der  Aerzte  in  Steiermark  1893. 


länge,  war  also  um  8  cm  hinter  dem  Durchschnittsmaß  seines 
Alters  zujück.  Es  hatte  typische  kretinisclie  Gesichtsbildung; 
war  am  ganzen  Körper  sehr  fett  und  gedunsen;  die  große  Fon¬ 
tanelle  war  noch  offen.  Das  Kind  hatte  erst  kürzlich  zu  gehen 
angefangen;  von  Spi’achvermögen  war  noch  keine  Spur  vorhanden. 
Daliei  machte  das  Kind  einen  blödsinnigen,  apathischen  Ihndruck. 

hn  Laufe  der  Behandlung  besserten  sich  nun  die  körper¬ 
lichen  Erscheinungen  des  Kretinismus  bald  und  heute  zeigt  das 
Kind  in  seinem  Aussehen  absolut  nichts  Kretinisches  mehr.  Es 
hat  eine  Körperlänge  von  121-5  cm  erreicht,  also  etwas  mehr, 
als  im  Durchschnitte  seinem  Alter  entspricht.  Die  Gedunsenheit 
ist  vollkommen  geschwunden;  das  Kind  hat  eine  gesunde  Gesichts¬ 
farbe  und  einen  lebhaften,  intelligenten  Gesichtsausdruck.  Auch 
der  Nasenrücken,  der  früher  breit  und  eingedrückt  war,  ist  jetzt 
ziemlich  schmal  und  scharf  geworden.  Die  Kleine  ist  init  einem 
Worte  jetzt  geradezu  ein  hübsches  und  blühendes  Kind  ge¬ 
worden. 

Auch  die  Intelligenz  hat  sich  rasch  gebessert.  So  konnte 
sie  mit  sechs  Jahren  in  den  Kindergarten  gehen  und  man  war 
dort  ganz  zufrieden  mit  ihr;  sie  machte  den  Weg  hin  und  zurück 
ganz  allein. 

Nur  mit  dem  Sprachvermögen  wollte  es  gar  nicht  vorwärts 
gehen.  Das  Kind  brachte  einige  Laute  spontan  heraus,  aber 
keine  deutlichen  AVorte;  und  sie  Avar  absolut  nicht  zu  beAvegen, 
Wol  le,  oder  auch  einzelne  Vokale  nachzusprechen,  so  laut  und 
deutlich  man  ihr  auch  dieselben  vorsprechen  mochte.  Je  iutelli- 
genter  das  Kind  Avurde,  um  so  klarer  Avurde  es,  daßi  Mangel  des 
Gehörs  den  Sprachmangel  zum  mindesten  mitbedingte.  Wenn 
man  dem  Kinde  z.  B.  einzelne  Vokale  sehr  laut  und  deutlich  vor- 
sagle,  so  ahmte  es  die  betreffende  Älimdstellung  recht  genau  nach, 
aber  ohne  einen  Laut  von  sich  zu  geben;  ebenso  ahmte  es  laut¬ 
los  das  Mund  spitzen  nach,  Avenn  man  etAvas  vorpfiff.  Wenn  man 
ihm  die  Uhr  an’s  Ohr  legte,  machte  es  eine  verneinende  Gebärde. 
Dementsprechend  fehlte  auch  das  Sprachverständnis;  das  Kind 
war  z.  B.  außerstande,  geAvöhnliche  Gebrauchsgegenstände  auf 
Amrfiale  Aufforderung  hin  zu  holen. 

So  Avar  es  noch  nach  dreijähriger  Behandlung  und  ich  zwei¬ 
felte  daran,  ob  sich  je  eine  Spur  von  Gehörsvermögen  und  Sprach¬ 
vermögen  bei  dem  Kinde  einstellen  Avürden. 

Bei  meiner  Untersuchung  vor  Jahresfrist  jedoch  erfuhr  ich 
zu  meiiK'r  Uelierraschung,  daß  das  Kind  nachzusprechen  anfange. 
Es  sprach  eine  ganze  Anzahl  von  M'orten,  Avenn  auch  mit  mangel¬ 
hafter  Artikulation  nach  u.  zw.  auch  dann,  Avenn  der  Älund 
des  Sprechenden  verdeckt  war,  so  daß  ein  xVblesen  vom  IMunde 
ausgeschlossen  Avar.  Der  Fortschritt,  den  das  Kind  im  ]t,aufe 
eines  Aveiteren  Jahi’es  machte,  Avar  allerdings  insoferne  ein  ver¬ 
hältnismäßig  geringer,  als  das  Kind  zwar  mehr  und  mehr  Worte 
nachzusprechen  lernte,  auch  Veretändnis  der  gesprochenen  Worte 
zeigte,  indem  es  auf  die  einzelnen  Worte,  den  durch  .dieselben 
bezeiebneten  Gegenstand  richtig  bezeichnete.  Doch  war  die  Nei¬ 
gung  zum  spontanen  Sprechen^  zur  VerAvertung  der  gewonnenen 
Sprachkenntnisse  noch  sehr  gering.  Auch  ist  das  Gehör  gewiß 
noch  scliAver  gestört,  indem  es  doch  noch  immer  ziemlich  lauten 
Vorsprechens  bedarf,  um  das  Kind  zum  Nachsprechen  zu  ver¬ 
anlassen. 

Aehnliches  erlebte  ich  in  einem  zAAmiten  Falle,  jenem,  der 
am  längsten  in  Behandhmg  steht,  nämlich  zirka  sechs  Jahre.  Es 
ist  das  Fall  1  der  Tabelle. 

Dieses  Kind,  im  Beginne  der  Behandlung  sechs  Jahre  alt, 
Avar  der  Typus  eines  Kretinismus  schweren  Grades.  Es  hatte 
eine  sebr  breite  und  flache,  eingezogene  Nasemvurzel ;  die  Nase' 
war  sehr  kurz  und  breit,  Kolorit  blaß.  Lider,  Mmngen,  Lippen 
geschiAVollen ;  in  den  Supravikulargruben  ausgebildete  Pseudo- 
liponie,  ein  Befund,  der  nur  schweren  PMllen  von  Kretinismus 
eigen  ist.  Der  Mund  sehr  breit,  stets  offen,  die  dicke  Zunge  aus 
dem  IMunde  hervorragend.  Der  Hals  außerordentlich  kurz.  Die 
Hände  auffallend  kurz.  Schilddrüse  nicht  palpabel.  Bauch  groß, 
mit  kleinem  Nabelbruch.  Haar  sehr  Hocken,  spröde.  Auch  die 
Haut  sehr  trocken.  Das  Kind  hatte  mit  vier  Jahren  zu  gehen 
hegonnen,  ging  aber  nur  mit  Unterstützung,  sehr  unsicher.  Es 
sprach  noch  kein  Wort,  gab  nur  fortwährend  einen  heiseren  Schrei 
von  sich.  Hochgradige  Apatliie,  Gehör*  nicht  genau  zu  prüfen. 
Das  Kind  ist  hochgradig  schAverhörig,  doch  sicher  nicht  ganz 
taub.  Körperlänge  damals  87  cm,  Avar  also  um  16  cm  hinter 
dem  Durchschnitt  zurück. 

Nach  kurzer  Dauer  der  Behandlung  Avaren  die  Schwellungen 
der  Haut  im  Gesicht  und  am  Körper  bedeutend  zurückgegangen, 
die  Pseudoliponie  ganz  geschwunden.  Das  Kind  Avar  viel  leb¬ 
hafter  geAvorden;  fing  bald  an  allein  zu  gehen  und  selbst  Stiegen 
zu  steigen.  Es  hatte  im  Gegensatz  zu  früher  riesige  Eßlust  und 
guten  Stuhl  bekommen.  _ 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Gegenwärlig,  nach  fast  sechs.jäJiriget'  Dauer  der  Behandlung, 
ist  das  Kind  um  41cm  gewachsen,  so  daß.  es  jetzt  mit  128  cm 
nur  mehr  um  7  cm  hinter  dem  Durchschnitt  zurück  ist.  In 
seinem  Habitus  erinnert  fast  nichts  mehr  an  Kretinismus.  Die 
Gesichtsfarbe  ist  gut;  von  Hautschwellungen  ist  keine  Rede  mehr. 
Die  Nasenwurzel  ist  nicht  mehr  eingezogen,  scharf;  die  Nase 
nicht  mehr  auffallend  kurz.  Die  Gesichtszüge  sind  fein.  Der 
Hund  ist  geschlossen,  birgt  ein  sehr  schönes  Gebiß.  Die  Zunge 
nicht  sichtbar.  Der  Hals  ist  gewachsen;  ebenso  die  Hände,  die 
jetzt  proportioniert  lang  sind. 

Der  Fortsclnitt  der  Intelligenz  ist  aber  hier  ein  sehr  ge¬ 
ringer.  Der  Gesichtsausdruck  ist  leer,  häufig  von  einer  blöden 
HeiUu'keit  belebt. 

Die  Sprachentwicklung  hlieh  in  den  ersten  4*4  .Tahren  der 
Behandlung  fast  Null.  Erst  seit  etwa  eitlem  halben  Jahre  ist 
in  dieser  Richtung  eine  Veränderung  vor  sich  gegangen.  Das 
Kind  fing  an  nachzusprechen,  was  man  ihm  vorsagte,  wenn 
auch  viele  ^Yo^tc  in  recht  mangelhafter  Artikulation;  es  fängt  an, 
kleine  Gedichte,  die  ihm  vorgesungen  werden,  zu  merken  und 
gelegentlich  bruchstückweise  spontan  zu  reproduzieren.  Es  ge¬ 
braucht  auch  sonst  hie  und  da  spontan  ein  Wort. 

Ein  ähnlicher  Fall  dürfte  vielleicht  Nr.  öl  werden:  Das 
im  Beginne  der  Behandlung  fast  vierjährige  Mädchen  spricht 
noch  gar  nichts;  hört  siidier  sehr  schlecht.  Es  hat  typischen 
Kretinencharakter  in  der  Gesichtshildung,  einen  auffallend  kurzen 
Hals,  aber  keine  Struma.  Dies  Kind  ist  recht  apathisch. 

Schon  nach  kurzer  Behandlung  wurde  die  Gesichtsfarbe 
besser;  das  Kind  wurde  mägerer  und  lebhafter,  lief  viel  besser, 
der  Hals  wurde  länger.  Das  Sprachvermögen  aber  besserte  sich 
lange  nicht. 

In  dem  ]Maße,  als  das  Kind  lebhafter  und  intelligenter 
wurde,  fing  es  endlich  an,  mehr  zu  sprechen,  aber  es  v/nrde 
klar,  daß  es  nur  nachspricht,  indem  es  auf  den  Mund  des 
Sprechenden  sieht.  Das  Gehör  ist  noch  immer  recht  schlecht; 
eine  mäßig  laute  Weckeruhr  hört  das  Kind  z.  B.  nicht.  Gewachsen 
ist  das  Kind  in  zwei  Jahren  um  14  cm. 

* 

Ein  besonderes  Interesse  mit  Rücksicht  auf  die  Waclis- 
tiimsteigernng  beanspruchen  die  folgenden  Fälle,  indem  bei 
ihnen  eine  sehr  beträchtliche  Wachstumshemmung  vorhan¬ 
den  war  und  infolge  der  Behandlung  eine  außerordentliche 
und  besonders  im  Fälle  56  mit  Rücksicht  auf  das  Alter 
bemerkenswerte  Wachstumsteigerung  eingetreten  ist,  eine 
Zunahme  der  Körperlänge  um  bereits  28  cm  in  einem  Alter 
(19  bis  22  .lahre),  in  dem  normalerweise  das  WWchstum 
schon  fast  ganz  abgeschlossen  ist. 

Fall  Nr.  15,  ein  im  Beginn  der  Behandlung  iöjähriger 
Knabe,  war  damals  105  cm  hoch.  Er  wuchs  im  ersten  Halbjahre 
um  8-5  cm,  in  den  vier  Jahren  der  bisherigen  Behandlungsdauer 
um  43  cm,  also  um  29  cm  mehr  als  dem  Durchschnitte  ent¬ 
spricht.  Er  war  im  Beginne  der  Behandlung  um  46  cm  hinter 
der  durchschnittlichen  Körperlänge  seines  Alters  zurückgehliehen ; 
heute  ist  er  nur  mehr  um  17  cm  zurück.  Sein  Wachstum  ist 
offenbar  noch  lange  nichl  abgeschlossen,  da  er  noch  im  letzten 
halben  Jahre  um  9-5  cm  gewachsen  ist. 

Im  übrigen  ist  zu  bemerken,  daß  er  im  Bi'ginn  der  Be¬ 
handlung  eine  lypische  Sattelnase  von  außmordenllicher  Kürze 
hatte,  ganz  bleiche  Gesichtsfarbe,  sehr  starke  Schwellungen  der 
Weichteile;  Stummelhände,  watschelnrhm  Gang.  Sehr  ausgeprägte 
.Apathie;  arbeitsunfähig. 

Heute  ist  sein  Nasenrücken  schmal  und  scharf,  die  Nase 
ziemlich  lang  geworden;  die  Gesichtsfarbe  gut,  die  Weichteil¬ 
schwellung  zum  größten  Teile  geschwunden.  Die  Hände  sind 
viel  länger  geworden.  Er  geht  jetzt  flink,  kann  laufen,  ist  leb¬ 
haft  und  kann  allerlei  Arbeiten  verrichten;  wird  gegenwärtig  als 
Viehhirt  verwendet.  Ei'  sprach  sehr  mangelhaft  artikuliert  und 
hörte  nur  ganz  laut  Gesinochenes.  Jetzt  ist  das  Gehör  zwar 
noch  wechsehul,  aber  doch  viel  hessc)',  so  daß  er  zeitweilig 
Flüstei’Stirnme  hört.  Er  spriidit  auch  viel  besser  artikuliert. 

Fall  56,  ein  im  Beginne  der  Behandlnng  19jähriges  Mädchen, 
war  damals  107  cm  hoch.  Es  ist  seit  drei  Jaliiun  in  Behandlung, 
ist  im  ersten  .Jahre  um  15  cm,  itn  zweiten  .lahre  um  7  cm,  im 
dritten  um  (5  cm  gewachsen;  also  im  ganzen  um  28  cm;  um 
19  cm  mehr,  als  seiner  .Allerstufe  entsiiricht.  Auch  hei  ihm  ist 
flas  Wachstum  offenbar  nicht  abgeschlossen,  da  es  im  letzten 
halben  .Jahre  noch  um  214  cm  zugenommen  hat. 

Es  war  also  im  Beginne  der  Behandlung  um  45  cm  binler 
dein  Durchschnitte  zurückgeblieben;  heule  fehlen  ihm  nur  mehr 
22  cm  auf  das  Durchschnittsmaß. 


Dieser  Fall  halte  die  typischen  Symptoim'  des  infantilen 
Myxödems.  Es  hatte  <'rst  mit  sieben  .Tahrim  zu  gehen  ange¬ 
fangen.  Die  große  Fontanelle  hatte  sich  erst  im  15.  Lebensjahre 
geschlossen.  Es  hath^  im  .Antangi'  der  Ih'handlung  eine  lanugo- 
artige  Behaaning  am  Köriier.  Die  Zähne  wäivn  wohl,  mit  Aus¬ 
nahme  der  A  eisheitszäluu',  alle  dnrchgi'hrocheii ;  dii“  zweite  Den¬ 
tition  war  aber  noch  an  viehm  Zähnen  nicht  erfolgt. 

Das  Genitale  war  noch  ganz  infantil,  die  Buh(>s  unbehaart; 
Alenses  noch  nicht  eingetreten.  Di(*  Brustdrüscm  kirschengroß. 

Die  Nase  war  extrem  kurz,  gesattelt;  die  .\ugen  sehr  w^eit 
auseinanderstehend ;  Stummelhände. 

Die  \\  eichteile  d(“s  Gesichtes  und  des  übrigen  Körpers  zeigten 
die  typischen  Merkmale  des  Myxödems;  auch  sehr  entwickelte, 
su])raklavikulare  Pseudolipome  waren  da.  Gesichtslarbe  sehr 
bleich.  Die  Kranke  halte  am  Koiif  sehr  starke  S(duippenbiidung, 
sehr  trockene,  rauhe  Haut,  schwitzte  nie;  sie  aß  sehr  wenig, 
hatte  sehr  seltene,  harte  Stuhlgänge.  Ks  bestand  ein  Nabelbruch. 

Die  Kranke  war  sehr  apathisch,  ungemein  schwerfällig  und 
langsam  in  ihren  Bewegungen,  war  zu  keiner  Arbeit  fähig. 

Dagegen  bestand  keine  hochgradige  Störung  der  Intelligenz. 
Sie  hat  die  Schule  besucht,  Ijcsen  und  Sidireihen  gelernt.  Auch 
Sprache  und  Gehör  sind  intakt,  sie  spriidit  aidikuliert,  hört 
Flüsterstimme.  Nur  war  die  Stimme  sehr  rauh. 

Im  Ivaufe  der  dreijährigen  Behandlung  ist  die  Kranke  stark 
abgemagert  und  hat  die  Hautschwellungen  zum  größten  Teile 
verloren.  Die  supraklavikulären  Pseudolipome  sind  vollständig 
geschwunden.  Die  Gesichtsfarbe  ist  eine  gute  geworden.  Sie  ißt 
jetzt  sehr  viel  und  ihr  Stuhl  ist  regelmäßig  geworden.  Sie  er¬ 
zählt,  daß  sie  im  Beginne  der  Behandlung  Schmerzen  in  allen 
Muskeln  halte,  auch  mußte  sie  viel  öfter  urinieren  als  früher. 
Sie  schwitzt  jetzt,  die  Haut  ist  geschmeidig  geworden,  die 
Schu])penhildung  hat  aufgehört.  Die  Milchzähne  sind  ihr  aus¬ 
gefallen  und  durch  neue  ersetzt  worden.  Die  Hände  sind  viel 
länger  geworden,  auch  die  Bildung  der  Nase  hat  sich  wesentlich 
verbessert. 

Die  Brustdiäisen  sind  mein'  als  faustgroß,  die  Puhes  haben 
sich  behaart.  Seit  zehn  Monaten  sind  die  Menses  eingetreten. 

Die  Kranke  ist  jetzt  sehr  munter  und  beweglich  geworden, 
aufgeweckt,  voll  Lebensfreude,  interessiert  sich  sehr  für  die  Be¬ 
handlung;  singl  zu  Jlause  viel,  was  sie  früher  nie  getan  hatte, 
kann  alles  arbeiten. 

Aehulich  günstig  in  bezug  auf  das  Wachstum,  nicht  aber 
in  anderen  Richtungen,  war  der  Erfolg  im  Falle  19. 

Das  im  Beginne  der  Behandlung  IßVajährige  Mädchen  lialle 
damals  eine  Körperlänge  von  102  cm.  Es  ist  im  Ixiufe  einer 
vierjährigen  Behandlung  bis  auf  134  cm  gewachsen,  also  um 
32  cm;  um  25  cm  mehr,  als  dem  Duichschnitt  des  Wachstums 
in  diesen  .Jahren  entspricht.  Es  Avar  anfangs  um  48-5  cm  hinter 
dem  Durchschnitte  zurück,  jetzt  nur  mehr  23-5  cm.  Dabei  hat 
es  sicher  die  Tabletten  in  dem  letzten  Jahre  nicht  regelmäßig 
eingenommen. 

Das  anfangs  sehr  entwickelte  Jlyxödem  ist  nahezu  ge¬ 
schwunden,  ebenso  wie  der  anfänglich  voihandene  Kropf.  Das 
Genitale,  anfangs  noch  ganz  kindlich,  begann  sich  im  letzten 
Jahre  zu  entwickeln;  doch  sind  die  Menses  noch  nicht  einge- 
treten.  ' 

Dagegen  ist  die  geistige  Entwicklung  des  hochgradig  sidiwach- 
sinnigen  Alädchens  nur  sehr  wenig  fortgi'schritten.  Vor  allem 
hat  das  Gehör,  das  fast  vollständig  fehlt,  siidi  nicht  gebessert. 
Infolgedessen  ist  das  Mädchen  auch  heuU^  noch  sprachlos;  es 
sucht  vom  AJimde  alizulesen,  was  es  bis  zu  einem  geringen 
Grade  gelernt  hat  und  sucht  auch,  vom  Alunde  ahlesend,  AVorte 
nachzuahmen,  was  ihm  aber  nur  hezüglicdi  der  Vokale  halbwegs 
gelingt. 

Ganz  ähidich  A'crhielt  sich  Fall  33.  Das  im  Beginne  der 
Behandlung  13j;ährige  Mädchen  hatte  damals  eine  Körperlänge 
von  125-5  cm,  also  um  1614  cm  hinter  denn  Durchschnitt  zurück; 
es  wuchs  in  vier  Jahren  auf  L50-5  cm,  also  um  IIV2  cm  mehr, 
als  dem  Durchschnitt  enlsiuicht,  so  daß  es  jetzt  nur  mehr 
um  4  cm  hinter  demselben  zui ückhleiht. 

Das  Alyxödem  ist  l)ei  ihm  gesidiAVunden,  ebenso  die  kreti- 
nische  Gesichtsbilduug ;  es  ist  lebhafter  und  flinker  geworden. 
Aber  die*  Intelligenz  hat  siidi  niidit  bedeutend  gehoben.  Auch 
haben  Sprache  und  Gehör  sicdi  nur  wemig  gi'besserl. 

In  diesem  Falle  ist  mit  gi'oßer  Wahrscheinlichkeit  anzu- 
Tiehmen,  daß  der  Erfolg  ein  viel  h('fii(Mligend('r  geworden  wärrp 
wenn  die  Behandlung  viel  frühen'  begonnen  hätte;  denn  die 
Gehörstörung  ist  hien'  nicht  viel  ärger  als  in  den  bereits  he- 
sprochenen  Fällen  7,  55,  59,  40  und  45,  hei  demni  sich,  aller¬ 
dings  in  einem  früheren  Aller,  Sprache  und  Gediör  noch  be¬ 
deutend  gebessert  haben. 


38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


An  diese  beiden  Fälle  lassen  sich  die  drei  Fälle  der 
Familie  St.  anschließen,  indem  hei  zwei  von  denselben  noch 
ein  ganz  unzeitgemäßes  Wachstum  beobachtet  wurde.  Es 
sind  das  die  Fälle  5,  6  und  57.  An  dem  letzteren  Falle 
konnte  ich  übrigens  noch,  wie  sich  ergeben  wird,  eine  Be¬ 
obachtung  von  besonderem  Interesse  machen. 

Fall  5,  ein  im  Beginne  der  Behandlung  zehnjähriges  Mäd¬ 
chen,  hat  weniger  Interesse.  Das  Mädchen  steht  seit  5V2  Jahren 
in  Behandlung;  es  ist  in  dieser  Zeit  von  107  cm  auf  147-Ö  cm 
gewachsen.  Während  es  also  anfangs  um  18  cm  hinter  dem 
Durchschnitt  zurückgehlieben  ist,  hat  es  denselben  jetzt  nahezu 
erreicht.  Im  übrigen  sind  die  gewöhnlichen  Erfolge  der  Behand¬ 
lung  zu  verzeichnen;  Sprache  und  Gehör  haben  sich  aber  wenig 
hei  ihm  gebessert.  Vor  allem  war  der  psychische  Zustand  nur 
wenig  der  Behandlung  zugänglich,  denn  das  Mädchen  leidet  an 
Epilepsie;  alle  zwei  l)is  drei  Wochen  bekommt  es  eine  Serie 
von  Anfällen  und  danach  ist  es  immer  wieder  viel  benommener 
und  unaufmerksamer. 

Fall  6.  Bruder  des  vorerwähnten  Mädchens,  ein  23jähriger 
typischer,  vollständig  taubstummer  Kretin;  er  wurde  in  Behand¬ 
lung  genommen,  um  zu  sehen,  ob  in  diesem  Alter  noch  ein 
Wachstum  unter  Schilddrüsenbehandlung  zu  erzielen  ist.  Tat¬ 
sächlich  wurde  bei  ihm  in  den  ersten  vier  Jahren  der  Behand¬ 
lung  noch  ein  Zunehmen  der  Körperlänge  um  I2V2  cm,  von  137  cm 
auf  149-5  cm,  beobachtet.  Im  letzten,  fünften  Jahre  der  Be¬ 
handlung  ist  er  trotz  fortgesetzten  Gebrauches  der  Tabletten 
(ein  Stück  täglich)  nicht  mehr  gewachsen.  Außerdem  hat  er  einen 
ziemlich  großen  Kropf  und  keuchenden  x4tem  rasch  und  dauernd 
verloren,  ist  viel  mägerer  geworden  und  geht  viel  besser.  Die 
auffallendste  Veränderung  ist  auf  psychischem  Gebiete  vor  sich 
gegangen.  Der  Knabe  war  früher  das  Prototyp  blödsinniger 
.\pathie,  saß  den  ganzen  Tag  auf  einem  Fleck,  ohne  sich  für  etwas 
zu  interessieren  und  sich  im  mindesten  zu  l)eschäftigen.  Jelzt 
ist  er  voll  Lehen,  den  ganzen  Tag  in  Bewegung,  interessiert  sich 
für  allerlei,  was  ihm  früher  vollkommen  fremd  war;  er  geht 
mit  Vorliebe  in  die  Kirche  oder  zu  den  Soldaten  in  die  Kaserne, 
ist  sorgsam  auf  .^ein  Gewand  und  auf  Reinlichkeit,  ist  eitel 
und  trägt  einen  Spiegel  mit  sich  herum.  Er  ist  jetzt  zu  allerlei 
leichten  Arbeiten  zu  gebrauchen.  Auch  sein  Gehör  soll  sich 
gebessert  haben;  während  früher  behauptet  wurde,  er  höre  nur 
einen  Kanonenschuß,  hört  er  jetzt,  wenn  man  sehr  laut  ruft; 
auch  Pfeifen  hört  er.  Ob  es  sich  in  diesem  Falle  um  wirkliche 
Besserung  des  Gehörs  oder  um  Erweckung  der  Aufmerksamkeit 
gehandelt  hat,  muß  dahingestellt  bleiben.  Er  sowohl  wie  seine 
Schwester  haben  während  der  Behandlung  erst  die  zweite  Den¬ 
tition  durchgemacht;  die  Milchzähne  sind  aber  vorne  gehlieben, 
so  daß  sie  da  eine  doppelte  Zahnreihe  haben. 

Fall  5  ist  also  deswegen  von  Interesse,  weil  er  vom  23.  bis 
26.  Jahre  noch  so  beträchtlich  (um  I2V2  cm)  gewachsen  ist, 
während  er  vorher  im  Wachstum  schon  ganz  stillgestanden  war. 
Außerdem  isl  aber  die  sonstige  Veränderung  von  ihm  bemerkens¬ 
wert.  Wenn  dieselbe  auch  nicht  annähernd  einer  Heilung  gleich¬ 
kommt,  was  bei  dem  Alter  des  Individuums  auch  gar  nicht  zu 
erwarten  war,  so  zeigt  sie  doch  recht  deutlich  die  Wirksamkeit 
des  Heilmittels.  Und  für  die  Angehörigen  ist  auch  die  gering¬ 
fügige  erzielte  Besserung  schon  ein  großer  Gewinn,  indem  sie 
ihnen  doch  die  Pflege  des  Burschen  sehr  erleichtert,  ja  ihnen 
ermöglicht,  seine  Arbeitskraft  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus¬ 
zunützen. 

Bei  meinen  Besuchen  in  diesem  Hause  sah  ich  noch  einen 
Burschen  von  27  Jahren,  einen  Bruder  der  beiden  soeben  be¬ 
schriebenen  Kretins,  ständig  im  Bette.  Derselbe  war  in  sehr 
hohem  Grade  im  Gesichte  gedunsen,  so  daß  sein  Ko[)f  ein  ganz 
unförmliches  Aussehen  hatte;  er  batte  (dne  ganz  l)leiche  Ge¬ 
sichtsfarbe,  die  Nase  hatte  die  typischen  Charaktere  des  Kreti¬ 
nismus  in  hohem  Grade  ausgebildet.  Sein  Genitale  war  sehr 
unvollkommen  entwickelt,  fast  ohne  Pubes;  er  hatte  keine  Spur 
von  Bart.  Er  ließ  den  Urin  hei  Tag  und  Nacht  unter  sich,  wo¬ 
durch  die  Atmosphäre  in  dem  engen,  von  der  sehr  armen  Familie 
bewohnten  Raume  ungemein  verschlechtert  wurde.  Sein  Ge¬ 
sichtsausdruck  war  finster,  apathisch;  er  kümmerte  sich  um 
nichts,  wenn  man  sich  nicht  direkt  mit  ihm  befaßte. 

Es  wurde  mir  gesagt,  daß  er  einige  Worte  spreche;  ich  habe 
aber  damals  nie  eines  von  ihm  gehört.  Uehei’  seine  Gewohnheiten 
wurde  nur  mitgeteilt,  daß  er  bei  Tag  meist  schlafe,  bei  Nacht  un¬ 
ruhig  sei.  Er  esse  nur  einmal  im  Tage  und  sei  sehr  bösartig. 
Wenn  man  ihm  etwas  nicht  nach  seinem  Willen  tue,  so  beiße 
und  schlage  er;  oft  schlug  er  sich  in  seiner  Wut  selbst  auf  den 
Kopf.  Er  hatte  gewisse  Gewohnheiten,  an  denen  er  mit  großer 
Hartnäckigkeit  festhielt  und  die,  wie  sich  besonders  im  weiteren 
Verlaufe  herausstellte,  auf  Zwangsvorstellungen  zurückzuführen 


waren.  So  z.  B.  ging  er,  wenn  er  sein  Bett  verlassen  halte, 
immer  nur  rückwärts  schreitend  in  sein  Bett  zurück.  Er  mußte 
beim  Ein-  und  Aussteigen  aus  dem  Bette,  sowie  heim  Gehen 
immer  unterstützt  werden,  obwohl  er  ganz  gut  gehen  und  sich 
bevmgen  konnte.  Es  genügte  ihm  aber,  wenn  man  ihn  mit  der 
Hand  berühi  te,  ohne  ihm  eine  wirkliche  Hilfe  zu  leisten. 

Er  hatte  in  der  einen  Hand  immer  irgendeinen  Gegenstand, 
z.  B.  ein  Läppchen  oder  einen  Knopf,  um  welchen  Gegenstand 
er  die  Hand  krampfhaft  geschlossen  hielt.  Diese  Haltung  der 
Hand  hatte  er  seit  Jahren  unverändert  beibehalten. 

Ueber  die  Entwicklung  des  Zustandes  erfuhr  ich,  daß  der 
Bursche  offenbar  schon  von  Kindheit  .an  kretinisch  war;  er  war 
schon  seit  jeher  gedunsen,  konnte  nur  undeutlich  reden,  war 
aber  dabei  beweglich,  hatte  allerlei  kleine  Arbeiten  gemacht  und 
war  ein  Sammler. 

Vor  acht  Jahren  hat  sich  sein  Zustand  verschlimmert,  in¬ 
dem  seine  Gedunsenheit  mehr  und  mehr  zunalmi  und  damit 
seine  Apathie.  Seit  dieser  Zeit  verließ  er  das  Bett  fast  gar  nicht 
mehr.  Seit  drei  Jahren  war  er  nicht  mehr  im  Freien. 

Es  hatte  sich  also  bei  einem  von  Haus  aus  kretinischeii 
Individuum  im  Alter  von  19  Jahren  eine  Verschlimmerung  des 
Zustandes  eingestellt,  der  sich  körperlich  durch  bedeutende  Zu¬ 
nahme  der  myxödematösen  Schwellungen,  geistig  durch  Steigerung 
der  Apathie  und  durch  eine  Geistesstörung  kundgab,  die  haupt¬ 
sächlich  auf  Zwangsvorstellungen  beruhte.  In  Parenthese  will 
ich  anführen,  daß  ich  bereits  in  meinen  im  Jahre  1892  an  den 
Kretins  des  Frohnleitner  Bezirkes  in  Steiermark  durchgeführten 
Untersuchungen*^)  zwei  Fälle  gefunden  habe,  in  denen  bereits 
erwachsene  Kretins  (in  den  Dreißigerjahren)  eine  starke,  auf 
Myxödem  beruhende  Schwellung  der  Haut  und  des  Unterhautzell- 
gewehes  erfahren  haben. 

Vor  drei  Jahren  wurde  nun  der  Versuch  gemacht,  ob  auch 
dieser  so  schwere,  lang  dauernde  Krankheitszustand  durch  Be¬ 
handlung  mit  Schilddrüsensubstanz  gebessert  werden  könne;  und 
wirklich  war  der  Erfolg  ein  ganz  unverkennbarer. 

Schon  nach  drei  Monaten  war  der  Bursche  sichtlich  leb¬ 
hafter;  er  reichte  mir  hei  meinem  Kommen  die  Hand  und  schaute 
mich  verständnisvoll  an.  Er  war  bedeutend  mägerer  geworden, 
hatte  bedeutend  inehr  und  öfter  im  Tage  gegessen  und  war  auch 
nicht  mehr  so  wählerisch  wie  früher.  So  nahm  er  z.  B.  Wasser 
und  Brot  zu  sich,  was  er  früher  stets  zurückgewiesen  hatte. 

Seine  Zwangsvorstellungen  und  seine  Heftigkeit,  wenn  den¬ 
selben  zuwidergehandelt  wurde,  bestanden  dabei  anfangs  noch 
fort.  So  hatte  er  die  Kaprice,  daß  das  Brot,  das  er  übrigließ, 
immer  auf  seinem  Bette  liegen  bleiben  mußte.  Als  seine  Schwester 
einmal  dieses  Brot  wegnahm,  geriet  er  in  große  Wut;  er,  der 
sonst  nie  ohne  Unterstützung  aufstehen  konnte,  war  mit  einem 
Satze  aus  dem  Bette,  lief  in  die  Küche  und  wollte  mit  einem  Messer 
auf  seine  Schwester  losgehen  und  als  diese  fortlief,  auch  auf 
seinen  Vater,  der  sich  dazwischen  stellte. 

Im  weiteren  Verlaufe  wurde  sein  Zustand  immer .  besser. 
Er  hörte  auf,  unrein  zu  sein;  er  hörte  mit  dem  Bettliegen  auf, 
war  den  größten  Teil  des  Tages  außer  Bett,  läßt  sich  jeden  Tag 
ins  Freie  bringen  und  geht  ums  Haus  herum.  Er  hat  nicht  mehr 
die  Wutanfälle  wie  früher.  Auch  die  Zwangsvorstellungen  hat 
er  ganz  verloren  und  ist  jetzt  ganz  freundlich,  gutmütig  und 
trätabel  geworden.  Er  schaut  jetzt  lebhaft  drein,  achtet,  wenn 
von  ihm  gesprochen  wird,  lächelt  oft,  schaut  Bilder  an,  spielt  mit 
der  Katze  und  treibt  Spässe  mit  seiner  Schwester.  Er  hat  die 
Schwellungen  der  Weichteile  fast  ganz  verloren,  ißt  reichlich 
und  hat  regelmäßigen  Stuhl,  während  er  früher  oft  nur  einmal 
in  der  Woche  einen  gehabt  hatte.  Er  ist,  obwohl  bereits 
29  Jahre  alt,  doch  in  den  letzten  zwei  Jahren  unter  Schilddrüsen- 
hehandlung  noch  um  4  cm  gewachsen.  Auch  bekommt  er  jetzt 
einen  Bart. 

Diese  beiden  Fälle  beweisen  also,  daß  selbst  in 
schweren  und  im  Alter  bereits  vorgeschritteneoi  Fällen  durch 
die  Schilddrüsenbehandlung  noch  immer  eine  gewisse  Besse¬ 
rung  zn  erzielen  ist. 

♦ 

Ein  besonderes  Interesse  beanspruchen  die  vier  Kinder 
der  Familie  K. 

Von  denselben  wurde  mir  zuei'st  der  damals  zweijährige 
Lorenz  K.  vorgestellt.  Das  Kind  konnte  damals  nicht  nur  nicht 
gehen  oder  stehen,  sondern  nicht  einmal  sitzen.  Die  Nasen¬ 
wurzel  war  derartig  eingezogen  und  abgeflacht,  daß  von  einer 
Nasenwurzel  überhaupt  kaum  die  Rede  sein  konnte;  unter  der¬ 
selben  saß  ein  äußerst  kurzer  ■Nasenstunmiel.  Die  Wangen,  Lider, 
Lippen,  ja  das  ganze  Gesicht  waren  äußerst  gedunsen;  auch  am 

Jahrbuch  für  Psychiatrie,  Bd.  12. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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übrigen  Körper  sehr  viel  schlaffes  Fett.  Die  Gesichtsfarbe  extrem 
bleich,  die  Haut  fast  durchscheinend.  Der  Mund  war  weit  offen 
und  aus  demselben  hing  die  Zunge  heraus.  Diese  Makroglossie 
war  schon  bei  der  Geburt  vorhanden,  während  die  Hautschwel- 
lungen  hei  der  Geburt  noch  nicht  in  so  hohem  Grade  entwickelt 
waren.  Die  Nahrungsaufnahme  war  sehr  mangelhaft;  der  Stuhl 
selten  und  hart.  Schilddrüse  nicht  vergrößert,  aber  durch  Pal¬ 
pation  deutlich  nachweisbar.  Keine  Pseudolipome.  Die  große 
Fontanelle  war  noch  offen. 

Von  irgendeiner  geistigen  Entwicklung  war  bei  dem  Kinde 
noch  keine  Spur  vorhanden;  es  fixierte  nicht,  zeigte  auf  keine 
Weise  irgendeine  Aufmerksamkeit  auf  Sinnesreize.  Gehör  daher 
nicht  zu  prüfen. 

Auffallend  war  bei  dem  Kinde  die  Neigung,  den  Kopf  immer 
nach  rückwärts  gebeugt  zu  halten.  Beim  Versuche,  das  Kind 
aufzurichten,  konnte  man  das  etwa  als  eine  Schwäche  der  den 
Kopf  aufrecht  haltenden  Muskeln  deuten;  es  war  aber  auch  im 
Liegen  die  Neigung,  den  Kopf  nach  rückwärts  zu  beugen,  be¬ 
merkbar. 

Die  Dosis  der  verabreichten  Tabletten  betrug  zuerst  eine 
halbe  pro  die;  nach  drei  Monaten  wurde  auf  eine  Tablette  täglich 
gestiegen.  Nach  einem  Jahre  wurde  die  Dosis  weiter  auf  eine  und 
nach  zwei  Jahren  endlich  auf  zwei  Tabletten  pro  die  gesteigert. 

Der  Erfolg  war  ein  sehr  wenig  befriedigender.  Die  vorher 
retardierte  Zahnung  wurde  beschleunigt,  so  daß  das  Kind  bald 
alle  Zähne  seines  Alters  hatte.  Die  Fontanelle  schloß)  sich;  die 
Makroglossie  wurde  ganz  rückgängig;  auch  die  Schwellungen  am 
Körper  und  Gesicht  schwanden,  so  daß  das  Kind  schließlich 
ziendich  abgemagert  war.  Doch  behielt  es  unverändert  seine 
extrem  blasse  Hautfarbe.  Vor  allem  aber  trat  in  psychischer 
Beziehung  nicht  die  mindeste  Besserung  ein.  Das  Kind  konnte 
nach  dreijähi'iger  Behandlung  nicht  nur  nicht  stehen  oder  gehen, 
es  konnte  nicht  einmal  sitzen.  Es  wurde  daher  nach  drei  Jahren 
außer  Behandlung  gesetzt  und  ist  bald  darauf  gestorben. 

Von  ungünstigem  Einfluß  mag  in  diesem  Falle  wohl 
gewesen  sein,  daß  das  Kind  während  der  Behandlung  Keuch¬ 
husten  und  Masern  durchmachte. 

Während  dieses  Kind  in  Behandlung  war,  brachte  dessen 
Mutter  eines  Tages  ein  anderes  Kind,  ein  zehn  Monate  altes 
Mädchen,  das  ebenfalls  noch  gar  keine  Zeichen  geistiger  Ent¬ 
wicklung  darbot,  ebenfalls  die  Neigung  hatte,  den  Kopf  nach  rück¬ 
wärts  zu  beugen  und  ebenfalls  die  Zunge  aus  dem  Munde  heraus¬ 
ragend  hatte.  Von  myxödematösen  Schwellungen  war  damals 
noch  nicht  viel  zu  sehen. 

Nach  weiteren  drei  Monaten  waren  aber  die  myxö'dematösen 
Schwellungen  ebenso  stark  entwickelt,  mit  derselben  extrem 
bleichen  Gesichtsfarbe,  die  Nasenbildung  typisch  wie  beim  Bruder; 
die  große  Fontanelle  noch  offen,  noch  kein  Zahn  im  Durchbruch. 
Von  da  ab  wurde  auch  die  Behandlung  eingeleitet,  mit  demselben 
unvollkommenen  Erfolge  wie  bei  dem  früher  beschriebenen  Kinde. 
Die  Zähne  kamen  rasch  zum  Vorschein;  die  Makroglossie  schwand 
im  Laufe  längerer  Zeit  und  es  trat  Abmagerung  ein.  Die  Fonta¬ 
nelle  blieb  in  diesem  Falle  bis  zum  Tode  offen. 

Im  übrigen  blieb  der  psychische  Zustand  und  die  Blässe 
der  Gesichtsfarbe  unverändert;  auch  dieses  Kind  konnte  nach 
zweijähriger  Behandlung,  also  über  drei  Jahre  alt,  noch  nicht 
sitzen  und  wurde  deshalh  aus  der  Behandlung  gegeben. 

Das  Kind  starb  ein  Jahr  später.  Bei  der  von  Prof.  Schla¬ 
gen  häuf  er  ausgeführten  Obduktion  zeigte  sich  die  Schilddrüse 
vorhanden,  weder  besonders  vergrößert,  noch  atrophiert.  Die 
histologische  Untersuchung  zeigte  aber,  daß  das  Gewebe  der 
Schilddrüse  pathologische  Veränderungen  allerhöchsten  Grades 
aufwies  u.  zw.  bezogen  sich  diese  Veränderungen  auf  die  Drüsen¬ 
zellen  selbst.  Die  genaue  Beschreibung  des  Präparates  wird  durch 
Prof.  S  c  h  1  a  g  e  n  h  a  u  f  e  r  an  anderem  Orte  sta ttfinden. 

Das  Gehörorgan  dieses  Falles  wies  ebenfalls  schwere  Ver¬ 
änderungen  u.  zw.  im  inneren  Ohre  auf,  worüber  Dr.  Alexander, 
der  das  Gehörorgan  histologisch  untersucht  hat,  seinerzeit  be¬ 
richten  wird. 

In  diesen  beiden  Fällen  handelte  es  sich  offenbar  um  ange¬ 
borenen  Kretinismus.  Ich  selbst  habe  die  Fälle  zwar  erst  im 
Alter  von  zwei  Jahren,  resp.  zehn  Monaten  gesehen ;  ich,  konnte 
mich  ferner  im  ersten  Falle  durch  die  Angaben  der  Mutter,  im 
zweiten  Falle  durch  eigene  Beohachtung  überzeugen,  daß  das 
Myxödem,  d.  h.  die  demselben  angehörige  Hautschwellung,  erst 
im  extrauterinen  Theben  zur  Entwicklung  kam.  Anderseits  ließ 
die  bestimmte  x\ngabe  der  Mutter,  daß  die  Makroglossie  schon 
bei  der  Geburt  vorhanden  war,  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen, 
daß  es  sich  um  eine  angeborene  Störung  handelt,  um  so  mehr, 
nls  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  durch  die  an  dem  gleich  zu 


erwähnenden  dritten  und  vierten  Kinde  derselhen  Mutier  gemachte 
Beobachtung  bekräftigt  wurde. 

Die  Erfahrung  an  den  zwei  eben  geschilderten  Fällen 
hatte  gezeigt,  daß  dieselben  zwar  auf  die  Schilddrüsen¬ 
behandlung  reagierten  (Beforderiing  der  Zahnung,  Fonta¬ 
nellenschluß,  Schwinden  der  Haiitschwellungen  und  der 
Makroglossie),  daß  aber  anderseits  die  ausgebliehene  Gehirn¬ 
entwicklung  durch  die  Behandlung  gar  nicht  beeinflußt 
wurde;  das  erste  Kind  konnte  z.  B.  mit  vier  Jahren  noch 
nicht  einmal  sitzen,  geschweige  denn  stehen  oder  gehen. 
Von  Sprachentwicklung  war  noch  keine  Spur  vorhanden; 
auch  die  charakteristische  Anämie  erwies  sich  der  Behand¬ 
lung  gegenüber  refraktär. 

Es  lag  daher  nahe,  in  analogen  Fällen  mit  der  Behand¬ 
lung  noch  viel  früher,  möglichst  bald  nach  der  Geburt  zu 
beginnen,  um  möglicherweise  die  zwar  angeborene,  aber 
in  den  ersten  Lebensmonaten  rasch  fortschreitende  (Myx¬ 
ödem)  Erkrankung  in  einem  früheren  Stadium  vielleicht 
doch  intensiver  zu  beeinflussen. 

Die  Gelegenheit  dazu  hot  sich  bald. 

Im  Mai  1904  kam  die  Mutter  der  beschriebenen  zwei  Fälle 
mit  einem  erst  sechs  Wochen  alten  Kinde,  das  bereits  eine  aus¬ 
geprägte  Makroglossie  zeigte,  die  es  nach  Angabe  der  Mutter  be¬ 
reits  bei  der  Geburt  gehabt  hatte.  Schwellungen  der  Weichteile 
waren  noch  nicht  ausgeprägt.  Doch  war  schon  die  charakteri¬ 
stische  bleiche  Gesichtsfarbe  nachweisbar;  auch  die  extrem  kurze, 
typische  Sattelnase  fehlte  nicht. 

Es  war  zu  befürchten,  daß  dieses  Kind  das  Schicksal  seiner 
Geschwister  teilen  werde  und  es  wurde  daher  sofort  mit  der  Be¬ 
handlung  begonnen,  indem  dem  Kinde  täglich  eine  halbe  Tablette 
verabreicht  wurde. 

Im  Alter  von  elf  Monaten  fing  dieses  Kind  an,  aufrecht  zu 
sitzen;  die  Fontanelle  war  noch  weit  offen  und  noch  kein  Zahn 
im  Munde.  Die  Zunge  ragte  noch  aus  dem  Munde  heraus.  Mit 
17  Monaten  machte  das  Kind  schon  Versuche  zu  Gehbewegungen; 
es  schaute  lebhaft  um  sich.  Die  Gesichtsfarbe  war  eine  gute  ge¬ 
worden.  Die  Fontanelle  war  schon  beinahe  geschlossen,  sieben 
Zähne  waren  diirchgebrochen  und  die  Zunge  ragte  kaum  mehr 
aus  dem  Munde  heraus.  Es  bestand  starke  Salivation.  Die  Neigung, 
den  Kopf  nach  rückwärts  zu  ])eugen,  die  andeutungsweise  auch 
in  diesem  Falle  bestanden  hatte,  war  verschwunden. 

Mit  zwei  Jahreii  ging  das  Kind  schon  allein  heruni,  machte 
die  ersten  Sprechversuche  und  es  waren  bereits  13  Zähne  durch¬ 
gebrochen.  Das  Kind  war  ziemlich  lebhaft  und  lächelte  oft. 

Im  Alter  von  2V2  Jahren  hatte  das  Kind  im  Gesichtsausdruck 
nichts  an  Kretinismus  Erinnerndes  mehr;  speziell  die  Nase  war 
entsprechend  lang,  die  Nasenwurzel  scharf  und  nicht  mehr  ein¬ 
gesunken  ;  dabei  war  das  Kind  im  letzten  Jahre  um  14  cm  ge¬ 
wachsen  (87  cm);  die  Fontanelle  war  vollkommen  geschlossen. 
Das  Kind  ging  ganz  allein  und  sicher,  war  lebhaft,  machte  auch 
im  Sprechen,  wenn  auch  etwas  langsam,  Fortschritte.  Die  Dosis 
war  im  letzten  Jahre  eine  Tablette  täglich  gewesen. 

Wenn  sich  auch  nicht  mit  apodiktischer  Gewißheit  sagen 
läßt,  daß  das  Schicksal  dieses  Kindes  ohne  frühzeitige  Einleitung 
einer  Behandlung  dasselbe  gewesen  wäre,  wie  das  seiner  früher 
beschriebenen  Geschwister,  so  ist  dies  doch  in  höchstem  Grade 
wahrscheinlich ;  der  Anfang  wenigstens  war  genau  so.  Die  Rich¬ 
tigkeit  dieser  Annahme  vorausgesetzt,  würde  also  die  weitere  Ent¬ 
wicklung  einen  großen  Erfolg  dei'  Behandlung  bedeuten. 

Im  vorigen  August  kam  übrigens  die  Muttei'  der  erwähnten 
Kimh'r  mit  einem  vierten  Kinde,  das  ehetifalls'  erst  sechs  Wochen 
alt  war,  einen  kleinen  Kropf  hatte,  die  typische,  abnorm  kurze, 
stark  gesattelte  Nase,  die  Neigung,  den  Kopf  stark  nach  rückwärts 
zu  beugen,  Makroglossie,  eine  abnorm  große  Fontanelle.  Aber 
noch  kein  deutliches  Myxödem.  Auch  in  diesem  Falle  wurde 
die  Behandlung  sofort  eingeleitet;  doch  konnte  das  Kind  seither 
noch  nicht  neuerdings  besichtigt  werden. 

Daß  es  sich  bei  den  vier  Kindern  dei’  Familie  K.  nicht  um 
ein  vereinzeltes  Vorkommnis  handelt,  sondern  um  eine  Fomi, 
in  der  angeborener  Kretinismus  in  Erscheinung  tritt,  beweist  der 
Umstand,  daß;  mir  am  selben  Orte,  dem  diese  Kinder  entstammen, 
in  Zeltweg,  noch  einige  ähnliche  Fälle  unterkamen.  So  der  Fall 
Nr.  20,  ein  Ifljähi’iger  Knabe,  der  in  Nasenbildung,  Gesichtsfarbe, 
Makroglossie,  hochgrarligem  Blödsinn,  mit  Lorenz  K.  vollständig 
übereinstimmte.  Auch  die  Rückwärtsbeugung  des  Kopfes  fehlte 
nicht .  Die  Zähne  kamen  erst  im  Laufe  der  Behandlung  (eine 
halbe  Tablette  täglich),  dann  aber  rasch. 

Auch  dieser  Fall  wurde  nach  drei  Jalnen  außer  Behandlung 
gesetzt,  da  er  gar  keinen  Fortschrilt  in  physischer  Richtung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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zeigte,  SU  z.  L>.  mit  vier  Jahren  noch  nicht  einmal  sitzen  konnte. 
Gewachsen  war  er  in  den  drei  Jahren  der  Behandlung  um  22  cm, 
von  61  cm  auf  83  cm,  also  dem  Durchschnitt  entsprechend. 

Ganz  ähnlich  war  ein  weiterer  Fall,  ein  bei  der  ersten 
Vorslellnng  zirka  einjähriges  Mädchen,  das  auch  nach  einem 
Jahre  wegen  Erfolglosigkeit  außer  Behandlung  gesetzt  wurde. 

* 

m 

Vom  ätiologischen  Standt3unkt  interessant  sind  die 
beiden  Fälle  9  und  10  (Brüder). 

Dieselben  sind  gesund  und  frisch  zur  Welt  gekommen. 
Beide  hatten  schon  zu  gehen  und  zu  sprechen  angefangen.  Da 
erkrankten  beide  an  einem  schweren  Scharlach,  der  eine  mit 
IV2,  der  andere  mit  drei  Jahren.  Fraisen  waren  mit  dem  Schar¬ 
lach  nicht  verbunden.  Nach  dem  Scharlach  haben  beide  zu 
sprechen  aufgehört  und  sind  sehr  schwerhörig  geworden.  Der 
jüngere  hat  auch  zu  gehen  aufgehört;  der  ältere  ist  sehr  schwer¬ 
fällig  gegangen. 

Erst  ein  Jahr  nach  dem  Scharlach  haben  die  beiden  Knal)en 
wieder  zu  sprechen  angefangen.  Sie  sind  dann  stark  im  Wachs- 
tume  zurückgeblieben. 

Sie  sind  beide  in  die  Schule  gegangen;  der  ältere  hat  es 
in  sieben  Jahren  nur  bis  zur  zweiten  Klasse  gebracht.  Er  kann 
Diktat  schreiben.  Der  jüngere  ging  zur  Zeit,  als  die  Behandlung 
begann,  noch  in  die  Schule;  konnte  nur  nachschreiben. 

Die  Knaben  waren  I2V2  und  14V2  Jahre,  als  die  Behandlung 
begann.  Der  ältere,  Nr.  9,  hatte  damals  eine  Körperlänge  von 
124  cm,  war  also  um  25  cm  hinter  dem  Durchschnitt  zurück¬ 
geblieben.  Er  hatte  eingezogene  und  abgeflachte  Nasenwurzel. 
Deutliche  Weich teilschwellungen  im  Gesicht,  blasse  Gesichtsfarbe, 
keinen  Kropf.  Er  sprach  mit  etwas  mangelhafter  Artikulation, 
hörte  Flüsterstimme  undeutlich,  Temperament  apathisch,  in  seinen 
Bewegungen  trag. 

Im  Laufe  der  3V2jährigen  Behandlung  ist  er  um  13-5  cm  ge¬ 
wachsen,  was  dem  durchschnittlichen  Wachstum  seines  Alters 
entspricht,  während  früher  sein  Wachstum  weit  unter  dem  Durch¬ 
schnitte  geblieben  war.  Gleich  im  Beginne  der  Behandlung  nahmen 
die  Weichteilschwellungen  rapid  ab,  er  wurde  viel  mägerer,  be¬ 
kam  einen  riesigen  Appetit,  während  er  früher  nur  wenig  gegessen 
hatte.  Er  wurde  viel  lebhafter,  aufgeweckter,  gesprächiger,  flinker 
in  seinen  Bewegungen.  Die  Urinsekretion  stieg  anfangs  bedeutend 
und  es  trat  vorübergehend  nächtliche  Enuresis  auf,  was  vor 
der  Behandlung  nicht  der  Fall  gewesen  war,  auch  nach  etwa 
einem  halben  Jahre  wieder  aufhörte. 

Die  leichte  Störung  von  Sprache  und  Gehör  schwand  \  oll- 
ständig.  Bei  einem  Besuche  vor  einem  Jahre  fand  ich  den  Knaben 
nicht  mehr  vor;  er  war  in  den  Dienst  gegangen  und  befand  sich 
auf  einer  Alm;  auch  vorigen  Sommer  war  er,  bei  einem  Bauer 
bedienstet,  auswärts. 

Der  jüngere  Bruder  zeigte  alle  Störungen  in  etwas  höherem 
Gi'ade  als  der  ältere.  Er  maß  zum  Beginn  der  Behandlung  410  cm, 
war  also  um  29-5  cm  hinter  dem  Durchschnittsmaß  seines  Alters 
zurückgeblieben.  Der  kretinische  Charakter  in  Gesichtsbidung  und 
Weichteilschwellungen  war  bei  ihm  stärker  ausgeprägt,  als  beim 
Bruder,  ebenso  die  Gehörs-  und  Sprachstörung.  Der  Mund 
meist  offen. 

Die  Behandlungserfolge  im  Laufe  von  vier  Jahren  waren 
ganz  ähnliche  wie  bei  seinem  Bruder,  Zunahme  der  Körperlänge 
von  110  auf  132  cm,  also  mehr  als  dem  Durchschnitte  entspricht, 
während  er  vorher  um  29  cm  hinter  dem  Durchs(dmitte  zurück¬ 
geblieben  war.  Sein  Aussehen  ist  j(,‘tzt  blühend,  die  Charaktere 
des  Kretinismus  sind  wesentlich  gebessert,  amdi  die  kretinische 
Nascnbildnng.  Er  hört  jetzt  Flüstei^stimme  gut,  spricht  besser 
arlik\diert,  fängt  an  zu  arbeiten. 

Ein  ähnlicher  Fäll,  was  die  ‘\eliologie  aiihelangt,  ist 
Fall  11. 

Das  im  Beginne  der  Behandlung  7V2jäbrige  Mädchen  maß 
damals  100  cm,  war  also  um  11  cm  hiider  dem  Durchschnilt 
zurück.  Es  halle  damals  (diarakteristische  kretinische  Gesichls- 
Inldnng;  vor  allem  typische,  außerordenilicli  kurze  Sattelnase; 
starke  Scbwel hingen  der  Whucbbule,  besomhus  im  G('sicbt;  v/ar 
sidiwmJiörig,  s]uacb  mangelhaft  artikuliert. 

Das  Mädchen  hat  mit  drei  .labren  Kenebhusten  gehabt  und 
soll  laut  Mitteilung  der  '\Iutier,  erst  von  da  an  zu  wmchsen  auf- 
gcdiört  haben. 

Im  Laufe  der  vierjährigen  Behandlung  wuchs  es  um  30-5  cm, 
so  daß  es  jetzt  die  seimmi  Alliu'  (mlispieidiende  Größ<'  vollkommen 
(u-reiedd,  liat;  es  ist  ein  lebhafh's,  blühend  anssebendes  Mädchen 
geworden,  das  gar  keine  Merkmale  des  Kretinismus  mehr  an  sich 
trägt.  Es  besucht  die  dritte  Klasse  der  Aolksscbub',  spiächt  jetzt 
gut  artikuliert  und  hört  fast  normal. 


Diese  Kasuistik  ließe  sich  noch  bedeutend  vemiehren; 
doch  mögen  die  angeführten  Fälle  als  Typen  genügen. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  nur  noch  eine  Zusammen¬ 
stellung  der  Wachstumserfolge  bei  den  drei  Jahre  und  länger 
behandelten  Fällen,  in  einer  Tabelle  übersichtlich  zusam¬ 
mengestellt,  bringen. 

Aus  der  Tabelle  ergibt  sich: 

1.  Daß  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Wachs¬ 
tumstörung  vorhanden  ist,  ein  Zurückbleiben  hinter  der 
durchschnittlichen  Körperlänge  des  betreffenden  Alters. 

2.  Daß  die  Wachstumstörung  um  so  heträchtlicher  ist, 
je  älter  das  Individuum;  begreiflicherweise,  da  sich  die 
Wachstumstörung  aus  der  Differenz  der  erreichten  und  der 
zu  erwartenden  Körperlänge  ergibt  und  diese  Differenz  mit 
den  Jahren  immer  größer  werden  muß. 

In  den  unteren  Altersstufen,  vom  fünften  Jahre  ab¬ 
wärts,  finden  wir  sogar  ei'um  Ueberschuß  der  erreichten 
über  die  zu  erwartende  Körperlänge,  woraus  hervorzugehen 
scheint,  daß  die  Wachstumstörung  in  der  Regel  nicht  das 
erste  Symptom  des  Kretinismus  ist,  sondern  sich  häufig 
erst  später,  vom  vierten  bis  fünften  Lehens jalire  an,  einstellt . 

3.  Daß  das  Längenwachstum  im  ersten  .Jahre  der  Be¬ 
handlung  fast  ausnahmslos  das  durchschnittliche  nonnale 
Wachstum  übertriffl,  häufig  sogar  in  sehr  bedeutendem 
Grade. 

4.  Daß  die  Wachstumsenergie  in  den  späteren  Jahren 
der  Behandlung  zwar  a])niramt,  aber  meistens  auch  dann 
noch  eine  übernormale  ist  oder  wenigstens  die  Norm  er¬ 
reicht,  was  vor  der  Behandlung  in  der  Regel  nicht  der 
Fall  war.  Daraus  resultiert,  daß  auch  bei  Betrachtung  län¬ 
gerer  Zeiträume  (drei  bis  sechs  Jahre)  das  in  dieser  Zeit 
erreichte  Whchstum  meist  viel  über  das  normale  hinaus¬ 
geht  (siehe  Rubrik  IX  der  Tabelle). 

Das  Wachstum  ist  in  den  späteren  Jahren  nicht  immer 
gleichmäßig  und  düiTten  dabei  verschiedene  Momente  mit- 
wirken.  So  scheint  es,  daß  gegen  die  Pubertätsentwicklung 
zu  ein  neuerlicher  Anstieg  des  Wachstums  Vorkommen  kann, 
Ferner  dürften  einige  weniger  günstige  Resultate  von  un¬ 
regelmäßigem  oder  ganz  unterlassenem  Einnehmen  der  Ta¬ 
bletten  herrühren. 

Auch  dürfte  das  verabfolgte  Präparat  nicht  immer  gleicli 
wirksam  gewesen  sein.  Es  hat  sich  herausgestellt,  dak 
auch  bei  Schafen  nicht  selten  Kröpfe  Vorkommen.  Wenn 
nun  solche  kropfige  Schafschilddrüsen  mitverarbeitet  wer 
den,  so  können  dadurch  die  erzeugten  Tabletten  weniger 
wirksam  werden.  Es  dürfte  sich  daher  empfehlen,  Schaf¬ 
schilddrüsen,  von  denen  der  einzelne  Lappen  mehr  als  drei, 
höchstens  vier  Gramm  wiegt,  nicht  zur  Tablettenerzeugung 
zu  verwenden. 

Ueher  das  Ergebnis  meiner  an  einzelnen  Fällen  schon 
fünf  und  sechs  .Jahre,  an  einer  großen  Anzalil  von  Fällen 
durch  drei  und  vier  Jahre  fortgesetzten  Beohachtungen  läßl 
sich  folgendes  aussprechen: 

Der  Kretinismus  wird  in  allen  Graden  und  auch  nocl: 
in  vorgeschrittenerem  Alter  (meine  Beobachtungen  reichen 
bis  zum  27.  liebensjahre)  durch  die  Behandlung  mit  Schild 
drüsensuhslanz  günstig  beeinflußt. 

Der  Erfolg  ist  um  so  besser,  je  früher  mit  der  Behänd 
lung  begonnen  wird. 

ln  den  leichteren  Fällen  von  (wohl  meist  erworbenem, 
Kretinismus,  in  denen  keine  helrächtlichere  Schädigung  des 
Gehörorganes  vorhanden  ist,  kann  eine  volle  Heilung  erzielt 
d.  h.  es  können  alle  Symptome  des  Kretinismus  beseitig' 
werden,  wenn  mit  der  Behandlung  frühzeitig,  zwischen  den 
zweiten  und  drittem  Le'bensjahre,  begonnen  wird.  Diesei 
Erfolg  ist  ein  hleilxmder,  d.  h.  er  hleihl  auch  bestehen,  wenr 
nach  längerer  Behandlung  die  Zufuhr  der  Schilddrüsensub 
stanz  eingestellt  wird. 

Bei  einer  Anzahl  von  schweren  Fälbm  von  Kretinis 
]nus  (es  dürfte  sich  in  denselben  meist  um  angeborener 
Krelinisrnus  gehandelt  haben)  gelingt  es  auch  heim  Ein 
setzen  der  Behandlung  in  einem  frühen  Alter  (ein  bis  dre: 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  ml. 


41 


1 

H 

HI 

IV 

V 

VI 

VH 

VIII 

IX 

Z  u 

nähme 

der  Kör 

perlänge  im 

Nummer 
des  Falles 

Alter  im 
Beginn 
der  Be¬ 
handlung 

Körper¬ 
länge  im 
Beginn 
der  Be¬ 
handlung 

durch¬ 
schnittliche 
Körper¬ 
länge  dieses 
Alters 

Differenz 
zwischen 
IV  und  HI 

Dauer  der  Be¬ 

handlung 
in  Jahren 

Zunahme 

der 

Körper¬ 
länge 
während 
der  Be¬ 
handlung 

Durch¬ 
schnitt¬ 
liche  Zu¬ 
nahme 
während 
dieser  Zeit 
bei  gesunden 
Kindern 

Differenz 
zwischen 
VHu.  VHl 

1.  Jahre 

1 

2.  Jahre 

1 

3.  Jahre 

4.  Jahre 

5.  Jahre 

1 

6  Jahre 

Z 

e  n  t  i 

met 

e  r 

57 

27 

125-5 

168 

43-5 

3 

4 

0-5 

35 

2-5 

1-5 

6 

23 

137 

167-5 

30-5 

5 

12-5 

0-5 

12 

8-5 

0-5 

3 

65 

56 

19 

107 

157 

50 

3 

28 

1 

27 

15 

7 

6 

41 

16 

154-5 

155-5 

1 

3 

13-5 

10 

35 

7-5 

6 

4 

19 

15-5 

102 

1505 

48-5 

4 

32 

7 

25 

12 

65 

6-5 

7 

15 

15 

105 

151 

46 

4 

43 

14 

29 

13 

9-5 

11 

9-5 

9 

14-5 

124 

149 

25 

3 

13-5 

12 

1-5 

55 

3-5 

4-5 

33 

13-5 

125-5 

142 

16-5 

4 

25 

13-5 

11-5 

8 

6-5 

7 

3-5 

24 

13 

132 

140 

8 

3 

14-5 

12 

25 

9 

3 

2-5 

10 

12-5 

HO 

139-5 

29-5 

4 

22 

17-5 

4-5 

9 

2-5 

4-5 

6 

35 

12-5 

120 

1395 

19-5 

4 

20 

17-5 

2-5 

7 

6-5 

3-5 

3 

21 

12 

109 

137-5 

28-5 

3 

19 

14 

5 

8 

7 

4 

, 

37 

12 

117 

1375 

20  5 

4 

34 

18 

16 

11 

4-5 

7 

11-5 

16 

11-5 

117 

135 

18 

3 

15 

145 

0-5 

6 

4-5 

4-5 

, 

39 

11 

122-5 

132-5 

10 

4 

19-5 

19 

0-5 

7 

3-5 

4-5 

4-5 

49 

H 

138 

130 

-8 

4 

25 

19 

6 

11 

6 

5 

3 

68 

H 

113 

130 

17 

3 

28 

14-5 

13-5 

8 

8-5 

11-5 

, 

5 

10 

107 

125 

18 

5 

40 

24 

16 

8 

9-5 

7-5 

10 

5 

59 

9-5 

105 

122-5 

17-5 

4 

31 

20 

11 

11 

8-5 

5 

65 

23 

9 

113 

122 

9 

4 

25-5 

205 

5 

8-5 

6-5 

6 

4  5 

45 

9 

107 

122 

15 

4 

27 

20-5 

6-5 

10 

5-5 

4 

7-5 

17 

8 

100 

114 

14 

4 

30 

21 

9 

11 

7-5 

5-5 

6 

36 

8 

955 

114 

18-5 

4 

21-5 

21 

0-5 

8 

6-5 

4-5 

2  5 

40 

8 

104 

116 

12 

3 

18-5 

16-5 

2 

75 

6 

5 

, 

55 

8 

112 

116 

4 

4 

21 

21-5 

05 

5 

5-5 

5 

5-5 

7 

7-5 

103 

113 

10 

5 

34-5 

26 

8*5 

13 

6 

8-5 

3 

2-5 

'  11 

7-5 

100 

111 

11 

4 

30-5 

19 

11-5 

12-5 

7-5 

5 

5-5 

26 

7-5 

102 

111 

9 

4 

22  5 

21 

1-5 

10 

5-5 

2 

5 

69 

7-5 

118-5 

111-5 

—7 

3 

16-5 

16-5 

0 

6 

55 

5 

, 

25 

7 

102 

108-5 

6-5 

4 

25-5 

21-5 

4 

11 

6 

4-5 

4 

, 

30 

7 

116 

110-5 

-5-5 

4 

27 

22 

5 

9  5 

5-5 

5 

7 

29 

6-5 

92 

106 

14 

4 

38-5 

22 

16-5 

14 

10 

6 

8-5 

1 

6 

87 

103 

16 

f) 

41 

32 

9 

10-5 

10-5 

7 

5 

4 

4 

27 

6 

101 

104-5 

3-5 

4 

26 

23 

3 

8 

6 

5-5 

6-5 

64 

6 

102  5 

104-5 

2 

3 

21 

17-5 

4-5 

10 

5-5 

5-5 

, 

18 

■5-5 

87-5 

100 

12-5 

3 

20 

165 

3-5 

6-5 

7 

6-5 

• 

• 

12 

5 

96 

99 

3 

4 

31 

235 

7-5 

11 

9 

4-5 

6-5 

14 

5 

93-5 

99 

5-5 

3 

23-5 

16-5 

7 

10 

7 

6-5 

31 

4-5 

90 

96 

6 

4 

245 

23-5 

1 

8 

7 

3 

6-5 

65 

4-5 

98 

95-5 

25 

3 

18-5 

18 

0-5 

8 

7-5 

3 

66 

4-5 

98 

94-5 

—3-5 

3 

21 

17 

4 

9-5 

4-5 

7 

13 

4 

91-5 

93 

1-5 

4 

30 

23  5 

6-5 

11 

6-5 

7 

5-5 

67 

4 

95 

92-5 

—2-5 

3 

26-5 

18 

85 

85 

8-5 

9-5 

3 

3 

77-5 

85-5 

8 

5 

38 

285 

9-5 

15-5 

8 

6 

4-5 

4 

32 

3 

95-5 

86 

—9-5 

4 

25  5 

24 

1-5 

9-5 

5-5 

7 

45 

52 

2-5 

78-5 

82-5 

4 

4 

33 

25 

8 

14-5 

6-5 

6-5 

55 

54 

2-5 

85-5 

82-5 

-3 

3 

27 

19 

8 

12 

8 

7 

22 

2-25 

90 

81 

—9 

4 

31-5 

25-5 

6 

11 

6-5 

5-5 

9 

8 

2 

82 

79 

—3 

4 

26 

255 

05 

9 

6-5 

4 

65 

63 

2 

79-5 

78 

—1-5 

3 

27 

19-5 

7-5 

13 

6 

8 

58 

2 

84 

79 

—5 

3 

23 

19  5 

8-5 

9 

8 

6 

• 

Jahren)  nicht,  einen  vollen  Heilerfolg  zu  erzielen.  Ob  in 
solchen  Fällen  ein  noch  früherer  Beginn  der  Behandlung 
(mit  sechs  Wochen,  wie  in  den  beiden  früher  angeführten 
Fällen)  zu  einem  vollen  Erfolg  führen  wird,  kami  ich  bei  ! 
der  Kürze  der  Behandlungsfrist  noch  nicht  sagen. 

Was  speziell  die  Störung  der  Gehörsfunktion  an, be¬ 
langt,  ist  zu  bemerken,  daß  sowohl  die  anf  Mittelohrerkran- 
kung,  als  auch  die  auf  Labyrintherkrankung  beruhende 
Schwerhörigkeit  der  Kretins  durch  die  Behandlnng  gebessert 
wird.  Jedoch  erweist  sich  dieses  Symptom  widerspenstiger 
als  die  anderen  Symptome  des  Kretinismus;  und  höhere 
Grade  von  Störungen  der  Gehörsfunktion  können  auch  bei  i 
Beginn  der  Behandlung  im  zweiten  oder  dritten  Lebens¬ 
jahre  nicht  behoben  werden.  Ob  ein  noch  früherer  Beginn 
der  Behandlung  auch  auf  diesem  Gebiete  bessere  Resultate 
zutage  fördern  wird,  kann  ich  mangels  einschlägiger  Er¬ 
fahrungen  noch  nicht  sagen. 

Es  ergibt  sich  also  aus  dem  Gesagten,  daß  man  trach¬ 
ten  muß,  mit  der  Behandlung  so  früh  als  möglich  zu  be¬ 
ginnen,  also  sofort,  wenn  die  Krankheit  erkennbar  wird. 


,  Wir  stoßen  aber  da  auf  ein  bisher  noch  dunkles  Ge- 

I  biet;  es  wird  von  allen  Seiten  anerkamit,  daß  die  Diagnose 
des  Kretinismus  in  den  ersten  Lebensjahren  großen  Schwie- 
!  rigkeiten  begegne.  Was  den  angeborenen  Kretinismus  an¬ 
belangt,  glaube  ich,  daß  die  Makroglossie  und  in  Fällen, 
wo  er  vorhanden  ist,  der  angeborene  Kropf  in  den  meisten 
Fällen  schon  von  der  Gehurt  an  die  Diagnose  ermöglichen 
werden.  Die  eigentümliche  j’Vasenbildung  (außerordentliche 
iVbflachung  der  Nasenwurzel  und  Kürze  der  Nase)  halte 
ich  für  weniger  charakteristisch,  da  sie  auch  anderen  Er¬ 
krankungen  zukommt.  C  e  r  1  e  1 1  i  und  P e  r u  s  i  n  i,^)  die  sich 
mit  der  Diagnose  des  Krelinismusi  in  der  ersten  Kindheit 
eingehender  beschäftigt  haben,  legen  ein  großes  Gewicht 
auf  die  Beschaffenheit  der  Weichteile  und  auf  die  Gesichts¬ 
farbe.  Ich  möchte  nach  meinen  Erfahrungen  bezweifeln, 
daß  dieses  Kriterium  für  die  ersten  Wochen  und  Monate 
des  extrauterinen  Lebens,  bei  den  Fällen  von  angeborenem 
Kretinismus,  verwendbar  ist;  denn  hei  den  beiden  älteren 

®)  Studii  sul  Cretinismo  endemico.  Annali  dell’  Isütuto  Rsichiatrico 
della  R.  Universita  di  Roma  1904. 


42 


WIEWEK  KLIJN'ISCIIE  VVüCllEiNSClllUET.  1907. 


Nr.  2 


Kindern  der  Familie  K.,  über  die  ich  früher  berichtet  habe, 
konnte  ich  mich  teils  nach  den  Angaben  der  Mutter,  teils 
durch  eigene  Beobachtung  überzeugen,  daß  die  Hautschwel¬ 
lungen  erst  am  Ende  des  ersten  Lebensjahres  sich  ein¬ 
stellten. 

Noch  schwieriger  ist  aber  die  Frühdiagnose  des  er¬ 
worbenen  Kretinismus,  da  die  Symptome  sich  alhnählich 
und  unmerklich  einstellen  und  erst  nach  einigem  Bestände 
der  Erkrankung  deutlich  in  Erscheinung  treten,  ln  diesen 
Fällen  wird  vor  allem  das  Ausbleiben  des  Gehen-  und 
Sprechenlemens  einen  wichtigen  Anhaltspunkt  geben.  Wenn 
sich  dann  die  charakteristische  bleiche  Gesichtsfarbe  und 
mehr  oder  weniger  hochgradige  Hautschwellungen  und  die 
charakteristische  Apathie  dazu  gesellen,  wenn  der  Ver¬ 
schluß  der  Fontanelle,  der  Durchbruch  der  Zähne  auf  sich 
warten  lassen,  die  charakteristische  Nasenbildung  da  ist 
und  das  Wachstum  nicht  recht  fortschreitet,  ist  die  Stellung 
der  Diagnose  für  den  Arzt  nicht  so  schwierig. 

Die  große  Schwierigkeit  liegt  aber  darin,  daß,  um  das 
Kind  einer  rechtzeitigen  Behandlung  zuzuführen,  die  Eltern 
frühzeitig  die  Diagnose  machen  oder  wenigstens  auf  die 
Vermutung  eines  begiimenden  Kretinismus  kommen  müssen. 

Das  kann  nur  im  Laufe  der  Zeit  erreicht  werden,  indem 
die  Bevölkerung  in  den  Gegenden,  wo  der  Kretinismus  hei¬ 
misch  ist,  auf  die  Möglichkeit  einer  Behandlung  dieses 
Leidens  aufmerksam  gemacht  und  dadurch  auch  der  Blick 
für  die  Erkennung  der  frühen  Anzeichen  desselben  ge¬ 
schärft  wird. 

Dieser  Zweck  wird  erreicht,  wenn  anfangs  auch 
ältere,  weniger  Aussicht  auf  volle  Heilung  darbietende  Kin¬ 
der  in  Behandlung  genommen  werden.  li)ie  immerhin  auch 
in  solchen  Fällen  eintretenden  Besserungen  erregen  die 
Aufmerksamkeit  nicht  nur  der  Eltern,  sondern  auch  wei¬ 
terer  Kreise  und  führen  dazu,  daß  allmählich  immer  mehr 
Kinder  und  endlich  auch  solche  aus  den  ersten  Lebensjahren 
von  ihren  Eltern  ganz  spontan  der  Behandlung  zugeführt 
werden. 

Ich  habe  das  an  den  Orten,  an  denen  ich  diese  Ver¬ 
suche  machte,  selbst  erlebt.  Anfangs  hatte  ich  vorwiegend 
im  schulpflichtigen  Alter  stehende  und  selbst  ältere  Kinder 
in  Behandlung;  nach  und  nach  kamen  zuerst  andere,  in 
diesen  Altersklassen  stehende  Kinder  dazu  und  erst  in  der 
letzten  Zeit  werden  mir  öfters  auch  zwei-  bis  dreijährige 
und  selbst  noch  jüngere  Kinder  vorgeführt. 

Ich  hoffe  daher,  in  einem  künftigen  Berichte  über 
eine  viel  größere  Anzahl  von  Kindern  aus  diesem  Alter 
berichten  zu  können. 


Aus  der” chirurgischen  Abteilung  des  städtischen  allge¬ 
meinen  “Krankenhauses  in  Linz  a.  d.  Donau.  (Primar¬ 
arzt:  Dr.  A.  Brenner.) 

Ein  weiterer  Fall  von  Totalluxation  der  Hals¬ 
wirbelsäule  mit  Ausgang  in  Genesung. 

Von  Dr.  Hermann  Biedb  Assistenten  der  Abteilung. 

ln  Langenbecks  Archiv  für  klinische  Chirurgie, 
Band  78,  veröffentlicht  F.  Steinmann  eine  Zusammen¬ 
stellung  von  20  Fällen  von  Totalluxation  der  Halswirbel¬ 
säule,  darunter  einen  eigenen,  welche  ohne  irreparable 
llückenmarksläsion  am  Leben  geblieben  sind,  teils  nach 
erfolgter  Reivosition,  teils  ohne  eine  solche. 

Als  21.  Fäll  kann  ich  dieser  Reihe  einen  solchen  an¬ 
schließen,  der  heuer  im  Allgemeinen  Krankenhause  in  Linz 
zur  Beobachtung  kam  und  durch  Röntgenuntersuchung 
sichergestellt  wurde.  Von  den  Fällen,  die  Stein  mann  ge¬ 
sammelt  hat,  sind  nur  zwei  mit  Röntgensirahlen  unter¬ 
sucht  worden,  sein  eigener  und  ein  Fäll  von  Ringrose 
(Lancet,  1904). 

Die  Krankengeschichte  des  von  uns  beobachteten  Falles 
ist  folgende: 

Am  24.  August  1905  stürzte  die  45jährige  Frau  K.  H. 
Leim  Ausnehmeu  eines  Ilühnernesles  von  einer  Leiter  sieben 


Sprossen  tief  herab.  Sie  schlug  dabei  mit  der  rechten  Schulter 
und  wahrscheinlich  auch  mit  dem  Hinterkopfe  auf  den  festen 
Erdboden  auf,  verspürte  sofort  einen  stechenden  Schmerz  im 
Genick  und  konnte  sich  nicht  mehr  rühren,  so  daß  sie  vom 
Platze  getragen  werden  mußte.  Am  ersten  Tage  war  sie  vollständig 
gelähmt.  Arme  und  Beine  waren  ihr  „wie  wächsern“.  Gleichzeitig 
plagten  sie  heftige  Schmerzen,  die  vom  Nacken  den  Rücken 
herab  und  in  die  Anne  ausstrahlten.  In  den  ersten  drei  Tagen 
hatte  sie  mehrmals  Schwindel- und  Olmmachtsanfälle,  Erschwerung 
der  Sprache,  außerdem  Harnverhaltung. 

Während  sie  die  Beine  schon  am  zweiten  Tage  nach  dem 
Unfälle  im  Bette  ein  wenig  regen  konnte,  blieben  die  Arme  durch 
vier  Monate,  bis  gegen  Neujahr,  vollständig  gelähmt.  Bei  jeder 
Bewegung  des  Körpers  im  Bette  hatte  sie  heftige  Schmerzen  in 
Nacken,  Schultern,  Armen  und  Beinen,  zeitweise  aber  auch  in 
der  Ruhe. 

Pat.  befand  sich  zuerst  durch  zwei  Wochen  in  häuslicher 
Pflege,  hernach  fast  fünf  Monate  im  Spital  der  Elisabethinen 
zu  Linz,  während  welcher  Zeit  die  Schmerzen  zurückgingen  und 
die  Lähmungserscheinungen  sich  fortschreitend  besserten.  Am 
23.  Januar  1906  wurde  sie  sodann  vom  Anstaltsaxzt  Herrn  Doktor 
Ehrl,  welcher  bereits  die  Diagnose:  Verrenkung  der  Halswirbel¬ 
säule  gestellt  hatte,  entlassen  und  auf  die  chirurgische  Abteilung 
des  allgemeinen  Krankenhauses  gebracht. 


Fig.  1. 

Bei  der  Aufnahme  wurde  hier  folgender  Befund  erhoben : 
Ziemlich  kleine,  zart  gebaute  Frau.  Muskulatur  und  Fettpolster 
mäßig  ..entwickelt,  Hautfarbe  normal,  Gesicht  ein  wenig  gerötet, 
Gesichtsausdruck  und  Blick  ängstlich,  starr,  Temperatur  und  Puls 
normal,  innere  Organe  ohne  nachweisbare  krankhafte  Ver¬ 
änderungen. 

Pat.  kann  sich  im  Bette  ohne  fremde  Hilfe  nicht  erheben, 
vermag  aber,  mit  Unterstützung  zu  sitzen,  ermüdet  dabei  rasch 
und  klagt  über  Schmerzen  im  Nacken  und  Rücken,  ebenso  auch, 
wenn  sie,  was  sie  selbständig  nicht  kann,  im  Bette  von  einer 
Seite  zur  anderen  gedreht  wird.  Beim  Sitzen  ist  der  Kopf  steif 
vorgestreckt  und  mäßig  nach  vorne  gebeugt,  mit  geringer  Neigung 
nach  links  hin,  das  Kinn  ist  der  Brust  nicht  wesentlich  genähert 
(Fig.  l).  Drehbewegungen  des  Kopfes  sind  frei  ausführbar.  Seit¬ 
wärts-,  Vor-  und  Rückwärtsbewegung  eingeschränkt;  Vemuche, 
diese  passiv  zu  erweitern,  rufen  lebhafte  Schmerzensäußerungen 
hervor. 

Bei  der  Untersuchung  der  Halswirbelsäule  tastet  man  hinten 
zunächst  deutlich  die  Vertebra  prominensi,  weiter  hinauf  die  Dorne 
des  fünften  und  sechsten  Halswirbels,  dann  fühlt  man  eine  sattel¬ 
förmige  Einsenkung  Und  weiterhin  keine  Dome  mehr.  Die  Massae 
laterales  der  Halswirbel  sind  durch  die  Muskulatur  nicht  deutlich 


Nr.  2 


WIEWEK  KLINISCHE  VVOCIIENSCHKIET.  1907. 


43 


diircliziifühlen.  Vom  Munde  aus  läßt  sich,  soweit  man  von  liier 
aus  die  Vorderfläche  der  Halswirhelkörper  untersuchen  kann, 
nichts  Abnormes  tasten.  Im  Bereiche  der  Brustwirbelsäule  besteht 
geringgradige  Skoliose  nach  rechts,  die  linke  Schulter  steht  um 
ein  weniges  tiefer  als  die  rechte. 

Die  Arme  werden  in  nahezu  vollkommener  Streckstellung 
an  den  Thorax  adduziert  gehalten;  Unterarme  und  Hände  fühlen 
sich  kühl  an  und  sind  leicht  zyanotisch.  Die  Finger  der  rechten 
Hand  sind  in  sämtlichen  Gelenken  gebeugt,  die  der  linken  jedoch 
in  den  Me takaipophalangeal gelenken  gestreckt,  in  den  übrigen 
gebeugt. 

Aktiv  ist  bloß  leichtes  Erheben  der  Arme  nach  vorne  und 
geringgradige  Innenrotation  möglich;  Beugung  in  den  Ellbogen¬ 
gelenken  ist  nicht  ausführbar,  Pro-  und  Supination  links  aufge¬ 
hoben,  rechts  nur  in  geringem  Maße  ausführbar.  Bewegungen  im 
Handgelenk,  dann  Beugung  und  Streckung,  Spreizen  der  Finger 
sind  eingeschränkt. 


den,  auch  keinerlei  Sprachstörung.  Funktionen  von  Blase  und 
Mastdaim  sind  intakt.  Die  Patellarreflexe  sind  gesteigert,  Fuß- 
klonus  und  Babinsky sches  Phänomen  beiderseits  vorhanden. 
Periostreflexe  im  Bereiche  der  oberen  Extremitätiui  feiden,  ebetiso 
der  Bauchdeckenreflex.  Bachen-  und  Analreflex  sind  auslösbar. 

Die  Sensibilitätsprüfung  ergab  leichte  Herabsetzung 
der  taktilen  Empfindung  an  den  imteren  Extremitäten  und  vorne 
hinauf  am  Stamme  bis  zur  Höhe  des  zweiten  Interkostalraumes, 
hinten  bis  zur  Höhe  des  dritten  Brustwirbeldomes,  ferner  eine  in 
distaler  Bichtung  zunehmende  Verminderang  der  Sensibilität  für 
Berührung  an  den  oberen  Extremitäten. 

■Hyperästhesie  fand  sich  nur  in  einer  Zone,  die  vorne  sym¬ 
metrisch  in  der  Höhe  des  zweiten  Interkostalraumes  beginnt, 
über  die  Klavikula  zum  Nacken  zieht  und  hinten  von  der  Höhe 
des  dritten  Bmstwirbeldornes  hinauf  bis  zum  sechsten  Hals¬ 
wirbel  reicht. 


Fig 

Bei  passiver  Bewegung  der  Arme  wird  der  Abduktion  Wider¬ 
stand  entgegengesetzt,  ebenso  Beugungsversuchen  in  den  Ellbogen¬ 
gelenken;  passives  Strecken  der  gebeugten  Finger  ist  nach  Ueber- 
windung  leichten  WiderstaJides  möglich. 

Deutlich  atrophisch  im  Bereiche  der  oberen  Extremitäten 
sind  beiderseits  der  Muschlus  deltoideus,  supra-  und  infraspinatus 
und  die  kleinen  Handmuskeln,  in  geringem  Grade  auch  der  Bizeps. 

In  den  beiden  unteren  Extremitäten,  die  im  Hüft-  und  Knie¬ 
gelenk  gebeugt  gehalten  werden,  besteht  hochgradige  spastische 
Parese.  Aktive  Bewegungen  erfolgen  hier  nur  langsam,  mit  An¬ 
strengung,  unter  Sclimerzensäußerungen  und  in  geringer  Aus¬ 
dehnung.  Spontan  erfolgen  ab  und  zu  schmerzhafte  Streck-  und 
Beugebewegungen.  Passive  Bewegungsversuche  erfahren  starken 
Widerstand.  Die  Füße  sind  kalt  und  zyanotisch. 

Auch  die  Bauchmuskulatur  findet  sich  in  einem  tonischen 
Kontraktionszustand. 

Im  Bereiche  der  Hirnnerven*)  ist  keinerlei  Störung  nach¬ 
weisbar.  Es  bestehen  weder  Schluck-  noch  Respirationsbeschwer- 

*)  Pat.  wurde  auch  auf  der  inneren  Abteilung  des  allgemeinen 
Krankenhauses  von  Primararzt  Dr.  Lindner  einer  eingehenden  Unler- 


2. 

Deutliche  Störungen  des  Temperatursinnes  ließen  sich  nir¬ 
gends  nachweisen. 

Die  Röntgendurchleuchtung  ergab  mit  großer  Deut¬ 
lichkeit  eine  doppelseitige,  totale  Luxation  der  Halswirbelsäule. 
Die  Stelle  der  Verrenkung  findet  sich  zwischen  dem  vierten  und 
fünften  Halswirbel;  als  luxiert  ist  nach  der  gebräuchlichen  No¬ 
menklatur  also  der  vierte  zu  betrachten. 

Ins  Atige  fällt  sofort  die  winkelige  Knickung  der  Halswirbel¬ 
säule,  welche  einen  nach  vorne  offenen  Winkel  von  ca.  130®  ein¬ 
schließt.  Die  Aufnahlmen  (Fig.  2  und  3)  von  rechts  und  von 
links  her  geben  ganz  identische  Bilder.  Der  Körper  des  vierten 
Halswirbels  ist  über  den  des  fünften  derart  nach  vorne  gerutscht, 
daß  er  ganz  der  Vorderfläche  desselben  aufruht.  Die  Gelenks¬ 
fortsätze  der  beiden  Wirbel  haben  sich  beiderseits  aus  ihrer  Ver¬ 
bindung  gelöst,  die  oberen  sich  nach  vorne  verschoben,  die  unteren 
sehen  mit  ihren  nun  kahlen  Gelenksfläohen  frei  nach  hinten. 
Verfolgt  man  die  Spitzen  der  Wirbeldorne  von  oben  nach  abwärts, 

suchung  unterzogen.  Aus  dem  Ergebnis  derselben  sind  manche,  insbe¬ 
sondere  die  auf  den  Nervenslatus  bezughabende  Daten  auszugsweise  hier 
mitgeteilt. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


so  findet  man  zwischen  dem  aus  der  Reihe  zurückiretenden  l'om 
des  vierten  Halswirbels  und  <lem  nächst  unteren  fünften  ein 
gegen  die  Norm  beinalie  doppelt  so  großes  Spatium. 

Bei  der  Durchleuchtung  der  Halswirbelsäule  von  vorne  nach 
hinten  war  eine  Seitenverschiehung  des  luxierteu  Wirbels  mit 
Sicherheit  auszuschließen.  Die  Luxationsstellung  als  solche  war 
hier  nicht  deutlich  zur  Anschauung  zu  bringen. 

Auch  während  der  Beobachtung  im  Allgemeinen  Kranken¬ 
hause  zeigte  sich  eine  langsam  fortschreitende  Besserung  des 
Zustandes  der  Patientin.  Die  ausstrahlenden  Schmerzen  ließeji 
nach,  Hände  und  Arme  wurden  beweglicher  und  die  Krarnpfzu- 
stände  in  den  Beinen  schwanden  allmählich.  Pat.  lernte  frei 
am  Bettrand  sitzen  und  war  schließlich  schon  so  weil  gekräftigt, 
daß  sie  mit  Unterstützung  Gehversuche  machen  konnte.  Ihr  (lang 
war  damals  noch  ausgesprochen  spas  tisch-p  are  tisch. 

Dieses  langsame  Zurückgehen  der  Krankheitssymptome  ließ 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  eine  schwere  Schädigung  des  Hals- 


Fig 

markes  und  der  Wurzeln  ausschließen.  Gleichwohl  schien  die 
Befürchtung  gereclitfertigl,  daß  an  und  für  sich  geringfügigie 
Traumen  die  Luxationsstellung  der  Wirbel  möglicherweise  ver¬ 
größern  und  dadurch  eine  plötzliche  Verschlimmerung  des  Zu- 
slamles  der  Patientin  herbeiführen  könnten.  Die  Möglichkeit,  daß 
durch  Kaliusproduklion  an  der  Luxationsstelle  der  Rückenmarks¬ 
kanal  noch  weiterhin  verengt  werden  könnte,  durfte  man  hier 
wohl  ausschließen,  nachdem  seit  der  Verletzung  bereits  ein  halbes 
.lahr  verstrichen  war. 

Von  dem  Gedanken  geleitet,  eine  Restitutio  ad  integrum 
herheizuführen  und  d;us  Lohen  der  Patientin  dauernd  zu  sichern, 
kam  man  zu  dem  Entschlußi,  jetzt  doch  noch  einen  operativen 
Lingiiff  zu  wagen  und  wenigstens  den  Versuch  zu  unternehmen, 
<li('se  veraltete  Luxation  zu  beheben.  Freilich  lagen  nur  Mit- 
hulungen  über  günstige  Erfolge  bei  frischen  Halswirbelverren¬ 
kungen  vor.  Steinmann  (s.  o.)  sagt  in  seiner  Publikation  aus¬ 
drücklich,  daß  es  Erfahrungen  über  die  Reposition  aller  Beuge¬ 
luxationen  nicht  gäbe,  doch  meint  er,  daß  man  auch  in  solchen 
Fällen  mit  der  Methode  <ler  einfachen  Extension  ineist  keinen 
Schaden  stiften  würde;  im  übrigen  kämen  in  neuerer  Zeit  auch 
blutige  Eingriffe  mehr  in  Frage. 


Nachdem  sich  Pal.  mit  einer  Operation  einverstanden  er¬ 
klärt  hatte,  wurde  am  13.  März  1906  zunächst  versucht,  auf  un¬ 
blutigem  \\Wge  durch  Suspension  am  Kopfe  mittels  der  Glisson- 
schen  Schlinge,  gleichzeitigem  Gegenzug  an  den  Schultern  und 
Druck  von  hinten  auf  die  untere  Halswirbelsäule  eine  Einrenkung 
zu  erzielen.  Die  Extension  wurde  in  Narkose  hei  gleichzeitiger 
Röntgen  du  rchh'uchtung  vorgenommen.  Beim  Aufziehen  der  Pa¬ 
tientin  konnte  man  ein  leichtes  Auseinanderweichen  der  Körper 
der  über  und  unter  der  Luxationsstelle  gelegenen  Halswirl)el  sehen, 
eine  Stcllungsveränderung  der  übereinander  verschobenen  Wirbel 
ließ  sich  jedoch,  auch  nach  Vermehrung  der  Spannung  durch 
Gegenzug  aii  den  Schultern,  nicht  nachweisen. 

!Die  Extension  hatte  der  Palientin  keinerlei  Schaden  gestiftet. 
Nach  vorübergehenden  Schmerzen  am  Halse  und  im  Kopfe  fühlte 
sich  Pat.  die  folgenden  Tage  ganz  wohl,  teilweise  sogar  frischer 
und  freier  als  vorher.  -Dadurch  ermutigt,  entschloß  man  sich, 
nachdem  die  Extension  das  eigentliche  Ziel  nicht  erreiclil  hatte. 


.  3. 

noch  einen  l)lutigen  Eingriff  zu  wagen,  um  auf  diesem  Wege 
die  erstrebte  Reposition  herheizuführen. 

Bei  der  Operation,  die  Primarius  Dr.  Brenner  am  17.  März 
1906  vornahm,  wurde  zunächst  an  der  linken  Halsseite  durch 
einen  Schnitt  am  vorderen  Rande  des  Musculus  cucullaris  der 
Processus  articularis  des  fünften  Halswirbels  und  der  vor  und 
oberhalh  desselben  tastbare  Gelenksfortsatz  des  vierten  freigelegf. 
Trotz  der  sowohl  vom  Kopfe,  als  auch  vom  Fußende  aus  sehr 
kräftig  wirkenden  Extension  wichen  die  verhakten  Gelenksfort- 
sätze  nicht  um  Haaresbreite  voneinander,  selbst  hei,  gleichzeitiger 
Zuhilfenahme  eines  Elevatoriunis. 

Durch  einen  zweiten  Schnitt  am  vorderen  Rande  des  linken 
Kopfnickers  wurde  nun  noch  die  Vorderseite  der  Halswirl)elsäule 
zugänglich  gemacht,  um  zu  versuchen,  von  hier  aus  auf  die  über- 
einandergeschobenen  Wirhelkörper  einzuwirken.  Da  sich  aber  liier 
eine  feste  Verwachsung  zwischen  denselben  nachweisen  läßt,  wird 
von  einem  weiteren  Vorgehen  Abstand  genonimen.  Der  Gedanke, 
<lurch  Resektion  der  miteinamler  verkeilten  Gelenksfortsätze  eine 
Stellungsverbesserung  herbeizuführen,  wird  elienfalls  fallen  ge- 
,  lassen,  da  die  Befürchtung  besteht,  daß  dadurch  die  aufeinander 


.\'r.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


15 


gepreßten  und  miteinander  verlöteten  Wirbelkörper  ihren  Halt 
verlieren  und  sieh  gegenseitig  noch  stärker  verschieben  könnten. 

Die  Wunden  wurden  drainiert  und  geschlossen,  der  Hei- 
hingsveiiaul  war  ein  glatter.  Acht  Tage  nach  dem  Eingriff  konnte 
Pal.  wieder  das  Bett  verlassen.  Die  sensiblen  und  motorischen 
Störungen  besserten  sich  auch  noch  weiterhin.  Am  25.  April  löOG 
verließ  Pat.,  leidlich  gehend,  das  Spital. 

Ueberrascliend  war  die  Besserung,  die  Pat.  bei  iiirer  Selbst- 
vorslellung  im  Juni  1906  aufweisen  konnte.  Der  Gang  war  jetzt 
ohne  Unterstützung  sicher.  Pat.  kann  ihrer  Angabe  nach  den 
ganzen  Tag  uinhergehen,  muß  aber  oft  rasten,  da  sie  ,,im  Rücken 
leicht  ei'inüdet“.  iMorgens  beim  Aufsteben  verspürt  sie  noch 
Steifigkeit  in  den  Beinen.  Die  Kopfbewegungen  zur  Seite  hin 
waren  eingeschränkt,  sonst  aber  frei;  die  Arme  wurden  noch 
an  den  Körper  adduziert  gehalten,  der  rechte  konnte  sowohl 
nach  vorne,  als  auch  zur  Seite  bis  zur  Horizontalen  erhoben 
werden,  der  linke  erreichte  diese  Exkursionsweite  jedoch  nicht. 
Beide  Ellbogengelenke  waren  aktiv  beweglich,  Bewegungen  links 
jedoch  eingeschränkt,  Hand-  und  Fingerbewegungen  frei,  die  Kraft 
beider  Hände  herabgesetzt.  Deutliche  Störungen  der  Sensibilität 
ließen  sich  nirgends  nachweisen. 


Die  Kopfhaltung  war  die  gleiche  wie  vordem ;  der  durch 
den  Dorn  des  fünften  Halswirbels  bedingte  Vorsprung  hinten  am 
Halse  schien  jetzt  etwas  stärker  vorzutreten  als  friiher. 

Der  hier  mitgeteilte  Fall  lehrt  alsO’,  daß  hei  veralteleii 
Fällen  von  totaler  Halswirbelluxation  die  Aussichten,  welche 
das  Extensionsverfahren  bietet,  davon  ahhängen  werden,  ob 
zwischen  den  luxierten  Wirbeln  bereits  ausgiebige  binde¬ 
gewebige  oder  gar  knöcherne  Verwachsungen  stattgefunden 
haben.  Dies  wird  um  so  wahrscheinlicher  sein,  je  später 
der  Fall  zur  Behandlung  kommt.  Jedenfalls  kann  aber,  wie 
auch  Steinmann  meint,  der  Versuch  der  Extension  ohne 
Schaden  für  den  Patienten  gewagt  werden.  Nach  dem 
Röntgenhild  hier  allein  zu  urteilen,  wird  nicht  angehen,  da 
Bindegewebsneubildung  nur  schwer  und  selbst  knöcherne 
Verwachsungen  nicht  immer  zu  sehen  sein  werden. 

An  den  Röntgenhild ern  des  vorliegenden  Falles,  sechs 
Monate  nach  dem  Unfall,  die  sonst  an  Deutlichkeit  nichts 
zu  wünschen  übrig  lassen,  sieht  man  bloß  zwischen  den 
Kör])ern  des  vierten  und  fünften  Halswirbels  vorne  unten 
einen  schmalen  Streifen,  den  man  allenfalls  noch  als  Zeichen 
einer  bereits  eingetretenen  Verwachsung  annehmen  könnte. 

Ist  die  Extension  nicht  mehr  imstande  gewesen,  eine 
Reposition  zu  erzielen,  so  wird  ein  blutiger  Eingriff  wohl 
nur  dami  angezeigt  sein,  wenn  schwerere  Schädigungen 
von  seiten  des  Rückenmarkes  vorliegen  oder  wenn  die  be¬ 
reits  vorhandenen  Störungen  progressiv  zunehmen.  Nach 


Konstatierung  stärkerer  Verwachsungen  wird  es  sich  aber 
nicht  mehr  darum  handeln,  eine  Reposition  anzustreben, 
sonderu  durch  Resektion  geeigneter  Wirhelstücke  dem  Hals- 
niark  Platz  zu  schaffen.  Imim'rhin  aber  wird  man  sich  hier 
die  Gefahr  vor  Augen  haltcTi  müssen,  die  ein  solches  Vor¬ 
gehen  für  die  Stahilität  der  Wirbelsäule  und  somit  auch 
für  das  Rückenmark  in  sich  schließt. 

Die  Frage  nach  der  Art  der  Rückenniarksschädigung, 
welche  den  vorühergehenden  Lähmungserscheinungen 
infolge  Totalluxation  der  Halswirhelsäule  zugrunde  liegt, 
hat  Steinmann  eingehend  bearbeitet.  Nur  eine  Möglich¬ 
keil,  nämlich  die  einer  vorübergehenden  Kompression  des 
Rückenmarkes  durch  Rlutextravasate,  welche  durch  Ver¬ 
letzung  des  Venenplexus  der  Dura  entstehen,  findet  sich 
dort  nicht  hervorgehohen,  und  es  scheint  diese  Art  der 
Erklärung  gerade  in  dem  vorliegenden  Fälle  sehr  plausibel. 

Die  Lichtung  der  von  den  Querfortsätzen  gebildeten, 
zum  Durchtritte  der  Rückenmarkswurzeln  bestimmten  Fora¬ 
mina  intervertebralia  erleidet  durch  die  Luxation  keine  Ein¬ 
buße.  Viel  eher  erscheint  sie  eine  Erweiterung  zu  erfahren, 
wie  dies  aus  der  Retrachlung  des  Röntgenl)ildes,  sowie  der 
Skelettwirbelsäule  hervorgeht.  Eine  Quetschung  der  durch- 
Iretenden  Nervenwurzeln  ist  also-  jedenfalls  ausgeschlossen. 

Bezüglich  des  Verhaltens  der  Dura  mater  bei  der  Tötal- 
luxation  kann  man  wohl  annehmen,  daß  das  innere  lockere, 
durch  das  Ligamentum  denticulatum  mit  dem  Rückenmark 
verbundene  Blatt  derselben  erhalten  hleild,  während  die 
äußere,  der  Wandung  des  Rückgratkanals  anliegende  La¬ 
melle  wenigstens  teilweise  einreißen  muß. 

Ein  Punkt  wäre  zum  Schlüsse  noch  zu  streifen,  nämlich 
die  Frage:  Was  verhindert  das  weitere  Ahgleiten  der  schon 
luxierten  Wirbelsäule  und  damit  eine  tödliche  Rückenmarks- 
durclufuetschung  ? 

Stein  mann  nimnd  hiefür  das  Erhaltenblelhen  des 
Ligamentum  anterius  und  posterius  als  notwendig  an.  Beide 
dürften  für  den  nach  vorne  gleitenden  Wirbel  eine  Art 
Retinakulum  bilden,  in  welchem  er  sich  fängt.  In  zweiter 
Linie  kommt  dann  die  reflektorische  Kontraktion  der  Mus¬ 
keln  der  Halswirhelsäule  als  Sicheningsmittel  in  Betracht. 

Außer  dem  Erhaltensein  der  beiden  Längsbänder  und 
der  Fixierung  durch  die  Muskulatur  scheinen  hier  aber 
auch  die  Tubercula  anteriora  der  Gelenksfortsätze  des  nächst 
unteren  Halswirbels,  wenn  auch  nicht  immer,  eine  Rolle 
zu  spielen.  Dieselben  sind  zuweilen  stärker  und  höher  ent¬ 
wickelt,  so  daß  nach  erfolgter  Tötalluxation  beiderseits  eine 
Art  Verhakung  zwischen  diesen  und  den  Gelenksfortsätzen 
des  luxierten  Wirbels  eirdritt,  wodurch  einerseits  derselbe 
eine  Stütze  erhält,  anderseits  ein  weiteres  Ahgleiten  nach 
vorne  verhindert  wird.  Dieses  Verhällnis  wird  aus  der 
Zeichnung  einer  skelettierten  Halswirhelsäule  (Fig.  4)  er¬ 
sichtlich,  an  welcher  die  Luxationsstellung  künstlich  herhei- 
geführt  wurde.  Zur  leichteren  Orientierung  sind  die  Wirbel 
mit  ihren  zugehörigen  Teilen  abwechselnd  hell  und  dunkel 
gehalten.  ' 


Die  Radioaktivität  der  Teplitz-Schönauer 

Urquelle. 

Von  med.  Dr.  Artur  Hauser  in  Teplitz-Schönau. 

Die  eigenartige  Stellung,  welche  die  sog.  Wildbäder 
oder  A  k  rat  other  me  11,  weniger  glücklich  auch  ,, indiffe¬ 
rente  Thermen“  genannt,  unter  den  Heilquellen  einnehmen, 
wird  durch  den  geringen  Gehalt  an  festen  Bestandteilen 
bei  hoher  natürlicher  Wärme  charakterisiert.  Die  bekann¬ 
testen  Repräsentanten  dieser  Rädergruppe  sind  Gaslein, 
Plombieres,  Ragaz-Pfäfers,  Teplitz-Schönau,  Schlangenbad 
und  Wildbad.  Mit  ihrer  Armut  an  fixen  Reshindteilen  korre¬ 
spondiert  nun  eigentümlicherweise  die  Armut  an  neuerer 
balneologischer  Literatur.  Diese  Erscheinung  ist  leicht  zu 
erklären.  Als  der  gewaltige  Aufschwung  der  physiologischen 
und  pathologischen  Chemie  die  innere  Medizin  befruchtete, 
da  mußte  auch  die  Balneologie,  dem  Zuge  der  Zeit  folgend. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCIIRIFT.  1907. 


Nr.  2 


sich  das  Rüstzeug  der  experimentellen  Forschung  zu  eigen 
machen.  Sie  suchte  —  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  —  sich 
aus  dem  bisher  überreich  bepflügten  Gebiete  klinischer  Em¬ 
pirie  zur  Höhe  exakter  wissenschaftlicher  Forschung  zu  er¬ 
heben.  Daß  hiebei  die  von  der  Natur  mit  chemischen  Be¬ 
standteilen  so  stiefmütterlich  bedachten  Akratothermen 
Zurückbleiben  mußten,  ist  begreiflich  und  tatsächlich  zeigt 
die  baineologische  Literatur  der  obgenannten  Bäder  in  den 
letzten  zwanzig  Jahren  eine  gegenüber  der  früheren  Schreib¬ 
freudigkeit  der  Badeärzte  auffallende  Sterilität.  Gestehen 
wir  es  nur  ruhig  ein,  daß  wir  bei  der  Erklärung  der  un¬ 
leugbar  höheren  Heilkraft  der  natürlichen  Thermen  gegen¬ 
über  derjenigen  künstlich  erwärmten  Wassers  von  gleicher 
Temperatur  und  Zusammensetzung  bisher  —  trotz  aller  Fort¬ 
schritte  der  exakten  Wissenschaften  —  ungefähr  auf  dem¬ 
selben  erleuchteten  Standpunkte  uns  befanden,  wie  unsere 
mittelalterlichen  Kollegen,  die  sich  mit  dem  mythischen 
,,,Archäus“  oder  „Brunnengeiste“  behalfen.  Erst  die  aller¬ 
jüngste  Zeit  hat  auch  für  die  Akratothermen  die  Möglichkeit 
eröffnet,  einen  ihrer  wirksamen  Faktoren  greifbar  festzu¬ 
stellen  u.  zw.  war  es  nicht  die  Chemie,  sondern  ihre 
Schwesterwissenschaft,  die  Physik,  der  wir  diesen  ersten 
Blick  in  ein  noch  unbekanntes  Land  verdanken.  Die  Ent¬ 
deckung  des  Radiums  und  der  Radioaktivität  durch 
das  Ehepaar  Curie  hat  eine  fast  unübersehbare  Zahl  von 
Arbeiten  hervorgerufen.  Die  Radioaktivität  wurde  als  eine 
universelle  Eigenschaft  der  Materie  erkannt.  Jene  Form  der 
radioaktiven  Energie,  welche  wegen  ihres  allgemeinen  Vor¬ 
kommens  in  der  Atmosphäre  und  in  den  Kapillaren  des 
Erdbodens,  sowie  wegen  ihres  —  uns  hier  besonders  inter¬ 
essierenden  —  Auftretens  in  Quellwässern  vorzugsweise  in 
Betracht  kommt,  ist  die  ,,Ema nation“.  So  bezeichnete 
Rutherford  das  radioaklive  materielle  Gas,  welches  ge¬ 
wisse  radioaktive  (speziell  Radium  enthaltende)  Körper  fort¬ 
während  entwickeln,  und  das  die  Eigenschaft  besitzt,  die 
Körper  in  dem  Raume,  in  dem  es'  sich  befindet,  radioaktiv 
zu  machen.  Thomson  und  Himstedt  haben  gezeigt,  daß 
diese  Emanation  in  Quellwässern  enthalten  ist  und  aus  den¬ 
selben  durch  Auskochen  oder  Durchperlen  von  Luft  ent¬ 
fernt  werden  kann.  Seither  sind  an  zahlreichen  Orten  Unter¬ 
suchungen  dieser  Art  angestellt  worden,  von  welchen  be¬ 
sonders  diejenigen  von  Curie  und  Labonde,  Elster  und 
Gelte  1,  Mache  und  Meyer  hervorgehoben  seien.  Die 
beiden  letztgenannten  Autoren  haben  die  Heilquellen  Oester¬ 
reichs,  zuerst  Gastein,  dann  die  böhmische  Bädergruppe 
(Karlsbad,  Marienbad  Teplitz-Schönau,  Franzensbad)  und 
die  niederösterreichischen  Thermen  (Fischau,  Vöslau.  Baden) 
einer  eingehenden  Untersuchung  auf  Radioaktivität  unter¬ 
zogen,  deren  Resultate  in  mehreren  iVrbeiten^)  nieder¬ 
gelegt  sind. 

Die  Methode,  nach  welcher  die  Untersuchung  erfolgte, 
und  deren  auch  ich  mich  bei  meinen  in  Teplitz  durchge¬ 
führten  Messungen  bediente,  beruhte  auf  der  zuerst  von 
Elster  und  G eitel  eingeführten  Anordnung  und  sei  im 
folgenden  nach  Mach  es  Beschreibung  (1.  c.)  wiederge¬ 
geben. 

,,Ein  zylindrischer,  iiiiien  mit  dicht  anschließendem  Messing- 
drahtnelz  ausgekleideter  Glassturz  von  13-7  Liter  Inhalt  wurde  mit 
seinem  abgeschliffenen  Rande  auf  einen  massiven  Kupferteller 
aufgesetzt  und  mit  Vaselinfett  vollkommen  gedichtet.  Unter  dem 
Sturze  stand  ein  Exnersches  Elekiroskop  mit  Bernsteinisolation 
und  Spiegelahlesung  nach  Elster  und  Geitel,  auf  das  der  zy¬ 
lindrische  Zerstreuungskörper  aufgesetzt  war.  Das  Ablesen  des 
Elektroskops  geschah  durch  ein  Eens I er  aus  Spiegelglas,  das 
Laden  vermittels  einer  Magnetnadel,  die  von  außen  durch  einen 
kleinen  Stabmagnet  zum  Kontakt  mit  dem  den  Zerstreuungskörper 
tragenden  Stifte  gebi'acht  und  durch  eine  den  Kupferteller  isoliert 
durchziehende  Zuleitung  geladen  werden  konnte.  Zwei  Hähne, 
der  eine  im  Teller,  der  andere  in  einer  Oeffnung  des  Glassturzes 


')  H.  Mache,  Wiener  Ber.  1904,113,  Abt.  Ila,  1329;  H.jMache 
und  St.  Meyer,  ebenda  1905,  114,  Abt.  Ila,  355  und  545;  H.  Mache, 
St.  Meyer  und  E.  v.  S  c  h  w  e  i  d  I  e  r,  Wiener  Anzeigen  vom  16.  Fe¬ 
bruar  1905;  H.  Mache  und  St.  Meyer,  Physik.  Zeitschrift  1905, 
6,  692;  H.  Mache  und  St.  Meyer,  Wiener  Anzeigen  1905,  118. 


angebracht,  ermöglichten  die  Ausführung  der  folgenden  Operation : 
Es  wurde  vermittels  eines  durch  einen  Motor  oder  die  Hand  be¬ 
triebenen  Gummigebläses  die  unter  dem  Glassturz  enthaltene 
Luft  durch  den  einen  Habn  aspiriert,  weiter  in  heftigem  Blasen¬ 
strom  durch  das  ’untersuchte  Wasser  gepreßt  und  liierauf  über 
eine  Chlorkalziumvorlage  und  durch  den  zweiten  Hahn  in  den 
Apparat  zurückgebracht.  Bei  einer  Förderungsmenge  von  zirka 
3V2  Liter  Luft  pro  Minute  und  bei  der  gewöhnlich  verwendeten 
Wassermenge  von  400  cm®  war  dann  der  Gleichgewichtszustand 
in  längstens  einer  halben  Stunde  erreicht.  Da  die  in  den  Apparat 
getriebene  Emanation  sofort  auf  dessen  Wände  induzierend  ein¬ 
wirkt,  so  war  der  nach  dem  Aufhören  des  Durchpumpens  im 
Apparat  gemessene  Wert  des  Sättigungsstromes  bereits  zu  hoch 
und  mußte  um  diesen  auf  die  Aktivierung  durch  Induktion  ent¬ 
fallenden  Teilbeti'ag  korrigiert  werden.  Das  geschali  in  der  Weise, 
daß.  man  den  Apparat  durch  Abheben  des  Sturzes  und  kräftiges 
Ausblasen  lüftete  und  hierauf,  nachdem  der  Sturz  wieder  auf¬ 
gesetzt  worden  war,  durch  zumindest  eine  halbe  Stunde  das 
Abklingen  der  induzierten  Aktivität  beobachtete.  Der  aus  der 
hiefür  erhaltenen  Kurve  für  den  Zeitpunkt  Null  extrapolierte 
Wert  wurde  dann  in  Abzug  gebracht.  Eine  zweite  Korrektur 
bezog  sich  auf  denjenigen  Betrag  der  Emanation,  der  in  der 
Trockenvorlage,  dem  Gebläse,  den  Schlauchverbindungen  und 
endlich  noch  im  Wasser  nach  Erreichung  des  Gleichgewichts¬ 
zustandes  zurückbleibt  und  sich  bei  der  Messung  des  Sättigungs- 
sü’omes  im  Apparat  selbst  nicht  bemerkbar  macht.  Diese  letztere 
Korrektur  erhöht  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  die  Werte 
um  ca.  ilO®/o.“ 

Der  beschriebene  Apparat  ermöglicht  es,  aus  der  Ge¬ 
schwindigkeit,  mit  welcher  die  von  außen  her  durch  eine 
Zambonische  Säule  geladenen  und  zur  Divergenz  gebrach¬ 
ten  Blättchen  des  Elektroskopes  in  der  sie  umgebenden 
emanationshaltigen  Atmosphäre  wieder  zusammenfallen, 
einen  direkten  Schluß  auf  die  Menge  der  aus  der  untersuchten 
Flüssigkeit  ausgetriebenen  Emanation  zu  ziehen.  Der  be¬ 
obachtete,  in  Volt  ausgedrückte  Spannungsabfall  des  Elektro¬ 
skopes,  bezogen  auf  einen  Liter  Wasser  und  15  Minuten, 
gibt  somit  ein  brauchbares  Maß  der  Emanationsmenge.  Wird 
dieser  Wert  in  absoluten  elektrostatischen  Stromeinheiten 
ausgedrückt  (oder  in  Tausendsteln  derselben),  bezogen  auf 
einen  Liter  Wasser,  so  bildet  er  ein  absolutes,  von  der  Ver¬ 
suchsanordnung  unabhängiges  Maß  des  Emanationsgehaltes. 
Es  wäre  zu  wünschen,  daß  bei  ähnlichen  Untersuchungen 
—  im  Interesse  der  Vergleichbarkeit  ihrer  Ergebnisse  — 
die  Mache  sehe  Einheit  allgemeine  Anwendung  fände. 

Die  erste  Untersuchung  der  Teplitz-Schönauer  Quellen 
durch  H.  Mache  und  St.  Meyer  wurde  in  Wien  in  der 
Zeit  zwischen  dem  5.  Oktober  und  25.  November  1904  vor¬ 
genommen. 

Die  Entnabine  der  bezüglichen  Wasserprobeii  erfolgte  unter 
meiner  Aufsicht  im  Wasserspiegel  der  Quellschächte,  wobei  jede 
Vermischung  mit  Luft  sorgfältigst  vermieden  wurde.  Die  Ver¬ 
sendung  der  his  an  den  Rand  gefüllten  und  luftdicht  verschlossenen 
Flaschen  geschah  derart,  daß  die  Messungen  in  der  Regel  am 
folgenden  Tage  vorgenomnien  werden  konnten.  Auch  das  Quell¬ 
gas,  welches  in  den  Teplitz-Schönauer  Thermen  nur  sehr  spär¬ 
lich  auftritt  (zur  Ansammlung  von  einem  Liter  Gas  aus  der 
,, Urquelle“  in  einer  über  einen  Trichter  gestülpten  Flasche  be¬ 
nötigte  ich  24  Stunden)  wurde  der  Untersuchung  ziigeführt.  Die 
Resultate  derselben  gild  folgende  Tabelle  wieder: 


Volt  in 

15  Minuten 

i.  10^  in 

E.  S.  E. 

Temperatur 
in  Grad 
Celsius 

a)  Gas: 

Urquelle . 

503-6 

21  9 

— 

b)  Wasser: 

Steinbadquelle . 

151 

6-56 

32-5 

Schlangenbadquelle . 

150 

6-52 

39-0 

Frauenquelle . 

134 

5-81 

48-8 

Urquelle . 

114 

4-96 

45-9 

Augenquelle . 

72-2 

313 

21-9 

Wie  aus  der  Tabelle  ersichtlich  ist,  erscheinen  auch 
in  Teplitz  —  entsprechend  den  anderorts,  z.  B.  in  Gastein 
und  Baden-Baden,  gemachten  Beobachtungen  —  die  kühle¬ 
ren  Quellen  gegenüber  den  wärmeren  bezüglich  des  Emana- 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


47 


(iüiisgeluiltes  ein  wenig  bevorzugt  zu  sein,  wenn  auch  die 
Differenzen  sich  in  engen  Grenzen  halten. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Untersuchungen  von  Mache 
und  Meyer  habe  ich  fortlaufende,  über  den  Zeitraum  eines 
Jahres  sich  erstreckende  Messungen  der  Radioaktivität  des 
Teplitzer  Thermal wassers  durchgeführt.  Dieselben  wurden 
an  der  ,, Urquelle“  vorgenommen,  der  ältesten  und  berühm¬ 
testen  Quelle,  welche  auch  in  praktischer  Beziehung  am 
wichtigsten  ist,  da  sie  wegen  ihrer  großen  Ergiebigkeit  die 
meisten  Bäder  speist.  Die  Methode  der  Untersuchung  folgte 
der  olien  beschriebenen  Anordnung,  mit  der  einzigen,  bereits 
von  Mache  und  Meyer  angegebenen  Modifikation,  daß 
die  einfache  Bodenplatte  des  Apparates  durch  zwei  kon¬ 
zentrische,  ineinander  gestellte,  giserne  Schalen  ersetzt 
wurde,  deren  ringförmiger  Zwischenraum  mit  Kolophonium¬ 
wachskitt  einige  Millimeter  hoch  ausgegossen  und  darüber 
etwa  2  cm  hoch  mit  Quecksilber  aufgefüllt  wurde.  Das  Re¬ 
sultat  der  Messungen  enthält  die  folgende  Tabelle: 


Datum 

Luftdruck 

Volt  in 

15  Minuten 

i.  10^  in 

E.  S.  E. 

4.  Februar  1905  ... 

747 

112 

4-83 

7. 

» . 

747 

114 

4-96 

17. 

. 

746 

HO 

4-78 

24. 

» . 

741 

116 

5-04 

27. 

TO  ..... 

— 

113 

4-94 

4.  März 

t» . 

744 

102 

4-44 

15. 

*  .... 

739 

108 

4-70 

17. 

»  ,  ,  .  .  , 

— 

108 

4-70 

20 

» . 

744 

107 

4-65 

7.  April 

» . 

739 

105 

4-57 

11. 

»  ..... 

733 

112 

4-89 

14. 

y> . 

745 

107 

4-66 

17. 

y> . 

740 

HO 

4-78 

27. 

» . 

744 

HO 

4-78 

18.  Juli 

» . 

745 

90 

3-92  i 

2.  August 

» . 

743 

96 

4-17  i 

27.  Oktober 

» . 

751 

122 

5-31 

3.  November 

» . 

743 

HO 

4-78  ; 

10. 

» . 

742 

106 

4-61 

15. 

» . 

731 

113 

4-94 

11,  Dezember 

» . 

762 

113 

4-94 

18.  Januar  1906  .... 

745 

108 

4-70 

5.  Februar 

> . 

744 

99 

4-31 

Ziel  der  fortlaufenden  Beobachtung  einer  Quelle  war 
es  vor  allem,  festzustellen,  ob  die  Radioaktivität  ein  kon¬ 
stanter  oder  variabler  Faktor  ist,  eventuell  einen  etwaigen 
Zusammenhang  der  beobachteten  Schwankungen  mit  ande¬ 
ren,  der  Messung  zugänglichen  Faktoren  nachzuweisen.  Ein 
Ueberblick  der  obigen  Tabelle  zeigt,  daß  in  dem  Beobach¬ 
tun  gszeitraume  (ein  Jahr)  auffallend  große  Schwankungen 
nicht  wahrgenommen  wurden.  Der  größte  Teil  der  ermittel¬ 
ten  Zahlen  liegt  in  der  Wähe  des  mit  108  Volt  errechneten 
Durchschnittswertes,  hinter  welchen  der  Minimalwert  um 
•  17  o/o  zurückbleibt,  während  der  Maximalwert  ihn  um  nur 
130/0  übertrifft. 

Ich  glaube  mich  daher  zu  dem  Schlüsse  berechtigt, 
daß  die  Radioaktivität  der  Teplitzer  Urquelle  als 
eine  Eigenschaft  von  hoher  Konstanz  anzuspre¬ 
chen  ist,  und  daß  sie  speziell  von  der  Jahreszeit  voll¬ 
kommen  unabhängig  zu  sein  scheint.  Daß  sich  in  dieser 
Beziehung  nicht  alle  radioaktiven  Quellen  gleichmäßig  ver- 
verhalten,  geht  aus  einer  Notiz  Sievekings^)  hervor, 
welcher  an  den  in  ihrem  Aktivitätsgrade  ungefähr  den  Tep¬ 
litzer  Thermen  entsprechenden  Friedrichsquellen  zu  Baden- 
Baden  Schwankungen  von  über  50o/o  beobachtete  und  zu¬ 
gleich  —  auf  Grund  einer  brieflichen  Mitteilung  von  Mache 
—  berichtet,  daß  auch  die  Marienbader  Quellen  stark  schwan¬ 
kende  Werte  der  Aktivität  aufweisen. 

Was  den  etwaigen  Zusammenhang  der  festgestellten 
geringfügigen  Variationen  mit  anderen  Faktoren  betrifft,  so 
war  zunächst  ein  solcher  mit  der  Eigentemperatur  der  Ur¬ 
quelle  schon  deshalb  nicht  anzunehmen,  weil  dieselbe  mit 
großer  Beständigkeit  den  Wert  von  45-7  bis  45-9®  C  einhielt. 

*)  Berl.  klin.  WochenschrifL  1906,  Nr.  23  und  24. 


Ebenso  war  eine  Abhängigkeit  von  der  Lufttemperatur 
von  vornherein  unwahrscheinlich  und  die  Beobachtung  be¬ 
stätigte  diese  Vermutung,  so  daß  die  Anführung  der  bezüg¬ 
lichen  Zahlen  in  der  Tabelle  unterlassen  werden  konnte. 

Am  ehesten  wäre  noch  eine  Abhängigkeit  des  Emana¬ 
tionsgehaltes  vom  Luftdrucke  anzunehmen  gewesen,  ob¬ 
wohl  der  geringe  Gasgehalt  der  Urquelle  auch  dieser  An¬ 
nahme  nicht  günstig  war.  ln  der  Tat  lassen  sich  engere 
Beziehungen  zwischen  Barometerstand  und  Aktivität  aus 
meinen  Messungen  nicht  ableiten,  und  es  genüge  der  Hin¬ 
weis,  daß  der  beobachtete  höchste  und  niedrigste  Wert 
(90  Volt  am  18.  Juli  1905,  bzw.  122  Volt  am  27.  Okto])er  1905) 
bei  ungefähr  gleich  hohem  Luftdrucke  (745,  bzw.  751  mm) 
festgestellt  wurden. 

Die  Ursachen  für  die  Beständigkeit  des  Emanations¬ 
gehaltes  sind  wohl  in  der  eigentümlichen  geologischen  Be¬ 
schaffenheit  des  Quellursprunges  zu  suchen,  welche  es  auch 
erklärt,  daß  sowohl  Temperatur  wie  auch  Quantität  drr 
Therme  merklichen  Schwankungen  nicht  unterliegen.  Die 
Teplitzer  Thermen  entspringen  aus  Pörphyrspalten  von 
großer  Tiefe  und  zählen  zu  jener  Gruppe  der  warmen  Quellen, 
welche  Eduard  Suess  als  ,,juvenile  Thermen“  be¬ 
zeichnet  hat.  In  dem  klassischen  Vortrage,  welchen  der 
Altmeister  der  Geologie  auf  der  Karlsbader  Versammlung 
deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  (1902)  gehalten  hat, 
unterschied  er  ,,vadose“  und  ,, juvenile“  Heilquellen.  Mit 
dem  ersteren  —  von  Posepny  (1893)  herrührenden  — 
Namen  umfaßt  er  alle  jene  Quellen,  die  „aus  der  Infiltra¬ 
tion  von  Tägwässern  hervorgehen“ ;  die  Bezeichnung  ,, juve¬ 
nil“  gibt  er  jenen,  welche  „als  Nebenwirkungen  vulkani¬ 
scher  Tätigkeit  aus  den  Tiefen  des  Erdkörpers  aufsteigen 
und  deren  Wässer  zum  erstenmal  an  das  Tageslicht 
treten“.  Zu  den  vadosen  Thermen  oder  Wildbädern  zählt 
Eduard  Suess  Bormio,  Ragaz-Pf äf ers  und  Gastein. 
wobei  bezüglich  des  letztgenannten  die  Frage  nach  dem 
Zutritte  juveniler  Wässer  offen  bleibt,  zur  Gruppe  der  juve¬ 
nilen  Thermen  Te plitz  und  Plombieres.  Es  wäre  in¬ 
teressant,  festzustellen,  ob  und  in  welcher  Hinsicht  sich 
die  Radioaktivität  vadoser  und  juveniler  Thermen  verschie¬ 
den  verhält,  doch  scheint  mir  der  Zeitpunkt  für  eine  diesem 
Gesichtspunkte  folgende  Gruppienmg  des  vorhandenen  Be¬ 
obachtungsmateriales  mangels  genügender  Vollständigkeit 
des  letzteren  noch  nicht  gekommen. 

Neben  der  fortlaufenden  Beobachtung  der  Urquelle 
wurden  gelegentlich  auch  Einzelmessungen  der  übrigen 
Quellen  vorgenommen.  Ferner  wurde  in  einem  Versuche  die 
—  der  Radiumemanation  genau  entsprechende  —  Abklin- 
gungskurve  der  Urquellenemanation  festgestellt.  Da  die  Re¬ 
sultate  mit  denen  Mach  es  und  Meyers  übereinstimmen, 
sei  auf  ihre  Wiedergabe  verzichtet. 

Wenn  wir  uns  nun  der  Frage  zuwenden:  Hat  die 
Radioaktivität  der  Thermen  die  Bedeutung  eines 
wirksamen  und  heilenden  Faktors?,  so  ergibt  eine 
Uebersicht  der  bisherigen  Literatur,  daß  diese  Frage  ein¬ 
hellig  mit  einer  Sicherheit  und  einem  Vertrauen  bejaht  wird, 
welchem  der  Umfang  des  vorhandenen  exakten  Beobach¬ 
tungsmateriales  vorläufig  noch  nicht  entspricht.  Letzteres 
erscheint  begreiflich,  wenn  man  einerseits  die  Kürze  des 
Zeitraumes,  über  welchen  sich  die  diesbezüglichen  For¬ 
schungen  erstrecken,  anderseits  die  Schwierigkeiten  erwägt, 
welche  sich  der  experimentellen  Feststellung  der  reinen 
Emanationswirkung  entgegentürmen.  Es  liegt  nicht  im  Rah¬ 
men  dieser  Ausfühi-ungen,  alles  zusaiPmenzutragen.  was 
wir  bisher  über  den  biologischen  Effekt  der  Radiumstrah¬ 
lungen  wissen.  Nur  kurz  sei  folgendes  hervorgehoben : 

Bouchard,  Curie  und  Balthazard,^)  sowie  Dorn 
und  Wall  stab  e^)  haben  Mäuse  emanationshaltige  Luft  ein- 
atmen  lassen  und  sahen  die  Tiere  hiebei  nach  neun  Stunden 
bis  vierzehn  Tagen  zugrumle  gehen.  Der  intensive,  bei 
stärkerer  Dosierung  entzündungserregende  Einfluß  der  Ra- 

Comptes  Rendus  1904,  138,  1384. 

*)  Physikal.  Zeitschrift  1904,  Nr.  18. 


48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


(liunislralilung  auf  die  Haut  ist  von  vielen  Seiten  studiert 
und  zur  Grundlage  erfolgreicher  therapeutischer  Verwen¬ 
dung  (bei  Epitheliomen,  Lupus^  Nävis  usw.)  gemacht  worden. 
In  der  Netzhaut  des  geschlossenen  Auges  erregen  Radium¬ 
strahlen  eine  Lichtempfindung.  Die  hypertrophische  Pro¬ 
stata  soll  nach  Altmann^)  durch  die  Emanation  des 
Gasteiner  Wassers  günstig  beeinflußt  werden.  Bakterizide 
Wirkungen  der  Emanation  wurden  mehrfach  festgestellt, 
unter  anderen  von  Kalmann*^)  am  Gasteiner  Thermal¬ 
wasser.  Endlich  scheint  die  Emanation  —  nach  Versuchen 
von  Bickel  —  Femiente  aktivieren  zu  können. 

Dieser  kurze  Ueberblick  des  bisher  ermittelten  Beob- 
acbtungsmateriales  läßt  erkennen,  daß  wir  iin  dem  Radium 
und  den  von  ihm  emittierten  Strahlungen  ein  Agens  von 
hoher  Wirksamkeit  auf  den  Organismus  besitzen,  und  macht 
es  l)egreiflich,  daß  man  geneigt  ist,  der  in  den  Thermen 
enthaltenen  Radiumemanation  bei  der  Erklärung  der  hei¬ 
lenden  Wirkungen  eine  bedeutungsvolle  Rolle  zuzuteilen. 
Daß  Emanation  vom  menschlichen  Ko'rper  aufgenommen 
wird,  haben  Elster  und  GeiteF)  ziierst  festgestellt.  Nach 
ihren  yersuchen  kann  der  Körper  durch  fortgesetztes  Ein¬ 
atmen  emanationshaltiger  Luft  merkliche  Mengen  von  Ema¬ 
nation  aufspeichern,  die  zum  Teil  beim  Atmen  in  inaktiver 
Luft  wieder  abgegeben  wird.  Den  Vorschlag  der  beiden 
l^’orscher,  die  Aufnahme  radioaktiver  Substanzen  durch  den 
Körper  nach  dem  Genüsse  emanationshaltiger  Wässer  zu 
untersuchen,  haben  später  R.  Stegmann  und  G.  Just®) 
an  der  Büttcpielle  (Baden-Baden)  durchgeführt.  Tranken  die 
Autoren  ein  Quantum  (bis  zu  einem  Liter)  der  stark  radio¬ 
aktiven  Büttquelle,  so  enthielt  die  nachher  ausgeatmete  Luft 
größere  Mengen  von  Emanation.  Die  Ausscheidung  erreichte 
etwa  15  bis  25  Minuten  nach  dem  Trinken  ein  Maximum, 
um  dann  allmählich  —  innerhalb  ein  bis  zwei  Stunden 
—  auf  Null  zu  sinken.  Eine  approximative  Berechnung  er¬ 
gab,  daß  die  durch  die  Lunge  ausgeschiedene  Emanations¬ 
menge  den  weitaus  größten  Teil  der  überhaupt  mit  dem 
Wasser  eingeführten  Emanation  darstellte.  Auch  bei  Ein¬ 
verleibung  der  Büttquelle  per  Klysma  wurde  ,die  Emanation 
in  der  Exspirationsluft  nachgewiesen.  Hingegen  zeigte  der 
Urin  keinen  vermehrten  Emanationsgehalt,  so  daß  jedenfalls 
auf  diesem  Wege  größere  Mengen  der  eingenommenen  Ema¬ 
nation  den  Körper  bei  normaler  Nierenfunktion  nicht  ver¬ 
lassen  dürften. 

Aus  diesen  Untersuchungen  ergi])t  sich  die  balneo- 
therapeutische  Konsequenz,  beim  Gebrauche  radioaktiver 
Thennen  sich  nicht  auf  die  Badekur  zu  beschränken,  son¬ 
dern  auch  die  Trinkkur  damit  zu  kombinieren.  Auch  in 
Teplitz-Schönau,  wo  übrigens  das  Thennalwasser  von  alters- 
ber  vielfach  getrunken  wird,  wird  der  Trinkkur  künftig  er¬ 
höhte  Aufmerksamkeit  zu  schenken  sein. 

Daß  beim  Bade  in  radioaktiven  Quellen  Emanation 
in  den  Körper  aufgenommen  wird  —  zum  mindesten  durch 
Inhalation  des  mit  Emanation  geschwängerten  Wasser¬ 
dampfes  —  steht  als  sicher  zu  vermuten,  obwohl  der  ein¬ 
wandfreie  Nachweis  weder  Wick,^)  noch  Stegmann  und 
Just  (1.  c.)  bisher  gelungen  ist.  Mit  Recht  hat  Wiek  die 
Forderung  aufgestellt,  daß  durch  zweckmäßige  Zuleitung  des 
Thermalwassers  zu  den  Badewannen  der  Emanalionsverlust 
möglichst  einzuschränken  sei.  In  Teplitz-Schönau  ist  dieser 
Forderung  Rechnung  getragen,  und  durch  mehrfache  Mes¬ 
sungen  konnte  ich  mich  überzeugen,  daß  die  Aktivitätsdiffe¬ 
renz  zwischen  Quellursprung  und  Badewanne  die  zulässigen 
Grenzen  nicht  überschreitet.  Die  oben  erwähnte  Armut  der 
Teplitzer  Thermen  an  Quellgas  scheint  mir  bezüglich  des 
Badegebrauches  direkt  vorteilhaft  zu  sein.  ,, Quellen  mit 
starker  Gasentwicklung  sind  naiurgemäß  schwächer  radio¬ 
aktiv  wie  gasarme,  da  durch  die  Quellgase  die  Emanation 
entsprechend  verdünnt  und  ein  großer  Teil  derselben  aus 


®)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  Nr.  49. 
Q  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  Nr.  22. 
U  Physikal.  Zeitschrift  1904,  5,  Nr.  22. 

®)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906,  Nr.  25. 
")  Berliner  klin.  Wochenschrift  1906,  Nr.  15. 


dem  Wasser  entfernt  wird.“  (v.  d.  Borne.^®)  Nebenbei  be¬ 
merkt,  halte  ich  die  Gasarmut  auch  für  die  Hauptursache 
jener  Eigenschaft  d'er  Teplitzer  Thermen,  Welche  seit  Jahr¬ 
hunderten  an  ihnen  gerühmt  wird  :  daß  sie  nämlich  in  keiner 
Weise  aufregend  auf  den  Körper  wirken  und  daher  auch  von 
alten,  dekrepiden  Patienten,  Arterioskerotikern  u.  dgl.  vor¬ 
züglich  vertragen  werden.  I 

Fragen  wir  uns  nun  aber,  wo  und  in  welcher  Weise 
bei  jenen  Krankheitszuständen,  deren  günstigste  Beeinflus¬ 
sung  durch  die  Akratothermen  seit  Jahrhunderten  erprobt 
ist:  chronischer  Gelenks-  und  Muskelrheumatismus, 'Arthri¬ 
tis  deformans,  Gicht,  Neuralgien,  speziell  Ischias  etc.,  die 
in  den  Körper  auf  genommene  Emanation  lihre  Wirksamkeit 
entfaltet,  so  stehen  wir  vor  Rätseln,  deren  Dunkelheit  wohl 
noch  lange  auf  Erhellung  warten  wird.  Noch  immer  sind 
wir  auf  den  problematischen  Begriff  der  ,, Umstimmung“ 
des  kfanken  Organismus  angewiesen.  Wir  müssen  zufrieden 
sein,  daß  es  der  Physik  gelungen  ist,  in  der  radioaktiven 
Energie  eine  —  vermutlich  sehr  bedeutungsvolle  —  Kom¬ 
ponente  der  Heilkraft  ermittelt  zu  haben.  Damit  ist  zugleich 
die  Erklärung  der  längst  bekannten  Tatsache  gegeben,  daß 
die  Heilquellen  ihren  maximalen  Effekt  nur  an  Ort  und 
Stelle  entfalten,  durch  Abfüllung  und  Versendung  hingegen 
eine  wesentliche  Einbuße  an  Wirkung  erfahren:  die  Ema¬ 
nation  verschwindet  nach  wenigen  Tagen  spurlos  aus  dem 
Wasser,  dessen  chemische  Zusammensetzung  nicht  alteriert 
zu  sein  braucht. 

Analog  der  künstlichen  Herstellung  von  Mineralwässern 
auf  chemischem  Wege  fehlt  es  auch  nicht  an  Versuchen, 
künstliche  ,, Radiumbäder“  zu  erzielen.  Neuss  er  ist 
unter  Benutzung  der  bei  der  Urangewinnung  in  Joachims¬ 
tal  erübrigenden  hochaktiven  Pechblendenrückstände  auf 
diesem  Wege  vorangegangen.  Die  Zukunft  wird  lehren,  ob 
diese  künstlich  radioaktivierten  Wässer  mit  den  natürlich 
radioaktiven  erfolgreich  konkurrieren  können.  Jedenfalls  er¬ 
scheint  es  bemerkenswert,  daß  bereits  eine  Beobachtung 
vorliegt,  welche  dafür  zu  sprechen  scheint,  daß  natürliche 
und  künstliche  Emanation  sich  nicht  identisch  verhalten. 
Sie  stammt  von  Rei nh ol dt,^^)  der  die  bakterizide  Wirkung 
des  frischen  Kissinger  Rakoczy-Brunnens  mit  derjenigen 
künstlich  radioaktivierten  alten  Rakoczy-Wassers  verglich 
und  hiebei  zu  der  Annahme  gelangte,  ,,daß  die  künstlich 
zugeführte  Radiumemanation  viel  rascher  aus  dem  Wasser 
entweicht  als  die  natürlicherweise  im  Wasser  enthaltene“. 

Eines  steht  fest:  Durch  die  Entdeckung  der  Radio¬ 
aktivität  ist  für  die  Thermalquellen  ein  neuer,z  ahl  e  nm  äßi  g 
aus  gedrückter  Faktor  gewonnen  worden,  der  in  Zukunft 
—  neben  dem  Temperaturgrade  ■ —  bei  der  Charakterisierung 
der  Thermen  eine  große  Rolle  spielen  wird.  Ich  würde  Vor¬ 
schlägen,  das  Produkt  aus  Emanationsgehalt  und  Tempera¬ 
tur  als  den  ,,Aktivitäts Wärmekoeffizienten“  oder 
,,physi kalis  dien  Wertkoeffizienten“  der  Thermen 
zu  bezeichnen. 

Zwischen  Wärme  und  Aklivitätsgrad  besteht  ein  ge¬ 
wisser  Autagonismus,  über  welcheu  Mache  (I.  c.)  folgendes 
sagt:  ,,Ein  einfacher  Zusammenhang  des  Emanationsgehaltes 
mit  der  Temperatur  begeht  nicht  und  ist  in  Anbetracht  der 
vielen,  für  diesen  Gehalt  mitbestimmenden  Faktoren  wohl 
auch  nicht  zu  erwarten.  Jedenfalls  ist  es  eher  noch  wahr¬ 
scheinlich,  daß  die  kälteren  Thermen  vor  den  heißen  be¬ 
günstigt  sind,  da  die  Absorptionsfähigkeit  des  Wassers  für 
radioaktive  Emanation,  sowie  für  jedes  andere  Gas  mit  stei¬ 
gender  Temperatur  abnimmt,  ln  der  Tat  ist  die  kälteste 
unter  den  Quellen  Gasteins,  die  Grabenbäckerquelle,  die  an 
Emanation  reichste,  während  die  heißeste,  die  Quelle  im 
Rudolf-Stollen,  unter  den  Thermen  an  vorletzter  Stelle  steht.“ 
Es  ist  sonach  wohl  die  Behauptung  berechtigt,  daß  einer 
Therme  —  unheschadet  ihrer  empirisch  festgestellten  Wirk¬ 
samkeit  —  a  iiriori  ein  um  so  höherer  Rang  zuzuerkennen 
sein  wird,  je  höher  ihr  ,, physikalischer  Wertkoeffizient“  ist. 


1®)  Jahrbuch  für  Radioaktivität  und  Elektronik  1905,  Bd.  2,  Heft  1. 
")  Berl.  klin.  Wochenschrift  1906,  Nr.  20. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCIIRIET.  1907. 


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d.  h.  je  liöliere  Temperatur  und  Aktivitätsgrade  sich  in  ihr 
vergesellschaften.  In  dieser  Hinsicht  nehmen  die  Teplitz- 
Schönaiier  Thermen  eine  hervorragende  Stellung  ein, 
da  sie  mit  hoher  Temperatur  (47  bis  49°  C)  einen  relativ 
großen  Emanationsgehalt  verhinden.  Ihr  ,, Aktiv! tätswärme- 
koeffizient“  wird  speziell  unter  den  von  Mache  und  Meyer 
untersuchten  Heilquellen  Oesterreichs  nur  von  den  Gasteiner 
Thermen,  sowie  vom  Karlsbader  Mühlbrunn  und  Schloß- 
hriinn  übertroffen. 


Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  A.  Weichselbaum.) 

Ein  Fall  von  Aktinomykose  der  großen  Zehe. 

Von  Dr.  Klilbi?. 

Bei  dem  27jähi'igeii  Kellner  C.  P.  entzündete  sich,  atigel)- 
lich  durch  den  Druck  sehr  enger  Schuhe  veranlaßt,  im  Jahre  1898 
die  große  Zehe  des  rechten  Fußes  und  schmerzte  heftig.  Auf 
dem  Rücken  der  Zehe  bildete  sich  ein  Geschwür,  das  reichlich 
Eiter  produzierte.  Später  war  die  ganze  Zehe  geschwollen,  ge- 
rölet;  der  Nagel  lockerte  sich  unter  Eiteiimg  langsam,  so  daß 
ihn  nach  drei  Wochen  der  Patient  seihst  entfernte.  Dann  klang 
die  Entzündung  bald  ab,  der  Nagel  wuchs  wieder,  die  Zehe  ge¬ 
wann  ihr  früheres  Aussehen.  Einige  Monate  darauf  glaubte  der 
Patient  zu  bemerken,  daß  die  Zebe  etwas  dicker  wurde.  Schmerzen 
oder  Beschwerden  hatte  er  zu  dieser  Zeit  nicht.  Im  Herbst  1900 
(also  zwei  Jahre  nach  der  Abstoßung  des  Nagels)  liegann  d  i  e 
Zehe  sich  ziemlich  rasch  zu  vergrößern  und  (u-- 
reichte  bald  einen  fast  dreimal  so  großen  Umfang 
wie  die  normale  linke.  Zugleich  bildeten  sich  auf  der  Haut 
kleine  Blasen  mit  einem  wässerigen  Inhalt,  die  später  eiterten. 

Pat.  hatte  keine  Schmerzen,  verspürte  nur  hie  und  da 
ein  Jucken  und  ein  unangenehmes  Hitzegefühl.  Da  die  an  Umfang 
immer  mehr  zunehmende  Zehe  beim  Gehen  sehr  stark  genierte, 
ließ  Pat.  sich  im  Januar  1901  in  das  'Wiener  allgemeine  Kranken¬ 
haus  (Klinik  weil.  Albert)  aufnehmen.  Hier  wurde  dann  dem 
Manne  die  Amputation  der  Zehe  vorgeschlagen  und  nach  Aus¬ 
führung  der  Operation  das  enukleierte  Glied  zwecks  Feststellung 
der  Diagnose  dem  pathologischen  Institut  übergeben. 

Pat.  wurde  einen  Monat  später  geheilt  entlassen. 

P  a  t  h  0 1  o  g  i  s  c  h  -  a  n  a  t  o  m  i  s  c  h  e  r  B  e  f  u  n  d  : 

Die  von  der  Nagelspitze  bis  zum  Metatarsophalangeal  gelenk 
7V2  cm  lange  und  maximal  7  cm  breite  große  Zehe,  hat  eine 
keulenförmige,  plumpe  Gestalt,  indem  der  Hals  der  Keule  dem 
Metatarsophalangealgelenk  entspricht,  während  der  Kopf  zirka 
15  cm  an  Umfang  messend,  dem  Nagelgliede  angehört.  Die  Haut 
ist  blaurot,  mit  Borken  und  sich  abstoßender  Epidermis  bedeckt. 
Der  schmale  Nagel  zeigt  in  der  Mitte  eine  längs  verlaufende 
Knickung  in  seiner  Substanz  und  ist  an  den  Rändern  von  der 
umgebenden  Haut  überdeckt.  Auf  dem  Durchschnitt  sieht 
man  ein  gleichmäßig  glänzendes,  grauweißes  Gewebe,  das  sich 
ziemlich  derb,  jedoch  nicht  knochenhart  anfühlt,  ohne  Eite¬ 
rungen  und  Fistelbildung.  Der  Knochen  ist  unverändert, 
die  Epidermis  bedeutend  verdickt. 

Das  mikroskopische  Bild  ist  folgendes : 

Die  Epidermis  ist  an  der  Plantar-,  wie  an  der  Volarseite 
sehr  stark  verdickt.  Unterhalb  der  Epidermis  befindet  sich  ein 
auffallend  derbes,  kernarmes,  teilweise  in  hyaliner  Degeneration 
begriffenes  Bindegewebe,  welches  auffallend  breite  Faserzüge  zeigt. 
In  diesen  sieht  man  einzelne  aktinomyzesähnliche  Herde  von 
folgender  Beschaffenheit:  Die  Mitte  wird  eingenommen  von  eine'm 
Gewirre  von  Gram -positiven  Myzelfäden,  die  breit  und  an  den 
Enden  abgerundet  sind.  Bei  schwacher  Vergrößerung  scheint  cs, 
als  ob  die  Fäden  segmentiert  wären;  bei  Oelimmersion  erkennt 
man  in  den  Fäden  deutlich  runde  oder  ovale,  intensiver  gefärbte 
Stellen,  die  mit  blassen  Verbindungsgliedern  abwechseln.  Dia 
stets  iidensiv  gefärbten  Endpole  treten  besonders  deutlich  hervor, 
so  daß  die  kürzeren  Fäden  Bazillen  mit  Polfärbung  gleichen. 
Die  längeren  Fäden  zeigen  echte  Verzweigungen,  ln  den  nach 
G  ram- Weigert  oder  Boström  gefärbten  Schnitten  sind  die 
Pilzfäden  einzeln  gut  zu  erkennen,  in  Schnitten  nach  Schlegel, 
Sata,  Unna  (Wasserblau)  färbt  sich  das  Zentrum  diffus.  Säure¬ 
fest  sind  die  Pilzfäden  nicht.  Umgeben  wird  das  zentrale  Faden¬ 
werk  von  einem  hellen,  eigentümlich  glasigen,  oft  sehr  breiten 
Ring,  der  bei  Gram-W’'eigert-  oder  Boström-Färbung  hell- 
gell),  bzw.  gelbrol  erscheint.  An  einigen  Stellen  füllt  diese  glasige 
Masse  die  Milt(“  ganz  aus  und  nur  vereiuzelh',  eben  angedeulele 
Fäden,  oft  nur  die  deutlicher  gefärbten  Pole  oder  mikrokokkeji- 
artige  Kügelchen  sind  bei  Oelimmersion  nachzuweisen.  Isolierte 


einzelne  Kolben  finden  sich  nirgends.  An  die  homogene  Schiebt 
schließt  sich  unmittelbar  nach  außen  eine  aus  Rundzellen  be¬ 
stehende  Zone  an,  die  wiederum  von  einem  gefäßreichen  Granu- 
lationsgewebc  umgeben  ist  und  in  die  früher  erwähnten  Bitule- 
gewebsbündel  übergeht. 

Nicht  selten  werden  aber  die  Myzelfäden,  oder  die  homo¬ 
genen  Partien  direkt  von  Granulationsgewebe  eingescblossen.  Die 
beschriebenen  Pilzberde  finden  sich  nur  ausnahmsweise  unterhalb 
einer  deutlich  verschmälerten  Epidermisschicht,  ein  Fistelgang 
nach  außen  ist  auch  in  Seriensebnitten  nicht  uachzuweisen. 

Iti  Uehereinstimmiing  mit  der  Anamnese  dürfte  dieser 
Befund  so  zu  deuten  sein,  daß  die  subku tauen  Eiterherde 
über  kurz  oder  lang  auf  gebrochen  wären,  ähnlich*  so,  wie  es 
nach  Angabe  des  Patienten  vor  zwei  bis  drei  Monaten  zeit¬ 
weise  der  Fäll  gewesen  war. 

Nimmt  man  an,  daß  während  der  Nagelbettentzündung 
die  Infektion  mit  Aktinomyzes  eintrat  (und  hiefür  sprechen 
sowohl  die  Angabe  des  Patienten,  daß  die  Zehe  bald  nach 
Abstoßung  des  Nagels  sich  schon  ein  wenig  vergrößerte, 
wie  die  Tatsache,  daß  anfangs  die  Haut  der  Zehe  intakt 
blieb),  so  haben  wir  eine  Latenzdauer  von  zwei 
Jahren.  Vielleicht  durch  eine  äußere  Ursache  veranlaßt, 
fand  der  Mikroorganismus  einen  neuen  Angriffspunkt,  von 
dem  aus  er  in  drei  Monaten  die  große  Zehe  zu  der  er¬ 
wähnten  Dicke  auf  trieb. 

Es  liegt  der  Gedanke  nahe,  daß  die  Transporteure 
des  Krankheitserregers  Stroh  oder  Einlegesohlen  von  Stroh 
waren  und  besonders  das  letztere  gewinnt  angesichts  des 
Berufes  des  Patienten  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit.  Doch 
konnte  ich  nähere  Aufschlüsse  darüber  nicht  mehr  be¬ 
kommen.  I 

Von  Wichtigkeit  ist  ferner  die  Lokalisation  und  das 
klinische  Krankheitsbild,  ln  der  ausführlichen  Kasuistik  von 
mich  aus  dem  Jahre  1892  sind  421  Mitteilungen  gesammelt, 
von  denen 

218  den  Kopf  und  Hals, 

16  die  Zunge, 

58  die  Lunge, 

89  den  Bauch, 

11  die  Haut  ah  Eingangspforte  hatten  und 
29,  deren  Infektionsino  lus  nicht  ermittelt  werden 
konnte.  Seitdem  fanden  sich  bis  zum  1.  Januar  1906  in 
der  mir  zugänglichen  Literatur  530  neue  einschlägige  Mit¬ 
teilungen,  die  nach  der  Invasionspforte  sich  folgendermaßen 
verteilen ; 

Kopf  und  Hals:  295  ((Infektionspforte:  Schleimhäute), 

Lunge :  90, 

Bauch :  105, 

Haut :  21, 

?  :  19. 

Unter  insgesamt  951  Fällen  also  32,  in  denen  die  In¬ 
fektion  von  der  Haut  ausgeht,  und  unter  diesen  32  Mit¬ 
teilungen  4  Fälle  von  Aktinomykose  des  Fußes. 

Was  das  Krankheitsbild  angeht,  so  sehen  wir  hier 
gegenüber  der  gewöhnlichen  Form  der  eitrigen  Ein  Schmel¬ 
zung  und  Fistelbildung  ein  derbes  Bindegewebe,  das 
den  Charakter  der  Entzündnng  fast  vollkommen  verbarg 
und,  abgesehen  von  den  vorübergehenden  Geschwüren,  eher 
einen  rapid  gewachsenen  Tumor  vermuten  ließ.  Verwechs¬ 
lungen  von  Aktinomykose  des  Menschen  mit  Tümoren  in 
klinischer,  wie  histologischer  Richtung  sind  allerdings  schon 
häufiger  betont  worden.  Aktinomykose  der  Niere,  die  wie 
Fibrom  aussah  (Birch-H  i  rschf  eld,  Eulenburg)  Tumo¬ 
ren  der  Unterlippe  und  Zunge,  die  ein  Karzinom  (Koch), 
bzw.  ein  Gumma  (G  arein,  Schlange)  vortäuschten ;  einem 
Fibrosarkom  sehr  ähnliche  Ileocökaltumoren  (Hofmeister) 
und  andere.  Zu  erwähnen  wäre  hier  auch  eine  von  Friis 
beschriebene  Aktinomykose,  die  als  ein  großer  fester  Tumor 
die  ganze  linke  Fossa  iliaca  ausfüllte,  ohne  Eiterherde.  Der 
Tumor  wurde  als  Sarkom  betrachtet,  mit  dem  Mikroskop 
aber  als  Aktinomykose  erkannl. 

Die  Entwicklung  des  Krankheilsbildes  erinnert  an 
zwei  ähnliche  Beobachtungen  in  der  Literatur.  E.  Müller 
sah  nach  einer  Latenzdauer  von  zwei  Jahren  (Handver- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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lelzuiig  mit  Holzsplitter)  eiitzündliclie  Symptome  auftreteii, 
Bollinger  16  Jahre  (vielleicht  sogar  50  Jahre)  nach  der 
Infektion  eine  aktinomykotische  Osteomyelitis  sich  ent¬ 
wickeln.  Der  Fall  von  Bollinger  gleicht  anch  Insofern  dem 
vorliegenden,  als  bindegewebige  Venvachsmigen,  fibröse  In¬ 
duration  und  Verdickung  der  äußeren  Weichteile  die  Aktino- 
myzeskolonien  einschlossen. 

Während  die  erwähnten  Einzelheiten  die  Interessen¬ 
sphäre  des  Pathologen  und  Klinikers  berühren,  dürfte  dem 
Bakteriologen  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  dem  Madura- 
fuß  anffallen.  Die  Art  der  Infektion  und  die  strenge  Lokali¬ 
sation,  der  chronische,  gutartige  Verlauf  und  die  bedeutende 
Verdickung  der  Epidermis  einerseits ;  anderseits  die  Ab¬ 
kapslung  der  Eiterherde  durch  derbes,  hyalin  degeneriertes 
Bindegewebe,  der  degenerierte,  glasig-homogene,  stark  aus¬ 
gebildete  Strahlenkranz,  die  zeitweise  offenen  Fistelgänge 
nach  außen  könnten  an  eine  Identifizierung  mit, dem  Madura- 
fuße  denken  lassen.  Da  aber  die  Schnittfärbungen  darüber 
keinen  Aufschluß  geben  und  die  kulturelle  Untersuchung  des 
erst  nachträglich  gefundenen  Pilzes  fehlt,  möchte  ich  zu 
dieser  Frage  keine  Stellung  nehmen,  zumal,  da  über  den 
Erreger  der  Madurafuh  genannten  Gewebsveränderungen 
eine  einheitliche  Auffassung  vorläufig  nicht  besteht. 

Literatur: 

Bollinger,  Heber  primäre  Aktinomykose  der  Fußwurzelknochen 
München,  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  1.  —  II lieh,  Beitrag  zur 

Aktinomykose.  Wien  1892.  —  v.  Li  eh  lein,  Heber  die  Aktinomykose 
der  Haut.  Beitrag  zur  klin.  Chirurgie,  Bd.  27.  —  Schürmayer,  Heber 
Aktinomykose  des  Menschen  und  der  Tiere.  Zentralblatt  für  Bakteriologie, 
Bd.  27,  Nr.  2.  —  T  u  s  i  n  i,  Heber  Aktinomykose  des  Fußes.  Archiv  für 
klin.  Chirurgie,  Bd.  62.  —  Schlegel,  Aktinomykose  in  Kolle  und 
Wassermann.  Handbuch  der  path.  Mikroorg.  —  Babes,  Madurafuß,  in 
Kolle  und  Wassermann.  Handbuch  der  path.  Mikroorg. 


Erwiderung  auf  den  Vortrag  L  Töröks  „Die 
Angioneurosenlehre  und  die  hämatogene  Haut¬ 
entzündung.^' 

Von  Prof.  Dr.  K.  Kreihicli. 

In  der  Auffassung  des  Zustandekommens  vieler  Haut¬ 
krankheiten  stehen  sich,  heute  zwei  Ansichten  schroff  gegen¬ 
über.  Schaltet  man,  um  die  Sache  so  einfach  wie  möglich 
zu  gestalten,  die  schwerer  verständlichen,  exsudativen  Ery¬ 
theme  aus  und  sieht  für  die  vorliegende  Diskussion  von 
anderen  Autoren,  welche  für  diese  oder  jene  Ansicht  sind, 
ab,  so  ist  das  strittige  Objekt  die  Urtikaria  und  die  Streiten¬ 
den  sind  Török  und  ich.  Török  leugnet  jede  angioneuro- 
tische  Entzündung,  faßt  die  Quaddel  als  eine  durch  toxische 
Beeinflussung  der  Gefäßwand  entstandene  seröse  Entzün¬ 
dung  auf;  ich  behaupte,  „jede  Quaddel  entsteht  als  angio- 
neurotisches  Oedem  durch  Neiweneinfluß.  Auf  die  Quaddel 
kann  echte  Entzündung  folgen;  diese  kann  nun  ihren  Grund 
entweder  in  der  direkten  Schädigung  der  Gefäßwand  durch 
jenes  Toxin  haben,  welches  anfangs  durch  Einwirkung  auf 
den  Gefäßnerv  die  Quaddel  verursachte  (Urticaria  externa); 
oder  sie  kann  die  Folge  der  ersten  intensiven  Nervenerre¬ 
gung  sein  (Urticaria  interna).“ 

Jeder  sucht  seine  Ansicht  durch  Experimente  zu 
stützen.  Philipp  son,  der  sich,  wie  ich  glaube,  in  der 
Frage  bereits  längere  Zeit  nicht  geäußert  hat,  sowie  Török 
und  Hari  stützen  sich  auf  Tierversuche,  ich  mich  auf 
klinische  Beobachtungen  und  Experimente.  In  einer  aus¬ 
führlichen  Darstellung  des  Gegenstandes  versuchte  ich  den 
Beweis  zu  erbringen,  daß  die  Versuche  Philipp  sons  und 
Töröks  nicht  ausreichen,  beim  Zustandekommen  der  Quad¬ 
del  den  Nerveneinfluß  auszuschließen.  Gegen  die  Versuche 
Philipp  SOUS  läßt  sich  einwenden,  daß  z.  B.  nach  Durch¬ 
schneidung  des  Halssympathikus  am  Ohre  nicht,  jeder  Ner¬ 
veneinfluß  erloschen  ist,  weil  nach  den  Versuchen  von  Gor¬ 
ge  ns,  Weher,  VelCli  und  Lewascher  wahrscheinlich 
periphere  Ganglien  die  Funktion  proximaler  Zentren  über¬ 
nehmen.  Um  diesem  Einwand  zu  begegnen,  haben  Török 
und  Hari  an  Hunden  derart  operiert,  daß  sic  vorwiegend 


in  der  Unterbauchgegend  mittels  feiner  Glaskapillaren 
toxische  Substanzen  meist  in  höherer  Konzentration  in¬ 
jizierten  und  danach  Quaddelbildung  beobachteten.  Sie  imi¬ 
tierten  also  den  Insektenstich  und  ich  kann  nicht  finden, 
daß  bei  diesem  Versuch  der  Nerveneinfluß  ausgeschaltet 
ist,  zumal  ihre  Aufzeichnungen  Phänomene  enthalten,  die 
nur  durch  Nerveneiniluß  erklärt  werden  können :  z.  B.  es 
eignet  sich  nicht  jeder  Hund,  nicht  jede  Gegend  des  Tieres, 
in  der  Nähe  von  toxischen  Quaddeln  erzeugen  sonst  un¬ 
wirksame  Substanzen  Quaddeln,  wurde  an  einem  Hunde 
länger  operiert,  so  bringen  auch  unwirksame  Substanzen 
Quaddeln  hervor  und  der  Hund  ist  einige  Zeit  nicht  brauch¬ 
bar.  Alle  diese  Tätsachen  lassen  sich  nicht  erklären,  wenn 
es  sich  bei  der  Quaddel  nur  mn  eine  bloße  Schädigung 
der  Kapillarwand  allein  handeln  soll;  sie  finden  aber  ihre 
Erklärung  in  der  gesteigerten  nervösen  Erregbarkeit  des 
betreffenden  Hautbezirkes. 

Eine  zweite,  bereits  anderwärts  geführte  Kontroverse 
ergab  sich  bei  der  Kritik  der  Untersuchungen  von  Török 
und  Vas  über  den  Eiweißgehalt  ,,urtikarieller“  Pro¬ 
zesse.  Ich  ging  zusammen  mit  Po  11  and  von  der  Ansicht 
aus,  daß  für  das  Wesen  der  Quaddel  nur  jenes  Sekret  in 
Betracht  komme,  welches  auf  der  Höhe  des  urtikariellen 
•Effektes  eventuell  zu  erzielen  sei;  Török  und  Vas  imter- 
suchten  exsudative  Entzündungen,  wie  Pemphigus,  Erysipel, 
Erfrierung,  ferner  Prozesse,  welchen  sie  die  klinische  Be¬ 
zeichnung  Urtikaria  gaben,  deren  Effloreszenzen  vielleicht 
im  Beginne  Quaddeln,  zur  Zeit  der  Untersuchung  aber  sicher 
exsudative  Entzündungen  waren.  Wir  bekamen  natürlich 
nur  wenige  TTopfen  und  konnten  dieselben  nicht  ohne 
Schwierigkeit,  ehe  das  Fibrin  ausgefallen  war,  bloß  mit 
dem  Zeis-Refraktometer  untersuchen,  ihnen  stand  exsuda¬ 
tives  Blasenserum  zur  Gewichtsmethode  zur  Verfügung.  Wir 
fanden  hohe  Brechungszahlen,  wie  sie  kein  Exsudat  mehr 
aufweist  und  nur  unter  bestimmten  Voraussetzungen  das 
Blutplasma,  i.  e.  Serum  +  Fibrinogen  ergibt.  Wir  schlossen 
daraus,  daß  bei  der  Quaddel  Blutplasma  austritt,  welches 
auch  die  Härte  der  Quaddel  bewirkt,  worauf  nach  dieser 
Sekretion  die  Gefäßwand  wieder  zur  Norm  zurückkehrt. 
Wäre  dieses  hoch  brechbare  Sekret  im  Siime  Töröks  be¬ 
reits  Ausdrack  der  Gefäßwandschädigung,  müßte  nicht  auf 
jede  Quaddel  die  intensivste  Entzündung  folgen,  während 
dies  doch  bei  einfacher  Urticaria  interna  nie  der  Fäll  ist? 

Dies  sind  die  Beweise,  mit  welchen  Török  seine  hä¬ 
matogene  Hypothese  stützt.  Seine  letzten  Untersuchungen 
sind  im  Jahre  1902  angestellt;  seither  hat  er  nichts  mehr 
beigebracht.  Dafür  war  er  um  so  eifriger  tätig,  fremde 
Befunde  und  Autoren  zu  ,,kritisieren“ ;  auf  andere  folgte 
jetzt  ich.  Meine  Befunde  müssen  auf  jeden  Fall  verschwin¬ 
den  und  dies  wird  durch  den  Vorwurf  der  Täuschung  durch 
Simulation  von  seiten  der  vier,  jetzt  fünf  Versuchspersonen 
besorgt.  Ich  nehme  den  Vorwurf  Töröks  zum  Anlaß,  um 
die  Frage  „neurotische  Gangrän  und  Simulation“ 
noch  einmal  zu  erörtern;  weitere  Aeußerungen  erscheinen 
mir  überflüssig,  einerseits,  weil  sich  im  Gegenstand  mittler¬ 
weile  andere  geäußert  haben,  anderseits,  weil  ich  zusammen 
mit  D Oswald  im  Dezemberheft  der  Monatshefte  für  prak¬ 
tische  Dermatologie  (Unna)  über  Versuche  berichtet  habe, 
die  an  Gesunden  vorgenommen  wurden  und  daher  von  allen, 
die  sich  für  die  Frage  interessieren,  relativ  leicht  nachge¬ 
prüft  werden  können. 

Im  Jahre  1874  berichtet  Kaposi  anscheinend  über 
den  ersten  Zoster  atypicus,  rezidivierende  Zostereruptionen 
in  geröteter  und  ödematöser  Haut.  Im  Jahre  1886  beschreibt 
Doutrelepont  den  ersten  Fall  von  akuter,  multipler  Haut¬ 
gangrän,  der  nach  21  Monaten  in  Zoster  übergeht,  im  Jahre 
1890  deutet  bereits  Renaut  den  Begriff  IMicaria  gangrae¬ 
nosa  an.  Die  Fälle  sind  kongruent  meinem  ersten  und  zwei¬ 
ten  Fälle,  den  auch  J arisch -nach  monatelanger  Beobach¬ 
tung  als  neurotische  Hautgangrän  beschreibt.  Rechnet  man 
die  Fonn  derselben  Erkrankung  dazu,  die  sich  als  Pem¬ 
phigus  neuroticus  darstellt,  so  liegen  heute  vielleicht  mehr 
als  hundert  Beobachtungen  vor.  Liegt  nicht  etwas  ungemein 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Beschämendes  für  unsere  klinische  Beobachtung  darin,  daß 
1906,  also  32  Jahre  nach  der  ersten  Beschreibung,  Rona 
den  Zoster  hystericus  vollkommen  leugnet?  Die  spontanen 
Veränderungen  meines  ersten  Falles  sind  vollkommen  iden¬ 
tisch  mit  den  experimentellen,  weiter  identisch  mit  den 
spontanen  und  experimentellen  des  zweiten  Falles. 

Unter  beiden  gleichen  Voraussetzungen  treten  im 
ersten  Fäll  Phänomene  auf,  die  sich  spontan  und  experi¬ 
mentell  im  dritten  und  vierten  Fälle  wieder  finden  und  sich 
mit  den  Beschreibungen  in  der  Literatur  decken.  Bei  allen 
vier  Personen  wurden  mehr  als  60  Versuche  angestellt, 
wiederholt  die  Phänomene  vom  Anfang  an  verfolgt  und  trotz¬ 
dem  sollten  sich  ich,  meine  Umjgebung  und  auch  alle 
fräheren  Beobachter  getäuscht  haben?  Die  Veränderungen 
sollen  durch  eine  Flüssigkeit  erzeugt  sein  und  diese  soll 
seit  32  Jahren  nur  den  Betrügern,  nicht  aber  den  Betrogenen 
und  deren  Entlarvem  bekannt  geworden  sein.  Nach  ihrem 
Gebrauch  mußten  auftreten :  verschiedene  Grade  der  Hyper¬ 
ämie  mit  tiefem  Oedem,  eventuell  ein  bis  zwei  Tage  blei¬ 
bend,  dann  sich  ohne  Oberflächenerscheinung  rückbildend; 
Erytheme  mit  Neikrose  der  Basalzellen  unter  gut  erhaltenem 
Rete;  Nekrose  längs  der  Gefäße  bis  zum  Fett;  alle  Formen 
der  Zosterblasen;  anämische  Oedeme,  über  welchen  stür¬ 
misch  die  Epidermis  abgeworfen  wird  und  unter  hohem 
Druck  Serum  herausgepreßt  wird.  Alle  Veränderungen 
müssen  sich  im  Verlauf  einer  Viertelstunde  abspielen  können, 
ohne  daß  man  von  der  Flüssigkeit  etwas  nachweisen  kann ; 
unter  dem  versiegelten  Gummigewand  klebt  die  normale 
Watte  an  und  ist  nur  schwer  ablösbar  usw. 

Uebrigens  liegt  —  wie  erwähnt  —  in  der  Frage :  Haut¬ 
gangrän  und  Simulation,  eine  Arbeit  vor,  die  bereits  aus 
der  Zeit  nach  meiner  ersten  Publikation  stammt.  Mit  Rück¬ 
sicht  auf  eine  Publikation  von  Groß  hat  Zieler  (Deutsche 
Zeitschrift  für  Neiwenheilkunde,  Band  38,  Seite  184)  die 
Unterschiede  von  Salzsäurenekrose  und  neurotischer 
Hautgangrän  studiert  und  er  verweist  auf  die  Klinische  Aehn- 
lichkeit,  aber  auch  auf  die  Verschiedenheit  im  Ablauf  beider. 
Fast  die  gleichen  Beobachtungen  habe  ich  bei  Verwendung 
von  Aetznatron  in  Substanz  bei  mir  und  bei  meiner  ersten 
Kranken  gemacht  und  wenn  auch  ich  für  meine  Person 
die  Unterschiede  zwischen  der  neurotischen  Hautgan¬ 
grän  und  Verätzung  schon  klinisch  für  ausreichend  erachte, 
so  muß  ich  doch  Zieler  zustimmen,  wenn  er  bei  der  Selten¬ 
heit  der  Erkrankung  und  bei  der  dadurch  bedingten  Un¬ 
sicherheit  in  der  klinischen  Diagnose  jene  scharfen  anatomi¬ 
schen  Differenzen  fordert,  die  er  für  beide  Zustände  ge¬ 
funden  hat. 

Er  hat  anatomisch  eine  eigene  Beobachtung  und 
Doutreleponts  ersten  Fall  untersucht,  findet  eine  völlige 
Uebereinstimmung  zwischen  seinen  und  meinen  Präparaten 
und  obwohl  ihm  damals  nur  meine  erste  Publikation  vorlag, 
scheint  er  nicht  abgeneigt  zu  sein,  mit  mir  in  dem  anämi- 
sierenden  urtikariellen  Oedem  der  Papillarkörper  das  patho¬ 
genetische  Prinzip  der  neurotischen  Hautgangrän  zu  er¬ 
blicken. 

Mikroskopisch  ist  nach  ihm  die  Hautgangrän  ein  Kutis- 
prozeß,  bei  welchem  jede  Andeutung  einer  von  der  Haut¬ 
oberfläche  kommenden  Einwirkung  fehlt,  während  bei 
der  Verätzung  (Salzsäurenekrose)  die  Kutis Veränderungen 
nur  die  Reaktion  gegen  den  von  außen  einwirkenden  Reiz 
darstellen,  vorwiegend  nur  die  obersten  Schichten  einnehmen 
und  tiefere  Partien  unbeeinflußt  lassen.  Es  ist  selbstver¬ 
ständlich,  daß  sowohl  Herrn  Török,  sowie  jedem,  der  sich 
für  die  Frage  interessiert,  meine  zahlreichen  Präparate  zur 
Verfügung  stehen. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  kann  ich  mich  über  Form, 
Ausbreitung,  Lokalisation  der  erzeugten  Phänomene  und 
über  die  technischen  Kautelen  der  Experimente  selbst  kürzer 
fassen.  Bei  der  Patientin  J,  bei  welcher  bislang  nach  Urtica 
urens  nur  Zoster  auftrat,  kommt  es  nach  Färadisation  zu 
einer  anscheinend  phlegmonösen  Rötung  des  Rückens,  die 
sich  zum  Teil  ohne  Oberflächenverändenmg  erst  nach  Tagen 
rückbildet;  nach  Reizung  auf  dem  eineai  Arm  tritt  Erythem 


auf  dem  anderen  auf.  Der  Versuch  wiederholt  sich  mit  Zoster 
bei  der  Patientin  II,  welche  zum  erstenmal  an  die  Klinik 
kommt  und  sofort  faradisiert  Avird.  Rötung  und  Oedem,  das 
z.  B.  nach  Kelenisierung  der  Ulnaris  auftritt,  erscheint  bei 
Patientin  HI  nach  Faradisation.  Sie  wurde  ebenfalls  beim 
ersten  Besuch  elektrisiert  und  hat  vorher  diese  ausgebreitete 
Rötung  bei  sich  nie  beobachtet.  Török  sali  vielleicht  in 
einem  ähnlichen  Fäll  nach  elektrischer  Reizung  am  zweiten, 
vierten  und  fünften  Tage  Veränderungen  auftreten  und,  wenn 
hier  auch  der  Zusammenhang  nicht  sicher  ist,  eine  Aelm- 
lichkeit  mit  dem  dritten  Falle  besteht  doch. 

Der  von  Auspitz  angestellte  Urtikariaversuch  gelingt 
bei  der  Patientin  dreimal,  nach  dem  Bad  tritt  in  der 
hinteren  Voigt  sehen  Grenzlinie  des  Oberschenkels  ein 
nekrotisierendes  Erythem  auf.  Wie  vermag  eine  Kranke  auf 
diese  Linie  zu  verfallen  oder  auf  die  zweite  schwächere, 
parallele  nach  innen,  wie  sie  charakteristisch  ist  für  streifen¬ 
förmige  Erkrankungen  dieser  Gegend.  Noch  mehr,  beide 
Elektroden  sind  in  der  Lendengegend  und  das  Erythem  tritt 
linear  in  einer  Grenzlinie  des  Unterschenkels  auf,  verwandelt 
sich  in  Zoster  gangraenosus  nach  einer  Reizimg  am  Ober¬ 
schenkel  ;  Patientin  Übertritt  sich  den  Füß  imd  die  ganze 
bereits  pigmentierte  Linie  vom  Fuß  bis  zur  Glutäalfalte 
flammt  von  neuem  auf;  alle  diese  Veränderungen  sind,  wie 
sich  leicht  erweisen  läßt,  identisch  jenen,  die  Weir- 
Mitschell  nach  partieller  Nervenverletzung  gesehen  haben, 
sind  fast  identisch  einem  Falle,  der  kürzlich  in  einer  Sitzung 
der  Berliner  dermatologischen  Gesellschaft  gezeigt  wurde 
und  so  weiter.  Ich  kann  heute  füglich  die  Technik  der  ersten 
Versuche,  die  verschiedenen  komplizierten  Verbände  usw. 
aus  der  Zeit,  wo  die  Versuchsperson  prinzipiell  als  Simu¬ 
lantin  aufgefaßt  wurde,  übergehen.  Sie  sind  selbst  in  der 
ersten  Mitteilung  nur  zum  Teil  wiedergegeben.  Selbst  nach 
Versuch,  11.  c.,  wo  die  Veränderungen  sich  unter  meinen 
Augen  nach  einer  Viertelstunde  abspielten,  mußten  noch 
einige  Zweifel,  die  sich  aus  dem  Nichtauftreten  .zarter  Hyper¬ 
ämie  an  gedrückten  Stellen,  z.  B.  Pflaster,  daim  wieder 
stärkerem  Auftreten  an  von  Druck  befreiten,  jetzt  traumatisch 
hyperämisierten  Stellen  ergaben,  beseitigt  werden.  Erst  als 
an  der  schwer  berauschten  Patientin  —  man  hatte  sich,  um 
auf  Anraten  eines  Kollegen  die  Alkoholwirkung  zu  studieren, 
in  der  Dosis  vergriffen  —  nach  Frottieren  an  einer  Stelle 
ein  Pemphigus  neuroticus  gangraenosus  sich  vom  Anfang  bis 
zum  Ende  unter  meinen  Augen  abspielte,  war  ein  Zweifel 
nicht  mehr  möglich  und  die  nächsten  Phänomene  wurden 
in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  demonstriert,  wobei 
ein  dort  geschilderter  komplizierter  Verband  nur  mehr  aus 
Gründen  der  Demonstration  angelegt  wurde.  Eine  Diskussion 
des  Einwandes,  daß  eine  Haut  allein  ohne  Mitwirkung  des 
Zentralnervensystems  eventuell  nach  einer  Latenzzeit,  zum 
Beispiel  auf  mechanische  Reize,  mit  obigen  Veränderungen, 
das  ist  also  auch  mit  Gangrän  antwortet,  glaube  ich  mir  er¬ 
sparen  zu  können. 

Ich  kann  dies  um  so  eher  tun,  als  ich  —  wie  bereits 
erwähnt  —  zusammen  mit  Doswald  im  Dezemberheft  der 
Monatshefte  für  praktische  Dermatologie  über  Versuche  be¬ 
richte,  welche  den  in  meiner  Monographie  noch  nicht  so 
sicher  ausgedrückten  zerebralen  Einfluß  auf  die  Vasomotoren 
mit  voller  Sicherheit  ergeben.  In  diesen  VersucJien  entsteht 
posthypnotisch,  unter  den  Augen  eines  vierten  Kollegen, 
bei  einem  dritten  Kollegen  in  zehn  Minuten  eine  linsengroße 
Blase  und  bei  der  Versuchsperson  I,  mit  Rücksicht  auf  die  De¬ 
monstration,  wieder  zurückgreifend  auf  einen  komplizierten 
Verband,  ein  Erythem  mit  Gerinnung  des  Epithels,  Gerinnung 
der  Kutis  und  Entzündung  bis  in  ihre  tiefsten  Schichten, 
welches  Erythem  in  diesen  anatomischen  Verände¬ 
rungen  übereinstimmt  mit  der  Blase,  die  bei  dem  Kollegen 
entstanden  war  und  überhaupt  übereinstimmt  mit  den  Ver¬ 
änderungen  bei  der  neurotischen  Hautgangrän.  Beide  Phä¬ 
nomene  sind  urtikarielle  Effekte  des  Papillarkörpers  und 
identisch  mit  der  ])osthypnotischen  Quaddel,  die  Forel  unter 
seinen  Augen  entstehen  sah.  Beide  und  ein  dritter,  aus 
äußeren  Gründen  nicht  publizierter  Versuch  zeigen,  daß 


52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


die  Frage,  von  deren  allgemeiner  Beantwortung  unser  fer¬ 
neres  pathogenetisches  Denken  in  der  Dermatologie  ahhängt, 
am  (lesnnden  beantwortet  werden  kann.  Hier  ist  somit  Ge¬ 
legenheit  7Ai  einem  entscheidenden  Versuch. 

Prag,  am  25.  Dezember  1906. 

{Referate. 

Das  pathologische  Institut  der  Universität  Leipzig. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Marcliainl. 

Arbeiten  aus  dem  pathologischen  Institut  zu  Leipzig  Heft  3. 

Leipzig  1906,  8.  Hirsch. 

Die  vorliegende  Schrift,  die  aus  Anlaß  der  Eröffnung  des 
neuen  patliologischen  Institutes  in  Leipzig  herausgegeben  wurde, 
enthält  die  Geschichte  dieses  Institutes,  sowie  eine  Beschreihung 
des  Nei]])aues,  eine  Uebersicht  über  die  in  dem  palliologiscli- 
analoniischen  Museum  aufgestellten  Präparate,  eine  statistische 
Zusammenstellung  der  im  Institute  seit  der  Uehernahrne  desselben 
durch  den  gegenwärtigen  Leiter,  Geh.  Rat  Marchand 
(l.  Ainil  1900),  ausgeführten  pathologisch -anatomischen  Obduk¬ 
tionen,  endlich  ein  Verzeichnis  der  hisherigen  Assistenten  des 
Inslilutes,  sowie  der  unter  Leitung  Marchand s  angefertigten 
wissenschaftlichen  Puhlikalionen. 

Das  neue  pathologische  Institut  der  Universität  Leipzig  ist 
ein  stattliches  Gebäude,  das  in  erster  Linie  für  den  Unterricht 
aus  allgemeiner  Pathologie  und  pathologischer  Anatomie  bestimmt 
ist,  daneben  aber  auch  als  Leichenhaus  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  dient  und  die  Sektions-  und  Leichenräume  des  Institutes 
für  gerichtliche  IMedizin  enthält.  Wie  aus  der  Beschreibung  und 
den  heigegebenen  Tafeln  hervorgeht,  ist  hier  ein  wissenschaft¬ 
liches  Institut  geschaffen  worden,  von  welchem  sein  Direktor  mit 
Hecht  hehaupten  kann,  daß  es  ,,an  Schönheit,  Größe  und  Aus¬ 
stattung  die  meisten  pathologischen  Institute  im  Deutschen  Reiche“ 
—  man  kanüi  unhodenklich  hinzufügen:  und  sämtliche  analoge 
Institute  Oesterreichs  —  „ühertrifft“.  Der  Pflege  der  pathologischen 
Anatomie  und  ihrer  Hilfswissenschaften  wurde  hier  ein  würdiges 
Heim  bereitet,  in  Avelchem  Unterricht  und  Forschung  gedeihen 
können;  der  Name  des  Leiters  des  Institutes  bürgt  dafür,  daß  die 
stattliche  Reihe  wissenschaftlicher  Arbeiten,  die  der  vorliegende 
Bericht  bereits  aufzuzählen  vermag,  im  neuen  Hause,  in  dem 
unter  so  günstigen  Verhältnissen  gearbeitet  werden  kann,  eine 
entsprechende  Fortsetzung  erfahren  wird.  Das  neue  Institut  für 
pathologische  Anatomie  der  Universität  Leipzig  ist  bereits  das 
zweite  große  und  mit  allen  notwendigen  Behelfen  für  die  wissen¬ 
schaftliche  Forschung  ausgerüstete  pathologische  Institut,  das  in 
der  Frist  von  wenigen  Monaten  in  Deutschland  tertiggestellt  wurde; 
bekanntlich  fand  erst  vor  kurzem  die  Eröffnung  des  großartig 
angelegten  Orth  sehen  Institutes  in  Berlin  statt. 

Atlas  der  Blutkrankheiten  nebst  einer  Technik  der 

Blutuntersuchun  g. 

Von  Priv.-Doz.  Dr.  Ksirl  Sclileip. 

Wion  und  Berlin  1907,  Urban  und  Schwarzenberg. 

Auf  45  prachtvoll  ausgeführten  Täfeln  führt  Verf.  in  71 
überaus  gut  gelungenen  Abbildungen  alle  wichtigen  Blutbilder 
vor.  Der  Auswahl  und  Herstellung  der  Präparate  und  der  voll¬ 
endeten  Reproduktion  derselben  muß  das  größte  Loh  gespendet 
werden.  An  Schönheit  und  Klarheit  der  Bilder  wird  wohl  dieser 
Atlas  von  keinem  anderen  AVerke  der  Fachliteratur  erreicht.  Man 
kann  ohne  Uehertreihung  behaupten,  daß  fast  an  jeder  einzelnen’ 
Zelle  selbst  alle  Details  mit  wunderbarer  Schärfe  und  Deutlich¬ 
keit  erkennbar  sind,  so  daß  diese  Bilder  tatsächlich  Original¬ 
präparate  für  den  Unterricht  ersetzen  können  und  das  Buch,  der 
Absicht  des  A^erfassers  entsprechend,  sowohl  eine  ausgezeichnete 
,, Hilfe  hei  dem  klinischen  Unterricht,  als  auch  ein  Führer  hei  dem 
Selhststiudium“  sein  wird. 

Sämtliche  farbigen  Abbildungen  sind  nach  Präparaten 
hergestellt,  die  nach  der  Roma  no  wäky  sehen  Methode 
(und  zwar  mit  der  Le  i  s  h  m  an  sehen  Flüssigkeit)  gefärbt 
wurden.  So  groß  die  Amrzüge  dieser  Methode  auch  sein  mögen 
(panoptische  Färbung,  leichte  Ausführharkeit  usw.),  wäre  es  doch 
vorleilhaft  gewesen,  auch  andere  Färb<Mnetboden  zu  berücksich¬ 
tigen.  Insbesondere  bei  Darstellung  der  granulierten  Leukozyten 


wäre  die  AViedergahe  wenigstens  einzelner  mit  Ehrl  ich  schein 
Triazid  gefärbter  Präparate  zum  Vergleich  sehr  wünschenswert 
gewesen.  Auch  in  der  kurz  gefaßten  ,, Technik  der  klinischen 
Blutuntersuchung“,  die  lediglich  die  wichtigsten  und  (echnisch 
leicht  ausführbaren  Methoden  aufzählt,  führt  Verfasser  aus¬ 
schließlich  die  Romano  wsky  sehe  Methode  in  der  Lei  sh  man¬ 
schen  Modifikation  an.  Auch  hier  wäre  es  angezeigt,  wenigstens 
einige  der  wichtigsten  anderen  Färbemethoden  anzugeben,  die 
praktisch  ebenso  leicht  und  schnell  auszuführen  und  für  manche 
Untersuchungen  überaus  empfehlenswert,  ja  zum  Teil  sogar  un¬ 
entbehrlich  sind.  Der  Text  zu  den  einzelnen  Tafeln  enthält  eine 
knappe,  präzise  Beschreilmng  der  Präparate  und  kurze  Daten 
über  den  klinischen  Verlauf  des  Falles,  von  dem  die  Präparate 
angefertigt  wurden.  Besonders  ist  noch  hervorzuhehen,  daß  AVr- 
fasser  hei  Benennung  der  einzelnen  Blutzellen  lediglich  die  all¬ 
gemein  anerkannten  Und  allgemein  gebräuchlichen  Bezeichnungen 
gewählt  hat  Und  alle  theoretischen  Spitzfindigkeiten,  die  in  neuerer 
Zeit  auf  dem  Gebiete  der  Hämatologie  leider  so  überaus  beliebt 

sind,  vermeidet.  '  Carl  Sternberg. 

* 

Zur  Kenntnis  der  Variabilität  und  Vererbung  am  Zentral¬ 
nervensystem  des  Menschen  und  einiger  Säugetiere. 

Von  J.  K.  Karplus. 

162  Seiten,  6  Tafeln. 

AV  i  e  n  1 907,  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Die  Anschauung,  daß  die  Mehrzahl  der  Nervenkrankheiteji, 
die  sogenannten  exogenen  nicht  ausgenommen,  sich  nur  auf  einem 
geeigneten  Boden  entwickeln  könne,  daß  eine  gewisse  Veraidagung 
vorerst  bestehen  müsse,  bricht  sich  immer  mehr  Bahn  und  läßt 
selbstverständlich  die  Frage  aufwerfen,  ob  diese  Veranlagung 
nicht  auch  strukturell,  im  Aufbau  des  Nervensystems  sichtbar 
zum  Ausdruck  koimne. 

Um  an  die  Lösung  dieser  Frage,  besonders  auch  mit  Rück¬ 
sicht  auf  eine  hereditäre  Veranlagung  herantreten  zu  können, 
schien  es  notwendig,  sein  Augenmerk  auf  die  Variationen  im 
Hirn-  und  Rückenmarksbau  zu  lenken  u.  zw.  vorzüglich  mit 
Bezug  auf  ihre  AATederkehr  hei  verschiedenen  Gliedern  einer 
Familie.  Dieser  mühevollen  Arbeit  hat  sich  der  Autor  mit  lobens¬ 
werter  Ausdauer  während  einer  Reihe  von  Jahren,  erst  am  neu¬ 
rologischen,  dann  am  physiologischen  Institute  in  AATen  unter¬ 
zogen  und  ist  dabei  zu  höchst  bemerkenswerten  Resultaten  ge¬ 
langt,  die  zum  Teil  bereits  in  einer  früheren  Arbeit  mitgeteilt 
wurden.  In  der  gegenwärtigen  Publikation  beschränkt  er  sich 
nicht  auf  die  Großhirnfurchen  des  Menschen,  sondern  zieht  auch 
andere  Teile  des  Zentralnervensystems,  sowie  die  Gehirne  von 
Affen-,  Hunde-,  Katzen-  und  Ziegenfamilien  mit  in  den  Bereich 
seiner  Untersuchung.  Es  ist  erfreulich  und  zeugt  für  die  gute 
Beobachtung,  daß  auch  das  neu  hinzugekommene  menschliche 
Material  die  beiden  in  der  ersten  Arbeit  ausgesprochenen  Grund- 
sälze  von  der  \'’ererbharkeit  der  Großhirnfurchen  und  von  der 
Gleichseitigkeit  der  Uebertragung  nur  zu  stützen  vermochte. 

AVeiterhin  konnte  Karplus  auffallende  Vererbbarkeit  des 
Klangstabes,  des  Tractus  peduncularis  transversus,  der  Fasciculi 
arcuati  superiores  isthmis,  ferner  der  eigentümlichen  kleinzelligen 
Gruppen  im  Hypoglossuskerne,  der  abgetrenntien  Haufen  von  Suh- 
stantia  gelatinosa  im  Funiculus  cuneatius,  der  Pick  sehen  Bündel 
auf  finden.  Für  das  bekannte  wechselnde  Verhalten  der  Pyramiden¬ 
bahnen  ist  aber  eine  derartige  Vererbbarkeit  kaum  nachzuweisen. 
Bemerkenswert  hingegen  erscheint  das  familiäre  Auftreten  von 
Hydromyelie,  sowie  die  bei  drei  Geschwistern  Vorgefundene  auf¬ 
fällige  Entwicklung  der  Stützsubstanz. 

Am  Makakusgehirne,  das  sehr  weitgehende  A^arietätcn 
aufweist,  ergibt  sich  gegenüber  dem  Menschenbirne  eine  frap¬ 
pante  Uehereinstimmung  beider  Hemisphären  desselben  Gehirnes, 
aber  eine  Familienähnlichkeit  läßt  sich  nur  ausnahmsweise  auf¬ 
finden.  Es  kann  daraus  geschlossen  werden,  daß  im  Laufe  der 
phylogenelischen  Entwicklung,  die  ursprünglich  in  bezug  auf  die 
Furchenvarietäten  entsprechende  Uehereinstimmung  zeigenden 
Gehirnhemisphären  voneinander  mehr  und  mehr  differieren  und 
unabhängig  wurden  und  daß  die  voneinander  abweichenden  Fnr- 
chenvarietäten  der  beiden  Hemisphären  eines  hoch  differenzierhm 
Gehirns  in  weit  höherem  Alaße  die  Neigung  zu  liereditärer  Ueher- 
tragung  zeigen ;  zugleich  würde .  besonders  in  gewissen  Hirn- 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


5ä 


l)artien  die  Variabilität  geringer  werden.  Hund  und  Katze  zeigen 
neben  großer  Uel)ereinstinunung  Ixdder  Hetnispliären  desselben 
Gehirns  unverkennbare  Faniilienäbnlichkeit,  was  sich  wold  da¬ 
durch  mit  obigem  Salze  in  Einklang  bringen  läßt,  daß  man  die 
genannten  Tiere  als  Gipfell'ormen  ihrer  Reihe  ansiebt,  während 
der  iMakakus  in  seiner  Reihe  recht  tief  steht. 

Im  Rückenmark  und  Hirnstamm  —  und  vielleicht  auch 
an  der  Großhirnoberfläche  — ■  weisen  die  phylogenetisch  jüngeren 
Teile,  trotzdem  gerade  sie  besonders  stark  variieren,  weniger 
deutliche  Familienähnlichkeit  auf,  als  die  nicht  so  stark  variieren¬ 
den,  phylogenetisch  älteren. 

Aus  dieser  flüchtigen  Uehersicht  der  wichtigsten  Resultate 
ersieht  man,  daß  die  Studien  von  Kar  plus  eine  weitgehende 
theoretische  und  wohl  auch  praktische  Verwertung  gestatten;  es 
werden  da  allgemeine  Fragen  berührt,  die  von  größter  Wichtig¬ 
keit  für  unsere  Grundanschauungen  über  den  Aufbau  und  die  Ent¬ 
wicklung  des  Nervensystems  sind  und  möglicherweise  den  Weg 
für  noch  viel  bedeutungsvollere  Untersuchungen  eröffnen. 

0  h  e  r  s  t  e  i  n  e  r. 

♦ 

Vorlesungen  über  spezielle  Therapie  innerer  Krank¬ 
heiten  für  Aerzte  und  Studierende. 

Von  Dr.  Norbert  Ortiier,  Professor  für  innere  Medizin  an  der  Univer¬ 
sität  Wien,  k.  k.  Primararzt. 

Mit  einem  Anhänge  von  Professor  Dr.  Ferdinand  Früliwald. 

Vierte,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Wien  1907,  Rraumüller. 

Der  Umfang  dieses  Buches  ist  in  der  neuesten  Auflage 
erfreulicherweise  etwas  kleiner  geworden. 

Bewunderungswürdig  ist  der  ganzi  enorme  Fleiß,  mit  welchem 
der  Riesenstoff  immer  wieder  durchgearbeitet,  gesiebt,  verbessert 
und  alles  auf  modernste  Höhe  gebracht  wird.  Was  aber  die  Ein¬ 
beziehung  der  neuesten  Methoden  und  Mittel  betrifft,  so  beschränkt 
sich  Verf.  nicht  etwa  auf  die  Anführung  derselben  und  Besprechung 
auf  Grund  fremder  Publikationen,  sondern,  was  er  bringt,  das 
hat  er  bereits  selbst  aus  eigener  Anschauung  kennen  gelernt 
und  geprüft  und  bringt  auch  schon  sein  kritisches  Urteil  mit. 
Es  ist  ja  bekannt,  wie  schwer  es  oft  ist,  sich  über  eine  neue  Heil¬ 
methode  oder  ein  neues  Heilmittel  ein  sicheres  Urteil  zu  bilden. 
Es  bedarf  zu  diesem  Zwecke  oft  großer  Versuchsreihen  und 
viel  Zeit  und  viel  Pdeiß  sind  notwendig,  um  zu  einem  Abschlüsse 
zu  gelangen.  Zu  solchen  therapeutischen  Studien  und  Beobach¬ 
tungen  ist  eine  mit  alten  klinischen  Behelfen  ausgestattete  Ab¬ 
teilung  notwendig.  Und  erst  dann,  wenn  die  Ergebnisse  eigener 
Beobachtungen  mit  jenen  anderer  Forscher  ühereinstimmen,  dann 
kann  man  getrost  sagen:  das  ist  gut,  heilsam,  unschädlich,  von 
zweifelhaftem  Werte,  unzuverlässig,  wertlos,  schlecht  etc.  Der 
Praktiker  kann  sich  mit  solchen  Versuchen  und  Studien  nicht 
befassen,  er  muß  mit  sicheren  Alitteln  arbeiten,  er  muß  sichere 
Wege  geben.  Das  ist  nun  der  Hauptwert  des  vorliegenden  Buches, 
daß  kurz  und  bündig,  ohne  viele  Umschweife,  alle  iMittel  und 
Methoden  besprochen  werden,  die  nach  dem  Stande  neuester 
Forschung  zur  Anwendung  kommen  können  und  sollen  und  von 
denen  man  mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit  oder  Wahrschein¬ 
lichkeit  einen  Erfolg  erwarten  kann. 

Der  Stoff  ist  sehr  übersichtlich  angeordnet;  allgemeine  Ein¬ 
leitungen  und  Besprechungen  werden,  wo  dies  zweckdienlich  er¬ 
scheint,  vorausgeschickt.  Hierauf  werden  Indicatio  causalis,  morbi 
und  symptomatica  nach  allen  Richtungen,  häufig  bis  in  die 
kleinsten  Details,  erörtert.  Alle  Handgriffe,  Verrichtungen,  kleinen 
Operationen,  werden  besprochen.  Die  einzelnen  Formen  der 
Therapie  (Klimato-,  Balneo-,  Älechano-,  Elektro-,  Sero-,  Flydro- 
u.  a.  Therapie)  werden,  soweit  es  der  einzelne  Fall  erfordert, 
besprochen  u.  zw.  in  der  Praxis  vollauf  Rechnung  tragender 
Weise.  Zum  Beispiel,  wenn  es  sich  um  die  Anwendung  von 
Mineralwässern  handelt,  erfahren  wir  nicht  nur,  was  für  ein 
Wasser  der  Kranke  trinken  solle,  sondern  auch,  wo,  zu  welcher 
Jahres-  und  Tageszeit,  wie  viel  täglich,  von  welcher  Temperatur 
es  sein  muß  u.  a.  m.  Es  werden  alle  \Heilbehelfe  besprochen, 
auch  was  zur  Krankenpflege  gehört.  Es  wird  Rücksicht  auf 
die  Verhältnisse  des  Kranken  genommen.  Es  wird  überhaupt 
stets  erörtert,  wie  man  den  Kranken,  nicht  nur,  wie  man 
die  Krankheit  zu  behandeln  hat.  Und  immer  ist  noch  ein 


Milled  oder  ein  Mitleichen  zur  Hand  und  immer  findet  der  Arzt 
noch  etwas  zu  tun! 

Das  Buch  ist  so  recht  für  den  Praktiker  geschrieben  und 
liest  sich  sehr  angenehm.  Besonders  zu  empfehlen  sind  die 
Kapitel :  Therapie  der  Hytlropsien  und  Stauungszustände  hei 
inkompensierten  Flerzfehlern,  Therapie  der  Chlorose,  des  Diabetes 
mellitus  (in  der  Einleitung  das  sehr  wichtige  Kapitel  ,, Grundzüge 
der  Lehre  von  der  Ernährung  des  Menschen“),  Tdierapie  der 
Lungentuberkulose,  allgemeine  Therapie  der  Magen-  und  Darm¬ 
krankheiten  u.  a.  m. 

Im  Anhänge  tritt  uns  der  Geist  Wider hofers  entgegen. 
Schon  die  ,, Einleitung“  bietet  eine  sehr  anregende  Lektüre.  Es  ist 
hauptsächlich  die  Fieberbehandlung,  von  welcher  ausführlich  ge¬ 
sprochen  wird.  Da  wirkt  es  nun  außerordentlich  wohltuend,  wenn 
man  liest,  mit  welcher  Ueherzeugung  Prof.  Frühwald  für  die 
Hydrotherapie  eintritt.  Man  muß  das  nur  oft  gesehen  haben,  welche 
Zauberwirkung  die  Wasserprozeduren  auf  die  kleinen  Dulder 
ausüben,  ohne  je  zu  schaden.  Vorurteile  und  Furcht  vor  schlimmen 
Folgen  sind  in  intelligenteren  Kreisen  längst  verschwunden. 

Verf.  spricht  auch  noch  über  Hygiene,  Prophylaxe,  Des¬ 
infektion  etc.  und  geht  dann  zur  Erörterung  der  Therapie  der 
einzelnen  akuten  Infektionskrankheiten  (Scharlach,  Masern,  Pmhe- 
olen,  Varizellen,  Mumps,  Diphtherie,  Keuchhusten)  über.  Auch 
hier  ist  bei  Besprechung  der  verschiedenen  Heilmethoden  in 
erster  Linie  dem  praktischen  Bedürfnisse  Rechnung  getragen. 

Das  ärztliche  Publikum  ist  den  Verfassern  für  jede  neue 
Auflage  dankbar;  das  Buch  dringt  in  immer  weitere  Kreise. 

V.  Kogerer. 


Äus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

13.  Der  gegenwärtige  Stand  der  Lehre  von  der  Bierschen 
Stauung.  Sammelreferat  von  Dr.  Ernst  Venus. 

Seit  der  Erfindung  der  Asepsis  und  Antisepsis  hat  wohl  kein 
neues  Verfahren  solches  Aufsehen  erregt  und  sich  mit  solcher 
Schnelligkeit  in  der  Chirurgie  Bahn  gehrochen,  als  die  von  Bier 
angewandte  und  empfohlene  Stauungshyperämie  als  Heilmittel. 
Durch  sie  sind  altliergebrachte  Anschauungen  wankend  geworden, 
alte,  man  möchte  fast  sagen,  ,, ehrwürdige“  Regeln  der  (drirurgie 
wurden  umgestoßen,  manches,  das  bis  heute  als  feststehend  galt, 
sollte  falsch  sein  und  was  bisher  als  falsch  angesehen  wurde, 
sollte  von  nun  an  zur  Regel  werden.  In  folgenden  Zeilen  'isoll 
vor  allem  dem  praktischen  Arzte,  der  nicht  in  der  Lage  ist, 
stets  die  Literatur  genau  zu  verfolgen,  ein  Bild  des  gegenwärtigen 
Standpunktes  der  Fragen  über  die  Behandlung  akuter  und  chro¬ 
nischer  Entzündungen  und  Eiterungen,  durch  die  venöse  Stauungs¬ 
hyperämie  nach  Bier,  ihrer  Theorie  und  Technik,  sowie  ihrer 
Anwendung  in  den  einzelnen  Zweigen  der  Medizin,  auf  Grund 
der  bisher  erschienenen  Literatur  gegeben  werden. 

Die  Theoriv?  der  therapeutischen  Wirkung  der  Stauungs- 
hyperäniie  wurde  von  verschiedenen  Seiten  erörtert.  Ham¬ 
burger  ist  der  Ansicht,  daß  als  einer  der  wichtigsten  Heilfak¬ 
toren  der  vermehrte  Kohlensäuregehalt  des  Stauungshlutes  an¬ 
zusehen  ist.  Dieser  Kohlensäurereichtum  steigert  das  bakteri¬ 
zide  Vermögen  des  Serum  aus  drei  Gründen :  1.  wirkt  die  Kohlen¬ 
säure  selbst  auf  Bakterien  ab  tötend;  2.  quellen  unter  ihrem  Ein¬ 
flüsse  die  roten  Blutkörperchen,  dem  Senmi  wird  Wasser  ent¬ 
zogen  und  so  seine  Konzentration  erhöht;  3.  nimmt  das  Serum 
an  diffusiblem  Alkali  zu,  welch’  letzteres  auf  die  Blutflüssigkeit 
eine  antibakterielle  Wirkung  ausübt.  Nötzel  und  Buchner 
führen  die  Wirkung  der  Stauungshyperämie  gegenüber  Bakterien 
auf  die  bakterizide  Kraft  des  Transsudates  zurück.  Nötzel 
impfte  Kaninchen  in  gestaute  Glieder  sonst  tödliche  Mengen  von 
Milzbrandhazillen  oder  höchst  virulenter  Streptokokken  ein,  ohne 
daß  die  Tiere  zugrunde  gingen,  während  die  Kontrolltiere  oder 
dieselben  Tiere  einige  Wochen  später  mit  gleicher  Menge  der¬ 
selben  Bakterien,  ohne  Stauung,  geimpft  eingingen.  Wiewohl  nach 
Nötzels  Untersuchungen  zwar  die  bakterizide  Wirkung  des 
Stauungstranssudates  kaum  die  des  normalen  Blutserums  über¬ 
trifft,  so  kommt  die  Wirkung  der  Stauungshyperämie  durch  die 
reichliche  örtliche  Ansaimnlung  der  bakteriziden  Flüssigkeit  und 
der  da.mit  bedingten  Vermehrung  der  anlihakteriellen  Kräfte  zu¬ 
stande.  Auch  B  u  ebne  r  führt  die  Wirkung  der  Stauungshyperämie 


WIENER  KLINÜSCIII';  WUCllENSCilRlET.  1907. 


Nr.  2 


nicht  anf  die  Blutslanung,  sondern  auf  die  vermehrte  Ansammlung 
der  Leukozyten  am  Infektionsherde  zurück,  welche  dann  durch 
.4usscheidung  von  Alexinen  die  Bakteiien  töten.  Das  Blut  und 
insbesondere  die  zerfallenden  Leukozyten  enthalten  Enzyme,  durch 
welche  die  Vernichtung  der  Bakterien  bewirkt  wird.  Laqueur 
fand,  daß.  die  bakterizide  Kraft  des  Blutes  im  Stauungsbezirke 
nach  sehr  kräftiger,  zweistündiger  Stauung  zunahm.  Bei  längerer 
Stauung  trat  dies  nicht  regelmäßig  ein,  sondern  war  nur  bei 
starker  Anwendmig  derselben  konstant.  Stehr  untersuchte  das 
Blut  in  zehn  Fällen  Bier  scher  Stauung  und  fand,  daß  in  den 
Körperteilen  zu  einer  Zeit,  wo  die  Gewebe  noch  nicht  mit  Ge- 
webssaft  durchtränkt  sind,  lokale  Leukozytose  mit  vorwiegender 
Beteiligung  der  Lymphozyten  bestand.  Diese  lokale  Leukozy¬ 
tose  deutet  jedenfalls  auf  eine  Steigemng  der  phagozytären  Be¬ 
teiligung  der  Lymphozyten  hin,  woraus  sich  nach  Stehr  teil¬ 
weise  der  therapeutische  Effekt  der  Stauungshyperämie  erklären 
läßt.  Nach  Heller  hält  die  Stauungshyperämie  die  Stoffwechsel¬ 
produkte  der  Bakterien  zurück,  die  dann  durch  erstere  getötet 
weixien. 

Colley  entnahm  Eiter  einem  Empyem  des  Ellbogengelenkes, 
in  dem  sich  Streptokokken  in  Reinkultur  fanden  und  impfte 
mit  einer  Aufschwemmung  der  Streptokokken  in  Bomllon  Mäuse. 
Die  Mäuse  gingen  meist  zugmnde,  während  sie  zwar  erkrankten, 
aber  nicht  zugiunde  gingen,  wenn  dem  Eiter  vorher  die  dreifache 
Menge  der  Oedemflüssigkeit  zugesetzt  wurde’,  die  durch  Einstich 
in  das  gestaute  und  mächtig  geschwollene  kranke  Glied  gewonnen 
wurde.  Oedemflüssigkeit,  die  dem  gesunden  gestauten  Arme  ent¬ 
nommen  war,  war  wirkmigslos.  Daher  schloß  Colley,  daß  in 
der  Oedemflüssigkeit  Antikörper  sich  befinden  und  hier  durch 
die  Stauungsbinde  ,,das  abgeschnürte  Glied  zu  einem  Organ  wird, 
in  dem  mehr  minder  unabhängig  vom  anderen  Körper  biologische 
Prozesse  sich  abspielen“.  Auch  Joseph  stellte  Versuche  über 
die  Wirkung  des  natürlichen  Oedem  und  künstlicher  Oedemisierung 
an.  Das  Oedem  bei  der  Bindestauung  ist  nach  Joseph  kein 
statisches.  Es  tritt  bei  jenen  Entzündungen,  deren  Erreger  rasch 
und  reichlich  Giftstoffe  erzeugen,  auch  rasch  und  reichlich  auf. 
Die  Bakterien  können  in  der  Giftlösung,  die  sie  sich  bereitet 
haben,  nicht  leben,  sondern  werden  durch  das  Oedem  auf  ihren 
primären  Herd  beschränkt  tmd  verhindert,  größeren  Schaden  zu 
stiften.  Die  Hauptarbeit  der  Entgiftung  besorgt  die  große  ver¬ 
dünnte  Flüssigkeitsmenge  des  Oedems  unmittelbar.  Neben  dieser 
direkt  diluierenden  Wirkung  des  Oedems'  macht  sich  noch  eine 
indirekt  resorptionshem'mende  geltend.  Ein  größeres  Oedem  stört 
die  Zirkulation  schon  durch  die  Raumbeengung,  verschließt  durch 
die  Anämie  den  Giften  die  Resorption  und  wirkt  auch  auf  diese 
Weise  entgiftend. 

In  ausgedehnter  Weise  beschäftigte  sich  mit  der  Theorie 
der  Stauung,  sowie  ihren  Gefahren  Lexer,  der  in  ihr  ein  zwei¬ 
schneidiges  Schwert  erblickt.  Lexer  betrachtet  die  Stauung 
vom  Standpunkte  der  Endotoxinlehre  und  komint  am  Schlüsse 
seiner  eingehenden  Auseinandersetzmugen  zu  folgendem  Schlüsse : 
Die  veränderten  Resorptionsverhältnisse  bewirken  nur  in  leichten 
Fällen  keine  Nachteile.  Die  Vermehrung  der  Schutzkörper  infolge 
der  Stauungsbehandlung  ist  bezüglich  antitoxischer  Stoffe  ohne 
wesentliche  Bedeutmig,  bezüglich  der  bakteriziden  in  leichten 
Fällen  vorteilhaft,  in  schweren  Fällen  schädlich  durch  das  Frei¬ 
werden  größerer  Endotoxinmengen  infolge  der  Bakteriolyse ;  nur 
große  und  frühzeitig  angelegte  Spaltungen  des  Gewebes  könuen 
gegen  diese  Nachteile  schützen.  Die  Vermehrung  des  proteolyti¬ 
schen  Fermentes  infolge  der  Stauungsbehandlung  wirkt  in  infi¬ 
zierten  Verletzungen  und  Operationswunden  günstig.  Die  Ein¬ 
schmelzung  des  entzündlichen  Infiltrates  dagegen  muß  überall, 
wo  es  sich  nicht  um  ganz  leichte  Formen  handelt,  durch  früh¬ 
zeitige  Schnitte  verhindert  werden.  Die  vermehrte  Transsudation, 
bzw.  Exsudation  während  der  Stauung  wirkt  in  geschlossenen 
oder  nicht  genügend  inzidierten  Entzündungsherden  durch  Ver¬ 
breitung  der  Giftstoffe  im  Gewebe  schädlich,  nützlich  dagegen 
in  breit  geöffneten  und  in  infizierten  Wunden  durch  die  mecha¬ 
nische  Anschwemmung  der  Infektionsstoffe.  Ihm  schließt  sich 
W  o  Tf  -  E  i  s  n  e  r  in  einer  Betrachtung  der  Bier  sehen  Stauung 
vom  Standpunkte  der  Endotoxinlehre  vollständig  an,  indem  von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  die  Stauung  nur  günstig  wirkt,  so 
lange  durch  die  Bakteriolyse  nicht  sehr  große  Mengen  von  Endo¬ 


toxinen  auf  einmal  frei  werden.  Daher  ist  die  Stauung  am  besten 
im  Beginne  der  Infektion,  während  man  in  späteren  Stadien  die 
großen  Inzisionen  nicht  entbehren  können  wird,  um  die  Gifte 
mischädlich  zu  machen.  Die  letzte  diesbezügliche  Erwägung  und 
experimentelle  Untersuchung  sind  in  Form  einer  vorläufigen  Mit¬ 
teilung  von  Baumgarten  erschienen,  worin  er  sich  teilweise 
gegen  N ö t z e  1  wendet  und  Lexer  anschließt.  Baumgarten 
stellte  seine  experimentellen  Untersuchungen  an  Kaninchen  an, 
welchen  er  als  Infektionsträger  Tuberkel-  und  Milzbrandbazillen, 
sowie  Staphylokokken  teils  intraartikulär  in  das  Kniegelenk  ein¬ 
impfte  und  durch  eine  Stairungsbinde  in  der  Schenkelbeuge  eine 
,, heiße“  Stauungshyperämie  hervorrief.  Die  günstigsten  Resultate 
zeigten  sich  bei  der  Impfung  mit  Milzbrandbazillen,  wo  es  ge¬ 
lang,  die  Infektion  durch  Stauung  zu  unterdrücken,  wenn  letztere 
sofort  nach  der  Infektion  durch  36  bis  48  Stunden  angewendet 
wurde.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  waren  die  Bazillen  bis  auf 
minimale  degenerierte  Reste  verschwunden  und  die  Tiere  blieben 
dauernd  gesund.  Bei  kleinen  Haut-  oder  Gelenkseiterungen,  durch 
Staphylokokken  hervorgerufen,  ging  die  Heilung  mit  Hilfe  der 
Stauung  rascher  von  statten.  Ausgedehnte  Abszedierungen  er¬ 
fuhren  eher  eine  Verschlimmerung.  In  den  Gelenkmembranen  der 
anscheinend  unter  Stauung  geheilten  Gelenke  fanden  sich  viru¬ 
lente  Staphylokokken.  Fast  wirkungslos  blieb  die  Stauung  bei 
Infektion  mit  Tuberkelbazillen.  Es  gelang  Baumgarten,  einen 
klassischen  Tumor  albus  des  Kniegelenkes  hervorzurufen.  Bei 
der  histologischen  Untersuchung,  sowohl  des  mit  Stauung  behan¬ 
delten,  als  auch  des  nicht  behandelten  Tümor  albus  ergaben  sich 
keine  Unterschiede  und  ebenso  gelang  es  nicht,  durch  Stauung 
die  von  dem  lokalen  Herde  ausgehende  Allgemeininfektion  der 
Tuberkulose  zu  unterdrücken.  Die  allerdings  unbedingt  günstigen 
Resultate  der  Stauungsbehandlung  bei  akuten  Infektionsprozessen 
(Milzbrandbazillen  und  Staphylokokken)  sind  nach  Baumgarten 
wahrscheinlich  verschiedener  Ursache.  Zweifellos  spielt  das  bak¬ 
terizide  Vermögen  des  Stauungstranssudates  eine  Rolle,  wenn 
auch  nicht  im  Sinne  Nötzels  dem  Stauungstranssudate  eine 
größere  bakterizide  Kraft  innewohnt;  diese  ist  nach  den  Unter¬ 
suchungen  von  Hey  de  schwächer  als  die  des  entsprechenden 
Serum;  doch  gibt  Baujmgarten  Nötzel  recht,  wenn  er  die 
reichliche  Ansamknlung  einer  bakterizid  wirkenden,  Flüssigkeit 
im  Gewebe,  wie  es  die  venöse  Stauung  mit  sich  bringt,  als  einen 
Faktor  der  Heilwirkung  mit  anspricht.  Eine  weitere  Rolle  spielt 
die  Hemmung  der  Resorption  durch  die  Stauungsbinde.  Kaninchen 
konnten  durch  36-  bis  48stündiges  Liegenlassen  der  Stauungs¬ 
binde  gerettet  werden,  während  sie  der  Infektion  erlagen,  wenn 
die  Binde  nach  24  bis  30  Stunden  abgenomhien  wurde; 

Weiter  wirken  als  Heilfaktoren  die  Zirkulationsverlangsamung 
und  Verminderung  der  Blutzufuhr,  wodurch  den  Bakterien  das 
nötige  Sauerstoffquantum  herabgemindert  wird;  auch  die  Ver¬ 
dünnung  der  Toxine  dürfte  günstig  wirken.  Schließlich  wirkt  die 
venöse  Stauung  aber  auch  günstig,  indem  die  durch  sie  be¬ 
wirkte  pathologische  Veränderung  des  Gewebsstoffwechsels  auf 
die  Bakterien  u.  zw.  in  viel  höherem  Maße  als  auf  die  Gewebs¬ 
zellen  schädigend  einwirkt  und  dadurch  letztere  von  ihren  An¬ 
greifern  befreien  hilft.  „Sehen  wir  die  Verstärkung  der  Einwirkung 
des  bakteriziden  Serums  und  die  Herabsetzung  der  für  die  be¬ 
treffenden  Bakterien  geeignete  Nährbödenqualität  als  die  Haupt¬ 
faktoren  der  günstigen  Wirkung  Bier  scher  Stauung  bei  infek¬ 
tiösen  Prozessen  an,  so  ist  es  begreiflich,  daß  diese  Behandlung 
bei  den  tuberkulösen  Prozessen  versagt,  da  die  Tuberkelbazillen 
gegen  die  bakteriziden  Seren  des  Normalserum  so  gut  wie  un¬ 
empfindlich  und  auch  gegen  Hunger  äußerst  widerstandsfähig 
sind.“ 

Hof  mann  studierte  die  Veränderungen  im'  Granulations¬ 
gewebe  fistulöser  fungöser  Herde  durch  Hyperämisierung  mittels 
Saugapparaten.  Als  Untersuchungsmaterial  dienten  die  Granu¬ 
lationen  der  Fistelgänge  fungöser  Lymphome  oder  Knochenherde. 
Nach  drei^^erte]stündigem  Saugen  fand  .sich  im  Verhältnisse  der 
roten  und  weißen  Blutkörperchen  kaurU  ein  Unterschied  zum 
normalen  Befunde.  In  dem  Interstitium  sind  fast  alle  Leukozyten 
verschwunden,  die  Gewebsmaschen  erweitert  und  mit  serösem 
Gerinnsel  erfüllt.  Das  beim  Saugen  gewonnene  Transsudat  erweist 
sich  als  vorwiegend  aus  Leukozyten  bestehend,  so  daß  das  Granu¬ 
lationsgewebe  förmlich  ausgewaschen  wird.  Mit  den  Elementen 


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des  Blutes  werden  in  allererster  Reihe  Bakterien  mitgenommen. 
Nach  dem  Saugen  ist  eine  Menge  von  Mikroorganismen  an  die 
Oberfläche  der  Granulationen  getreten.  Die  histologischen  Bilder 
der  Gefäßerweiterung,  verbunden  mit  annähernd  normaler  Blut¬ 
körperchenzusammensetzung  sowie  sdas  Atiswaschen  der  Gewebe, 
beleuchten  die  Wirkung  der  Saughyperäimie.  „Es  muß  für  den 
Heilungsvorgang  von  größter  Bedeutung  sein,  daß,  wenn  auch 
nur  auf  kurze  Zeit,  das  erki*ankte  Gewebe  eine  ausgiebige  Blut- 
durchströmung  erhält,  mit  der  eine  reichliche  Drainage  verbunden 
ist,  die  eine  Elimination  zweifellos  schädlicher  Elemente  gestattet.“ 

Da  von  der  richtigen  Anwendung  und  Technik  der  ve¬ 
nösen  Stauung  sowohl  mittels  der  Binde,  als  auch  des  Schröpf¬ 
kopfes,  der  Erfolg  des  Verfahrens  in  so  hohem,  wohl  alleinigem 
Maße  abhängig  ist,  so  werden  wir  uns  auch  im  Sammelreferate 
ausführlicher  damit  beschäftigen  und  uns  genau  an  die  Original¬ 
arbeiten  von  Bier  und  Klapp  zu  halten  trachten. 

Anfänglich  ließ  Bier  die  Stauungsbinde  bei  tuberkulösen 
Prozessen  Tag  und  Nacht  ununterbrochen  tragen,  wechselte  nur 
zweimal  täglich  die  Stelle  der  Anlegung  der  Binde,  um  DmcJk 
zu  vermeiden  und  entfernte  sie  wöchentlich  nur  einmal.  Die 
Resultate  waren  wechselnd  und  es  traten  unangenehme,  ja  ge¬ 
fährliche  Folgezustände  auf.  Es  traten  öfters  rasch  große  und 
zalilreiche  Abszesse  auf,  große  wuchernde  Granulationsmassen 
entstanden  und  in  den  aufgebrochenen  Gelenken  kam  es  zu  den 
schwersten  akuten  Entzündungen,  heißen  Abszessen,  Lymphgefäß- 
und  Drüsenentzündungen,  sowie  Erysipel. 

Die  Form,  in  welcher  jetzt  nach  Bier  die  Staimngshyperämie 
bei  tuberkulösen  Knochen-  und  Gelenkserkrankungen  angewandt 
wird,  ist  folgende;  Die  Binde  darf  imter  keinen  Umständen 
Schmerzen  hervorTufen,  im  Gegenteil,  sie  muß  schmerzlindernd 
wirken;  stets  soll  das  gestaute  Glied  warm  bleiben  und  der  Puls 
peripher  von  der  Binde  deutlich  zU  fühlen  sein.  Am  besten  em¬ 
pfiehlt  es  sich  bei  der  Tuberkulose,  die  Binde  zweimal  täglich 
je  eine  Stunde  tragen  zu  lassen.  Bei  aufgebrochener  Tüberkulose 
wird  der  Verband  während  des  Liegens  der  Binde  entfernt.  Tam¬ 
ponade  ist  schädlich.  Kalte  Abszesse  müssen  frühzeitig  erkannt 
werden ;  werden  mittels  kleiner  Einschnitte  gespalten  und  mit 
dem  Schröpfkopf  ausgesaugt.  Die  erkrankten  Gelenke  werden 
nicht  ruliig  gestellt,  sondern  vorsichtig  aktive  und  passive  Be¬ 
wegungen  ausgeführt,  im  der  drohenden  Versteifung  entgegen¬ 
zuwirken. 

Kontraindikationen  bilden  beginnende  Amyloidose,  schwere 
Lungentuberkulose,  die  ganze  Gelenkhöhle  ausfüllende  Abszesse 
und  fehlerhafter  Stand  der  Gelenke. 

Etwas  anders  gestaltet  sich  die  Technik  der  Stauung  bei 
akuten  Eiterungen.  Nach  Biers  Vorscliriften  legt  man  oberhalb 
des  befallenen  Gliedes,  wennmöglich  nicht  zu  nahe  dem  Krank¬ 
heitsherde,  eine  Gummibinde  an,  die  womöglich  zu  einem  feurig¬ 
roten  Oedem  der  gestauten  Extremität  führen  soll.  Die  Binde 
darf  niemals  Schmerzen  erzeugen,  sondern  gerade  ihre  schmerz¬ 
stillende  Wirkung  ist  das  Zeichen  für  eine  richtige  Lage,  ebenso 
darf  sie  nie  Blaufärbung  des  Gliedes  hervoriufen.  Das  akut  ent¬ 
zündete  Glied  muß  mächtig  anschwellen,  ödematös  werden,  sich 
warm  anfühlen  und  möglichst  feurigrot  werden  (heiße  Stauung). 
Auftreten  von  Blässe  zeigt,  daß  entweder  die  Binde  zu  fest  anliegt 
oder  ein  Abszeß  auftrat,  der  gespalten  werden  muß.  Die  Binde 
wird  bei  akuten  Eiterungen  tägheh  mindestens  zehn  Stunden 
getragen,  in  schweren  Fällen  wird  sie  täglich  20  bis  22  Stunden 
angewendet,  während  der  übrigen  zwei  bis  vier  Stunden  wird 
das  Glied  hochgelagert.  Bei  akut  entzündeten  Gelenken,  oder 
Sehnenscheidenphlegmone,  werden,  sobald  dies  unter  dem  schmerz¬ 
stillenden  Einflüsse  der  Binde  möglich  ist,  vorsichtige  aktive 
und  passive  Bewegungen  vorgenommen.  Abszesse  werden  ge¬ 
spalten,  doch  kommt  man  meist  mit  kleinen  Inzisionen  aus ; 
sobald  die  Blutung  steht,  wird  wieder  die  Binde  angelegt.  Die 
Abszesse  werden  nur  ausnahmsweise  drainiert,  Tamponade,  be¬ 
sonders  bei  Sehnenscheidenphlegnionen,  wird  niemals  angewandt, 
um  nicht  durch  Aufsaugen  der  Sekrete  austrocknend  auf  die 
Sehne  zu  wirken  Und  so  sie  durch  Emährungsstöining  zur  Nekrose 
zu  bringen.  Auch  über  lymphangoitische  Stränge  am  Oberarm 
oder  Oberschenkel  legt  Bier  die  Stauungsbinde  an. 

K  e  p  p  1  e  r  beschreibt  die  Anwendung  der  Stauungsh  yperämie 
am  Kopfe.  In  den  letzten  drei  Jaliren  wurden  an  der  Bonner 


Klinik  fast  alle  Entzündungen  und  Eiterungen  am  Kopfe  in  dieser 
Weise  behandelt.  Eine  einfache  Baumwollgummibinde,  3  cm  breit 
für  den  Erwachsenen,  2  cm  für  die  Kinder,  wird  unter  gelindem 
Drucke  nach  Art  eines  Strumpfbandes  um  den  Hals  gelegt,  nach¬ 
dem  die  Binde  vorher  mit  einer  einfachen  Lage  gewöhnlicher 
Mullbinde  unterfüttert  wurde.  In  erster  Linie  wirkt  auch  hier 
die  Binde  schmerzstillend;  anfangs  ruft  sie  leicht  das  Gefühl 
der  Enge  und  Unbequemlichkeit  hervor,  doch  hören  diese  Klagen 
bald  auf.  Auch  die  Kopfstauung  wird  täglich  20  bis  22  Stunden 
getragen,  worauf  eine  vierstündige  Pause  eintritt.  Sind  die  Ent¬ 
zündungserscheinungen  abgelaufen,  so  wird  die  Binde  auch  dann 
noch  einige  Zeit,  zehn  bis  zwölf  Stunden  täglich,  getragen.  Stö¬ 
rungen  sah  Keppler  nie,  auch  bei  Arteriosklerotikern  nicht; 
das  Auftreten  einer  starken  ödematösen  Schwellung  im  Gesichte 
hat  nichts  zu  bedeuten. 

,  Biers  Schüler  und  ehemaliger  Assistent  Klapp  hat  dann 
die  Saugbehandlung  wieder  aufgenommen  und  eine  spezielle  Tech¬ 
nik  für  die  lokale  Entzündung  ausgebildet.  Es  ist  das  Prinzip 
des  Schröpfkopfes,  ein  Glas,  an  dessen  oberes  Ende  der  Saug¬ 
ball  aus  Gummi  sich  befindet,  durch  den  die  Luftverdünnung 
im  Glase  und  hiedurch  die  Saugwirkung  hervorgerufen  wird.  Vor 
allem  eignen  sich  zur  Saugbehandlung  Furunkel,  Karbunkel,  Bu¬ 
bonen,  Panaritien,  akute  Abszesse,  Mastitiden,  infizierte  Wunden 
und  so  weiter.  Man  muß  das  Saugglas  sanft  und  ohne  Schmerzen 
an-  und  absetzen;  die  Luftverdünnung  darf  nicht  zu  weit  ge¬ 
trieben  werden,  sondern  man  saugt  nur  schwach  an,  läßt  den 
Schröpfkopf  drei  bis  fünf  Minuten  liegen,  macht  hierauf  eine  Pause 
von  zwei  bis  drei  Minuten,  um  dann  wieder  den  Schröpfkopf 
aufzusetzen  und  setzt  dies  drei  Viertelstunden  fort.  Abszesse, 
oder  z.  B.  abszedierende  Mastitiden  eröffnet  man  nur  durch 
kleine  Stichinzisionen  unter  Aethylchloridspray,  ebenso  Furunkel, 
bei  welch’  letzteren  man  oft  nur  die  oberste  Kuppe  abzu tragen 
braucht  und  saugt  dann  den  Eiter  aus. 

Bei  tuberkulösen  Fisteln,  die  sich  auch  sehr  gut  für  diese 
Behandlung  eignen,  saugt  man  etwas  fester  an,  so  daß  beim  An¬ 
setzen  eine  tiefere  Delle  gedrückt  wird.  Werden  dann  die  schlaffen, 
blassen,  tuberkulösen  Granulationen  rot  und  hart,  dann  lasse  man 
zwischen  jeder  Sitzung  eine  Pause  von  zwei,  drei,  zuletzt  acht 
Tagen  eintreten.  Die  Granulationen  werden  nicht  geschabt,  eben¬ 
sowenig  tamponiert.  Fisteln  und  Geschwüre  werden  mit  einem 
einfachen  aseptischen  Verband  bedeckt. 

Die  Wirkung  der  Stauung  auf  die  Eiterang  ist  verschieden. 
Manchmal  bringt  sie  die  Eiterung  zum  Stillstände  und  zur  Re- 
soiption;  manchmal  werden  heiße  Abszesse  in  kalte  umgewandelt 
oder  der  Eiter  in  Serum.  In  der  Regel  tritt  durch  ,die  Stauung 
eine  Vermehrung  der  Eiterung  auf.  Der  Ablauf  der  Eiterung  pflegt 
unter  dem  Einflüsse  der  Stauungshyperämie  rascher  zu  erfolgen. 
Sie  führt  rascher  zur  Abstoßung  des  schon  brandig  gewordenen 
Gewebes  und  erhält  Körperteile  am  Leben,  mit  deren  Absterben 
bisher  die  Chirurgie  als  etwas  Selbstverständlichem  gerechnet 
hat ;  sie  lokalisiert  ferner  die  Eiterung  in  hohem  Maße  und  erspart 
große  verletzende  und  verstümmelnde  Schnitte.  Diese  Vorteile 
werden  von  vielen  Autoren  bestätigt.  Alle  heben  den  Wegfall 
der  großen  verstümmelnden  Schnitte,  die  schmerzlindernde  Wir¬ 
kung,  das  Verhüten  von  Sehnennekrosen,  abgekürzte  und  ver¬ 
einfachte  Behandlungsdauer  hervor  (B  erlin,  Van  Li  er,  Ranzi, 
Danielsen,  Stich,  Loosen,  Kaefer,  v.  Brunn,  Jerusa¬ 
lem,  Catharet,  Beny,  Baumbach,  Cathearf,  Manninger 
und  andere).  Guth  hebt  unter  den  Vorteilen  auch  hervor,  daß 
dem  Arzte  durch  die  Stauungs-  und  Saugtherapie  sehr  oft  der 
Kampf  mit  dem  messerscheuen  Patienten  erspart  bleibt ;  T  o  m  a- 
schewsky  lobt  vor  allem  die  bakterizide  und  resorbierende 
Wirkung ;  nur  Ranzi  hebt  eine  längere  Dauer  der  Behandlung 
hervor.  Bonheim  meint,  die  Behandlung  ist  zwar  umständ¬ 
licher  als  die  bisher  übliche,  führt  aber  rascher  zum  Ziele, 
doch  bleiben  Mißerfolge  nicht  aus.  Manchmal  beobachtete  Bon¬ 
heim  das  Auftreten  erysipelartiger  Zustände,  die  aber  keine 
Gefahr  in  sich  bargen.  Bestelmeyer  kam  doch  nicht  immer 
mit  den  kleinen  Stichinzisionen  zum  Ziele,  besonders  bei  größer 
ausgedelmten  Phlegmonen,  mit  großer  Virulenz  der  Bakterien, 
waren  größere  Einschnitte  notwendig.  Arnspurger  verzichtet 
doch  nicht  in  allen  Fällen  auf  die  Drainage  und  Tamponade.  Ru- 


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Nr.  ä 


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brilius,  sonst  ein  Anhäjiger  der  Stannngsbehandiung,  warnt 
bei  seplischer  Allgeineininfektion,  die  Süumjigsbebandlung  zii- 
lange  hinzuzielien.  Lexer  behandelte  pycäinische  Metastasen,  ans¬ 
gebend  von  einer  eiternden  Kopfwunde,  im  Fuß^  und  Schulter¬ 
gelenke  an  deniselhen  IMenschen  mittels  der  Stauungsbinde,  mußte 
diese  aber  wegen  starker  Schmerzen  an  der  Schnürstelle  wietler 
ahnehmen  und  beobachtete  in  der  Folge  das  Auftreten  von  Ab¬ 
szessen,  genau  an  der  Stelle  der  geweLsenen  Bindentouren.  Lexer 
ist  der  Ansicht,  daß  die  Binde  durch  den  Druck  das  Gewebe  ge¬ 
schädigt  und  damit  einen  Locus  minoris  resistentiae  geschaffen 
habe,  an  dem  sich  die  im  Blute  kreisenden  Bakterien  nieder¬ 
lassen  konnten.  Lexer  fand  im  Gegensätze  zu  Bier,  welcher 
in  Bonn  nur  selten  Streptokokken  als  Erreger  akuter  Eiterungen 
fand,  in  Königsberg  und  Berlin  diese  und  Mischinfektionen  mit 
Sta])hyIokokken  nicht  selten.  Hier  versagt  nach  Lexer  nicht 
nur  die  Stauung  in  ihrer  Heilwirkung,  sondern  führt  sogar  ört¬ 
liche  und  allgemeine  Verschlinmierung  herbei.  Daher  smll  mmr 
jedeii  Fall  bakteriologisch  untersuchen,  da  sich  die  einzelnen 
bakteriologischen  Infektionen  der  Wunde  gegenüber  verschieden 
zu  verhalten  scheinen.  Lexer  unterscheidet  vier  Typen  der 
Wirkungsweise  der  Stauungshyperämie:  1.  das  Infiltrat  geht  voll¬ 
kommen  zurück;  ist  der  Fall  bei  leichten  Entzündungen,  wenn 
bald  gestaut  wird;  2.  das  Infiltrat  erweicht  rasch,  ohne  sich 
zu  vergrößern;  kann  der  Fall  sein  bei  leichten,  fieherlosen,  mehrere 
Tage  alten  Entzündungen,  oder  schon  von  geringem  Fieber  be¬ 
gleiteten,  welche  frühzeitig  gestaut  werden;  3.  das  Infiltrat  er¬ 
weicht  und  vergrößert  sich  durch  Fortschreiten  in  die  Umgebung 
und  Tiefe,  das  Fieber  bleibt  unbeeiiiflußt  oder  steigt;  das  kommt 
meist  bei  Streptokokkeninfektionen  vor;  dazu  tritt  noch  eine 
erysipelartige  Rötung  bis  zur  Binde;  4.  das  Infiltrat  wächst  rasch 
unter  dem  Bilde  der  akut  fortschreitenden  Phlegmone,  das  Fieber 
steigt  unter  schweren  Allgemeinerscheinungen,  im  Blute  werden 
leicht  Bakterien  nachgewiesen.  In  leichten  Fällen  wird  die  Bior- 
sche  Methode  nie  versagen,  in  schweren  stets,  in  mittelschweren 
wird  ihre  Wirkung  zweifelhaft  sein,  da  von  der  Schwere  der 
Infektion  und  der  Widerstandskraft  des  Organismus  alles  ab¬ 
hängt.  Dazu  kommt  noch,  daß  die  Giftstoffe  durch  die  Stauung 
zwar  verdünnt,  aber  auch  beträchtlich  vermehrt  werden.  Daher 
fordert  Lexer,  daß  überall,  wo  die  örtlichen  Erscheinungen 
auf  die  hescliriebenen  Giftwirkungen  schließen  lassen,  die  Stau¬ 
ungsbehandlung  sofort  unterbrochen  und  erst  durch  größere  Ein¬ 
schnitte  der  Abfall  der  Temperatur  herbeigeführt  wird,  bevor 
man  weiter  staut,  oder  daß  man  von  vornherein  durch  genügend 
große  Inzisionen  das  Auftreten  jener  Endoloxinwirkung  verhindert. 

Die  bei  der  Behandlung  von  Phlegmonen  und  S eh n e li¬ 
sch  e  id  enphle  gm  onen  gewonnenen  Resultate  sind  im  allge¬ 
meinen  als  sehr  günstige  zu  bezeichnen.  Herhold  berichtet, 
daß  eine  Unterschenkelphlegmone  sehr  rasch  zurückgegangen  ist; 
von  fünf  Sehnenscheidenphlegmonen  heilten  zwei  mit  gutem  Resul¬ 
tate  aus,  ein  Fall  kann  nicht  mitgerechnet  werden,  weil  er  schon 
zu  weit  vorgeschritten  war,  in  einem  Falle  mußte  aus  äußeren 
Gründen  mit  der  Stauung  aufgehört  werden,  im  letzten  Falle 
kam  es  im  Anschlüsse  an  die  Stauung  zu  hohen  Temperatur¬ 
steigerungen  und  Fortschreiten  der  Lymphangoitis  über  die  Binde. 
Derlin  sah  zwei  Sehnenscheidenphlegmonen  unter  Anwendung 
der  Binde  mit  gutem  Resultate  ausheilen.  Lossen  hat  sehr 
günstige  Re.sultate;  drei  Fälle,  in  welchen  unter  gewöhnlicher 
Behandlung  sämtliche  Sehnen  vereitert  und  entweder  nekrotisiert 
wären,  oder  sich  kiarmüi  gezogen  hätten,  heilten  günstig  aus. 
Danielsen  behandelte  19  Fälle  von  Phlegmonen  poliklinisch; 
hei  acht  Fällen  wurde  in  wenigen  Tagen,  ohne  daß  es  zur 
Eiterung  gekommen  wäre,  Heilung  erzielt,  in  den  übrigen  elf 
Fällen,  die  bereits  vorgeschritten  waren,  kam  man  mit  kleinen 
Stichinzisionen  aus.  Be'stelmeyer  gelang  es  in  14  Fällen  von 
subakuten  oder  subfaszialen  Phlegmonen  am  Arm  oder  Bein  sieben¬ 
mal  durch  Stauung  eine  Amllständige  und  ziemlich  rasche  Heilung 
hei’heizufüliren.  Eine  phlegmonöse  Bursitis  praepatellaris,  mit  suh- 
faszialer  Phlegmone  des  Oberschenkels,  konnte  durch  Stauung 
nicht  zur  Heilung  gebracht  werden,  sondern  hier  mußte  man 
breite  Inzisionen  anlegen ;  dagegen  gelang  es  in  drei  Fällen  von 
Bursitis  praepatellaris,  deren  Exsudat  teils  eitrig,  teils  trübserös 
war,  durch  kleine  Stichinzisionen  und  Anlegen  der  Stauungs- 
hinde,  sehr  rasch  Heilung  zu  erzielen.  Rubritius  konnte  in 


der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Sehnenscheidenp)hlegmonen  eine 
Heilung  ohne  Nekrose  der  Sehne  erzielen  und  beobachtete  mit 
Ausnahme  eines  Falles  eine  sehr  stark  herabgesetzte  Heilungs¬ 
dauer.  Bonheim  hatte  in  zwei  Fällen  sehr  guten  Erfolg,  einmal 
wurde  die  Sehne  nekrotisch  und  einmal  gelang  es  nicht,  die  Ent¬ 
zündung  aufzuhalten.  Lindenstein  fand,  daß  die  Phlegmonen 
unter  der  Stauungshyperämie  stets  gut  ausheilen,  während  dies 
nach  seinen  Erfahrungen  bei  den  Sehnenscheidenphlegmonen  nicht 
stets  der  Fall  ist,  da  es  ihm  unter  elf  Fällen  nur  viermal  gelang, 
die  Sehne  mit  guter  Funktion  zu  erhalten.  Manninger  konnte 
in  14  Fällen  von  Schnenscheidenphlegmonen  durch  Anwendung 
der  Slauungshinde  deren  Progredienz  aufhalten ;  in  frischen  Fällen 
war  das  günstige  Resultat  ganz  auffallend,  da  diese  Fälle  in 
neun  bis  elf  Tagen  mit  gutem  funktionellen  Resultate  zur  Heilung 
gebracht  werden  konnten.  Günstig  sprechen  sich  ferner  noch 
aus  Stabs,  Jerusalem,  Stich,  Tomasc  he wsky.  Arns- 
p  u  r  g  e  r  hält  die  Zellgewebsentzündung  sowie  die  Sehnenscheiden¬ 
phlegmone  als  weniger  gut  für  die  Stauungsbehandlung 
geeignet. 

Lieber  die  Resultate  der  Behandlung  akuter  Osteomye¬ 
litis  durch  Stauungshyperämie  läßt  sich  derzeit  noch  kein  defi¬ 
nitives  Urteil  fällen.  Bier  seihst  teilt  das  Resultat  von  14  selbst- 
behandelten  Fällen  akuter  eitriger  Osteomyelitis  mit;  von  diesen 
heilten  sechs  ohne  Nekrose,  fünf  mit  geringer,  zwei  mit  ausge¬ 
dehnter  Nekrose  aus;  ein  Fall  starb  an  Pyämie.  Colley  sah 
drei  Fälle  unter  Stauungsbehandliuig,  ohne  Nekrose  ausheilen, 
auch  heilte  Derlin  einen  Fall  schwerer  traumatischer  Osteo¬ 
myelitis  mit  gutem  Erfolge.  Ebenso  beobachteten  Bonheim  und 
C  a  t  h  a  r  e  t  günstige  Resultate.  Manninger  legte  nach  Spal¬ 
tung  des  Abszesses  die  Binde  an  und  beobachtete  in  allen  vier 
Fällen  Nachlassen  des  Schmerzes  und  Schwinden  des  Fiebers. 
Ebenso  ist  Froimnier  mit  dem  Erfolge  zufrieden.  Stich  er¬ 
zielte  in  einem  schweren  Falle  von  Osteomyelitis  kein  zufrieden¬ 
stellendes  Resultat,  Bestelmeyer  konnte  bei  einem  Falle,  in 
dem  er  erst  am  13.  Tage  nach  der  Erkrankung  Gelegenheit  hatte, 
zu  stauen,  keinen  Erfolg  erzielen.  Arnspurger  findet  die  akute 
Osteomyelitis  für  die  Stauungstherapie  nicht  sehr  geeignet. 

Auch  über  die  Erfolge  der  Behandlung  des  Erysipelsi 
mittels  Stauung  läßt  sich  noch  wenig  sagen.  Keppler  selbst 
hält  hier  noch  die  Skepsis  für  angezeigt.  Er  behandelte  13  Kopf- 
erysipel  mit  Kopfstauung;  einmal  ging  das  Erysipel  bis  an  die 
Binde  heran,  in  den  übrigen  Fällen  blieb  es  beschränkt  und 
heilte  nach  kurzer  Zeit  ah.  Hoch  aus  beobachtete  unter  sechs 
Fällen  von  mit  Stauung  behandelten  Kopferysipeln  dreimal  ein 
Sistieren  der  Progredienz  des  Erysipels  und  ein  Abfallen  des 
Fiebers.  Bestelmeyer  hält  diese  Behandlung  des  Erysipels 
für  unzuverlässig ;  in  drei  nicht  besonders  schweren  Fällen  konnte 
durch  Anlegen  der  Binde  Stillstand  erzeugt  werden,  in  zwei 
anderen  Fällen  wurde  kein  Einfluß  konstatiert;  besser  bewährte 
sich  die  Stauung  bei  Lymphangoitis,  die  dann  in  der  Regel  in 
sieben  Tagen  ausheilte. 

Vereiterte  große  Gelenke  behandelt  Bier  ebenfalls 
mit  der  Stauungshyperämie.  Schon  einige  Stunden  nach  Anlegen 
der  Binde  wird  unter  dem  auffallend  schmerzlindernden  Einflüsse 
der  Stauungshyperämie,  mit  vorsichtigen  aktiven  U2rd  passiven 
Bewegungen  des  erkrankten  Gelenkes  begonnen  und  auf  Ruhig¬ 
stellung  desselben  durch  einen  fixen  Verband  verzichtet.  „Die 
Stauungshyperämie  im  Vereine  mit  frühzeitigen  Bewegungen  hat 
uns  aber  selbst  bei  den  schwersten  Gelenfcseiterungen  die 
vollständige  Funklion,  ohne  die  geringste  Einschränkung  er¬ 
zielen  lassen.  Bier  erzielte  sehr  günstige  Erfolge  bei  Ver¬ 
eiterungen  des  Ellbogen-,  Knie-  und  Schultergelenkes.  In 
einigen  Fällen  gelang  es,  heiße  Gelenksabszesse  zuerst  in  kalte 
zu  verwandeln  und  dann  zum  Schwinden  zu  bringen.  Linden¬ 
stein  und  Manninger  hatten  ebenfalls  in  diesen  Fällen  sehr 
günstige  Resultate  erzielt.  Bestelmeyer  hat  zwei  Gelenksver¬ 
letzungen  mit  bestem  Erfolge  gestaut,  während  drei  Gelenks¬ 
eiterungen  erfolglos  mit  Stauung  behandelt  wurden.  Stabs  sah 
vier  Fälle  infektiösen  Kniegelenksergusses  (drei  Sticliverletzu.ngen 
und  eine  metastatische  Entzündung)  ohne  Drainage  unter  dem 
Einflüsse  der  Slauungshinde  sehr  günstig  verlaufen.  Luxem¬ 
bourg  rühmt  sowohl  bei  akuten,  als  auch  chronischen  Gelenks¬ 
entzündungen  dem  Verfahren  außer  der  schmerzlindernden  Wir- 


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kling  die  baldige  Wiederkehr  aktiver  und  passiver  Bewegliclikeit, 
sowie  eine  Lösung  der  Versteifung  nach;  elienso  riihrnt  Arns- 
purger  das  Nachlassen  der  Schmerzen  und  das  gute  funktionello 
Kesultal.  ßonheim  versagte  hei  akuteitrigen  Gelenksentzün- 
dungen  die  Stauung  teilweise  den  Erfolg.  Hingegen  beobachtete 
ILubritius  bei  zwei  Gelenkseiterungen,  die  mit  Stauungshyper- 
.ämic  behandelt  wurden,  Forlschreiten  des  Prozesses  auf  die  be¬ 
nachbarten  AVeichteile  und  septische  Allgemeininfektion. 

Sehr  günstige  Resultate  hatte  Hier  bei  der  gonorrhoi¬ 
schen  Arthritis.  Hirsch,  der  25  Fälle  dieser  Art  behan¬ 
delte,  lobt  besonders  <las  rasche  und  iirompte  Nachlassen  der 
Schmerzen.  Eine  Abkürzung  der  Heihingsdauer  fand  er  aber 
nicht.  Ebenso  sprechen  sich  sehr  günstig  über  die  Stauung  bei 
gonorrhoischer  Arthritis  aus  Stabs,  Laqueur,  Till  mann, 
Luxembourg,  Jerusalem,  Bum,  v.  Tiling;  während  Bon- 
heim  in  drei  Fällen  keinen  Einfluß  konstatieren  konnte. 

Die  Stauungshyperämie  findet  auch  bei  versteiften  Ge¬ 
lenken  ihre  Anwendung  und  wird  teils  durch  die  Binde  her¬ 
vorgerufen,  teils  durch  von  Bier  eigens  konstruierte  große  Saug¬ 
apparate.  Auf  die  Technik  letzterer  näher  einzugehen,  würde  im 
Bahnieii  eines  Sammelreferates  zu  weit  führen  und  müssen  wir 
daher  schon  auf  Biers  Originalarbeiten  selbst  verweisen.  Aber 
auch  mit  der  durch  die  Stauungsbinde  hervorgerufenen  Hyiier- 
ämie  wurden  gute  Erfolge  erzielt.  (Till mann,  Frankel,  Habs.) 

Ausgezeichnete  Erfolge  erzielt  die  venöse  Hyperämie  bei 
den  tuberkulösen  Knochen-  und  Gelenkserkmnr- 
kungen.  Habs,  der  200  Fälle  von  Tuberkulose  mit  Bier  scher 
Stauung  behandelte,  hat  günstige  Resultate  erzielt.  Besonders 
günstig  erwies  sich  die  Behandlung  bei  Kindern.  Mehrfach  konnte 
beobachtet  werden,  daß  Stellen,  an  denen  anfangs  Fluktuation 
zu  finden  war,  hart  wurden  und  im  weiteren  Verlaufe  auch  diese 
harten  Verdickungen  schwanden.  Immerhin  aber  wanit  Habs 
bei  offener  Tuberkulose,  sowie  bei  schweren  Knochenzerstörungen, 
insbesondere  bei  Sequesterbildung,  nicht  zuviel  Zeit  zu  verlieren. 
Luxembourg  fand  sowohl  bei  frischen  tuberkulösen  Gelenks¬ 
entzündungen,  als  auch  in  veralteten  Fällen,  bald  nach  Beginn 
der  Stauung  ein  Aufhören  der  Schmerzen,  die  Granulationen  be¬ 
kamen  ein  frisches  Aussehen,  bald  trat  Resorption  der  fungösen 
Massen  ein  und  die  Beweglichkeit  der  versteiften  Gelenke  wurde 
besser.  Konnte  von  einer  Besektioii  nicht  Ahstand  genommen 
werden,  so  ergab  die  Nachbehandlung  der  Resektionswunden  mit 
Slauungshyperämie  ausgezeichnete  Resultate ;  die  Fisteln  schlossen 
sich  und  die  Vei'steifung  der  Gelenke  sieß  sich  mehr  oder  weniger 
verhüten.  Verschlimmerung  des  Leiden,  Auftreten  kalter  Al)szesse 
oder  großer  wuchernder  Granulationsmassen,  sowie  Symptome 
beginnender  Sepsis  wurden  nie  beobachtet.  Auch  iManninger 
findet  die  Erfolge  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  ausgezeichnet,  nur 
kann  man  gute,  dauernde  Resultate  erst  nach  monatelanger,  oft 
ein  bis  zwei  Jahre  fortgesetzter  Behandlung  emarten.  Geb  eie 
und  Eber  may  er  fanden  die  Erfolge  besonders  bei  jugendlichen 
Individuen,  wenn  es  sich  um  Granulationstuberkulose,  besonders 
aber  Um  Gelenkseiterungen  handelte,  sehr  gut.  Ebenso  empfehlen 
die  Stauung  Tillmann,  Frommer,  Lindenstein.  Gängele 
sah  eine  entschiedene  Beschleunigung  der  Heilungsdauer  in 
frischen  Fällen  tidoerkulöser  Fisteln,  die  teils  mit  dem  Saugball, 
teils  mit  der  Stauungsbinde  behandelt  wurden.  Klapp  behan¬ 
delt  auch  die  Gelenkstuberkulose  mit  dem'  Saugball,  eventuell 
mit  eigens  konstruierten  Saugapparaten  und  konstatiert  dabei 
ein  Rot-  und  Körnigwerden  der  schwammigen  Granulationen; 
die  Gelenke  verlieren  ihre  Spindelform.  Besonders  günstig  wird 
die  Synovitis  tuberculosa  beeinflußt. 

Heber  den  großen  Werl  der  Stauungshyp<'rämie,  sei  diese 
durch  die  Binde  oder  den  Sehröpfkopf  hervorgerufen,  in  der 
Behandlung  von  Panaritien,  Furunkel,  deren  Heihingsdauer  auch 
durch  ihre  Anwendung  wesentlich  herabgesetzt  wird,  sowie  der 
Karbunkel,  Bubonen  etc.  sind  alle  Autoren  in  ihren  diesbezüg¬ 
lichen  Publikationen  einig.  Arnspurger  und  Stich  erwähnen 
den  günstigen  Einfluß  der  Hyperäinie  auf  meta,shitis(die  Eiterungen, 
letzterer  speziell  in  einiMii  Falle  einer  puerperalen  Midastase. 
Golley  behandelte  eine  Appendizitis  mit  abgekapseltein  Eiter- 
lierde,  da  <lie  Oiieration  kontraindiziert  war,  mit  der  Saugglocke. 
Nach  dreitägiger  Bcdiandlung  ließen  die  Schiit hdfröste  nach,  die 
Resistenz  verschwand,  Eiterung  trat  nicht  auf;  als  nach  einigen 


Monaten  die  Oireration  vorgenominen  wurde,  fand  man  die  Appen¬ 
dix  mit  narbig  verengtem  Lumen  dicht  am  Gökuni. 

Frommer  wandü'  Stauungshyperämie  in  einem  Falle  von 
Gangraena  prai'Cox  an.  Er  beobachtete  rasche  Verminderung  der 
Schmerzen,  rasche  Reinigung  des  Geschwüres,  Beschleunigung 
der  Demarkation  und  .Mistoßung,  sowie  der  Vernarbung  und  Er¬ 
wärmung  der  Extremitäl.  Joseph  empfiebll  die  frühzeitige,  pro¬ 
phylaktische  Stauung  infiziei'ter  Wunden;  besonders  bei  den 
schweren  Verletzungen  (Sehnenzerreißungen)  der  Arbeiterhände, 
in  welchen  Fällen  er  durch  Naht  der  Sehnen  und  Wunden  und 
gleichzeitigem  Gebrauche  dm-  Stauungshyperämie  sehr  gute  Er¬ 
folge  zu  verzeichnen  hat. 

Von  Klapp  wurde  zuerst  die  Behandlung  der  Mastitis  mit 
der  Saugglocke  empfohlen.  Nach  seinen  Vorschriften  müssen 
die  Patientinnen  in  der  gestauten  Brust  das  Gefühl  der  Füllung 
der  Brust  bis  zum  Platzen  haben,  ohne  alrer  dabei  Schmerzen 
zu  empfinden.  Vorhandene,  deutlicli  fluktuierende  Abszesse  Aver- 
den  unter  Aethylchlorid  durch  Vs  bis  1  cm  lange  Stichinzisionen 
eröffnet  und  ausgesaugt.  Der  Milchstauung  ist  besondere  Aufmerk¬ 
samkeit  zuzuwenden;  entleert  sich  beim  Ansetzen  der  großen 
Saugglocke  keine  IMihdi,  so  ist  diese  mit  dem  khunen  Milchsauger 
zu  entfernen.  Klapp,  ferner  van  hier,  (toi  ley  und  Eng¬ 
länder  haben  sehr  gute  Erfolge  erzielt.  Fällt  doch  gerade  hier 
der  kosmetische  Effekt  den  Frauen  gegenüber  sehr  in  die  Wag¬ 
schale,  da  die  großen,  die  Brust  dauernd  entstellenden  Narben 
wegfallen. 

Robbers  malmt,  bei  allzu  großer  Spannung  der  Weiebteile 
von  der  Stauung  abzusidien  und  lieber  durch  Entsiiannungsschnitte 
für  die  Regelung  der  Zirkulation  zu  sorgen.  Er  beobachtete  einen 
Fall  einer  Infektion  am  rechten  Daumen  durch  einen  Glassplitter, 
der  mit  dem  IMunde  herausgezogen  wurde.  Am  fünften  IVage  der 
Infektion  (es  wurden  Pneumokokken  nachgewiesen)  Anlegen  der 
Stauungsbinde.  Es  kam  zur  Gangrän  der  Hand  und  des  Vorder¬ 
armes,  die  die  Enukleation  iin  Ellbogengelenk  notwendig  machte. 
Da  aber  Pneumokokken  nachgewiesen  wurden,  so  ist  es  nach 
Robbers  nicht  zu  entscheiden,  ob  die  Gangrän  auf  diese  oder 
die  Stauungsbinde  zurückzuführen  ist. 

Von  mehreren  Autoren  (Frommer,  Joseph)  wird  die 
Stauungshyperämie  auch  zur  Heilung  postoperativer  Wunden  em¬ 
pfohlen.  Kaefer  empfiehlt  sie  besonders  dann,  wenn  Wunden 
nach  wegen  nicht  eitriger  Affektionen  vorgenoinmenen  Opera¬ 
tionen  die  ersten  Zeichen  gestörten  Heilungsfortganges  zeigen. 
Ever  sin  an'n  ist  hesonders  mit  dem  Effekt  der  Saugbehandlung 
eiternder  BauchdeckenAvunden  nach  Laparotomien  sehr  zufrieden. 
Er  setzt  den  Saugapparat  zAveimal  täglich  auf  je  eine  halbe 
Stunde  an  (nach  je  fünf  Minuten  eine  Minute  pausierend).  Ist 
schlechte  Tendenz  zur  Heilung  \mrhanden,  so  Avird  nach  Ent¬ 
fernung  der  Saugglocke  eine  2%ige  Argentum  nitricum- Salbe 
auf  die  Wunde  gestrichen. 

Bei  Frakturen  der  Knochen  wurde  oft  mit  gutem  Erfolge 
die  Stauungsbinde  angelegt.  Deutschländer  staut  bei  Frak¬ 
turen  täglich  mit  einer  kurzen  Unterbrechung  sechs  bis  acht 
Stunden  lang.  Als  besondere  Vorzüge  dieser  Therapie  nennt 
Deutschländer  die  außerordentliche  Einfachheit  in  der  An- 
Avendung,  eine  raschere  Kallusbildung  und  damit  herabgesetzte 
Heilungsdauer,  das  Ausbleiben  atrophischer  Prozesse  und  eine 
schmei’zlindernde  Wirkung.  Luxe  m  I)  o u  r  g  behandelte  durch 
Stauung  eine  Knochenfraktur  im  Bereiche  des  Gelenkes  mit  sehr 
gutem  Erfolge.  Wessels  beobachtete  sehr  gute  Resultate  der 
Behandlung  bei  Radiusfrakturen.  Linden  stein  sah  in  ZAvei 
Fälten  schlecht  heilender  Frakturen  unter  deni  Einfluß  der 
Stauungshyperämie  ra.sche  Konsolidierung  der  Frakturen.  Ca- 
tharet  behandelte  Knochenverletzungen  gut  mit  der  Slauungs- 
binde.  Joseph  empfiehlt  sie  bei  scliAvereii,  komplizierten  Frak¬ 
turen.  Rubritius  hatte  einen  IMißerfolg;  er  beobachtete  bei 
einer  komplizierten  Fraktur  Vereiterung  des  gesammteii,  durch 
die  Stauungsbinde  erzeugten  Oedenis,  Avas  zur  .4mputation  nötigte. 

Die  in  der  Gynäkologie  durch  Anwendung  der  Stauimgs- 
hyperämie  erziidlen  Besultate  sind  im  allgemeinen  als  befriedigende 
zu  bezeichnen.  (G)lley  hat  pe timet ritische  Exsudale  und  gonor¬ 
rhoische  Sjilpingiliden,  die  .  bislang  jeder  konservativen  Behand¬ 
lung  getrotzt  haben,  durch  die  Saugglocke  in  Verbindung  mit 
Beckenhochlagerung  mit  gutem  Erfolge  Ixdiambdt.  Krömer  ein- 


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pl'iehll  die  Siiklioiismetliode  zur  Lokalisation  des  Tnfektions- 
lierdes  l)ei  akuten  Ei)lzündungen  des  weiblichen  Genitales.  Ein 
sei)tischer  Abortus  bei  Placenta  praevia  kam  nach  drei  Siiktioiis- 
silzungen  spontan  zur  Heilung.  Ferner  empfiehlt  Krömer  das 
\’erfahren  zur  Hehandlung  der  Folgeerscheinungen  entzüiullicher 
I’rozesse  u.  zw.  entweder  zur  Erzielung  einer  aktiv-passiven  Hyper¬ 
ämie  zwecks  Erweichung  von  Strikturen  und  Narben  oder  in 
Verbindung  mit  Skarifikationen  zur  Beseitigung  passiver  Flyper- 
äniie.  Bauer  setzte  direkt  auf  die  Portio  eigens  konstruierte 
Sauggläser  auf,  um  sowohl  auf  diese,  wie  auf  den  Uterus  direkt 
eine  kräftige  Saugwirkung  auszuüben.  Bei  chronischer  Metritis 
konnte  öfters  eine  sehr  wohltuende,  schmerzlindernde  Wirkung 
heobachtet  weiden.  Bei  Amenorrhoe  konnte  einmal  die  Men¬ 
struation  hervorgerufen  werden.  Wegen  der  Gefahi'  der  Blutung 
warnt  aber  Bauer,  das  Verfahren  zur  Einleitung  des  künstlichen 
■Vbortus  zu  gebrauchen.  Bei  Endometritis  gelang  es  bisweilen, 
durch  Ansaugen  des  Sekretes  zwar  eine  wesentliche  Besserung, 
niemals  aber  eine  Heilung  zu  erzielen.  Auch  Evers  mann  ver¬ 
suchte  durch  direktes  Ansaugen  des  Sekretes,  dessen  Entfernung 
und  Hyperämisierung  des  Uterus  in  diesem  eine  bessere  Blutzirku¬ 
lation  bei  Endometritis  und  starkem  Ausfluß  herbeizuführen,  wo¬ 
bei  er  sehr  zufriedenstellende  Erfolge  beobachtete;  sogar  derbe, 
schmerzhafte  Stränge  im  Douglas  konnten  zum  Schwinden  ge¬ 
bracht  werden.  Turan,  welcher  mittels  eigens  konstruiertem 
gefensterten  Katheter  die  Hyperämie  intrauterin  erzeugte,  rülimt 
bei  Endometritis  und  Metritis  die  gefahr-  und  schmerzlose  An¬ 
wendung  der  Methode,  sowie  den  guten  Erfolg  derselben.  Lewith 
gebrauchte  die  Methode  der  Suktion  bei  Erosion,  Dekubitus,  Zer¬ 
vikalkatarrh,  Endometritis  und  Metritis,  chronischer  Perimetritis, 
dysmenorrhoischen  Beschwerden,  sowie  Hypoplasia  uteri.  Bei  De¬ 
kubitus  und  Erosionen  beobachtete  Lewith  keinen  Erfolg.  Bei 
Zervikalkatarrh,  Endometritis  und  Metritis  trat  zwar  rasch  eine 
Besserung  des  Zustandes  ein,  nacJi  Aufhören  der  Behandlung  setz¬ 
ten  jedoch  die  Beschwerden  rasch  wieder  ein.  Bei  chronischer 
Perimetritis  war  die  Wirkung  analog  der  Massage.  Bei  Hypoplasia 
Uteri  mit  Dysmenorrhoe  oder  Amenorrhoe  wurde  kein  gutes  Re¬ 
sultat  erzielt.  Tränen -Rain  er  sah  gute  Erosionen,  auch  bei  alter 
Endometritis  mit  Adnextumoren,  doch  sind  ihre  Fälle  wohl  noch  zu 
wenige,  um  daraus  Schlüsse  ziehen  zu  können.  Rudolph 
empfiehlt  die  älethode. 

In  der  Ophthalmologie  wurde  sowohl  die  Stauung  mit¬ 
tels  der  um  den  Hals  angelegten  elastischen  Binde,  als  auch 
dureb  Sauggläser  versucht.  Keppler  behandelte  zwei  Fälle  von 
Dakryozistitis  mit  Kopfstauung;  in  einem  Falle  kam  er  mit  einer 
kleinen  Stichinzision  aus,  während  der  andere  Fall  durch  die 
Stauung  allein  ausheilte.  Renner  wandte  die  Kopfstauung  bei 
Kindern  und  Erwachsenen  bis  zu  40  Jahren  an,  wenn  keine 
krankhaften  Veränderungen  des  Herzens,  oder  im  Zirkulations 
system  vorhanden  waren.  Fünf  Fälle  von  Keratitis  parenchymatosa 
wurden  durch  zwei  bis  vier  Woeben  täglich  sechs  his  zwölf 
Stunden  gestaut. 

Wenn  man  auch  die  Besserung  aller  Fällein  wenigen  Wochen 
nicht  als  beweisend  anseben  kann,  so  wurde  doch  ein  entschieden 
günstiger  Einfluß  konstafierl.  Bei  ekzematös-phlyktänulösen  und 
katarrhalischen  Hornhautgeschwüren,  ebenso  wie  bei  alten  Horn¬ 
hauttrübungen  wurde  kein  Eitd’luß  beobachtet.  Berry  fand  die 
passive  Hyperämie  bei  Augenentzündungen  nützlich.  Wenn  Oedem 
auftrat,  besserten  sich  die  Schmerzen.  Hesse  macht  eine  vor¬ 
läufige  Mitteilung  eines  Versuches,  lokale  Stauung  am  Auge  durch 
ein  an  den  Orbitalrand  angesetztes  Glasgefäßi  hervorzurufen,  in 
welchem  durch  einen  Saugapparat  negativer  Druck  erzeugt  wer¬ 
den  konnte.  Da  liei  Druckdifferenz  von  100  mm  Quecksilber 
konjunktivale  Blutungen  entstanden,  wurde  nur  mit  20  his  50  mm 
Quecksilber  gearbeitet.  Der  Apparat  wurde  so  angelegt,  daß  die 
Lider  nicht  geschlossen  werden  konnten.  Hesse  entwickelte  Che¬ 
mosis  der  Konjunktiva  bis  zur  Eversion  des  Lides,  starke  Füllung 
aller  vorderen  Gefäße,  eventuell  auch  panöser  und  kornealparen- 
chymatöser.  Bei  Kaninchen  trat  nach  vorhergehender  subkutaner 
Fluoreszininjektion  Grünfärbung  der  vorderen  Kammer  auf.  Einen 
therapeutischen  Erfolg  dürfte  die  Stauungshyperämie  haben  bei 
Phlegmone  oder  Furunkel  der  Lider,  Hordeola,  Blepharitis,  'tra- 
chom.  Bei  einem  erfolglos  mit  dem  Thermokauter  behandelten 
Ulcus  serpens  corneae  war  ein  deutlicher  Erfolg  der  Hyperämie 


nachzuweisen.  Hoppe  konstatierte  einen  günstigen  Einfluß  der 
Stauungshyperämie  auf  Hoixleolum  und  Furunkel  der  Augmem- 
brane.  Bei  Chalazeon  halte  nian  sich  vorläufig,  wenn  nicht  bald 
offenkundige  Besserung  eintritt,  tdcht  zulange  mit  der  Saugbehand¬ 
lung  auf,  sondern  greife  besser  zum  scharfen  Löffel.  In  einer 
zweiten  sehr  allst uhiiichen  Arbeit  berichtet  Hoppe  über  die 
Ergebnisse  einer  großen  Reihe  ausgeführter  V^ersuche  über  den 
Einfluß  der  sogenannten  Kopfstauung  auf  das  normale  Auge  utul 
den  Verlauf  gewisser  Augenkrankheiten.  Wenn  man  die  Kopf¬ 
stauung  nach  Bier,  die  an  sich  kein  indifferentes  V'^erfahren  ist 
und  Beherrschung  ihrer  keineswegs  scdiweren  Technik  verlangt, 
richtig  anwendet,  so  wird  auch  dem  kranken  Auge  aus  ihr  kein 
Schaden  erwachsen.  Bei  geringfügigen  oder  durch  einfachere 
Mittel  leicht  heilbaren  Augenkrankheiten  wird  man  von  ihr  ab- 
sehen,  hingegen  soll  man  bei  schweren,  anderer  Therapie  trotzen¬ 
den  Augenleiden  vor  einem  Versuche  der  Anwendung  der  Stauung 
nicht  zurückschrecken.  Eine  mehrstündige,  maßvolle  Stauung 
pflanzt  sich  bis  in  die  Hülle  des  Augapfels  und  bis  in  das  Innere 
des  Auges  fort,  letzteres  allerdings  nur  im  abgeschwächlen  Zu¬ 
stande.  Hoppe  begann  mit  der  Stauung  täglich  viermal  zehn 
Minuten  lang  und  schritt  bald  bis  zu  zwölfstüncliger,  schließlich 
20-  bis  22stündiger  Stauung  fort.  Zur  Beobachtung  gelangten : 
Heukatarrh  der  Bindehaut  und  Nase,  Conjunctiva  phlyctaenulosa, 
breite,  ulzeriert.e  Phlyktäne,  Keratitis  superficialis  vasculosa,  Kera¬ 
titis  herpetiformis,  Infiltratio  corneae  profunda  et  ulcus  corneae, 
Keratitis  parenchymatosa  et  Lues  hereditaria.  Iridocyclitis  trau¬ 
matica.  Die  Fälle  wurden  mit  drei  Ausnahmen  ambulatorisch 
behandelt  und  kamen  zur  Heilung.  Nachteiliger  Einfluß  konnte 
nie  nachgewiesen  werden.  Die  sclunerzstillende  Wirkung  ist  beim 
Entzündungsschmerz  am  auffallendsten.  Bei  einigen  Kranklieits- 
prozessen  schien  die  Stauung  den  Prozeß,  der  bis  dahin  entweder 
ohne  Besserung,  oder  unter  Zeichen  einer  Verschlimmerung  ein¬ 
herging,  deutlich  zum  Stillstände  oder  zu  einer  nachweisbaren 
und.  andauernden  Besserung  zu  bringen.  Unter  ungünstigen  Ver¬ 
hältnissen  bewirkte  die  Stauung  auffallend  bessere  Atropinwirkung, 
was  wahrscheinlich  auf  die  längere  Zurückhaltung  des  Atropins 
im  Bindehautsack  in  konzentrierter  Form,  infolge  einer  Verlegung 
der  Tränenabflußwege  zurückzuführen  ist. 

Weniger  günstig  sind  die  Erfahrungen,  die  mit  Kopfstauung 
in  der  Otiatrie  gewonnen  wurden.  Keppler  seihst  hat  günstige 
Resultate  erzielt,  unter  23  eitrigen  Erkrankungen  des  Mittelohres, 
davon  13  im  akuten,  die  übrigen  im  chronischen  Stadium  zur 
Stauungsbehandlung  kamen  und  die  sämtliche,  mit  einer  einzigen 
Ausnahme,  durch  Beteiligung  des  \Varzenfortsatzes  kompliziert 
waren,  sind  alle  akuten  Fälle  ausgeheilt,  während  bei  den  chro¬ 
nischen  Fällen  kein  guter  Erfolg  eintrat.  Ist  es  zur  Seguester- 
bildung  gekommen,  oder  das  Ohr  mit  Cholesteatommassen  aus¬ 
gefüllt,  dann  ist  die  Behandlung  mittels  Kopfstauung  von  vorn- 
hei'ein  nutzlos.  Heine,  Fleischuiaun,  Ißmer  sind  gegen  die 
Behandlung  der  Otitis  media  mit  der  Kopfstauung  oder  wollen 
sie  nur  sehr  vorsichtig  durchgeführt  wissen,  weil  durch  sie  leicht 
der  richtige  Zeitpunkt  zur  Operation  versäumt  werden  kann. 
Besonders  gefährlich  scheint  Schwarze  die  protrahierte  Kopf¬ 
stauung  bei  der  Diplokokkenotitis  zu  sein.  Absolut  verwerflich 
scheint  sie  nach  Schwarze  und  Ißmer  hei  intrakraniellen 
Komplikationen  und  Arteriosklerose,  Nach  Heine  wurden  nur 
Mastoiditiden  mit  Infiltration  der  Weichteile  und  Abszeßbildung 
durch  die  Stauung  günstig  beeinflußt.  Viel  günstiger  sprechen 
sich  nach  ihren  Erfahrungen  Stenger  und  Haßdauer  aus. 
St  enger  behandelte  elf  akute  Mittelohrentzündungen  ohne  und 
sieben  mit  Komplikationen.  Die  Ohreneiterungen  waren  im  An¬ 
schlüsse  an  Erkältungen,  Anginen  und  unbekannte  Ursachen, 
jedenfalls  nicht  an  Infektionskrankheiten,  entstanden.  Ein  Fall 
kam  zur  Operation,  ein  Fall  blieb  unbeeinflußt,  einmal  mußte 
wegen  Auftreten  von  Reizerscheinungen  am  anderen  Ohre  mit 
der  Stauung  ausgesetzl  werden,  sonst  trat  stets  Heilung  ein;  üble 
Zufälle  winden  nicht  beobachhd,  die  subjektiven  Schmerzempfin¬ 
dungen  ließen  sofort  nach,  die  lokale  Druckempfindlichkeit 
schwand,  die  Eiterung  nahm  anfangs  zu,  um  dann  rasch  abzu- 
nelnnen,  das  Fieber  ging  lytisch  zurück.  Stenger  empfiehlt, 
sofort  die  Stauungsbehandlung  in  die  Reihe  der  therapeutischen 
Maßnahmen  aufzunehmen,  wenn  bei  einer  akut  eitrigen  Otitis 
media  bedrohliche  Ersclieinungen  auftreten,  ohne  dabei  den  rieh- 


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ligeii  Zeitpunkt  ziun  operativen  Eingreifen  zu  verscäuinen.  Das 
Vorhandensein  von  Rachenwuclierungen  ist  eine  Kontraindikation 
der  Kopfstauung.  Haß  lauer  erklärt  die  Behandlung  der  Ohren¬ 
eiterung  mit  der  Stauung  als  einen  bedeutenden  Fortschritt.  Wenn 
sie  auch  kein  Allheilmittel  für  sämtliche  Ohreneiterungen  ist, 
so  werden  doch  bei  der  Otitis  media  acuta  et  perforativa  und 
bei  Warzenfortsatzeiterungen  unstreitig  Erfolge  erzielt. 

Auch  bei  Erkrankungen  der  Rachenorgane  ve7-- 
suchte  man  die  Stauungshyperämie  als  therapeutischen  Faktor 
zu  verwenden.  Prym  behandelte  die  entzündlicheu  Erkrankungen 
dej'  Tonsillen  mit  eigens  konstruierten  Sauggläsern.  Das  richtig 
sitzende  Saugglas  machte  selbst  bei  akuten  Anginen  keine  Be¬ 
schwerden;  unangenehm  war  nur  die  starke  Salivation.  Prym 
empfiehlt  das  Saugglas,  von  dessen  Anwendung  er  übrigens  nie 
Nachteile  sah,  nicht  länger  als  fünf  Minuten  liegen  zu  lassen. 
In  vielen  Fällen  wurden  die  Beschwerden  der  Kranken  auffallend 
gelindert.  Ein  schöner  Erfolg  wurde  bei  dironiscber  Angina  er¬ 
zielt.  Hochaus  erzielte  bei  25  Dipbtheriefällen  recht  zufrieden¬ 
stellende  Resultate,  rasches  Abstoßen  des  Belages,  baldiges 
Schwinden  der  subjektiven  Beschwerden,  Komplikationen,  be¬ 
sonders  Albuminurie,  Herzstörungen  !und  Nervenlähmungen  waren 
sehr  selten.  Bei  zehn  meist  schweren  Anginen  besserten  sich 
die  Beschwerden  im  Halse  auffallend  schnell,  jedoch  war  eine 
Abkürzung  der  Krankheitsdauer  nicht  nachweisbar. 

Fein  und  Retbi  versuchten  die  Stauungshyperämie  auch 
in  der  Therapie  der  Ozäna.  Fein  versuchte  durch  eine  .(Vrt 
Tamponade  nach  Belloque,  das  oberflächliche  Venensystem 
dort,  wo  die  Venen  über  den  Rand  der  Choanen  nach  hinten 
laufen,  zu  stauen.  Bei  vier  Kranken  blieb  das  Verfahren  ganz 
erfolglos,  während  dagegen  bei  zwei  Kranken  eine  eitrige  Otitis 
media,  bzw.  deren  Rezidiv  auftrat.  Auch  Rethi  erzielte  keine 
Erfolge,  höchstens  eine  ganz  vorübergehende  Besserung,  indem 
nach  der  hinteren  Tamponade  eine  Verflüssigung  des  Sekretes, 
leichte  Rötung  der  Schleimhaut  und  Verringerung  des  Gestankes 
beobachtet  wnirde. 

Ullniann  wandte  die  Stauungs-  und  Saugtherapie  bei 
einigen  Affektionen  der  Geschlechtsorgane  an  und  rühmt 
besonders  ihre  gute  Wirkung  bei  der  Tuberculosis  testis,  dei 
Epidydiniitis  und  den  Bubonen. 

Schmieden  konstruierte  einen  großen  Apparat,  bei  dem 
der  Kranke  den  ganzen  Kopf  unter  eine  Saugglocke  steckt,  ver¬ 
wandte  diesen  zur  Behandlung  des  Lupus  im  Gesichte  und 
teilt  einen  schweren,  alten  Lupusfall  mit,  der  auf  mehrwöchent¬ 
liche  Behandlung  durch  Stauung  mittels  des  Apparates  zurück¬ 
ging,  indem  teilweise  Narben  an  Stelle  der  Geschwüre  traten. 
Doch  warnt  Schmieden  selbst,  daraus  schon  voreilige  Schlüsse 
zu  ziehen. 

Die  Saugapparate  auch  bei  Diabetes  (z.  B.  Furunkulose 
infolge  von  Diabetes)  anzuwenden,  warnt  Colley.  Hingegen  hat 
Grube  die  Hyperämie  nach  Bier  auch  bei  einigen  Erkrankungen 
der  Diabetiker  in  Anwendung  gebracht.  Bei  Furunkulosis  ist 
nach  Grube  das  Verfahren  viel  schonender,  führt  rascher  zur 
Heilung  und  scheint  in  schweren  Fällen  vor  dem  Auftreten  des 
Corna  diabeticum  zu  schützen.  Diabetische  Fußgeschwüre  und 
diabetische  Gangrän  wurden  von  Grube  in  ungefähr  20  Fällen 
mit  gutem  Erfolge  mit  heißer  Luft  behandelt,  indem  die  kranke 
Extremität  täglich  eine  Stunde  lang  im  Heißiuftkasten  einer  Tem¬ 
peratur  von  60  bis  ausgesetzt  wurde.  Oft  schwanden  die 

Schmerzen  schon  nach  einigen  Sitzungen,  die  vorher  kalten  und 
livid  gefärbten  Füße  wurden  warm  und  bekamen  ein  normales 
Aussehen  und  bestehende  Fußgeschwüre  zeigen  oft  eine  über¬ 
raschend  schnelle  Heilungstendenz. 

In  der  internen  Medizin  wandte  Bier  und  Keppler 
die  Kopfstauung  an.  Bier  konstatierte  oft  einen  sehr  günstigen 
Einfluß  derselben  auf  Kopfschinerzen,  besonders  auf  anämischer 
Basis  bei'uhenden,  aber  auch  dann,  wenn  diese  durch  eitrige 
oder  tuberkulöse  Meningitis  verursacht  waren.  In  zwei  Fällen 
von  Chorea  nach  Bier  eine  günstige  Wirkung,  während  Epilepsie 
anscheinend  nicht  beeinflußit  wurde.  Keppler  behandelte  zehn 
Fälle  von  Epilepsie  mit  Kopfstauung  einige  Wochen  hindurch. 
Nach  Keppler  führt  die  venöse  Hyperämie  zu  keiner  Vermehrung 
der  Anfälle;  in  einem  Falle  trat  eine  Verschlimmerung  ein,  in¬ 
dem  die  epileptischen  fVnfälle  zwar  nicht  häufiger  auftraten,  aber 


schwerer  und  von  längerer  Dauer  wurden,  in  sechs  Fällen  wurden 
die  Anfälle  zweifellos  herabgesetzt,  in  drei  Fällen  wurde  kein 
Einfluß  wahrgenonnncn.  Hand  in  Hand  mit  der  ilerahsetzung 
der  Zahl  der  Anfälle  ging  eine  Bessenmg  der  seelischen  und 
geistigen  Störungen  einher.  Von  <lrei  Choreafällen  scheint  einer 
in  hervorragender  Weise  gebessert  worden  zu  sein;  einige  aus¬ 
gezeichnete  Resultate  erzielte  Keppler  bei  neiwösen  Kopf¬ 
schmerzen. 

Gewiß  läßt  sich  noch  kein  erschöpfendes,  abschließcndi's 
Urteil  ül)er  die  Stauungshyperämie,  speziell  ihren  Wert  in  den 
einzelnen  Zweigen  der  Medizin  fällen;  dazu  ist  ja  auch  die  Zeit 
seit  ihrer  allgemeinen  Anwendung  eine  zU  kurze  und  die  Zahl 
der  Beobachtungen,  vor  allem  auf  den  Gebieten  der  Gynäkologie, 
Ophthalmologie  und  Otiatrie,  eine  zu  geringe.  Sicher  is(,  daß 
sie  bereits  beute  für  den  Chirurgen  ein  notwendiger  und  unent¬ 
behrlicher  Teil  seiner  therapeutischen  Maßnahmen  wurde  und 
gerade  auf  den)  Gebiete  der  Chirurgie  ihre  größten  Triumphe  feiert. 
Sicher  ist  die  Stauungshyperämie  nach  Bier  berufen,  auch  auf 
den  anderen  Zweigen  der  medizinischen  Wissenschaft  und  der 
Therapie  weitgehenden  Einfluß  auszuüben  und  neue  Perspektiven 
zu  eröffnen.  "Wei'  von  ihr  erwartet,  daß  sie  eine  Panazee  sei, 
wird  allerdings  Enttäuschungen  erleben.  Welches  Mittel  ließe 
aber  nicht  in  einzelnen  Fällen  doch  im  Stiche!  Mißerfolge,  die 
von  dieser  oder  jener  Seite  gemeldet  werden,  dürfen  das  Verfahren 
aber  nicht  diskreditieren,  denn  es  ist  sicher,  daß  ein  Teil  der 
Mißerfolge  auf  eine  noch  nicht  richtige  Technik,  auf  technische 
Fehler  in  der  Anwendung  zurückzuführen  ist;  betont  ja  Bier 
selbst  immer  und  immer  wieder,  daß  gerade  von  der  richtigen 
Anwendungsweise  der  Haupterfolg  abhängt  und  haben  auch  Bier 
und  seine  Schüler,  deren  aller  Arbeiten  ein  ungemein  bescheidener 
und  streng  kritischer  Ton  auszeichnet,  auf  Grund  ihrer  Erfahrnng 
vor  allen  Autoren  die  günstigsten  Resultate  aufzuweisen. 

Literatur: 

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berg.  München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  52.  —  2  Bauer,  Wiener 
klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  7.  —  3.  Bau  mb  ach,  Wiener  med. 
Wochenschr.  1906,  Nr.  28.  —  4.  Baumgarten,  München,  med. 
Wochenschr.  1906,  Nr.  48.  —  5.  B  e  n  y,  Edinbourgh  medico  et 

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6.  Bestelmeyer,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  14.  —  7.  B  i  e  r, 
Esmarch-Festschrift  1893.  —  8.  Berliner  Klinik  1895,  H.  89.  —  9.  Ver¬ 
handlungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  1894,  II.,  S.  114.  — 
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bis  49,  —  12.  Ibid.  1904,  Nr.  6.  —  13.  Hyperämie  als  Heilmittel,  2.  Auf¬ 
lage  1905. — 14.  München,  med. Wochenschr.  1905,  Nr.  5  bis  7. — 15.  B 1  e  c  h  e  r, 
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Wochenschr.  1894,  Nr.  30.  —  19.  Ibid.  1899,  Nr.  39  bis  40.  — -  20.  Ibid. 
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München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  29.  —  27.  Deutschi  änd  er, 
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—  31.  Ibid.  1906,  Nr.  4.  —  32.  Fein,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1906, 
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37.  Gebele  und  Eber  mayer,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  13. 

—  38.  Grube,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  29. —  39.  Guth, 
Prager  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  2.  —  40.  Habs,  München,  med. 
Wochenschr.  1905,  Nr.  22. —  41.  Hamburger,  Virchows  Archiv,  156. Bd., 
2.  H.  —  42.  Zentralbl.  f.  Bakteriol.  1897,  Nr.  14/15. —  43.  Haß  Iba  u  er, 
München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  34.  —  44.  Heine,  Berliner  klin. 
Wochenschr.  1905,  Nr.  28.  —  45.  Heller,  Zit.  in  Hyperämie  als  Heil¬ 
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47.  Hesse,  Zentralbl.  f.  Augenheilk.  1906,  Nr.  6.  —  48.  Hirsch,  Berl. 
klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  34.  —  49.  Hochaus,  München,  med. 
Wochenschr.  1905,  Nr.  34.  —  50.  H  o  f  m  a  n  n,  München,  med.  Wochenschr. 
1905,  Nr.  39. —  51.  Hoppe,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  40. 

—  52.  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  Okt.  1906.  —  53.  Ißmer,  Archiv 
f.  Ohrenheilk.,  65.  Bd  ,  1.  u.  2.  H.  —  54.  J  e  r  u  s  a  1  e  m,  Wiener  klin. 
Rundsch.  1906,  Nr.  23.  —  55.  Joseph,  Münchn.  med.  Wochenschr. 
1905,  Nr.  40.  —  56.  Ibid.  1906,  Nr.  38/39.  —  57.  Kaefer,  Zentralbl.  f. 
Chirurg.  1906,  Nr.  10.  —  58.  Keppler,  München,  med.  Wochenschr. 
1905,  Nr.  45 — 47.  —  59.  Klapp,  München,  med.  Wochenschr.  1905, 
Nr.  16/17.  —  60.  Ibid.  1906,  Nr.  21.  —  61.  Berliner  Klinik.  9.  Jahrg., 
212.  H.  —  62.  Kromer,  Zentralbl.  f.  Gyn.  1906,  Nr. 4. —  63.  Laqueur, 


60 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2 


Zeitschr.  f.  experim.  Path.  u.  Therapie.  1905,  1.  Bd,  —  64.  Berl.  klin. 
Wochenschr.  1905,  Nr,  23.  —  65.  Leser,  Zentralbl.  f.  Chirurg.  1906, 
Nr.  17.  —  66.  Lewith,  78.  Versammlung  deutsch.  Naturf.  u.  Aerzte, 
Münchn.  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  44. —  67.  Lexer,  München,  med. 
Wochenschr.  1906.  Nr.  14.  —  68.  Zentralbl.  f.  Chirurg.  1906,  Nr.  18.  — 

69.  Lin  den  stein,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  38/39.  — 

70.  Lossen,  München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  39. —  71.  Luxem¬ 
bourg,  München,  med.  Wochenschr.  1904,  Nr.  10.  —  72.  Manninger, 
Würzburger  Abhandl.,  6.  Bd.,  Nr.  6.  —  73.  N  ö  t  z  e  1,  Arch.  f.  klin. 
Chirurg.,  60.  Bd.  H.  1.  —  74.  v.  P  e  t  z  o  1  d,  Deutsche  militärärztl.  Zeilschr. 
1906,  Nr.  6  —  75.  P  r  y  m,  München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  48. — 
76.  Ranzi,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1906,  Nr.  4.  —  77.  Renner, 
München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  2.  —  78.  R  e  t  h  i,  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1906,  Nr.  39.  —  79.  Robbers,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
1906,  Nr.  16.  —  80.  R  u  b  r  i  t  i  u  s,  Beitr.  z  klin.  Chirurg.,  48.  Bd.,  2.  H. 

—  81.  Rudolph,  Zentralbl.  f.  Gyn.  1906,  Nr.  39.  —  82.  Schmieden, 
München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  31. —  83.  Schön  gut,  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  43.  —  84.  Schwarze,  Verein  d.  Aerzte 
in  Halle  a.  d.  S.  München,  med.  Wochenschr.  1906.  Nr.  4.  —  85.  Stabs, 
Wiener  klin. Rundsch.  1905,  Nr.  46.  —  86.  Stehr,  Wien.  klin.  Wochenschr. 
1906,  Nr.  9.  —  87.  Sten  ger,  Deutsche  mediz.  Wochenschr.  1906,  Nr.  6. 

—  88.  S  tich,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  49/50.  —  89.  v.  Tiliny, 
Journ.  of  the  Americ.  Medical  Association  1905,  April.  —  90.  Till¬ 
mann,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  4.  —  91.  Tomaschewsky, 
Russky  Wratsch.  1906,  Nr.  12,  ref.  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  37. 

—  92.  T  r  an  CU -Rain  er,  Revisla  stiintelor  medicale,  Juli — August  1906, 
ref.  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  44.  —  93.  Turan,  Zentralbl. 
f.  Gyn.  1906,  Nr.  28  —  94.  Ul  Im  an  n,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1900, 
Nr.  19.  —  5.  Van  Li  er,  Nederl.  Tijdschr.  voor  Geneesk  1905,  11.,  Nr.  14. 
ref.  Münchn.  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  10.  —  96.  Wessel,  Hospital 
stid.  1906,  Nr.  30  —  33,  ref.  Deutsche  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  37. 

—  97.  Nordisk  Tidsskrift  for  Terapi,  4.  Bd.,  H.  2,  ref.  München,  med. 
Wochenschr.  1900,  Nr.  44.  —  98.  Wolf-Eisner,  München,  med. 
1906,  Nr.  2.3. 


Vermischte  ^'laehrichteti. 

Vorlieben:  Dein  Privatdozenlen  für  Usycliiatrie  und  Ner¬ 
venheilkunde  Dr.  Ha  ecke  in  Kiel  der  Hrofessortitel. 

:!< 

H a ]j i  1  i  1  io r t :  Dr.  Brückner  für  Augenheilkunde  inWürz- 
hurg.  —  Dr.  Op  pik  of  er  für  Ohrenheilkunde  in  Basel. 

* 

llofral  Prof.  Dr.  Leopold  Schrott  er  R.  v.  Kristelli 
feiert  am  5.  Februar  seinen  70.  Gehurtstag.  Aus  diesem  Anlaß 
findet  an  diesem  Tage  im  Hörsaale  der  Hl.  mediz.  Klinik  eine 
Feier  statt,  hei  dm'  auch  eine  Fesitschrift  von  den  Schülern  des 
Jubilars  überreicht  werden  wird. 

* 

G  e  s  t  o  r  he  n  :  Dr.  B.  U  n  t  e  r h  o  1  z  n  e  r,  Direktor  und  Primar¬ 
arzt  des  Leoimldstädter  Kinderspitales  in  Wien.  —  Der  Professor 
der  .\ugeulHnlkunde  in  Löwen  Dr.  Vennemann. 

* 

Dr.  Julius  Donath,  Dozent  der  Nervenpathologie  in  Buda¬ 
pest,  wurde  von  der  Pariser  Societe  Medico  -  Psychologicpie  zum 
auswärtigen  Mitglied  erwählt. 

Mt 

In  der  Hauptversammlung  des  Aerzte  Vereines  des 
X.  Bezirkes  in  Wien  am  28.  Dezember  1906  wurde  als  Ob¬ 
mann  Dr.  K.  G.  Koch,  als  1.  Ohmannstellvertreter  Dr.  S.  Lie  Il¬ 
tens  lein,  als  11.  Ohmannstellvertreter  Dr.  ]\T.  Rosenthal,  als 
Kassier  Dr.  N.  Handl  und  zu  Schriftführern  Dr.  B.  Back  und 
Dr.  M.  Ernst  gewählt. 

Mt 

Zur  B  e  k  ä  m  p  f  u  n  g  der  S  ä  u  g  1  i  n  g  s  s  t  e  r  1)  1  i  c  h  k  e  i  t . 
Des  Säuglings  Ernährung  und  Pflege.  Anleitung  für  Mütter  aller 
Stände,  Kinder-  und  Wocheniiflegerinnen  von  Dr.  Fritz  Toep- 
I  i  t  z,  Kinderarzt  in  Breslau.  Mit  einer  Einführung  von  Professor 
Dr.  A.  Schloßmann  in  Düsseldorf.  Verlag  von  Preuß  &  Jünger. 
Breslau  1907.  Preis  IMk.  0-40.  Vm'f.  dringt  darauf,  daß  jede 
flutter,  der  nicht  vom  Arzte  das  Nähren  verboten  ist,  mindestens 
versuchen  soll,  zu  stillen.  Alle  Einzelfragen,  wie  oft,  wie  lange 
das  Kind  die  Nahrung  erhalten  solle,  die  Ammenwahl  usw.  finden 
ihre  Ih'antwortung.  Die  künstliche  Einährung  wird  in  leicht  fa߬ 
licher  Weise  kurz  und  klar  behandelt.  In  einer  ühersichtlichen 
'rahelle  wird  für  jcalen  Monat  des  ersten  Lebensjahres  die  Zu¬ 
sammensetzung  der  Nahrung  bestimmt.  Im  letzten  AI)schnitt, 
der  Säuglingspflege  gewidmet,  findet  die  Alutter  für  jede  Pland- 
reichung  hei  ihrem  Säugling  di('  auf  der  rfdehen  Erfahrung  des 
Kinderarztes  Ix'rulunuh'  Anweisung.  Dem  Büchlein  ist  (dne  em¬ 
pfehlende  Einführung  von  Prof.  Dr.  S  c  h  1  o  ß  iii  a  n  n  -  Düsseldorf 
vorangestelll. 

Mt 


Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiet.  51.  Jahreswoche  (vom  16.  bis 
22.  Dezember).  Lebend  geboren,  ehelich  583,  unehelich  270,  zusammen  853. 
Tot  geboren,  ehelich  43,  unehelich  33,  zusammen  76.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  684  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
18'2  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  2,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  11, 
Scharlach  5,  Keuchhusten  3,  Diphtherie  und  Krupp  6,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  7,  Lungentuberkulose  84,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  35,  Wochenbettfieber  5.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  39  (-f-  8),  Wochenbettfieber  7  (-j-  4),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  149  (-f-  60),  Masern  326  (-V  57),  Scharlach  105  (-|-  16),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  6  (=),  Ruhr  0  ( —  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  102  ( —  18),  Keuchhusten  20  ( —  19),  Trachom  0  ( —  6) 
Influenza  0  (0). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstellen  für  die  Sanitätsgemeinden  in 
Oberösterreich.  D  ie  r  sb  a  c  h,  Bezirk  Schärding,  2551  Einwohner,  Ge¬ 
halt  K  766,  Landessubvention  K  500.  Feldkirchen,  Bezirk  Urfahr, 
2992  Einwohner,  Gehalt  K  700,  Landessubvention  K  800.  Ga  f  lenz,  Be¬ 
zirk  Steyr,  1427  Einwohner,  Gehalt  K  500,  Landessubvention  K  800. 
Gilgenberg,  Bezirk  Braunau,  2483  Einwohner,  Gehalt  K  760,  Landes¬ 
subvention  K  400.  K  i  r  c  h  h  a  m,  Bezirk  Gmunden,  2696  Einwohner, 
Gehalt  K  800,  Landessubvention  K  400.  Hop  fing,  Bezirk  Schärding, 
1474  Einwohner,  Gehalt  K  600,  Landessubvention  K  800.  St.  Marien¬ 
kirchen,  Bezirk  Wels,  2361  Einwohner,  Gehalt  K  900,  Landessubvention 
K  400.  N  e  u  s  t  i  f  t,  Bezirk  Steyr,  1434  Einwohner,  Gehalt  K  400, 
Landessubvention  K  1000  nebst  freier  Wohnung.  Pr  am  et,  Bezirk  Ried, 
2621  Einwohner,  Gehalt  K  620,  Landessubvention  K  400.  Ried,  Bezirk 
Steyr,  1857  Einwohner,  Gehalt  K  700.  S  ar  1  e  i  n  s  b  ac  h,  Bezirk  Rohr¬ 
bach,  3584  Einwohner,  Gehalt  K  1040,  Landessubvention  K  400.  Traun¬ 
kirchen,  Bezirk  Gmunden,  1269  Einwohner,  Gehalt  K  400,  Landes¬ 
subvention  K  700.  Bewerber  um  eine  dieser  Stellen  wollen  ihre  mit  den 
Nachweisen  der  ärztlichen  Befähigung,  der  österreichischen  Staatsbürger¬ 
schaft,  der  physischen  Eignung  und  moralischen  Unbescholtenheit  sowie 
des  Alters  und  der  Konfession  versehenen  Gesuche  bis  längstens 
15.  Februar  1907  an  den  oberösterreichischen  Landesausschuß  in 
Linz  einsenden.  In  dem  Gesuche  können  auch  mehrere  der  erledigten 
Stellen  bezeichnet  werden,  wenn  auf  dieselben  für  den  Fall  der  in¬ 
zwischen  etwa  erfolgten  Wiederbesetzung  der  an  erster  Stelle  bezeiclmeten 
Gemeindearztesstelle  reflektiert  wird. 


Programm 

•  der  am 

Freitasf  den  ix.  Januar  1907,  7  Uhr  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Chrobak  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

I.  Administrative  Sitzung. 

Dr.  Autoii  Löw:  Rechenschaftsbericht  pro  1906  und  Voranschlag 
pro  1907. 

II.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

Dr.  Carl  Reitter:  Zur  differentiellen  Diagnose  der  Knochenver¬ 
dickungen  (mit  Demonstration). 

Prof.  Dr.  S.  Stern:  Psychognostische  Erklärung  des  statischen 
Sinnes.  (Fortsetzung.) 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren;  Dr.  Martin  Engländer, 
Regimentsarzt  Dr.  Doerr  und  Dr.  Oskar  Senieleder. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  reclitzeltlKC  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermögiiehen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  uocli  am  Sltzuu^sabeud  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Neusscr  Dounerstag 
den  10.  Januar  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  v.  Neusser. 

Programm: 

1.  Demonstrationen:  Angemeldet  Doz.  Dr.  Türk. 

2.  Dr.  Felix  Kauders:  Zur  Kenntnis  der  Beziehungen  zwischen 
Blutgerinnung  und  Leber. 

3.  Dr.  L.  Hofbaner:  Ueber  Orthopnoe. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Montag,  den  17.  Januar  1907,  7  Uhr  abends,  im  Silzungssaale  des 
Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn  Professor 
Englisch  stattfindenden  wissenschaftlichen  Versammlung. 

Doz.  Dr.  Wilhelm  Schlesinger:  Ernährungstherapie  bei  quanti¬ 
tativen  Anomalien  des  Stoffwechsels. 


Vorantwortlichtr  Badakttor:  Adalbert  Karl  Trupp.  Yarlag  von  Wilhelm  Braumttller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  XberesiengaaM  3. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R,  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G,  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIIl/i,  Wickenburggasse  13. 

XX.  Jahrgang.  Wien,  17.  Januar  1907.  Nr.  3. 


Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  17.618. 


Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


INH 

I.  Origiualartikel:  1.  lieber  Hornhaiitpfropfung.  Von  Dr.  E.  Zirm, 
Primararzt  in  Olmütz. 

2.  Aus  der  I.  medizinischen  Klinik  in  Budapest.  (Direktor: 
Prof.  Friedrich  v.  Koränyi.)  lieber  metamere  Sensibilitäts¬ 
störungen  bei  Gehirnerkrankungen.  Von  Dr.  Heinrich 
Benedict,  vormaligem  I.  Assistenten. 

3.  Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Budapest.  (Direktor:  Professor 
Dr.  Karl  v.  Kötly.)  lieber  chyliforme  Trans-  und  Exsudate 
im  Anschluß  zweier  Fälle.  Von  Dr.  Ladislaus  v.  Kötly,  Privat¬ 
dozent  und  Adjunkt  der  Klinik. 

4.  Die  Diagnose  der  typhoiden  Krankheiten  des  Menschen.  Von 
Dr.  Wilhelm  Spät,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

II.  Referate:  D^s  Sexualleben  unserer  Zeit  in  seinen  Beziehungen 
zur  modernen  Kultur.  Von  Dr.  med.  Iwan  Bloch.  Die  Ehe¬ 
schließung  vom  gesundheitlichen  Standpunkte.  Von  S.  E. 


ALT: 

Henschen.  Unseren  Söhnen!  Aufklärung  über  die  Ge¬ 
fahren  des  Geschlechtslebens.  Von  Dr.  med.  F.  Siebert. 
Die  Aetiologie  der  Syphilis.  Von  Prof.  Erich  Hoffmann. 
Syphilis  du  Poumon  chez  l’enfant  et  chez  l’adulte  par  le 
Dr.  Beriel.  Ref.:  Finger.  —  Experimentelle  Studien  über 
die  Durchgängigkeit  des  Magendarmkanals  neugeborener 
Tiere  für  Bakterien  und  genuine  Eiweißstoffe.  Von  A.  Uffen- 
heimer.  Die  intestinale  Tuberkuloseinfektion  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Kindesalters.  Von  Livius  Fürst.  Ref.: 
J.  Bartel. 

III.  Aus  verscbiedeueu  Zeitschriften. 

IV.  Nekrolog.  Paul  Julius  Möbius.  Von  E.  R  a  i  m  a  n  n. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhaudlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßbericlite. 


lieber  Hornhautpfropfung.*) 

Von  Dr.  E.  Zirm,  Primararzt  in  Olmütz. 

Hornhaiitpfropfimg  ist  der  Ersatz  uadurclisichtigen 
Hornhaiitgewebes  durch  ein  anderes  durchsichtiges  zu  opti¬ 
schen  Zwecken. 

Der  Gedanke  zu  dieser  Operation  entstand  im  An¬ 
fänge  des  vorigen  Jahrhunderts.  Im  Jahre  1824  gab  R ei¬ 
sin  ge  r  nach  der  Darstellung,  die  v.  Hippel^)  über  die 
historische  Entwicklung  dieser  Angelegenheit  veröffentlicht 
hat,  dem  Gedanken  Ausdruck,**)  die  getrübte  menschliche 
Kornea  durch  die  eines  Tieres  zu  ersetzen,  ein  Verfahren, 
welchem  er  den  Namen  Keratoplastik  gab.  Er  brachte  aber 
dasselbe  am  Menschen  niemals  zur  Ausführung,  sondern 
begnügte  sich  mit  wenigen  Versuchen  an  Kaninchen.  Von 
einer  Reihe  der  hervorragendsten  Chirurgen  wurde  Rei- 
singers  Gedanke  mit  Begeisterung  aufgenommen  und 
durch  zahlreiche  Versuche  au  Tieren  zur  Ausführung  ge¬ 
bracht,  so  von  Dieffenbach  u.  a.,  wobei  verschiedene 
Modifikationen  ersonnen  wurden.  Eine  1840  von  der  Mün¬ 
chener  medizinischen  Fakultät  ausgeschriebene  Preisfrage 
gab  eine  weitere  Anregung  in  dieser  Angelegenheit  und  ist 
ein  Reweis,  wie  lebhaft  das  Interesse  für  dieselbe  war. 
Drei  Arbeiten  erhielten  den  Preis.  Mühl  bau  er,  der  die  un¬ 
vollständige  Keratoplastik  einführte,  d.  i.  den  Ersatz  nur 
der  vorderen  Schichten  der  getrübten  Kornea;  Munk,  der 
ein  locheisenförmiges  Instrmnent  verwendete;  Königs- 

*)  In  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  am  14.  Dezember 
1906  gehaltener  Vortrag. 

**)  Nach  der  Darstellung  von  Hirsch  bestreitet  Hirn  ly  R.  die 
Priorität. 


höfer,  der  ein  gabelartiges  Doppelmesser  zur  Ausschnei¬ 
dung  des  Lappens  ersann,  llmen  folgten  zahlreiche  andere, 
so  Marcus,  welcher  zum  erstenmal  die  von  dem  Opera¬ 
teur  zu  überwindenden  Schwierigkeiten  klar  formulierte : 
1.  Die  Uebereinstinunung  der  Größe  und  Form  von  Lappen 
und  Oeffnung;  2.  die  schnelle  Uehertragiing  des  Lappens; 
3.  die  leichte  Befestigung;  4.  die  Verhinderimg  des  Hervor- 
stürzens  der  inneren  Teile  des  Auges  aus  der  Oeffnung. 
Strauch  bediente  sich  eines  doppelten  Starmessers,  Stein¬ 
berg  eines  trepanartigen  Instrumentes. 

Alle  diese  Bemühungen  führten  zu  keinem  Ergebnis, 
so  daß  es  nicht  wundernehmen  kann,  wenn  die  Frage  nach 
Desmarres,  welcher  gleichfalls  Kaninchenkornea  über¬ 
pflanzte,  durch  fast  dreißig  Jahre  zu  voller  Rulie  kam  und 
erst  in  neuerer  Zeit  wieder  auftanchte.  Erst  1872  kam  die 
Angelegenheit  wieder  in  Fluß  durch  einen  Vortrag,  den 
Power  auf  dem  internationalen  Ophthalmologenkongreß  zu 
London  hielt,  insbesondere  aber  durch  v.  Hippel,  welcher 
1877  über  seine  Versuche  berichtete.  Während  die  früheren 
Versuche  fast  ausschließlich  nur  an  Tieren  ausgeführt 
werden,  berichtete  Power,  daß  er  an  zwei  Kindern  die 
Keratoplastik  mit  Kaninchenkornea  wollzogen  habe.  Es  er¬ 
folgte  Einheihmg,  aber  Trübung  der  Lappen,  v.  Hippel 
transplantierte  Hundekornea  auf  die  trübe  Hornhaut  des 
Menschen,  mit  dem  gleichen  negativen  Ergebnis.  Den  ersten, 
allerdings  nur  vorübergehenden  Erfolg  erzielte  S  eil  er¬ 
be  ck^)  1878,  welcher  auf  die  leukomatöse  Kornea  eines 
durch  Ophthalmogonorrhoe  erblindeten  Mannes  die  Kornea 
eines  2i/4jährigen  Mädchens  pfropfte,  dessen  Auge  wegen 
Glioma  retinae  entfernt  werden  mußte.  Der  Lappen  heilte 
reaktionslos  ein,  die  durchsichtige  Linse  befand  sich  an 


WIENER  KLINISCHE  WOCIlENSCIIRiFT.  190?. 


Nr.  B 


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ihrem  Orte,  der  Kranke  konnte  am  14.  Tage  mittelgroße 
Schrift  erkennen,  jedoch  am  21.  Tage  trübte  sich  der 
Lappen  vom  Rande  her,  und  das  Sehvermögen  schwand 
wieder  vollkommen.  Fünf  IMonate  nach  der  Operation  war 
das  transplantierte  Hornhantstück,  wie  Schweigger^)  mit¬ 
teilte,  durchwegs  stärker  getrübt  als  der  stehengebliehene 
Randteil  des  Leukoms.  Auch  die  später  aiisgeführten  Opera¬ 
tionen,  so  von  Fuchs^)  u.  a.,  hatten  das  gleiche  Schick¬ 
sal,  die  Lappen  heilten  größtenteils  ein,  trübten  sich  aber 
gleich  oder  nach  wenigen  Tagen.  Durch  diese  andauernden 
Mißerfolge  wurde  die  Operation  neirerdings  aufgegeben, 
wenigstens  insoweit  sie  optische  Zwecke  verfolgte;  es  er¬ 
schienen  in  den  letzten  Jahren  keine  weiteren  Veröffent¬ 
lichungen  in  der  Literatur.  Dagegen  hat  man  sie  nach  dem 
Vorgänge  von  Fuchs  in  anderer  Richtnng  nutzbringend 
zu  verwerten  getrachtet,  näjwlich  bei  ektatischen  Homhaut- 
narben  und  ährdichen  Hornhautprozessen,  um  eine  solidere 
Vernarbung  zu  erzielen,  also  in  einer  ganz  neuen  Richtung, 
welche  mit  dem  ursprünglichen  Zwecke  der  Keratoplastik 
nichts  gemein  hat. 


gleicher  Zeit  bereits  e  i  n  h ö  c h s  t  e  r f  r e u  1  i  c h e s  Seh¬ 
vermögen:  Fingerzählen  auf  3V2  ni,  Jäger  Nr.  19,  welches 
sich  im  Verlaufe  der  nächsten  Zeit  noch  wesentlich  hob. 
Ini  Juni  1906  betrug  es  Vöo,  -kiger  Nr.  16.  Gegenwärtig  wird 
V.50  Ziffern  unterschieden,  Jäger  Nr.  15  auf  8  cm,  von 
Jäger  Nr.  12  einige  Buchstaben.  Mit  Konvexgläsern  ist  das 
Sehvermögen  noch  besser:  mit  convex  4  Dioptr.  Vso  sehr 
gut,  mit  convex  8  Dioptr.  Jäger  Nr.  10.  Dr.  Meller,  1.  Assi¬ 
stent  an  der  Klinik  des  Hofrates  Fuchs,  hatte  die  Güte, 
gelegentlich  der  Vorstellung  meines  Falles  an  der  Klinik 
am  14.  Dezember  1906,  Leseproben  anzustellen.  Er  er¬ 
mittelte:  „Mit  stenopäischer  Lücke  Vse?  (»och  besser  O 
+  5),  in  der  Nähe  mit  starken  +  Gläsern  (+16  bis  +20) 
Jäger  Nr.  6  gut,  Jäger  Nr.  4  mühsam.  Fundus  sehr  leicht 
sichtbar.“  Das  Gesichtsfeld  hat  eine  normale  Ausdehnung. 
Der  Mann  geht  wieder  seiner  Beschäftigung  vor  der  Erblin¬ 
dung  als  Kleinhäusler  nach,  schneidet  Gras,  füttert  und 
putzt  sein  Vieh,  reinigt  den  Stall,  macht  allein  seine  Wege 
und  Reisen  (z.  B.  aus  seiner  Heimat  zu  mir  nach  Olmütz, 
orientiert  sich  in  der  ihm  fremden  Stadt  usw.). 


Hier  schließt  nun  in  der  Zeitfolge  mein  eigener  FälR) 
an,  dem  auch  meinerseits  vergebliche  Versuche  voraus¬ 
gegangen  sind,  bei  welchem  zum  erstenmal  ein  blei¬ 
bendes  Ergebnis  erzielt  wurde.  Der  Mann,  den  ich  die 
Ehre  habe  hier  vorzustellen,  wurde  von  mir  an  beiden 
Augen  am  7.  Dezember  1905,  also  vor  mehr  als  Jahres¬ 
frist  operiert.  Er  war  infolge  einer  schweren  Kalkver¬ 
ätzung  bis  auf  Lichtempfindung  auf  beiden  Augen  voll-  i 
kommen  erblindet,  beide  Hornhäute  dicht  weißgrau,  völlig 
undurchsichtig,  nur  die  oberen  Randpartien  leicht  durch¬ 
scheinend.  Das  Pfropfmaterial  wurde  dem  Auge  eines  elf¬ 
jährigen  Knaben  entnommen,  das  nach  einer  Eisensplitto«; 
Verletzung  entfernt  werden  mußte.  Acht  Tage  nach  der 
Operation  waren  die  transplantierten  Lappen  in  beiden 
Augen  noch  klar,  doch  nur  mit  dem  linken  wurden  Finger 
gezählt.  Nach  weiteren  zehn  Tagen  traten  im  rechten  Auge 
Schmerzen  auf,  unter  Vermehrung  der  Tension  wölbte  sich 
die  leukomatöse  Kornea  in  Form  eines  Kegels  hervor,  dessen 
Spitze  der  ziemlich  durchsichtig  gebliebene  überpfropfte 
Lappen  bildete.  Nachdem  auch  eine  Sklerotomie  kein  Auf¬ 
hören  der  Schmerzen  bewirkt  hatte,  trug  ich  die  Spitze  des 
erwähnten  Konus  einschließli(di  des  Lappens  ab,  worauf  sich 
der  Rrdbiis  l)ernhigte.  Am  linken  Auge  bestand  zu 


Der  eingepfropfte  Lappen  markiert  sich  als  eine 
schwarze  Scheibe,  wie  ein  Guckfenster,  inmitten  der  weiß- 
grauen,  vollkommen  undurchsichtigen  Umgebung,  er  hat 
genau  seinen  ursprünglichen  Durchmesser  von  5  mm  und 
ist  vollkommen  durchsichtig.  Nur  in  seiner  unteren 
Hälfte  befindet  sich  eine  bloß  bei  fokaler  Beleuchtung 
erkennbare,  überaus  zarte,  oberflächliche  Trübung, 
i  welche  seit  Monaten  völlig  stationär  geblieben  ist.  Man 
unterscheidet  den  inneren-oberen,  mit  der  Hinterfläche  des 
Lappens  anscheinend  verwachsenen  Rand  der  Pupille,  an 
welchem  die  blaugraue  Iris  in  ihren  feinsten  Details  erkenn¬ 
bar  ist.  Wie  man  sich  mit  der  Sonde  überzeugen  kann, 
besitzt  der  Lappen  Sensibilität.  Von  Interesse  ist  ferner 
das  Verhalten  der  Gefäße,  welche  an  der  Oberfläche  des 
Leukoms  sich  verzweigen.  Das  stärkste  kommt  von  außen 
unten  aus  der  Bindehaut  und  verzweigt  sich  büschelförmig 
bis  gegen  den  Rand  des  Lappens,  ihn,  mit  zwei  Endästchen 
unten  und  außen  oben  umkreisend.  Auch  unten  und  innen 
liegt  ein  ganz  feines  Gefäßstämmchen  auf  dem  Leukom, 
welches  bis  an  den  Rand  des  Lappens  heranzieht.  Aeußerst 
dünne  Gefäße  befinden  sich  im  oberen  Teile  der  narbigen 
Kornea.  Alle  diese  feinen  Gefäßverästelungen 
hören  am  Rande  des  Lappens  auif,  ohne  seinen  Rand 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIET.  1907. 


{);> 


ZU  ühersclireileii,  so  ersclieiut  es  weuigstens  bei  einfacher 
Fokal beleuclitung.  IVlit  dem  Koniealmikroskop  ist  aber  das 
Bild  ein  anderes.  Man  sieht,  daß.  die  konjunktivale  üeck- 
schichte,  welche  die  Gefäße  enthält,  glatt  über  den  Lappen 
hinüberzieht  und  feinste  Gefäßästdien,  ihr  folgend,  die  Ober¬ 
fläche  der  ganzen  unteren  Lappenhälfte  überziehen,  nur  die 
obere,  auch  oberflächlich  absolut  klare  und  glatte  Hälfte 
des  l^appens  erscheint  vollkommen  gefäßlos.  Die  tieferen 
Schichten  des  Lappens  zeigen  überall  vollkommene  Durch¬ 
sichtigkeit  und  keine  Spur  von  Vaskularisation.  Die  Grenze 
des  Lappens  gegen  seine  undurchsichtige  Umgebung  bildet 
eine  äußerst  schmale,  seimigweiße  Kreislinie,  die  aber  nur 
innen  oben  deutlicher  ist,  als  Ausdruck  der  neugebildeten 
Verbindungsschichte  zwischen  Lappen  und  Mutterboden. 

Bei  Durchleuchtung  mit  dem  Augenspiegel  läßt  sich 
erkennen,  daß  die  Linse  in  situ  geblieben  und  vollkommen 
ungetrübt  ist,  man  unterscheidet  deutlich  die  nor¬ 
mal  beschaffene  Papille.*) 

Wenn  es  nun  beinahe  ein  Jahrlnmdert  gedauert  hat, 
bis  der  geniale  Gedanke  Reisingers  trotz  tausendfacher 
Versuche  und  der  Bemühungen  einer  langen  Reihe  von 
Forschern  sich  in  der  Tat  verwirklichte,  so  ist  es  gewiß  von 
höchstem  Interesse,  den  Gründen  einer  so  verspäteten  Er¬ 
füllung  nachzugehen.  Uns,  die  wir  auf  den  Schultern  der¬ 
jenigen  Männer  stehen,  welche  uns  vorgearbeitet  haben, 
ist  es  heute  weit  leichter  gemacht,  ein  Urteil  darüber  zu 
fällen,  weshalb  ein  Erfolg  in  früherer  Zeit  nicht  erreicht 
werden  konnte.  Dies  gilt  vor  allem  von  den  Bestrebungen 
in  den  ersten  Jahrzehnten  nach  Reisinger,  wo  der  da¬ 
malige  Stand  der  operativen  Technik,  insbesondere  die 
höchst  mangelhafte  Reinlichkeit  bei  den  Operationen  in 
unserem  Sinne,  der  Mangel  eines  geeigneten  Insti'umentes 
zur  Trepanation,  die  noch  unbekannte  Chlorofornmarkose 
die  Möglichkeit  eines  Erfolges  vollkommen  ausschloß.*  Wir 
haben  aus  der  historischen  Einleitung  ersehen,  daß  bereits 
einzelne  Männer  sich  bestrebt  hatten,  ein  geeignetes  In¬ 
strument  zur  Ausführung  der  Operation  zu  ersinnen.  Denn 
es  mußte  bald  die  Erkenntnis  sich  Bahn  brechen,  was  zuerst 
Marcus  in  klarer  Form  präzisierte,  daß  eine  genaue  Ueber- 
einstimmung  der  Größe  und  Form  von  Oeffnung  und  ein¬ 
zusetzendem  Lappen  eine  Conditio  sine  qua  non  eines  Er¬ 
folges  ist.  Es  rückt  daher  unsere  Angelegenheit  erst  von 
dem  Zeitpunkte  an  in  das  Stadium  des  möglichen  Gelingens, 
wo  der  um  die  Förderung  der  Keratoplastik  auch  in  anderer 
Hinsicht  hochverdiente  v.  Hippel  in  seinem  Trepan  mit 
Uhrfederbetrieb  (einer  Verbesserung  des  von  Darwin  er¬ 
fundenen  Hornhauttrepans)  ein  in  jeder  Hinsicht  brauch¬ 
bares  Instrument  erfand.  Es  war  dies  1887.  Wenn  auch  jetzt 
noch  weder  v.  Hippel,  noch  andere  zu  einem  Erfolge  ge¬ 
langten,  so  liegt  dies  in  anderen  Umständen,  die  uns,  mit 
heutigen  Augen  besehen,  als  Fehlerquellen  erscheinen 
müssen.  So  vollführten  z.  B.  die  einen  die  Uebertragung 
des  Lappens  mittels  des  mit  Kammerwasser  befeuchteten 
Fingers.  Andere  wieder  hauchten  den  Lappen  an,  um  ihn 
warm  zu  erhalten,  oder  es  wurden  desinfizierende  Lösungen 
„zur  sorgfältigen  Reinigung“  des  Lappens  verwendet,  wovon 
schon  WagenmanrU)  1888  abgeraten  hatte,  und  noch 
Czermak  rät  in  seinem  Lehrbuche  der  augenärztlichen 
Operationen,  das  eingesetzte  Läppcheiii  mit  feingepulvertem 
Jodoform  zu  bestreuen.  Anderseits  war  das  Losmachen 
des  aus  trepanier  ten  Lappens  mit  Pinzette  und 
Starmesser  allenthalben  im  Gebrauche,  erscheint  nur  aber 
als  eine  Haupt  Ursache  der  Mißerfolge,  da  das  Ge¬ 
lingen  in  allererster  Linie  von  einer  peinlichst  genauen,  mög¬ 
lichst  idealen  Uebereinstimmung  von  Bohrloch  und  Lappen 
abhängt.  Eine  weitere  Fehlerquelle  liegt  zweifellos  auch  in 
der  bis  in  die  jüngste  Zeit  vorwiegenden  Verwendung  von 
Tierkornea.  Es  ist  geradezu  überraschend,  wie  verhältnis¬ 
mäßig  selten  bisher  eine  geeignete  Menschenhornhaut  in 


*)  Hievon  haben  sich  gelegentlich  der  Vorstellung  des  Falles  in 
Wien  zahlreiche  Fachkollegen,  unter  ihnen  auch  Hofrat  Fuchs  u.  a. 
überzeugt. 


Verwendung  kam.  Und  doch  ist  der  Gedanke  so  naheliegend 
und  durch  Erfahrungen  auf  anderen  Gel)ieten  der  Trans¬ 
plantation  gestützt,  daß  nur  die  in  Schichtung  und  Dicke 
und  gewiß  auch  in  den  feineren  Lebensvorgängen  von  tieri¬ 
scher  Kornea  verschiedene  menschliche  Hornhaut  ein  ge¬ 
eignetes  Propfmaterial  beim  Menschen  abgibt,  besonders 
dann,  wenn  sie  von  einem  jugendlichen  Individuum 
stammt.  Ich  verkenne  nicht  die  häufigen  Schwierigkeiten 
der  Beschaffung  solchen  Materials,  leide  selbst  darunter 
höchst  empfindlich,  doch  ist  dies  an  jeder  mit  größerem 
Krankenmaterial  arbeitenden  Augenklinik  doch  nur  eine  Zeit¬ 
frage,  die  um  des  Erfolges  willen  überwunden  weiden  muß. 

Eine  weitere  Quelle  der  bisherigen  ausnahmslosen  Mi߬ 
erfolge  sehe  ich  in  einer  oft  planlosen  Auswahl  der  Fälle, 
indem  man  sich  zumeist  gerade  an  solche  heranwagte,  welche 
einem  Gelingen  die  größten  Schwierigkeiten  entgegensetzen 
mußten,  Augen  mit  gefäßarmen,  schwieligen  Leukomen  und 
destruierten  Bimienmedien.  Es  sind  ja  die  Einheilungsbedin¬ 
gungen  in  einer  narbigen  Kornea,  welche  —  namentlich  in 
den  tieferen  Schichten  —  noch  Reste  ihrer  ursprünglichen 
Struktur  besitzt,  ferner  bei  noch  vorhandener  Vorderkammer 
zweifellos  um  vieles  günstigere,  als  in  einer  schwieligen 
Hornhautnarbe,  deren  Rückfläche  verflüssigter  Glaskörper 
berührt. 

Es  erübrigt  mir  noch,  die  Ursachen  der  bisher  regel¬ 
mäßig  eingetretenen  L  a  p  pent  r  Übung  hinsichtlich  der 
Ernährungs Verhältnisse  zu  erörtern. 

Gehen  wir  davon  aus,  wie  wir  uns  unter  normalen 
Verhältnissen  die  Ernährung  der  zentral  gelegenen  Horn¬ 
hautpartie  vorstellen,  von  welcher  die  Erhaltung  ihrer 
Struktur  und  daher  auch  ihrer  Durchsichtigkeit  abhängt, 
so  müssen  wir  uns  zunächst  sagen,  daß  ihr  Stoffwechsel 
und  ihr  Nahrungsbedürfnis  äußerst  gering  sein  muß.  Sie 
könnte  bei  ihrer  Gefäßlosigkeit  sonst  nicht  ihr  Auslangen 
finden  mit  der  vom  Rande  her,  aus  den  Randgefäßen  dif¬ 
fundierenden  Gewebsflüssigkeit,  ihrer  hauptsächlichsten 
Nahrungsquelle,  neben  welcher  in  viel  geringerem  Maße  die 
Diffusion  aus  dem  Kammerwasser  in  Betracht  kommt 
(Leber).  Sie  bedarf  aber  zur  Erhaltung  ihrer  Integrität 
des  Schutzes  der  deckenden  Zellschichten  an  ihren 
freien  Flächen.  Aus  den  Untersuchungen  Lebers  imd 
Wagenmanns  wissen  wir,  daß  Beschädigung  derselben 
—  insbesondere  des  Endothels  der  Membran  Descemeti  — 
zur  Trübung  führt.  Daraus  ergibt  sich  die  Notwendigkeit, 
den  einzupfropfenden  Lappen  vor  jedem  Insult  auf  das 
sorgfältigste  zu  sichern.  Es  kann  aber  das  K  a  m  in  e  r  w  a  s  s  e  r 
noch  in  anderer  Weise  seine  schädigende  Wirkung 
üben.  In  allen  Fällen  beobachtete  man  den  Beginn  der 
Trübung  vom  Rande  des  Lappens  her,  oft  unter  starkem 
Aufquellen  desselben,  was  offenbar  damit  zusammenhängt, 
daß  das  Kammerwasser  von  den  Seiten  her  in  den  Lappen 
eindringt.  Es  ist  nun  in  hohem  Maße  wahrscheinlich,  daß 
derselbe  in  kürzester  Zeit,  wie  v.  Hippel  annimmt,  schon 
nach  wenigen  Minuten  durch  eine  fibrinöse  Schicht  mit 
seiner  Umgebung  verklebt.  Doch  nur,  wenn  er  tatsächlich 
von  diesen  nur  durch  einen  feinen  Spalt  ringsum  getrennt 
ist,  wird  die  Verklehung  eine  so  vollständige  sein  können, 
daß  das  Kammerwasser  abgehalten  wird.  Deshalb  erscheint 
mir  auch  die  ausschließliche  Verwendung  des  Trepans,  mit 
Ausschluß  anderer  Instrumente  zur  Freimachung  des 
Lappens,  unerläßlich. 

Allen  diesen  Voraussetzungen  kann  eine  Tierkornea 
im  Menschenauge  niemals  gerecht  wenlen. 

Ein  in  dieser  Weise  richtig  eingesetzter  und  gut  pas¬ 
sender  Lappen  wird  zunächst  seine  Durchsichtigkeit  be¬ 
wahren,  zu  deren  Erhaltung  er  nahezu  keiner  Stoffzufuhr 
bedarf.  Diese  Genügsamkeit  des  Kornealgewebes  erklärt  die 
bisherigen  zahlreichen,  rasch  v  o  r  ü  b  e  r  g  e  g  a  n  g  e  n  e  n  Er¬ 
folge.  Denn  schließlich  hat  auch  die  Anspruchslosigkeit  des 
Korneallappens  hinsichtlich  der  Nahrungszufuhr  seine  natür¬ 
lichen  Grenzen.  Eine  andauernde  Uiderernährung  muß  zu¬ 
letzt  doch,  sei  es  nach  Tagen  oder  günstigsten  Falles  nach 
Wochen,  molckulären  Zerfall  und  somit  Trübung  herbei- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


führen.  Derart  ist  es  denn  auch  bislier  immer  geschehen.  So 
berichtet  Fuchs'^)  über  seine  Fälle:  „Der  Verlauf  der  Heilung 
war  der  gewöhnliche,  daß  nämlich  nach  einigen  Tagen  der 
Lappen  vom  llande  her  sich  trübte,  dami  Gefäße  in  den¬ 
selben  eindrangen  mid  unter  zunehmender  Gefäßbildung 
die  Trübung  vollständig  wurde;  späterhin  trat  in  einigen 
Fällen  eine  teilweise  Wiederaufhellung  des  Lappens  ein. 
Der  Beginn  der  Lappentrübung  Avurde  zumeist  erst  nach 
dem  dritten  Tage  bemerkt,  ja  in  sechs  Fällen  erst  nach 
dem  zehnten  Tage,  ln  einem  Falle  war  der  Flornhautlappen 
bis  zum  15.  Tage  vollkommen  klar  geblieben.“ 

Die  Trübung  des  Lappens  wird  nur  dann  ver¬ 
mieden  bleiben  können,  wenn  das  umgebende  Ge¬ 
webe  noch  über  eine  genügende  Saftzirkulation 
verfügt,  um  vom  Bande  her  die  Zufuhr  des  Er¬ 
nährungsmateriales  zu  besorgen,  oder  so  weit 
genügend  vaskularisiert  ist,  daß  das  Nahr  ungsbe¬ 
dürfnis  des  Lappens  seine  Befriedigung  findet. 
Aus  diesen  Gründen  halte  ich  nur  solche  Leukome  für  ge¬ 
eignet  zur  Keratoplastik,  bei  welchen  noch  Reste  der  ur¬ 
sprünglichen  Kornealstruktur,  insbesondere  in  den  tieferen 
Lagen  sich  erhalten  haben,  während  mir  in  wahrem  Sinne 
totale,  also  bis  in  die  tiefsten  Schichten  durch  Narben- 
geAvebe  substituierte  Leukome  Aveit  Aveniger  verheißungs¬ 
voll  erscheinen. 

Aus  den  feineren  Details  an  dem  hier  vorgestellten 
Falle  glaube  ich  mit  Recht  Beweise  für  die  ausgesprochene 
Ansicht  ableiten  zu  können.  Wir  haben  gesehen,  daß  die 
obere  Hälfte  des  transplantierten  Lappens  auch  in  seiner 
Deckschicht  vollkommen  Idar  und  gefäßlos  ist,  Avährend 
an  der  Oberfläche  der  unteren  von  Anbeginn  eine  leichte 
Trübung  wahrzunehmen  ist,  welche,  unter  dem  Koin.eal- 
mikroskop  besehen,  sich  in  ein  Netz  feinster  Gefäße  jen¬ 
seits  der  Grenze  der  Sichtbarkeit  mit  dem  bloßen  Auge 
auflöst.  Wie  läßt  sich  dieser  Unterschied  erklären?  Die 
Existenzbedingungen,  die  der  Lappen  nach  seiner  Einpflan¬ 
zung  vorfand,  Avaren  jedenfalls  die  denkbar  günstigsten. 
Es  kann  nach  dem  Endergebnis  nicht  bezweifelt  werden, 
daß  er  vom  Anbeginn  nicht  nur  seiner  Umgebung  genauest 
angepaßt  Avar,  sondern  auch  keine  Einbuße  der  schützenden 
Zellschichten  der  vorderen  und  hinteren  Fläche  erlitten 
hatte.  So  entging  er  der  Trübimg  beAvirkenden  Einwirkung 
des  Kammer  Wassers.  Für  sein  genaues  Einpassen  in  die 
Bohröffnung  spricht  ferner  die  äußerst  scliAvache  Ausprä¬ 
gung  der  Aveißen  Kreislinie,  Avelche  als  Ausdruck  der  neu¬ 
gebildeten  Verbindungsschicht  einen  transplantierten  Kor- 
neallappen  immer  mngrenzt  und  zu  obigem  im  Gegensatz 
bei  verfehlten  Transplantationen  als  relativ  breiter  Saum 
sich  markiert.  Aber  es  nmßte  der  eingepfropfte  Lappen 
in  meinem  Falle  auch  vom  ersten  Anfang  an  aus  seiner 
Umgehung  genügendes  Erjiährungsmaterial  empfangen 
haben;  so  konnte  er  nicht  nur  einheilen,  sondern  auch 
durchsichtig  bleiben,  indem  er  sich  seinen  physiologischen 
Charakter  beAvahrte.  Wir  Avissen,  daß  die  normale  Kornea 
gefäßlos  ist  und  es  bleibt,  solange  sie  unter  physiologi¬ 
schen  Bedingungen  steht.  Auf  jede  Veränderung  der  letz¬ 
teren  reagiert  die  Umgebung  durch  das  Hineinsprossen  von 
Gefäßen,  da  nur  die  normale  Hornhaut  bei  Gefäßlosigkeit 
bestehen  kaim,  jede  pathologische  Veränderung 
einen  größeren  Stoffbedarf  in  sich  begreift,  als 
er  durch  Diffusion  gedeckt  werden  kann.  Daher 
sehen  Avir  bei  den  stofflichen  Veränderungen  der  tieferen 
Schichten  bei  Keratitis  parenchymatosa  tiefe  Gefäße  in  die 
Kornea  hineinsprossen,  während  oberflächliche  Gefäße  alle 
in  den  oberen  Kornealschichten  tablaufenden  Krankheits¬ 
vorgänge  begleiten.  Von  denjenigen  Gefäßen  aus,  Avelchen 
iiormalerAveise  schon  der  Transport  von  Ernährungsmate¬ 
rial  bis  zum  Rande  der  Kornea  obliegt,  von  avo  aus  es 
durch  Diffusion  Aveiterbefördert  wird,  wachsen  auch  die 
neugebildeten  Gefäße  in  die  betreffenden  Schichten  hinein, 
um  sie  vor  dem  Zerfall  zu  bewahren  und  sich  daim  erst 
wieder  rückzubilden,  wenn  der  physiologische  Tiefstand  der 
Stoffzirkulation  wieder  genügt.  Die  regelmäßig  vorhandene 


Vaskularisation  an  der  Oberfläche  von  Hornhautnarben  er¬ 
klärt  sich  eben  auch  daraus,  daß  in  diesen  wegen  ihrer 
dichteren  Beschaffenheit  Diffusion  zur  Erlialtung  nicht  aus¬ 
reicht,  so  daß  direkte  Nahrungszutühr  durcli  Gefäße  nötig 
AAÜrd.  Wo  unter  pathologischen  Verhältnissen  Gefäße  nicht 
Zeit  finden  zu  genügendem  Vordringen,  tritt  eitriger  Zer¬ 
fall,  soAvie  Nekrose  ein  (GescliAvür). 

Die  gleichen  Voraussetzungen  dürften  nun  auch  für 
den  transplantierten  Korneallappen  Geltmig  haben.  Weil  er 
in  meinem  Fälle  stets  aus  den  tieferen  Schichten  der  in 
ihrer  Struktur  nicht  gänzlich  veränderten  Umgebung  offen¬ 
bar  genügende  Stoffzufuhr  erhielt,  blieb  er  klar,  erhielt 
sich  seinen  physiologischen  Charakter  und  es  kam  nie  zur 
Vaskularisation  durch  tiefe  Gefäße.  Nur  in  seiner  unteren 
Partie  ziehen  zarteste,  oberflächliche  Gefäße  auf  ihn  hin¬ 
über,  all  dies  Avohl  im  Zusammeidiang  damit,  daß  der  Lappen 
oben  an  den  noch  besterhaltenen  Teil  der  Kornea  angrenzte, 
der  bei  der  Kalkverätzung  einigermaßen  durch  das  obere 
Lid  geschützt  Avar  und  wo  geAviß-  noch  ursprüngliche  Textur 
und  Saftströmung  am  besten  erhalten  geblieben  war  (ich 
erinnere  daran,  daß  der  Kornealrand  oben  noch  leicht  durch¬ 
scheinend  geblieben  Avar).  Der  untere  Teil  des  Lappens 
grenzte  dagegen  an  durch  die  vorausgegangene  Kalkver¬ 
ätzung  tiefer  zerstörte  Partien,  welche  der  Oberfläche  des 
Lappens  eine  mindere  Ernährung  bieten  mußten.  Deshalb 
gingen  hier  feinste  Gefäße  auf  den  Lappen  über.  Diese  Er¬ 
wägungen  scheinen  mir  von  großer  TragAveite  in  prognosti¬ 
scher  Beziehung  und  geben  mir  vielleicht  die  Berechtigung 
zu  der  Behauptung,  daß  in  einem  gefäßarmen  Leukom  nach 
vollständiger  Zerstörung  der  Kornea  bis  in  die  tiefsten 
Lagen  hinein  ein  transplantierter  Lappen  über¬ 
haupt  nicht  durchsichtig  bleiben  wird,  solange 
es  nicht  gelingt,  das  Leukom  selbst  in  seiner 
Textur  insoweit  zu  verändern,  daß  es  dem  Ernäh- 
rungs'bedürfnis  eines  transplantierten  Lappens  dauernd  ge¬ 
nügt.  Man  sollte  daher  zunächst  nur  solche  Fälle  zur  Ope¬ 
ration  auswählen,  bei  welchen  die  tieferen  Lagen  der 
Kornea  noch  teilweise  erhalten  sind,  also  Fälle  von  Ver¬ 
brennung,  KalkA^erätzung,  schwerem  Pannus,  nicht  allzu  tief 
greifenden  Narben  nach  Geschwüren,  hingegen  Fälle  vor¬ 
läufig  noch  ausschließen,  in  welchen  man  nicht  mehr  von 
narbig  getrübter  Kornea  sprechen  kann,  sondern  eine  schwie¬ 
lig-schwartige,  meist  ektatische  Narbe  an  die  Stelle  der  gänz¬ 
lich  zerstörten  Kornea  getreten  ist. 

Die  Ersetzmig  solch  Narbengefüges  durch  Plastik,  ich 
möchte  sie  Na  r  b  e  n  p  1  a  s  t  i  k  nennen  im  Gegensatz  zur  Horn¬ 
hautplastik  (Keratoplastik)  im  getrübten  Kornealgewebe,  hat 
eine  dauernde  Veränderung  des  Narbengewebes  in  oben 
angedeutetem  Sinne  zur  A'oraussetzung,  wenn  ein  Erfolg 
die  Mühe  krönen  soll.  InwieAveit  dies  möglich  mid  erreich¬ 
bar  ist,  wird  die  Zukunft  lehren.  Ich  habe  bereits  zur  Er¬ 
reichung  dieses  Zieles  an  anderer  Stelle^)  einen  Vorschlag 
gemacht  und  ilni  in  einem  Falle  auch  seiÜier  zur  Ausfüh¬ 
rung  gebracht.  Ich  trug  um  die  stehengelassene  Mitte  des 
Leukoms,  den  Ort  der  später  auszuführenden  Pfropfung, 
die  oberflächlichen  Schichten  des  Leukoms  mit  dem  Lan¬ 
zenmesser  ab  und  nähte  hierauf  die  am  Limbus  zirkum- 
zidierte  und  lospräparierte  Augapfelbindehaut  durch  eine 
Tabaksbeutelnalit  rings  um  die  Mitte  fest.  An  dieser  Avar 
in  der  nächsten  Zeit  eine  deutliche  Sukkulenz  nicht  zu 
verkennen.  Leider  fehlte  mir  bis  heute  ein  geeignetes  Pf  ropf- 
material,  um  erproben  zu  können,  ob  die  sichtlich  saft¬ 
reicher  gcAvordene  Narbe  einen  transplantierten  Lap¬ 
pen  ernähren  würde.  Eine  staphylomatöse  Narbe  müßte 
zuvor  durch  Exzision  flacher  gemacht  Averden,  bevor  an 
diese  präparatorische  Bindehautplastik  geschritten 
werden  könnte.  Auch  nach  Ausführung  der  letzteren  müßte 
einige  Zeit  verstreichen,  bis  die  nach'  Aufheilung  der  Binde¬ 
haut  auf  das  Leukom  eintretende  starke  Schwellung  und 
Hyperämie  vorübergegangen  ist,  doch  wieder  nicht  allzu 
lange,  da  jedenfalls  die  auf  das  Leukom  transplantierten 
Gefäße  sich  wieder  zurückbilden  müssen,  weil  ihnen  ohne 
darauffolgende  Narbenplastik  eine  zweckmäßige  Bestim- 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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mimg  fehlt.  Rechnet  man  die  unvermeidliche  Wartezeit 
hinzu,  bis  geeignetes  Material  zur  Plastik  zur  Verfügung 
kommt,  so  ergibt  sich  wohl  stets  das  Erfordernis  eines 
längeren  Zeitraumes.  Ferner  wird  angesichts  der  nicht  ge¬ 
ringen  technischen  Schwierigkeiten  die  Keratoplastik  wohl 
stets  nur  ein  Wirkungskreis  besten  operativen  Könnens  sein. 
Das  Hi nein  wachsen  der  Gefäße  aus  dem  Konjunktivalüber- 
zug  des  Leukoms  in  den  eingesetzten  Hornhautlappen  fürchte 
ich  nicht.  Jene  sollen  nur  die  Emährungsverhältnisse  im 
Umkreis  des  Lappens  heben  und  werden  in  ihn  nach  meinen 
obigen  theoretischen  Voraussetzungen  nicht  hineinsprossen, 
wenn  er  durch  ausreichende  Saftzirkulation  sich  die  phy¬ 
siologische  Eigenart  des  Hornhau tgewehes  zu  wahren  ver¬ 
mag.  Eine  Beobachtung  möchte  ich  hier  nur  kurz  erwähnen, 
welche  ich  an  einem  anderen  Fälle  von  Keratoplastik  als 
dem  hier  vorgestellten  machte.  Es  trat  vom  ersten  Tage 
an  Trübung  des  Lappens  auf,  welche  von  reichlicher  Vas¬ 
kularisation  gefolgt  war.  Nach  Rückbildung  derselben  hellte 
sich  die  Trübung  zwar  einigermaßen  auf,  doch  zu  wenig, 
um  eine  nennenswerte  Besserung  des  Sehvermögens  zu 
bewirken.  Einige  Monate  nachher  war  unzweifelhaft  zu  be¬ 
merken,  daß  die  Umgebung  des  Lappens,  also  die  stehen¬ 
gebliebene  Randzone  des  Leukoms,  deutlich  heller  geworden 
war,  ein  Verhalten,  das  sich  durch  den  entzündlichen  Reiz 
des  transplantierten  Lappens  auf  seine  hiedurch  einem  stär¬ 
keren  Stoffwechsel  ausgesetzte  Umgehung  erklärt.  Eine 
ähnliche  Beobachtung  scheint  bereits  Desmarres  (nach 
V.  Hippel^)  gemacht  zu  haben,  nach  welchem  der  prak¬ 
tische  Wert  der  Keratoplastik  darin  bestünde,  daß  das 
Sehen  nicht  durch  den  aufgepflanzten  Lappen,  sondern 
durch  die  alte  Hornhaut  vermittelt  wird,  welche  sich  „re¬ 
produziert“. 

Nach  allen  diesen  Erwägungen  ist  somit  durch  den 
von  mir  erzielten  operativen  Erfolg  die  ganze  Frage  der 
Keratoplastik  noch  keineswegs  endgültig  gelöst,  er  bedeutet 
nur  den  augenblicklichen  Schlußstein  in  der  langen  Kette 
der  bisherigen  Versuche.  Ich  hege  jedoch  nach  meinen 
Erfahrungen  und  theoretischen  Erwägungen  die  feste Ueber- 
zeugung,  daß  es  gelingen  wird,  die  ganze  Etage  befriedigend 
zu  lösen.  Wurde  ja  überhaupt  an  die  Möglichkeit,  trans¬ 
plantierte  Kornea  durchsichtig  zu  erhalten,  angesichts  der 
bisherigen  ausnahmslosen  Mißerfolge  nicht  mehr  geglaubt. 
Die  drohende  Klippe  der  anscheinend  unvermeidlichen 
Schädigung  durch  das  Kammerwasser  veranlaßte  v.  Hip¬ 
pel,'^)  auf  die  partielle  Keratoplastik  Mühlbauers  zu¬ 
rückzugehen;  Salzer®)  behauptete  die  Unmöglichkeit  eines 
optischen  Erfolges  der  Keratoplastik,  weil  der  Lappen  re¬ 
sorbiert  und  ’’durcJh  hinein  wachsendes  Narbengewebe  aus 
der  Umgebung  ersetzt  werden  müsse,  Fuchs^)  sah  in  der 
organischen  Einwachsung  die  Ursache  der  Vaskularisation 
und  Trübung.  Ich  zitiere  nur  als  Beispiel  zaKl  reicher  ähn¬ 
licher  Aussprüche  die  Worte  von  Schweigger:®)  ,,Daß 
eine  transplantierte  Kornea  überhaupt  anwächst,  ist  alles, 
daß  sie  auch  noch  durchsichtig  bleiben  soll,  ist  mehr,  als 
wir  erwarten  können.  .Ta,  wenn  es  ein  Stück  Glas  wäre ! 
Eine  aus  so  vielfachen  Gewebselementen  zusammengesetzte 
Membran,  wie  die  Kornea,  kann  nur  durchsichtig  sein  unter 
der  Bedingung  einer  wunderbaren  Gleichheit  der  Brechungs¬ 
exponenten  aller  ihrer  einzelnen  histologischen  Bestand¬ 
teile.  Daß  aber  diese  hohe  physiologische  Vollkommenheit 
auch  erhalten  bleiben  sollte  unter  so  gewaltsam  veränderten 
Emährungsbedingungen,  wie  sie  die  Transplantation  setzt, 
scheint  denn  doch  über  die  Leistungsfähigkeit  der  Natur 
hinauszugehen.“ 

Durch  den  hier  vorgestellten  Fäll,  bei  welchem  schon 
mehr  als  ein  ganzes  Jahr  die  Durchsichtigkeit  des  über¬ 
pfropften  Lappens  unverändert  erhalten  blieb,  dieser  sich, 
wie  die  genaue  Untersuchung  mit  dem  Kornealmikroskop 
ergibt,  in  fester  organischer  Verbindung  mit  seiner  Um¬ 
gebung  befindet,  also  gewiß  von  einem  Dauererfolg  mit 
Recht  gesprochen  werden  kann,  ist  der  positive  Beweis 
erbracht  —  und  darin  liegt  die  Bedeutung  desselben  — 
daß  die  Keratoplastik  einen  optischen  Erfolg 


bringe  nkann;  so  steht  zu  hoffen,  daß  er  zum  Ausgangs¬ 
punkt  weiterer  erfolgreicher  Bestrebungen  werden  wird, 
welche  diesen  bisher  sterilen  Zweig  der  operativen  Augen¬ 
heilkunde  zu  einem  fruchtbaren  gestalten  mögen! 

* 

Nachtrag.  Die  wesentlichen  Punkte,  auf  die  es  mir 
bei  der  Keratoplastik  anzukommen  scheint,  soweit  mir  ans 
eigenen  fehlgeschlagenen  Fällen  und  dem  einzigen  gelun¬ 
genen  Falle  Schlüsse  zu  ziehen  erlaubt  ist,  sind  in  kurzer 
Zusammenfassung  des  Vorstehenden  folgende: 

1.  Ausschließliche  Verwendung  von  Mensch-enkornea, 
möglichst  von  einem  jugendlichen  Individuum  und  nur  von 
einem  solchen  Auge,  dessen  Kornea  noch  in  günstigem 
Ernährungszustand  sich  befindet. 

2.  Ausschließliche  Verwendung  des  Trepans  v.  Hip¬ 
pels  zur  Operation.  Eserininstillation  vor  der  Operation, 
wenn  noch  die  vordere  Kammer  besteht. 

3.  Tiefe  Narkose,  strenge  Asepsis,  keine  Antiseptika. 

4.  Der  Lappen  wird  zwischen  zwei  mit  steriler,  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung  befeuchteten  Gazeläppchen  über 
warmen  Dämpfen  bis  zur  Verwendung  aufbewahrt,  durch 
Aufklappen  des  tTazeläppchens  in  die  Bohröffnung  ge¬ 
bracht.  Instrumente  sind  zu  vermeiden. 

5.  Erhaltung  des  transplantierten  Lappens  in  seiner 
Lage  durch  zwei  über  ihm  sich  kreuzende  Fäden,  welche 
durch  die  Conjunctiva  bid  bi  gezogen  werden  (Kreuznaht). 

6.  Auswahl  geeigneter  Fälle,  eventuelle  vorbereitende 
Eingriffe.  Eine  bisher  noch  nicht  auf  ge  stellte  In¬ 
dikation  zur  Keratoplastik  könnten  auch  nur  zentral 
gelegene  Narben  abgeben,  insbesondere  wenn  sonstige 
Komplikationen  fehlen.  Nach  Anstrepanierung  der  Narbe 
würde  der  transplantierte  Lappen  von  wenig  veränderter 
Kornea  umgeben  —  ähnlich  den  Kanincheuversuchen  W  a- 
genmanns  —  die  denkbar  günstigsten  Ernährungsbedin¬ 
gungen  vorfinden  und  deshalb  die  beste  Aussicht  hin¬ 
sichtlich  des  optischen  und  kosmetischen  Er¬ 
folges  geben,  was  von  der  optischen  Iridektomie  und  Irido¬ 
tomie  keineswegs  immer  gilt,  da  die  Kornea  vor  dem  anzu¬ 
legenden,  immer  exzentrischen  Koloboma  selten  ganz  klar  ist. 
Bei  Keratoplastik  könnte  in  solchen  geeigneten  Fällen  die 
Pupille  wieder  als  Sehloch  funktionieren  und  deshalb  ein 
vorzügliches  Sehvennögen  wieder  erzielt  werden. 

Solche  zentrale  Narben  entstehen  bekanntlich  nach 
septischen  Hornhautgeschwüren,  deren  fast  ausnahmslos 
zentraler  Sitz  dafür  zu  sprechen  scheint  —  was  übrigens 
schon  a  priori  vorauszusetzen  ist  —  daß  die  Ernähnrngs- 
bedingungen  auch  unter  physiologischen  Verhältnissen  im 
Zentmm  der  Kornea,  wo  sie  auch  dünner  ist,  minder  gün¬ 
stig  sind  als  am  Rande,  wo  Erosionen  deshalb  leichter 
heilen  und  daher  seltener  in  Geschwüre  septischen  Charak¬ 
ters  sich  venvandeln.  Sollte  darin  ein  Hinweis  liegen  — 
ein  Gedanke,  welchen  auch  Fuchs  im  mündlichen  Ge¬ 
spräche  mit  mir  ausdrückte  —  daß  die  periphere  Kornea 
ein  besseres  Pf ropf material  abgibt  als  die  zentrale? 
Tatsächlich  war  in  meinem  erfolgreichen  Fälle  erstere  zur 
Verwendung  gekommen.  Auch  könnte  daran  gedacht  wer¬ 
den,  die  Traüsplantation  dann  etwas  exzentrisch  vor¬ 
zunehmen,  wenn  an  einem  Rande  noch  restliches  Hornhaut¬ 
gefüge  als  durcihschemender  Saum  erhalten  blieb,  näher 
dem  letzteren. 

Die  beigegebene  Photographie  wurde  am  10.  Dezem¬ 
ber  1906,  also  mehr  als  Jahresfrist  nach  der  Operation 
auf  genominen. 

Literaturübersiclit; 

9  V.  Hippel,  Archiv  für  Ophthalmolog.  1877,  Bd.  23,11.— 
9  Seiler  beck,  Archiv  für  Opbthalmolog.  1878,  Bd.  2  t,  IV.  — 
Schweigger,  Archiv  für  Ophlhalmolog.  1878,  Bd.  2-k,  IV. 

9  Fuchs,  Wiener  klin.  Wochenschrift  1894,  Nr.  45.  —  9  Zi  rm,  Archiv 
für  Ophthalmolog.  1906,  Bd.  64,  HI.  —  9  Wagen  mann,  Archiv  für 
Onhthaliuolog.  1888,  Bd.  34,1.  —  9  v.  Hippel,  Archiv  für  Ophthalmolog. 
1888,  Bd.  .34,  I.  —  ®)  Salzer,  lieber  den  künstl.  Ilornhautersatz  1898. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


CO 


Aus  der  I.  medizinischen  Klinik  in  Budapest.  (Direktor: 

Prof.  Friedrich  v.  Kordnyi.) 

Ueber  metamere  Sensibiiitätsstörungen  bei 
Gehirnerkrankungen. 

Von  Dr.  Heliiricli  Beiicdictj  vormaligem  I.  Assislenlen 

Die  j\Iögliclikeit  metainer  aiigeordnetcr  Seiisibilitäls- 
störungeii  bei  zerebralen  iierdeii  kam  zum  ersten  Male  ge¬ 
legentlich  einer  Diskussion  in  der  neurologischen  Sektion 
der  „Budapester  Gesellschaft  der  Aerzte“  zur  Sprache/) 
welche  sich  im  Anschlüsse  an  einen  Vortrag  Schaffers, 
,,Ueher  die  zerebralen  Sensibilitätsstörungen  vom  klinischen 
und  anatomischen  Gesichtspunkte“  entwickelte.  Schaffer 
hatte  bezüglich  der  Verteilung  der  Sensibilitätsstörungen  drei 
Typen  unterschieden:  1.  die  insuläre  Form;  2.  die  wirk¬ 
liche  Hemianästhesie,  bei  welcher  entweder  eine  ganze 
Körperseite  anästhetisch  wird  oder  aber  an  den  Extremi¬ 
täten  distalwärts  immer  stärker  vorschreitet;  3.  die  doppel¬ 
seitige  Hemianästhesie  oder  Anästhesie  des  ganzen  Körpers, 
eine  Form,  die  nur  selten  zugleich  mit  doppelseitiger  Hemi¬ 
plegie  zur  Beobachtung  gelangt. 

Ich  bemerkte  hierauf,  daß  als  vierte  und  fünfte  Form 
noch  zwei,  bisher  nicht  gewürdigte  Typen  hinzngefügt 
werden  könnten:  die  eine  ließe  sich  die  pseudopontine 
nennen,  indem  sie  die  Hemianaesthesia  cruciata  nachahme. 
Ich  hatte  diese  zweimal  bei  Frauen  mit  schmerzhaften 
Großhirntumoren  heohachtet,  die  neben  Hemiparese  und 
distalwärts  zunehmenden  Hypästhesien  der  gekreuzten  Ex¬ 
tremitäten  an  der  erkrankten  Seite  eine  oherflächliche  Kopf¬ 
haut-  und  Gesichtsanästhesie  besaßen,  welche  alle  Charak¬ 
tere  der  hysterischen  Gefühllosigkeit  besaß  und  mit  den 
gleichzeitigen  Kopfschmerzen  an  Intensität  und  Ausdehnung 
zun  ahm. 

Der  andere  Typus  ist  der  pseudo  spinale  oder  me- 
taniere.  An  der  1.  medizinischen  Klinik  war  ein  Fall  zur 
Aufnahme  gelangt,  in  welchem  die  Hemianalgesie  zu  un¬ 
serer  Ueberraschung  exquisitest  segmentäre  Verteilung  auf¬ 
wies  —  eine  Beobachtung,  wie  sie  bisher  noch  nicht  ge¬ 
macht  worden  war.  Durch  sie  schien  eine  Tatsache  er¬ 
schüttert,  die  dem  eisernen  Bestände  unserer  neurologischen 
Diagnostik  anzugehören  schien. 

Es  galt  als  ausgemacht,  daß  hei  Erkrankung  peri¬ 
pherischer  Nerven  das  anästhetische  Gebiet  dem  anatomi¬ 
schen  Innervatioiisbezirke  derselben  entspreche.  Bei  Erkran¬ 
kungen  der  sensiblen  Wurzeln  und  des  Rückenmarkesi 
kommt  der  spinal-metarnere  Charakter  der  Sensihilitätsstö- 
rung  zum  Ausdruck:  die  anästhetischen  Partien  am  Rumpfe 
sind  gürtelförmig,  diejenigen  an  den  Extremitäten  streifen¬ 
förmig  und  verlaufen  im  ganzen  und  großen  parallel  der 
Extremitätenachse.  Bei  Erkrankungen  der  höheren  sensiblen 
.Neurone :  der  Schleifenbahn,  der  thalamo-kortikalen  Bahnen 
und  der  sensorischen  Rindenfelder,  werden  gewisse  Ab¬ 
schnitte  der  Extremitäten  —  Finger,  Hand,  Fuß,  Unterarm, 
Unterschenkel  —  anästhetisch.  Gewöhnlich  ist  die  An¬ 
ästhesie  an  den  am  stärksten  gelähmten  Extremitäten¬ 
abschnitten  am  intensivsten  und  nimmt  —  der  Verteilung 
der  Lähmung  entsprechend  —  distalwärts  zu.  Die  anästhe¬ 
tischen  Partien  lassen  sich  von  den  normal  empfindenden 
durch  eine  zirkuläre  Linie  abgrenzen,  welche  zur  Extremi¬ 
tätenachse  mehr  weniger  senkrecht  steht.  Da  den  moto¬ 
rischen  Rindenfeldern  und  den  von  ihnen  ausgehenden  Pro¬ 
jektionsfasern  bloß  Beziehungen  zu  den  einzelnen  Extremi¬ 
täten  und  Extremitätenabschnitten  zuerkannt  werden,  war 
es  naheliegend,  auch  für  die  sensorischen  Funktionen 
eine  ähnliche  kortikale  Repräsentation  nach  Extremitäten¬ 
abschnitten  anzunehmen. 

Mit  dieser  Annahme  schien  nun  die  metamere  An¬ 
ordnung  der  Gefühlstörung  in  unserem  Falle  in  Widerspruch 
zu  stehen  —  und  da  Russel  und  Horsley^)  in  einer 

b  Neurologischos  Zeiilralblalt  1905,  S.  591. 

*)  Note  on  apparent  re-representation  in  the  cerebral  corlex  of 
the  type  of  sensory  representation,  as  it  exists  in  the  spinal  cord.  Brain, 
190G,  S.  137. 


jüngst  erschienenen,  weiter  unten  näher  zu  hesprechenden 
Arbeit  gleichfalls  zu  dem  Schlüsse  gelangten,  daßidie  spinale 
Repräsentation  des  Tastsinnes  in  den  sensorischen  Rinden¬ 
feldern  ihr  Echo  finde  (that  the  spinal  representation  of 
tactility  finds  an  echo  int  the  arrangement  of  that  function 
in  the  sensory  cerebral  cortex),  halte  ich  es  für  aktuell,  den 
Fall  in  extenso  mitzuteilen. 

Johann  H.,  47jähriger  Feldgendarni.  Aufgenonnnen  am 
8.  November  1904.  Die  Familienanamnese  des  Kranken  enthält 
nichts  Bemerkenswertes.  Er  hat  mit  23  Jahren  Gonorrhoe  und 
mit  43  Jahren  einen  Schanker  akquiriert.  Ob  sekundär  syphilitische 
Symptome  vorhanden  waren,  weiß  er  nicht  anzugeben,  doch 
wurde  er  mehrere  Wochen  lang  mit  Quecksilberinunktionen  be¬ 
handelt. 

Vor  zwei  Monaten  l)egann  er  sich  matt  zu  fühlen  und  über 
Kopfschmerz  zu  klagen.  Vor  einem  Monate  wurde  er  auf  freiem 
Felde  plölzlich  vom  Schwindel  übermannt;  er  sank  zusammen 
und  wurde  in  fast  bewußtlosem  Zustande  auf  einem  Leiterwagen 
nach  Hause  befördert.  Ins  Bett  gebracht,  schwand  sein  Bewußt¬ 
sein  ganz.  Nach  14  Stunden  kam  er  zu  sich,  hatte  aber  starke 
Kopfschmerzen,  konnte  bloß  schwer  verständlich  sprechen  und 
die  linken  Extremitäten  nicht  bewegen.  Das  linke  Augenlid  hing 
herab,  das  Schlucken  war  erschwert,  im  linken  Ohre  fühlte  er 
beständiges  Sausen.  Die  ganze  linke  Seite  war  so  gut  wie  ge¬ 
fühllos.  Nach  drei  Tagen  begann  die  Beweglichkeit  der  ge¬ 
lähmten  Glieder  zurückzukehren,  so  daß  er  nach  weiteren  zehn 
Tagen  das  Bett  verlassen  konnte.  Doch  konnte  er  das  linke 
Lid  noch  immer  nicht  gut  lieben,  das  linke  Bein  wurde  nach¬ 
geschleppt,  der  linke  Arm  hing  herab.  Die  Sprache  besserte 
sich  ziemlich  rasch,  doch  war  das  Schlucken  weiterhin  mit 
Schwierigkeiten  verbunden.  Während  des  Gehens  fürchtete  er 
nach  links  zu  fallen,  das  linksseitige  Ohrensausen  ([uälte  ihn 
gleichfalls  Aveiter,  ebenso  die  Gefühllosigkeit  der  linken  Seite. 
Trotzdem  die  Gehfähigkeit  im  Laufe  der  nächsten  zwei  Wochen 
immer  mehr  zunahra,  suchte  er  auf  Anraten  seines  Arztes  die 
1.  medizinische  Klinik  in  Budapest  auf. 

Status  praesens:  Hochgewachsener,  kräftiger,  gut  ge¬ 
nährter  Mann.  Muskulatur  voluminös,  stramm,  Fettpolster  erhalten. 
Am  rechten  Ellbogen  eine  psoriatische  Plaque.  Am  Hals  kleine 
Drüsen.  Brustkorb  gewölbt,  Atmung  normal.  Puls  68  pro  Minute, 
mittelvoll  und  von  mitllerer  Spannung,  Gefäßwand  ziemlich  weich. 
Lungen-  und  Herzgrenzen  normal.  Keine  auskultatorischen  Ab¬ 
weichungen.  Ini  iVhdomen  nichts  Ahnormes.  Harnmenge  1400  cnF 
in  24  Stunden,  spez.  Gewicht  1018,  eiweiß-  und  zuckerfrei ;  schwach 
sauer;  keine  abnormen  Sedimentbestandteile. 

Nervensystem:  Das  linke  Augenlid  hängt  liefer  herab 
als  das  rechte;  es  reicht  bis  zur  Mitte  der  Pupille  und  kann  bloß 
unter  forcierter  Zuhilfenahme  des  Musculus  frontalis  ganz  ge¬ 
hoben  werden.  Die  Bulbushewegungen  sind  frei.  Kaubewegungen 
normal.  Die  Stirne  kann  in  Längs-  und  Ouerfalten  gelegt  werden ; 
die  linke  Augenlwaue  ist  gewöhnlich  hochgezogen.  Die  rechte 
Nasolabialfalte  ist  etwas  ausgeprägter  als  die  linke.  Beim  Sprechen, 
Zähnezeigen,  beim  Auf  blasen  des  Gesichtes,  zeigt  sich  keine 
Asymmetrie.  Er  kann  pfeifen  und  die  Labiallaute  gut  aussprechen. 
Beim  Schlucken  fester  Speisen  ist  größerer  Kraftaufwand  nötig, 
beim  Schlucken  von  Flüssigkeiten  entsteht  häufig  Husten.  Die 
Zunge  deviiert  ein  wenig  nach  rechts.  Kopfhaltung  normal,  ebenso 
die  Kopfbewegungen. 

Die  motorische  Kraft  der  linkeri  Extremitäten  ist  ver¬ 
mindert,  ihre  Exkursionen  sind  gering,  ihre  Ermüdbarkeit  groß. 
Doch  besteht  in  keiner  IMuskelgruppe  wirkliche  Lähmung.  Nirgends 
Atrophie.  Im  Schulter-  und  Ellhogengelenk,  noch  stärker  im  Hüft- 
und  Kniegelenk,  wird  der  passiven  Bewegung  ein  gewisser  Wider¬ 
stand  entgegengesetzt.  Das  linke  Bein  wird  heim  Gehen  nach¬ 
geschleppt,  doch  scheint  auch  das  rechte  ein  wenig  geschwächt. 

Einfache  Berührung  wird  am  ganzen  Körper,  rechts  ebenso¬ 
gut  wie  links  gespürt.  Schmerzgefühl  ist  bis  auf  sehr 
starke  Reize,  auf  der  linken  Seite  nach  nebenstehen¬ 
dem  Schema  aufgehoben.  Das  Gefühl  für  warm  und  kalt  ist 
links  weniger  lebhaft  als  rechts,  doch  vermag  er  Unterschiede 
von  zehn  Graden  anzugehen.  Die  Tliermohypästhesie  der  linken 
Seite  ist  nirgends  unterbrochen.  Die  Stereognosie  der  linken  Hand 
ist  unvollkommen;  Schlüssel,  Uhr  erkennt  er;  er  vermag  auch 
einen  Gulden  von  einer  Krone,  doch  eine  Krone  nicht  von  einem 
Zweihellerslücke  zu  unterscheiden.  Lagegefühl  der  linken  Extremi¬ 
täten  ist  unsicher;  mit  seiner  linken  Hand  und  seinem  linken 
Fuß  ausgeführte  i)assive  Bewegungen  kann  er  nur  hei  größeren 
Exkursionen  ii(ddig  angelxm,  keim'  Ataxie,  kein  Tremor. 

Reflexe:  Die  Pupillen  sind  gleich,  reagieren  gut;  di(' 
Kornealreflexe  sind  vorhanden,  Gaumenreflex  nicht  auslösbar. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Trizeps,  Radial-  und  Ulnarreflex,  Patellar-  und  Achillesselinen- 
reflex  links  gesteigert,  doch  auch  rechts  stärker  als  normal.  De- 
fäkalion,  Miklioii  intakt,  geschlechtlicher  Verkehr  wegen  mangeln¬ 
der  Libido  Jiicht  versucht.  BauchdeckeiLreflexe  vorhanden.  Kie- 
niasterreflex  fehlt.  Kein  Bahinsky. 

Geruchsinn  intakt,  Geschmacksempfindungen  werden  rechts 
und  links  gleich  mangelliaft  angegehen.  Visus  rechts  Vt,  links  'Vis. 
Augenhintergrund  normal,  Gesichtsfelder  intakt  (am  11.  November 
untersucht).  Das  linke  Ohr  hört  das  Ticken  der  Uhr  in  einer 
Entfernung  von  25  cm  nicht  mehr  (die  Stimmgabeluntersuchung 
wurde  nicht  vorgenommen). 

Die  Sprache  ist  etwas  schleppend,  doch  ist  die  Wort-  und 
Satzbildung  nicht  gestört.  Kein  Intelligenzdefekt. 


auf  eine  Läsion  des  Pärietallappens  (etwa  in  der  Gegend 
des  Gyrus  inarginalis')  oder  der  von  diesem  ausigelienden 
Stabkranzfasern  schließen  lassen.  Doch  kann  maji  die  Be¬ 
teiligung  des  linken  Ohres,  das  Taumeln  nach 'links,  die  Arli- 
kulations-  und  Schlingbeschwerden  mit  einem  derartigen 
Herde  nur  schwer  in  Einklang  bringen.  Zur  Erklärung  dieser 
letzteren  Symptome  müßte  man  —  da  eine  Beteiligung  des 
verlängerten  Markes  und  der  Brücke  mangels  gekreuzter 
Symptome  so  gut  wie  ausgeschlossen  ist  —  eventuell  zur 
Annahme  eines  zweiten,  kleineren  Herdes  iu  der  linken 
Hemisphäre  greifen,  da  ja  ein  solcher  oftmals  genügt,  um 
beim  Vorhandensein  eines  anderseitigen  großiereiT  Herdes 


Verlauf:  W'ährend  seines  lötägigen  Aufenthaltes  an  der 
Klinik  zeigte  sich  stets  fortschreitende  Besserung.  Die  Beweg¬ 
lichkeit  der  linken  Seite  nahm  zu;  am  13.  November  bestanden 
keine  Schlingbeschwerden  mehr,  die  Zunge  deviierte  nicht.  Der 
Bachenreflex  war  vorhanden.  Ueher  Gleichgewichtsstörungen 
wurde  nicht  mehr  geklagt.  Das  Temperatur-  und  Schmerzr 
gefühl  war  auf  der  ganzen  linken  Seite  zurückgei- 
kehrt.  Ptosis  bestand  noch  in  ganz  geringem  Grade.  Die  Spraclie 
ist  fast  fließend  zu  nennen. 

Die  Behandlung  bestand  in  Jodkalidarreichung. 

Am  24.  November  wurde  er  auf  eigenes  Ansuchen  entlassen. 

Es  handelt  sich  hier  offenbar  um  eine  organische  Er¬ 
krankung  der  rechten  Hemisphäre.  Angesichts  der  einge- 
slandenen  Lues  wäre  am  ehesten  an  einen  akut  einsetzenden 
Gefäßverschluß  zu  denken.  Doch  stößt  die  nähere  Lokali¬ 
sation  des  Herdes'  auf  kaum  zu  überwindende  Schwierig¬ 
keiten.  Das  Ueberwiegen  der  sensiblen  Störungen,  welche 
die  Lähmung  überdauerten  und  die  Ptosis  würden  am  ehesten 


die  Lähmungen  der  Schling-  und  Sprechmuskulatur,  sowie 
Gehörstörungen  manifest  zu  machen.  Eine  sichere  Lokali¬ 
sationsdiagnose  ist  um  so  weniger  möglich,  als  die  Sym¬ 
ptome  bereits  im  Abklingen  begriffen  waren.  Mag  sein, 
daß  auch  Hemianopsie  bestanden  hatte,  was  sodann  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  Lokalisation  im  hintersten  Abschnitte  der 
Capsula  interna  oder  in  der  Regio  subthal arnica  nahelegen 
könnte. 

Doch  liegt  das  hauptsächlichste  Interesse  des  Falles 
nicht  in  der  Lokaldiagnose,  sondern  —  wie  erwähnt  —  in 
der  eigentümlichen  Verteilung  der  Analgesie.  Die  Analgesie 
der  Kopf-  und  Gesichtshaut  wird  durch  einen  schmerzem¬ 
pfindlichen  Streif  unterbrochen,  der  die  Vorderseite  des 
Ohres  einnimmt  und  sich  etwas  verschmälernd  zum  Mund¬ 
winkel  zieht.  Sodann  setzt  sich  die  Analgesie  auf  Hals, 
Brust,  Rücken  und  obere  Extremität  fort,  um  an  der  Hals- 
brustgrenze  vorne  und  rückwärts  scharf  abzuschneiden. 


68 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


Diese  untere  Grenzlinie  setzt  sich  sodann  auf  die  obere 
Extremität  als  Axiallinie  fort  und  scheidet  den  Arm  scharf 
in  eine  präaxiale  analgetische  und  eine  postaxiaJe  schmerz¬ 
empfindliche  Hälfte.  Erstere  umfaßt  die  fünften  bis  siebenten 
Zervikalsegmente,  letztere  die  ersten  bis-  dritten  Dorsal¬ 
segmente.  Die  Scheidung  ist  am  Unterarme  weniger  scharf, 
die  Hand  ist  sowohl  volar  als  auch  dorsal  analgetisch. 
Am  Rumpfe  folgt  gleichfalls  ein  schmerzempfindliches  Band, 
welches  vorne  bis  zur  Mamilla,  rückwärts  bis  zum  dritten 
Dorsaldornfortsatz  reicht  und  das  erste)  bis  dritte  Dorsal¬ 
segment  umfaßt.  An  diese  schließt  sich  eine  analgetische 
Zone  an,  die  vorne  bis  zum  PToceslsus  xiphoideus,  rück¬ 
wärts  bis  zum  zehnten  Dornfortsatz  reicht  und  sodann  eine 
schmerzempfindliche,  die  etwa  dem  siebenten  und  neunten 
Dorsalsegment  entspricht.  Unterhalb  dieser  beginnt  wieder 
eine  ausgedehnte  Analgesie,  die  den  Unterleib  und  die  ganze 
untere  Extremität  umfaßt;  bloß  der  innere  Teil  des  Unter¬ 
schenkels  ist  schmerzempfindlich  und  schneidet  gegen  das 
analgetische  Gebiet  an  der  typischen  Grenzlinie  zwischen 
dem  sakralen  und  lumbalen  Wurzelterritoriam  scharf  ab. 

Die  Hemianalgesie  wird  also  durch  vier  schmerz¬ 
empfindliche  Gebiete  unterbrochen.  Diese  sind: 

1.  Das  Gebiet  des  unteren  Trigeminusastes; 

2.  die  erste  bis  dritte  Dorsalzone; 

3.  die  siebente  bis  neunte  Dorsalzone,  und 

4.  die  vierte  Lumbalzone. 

Es  erleidet  demnach  keinen  Zweifel,  daß  die 
Hemianalgesie  bei  Läsionen  der  zentralen,  sen¬ 
siblen  Elemente  exquisit  segmentäre  Anordnung 
aufweisen  kann. 

Bevor  ich  auf  die  Bedeutung  dieses  Befundes  eingehe, 
soll  kurz  über  die  eingangs  erwähnte  Studie  Bussels  und 
Horsleys  berichtet  werden. 

Horsley  hatte  in  Uebcreinstimmung  mit  anderen 
Autoren  das  charakteristische  der  zentralen  Empfindungs¬ 
lähmung  darin  gesucht,  daß  diese  an  den  Extremitäten  dis  tal¬ 
wärts  immer  zunimmt.  Den  prägnantesten  Ausdruck  dafür 
fand  H  o  r  s  1  e  y  in  den  Lokalisationsfehlern  bei  Berührungen, 
der  ,,Atopognose“.  Diese  Atopognose  ist  gewöhnlich  eine 
,, proximale“,  d.  h.  der  Kranke  lokalisiert  die  stattgehabte 
Berührung  an  einem  dem  Rumpfe  nähergelegenen  Extremi¬ 
tätensegment,  z.  B.  die  Berührung  des  Fingers  in  der  Hohl¬ 
hand,  die  der  Hohlhand  am  Unterarm  usw.  Nun  machten 
Bus  sei  und  Horsley  neuerdings  die  Beobachtung,  daß 
Personen,  die  an  Läsionen  der  Zentral-  und  Parietalwindun¬ 
gen  leiden  und  deren  Oberextremitäten  mehr  minder  anästhe¬ 
tisch  sind,  nicht  bloß  proximal,  sondern  gleichzeitig  ent¬ 
weder  postaxial  oder  ipräaxial  lokalisieren,  d.  h.  eine  vor 
der  „midaxial  line“  —  der  entwicklungsgeschichtlich  ]je- 
deutsamen  Extremitätenrichtungslinie ' —  gesetzte  Berührung 
wird  hinter  derselben  lokalisiert  und  umgekehrt.  Bei  einem 
und  demselben  Kranken  ist  der  Lokalisationsfehler  immer 
gleichsinnig.  In  drei  Fällen  war  er  postaxial,  in  zwei  Fällen 
präaxial. 

Sie  schließen  daraus,  daß  mindestens  diese  Mittelaxe 
der  oberen  Extremität  in  der  Hirnrinde  repräsentiert  sein 
muß;  sie  wird  nach  ihrer  (wohl  nicht  allgemein  geteilten) 
Ansicht  vorne  und  rückwärts  vom  achten  Zervikalsegment 
innerviert  und  erstreckt  sich  bis  zur  Spitze  des  Mittel¬ 
fingers  und  vielleicht  des  Ringfingers.  Als  weiteren  Beweis 
für  die  zentrale  Repräsentation  dieser  Zone  führen  sie  an, 
daß  in  zahlreichen  Fällen  kortikaler  Epilepsie  die  sensorische 
Aura  genau  in  dieser  Linie  beginne.^) 

Ferner  berufen  sie  sich  auf  einen  im  .Jahre  1894  mit¬ 
geteilten  Fall  G  rain  ger-S  te  warts  :^)  Ein  Mami  mit  einem 


3)  Hieher  gehört  vielleicht  die  interessante  Beobachtung  Mus kens, 
daß  vor  dem  Eintreten  des  Anfalles  bei  genuiner  Epilepsie  die  unterhalb 
der  Mittellinie  gelegenen  obersten  Dorsalsegmente  anästhetisch  werden. 
(Onderzoektingen  omtrent  Pijngevoelstornissen  etc.  Nederlandsch 
Tijdschrift  voor  Geneeskunde  1901,  S.  340.) 

9  A  clinical  Lecture  on  a  case  of  perverted  sensation  or 
Allachaesthesia.  British  medical  Journal  1894,  S.  1. 


I  funktionellen  Nervenleiden  wies  an  der  linken  Seite  eigen¬ 
tümliche  Lokalisationsfehler  auf.  Bloß  in  der  vorderen  und 
rückwärtigen  Mittellinie  der  Extremitäten  lokalisierte  er  die 
Berührungen  richtig;  sonst  wurden  äußere  Berührungen 
innen  lokalisiert  und  vice  versa.  (Doch  entspricht  die  Mittel¬ 
linie  der  unteren  Extremität  —  soweit  ich  dies'  der  Abbil¬ 
dung  entnehmen  kann  —  keiner  segmentären  Grenze.  Ich 
glaube  daher  mit  Grainger-Ste wart  selbst  annehmen 
zu  müssen,  daß  es  sich  um  eine  Abart  der  hysterischen 
Allochirie  gehandelt  habe.) 

Wenn  auch  in  meinem  Fälle  gerade  die  Axiallinie 
der  oberen  Extremität  es  war,  die  sich  an  der  Grenze  zwi¬ 
schen  dem  analgetischen  und  schmerzempfindlichen  Gebiete 
besonders  scharf  abzeichnete  und  obzwar  die  Analogie 
zwischen  dem  Befunde  Bussels  und  Horsleys  und  dem 
meinigen  auf  der  Hand  liegt,  möchte  ich  mir  doch  vorder¬ 
hand  bezüglich  der  Rückschlüsse  auf  die  Lokalisation  in 
den  höheren  sensorischen  Bahnen  und  Rindenfeldern  Re¬ 
serve  auferlegen.  Hier  gibt  es  noch  zu  viel  Möglichkeiten 
zu  bedenken.  Zur  Erklärung  meines  eigenen  Befundes:  des 
Ausgespartbleibens  gewisser  Segmentgruppen  bei  einer 
Hemianalgesie,  wäre  zuerst  zu  erwägen,  ob  nicht  ge¬ 
wisse  peripherische  Neurone  durch  ihre  eigentümliche 
Anordnung  (größere  Fäserzahl,  stärkeres  ,, Overlapsing“)  von 
Haus  aus  stärker  schmerzempfindlich  sind?  Von  diesen 
aus  würden  bei  einer  unvollkommenen  Läsion  der  zen¬ 
tralen  Bahnen  Empfindungen  länger  zum  Kortex  geleitet 
werden,  als  von  anderen  Segmenjgnippen  aus.  An  unserer 
Klinik  hat  Bälint  —  teilweise  auch  durch  diesen  Fall  an¬ 
geregt  —  diese  Frage  an  einer  großen  Zahl  gesunder  Per¬ 
sonen  studiert;  die  demnächst  zu  veröffentlichenden  Unter¬ 
suchungen  führten  u.  a.  tatsächlich'  zu  dem  Resultate,  daß 
gerade  die  unterhalb  der  Halsbrustgrenze  gelegenen  obersten 
Dorsalmetameren  auch  normalerweise  überempfindlich  sind. 
Eine  zweite  Möglichkeit  wäre  diejenige,  daß  ein  Teil  der 
sensiblen  Rückenmarkssegmente  doppelte  zentrale  Inner¬ 
vation  besitzen  kann.  Diese  doppelseitig  innervierten  Seg- 
mentgnippen  könnten  es  sein,  die  in  meinem  Fälle  schmerz¬ 
empfindlich  blieben  und  auf  welche  die  Kranken  Bussels 
und  Horsleys  die  anderwärts  gesetzten  Berührungen  loka¬ 
lisierten.  I 

Hier  drängt  sich  fast  von  selbst  eine  Analogie  mit  dem 
Verhalten  der  hemiplegisch  gelähmten  Muskulatur  auf.  Be¬ 
kanntlich  waren  es  Wernicke®)  und  Mann,*")  die  auf 
die  ungleiche  Beteiligung  der  verschiedenen  Muskelgruppen 
hinwiesen,  welclie  auch  in  den  typischen  Kontrakturstellun¬ 
gen  der  Hemiplegiker ;  der  Beugekontraktur  der  oberen 
Extremität  und  der  Streckkontraktur  des  Beines',  ihren  Aus¬ 
druck  findet.  Nach  den  Ausführungen  Manns  werden  an 
der  oberen  Extremität  —  im  großen  und  ganzen  gesprochen 
—  jene  Muskeln  stärker  gelähmt,  welche  die  Extremität 
verlängern  (Strecker,  Abduktoren.  Supinatoren).  An  den 
unteren  Extremitäten  werden  vorwiegend  jene  betroffen, 
die  eine  Verkürzung  des  Beines  bew  irken,  also  die  Ober-  und 
Unterschenkelbeuger,  die  Dorsalflexoren  des  Fußes  und  der 
Zehen.  An  der  oberen  Extremität  steht  die  Verteilung  der 
Lähmungserscheinungen  einen  nukleoradikulären  Lokalisa¬ 
tion  nahe :  die  stärker  betroffenen  Muskeln  werden  von 
den  oberen,  die  weniger  betroffenen  von  den  unteren  Seg¬ 
menten  der  Zervikalanschwellung  innerviert.  Die  natürliche 
Folge  ist  das  Ueberwiegen  der  Antagonisten  und  das  Zu¬ 
standekommen  der  typischen  Kontrakturstellungen.  Auch 
hier  wurde  die  Vermutung  laut,  daß  die  Muskelgruppen  mit 
überwiegender  Fünktion  von  beiden  Hemisphären  aus  inner¬ 
viert  werden.  Doch  ist  diese  Erklämng,  angesichts  der  Tat¬ 
sache,  daß  bei  spinaler  Paraplegie  —  also  bei  Unterbrechung 
beider  Pyramidenbalnien  —  dieselbe  Erscheinung  eintritt, 
kaum  aufrechtzuerhalten. 


9  Gesammelte  Abhandlungen,  herausgegeben  von  A.  Westphal. 

Bd.  2. 

«)  lieber  den  Lähmungstypus  bei  der  zerebralen  Hemiplegie. 
Samml.  klin.  Vorträge,  Nr.  132. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WUCIIENSCIIlUFT.  190?. 


09 


Die  wahrsclieinlielisie  Deiiliuig  dieses  Vorganges  ergibt 
sich,  wenn  Avir  die  Theorie  Monakows^)  durch  diejenige 
D  e  j  e  r  i  n  e  s  ergänzen : 

Erstere  lautet:  Wird  infolge  Pyramidenunterhrechung 
die  Ueherti’agnng  der  sensiblen  Erregungswellen,  die  von 
der  Peripherie  nnd  höher  liegenden  Zentreai  her  dem  Gro߬ 
hirne  Zuströmen,  in  geordnete  Bewegimgen  unmöglich,  so 
Avird  sich  der  ganze  reflektorisch  angeregte,  zentrifugal  ge¬ 
richtete  Erregungsstrom  auf  die  niederen  Bewegungszentren 
tHaube,  Brücke,  verlängertes  Mark)  ergießen  und  sie  nebst 
dem  Vorderhorne  der  gegenüberliegenden  Seite  in  über¬ 
mäßiger  Weise  belasten.  Dadurch  entsteht  ein  allgemeiner, 
auf  alle  motorischen  Elemente  jener  tiefer  liegenden  Zentren 
nicht  ganz  gleichmäßig  sich  verteilender  Reizzustand; 
an  diesem  sind  auch  die  Zellen  des  Vorderhornes  beteiligt. 

Dieses  „nicht  ganz  Gleichmäßige“  des  Reizzustandes 
Avird  aber  diircli  diese  Theorie  nicht  erklärt.  Hier  setzt  die 
x\nnahme  Dejerines  ein,  daß  die  Extremität  der  Be- 
Avegung  jener  Muskeln  folgt,  die  auch  normalerweise  an 
Volumen  und  Kraft  überwuegen :  dies  sind  an  der  oberen 
Extremität  die  Beuger,  an  der  unteren  Extremität  die 
Strecker. 

xVllerdings  ist  zu  bemerken,  daß  dieser  Typus  sich  in 
einer  Minderzahl  der  Fälle  unikehrt.  Sahli ist  daher  der 
x\nsicht,  daß  nicht  die  Masse  und  Kraft  der  Muskulatur, 
sondern  die  spezielle  Beschaffenheit  der  einzelnen  peripheri¬ 
schen,  motorischen  Neurone —  z.  B.  ihre  Faserzahl  —  für 
den  Typus  der  Kontraktur  von  Bedeutung  ist. 

Da  nun  —  was  als  erwiesen  betrachtet  Averden  muß 
—  die  einzelnen  Empfindungsqualitäten  nach  Spinalseg¬ 
menten  mehr  oder  Aveniger  beteiligt  sein  können  und  der 
Erregungszustand  der  subkortikalen  und  spinalen  motori¬ 
schen  Zentren  von  der  Menge  der  ihnen  zentripetal  zu¬ 
fließenden  Erregungen  abhängt,  ist  es'  nicht  unmöglich,  daß 
die  eigentündiche  Verteilung  der  motorischen  Redzsymptome 
auch  durch  die  Verteilung  der  sensiblen  Störungen  nacJi 
Segmenten  mitbedingt  ist. 

Dies  zu  verfolgen,  wäre  eine  dankbare  Aufgabe  für 
spätere  Untersuchungen  an  Hemiplegikern.  Doch  müßten 
hauptsächlich  die  Muskel-  und  Gelenksempfindungen  berück¬ 
sichtigt  werden.  • 

Hiemit  soll  die  Möglichkeit,  daß  die  segmentäre  An¬ 
ordnung  der  sensiblen  Elemente  in  den  höheren  Bahnen 
und  den  Zentren  selbst  einen  erneuerten  Ausdruck  findet, 
nicht  bestritten  Averden.  Die  Frage  ist  jener  anderen  aiui- 
log,  Avoher  die  Sensibilitätstörungen  von  zentralem  Typus 
bei  sicheren  spinalen  Affektionen  stammen?  Auch  dieses 
Problem,  das  Brissaud  zur  Annahme  seiner,  die  Rücken- 
marksmetameren  senkrecht  gliedernden  ,, sensiblen  Rücken¬ 
marksegmente“  geführt  hatte,  ist  noch  kontrovers.  Ich  habe 
mich  gelegentlich  des  Studiums  der  hyperalgetischen  Zonen 
bei  Herzkrankheiten  auch  mit  dieser  Frage  beschäftigt  und 
gedenke,  meine  diesbezüglichen  Erfahrungen  demnächst  zu 
veröffentlichen. 

Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Budapest.  (Direktor  : 

Prof.  Dr.  Karl  v.  Ketly.) 

Ueber  chyliforme  Trans-  und  Exsudate  im 
Anschluß  zweier  Fälle. 

Von  Dr.  Ladislaus  v.  Ketly,  Privatdozent  und  Adjunkt  der  Klinik. 

Die  chylöse  Eigenschaft  der  in  den  Pleurahöhlen  unter 
pathologischen  Verhältnissen  vorkommenden  Flüssigkeits¬ 
ansammlungen  kann  aus  verschiedenen  Gründen  entstehen. 
So  kann  aus  dem  Ductus  thoracicus  infolge  von  Lymph- 
stauung  Cliylus  zur  Flüssigkeit  kommen,  ohne  daß  die 
Lymphwege  dabei  eine  Kontinuitätsverletzung  haben  mü߬ 
ten.  Bei  Tuberkulose  aber ■  und  bei  bösartigen  Geschwülsten 

T  Gehirnpathologie,  1.  Aufl.,  S.  316. 

.  *)  Traitö  de  Pathologie  g6n4rale,  Bd.  5,  S.  485. 

Lehrbuch  der  klinischen  Untersuchungsmethoden,  3.  Auflage, 

S.  836. 


der  Pleura  können  diese  nekrotisierenden  Prozesse  auch 
dc)i  Ductus  thoracicus  öffnen  und  dadurch  die  Ursache 
chylöser  Flüssigkeitsergüsse  Averden.  ln  allen  diesen  Fällen 
erkennt  man  die  wirklich  chylöse  Natur  der  Flüssigkeit, 
indem  man  mit  dem  Mikroskop  keine  gröberen  Fettröpfchen 
sieht,  nur  feinere,  welche  nur  mit  sehr  starker  Vergrößerung 
auszunehmen  sind  und  die  Größe  von  Mikrokokken  hahen; 
sie  zeigen  auch  gewöhnlich  die  Brownsche  molekulare  Be¬ 
wegung.  Im  Vergleiche  mit  den  Mikroorganismen  färben 
sie  sich  im  Trockenpräparat  bedeutend  schwächer  als  diese 
und  ihre  Menge  ist  so  groß,  daß,  Avenn  sie  Mikroorganismen 
Avären,  es  kaum  möglich  Aväre,  daß  sie  keinen  Eiter  produziert 
hätten.  Sie  unterscheiden  sich  auch  dadurch,  daß  sie  beim 
Zentrifugieren  auf  der  Oberfläche  eine  Lage  bilden.  Ueb.ri- 
gens  kann  man  sich  einfach  überzeugen,  ob  man  es  mit 
Fett  zu  tun  hat,  wenn  man  mit  Aether  ausschüttelt.  Die 
chylösen  Flüssigkeiten  charakterisiert  chemisch  auch  das, 
daß  in  ihnen  die  im  Blute  vorhandene  Zuckermenge  nicht 
überschritten  ist,  weil  der  Zucker  aus  dem  Darme  nicht  direkt 
in  die  Chylusgefäße  gelangt,  sondern  nur  im  Wege  der 
Darmvenen  in  der  Form  von  Blutserumzucker,  Avie  dies 
Pascheies  und  Reichel  behaupten. 

Es  ist  zu  bemerken,  daß  in  den  Pleurahöhlen  chylöse 
Eigenschaften  zeigende  Flüssigkeiten  aus  bisher  nicht  er¬ 
klärten  Gründen  auch  dann  Amrkommen,  wenn  Aveder  Chylus- 
stauung,  noch  eine  Beschädigung  der  Chylusgefäße  anzu¬ 
nehmen  ist.  ln  solchen  Fällen  haben  wir  zu  glauben,  daß 
die  Chylusgefäße  abnorm  durchlässig  sind  für  Fettröpfchen, 
welche  im  Blute,  wie  wir  Avissen,  nach  Nahrungsaufnahme 
in  großen  Mengen  vorhanden  sind.  Mit  diesen  wirklichen 
chylösen  Exsudaten  und  Transsudaten  darf  man  nicht  ver- 
Avechseln  die  fettige  Trübung  der  Flüssigkeit,  welche  aus 
der  Vermischung  grober  Fettropfen  besteht,  ln  diesen  Fällen 
ist  mit  dem  Befunde  verfetteter  Zellen  zu  beweisen,  daß  in 
diesen  Fällen  das  Fett  aus  dem  fettigen  Zerfall  der  Endothel¬ 
zellen  der  Pleura  stammt  oder  aus  Neopiasmazellen. 

Die  chylösen  Flüssigkeiten  finden  Avir  schon  in  ältesten 
Zeiten  erwähnt.  So  erzählt  die  Sage,  daß  beim-  Köpfen  des 
heiligen  Apostels  Paulus  und  der  alexandrinischein  Katharina 
aus  ihren  Körpern  inerkAvürdigei’weise  statt  Wasser  milch¬ 
artige  Flüssigkeit  floß  (nach  Bartholin)  und  seit  1638 
wurden  in  der  medizinischen  Literatur  luizählige  Fälle  be¬ 
schrieben,  in  welchen  in  der  Brust-  und  Bauchhöhle  chylöse 
Flüssigkeit  vorhanden  Avar,  ln  den  letzteren  .lahren  aber 
erschienen  über  dieses  Thema  nur  wenige  Publikationen. 
Die  Ursache  davon  ist,  daß  die  chylösen  Flüssigkeiten,  außer 
denen,  welche  durch  die  Verletzung  des  Ductus  thoracicus 
hervorgerufen  werden,  schwer  zu  erkennen  sind.  Bei  den 
chylösen  Flüssigkeiten  sind  nämlich  die  physikalischen 
Zeichen  dieselben,  .Avie  bei  anderen  Ergüssen  und  daher 
kann  nur  die  Punktion  oder  Sektion  über  ihre  Eigenschaft 
xVufschluß  geben.  Es  kommt  auch  öfters  vor,  daß  die  chy¬ 
löse  Flüssigkeit  für  Eiter  oder  eitriges  Ex-  oder  Transsudat 
angesehen  Avird  und  daher  die  chemische  und  mikrosko¬ 
pische  Untersuchung  unterlassen  Avird.  Es  ist  auch  in  Be¬ 
tracht  zu  ziehen,  daß  die  chylösen  Flüssigkeiten  auch  spon¬ 
tan  resorbiert  werden  können,  ln  den  Chylusgefäßen  ist 
nämlich  der  Druck  kleiner  als  in  der  Umgehung,  daher 
heilen  ihre  Verletzungen  rasch  ab  und  das  Herausdringen 
des  Chylus  hört  auf.  Aus  all  diesem  glaube  ich  folgern  zu 
können,  daß  die  chylösen  und  ähnliche  Ergüsse  im  allge¬ 
meinen  öfter  Vorkommen,  als  man  nach  den  bisher  publi¬ 
zierten  Fällen  denken  Avürde. 

Rein  chylöser  Erguß  entsteht  nach  Operationen  in 
der  Gegend  des  Ductus  thoracicus  infolge  der  Verletzung 
dieses  letzteren  (Br egehold,  Busch),  ln  solchen  Fäillen 
kann  die  Diagnose  nicht  fehlen.  Die  Erkennung  Amn  aus 
anderen  Ursachen  entstandenen  solchen  Ergüssen  ist  schon 
schwieriger.  Chylöse  Exsudate  und  Transsudate  kommen 
als  selbständige  Krankheiten  nicht  vor,  man  findet  sie  nur 
als  Begleiterscheinung  hei  Erkrankungen,  avo  aus  der  die 
Krankheit  herbeiführenden  Ursache  der  Duclus  thoracicus 
oder  ein  Zweig  desselben  verletzt  oder  geplatzt  ist  und  sein 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  n 


Inhalt  in  die  Bauch-,  Brust-,  oder  llcuzheutelhöhle  gelangt 
ist.  Solche  l'rsachen  können  sein:  1.  Trauma,  Pleurakrebs, 
die  Zusammendrückung  der  Vena  suhclaAÜa  sinistra  oder 
des  Ductus  thoracicus,  ein  malignes  Lymphom,  die  Erkran¬ 
kung  der  Lymphgefäße,  die  Verstopfung  des  Ductus  thoraci¬ 
cus  durch  Parasiten  (Filaria) ;  2.  kann  Chylus  auch  durch 
die  mit  der  Pleura  und  Bauchhöhle  anastomosierenden 
Chylusstomata  hindurchtrelen.  Fs  kann  auch  Vorkommen, 
daß  das  Chylusgefäß  nicht  reißt,  sondern  daß  seine  Wand 
sich  nur  verdünnt  und  dadurch  in  ihrer  Ernährung  leidet, 
wodurch  sie  durchlässig  wird. 

ln  dem  Thorax  sind,  mit  Ausnahme  der  chirurgischen 
Fälle,  die  Verletzungen  des  Ductus  thoracicus  selten,  weil 
dieser  keine  größeren  Verzweigungen  hat  und,  neben  den 
großen  Gefäßen  liegend,  schwer  verletzbar  ist.  (Fs  sind  viel¬ 
leicht  acht  bis  neun  Fälle  bekannt  nach  der  Zusammen¬ 
stellung  von  Hahn.  Hieher  gehört  auch  E.  Hahns  Fall, 
wo  hei  einem  überfahrenen  Kutscher  während  sechswöchentr 
liclier  Krankheit,  welche  mit  dem  Tode  endigte,  29.650  cm'^ 
Chylus  aus  der  Pleurahöhle  entnommen  wurden.  Bei  der 
Sektion  zeigten  sich  der  neuide  und  zehnte  Brustwirbel 
verletzt  und  dort  war  auch  die  Ruptur  des  Ductus 
thoracicus.) 

ln  solchen  Fällen,  wo  der  Ductus  thoracicus  unregel¬ 
mäßige  und  vielfache  Verzweigung  zeigt,  kann  er  leichter 
verletzt  werden  und  die  Zweige  können  auch  leichter  ge¬ 
drückt  werden.  Es  ist  in  so’chen  F^ällen  auch  häufiger,  daß 
eine  Krankheit  aus  der  Nachbarschaft  auf  sie  übergreift. 
Der  Ductus  thoracicus  zeigt  in  der  Bauchhöhle  zahlreiche 
Verzweigungen.  Er  ist  hier  daher  mehr  Schädlichkeiten  aus¬ 
gesetzt  und  so  kommt  es,  daß  der  chylöse  Aszites  auch  häu¬ 
figer  ist  als  die  pleuralen  chylösen  Ergüsse.  Diese  letzteren 
kommen  als  selbständige  Krankheiten  auch  seiten  vor;  wir 
können  auf  diese  bei  solchen  Leiden  denken,  welche  die 
Verletzung  bedingen,  wie  bei  malignen  Tumoren  der  Pleura, 
hei  Neubildungen  der  Chylusgefäße  und  der  Drüsen,  bei 
der  Thrombose  der  Vena  subclavia,  dann,  wmnn  der  Abfluß 
im  Ductus  thoracicus  verhindert  ist.  Weiter  können  wir  auch 
bei  allgemeiner  Flrkrankung  der  Lymphdrüsen  annehmen, 
daß  der  in  der  Pleura-  oder  Bauchhöhle  ohne  Entzün- 
dungssyniptome  gebildete  Erguß  chylöse  Eigenschaft  hat. 
ln  der  Bauchhöhle  geht  die  mäßige  Obstruktion  der  Chylus¬ 
gefäße  vielleicht  nicht  immer  mit  dem  Austritt  von  Chylus 
einher,  weil  der  Chylus  nach  Hamburger  teilweise  auch 
durch  die  Gedärme  resorbiert  werden  kann.  Dieser  Autor 
hat  nämlich  heim  Hunde  die  zu  einem  Teil  des  Dünndarmes 
führenden  C’hylusgefäße  unterbunden  und  tauchte  dieses 
Darmstück  in  eine  Lipaninemulsion  ein.  Er  analysierte  dann 
nach  fünf  Stunden  diesen  Darmabschnitt  und  fand,  daß  auch 
in  diesem  Teile  des  Darmes  ein  Teil  des  F"’ettes  resorbiert 
wurde,  wenn  auch  nicht  so  viel,  wie  im  übrigen  Darme, 
wo  die  Chylusgefäße  nicht  unterbunden  waren. 

]\lan  fand  chylöse  Flüssigkeiten  in  den  serösen  Höhlen 
im  2.  bis  62.  Lebensjahr,  am  häufigsten  jedoch  um  das 
35.  Lebensjahr  herum. 

Unter  Chylus  verstehen  wir  eine  milchartige,  manch¬ 
mal  eiterartige,  weißlichgelbe  Flüssigkeit,  welche  Fett  und 
Faweiß  enthält,  dessen  Trübung  durch  Fett  erzeugt  wird. 
Das  Filtrieren  klärt  diese  Flüssigkeit  nicht,  sie  koaguliert 
auch  nach  längerem  Stehen  nicht  und  zeigt  auch  kein  Faulen. 
.Vn  ihrer  Oberfläche  schwimmen  fettige  Fläutchen  und  punkt¬ 
förmige  weiße  Körner.  Die  chemische  Reaktion  ist  alkalisch 
oder  neutral.  Spezifisches  Gewicht  1017  bis  1022.  Ihr  Ge¬ 
schmack  ist  nach  Barge  buh r  sehr  süß.  Im  Mikroskop 
zeigt  der  Chylus  viele  fein  verteilte,  stellenweise  ziisammen- 
geflossene  Fettröpfchen.  Zellige  Elemente  enthält  er  ver¬ 
hältnismäßig  wenige.  Senator  hält  den  Zuckergehalt  für 
den  Chylus  diagnostisch  für  sehr  wichtig,  weiter  den  Um¬ 
stand,  daß,  wenn  wir  dem  Patienten  Oel  oder  Butter  geben, 
man  diese  Stoffe  in  der  chylösen  Flüssigkeit  auffinden  kann, 
während  Ouincke  das  Gewicht  auf  die  mikroskopische 
Fntersuchuiig  legt. 


F.  Erben  fand  hei  exakter  Untersuchung  im  Chylus 
Glyzerin,  Cholestearin,  Kapron-  oder  KapiTlsäure,  Essig-, 
Ameisen-,  Araklyn-,  Oel-,  Palmitin-,  Stearin-  und  Myristin¬ 
säure;  weiters  auch  ein  Getnisch  von  Monoxystearinsä Liren, 
welches  vielleicht  im  Organismus  aus  Oelsäure  gebildet 
wird.  Strauß  untersuchte  den  Chylus  von  einer  Frau,  bei 
welcher  der  Ductus  thoracicus  während  des  Herausschnei¬ 
dens  tiefliegender  Halsdrüsen  durchgeschnitten  wurde,  so 
daß  sich  eine  Fistel  gebildet  hat.  Physikalisch  fand  er,  daß 
der  Chylus  seinen  osmotischen  Druck  gegen  alimentäre  Ein¬ 
flüsse  stark  behauptet;  so  hat  das  Trinken  eines  halben 
Liters  Wasser  oder  10  g  Kochsalzes  (in  500  g  Wasser)  den 
osmotischen  Druck  des  danach  ausgeflossenen  Chylus  kaum 
verändert.  Aehnlich  ist  es  mit  dem  Kochsalzgehalt  des 
Chylus,  welcher,  unabhängig  von  der  in  den  Organismus 
gebrachten  Salzmenge,  stets  auf  0-527  bis  0-630 ®/o  bleibt, 
daher  dem  Salzgehalt  des  Blutes  entsprechend  ist.  Der  Fett¬ 
gehalt  des  Chylus  steigt  mit  der  Nahrungsaufnahme  aber 
auch  nicht  grenzenlos,  das  Blut  wird  daher  nicht  mit  Fett 
überhäuft.  Das  Blut  verträgt  auch  noch  6%  fetthaltigen 
Chylus  gut,  weil  darin  das  Fett  fein  emulgiert  ist  und  weil 
das  Blut  eine  zu  den  roten  Blutzellen  gebundene,  starke, 
lipolytische  Kraft  hat.  Vom  Chylusfett  werden  kaum  10 o/o 
gespalten.  Nachdem  aber  das  per  os  in  den,  Darm  gelangte 
Fett  gespalten  zur  Resorption  kommt,  so  muß  man  an¬ 
nehmen,  daß  die  Schleimhaut  des  Darmes  eine  synthetische 
Wirkung  hat  und  das  F"ett  wiederhergestellt  in  den  Chylus 
hefördei  t. 

Vom  wirklichen  Chylus  ist  wohl  zu  unterscheiden  die 
chyliforme  Flüssigkeit;  diese  stammt  nicht  aus  den  Chylus- 
gefäßen,  sondern  sie  kommt  so  zustande,  daß  verfettete 
E,ndothelzellen,  Eiterzeilen  und  Fibrin  mit  den  Exsudaten 
oder  Transsudaten  eine  milchartige  Flüssigkeit  bilden.  In 
solchen  Fällen  wird  der  Erguß  als  Hydrops  adiposum,  Ex- 
sudatum  und  Transsudatum  adiposum,  weiters  als  chyli¬ 
forme  oder  chyloide  Flüssigkeit  bezeichnet.  Weil  hier  das 
F"ett  aus  dem  Zerfall  zelliger  Elemente  stammt,  so  sind  die 
Fettröpfchen  größer  und  in  kleineren  Vlassen  verteilt  zu 
sehen  als  beim  Chylus.  Im  Absatz  der  Flüssigkeit  findet 
1113.11  immer  Zellen  mit  Fettröpfchen  und  gefüllten  Kernen, 
so^^^e  runde,  teilweise  polygonale  Zellen  mit  großen  Kernen, 
welche  ebenso  wie  das  Protoplasma  Fettröpfchen  enthalten. 
Die  auf  der  Oberfläche  schwimmenden  Häutchen  bestehen 
teilweise  aus  eng  aneinander  liegenden  F'ettnadeln,  teilweise 
aus  Konglomeraten  von  verschieden  großen  Fettröpfchen. 
Bei  diesen  Flüssigkeiten  stammt  daher  der  Fettgehalt  aus 
degenerierten  Zellen.  Senator  hält  bei  den  chylösen  Flüs¬ 
sigkeiten  deren  Zuckergehalt  für  ein  wichtiges,  unterschei¬ 
dendes  Zeichen,  weil  sie  immer  Zucker  enthalten.  Auch 
die  neueren  Untersuchungen  zeigen,  daß  ein  größerer  Zucker¬ 
gehalt  für  chylöse  Natur  spricht.  Aber  die  Anwesenheit 
von  nur  wenig  Zucker  oder  dessen  gänzliche  Abwesenheit 
spricht  nicht  unbedingt  gegen  die  chylöse  Abstammung. 
Während  einerseits  auch  in  chylösen  Fdüssigkeiten  der 
Zucker  zweifellos  fehlen  kann,  so  können  anderseits  nicht- 
chylöse  Ergüsse,  so  auch  die  gewöhnlichen  Exsudate  und 
Transsudate,  auch  oft  Zucker  enthalten.  In  den  chylösen 
Flüssigkeiten  fehlt,  nach  einigen  Autoren,  dann  der  Zucker, 
wenn  der  Chylus  so  verdünnt  wird,  daß  dadurch  der  Zucker¬ 
gehalt  unter  die  Grenze  der  Nachweisbarkeit  sinkt.  Nach 
den  FIntersuchungen  von  Paschel  es  und  Fleichel  kann 
man  Zucker  in  jedem  Exsudat  und  Transsudat  finden,  wenn 
man  das  Eiweiß  früher  sorgfältig  wegschafft.  In  Aszites¬ 
flüssigkeiten  von  Cirrhosis  hepatis  findet  man  oft  Zucker. 
Die  Anasarkaflüssigkeit  enthält  stets  0-055  bis  0-F120/o 
Zucker. 

Der  Zuckergehalt  der  Flüssigkeit  der  serösen  Höhle 
ward  daher  nur  dann  für  dessen  chylöse  Natur  zeugen, 
wenn  er  in  größerer  (über  0-2 '^/o)  Menge  vorhanden  ist.  Bei 
der  Untersuchung  des  Zuckers  darf  man  sich  mit  den  Re¬ 
duktionsreaktionen  nicht  begnügen,  weil  in  diesen  Flüssig¬ 
keiten  auch  zahlreiche  andere  reduzierende  Stoffe  vor- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Nr.  3 


koiniiien,  sondern  wir  müssen  audi  die  Gärnngs-  und  Phe¬ 
nyl  Ii  y  drazi  iireak  ii  on  ans  teilen . 

Bernert  erwähnt  von  den  inilc-hartigen,  trüben  Trans¬ 
sudaten,  daß  die  Tidibung  ■manchmal  nicht  vom  emulgierten 
Fett,  sondern  vom  Eiweiß  herrührt,  was  man  durch  das 
Verhalten  zum  Aether  und  durch  das  Ausfällen  des  Eiweißes 
erkennt.  Die  Trübung  verursacht  hier  ein  zur  Globulin¬ 
gruppe  gehöriger  Eiweißkörper.  Der  Fettgehalt  der  Flüssig¬ 
keit  ist  gering  und  in  seinem  Verhalten  ist  dieses  Fett  ähn¬ 
lich  dem,  welches  durch  Degeneration  entsteht.  Dio  Menge 
der  anorganischen  Bestandteile  ist  gleich  der  bei  serösen 
Transsudaten  vorkommenden. 

Pascheies  und  Reichel  fanden,  daß  alle  patho¬ 
logischen  Flüssigkeiten  Zucker  in  den  Gehalt  des  Blut¬ 
serums  annähernden  Mengen  entlialten.  Die  pleuritischen 
Exsudate  enthalten  im  Durchschnitt  0082 To,  die  Aszites¬ 
flüssigkeiten  0  093  To  Zucker.  Es  scheint,  daß  bei  der  Stau¬ 
ung  der  Vena  portae  etwas  mehr  Zucker  in  die  Flüssigkeit 
gelangt  (OTI8T0). 

Man  sieht  aus  dem  bisher  Gesagten,  daß  die  bei  den 
Bauchhöhlenexsudaten  oder  -transsudaten  öfter,  bei  den 
pleuralen  seltener  vorkommenden  chyJöseu  Flüssigkeiten 
aus  viererlei  Ursachen  entstehen  können :  1.  Aus  wirklichem 
Chylusausfluß  oder  Durchsickern  desselben;  2.  aus  De¬ 
generation  von  Endothel-  oder  Tumorzellen,;  3.  aus  von 
diesen  stammenden  Eiweißkörpern ;  4.  aus  dem  Zusammen¬ 
wirken  der  drei  erwähnten  Ursachen.  Aber  es  ist  aus  all 
diesem  einleuchtend,  daß  wir  klinisch  am  Krankenbette 
weder  durch  chemische,  noch  durch  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  imstande  sind,  sicher  zu,  entscheiden,  aus  welcher 
der  erwähnten  Ursachen  die  chylöse  Beschaffenheit  der 
Flüssigkeit  entstanden  ist.  So  können  wir  auch  die  von 
Senator  u.  a.  empfohlene.  Einteilung  und  Benennung  — 
chylöse  (wirklicher  Chylusausfluß  oder  Transsudation), 
chyloforme  (wenn  sich  aus  degenerierten  Endothel-  oder 
Tumorzellen  stammendes  Fett  zum  Trans-  oder  Exsudatum 
mischt)  und  gemischte  Formen  —  nicht  annehmen.  Von 
chylöser  Form  kann  man  nur  in  jenen  seltenen  Fällen 
sprechen,  wo  der  Ductus  thoracicus  sichtbar  verletzt  ist;  wo 
aber  dies  nicht  der  Fall  ist,  oder  wo  man  auch  hei  der 
Sektion  die  Verletzung  der  Chylusgefäße  oder  deren  durch 
Neubildungen  oder  Tuberkulose  erfolgte  Erosion  nicht  auf¬ 
finden  kann,  da  bat  man  trotz  des  Fettgehaltes  der  Flüssig¬ 
keit  nicht  die  Berechtigung,  eine  durch  Stauung  verursachte 
Transsudation  des  Chylus  anzunehmen.  Wir  hahen  ja  keine 
sichere  Stütze  dafür,  daß  die  Flüssigkeit  nicht  eine  aus 
ähnlichei-  Ursache  vorkommende  sog.  chyliforme  Flüssig¬ 
keit  ist,  welclie  durch  die  Degeneration  der  Endothel-  oder 
Tumorzellen  ihre  Beschaffenheit  erhalten  hat.  Ebenso  unbe¬ 
rechtigt  ist  die  Annahme  von  gemischten  Formen  hei  neben 
Neubildungen  entstandenen  chylösen  Trans-  und  Exsudaten. 

Die  in  der  Literatur  gefundenen  Fälle  sind  datier  auch 
kaum  zu  verwerten,  weil,  wie  wir  sahen,  man  in  neuerer 
Zeit  gezeigt  hat,  daß  besonders  hei  Neubildungen  die  Trü¬ 
bung  der  chylusähnlichen  Flüssigkeiten  bei  minimalem  Fett¬ 
gehalt  oft  von  Eiweißkörpern  hervorgerufen  ist.  Mi  che  Ti 
und  Mattirolo  schreiben  die  Trübung  der  pseudochylösen 
Flüssigkeit  nicht  dem  Kasein,  Seromukoid  oder  den  Glyko- 
proteidstoffen  zu,  weder  der  eigentümlichen  Konstruktion 
der  Globuline,  sondern  dem  Lezithin,  von  welchem  0T5  g 
genügen,  um  1000  cm^  Flüssigkeit  opaleszierend  zu  machen. 
Zypkin  glaubt,  die  Trübung  mit  dem  Eiweißgehalte  in 
Verbindung  bringen  zu  können.  Er  sah  in  einem  Falle, 
daß  mit  der  allmählichen  Aufklärung  des  Ergusses  der  Ei¬ 
weißgehalt  zunahm.  Er  glaubt,  daß  das  Eiweiß  die  Lösungs¬ 
verhältnisse  verändert  und  dadurch  die  milchige  oder  klare 
Beschaffenheit  der  Flüssigkeit  bestimmt. 

Einen  echt  chylösen  Erguß  beobachtete  neuerdings 
Sommer,  wo  der  Fettgehalt  zwischen  1-28  und  2-2 To 
schwankte.  Es  war  in  der  Flüssigkeit  anfangs  kein,  später 
wenig  Zucker  enthalten  und  es  waren  mikroskopisch  zahl¬ 
reiche  Fettkugeln  zu  sehen.  Die  Sektion  ergab,  daß  der 


Ductus  thoracicus  oberhalb  der  Cysterna  cliyli  durch  kar- 
zinomatöse  Drüsen  komprimiert  war. 

Durch  das  bisher  Besprochene  glaube  ich  berechtigt 
zu  sein,  die  oben  erwähnte  Senatorsche  Einteilung  und 
Benennung  für  unrichtig  zu  halten,  weil  mit  unserem  jetzi¬ 
gen  Wissen,  abgesehen  von  den  erwähnten  seltenen  Aus¬ 
nahmen,  die  Unterscheidung  der  nadi  seiner  Auffassung 
chylösen  und  chyliformen  Formen  nicht  nur  am  Kranken¬ 
bett,  sondern  auch  am  Sektionstisch  unmöglich  ist.  Es  wäia; 
am  richtigsten,  wenn  wir  ausgesprochen  fetthaltige  Trans- 
und  Exsudate  chyliform  benennen  würden,  während  der 
Name  chylös  nur  auf  solche  Fälle  paßt,  wo  der  Ausfluß 
von  Chylus  unbedingt  nachweisbar  ist. 

Nachdem  auch  diese  Erörterung  genügend  zeigt,  daß 
unser  Wissen  über  chyliforme  und  pseudochylöse  Trans-  und 
Exsudate  noch  sehr  unklar  ist,  ist  es  wünschenswert,  für 
die  Klärung  dieser  Frage  mehr  exakt  beobachtete  Fälle, 
besonders  mit  exakter  Analyse  der  Flüssigkeit,  zu  publi¬ 
zieren. 

Ich  halte  daher  auch  die  Bekanntmachung  folgenden 
Falles  für  berechtigt: 

P.  K.,  26  Jahre  alt,  Taglöhner;  wurde  auf  die  11.  mediz. 
Klinik  am  3.  Juni  1903  aufgenominen.  Diagnose:  Exsudatum 
pseudochylosum  et  verosim.  Endothelioma  pleurae  1.  d. 

Anamnese:  ln  seiner  Familie  war  nichts  Bemerkens¬ 
wertes.  Er  seihst  hatte  keine  Kinderkrankheiten,  auch  keine  ge¬ 
schlechtlichen.  Alkohol  mißbrauchte  er  nicht.  Im  Mai  1902  hatte 
er  Atemheschwerden  und  viel  Durst.  Sein  x\rzt  konstatierte  da¬ 
mals  Brustfellentzündung  und  empfahl  ihm  Punktion,  welche  er 
aber  zurückwies. 

Wegen  dieser  Krankheit  konnte  er  nicht  arbeiten,  Aveil  ihn 
Atemnot  und  Husten  daran  behinderten.  Seitenstechen  hatte  er 
aber  nie.  Im  Januar  1903  steigerten  sich  die  Atembeschwerden 
und  der  Husten  derart,  daß  er  sich  ins  Spital  aufnehmen  ließ. 
Hier  wurde  er  punktiert  und  es  kam  aus  der  Seite  bei  zwei  Liter 
trübe  Flüssigkeit.  Während  seiner  Krankheit  fühlte  er  weder 
Fieber  noch  Schüttelfrost.  Er  lag  im  Spital  fünf  Tage  lang, 
dann  ruhte  er  sich  zu  Hause  den  ganzen  Winter  hindurch  aus. 
Im  Frühling  1903  stand  er  wieder  zur  Arbeit  ein  und  arbeitete 
den  Sommer  durch.  Sein  jetziges  Leiden  fing  am  15.  Juni  1903 
an,  als  er  während  der  Arbeit  Atemnot  und  Erstickungsaufälle 
bekam,  dann  hustete  er  und  spuckte  weißlich -schleimig  aus. 
Fieber  fühlte  er  nicht.  Seine  jetzigen  Klagen  sind  Atemnot  und 
Husten.  Appetit  und  Schlaf  ist  gut. 

Status  praesens:  Der  Patient  ist  gut  entwickelt,  wohl 
genährt,  seim*  Haut  braun,  das  Unterhautgewehe  mäßig  fetüialtig. 
Muskulatur  gut  entwickelt.  Knochensystem  und  Gelenke  sind 
intakt.  Pupillen  sind  gleich  und  reagieren  gut.  Die  Zunge  ist 
etwas  belegt,  das  Schlucken  ist  frei.  Der  Hals  symmetrisch.  Der 
Brustkorb  gut  entwickelt,  seine  rechte  Hälfte  bleibt  beim  Atmen 
zurück,  sie  wölbt  sich  auch  mehr  vor,  ihre  Rippen  stehen  weiter 
voneinander  als  links ;  die  Zwischenräume  der  Rippen  sind  ab¬ 
geflacht.  Atmungszabl  p.  M.  20.  Der  Umfang  der  rechten  Thorax¬ 
hälfte  in  der  Höhe  der  dritten  Rippe  ist  52  cm,  links  49  cm, 
in  der  Höhe  der  fünften  Rippe  rechts  47-5  cm,  links  46  cm,  in 
der  Höhe  der  siel>enten  Rii)pe  rechts  47  cm,  links  46  cm.  Rechts 
in  der  Fossa  supraclavicularis  ist  der  Perkussionsschall  ge¬ 
dämpfter  Trommelschalt,  in  der  Fossa  infraclavicularis  Dämpfung, 
welche  von  hier  in  allen  drei  Linien  bis  hinunter  reicht.  Hinten 
rechts  von  der  Spitze  bis  binunter  gedämpft.  Links  voller  Schall 
in  der  parasternalen  Linie  bis  zur  vierten,  in  der  Jiiittleren 
axillaren  Linie  bis  zur  neunten  Rippe.  Rechts  ist  über  der 
Dämpfung  kein  Atemgeräusch  zu  hören,  auch  ist  hier  die  Broncho- 
phonie  und  der  Pektoralfremitus  aufgehoben.  Links  überall 
weiches  Atmen.  Herzpulsation  ist  über  der  linken  Thoraxhälfte 
nicht  zu  sehen ;  Herzspitzenstoß  im  sechsten  Zwischenraum  außer¬ 
halb  der  Mamillarlinie  zu  fühlen.  Die  obere  Grenze  der  Herz¬ 
dämpfung  ist  in  der  liidven  Parasternallinie,  an  der  vierten  Rippe, 
nach  rechts  fließt  die  Herzdämpfung  mit  der  Dämpfung  der  rechten 
Thoraxhälfte  zusammen;  nach  links  geht  sie  bis  zum  Herzspitzem 
stoß.  Die  Töne  des  Herzens  und  der  großen  Gefäße  sind  rein. 
Der  zweite  Ton  der  Pulmonalis  ist  akzentuiert.  Puls  ist  mäßig 
voll,  etwas  steif,  rhythmisch,  Zahl  p.  M.  92.  Der  Bauch  wölbt 
sich  mäßig  Vor,  Fluktuation  oder  Resistenz  ist  darin  nicht  zu 
fühlen.  Die  obere  Grenze  der  Leberdämpfung  Hießt  mit  jener 
der  rechten  Thoraxhälfte  zusammen,  ist  daher  nicht  zu  bestimmen, 
ihre  untere  Grenze  überschreitet  den  Rippenbogen  in  der  Ma¬ 
millarlinie  um  zwei  Querfinger.  Die  Milzdämpfung  begrenzt  nach 
oben  die  neunte  Rippe,  der  untere  Pol  der  Milz  ist  auch  bei 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  S 


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tieleni  Eiiiatnieii  iiichl  l'ühJI)ar.  Der  Urin  ist  weingelb,  durcli- 
sichlig,  von  sauerer  Reaktion,  sein  spez.  Gew.  1021,  enthalt 
keine  abnormen  Bestandteile. 

Verlauf:  Am  4.  Juni  wurde  init  Probepunktion  aus  der 
rechten  Seite  gelblicliweiße,  trübe  Flüssigkeit  genommen,  deren 
spez.  Gew.  1019,  Eiweißgehalt  2°,o  war.  Mit  Punktion  bekamen 
wir  1500  cm'‘  gelldichweiße,  milchartige,  trübe,  geruchlose  Flüssig¬ 
keit,  von  neutraler  Reaktion,  1016  spez.  Gew.  und  Ipigo  Eiweiß; 
Zuckerreaktion  (Cupr.  sulf.,  Bisnmt,  Nitropropiol,  Gäruugsprobe) 
war  negativ.  Auf  der  Oberfläche  bildete  sich  auch  nach  längerem 
Stehen  keine  Fettlage.  Unter  dem  Mikroskop  waren  wenig  ver¬ 
fettete  Leukozyten  zu  sehen,  keine  Bakterien.  Die  Fettröpfchen 
waren  nicht  frei  in  der  Flüssigkeit.  Am  5.  Juni  nach  der  Punk¬ 
tion  war  die  obere  Grenze  der  Dämpfung  rechts  in  der  Para¬ 
vertebrallinie  und  Skapularlinie  an  der  fünften  Rippe,  vorne  in 
der  Parasternal-  und  Mamillarlinie  an  der  vierten  Rippe;  von 
der  zweiten  Rippe  herab  ist  der  Perkussionsschall  etwas  lym]')ani- 
lisch.  Der  Herzspitzenstoß  ist  auch  jetzt  noch  im  sechsten  Zwi¬ 
schenraum  außerhalb  der  Mamillarlinie.  Der  untere!  Rand  der  Leber 
reicht  drei  Querfinger  breit  unter  den  Rippenbogen,  lieber  den 
Lungen  ist  keine  wesentliche  Atmungsveränderung  zu  hören. 
Körjiergewicht  56-5  kg. 

6.  Juni:  Der  Patient  hustet  nichl  und  hat  keinen  Auswurf. 
Von  der  aus  der  Brusthöhle  genommenen  Flüssigkeit  wurden  20cm''^ 
einem  Meerschweinchen  injiziert.  In  der  Flüssigkeit  sieht  man 
außer  fettig  und  körnig  zerfallenen  Leukozyten,  frei  schwimmende 
Fettröpfchen,  Cholestearin-  und  Fettkristalle. 

8.  Juni:  Heute  wurde  wieder  punktiert;  es  kamen  1500  cnU 
der  vorigen  ähnlich  aussehende  und  zusammengesetzte  Flüssig¬ 
keit,  mit  1016  spez.  Gew.  und  2°/o  Eiweißgehalt. 

10.  Juni:  Lungengrenzen:  Vorne  in  der  Parasternal-  und 
Mamillarlinie  an  der  fünften  Rippe,  in  der  mittleren  Axillar¬ 
linie  am  oberen  Rand  der  sechsten  Rippe,  hinten  an  der  sechsten 
Rippe.  Herzspitzenstoß  ist  nicht  fühlbar,  perkutorisch  reicht  das 
Herz  bis  zur  Mamillarlinie. 

11.  Juni:  Das  injizierte  Meerschweinchen  krepierte;  Sek¬ 
tionsbefund  ist  für  Tuberkulose  negativ. 

12.  bis  15.  Juni:  Körpergewicht  68-5  kg.  Die  obere  Grenze 
der  Dämpfung  ist  vorne  in  allen  drei  Linien  die  fünfte  Hippe, 
hinten  die  siebente  Rippe. 

Am  16.  Juni  ist  die  Dämpfung  hinten  von  der  achten  Rippe, 
in  der  mittleren  Axillarlinie  ebenfalls.  Der  Herzspitzenstoß  ist 
noch  immer  im  fünften  Zwischenraum  außerhalb  der  Mamillar¬ 
linie.  Lungenspitzen  sind  frei. 

20.  Juni:  Punktion:  1500  cm^  weißlichgelbe  Flüssigkeit, 
welche  sich  fettig  anfühlt;  spez.  Gew.  1016;  Eiweißgehalt  3°/'o. 

21.  Juni :  Nach  der  Punktion  ist  die  Dämpfung  fast  gänzlich 
verschwunden;  hinten  bis  zur  neunten  Rippe,  in  der  mittleren 
Axillarlinie  bis  zur  sechsten,  vorne  bis  zur  fünften  Rippe,  lieber 
den  Lungen  kein  verändertes  Alemgeräusch.  Körpergewicht  68-5  kg. 
Er  verließ  die  Klinik. 

Am  31.  August  1903  wurde  er  wieder  aufgenommen.  Nach¬ 
dem  er  die  Klinik  verlassen  hatte,  war  er  wohl,  nur  im  Rücken 
fühlte  er  etwas  Schmerzen.  Er  stand  wieder  zur  Arbeit  ein 
und  arbeitete  bis  Ende  August;  er  fühlte  dahei  nur  zeitweilig 
geringe  Alembeschwei'den.  Am  4.  August  rückte  er  zur  Waffen¬ 
übung  ein,  wurde  jedoch  bei  der  ärztlichen  Untersuchung  zurück- 
gehalten,  da  man  rechts  Flüssigkeitsansammlung  konstatierte. 
Appetit  ist  gut,  Stuhl  normal.  Er  hustet  wenig.  Nachts  schläft  er 
gut,  schwitzt  nicht. 

Status  bei  der  Aufnahme:  Die  rechte  Thoraxhälfte  bleibt 
beim  Almen  zurück,  die  Zwischenräume  der  Rippen  sind  unten 
weiter  als  links,  und  die  rechte  Thoraxhälfte  ist  ständig  in  In- 
spiiationsstellung.  Rechts  in  der  Parasternallinie  bekommen  wir 
vom  oberen  Rand  der  vierten  Rippe,  in  der  Mamillarlinie  von 
der  vierten  Rippe,  in  der  mittleren  Axillarlinie  von  der  fünften 
Rip])e,  hinten  von  der  sechsten  Rippe  Dämpfung;  bei  Inspiration 
sinkt  diese  Grenze  nicht.  Ueber  dieser  Dämpfung  ist  das  Atem¬ 
geräusch,  der  Pektoralfremitus  und  die  Bronchophonie  geschwächt. 
Sonst  ist  über  den  Lungen  normales  Atmen.  Der  Herzspitzenstoß 
ist  nach  auswärts  verlegt,  in  der  Mamillarlinie  im  fünften  Zwi¬ 
schenraum  fühlbar.  Die  obere  Grenze  der  Herzdämpfung  ist  an 
der  vierten  Rippe,  nach  rechts  fließt  die  Herzdämpfung  mit  der 
Dämpfung  der  rechten  Thoraxhälfte  zusammen,  nach  litdcs  reicb.t 
sie  bis  zum  Spilxensloß.  Die  Töne  des  Herzens  und  der  großen 
Gefäße  sind  rein.  Ihds  ist  ihythmisch,  mäßig  voll.  Der  Hauch 
mäßig  erhaben,  auf  Druck  fühlt  der  Patient  urder  dem  rechten 
Rippenbogen  Schmerz.  Körpergewicht  60  kg. 

.\m  1.  September  Probepunktion.  Die  Nadel  trifft  festen 
Widerstand,  durch  welchen  mari  sie  schwer  durchdrängen  kann. 
Es  wurde  hinten  im  siebenten  Zwischenraum  und  in  der  mittleren 


Axillarlinie  im  fünften  eingestochen;  an  beiden  Stellen  kam 
reines  gelbes  Serum  mit  1013  spez.  Gew.  und  5To  Eiweißgehalt. 

4.  Seplemher:  Blutbefund:  Rote  Blutkörperchen  5,216.000, 
weiße  Blutkörperchen  8900.  Spez.  Gew.  1050.  Hämoglobin¬ 
gehalt  600,0.  Körpergewicht  68  kg. 

13.  September:  Körpergewicht  69-5  kg. 

14.  September:  Die  obere  Grenze  der  Dämpfung  ist  um 
eine  Rippe  tiefer  als  früher.  Weil  aber  der  Patient  nach  Hause 
will,  wird  er  punktiert.  Der  Einstich  wird  in  der  mittleren  Axillai'- 
linie  im  fünften  Zwischenraum  gemacht  und  es  kamen  1800  cm'’’ 
klares,  gelbes  Serum  mit  1016  spez.  Gew.  und  3o/o  Eiweißgehalt. 
Nach  der  Punktion  ist  die  obere  Grenze  der  Dämpfung  vorne 
an  der  fünften  Rippe,  in  der  mittleren  Axillarlinie  der  untci’e 
Rand  der  fünften  Rippe,  hinten  an  der  neunten  Rippe.  Ueber  den 
Lungen  ist  überall  weiches  Atmen  zu  liören. 

Am  16.  September  verläßt  der  Patient  die  Klinik.  Er  wurde 
dann  zum  dritten  Male  am  31.  Jänner  1904  aufgenommen.  Nach 
dem  Verlassen  der  Klinik  fühlte  er  sich  wohl  und  stand  wieder 
in  Arbeit  ein.  Zeitweilig  fühlte  er  zwar  im  Rücken  geringe 
Schmerzen.  Um  Weihnachten  1903  bekam  er  stechende  Schmerzen 
im  Rücken,  besonders  rechts,  hauptsächlich,  wenn  er  etwas 
Schweres  liob.  Bei  tiefem  Atmen  verspürte  er  auch  Schmerzen. 
Diese  Schmerzen  zwangen  ihn,  die  Arbeit  einzustellen,  obzwar 
er  sich  genug  kräftig  fühlte.  Er  suchte  wieder  einen  Arzt  auf, 
w-elcher  in  der  redden  Brusthälfte  Flüssigkeit  konstatierte.  Bei 
seiner  Aufnahme  hatte  er  Rückenschmerzen  und  fühlt  seinen 
Rücken  steif,  er  kann  ihn  nicht  mehr  beugen  oder  drehen  wie 
früher.  Die  Dämpfung  an  der  rechten  Thoraxhälfte  ist  in  der  Para¬ 
sternallinie  vom  unteren  Rande  der  vierten  Rippe,  in  der  Mamillar¬ 
linie  ixnd  mittleren  Axillarlinie  vom  oberen  Rande  vier  fünften 
Rippe,  hirden  von  der  sechsten  Rippe  hinab.  Pektoralfremitus 
und  Bronchophonie  ist  hier  sehr  abgeschwächt  und  Atemgeräusch 
nicht  zu  hören.  Der  Umfang  des  Thorax  in  der  Höhe  der  Mamillen 
ist  97  cm,  wovon  49  cm  auf  die  rechte  Hälfte  entfallen;  der 
Unterschied  von  der  linken  beträgt  1  cm.  In  der  Höhe  des  fünften 
Rippenknorpels  ist  der  Umfang  92  cm,  wovon  47  cm  auf  die  rechte 
Hälfte  entfallen,  der  Unterschied  beträgt  2  cm.  ln  der  Höhe 
des  Proc.  xiphoideus  ist  der  Umfang  88  cm,  wovon  auf  rechts 
45  cm  entfallen,  der  Unterschied  beträgt  2  cm. 

1.  Februar:  Das  durch  Probepunktion  an  zwei  Stellen  (in 
der  Skapularlinie  im  siebenten,  in  der  mittleren  Axillarlinie  im 
sechsten  Zwischenraum)  gewonnene  Serum  ist  durchscheinend. 
Mikroskopisch  zeigte  es  viele  verschieden  große,  glänzende  Fett¬ 
tröpfchen  und  einige  Leukozyten.  Körpergewicht  67-5  kg. 

Am  12.  Februar  wird  abermals  punktiert,  es  kamen  1800  cm^ 
opaleszierendes,  gelbes  Serum,  mit  1017  spez.  Gew.  und  2To 
Eiweißgehalt.  Unter  dem  Mikroskop  zeigte  es  viele  Fettröpfchen. 

Vom  13.  bis  16.  Februar  hatte  er  ständig  Rückensclnnerzen. 

Am  18.  Februar  wieder  Punklion:  650  cin^  der  vorigen 
ähnliche  Flüssigkeit,  nur  das  spez.  Gew.  ist  geändert:  1020. 

19.  Februar:  In  der  Dämpfung  ist  keine  Aenderung. 

Am  21.  Februar  verläßt  er  die  Klinik. 

Zum  vierten  Male  wurde  er  am  18.  Vlärz  1904  auf  ge¬ 
nommen.  Körpergewicht  67-5  kg.  Er  lag  bis  20.  März  auf  der  Klinik 
mit  Bauchschmerzen. 

Zum  fünften  Male  wurde  er  am  25.  Oktober  1904  aufge¬ 
nommen.  Er  stand  jetzt,  seitdem  er  die  Klinik  verließ,  nicht 
in  Arbeit.  Er  lag  unterdessen  wegen  seinen  Rückenschmerzen 
in  einem  Spitale,  dann  noch  zwei  Wochen  in  seiner  Wohnung; 
er  fühlte  sich  dann  wieder  besser,  konnte  aber  der  Schtncrzen 
wegen  nicht  arbeiten.  Sein  jetziger  Status  ist  derselbe  wie  bei 
seinem  letzten  Aufenthalte  in  der  Klinik.  Die  rechte  Thorax¬ 
hälfte  ist  mehr  vorgewölbt,  die  Zwischenräume  der  Rippen  sind 
abgeflacht. 

Am  26.  Oktober  wurde  an  zwei  Stellen  (in  der  mittleren 
.Axillarlinie  im  sechsten  Zwischenraum,  hinten  in  der  Skapular¬ 
linie  im  achten  Zwischenraum)  Pjobepunktion  angestellt,  wobei 
die  Nadel  großen  Widerstand  traf;  eine  Flüssigkeit  wurde  nicht 
bekommen. 

Am  2.  November  ist  der  Umfang  der  rechten  Thoraxhälfle 
in  der  Höhe  des  vierten  Rippenknorpels  48  cm,  links  47  cm, 
in  der  Höhe  des  sechsten  Rippenknorpels  45-5  cm,  links  46  cm. 

Am  6.  November  verließ  der  Patient  die  Klinik,  seither  haben 
wir  keine  Nachrichten  mehr  von  ihm. 

Bei  diesem  Kranken  bestand  ^ilso  2V2  Jahre  liindiirch 
ein  Exsudat  von  großer  Menge  in  der  rechten  Pleurahöhle, 
welches  trotz  der  wiederholten  Punktionen,  immer  wieder¬ 
kehrte,  endlich  aber  verschwand,  abgesehen  von  der  Däm¬ 
pfung,  welche  die  pleuralen  Verwachsungen  und  Verdickun¬ 
gen  verursachten,  und  auch  mit  Röntgendurchleuchtung 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


73 


ausgesprochenen  Schatten  gab.  Dieser  lange  fieberlose  Ver¬ 
lauf,  der  ständige  wohlerhaltene  Kräfteznstand  des  Patien¬ 
ten,  der  normale  Befund  der  Lungens])itzen,  das  negative 
Uesidtat  des  in  das  Meerschweinchen  injizierten  Serums 
lind  so  weiter  lassen  eine  tuberkulöse  Pleuritis  mit 
Sicherheit  ausschließen.  Einen  bösartigen  Tumor  an  der 
Pleura  konnten  wir  beim  Fehlen  einer  Kachexie  und  stän¬ 
digem  Fehlen  von  Blut  in  der  Flüssiglkeiit  ab  ovo  nicht  an¬ 
nehmen,  auch  die  Heilung  des  Patienten  spricht  dagegen. 
Trauma  oder  Verletzung  ging  nicht  voraus,  wovon  man 
auf  einen  Ausfluß  von  Chylus  aus  seinen  Gefäßen  folgern 
hätte  können.  Auch  sind  wir  nicht  berechtigt,  eine  Trans¬ 
sudation  von  Chylus  anzunelnnen,  weil  die  mit  Punktion 
gewonnene  Flüssigkeit,  nachdem  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  und  der  Zuckergehalt  keinen  sicheren  iVufschluß 
über  ihren  chylösen,  chyliformen  oder  pseudochylösen  Cha¬ 
rakter  gaben,  zweimal  einer  iiünktlichein  Analyse  unterzogen 
wurde,  welche  zeigte,  daß  sie  neben  minimalem  Fettgehalt 
hauptsächlich  Eiweiß  enthält. 

Die  exakten  Analysen  sind  folgende : 

1.  Die  Flüssigkeit  vom  26.  Juni  1903:  Spez.  Gew. 
10169;  100  cm^  Flüssigkeit  enthalten:  Trockensubstanz 
4-61  g,  mineralische  Bestandteile  (Asche)  0  86  g,  organische 
Substanz  3-75  g,  Nitrogen  (nach  Kjeldahl)  0-58  g,  Nitrogen 
in  dem  nach  Ritthausen  abgesonderten  Niederschlag  0-57, 
d.  h.  der  Eiweißgehalt  (N+6'25)  3-57  g,  Fett  0-06  g.  Zucker 
ist  auch  nicht  in  Spuren.  Die  Reaktion  der  Flüssigkeit  ist 
alkalisch.  Aus  der  Uebereinstimmung  des  Nitrogen  nach 
Kjeldahl  und  nach  Ritthausen  folgt,  daß  die  in  der 
Flüssigkeit  befindlichen  nitrogenhaltigen  Substanzen  Ei¬ 
weiße  sind,  ln  100  Teilen  Substanz  sind:  Minerale  18-66To, 
organische  Substanzen  31-34To,  Eiweiß  77440/o  und  Fett 
1-3880/0. 

2.  In  der  am  1.  Oktober  1903  entnommenen  Flüssig¬ 
keit  sind  in  100  Teilen  5-77  g  Trockensubstanz,  wovon 
0-701  g  Asche  sind  und  5-076  g  organische  Substanz;  Nitro¬ 
gen  0-781  g,  Fett  0-007  g;  es  ist  daher  bedeutend  mehr 
Eiweiß  als  Fett. 

Diese  Analysen  zeigen  daher,  daß  unser  Fall  als 
pseudochylöses  Exsudatum  aufzufassen  ist,  wo  die  Aehn- 
lichkeit  zum  Chylus  durch  Eiweißstoffe  verursacht  wird. 

Nachdem  dies  nur  mit  dem  Zerfall  von  Endothel-  oder 
Tumorzellen  zu  erklären  ist  und  nachdem  bei  diesem  Pa¬ 
tienten  ein  maligner  Tumor  durch  die  Heilung  ausgeschlossen 
isl,  so  sind  wir  berechtigl,  auf  ein  gutartiges  Endotheliom 
zu  denken.  Freilich,  ob  dieser  Patient  endgültig  geheilt 
ist,  könnte  man  nur  nach  einigen  Jahren  mit  Sicherheit 
aussprechen. 

Wie  schwer  es  ist  und  oft  auch  unmöglich,  ohne  exakter 
Analyse  am  Krankenbett  oder  auch  am  Seklionstisch  bei 
chylusähnlichen  Flüssigkeiten  zu  unterscheiden,  ob  sie  chyli- 
form  oder  pseudochylös  sind,  zeigt  der  folgende  Fall: 

F.  K.,  36  Jahre  alte  Frau.  Wurde  am  14.  März  1903  auf 
der  Klinik  aufgenommen.  Starb  am  9.  Juni  1903.  Die  Patientin 
bemerkte  im  Februar  1902  an  ihrem  Brustbein  eine  Geschwulst, 
welche,  sich  vergrößernd,  im  August  1902  Hühnereigröße  er¬ 
reichte.  Man  operierte  diese  Geschwulst  im  israelitischen  Spital 
und  es  kam  eitriges  Blut  daraus.  Im  November  war  die  Wunde 
geheilt,  aber  bald  darauf  bildete  sich  neben  der  Narbe  ein  hasel¬ 
nußgroßer  Knoten,  welchen  man  im  Februar  1903  operierte.  Neben¬ 
bei  leidet  die  Patientin  seit  dem  Sommer  1902  an  Schluckbescbwer- 
den,  ISO  daß  sie  zur  Zeit  ihrer  Aufnahme  nur  noch  sehr  klein 
gesclmiltene  Bissen  hinuiderhringt ;  sie  hustet  außerdem  und 
hat  schweren  Atem.  Wir  bekamen  von  dem  betreffenden  Spital 
die  Aufklärung,  daß  die  damalige  Operation  wegen  Periostitis 
chronica  ahscedens  durchgeführt  wurde. 

Status  bei  der  Aufnahme:  Der  Hals  mittellang,  symme¬ 
trisch,  heiflerseits  sind  mehrere  höhnen-  bis  haselnußgroße  Drüsen 
fühlbar.  Uebi'r  dem  Angulus  Ludovici  ist  eine  talergroße,  hell¬ 
rote  Narbe  mit  unregelmäßigem  Rande.  Um  diese  Narbe  herum  bis 
zur  vierten  Rippe,  nach  rechts  ein  Querfinger  vom  rechten 
Sternumrand,  nach  links  zwei  Querfinger  vom  linken 
Slernumrand,  ist  eine  Dämpfung.  Sonst  ist  keine  Veränderung  des 
Perkussionsschalles  über  den  Lungen  zu  finden;  überall  ist  auch 
etwas  rauhes  Atmen  zu  hören.  Das  Herz  ist  normal.  Kehlkopf¬ 


untersuchung:  Das  linke  Stimmband  ist  paretisch,  das  rechte  ist 
etwas  gerötet.  Bei  Röntgendurchleuchtung  sieht  man  nelien  dem 
linken  Rand  des  Sternums,  in  der  Höhe  der  zweiten  und  dritten 
Hippe,  bis  3cm' nach  links  einen  sich  verhreiternden  Schatten.  Ende 
April  1903  zeigte  sich  rechts  von  der  sechsten  Rippe  hinab  eine 
Dämpfung,  wo  bei  der  Probepunktion  milchigtrübes,  opaleszieren¬ 
des  Serum  bekommen  wurde,  dessen  spez.  Gew.  1026  und  Eiwei߬ 
gehalt  war.  Die  Patientin  starb  durch  Erstickung  am 

9.  Juni, 

Diagnose:  Lymphosarcoma  durum  mediastini  anterioris, 
verosimiliter  e  thynio  ortnm  cum  pi-opagatione  tumoris  ad  pnl- 
monem  sinistrum,  oesophagum  et  tracheam,  et  perioratione  eorun- 
dem  fistulisque.  Progressio  tumoris  ad  venam  anonymam'sinistram 
cum  obliteratione  totali  eiusdeni.  Metastases  complures  pericardis 
pleurae  visceralis  parietalisque,  diaphragmatiis,  glandularum  lym- 
phaticarum  colli,  peripancrealicarum  et  periportalium.  Hydrothorax 
lateris  dextri  cum  compressione  lohi  inferioris  et  medii  ilextri. 
In  der  rechten  Pleurahöhle  waren  1500  g  kraulsaftähnliche,  gelb¬ 
lichgraue  Flüssigkeit,  in  welcher  einige  rötliche,  weiße,  lose  Fibrin¬ 
felzen  schwimmen.  An  der  parietalen  und  viszeralen  Pleura  ist 
keine  Fibrin-  oder  eitrige  Ablagerung.  In  der  linken  Pleurahöhle 
waren  50  g  etwas  blutiges  und  opaleszierendes  Serum  ohne  freies 
Fibrin.  Der  Ductus  thoracicus  ist  in.  seinem  ganzen  Verlauf 
mittel  weit. 

In  diesem  Falle  verursachte  die  Opaleszenz  der  Flüssig¬ 
keit  wahrscheinlich  die  alhuminoide  Substanz  der  zer¬ 
fallenen  Tümorzellen ;  zwar  kann  man  auch  die  Alög- 
lichkeit  nicht  ausschließen,  daß  der  Tumor  einen  kleineren 
Ast  des  Ductus  thoracicus  zusammendrückte  oder  ver¬ 
stopfte  und  daß  dadurch  eine  Transsudation  des  Chylus 
in  die  Pleurahöhle  verursacht  wurde.  Eine  exakte  Ana¬ 
lyse  wurde  leider  nicht  gemacht  und  so  konnten  wir  nicht 
entscheiden,  oh  es  sich  in  diesem  Falle  um  ein  chyliforrnes 
oder  pseudochylöses  Transsudat  handelte. 

Literatur: 

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Gyorgyevic,  Laneenbecks  Archiv,  Bd.  12.  —  Oppolzer,  Allg. 

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—  Z  y  p  k  i  n,  Heber  chylöse  Ergüsse.  Wien.  klin.  Wochenschr.  1906, 
Nr.  34.  —  Sommer,  T’her  d.  Gegenw.,  H.  11. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr. 


7i 


1 


Die  Diagnose  der  typhoiden  Krankheiten  des 

Menschen *  *) 

Von  Dr,  Willielm  Spät,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

Meine  Herren !  Idi  liabe  die  Diagnose  der  typhoiden 
Erkrankungen  zum  Gegenstände  des  heutigen  Vortrages  ge¬ 
wählt,  nicht  nur  wegen  des  überaus  häufigen  V'orkommens 
derselben  in  unserer  Garnison,  sondern  vor  allem  aus  dem 
Grunde,  weil  in  der  letzten  Zeit  auf  diesem  Gebiete  so¬ 
wohl  in  ätiologischer,  als  diagnostischer  Hinsicht  bedeu¬ 
tende  Umwandlungen  vor  sich  gegangen  sind.  Ich  will 
es  versuchen,  den  gegenwärtigen  Stand  dieser  Frage  und 
zwar  hauptsächlich  vom  Standi)unkte  des  praktischen  Arztes, 
zu  schildern. 

Unter  dem  Namen  Typhus  faßte  die  alte  Medizin  be¬ 
kanntlich  lange  Zeit  hindurcli  eine  ganze  Reihe  verschie¬ 
dener  Krankheiten  zusammeti.  Es  seien  nur  neben  dem 
echten  Typhus,  die  Miliartu Irerkulose,  der  Flecktyphus,  der 
Typhus  recurrens  und  die  infektiösen  Gastroenteritiden  ge¬ 
nannt.  Diese  mannigfachen  Affektionen  hatten  lediglich  im 
Fieberverlaufe,  in  der  mehr  oder  minder  ausgesprochenen 
Beteiligung  des  Nervensystems,  namentlich  des  Sensoriums, 
sowie  in  der  hochgradigen  Prostration  und  langsamen  Re¬ 
konvaleszenz,  mit  einem  Worte,  in  dem  sogenannten  ty¬ 
phösen  Zustande,  eine  äußerlich  täuschende  Aehnlichkeit. 
Von  besonderem  Interesse  ist  die  noch  im  Jahre  1864  von 
Griesinger^)  vertretene  Auffassurcg,  welcher  verschiedene, 
wie  er  es  nannte,  ,, Krankheitsformen“  —  als  welche  er 
den  Typhus  exanthematicus,  Typhus  abdominalis,  Febris 
recurrens,  das  biliöse  Typhoid  und  die  Pest  aufzählte  — 
auf  Grund  von  einer  xVnzah!  gemeinsamer  Erscheinungen  zu 
einer  Gruppe  von  ,,t  y  p  h  o  i  d e  n  K r a n kh  e i  t  e n“  zusammen¬ 
gefaßt  hat.  Allmählich  lernte  man  auf  Grund  genauer  klini¬ 
scher  und  epidemiologischer  Beobachtung  die  Besonder¬ 
heiten  der  einen  und  der  anderen  Kraiikheitsformen  kennen; 
die  pathologische  Anatomie  sonderte  in  ihrem  Sinne  die 
einzelnen  stärker  ausgeprägten  und  konstant  vorkommenden 
Veränderungen  von  einander  und  so  kristallisierten  sich  aus 
diesem  Komplexe  schon  in  der  vorbakteriologischen  Aera 
genau  charakterisierte  und  scharf  begrenzte  Krankheits¬ 
bilder.  So  gelang  es,  sei  es  klinisch,  sei  es  anatomisch,  die 
Miliartuherkulose,  den  Flecktyphus,  den  Typhus  recurrens 
und  andere  auszuscheiden.  Als  nun  E berth  den  Erreger 
des  nun  verbliebenen,  durch  die  bekannten  klinischen  Sym¬ 
ptome  charakterisierten  Krankheitshildes  entdeckt  hat,  wurde 
ganz  allgemein  unter  Abdominaltyphus  nicht  allein  eine 
klinisch  und  anatomisch,  sondern  auch  ätiologisch  einheit¬ 
liche  Krankheit  verstanden. 

Heute  stehen  die  Verhältnisse  ganz  anders.  Wir  kehreii 
allmählich  immer  inehr  zur  früheren,  freilich  sehr  wesent¬ 
lich  modifizierten  Anschauung  der  Altmedizin  zurück.  Da¬ 
nach  stellt  diese  scheinbar  einheitliche  Infektionskrankheit, 
der  enteritische  Typhus,  einen  Sammelbegriff  einer  Reihe 
untereinander  differenter  Krankheitsprozesse  dar.  Auch 
diesmal  wurde  für  einen  Komplex  verschiedener  Affek¬ 
tionen,  allerdings  unter  einer  ganz  anderen  Begründung, 
.die  Bezeichnung  typhoide  Erkrankungen  gewählt.  Es 
gehört  hieher  nicht  allein  eine  Reihe  von  differenten  Krank¬ 
heiten  des  IMenschen,  sondern  auch  eine  heute  schon  be- 
Irächtliche  Anzahl  von  Epizootien,  von  denen  einzelne,  zum 
Beispiel  die  Schweinepest  und  die  Kälberruhr,  spezifische 
Erkrankungen  mancher  Tierarten,  und  von  welchen  an¬ 
dere  für  diverse  Tierspezies,  so  zum  Beispiel  Kanin¬ 
chen,  Mäuse,  Ratten,  Papageien,  Hühner  und  Fasane, 
wie  es  scheint,  nur  gelegentliche  Affektionen  darstellen. 
Allein  für  die  Spezies  ,, Mensch“  wurden  bis  heute 
sieben  differente,  hieher  gehörige  niorbi  sui  generis 
ermittelt.  Alle  diese  eiiidemischen  und  epizootischen  Erkran- 

*)  Nach  einem  in  der  Versammlung  der  Militärärzte  der  Garnison 
Prag  am  15.  Dezember  1906,  gehaltenen  Vortrage. 

*)  Infektionskrankheiten  in  Virchows  Handbuch  der  speziellen 
Pathologie  und  Therapie.  2.  Aufl.,  S.  106. 


kuiigen  sind  miteinander  —  das  haben  in  überzeugender 
Weise  die  Untersuchungen  von  Zupnik“)  dargetan  —  in 
ätiologischer,  klinischer  und  anatomischer  Hinsicht  aufs 
engste  verwandt. 

ln  den  heutigen  Ausführungen  wollen  wir  uns  nur  auf 
die  typhoiden  Krankheiten  des  Menschen  beschränken.  Es 
sind  dies :  der  eigentliche  Abdoniinaltyphus,  den  wir  im 
folgenden  zum  Unterschiede  von  den  übrigen,  den  Eberth- 
schen  Typhus  nennen  wollen,  die  Paratyphen,  von  welchen 
wir  heute  bereits  drei  verschiedene  kennen  u.  zw.  der 
Schottmüllersche  (B),  der  Bri on-Kay se  rsche  (A) 
und  der  Longcopesche  und  drei  verschiedenartige  typho¬ 
ide  Fleischvergiftungen;  es  sind  dies  die  Hol  st  sehe,  die 
Gär  tn  ersehe  und  die  We  s  e  n  b  erg  sehe. 

Nachdem  der  E  berth  sehe  Typhus  und  die  Paratyphen 
hinlänglich  bekannt  sind,  erscheint  es  nur  notwendig,  den 
Begriff  Fleischvergiftung  des  näheren  zu  spezifizieren.  Es 
werden  nämlich  ganz  wesentlich  voneinander  verschiedene 
Gruppen  von  Affektionen  unter  dem  Namen  Fleischver¬ 
giftung  zusammengeworfen.  Gemeinsam  haben  sie  nur  das, 
daß  sie  nach  Fleischgenuß  entstehen. 

Ein  Teil  derselben  stellt  wirkliche,  von  Person  zu 
Person  nicht  übertragbare  Vergiftungen  dar.  Hieher  ge¬ 
hören  die  P  t  o  m  a  i  n  V  e  r  g  i  f  t  u  n  g e  n  und  der  Botulismus. 
Sie  entstehen  durch  den  Genuß  von  Fleisch,  welches  anfäng¬ 
lich  nicht  gesundheitsschädlich  war,  sondern  erst  nachträg¬ 
lich  infolge  schlechter  Konservierung,  durch  Invasion  von 
Saprophyten,  der  Zersetzung  anheimgefallen  ist,  wobei  Pto¬ 
maine  sich  bildeten,  die  dann  die  eigentliche  Vergiftung  ver¬ 
ursachen.  Die  hier  in  Betracht  kormnenden,  das  Fleisch 
zersetzenden  Fäulnisbakterien  können  natürlich  ganz  ver¬ 
schiedene  Arten  darstellen;  klinisch  erzeugen  alle  diese  ge¬ 
faulten  Fleischsorten  das  Bild  einer  akuten,  sehr  rasch  ab¬ 
laufenden,  gewöhnlich  ohne  Fieber  einhergehenden  Gastro¬ 
enteritis.  Eine  Sonderstellung  unter  ihnen  verdient  der  Bo¬ 
tulismus  insoferne,  als  er  einerseits  durch  eine  einzige 
Bakterienart,  durch  den  von  van  Ermen  gern  entdeckten 
Bacillus  botulini  erzeugt  wird  und  anderseits',  weil  er  ein 
klinisch  eigenartiges,  durch  Fieberlosigkeit,  Obstipation  und 
Lähmungen  im  Bereiche  der  Gehirnnerven  wohlcharak¬ 
terisiertes  Krankheitsbild  bietet. 

Die  nun  restierenden  Fleischvergiftungen  stellen  wirk¬ 
liche,  akute,  vom  Menschen  zu  Menschen  übertragbare  In¬ 
fektionskrankheiten  dar.  Im  Gegensätze  zu  den  vorigen 
werden  sie  von  einem  Fleisch  erzeugt,  das,  obzwar  es  ein 
tadelloses  äußeres  Aussehen  bietet,  doch  von  kranken  Tieren 
stammt  und  von  den  EiTegern  der  betreffenden  tierischen 
Erkrankung  durchsetzt  ist.  Klinisch  zeigen  diese  Fleisch¬ 
vergiftungen  mehr  oder  weniger  das  Bild  des  Abdominal¬ 
typhus  und  wurden  aus  diesem  Grunde  von  Zupnik 
typhoide  Fleischvergiftungen®)  genannt.  Aus  einem  Bei¬ 
spiele  werden  Sie,  meine  Herren,  ersehen,  daß  die  in  Rede 
stehenden  Fleischvergiftungen  tatsächlich  typhoide,  das  heißt 
weder  klinisch  noch  anatomisch  vom  echten  Abdominal¬ 
typhus  unterscdieiidbare  Erkrankungen  darstellen.  Ich  er¬ 
wähne  die  zwei  großen  Epidemien  in  Andelfingen  (Im  Jahre 
1839)  und  Kloten  (1878).'^)  Bei  beiden  sind  viele  Hunderte 
von  Personen  (bei  der  ersten  391;  liei  der  zweiten  65l) 
aus  gleichem  äußeren  Anlasse  fast  gleichzeilig  erkrankt  und 
zwar  hei  einem  großen  Volkssängerfeste,  nach  welchem  die 
Sänger  und  die  geladenen  Gäste  mit  kalten  Fleischspeisen 

")  Heber  gattungspezifische  Immunitätsreaktionen.  Zeitschrift  für 
Hyg.  und  Infekt.  1905,  Bd.  49. 

9  Von  van  Ermengem  (Kolle-Wassermanns  Handbuch)  werden 
diese  Prozesse  »Fleischvergiftungen  der  Gruppe  des  Bac.  enteritidis«  ge¬ 
nannt,  sonst  wurden  sie  allgemein  als  choleriforme  Erkrankungen,  so 
z.  B.  von  Bonhoff  (Arch,  für  Hyg.  1904,  Bd.  50)  oder  direkt  als 
Cholera  nostras  z.  B.  von  Durham  (Brit.  Med.  Journ.  1889,  Bd.  2)  und 
Schottmüller  (Mönchen,  med.  Wochenschr.  1904,  Nr.  8)  bezeichnet. 
Nur  in  der  H  u  s  e  m  a  n  n  sehen  Darstellung  der  Vergiftungen  mit 
tierischen  Giften  findet  sich  für  eine  Gruppe  derselben  die  Bezeichnung 
Zootrophotoxismus  typhoides  (Handbuch  der  Ther.  innerer  Krankheiten 
von  Penzoldt  und  Stintzing.  2.  Aufl.) 

*)  cf  Suter,  Die  Fleischvergiftungen  in  Andelfingen  und  Kloten. 
München  1889. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


76 


bewirtet  wurden.  Viele  fühlten  sich  sofort  nach  dein  Genuß 
des  Fleisches  unwohl  und  nach  einigen  Stunden,  bzw.  am 
nächsten  Tage,  lagen  fast  alle  Teilnehmer  schwer  krank 
danieder.  Klinisch  bestand  das  Bild  des  Typhus,  mit  der 
charakteristischen  Kontinua,  Milztumor,  Roseola,  erbsenbrei- 
ähnlichen  Stühlen,  Enterorrhagien,  Rezidiven,  posttyphösen 
Thrombosen  etc.  Die  Typhusähnlichkeit  war  auch  in  ana¬ 
tomischer  Hinsicht  so  vollständig,  daß  E berth  selbst,  der 
eine  Anzahl  von  Verstorbenen  (bei  der  Epidemie  in  Kloten) 
sezierte,  die  Diagnose  Typhus  gestellt  hat.  Es  hat  nun  die 
klinische  und  anatomische  Identität  dieser  Massenerkran¬ 
kungen  mit  dem  Abdominaltyphus  einerseits  und  anderseits 
das  explosive  Auftreten  derselben  einige  Stunden  nach  Ge¬ 
nuß  von  Fleisch  die  Ursache  für  eine  durch  Jahre  und 
Dezennien,  unter  den  hervorragenden  Aledizinern  fortbe¬ 
stehende  Meinungsdifferenz  abgegeben.  Für  die  einen,  denen 
das  klinische  und  anatomische  Bild  maßgebender  erschien, 
waren  diese  Erkrankungen  eine  Typhusepidemie ;  für  die 
anderen,  die  dem  augenfälligen  und  später  auch  nachgewie¬ 
senen  Zusammenhänge  mit  dem  Fleisch  und  ferner  der  sich 
innerhalb  von  Stunden  abspielenden  Inkubationszeit,  eine 
wesentlichere  Bedeutung  beigelegt  haben,  als  der  Sympto¬ 
matologie,  stellten  diese  Erkrankungen  eine  dem  Typhus  ab¬ 
dominalis  zwar  verwandte,  aber  von  ihm  verschiedene,  eigen¬ 
artige,  septische  Infektion  dar.  Heute  zweifelt  wohl  nie¬ 
mand  daran,  daß  es  sich  in  diesen  Fällen  nicht  um  eine 
Typhusepidemie,  sondern  um  typhoide  Fleischvergiftungen 
gehandelt  hat. 

Nach  dieser  At)schweifung  wollen  wir  uns  dem  eigent¬ 
lichen  Thema  zuwenden.  Aus  dem  bisher  Gesagten  geht 
hervor,  daß  in  jedem  Falle,  wo  die  Untersuchung  am 
Krankenbett  den  Symptomenkomplex  Typhus  ergibt,  eine 
der  sieben  genannten  typhoiden  Erki'ankungen  vorliegen 
kann.  Aus  vielen  Gründen  entsteht  nun  für  den  Arzt  die 
Pflicht,  in  solchen  Fällen  nicht  allein  die  allgemeine  Dia¬ 
gnose  einer  typhoiden  Krankheit,  sondern  jedesmal  eine 
spezialisierende  ätiologische  Diagnose  zu  treffen.  Es  hat 
nämlich  diese  Frage  nicht  nur  ein  rein  wissenschaftliches, 
sondern  auch  ein  hohes,  praktisches  Interesse.  Vor  allem 
ist,  wie  die  Erfahrungen  gelehrt  haben,  die  Prognose  bei 
all  diesen  Krankheiten  nicht  gleich.  Während  der  Eberth- 
sclie  Typhus  eine  Mortalität  von  ca.  15%  aufweist,  ist  die 
Sterblichkeit  der  Fleischvergiftungen  und  —  soweit  schon 
jetzt  geurteilt  werden  kann  —  auch  der  Paratyphen  eine 
sehr  geringe:  1  bis  3%.  Ferner  nähern  wir  uns  immer 
mehr  dem  Zeitpunkte,  wo  hoffentlich  die  Bestrebungen  nach 
einer  kausalen  Therapie  —  etwa  einer  Serumbehandlung  — 
ihrer  Verwirklichung  entgegengehen  und  dann  wäre  die  Fest¬ 
stellung  der  ätiologischen  Diagnose  von  grundsätzlicher  Be¬ 
deutung.  Von  schwerwiegendster  praktischer  Wichtigkeit 
aber  ist  die  ätiologische  Diagnose  für  die  Prophylaxe.  Es 
braucht  kaum  betont  zu  werden,  daß  es  nicht  gleichgültig 
ist,  in  welcher  Richtung  sich  die  Forscliung  nach  der  In¬ 
fektionsquelle  bewegen  soll,  ob  die  LTrsache  beispielsweise 
im  Laden  des  Metzgers,  oder  in  der  Wasserversorgung  ge¬ 
sucht  werden  soll. 

Prüfen  wir  nun  der  Reihe  nach  die  einzelnen  Mo- 
metde,  die  eine  solche  Diagnose  ermöglichen  könnten.  Die 
klinische  Untersuchung  gibt,  wie  bereits  angedeutet, 
keine  Ardialtspunkte  dafür.  Die  einzelnen  klinischen  Sym¬ 
ptome,  wie  wir  sie  beim  Unterleibstyphus  kennen,  finden 
wir  ebenso  ausgeprägt  bei  den  einzelnen  Paratyphen  und 
typhoiden  Fleischvergiftungen.  So  wird  in  sämtlichen  bis 
jetzt  bekannten  Publikationen  über  Paratyphus  immer  wieder 
betont,  daß  klinisch  nicht  die  geringsten  Abweichungen  vom 
Bilde  des  echten  Eberthschen  Typhus  zu  verzeichnen 
waren.  Das  gleiche  gilt  im  großen  und  ganzen  von  den 
Fleischvergiftungen.  Sowohl  der  Fieberverlauf,  als  auch  alle 
Feränderungen  im  Körper,  wie  Milztumor,  Roseola,  Be¬ 
schaffenheit  der  Stühle,  sind  mindestens  in  einzelnen  Epi¬ 
demien  in  gleicher  Weise  zu  finden. 

Wohl  könnte  die  Anamnese  bezüglich  der  Inkubations¬ 
dauer  uns  einen  wichtigen  Fingerzeig  geben,  da  wir  wissen, 


daß  diese  Inkubationsdauer  bei  den  Fleischvergiftungen 
immer  eine  sehr  kurze,  kaum  nach  Stunden  rechnende 
(G  bis  3G  Stunden),  bei  den  Paratyphen  und  dem  Eberth¬ 
schen  Typhus  eine  weit  längere  (10  bis  21  Tage)  ist.  Allein, 
handelt  es  sich  um  einen  sporadischen  Fäll  oder  um  die 
ersten  Fälle  einer  Epidemie,  so  ist  die  Feststellung  des 
Zeitpunktes  der  Infektion  unmöglich,  wenn  der  Zusammen¬ 
hang  mit  der  Infektionsquelle  —  etwa  dem  Genüsse  des 
verdächtigen  Fleisches  —  nicht  augenfällig  ist. 

Auch  die  hämatologische  Untersuchung  des  Blutes, 
der  ja  für  die  Diagnose  des  Abdominalis  eine  sehr  große 
Dignität  zukommt,  dürfte  uns  in  der  äliologischen 'Diagnose 
nicht  weiter^ bringen.  Es  haben  nämlich  die  Untersuchungen 
von  Gütig“)  gezeigt,  daß  die  bis  dahin  einzig  und  allein 
für  den  Eberthschen  Abdominaltyphus  als  pathognomo- 
nisch  geltende,  qualitativ  eigenartig  beschaffene  Leukopenie 
auch  den  Paratyphen  zu  kommt. 

Von  der  pathologischen  Anatomie  erhalten  wir 
--  abgesehen  davon,  daß  uns  damit  nicht  gedient  ist,  da 
wir  ja  eine  Diagnose  am  Krankenbette  anstreben  müssen 

—  ebenfalls  keine  für  die  Aetiologie  entscheidenden  Mo¬ 
mente.  Daß  bei  den  Fleischvergiftungen  der  anatomische 
Befund  sich  durchaus  typhusähnlich  gestalten  kann,  ist  be¬ 
reits  erwähnt  worden.  Für  die  Paratyphen  liegen  nur  einige 
Obduktionsbefunde  vor.  ln  zwei  derselbeiU)  sind  die 
gleichen  Veränderungen  wie  beim  Eberthschen  Typhus 
konstatiert  worden. 

Es  vermag  also  weder  die  Klinik  inklusive  der  Hämato¬ 
logie,  noch  die  pathologische  Anatomie  Anhaltspunkte  für 
die  ätiologische  Diagnose  der  typhoiden  Erkrankungen  zu 
bieten.  ' 

So  drängt  sich  von  selbst  der  Gedanke  auf,  die  Dia¬ 
gnose  auf  den  Nachweis  des  Erregers  zu  stützen.  Leider 
ist  dieser  Weg,  der  ja  der  natürlichste  und  zugleich  der 
verläßlichste  wäre,  noch  lange  nicht  so  geebnet,  daß  er 
auf  jeder  Klinik,  geschweige  denn  in  der  Praxis  zur  An¬ 
wendung  gelangen  könnte. 

Die  Reinzüchtung  der  betreffenden  iVlikroorganismen 
aus  dem  Stuhle  ist  deshalb  mit  den  größten  Schwierig¬ 
keiten  verbunden,  weil  im  menschlichen  Darme  schon  nor¬ 
malerweise  Bakterien  Vorkommen,  die  sehr  schwer  von  den 
hier  in  Frage  kommenden  Arten  zu  differenzieren  sind. 
Ueberdies  bietet  der  gelungene  bakteriologische  Nachweis 
des  Erregers  in  den  Fäzes  —  schon  davon  abgesehen,  daß 
zur  Durchführung  dieser  Untersuchungen  oft  nur  sehr  gut 
eingerichtete  Laboratorien  befähigt  sind  mul  daß  dieselbe 
unter  Umständen  mehrere  Wochen  in  Anspruch  iiimndA) 

—  keine  Verläßlichkeit,  da  die  sog.  ,, Bazillenträger“ 
auch  Dezennien  nach  überstandenen  typhoiden  Erkran¬ 
kungen  die  betreffenden  Erreger  in  ihrem  Darme  beher¬ 
bergen  können. 

Der  Versuch,  die  Bazillen  aus  dem  Blute  zu  züchten, 
wo  die  Möglichkeit  der  Verwechslung  mit  ähnlichen  Arteti 
nicht  besteht,  führt  auch  nicht  immer  zum  Ziele,  da  die 
Krankheitserreger  sich  nur  zeitweise  und  in  sehr  geringen 
Mengen  im  kreisenden  Blute  aufhalten.  Im  übrigen  ist  auch 
diese  Methode  aus  demselben  Grunde,  wie  die  Unter¬ 
suchung  der  Stühle,  wenig  geeignet,  Gemeingut  der  prak¬ 
tischen  Aerzte  zu  w'erden. 

Weitere  diagnostische  Mittel  sind  in  den  Immun¬ 
körpern  gegeben,  in  den  Stoffen,  mit  denen  der  infizierte; 
Organismus  auf  die  Infektion  antwortet.  An  erster  Stelle 
wäre  hier  die  Agglutination  zu  nennen.  Vom  Momente  ihrer 
Entdeckung  an  (1896)  bis  zur  allerletzten  Zeit,  wurde  ihr 
ganz  allgemein  in  der  wissenschaftlichen  Welt  eine  verläß- 

9  Prager  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  20. 

A  s  c  0  1  i,  Zeitschrift  für  klin.  Med.  1903,  Bd.  48.  Cf.  ad.  hoc. 
die  Ausführungen  von  Z  u  p  n  i  k  in  der  Zeitschrift  für  Hyg.,  Bd.  49, 
S.  500  und  die  von  Jürgens  in  der  Zeitschrift  für  klin.  Med.,  Bd.  52. 

—  Der  zweite  Paratyphusfall  mit  einem  anatomischen  Typhusbefund 
wurde  vou  Kayser  mitgeleilt.  (Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte,  Meran  1905.) 

9  H.  Pribram,  Heber  die  Eigenschaften  des  E  b  e  r  t  h- 
Gaffky  sehen  Bazillus.  Zeitschrift  für  Hyg.  1906,  Bd.  54. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


liclie  diagnostische  Bedeutung  l)eigemessen.  Ein  Serum,  das 
hei  Anstellung  der  G  ruh  er-Wi  dal  sehen  Reaktion  hei  einer 
Verdünnung  1  :5()  ein  positives  Resultat  gal),  war  durch 
diesen  Ausfall  als  ein  Typhusserum  charakterisiert.  Dem 
gegenüber  haben  zahlreiche  Ihitersuchungen  gezeigt,  daß 
nicht  nur  Typhusbazillen,  sondern  auch  andere  ]\Iikroorga- 
nismen  von  demselben  Serum  auf  gleiche  Weise,  manchmal 
sogar  in  hohen  Verdünnungen,  beeinflußt  werden.  Aus 
diesem  Grunde  haben  viele  namhafte  Autoren,  wie  Jür¬ 
gens,^)  V.  1)  ri  ga  1  s k  i,^)  Kayser^*^)  der  Agglutination  über- 
überhaupt  jeden  diagnostischen  Wert  abgesprochen. 

Ganz  analoge  Verhältnisse  liegen  hei  der  Bakteriolyse 
und  der  Präzipitation  vor.  Ein  und  dasselbe  Krankenserum, 
bzw.  Immunserum  löst,  resp.  präzipitiert  nicht  allein  die 
zugehörigen,  krankheitserregenden,  sondern  außerdem  noch 
andere  Rakterienarten  (deren  Produkte). 

So  hätte  es  also  den  Anschein,  als  oh  kein  einziges 
von  den  spezifischen  bakteriellen  Gegenkörpern  eine  Unter¬ 
scheidung  zu  treffen  erlaube.  Und  doch  ist  es  mit  Hilfe  der 
Agglutination  möglich,  eine  präzise  ätiologische  Diagnose 
in  jedem  Fälle  zu  stellen. 

Verst.ändnishalher  muß  zuerst  eine  rein  bakteriologi¬ 
sche  Frage  erörtert  werden. 

Untersucht  man  eine  größere  Anzahl  von  Bakterien, 
so  findet  man,  daß  eine  gewisse  Summe  aus  der  unerme߬ 
lichen  jMenge  differenter  Arten  eine  Reihe  von  gemeinschaft¬ 
lichen  Merkmalen  besitzt.  Sie  zeigen  z.  B.  das  gleiche  Aus¬ 
sehen  unter  dem  Mikroskop,  färben  sich  in  derselben  Weise, 
wachsen  auf  verschiedenen  Nährböden  in  gleicher  Weise, 
und  rufen  in  ihnen  die  nämlichen  chemischen  Ver¬ 
änderungen  hervor.  Es  ist  nur  natürlich,  daß  man 
solche  Arten  als  untereinander  verwandt  anffaßt  und 
zu  einem  Komplex,  einer  Gattung  in  naturhistorischem 
Sinne  vereinigt.  Ebenso  werden  mehrere  solcher  Gat¬ 
tungen  auf  Grund  gemeinsamer  Eigenschaften  zu  Ver¬ 
bänden  nächst  höherer  Ordnung  zu  Gruppen  oder  zu 
Familien  zusammengefaßt.  Trotz  des  mächtigen  Auf¬ 
schwunges  und  der  großartigen  Fortschritte  der  Bakterio¬ 
logie  ist  man  heute  noch  weit  davon  entfernt,  alle  bereits 
bekannten  Mikroorganismen  in  ein  natürliches  System,  wie 
dies  beispielsweise  in  der  Zoologie  und  Pflanzenkunde  der 
Fall,  ist,  gebracht  zu  haben.  Aber  eine  größere  Anzahl  von 
Bakterienarten  ist  bereits  eingehend  studiert  und  auf  Grund 
der  natürlichen  Verwandtschaft  im  angedeuteten  Sinne  zu 
Gattungen  geordnet  worden.  Eine  derartige,  besonders 
meisterhafte  Zusammenstellung  verschiedener  Mikroorganis¬ 
menarten  verdanken  wir  Zupnik.  Durch  Prüfung  der  mor¬ 
phologischen,  mikrochemischen  und  kulturellen  Eigen¬ 
schaften  und  dementsprechende  Sortierung  der  betreffen¬ 
den  Bakterien,  ergab  sich  deren  verwandtschaftliche  Zu¬ 
sammengehörigkeit  gleichsam  von  selbst.  Nachdem  er  auf 
diese  Weise  den  Begriff  Gattung  und  einzelne  hiezu  gehörige 
Arten  charakterisiert  hatte,  unterwarf  er  dieselben  nochmals 
einer  genauen  Prüfung  u.  zw.  hinsichtlich  ihrer  Toxine, 
sowie  mittels  der  spezifischen  Immunkörper.  Diese  galten 
alle  l)is  dahin  als  artspezifisch,  das  heißt,  man  war  der 
Ansicht,  daß  z.  B.  ein  Immunserum,  das  mit  Hilfe  des 
Typhusbazillus  dargestellt  wurde,  nur  den  Typhusbazillus 
agglutiniert,  löst,  und  nur  seine  Stoffwechselprodukte  prä¬ 
zipitiert.  Dasselbe  galt  auch  für  menschliche  Krankensera. 
Dieselbe  artspezifische  Auffassung  bestand  ferner  bei  Be¬ 
urteilung  der  Spezifität  der  L'akteriellen  Toxine.  Man  war 
der  Meinung,  daß  jede  giftbildende  Bakterienart  ein  Gift 
produziert,  das  in  seiner  Wirkungsweise  einzig  dasteht.  Als 
nun  die  Wirkung  einzelner  Immimkörper  auf  verschiedene, 
innerhalb  derselben  Galtung  liegende  Arten  geprüft  wurde, 
da  stellte  sich  heraus,  daß  völlig  verschiedene,  aber 
ausschließlich  innerhalb  derselben  Gattung 
stehende  Arten  von  ein  und  demselben  Immunkörper 

«)  Zeitschrift  für  klin.  Med.  190i,  Bd.  52  und  Deutsche  med. 
Wochenschrift  1904.  Nr.  34. 

»I  Zentralblatt  für  Bakt.  1904,  Bd.  35. 

Deutsche  med.  Wochenschrift  1904,  Nr.  49. 


beeinflußt  wurden.  Ebenso  haben  sich  die  Gifte  (Toxine) 
innerhalb  derselben  Gattung  als  identisch  oder  fast  identisch 
erwiesen.  Dadurch  wurde  bewiesen,  daß  die  bakteriellen 
Produkte  und  Gegenprodukte  nicht  art-,  sondern  gattungs¬ 
spezifisch  sind. 

Auf  zwei  dieser  Substanzen  wollen  wir  genauer  ein- 
gehen:  auf  die  Toxine,  weil  sie  ein  Verständnis  für  das 
eigenartig  ähnliche  Verhalten  der  typhoiden  Erkrankungen 
bringen  und  dann  auf  die  Agglutinine,  weil  ehe  genauere 
Kenntnis  ihrer  Beschaffenheit  die  Grundlage  für  die  von 
uns  gesuchte  spezialisierende  ätiologische  Diagnose  liefert. 

Was  die  Toxine  anhelangt,  so  leuchtet  es  von  selbst 
ein,  daß  Arten,  welche  ein  gleiches,  bzw.  fast  identisches 
Gift  produzieren,  d.  i.  gattu ngsverwandte  Arten,  auch  ähn¬ 
liche,  resp.  identische  Krankheitsbilder  erzeugen  werden. 
Merkwürdig  und  in  hohem  Grade  bestechend  ist  der  Hin¬ 
weis  auf  die  Tatsache,  daß  hei  Krankheiten,  welche  einer¬ 
seits  durch  die  Klinik  und  anderseits  durch  die  paÜiologische 
Anatomie  schon  lange  als  nahe  untereinander  verwandt 
bezeichnet  wurden,  nachdem  ihre  Erreger  entdeckt  wurden, 
auch  diese  letzteren  vom  bakteriologischen  Standpunkte  als 
durchaus  natürlich  verwandt  bezeichnet  werden  müssen. 
Diese  Erscheinung  nennt  Zupnik  das  ätiologische  Kor- 
relationsgesetz,  welches  demnach  besa,gt,  daß  Bakterien¬ 
arten  derselben  Gattung,  wenn  sie  pathogen  sind  —  gleich¬ 
wohl  bei  Menschen  wie  Tieren  —  nur  ähnliche  Krankheiten  her- 
vorrufen.  Die  uns  heute  interessierenden  Krankheitserreger, 
der  Eberthsche  Bazillus,  der  Schottmül  1er sehe,  Brion- 
Kays  ersehe  und  Longcopesche  Paratyphusbazillus, 
ferner  die  Fleischvergiftungsbazillen  von  Gärtner,  Holst 
und  W  e  s  e  n  b  e  r  g,  gehören  alle  infolge  ihrer  gemeinschaft¬ 
lichen  morphologischen,  kultarellen  und  mikrochemischen 
Eigenschaften  in  dieselbe  Gattung,  die  Typhusgattung;  und 
so  wird  es  verständlich,  warum  sie  alle  klinisch  und  ana¬ 
tomisch  dieselben  Krankheiten  erzeugen  und  ferner,  warum 
weder  die  Symptomatologie,  noch  die  Hämatologie,  noch  die 
pathologische  Anatomie  eine  Differentialdiaignose  zwischen 
den  einzelnen  zu  bieten  vermag. 

Nun  kehren  wir  zur  Diagnosestellung  zurück.  Wie 
bereits  erwähnt,  gestattet  die  Agglutination  —  allerdings 
in  einer  anderen  Versuchsanordnung,  als  sie  bei  der 
Gruber-Widalschen  Reaktion  geübt  war  —  eine  präzise 
Ermittlung  des  vorliegenden  Krankheitsprozesses.  Obzwar 
sie,  wie  gesagt,  nicht  für  eine  Art,  sondern  für  die  ganze 
Gattung  spezifisch  ist,  zeigen  sich  doch  bei  Titrierung  der 
Agglutinationskraft  eines  Serums  für  alle  Arten  derselben 
Gattung  quantitative  Differenzen.  Anfänglich  war  Zupnik 
der  Meinung,  daß  sowohl  Krankensera  wie  Immunsera  den 
höchsten  Agglutinationstiter  nur  für  die  eigene  Bakterien¬ 
art  besitzen  und  erblickte  demnach  in  der  Ermittlung  des' 
höchsten  Agglutinationstiters  für  alle  in  Betracht  kommenden 
Erreger  der  typhoiden  Erkrankungen  das  Mittel,  das  trotz 
der  Gattungsspezifität  der  Agglutination,  in  jedem  Fälle  eine 
artspezifische  Diagnose  zu  stellen  erlauben  wird.  Bald  stellte 
es  sich  jedoch  heraus,  daß  es  Sera  (gibt,  welche  den  höchsten 
Agglutinationstiter  nicht  allein  für  die  eigene  Art  aufweisen, 
sondern  in  gleicher  Stärke,  oder  —  was  sich  besonders 
kritisch  gestaltete  —  in  noch  höherer  Verdünnung  andere, 
zwar  gattungsverwandte,  aber  an  der  Krankheit  nicht  be¬ 
teiligte  Arten  agglutinieren.  Dieselbe  Wahrnehmung  wurde 
auch  von  anderen  Autoren  gemacht  und  darum  der  Agglu¬ 
tination,  wie  bereits  erwähnt,  überhaupt  jede  diagnostische 
Bedeutung  abgesprochen. 

Indessen  haben  weitere  Untersuchungen  Zupniks^^) 
Tatsachen  zutage  gefördert,  die  eine  sichere  ätiologische 
Diagnose  zu  stellen  erlauben.  Es  ergab  sich,  daß  im  Ver¬ 
halten  des  höchsten  Agglutinationstiters  nicht,  wie  es 
scheinen  könnte,  eine  unbestimmhare  Laune  herrscht,  son¬ 
dern  daß  jede  Serumart  einen  gewissen  konstanten  Befund 
aufweist.  Wurden  nämlich  sämtliche  Bakterien  der  Typhus¬ 
gattung  der  Reihe  nach  mit  den  Seren  aller  dieser  Arten 

**)  Deutsche  nicd.  Wochenschrift  1905,  Nr.  44  und  Zeitschrift  für 
Hyg.  1906,  Bd.  52. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


77 


Fig.  1.  Gärtnersches  Serum  =  Gg'.  Fig.  5.  Holstsches  Serum  =  Hlisp. 


Fig.  2.  Eberthsches  Serum  =  Ee  (sb).  Fig.  6.  Preiszsches  Serum  =  Ppli. 


Fig.  3.  Brion-Kaysersches  Serum  =  Bb.  Fig.  7.  Longcopesches  Serum  —  LI  bp. 


78 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


agglutiniert,  so  zeigten  die  Sera  einer  jeden  Art  im  höchsten 
Agglutinationstiter  stets  dasselbe,  qualitativ  ganz  eigen¬ 
artige  Verhalten.  Manche  Seren  agglutinierten  in  starken 
Verdünnungen  nur  eine  Art:  es  war  dann  immer  die  korre¬ 
spondierende,  krankheitserregende;  andere  agglutinierten  in 
der  stärksten  noch  wirksamen  Verdünnung  immer  zwei  und 
drei  verschiedene  Bakterienarten  zugleich.  Wies  aber  ein 
Semm  für  mehrere  Arten  denselben  Agglutinationstiter  auf, 
dann  waren  es  immer  dieselben  Arten  und  —  erfreulicherweise 
—  bei  verschiedenen  Seris  verschiedene.  So  stellte  es  sich 
heraus,  daß  innerhalh  der  Typhusgattung  keine 
zwei  gleich  beschaffene  Serum  arten  existieren. 
Daraus  ergibt  sich,  daß  das  Serum  einer  jeden  Bakterien¬ 
art  eine  eigenartige  Agghitinatiorisstruktur  besitzt,  welche 
sich  nur  im  höchsten  Agglutinationstiter  deutlich  ausprägt. 

Bezeichnet  man  das  Kranken-  oder  Immunserum  mit 
dem  Anfangsbuchstaben  des  Bazillus,  welcher  die  be¬ 
treffende  Krankheit  erzeugt  und  mit  kleinen  Buchstaben 
die  Bakterienarten,  welche  dieses  Serum  im  höchsten  Agglu¬ 
tinationstiter  beeinflußt  (d.  h.  für  welches  dieses  Serum 
gleiche  Agglutinationsanteile  besitzt),  so  erhält  man  folgende 
Versinnlichung  der  Agglutinationskultur: 


1.  Kranken- od.  Immun-Serum  d.  Bazill.  Eberth  .  .  .  Ee(sb) 


2. 

?? 

?? 

?? 

99 

99 

Brion-Kayse 

r  Bb 

o 

O. 

?? 

J? 

>9 

99 

99 

Schottmüller  Ss 

4. 

J? 

?? 

99 

99 

99 

Longeope 

L  1  h  p 

5. 

JJ 

9? 

99 

99 

99 

Holst  .... 

Hh  sp 

6. 

?? 

’5 

?? 

99 

99 

99 

Gärtner  .  .  . 

Gg 

7. 

?? 

99 

99 

99 

Wesenberg  . 

W  w 

8. 

?? 

?? 

?? 

99 

99 

99 

Preisz  .  .  .  . 
(Schweinepest) 

Pp  h'2) 

ln  Worten  ausgedrückt,  bedeuten  diese  Schriftzeichen: 

Blutsera  der  S  ch  o  t  tmü  Iler  sehen,  Brion-Kay  ser- 
schen ,  Ci  ä  r  t  n  e  r  sehen  und  W  e  s  e  n  b  e  r  g  sehen  Erkrankun g 
agglutinieren  bei  der  Ermittlung  des  höchsten  Agglutinations¬ 
titers  die  eigene  zugehörige  Art  stets  in  einer  Stärke,  welche 
die  iVgglutinationskraft  des  betreffenden  Serums  für  alle 
übrigen  Arten  der  Typhusgattung  um  ein  mehrfaches  Mul- 
tiplum  überragt. 

Eberthsche  Sera  zeigen  in  der  Regel  dasselbe  Ver- 
iialten;  manchmal  jedoch  agglutinieren  sie  in  gleicher  Stärke 
noch  zwei  andere  Bakterienarten,  ln  diesem  Fälle  ist  das 
immer  entweder  der  Schottmüllersche  oder  der  Brion- 
Kays ersehe  Bazillus. 

Paratyphussera  der  Lon  gcopeschen  Art  und  Fleisch¬ 
vergiftungssera  der  Holstschen  Art  agglutinieren  immer 
in  gleich  starker  Weise  drei  Bakterienarten  zugleich.  Außer 
dem  krankheitserregenden  sind  das  beim  ersten  Serum  die 
llolstsche  und  Frei sz sehe,  beim  zweiten  außer  dieser 
letzteren  noch  die  Schottmüllersche  Art. 

Diese  differente  Agglutininsitruktur  habe  ich  für 
den  heutigen  Vortrag  graphisch  darzusitellen  versucht 
(lüg.  1  bis  8).  Die  vertikalen  Striche  sitellen  die  ein¬ 
zelnen  Bakterienarten  der  Typhusgattung  vor.  Die  Aufein¬ 
anderfolge  derselben  ist  in  allen  Figuren  die  nämliche  und 
wir  können  darum  die  hier  sLattgefundene  Gruppierung  ein¬ 
zelner  Arten  als  ein  starres  System  betrachten.  Namentlich 
angeführt  sind  acht  Arten  u.  zwe  die  sieben  Erreger  typho¬ 
ider  Erkrankungen  des  Menschen  und  die  Frei  sz  sehen 
Schweinepesterreger.  Die  Kurve  stellt  den  Agglutinations¬ 
titer  eines  jeden,  durch  die  Aufschrift  charakterisierten 
Seiiims,  für  alle  uns  beschäftigenden  Bakterienarten  dar. 
Bei  Betrachtung  der  Kurven  ergeben  sich  auf  den  ersten 
Blick  bei  einzelnen  Seren  beträchtliche  Differenzen.  Von  der 
Breite  der  Kurvenbasis  muß  hiebei  abgesehen  wmrden :  die 
Agglutination  ist  gattungsspezifisch  und  bis  zu  einem  ge¬ 
wissen  Werte  (der  mitunter  1  zu  vielen  Tausenden  be¬ 
trägt),  werden  fast  alle  Arien  von  jedem  Serum  agglutiniert. 
Diagnostisch  verwamtbare  Differenzen  bieten  einzelne  Kurven 

Diese  Bakterienart  besitzt  für  den  Menschen  keine  pathogenen 
Eigenschaften  und  kommt  für  unsere  Erörterungen  nur  mit  Rücksicht 
auf  gewisse  Agglutinationseigentümlichkeiten  einzelner  menschlicher  Sera 
in  Betracht. 


zunächst  durch  ihre  Lage  in  diesem  als  starr  zu  betrachten¬ 
den  System  und  dann  durch  die  Beschaffenheit  des  Kurven¬ 
gipfels  : 

Vier  Kurven,  diejenige  des  Serums  Schottmüller 
(Fig.  4),  Brion-Kayser  (Fig.  3),  Gärtner  (Fig.  l)  und 
Wesenberg  (Fig.  8)  sind  eingipflig  (=  der  Gipfel  umfaßt 
nur  eine  Bakterienart).  Diejenige  eines  Eberth  sehen  Se¬ 
rums  ist  in  der  Regel  eingipflig,  in  seltenen  Fällen  zwei- 
oder  sogar  dreigipflig.  Die  Kurve  des  Frei  sz  sehen  Schweine¬ 
pestserums  ist  zweigipflig;  die  des  Lon  gcopeschen  Para¬ 
typhusserums  und  des  Holstschen  Fleischvergiftungs¬ 
serums  immer  dreigipflig. 

Hienach  gestaltet  sich  die  Agglutinationsuutersuchung 
für  diagnostische  Zwmcke  folgendermaßen: 

Zu  den  Bouillonkultnren  (oder  Diagnostizis)  sämtlicher 
in  Betracht  kommenden  Arten  der  Typhusgattung  wird  das 
Krankenserum  in  entsprechender  (niedriger)  Verdünnung  (im 
ersten  Versuch  1:40,  1:80  und  1:200*)  zugesetzt.  Ist  nur 
eine  Art  in  allen  drei  Verdünnungen  agglutiniert,  während 
die  übrigen  unbeeinflußt  bleilien,  so  können  wür  ohne  w^ei- 
teres  sagen,  daß  diese  agglutinierte  Art  den  Erreger  der 
fraglichen  Krankheit  darslellt.  Zeigen  dagegen  mehrere 
Arten  eine  Agglutination  bis  zu  1:200,  so  muß  man,  um 
zu  einer  präzisen  Diagnose  zu  gelangen,  weitere  Serumver¬ 
dünnungen  anstellen,  bis  wür  zur  größten  Verdünnung 
kommen,  wmlche  noch  eine  Agglutination  hervorruft,  d.  h., 
bis  wir  den  höchsten  Agglutinationstiter  des  vorliegenden 
Serums  ermittelt  haben.  Bei  Kenntnis  der  Agglutininstruktur 
der  einzelnen  Serumarten  ist  damit  bereits  eine  speziali¬ 
sierende  Diagnose  gegeben. 

Es  sind  nämlich  nur  folgende  Eventualitäten  möglich 
(cf.  ad  hoc  die  Figuren) : 

Ist  im  höchsten  Agglulinationstiter  der  Eberthsche 
Bazillus  allein  agglutiniert,  so  handelt  es  sich  um  einen 
Eberth  sehen  Typhus.  Aber  auch  in  dem- Falle,  wo  neben 
dem  Eberth  sehen  noch  der  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r  sehe  oder  auch 
noch  der  Brion-Kays ersehe  Bazillus  gleich  stark  agglu¬ 
tiniert  wurden,  kann  auch  nur  ein  Eberthscher  Typhus 
vorliegen  (Fig.  2). 

Wurden  in  hohen  Verdünnungen  nur  der  Schott- 
niül  1er  sehe,  Brion-Kays  ersehe,  Gärtn  ersehe  oder 
Wesen bergsche  Bazillus  agglutiniert,  dann  liegt  die  korre¬ 
spondierende  Krankheit  vor  (Fig.  1,  3,  4,  8). 

Agglutiniert  das  in  Untersuchung  stehende  Serum  in 
gleicher  Stärke  die  Arten:  Holst,  Schottmüller'  und 
Preisz,  dann  handelt  es  sich  um  eine  Hol  st  sehe  Fleisch¬ 
vergiftung.  Ein  Schottmüllersches  Paratyphusserum 
wmrde  nämlich  nur  den  S ch o ttmü Ile r sehen  Bazillus 
agglutinieren;  der  Bazillus  Preisz  kommt  aber  nicht  in 
Betracht,  da  er  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  nur  für 
Schweine  pathogen  ist  (Fig.  5). 

Endlich  kann  noch  die  gleichzeitige  und  gleich  starke 
Agglutination  der  Longeopes sehen,  Holstschen  und 
Preisz  sehen  Bazillen  Vorkommen.  Der  vorliegende  Krank¬ 
heitsprozeß  ist  dann  ein  Long  cope  scher  Paratyphus.  Denn 
nur  das  Serum  diesbr  Krankheit  vermag  den  Loug- 
cop eschen  Bazillus  (im  höchsten  Agglutinationstiter)  zu 
agglutinieren  (Fig.  7). 

So  führt  die  Ermittlung  des  höchsten  Agglutinations¬ 
titers  bei  Kenntnis  der  Agglutininstruktur,  die  eine  kon¬ 
stante  Eigenschaft  der  einzelnen  Serumarten  darstellt,  zu 
einer  präzisen  Diagnose  —  eines  vorausgesetzt:  daß  man 
für  die  Untersuchungen  nicht  etwa  agglutininimmune  oder 
schlecht  agglutinable  Stämme  verwendet,  siondern  solche 
von  erwüe.sener,  ausgezeichneter  Agglutina- 
bilität. 

Zum  Schlüsse  hätte  ich  noch  zu  bemerken,  'daß  meines 
Wissens  die  Firma  Merck  beabsichtigt,  außer  den  Dia¬ 
gnostizis  für  Typhus  und  zwei  Paratyphen,  die  sie  bereits 

*)  Eine  positive  Reaktion  der  beiden  ersten  Verdünnungen  kann 
von  einer  lange  zuvor  überstandenen  typhoiden  Erkranknng  herrühren. 
Nur  die  letzte  Verdünnung  gestattet  —  dies  aber  in  völlig  verläßlicher 
Weise  —  die  Annahme  einer- besteh en den  typhoiden  Erkrankung, 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


79 


oiiigeführt  hat,  auch  solche  für  die  übrigen  typhoiden  Er¬ 
krankungen  des  Menschen  in  den  Handel  zu  bringen.  Es 
wird  dann  für  jeden  Arzt  die  Möglichkeit  bestehen,  auf  dem 
geschilderten  Wege  zu  einer  präzisen  ätiologischen  Diagnose 
zu  gelangen.  Dabei  wäre  es  wünschenswert,  daß  die  Agglu- 
tinabilität  dieser  Diagnostika  vor  ihrer  Ausgabe  einer,  wo¬ 
möglich  amtlichen,  Prüfung  unterzogen  werden. 


{Referate. 

Das  Sexualleben  unserer  Zeit  in  seinen  Beziehungen 

zur  modernen  Kultur. 

Von  Dr.  med.  Iwan  Bloch,  Spezialarzt  für  Haut-  und  Sexualleiden  in 
Berlin.  Verfasser  von  „Ursprung  der  Syphilis“  etc. 

Berlin  1907,  L.  Marcus. 

Auf  Grund  eingehender  Studien  und  einer  umfangreichen 
Literaturkenntnis,  nicht  nur  der  wissenschaftlichen,  sondern  auch 
der  belletristischen  Literatur,  unternimmt  der  Verfasser  den  Ver¬ 
such,  eine  Enzyklop<ädie  der  gesamten  Sexualwissenschaft  zu  ver¬ 
fassen  und  bringt  in  33  Kapiteln  so  ziemlich  alles,  was  sich 
über  Liebe,  Ehe,  Sexualleben,  Sexualerkrankungen  etc.  sagen 
läßt.  Es  ist  unmöglich,  hier  auf  den  Inhalt  des  ganzen,  groß 
angelegten  Buches  einzugehen,  deshalb  seien  nur  die  ITeber- 
schriften  der  wichtigsten  Kapitel  angegeben;  sie  lauten:  Das 
Elementarphänomen  der  menschlichen  Liebe;  die  Ehe;  die  freie 
Liebe;  Verführung,  Genußleben  und  wilde  Liebe;  die  Prostitu¬ 
tion;  die  Geschlechtskrankheiten,  deren  Verhütung,  Behandlung 
und  Bekämpfung;  sexuelle  Reiz-  und  Schwächezustände;  Psycho- 
pathia  sexualis;  sexuelle  Perversionen;  das  Rätsel  der  Homo¬ 
sexualität;  Sadismus,  Masochismus,  Fetischismüs ;  die  Enthalt¬ 
samkeitsfrage;  die  sexuelle  Erziehung;  die  sexuelle  Hygiene 
und  so  weiter.  Die  Sprache  ist  populär,  aber  ernst  und  würdig, 
die  Wiedergabe  meist  objektiv,  doch  ist  Verf.  nicht  immer  frei 
von  Uebertreibung,  so  im  21.  Kapitel,  in  welchem  er  die  breit 
angelegte  Erzählung  eines  sexuell  perversen  russischen  Revolu¬ 
tionärs  allen  Ernstes  als  Beitrag  zur  Psychologie  der  russischen 
Revolution  wiedergibt. 

Die  Eheschließung  vom  gesundheitlichen  Standpunkte. 

Von  S.  E.  Heiisclieii,  Professor  an  der  medizinischen  Fakultät  in 

Stockholm. 

Autorisierte  Uebersetzung  von  Dr.  Leo  Klemperer,  prakt.  Arzt  in  Karlsbad. 

Wien  1907,  M.  Perles. 

Verf.  hebt  zunächst  die  hygienische  Bedeutung  der  Ehe 
für  den  einzelnen  hervor,  weist  statistiscli  nach,  daß  in  jedem 
Alter  und  bei  beiden  Geschlechtern  die  Mortalität  der  Ledigen 
größer  ist  als  die  der  Verheirateten  und  kommt  dann  auf  jene 
Erkrankungen  zu  sprechen,  die  der  Ehe  gefährlich  sind  inso¬ 
fern,  als  sie  den  anderen  Teil  oder  die  Nachkommenschaft  un¬ 
günstig  beeinflussen.  Verf.  bespricht  von  diesem  Standpunkt  die 
Tuberkulose,  Herzkrankheiten,  Arteriosklerose,  Aneurysma,  Dia¬ 
betes,  Nierenkrankheiten,  Nerven-  und  psychische  Erkrankungen, 
Alkoholismus,  Geschlechtskrankheiten,  erörtert  deren  Bedeutung 
für  die  Ehe,  die  Bedingungen,  unter  denen  dem  Kranken  die 
Ehe  gestattet  werden  kann,  bespricht  die  Bedeutung  der  Ehe 
unter  Blutsverwandten  und  verlangt  schließlich  zum  Schutze  der 
Ehe  und  der  Nachkommenschaft  die  folgenden  Maßregeln : 

1.  Obligatorischer  Unterricht  in  den  Schulen,  betreffend 
die  Funktionen  der  Geschlechtsorgane  und  deren  wichtigsten  Er¬ 
krankungsformen,  sowie  der  Gefahren  der  letzteren. 

2.  Obligatorischer,  nicht  qualifizierter  Nachweis  über  den 
Vollzug  einer  ärztlichen  Untersuchung  als  unerläßliche  Bedin¬ 
gung  für  die  gesetzliche  ^Eheschließung. 

3.  Strafbestimmungen  für  denjenigen,  der  mit  Wissen  und 

Willen  durch  den  geschlechtlichen  Verkehr  eine  andere  Person 

einer  venerischen  Erkrankung  aussetzt  oder  sie  infizieit. 

* 

Unseren  Söhnen!  Aufklärung  über  die  Gefahren  des 

Geschlechtslebens. 

Von  Dr.  med.  F.  Siebert,  prakt.  Arzt. 

Straubing  1907,  Attenkofer. 

Die  Gründung  der  deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung 
der  Geschlechtski’ankheiten,  deren  zahlreicher  Ortsgruppen,  die 


sich  die  Aufgabe  stellen,  in  Wort  und  Schrift  die  ernste  Bedeu¬ 
tung  der  Geschlechtskrankheiten  in  das  rechte  Licht  zu  ziehen, 
Aufklärung  über  dieselbe  zu  verbreiten,  hat  in  Deutschland  eine 
ganze  Pdut  von  populären  Aufklärungsschriften  über  dieses  Thema 
provoziert,  zu  der  auch  die  Vorlage  gehört.  In  einer  warnnm 
und  würdigen,  populären  Sprache  schildert  Verf.  die  ernste  Be¬ 
deutung  der  Geschlechtskrankheiten  ohne  Uebertreibung,  be¬ 
spricht  die  sexuellen  Vorgänge,  die  Bedeutung  derselben  für  das 
Individuum  und  die  Erhaltung  der  Art,  die  Gattenwahl,  die  Pro¬ 
phylaxe  der  Geschlechtskrankheiten,  die  in  ein  waiines  Plaidoyer 
für  die  sexuelle  Abstinenz  der  Unverheirateten  ausklingt. 

* 

Die  Aetiologie  der  Syphilis. 

Von  Prof.  Erich  Hoffmanii,  Oberarzt  der  dermatologischen  Klinik  zu 

Berlin. 

Mit  2  Tafeln. 

Berlin  1906,  F.  Springer. 

Vorliegende  Broschüre  ist  die  erweiterte  Publikation  jener 
Mitteilungen,  die  Hoffmann  über  dasselbe  Thema  auf  dem  Kon¬ 
greß  der  Deutschen  dermatologischen  Gesellschaft  in  Bern  und 
der  78.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 
Stuttgart  in  diesem  .fahre  erstattet  hat. 

Nach  genauer  Wiedergal)e  aller  den  Nachweis  der  Spiro- 
chaete  pallida  im  Sekret  und  Gewebe  bezweckenden  Unter- 
suchungsmethoden  bespricht  Verf.  zunächst  die  Morphologie  der 
Spirochaete  pallida,  die  Charakteristika  derselben,  Zartheit,  ge¬ 
ringes  Lichtbrechungsvermögen,  spitze  Enden,  steile  und  schmäch¬ 
tige  Windungen,  schlängelnde  Bewegung,  Elastizität  und  Form¬ 
beständigkeit,  rötliche  Färbung  nach  Giemsa.  Ueber  die  Ent¬ 
wicklungsstadien  und  die  Zugehörigkeit  der  Spirochaete  pallida 
zu  den  Bakterien  oder  Protozoen  ist  durch  die  bisherigen  Unter¬ 
suchungen  keine  Klärung  erfolgt.  Die  Spirochaete  pallida  wurde 
bisher  in  fast  allen  syphilitischen  Krankheitsprozessen  gefunden, 
interessant  sind  besonders  die  Nachweise  im  Blute,  in  frischen 
Roseolen,  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit,  in  der  Hel  1er sehen 
Aortitis,  der  Arteriitis  der  Hirnarterien  und  in  den  Papeln  der 
Iris.  Bei  kongenitaler  Syphilis  wurde  dieselbe  in  fast  allen  Or¬ 
ganen  nachgewiesen.  Interessant  sind  hier  wieder  die  Nachweise 
im  Ovarium,  Ovulum  und  in  den  Hoden.  Auch  bei  der  Affen¬ 
syphilis  und  bei  den  Impfungen  auf  Kaninchenkornea  wurde 
die  Spirochaete  pallida  nachgewiesen.  Dieser  Nachweis  gestattete 
die  Annahme  der  Spezifizität  der  Spirochaete  pallida,  wenn  auch 
deren  Kultur  und  Ueberimpfung  derselben  bisher  nicht  gelang. 
Die  Entdeckung  der  Spirochaete  pallida  ist  heute  schon  praktisch 
bedeutungsvoll  bei  der  Feststellung  frisch  auf  getretener,  klinisch 
wenig  charakteristischer  Initialaffekte ;  sie  kann  durch  Nachweis 
in  der  Drüsenpunktionsflüssigkeit  von  Bedeutung  sein  für  die 
Diagnose  älterer,  latenter  Lues. 

Die  Spirochaete  pallida  ist  vorwiegend  ein  Parasit  der 
Lymphe  und  des  Bindegewebes. 

* 

Syphilis  du  Poumon  chez  Uenfant  et  chez  l’adulte 

par  le  Dr.  Beriel,  ancien  interne  des  höpitaux  de  Lyon,  Preparateur  du 
laboratoire  d’anatomie  pathologique. 

Paris  1907,  G.  S  t  e  i  n  h  e  i  1. 

Die  Vorlage  stellt  sich  als  eine  monographische  Bearbei¬ 
tung  des  Kapitels  der  Lungensyphilis,  sowohl  beim  Neugeborenen, 
als  auch  beim  Erwachsenen  dar,  bei  welcher  Bearbeitung  ins¬ 
besondere  die  pathologisch-anatomische  Seite  der  Frage  eine  ein¬ 
gehende  Würdigung  erfährt.  Nach  einer  ausführlichen  histori¬ 
schen  Eiideilung  bespricht  Verf.  zunächst  die  anatomischen  Ver¬ 
änderungen,  das  Gumma,  die  Schwiele,  die  syphilitische  Pneu¬ 
monie  des  Neugeborenen  und  Erwachsenen,  die  Bronchiektasien, 
weiters  die  nicht  syphilitischen  Komplikationen.  Als  Ausgangs¬ 
punkt  aller  syphilitischen  Verändeiungen  sieht  Verf.  die  Blut¬ 
gefäße  an.  Im  Bindegewebe  um  die  Gefäße,  also  in  den  Trabekeln 
der  Alveolen,  kommt  es  zunächst  zur  Infiltration  mit  kleinen 
Zellen  und  zur  Exsudation  eines  serösen  oder  serofibrinösen 
Exsudates;  der  chronische  Verlauf  gibt  dem  Prozeß,  als  einem 
syphilitischen,  einen  speziellen  Anstrich.  So  eiitstehen  katarrha¬ 
lische  Erkrankungen,  die  als  gelatinöse  Pneumonie,  subakute 
Bronchopneumonie  bezeichnet  werden.  Typischer  und  charak¬ 
teristischer  sind  die  Veränderungen  des  zweiten  Stadiums.  Der 


-T 


WIENER  KLINISCHE  WUCHENSCIIRIET.  1907. 


Nr.  n 


ÖC 


hyperplastische  Ctiarakler  tritt  deutlich  zutage,  wobei  aber  die 
Bindegewehshyperplasie  seltener  einen  Lappen  betrifft,  meist,  ent¬ 
sprechend  gi'ößeren  Bindegewebszügen,  die  ganze  Lunge  durch¬ 
setzt.  Zn  dieser  Wucherung  des  Bindegewebes  gesellen  sich  förm¬ 
lich  adenomatöse  Vermehrungen  der  Epithelien  der  Alveolen  und 
auf  diese  Weise  entsteht  die  Pneumonia  alha  des  Kindes  und 
des  Erwachsenen.  Der  natürliche  Ausgang  dieser  Veränderungen 
ist  die  Sklerose,  die  zur  Schrumpfung  und  zur  Bronchiektasie 
führt.  Aber  in  diesem  Infiltrat  kann  es  durch  umschriebene 
Hyperplasie  der  Gefäßwand  innerhalb  des  hyperplasierten  Binde¬ 
gewebes  zur  Bildung  umschriebener  Herde  von  Nekrose  nach 
dem  Typus  der  Entstehung  des  Infarktes  kommen  und  so  ent¬ 
steht  das  Gunnna. 

Der  Verfasser  bespricht  nun  die  in  vielen  Punkten  noch 
ungenaue  Symptomatologie  der  Lungensyphilis.  Als  diagnostisch 
wichtig  führt  Verf.  an,  daß  die  Lungensyphilis  die  Neigung  habe, 
andere  Lungenerkrankungen  zu  simulieren.  Als  Anhaltspunkte 
für  die  Diagnose  seien  zu  beachten :  die  Tatsache  vorausge¬ 
gangener  Infektion;  der  Nachweis  des  Bestehens  anderweitiger 
syphilitischer  Kranklieitsformen ;  die  Lokalisation  der  Veränd(‘- 
rungen  in  dem  Mittellappen  der  Lunge;  der  Effekt  antiluetischer 
Behandlung;  Ausschluß  der  Tuberkulose  durch  Sputimumter- 
suchung  mit  negativem  Resultat.  Verf.  bespricht  nun  die  Dia¬ 
gnose  der  verschiedenen  Formen,  schließlich  die  Therapie.  Er 
hebt  auf  der  einen  Seite  die  oft  lehensrettende  Bedeutung  einer 
zur  richtigen  Zeit  einsetzenden  antiluetischen  Therapie  hervor, 
anderseits  aber  auch  deren  Grenzen,  indem  er  den  Satz  auf¬ 
stellt  :  Syphilitische,  deren  Lungenaffektion  einmal  in  das  Sta¬ 
dium  einer  kavernenbildenden  Pseudotuberkülose  eingetreten  sind, 
seien  in  der  Regel  nicht  mehr  heilbar.  Wichtig  sei  das  frühzeitige 
Einsetzen  der  Behandlung,  die  in  der  Anwendung  von  Queck¬ 
silber  und  Jod  in  den  bekannten  Applikationsweisen  zu  bestehen 

habe.  Finger. 

* 

Expeiimentelle  Studien  über  die  Durchgängigkeit  des 
Magendarmkanales  neugeborener  Tiere  für  Bakterien 
und  genuine  Eiweißstoffe. 

Von  A.  Uffenheimer. 

München  und  Berlin  1906,  Verlag  von  R.  Oldenbourg. 

Uffenheimer  wurde  durch  v.  Behrings  Hypothesen 
zur  Nachprüfung  speziell  der  PTage  der  Durchlässigkeit  des 
Intestinaltraktes  Neugeborener  für  Bakterien  und  ge¬ 
nuine  Eiweiße  angeregt.  Diese  Frage  sei  wichtig,  nachdem  sich 
der  Magendarmkanal  Neugeborener  wohl  anders  verhalte,  wie 
der  des  Erwachsenen,  da.  ja  gewisse  Verschiedenheilen  in  den 
sekretorischen  Funktionen  unzweifelhaft  seien  (Biedert,  L äu¬ 
ge  rmann,  Hamburger,  Leo  und  Es  che  rieh  u.  a.).  Als 
Versuchstiere  dienten  vorzugsweise  neugeborene  Meerschwein¬ 
chen,  einzelne  Kaninchen,  wie  auch  einige  Untersuchungen  am 
IMenschen  vorgenommen  werden  konnten.  Es  wurden  Fütterungs¬ 
versuche  mit  Bakterien  (Micrococcus  Telragenus,  Milzbrand-  und 
Tuberkelbazillen,  sowie  Bacillus  prodigiosus)  und  mit  Eiwei߬ 
körpern  (Kuhkasein,  Hühnereiweiß',  hämolyt.  Serum,  Diphtherie- 
und  Tetanusantitoxin)  angestellt.  Ein  besonderes  Augenmerk 
wurde  auf  den  etwa  mikroskopischen  Nachweis  eines  Uebertrittes 
von  Bakterien  durch  die  Schleimhäute  gerichtet. 

Die  Verfüttere  ng  von  Anthraxbazillen  ergab  außer¬ 
ordentliche  Differenzen  gegenüber  den  Versuchen  von  v.  Beh¬ 
ring  und  Much,  deren  Erklärung  Uffenheimer  dahingestellt 
sein  lassen  will.  Unter  28  neugeborenen  Meerschweinchen  bleiben 
25,  die  sowohl  sporenfreie,  wie  sporenhaltige  Kulturen  erhalten 
hatten,  gesund,  während  nur  drei  mit  sporenhaltigem  Material 
gefütterte  an  typischem  Milzbrand  zugrunde  gingen.  Bei  diesen 
drei  Tieren,  nimmt  Uffenheimer  minimale  Verletzungen  an, 
zumal  sich  eines  dieser  Tiere  bei  der  Fütterung  sehr  gewehrt 
hatte.  Bei  den  gesund  gebliebenen  Tieren  konnten  Bazillen  in 
der  Schleimhaut  oder  im  Körperinnern  nicht  nachgewiesen  werden. 

Mit  Tuberkelbazillen  wurden  40  Versuche  vorgenom¬ 
men.  Die  verwendeten  Bazillen  entstammten  menschlicheti  Tu¬ 
berkelbazillen  (Typ.  hum.  Kossel,  Weber,  HeussX  Die  Tiere 
wurden  kürzere  oder  längere  Zeit  nach  der  Füttenmg 
obduziert,  „jede  nicht  ganz  geAvöhnliche  Erscheinung“  histolo¬ 
gisch  untersucht.  Desgleichen  wurde  eine  größere  [leihe  von 


Drüsen  im  Quetschpräparat  auf  Tuherkelbazillen  untersucht  und 
auch  an  weitere  Meerschweinchen  verimpft.  Gelegentlich  wurde 
auch  das  Blut  verimpft.  Bezüglich  des  verwendeten  Tiermaterials 
bemerkt  Uffenheimer:  ,,Die  sehr  häufig  vorgenommenen  Wä¬ 
gungen  der  Tiere  habe  ich  hier  weggelassen,  da  durch  oftmalige 
Schwangerschaften  (ich  war  gezwungen,  jegliches  Tiermaterial  zur 
Züchtung  der  für  die  Experimente  notwendigen  Jungen  zu  be¬ 
nützen)  und  Futterwechsel  ziemlich  jähe  Gewichtsschwankungen 
entstanden.  Im  übrigen  zeigten  sich  bedeutendere  Gewichtsab¬ 
nahmen  nur  bei  sehr  stark  fortgeschrittenen  tuberkulösen  Pro¬ 
zessen.“  (Wenn  man  daraus  schließen  muß,  daß  auch  von  tuber¬ 
kulösen  Muttertieren  stammende  und  von  ihnen  gesäugte  Junge 
verwendet  wurden,  so  stehen  der  Verwendung  solcher  Tiere  nach 
Anschauung  des  Referenten  einige  Bedenken  entgegen.  Referent 
schaltete  solche  Tiere  bei  seinen  einseblägigen  Versuchen  stets 
aus  und  benützte  stets  nur  Tiere  aus  gesunden  Zuchten,  die,  stets 
kontrolliert,  keinen  Fall  von  Tuberkulose  unter  der  .Zucht  auf¬ 
decken  ließen.) 

In  der  ersten  Versuchsreihe  erscheinen  26,  mit  Bazillen¬ 
aufschwemmung  in  Bouillon  gefütterte  Tiere.  Das  erste  Tier  starb 
an  Aspiration,  vier  waren  alte  Muttertiere,  21  neugeborene  Meer¬ 
schweinchen. 

Zunächst  erscheint  erwähnenswert,  daß  die  verfütterten 
Tuberkelbazillen  ziemlich  rasch  wieder  durch  den  Darm  aus¬ 
geschieden  werden.  So  konnte  bei  genauer  Deckglasuntersuchung 
nach  drei  Tagen  nur  mehr  ein  zweifelhafter  Tuberkelbazillus  im 
Stubl  entdeckt  werden.  Uffenheimer  schließt  aus  den  Erfolgen 
seiner  ersten  Reihe:  ,,Ucberb licken  wir  kurz,  noch  ein¬ 
mal  die  eben  beschriebenen  Versuche,  so  sehen  wii- 
regelmäßig  bei  den  neugeborenen  Meerschweinchen, 
wenn  sie  lange  genug  am  Leben  gelassen  wurden, 
der  einmaligen  Verfütterung  von  Tuberkelbazillen 
eine  Erkrankung  an  Tuberkulose  folgen.“  Ein  Fall  mit 
schon  zwölf  Tage  nach  der  Fütterung  mit  Bazillen  erfolgtem 
Tode  an  Tuberkulose  erscheint  dem  Autor  deshalb  von  Wichtig¬ 
keit,  ,,w e i  1  er  einen  Fingerzeig  dafür  bietet,  daß  nie  h t 
jede  kurz  nach  der  Geburt  tödlich  endende  Tuber¬ 
kulose  des  menschlichen  Säuglings  als  eine  prägen!- 
t a  1  durch  plazentare  U e b e r t r a g u n g  entstandene  auf¬ 
zufassen  ist“. 

Die  Infektionen  waren  bei  dieser  Reihe  von  der  Mundhöhle, 
wie  vom  Darme  erfolgt.  ,, Dafür,  daß  der  intestinalen  Infektion 
zunächst  ein  Krankheitsbild  folge,  vergleichbar  der  menschlichen 
Skrofulöse,  wie  v.  Behring  es  schildert,  hat  sich  kein  Anhalts¬ 
punkt  ergeben,  vielmebr  schien  stets  der  erste  Erkrankungsherd 
bei  der  Obduktion  auch  der  am  weitesten  vorge¬ 
schrittene  zu  sein.“ 

Bei  der  zweiten  Reihe  erfolgte  die  Fütterung  init  getrock¬ 
neten  Tuberkelbazillen.  Von  14  Tieren  zeigten  zehn  frühzeitig 
getötete  keine  Zeichen  von  Tuberkulose  bei  der  Obduktion,  wäh¬ 
rend  vier  Tuberkulose  erkennen  ließen.  Aus  denselben  schließt 
Uffenheimer: 

,,Die  Befunde  an  den  mit  trocken  verabreichter 
Tuberkelbazillenkultur  gefütterten  Neugeborenen 
stimmen  völlig  überein  mit  den  1.) e r e i t s  geschil¬ 
derten.  Aspiration  in  die  Lungen  mit  ihren  Folgen 
war  dabei  ausgeschlossen,  tl  a  g  e  g  e  n  zeigte  sich  bei 
zwei  sehr  spät  (67  und  68  Tage  nach  der  Fütterung) 
getöteten  Tieren  Darmtuberkulose.“  Diese  wird  bei 
intakter  Schleimhaut  von  Uffenheimer  als  retrograd  von  den 
Lymphdrüsen  aus  erfolgt  betrachtet.  (Tendeloo.) 

An  vier  erwachsenen  Meerschweinchen  vorgenommene  Fütte¬ 
rungen  mit  Bazillenaufschwemmung  zeigten  Uebereinstimmung 
mit  den  Neugeborenen.  So  schließt  Uffenheimer:  ,,Der  Tu- 
b  e  r  k  e  1  b  a.  z  i  1 1  u  s  geht  demnach  ebensogut  durch  die 
Schleimhäute  der  alten,  wie  d  er  jungen  Me  erschwein- 
chen  hindurch,  es  handelt  sich  lediglich,  dem  ver¬ 
schiedenen  Alter  und  der  verschied  e  n  e  n  Schwere 
der  Tiere  entsprechend,  um  Unterschiede  in  der 
Größe,  der  zur  Infektion  erforderlichen  Dosen.“ 

Bei  weiteren  Fütterungsvcu'suchen  wurden  Tiere  sehr  bald 
nach  der  Fütterung  mit  Tuberkelbazillen  (in  Bouillon  und  trocken) 
getötet  und  untersucht.  Es  gelang,  wenn  auch  selten,  Tuberkel- 


Nr.  S 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


81 


hazilliMi  in  der  Schleiiniianl  des  Daniies  luieliziiweisen.  (Heiclies  ge¬ 
lang  auch  in  Ausstrichpräparaten  einer  Pylorusdriise  und  divier 
Netzdrüsen  5  Tage  nacli  der  Fütterung.  Ulfen  hei  in  er  schließt; 
,,B  e  i  V  e  r  f  ü  t  te  r  u  n  g  sehr  groß  e  r  Mengen  v  o  n  T  u  h  e  r  k  e  1- 
h a  z  i  1 1  e n  finden  sich  einzelne  Ex e  in p  1  ar e  sch  o  n  n  a  c  h 
w  e  11  i  g  e  n  T  a  g  e  n  i  n  D  r  ü  s  c  h  e  ii  d  e  s  N  e  t  z  e  s  u  n  d  des  Loher- 
h  i  1  u  s.  Bei  Aufnahme  kleinerer  T  u  b  e  r  k  e  1  b  a  z  i  1 1  e  n- 
mengen  in  den  Darm  mißlingt  aber  in  dieser  Zeit 
der  anatomische  Nachweis  der  T u h e r k e  1  b a z i  1 1  e  n  in 
den  Drüsen.  Der  Durchgang  der  T  u  h  e  r  k  e  1  h  a  z  i  1 1  e  n 
(Iure  h  d  e  n  ÄI  a  g  e  n  d  a  r  m  k  a  n  a  1  geht  w  a  li  r  s  c  h  e  i  n  1  i  c  h  s  o  h  r 
rasch  nach  der  Fütterung  vor  sich“  (welche  Beohach- 
tungen  sich  mit  denen  des  Referenten  im  Fütterungsversuche 
am  Kaninchen  decken  und  dieselben  bestätigen.  Den  Durchtritt 
der  Bazillen  durch  das  Epithel  zu  verfolgen,  war  dem  Referenten 
hei  zu  wenig  ausgedehnter  Untersuchung  nicht  geglückt.  Hier 
decken  sich  die  Beobachtungen  Uf f enheimers  mit  jenen  von 
Dohroklonsky  und  Hilgermann.). 

Ein  eigenes  Kapitel  widmet  der  Autor  der  ,,K  notch  en- 
lunge“.  ,,Es  sind  Befunde,  welche  ich  an  denjenigen 
Meerschweinchen  machte,  die  m  i  t  B  lut  u  n  d  D  r  ü  sen 
vor  kurzer  Zeit  mit  T  u  b  e  r  k  e  1  h  a  z  i  1 1  e  n  gefütterter' 
Neugeborener  geimpft  wurden.“  Es  konnten  nämlich  in 
den  Lungen  solcher  Tiere  ,, außerordentlich  große  Lymphknöt¬ 
chen“  gesehen  werden,  die  auch  öfters  eosinophyle  Zellen  ent¬ 
hielten,  welche  auch  eine  rege  Vermehrung  erkennen  ließen. 
Uffenheimer  führt  deren  Anwesenheit  auf  die  mit  den  Drüsen 
und  dem  Blute  der  Fütterimgstiere  mit  einverleibten  Bazillen 
zurück,  durch  welche  die  schon  normalerweise  vorhandenen 
Lymphknötchen  zu  reger  Tätigkeit  veranlaßt  werden.  Dabei  nimmt 
der  Autor  an,  daß  diese  Bildungen  im  Tierkörper  mit  Imniunisie- 
rungsvorgängen  im  Zusammenhänge  stehen.  Bindende  Schlüsse 
will  Uffenheimer  hier  dermalen  nicht  ziehen.  (Ref.  kann 
diese  Beobachtung  hestätigen.  Allerdings  schienen  alle  lympha¬ 
tischen  Gewebe,  nach  seiner  Ansicht,  hiebei  mitbeteiligt  zu  sein. 
Bei  Uffenheimer  finden  wir  einen  kurzen  Hinweis  auf  ge¬ 
legentlich  auch  sichtbare  Milzfollikel  und  möge  auf  Befunde  des 
Referenten  an  Impftieren  mit  Milzfollikeln  und  geschwollenen 
Drüsen  hingewiesen  werden.)  j 

Bei  seinen  weiteren  Untersuchungen  kommt  Uffenheimer 
nun  zu  folgenden  Schlüslsen :  ,,1.  Der  spezifische  Anti¬ 
körper  des  hämolytischen  Serums  wurde  nie  r  e  s  o  r- 
h  i  e  r  t.  2.  K  a  s  e  i  n  w  u  r  d  e  nie  resorbiert.  Hühnerei  w  e  i  ß 
w  u  r  d  e  nur  a  u  s  n  a  h  m  s  w  e  i  s  e  hei  drei  s  c  h  w  ä  c  h  1  i  (;  h  e  n 
.Tu Ilgen  eines  Wurfes,  sonst  nie  resorbiert.  4.  Diph¬ 
therie-  und  T  e  t  a  n  u  s  a  n  t  i  t  o  X  i  n  wurden  (mit  einer  ein¬ 
zigen  Ausnahme)  stets  resorbiert.“ 

Es  zeigte  ferner  von  acht  mit  Tetanus  toxin  gefütterlen 
jungen  Meerschweinchen  eines  einen  sicheren  Uehertritt  des 
Toxins  in  das  Blut. 

Bei  Prüfung  des  Verhaltens  der  Schleimschichte  des  Inte¬ 
stinaltraktes  der  Fütterungstiere  zeigte  sich,  daß  „eine  voll¬ 
kommen  lückenlose  S  c  h  1  e  i  m  s  c  h  i  c  li  t  die  E  p  i  t  h  e  1  i  e  n 
des  Magens  nach  seinem  Lumen  hin  a  h  s  c  h  1  i  e  ß  t.  Aller¬ 
dings  zeigte  sich  die  Dicke  dieser  S c h i c li  t e  an  ver¬ 
schiedenen  Stellen  ver, schieden  s  tark,  aber  ohne,  daß 
auffallend  große  U  n  t  e  r  s  c  h  i  e  d  e  v  o  r  li  a  n  d  e  n  w  a  r  e  n.“  Es 
handelte  sich  um  Tiere  im  Alter  von  24  Stunden  bis  zu  drei  Tagen. 

* 

Die  intestinale  Tuberkuloseinfektion  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Kindesalters. 

Von  Livlus  Fürst. 

Stuttgart  1905,  Enke. 

Die  außerordentlich  umfangreichen  Ausführungen  des 
Autors,  welche  so  ziemlich  auf  alle  hier  in  Betracht  kommenden 
Fragen  Rücksicht  nehmen,  lassen  sich  wohl  in  Kürze  nicht  refe¬ 
rieren.  Wertvoll  für  den  in  dieser  Richtung  Arbeitenden  ist  die 
Veröffentlichung  durch  die  außerordentlich  reichlich  gesammelte 
einschlägige  Literatur.  Wie  sehr  dieselbe  gemäß  dem  großen 
Interesse  für  diese  Fragen  ini  Anwachsen  begriffen  ist,  zeigen 
die  vielen  Nachträge  nach  Abschluß  des  Buches. 


Unter  anderem  widmet  Fürst  der  Frage  der  ,, Disposi¬ 
tion“  gleichfalls  ein  Kapitel.  Er  meint  hieliei:  „Man  mag  nun 
Anhänger  oder  Gegner  einer  , Disposition'  sein,  sie  verdient  auf 
jeden  Fall  ausführlicher  berücksichtigt  zu  werden.  Durch  ein¬ 
faches  Negieren  bringt  man  eine  so  wichtige  Frage  der  Lösung 
nicht  näher,  ebensowenig  aber  durch  ein  apodiktisches  , Kredo'. 
Dabei  stehen  Anschauungen  von  v.  B  a  u  m  g  a  r  t  e  n,  Cohn  h  e  i  m, 
Geller,  v.  Behring  u.  a.  dem  Standpunkte  von  Orth  gegen¬ 
über.  Orth  erkennt  eine  gewisse  Disposition  im  Zusammenhänge 
mit  der  Konstitution  an,  (welche  Anschauungen  auch  Ref.  zu 
teilen,  nach  seinen  Beohachtungen  für  richtig  findet).  Auch 
Gottstein,  H neppe,  Martins  und  Schlüter  sehen  in  den 
pathogenen  Mikroorganismen  nicht  das  auslösende  Moment  der 
Infektionskrankheit.  ,,Das  ,Auszulüsende'  ist  die  körperliche  An¬ 
lage.  Nicht  alle  Bazillen,  wie  die  bakteriologische  Aetiologie  an¬ 
nimmt,  sind  für  alle  Menschen  gleich  infektiös;  das  Determinie¬ 
rende  läge  im  Wirt,  wenigstens  zum  großen  Teile;  also  in  der 
individuellen  Disposition.  Diese  ist  nach  den  Genannten  das 
variable  Verhältnis  der  pathogenen  Wirkung  eines  Mikro¬ 
organismus  zur  Konstitutionskraft  dos  Menschen.“ 

Ein  weiteres  Kapitel  ist  der  Frage  der  Latenz  gewidmet. 
,,Von  der  Konstatierung  einer  bedingten  Disposition,  die  wir  so¬ 
eben  erörtert  haben,  ist  die  Annahme  einer  Latenz  nicht  gut 
zu  trennen.“  Im  Nachtrage  weist  Fürst  auf  Befunde  des  Re¬ 
ferenten  längerer  Latenz  von  Tuberkelhazillen  in  nicht  spezifisch 
tuberkulös  veränderten  Lyinphdrüsen  hin.  Entscheidende  Urteile 
müßten  freilich  erst  nach  weiteren  Ergebnissen  abgewartet  werden. 
Seine  Ausführungen  faßt  der  Autor  in  23  Schlußsätzen  zusammen. 
Erwähnt  mögen  aus  denselben  werden : 

„7.  An  einer  auf  verminderter  örtlicher  oder  konstitutio¬ 
neller  Widerstandskraft  beruhenden  Disposition,  bzw.  Ausbreitung 
ist  nicht  zu  zweifeln. 

9.  Es  besteht  die  Möglichkeit  einer  jahrelangen  Latenz  viru¬ 
lenter  Tuberkelbazillen  oder  Perlsuchthazillen  im  menschlichen 
Körper.“  (Typus  humanus  und  Typus  bovinus.) 

14.  Rinder,  welche  ohne  klinisch  nachweisbare  Tuberkulose 
reagieren,  sind  infektionsverdächtig,  da  ihre  Milch  virulente  Perl¬ 
suchthazillen  enthalten  kann. 

15.  Die  Persuchtbazillen  können  das  Epithel  und  die  Schleim¬ 
haut  des  Darmes  passieren,  ohne  daselbst  nachweisliche  Läsionen 
zu  hinterlassen  und  sich  erst  in  den  Darmfollikeln  deponieren. 

20.  Die  kutane  Kontaktinfektion  des  Menschen  ist  ein  An¬ 
halt  dafür,  daß  eine  ahsolute  Artverschiedenheit  nicht  be¬ 
stehen  kann. 

22.  Zur  Verhütung  der  Rindertuberkulose  ist  die  Immuui- 
sierung  der  Rinder,  die  Purifikation  des  Viehbestandes,  die  Pro¬ 
duktion  keimfreier  Milch  und  das  Entkeimen  derselben,  neben 
dem  Fernhalten  der  irihalatorischen  und  Kontaktinfektion  von 
Mensch  zu  Mensch,  von  großer  Bedeutung.“  J.  Bartel. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitschriften. 

14.  Ueher  den  bisherigen  Verlauf  der  deutschen 
Expedition  zur  Erforschung  der  Schlafkrankheit  in 
Ostafrika.  Von  Geh. -Rat  Prof.  Dr.  R.  Koch.  Vier  amtliche 
Berichte  Kochs  an  den  Staatssekretär  des  Innern  gelangen  in 
einer  Sonderheilage  zu  Nummer  51  der  ,, Deutschen  med.  Wochen¬ 
schrift  190Ö“  zum  Abdruck.  Wir  geben  im  nachfolgenden  einen 
kurzen  Auszug  der  wissenschaftlichen  Ergebnisse.  Die  Schlaf¬ 
krankheit  wird,  wie  frühere  Untersuchungen  ergehen  haben,  durch 
das  Tryjianosoma  gamlnense  bedingt,  welches  durch  Fliegen  von 
Tieren  auf  die  Menschen  überlxasxen  wird.  Diese  Fliegen,  Glos- 
sinen,  leben  ausschließilich  von  Blut  und  müssen  jeden  zweiten 
bis  dritten  Tag  Gelegenheit  haben,  frisches  Blut  zu  saugen,  sonst 
gehen  sie  zugrunde.  Unter  den  Glossinen  war  es  besonders  die 
Glossina  palpalis,  welche  sich  als  mit  dem  Trypanosoma  infiziert 
erwiesen  hatte.  Es  gibt  aber  noch  andere  Arten  von  Glossinen, 
von  welchen  ebenfalls  behauptet  wurde,  daß  sie  Träger  der  In- 
feklion  sein  können.  Man  fing  nun  solche  Glossinen  und  züclitele 
sie;  die  jungen,  eben  aus  den  Puppen  kommenden  Glossinen 
wurden  nun  an  Ratten  gefüttert,  die  in  ibrem  Blute  Trypanosoma 
gambiense  enthielten.  Es  zeigte  sich,  daß  auch  andere  Glos¬ 
sinen,  so  die  Glossina  fusca  und  die  Glossina  tachinoides,  die 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


InleklioiistriifK'r  der  Sclilul'kiaitklieii  sein  können.  Das  ist  für 
die  Aetiülugie  der  Krankheit  von  großer  Wichtigkeit.  Den  In- 
h'klionsstoff,  welchen  die  Glossinen  auf  die  Mensclien  ühertrageji, 
holen  si(;  sicli  aus  dem  Hlute  des  großen  infizierten  Wildes 
(Antilope  und  Büffel),  welches  selbst  nicht  krank  ist.  Aber  auch 
einzelne  Haustiere  (Schafe  und  Ziegen),  zahlreiche  Wasservögel, 
Fische,  welche  an  der  Oberfläche  schwimmen,  sodann  Fluß])ferde 
und  Krokodile  liefern  den  Glossinen  das  Blut,  dessen  sie  zum 
Lehen  bedürfen.  Auch  Wildschweine  und  wahrscheinlich  amdi 
andere  Lebewesen  dienen  dem  Trypanosoma  gambiense  als  Wirt. 
Trotz  des  dichten  Panzerkleides  ist  das  Krokodil  für  den  Stachel 
der  Glossinen  zugänglich;  im  IMagen  mehrerer  Glossinen  konnte 
frisch  gesogenes  Krokodilblut  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden. 
Im  deutschen  Muansagehiet  herrscht  die  Schlafkrankheit  nicht, 
gleichwohl  zeigten  sich  unter  228  gefangenen  und  sorgfältig  unter¬ 
suchten  Exemplaren  der  Glossina  palpalis  39  (d.  i.  17'’/o)  mit 
Trypanosomen  infiziert.  Diese  Tiypanosomen  wiesen  erhebliche 
Verschiedenheiten  in  Größe,  Gestalt,  Form  der  Geißel,  Lage  und 
Gestalt  der  Blepharoblasten  von  dem  Trypanosoma  gambiense  auf, 
erst  weitere  Untersuchungen  sollen  ihr  Verhältnis  zum  eigentlichen 
Erreger  der  Schlafkrankheit  feststellen.  In  dem  Blute  von  vier 
Krokodilen  fand  Koch  auch  eine  Art  von  Hämogregarinen,  die 
eine  entfernte  Aehnlichkeit  mit  den  Trypanosomen  besitzen.  Ob 
diese  Blntparasiten  etwa  zum  Entwicklungskreis  der  Trypanosomen 
gehören,  was  nicht  unmöglich  ist,  sollen  ebenfalls  weitere  Unter¬ 
suchungen  lehren.  Die  Glossinen  halten  sich  nur  unmittelbar 
am  Seeufer  auf;  da,  wo  der  im  Wasser  wachsende  Ambatschhusch 
das  Ufer  umsäuml,  fand  man  recht  oft  zahlreiche  Glossinen. 
Sobald  dieser  Busch  heruntergehauen  oder  abgebrannt  war,  ver¬ 
schwanden  auch  die  Glossinen;  durch  Beseitigung  des  Busch¬ 
waldes  könnten  also  die  Inseln  schon  fliegenfrei  gemacht  werden. 
Das  deutsche  Gebiet  war  keineswegs,  wie  nach  den  eingelangten 
Berichten  zu  erwarten  stand,  von  endemischer  Schlafkrankheit 
befallen ;  die  wenigen  verstreuten  Fälle,  welche  hier  bisher  be¬ 
obachtet  wurden,  stammen  ausnahmslos  aus  englischem  Gebiete. 
Zu  weiteren  Studien  begab  sich  daher  die  ganze  deutsche  Ex¬ 
pedition  nach  Sese  bei  Entebbe  (Britisch-Ostafrika),  woselbst  ein 
.Missionshaus  und  zahlreiche  Hütten  zur  Unterkunft  und  zur  Be¬ 
handlung  v<m  Kranken  dienten;  auch  ein  Lazarett  der  Weißen 
Väter  stand  für  die  klinischen  Studien  und  die  Behandlung  vor¬ 
geschrittener  Fälle  von  Schlafkrankheit  zur  Verfügung.  Als  die 
Krankheit  vor  etwa  vier  Jahren  auf  den  ca.  40  größeren  und 
kleineren  Inseln  der  Sese-G nippe  erschien,  betrug  die  Zahl  der 
Einwohner  gegen  30.000;  jetzt  ist  dieselbe  nach  der  Schätzung 
der  Missionäre  auf  12.000  gesunken  und  noch  fortwährend  werden 
zahlreiche  JMenschen,  vorwiegend  Vlänner  im  kräftigsten  Alter, 
durch  die  Krankheit  w^eggerafft.  Einzelne  Inseln,  die  früher  stark 
bevölkert  waren,  sind  jetzt  schon  menschenleer.  Eines  der  kon¬ 
stantesten  Kennzeichen  heim  Beginn  der  Krankheit  ist  die  An¬ 
schwellung  der  Lymphdrüsen  am  Halse.  In  163  Dzäisenpunklionen 
wurden  IGOmal  Trypanosomen  gefunden.  In  vergrößerten  Lymph¬ 
drüsen  auch  solcher  Menschen,  welche  sich  für  gesund  hielten 
und  noch  zur  Arbeit  gingen,  konnten  mehrfach  Trypanosomen 
nachgewiesen  werden.  Von  den  auf  deu  Sese-Inseln  lebenden 
IMenschen  waren  ca.  60  bis  70°/o  sicher  infiziert  und  da  es  auch 
Infizierte  gab,  deren  Drüsen  noch  nicht  angeschwollen  waren, 
waren  wahrscheinlich  alle  Menschen  auf  diesen  Inseln  schon 
krank.  Es  galt  nun,  diese  Menschen  womöglich  zu  retten.  Man 
begann  sofort  mit  dem  Versuche,  dies  durch  ein  Heilmittel  zu  be¬ 
werkstelligen.  Eine  Arsenverhindung,  das  Atoxyl,  welche  Ehr¬ 
lich  in  Frankfurt  der  Expedition  mitgegeben,  diente  diesem 
Zwecke.  Koch  injizierte,  langsam  ansteigend,  von  006  bis  schlielT 
lieh  0-5,  w'elch  hohe  Dosis  an  zwei  aufeinander  folgenden  Tagen 
verabreicht  wurde.  Nach  derartigen  Dosen  schwanden  die  Trypa¬ 
nosomen  aus  den  Drüsen  (Punktion  derselben)  und  waren  etwa 
zehn  Tage  lang  nicht  mehr  aufzufinden.  In  einzelnen  Fällen 
kehrten  sie  ausnahmsweise  wieder,  aber  unter  20  Kranken,  cvelche 
nach  dem  20.  Tage  untersucht  wurden,  waren  nur  in  einem  Falle 
Trypanosomen  nachzuweisen.  Eine  einmalige  Behandlung  mit 
Atoxyl  scheint  noch  nicht  vollkommen  wirksam  zu  sein,  man 
muß  die  Injektionen  (so  wie  das  Chinin  zur  völligen  Abtötung  der 
Malariaparasiten)  wiederholt  in  längeren  Zwischenräumen  ver¬ 
abreichen;  etwa  alle  15  bis  20  Tage.  Acht  Stunden  nach  der 


ersten  lujekliou,  an  beliebiger  Köhlers  teile  appliziert,  waren  die 
Trypanosomen  in  den  Lymphdrüsen  nicht  mehr  nachweisbar.  Die 
Zahl  der  so  behandelten  Kranken  wuchs  von  Tag  zu  Tag,  im 
letzten  Berichte  vom  5.  November  sagt  Koch:  ,,\Vir  behandeln 
augenblicklich  gegen  900  Kranke  und  werden,  obwohl  wir  fast 
nur  noch  Schwerkranke  annehmen,  in  ein  bis  zwei  Wochen 
ein  Tausend  zu  behandeln  haben  ....  In  zwei  bis  drei  Monaten 
werden  wir  so  weit  sein,  daß  wir  hei  der  Mehrzahl  unserer 
Kranken  die  Kur  beendigen  können  ....  Die  Besserung  unserer 
Schwerkranken,  die  ohne  das  Atoxyl  wohl  zum  größten  Teile 
schon  zugrunde  gegangen  wären,  hat  so  bedeutende  und  sichtliche 
Fortschritte  gemacht,  daß  in  bezug  auf  die  spezifische  Wir¬ 
kung  des  Mittels  kein  Zweifel  mehr  obwalten  kann.“  Freilich 
müssen  die  Behandelten  noch  monatelang  beobachtet  werden,  ob 
keine  Rückfälle  auftreten.  Dann  käme  auch  die  Prophylaxis  des 
Leidens  in  Betracht.  Auch  nach  dieser  Richtung  mliten  die  Studien 
nicht.  An  vielen  Stellen  der  Hauptinsel  und  auf  einigen  Neben¬ 
inseln  wurden  Glossinen  gefangen  und  untersucht.  Unter  1497 
untersuchten  Fliegen  befanden  sich  177,  in  deren  Verdauungs¬ 
organen  frisch  gesogenes  Menschenblut  (Gestalt  und  Größe  der 
Blutkörperchen  und  das  Vorkommen  von  Filaria  perstans,  ein 
hier  sehr  häufiger  Befund  bei  Menschen)  gefunden  wurde,  bei 
111  fand  man  Blut  von  Krokodilen.  Es  kann  keinem  Zweifel  unter¬ 
liegen,  sagt  Koch,  daß  die  Glossina  palpalis  sich  vorzugsweise 
vom  Blute  des  Krokodils  ernährt,  und  daß  letzteres  somit  eine  der 
wichtigsten  Existenzbedingungen  für  die  Glossina  palpalis,  wenig¬ 
stens  im  Bereiche  des  Victoria-Nyanza,  bildet.  Aus  dem  Blute 
zweier  Krokodile  wurden  Kulturen  von  Trypanosomen  angelegt, 
welche  jetzt  künstlich  weiter  kultiviert  werden;  ob  diese  Trypa¬ 
nosomakulturen  von  den  Hämogregarinen  oder  von  den  Trypa¬ 
nosomen  des  Krokodilblutes  abstammen,  das  müssen  weitere  Ver¬ 
suche  lehren.  Die  in  den  Verdauungsorganen  gefangener  Fliegeji 
gefundenen  Trypanosomen  zeigten  verschiedene,  schon  früher 
kennen  gelernte  Typen,  die  vermutlich  von  Parasiten  des  Krokodil¬ 
blutes  abstammen  und  mit  der  Schlafkrankheit  keine  Beziehung 
haben.  Nur  eine  einzige  Fliege  enthielt  das  Trypanosoma  gam¬ 
biense,  dessen  Nachweis  das  Vorhandensein  der  Ansteckungs¬ 
gefahr  an  bestimmten  Orten  erkennen  ließe.  E.  F. 

* 

15.  Appendizitis  oder  Ab  d  oni  i  na  1  ty  p  h  u  s  ?  Von 
F.  Lejjars.  Es  gibt  Fälle,  wo  eine  Appendizitis  vorliegt  und 
iVbdominal typhus  angenommen  wird,  ebenso  kommt  auch  das 
Umgekehrte  vor,  schließlich  gibt  es  Fälle,  wo  Abdoininaltyphus 
und  Appendizitis  gleichzeitig  bestehen,  aber  das  Vorherrschen 
bestimmter  Symptome  nur  auf  eine  von  beiden  Erkranküngen 
hinweist.  Es  sind  Fälle  bekannt,  wo  bei  bestehendem  Abdominal¬ 
typhus  von  der  irrtümlichen  Diagnose  einer  Appendizitis  au,s- 
gehend,  ein  operativer  Eingriff  vorgenommen  und  ein  unver¬ 
änderter  Wurmfortsatz  vorgefuiiden  wurde.  Trotz  der  bereits  be¬ 
stehenden  schweren  Allgemeiniiifektion  wurde  der  Eingriff  meist 
gut  vertragen  und  schien  den  weiteren  Verlauf  des  Typhus  nicht 
zu  beeinflussen.  Wenn  es  auch  seltener  geschieht,  daß  eine 
Appendizitis  als  Abdoininaltyphus  diagnostiziert  wird,  so  sind 
die  Folgen  eines  solchen  Irrtums,  wenn  daran  längere  Zeit  fest¬ 
gehalten  wird,  schwerer,  weil  der  richtige  Zeitpunkt  für  einen 
operativen  Eingriff  versäumt  wird.  Die  Differeutialdiagnose 
zwischen  Typhus  und  Appendizitis  stützt  sich  auf  die  Analyse  der 
klinischen  Symptome,  die  Serumreaktion,  die  Blut-  und  Harn¬ 
untersuchung.  Die  klinischen  Symptome  reichen  in  atypischen 
Fällen  zur  Differentialdiagnose  für  sich  allein  nicht  aus,  da  zum 
Beispiel  Diarrhoe,  Kopfschmerzen,  Prostration,  auch  bei  Appen¬ 
dizitis,  lokalisierter  Schmei-z  in  der  rechten  Fossa  iliaca,  auch 
bei  Abdoininaltyphus  vorkommt.  Albuminurie  ist  bei  Typhus 
häufiger  und  inlensiver  und  ihr  frühzeitiges  Auftreten  spricht 
zugunsten  dieser  Diagnose,  Indikanurie  und  Toxizität  des  Harns 
liefern  keine  für  die  Klinik  verwertbaren  Aufschlüsse.  Von  großer 
Bedeutung  ist  die  Blutuntersuchung,  da  der  Abdominaltypbus 
gewöhnlich  mit  Hypoleukozytose,  die  Appendizitis,  speziell  die 
zur  Eiterung  tendierende  Form  mit  Hyperleukozytose  einhergeht, 
jedoch  sind  zur  Entscheidung  wiederholte  Blutuntersuchungen 
erforderlich  und  zu  berücksichtigen,  daß  bei  septischer  Appen¬ 
dizitis  die  Hyperleukozytose  oft  fehlt  und  anderseits  entzündliche 
Komplikationen  des  Typhiis  zu  Hyperleukozytose  führen  können. 


Nr.  3  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Kino  Oiigene  Gruppe  hilclon  jene,  besonders  iin  Kindesalter  vor- 
kominenden  Fälle,  wo  Ai)pendi/i|is  und  Abdoniinallyphus  kom¬ 
biniert  aui'treien.  Gewöhnlich  setzt  hier  die  Erkrankung  unter 
dem  Bilde  der  akuten  Appendizitis  ein,  nach  eitiigen  Tagen  geben 
die  akuten  Abdominalsymptome  zui'ück  und  es  Ireteii  Diarrhoen, 
Prostration  und  Roseola  auf.  Von  besonderem  Interesse  sind 
hier  jene  Fälle,  wo  im  akuten  Sünlium  operiert  wurde  und  typhöse 
Geschwüre  im  Wurnd’ortsatz  seihst  nachgewiesen  werden  konnten, 
wo  man  aber  eigentlich  nur  von  einer  Lokalisation  der  Typhus- 
iid'ektion  im  Wurmfortsatz  sprechen  kann.  Auch  gibt  es  Fälle, 
wo  im  Verlaufe  eines  zweifellosen  Abdominaltyphus  Erschei¬ 
nungen  auftreten,  welche  als  typhöse  Darniperforation  gedeutet 
werden,  während  tatsächlich  Appendizitis  vorliegt,  welche  nicht 
unbedingt  perforiert  sein  muß.  Jedenfalls  erfonlern  diese  Fälle 
rasches  operatives  Eingreifen.  In  zweifelhaften  Fällen,  wo  im 
Initialstadium  die  Entscheidung,  ob  Appendizitis  oder  Ahdominal- 
lyphus  vorliegt,  getroffen  werden  soll,  erfordert  das  Auftreten  aku¬ 
ter,  bedrohlicher  Erscheinungen  jedenfalls  die  Vornahme  des  opera¬ 
tiven  Eingriffes.  —  (Sem.  med.  1906,  Nr.  44.)  a.  e. 

* 

16.  Witterungseinf  lüsse  hei  sieben  Epilepti¬ 
schen.  Von  Oberarzt  Dr.  Georg  Lomer  in  Neustadt  (Holstein). 
Die  Beziehungen  zwischen  dem  Auftreten  von  Krampfanfällen  bei 
Epileptikern  und  den  meteorologischen  Faktoren,  bedürfen  noch 
einer  endgültigen  Klärung.  Lomer  versuchte  diese  Beziehungen 
bei  sieben  epileptischen  Frauen,  durchwegs  chronische  Fälle,  fest¬ 
zustellen  und  berücksichtigt  hiebei  Luftdruck,  Bewölkutig,  Wind, 
Temperatur,  Niederschläge,  Gewitter,  ferner  auch  kosmische  Vor¬ 
gänge,  wie  Sonnenauf-  und  -untergärig,  sowie  Stellung  des  Mondes. 
Von  allen  diesen  Faktoren  scheinen  lediglich  die  Luftdruck¬ 
schwankungen  das  Auftreten  der  Anfälle  in  dem  Sinne  zu  heein- 
flussen,  daß  mit  dem  Steigen  oder  Fallen  des  Luftdruckes  die 
Zahl  der  Anfälle  zunimint  und  die  größten  Luftdruckschwankungen 
mit  der  Hauptziffer  der  Anfälle  zusammenfallen.  Es  kommt  auf 
diese  Weise  eine  mangelhafte  Anpassungsfähigkeit  an  die  Schwan¬ 
kungen  des  Luftdruckes  bei  Epileptischen  zum  Ausdruck.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  41,  H.  .6.) 

S. 

* 

17.  Ueber  den  therapeutischen  Wert  vollstän¬ 
diger  S  t  i  m  m  ruhe  bei  der  A  n  s  t  a  1 1  s  b  e  h  a  n  d  l  u  n  g  der 
Kehlkopft  uberkulose.  Von  Felix  Semon  in  London. 
Schon  1887  erkannte  Moritz  Schmidt,  als  er  die  Tracheotomie 
in  Fällen  von  Kehlkopftuberkulose  empfahl,  daß  das  wirksamste 
Element  dieser  Methode  die  ,, Ruhigstellung  des  Kehlkopfes“  sei. 
Nach  der  Tracheotomie  erlischt  oft  der  Prozeß  ohne  weitere 
Behandlung.  Vollständiges  und  durch  längere  Zeit  fortgesetztes 
Schweigen  ist  —  wie  Verf.  ausführt  —  nur  hei  einer  Anstalts¬ 
behandlung  möglich  und  auch  da  nur,  wenn  der  Leiter  der  An¬ 
stalt  den  Kranken  in  seinem  schweren  Vorhaben  unterstützt  (ge¬ 
eignete  Tageseinteilung,  Verordiuen  einsamer  Spaziergänge,  Sitzen 
zwischen  zwei  verständigen  Patienten  bei  den  Mahlzeiten,  Be¬ 
lehrung  der  anderen  Kranken).  Dabei  ist  diese  ungemein  lästige, 
den  Kranken  stark  deprimierende  Methode  weder  ausnahmslos 
sicher,  noch  in  allen  Fällen  von  Kehlkopftuberkulose  angezeigt, 
noch  macht  sie  immer  die  gleichzeitige  Lokalbehandlung  über¬ 
flüssig;  sie  ist  vielmehr  ein  wertvolles  Hilfsmittel,  das,  in  schwe¬ 
reren  Fällen  mit  geeigneter  Lokalbehandlung  komhiniert,  letztere 
trefflich  unterstützt.  Speziell  indiziert  ist  diese  Schweigmethodo 
in  Fällen  entzündlicher  Reizung  des  Kehlkopfes,  bei  der  Lungen- 
I  uberkulose,  besonders  bei  hartnäckigen  Katarrhen  des  Kehlkopfes, 
Kongestion  der  Stimmbänder,  Relaxation  der  Taschenbänder  und 
—  in  weiter  vorgeschrittenen  Fällen  —  bei  uinschriebener  Ulzera¬ 
lion  der  Stimmbänder,  Geschwüren  in  der  Interarytänoidfalte,  all¬ 
gemeiner  Infiltration  und  Bewegungsstörungen desKiiko-Arytänoid- 
gelenkes.  Da,  wo  der  ganze  Kehlkopf  tiefgehender  Ulzeration  und 
teilweiser  Perichondritis  anheimgefallen  ist,  ist  von  der  Methode 
niclits  zu  erwarten,  wie  sie  auch  manchmal  ganz  versagt  in  Fällen, 
in  welchen  man  nach  früheren  Erfahrungen  zu  Hoffnungen  be- 
reclitigt  sein  konnte.  Unter  ihrer  Befolgung  sah  Semon  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Fällen,  in  welchen  sie  entweder  allein  oder 
mit  geeigneter  Lokalbehandlung  kombiniert  angewandt  wurde,  Re¬ 
sultate,  wie  sie  ihm  kaum  je  zu  Gesicht  gekommen  waren.  „Hart¬ 


näckige  enizündliche  Reizungen,  die  jeder  Lokalheliandlung  g(‘- 
Irotzt  hatten,  verschwanden,  Infiltralionen  nicht  zu  hohen  Grades 
gingen  zurüc.k,  isolierte  Geschwüre  an  den  Slimm-  und  Taschen- 
händern  und  in  der  Interarytänoidfalte  verheilten  dauernd 
und  selbst  Bewegungsstörungen  im  Kriko-Arytänoidgelerdc  hesser- 
(en  sich  oder  gingen  in  ganz  besonders  günstigen  Fällen  gänzlich 
zurück.“  Man  lasse  sich  nicht  durch  anscheinenden  Mangcd  an 
Erfolg  im  Anfang  der  Behandlung  oder  durch  gelegen  (liehe  kleine 
Rückfälle  entmutigen.  Zu  dem  Erfolge  tragen  alle  jene  günslig(m 
Faktoren  bei,  welche  eine  Anstaltshehandlung  den  Kranken  ülx'r- 
haupt  in  hygienisch-diätetischer  Hinsicht  bietet.  (Berliner 

klinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  47.)  E.  F. 

* 

18.  Opsonine  und  bakterielle  Vakzine.  Von 

G.  W.  Roß,  Toronto.  Das  Rlutserum  enthält  bekanntlich  Stoffe, 
welche  imstande  sind,  Bakterien  verschiedener  Art  in  der  Weise 
zu  beeinflussen,'  daß  sie  der  Phagozytose  zugänglich  werden. 
Man  bezeichnet  diese  Stoffe  als  Opsonine.  Wenn  man  die  o])sn- 
nische  Kraft  des  normalen  Blutserums  gegenüber  einem  beistimm¬ 
ten  Bakterium  als  Einheit  nimmt,  so  wird  das  Verhältnis  der 
opsonischen  Kraft  irgendeines  pathologischen  Blutes  zu  der  als 
Einheit  betrachteten  des  normalen  als  ,, opsonischer  Index“'  l)e- 
zeichnet.  Ist  z.  B.  die  opsonische  Kraft  irgendeines  Blutes  gegen¬ 
über  dem  Tuberkelbazillus  halb  so  groß,  wie  die.  des  normalen, 
so  heißt  es :  „Dieses  Blut  hat  den  opsonischen  Index  0-5.“  Liegt 
nun  klinisch  eine  Erkrankung  vor,  so  ist  zunächst  der  Erreger 
derselben  zu  isolieren.  Hierauf  wird  der  opsonische  Index  des 
Blutes  gegenüber  diesem  Erreger  bestimmt.  Dann  wird  aus  diesem 
Erreger  ein  Vakzin  bereitet  und  dasselbe  dem  Patienten  in  ent¬ 
sprechenden  Zeitintervallen  und  bestimmter  Dosierung  inokuliert. 
Die  leitenden  Gesichtspunkte  dieser  Behandlungsweise,  welche 
im  wesentlichen  von  Almroth  Wright  und  Douglas'  ausge¬ 
arbeitet  worden  sind,  bestehen  in  folgendem:  Nach  der  ersten 
Inokulation  sinkt  zunächst  der  opsonische  Index;  dies  ist  die 
negative  Phase.  Nach  einiger  Zeit  —  die  individuell  verschieden 
ist  —  steigt  er  jedoch  wieder  zur  Norm  und  übersteigt  dann 
dieselbe;  dies  ist  die  positive  Phase,  die  einige  Zeit  dauert. 
Bald  zeigt  der  opsonische  Index  die  Tendenz,  wieder  zu  sinken. 
Dies  ist  der  Zeitpunkt,  die  Inokulation  zu  wiederholen.  Die 
Hauptregel  besteht  nun  darin,  nie  während  der  negativen  Phase, 
sondern  stets  während  der  positiven  die  Inokulation  zu  wieder¬ 
holen.  Nach  diesen  Gesichtspunkten  hat  nun  Verf.  eine  ganze 
Reihe  von  Krankheitsfällen  behandelt,  die  bakterieller  Infektion 
ihren  Ursprung  verdankten  und  deren  Erreger  zu  isolieren  mög¬ 
lich  war.  Besonderes  Gewicht  wurde  auf  tuberkulöse  Infektionen 
aller  x\rt  gelegt.  Es  handelte  sich  um  Fälle  von  Lupus,  voii  tuber¬ 
kulöser  Iritis,  von  tuberkulöser  Zystitis  und  Drüsentuberkulo,se, 
die  sämtlich  mit  Erfolg  behandelt  wurden.  Bei  der  Lungentuber¬ 
kulose,  die  eine  Sonderstellung  einnimmt,  müssen  vom  opsoni¬ 
schen  Standpunkt  zwei  Formen  unterschieden  werden:  1.  Fälle 
von  Initialphthise,  bei  denen  der  Prozeß  lokalisiert  ist;  bei  diesen 
ist  der  opsonische  Index  gering.  2.  Fälle  von  mehr  oder  weniger 
fortgeschrittener  Tuberkulose,  bei  denen  der  opsonische  Index 
von  Tag  zu  Tag  schwankt.  Von  dieser  letzteren  Art  hat  Verfasser 
sieben  Fälle  mit  Tuberkulin  behandelt.  Die  Fälle  zeigten  zwar 
sämtlich  eine  ausgesprochene  Besserung,  doch  glaubt  Verfasser 
nichf,  daß  dieselbe  dem  Tuberkulin  zu  verdanken  ist  und  glaubt 
überhaupt  nicht,  daß  auch  nur  einigermaßen  vorgeschrittene 
Limgentuberkulose  der  Tuberkulinbehandlung  zugänglich  sei.  Be¬ 
züglich  der  Initialphthise  ist  Verfasser  ganz  entgegengesetzter 
Meinung.  Er  hat  sechs  Fälle  unter  Beobachtung  der  opsonischen 
Kurve  mit  Tuberkulin  behandelt.  Sämtliche  Fälle  zeigten  —  ob¬ 
gleich  sie  sich  während  der  Behandlungszeit  in  ungünstigen 
Lebensbedingungen  befanden  —  eine  deutliche  Besserung.  Ver¬ 
fasser  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  Methode  von  Wright 
und  Douglas  eine  wertvolle  Bereicherung  unseres  therapeuti¬ 
schen  Könnens  bedeute.  —  (British  medical  Journal,  24.  Novem¬ 
ber  1906.)  .1.  Sch. 

* 

19.  (Aus  der  hydrotherapeutischen  Anstalt  der  Universität 
Berlin.)  Untersuchungen  über  die  perkutane  Einver¬ 
leibung  von  Arzneistoffen  durch  Elektrolyse  und 
Kataphorese.  Von,  Doz,  F,  Frankenhäuser.  Die  experi- 


8i 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


niontelleri  UiilersiicTiungeu  des  Verfassers  ergeben  ein  vollkoniinen 
eindeutiges  Resultat:  Niemals  findet  an  der  menschlichen  Haut 
eine  merkliche  Einverleibung  von  Stoffen  durch  Kataphorese  statt, 
dagegen  erweist  sich  die  lonenwanderung  nach  dem  Farad  a  y- 
schen  Gesetz  (Iontophorese  nacli  Frankenliäuser)  ausnahms¬ 
los  und  vollkommen  wirksam.  Der  konstante  galvanische  Strom 
ohne  Stromwendung  ergab  sich  als  einzige  praktische  Kraft  zur 
perkutanen  Einverleibung  von  Medikamenten.  Alle  Versuche  zeig¬ 
ten,  daß  mit  dem  konstanten  galvanischen  Strom  aus  den  Lösun¬ 
gen,  mit  welchen  die  Elektroden  befeuchtet  waren,  gleichzeitig 
alle  Kationen  von  der  Anode  aus,  alle  Anionen  von  der  Kathode 
aus  perkutan  einverleiht  wurden,  proportional  der  Intensit.ät  und 
Dauer  des  Stromes,  gleichgültig,  in  welchem  Lösungsmittel 
(Wasser,  Alkohol,  Glyzerin  etc.)  sie  gelöst  waren,  vorausgesetzt, 
daß  eine  wirkliche  elektrolytische  Lösung  vorhanden  war.  Die 
Konzentration  der  elektrolytischen  Lösung  kommt  für  die  per¬ 
kutane  elektrische  Einverleihung  nicht  wesentlich  in  Betracht, 
dagegen  die  Reinheit  der  Lösung  und  der  Elektroden  (blankes 
Metall  oder  Ueherzug  von  chemisch  reinem,  hydrophilen  Faser¬ 
stoff),  da  sonst  die  Wirkung  anderer  unerwünschter  Elektrolyten 
auch  sich  geltend  macht.  Nichtelektrolytische  Substanzen  (Zucker, 
Gummi  etc.)  einer  Lösung  werden  mit  dem  Strome  nicht  per¬ 
kutan  einverleiht,  ebensowenig  die  Lösungsmittel  (Alkohol,  Gly¬ 
zerin)  in  irgend  bemerkenswertem  Maße.  Es'  treten  also  unter 
dem  Einfluß  des  galvanischen  Stromes,  weder  von  der  Anode, 
noch  von  der  Kathode,  die  Lösungen  in  die  Haut  ein,  sondern 
nur  die  Elektrolyte  u.  zw.  gleichzeitig  an  der  Anode  die  Kationen, 
an  der  Kathode  die  Anionen  aus  den  Lösungen  proportional  der 
Intensität  und  Dauer  des  Stromes.  Praktische  Folgerungen  aus 
den  Versuchen:  Die  Kataphorese  von  Medikamenten  muß  aus 
der  Liste  der  elektrotherapeutisch  wirksamen  Verfahren  gestrichen 
werden.  Die  Technik  der  perkutanen  Einverleibung  von  Medi¬ 
kamenten  mit  Hilfe  des  elektrischen  Stromes  kann  und  muß  sich 
einzig  und  allein  auf  dem  Gesetz  der  Iontophorese  aufbauen. 
Die  Technik  der  Iontophorese  ist  einfach  und  sparsam.  Ein  typi¬ 
sches  Beispiel  hiefür  ist  die  Behandlung  des  Kniegelenkes :  Man 
umwickelt  das  Gelenk  mit  mehrfacher  Lage  reiner,  hydrophiler 
Watte;  diese  wird  mit  einer  Lösung  derjenigen  Flüssigkeit  ge¬ 
tränkt,  welche  man  anwenden  will  (Salizyl,  Jodkali)  und  vor  dem 
I'mlegen  ausgedrückt,  so  daß  sie  nicht  mehr  tropft.  Nun  legt  man 
über  diese  Watte  ringsum  einen  Stanniolstreifen,  so  breit,  daß 
er  auf  keinen  Fall  über  die  Watte  übergreifen  kann.  Man  wickelt 
dann  den  ganzen  Verband  mit  einer  Gummibinde  zu  und  wickelt 
dabei  eine  kleine  Elektrode  mit  ein,  die  im  Kontakt  mit  dem 
Stanniolstreifen  und  der  Leitungsschnur  befestigt  ist.  Die  Dosie¬ 
rung  geschieht  mit  Galvanometer  und  Uhr;  also  sind  scharfe 
Kontrolle  und  Regulierung  des  Vorganges  möglich,  da  die  ein- 
verleihten  Klengen  des  angewendeten  Medikamentes  mathema¬ 
tisch  genau  proportional  sind  der  Intensität  des  Stromes  und 
seiner  Dauer.  Die  örtliche  Wirkung  ist  aber  noch  abhängig  von 
der  Fläche,  auf  welche  sich  die  eingedrungenen  fremden  Ionen 
in  der  Haut  verteilen,  i.  e.  abhängig  vom  Querschnitt  der  Ein- 
Iritlstelle  des  Stromes.  Daher  ist  die  örtliche  Wirkung  der  lonto- 
])horese  auf  der  Haut  proportional  der  Dichte  und  Dauer  des 
Stromes.  Die  Berechnung  der  absoluten  Mengen  des  Medika¬ 
mentes,  welche  durch  die  Iontophorese  einverleibt  wird,  ist  so 
ohne  weiteres  nicht  durchaus  für  alle  Ionen  möglich.  Wichtiger 
ist  indes  für  die  Praxis  die  direkte  Beobachtung  des  Erfolges 
der  Iontophorese  und  dieser  hängt  von  dem  chemischen  Charakter 
der  medikamentösen  Lösung  ab.  So  hat  der  Tierversuch  gezeigt, 
daß  stark  toxische  Ionen  (Strychninion  von  der  Anode  aus)  den 
sofortigen  Tod  des  Tieres  herheizuführen  vermag.  Daher  ist 
dringend  zu  warnen  vor  der  Iontophorese  sehr  stark  toxischer 
Substanzen.  Die  betreffenden  Versuche  sind  der  beste  und 
sicherste  Beweis  der  tatsächlichen  Wirksamkeit  der  Iontophorese. 
Die  Wirkungen  der  Elekiropunktur  gehören  vollkommen  in  das 
Gebiet  der  lorttophorese.  Hydroelektrische  Bäder  sind  unökono¬ 
misch  und  unzweckmäßig  zur  Einverleibung  von  Medikamenten, 
da  ihre  Grundlage,  die  Kataphorese,  nicht  zu  Recht  besteht.  — ■ 
(Zeitschi'ift  für  experimentelle  Palhologie  und  Therapie,  Bd.  3, 
H.  2.)  K.  S. 

* 


20.  (Aus  dem  palhologischen  Institut  der  Universität  Frei¬ 

burg  i.  B.)  Leben- up tur  mit  tödlicher  Blutung  infolge 
Berstens  eines  oberflächlichen  Aneurysmas.  Von 
Oberarzt  Dr.  W^  ätz  old,  kommandiert  zum  Institut.  Es  handelt 
sich  um  einen  44jährigen  Mann,  der  Lues  durchgemacht,  stark 
getrunken  hat  und  in  letzter  Zeit  über  Schmerzen  in  der  Leber¬ 
gegend  zu  klagen  hatte.  Dazu  starkes  Herzklopfen,  Schwellung 
des  Leibes  und  der  Beine;  vor  einigen  Monaten  ein  Anfall  von 
Bewußtlosigkeit.  Appetitlosigkeit.  Die  Untersuchung  heii  der  Auf¬ 
nahme  ergab :  Pat.  abgemagert.,  mit  gelblicher  Gesichtsfarbe,  all¬ 
gemein  hydropischen  Erscheinungen,  deutlicher  Arteriosklerose. 
Herz  vergrößert,  Herztätigkeit  unregelmäßig.  Abdomen  aufge¬ 
trieben,  Leber  anscheinend  verkleinert ;  Aszites  nicht  deutlich. 
Milz  vergrößert.  Im  Urin  Albumen.  W’ährend  der  Htägigen 
Krankenhausbebandlung  klagte  Pat.  viel  über  Schmerzen  in  der 
Lehergegend.  Am  15.  Behandlungstag  trat  plötzlich  ohne  irgend¬ 
eine  äußere,  nachweisbare  Ursache  Kollaps  und  große  motorische 
Unruhe  ein ;  nach  IV2  Stunden  Exitus  letalis.  Die  am  selben  Tage 
vorgenonnnene  Sektion  ergab  als  Diagnose :  Leberruptur  mit  töd¬ 
licher  Blutung  in  das  Abdomen.  Leberzirrhose.  Hypertrophie 
und  Dilatation  beider  Ventrikel.  Frische  Endokarditis.  Hochgradige 
Sklerose  der  Aorta,  Koronar-  und  aller  übrigen  Körperarterien. 
Milztumor.  Nephritis  parenchyma tosa.  Aus  dem  Sektionsproto¬ 
koll  wäre  noch  zu  erwähnen,  daß  bei  Eröffnung  des  Abdomens 
zirka  zwei  Liter  flüssigen  Blutes  abflossen.  Außerdeni  fanden 
sich  zwischen  den  Darmschlingen  in  der  oberen  Hälfte  des  Ab¬ 
domens  und  die  ganze  Leber  bedeckend  reichliche  Kruormassen, 
zirka  zwei  Liter.  An  der  Zwerchfellfläche  des  rechten  Leber¬ 
lappens  ist  die  Glissonsche  Kapsel  durch  Kruormassen  abge¬ 
hoben,  zerrissen;  darunter  zeigt  die  Leber  einen  unregelmäßigen, 
ca.  IV2  cm  langen  Riß;  der  in  einen  kirscheingroßen  Hohlraum 
führt,  der  mit  Kruormassen  ausgefüllt  ist.  Die  genaue  und  aus¬ 
führliche  mikroskopische  Untersuchung  des  Leberparenchyms  er¬ 
gibt  bei  allen  Gefäßen  eine  erhebliche  Wmcherung  der  Intima, 
die  an  manchen  fast  oder  ganz  zu  Obliteration  geführt  hat,  also 
Gefäßveränderungen,  wie  sie  bei  Syphilis  beschrieben  werden. 
Da  in  diesem  Falle  Lues  nachgewiesen  ist,  nimmt  Verf.  sie 
auch  als  Ursache  dieser  Veränderungen  an.  Infolge  der  geschil¬ 
derten  Gefäß  Veränderungen  kam  es  zunächst  zur  Zerreißung  und 
zur  Bildung  eines  Aneurysmas,  das  infolge  fortschreitender  Ver¬ 
änderungen  der  Whandung  und  Umgebung  wieder  geborsten  ist 
und  schließlich  durch  den  oberflächlichen  Sitz  und  die  hoch¬ 
gradigen  Leberveränderungen  zur  Leberruptur  geführt  liat.  Ver¬ 
fasser  hebt  noch  hervor,  daß  sich  Gummata  in  der  Adventitia 
der  Aorta,  der  Gallenblasenwand  und  als  Gumma  verdächtige 
Stellen  in  der  Leber  fanden.  Der  versuchte  Nachweis  der  Spiro- 
chaete  pallida  gelang  jedoch  nicht.  In  der  Literatur  fand  Ver¬ 
fasser  nur  einen  einzigen  analogen  Fall,  über  den  Sacquepee 
in  der  anatomischen  Gesellschaft  in  Paris  berichtete.  Histolo¬ 
gisch  fand  sich  hier  geringe  Zirrhose  und  starke  Endarteriitis, 
die  auf  eine  überstandene  Lues  zurückgeführt  wurde.  Als  ätio¬ 
logisch  wichtig  für  die  Aneurysmabildung  der  Arteria  hepatica 
sieht  Grunert  die  Infektionskrankheiten  an,  die  zu  hochgradigen 
Gefäßveränderungen  und  weiter  zu  Aneurysmabildung  führen 
können.  Dieser  Fall  gewinnt  jedoch  nach  Verf.  besonders  durch 
den  Umstand  an  Interesse,  daß  man  bei  ihm  der  Syphilis  mit  ab¬ 
soluter  Sicherheit  die*  Ursache  für  die  Gefäßveränderungen  und 
die  Aneurysmabildung  zuschreiben  darf.  —  (Münchener  medizi¬ 
nische  Wochenschrift  1906,  Nr.  43.)  G. 

* 

21.  Ein  Beitrag  zum  Studium  der  Dissoziation 
der  Temperatur-  und  Schmer  zempf  in  dung  bei  Ver¬ 
letzungen  und  Erkrankungen  des  Rückenmarks.  Von 
Dr.  med.  .1.  Piltz,  Professor  der  Psychiatrie  und  Nervenheil¬ 
kunde  an  der  Universität  in  Krakau,  gew.  Primararzt  der  Nerven¬ 
abteilung  am  städlischen  Prager  Hospital  in  Warschau.  Auf  Grund 
einer  umfassenden  Arbeit,  in  welcher  eine  reiche  Literatur  ebenso 
Verwertung  fand,  wie  eigene  Beobachtungen,  kam  Piltz  zu 
Schlüssen,  von  denen  hier  der  wichtigsten  Erwähnung  getan, 
bezüglich  der  andeiun  aber  auf  die  Originalarbeit  verwiesen  sein 
soll.  Störungen  der  Temperatur-  und  Schmerzempfindung  können 
zerebralen  Ursprungs  sein  (bei  kapsulären  und  kortikalen  Hemi¬ 
plegien,  bei  Hysterie),  spinalen  Ursprunges  (Verletzungen  und  Er- 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


8ö 


krankungen  des  Rückenmarkes)  und  endlich  peripheren  Urspiamges 
(Kompression,  Verletzüng  oder  Erkrankung  der  peripheren  Nerven). 
Spinale  Thermoanalgesie  kommt  vor  bei  Syringomyelie,  hei  trau- 
malischen  Verletzungen  des  Rückenmarkes,  bei  Kompression  des¬ 
selben,  bei  Hämatomyelia  centralis,  Apoplexie  in  den  Seitenstrang, 
Tabes,  Pachymeningitis  hypertrophica,  Syphilis  spinalis,  Myelitis 
ex  compressione  und  bei  chronischer  Myelitis.  Eine  besondere 
Bahn :  hintere  Wurzel,  Hinterhorn,  vordere  Kommissur  der  grauen 
Substanz,  Vorderseitenstrang  und  seitliche  Peripherie  desselben, 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das  Gowers  sehe  Bündel,  dient 
zur  Leitung  der  Temperatur-  und  Schmerzeindrücke.  Sie  ist  von 
den  zur  Leitung  der  taktilen  Sensibilität  und  des  Muskelsinnes 
dienenden  Bahnen  anatomisch  getrennt.  Ist  eine  unilaterale 
Läsion  der  grauen  Substanz  des  Rückenmarkes  auf  das  Hinter¬ 
horn  beschränkt,  so  ergibt  sich  eine  gleichseitige  Thermoanalgesie, 
zerstört  sie  die  graue  Substanz  in  der  Nähe  des  Vorderhorncs, 
so  ist  die  Thennoanalgesie  gekreuzt.  Ist  die  Läsion  der  grauen 
Substanz  zirkumskript,  so  ist  die  Thennoanalgesie  entsprechend 
dem  lädierten  MedullarsegUient,  auf  eine  bestimmte  Hautoberfläche 
beschränkt.  Eine  Läsion  des  Seitenstranges,  mit  Einschluß  der 
seitlichen  Peripherie  desselben,  resp.  des  Gowers  sehen  Bündels, 
bedingt  immer  eine  totale,  gekreuzte  Thermoanalgesie.  Gleich¬ 
seitige  Thermoanalgesie  beginnt  in  der  Regel  unmittelbar  unter 
der  Läsionsstelle,  kontralaterale  ungefähr  vier  Wirbel  unter  der 
Läsionsstelle,  totale  gekreuzte  Thermoanalgesie  findet  ihre  obere 
Grenze  ungefähr  fünf  Wirbel  unter  der  Läsionsstelle,  dann,  wenn 
sie  durch  eine  Läsion  der  weißen  Substanz,  respektive  des  Seiten¬ 
stranges  mit  Einschluß  des  Gowersschen  Bündels  bedingt  ist, 
und  ungefähr  sechs  Wirbel  unter  der  Läsionsstelle,  wenn  sie 
durch  eine  Läsion  der  .seitlichen  Peripherie  des  Seitenstranges, 
resp.  des  Gowersschen  Bündels  bedingt  ist.  Bei  totaler  ge¬ 
kreuzter  Thermoanalgesie  findet  sich  in  der  Gegend  der  oberen 
Grenze  desselben  oft  eine  Dissoziation  der  Wärme-,  Kälte-  und  der 
Schmerzempfindung.  Die  Dissoziation  der  Wänne-  und  Kälte- 
cuipfindung  erreicht  ihr  Maximum  bei  der  Anwendung  von  50'^ 
und  0‘’.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten, 
Bd.  41,  H.  3.)  S. 

* 

22.  Ist  Natriumsulfat  ein  echtes  D  arm  an  tisep  ti¬ 

le  um?  Von  John  Mäher  ly.  Verf.  wendete  das  Natriumsulfat 
mit  Erfolg  bei  einer  Reihe  von  infektiösen  Darmaffektionen  an, 
so  bei  den  Enteritiden  der  Säuglinge,  bei  Dysenterie  und  bei 
Typhus.  Das  Mittel  ließ'  ihn  nur  in  einigen  wenigen  Fällen  im 
Stiche.  Der  Heileffekt  hängt  nicht  nur  nicht  mit  der  abführenden 
Wirkung  des  Mittels:  zusammen,  sondern  tritt  überhaupt  nur  dann 
ein,  wenn  das  Mittel  nicht  in  abführenden  Dosen  gegeben  wird, 
auf  welchen  Umstand  Verf.  mit  besonderem  Nachdruck  hinweist. 
—  (Lancet,  10.  November  1906.)  J.  Sch. 

* 

23.  Bemerkungen  über  eine  Ausschaltung  des 
Magens  vom  direkten  Einfluß  der  Arzneimittel  durch 
Anwendung  von  Sebum  ovile.  Von  Prof.  W.  Jaworski 
in  Krakau.  Mit  Keratin  überzogene  Pillen  lösen  sich  bekanntlich 
erst  im  Darme,  der  Magen  wird  von  der  Arzneiwirkung  verschont; 
sie  haben  aber  den  Nachteil,  daß  sie  zuweilen  auch  ungelöst 
den  Darm  passieren.  Verf.  benützte  darum  als  Pillenmasse  (oder 
l'eberzug)  den  Hannneltalg  —  Sebum  ovile  — ,  der  bei  der 
Temperatur  von  ,45  bis  öO**  C  schmilzt.  Versuche  an  52  Personen 
an  der  Krakauer  medizinischen  Klinik  lehrten,  daßi  diese  Tälg- 
])illen  im  Magen  unverändert  blieben.  Bei  Ausheberung  des  Magen¬ 
inhaltes  nach  einer  halben  bis  einer  Stunde  waren  die  Pillen  un¬ 
versehrt,  der  Mageninhalt  selbst,  wenn  mit  Kohlenstaub  oder 
Karmin  versetzte  Pillen  benützt  wurden,  ungefärbt.  Dagegen  lösten 
sich  die  Pillen  im  Darme  ganz  (gleichmäßige  Färbung  der  Fäzes 
mit  Kohlenstaub  oder  Karmin,  Untersuchung  der  Fäzes  mit  dem 
Stuhlsieb,  Entfaltung  der  Wirksamkeit  der  vom  Darme  resorbier¬ 
ten  Medikamente;  Jod,  Atropin,  Salizylsäure  etc).  Man  kann  also 
Arsenpräparate,  Jodnatrium,  Aluminium-  und  Quecksilberpräpa¬ 
rate,  dann  Kreosot,  Kopaivabälsam,  Eisensesquichlorat,  Argentum 
nitricum,  Tannin,  Menthol,  Thymol  etc.  in  Talgpillen  verordnen. 
Wichtig  ist,  daß  inan  auf  dem  Rezept  den  Schmelzpunkt  des  Talges 
mit  45®  C  vermerke,  da  ein  Fett  von  niedrigerem  Schmelzpunkt 
schon  im  Magen  schmelzen  würde;  daß:  in  einer  Pille  nicht  mehr 


als  0-1  Sebum  ovile  und  höchstens  ebensoviel  von  der  zu  ver¬ 
wendenden  Substanz  enthalten  sei;  wenn  die  Pillen  wenig,  zum 
Beispiel  nur  0  01  wirksame  Substanz  enthalten,  so  ersetze  man 
den  Rest  mit  einigen  Zentigrammen  Pulv.  liguir.  oder  Magnesia 
usta;  endlich  vergesse  man  nicht  auf  ein  Streupulver,  um  das 
Zusam'menkleben  der  Pillen  zu  verhindern.  Verf.  gibt  schlie߬ 
lich  einige  Rezeptformeln;  Rp.  Acidi  arsenicosi  010,  Sebi  ovilis 

р.  liquefacti  45°  C  10  00,  Pulv.  liquir.  q.  s.  f.  pil.  xNo.  centum, 
Consp.  c.  pulv.  Lycopodii  D.  S.  Oder ;  Podophyllini  0-20,  Sebi 
ovilis  p.  liquef.  45°  C  1-00,  Magnes.  ustae  9-5,  Div.  in  part.  X, 
f.  pilula.  Consp.  c.  Magn.  ust.  D.  S.  Oder:  Natrii  jodati  Sebi 
ovilis  liquef.  p.  45°  C  ana  10  0,  M.  f.  pilulae  No.  centum,  Consp. 

с.  Magn.  ust.  D.  S.  Oder:  Acidi  salicylici,  Sebi  ovilis  liquef.  p. 
45°  C  ana  10-00,  M.  f.  pilulae  No.  centum,  Consp.  c.  pulv.  Lyco¬ 
podii.  D.  S.  —  (Therapeutische  Monatshefte  1906,  H.  11.)  E.  F. 

* 

24.  Zwei  Fälle  atypischen,  syphilitischen  Schan¬ 
kers.  Von  Mesch tschersky.  Verf.  beobachtete  in  zwei  Fällen 
den  Primäraffekt  am  inneren  Blatt©  des  Präputiums  in  Form  einer 
breiten  Erosion.  Das  atypische  Verhalten  bestand  darin,  daß 

I.  die  Inkubationszeit  bis  zu  drei  Monaten  betrug  und  daß  2.  die 
Induration  nicht  gleichzeitig  mit  der  Erosion  auftrat,  sondern 
sich  erst  nach  dem  Verschwinden  dieser  bildete.  Im  übrigen 
konnte  nach  den  iVusführungen  des  Verfassers  an  der  syphiliti¬ 
schen  Natur  der  Erosionen  kein  Zweifel  bestehen.  —  (Prakti- 

tschesky  Wratsch  1906,  Nr.  32.)  J.  Sch. 

* 

25.  Ueber  einen,  durch  reine,  sterilisiert©  Milch 
her  vor  gerufene  11  Fall  von  infantilem  Skorbut.  Von 

J.  Com  by.  Unter  zehn  Fällen  von  infantilem  Skorbut,  welche 

der  Verfasser  bisher  beobachtete,  ist  nur  einer,  ein  etwa  einjähriges 
Mädchen  betreffend,  auf  die  Ernähnmg  mit  reiner,  sterilisierter 
Milch  zurückzuführen,  während  die  übrigen  Fälle  durch  Er- 
nähiämg  mit  verschiedenen  Arten  sterilisierter  und  noch  ander¬ 
weitig  modifizierter  Milch  heryorgerufen  wurden.  Wenn  man 
die  außerordentliche  Verbreitung  der  Anwendung  ehifach  steri¬ 
lisierter  Milch  berücksichtigt,  so  läßt  sich  feststellen,  daß  sie 
hinsichtlich  der  Hervornifung  von  infantilem  Skorbut  weit  hinter 
den  modifizierten  Arten  der  sterilisierten  Milch  zurücksteht.  Der 
infantile  Skorbut  tritt  erst  nach  längerem,  drei-  bis  achtmonat¬ 
lichem  Gebrauch  der  sterilisierten  Milch  auf,  ebenso  wie  der 
Skorbut  der  Erwachsenen  eine  länger  dauernde  Ernährung  mit 
Konserven  voraussetzt.  Der  infantile  Skorbut  ist  eine  Erkrankung 
des  Säuglingsalters  und  es  treten  Wucherungen  und  Ekchymosen 
des  Zahnfleisches  nur  bei  solchen  Kindern  auf,  welche  bereits 
Zähne  besitzen.  In  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  sind  Zeichen 
der  Rachitis  vorhanden.  Das  Hauptsymptom  des  infantilen  Skor¬ 
buts  ist  die  schmerzhafte  Paraplegie  besonders  der  pmteren  Extre¬ 
mitäten,  welche  manchmal  mit  Schwellungen  verbunden  ist,  die 
zur  Diagnose  von  Rheumatismus,  Syphilis,  Osteomyelitis,  etc.  An¬ 
laß  geben.  Die  Schwellungen  sind  durch  subperiostale  Hämatome 
bedingt.  Die  Diagnose  muß  möglichst  frühzeitig  gestellt  wei-den, 
weil  die  Prognose  davon  abhängig  ist  und  stützt  sich  auf  die 
schmerzhafte  Paraplegie,  eventuell  auf  den  Nachweis  subperiostaler 
Hämatome  und  charakteristischer  Zahnfleischveränderungen.  Die 
Behandlung  besteht  in  Ersetzung  der  sterilisierten  Milch  durch 
einfach  gekochte  frische  Mildi,  gleichzeitig  werden  einige  Tage 
hindurch  einige  Kaffeelöffel  Orangen-  oder  Traubensaft,  oder  ver¬ 
dünnter  Zitronensaft  verabreicht.  In  den  leichten  Fällen  wird 
die  Heilung  nach  einer  Woche,  in  den  mittelschweren  Fällen 
nach  zwei,  in  den  schweren  Fällen  nach  drei  bis  vier  Wochen 
erzielt.  —  (Bull,  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris, 
4906,  Nr.  30.)  ‘“i-  e- 

26.  Aus  der  H.  medizinischen  Klinik  zu  München  (Voistaml; 
Prof.  Friedrich  Müller).  Ueber  eosinophile  Darinerkran- 
ku  11  ge  11.  Von  Dr.  Otto  Neubauer  und  Dr.  Karl  btaubli, 
Assistenzärzten  der  Klinik.  Ueber  den  diagnostischen  Wert  der 
Eosinophilio  bei  Darnierkrankimgen  gehen  die  Meinungen  aus¬ 
einander.  Leichtenstern  sieht  sie  als  pathognomisch  für  Wur'm- 
krankheiten  an  in  dem  Siime,  daß  den  Befund  von  Charcot- 
Leyden sehen  Kristallen  in  den  Entleerungen,  resp.  die  \er- 
mehrung  der  eosinophilen  Zellen  im  Blut  ©in  sehr  häufiges,  für 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  l‘J07. 


Nr.  3 


l)estimnite  Parasiten  (Ankyloslominn,  AnguiUiila)  ein  nahezu  kon¬ 
stantes  Symptom  sei.  Andere  (Grawitz)  haben  bei  Darmpara¬ 
siten,  auch  hei  Ankylostomiasis  vergebens  nach  den  Kristallen 
gesucht.  Die  Verfasser  haben  die  Kristalle  sowohl  bei  akuten,  wie 
hei  chronischen  Darmaffektionen  hin  und  wieder  gefunden.  Sie 
teilen  zunächst  z\vei  Fälle  von  akutem  Brechdurchfall  mit.  In 
beiden  Fällen  schwer  gestörles  Allgemeinbefinden  mit  kleinem 
Puls,  eingezügener  Leih,  Diarrhöen,  Erbrechen,  Albuminurie  mit 
vielen  Zylindei’n,  usw.  ln  beiden  Fällen  im  Höhestadium  der 
Erkrankung,  neben  der  Eosinophilie  des  Danninhaltes  vollständiges 
Fehlen  der  Eosinophilen  im  Blut.  Erst  mit  dem  Abklingen  der 
Symptome  treten  diese  wieder  auf.  Ein  dritter  Fall,  der  nach 
seinem  klinischen  Verlauf  als  akute  Dysenterie  zu  bezeichnen 
ist,  bei  dem  weder  Amöben  noch  typische  Dysenteriehazillciii 
nachgewiesen  Averden  konnten,  zeigt,  daß  die  Darmeosinophilio 
nicht  nur  hei  der  Amöhendysenterie  vorkommt,  sondern  auch  bei 
anderen  dysenterischen  Zuständen  Unklaren  Ursprungs,  ln  einem 
vierten  Falle  handelt  es  sich  um  einen  eosinophilen  Katarrh  des 
Dünn-  und  Dickdarms,  Atonie  und  Enveiterung  des  Magens,  Hypo¬ 
chondrie.  Der  entleerte  Schleim  war  in  diesem  Falle  besonders 
reich  an  Kristallen,  sowie  an  eosinophilen  Zellen,  deren  Zahl 
auch  im  Blut  weit  über  die  Norm  gesteigert  war.  Die  letzten 
drei  mitgeteilten  Fälle  betreffen  eine  wohl  charakterisierte,  cosioo- 
phile  Affektion  des  untersten  Darmabschnittes,  deren  Beobach¬ 
tung  durch  die  Rektoskopie  Avesentlich  erleichtert  wurde.  In  allen 
drei  Fällen  handelt  es  sich  um  jugendliche  Patienten,  die  Avegen 
schwerer  Diarrhöen,  Abgang  von  Schleim  und  Blut,  die  ärztliche 
Hilfe  in  Anspruch  nahmen.  Die  mikroskopische  Untersuchung 
ergab  in  allen  drei  Fällen  Charcot- Ley  den  sehe  Kristalle,  in 
zwei  Fällen  auch  noch  zahlreiche,  gut  erhaltene  eosinophile 
Zellen.  Darmschmarotzer  oder  Eier,  spezifisclie  Bakterien,  Avurden 
trotz  eifrigen  S Lichens  nicht  gufuuden.  Die  Untersuchung  mit^ 
dem  Rektoskop  ergab  in  allen  drei  Fällen  ein  übereinstimmendes 
Bild;  Auf  der  geröteten,  samtartig  aufgelockerten  Rektalschleiin- 
haut  fanden  sich  linsen-  bis  erbsengroße,  gelblichweiße,  leicht 
abstreifbare  Auflagerungen,  die  bei  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  als  charakteristische,  eosinophile  Bestandteile,  eosino¬ 
phile  Leukozyten,  Granulahaufen  und  Charcot-Leydensche 
Kristalle  enthielten.  Nach  dem  Abstreifen  des  Belages  blieb  eine 
Erosion  zurück.  Nirgends  war  ein  GeschAvür  zu  sehen.  Offen¬ 
bar  entstehen  die  mitunter  beträchtlichen  Blutungen  aus  solchen 
oberflächlichen  Erosionen  nach  dem  Abstreifen  des  Belages  durch 
die  vorbeistreifenden  Fäkalmassen.  Der  lokalen  Eosinophilie  ent¬ 
sprach  in  ZAvei  von  den  drei  Fällen  eine  recht  beträchtliche 
Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen  im  Blut.  Das  Leiden  ist  da¬ 
durch  charakterisiert,  daß  es  in  einzelnen,  mitunter  sehr  heftigen, 
Wochen  bis  Monate  andauernden  Schüben  auftritt.  Zwischen 
diesen  Schüben  können  tlie  Veränderungen  vollständig  fehlen 
oder  ein  leichter  chronischer  Zustand  bestehen  bleiben.  In  ver¬ 
schiedenen  Punkten  erinnert  dieses  Leiden  an  die  eosinophilen 
Affektionen  des  Bronchialbauines,  speziell  an  das  Asthma  bron¬ 
chiale.  Auch  die  Beziehung  zu  gewisser  nervöser  V^eranlagung, 
die  auch  bei  anderen  eosinophilen  Affektionen  (Asthma,  Enteritis 
membranacea)  besteht,  ist  nicht  zu  verkennen.  Auch  häufig  sich 
wiederholende  Hautausscldäge  in  der  Kindheit,  die  bei  den  asthma¬ 
tischen  Zuständen  Avohl  bekannt  sind  (Diathese  asthmatique  der 
Franzosen),  finden  sich  bei  zAvei  Patienten  dieser  Fälle.  So 
dürften  Avohl  auch  die  geschilderten  Zustände  Amn  eosinophiler 
Proktitis  mit  herdförmigen  Auflagerungen,  die  nach  x\nsicht  der 
Verfasser  eine  Avohlcharakterisierte  Krankheitsgruppe  bilden,  als 
örtliche  Aeußerungen  einer  allgemeinen  Konstitutionsanoinalie  auf¬ 
zufassen  sein.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1906,  Nr.  49.) 

G. 

* 

27.  Studien  über  die  Bestimmung  der  unteren 
i\I  a  g  e  n  g  r  e  n  z  e  n,  mit  besonderer  B  e  r  ü  c  k  s  i  c  h  ( i  g  u  n  g  der 
Radiographie.  Von  Prof.  Schüle- Freiburg  i.  B.  Die 
sicherste  und  absolut  einwandfreie  Bestimmung  der  unteren  und 
seitlichen  Magengrenzen  geschieht  vermittels  der  Röntgenstrahlen 
und  zwar  bei  aufrechter  Stellung  des  Menschen.  Von  den  kli- 
nisclum  Methoden  ist  keine  veillig  sicher,  am  heslen  ist  noch 
die  Pe'rkussion  des  gefüllten  Magens  im  Stehen.  ,\ufhlähung  mil 
Luft  führt  leicht  zur  Ueberdehnung  des  Organs,  wodurch  eine 


abnorme  Vergrößerung  vorgetäuscht  Averden  kann.  —  (Archiv 
für  Verdauungskraiikheiten,  11.  Bd.,  6.  H.)  Pi. 

* 

28.  Eine  physio-pathologische  Studie  über  ve¬ 

nöse  Hyperämie.  Von  Dr.  E.  Hornberger  in  Frankfurt 
am  Main.  Verf.  gibt  zu,  daß,  trotzdem  die  Lehre  von  der  Ent¬ 
zündung  noch  keine  geklärte  ist,  in  dem  auf  dieser  Lehre  aufge- 
hauten  Stauungsverfahren  nach  Bier  ein  ausgezeichnetes  Heil¬ 
mittel  gefunden  worden  ist:  durch  leichte  Stauung  Averde  eine 
arterielle  Hyperämie,  wie  sie  zAveifellos  bei  der  Entzündung  be¬ 
steht,  in  eine  A'enöse  Hyperämie  umgewandelt  und  dadurch  die 
natürliche  Schutzvorrichtung  des  Organismus,  ,,die  Verbrennung“, 
in  ihrer  nützlichen  Wirksamkeit  gefördert.  ,,Es  ist  aber  zu  be¬ 
denken,  ob  Bier  mit  Recht  die  frühere  Heilmethode,  die  Be¬ 
kämpfung  der  Entzündung  mit  Kälte,  usav.  verwirft.“  Die  Kälte 
dient  nur  dazu,  die  allzustarke  arterielle  Hyperämie,  hei  Avelcher 
der  Sauerstoff  zur  Verbrennung  infolge  zu  raschen  Kreisens  nicht 
gehörig  ausgenützt  wird,  in  eine  venöse  Hyperämie  zu  ver¬ 
wandeln;  diese  unterscheide  sich  in  nichts  pathologisch-anatomisch 
von  der  durch  die  Stauungsbinde  erzeugten.  —  (Archiv  für  kli¬ 
nische  Chirurgie  1906,  80.  Band,  4.  Heft.)  F.  H. 

* 

29.  Zur  Behandlung  der  Eihautverhaltung.  Von 
Prof.  Dr.  Otto  v.  Herff  in  Basel.  Ein  großes  Verdienst  Kalten¬ 
bachs  ist  es,  gelehrt  und  beAviesen  zu  haben,  daß  eine  Eihaut¬ 
retention  im  Wochenbette  keine  besonderen  Gefahren  für  die 
Wöchnerin  mit  sich  bringt.  Der  Hausarzt  gebe  in  solchen  Fällen 
im  Wochenbett  nur  regelmäßig  Ergotin  und  lasse  desinfizierende 
Scheidespülungen  machen,  unterlasse  also  jeden  intrauterinen  Ein¬ 
griff.  Zahlreiche  Fälle  (558)  des  Frauenspitales  Stadt- Basel,  die 
streng  nach  dieser  Methode  behandelt  Avurden,  sind  in  einer 
Arbeit  Schneiders  in  den  ,,He  gär  sehen  Beiträgen  zur  Ge¬ 
burtshilfe  und  Gynäkologie“  hinsichtlich  der  therapeutischen  Er¬ 
folge  jetzt  A'eröffentlicht  Avorden.  Der  Einwand  Walthards, 
daß  man  eine  extragenitale  Ursache  des  Fiebers  erst  dann  mit 
Sicherheit  annehmen  dürfe,  wenn  man  die  Uteruslochien  unter¬ 
sucht  und  sie  keimfrei  befunden  habe,  sei  nicht  stichhaltig.  Frei¬ 
lich  müsse  der  Nachweis  einer  wohl  charakterisierten  ander¬ 
weitigen  Erkrankung  einwandfrei  erfolgen,  so  z.  B.  einer  der 
mit  Fieber  regelmäßig  einhergehenden  Erkrankungen,  Avie  Angina, 
Bronchilis,  Pleuritis,  Bronchopneumonie,  Pneumonie,  Tuberculosis 
puhn.,  Enteritis,  Zystitis,  Pyelonephritis,  Appendizitis,  Influenza 
und  so  weiter;  gelingt  dieser  NacliAveis  nicht,  so  wird  ein  Fieber 
genitalen  Ursprunges  angenommen,  selbst  wenn  das  Genitale  noch 
keinen  Anhaltspunkt  für  eine  solche  Erkrankung  darbietet.  Bei 
jeder  fiebernden  Wöchnerin  die  Uteruslochien  untersuchen  zu 
lassen,  ist  aber  untunlich.  Einmal  ist  die  Belästigung  der  Frau 
eine  erhebliche,  dann  kann  man  ihr  damit  leicht  schaden,  dann 
ist  das  Resultat,  Avie  immer  es  ausfällt,  nicht  maßgebend ;  findet 
man  in  den  Uteruslochien  Keime,  so  Aveiß  man  anderseits,  daß 
zahllose  Wöchnerinnen  mit  keimhaltiger  Gebärmutter  nicht 
fiebern,  es  beweist  dies  also  noch  keinesAAregs,  daß  diese  Spalt¬ 
pilze  das  hestehende  Fieber  verursachten.  Urrd  umgekehrt  be- 
Aveist  selbst  Keimfreiheit  der  Uteruslochien  keineswegs,  daß  das 
bestehende  Fieber  extragenitalen  Ursprunges  sein  müsse,  da  geni¬ 
tale  Fieber,  seihst  tödliche  Erkrankungen,  sich  von  anderen 
Stellen  der  Geschlechtsteile  entAvickeln  können,  ohne  daß  sich 
die  Eingangspforte  klinisch  irgendAvie  als  solche  manifestierte. 
Der  Verfasser  bestreitet  keineswegs  die  wertvollen  wissenschaft¬ 
lichen  Ergebnisse  der  hakteriologischen  Diagnose  der  Fterus- 
lochien,  AAÜchtiger  erscheint  ihm  für  die  Praxis  die  genaue  kli¬ 
nische  Untersuchung.  Während  seiner  16jährigen  Tätigkeit  hat 
Verf.  in  mehr  als  1000  Fällen  die  Kaltenbach  sehe  Lehre  der 
Behandlung  von  Eihautreteiition  befolgt,  in  keinem  einzigen  Falle 
ist  eine  scluArerere  Erkrankung  oder  gar  der  Tod  durch  die  Nicht¬ 
entfernung  der  Eihautreste  veranlaßt  worden.  Zahlreiche  andere 
Geburtshelfer  haben  dieselben  Erfahrungen  gemacht.  Allenfalls 
werden  nach  Eihautverhaltung  leichte  unschuldige  Temperalur- 
steigerungen  beobachtet.  Von  3661  Wöchnerinnen  (1902  bis  1905) 
fieberten  aus  dieser  Ursache  z.  B.  48,  von  Avelchen  33  nur  einen 
Tag  und  15  nicht  über  drei  Tage  Temperatursteigerungen  zeigten. 
Der  Verfasser  sieht  jeden  intrauterinen  Eingriff  in  und  nach  der 
Nachgeburtsperiode,  Avie  im  Wochenbette,  als  eine  Gefährdung 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WÜCHENSCIIRIFT.  19Ü7. 


87 


der  Frau  an,  auch  wenn  der  Arzt  Gummihandschuhe  heniUzt, 
sicli  die  Hände  gehörig  desinfiziert;  mit  Handschuhen  solche 
Eihautfetzen  zu  entfernen,  sei  schwierig,  gelinge  nicht  immer  voll¬ 
kommen.  ,,Die  beste  Vorbeugung  des  Kindhettfiehers  besteht 
darin,  möglichst  selten  während  und  besonders  nach  der  Gehurt 
des  Kindes  einzugreifen.“  —  (Korrespondenzhlatt  für  Schweizer 
Aerzte  1906,  Nr.  22.)  E.  F. 


Nekrolog. 

Paul  Julius  Möbius. 

Mit  Möbius  ist  eine  interessante  Persönlichkeit  dahin¬ 
gegangen,  ein  Neurologe  von  Namen,  ein  geistvoller  Mensch  und 
Schriftsteller.  Geboren  am  24.  Januar  1853  in  Leipzig,  studierte 
er  daselbst,  in  Jena  und  Marburg,  wurde  1876  promoviert,  war 
von  1883  bis  1893  Dozent  an  der  Universität  Leipzig,  seither 
kurz  P.  J.  M  ö  b  i  u  s.  Er  blieb  unverehelicht  und  soll  nun  an 
einem  Osteosarkom  gestorben  sein. 

Publizistisch  war  er  in  hervorragender  Weise  tätig,  eine 
überaus  große  Zahl  von  Arbeiten  ist  in  den  verschiedensten 
medizinischen  Zeitschriften  zu  finden.  Möbius  hat  eine  heute 
fast  allgemein  anerkannte  Theorie  der  Basedow  sehen  Krank¬ 
heit  begründet,  ein  Symptom  dieser  Krankheit  trägt  seinen  Namen, 
er  hat  das  Krankheitsbild  der  Akinesia  algera  abgegrenzt,  zur 
Lehre  von  der  Hemiatrophia  facialis  progressiva  Stellung  ge¬ 
nommen,  in  den  Streit  der  Meinungen  über  das  Wesen 
der  Hysterie  entscheidend  eingegriffen  usf.  In  den  weitesten 
Kreisen  aber  wurde  er  bekannt  durch  seine  psychiatrischen  Ab¬ 
handlungen,  die  sich  an  die  breite  Masse  des  gebildeten  Publikums 
wenden,  um  dieses  für  Fragen  der  Psychopathologie  und  psy¬ 
chiatrische  Betrachtungsweise  zu  gewinnen ;  er  hat  die  sogenannte 
Pathographie  popularisiert.  Aus  der  Liste  seiner  Bücher  ist  er¬ 
sichtlich,  wie  er  sich  langsam  vom  neurologischen  zum  psychiatri¬ 
schen  Schriftsteller  wandelte  und  wie  gern  er  namentlich  in 
Grenzgebieten  verweilte.  Auf  den  Grundriß  des  deutschen  Militär¬ 
sanitätswesens  (1878)  folgen  das  Nervensystem  des  Menschen 
(1880),  die  Nervosität  (1882),  Allgemeine  Diagnostik  der  Nerven¬ 
krankheiten  (1885),  Abriß  der  Nervenkrankheiten  (1894),  fünf 
Bände  neurologischer  Beiträge  (1894 — 1898),  über  die  Behandlung 
der  Nervenkranken  und  die  Errichtung  von  Nervenheilstätten  (1886), 
eine  Suite  über  das  Pathologische  bei  Goethe,  Rousseau, 
Schopenhauer,  Nietzsche  (1898 — 1902),  eine  Ehrenrettung 
Franz  Josef  Galls;  vielumstritten,  über  den  physiologischen 
Schwachsinn  des  Weibes,  welches  Büchlein  1905  die  7.  Auflage 
erlebte;  weiters  noch,  im  Grenzlande,  über  Kunst  und  Künstler 
(1901),  über  Kopfschmerz  (1902),  die  Migräne  (1903),  Geschlecht 
und  Unbescheidenheit  (1904),  über  den  Schädel  eines  Mathe¬ 
matikers  (1905),  12  Hefte  Beiträge  zur  Lehre  von  den  Geschlechts¬ 
unterschieden,  können  die  Tiere  Schönheit  wahrnehmen  und  em¬ 
pfinden?  die  Nervosität,  über  Robert  Schumanns  Krankheit 
(1906),  über  Scheffels  Krankheit  mit  einem  Anhang,  kritische 
Bemerkungen  zur  Pathographie  (1907),  die  2.  Auflage  von,  die 
Hoffnungslosigkeit  aller  Psychologie,  ein  ebenso  wahres,  als  depri¬ 
mierendes  Bekenntnis. 

Das  letzte,  was  Möbius  wohl  überhaupt  geschrieben  hat, 
ist  das  Gutachten  über  die  zu  errichtende  Nathaniel  Freiherr 
V.  R  0  t  h  s  c  h  i  1  d  -  Stiftung,  von  Hofrat  Chrobak  im  Namen 
des  vorbereitenden  Komitees  von  ihm  verlangt.  Die  Aktualität 
der  Sache  möge  gestatten,  gerade  diese  Arbeit  hier  kurz  zu 
referieren.  Unter  Berufung  auf  die  von  ihm  schon  früher  publi¬ 
zierten  Anschauungen  befürwortet  Möbius  bei  der  vorliegenden 
Stiftung  den  kleinen  Mittelstand,  die  relativ  Unbemittelten 
namentlich  zu  berücksichtigen,  eine  kleine  Verpflegsgebühr  ein¬ 
zuheben,  die  von  Fall  zu  Fall  ermäßigt  oder  erlassen  werden 
könnte,  weiters  in  medizinischer  Hinsicht  alle  jene  aufzunehmen, 
die  im  gewöhnlichen  Leben  nervenkrank  zu  werden  pflegen, 
keine  Morphinisten,  keine  Hysteriker  mit  großen  Anfällen. 
Schwere  Epileptiker,  Geisteskranke  und  Träger  anatomischer  Er¬ 
krankungen  des  Gehirns  und  Rückenmarks  sind  durch  das  Testa¬ 
ment  des  Stifters  ausgeschlossen.  In  einem  zweiten  Abschnitt 
folgen  allgemeine  Ratschläge  bezüglich  der  Größe  der  Anstalt, 
von  Anfang  an  für  300  Kranke,  über  die  Einrichtung  in  einfach 
ländlichem  Stil,  wobei  namentlich  für  Ruhe  und  vielseitige  Arbeits¬ 
gelegenheit  vorzusorgen  sein  wird,  über  das  Personal  —  Möbius 
wünscht  die  Aerzte  so  gut  gestellt,  daß  sie  heiraten  und  ihr 
Ivcben  lang  an  der  Anstalt  hleiben  können  —  über  die  Verbindung 
mit  einem  Stadtbureau,  da  die  Anstalten  selbst  jedenfalls  aufs 


Land  hinaus  müßten.  Schließlich  beantragt  er  noch,  die  Anstalt 
absolut  alkoholfrei  zu  erhalten. 

Möbius  führte  eine  gute  Feder.  Mit  einer  glänzenden 
Darstellungsgabe  wußte  er  seine  obendrein  originellen  Ideen  in 
Worte  zu  prägen.  Seine  Ueberzeugung  vertrat  er  rücksichtslos. 
Mit  dem  physiologischen  Schwachsinn  des  Weihes  hat  er  die  eine 
Hälfte  der  Menschheit  beleidigt,  darüber  hinaus  sich  noch  Gegner 
geschaffen.  Und  dies  gar,  wenn  er  unerbittlich  kritisch  sichtete 
und  richtete.  Die  kritischen  Sammelreferate  in  Schmidts 
Jahrbüchern,  deren  Redakteur  er  seit  1885  war,  zu  lesen,  bildete 
für  den  Unbeteiligten  geradezu  einen  Genuß ;  allerdings  hat  er¬ 
sieh  auch  dadurch  Feindschaften  in  Menge  zugezogen.  Aber  wemr 
irgendwo  ein  Wort  gilt,  so  gilt  es  vom  überlegenen  Geiste,  der 
für  Wahrbeit  und  Wissenschaft  kämpft:  Viel  Feind,  viel  Ehr. 
Ehre  auch  seinem  Andenken  !  E.  R  a  i  m  a  n  n. 


\/ermisehte  flaehriehten. 

Ernannt:  In  Bonn:  Die  Privatdozenten  Dr.  Grouven 
(Hautkrankheiten),  Dr.  Hummelsheim  (Augenheilkunde)  und 
Dr.  Julius  Straßburger  (Innere  Medizin)  zu  Titularprofessoren. 

—  In  Basel:  A.  o.  Professor  Dr.  Fritz  Egger  (Innnere  Medizin) 
und  Dr.  Gustav  Wolff  (Psychiatrie)  zu  ordentlichen  Professoren. 

—  Dr.  H  e  d  i  n  g  e  r  in  Bern  zum  a.  o.  Professor  der  pathologischen 
Anatomie  als  Nachfolger  des  nach  Göttingen  übersiedelten  Pro¬ 
fessors  Kaufmann.  —  Dr.  K  e  i  f  f  e  r  zum  a.  o.  Professor 
der  Geburtshilfe  in  Brüssel.  —  Der  a.  o.  Professor  der  Hygiene 
Dr.  A.  Semaire  in  Löwen  zum  a.  o.  Professor  der  medizinischen 
Pathologie.  —  Dr.  Mingazzini  in  Rom  zum  Professor  der 
Nervenheilkunde. 

* 

Hofrat  Prof.  Dr.  Wilhelm  Winternitz  in  Wien  feierte 
am  14.  Januar  sein  goldenes  Doktorjuhiläum. 

* 

Verliehen:  Dem  a.  o.  Professor  der  Cbirurgie  an  der 
Universität  in  Wien,  Regierungsrate  Dr.  Anton  Ritter  v.  Frisch 
der  Orden  der  Eisernen  Krone  dritter  Klasse,  —  Dem  Privat¬ 
dozenten  für  innere  Medizin  Dr.  Friedrich  Richter  in  Berlin 
der  Professorlitel.  —  Dem  Prof.  G.  Anton  in  Halle  der  Titel 
Geh.  Medizinalrat  und  dem  Privatdozenten  Dr..  W ul  1  stein 
(Chirurgie)  in  Halle  der  Professortitel. 

* 

Habilitiert:  Dr.  S  p  i  e  1  m  a  y  e  r  für  Psychiatrie  in  Frei¬ 
burg  i.  B. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  gerichtlicben  Medizin  in 
Washington  Dr.  Watts. 

* 

Blaschkes  Dolmetscher  am  Krankenbette, 
herausgegeben  von  Paul  B  1  a  s  c  h  k  e  unter  Mitwirkung  von 
Dr.  med.  B  resin,  Robert  Le  win,  Dr.  med.  Shepard,  Privat¬ 
dozent  an  der  Universität  Syracuse  (Amerika).  Mit  einem  Vor¬ 
worte  des  internationalen  Komitees  der  Vereine  vom  Roten  Kreuz 
in  Genf.  Verlag  Dr.  Walter  Rothschild,  Berlin  und  Leipzig. 
Von  Blaschkes  Dolmetscher  liegen  jetzt  Ausgaben  in  folgenden 
Sprachen  vor:  deutsch-französisch,  deutsch-englisch,  französisch¬ 
deutsch,  englisch-deutsch  und  deutsch-russisch.  Jeder  Teil  hat 
zwei,  auch  einzeln  käufliche  Teile.  Teil  I  ein  Medizinisches  Kon¬ 
versationsbuch.  Teil  H  ein  Medizinisches  Wörterbuch.  Die  Kon¬ 
versationsbücher  sind  zweisprachig.  Eine  weitere  in  den  Werken 
angewandte  Methode  ermöglicht,  jede  Redensart  nach  dem  Be¬ 
dürfnisse  zu  verändern.  Während  die  Konversationsbücher  ledig¬ 
lich  praktischen  Zwecken  dienen,  ist  der  H.  Teil,  das  Wörter¬ 
buch,  wissenschaftlichen  Zwecken  gewidmet.  In  demselben  sind 
drei  Sprachen  in  einem  Alphabet  vereinigt,  u.  zw.  in  dem  vor¬ 
liegenden  Bande  deutsch,  französisch,  englisch.  Die  Anschaffung 
des  Werkes  wird  allen  Aerzten  und  Krankenpflegern,  die  mit 
Kranken  mehrerer  Nationen  zu  tun  haben,  von  Nutzen  sein. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiet.  52.  Jahreswoche  (vom  23.  bis 
29.  Dezember),  Lebend  geboren,  ehelich  658,  unehelich  285,  zusammen  943. 
Tot  geboren,  ehelich  53,  unehelich  28,  zusammen  81.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  743  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
19  7  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  3,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  9, 
Scharlach  8,  Keuchhusten  4,  Diphtherie  und  Krupp  8,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  1,  Lungentuberkulose  110,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  50,  Wochenbettfieber  4,  Angezeigte  Infektionskrankheiten : 
An  Rotlauf  31  ( —  8),  Wochenbettfieber  4  ( —  3),  Blattern  0  (0),  Vari- 


8b 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


zellen  75  ( —  74),  Masern  288  ( —  38),  Scharlach  88  ( —  17),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  4  (—  2),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  86  ( —  16),  Keuchhusten  13  { —  7),  Trachom  1  (-}- 1), 
Influenza  0  (0). 


Freie  Stellen. 

Primararztesstelle  für  das  neuerbaute  Bezirkskrankenhaus 
in  Komotau  (Böhmen).  Jahresgehalt  K  3600  und  Anspruch  auf  fünf 
Quinquennien  zu  je  K  300.  Bewerber  deutscher  Nationalität,  welche 
das  4J).  Lebensjahr  noch  nicht  überschritten  haben,  wollen  die  mit  dem 
Tauf-  und  Heimatscheine,  dem  Curriculum  vitae  und  insbesondere  mit 
den  Nachweisen  über  ihre  spezielle  chirurgische  Ausbildung  belegten 
sowie  ordnungsmäßig  gestempelten  Gesuche  bis  31.  Jänner  d.  J.  beim 
Bezirksausschüsse  Komotau-Sebastiansberg  überreichen.  Der  Dienstantritt 
hat  spätestens  bis  1.  September  1907  zu  erfolgen  und  werden  die  Be¬ 
werber  ersucht,  anzugeben,  zu  welchem  Zeitpunkt  ihnen  der  Antritt  der 
Stelle  möglich  ist. 

Stelle  eines  Volontärarztes  im  Landesspitale  zu  Laibach 
(Krain)  mit  dem  Adjutum  jährlicher  K  600  und  20‘’/o  Teuerungszulage. 
Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Gesuche  unter  Nachweisung  des 
Alters,  des  Doktorates  der  Medizin  und  der  Kenntnis  der  slowenischen 
oder  einer  anderen"  slawischen  sowie  der  deutschen  Sprache  bis  20.  Ja¬ 
nuar  d.  J.  bei  der  Direktion  der  Landeswohltätigkeitsanstalten  in  Laibach 
einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeinde  Grün- 
b  u  r  g  -  S  t  e  i  n  b  a  c  h,  Bezirk  Kirchdorf  (Oberösterreich),  mit  dem  Silze 
des  Arztes  in  Grünburg  bis  1.  März  1907  zu  besetzen.  Einwohnerzahl 
der  Sanitätsgemeinde  4500,  fixe  Bezüge  K  1350,  nebst  lohnender  Kassen- 
und  Privatpraxis.  Gesuche  von  körperlich  rüstigen  Bewerbern  deutscher 
Nationalität  sind  bis  1.  Februar  d.  J.  bei  der  Gemeindevorstehung 
Grünburg  einzureichen,  woselbst  auch  weitere  Auskünfte  erteilt  werden. 


Eingesendet. 

Aufruf  au  d  i  e  ehemaligen  Frequentanten  des  k.  k,  Operateur¬ 
zöglingsinstitutes  in  Wien. 

Das  k.  k.  chirurgische  Operationsinstitut  in  Wien  wurde  am 
7.  Februar  1807  von  Prof.  Ritter  v.  Kern  begründet.  Der  100jährige 
Bestand  dieser  segensreichen  Einrichtung,  die  so  viel  zur  Ausbildung 
der  österreichischen  Aerzte  beigetragen  und  einen  so  wesentlichen  Ein¬ 
fluß  auf  die  Entwicklung  der  Chirurgie  in  Oesterreich  überhaupt  ge¬ 
nommen  hat,  soll  festlich  begangen  werden. 

Die  Unterzeichneten  gegenwärtigen  Vorstände  der  beiden  chi¬ 
rurgischen  Universitätskliniken  zu  Wien  wenden  sich  daher  an  alle 
gewesenen  Frequentanten  des  Operationszöglingsinstitutes  mit  der  Auf¬ 
forderung,  sich  an  der  geplanten  Feier  zu  beteiligen. 

Es  besteht  die  Absicht,  an  einem  noch  näher  zu  bestimmenden 
Tage  eine  Feierlichkeit  zu  veranstalten,  die  die  ehemaligen  und  gegen¬ 
wärtigen  Frequentanten  des  Institutes  vereinen  wird.  Außerdem  wird 
eine  Festschrift  herausgegeben  werden,  in  welcher  die  Geschichte  des 
Institutes,  die  Namen  und  die  Schicksale  seiner  Frequentanten  nieder¬ 
gelegt  werden  sollen. 

Um  hiefür  möglichst  vollständige  und  authentische  Daten  zu 
erhalten,  wenden  sich  die  Unterzeichneten  schon  heute  an  die  gewesenen 
Zöglinge  mit  der  Bitte  um  möglichst  baldige  Beantwortung  nachfolgender 
Punkte  an  die  Adresse  eines  der  beiden  Unterzeichners. 

1.  Wann  und  mit  welchen  Kollegen  gemeinsam  haben  Sie  als 
Operationszögling  an  einer  der  Kliniken  gedient? 

2.  Wie  gestaltete  sich  Ihr  weiterer  Lebenslauf  und  welche  ist 
Ihre  dermalige  Stellung?  Wir  bitten  ferner,  uns  Ihre  eventuellen  wissen¬ 
schaftlichen  Publikationen  bekannt  zu  geben. 

Mit  kollegialem  Gruße 

Prof.  V.  Eiseisberg,  Prof.  Dr.  H  o  c  h  e  n  e  g  g, 

Vorstand  der  I.  chirurgischen  Klinik.  Vorstand  der  zweiten  chirurgischen  Klinik. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  6.  Dezember  1906 
(siehe  Nr.  49  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  1906) 
für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
in  Empfang  genommen.  Nr.  4. 

a)  Geschenke  von  der  Wiener  klin.  Wochenschrift: 
Bunge  C.  v.,  Die  zunehmende  Unfähigkeit  der  Frauen,  ihre  Kinder  zu 
stillen.  Fünfte  Auflage.  München  1907.  8“. 

Edwardsou,  Woher  kam  das  Leben?  Leipzig  1906.  8«. 

Frunze  F.  C.,  Die  Behandlung  der  Herzkrankheiten  mittels  kohlensaurer 
und  elektrischer  Bäder,  Massage  etc.  München  1906.  8°. 

Fürth  E.,  Die  rationelle  Ernährung  in  Krankenanstalten  und  Erholungs¬ 
heimen.  Leipzig  und  Wien  1906.  8®. 

Glax  J.,  Klimatotherapie.  Stuttgart  1906.  8®. 

Glax  J.,  Balneotherapie.  Stuttgart  1906.  8®. 

Haeherlin  H.,  Staatsarzt-  oder  Privatarztsystem  ?  Zürich  1906.  8®. 

Hahn  F.,  Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  Aseptik  in  der  Chirurgie* 
Wien  1907.  8®.  ° 

llanimerschlag  V.,  Th4rapeutique  des  Maladies  de  l’oreille  Paris 
1906.  8®. 

Lengerkeii  Otto  v.,  Handbuch  neuerer  Arzneimittel.  Frankfurt  a.  M. 


Maack  F.,  Polarchemiatrie.  Leipzig  1905.  8®. 

Martin  A.,  Physikalische  Therapie  der  akuten  Infektionskrankheiten. 
Stuttgart  1906.  8®. 

Hiithy  0.  1).,  Physikalische  Therapie  der  Skrofulöse.  Stuttgart  1906.  8®. 

Stumpf  J.,  lieber  ein  zuverlässiges  Heilverfahren  bei  der  asiatischen 
Cholera  etc.  Würzburg  1906.  8®. 

Vogel  A.  und  E.  Ludwig,  Kommentar  zur  achten  Ausgabe  der  Oester- 
reichischen  Pharmakopöe,  3.  Bd.  (Text  der  achten  Ausgabe  in 
deutscher  Uebersetzung.)  Wien  1907.  8®. 

Annalen  der  Schweizerischen  baineologischen  Gesellschaft.  Aarau 
1906.  8®.  II. 

Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete 
der  Erkrankungen  des  Urogenitalapparats.  Redigiert  von  N  i  t  z  e, 
S.  Jacoby  und  K  0  1 1  m  a  n  n.  Berlin  1906.  8®.  1.  Bd. 

Sanitätshericht  des  österreichischen  Küstenlandes  für  die  Jahre  1901  bis 
1903.  Triest  1905.  4®. 

Verhandlungen  des  Vereines  süddeutscher  Laryngologen  1906.  Würzburg 
1906.  8®. 

Thompson  Yates  and  Johnston  Laboratories  Report.  Vol.  VI/2,  VIl/1. 
Liverpool  1905 — 1906.  4®. 

Transactions  of  the  Clinical  Society  of  London.  Vol.  XXXIX.  London 
1906.  8®. 

Le  Scalpel.  Liege  1905—1906.  4®. 

b)  Verschiedene  Geschenke: 

Da  Costa  Alfredo,  L’orientation  foetale  et  la  loi  de  pajot.  Lisboa  1006.  4®. 
Von  Herrn  Hofrat  C  h  r  0  b  a  k. 

Da  Costa  Alfredo,  Quelques  renseignements  statistiques  sur  la  maternity 
provisoire  de  Lisbonne.  Lisba  1906.  4®.  Von  Herrn  Hofrat 

C  h  r  0  b  a  k. 

Lehrbuch  der  speziellen  Chirurgie  für  Studierende  und  Aerzte.  Auf 
Grundlage  von  Ed.  Alberts  Lehrbuch  der  Chirurgie  neu  be¬ 
arbeitet  von  dessen  Schülern.  Herausgegeben  von  Professor  Doktor 
J.  Hochenegg.  Berlin  und  Wien  1906.  8®.  Vom  Herausgeber. 

Pommer  G.,  Ein  anatomischer  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Wachstums  im 
Bereich  angeborener  Defekte.  (S.  A.)  Leipzig  1906.  8®.  Vom  Autor. 

Medizinalbericht  von  Württemberg  für  das  Jahr  1904.  Heraugegeben 
vom  königl.  Medizinalkollegium.  Stuttgart  1906.  8®.  Von  Herrn 
Dr.  Joannovics. 

Schüller  A.,  Die  Schädelbasis  im  Röntgenbilde.  Hamburg  1905.  4®. 
Vom  Autor. 

Stern  S.,  Allgemeine  analytisch-synthetische  Psychognosie.  Wien  1906. 
8®.  Vom  Autor. 

Teleky  L.,  Die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  in  Oesterreich  1873—1901. 
(S.  A.)  Wien  1906.  8®.  Vom  Autor. 

Teleky  L.,  Der  erste  internationale  Kongreß  für  Gewerbekrankheiten. 
(S.  A.)  Leipzig  1906.  8®.  Vom  Autor. 

Teleky  L.,  Literatur  von  1905  über  öffentliche  Gesundheitspflege  und 
soziale  Medizin.  (S.  A.)  Wien  1906.  8®. 

Frankl  Oskar,  Die  physikalischen  Heilmethoden  in  der  Gynäkologie. 
Berlin  und  Wien  1906.  8®.  Vom  Autor. 

Gynäkologische  Rundschau.  Zentralorgan  für  Geburtshilfe  und  Frauen¬ 
krankheiten.  Herausgegeben  von  Bossi,  Chrobak,  Dührssen 
etc.  Redigiert  von  Dr.  Oskar  Frankl.  Berlin  und  Wien  1907.  8®. 
Von  Herrn  Dr.  Oskar  Frankl. 

Anzeiger  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften.  Wien.  Jahrg.'XVHI  bis 
XXXI,  XXXVII,  XXXVIII,  XL.  Wien  1881—1903.  (Ergänzung.)  Von 
der  kais.  Akademie. 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  in  der  Lehre  von  den  pathogenen 
Mikroorganismen  etc.  XX.  Jahrg.  1904.  Leipzig  1906.  8®.  Von  Herrn 
Prof.  Dr.  P.  V.  Baumgarten. 

Jahresbericht  des  Vereines  Heilanstalt  Alland  für  das  Jahr  1905.  Wien 
1906.  8®.  Von  der  Direktion  der  Heilanstalt  Alland. 

Jahrbücher  für  folkloristische  Erhebungen  und  Forschungen  zur  Ent¬ 
wicklungsgeschichte  der  geschlechtlichen  Moral.  Herausgegeben  von 
Dr.  F.  Krauß.  Leipzig  1906.  8®.  3.  Bd.  Von  Herrn  Dozent 
Dr.  K  u  n  n. 

luaugaration.  Die  feierliche,  des  Rektors  der  k.  k.  Deutschen  Karl 
Ferdinands-Universität  in  Prag  für  das  Studienjahr  1906/07.  Prag 
1906.  8®.  Von  der  k.  k.  Deutschen  Karl  Ferdinands-Universität. 

Bolletiiio  della  Associazione  medica  Triestina  1905,  Annata  VIII.  Trieste 
1906.  8®.  Von  der  Associazione. 

Xllle  Cougres  international  de  M4decine.  Paris  1900.  Section  de  Medecine 
de  l’enfance.  Section  de  Chirurgie  de  l’enfance.  Paris  1900.  8®. 
Von  Herrn  Dr.  Galatti. 

L’aiijou  medical.  Revue  mensuelle.  Dr.  Monprofit.  Angers.  Ann4e  X, 
XI,  XII,  1903 — 1905,  complet.  Von  Herrn  Dr.  Galatti. 

Lavori  dei  Cougressi  di  medicina  interna.  1891,  1893.  Milano.  Roma. 
1892-1894.  8®.  2.  Vol.  Von  Herrn  Dr.  Galatti. 

Transactions  of  the  American  otological  Society.  Thirty-ninth  Annual- 
Meeting.  New-York  1906.  New-Bedford  1906.  8®.  Von  der  Society. 

Universite  Libre  de  Bruxelles.  Annuaire  pour  Fannie  acad4mique 
1906/07.  Bruxelles  1906.  8®. 

Angekauft  wurden: 

Bier  A.,  Hyperämie  als  Heilmittel.  Vierte  Auflage.  Leipzig  1906.  8®. 

Borst  Max,  Die  Lehre  von  den  Geschwülsten.  Wiesbaden  1902.  8.  2.  Bd. 

Festschrift,  gewidmet  Herrn  Geh.  Medizinalrath  Prof.  Dr.  Emil  P  0  n- 
f  i  c  k  zum  25jährigen  Jubiläum  als  Professor  Ordinarius  von  seinen 
Schülern.  Breslau.  1899.  8®. 

Romberg  E.,  Lehrbuch  der  Krankheiten  des  Herzens  und  der  Blut¬ 
gefäße.  Stuttgart  1906.  8®. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


89 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 

INHALT: 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  Verein  für  Psychiatric  nnd  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
Sitzung  vom  12.  Januar  1907.  11.  Dezember  1906. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  R.  Chrobak. 

Schriftführer;  Prof.  R.  Paltauf. 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  vom  Tode  des  lang¬ 
jährigen  Mitgliedes  Herrn  Primarius  Dr.  Unter holzner; 
die  Mitglieder  erheben  sich  von  ihren  Sitzen. 

Der  Präsident  macht  Mitteilung  von  der  Einladung  der 
k.  k.  Gesellschaft  zur  Ehrung  des  Herrn  Hofrates  Professor 
Dr.  Leopold  Schrötter  Ritter  v.  Kr i stellt,  anläßlich  seines 
70.  Geburtstages ;  die  Feier  findet  am  5.  Februar  1.  J.  im  Hör¬ 
saale  der  IH.  medizinischen  Klinik  statt.  Ferner  ist  ein  Aufruf 
vom  Ausschuß  für  die  Errichtung  eines  Adalbert  Stifter- 
Denk males  in  Wien  mit  dem  Ersuchen  um  Beiträgen  ein¬ 
gelangt. 

Der  Schriftführer  verliest  hierauf  folgendes  von  Geh. 
Rat  V.  Bergmann  an  die  Redaktion  der  Wiener  klin.  Wochen¬ 
schrift  eingelangtes  Dankschreiben,  welches  von  derselben  in 
Ansehung  seines  Inhaltes  dem  Präsidium  der  k.  k.  Gesellschaft 
übermittelt  wurde. 

Berlin,  28.  Dezember  1906. 

An  die  „Wiener  klinische  Wochenschrift“,  Organ  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Zu  den  vielen  mich  so  ehrenden  Ueherraschungen,  die 
mein  70.  Geburtstag  brachte,  gehörte  auch  das  Erscheinen  Ihres 
geschätzten  Mitarbeiters,  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg,  der 
mir  das  Festexemplar  Ihrer  klinischen  Wochenschrift  überbrachte. 
Ich  bin  stolz,  Mitglied  und  Ehrenmitglied  der  Wiener  Gesellschaft 
der  Aerzte  zu  sein  und  habe  mich  daher  um  so  mehr  gefreut, 
auch  mit  den  gegenwärtigen  Mitgliedern  derselben  in  so  schöne 
Beziehungen  zu  treten,  wie  die  es  sind,  welcher  die  Festnummer 
gedenkt. 

Wie  in  der  Redaktion  des  Archives  für  Chirurgie,  der 
Wiener  Chirurg  mit  dem  Berliner  Hand  in  Hand  geht,  so  wünsche 
ich  auch,  daß  die  Beziehungen  der  beiden  großen  Gesellschaften 
in  Oesterreichs  und  Deutschlands  Metropole  dauernde  und  innige 
bleiben. 

Empfangen  Sie  für  Ihre  Freundlichkeit  den  wärmsten  Dank 
Ihres  treu  ergebenen 

E.  V.  Bergmann. 

A.  Administrative  Sitzung. 

Der  Vermögensverwalter  Herr  Dr.  Anton  L  o  e  w  trägt  den 
Rechnungsabschluß  für  das  Jahr  1906  vor,  er  enthält  zum  ersten¬ 
mal  die  Einnahmen  durch  die  Bibliothekskarten ;  derselbe  schließt 
scheinbar  mit  einem  Ueberschusse  von  K  10.612‘45 ;  dagegen  ist 
anzuführen,  daß  die  Kosten  für  die  Hausadaptierungen  nicht 
einbezogen  sind,  weil  die  Rechnungen  erst  nach  dem  Abschluß 
eingelangt  sind;  diese  Kosten  betragen  K  8107'27  und  wurden 
durch  einen  Skontonachlaß  auf  K  7701'91  reduziert.  Der  Prä¬ 
sident  spricht  Herrn  Dr.  A.  L  o  e  w  den  Dank  für  die  erfolg¬ 
reiche  und  mühevolle  Verwaltung  des  Gesellschaftsvermögens 
m  Namen  der  k.  k.  Gesellschaft  aus. 

Der  Präsident  fragt  an,  ob  jemand  Anfragen  oder  Ein- 
Iwendungen  zu  erheben  hat;  das  ist  nicht  der  Fall  und  der  Prä¬ 
sident  erteilt  dem  Herrn  Vermögensverwalter  das  Absolutorium. 

Herr  Dr.  A.  Loew  berichtet  über  den  dermaligen  Ver¬ 
mögensstand  der  k.  k.  Gesellschaft  und  über  den  Stand  der 
Stiftungen,  endlich  trägt  derselbe  das  Präliminare  pro  1907  vor, 
welches  sich  im  Rahmen  des  Vorjahres  bewegen  wird.  Dasselbe 
wird  genehmigt. 


B.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

Dr.  Paul  Albrecht  stellt  aus  der  Klinik  Hochenegg  eine 
Frau  als  geheilt  vor,  bei  welcher  er  vor  fünf  Wochen  eine  35  Jahre 
getragene  Struma  cystica  wegen  einer  Kropffistcl  entfernt 
hat.  Vor  sieben  Monaten  war  Strumitis  aufgetreten,  seit  vier 
Monaten  bestand  die  Fistel.  Die  Operation  war  deshalb  sehr 
schwierig,  weil  die  Zyste  durch  entzündliches  Gewebe  mit  der 
Trachea,  der  Glandula  submaxillaris  und  den  großen  Gefäßen 
innig  verwachsen  war.  Erörterung  der  Aetiologie  der  Strumitis; 
möglicherweise  hat  sich  in  dem  demonstrierten  Falle  die  Stru¬ 
mitis  derart  entwickelt,  daß  bei  einer  rracheitisi  die  infizierenden 
Mikroorganismen  auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen  in  die  Struma 
gelangt  sind.  Dafür  würden  die  innigen  Verwachsungen  der¬ 
selben  mit  der  Trachea  sprechen. 

Von  Kropffistel  nach  Strumitis  sind  im  ganzen  16  Fälle 
bekannt.  ,  ■  i  ^  ■ 

Darlegung  des  Begriffes  der  Kropffistel,  ihrer  Aetiologie, 
sowie  pathologischen  Anatomie  und  Klinik  nach  den  Ausfüh¬ 
rungen  Payrs. 

Ueher  die  Histologie  der  Strumitis  ist  sehr  wenig  bekannt, 
ln  dem  vorliegenden  Falle  fand  sich,  dem  Parenchymmantel  der 
Zyste  entsprechend,  ein  Fremdkörpergranulationsgewebe,  das  aus¬ 
gezeichnet  ist  durch  besonders  reichlich  vorlmndene  Riesenzellen. 
Dieselben  finden  sich  um  Kolloidschollen  und  Cholestearinnadelu 
gelagert.  Derartige  Befunde  wurden  einmal  erhoben  bei  einer 
akuten,  nichteitrigen  Thyreoiditis  (de  Quervain)  und  ein  zweites- 
mal  bei  einer  Basedow- Struma  (Farner). 

Prof.  R.  Kraus:  ln  einer  früheren  Arbeit  (Sitzungsbericht 
der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  1905,  Bd.  114) 
konnte  ich  in  Gemeinschaft  mit  0.  Kren  zeigen,  daß  es  ge¬ 
lingt,  bei  Affen  (Macacus  rhesus)  mit  tuberkulösem  Material  von 
Affen  sowohl  als  von  Menschen  Haut(Lupus-)veränderungen  her¬ 
vorzurufen,  die  sich  histologisch  als  Tuberkulose  erwiesen  haben 
und  die  makroskopisch  ein  Bild  darhoten,  welches  dem  liupus 
vulgaris,  Gommes  scrophuleux  und  der  Lymphangitis  tuberculosa 
des  Menschen  ähnlich  sah.  Auch  Neisser  hat  später  über  ähn¬ 
liche  Untersuchungen  berichtet.  Wovon  diese  verschiedene  Form 
der  Hauttuberkulose  abhängen  dürfte,  haben  wir  nicht  entscheiden 
können.  Und  auch  einige  Versuche  mit  Reinkulturen  haben  uns 
zwar  gelehrt,  daß  die  Infektion  haftet;  näheren  Aufschluß  konnten 
sie  uns  nicht  bringen  (Wiener  klinische  Wochenschrift  1905, 
Nr.  43).  Die  Versuche,  mit  Reinkulturen  Hauttuberkulose  zu  er¬ 
zeugen,  habe  ich  wieder  auf  genommen  und  sie  in  Gemeinschaft 
mit  Herrn  Dr.  S.  Grosz  fortgeführt.  Wir  haben  nun  Makaken 
mit  Reinkultur  von  Tuberkelbazillen  verschiedener  Prove¬ 
nienz  geimpft.  Es  wurden  hiezu  Stämme  gewählt,  die  aus  tuber¬ 
kulösen  Organen  von  Menschen  stammen  und  solche,  die  vom 
Rinde  herrühren.  Mit  allen  Stämmen  gelang  es  uns,  Infektionen 
hervorzurufen.  An  der  Impfstelle  entstehen  nach  10  bis  14  Tagen 
Infiltrate,  die  derb  gerötet  sind.  Die  Erscheinungen  können  lang¬ 
sam  wieder  zurückgehen  und  vollständig  mit  Hinterlassung  einer 
geröteten,  strahligen  Narbe  ausheilen. 

Der  tuberkulöse  Prozeß  schreitet  aber  auch  weiter  auf  die 
gesunde  Haut  über.  Diese  Formen  der  ausheilenden  und  fort¬ 
schreitenden  Hauttuberkulose  erhielten  wir  mit  Stämmen  mensch¬ 
licher  Provenienz.  Ein  ganz  anderes  Bild  der  Hauttuberkulosc 
erhielten  wir  nach  der  Impfung  mit  Perlsuchtbazillen.  Die  in¬ 
fizierte  Haut  erscheint  nach  einiger  Zeit  gerötet,  infiltriert  und 
zerfällt.  Der  tuberkulöse  Prozeß  schreitet  auf  die  Nachbarschaft 
über,  indem  wieder  zunächst  die  Infiltration  auftritt,  dann  aber 
wieder  zerfällt  und  große,  tuberkulöse  Geschwüre  bildet.  Ob  es 
eine  Eigenheit  der  Perlsuchtbazillen  ist,  bei  Makaken  diese  mit 
Zerfall  einhergehende  Form  der  Hauttuberkulose  zu  bilden  oder 
ob  nicht  auch  menschlichen  Stämmen  dieser  zukommt,  müssen 
erst  weitere  Untersuchungen  entscheiden.  Jedenfalls  ist  es  auf¬ 
fallend,  daß  wir  bisher  mit  Stämmen  menschlicher  Provenienz 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


Sülche  Furnieii  nicht  erzeugen  konnten.  Wovon  die  Verschieden¬ 
heit  des  Verlaufes  der  durcli  Tuherkelsläninie  ineiischlicher  Pro¬ 
venienz  erzeugter  HauHuherkulose  abhängig  sein  dürfte, 
das  Ausheilen  und  das  Fortsclireiten  der  Affektion,  niiissen 
noch  eingehende  Untersuchungen  entischeiden.  Daßi  Stämme 
derselben  Provenienz  verschiedene  tuherkrdöse  Prozesse  her- 
vorrnfen  können,  haben  Kossel,  Weher  und  HeuB:  ge¬ 
zeigt.  Einzelne  Stämme  führen  bei  Kindern  nach  suhkidaner 
Applikation  zu  lokaler,  fortschreitender  Tuberkulose,  andere 
rufen  nur  lokale  Tuberkulose,  örtlich  begrenzt,  hervor,  die 
spontan  ausheilen  kann.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  auch  die 
llaulaffektionen,  mit  menschlichen  Stämmen  hervorgerufen,  von 
der  Virulenz  der  Stämme  ahhängen  dürften.  Interessant  ist  ein 
Hefund,  den  wir  mit  einem  Stamme  (Septikämie  Löwenstei.n) 
erhielten.  Histologisch  sind  massenhaft  Bazillen  nachweisbar  in 
Zellen  und  aucb  frei  in  Haufen.  Die  anatomische  Veränderung 
ist  aber  nur  sehr  gering  und  geht  vollständig  zurück.  Im  Gegen¬ 
satz  dazu  haben  wir  in  der  erwähnten  Arbeit  bei  den  fortschrei¬ 
tenden,  ausgebreiteten  Formen  nur  spärliche  Tuberkelbazillen  ge¬ 
funden.  Jedenfalls  geht  daraus  hervor,  daßi  die  Menge  der  Bazillen 
im  Gewebe  nicht  maßgebend  sein  muß  für  die  nachweisbaren 
Veränderungen  (Lupus  des  Menschen). 

Zusammenfasisend  kann  man  aus  diesen  Versuchen  schon 
jetzt  schließen,  daß  mit  Reinkulturen  von  Tuberkolb  a  z  i  1- 
1  e  n  verschiedener  Provenienz,  tuberkulöse  .H  au  t- 
a f  f  e k  t  i  o n o n  bei  M  a k  a  k  e n  e r z'e u  g  t  werden  k  ö n  neu,  die 
verschiedenes  Aussehen  d  a  r  b  i  e  t  e  n. 

Dr.  Wahe  Minassian;  lieber  einige  Rassenmerk¬ 
male  der  Armenierinnen.  Ergebnisse  von  Becken¬ 
messungen  an  denselben. 

Während  meiner  nunmehr  zehnjährigen  ärztlichen  Tätig¬ 
keit  im  Orient  hatte  ich  Gelegenheit,  Frauen  und  Mädchen  armeni¬ 
scher  Abstammung,  die  in  meine  Behandlung  gelangten,  auf  ge¬ 
wisse  äußere  Rassenmerkmale  und  speziell  den  Gynäkologen  inter¬ 
essierende  Eigentümlichkeiten,  betreffend  den  Beginn  und  die 
Dauer  der  Menstruation,  die  Fruchtbarkeit  und  die  Beckenweite, 
hin  zu  prüfen. 

Die  Anzahl  der  Fälle,  die  von  mir  nach  diesen  beiden  Rich¬ 
tungen  hin  einem  genauen  Examen  unterzogen  wurden,  ist  aller¬ 
dings  nicht  groß.  Sie  beträgt  etwas  über  600.  Sie  ist  zusammen¬ 
gestellt  aus  Fällen,  die  zum  geringeren  Teile  in  Smyrna  und  in 
Magnesia  bei  Smyrna,  zum  größeren  Teile  aber  in  Konstantinopel 
zur  Beobachtung  gelangt  sind.  Der  Grund,  waiaim  ich  nicht  eine 
größere  Anzahl  von  Fällen  zur  Grundlage  dieser  Arbeit  heran¬ 
gezogen  habe,  liegt  wohl  in  der  großen  Scheu  der  Orientalin 
vor  jeder  eingehenderen  Untersuchung,  so  daß  der  Arzt  nur 
selten  in  die  Lage  kommt,  einen  Fall  auch  gynäkologisch  zu  prüfen. 

Es  ist  eine  von  allen  Ethnographen  und  Sprachforschern 
fast  einstimmig  festgestellte  Tatsache,  daß  die  Armenier  im  großen 
und  ganzen  der  arischen  Rasse  angehören.  Das  alte  armenische 
Hochland,  begrenzt  von  Georgien,  Persien,  Kappadozien  und 
Assyrien,  war  einst  der  Site  zweier  Stämme,  eines  herrschenden 
indogermanischen  und  eines  unterjochten  turanischen  und  das 
heutige  armenische  Volk  ging  aus  der  Vereinigung  dieser  zwei 
Rassen  hervor.  Die  Masse  des  Volkes  ist  brünett,  von  mittlerer, 
gedrungener  Gestalt  und  ausgesprochener  Brachy-,  resp.  Vfeso- 
zephalie,  obgleich  blonde  Elemente  mit  Dolichozephalie  und  großer 
Statur  dai'in  eingestreut  in  allen  Teilen  Armeniens,  vornehmlich 
aber  im  Gebirge  vielfach  Vorkommen. 

Unter  meinen  Fällen  waren  308  Frauen  und  Mädchen  von 
ausgesprochen  brauner  Gesichtsfarbe  mit  schwarzem,  bald  glattem, 
bald  etwas  gekraustem  Kopfhaar  und  dunklen  Augen,  d.  i.  etwas 
mehr  als  die  Hälfte  aller  Fälle.  270,  also  etwas  weniger  als  die 
Hälfte,  halten  minder  dunkle  bis  lichte  Hautfarbe  und  kastanien¬ 
braunes  Kopfhaar  und  nur  22  waren  ausgesprochene  Blondinen 
mit  blauen  Augen  und  ganz  lichter  Gesichtsfarbe. 

Ihre  Köii)erhöhe  betrug  140  bis  150  cm;  sie  waren  also 
klein  bis  mittelgroß  und  ein  boher  Wuchs  kam  unter  ihnen  nur 
selten,  etwa  einmal  unter  100  Fällen  vor. 

Viel  Auffälliges  wies  ihre  Gesichtlsbildung  nicht  auf,  wenn  man 
etwa  von  den  bei  vielen  unter  ihnen  vorkommenden  markanten 
Zügen  des  Antlitzes,  den  großen  Augen  und  dichten  Augen¬ 
brauen  und  von  der  mitunter  stark  proniinierenden  Nase  absieht, 
die  zusammen  jenen  Komplex  von  mehr  oder  weniger  charak¬ 
teristischen  äußeren  Merkmalen  abgeben,  vermöge  deren  im  Orient 
das  geübte  Auge  die  Armenierin  von  der  zumeist  ebenso  brünetten 
Türkin,  Griechin  oder  Jüdin  unterscheidet. 

Die  Konstitution  ließ  bei  vielen  unter  ihnen  zu  wünschen 
übrig.  Sie  waren  zart  gebaut,  schwächlich  und  ihre  hlaßbraune 
Gesichtsfarbe  mit  dem  leichten  Stich  ins  Gelbliche  erhöhte  den 


krankhaften  Eimlruck  ihres  Aussehens.  Ein  anderer  Teil  und  wohl 
auch  der  überwiegende,  war  kräftiger  konstituiert,  erfreute  sich 
einer  gewissen  Körperfülle  und  sah  gut  aus,  was  auch  den  gün¬ 
stigeren  wirtschaftlichen  Verhältnissen,  unter  denen  er  lebte,  voll¬ 
kommen  entsprach. 

432  voll  den  600  Fällen  waren  Frauen  und  168  Mädchen.  Ihr 
Alter  schwankte  zwischen  13  und  55  Jahren. 

Die  Armenierinnen  menstruieren  alle  frühzeitig,  und  zwar 
im  13.  und  14.  Lebensjahr.  Unter  den  angeführten  600  Fällen 
menstruierten  260,  also  etwas  weniger  als  die  Hälfte  oder,  in 
Zahlen  ausgedrückt,  43V3"/o  mit  13  Jahren,  146  (=  24V3Vo)  mit 
14  Jahren.  Bei  84  Armenierinnen  traten  die  Menses  im  12.,  bei 
42  im  11.,  bei  je  25  im  15.  und  16.,  bei  8  im  10.  und  bei  je  5 
im  17.  und  18.  Lebensjahr  ein,  was  den  Prozentsätzen  14,  7, 
6,  iVa  und  0-8  entspricht. 

Menstruationsanomalien  kamen  häufig  vor  und  waren  durch 
Affeklionen  des  Uterus  und  seiner  Adnexe  bedingt.  Bei  den 
meisten  der  600  Fälle  hatte  die  Menstruation  nach  dem  ersten 
Eintreten  mehrere  IMonate  lang  pausiert  und  sich  später  wieder 
dauernd  eingestellt. 

Der  vierwöchentliche  Menstruationstypus,  mit  Ausnahme  von 
sechs  Fällen,  hei  denen  die  Menses  sich  alle  drei  Wochen  ein¬ 
stellten,  war  der  allgemein  gültige.  Bei  dem  weitaus  größten  Teile 
der  Fälle  dauerten  die  Menses  drei  bis  vier  Tage  und  waren  mit 
mehr  oder  weniger  heftigen  Schmerzen  verbunden,  während  sie 
sich  bei  einer  beschränkteu  Anzahl  von  Fällen  von  ein-  bis  zwei¬ 
tägiger,  resp.  fünf-  bis  achttägiger  Dauer  und  ganz  oder  fast 
ganz  schmerzlos  gestalteten.  Es  ist  vielleicht  von  einigem  Inter¬ 
esse,  wenn  ich  hier  nicht  ohne  Erwähnung  lasse,  daß  acht  von 
jenen  Fällen,  die  mit  16,  resp.  17  Jahren  menstruiert  haben, 
durchaus  dem  blonden  Typus  angehörten  und  daß  vier  andere, 
ebenfalls  ausgesprochene  Blondinen,  schon  ndt  elf  Jahren  die 
Periode  bekommen  hatten. 

Das  Klimakterium  tritt  bei  den  Armenierinnen  gewöhnlich 
mit  40  bis  45  Jahren  ein,  aber  die  Fälle  sind  nicht  gar  so  selten, 
in  denen  die  Menses  bei  vorgerückterem  Alter  noch  bestehen. 
Zehn  meiner  Fälle,  darunter  zwei  Virgines,  menstruierten,  ob¬ 
wohl  sie  bereits  irn  Alter  von  47  bis  55  Jahren  standen,  noch 
regelmäßig  und  sahen  auch  sonst  körperlich  wohl  aus.  Anderseits 
trat  das  Klimakterium  infolge  von  anämischen  Zuständen  zu¬ 
weilen  viel  früher,  schon  vor  dem  35.  Lebensjahr  ein.  Unter  den 
432  Frauen,  die,  wie  bereits  erwähnt,  zusammen  mit  den  168  Mäd¬ 
chen  die  600  Fälle  ausmachen,  hatten  400  konzipiert.  Als  höchste 
Zahl  der  Konzeptionen  ergab  sich  elf  u.  zw.  zweimal  bei  fast 
gleichaltrigen  Frauen  von  38  und  40  Jahren;  die  nächst  höchste 
Zahl  war  9  bei  8  Fällen;  dann  folgten  je  8  Konzeptionen  bei  18, 
je  7  bei  7,  je  6  bei  59,  je  5  bei  48,  je  4  bei  64,  jo  3  bei;'  62, 
je  2  bei  56  und  schließlich  je  1  bei  76  Frauen. 

Die  geringere  Anzahl  der  Konzeptionen  setzte  nicht  immer 
ein  jüngeres  Aller  voraus,  sondern  es  gab  Fälle,  in  denen  die 
Frauen  trotz,  ihres  überschrittenen  30.  Lebensjahres  nur  ein- 
oder  zweimal  konzipiert  hatten,  weil  sie  spät  in  den  Ehestand 
getreten  waren.  Es  gab  aber  aucb  solche,  die  vor  vielen  Jahren 
nach  einmaliger  Konzeption  jung  verwitwet  waren  und  sich 
seitdem  nicht  wieder  verheiratet  hatten. 

Interessant  sind  ferner  die  Daten,  die  sich  über  die  Häufig¬ 
keit  des  Abortus  in  denselben  Fällen  ergaben.  Beinahe  die  Hälfte 
davon  hatte  ein-  bis  viermal  abortiert.  Der  Abortus  kam  zumeist 
im  dritten,  seltener  im  zweiten  und  ersten,  noch  seltener  im 
vierten  Schwangerschaf Ismonat  vor.  Der  Abortus  wurde  in  vielen 
Fällen  auf  rohe  Weise,  z.  .B.  durch  Einführung  eines  Holzstabes 
in  den  Uterus,  herbeigeführt,  was  begreiflicherweise  Infektion 
und  Puerperalfieber  mit  mehr  oder  weniger  langer  Dauer  zur 
Folge  hatte.  In  anderen  Fällen  waren  es  verschiedene  Absude 
(Anis,  Safran,  Juniperus,  Oleander  usw.),  die  nach  mehr  oder 
weniger  heftigen  Intoxikationserscheinungen  den  Abortus  be¬ 
wirkten. 

Beachtenswert  war  weiters  das  häufige  Vorkommen  von 
Zwillingsgeburten,  indem  unter  den  400  Fällen  achtmal  Zwillings¬ 
kinder  in  die  Welt  gesetzt  wurden,  was  soviel  heißt,  daß  auf 
jede  50.  Entbindung  eine  Zwillingsgeburt  entfiel. 

Bei  den  übrigen  32  Frauen,  die  nie  konzipiert  hatten,  fand 
ich  Stenosis  cervicis.  Atresia  vaginalis  und  Lageanomalien  des 
Uterus. 

Das  so  wichtige  Moment  der  Beckenweite  habe  ich  eben¬ 
falls  an  diesen  600  Fällen  zu  studieren  versucht,  wobei  ich  zu 
beachtenswerten  Resultaten  gelangte. 

Die  von  der  Schule  aufgestellten  Beckenmaße :  Distantia 
spinarum  25  bis  26  cm,  Distantia  cristarum  ossis  ilei  28  bis  29  cm, 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


91 


Disiaiilia  trochuiileruin  80  bis  81  cm,  Uistanlia  Baudeloque  19  bis 
20  cm,  Coiijugata  diagonalis  12  bis  18  cm,  Coiijugata  vera  lOV^  bis 
IIV2  cm,  die,  meines  Wissens,  nur  aus  Beckeumessungen  an 
Europäei'innen  gewonnen  worden  sind,  entsprechen  einem  be¬ 
deutenden  Teile  der  600  Fälle  nicht.  320  Becken  ei'wiesen  sich 
bei  meinen  Messungen  als  im  großen  und  ganzen  übereinstim¬ 
mend  mit  den  obigen  Maßen.  48  Becken  wichen  schon  hievon 
etwas  ab  und  die  übrigen  232  Becken  zeigten  so  auffällige  Unter¬ 
schiede  von  denselben  Maßen,  daß  ich  mich  veranlaßt  sah,  sie 
von  den  ersteren  abzusondern  und  in  eine  eigene  Gruppe  ein¬ 
zureihen.  ' 

Während  die  Distantia  spinarum  nach  dem  Schulmaße  25  his 
26  cm  beträgt,  zeigte  sich  dieselbe  an  einem  Teile  der  Becken 
dieser  Gruppe  von  nur  22  bis  24  cm  Länge,  wobei  die  Distantia 
cristarum  ossis  ilei  25V2  bis  29  cm  betrug,  so  daß  diese  um 
3V2  bis  5  cm  mehr  ergab,  statt  nur  3  cm  mehr  zu  ergehen.  Die 
Distantia  trochanterum  beträgt  nach  dem  bekannten  Maße  nur 
um  5  cm  mehr  als  die  Distantia  spinarum.  An  diesen  Becken 
aber  betrug  sie  um  6,  7,  8  bis  9  cm  mehr.  Bei  dem  anderen  Teile 
der  Gruppe  betrug  die  Distantia  spinarum  27,  28  und  29  cm,  wo¬ 
bei  die  Distantia  cristarum  sich  his  30  cm  lang  erwies.  Es  war 
überhaupt  auffallend,  daß  an  sämtlichen  Becken  dieser  Gruppe 
der  Unterschied  zwischen  der  Distantia  spinarum  und  jener  der 
Distantia  trochanterum  höchst  selten  nur  5  cm,  gewöhnlich  aber 
6,  7,  8  bis  9  cm  betrug.  Die  Distantia  Baudeloque  betrug  18  bis 
22  cm,  die  Conjugata  diagonalis  zumeist  13  cm  und  auch  mehr, 
so  daß  das  Promontorium  nicht  immer  erreicht  werden  konnte. 

Der  Gedanke,  daß  es  sich  möglicherweise  um  pathologische 
Veränderungen,  also  um  Rachitis,  in  den  Becken-,  resp.  Ober¬ 
schenkelknochen  handle,  war  anfangs  nicht  ganz  von  der  Hand 
zu  weisen.  Allein  er  mußte  fallen  gelassen  werden,  sobald  es 
sich  Lerausstellte,  daß  diese  Ahweichungen  sehr  häufig  (232mal 
unter  den  600  Fällen)  vorkamen  und  somit  einen  gewissen  ein¬ 
heitlichen  Typus  zeigten,  daß  die  der  Rachitis  zukommenden 
Veränderungen  sich  im  ganzen  nur  zehnmal  nachweisen  ließen 
und  daß  die  Fälle,  mit  Ausnahme  weniger  Virgines,  sämtlich 
einmal  bis  mehrere  Male  spontan  und  leicht  geboren  hatten. 

Diese  Erscheinung  konnte  daher  nichts  Pathologisches  an 
sich  haben;  sie  ist  vielmehr  eine  normale  Eigentimdichkeit,  die 
einem  Teile  der  Armenierinnen  zukommt. 

Die  Frage,  warum  diese  Eigentümlichkeit  nicht  von  allen 
Armenierinnen  geteilt  wird,  kann  am  besten  jene  im  Verlaufe 
dieser  Studie  erwähnte  Annahme  beantworten,  wonach  das  heutige 
armenische  Volk  hauptsächlich  aus  zwei  Rassenelementen,  dem 
arischen  und  dem  turanischen,  hervorgegangen  ist.  Die  320  Ar¬ 
menierinnen,  deren  Beckenmaße  mit  jenen  der  Europäerinneir 
ühereinstinirnten,  liefern  hiefür  einen  wertvollen  Beweis.  Die 
übrigen  280  Armenierinnen  mit  den  beschriebenen  Beckeneigeu- 
tümlichkeitcn,  die  höchstwahrscheinlich  turanisch  sind,  vvdirden 
aber  diesen  Beweis  nur  erhärten. 

Dr.  C.  Reitter:  Zur  elifferentiellen  Diagnose  der 
Knochen  Verdickungen.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser 
Wochenschrift.) 

Diskussion ;  Prof.  Lang  erklärt,  daß  M u  1 1  i i)  1  i  z  i  t ä  t  der 
Krankheitsherde  hei  Lues  oft  genug  fehlt.  Singuläre  Krankheits¬ 
herde,  auch  solche  der  Knochen  —  heispielsweise  am  Schädel  — 
können  Jahre  hindurch  für  sich  allein  bestehen. 

Hierauf  führt  Prof.  Dr.  S.  Stern  seinen  am  7.  Dezember 
vorigen  Jahres  begonnenen  Vortrag;  ,,Psychognostische  Er¬ 
klärung  des  statischen  Sinnes“  zu  Ende.  Grundlage  des¬ 
selben  bildet,  wie  der  Vortragende  im  ersten  Teile  seines  Vor¬ 
trages  ausführte,  sein  Werk  „Allgemeine  analytischrsynthetische 
Psychognosis“  (Verlag  Dorfmeister,  Wien- Leipzig). 

Die  Erkenntnis  der  Orientierung  am  Leibes-  und  Weltramn 
setzt  vor  allem  genauere  Kenntnis  der  Ra  um  Wahrnehmung 
voraus.  Diese  erweist  sich  als  eine  Erinnerungshilderverknüpfuug 
von  Leibesbewegungsempfindungen.  Erinnerungsbilder  sind  selbst¬ 
ständige,  geis'ige  Gebilde,  die  von  allen  Empfindungen  und  Ge¬ 
fühlen  Zurückbleiben  und  durch  das  ganze  Lehen  fortbestehen. 
Ihre  Intensität  wächst  mit  der  Zahl  der  Wiederholungen  ihrer 
primären  Empfindungen.  Die  Erinnerungshilder  mehrerer  nach¬ 
einander  folgender  Primärwahrnelnnungen  assoziieren 
sich  miteinander  anfangs  nur  in  lockerer  Weise.  Je  häufiger 
aber  die  Aufeinanderfolge  derselben  primären  Wahrnehmungen 
sich  wiederholt,  um  so  inniger  und  fester  werden  die  Asso¬ 
ziationen  ihrer  Erinnerungsbilder,  so  daß  aus  den  Assoziationen 
schließlich  feste  K o n g  1  o m e r a t e  werden.  Solche  Konglo¬ 
merate  hängen  dann  jeder  der  wieder  auf  tauchenden  Priinär- 
wahrnebmungen  untrennbar  an. 


Jeder  wahr  ge  nomine  ne  Raum  ist  ein  Konglomerat 
von  Erinnerungsbildern  vieler  Bewegungsempfindungen.  Es  gibt 
einen  Sehraum  und  einen  Tas  träum.  Beide  bilden  sich  aus 
den  unuuRrhrochen  sicli  folgenden  Bewegungen  am  Seh-  und 
Tastorgan,  verbunden  mit  deren  Empfindungen.  Der  eigene 
Leihesraum  wird  nur  durch  die  verschiedensten  Bewegungen 
aller  Körperteile,  im  Zusammenhang  mit  irgendeinem  Tastkon¬ 
takt,  zur  Kenntnis  des  Bewußtseins  gebracht,  der  Weltraum 
hingegen  durch  die  verschiedensten  Bewegungen  der  Augen  über 
die  äußeren  Gesichtsfelder.  Um  nun  das  Verhältnis  des  je¬ 
weiligen  Leihesraumes  zum  Weltraum  dem  Bewußtsein  zuzu¬ 
führen,  muß  der  Leibesraum  in  irgendeiner  Normalstellung 
des  Leibes  allen  möglichen  äußeren  Gesichtsfeldern  *  gegenüber- 
gestellt  werden  und  die  sinnliche  Wahrnehmung  des  Verhältnisses 
zwischen  beiden  dem  Bewußtsein  zugefülirt  werden,  so  daß  die 
Erinnerungshilder  dieser  Verhältnisse  durch  häufige  Wiederholung 
der  bezüglichen  sinnlichen  Wahrnehmungen  schließlich  in  feste 
Verbindung  oder  Konglomeration  geraten. 

Kennt  nun  der  Mensch  alle  Bestandteile  seiner  Normal¬ 
stellung  und  alle  jene  Bewegungen  des  normal  gestellten  Leibes, 
die  ihn  mit  den  verschiedensten  äußeren  Gesichtsfeldern  in  Seh¬ 
kontakt  bringen,  dann  ist  auch  seine  Orientierung  über  das 
fragliche  Verhältnis  jederzeit  sichergestellt. 

Die  Elemente  einer  aufrechten  Normalstellung  sind 
verschiedene  T  a  s  t  d  r  u  c  k-  und  Kraft  ä  u  ße  r  u  n  g  s  empfindungen, 
so  z.  B.  Tastdruck  an  der  Fußsohle,  Muskelkraftempfindungen 
an  den  Unter-Oberschenkeln,  Rücken-  und  Nackenmuskeln,  ein¬ 
fache  Druckempfindungen  an  den  verschiedenen  Gelenken,  Fuß- 
Unterschenkeln  und  Kniegelenken. 

Solange  die  genannten  Empfindungen,  wenn  auch  qualität- 
los,  fortbestehen,  ist  der  Mensch  sich  der  aufrechten  Stellung 
seines  Leibes  bewußt,  ebenso  auch  der  verschiedenen  äußeren 
Gesichtsfelder  seiner  Umgebung.  Er  ist  sich  auch  dessen  bewußt, 
mit  welchen  neuen  Bewegungen  seiner  Leibesteile  dieses  oder 
jenes  Weltraumstück  zusammenhängt,  darin  besteht  die  Orien¬ 
tierung.  Aendert  er  seine  Normalstellung  z.  B.  in  eine  hori¬ 
zontal  auf  dem  Boden  aufliegende  um,  so  geschieht  dies  auch 
nur  durch  eine  Anzahl  neuer  Leibesbewegungen,  deren  jede  ein¬ 
zelne  einen  neuen  Weltraumteil  zur  sinnlichen  Wahrnehnumg 
bringt.  Alle  Einzelbewegungen  und  die  ihnen  entsprechenden 
Aenderungen  des  Weltraumes  hinterlasisen  ihre  Erinnerungs¬ 
bilder.  Ist  nun  die  Normalstellung  in  die  neue  horizontale  Rücken¬ 
lage  übergegangen,  so  erkennt  er  diese  neue  Lage  an  dem  Weg¬ 
fall  aller  Bestandteile  der  aufrechten  Normalstellung  und  dem 
Neuauf tauchen  von  T  a  s  t  d  r  u  c  k  an  der  ganzen  rückwärtigen 
Körper  fläche,  ohne  jede  Kraftempfindung.  Ebenso  erkennt 
er  den  neuen  Weltraum  aus  der  Aneinanderreihung  aller  Einzel¬ 
änderungen  während  der  Bewegungen.  Ist  er  aber  bewußtlos  in 
die  Rückenlage  umgefallen,  so  wird  er  beim  Erwachen  eben  nur 
seine  Rückenlage  sofort  erkennen,  nicht  aber  den  ihn  umgeben¬ 
den  Weltraum,  falls  er  zum  erstenmal  im  Leben  in  diese 
Lage  gekommen  war. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  11.  Dezember  1906. 

Vorsitzender :  0  b  e  r  s  t  e  i  n  (>  r. 

Schriftführer:  Pilcz. 

Zu  ordentlichen  Mitgliedern  wurden  gewählt  die  Herren 
Julius  Flesch  und  Max  Kessel  ring. 

Der  Präsident  verliest  eine  Zuschrift  des  niederösterreichi¬ 
schen  Landeskomitees,  betreffend  die  Ausstellung  für  Schulhygiene 
in  London. 

A.  Demonstrationen;  1.  Dr.  Rud.  Neurathdemonstriert 
aus  seinem  Ambulatorium  (I.  öffentliches  Kinderkrankeninstitut) 
ein  vier  Jahre  altes  Mädchen  mit  angeborener  Okulomoto¬ 
riuslähmung.  Bald  nach  der  rechtzeitig  und  spontan  erfolg¬ 
ten  leichten  Geburt  bemerkte  die  Mutter,  daß.  das  Kind  schiele 
und  schon  in  den  ersten  Monaten,  daßi  das  linke  Auge  wenig 
geöffnet  werde.  Die  Anamnese  ergibt  weiter  nichts  von  Belang; 
die  Anomalie  blieb  bisher  stationär.  Wir  sehen  an  dem  Kinde 
eine  starke  linksseitige  Ptosis,  die  nur  ganz  wenig  durch  die 
Funktion  der  Stirnmuskulatur  korrigiert  werden  kann.  Wir 
finden  weiters  eine  hochgradige  Einschränkung  der  Be¬ 
weglichkeit  des  linken  Bulbus  nach  innen  und  die  Beweglichkeit 
nach  unten  und  oben  nahezu  aufgehoben.  Beim  Versuch,  nach 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  3 


unten  zu  blicken,  tritt  Rollung  im  Sinne  der  Trochleariswirkung 
auf.  Nach  außen  ist  die  Beweglichkeit  des  Bulbus  erhalten.  Die 
Pupille  reagiert  prompt,  der  Fundus  ist  normal,  die  Muskulatur 
im  Versorgungsgehiet  des  rechten  Mundfazialis  etwas  weniger 
funktionstüchtig,  die  elektrische  Erregbarkeit  hier  qualitativ  un¬ 
verändert. 

Der  Fall  von  unzweifelhaft  kongenitalem,  einseitigem  Futik- 
tionsdefekt,  der  sich  auf  die  vom  Okulomotorius  versorgten  ex- 
terioren  Augenmuskeln  erstreckt,  ist  in  die  Reihe  jener  Fälle 
von  Funktionsdefekten  der  Hirnnerven  kongenitaler  Natur  ein¬ 
zureihen,  die  zuerst  Moehius  klinisch  gesichtet  und  patlio- 
genetisch  auf  angeborenen  Kernschwund  bezogen  hat.  Es  han¬ 
delt  sich  um  Funktionsausfall,  weil  doppelseitig,  der  verschie¬ 
denen  Augenmuskeln,  öfters  kombiniert  mit  Fazialis-  oder  Hypo- 
glossuslähniung.  Später  hat  Kunn  die  Kasuistik  der  Fälle  in 
lückenloser  Reihe  gesichtet  und  um  schöne  Fälle  bereichert,  gleich¬ 
zeitig  aber  auch  auf  Grund  kritischer  Wertung  wichtiger  Mo¬ 
mente  sich  gegen  die  Annahme  eines  Kernschwundes,  einer  krank¬ 
haften  Schädigung  der  angelegten  motorischen  Stirnkerne  und 
für  eine  Aplasie  des  peripheren  Neurons,  des  Kernes,  des  Nerven 
oder  auch  der  Muskulatur  ausgesprochen.  Ein  von  Heubner 
genau  untersuchter  Fall,  ein  lV2jähriges  Kind  betreffend,  hat 
die  Ansicht  Kunns  sicher  fundiert,  insoferne  sich  tatsächlich 
ein  vollständiges  Fehlen  von  drei  motorischen  Hirnnervenkernen 
ohne  jedes  Zeichen  von  Entzündung,  Pigmentierung  oder  Sklero¬ 
sierung  ergab. 

Ich  möchte  aus  der  Kasuistik  der  letzten  Jahre  nur  zwei, 
auch  histologisch  untersuchte  Fälle  hervorheben,  den  von  Mar¬ 
fan  und  Armand- Delille,  die  bei  einem  SVa  Monate  alten 
Kinde  mit  Funktionsdefekt  des  rechten  Fazialis  und  Verbildung 
der  Ohrmuschel  und  das  Gehörganges,  Fehlen  des  Fazialis- 
stanmies  im  extra-  und  intraossalen  Verlaufe,  Fehlen  des  Akusti- 
kus  und  des  inneren  Ohres  und  Verbildung  des  Felsenbeines 
fanden.  An  der  Stirnbasis  waren  Akustikus  und  Fazialis,  aller¬ 
dings  atrophisch,  zu  erkennen.  Die  Kerne  des  Abduzens  und 
Fazialis  waren  auf  der  betroffenen  Seite  zellärmer  und  zeigten 
alle  Kriterien  der  Atrophie.  Die  Autoren  nehmen  an,  daß  die 
gestörte  Entwicklung  des  Felsenbeines  zur  Schädigung  des  Nerven- 
stammes  geführt  habe  und  daß  erst  sekundär  —  wie  nach  alten 
Fazialislähmungen  —  die  Kernzellen  atrophiert  wären. 

Zu  anderen  Resultaten  kamen  Rainy  und  Fowler  bei 
histologischer  Untersuchung  eines  Falles  von  doppelseitiger  Fa¬ 
zialislähmung,  ein  zehn  Wochen  altes  Kind  betreffend.  Sie  fanden 
bei  Mar chi -Untersuchung  ausgesprochene  Degenerationen  in 
allen  Partien  der  Fazialiswurzel  und  die  Fazialiskerne  selbst 
reich  an  Ganglienzellen  von  dem  ausgesprochenen  Charakter  hoch¬ 
gradiger  Degeneration,  die  Ni  s  sei  sehen  Körper  irregulär,  die 
Fortsätze  schlecht  entwickelt.  Es  müsse  sich  nach  Ansicht  der 
Autoren  um  eine  allmähliche  Wirkung  toxischer  Produkte  auf 
die  Zentren  handeln,  also  um  einen  Kernschwund;  vielleicht  wäre 
im  Heubner  sehen  Falle,  in  dem  cs  sich  um  ein  Kind  im  zweiten 
Lebensjahre  handelte,  der  Prozeß  schon  abgelaufen  gewesen  und 
wären  die  Zeichen  der  Atrophie  schon  einem  Ruhestadium  ge¬ 
wichen,  das  die  Kernagenesie  vortäuscht. 

Von  den  bisnun  publizierten  anatomischen  Befunden  ange¬ 
borener  Funktionsdefekte  im  Bereiche  der  Hirnnerven,  spricht 
also  der  Fall  Heubners  zugunsten  der  Annahme  einer  kon¬ 
genitalen  Kernaplasie,  der  von  Marfan  und  Armand-Delille 
nach  Auffassung  der  Autoren  für  eine  Entwicklungsstörung  des 
peripheren  Nervenstammes  und  die  Beobachtung  von  Rainy 
und  Fowler  wird  im  Moebiusschen  Sinne  als  kongenitaler 
oder  pränataler,  degenerativer  Kernschwund  aufgefaßt. 

Ich  kann  nun  über  den  weiteren  Verlauf  und  den  anato¬ 
misch-histologischen  Befund  des  Falles  von  multiplen  Mißbil¬ 
dungen  und  einseitigem  Funktionsdefekt  des  Fazialisgebietes  be¬ 
richten,  den  ich  der  geschätzten  Gesellschaft  vor  einigen  Mo¬ 
naten  vorgestellt  habe.  In  obductione  fanden  sich  noch  mannig¬ 
fache  Verbildungen  innerer  Organe.  Die  Nervenkerne  und  Hiim- 
nervenstämme  waren  vollständig  normal,  leider  waren  mir  Mus¬ 
kulatur  und  periphere  Nerven  nicht  reserviert  worden,  doch  spricht 
der  normale  Befund  des  Zentralnervensystems  in  diesem  Falle 
am  ehesten  für  die  Annahme  einer  pränatalen  Entwicklungshem¬ 
mung  der  peripheren  motorischen  Organe,  also  kongenitaler 
Muskeldefekte  oder  -dysplasien. 

Derartige  primäre  Muskelaplasien  müssen  keine  sekundäre 
Gangliopexie  (der  Kerne)  im  Gefolge  haben. 

Diskussion:  Obersteiner  schließt  sich  ganz  der  An¬ 
schauung  des  Referenten  an  und  betont  auch  seinerseits  speziell 


wieder,  daß  auch  die  genaueste  Untersuchung  des  VH.  Kernes 
nicht  den  geringsten  pathologischen  Befund  ergab. 

Alexander  fragt,  ob  das  Ganglion  geniculi  untersucht 
worden  ist.  In  dem  demonstrierten  Falle  bestanden  Ohrverände¬ 
rungen.  Die  kongenitale  Taubheit  liefert  außerordentlich  häufig 
gleichfalls  einen  vollkommen  negativen  Befund  im  Kerngebiet 
und  in  diesen  Fällen  scheinen,  wie  aus  embryologischen  Unter¬ 
suchungen  hervorgeht,  die  primären  Veränderungen  in  einer 
Hypoplasie  des  Ganglion  acusticum  gegeben  zu  sein.  Nachdem 
das  periphere  Akustikus-  und  das  Knieganglion  aus  einer  gemein¬ 
samen  Anlage  hervorgehen,  wäre  es  wohl  möglich,  daß  besonders 
die  mit  Störungen  im  Ohrgebiet  kombinierten  kongenitalen  Paresen 
des  VH.  Kernes  auf  kongenitale  Veränderungen  des  Knie¬ 
ganglions  zurückgehen. 

Neurath  erwidert,  daß  das  Ganglion  nicht  untersuch! 
wurde.  Man  fand  auch  gelegentlich  eine  Aplasie  des  Felsenbeines 
und  speziell  französische  Autoren  wollen  darin  den  Silz  der 
Läsion  erblicken.  Allein,  es  ist  dabei  nicht  gut  zu  begreifen, 
warum  gerade  nur  gewisse  Gebiete  im  Bereich  des  VH.  Kernes 
steärker  betroffen  sind. 

2.  Marburg  berichtet  unter  Demonstration  zahlreicher 
histologischer  Präparate  über  eine  im  Institut  Obersteiners 
ausgeführte  Arbeit  von  Myake  (aus  Tokio).  (Erschien  in  extenso 
in  den  Arbeiten  aus  dem  neurologischen  Institut  der  Wiener 
Universität,  Bd.  13.) 

B.  Vortrag  von  Feri:  Zur  vergleichenden  Ana¬ 
tomie  der  Akustikuskerne  in  der  Säugetier  reihe.  (Er¬ 
scheint  demnächst  anderwärtig  ausführlich.) 


Programm 

der  am 

Freitas:  den  i8.  Januar  <907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Dr.  Ed.  Laug  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  0.  v.  Frisch:  Technik  der  Sehnennähte.  (Demonstration.) 

2.  Dr.  Martin  Engländer:  Der  Harntemperatur  einfache  Messung 
und  Bedeutung  als  Körpertemperatur. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Regimentsarzt  Dr.  Doerr 
und  Dr.  Oskar  Seineleder. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  reclitzeltisre  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  uocU  am  Sltziiugrsabeud  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Escherich  Donnerstag  den  17.  Januar  1907,  um  7  Uhr 

abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  Escherich. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr.  Beta  Schick:  Ueber  die  Nachkrankheiten  des  Scharlachs. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag,  den  21.  Januar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des 
Herrn  Prim.  Doz.  Dr.  Lotheisen  slattfindenden  wissenschaftlichen 

Versammlung. 

Assistent  Dr.  N,  v.  Jagid:  Die  Untersuchung  des  Blutes  und  ihre 
diagnostische  Bedeutung. 


Wiener  Dermatologische  Gesellschaft. 

Einladung  zu  der  am  28.  Januar  1907  (Mittwoch)  um  ‘/a®  Uhi'  •‘vbeiids 
im  Hörsaale  der  Klinik  Riehl  stattfindenden  Sitzung. 
Tagesordnung: 

1.  Administrativer  Dienst. 

2.  Demonstrationen  von  Kranken. 

3.  Dozent  Dr.  Oppenheim :  Ueber  Phosphaturie  bei  Gonorrhoe. 

Brandweiner.  Fiuger. 


Varan twortlichtr  Badaktaur:  Adalbert  Earl  Trapp.  Varlag  ron  Wilhelm  BranmBller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIIt..  ThoresiengasBe  3. 


„Wleuer  kllulsclie 
Woclieiisclirifi'* 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 


Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Ghrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Faltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

,  Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Sohrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  In  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


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Telephon  Nr.  17  .618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  24.  Januar  1907. 


Nr.  4. 


INH 

I.  Originalartike! :  1.  Aus  der  Kinderspitalabteilung  der  allgemeinen 
Poliklinik  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  Alois  Monti.)  Zur  I 
Kasuistik  der  malignen  Tumoren  der  Nierengegend  im  Kindes¬ 
alter.  Von  Dr.  T.  0  s  h  i  m  a,  Japan. 

2.  Aus  der  Klinik  Chrobak.  Ueber  einen  seltenen  Ausgang  einer 
Tubar-Gravidität  Von  Dr.  Konstantin  I.  Bucura,  Assistenten 
der  Klinik. 

3.  Aus  dem  gewerkschaftlichen  Krankenhause  in  Orlau.  Ueber 
Schußverletzungen  des  Pankreas.  Von  Dr.  Josef  Gebiet, 
chir.  Ordinarius. 

4.  Aus  der  I.  chirurgischen  Abteilung  der  k.  k.  Krankenanstalt 
Rudolfstiftung.  (Primararzt  Doz.  Dr.  Karl  Funke.)  Penetrierende 
Schußverletzung  des  Abdomens  durch  eine  Exerzierpatrone. 
Von  Dr.  Artur  Neudörfer,  dzt.  Volontärarzt  der  Klinik 
Chrobak. 

5.  lieber  Asthmabehandlung.  Von  Dr.  W  Siegel,  Arzt  in  Bad 
Reichenhall. 

6.  Bemerkungen  zu  der  Erwiderung  Prof.  Kreibichs  auf  meinen 
Vortrag  „Die  Angioneurosenlehre  und  die  hämatogene  Haut¬ 
entzündung“.  Von  Dr.  Ludwig  Török,  Budapest. 


ALT: 

n.  Referate:  Ueber  Vorschläge  zu  Reformen  des  Hebammenwesens 
und  die  Bekämpfung  des  Puerperalfiebers.  Von  E.  Eckstein. 
Indikationsverschiebungen  in  der  Geburtshilfe.  Von  A.  M er¬ 
mann.  Ueber  die  Verletzungen  des  Kindes  während  der  Geburt. 
Von  K.  Birnbaum.  Indikationen,  Erfolge  und  Gefahren  der 
Atmokausis  und  Zestokausis.  Von  L  Pincus.  Die  Mechanik 
der  Geburt.  Von  Hugo  S  e  1 1  h  e  i  m.  Die  Beziehungen  des 
Geburtskanales  und  des  Geburtsobjektes  zur  Geburtsmechanik. 
Von  Hugo  Seilheim.  Die  neue  königliche  Frauenklinik  in 
Dresden.  Von  Prof.  Leopold  und  Geh.  Baurat  Reich  eit. 
Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  der  weiblichen 
Sexualorgane.  Von  A.  Foges  und  Dr.  0.  Fellner.  Handbuch 
der  Geburtshilfe.  Von  F.  v.  Win  ekel.  Untersuchungen  über 
den  Bau  der  menschlichen  Tube  zur  Klärung  der  Divertikelfrage 
mittels  Modellrekonstruktion  nach  Born.  Von  Dr.Paul  Kroemer. 
Ref. :  K  e  i  1 1  e  r. 

ill.  Aas  yerschiedeaen  Zeitschriften. 

IV.  Tlierapeulisclie  Notizen. 

V.  Nekrolog.  Wilhelm  Ritt.  v.  Hartei.  Von  Sigmund  Exner. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

VII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


Aus  der  Kinderspitalabteilung  der  allgemeinen  Poliklinik 
in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  Alois  Monti.) 

Zur  Kasuistik  der  malignen  Tumoren  der 
Nierengegend  im  Kindesalter. 


Von  Dr.  T.  Oshima,  Japan. 

Die  malignen  Niereiiliimoren,  an  sich  wohl  eine  von 
den  selteneren  Erkrankungen,  haben  für  den  Kinderarzt 
deshalb  erhöhtes  Interesse,  weil  sie,  wie  die  meisten  Au¬ 
toren  statistisch  nachweisen  konnten,  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  dem  Kindesalter  angehören.  Eine  kleine 
diesbezügliche  Uebersicht  möge  dieses  Verhalten  illustrieren. 


Roberts^)  fand  unter  67  Fällen 
Rohrer2)  „  „  107  „ 

Ebstein^)  „  „  102  „ 

Hirschspring^)  „  „  69  „ 

Winalcr^)  „  „  40  „ 

Im  Kindesalter  selbst  finden  wir 
fünf  Jahre  ganz  besonders  bevorzugt. 
Monti^)  fand  unter  50  Fällen  44 

Walker®)  „  „  138  „  116 

Steffen«)  „  „  219  „  168 

LachmannO  „  „  251  „  81 

Guillet^)  „  „  132  „  45 


47 
37 
39 
39 
33 
wieder 


bei  Kindern 
unter 
10  Jahren 

die  ersten 


unter  5  Jahren 

»  5  n 

h  „ 
n  h  „ 

„  5 


*)  Zitiert  nach  Senator,  Erkrankungen  der  Niere,  Nothnagels 
Handbuch,  XIX,  1. 

Rohrer,  Das  primäre  Nierenkarzinom.  Dissertation,  Zürich  ISTL 
Zitiert  nach  Steffen,  Die  malignen  Geschwülste  im  Kindi's- 
alter,  1905. 

O  Monti,  in  Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankheiten  1878,  III,  1. 
®)  Walker,  Annals  of  Surg.  1897. 

Steffen,  Die  malignen  Geschwülste  im  Kindesalter.  Stuttgart  1905. 


Außerdem  sind  Fälle  in  der  Literatur  iiiedergelegt,  wo 
es  sich  um  derartige  Geschwülste  heim  Neugeborenen  ge¬ 
handelt  hat  (Weigert,^)  Semb,^)  Hasse,^)  Jacobi^*^)  und 
andere).  Das  Auftreten  solcher  Tumoren  in  den  ersten 
Lebensjahren,  sogar  schon  beim  Neugeborenen,  legte  den 
Gedanken  nahe,  daß  dieselben  kongenitalen  Ursprungs 
seien,  daß  bereits  im  Fötus  der  Grundstein  zum  Baue  dieser 
Geschwülste  gelegt  sei. 

Diese  Annahme  wurde  noch  wahrscheinlicher  gemacht, 
als  man  den  eigentümlichen  Bau  der  meisten  dem  ersten 
Kindesalter  angehörigen  Nierentumoren  in  Berücksichtigung 
zog.  Die  überwiegende  Anzahl  derselben  gehört  den  so¬ 
genannten  ,, Mischgeschwülsten“  au,  Neubildungen,  in  denen 
die  verschiedensten  Gewebselemente  anzutreffen  sind. 

Man  war  früher  gewohnt,  rein  nach  dem  histologischen 
Bau  diese  Tumoren  zu  klassifizieren  und  je  nach  den  am 
hervorragendsten  vertretenen  Ge  websarten  zu  differenzieren. 
So  wurden  sie  vielfach  in  der  Literatur  als  Sarkome, Karzinome, 
Myxosarkome,  Adenosarkome,  Adenokarzinome,  alveolare 
Sarkome,  Sarkome  mit  eingelagerten  Muskelzellen  und  so 
weiter  geführt. 

Es  war  das  Verdienst  Birch-Hirschf elds,^^)  darauf 
hingewieseii  zu  haben,  daß  alle  diese  Tumoren,  mögen  sie 
histologisch  auch  weithin  differenzierbar  sein,  doch  gene¬ 
tisch  einer  einheitlichen  Gruppe  angehören. 

9  Weigert,  Virchows  Archiv,  Bd.  57,  S.  492. 

*)  Semb,  Zentralblatt  für  Gynäkolog.  1894. 

®)  Hasse,  Ziemsens  Handbuch,  Bd.  9.  S.  129. 

'®)  Jacobi,  Journal  of  obstetrics  1880. 

’9  Birch-Hirschfeld,  Zentralblalt  für  Erkrankungen  dec.Harn- 
und  Sexualorg.  1894. 


94 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


Sic  seien  v()ii)(‘hjnlif'h  ciiarakterisieii  durcli  das  koii- 
slaiile  \'ürkonini('ii  von  qii'-]‘u:i*slreilter  .Muskulatur  und  \  oii 
di'üsigeu  Elenient(*u.  J>  i  i  cli-11  i  rs  c  li  te  1  d  laßl  sie  uiilei' 
der  llezwcliiiung  d(‘r  ,,eiul)ryonal<ui  i  )rüseiigeschwulsl  der 
A’iereugegeiul  ini  Kindesalter  d-'Jnhryonales  Ad(Mii)sarkoni)“ 
zusainineii.  Mit  l{ück;siclil  auf  den  JRd'und  der  qu('rgesii*eif(en 
Muskulatur,  einem  (tewebe,  das  in  der  norjualen  Ai(*re  nicht 
anzutrefieji  ist,  leitet  er  den  Ursiu'ung  dieser  Tuiuoj'en  aus 
versprengten  l{est('n  des  Wolt'f sehen  Körpers  al),  dessen 
Zwisehengewebe,  wie  schun  K berth  nachgewiesen  hat,  seJir 
i'eieh  ist  an  l\(ninz(‘lleii  für  JMusk(dzelJen  und  Bindegewebe; 
außerdem  s(hen  räumlich  sehr  (uige  Bezieh iingeii  zwisclum 
dem  A\’ ul  rischen  Körper  und  der  .\i(U’('nanlage  vorhanden. 
Auch  die  scharfe  Abgrenzung  (li(‘S(U-  Tumoren  gegen  das 
A'ierengewebe  gälx*  zu  der  Anschauung  \’oranlassung,  daß 
die  Entstehung  di(‘S(U'  (ieschwülste  außerhalb  der  A’iere  zu 
suchen  sei. 

AAiiientlich  mit  Bihdcsiclit  auf  dieses  letzte  Verhalten 
haben  dann  auch  amhu'e  Autoren  fllib  bert,^“0  Pert  bes.^'O 
\’ugler^‘^)  den  Ursiirung  derartiger  'rumoren  außerhalb  der 
A'iere  gesucht. 

Im  Jahre  18ÜÜ  sind  fast  gleichzeitig  drei  Arbeiten  er¬ 
schienen,  die  sich  eingehend  mit  dem  Thema  beschäftigten, 
es  sind  die  von  Muus,^"’)  Busse^*^)  und  die  erschöpfende 
Bearbeitung  von  Wilnis.^') 

IMuiis  kommt  auf  (li'und  der  histologiscben  Enter- 
suchung  von  sechs  hieher  gehörigen  Eällen  zu  der  Annahme, 
daß  es  nicht  notwendig  sei,  dii'  Entwicklung  dieser  Ge- 
scdiwülste  außerhalb  der  A'nu’e  zu  suchen,  da  in  der  embryo¬ 
nalen  Aiere  ein  Gewebe  zu  finden  ist,  welches  gerade  einen, 
dem  Geschwulstgewelie  sein  ähnlichen  Bau  zeigt;  die  Ent¬ 
wicklung  der  Tumoren  gehe  in  iler  Winse  vor  sich,  daß  ein 
abgegrenzter  Teil  der  Aierenanlage  in  einer  früheren  Zeit 
des  Eötalleheiis  eine  pathologische  Wucherung  eingehe, 
während  die  ülirigen  'Teile  normal  foiTwuchern.  IGir  die 
Entstehung  dei'  (luergestreitieu  Muskidatur  läßt  er  die  Frage 
offen,  ob  sie  auf  \Vucheruiig  der  Mesodermzellen  in  frühester 
Zeit  der  Aierenanlage,  wo  durch  exzessive  Wucherung  der- 
scdben.  nicht  nur  die  verschiedenen  Bindegewidismodifika- 
tionen,  sondern  auch  Muskulatur  gebildet  wurde,  zurück¬ 
zuführen  sei,  oder  oli  sie  durch  Metaplasie  aus  glatter  AIus- 
kulatur  hervorgebt.  Als  Bildungsstätte  für  die  epitbelialen 
Bestandteile  d(U'  Geschwülste  betrachtet  Muus  elienfalls 
die  Aierenanlage,  nicht  die  Frniere  (Birch- II  i  rsch  fe  I  d). 

ln  ganz  ähulicher  Weise  sucht  auch  Busse  den  Ur¬ 
sprung  der  'Tumoren  in  der  Aiere  sellist.  Die  Geschwülste 
stimmen  in  der  Struktur  durc  haus  mit  der  in  der  Entwicklung 
begriffenen  Aiere  überein.  ,,Ein  Abschnitt  der  Agiere'  gerät 
auf  irgendwelche,  uns  nicht  näher  bekannte  \'eranlassuug 
in  Wucherung,  an  der  sich  sowohl  das  Ei)ith(d,  wie  auch 
(las  interstitielle  Geuvebe  beteiligt.  Das  Produkt  dieser  Wu¬ 
cherung  sind  unreife  oder  reife  drüsige  oder  krebsige  Bil¬ 
dungen  einerseits  und  unreife  oder  i’eife  Eormen  des  fibro¬ 
muskulären  Gewebc's  anderseits,  aus  dem  sieb  durch  Meta¬ 
plasie  andere'  Gewebstypeii,  wie  quergestreifte  Muskelfasern 
oder  Knorpc'l  ('iitwickeln  können.“ 

Die  eingehendste  Arbeit  über  dc'n  Gegenstand  in  den 
letzten  Jahren  verdanken  wir  Wilms.  Auf  Grund  seiner 
umfassenden  Untersuchungen  kommt  der  Verfasser  zu  der 
Anschauung,  daß  die  embryonalen  Aierenturnoren  bereits 
zu  einer  Zeit  entstehen,  in  webdier  'Teile  des  Mesoderms 
sich  in.  einem  Etadium  befinden,  wo  auch  die  Urniere  noch 
nicdit  ausgehildet  ist.  Es  handelt  sich  um  eine  Versprengung 
von  Tc'ilen  des  Urwirbels  (Myotorn)  und  von  Elementc'ii  der 
Urnierenanlage  (Aeplirotom  und  Teile;  des  Mesenchyms), 
die  dann  gewissermaßen  uubenützt  liegen  bleiben,  um  sich 
dann  später,  wenn  die  bleibende  Aiere  zur  Entwicklung 

'h  Ribberl,  Virchows  Archiv,  Bd.  80. 

‘h  Perthes,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1896,  Bd.  42. 

’*)  Vogler,  Iiiaug.-Dissertaliou  Müiicheii  1897. 

'^)  Muus,  Virchows  Archiv,  Bd.  l.äÖ. '  ■ 

‘®)  Busse,  Virchows  Archiv,  Bd.  157.  ■' 

‘h  VVilms,  Die  Mischgeschwülste  der  Niere.. 


gelangt,  in  derselben  u.  zw.  unter  dem  Bilde  eines  degene¬ 
rierten  'J'eiles  derselben  weiter  zu  entwickeln.  Daß  diese 
Geschwülste  fibröses,  myxomatoses,  elastisches  Gewebe, 
Fettgewebe,  Knochen-  und  Knorpelgewebe,  glatte  und  quer¬ 
gestreifte  Muskulatur,  endlich  drüsige  Bildungen  enthalten, 
erklärt  sich  daraus,  daß  sie  aus  Zellen  des  Myotoms,  des 
Mesenchyms  und  der  Mittelplatte  oder  in  letzter  Instanz 
aus  Zellen  des  mittleren  Keimblattes  hervorgehen.  Wilms 
greift  also  bezüglich  der  Genese  dieser  Tumoren  bis  auf  die 
Mesodermzellen  zurück. 

Die  Theorie,  die  Wilms  aufgestellt  hatte,  ist  nicht 
ohne'  (iegner  geblieben,  ln  neuerer  Zeit  hat  u.  a.  JenkeG*^) 
auf  Grund  seiner  Befunde  und  im  Anschluß  an  die  An¬ 
schauung  von  Muus  und  Busse  gegen  die  Wilms  sehe 
Deutung  Etellung  genommen.  Der  Autor  faßt  seinen  Stand¬ 
punkt  folgendermaßen  zusammen:  ,,Es  ist  nicht  nötig,  für 
alle  Aierengeschwülste  nach  der  Hypothese  von  Wilms 
eine  Keimversprengung  aus  frühester  Eötalperiode  anzu¬ 
nehmen,  da  in  der  Aierenaiüage  selbst  ein  Gewebe  vor¬ 
handen  ist,  aus  welchem  sich  alle  Bestandteile,  welche  die 
Mischgeschwuüst  zusammensetzen,  erklären,  resp.  ableiten 
lassen.  Das  Vorkommen  ektodermaler  Bestandteile  in  diesen 
kompliziert  zusammengesetzten  Aiereidumoren  spricht  eher 
gegen  als  für  die  Theorie  von  AVilms,  da  die  Beziehungen 
zwischen  dem  Wolff  scheu  Gange  und  Ektoderm  erst  her- 
vortreteii  zu  einer  Zeit,  wo  die  Differenzierang  des  Meso¬ 
derms  in  Myo-  und  .Aeplirotom  bereits  durchgeführt  ist. 
Jedenfalls  lassen  sich  die  oktodermalen  Bestandteile  durch 
Etörungen  in  dem  späteren  Stadium  der  Entwicklung  als 
Produkte  der  Aierenkeimanlage  selbst  erklären.“ 

Aus  der  vorstehenden  kurzen  Skizzierung  läßt  sich  er¬ 
sehen,  wie  wenig  geklärt  noch  bis  heute  die  Entwicklungs¬ 
geschichte  dieser  komplizierten  Tumoren  ist,  ivie  differierend 
die  Anschauungen  der  einzelnen  Autoren  sind. 

Darüber  herrscht  wohl  Einigkeit,  daß  die  hier  in  Frage 
kommenden  Geschwülste  einer  einheitlichen  Gruppe  ange¬ 
hören,  daß  dieselben  kongenitalen  Ursprungs  sind;  (^ler  von 
Birch-llirschf eld  eingefühiie  Aaine  des  „embryonalen 
Adenosarkoms“  wird  von  den  meisten  Autoren  als  zweck¬ 
mäßig  akzeptiert. 

Die  embryonalen  Mischgeschwülste  der  Aiere  lassen 
sich  durch  folgende  Syniptome  einigermaßen  charak- 
lerisieren.  f 

1.  Gehören  sie,  wie  schon  oben  betont,  mit  geringen 
Ausnahmen  (Hoishol  t,’^)  l\Iuus,  Busse,  Jenkel)  dem 
ersten  Kindesalter  an. 

2.  Zeichnen  sie  sich  durch  ein  exzessiv  rasches  Wachs¬ 
tum  aus.  ln  kurzer  Zeit  erreichen  die  'Tumoren  eine  be¬ 
trächtliche  Größe,  man  findet  Geschwülste,  die  eine  Bauch¬ 
hälfte  vollständig  einnehmen,  ja  sogar  die  Mittelliuie  über¬ 
schreiten,  während  den  Eltern  der  zunehmende  Banchumfang 
ihres  Kindes  erst  seit  wenigen  Wochen  auffällt. 

3.  Die  embryonalen  Mischgeschwülste  der  Aiere  greifen 
selten  aut  Nachbarorgane  über  und  zeigen  geringe  Nei¬ 
gung  zu  Metastasenbildung  (Birch-Hirschf  el  d  u.  a.). 

Aach  Birch-Hirschf  eld  handelt  es  sich  in  den  sel¬ 
tenen  ,Uälle]i  von  Metastasen bildung  um  große  Geschwülste, 
welche  die  Kapsel  durchbrochen  haben  und  hier  spricht 
der  Sitz  der  sekundären  Geschwidst  für  embolische  Ver¬ 
schleppung;  in  keinem  Fall  scheint  eine  Metastase  durch 
die  Lynqdibahn  nachgewiesen,  insofern,  als  Metastasen  in 
(len  Lymphdrüsen  fehlen. 

ln  rien  fällen  von  Busse  wird  voir  Metastasen  nichts 
erwähn!,  bei  Muus  findet  sich  uider  sechs  Fällen  einmal 
eine  Metastase  in  der  Leber. 

4.  Von  den  meisten  Autoren  wird  angegeben,  daß  der 
Tumor  stets  gegen  das  Aierengewebe  durch  eine  mehr  oder 
minder  dicke  Bindegewebsschichte  scharf  abgegrenzt  ist. 
Dabei  kann  der  'Tumor  durch  sein  Wachstum  einen  großen 
'leil  des  Organs  durch  Druck  zur  Atrophie  oder  zum  Schwin- 


‘h  Jenkel,  Zentralblatt  für  Chirurg.,  Bd.  60,  S.  500. 
"•j  Hoisholt,  Virchows  Archiv,  Bd.  104. 


Nr.  4 


WIKNEU  KLINISCHE  WOCHENSCHKlET.  1907. 


95 


(len  l)ringeu.  lnfillri(‘rl  wird  das  Ni(M’ono('w(d)('  g(‘W()liiilic]i 
iiicdit  von  den  Tuniorinasson. 

Außer  dies('n  „embryonalen  MiscbgesclivvüLslen“  d(n‘ 
Aiere  finden  sieb  bei  Kindern  Tninoren  der  Nierengegend, 
die  unter  den  malignen  Nierenlumonm  abgehandelt  \verd(‘n, 
klinisch  wohl  als  solche  imponieren,  ibren  Ansgangspnnkl 
jedoch  vielfach  von  (h'r  rmgel)nng  ( Ncdienniere,  pnrirrvnales 
(lewebe,  retroperiloneale  IJrüsen)  nehmen,  die  Ni(n'e  in  ihren 
Bereich  ziehen,  mit  ihr  verwachsen,  oder  sie  vielfach  in¬ 
filtrieren.  linier  den  219  Bällen  Steffens  geht  der  Tumor 
viermal  von  den  retroperilonealen  Drüsen  aus  (iVlonti-* *^) 
[zwei  Fälle],  Wiederh  of  er,^^)  W'inge““).  ln  derselb(m 
Zusammenstellung  finden  sich  neun  Geschwülste,  die  ihren 
Ausgang  von  der  Nebenniere  nehmen  (die  Fälle  von  Cohn,^''^) 
Selter,“'^)  Carpenter,“]’)  lliiyter,“'^)  Pitt  man  n,-F 
P  e  p  p  e  r,“®)  Dickinson,-®)  11  e  i  m  a  n  n,®®)  Barn  a  r  d  '* ’ )  uml 
in  einer  jüngst  erschienenen  Arbeit  von  R  a  c h  m  a  n  i  n  o  w,®®) 
der  sechs  maligne  Tumoren  der  Nierengegend  heschreibt, 
finden  sich  drei  von  der  Neljenniere  ausgehende  Fälle. 

Diese  Tumoren  zeigen  nicht  den  charakteristischen 
Bau  der  embryonalen  Mischgeschwülste,  wachsen  nicht  so 
exzessiv  rascli  wie  diese,  greifen  häufig  auf  die  Umgehung 
über  uml  zeigen  eine  auffallende  Neigung  zu  Metastasen¬ 
bildung.  Von  den  drei  näher  zu  beschreibenden  Fällen  ge¬ 
hören  zwei  dieser  Kategorie  an,  während  der  erste  Fäll 
eine  typische  embryonale  Mischgeschwulst  der  Niere  vor¬ 
stellt.  Nachstehend  die  Krankengeschichten: 

Fall  1.  C.  K.,  am  21.  März  1905  in  der  Kinderambulatiz 
der  Poliklinik  erschienen.  Das  2V4jälirige  Mädchen  ist  am  nor¬ 
malen  Schwangerschaftsende  geboren.  Brustkind,  glänzendes  Ge¬ 
deihen,  angeblich  ohne  Störungen;  keine  Rachitis. 

Das  Kind  war  bisher  niemals  krank.  Bis  vor  drei  Tagen 
wurde  von  seiten  der  Eltern  nichts  Ahnormes  bemerkt.  Um  diese 
Zeit  kam  es  zu  plötzlichem  Erhrechen,  das  am  seihen  Tage 
sich  mehrere  Male  wiederholte ;  gleichzeitig  hegann  das  Kind 
über  Schmerzen  im  Unterleib  zu  klagen,  die  sich  zeitweise  so¬ 
gar  zu  krampfartigen  Anfällen  steigerten,  während  deren  es  neuer¬ 
dings  zu  Erhrechen  kam.  Das  Gehrochene  soll  Speisereste,  ge¬ 
mischt  mit  Schleim,  enthalten.  Stuhl  normal.  Der  Urin  soll  klar, 
jedenfalls  nicht  hlutig  gefärbt  gewesen  sein. 

Der  Vater  des  Kindes  ist  angeblich  stets  gesund  gewesen, 
die  Mutter  leidet  an  einer  ,, Senkung  der  Niere“.  (Selbe  lebt  in 
einer  Provinzstadt  und  kam  uns  nicht  zu  Gesicht.)  Bemerkens¬ 
wert  ist  es,  daß  ein  Onkel  des  Kindes  (Bruder  der  Mutter)  an 
einer  ,, Neubildung  der  Niere“  leiden  soll  und  der  Großvater 
mütterlicherseits  an  einem  Nierenleiden  zugrunde  gegangen  sein 
soll.  Das  Kind  wird  auf  die  Kinderahteihmg  aufgenommen. 

Aus  dem  Status  praesens  sei  hervorgehoben:  Dem 
Alter  entsprechend  großes  Kind  mit  gut  gefärbter  Hautdecke, 
reichlichem  Panicidus  adiposus,  kräftiger  Muskulatur  und  ent- 
spr(‘chendem  Knochenbau.  Keine  Zeichen  stat  tgehabter  Rachitis. 
Zunge  leicht  belegt;  leichte  Rötung  der  Rachengebilde.  Lunge 
und  Herz  bieten  durchaus  normale  Verhältnisse. 

Abdomen  :  Der  Bauch  erscheint  stark  kugelig  auEgetrieben, 
doch  erscheint  die  rechte  Ahdominalhälfte  nach  der  Flanke  stär¬ 
ker  ausladend.  Erweiterte  Hautvenen  sowohl  um  den  Processus 
xijjhoideus  herum,  als  auch  an  den  lateralen  Partien  des  Al)domens. 
Der  Naliel  erscheint  vorgetriehen. 

Perkussion:  In  der  Medianlinie  tympanitischer  Schall 
bis  ungefähr  zwei  Querfinger  oberhalb  des  Nabels,  von  da  nach 
abwärts  deutliche'  Dämpfung  bis  zwei  Querfinger  oherhalh  der 
Symphyse,  von  da  nach  abwärts  tym])anitischer  Schall,  ln  der 


Monti,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde,  VI,  1863,  S.  179  und 
Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  N.  F.  V,  1872,  S.  321. 

*9  Wiederhofer,  Handbuch  für  Kinderkrankheiten,  Bd.  4  a,  6, 

5.  446. 

Winge,  Norsk.  Mag.  für  Lägevidensk,  Bd.  13,  ref.  Jahrbuch 
für  Kinderheilkunde,  XX,  1883,  S.  502. 

Cohn,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1894,  11. 

Selter,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde  1901,  Bd.  54,  S.  122. 

*0  Carpenter,  Lancet  1902,  I,  S.  377. 

Ruyter,  Archiv  für  klin.  Medizin  1890,  XL,  1,  S.  98. 
Pittmann,  Handbuch  der  Kinderheilkunde,  Bd  4,  c,  S.  499. 
Pepper,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde  1901,  Bd.  54,  S.  779. 
Dickinson,  Lancet  1898,  I,  S.  556. 

Reimann,  Prager  med.  Wochenschrift  1902,  XXVII,  25. 
Barnard,  Lancet  1903,  II,  S.  123b. 

Rachmaninow,  Archiv  für  Kinderheilkunde  Bd.  44,  H.  bis  4 

6,  S.  317. 


roohten  Mamillarlinic'  begimit  oino  Dämpfung  (iiueii  Qutn'fiuger 
unterhalb  des  Rippenbogens  und  reicht  bis  zum  Poupar  Ischen 
Band('.  In  di'i'  linken  Mamillarlinie  tyinpaniüscher  Sciiall  bis 
zwei  Qnerting(‘r  oberlialb  (h's  1' o  n  p  a  r  I  sehen  Bandes,  von  da 
ab  gedäm])ft  tympanitischer  Schall.  In  der  Nal)elborizonl:ileu  von 
(•('chts  nach  litdes  <*iue  inlensixn*  Däni[)fnng,  die  nach  links  hin 
au  Intensität  abuimmt,  nm  drei  Querfinger  links  vom  Nalx'l 
lympanil.ischein  Schalle  zu  weichen.  Di('  Palpation  des  Abdomens 
(U'gibt  einen  Tumor,  der  nahezu  die  ganze  rechte  Bauchbälflc! 
einnimmt  und  nach  links  ungefähr  drei  Querfinger  links  vom 
Nab(d  reicht  und  nach  unten  sich  ungefähr  zwei  Qnerfiuger 
von  d('r  Symphyse  ahgrenzeu  läßt;  nach  oben  kann  inan  d(*n 
Tumor  undeutlich  vom  Rippenbogen  abgrenzen.  Der  Tumor  ist 
von  derber  Konsistenz,  liat  eine  glatte  Oberfläche,  zeigt  gröbere 
Unebenheiten,  nirgends  Fluktuation.  Die  Geschwulst  läßt  sich 
nach  der  Seite  hin  verschieben.  Bei  Aufblähung  des  Darmes 
konfiguriert  sich  das  Colon  transversum  deutlich  vor  dem  Tumoi' 
und  an  der  medialen  Seite  desselben  erscheint  eine  von  oben 
nach  unten  verlaufende  Zone  mit  gedämpft  tym))anilischem  Schall 
(Colon  ascendens  ?).  Bei  der  Untersuchung  per  rectum  findet  man 
das  kleine  Becken  leer  und  ist  nicht  imstande,  den  unteren  Pol 
des  Tumors  zu  tasten.  Der  Bluthefund  zeigt  die  Zeichen  einer 
geringgradigen  Anämie  (4,350.000  rote  Blutkörperchen,  9200  weiße, 
50Co  polynukleäre  neutrophile  Zellen,  45%  Lymphozyten,  2-5% 
eosinophile  Zellen,  1-5%  mononukleäre  Leukozyten;  Hämoglobiii- 
gehalt  70%).  Im  Urin  kein  Blut,  kein  Eiweiß,  im  Sediment  nichts 
Ahnormes. 

Diagnose:  Tumor  renis  d  ex  tri.  Klinisch  kein  An- 
haltspuukt  für  Metastasenhildung.  Der  heigezogene  Chirurg 
schlägt  die  Operation  vor.  Die  beiden  folgenden  Tage  keine  Ver¬ 
minderung  am  Status  und  Befinden  des  Kindes.  (Seit  der  Spitals¬ 
aufnahme  erbrach  das  Kind  nicht  wieder.)  Im  Urin  (Tagesmenge 
350  und  410  cm®)  nach  wie  vor  nichts  Pathologisches  zu  finden. 

14.  März  1 905.  Operation.  Unter  Billroth  scher  Mi¬ 
schungsnarkose  wird  auf  transperitonealem  Wege  der  Tumor  samt 
der  mit  ihm  verwachsenen  rechten  Niere  ohne  besondere  tech¬ 
nische  Schwierigkeiten  exstirpiert. 

15.  März.  Das  Kind  hat  in  der  Nacht  niehrere  Male  er¬ 
brochen.  Temperatur  8  Uhr  früh  381°,  Puls  164;  Spannung  deut¬ 
lich  herabgesetzt.  Spontan  uriniert  (Urin  klar,  nichts  Abnormes). 
Mittags:  Kollabiertes  Aussehen,  Puls  schlecht,  gespannt.  Koch¬ 
salzinfusion  (300  cm®),  Kampfer.  Tagsüber  öfters  Erbrechen.  Hie 
und  da  Hustenanfälle  (vereinzelte  hronchitische  Geräusche  an 
den  abhängigen  Lungenpartien). 

16.  März.  Unruhige  Nacht.  Zweimal  Kampfer  und  Stro¬ 
phantus.  Spontan  uriniert.  Auf  Klysma  ein  wenig  Stuhl.  Früh: 
Puls  140,  Spannung  unter  der  Norm,  Temperatur  38  2“.  Erbrechen 
sistiert.  Das  Kind  sieht  weniger  kollabiert  aus  als  am  Vortage. 
Leichte  Bronchitis.  Abends:  Temperatur  38-4°. 

17.  März,  ln  der  Nacht  wieder  erbrochen,  seit  gestern 
nachmittags  vier  flüssige,  stark  stinkende  Entleerungen.  Früh : 
Temperatur  390°,  Puls  190.  Zunge  feucht,  Augen  halloniert; 
Bauch  nicht  aufgetrieben,  nicht  druckempfindlich.  Bronchitis  wie 
am  Vortage.  Abends :  Temperatur  391° ;  das  Kind  ist  sehr  apa¬ 
thisch,  Zunge  trocken.  Puls  klein,  äußerst  frequent,  Diarrhöen 
(tagsüber  viermal)  hestehen  fort.  Nahrungsaufnahme  sehr  gering. 
Kochsalzinfusion  (zweimal  je  250  cm®),  Kam])fer,  Nährklystier. 

18.  März.  Früh:  Temperatur  38-4°,  Puls  135,  sehr  klein. 
Flüssige  Stühle;  Zunge  sehr  trocken;  Apathie,  kollabiertes  Aus¬ 
sehen.  N.aehmittags  5  Uhr  Exitus. 

Obduktion  (Prof.  Albrecht):  Anaemia  cum  degenera- 
tione  ])arenchymatosa  myocardii,  lu'patis  et  renis  sinistri.  Ex- 
stirpatio  sarconiatis  regionis  renalis  d('xtri  et  renis  dextri  et 
processus  vermiformis  facta  aide  dies  IV.  Enteritis  intestini  tenuis 
acuta  cum  intumescentia  folliculorum  intestini.  Pneumonia  chro¬ 
nica  et  Peribronchitis  chronica  prohahiliter  tuberculosa  circum¬ 
scripta  lobi  superioris  dextri.  Bronchitis  luirulenia  diffusa  prae- 
cipue  imlmonis  sinistri. 

Das  durch  die  Nähte  zusammengezogene  Bett  des  Tumors 
vollständig  reaktionslos.  Das  Peritoneum  glänzend,  glatt.  fm 
Bauchraume  wenige  Kuhikzentimeter  klarer  Flüssigkeit.  IJeber 
dem  vcrschorften  Stumpfe  des  Appendix  wenige  Tropfen  dicken, 
gelblichen  Eiters.  Die  U(‘hernähungsnähte  vollständig  reaktious- 
los,  desgleichen  die  Bauchdeckennaht.  Im  Bereiche  derselben, 
dem  subkutanen  Fettgewebe  entsprechend,  nur  sehr  wenig  schmie¬ 
riges  Sekret.  Im  Oberlappen  der  rechten  Lunge  ist  das  Lung('u- 
gewebe  in  Form  eines  etwa  fingerbreiten  Streifens  induriert,  von 
weißlichen  Bindegewebszügen  und  von  knötchenähnlichen  kleinen 
Herden  durchsetzt.  Außerdem  finden  sich  einige  bis  über  erbsen¬ 
große  Brouchiektasienv-  voii  schwieligem  Gewebe  umgeben,  in 
den  zugebörigeu  Lymphdiiisen  einzelne  graue  oder  gelbliche. 


Nr.  i 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  .1907. . 


kiiötcliciiälui liehe  Hefde.  Dh'  Milz  isl  (dwas  vergrößert,  liellrul, 
ziemlich  derb,  ohne  Besonderheiten. 

Befund  des  c  x  s  I  i  r  p  i e  r  t  e  n  T  u  m  o  r  s  :  *)  Die  zirka 
kindskopf große  Beschwnlst  (Gewicht  L800  g)  zeigt 
einen  knolligen  Bau,  eine  glatte  Oherflilche  und  isl 
auf  der  S  c  h  n  i  1 1  f  1  ä  che  von  s  c  li  1  e  i  m  i  g  -  g,e  1  a  t  i  n  ö  s  e  r  B  e- 
sc  haften  heit. 

Die  Niere  ist  vollständig  erhalten  und  intakl, 
sitzt  de m  T u m  or  auf,  ist  a b er  v o n  (16  in's eiben  durch 
11  e  bindegewebige  M  e  in  h  r  a  n  streng  differenzier  t 
und  wird  nirgends  von  Tumorinassen  infiltriert,. 

Histologische  Diagnose:**)  Mi  s  c  h  ge  s  c  h  w  ul  s  t 
der  re  c  h  t  e  n  N  i  e  r  e  (W  i  1  m  s,  E  in  b  r  y  o  n  a  1  e  s  Ad  e  n  o  s  a  r- 
conia.  au  tor  um). 

Fall  2.  S.  K.,  l'Vdähriges  Mädchen,  auf  die  Kinderabteilung 
der  allgemeinen  Poliklinik  aufgenommen  am  IG.  April  1905.  Ein¬ 
ziges  Kind  gesunder  Eltern.  Zur  rechten  Zeit  spontan  geboren. 
Bis  zum  Ende  des  ersten  Lebensjahres  an  der  Brust.  Gutes 
Gedeihen;  niemals  A'erdauungsstörungen.  Die  ersten  Zähne  be¬ 
kam  das  Kind  mit  sechs  Monaten;  mit  einem  Jahre  hegaim  das 
Kind  zu  gehen.  Am  Ende  des  ersten  Lebensjahres  Morbillen 
(glatter  Verlauf).  Sonst  war  das  Kind  stets  gesund.  Gegenwärtige 
Erkrankung  seil  zirka  drei  Wochen.  Um  diese  Zeit  bemerkte  die 
.Mutter,  daß  der  Bauch  des  Kindes  größer  geworden  sei.  Zugleich 
klagte  das  Kind  über  Bauchschmerzen.  Durch  einige  Tage  soll 
auch  Fieber  bestanden  haben.  Von  da  ab  magerte  das  Kind  zu¬ 
sehends  ab.  Dabei  war  die  Nahrungsaufnahme  befriedigend  (täg¬ 
lich  ein  Liter  Milch,  Milchspeise,  Gemüse).  Stühle  (ein-  bis  zwei¬ 
mal  täglich)  normal.  Seit  vier  bis  fünf  Tagen  bemerkt  die  Mutter, 
daß  das  Kind  ,, schwer“  atmet.  Kein  Husten,  kein  Auswurf.  Die 
Urinsekretion  soll  in  der  letzten  Zeit  etwas  herabgesetzt  gewesen 
sein  (das  Kind  verlangt  nur  drei-  bis  viermal  täglich  den  Topf) ; 
der  frische  Urin  war  stets  klar,  nie  dunkel  (blutig)  gefärbt.  In  der 
letzten  Zeit  schwitzt  das  Kind  auffallend  stark,  namentlich  des 
Nachts. 

Auszug  aus  dem  Aufnahmsstatns :  Temperatur  SG-d*^, 
Puls  124,  regelmäßig,  Spannung  stark  herabgesetzt.  Respira¬ 
tion  4G,  Atmung  vorzugsweise  kostal;  Einziehung  im  Jugulum 
und  Epigastrium,  Nasenflügelatmen.  Die  Respiration  ist  oft  keu¬ 
chend  und  stöhnend.  Deutliches  Zurückbleiben  der  linken  Seite. 

Das  Kind  liegt  in  linker  Seitenlage  mit  gebeugtem  Hilft-  und 
Kniegelenk.  Seusorium  frei.  Stimmung  weinerlich;  bei  Berührung 
fängt  das  Kind  sofort  zu  schreien  an  und  ist  schwer  zu  be¬ 
ruhigen.  Sonst  liegt  das  Kind  gewöhnlich  apathisch  dahin.  Die 
Hautdecken  sind  wachsartig  blaß.  Paniculus  adiposus  nahezu 
ganz  geschwunden;  Muskulatur  schlaff,  Knochenbau  äußerst 
grazil.  Keine  Oedeme. 

Schädel  symmetrisch;  leichte  periostale  Auflagerungen.  Fon¬ 
tanelle  vollständig  geschlossen.  Starke  Seborrhoe  am  Kopfe.  Kon¬ 
junktiven  sehr  blaß;  Pupillen  mittelweit,  prompte  Reaktion.  Rhini¬ 
tis  acuta.  Zähne  vielfach  kariös;  Rachengebilde  sehr  blaß;  massen¬ 
haft  Schleim  an  der  hinteren  Rachenwand. 

Thorax:  Umfang  rechts  21  eni,  links  22  cm.  Rachitischer 
Rosenkranz;  stark  ausladende  Flanken.  In  der  linken  Supra- 
klavikulargrube  gedämpft  tympanitischer  Schall,  rechts  normaler 
Perkussionsschall.  Links  vorne  von  der  Klavikula  nach  abwärts 
intensive  Dämpfung,  die  ohne  Grenzen  in  die  Herzdämpfung 
übergeht  und  nach  rechts  bis  einen  Querfinger  an  den  linken  Stcr- 
nalrand  heranreicht.  Rechts  vorne  normaler  Schall,  Lungengreuze 
in  der  Alamillarlinie  der  obere  Rand  der  sechsten  Rippe.  In  der 
linken  Axilla  gedämpfter,  rechts  normaler  Schall.  Links  hinten 
gedämpft  tympanitischer  Schall  bis  zwei  Querfinger  oberhalb  des 
Angulus  scapulae,  von  da  nach  abwärts  leerer  Schall.  Links 
von  der  IVirbelsäule  in  der  Nierengegend  eine  deutliche  Vorwöl¬ 
bung  sichtbar. 

Auskultation:  Links  hinten,  ungefähr  bis  zum  Angulus 
scapulae,  lautes  Bronchialatmen  zu  hören ;  von  da  nach  abwärts 
stark  abgeschwächtes,  hauchendes  Atmen.  Rechts  hinten  ver¬ 
schärftes  Vesikuläratmon  und  vereinzelte  trockene  Rhonchi.  Vorne 
links  und  über  der  linken  Axilla  bronchiales  Atmen,  reebts  Vesi¬ 
kuläratmen  hörbar. 

Herz:  Nach  rechts  bis  zum  linken  Sternalrand,  Spitzen¬ 
stoß  im  vierten  Interkostalraum,  1  cm  einwärts  von  der  Mamillar- 
linie.  Herztöne  leise,  rein. 

Abdomen  stark  aufgetrieben,  die  linke  Seite  stärker  als 
die  rechte.  Bei  der  Inspektion  gewahrt  man  eine  über  die  linke 


*)  Der  Tumor  wurde  von  Pollak  am  28.  März  1905  im  »Klub  der 
Wiener  Kinderärzte«  demonstriert;  vergl.  Wiener  allgem.  med.  Zeitung 
1905,  Nr.  16. 

**)  Die  genauen  histologischen  Details  dieses  sowie  der  zwei 
anderen  Tumoren  werden  an  anderer  Stelle  verölTenllicht. 


Baiuhhälflc  von  rc^clds  iiincm  oben  nach  links  außen  unten  vei 
laufende  Leiste,  die  namentlich  bei  der  Inspiration  deutlich  her 
vortritt.  Bauchumfang  in  der  Nahelhöbe  52  cm;  Entfernung  vom 
Prociessus  xiphoideus  bis  zur  Symphyse  beträgt  27  cm.  Nabel  ver¬ 
strichen.  Venenektasien  au  beiden  Flanken. 

Perkussion:  In  der  Medianlinie  ineteoristischer  Schall  bis 
ung(5fähr  einen  Querfinger  oberhalb  vom  Nabel,  von  da  abwärts 
gedämpfter  Schall,  der  nach  unten  an  Intensität  zunirnnit.  ln 
der  Nabelhorizontalen  gedämpfter  Schall  in  der  rechten  Flanke;, 
dann  bis  zum  Nabel  tympanitischer  und  von  da  nach  links  ge¬ 
dämpft  tympanitischer  bis  leerer  Schall.  Bei  der  Palpation  findet 
man  einen  Tumor,  der  nahezu  die  ganze  linke  Bauchhälfte  ein¬ 
nimmt,  nach  oben  sich  nicht  gut  abgrenzen  läßt  und  nach  unten 
knapp  an  der  Symphyse  deutlich  endet.  Die  Mittellinie  über¬ 
schreitet  der  Tumor  nur  unterhalb  des  Nabels  um  ungefähr  zwei 
Querfinger.  Der  Tumor  zeigt  eine  exquisit  höckerige  Beschaffen¬ 
heit,  ist  von  verschiedener  Konsistenz,  knap])  am  Rippenbogen 
erscheint  er  sehr  derb,  in  der  Mitte  und  an  seiner  medialen 
Seite  von  weicherer  Beschaffenheit.  Ungefähr  über  der  Milte  des 
Tumors  läßt  sich  eine  von  oben  nach  unten  verlaufende  Zone 
mit  gedämpft  tympanitischem  Schalle  (Colon  descendens?)  ver¬ 
folgen.  Ueber  dem  Tumor  lassen  sich  an  manchen  Stellen,  nament¬ 
lich  unterhalb  des  Nabels,  kleine,  harte,  erbsen-  bis  haselnuß- 
große  Knötchen  durchtasten.  Ungefähr  in  der  Mitte  zwischen 
Processus  xiphoideus  und  Nabel  scheint  vom  Tumor  nach  rechts 
ein  knolliger  Strang  zu  verlaufen.  In  axilla  und  inguine  bis 
haselnußgroße,  harte  Drüsen  zu  tasten.  Bei  der  Rektalunter¬ 
suchung  findet  sich  das  kleine  Becken  leer.  Die  Aufblähung  des 
Darmes  zeigt,  daß  das  Colon  descendens  sich  deutlich  vor  dem 
Tumor  konfiguriert.  Urin  stark  konzentriert;  kein  Eiweiß,  im 
Sediment  außer  Uraten  und  vereinzelten  Leukozyten  nichts 
zu  finden. 

Blut:  Hämoglobin  35Co  (Fleischl),  3,200.000  Erythro¬ 
zyten  ;  Poikilozytose  (nicht  sehr  beträchtlich),  Makrozyten,  keine 
kernhaltigen  roten  Blutkörperchen;  10.400  Leukozyten  (38%  poly¬ 
nukleäre  neutrophile  Zellen,  50%  Lymphozyten,  9-5%  eosino¬ 
phile  Zellen,  3%  große,  mononukleäre  Zellen).  Die  Probo- 
punktion  im  linken  Pleuraraum  ergab  eine  stark  hätnorrhagische 
Flüssigkeit,  in  der  Geschwulstzellen  nicht  mit  Sicherheit  nach¬ 
gewiesen  werden  konnten. 

Klinische  Diagnose:  Maligner  Tumor  (Sarkom)  der 
linken  Niere  mit  Aletastasen  in  den  Mesenterial¬ 
drüsen  und  in  der  linken  Pleura. 

Unter  zunehmendem  Verfall  Exitus  am  19.  April,  3  Uhr  früh. 

Obduktion  (Prof.  Albrecht):  Körper  dem  Alter  ent¬ 
sprechend  groß;  hochgradig  abgemagert,  Muskulatur  sehr  welk. 
Haut  atrophisch,  fast  weiß.  Totenflecke  äußerst  spärlich  an  den 
abhängigen  Körperpartien. 

Abdomen  kugelig  vorgewölbt ;  im  linken  Hypochondrium  bis 
über  die  Mittellinie  reichend  ein  derber,  kleinhöckei’ige’r  Tumor 
tastbar.  Etwa  ein  halber  Liter  hämorrhagische  Aszitesflüssig¬ 
keit,  desgleichen  in  der  linken  Pleurahöhle;  rechts  wenige  Kubik¬ 
zentimeter  gelblicher  Flüssigkeit. 

Schilddrüse  klein,  blutleer,  körnig.  Die  Schleimhaut  der 
Zunge,  des  Gaumens,  Pharynx,  Oesophagus  und  Larynx  dünn, 
fast  blutleer;  die  Tonsillen  ohne  besondere  Veränderungen. 

Bei  der  Herausnahme  des  Sternums  findet  sich  zunächst 
rechts  am  Ansatz  des  Zwerchfelles  an  der  siebenten  Rippe  eine 
etwa  mandelgroße  Geschwulst.  Das  vordere  Mediastinum  einge¬ 
nommen  von  ziemlich  zahlreichen,  erbsen-  bis  kirschengroßen, 
weißlich-grauen,  zum  Teil  hämorrhagischen,  weichen  Geschwül¬ 
sten,  welche  auch  in  ziemlich  zahlreicher  Menge  das  linke  Zwerch¬ 
fell  und  die  linke  Pleura  costalis  bis  an  die  Wirbelsäule  hin  be¬ 
decken.  Die  linke  Lunge  total  luftleer,  atelektatisch,  ihre  Pleura 
grau,  etwas  verdickt.  Die  rechte  Lunge  ganz  frei,  lufthaltig,  blut¬ 
arm,  nur  in  den  hinteren  Partien  in  geringen  Teilen  atelektatisch. 

Im  Perikard  wenige  Tropfen  Serum.  Das  Herz  ziemlich  groß, 
kontrahiert,  Kruormassen  enthaltend;  die  Wand  des  linken  Ven¬ 
trikels  dicker,  seine  Höhle  etwas  erweitert.  Rechtes  Herz  sehr 
schlaff,  lehmfarhen.  Ueber  dem  früher  erwähnten,  im  ganzen 
etwa  mannskopfgroßen  Tumor  des  linken  Hypochondriums  zieht 
das  Colon  descendens,  etwa  über  die  Mitte  seiner  Konvexität. 
Das  große  Netz  ist  locker  mit  demselben  verwachsen;  die  IMilz 
ist  gegen  das  linke  Zwerchfell  zu  nach  außen  gedrängt,  wie 
platt  gedrückt;  der  Magen  ebenso  wie  die  Leber  nach  aufwärts 
und  rechts  verdrängt.  Das  Cökum  an  normaler  Stelle;  der  Dünn¬ 
darm  mehr  nach  rechts  verschoben,  indem  die  Geschwulst  die 
Mittellinie  nach  rechts  überschreitet.  In  der  Gegend  des  unteren 
Milzpoles  zwei  erbsengroße  Nebenmilzen.  Das  Pankreas  von  der 
Geschwulst  umwachsen. 


Nr.  4; 


97 


WIENER  KLINISCHE  ‘WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Dieselbe  besitzt  eine  ausgesprochen  lappige  Form  und  s.otzl 
sich  aus  sehr  zahlreichen,  erbsen-  bis  pflaumengroßen  Geschwül¬ 
sten,  die  ein  reichliches  Konglomerat  bilden,  zusammen.  Di(? 
Geschwülste  sind  teils  graurot,  teils  mehr  weißlich  oder  lüfmor- 
rhagisch,  sehr  weich  und  reichlich  Saft  gebend.  Auch  an  den 
einzelnen  Appendices  epiploicae  linsengroße  Geschwülste.  Ebenso 
wächst  die  Geschwulst  in  die  Radix  mesenterii  hiilein,  reicllt 
nach  abwärts  bis  in  das  kleine  Becken  und  ist  nach  hinten  mit 
der  hinteren  Thorax-  und  Beckenmuskulatur  verwachsen,  dieselbe 
infiltrierend.  n' 

Der  linke  Ureter  vom  Harnblasenorifizium  aus  Picht  sondier¬ 
bar,  indem  er  von  außen  durch  Geschwulstmassen  komprimiert 
ist,  welche  auch  als  bohnengroße  Geschwülste  in  denselben  hineiu- 
wuchern.  ln  seinem  oberen  Anteil  ist  er  erweitert,  ebenso  d'äs 
Nierenbecken  und  einzelne  Kelche.  Beim  Durchschneiden  des 
Tumors  von  außen  her  wird  die  linke  Niere  gerade  halbiert;  sie 
ist  von  normaler  Größe,  etwas  nach  hinten  zu  in  ihrer  Form 
komprimiert,  von  hellgrauer  Farbe.  Die  auf  der  Schnittfläche  etwa 
kindskopfgroße  Geschwulst  wächst  in  das  Nierenbecken  hinein 
und  ist  am  oberen  Nierenpol  mit  der  Kapsel  verwachsen.  Letz¬ 
tere  ist  hier  von  der  Geschwulstmasse  komprimiert  und  läßt 
sich  vom  oberen  Pole  nicht  mehr  abziehen ;  von  dem  übrigen 
Anteil  der  Niere  ist  sie  jedoch  leicht  entfernbar. 

Die  Hauptmasse  der  Geschwulst  besteht  auf  der  Schnilt- 
fläche  aus  haselnuß-  bis  über  hühnereigroßen  Geschwülsten,  die 
sich  nur  zum  Teil  durch  bindegewebige  Dissepimente  abgrenzen, 
zum  Teil  miteinander  konfluieren.  Der  Tumor  besitzt  überall 
eine  zerfließlich  weiche,  medulläre  Konsistenz  und  eine  grau- 
weißliche,  hellrote  oder  dunkelhämorrhagisch  schwarzrote  Farbe. 
Sowohl  in  der  Radix  mesenterii,  als  auch  im  Mesokolon,  dort, 
wo  dasselbe  mit  der  Konvexität  der  Geschwulst  verwachsen  ist, 
finden  sich  sehr  zahlreiche,  hellrote  oder  blaurote,  linsen-  bis 
haselnußgroße  Geschwülste  und  ebensolche  hellrote,  linsengroße 
sind  hintereinander  gereiht  in  den  Appendices  epiploicae. 

Im  Magen-  und  Darmtrakt  nichts  Besonderes.  Die  Aorta 
beiderseits  eingehüllt  von  Geschwulstmassen,  den  retroperitonea- 
len  Lymphdrüsen  entsprechend.  Ebenso  sind  die  hinteren  niedia- 
stinalen  Lymphdrüsen  zu  bis  taubeneigroßen  Geschwülsten  um¬ 
gewandelt. 

Die  Leber  von  normaler  Größe,  ihre  Ränder  etwas  schärfer, 
glatt,  von  graubrauner  Farbe,  ohne  deutliche  Läppchenzeichnung, 
blutarm. 

Die  Milz  klein,  durch  die  Geschwulst  platt  gedrückt,  reich¬ 
lich  gekerbt,  ohne  Besonderheiten. 

Die  rechte  Niere  von  normaler  Größe  und  Form,  glatt,  grau¬ 
gelblich,  anämisch,  ohne  Besonderheiten. 

Beide  Nebennieren,  die  Harnblase  und  die  Genitalien  normal. 

Histologische  Diagnose;  Kleinzelliges  Rund¬ 
zelle  n  s  ar  k  om. 

Fall  3.  R.  K.,  2V2jähriger  Knabe,  wird  am  18.  Juni  1906 
von  der  niederösterreichischen  Landesfindelanstalt  wegen  diph¬ 
therieverdächtiger  Angina  der  Kinderspitalsabteilung  der  allge¬ 
meinen  Poliklinik  überstellt. 

Es  finden  sich  bei  dem  Kinde  beide  Tonsillen  and  Gaumen¬ 
bögen  gerötet  und  beiderseits  an  den  Mandeln  kleine,  teilweise 
koufluierte,  schmutziggraue  Beläge ;  im  Ausstrichpräparat  neben 
zahlreichen  Kokken  und  anderen  Mundbakterien  Nester  von  typi¬ 
schen  Löffler  sehen  Bazillen.  Temperatur  bei  der  Aufnahme 
(vormittags)  37-8®,  Puls  98,  rhythmisch,  äqual,  Spannung  deut¬ 
lich  herabgesetzt.  Larynx  nicht  affiziert.  1500  A.-E.  Behring- 
schos  Serum. 

Am  dritten  Tage  des  Spitalsaufenthaltes  sind  die  Beläge 
völlig  verschwunden,  das  Kind  fieberlos,  Herz  und  Niere 
in  Ordnung. 

Körperstatus:  Dem  Alter  entsprechend  großes  Kind  mit 
blasser  Hautfarbe,  reduziertem  Paniculus  adiposus  und  ziemlich 
schlaffer  Muskulatur.  Sensorium  frei.  Das  Kind  ist  auffallend 
ruhig,  nahezu  apathisch,  nur  bei  der  Untersuchung  abwehrend 
und  weinerlich. 

Herz-  und  Lungenbefund  normal. 

Das  Abdomen  ist  kugelig  aufgetrieben,  namentlich  der  linke 
.Miteil  tritt  stärker  hervor.  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  59-5  cm. 
l-in  den  Processus  xiphoideus  herum  und  an  den  Flanken  ektasierte 
Hautvenen  sichtbar. 

ln  der  linken  Bauchhälfte  tastet  man  einen  Tumor,  der  eine 
höckerige  Oberfläche  aufweist,  von  teils  derber,  teils  weicherer 
Konsistenz;  an  manchen  Stellen  hat  man  den  Eindruck  undeut¬ 
licher  Fluktuation.  Der  Tumor  reicht  vom  Rippenbogen  nach 
abwärts  bis  einen  Ouerfinger  oberhalb  des  Darmbeinkammes, 
nach  rechts  über  die  Mittellinie  bis  zwei  Querfinger  rechts  vom 
Nabel;  die  Grenzen  ziehen  dann  nach  links  oben  und  zirka 


zwei  Querfinger  links  von  der  Mittellinie  verschwindet  der  Tumor 
unter  dem  Rippenbogen.  Auch  rückwärts  ist  auf  <]er  linken  Seile 
eine  beinahe,  bis  an  die  Wirbelsäule  reichende  Vorwölbung  zu 
konstatieren,  Von  dem  großen  Tumor  zieht  nach  links  gegen 
die  Leber  zu,  etwas  oberhalb  des  Nabels  quer  verlaufend",  ein 
ca.  6  cm  langer,  derber,  knotiger  Strang.  Ueber  dem  Tumor  leerer 
Schall  mit  Ausnahme  einer  von  oben  nacli  unten  über  die  Mitte 
der  linken  Bauchhälfle  ziehende  Partie,  über  die  der  Schall  sich 
deutlich  auf  hellt. 

Freie  Flüssigkeit  im  Bauchraum  nicht  nachzu weisen.  Milz 
nicht  palpabel. 

Der  Urin,  hochgestellt  (s  =  1025),  ist  leicht  getrübt,  ent¬ 
hält  weder  Blut,  noch  Eiweiß,  weist  ein  mäßig  starkes 'Sediment 
auf,  in  dem  spärliche  Leukozyten  und  Plattenepithelien  zu  finden 
sind ;  Geschwulstelemente  nicht  nachweisbar. 

Blut:  3,500.000  Erythrozyten,  25.000  Leukozyten,  Hämo¬ 
globingehalt  45”/o  (Fleischl).  Bei  der  Durchsuchung  der  Trocken¬ 
präparate  fällt  neben  dem  Befund  einer  mäßigen  Anämie  eine 
beträchtliche  Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen  auf.  Prozen¬ 
lisch:  340/0  polynukleäre  Zellen,  40/0  mononukleäre  Zellen,  47o,o 
Lymphozyten,  140/0  eosinophile  Zellen. 

Ich  will  an  dieser  Stelle  gleich  a  n f  ü  h  r e n,  ( 1  a ß* 
eine  wiederhol  te  Durchsich  tdes  Blutes  immer  wie  der 
eine  beträchtliche  Vermehrung  der  azidophilen 
Zellen  zutage  gefördert  hat.  Die  Werte  der  einzelnen 
Untersuchungen  schwankten  zwischen  12o/o  und  I80/0. 
Die  Gesamtzahl  der  Leukozyten  schwankte  zwischen  10.000 
und  21.000.  Die  Erythrozytenzahl  sank  im  weiteren  Verlaufe 
bis  auf  2,600.000  herab. 

Diagnose:  Tumor  der  linken  Niere  mit  Metastasen 
der  mesenterialen  Drüsen  (Leber?).  Mit  Rücksicht  auf 
den  Befund  (Metastasen)  wird  von  dem  konsultierten  Chirurgen 
die  Operation  abgelehnt. 

Bemerkenswerte  Daten  aus  der  weiteren  Krankengeschichte : 

15.  Juli.  Der  Bauch  hat  an  Umfang  zugenommen  (62  cm); 
das  Kind  ist  blässer  und  deutlich  abgemagert.  Appetit  befrie¬ 
digend.  Im  Urin  nichts  Abnormes  zu  finden. 

19.  August.  Bauchumfang  64  cm.  Hochgradige  Venenektasieu 
über  dem  ganzen  Abdomen;  dasselbe  stark  gespannt,  glänzend. 
Zunehmende  Abmagerung  und  Kräfteverfall.  Temperatur  (bisher 
normal)  38-3°.  Oefters  Husten  und  zweimaliges  Erbrechen.  Rasseln 
an  den  unteren  Partien  beider  Lungen. 

20.  August.  Temperatur  38-2  bis  38-5'';  kein  Erbrechen. 
Lungenbefund  wie  am  Vortage. 

21.  August.  Temperatur  normal.  Husten  geringer.  Bronchi- 
lische  Symptome  im  Abklingen. 

12.  September.  Links  von  der  Orbita,  oberhalb  des 
J  och  1)0  gen  s  bemerkt  man  eine  zirka  kreuz  er  große, 
f  1  a  che  Vor w  ö  1  b u  n  g,  die  von  derber  Konsistenz  is  t 
und  auf  dem  unterliegenden  Knochen  un verschieb¬ 
lich  aufsitzt.  Der  Bulbus  ist  leicht  prominent  Und 
etwas  nach  innen,  und  unten  verschoben.  Augen¬ 
hintergrund  normal. 

15.  September.  Bauchumfang  66  cm.  Hochgradige  Abmage¬ 
rung  und  Kachexie;  Nahrungsaufnahme  äußerst  gering.  Das  Kind 
liegt  dahin,  teilweise  soporös. 

Die  Auftreibung  am  Schädel  hat  am  Anfang  etwas  zuge¬ 
nommen,  der  Bulbus  ist  deutlich  in  der  oben  angegebenen  Rich¬ 
tung  verschoben. 

An  den  abhängigen  Lungenpartien  kleinhlasiges  Rasseln 
zu  hören. 

Unter  zunehmendem  Marasmus  Exitus  am  28.  Septem¬ 
ber  1906. 

Obduktion  (Prof.  Albrecht):  Linker  Oherlappen  der 
Lunge  frei,  Unterlappen  hochgradig  atelektatisch.  Eine  Lymph- 
drüse  am  Bronchus  fast  ganz  verkäst.  Rechte  Lunge  frei,  luft¬ 
haltig,  ödematös;  Unterlappen  atelektatisch.  An  der  Pleura  dia- 
phragmatica  rechts  ziemlich  zahlreiche,  bis  fast  pflaumengroße, 
weißlichgraue  oder  blaurote,  weiche  Geschwülste.  Am  linken 
Zwerchfell  ebenfalls  einige  derartige  bis  dattelgroße  Geschwülste. 

Schilddrüse  klein,  blutarm,  klebrig,  körnig.  Die  Schleim¬ 
häute  der  Halsorgane  weißlich,  blutleer.  In  der  Trachea  schaumige 
Flüssigkeit. 

Herz  ziemlich  klein;  Epikard  etwas  getrübt.  Linker  Ven¬ 
trikel  erweitert;  Klappenapparate  zart. 

Bei  Eröffnung  des  Abdomens  wölbt  sich  zunächst  ein  über 
kindskopfgroßer,  zystischer,  mit  gelbem  Serum  gefüllter  Sack  vor, 
welcher  die  übrigen  Eingeweide  überlagert  und  dent  großen  Netz 
entspricht.  Die  linke  Hälfte  des  großeii  Netzes  nach  links  zu 
über  einer  ziemlich  derben  Geschwulst  angewachsen  und  von 
zahlreichen,  linsen-  his  bohnengroßen,  weichen,  grauroten  Ge- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


schwülsten  dnvchsetzt.  Eine  Gruppe  von  größeren  der.'irligen, 
mehr  kugeligen  Geschwülsten  fiiuhd  sicli  rechts  zwisclien  Gallen¬ 
blase  und  Colon  transversuin.  Beim  Hinaufschlagen  des  letzteren 
zeigt  sich,  daß  sehr  zahlreiche,  bis  kleinapfelgroße  Geschwülste 
in  die  Radix  inesenterii  hinein  gewachsen  sind. 

Die  Hauptgeschwulstmasse  entspricht  der  linken  Nieren¬ 
gegend  und  stellt  zusammen  mit  den  Geschwülsten  der  Radix 
idncn  fast  mannskopfgroßen,  derlaui  Tumor  vor,  welcher  die 
.Milz  weit  nach  links  oben  drängt.  Die  Milz  selbst  ist  ziemli(di 
slai'k  ])latt  gedrückt,  die  Leber  etwas  verkleinert,  glatt,  dunkel¬ 
braun;  längs  der  Leberfurche  wuchert  die  Geschwulstmasse  eine 
Str(‘(d<e  weil,  die  Glissonsch(‘  Kapsel  infiltrierend,  in  die  Leber 
hinein. 

Die  rechte  Niere  etwas  größer  als  normal,  braunrot,  ohne 
Veränderung. 

Die  linke  Niere  ist  namentlich  von  der  medialen  Seite  her 
von  der  Geschwulstmasse  eingesclundct;  ihre  Kapsel  vielfach 
infiltriei't,  nach  dem  Hilus  von  der  fast  medullarweichen  Ge¬ 
sell  wulstmasse  infiltriert. 

Nierimbecken  und  Lreter  im  Anfangsteil  von  dem  Tumor 
komprimiert. 

Die  Aüi'la  ist  von  Geschwülsten  total  eingescheidet.  Nach 
außen  vom  linken  äußeren  Augenwinkel  uiul  etwas  nach  oben 
eine  si(di  flach  vorwölbende,  etwa  viei'kieuzerstückgroße  Ge¬ 
schwulst,  welche  nach  innen  zu  die  Dura  mater  vorwölbl,  von 
medullärei'  Beschaffenheit  und  grauroter  Farbe,  einen  Teil  der 
Hirnwand  und  der  äußeren  Orbitalwand  substituiert  und  den 
Orbitalinhalt  nacli  rechts  unten  einigermaßen  vergrängt. 

Das  Hirn  und  seine  Häute  hochgradig  ödematös;  alle  Ven¬ 
trikel  erweitei't,  klaren  Liquor  enthaltend. 

Histologische  Diagnose:  K  1  (' i  n  z  e  1 1  i  g  e  s  Rund- 
z  (‘  1 1  e  11  s  a  r  k  o  m. 

Wie  aus  vorstehendem  ersichtlich,  handelt  es  sich  in 
allen  drei  Fällen  um  maligne  Tumoren  der  Nierengegend 
hei  Kindern  in  frühem  Lebensalter  (zwischen  1^/4  und  2V2 
Jahren)  11.  zw.  im  ersten  k'alle  um  eine  typische  ,, embryo¬ 
nale  Mischgeschwulst“,  im  zweiten  und  dritten  Fälle  um 
Sarkome  mit  multipler  Metastasenbildung,  die  zu  hochgra¬ 
diger  Kachexie  geführt  haben. 

Was  die  Metastasen  in  der  Pleura  und  im  Afediastiniim 
anbelangt  (im  zweiten  Fälle  ist  das  linke  Zwerchfell,  die 
linke  Pleura  und  das  vordere  Mediastinum  vollständig  von 
Geschwülsten  bedeckt,  im  dritten  Fäll  finden  sich  multiple 
metastatische  Knoten  an  der  rechten  Pleura  diaphragmatica), 
so  scheint  deren  Vorkommen  bei  den  malignen  Nierenge¬ 
schwülsten  des  Kindesalters  ein  ziemlich  seltenes  zu  sein. 
Steffen  hat  unter  seinen  219  Fällen  nur  viermal  pleurale 
oder  mediastinale  Metastasen  konstatieren  können.  Dagegen 
wird  der  Befund  von  Knochenmelastasen  (im  dritten  Fälle 
in  der  äußeren  Orbitalwand)  des  öfteren  erwähnt. 

Klinisch  gemeinsam  ist  allen  drei  Fällen,  daß  außer 
dem  Nachweis  einer  retroperitoneal  liegenden  Geschwulst, 
sonstige  Symptome,  die  für  das  Bestehen  eines  Nierentumors 
.\nhaltspunkte  gehen  könnten,  fehlten.  Die  Angabe  ganz 
bi'stimmt  lokalisierter  Schmerzen  (im  ersten  Fälle  klagte 
das  Kind  über  ,, Bauchschmerzen“)  war  mit  Rücksicht  auf 
das  frühe  Alter  der  Kinder  nicht  zu  erwarten. 

Di('  Untersuchung  des  Urins  ergab  in  keinem  Falle 
einen  diagnostischen  Anhaltspunkt,  nachdem  weder  Albumen 
od(U'  Geschwulstzellen  nachgewiesen  werden  konnten,  noch 
jcMuals  während  unserer  Beobachtung  das  Auftreten  von 
Hämaturie  konstatiert  wurde. 

Das  letztere  Symptom,  bei  den  Nierentumoren  der 
Frwachsenen  ein  überaus  häufiges  und  charakteristisches, 
wird  nach  Angabe  der  Autoren  bei  den  Nierengeschwülsten 
fies  Kindesalters  meistens  vermißt.  Nach  Chevalier^^) 
kommt  Blutharnen  während  des  ganzen  Verlaufes  nur  in 
etwa  25 No  zur  Beobachtung,  in  den  von  Steffen  gesam¬ 
melten  Fällen  f219)  wurde  die  Hämaturie  nur  ISmal  im 
Bf'ginne,  neunmal  im  VäuJaufe  der  Erkrankung  konstatiert. 

So  isl  man  in  der  Regel  lediglich  auf  den  Nachweis 
df's  Tumors  zur  Stellung  der  Diagnose  angewiesfui. 

Beim  ersten  Falle  isl  f's  erwähnenswert,  daß  zw(‘i  anderf' 
Mitglieder  der  Familif'  (Vabn  und  Bruder  der  Muller)  eben- 

®^)  Ghjev aller,  zitiert  in  Bruns  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie 
Bd.  3,  2.  Teil,  S.  631. 


falls  an  Neubildungen  der  Niere  gelitten  haben,  so  daß  man 
allen  Grund  hat,  an  eine  familiäre  Anlage  und  an  eine  ererbte 
Disposition  zu  denken.  Solclie  Vorkommnisse  sind  aus  der 
Literatur  bekannt  und  sei  besonders  auf  den  Fall  von  Bal- 
lard^'^)  hingewiesen  (drei  Mitglieder  einer  Familie). 

Ich  möchte  nun  noch  den  Blutbefund  der  beiden  letzten 
Fälle  hervorheben.  Es  fand  sich  besonders  ausgeprägt  im 
letzten  Fall,  eine  ausgesprocheiui  Vermehrung  dereosinophi- 
len  Zellen,  die  im  dritten  Falle  bis  zu  I8N0  sämtlicher  Leuko¬ 
zyten  im  Blute  anzutreffeii  waren.  Die  Vermehrung  der 
eosinophilen  Zellen  tritt  manchmal  bei  Sarkomen,  die  zur 
Kachexie  führen,  auf  (Sahli),  aber  eine  derart  beträcht¬ 
liche  Eosinophilie  scheint  mir  doch  bemerkenswert,  zumal 
andere  Gründe,  die  für  dieselbe  in  Betracht  kommen 
(Vennes,  Dermatosen)  nicht  nachweisbar  waren.  Vergleicht 
man  das  Blutbild  der  beiden  letzten  Fälle  mit  dem  im  ersten 
Falle,  wo  die  Zahl  der  Eosinophilen  eine  durchaus  der 
Norm  entsprechende  war,  so  könnte  man  vielleicht  mit 
einiger  Reserve  den  Schluß  ziehen,  mit  Hilfe  des  Blut¬ 
bildes  einen  differentialdiagnostischen  Anhaltspunkt  ge¬ 
wonnen  zu  haben,  um  die  kongenitalen  Mischgeschwülste 
der  Niere  von  den  echten  Sarkomen  auseinander  zu  halten. 

Was  die  Therapie  anbelangt,  so  kann  nur  die  Exstir¬ 
pation  der  Neubildung  in  Frage  kommen.  Und  da  kommen 
wieder  nur  die  meist  ohne  Aletastasenbildung  einhergehen¬ 
den  ,,emhryonaleu  Adenosarkome“  in  Betracht.  Doch  sind 
bisher  die  Erfolge  den*  operativen  Therapie  bei  diesen  Ge¬ 
schwülsten  sehr  bescheidene  gewesen.  Schede^^)  drückt 
sich  im  Hinhlick  auf  das  seltene  Vorkommen  verwertbarer 
Initialsymptome  folgendermaßen  aus :  ,,Fast  immer  werden 
sie  dem  Arzt  erst  gebracht,  wenn  sie  zu  enormen  Tumoren 
angewachsen  sind  und  die  Zeit  der  günstigen  Chancen  für 
einen  operativen  Eingriff  längst  vorüber  ist.  Da  ihre  Neigung 
zur  Metastasenbildung  nicht  groß  ist,  da  amyloide  Degenera¬ 
tion  anderer  Organe,  wie  sie  bei  den  Hypernephromen  vor¬ 
kommt,  hier  nicht  beobachtet  ist,  würden  die  Resultate 
einer  operativen  Thera])ie,  d.  h.  der  Exstiiijation,  wahr¬ 
scheinlich  ohne  diesen  Umstand  viel  besser  sein,  als  sie 
in  der  Tat  sind.“  Walker^^)  berichtet  von  74  operierten 
Fällen,  von  denen  27  unmittelbar  nach  der  .Operation  starben 
(38-250/0)  und  von  denen  nur  vier  länger  als  drei  Jahre 
rezidivfrei  blieben.  Besser  ist  die  Statistik  von  Albarrau 
mit  30 0/0  Operationsmortalität  unter  97  Fällen  und  elf  ein 
Jahr  lang  gesund  gebliebenen  Kindern.  Nach  Steffen 
wurden  unter  88  Operationen  18  Dauerheilungen  konstatiert. 

Es  ist  aus  den  Statistiken  nicht  zu  ersehen,  bei  wie¬ 
viel  von  den  operierten  Kindern  kongenitale  und  hei  wie- 
vielen  Sarkome  bestanden  haben;  daß  letztere  nach  den 
oben  geschilderten  Charakteren  für  die  Operation  weit  un¬ 
günstigere  Chancen  bieten,  ist  ohne  weiteres  einleuchtend 
und  ich  glaube,  daß  eine  Statistik  der  für  die  0/peration 
einzig  geeigneten  Alischgeschwülste  wahrscheinlich  bessere 
Resultate  ans  Licht  fördern  würde. 


Aus  der  Klinik  Chrobak. 

Ueber  einen  seltenen  Ausgang  einer  Tubar- 

Gravidität. 

Von  Dr.  Coustautiu  I.  Biicura,  Assistenten  der  Klinik. 

Während  in  früherer  Zeit,  hauptsächlich  bevor  die 
enisprechende  o])erative  Behandlung  ihren  segensreichen 
Einfluß  auf  die  Heilung  der  Tubargravidität  geltend  machte, 
der  Ausgang  dieser  Erkrankung  nicht  selten  der  war,  daß 
(dne  Perforation  in  den  Darm  und  eine  Ausstoßung  des 
verfaulten  Graviditätsproduktes  mit  dem  Stuhle  erfolgte, 
werden  solche  Beobachtungen  heuh*  immer  seltener.  Der 
Fäll,  den  ich  im  folgend«'!)  milteilen  möchte,  gehört  im  ge¬ 
wissen  Sinne  auch  biezii,  indem  auch  bi('r  eine  Kommuni- 

"9  Ballard,  Transact,  of  the  pathol.  soc.  1859,  S.  189. 

Schede  in  Bruns  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie,  Bd.  3, 

2.  Teil. 

Walker,  zitiert  in  Schede. 


f 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


katiüii  des  exlrautcriiieii  FTuchtsackes  mit  dem  Darme  zu¬ 
stande  kam;  die  begleitenden  Umstände  und  der  Ausgang 
sind  so  eigenartig  und,  soviel  mir  bekannt,  bis  heute  noch 
nirgends  beschriehen,  daß  ich  dieselben  etwas  genauer  mit- 
teilen  möchte. 

Am  21.  Fobriiai'  IbüO  wurde  E.  Marie',  27  Jahre  all,  wegen 
Blutungen  aus  dem  Utei'us  auf  die  Klinik  aufgenonimen.  Die  letzten 
regelmäßigen  ^Menses  halte  die'  Patientin  ungefähr  Mitte  De¬ 
zember  gehabt,  docli  waren  dieselben  bedeutend  stärker  als  die 
veu'hergehenden.  Aiu'h  sollen  Inebei  ganze  Blutstücke  abgegangen 
sein.  Abgang  von  i\rembranen  hat  sie  nicht  beobachtet.  An¬ 
schließend  an  eliese  starke  Blulung  bekam  sie  Schmerzen  im 
Uiderbauch  von  wechselnder  Stärke  und  Dauer;  es  wechselte  auch 
die  Lokalisation  der  Schmerzen,  indem  sie  bald  mehr  rechts, 
bald  mehr  links  empfunden  wurden.  Dieselben  waren  von  brennen¬ 
dem,  stechendem,  keinesfalls  von  wehenartigem  Charakter.  Eine 
neuerliche  Blutung  war  erst  anfangs  .Tanuar  eingetreten,  an¬ 
schließend  an  die  Einnahme  eines  Sirups,  der  ihr  von  einem 
Arzle  veroi'dnet  worden  war.  Diese  Blutung,  die  von  großer 
Intensität  war,  dauerte  bis  zur  Aufnahme,  war  in  den  letzten 
Tagen  nach  Bettruhe  etwas  schwächer  gewoi'den;  größere  Stücke 
oder  Membranen  sind  während  dieser  Zeit  nicdit  abgegangen. 

Früher  war  Pal.  nie  krank.  Die  ersten  Menses  hatte  sie  mit 
15  Jahren,  immer  i'c'gelmäßig,  vierwöchenilich,  von  sieben-  bis 
achttägiger  Dauei-.  Seit  Jahren  litt  sie  an  Fluor;  war  nie  gravid 
gewesen. 

Milteigroße,  zarle,  anämische  Frau,  mit  normalem  Lungen- 
uud  Hei'zbefund,  Herztöne  allerdings  über  allen  Ostien  mit  systo¬ 
lischem  Geräusch.  Kein  Kolostrum.  Die  Schmerzen  wurden  auf 
Bettruhe,  und  Kühlapparate  geringer.  Leukozytenzählung  ergab 
10.000.  Temperatur  37-2,  Puls  00.  Am  26.  Februar  war  etwas 
Blut  mit  schleimig  faserigc'u  Tt'ilchen  abgegangen,  die  ähnlich 
wie  Dezidua  aussahen. 

Der  am  Tage  der  Aufnahme  erhobene  Genilalstalus  ergab 
ein  noj'males  äußejes  Genitale,  2  cm  hohen  Damm,  Sekretion 
wässerig -blutig,  etwas  schleimig;  in  der  Urethra  gelbliches  Sekret. 
Vagina  milteilang,  ziendich  weit,  glatt,  Portio  hochstehend,  stark 
aufgelockerl,  der  Muttermund  für  einen  Finger  dui'chgängig ;  in 
der  Uterushöble  wie  plazetdares  Gewebt'  zu  tasten.  Uterus  mit 
seinem  Fundus  zirka  di't'i  Ouerfinger  über  der  Sympbyse  stehend. 
Hinter  dem  Uterus  eine  derbe,  schmerzhafte  Resistenz,  die  auch 
das  rechte  Parametrium  mitbetrifft.  Außerdem  scheint  rechts  ein 
größei’t'r  Adnexlumor  zu  sitzen.  Linkerseits  besieht  ein  Tumor 
von  ül)er  Apfelgröße,  ebenfalls  schmerzhaft.  M'egen  stärkerer 
Druckschmerzhaftigkeit  ist  ein  genauer  Bt'fund  nicht  aufzunehmeu. 
Die  damals  gestt'Hle  Diagnose  lautete  Graviditas  inlrauterina 
Mi'usis  IL,  Abortus  incompletus,  beiderseitige  Adnexschwellung 
mit  Parametritis,  ln  Erwägung  wurde  gezogen,  ob  nicht  hei 
bestehender  intrauteriner  (ii'avidität  auch  eine  extrauterine  vor¬ 
handen  wäre. 

Im  leichten  Aetherrausch  wurde  am  seligen  Tage  der  Uterus 
ausgetastel,  dabei  Gewebe  aus  seinem  Kavum  entfernt,  welches 
als  plazentares  angesprochen  wurde.  Leider  kamen  diese  Reste 
irrtümlich('i\v('ise  abhanden,  so  daß  die  histol-ogische  Unter¬ 
suchung  ausblieb.  Am  siebenten  Tage  nach  der  Ausräumung 
trat  eine  Temjmratursteigerung  bis  38-7  auf,  w('iche  rasch  zurück- 
ging.  In  zwei  Tagen  war  Pal.  vollkommen  afebril  und  im  besten 
\Vohlb('findeji.  Am  9.  März  vmren  beiderseits  neben  dem  Uterus 
größt'  Tumoren  zu  tasten,  von  derber  Konsistenz.  Nach  wt'iteren 
fünf  Tagen  trat  wieder  eine  leichte  Temperatursteigerung  bis 
38  auf.  Der  Genitalstatus  änderte  sieb  fast  gar  nicht,  bis  auf 
('ine  undeutliche  Zunahme  der  Größe  des  linksseitigen  Adnex- 
fumors.  Es  bestanden  zwar  Schmerzen,  doch  von  geringer  In- 
lensität,  Blutungen  Iraten  keine  mehr  auf.  Pat.  bekam  Einreibungen 
mit  Unguentum  Crede.  Am  23.  März  klagte  Pat.  über  stechende 
Schmoizen  im  .Abdomen,  die  aber  den  Tag  darauf  nachließen. 
Allgemeinbefinden  und  Appetit  sehr  gut;  vollkommen  afebril. 
So  weit  man  von  außen  tasten  konnte,  waren  die  Tumoren  beider¬ 
seits  sichtlich  zurückgegangen.  Am  8.  April  neuerliche  Tem- 
peratursteigeriing  bis  38®,  ohne  Wecdisel  im  Allgemeinbefinden. 
Am  10.  April,  ab('nds,  plötzlich  krampfartige  Schmerzen  im  Ab¬ 
domen  links,  worauf  eine  rein  hlntig('  Sluhlenlleerung  folgte. 
Das  Blut  war  schwarzbrau II,  gestockt.  Nach  einer  Stunde  wieder 
eine  hall»'  Leihschüssel  voll  Blut  von  der  gleichen  Beschaffen- 
heil.  Die  Nacht  darauf  hatte  die  Patientin  dreimal  flüssigen  Stuhl 
ohne  makroskofiisch  sicht  hare  Rlutbeirnengung.  Die  Harnunter¬ 
suchung  ergab  \veder  .Azi'lon  noch  Eiweiß  und  Zucker.  Tags 
darauf  flüssiger  Stuhl,  vc'rim'ugl  nnt  frischem  Blut.  Nach  einer 
Stunde-  wieder  ein  gleicher  Stuhl.  Die  vaginale  Untersuchung 
ergab  einen  ziemlich  unvc'ränderten  Befund :  der  Uterus  in 
Miltelstelhmg  maximal  nach  links  gc'drängt,  durch  einen  fast 


faustgroßen,  teigigen,  aber  nicht  flukhuerenden,  rechts  neben  dem 
Uh'rus  gelegenen  Tumor.  Links  vom  Uterus  ('ine  undeullich(' 
Resistenz  zu  tash'ii.  Aus  d('in  Genilah'  ki'iiu'  Blulung.  Die  rek¬ 
tale  Uiih'i'suchung  ('rgab  dii*  Aiiunille  shirk  gi'hlähl,  sonst  nirgends 
clwas  V('rdächtig('S  (Perforalimi)  zu  lash'ii.  Pal.  wies  ('ine  Tempera- 
lur  von  38-4  auf,  halte  aber  eiiu'ii  kräfligc'ii  Puls  von  108  Schfägen 
in  der  Alimite,  sie  fühlte  sich  nur  elwas  schwach,  sonst  wohl. 
Sie  bekam  inU'i'ii  lUdgo  Gi'laliiieh'isung  ('ßlöffelweise  und  Leiter- 
schen  Kiihlapparat  auf  (h'ii  Bauch.  Di'ii  'tag  darauf  erbrach  die 
Patientin  die  (h'latiiielösung.  so  daß  dieselhe  ansgesetzt  wi'rden 
mußte.  Die  Slühh'  wari'ir  bis  auf  h'ichte  Blutbeimischung  von 
normale]’  Beschafh'nlu'il.  Kochsalzinfusion,  Opiumtropfen  und  Kof- 
feininjektionen.  Wbddhefimh'ii.  ,\m  13.  und  14.  ('rfolgte  ki'in 
Blntabgang  mehr  aus  (h'ni  D;irm,  doch  nahm  die.  Prostration 
immer  mehr  zu.  .\in  14.  nachinillags  plölzlich  unregelmäßige 
Almung,  Puls  ;iusselzend,  schließlicli  sistierle  die  .Vtmung,  der 
Puls  war  noch  längere  Zeit  nachwi'isbar,  bis  auch  der  Herz¬ 
schlag,  nachdem  früher  Kampfer  vc'i’abfolgt  worden  war,  um 
V22  Uhr  aufhörte. 


Die  Obduktion  ergab  hochgradigi'  Anämie,  chronische  paren¬ 
chymatöse  Nephritis  und  chronisrdie,  ausgeheilte  ruberkulose  der 
Lungenspitzen.  Beim  Eröffnoi  des  .Abdomens  zeigte  'sich  das 
ganze  iiarietale  Pi'ritoneum  des  Unti'ibiiuches  und  die  Serosa 
der  Därme  pigmentiert,  ;ds  Zeichen,  daß  Auir  einigi'r  Zeit  flüssiges 
Blut  in  der  freien  Bauchhöhle  gewesi'ii  ist. 

Es  sei  betont,  daß  diese  Pigmentierung  nur  die  Serosa 
betraf,  nichl  aber  die  ScbleimlumI  und  .Muskularis  des  Dannes ; 
dies  als  Bi'weis,  daß  der  Weg  der  Pigmentierung  von  außen 
nach  innen  zurückgelegt  wurde,  nichl  umgekehrt.  Vom  Genitale 
sah  man  nur  den  Uterus,  der  stark  vergi’ößert,  mehr  nach  links 
lag,  rings  um  den  Uterus  lu'rum,  hauptsächlich  ri'chts  von  ihm, 
war  ein  unentwirrbares  Konvolut  von  schwarzbraun  pigmentierten 
Därmen,  die  mitc'iniinder  innigst  verkleid  waren.  Eist  bei  näherer 
Betrachtung,  Präparii'rung,  hauptsächliidi  ;iber  nach  Ihn’ ausnahine 
des  Genitales,  konnten  die  Verhältnisse  geklärt  werden. 

Die  Besichtigung  des  herausgeschnittenen  Gi'uilales  ergab: 
Vulva,  Blase  uml  Scheide  ohne  Besonderheiten.  Der  Uterus 
f2V2  cm  lang,  Tubenabsland  7^2  cm,  vordere  Uteruswiind  2V2  ein 
dick,  Zervikalkanal  klaffend,  für  eiiU'ii  Finger  durchgängig.  Das 
üteruskavum  le('r.  Uterusinnenfläche  fc'in  gi’anuliert,  schmulzig- 
rötlichhr;um.  D(*r  hinteren  l.Tc'ruswjind  sind  Därme  breit  ;ul- 
bärent,  mit,  dern'n  ;iuch  die  mich  j’ückwärls  geschhigenen  linki'n 
Adnexe  unentwirrbar  verbacken  sind.  Mit  dem  rc'chten  Anteil 
des  Uteiusfundus  ist  der  untere  4’eil  di's  Dickdarms  so  verwachsen, 
(hiß  gerade  ;in  dei’  ri'chten  Uteruskiinti'  hinten  die  Uebergangs- 
stelle  (l('r  Flexur  ins  Rektum  adhäri('rl.  Das  R('klum  vei'läufi 
dann  hinter  dem  Uterus  nach  abwärts.  R('chts  nelioi  dem  Uterus 
ist  ein  Tumor  von  Kleinfaustgröße  ebenfalls,  hauptsächlich  hinten, 
mit  Darm  fläclienhafl  vi'iw.achsen.  Der  Inluill  dii'ses  'l'umors 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


ist  geronnenes  Blut,  wandständig  aber  noch  flüssiges  Blut  zu 
sehen.  Nach  Entfernung  der  Blutkoagula  erweist  sich  die  Kapsel 
der  Blutgeschwulst  stellenweise  bis  über  1  cm  dick,  ist  aber  zum 
großen  Teil  mit  dem  Darm  so  innig  verwachsen,  daß  sie  sich 
nicht  frei  darstellen  läßt;  stellenweise  bildet  die  Darmwand  selbst 
die  Kapsel.  In  einer  Länge  von  5  cm,  wie  auch  aus  der  Abbildung 
ersichtlich,  läßt  sich  die  rechte  Tube  am  oberen  Pol  des  Tumors 
verfolgen,  geht  dann  in  den  Tumor  selbst  über.  In  aufeinander¬ 
folgenden  Querschnitten  der  Tube  läßt  sich  im  ganzen  Verlauf 
derselben  ihr  Lumen  darstellen ;  je  mehr  distalwärts  aber  ^  das¬ 
selbe  kommt,  desto  mehr  nähert  es  sich  dem  Blutsack,  bis  es 
endlich  nicht  mehr  nachweishar  ist:  die  Tube  geht  plötzlich! 
in  den  Blutsack  über,  ohne  weiter  verfolgbar  zu  sein.  Dieser, 
dessen  Wand  in  drei  Viertel  seiner  Totalität  über  1  cm  dick  ist, 
erweist  sich  links  oben  hinter  dem  Uterus  an  einer  fünfkronen¬ 
stückgroßen  Stelle  außerordentlich  verdünnt  und  nur  von  Darm¬ 
wand  (Uehergangsstelle  der  Flexur  zum  Rektum)  gebildet.  Hier 
finden  sich  (vergleiche  die  Sonden  im  Bilde)  drei  Perforations¬ 
öffnungen,  die  vom  Lumen  des  Darms  in  den  Blutsack  führen. 
Die  Ränder  dieser  Oeffnungen  sind  zackig,  etwas  schmierig  be¬ 
legt.  Der  untere  Teil  des  Rektum,  der  hinter  dem  Uterus  nach 
abwärts  verläuft,  erscheint  im  fixierten  Präparate  mit  Blut  wie 
ausgegossen.  Das  rechte  Ovar  war  mit  dem  Darm  unentwirrbar 
verklebt  und  ließ  sich  erst  in  verschiedenen  Schnitten  durch 
das  Darmkonvolut  nachweisen. 

Zur  histologischen  Untersuchung  wurden  Stückchen  aus  den 
verschiedensten  Partien  herausgeschnitten  und  mit  Hämatoxylin- 
Eosin,  nach  van  G  i  e  s  o  n  und  mit  Löfflers  Methylenblau  gefärbt. 

Die  aus  der  Uterusinnenfläche  exzidierten  Stückchen 
zeigten  zum  Teil  bloßliegende  Muskularis,  zum  Teil  Anhäufungen 
von  kleinen  Rundzellen,  zwischen  welchen  spärliche  größere, 
protoplasmareiche  Zellen,  mit  bläschenförmigen,  schwach  tingier- 
barem  Kern  erkennbar  sind ;  letztere  Zellen,  die  als  Dezidua- 
zellen  anzusprechen  sind,  finden  sich  hauptsächlich  zwischen 
den  Muskelbündeln.  Dort  wo  die  kleinzellige  Infiltration  reich¬ 
licher  ist,  sieht  man  auch  feinste,  zartwandige  Kapillarsprossen. 
An  der  Basis  der  Zellanhäufungen  sind  oft  stark  verzogene  und 
komprimierte  Uterindrüsen  zu  sehen.  An  anderen  Stellen  ist 
der  Muskularis  zum  Teile  schon  in  Organisation  begriffenes, 
kleinzellig  infiltriertes  Fibrin  aufgelagert,  um  mit  allerhand  Zell¬ 
detritus,  kaum  noch  Farbstoff  annehmend,  abzuwechseln.  Da 
doch  die  Möglichkeit  bestand,  daßi  es  sich  in  unserem  Falle  um 
eine  Extrauteringravidität,  kompliziert  mit  intrauteriner  Gravi¬ 
dität,  gehandelt  habe,  so  richtete  ich  mein  Augenmerk  ganz  be¬ 
sonders  auf  etwaige  Reste  von  Chorionzotten  im  Uterusinnern ; 
doch  fanden  sich  hier  nirgends  Gebilde,  die  auch  nur  den  leisesten 
\''erdacht  auf  zugrunde  gegangene  Zotten  hätten  erwecken  können. 

Der  interstitielle  Teil  der  Tube  ist  nicht  wesentlich  ver¬ 
ändert.  Die  Schleimhaut  ist  nur  ganz  leicht  kleinzellig  infiltriert, 
hat  aber  ihre  Beschaffenheit  sonst  in  allem  und  jedem  beibehallen. 
Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Anteil  der  Tube,  der  zwischen 
der  Uteruskante  und  dem  Blutsack  verläuft.  Das  Lumen  des 
Eileiters  ist  hier  erfüllt  von  großen  polynukleären  Leukozyten 
in  teils  faserigen,  teils  homogenen  Massen.  In  Methylenblau¬ 
präparaten  finden  sich  zwischen  den  Leukozyten  und  in  den¬ 
selben  reichlich  in  Ketten  angeordnete  Kokken.  In  den  dem  Lumen 
zugekehrten  Schichten  ist  die  Schleimhaut  von  einer  kleinzellig 
infiltrierten  Masse  ersetzt,  die  sich  bis  hinein  in  die  Muskel¬ 
schichte  erstreckt;  in  derselben  finden  sich  ganz  spärliche  Reste 
von  Schleimhaut,  an  der  noch  hie  und  da  Epithel  zu  erkennen 
ist.  Erst  die  äußeren  Schichten  der  Tube  zeigen  normales  Aus¬ 
sehen,  aber  auch  hier  sieht  man  haufenweise  Ansammlungen  vo)i 
kleinen,  mononukleären  Leukozyten. 

Der  Blutsack  zeigt  verschiedene  Bilder,  je  nach  den 
Stellen,  die  der  histologischen  Untersuchung  zugeführt  werden. 
In  dem  größten  Anteil  des  Sackes  —  mehr  als  drei  Viertel 
desselben  ■ —  sieht  man  von  innen  nach  außen  folgende  Schictiten: 
Zelldetritus,  unter  welchem  noch  deutlich  Erythrozyten  vermengt 
sind,  dann  eine  Schichte  von  großen  protoplasmareichen  Zellen, 
mit  schwach  tingierbarem  großen  Kern.  Dieser  Zellschichte,  die 
als  platt  gedrückte  Dezidua  anzusprechen  ist,  folgt  eine  Muskel¬ 
schichte  von  an  verschiedenen  Schnitten  verschiedener  Mäctitig- 
keit,  dann  eine  Schichte  von  großen  Gefäßen;  in  der  über- 
Aviegenden  Mehrzahl  der  Schnitte  schließt  sich  dann  kontinuier¬ 
lich  eine  Bindegewebsfaserschichte  an,  in  welcher  deutliche  Fett¬ 
zellen  enthalten  sind,  dann  eine  doppelte  Muskelschichte,  wieder 
Bindegewebe,  auf  welches  dann  die  typische  Darmschleimhaut 
zu  sehen  ist.  An  Schnitten,  die  sich  melir  der  Perforationsstelte 
nähern,  fehlen  die  Schichten,  die  der  Tuhenwand  entsprechen, 
vollkommen  und  es  liegt  Detritusmasse  und  eine  Fihrinlage  der 
Darmwand  an.  Im  Detritus,  der  allenthalben  der  Blutsackwand 


anliegt,  sind  in  Methylenpräparaten  Streptokokken  in  reichlicher 
Anzahl  sichtbar.  Im  Fruchtsack  lassen  sich  histologisch  vollkommen 
frische  Chorionzotten  nachweisen,  die  in  allen  ihren  Elementen 
den  P'arbstoff  unbehindert  annehmen  und  die  Langhaus  sehe 
Schichte  mit  dem  synzytialem  Ueberzug  unverändert  erhalteji 
haben.  In  den  Zwischenzottenräumen  sind  intakte  rote  Blut¬ 
körperchen  mit  spärlichen  polynukleären  Leukozyten  vermengt 
zu  sehen.  Andere  Stellen  wieder,  in  denen  keine  Zotten  sicht¬ 
bar  sind,  zeigen  im  ganzen  Gesichtsfelde  fast  nur  mehr  mehr¬ 
kernige,  weiße  Blutkörperchen,  mit  hie  und  da  eiiigelagerlen 
Erythrozyten. 

Perforationsstelle.  Wie  schon  erwähnt,  ist  die  Blut¬ 
sackwand  in  der  Gegend  der  Perforation  nur  vom  Darm  gebildet, 
dementsprechend  sind  die  Perforationsgänge  nur  in  der  Darni- 
wand  gelegen.  Man  sieht  als  Auskleidung  der  Fistelgänge,  in 
allen  drei  gleich,  massenhaft  polynukleäre  Leukozyten  in  fa¬ 
serigem  Bindegewebe,  mit  Streptokokken.  Im  Inhalt  der  Fistel¬ 
gänge,  der  hauptsächlich  aus  Detritus  und  Erythrozyten  besteht, 
finden  sich  neben  Streptokokken  auch  kurze,  dicke  Stäbchen. 
In  den  Fistelgängen  sellDst,  ebenso  an  der  dem  Blutsack  zuge¬ 
kehrten  Seite  der  Perforationsstelle,  finden  sich  Pigmentzellen 
als  Zeichen,  daß  die  Blutung  vom  Blutsack  in  den  Darm  er¬ 
folgt  war.  ' 

Nach  dem  obigen  makroskopischen  und  mikroskopi¬ 
schen  Befunde  handelt  es  sich  in  unserem  Falle  also  um 
einen  unvollständigen  Abortus  bei  Tubargravidität  mit  Per¬ 
foration  des  Fruchtsackes  in  den  Darm  und  Verblutung  aus 
dem  Fruchtsack  durch  die  Perforationsöffnungen. 

Versucht  man,  eine  Erklärung  zu  geben  für  den  Her¬ 
gang  der  ganzen  Erkrankung,  so  ergibt  sich  aus  der  Anam¬ 
nese,  dem  Verlaufe  und  der  histologischen  Untersuchung 
folgendes : 

Die  rechtseitige  Tubargravidität  kam  zustande  bei  be¬ 
stehenden  perimetrischeii  Verwachsungen,  vielleicht  gonor¬ 
rhoischer  Natur.  Dafür  und  gegen  ein  sekundäreis  Zustande¬ 
kommen  der  Verklebungen  spricht  der  Befund  der  unent¬ 
wirrbaren  Verwachsungen  auch  an  den  linken,  picht  gra¬ 
viden  Adnexen.  Bei  Förtentwicklung  der  Schwangerschaft 
entfaltete  das  am  ampullären  Teile  haftende  Ei  das  Fim¬ 
brienende  der  Tube  und  verblieb  in  dem  durch  die  Ver¬ 
wachsungen  der  Därme  präformierten,  abigeschlossenen 
Raume,  indem  es  zugleich  auch  an  der  primären  Stelle 
in  der  Tübe  haften  blieb,  so  daß  es  forternährt  werden 
konnte  und  nicht  abstarb.  Durch  Infektion  kam  es  zu  einer 
purulenten  Salpingitis,  zur  Eiterung  des  F’ruchtsackes,  zu 
eitriger  Einschmelznng  des  schon  durch  den  Druck  des 
wachsenden  Eies  geschädigten  Darmes  und  zur  Kommuni¬ 
kationsbildung  zwischen  Darm  und  dem  noch  das  lebende 
Ei  beherbergenden  Fnichtsack,  aus  welchem  sich  die  Frau 
verblutete. 


Aus  dem  gewerkschaftlichen  Krankenhause  in  Orlau. 

lieber  Schußverletzungen  des  Pankreas. 

Von  Dr.  Josef  Gobiet,  chir.  Ordinarius. 

Die  Schußverletz ungeu  des  Pankreas  sind,  soweit  man 
dies  nach  den  in  der  Literatur  niedergelegten  Aufzeichnun¬ 
gen  beurteilen  kann,  außerordentlich  selten.  Ich  finde  ins¬ 
gesamt  18  Fälle  von  Schußverietzung  des  Pankreas  ver¬ 
zeichnet,  von  denen  zwölf  gestorben,  sechs  geheilt  sind. 

Körte^)  stellte  in  seiner  1898  erschienenen  Arbeit: 
Die  chirurgischen  Krankheiten  und  V'erletzungen  des  Pan¬ 
kreas,  sechs  Fälle  von  Pankreasschuß  zusammen.  Es  sind 
dies  drei  Fälle  von  Otis,  ein  Fall  aus  dem'  Sanitätsbericht 
des  deutschen  Heeres  1870/71,  ein  Fall  von  Niemann, 
ein  Fall  von  Bertram.  Alle  diese  Fälle  sind  unoperiert 
gestorben. 

Seit  dem  Erscheinen  der  Kört  eschen  Arbeit  sind  zwölf 
weitere  Fälle  veröffentlicht,  welche  sämtlich  operiert  wurden. 
Von  diesen  sind  sechs  geheilt,  sechs  gestorben.  Geheilt 
sind:  Zwei  Fälle  von  Bram  a  nn, 2)  ein  Fall  von  Hahn,^) 
ein  Fall  von  Ninni,^)  ein  Fall  von  Borchhardt,^)  ein 
Fall  von^  Becker.®)  Gestorben  sind:  Ein  Fall  von  Sim¬ 
mon  ds,')  ein  Fall  von  Braniann,®)  der  Präsident  der 


Nr.: 4  WIENER  KLINISCHE 


Vereinigten  Staaten  Mac  Kinley,^)  ein  Fall  von  Körte/®) 
ein  Fall  von  Kindt/^)  ein  Fall  yon  Coniiel.^^) 

Diesen  18  Fällen  von  Sclmßverletzimg  des  Pankreas 
füge  ich  einen  eigenen  hinzu,  welcher  durch  ,  Opera, tioi^  ge¬ 
heilt  wurde :  ,  ,,  .  ,  ;  ,  , 

RI.  J.,  23  Jahre  alt,  Bergmann,  schoß  sich  am  21.  September 
vorigen  Jahres,  nachmittags  5.  Uhr,  in  selbstmörderischer,.  Absicht 
eine  Revolverkugel  in  die  Herzgrube.  Ich  sah  den  Patienten  am 

22.  September  vormittags  10  Uhr,  also  17  Stunden,  nach  erfolgter 
Verletzung.  Pah  ist  vollständig  bei  Bewußtsein'  klagt  über,  sehr, 
heftige  Schmerzen  im  Bauche,  hat  kurz  vorher  zweimal  erbrochen' 
Es  besteht  Verhaltung  von  Stuhl  und  Winden. ,  Gesichtsausdruck 
leidend.  Puls  kräftig  und  regelmäßig.  Pulszahl  84.  Ahnung  ober¬ 
flächlich,  kostal.  Temperatur  3ö-9°.  .  .  ,  • 

In  der  Herzgrube,  etwas  links  vom  Processus  xiphoideus, 
eine  hellergroße  Schußwunde.  Der  Bauch  auf  ge  trieben,  gespannt, 
überall  druckschmerzhaft,  besonders  aber  im  Epigastrium.  Bei 
der  leisesten  Berührung  daselbst  schreit  Pat.  auf.  Leberdämpfung 
um  zwei  Querfinger  verkleinert.  Beide  Flanken  gedämpft.  Kein 
Ausschuß. 

Auf  Grund  dieses  Befundes  wird  die  Diagnose  auf  penetrie¬ 
rende  Bauchverletzung  gestellt  und  um  11  Uhr  vormittags  zur 
Laparotomie  geschritten  (18  Stunden  nach  stattgehabter  Ver¬ 
letzung).  Morphin-Aethernarkose.  RIedianschnitt  von  der  Basis 
des  Processus  xiphoideus  bis  zum  Nabel.  Nach  Eröffnung  des 
Peritoneums  sieht  man  die  Eingeweide  allenthalben  mit  frischem 
Blute  bedeckt.  In  den  Lendengegenden  beiderseits  eine  größere 
Blutansammlung.  Rleiige  des  Blutes  schätzungsweise  ein  halber 
Liter.  Die  Därme  und  der  RIagen  gebläht  und  ihre  Serosa  injiziert. 
Nach  Entfernung  des  Blutes  mit  Tupfern  sieht  man  an  der  vorderen 
oberen  Fläche  des  linken  Leberlappens  eine  dreistrahlige  Wunde 
von  2  cm  Länge,  welche  mäßig  blutet.  Der  linke  Leberlappen  ist 
geschwollen  und  hyperämisch.  Der  Versuch  der  Naht  der  Leber- 
wunde  mißlingt  wegen  großer  Briichigkeit  des  Lebergewebes.  Da¬ 
her  wird  ein  Gazestreifen  in  den  Schuß.kanal  der  Leber  ein¬ 
geführt.  Nach  dem  Umklappen  der  Leber  nach  oben  sieht  man  an 
der  unteren  Leberfläche  die  Ausschußöffnung,  welche  etwas  leb¬ 
hafter  blutet  und  ebenfalls  mit  einem  Streifen  austamponiert 
wird.  Die  Kugel  hatte  den  linken  Leberlappen  in  schräger  Richtung 
von  vorne  oben  nach  hinten  unten  durchsetzt.  Bei  Absuchen  des 
RIagens  und  seiner  Umgebung  findet  sich  ein  ungefähr  haselnußi- 
großes  Blutgerinnsel  am  kleinen  Netze  haftend,  pilzfönnig  über 
dasselbe  hervorragend,  knapp  am  Ansätze  des  kleinen  Netzes 
an  die  kleine  Kurvatur  des  RIagens.  Nach  Entfernung  dieses  Blut¬ 
gerinnsels  sieht  man,  daß  dasselbe  ein  ungefähr  hellergroßes 
Loch  im  kleinen  Netze  verstopft  hatte.  Dieses  Loch  wird  stumpf 
erweitert,  die  Ränder  desselben  mit  Klemmen  gefaßt  und  aus¬ 
einandergehalten.  Die  Leber  wird  stark  nach  oben  gedrängt,  dei‘ 
RIagen  durch  einen  an  der  kleinen  Kurvatur  eingesetzten  Spatel 
nach  unten  gezogen.  Auf  diese  Weise  erhielt  man  einen  guten 
Einblick  in  die  Bursa  omentalis.  In  derselben  fanden  sich  einige 
Blutgerinnsel  und  etwas  flüssiges  Blut.  Nach  Austupfen  des  Blutes 
sah  man  eine  mäßig  blutende  Perforation  des  Pankreas,  ungefähr 
in  der  Rlitte  des  Pankreaskörpers.  Die  Ränder  der  Wunde  waren 
stark  gequetscht,  einzelne  Drüsenläppchen  vollständig  aus  dem 
Zusammenhänge  getrennt.  Nach  möglichster  Reinigung  der  Bursa 
omentalis  wurde  mit  einem  breiten  Streifen  zunächst  die  ver¬ 
letzte  Stelle  im  Pankreas  und  die  Bursa  omentalis  austamponiert. 
Die  Streifen  wurden  durch  die  Oeffnung  im  kleinen  Netze  heraus¬ 
geleitet  und  mit  demselben  Streifen  der  Raum  zwischen  RIagen 
und  Leber  breit  tamponiert.  Die  Bauchwunde  wurde  in  einer 
Etage  mit  starker  Seide  geschlossen  bis  auf  kleine  Zwischen¬ 
räume  für  die  tamponierenden  Streifen,  von  denen  wir  drei  hatten. 
Der  eine  tamponierte  den  Einschuß  der  Leber,  der  zweite  den 
Ausschuß,  der  dritte  das  Pankreas  und  seine  Umgebung. 

22.  September.  Nachmittags:  Temperatur  37-6°;  Puls:  92. 
Pat.  klagt  über  sehr  heftige  Bauchschmerzen;  kein  Erbrechen  mehr. 

23.  September.  Temperatur:  37-8°.  Nachmittags:  38-5^. 
Rechts  hinten  unten  Pneumonie.. 

24.  September.  Temperatur  37-4°.  Abgang  von  Winden, 

Puls:  80.  Ikterische  Hautfärbung.  Untersuchung  des  Urins  auf 
Zucker  ergibt  ein  negatives  Resultat.  . 

25.  September.  Temperatur:  37-6''.  Auf  Sennaklysrna  reich¬ 
liche  Stuhlentleerung,  keine  Fettstühle. 

27.  September.  Temperatur  normal.  Puls :  76.  Ikterus  be¬ 
ginnt  zu  schwinden. 

30.  September.  Verband  stark  durchtränkt.  V^erbandwechsel. 
Die  Haut  in  der  Umgebung  des  Pankreasstreifens  in  der  Aus¬ 
dehnung  eines  Fünfkronenstückes  angedaut.  Nach  Entfernung 
dieses  Streifens  stürzt  eine  große  Rlenge  rötlichgelben  Sekretes 
hervor,  in  welchem  zahlreiche  Stecknadelkopf-  bis  linsengi'oße, 


WOCHENSCHRIFT.  1907. 

- : _ 


weißgelbliche  feste  Gebilde  sclnyimmen.  Diese  Gebilde  werden 
als  söqueölribrte^'Fötthekfo'sen  angeseheh;  was' 'auch  durcli  die 
mikroskopische',  Untersuchung" bestätigt'  wird. '  Eihfülirüng  ..eines 
fingerdicken'^  20 'b'm ''langen  Drainrohres.  '  ,  ' 

2.  OM öbeFjT'ä’glifche'r  Verbandwechsel.  Sehr  starke 'Sekretion 
eines  rötlichgelben  .Sekretes  aus  deni  zum  Pankreas  fübrenden 
Drä.inrbhre.  Ihij' Sekre'fe  keine,  Fettnekrosen  mehr. 

‘'"  t).  Oktöbpr.  '  E'hiferqüng"  der  Nähte.  Primaheilung.  Sekre¬ 
tion  aus  der  P'ankrcasfistei  geringer. 

20.' Oktö.ber;'  Fistel  völisiandig  geschlossen.  Eine  Röntgen- 
aufnahnte  ergibt  den'  Si'tz  der  Kugel  im  Rücken,  in  der,  Höhe 
des  dritten  .Leridenwirbels.  Da  dieselbe  (lern  Patienten  keine  Be¬ 
schwerden  macht,  wird' von  ihrer  Eh tferiumg  Abstand  genommen. 

28.  Oktober,  Geheilt  entlassen.  '  • 

.  Mit  diesem':  eben  bescluriebenen  FnUe  .  sind  19  Fälle 
von  Schußverletzmig  des  Pankreas  bekannt.  Sechs  Fälle 
wurden  nicht  operiert.  Diese  sind  sämtlich  gestorben.  Von 
den  übrigen  13  operierten  Fällen  sind  sieben  geheilt,  sechs 
gestorben.  Daraus  geht  hervor  daß 'der  sich  selbst  über¬ 
lassene  Panlcreasschuß  den  Tod  zur  Folge  hat,  daß,  aber 
auch  die  operierten  Fälle  eine  Mortalität  von  nahezu '50®/o 
auf  weisen. 

Wenn  wir  der  Todesursache  nachforschen,  so  finden 
wir  angegeben :  in  den  sechs  älteren,  nicht  operierten  Fällen 
zweimal  sofortiger  Tod  infolge  mehrfacher  Organverletzun¬ 
gen  (Niemann,  Bertram),  einmal  Nachblutung  aus  der 
Arteria  splenica  (Otis),  zweimal  Lungenblutung  (Sanitäls- 
bericht  1870/71,  Otis),  einmal  Peritonitis  ((.)tis).  In  den 
sechs  verstorbenen  Fällen  der  neueren  Zeit  findet  sich  als 
Todesursache  viermal  Fett-  und  Pankreasnekrose  (Sim- 
nionds,  Mac  Kinley,  Kindt,  Körte),  einmal  Nekrose 
der  Magenwand  (Connel).  einmal  eine  Lungenaffektion 
(Bramann).  ,  , 

Daraus  ist  zu  ersehen,  daß  hauptsächlich  zwei  Um¬ 
stände  die  Pankreasverletzung  zu  'einer  so  gefährlichen 
machen,  erstens  die  komplizierenden  Verletzungen  anderer 
wichtiger  Organe,  zweitens  das  A'ustreten  von  Pankreas^ 
sekret  in  die  Bauchhöhle,  von  Borch'harclt  die  ,/pezifische 
Pänkreasgefahr“  benannt.  ,  \ 

Die  versteckte  Lage  des  Pankreas  bringt  es  mit  sich, 
daß  verwundende  Gewalten,  bevor  sie  das  Pankreas  er¬ 
reichen,  zuerst  eines  der  vielen  Organe  treffen  müssen, 
welche  das  Pankreas  bedecken.  Von  vorne  her  überlagern 
Leber,  Magen,  Colon  transversüm',  Milz  die  Bauchspeichel¬ 
drüse,  von  hintenher  ist  dieselbe  von  der  Wirbelsäule,  den 
Nieren  und  den  großen  Blutgefäßen  der  Bauchhöhle  be¬ 
deckt.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  ist  das  Pankreas 
für  gewöhnlicli  an  keiner  Stelle  , zu  sehen.  Diese.  Lagever¬ 
hältnisse  können  allerdings  eine  Aenderung  erfahren,  einer¬ 
seits  durch  den  wechselnden  Füllungszustand  von  Magen, 
Colon  und  Duodenum,  anderseits  durch  pathologische  Zu¬ 
stände,  z.  B.  Leberschrumpfung,  Gastroptose,  Ptose  des 
Colon  transversüm.  Um  ■  die'  Lager ungsverhältnisse  der 
Nachbarorgane  zum  Pankreas  aufzuklären,  '  hat  Körte 
30  Leichenversuche  angestellt.  Nur  in'  zehn  Fällen  waren 
einzelne  Partien  der  Drüse  derart  von  vorne  zugänglich, 
daß  nach  Durchdringen  der  Bauchwand  nur  noch  das  Liga¬ 
mentum  gastrocolicum,  bzw.  gastrohopaticum  das  Organ  be¬ 
deckte.  Diese  Stellen  waren  aber  inuner  so>  beschränkt,  daß 
ein  besonderer  Zufall  dazu  gehören  würde,  um  diese  freien 
Punkte  zu  treffen.  Bei  sechs  Leichenversuchen,  mittels 
langer  Nadeln  durch  die  Dauchdecken.’  das  Pankreas  zu 
treffen,  gelang  dies  Körte  nur  zweimal.  Beide  Male  waren 
andere  Organe  mitverletzt,,  einmal  die  Leber,  das  ändere 
Mal  der  Magen.  Auf  Grund  dieser  Versuche  hält  K,örte 
,,die  Wahrscheinlichkeit  der  isolierten.  Pankreasyerietzung 
für  eine  sehr  geringe“.  Borchhardt  hält  eine  isolierte 
Pankreasverletzung  für  „fast  ausgeschlossen“.  Nur  bei  einem 
Schüsse  von  hinten  wäre  es  nach  seiner  Ansicht  theoretisch 
möglich,  daß  außer  der  Rückenmuskulatur  auch  einmal  die 
Bauchspeicheldrüse  allein  getroffen  würde.  Diese  Ansicht 
Borchhardts'ist  allerdings  durch  den  nach  Erscheinen 
der  Borchhardtschen  iVrbeit  publizierten  Fall  Beckers 
widerlegt,  wo  es  sich  mit  Sicherheit  um  eine  isolierte  Schuß- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


v^erletzuiig  des  Pankreas  handelte.  Der  Einschuß  befand 
sich  zwischen  dem  achten  und  iieLinteii  Rippenknorpel  links, 
medial  von  der  vorderen  Axillarlinie.  Bei  der  Operation 
fand  sich  nur  eine  Kontusion  des  Magenfundus.  Die  Kugel 
war  weiterhin  nach  Durchsetzung  des  Ligamentum  gastro- 
lienale  in  den  Pankreasschwanz  eingedrungen.  Dies  ist  der 
einzige  bisher  Ijeobachtete  Fall  von  Schußverletzung  des 
Pankreas  ohne  penetrierende  Verletzung  anderer  Organe. 
Becker  sucht  dies  dadurch  zu  erkhären,  daß  die  Patientin 
den  ganzen  Tag  nichts  gegessen  hatte,  so  daß  der  Magen 
sich  in  vollständig  leerem,  kontraliiertem  Zustand  befand. 
Ferner  nimmt  er  mit  Körte  eine  größere  Beweglichkeit 
des  Pankreasschwanzendes  an.  Dasselbe  ist  durch  das  Liga¬ 
mentum  pankreaticolienale  mit  der  Milz  verbunden  und 
mach!  daher  die  Bewegungen  der  Milz  mit,  so  daß  unter 
Lmständen  das  Pankreas  nach  links  den  Magen  überragen 
und  isoliert  verletzt  werden  kann.  Diesem  Beckerschen 
Falle  kommt  am  nächsten  der  Fall  von  Simmonds,  wo 
außer  dem  Pankreas  nur  noch  die  Vena  lienalis  verletzt 
war.  In  den  übrigen  17  Fällen  waren  zum  Teil  mehrfache 
Organverletzungen  vorhanden  u.  zw.  sechsmal  Verletzung 
des  Magens  (Otis,  Bertram,  zwei  Fälle  von  Bramann, 

M  a  c  K i  n  1  e  y,  K i  n  d  t),  dreimal  Verletzung  der  Leber  (H  a h  n, 
Bramann,  (Io  bi  et),  einmal  waren  Leber  und  Magen  ver¬ 
letzt  (C  0  n  n  e  1 1),  zweimal  der  Darm  (N i  n  n i.  Kör  te),  einmal 
Leber  und  xMilzgefäße  (Borchhardt),  einmal  Milz  und  Milz¬ 
gefäße  (Otis),  einmal  Milz  allein  (Sanilätsbericht  1870/71), 
einmal  Lunge,  Zwerchfell,  Leber  (Otis),  einmal  Leber, 
Zwerchfell,  Herz  (N  i  e  m a n n).  B  o  r c  h h ar  d t  meint,  daß 
die  von  vorne  in  das  Pankreas  eindringende  Kugel  zwei 
typische  Wege  einschlägt,  cjitweder  durch  die  Leber  und 
das  kleine  Netz  oder  durch  den  Magen.  Von  den  bekannten 
19  Fällen  von  Paiikreasschuß  ist  die  Kugel  14mal  von  vorne 
eingedrungen  und  durchsetzte  hiebei  siebenmal  den  Magen, 
fünfmal  die  Leber,  so  daß  die  Bemerkung  Borchhardts 
im  allgemeinen  zuzutreffen  scheint.  Eine  Ausnahme  macht 
der  Fall  von  Körte,  wo  die  Kugel  durch  eine  Dünndarm¬ 
schlinge  und  das  Mesokolon  drang  und  der  Fall  von  Becker 
von  isolierter  Schußverletzung.  In  den  drei  Fällen,  wo  die 
Kugel  von  hinlen  eindrang,  waren  auch  stets  komplizierende 
Verletzungen  vorhanden.  Fs  sind  dies  der  Fall  von  Ninni 
(sieben  Darmwunden),  ein  Fall  von  Otis  (Lunge,  Zwerch¬ 
fell,  Leber),  der  Fall  aus  dem  Sanitätsbericht  1870/71  (Milz). 
Im  Falle  Simmonds  sind  keine  Angaben  über  den  Ein¬ 
schuß  gemacht,  ln  einem  Falle  von  (Otis  drang  die  Kugel 
von  der  linken  Seite  ein  und  durchsetzte  die  Milz  und 
das  Pankreas  in  querer  Richtung. 

Der  zweite  Faktor,  welcher  die  Pankreasverletzung  zu 
einer  so  gefährlichen  macht,  ist  die  von  Borchhardt  so 
benannte  „spezifische  Pankreasgefahr“,  d.  i.  die  Gefahr, 
die  den  Organismus  dadurch  bedroht,  daß  der  Pankreas¬ 
saft  in  die  Bauchhöhle  fließt. 

Durch  zahlreiche  Tiorexperimente,  so  von  Hilde- 
brandt,^^)  Dettmer,^^)  Körte,  HeßO’'^)  u.  a.,  wurde  sicher- 
gestellt,  daß  unter  dem  Einfluß  des  Pankreassaftes  im  Fett¬ 
gewebe  Nekrosen  entstehen.  Diese  zuerst  von  Baiser  be¬ 
schriebenen  Fettgewebsnekrosen  charakterisieren  sich  als 
Stecknadelkopf-  bis  linsengroße,  grau-  oder  gelbweiße,  manch¬ 
mal  auch  reingelbe,  opake  Herde,  in  welchen  man  mikro¬ 
skopisch  nekrobiotische  Veränderungen  des  Fettgewebes 
nachweisen  kann.  j\Ian  findet  Verlust  der  Färbbarkeit  der 
Kerne,  Fettsäurekristalle  u.  zw.  die  leichtgebogenen  Nadeln 
der  Palmitin-  und  Stearinsäure,  besonders  charakteristisch 
aber  ist  der  Befund  von  intensiv  blaugefärbten,  runden 
und  eckigen  Schollen,  die  den  einzelnen  Fettzellen  ent¬ 
sprechen  und  von  Baiser  mit  Kugelschalen  verglichen 
wurden.  Die  große  Affinität  dieser  Schollen  zu  Hämatoxylin 
läßt  auf  das  Vorhandensein  von  Kalk  schließen.  Langer- 
hans^*')  wies  auch  tatsächlich  nach,  daß  diese  Herde  haupt¬ 
sächlich  aus  fettsaurem  Kalk  bestehen.  Die  Fettnekrosen 
können  überall  im  intraperitonealen  und  retroperitonealen 
Fettgewebe  auftreten,  am  zahlreichsten  finden  sie  sich  aber 
im  Fettgewebe  des  Pankreas  und  seiner  Umgebung.  Bleibt 


das  Individuum  längere  Zeil  am  Leihen,  so  können  die  Fett¬ 
nekrosen  konfluieren  und  sequestriert  werden,  so  daß  große, 
mit  bröckligen,  aktinomyzesähnlichen  Massen  erfüllte  Höhlen 
entstehen,  in  w'elcher  man  das  völlig  gelöste  Pankreas 
findet  (Zahn). 

In  Gesellschaft  der  k  ettgewebsnekrose  findet  sich  fast 
immer  Nekrose  der  Drüseasiibstanz  des  Pankreas.  Das  Zu- 
slandekommen  der  Fettgewehsnekrose  und  ihr  Verhältnis 
zur  Pankreasnekrose  erklärt  Heß  auf  Grund  seiner  Ex¬ 
perimente  folgendermaßen :  ,, Irgendeine  (häufig  nicht  er¬ 
kennbare)  primäre  Lä.sion  des  Pankreas  bedingt  einen  Aus¬ 
tritt  von  Pankreassaft  aus  den  Zellen  in  das  intra-  und  para- 
pankreatische  Fettgewebe;  hier  wird  das  Neutralfett  durch 
das  fettespaltende  Ferment  des  Saftes  zerlegt;  es  bilden 
sich  lösliche  Seifen  (fettsaures  Natron)  und  durch  Aufnahme 
von  Kalk  aus  Blut  und  Geweben  unlösliche  Kalkseifen, 
welche  in  den  durch  diesen  Vorgang  abgestorbenen  Fettzellen 
nachweisbar  sind  (Langerhans);  sodann  breitet  sich  die 
Nekrose  auf  das  dem  nekrotischen  Fettherd  benachbarte 
Pankreasgewebe  sekundär  aus  und  es  ist  wahrscheinlich, 
daß  auch  diese  Nekrose  durch  Diffusion  der  löslichen  Spal¬ 
tungsprodukte  des  Fettes  vom  Fettherd  aus  erzeugt  wird.“ 
Die  Fettgewehsnekrose  entsteht  also  durch  das  fettspaltende 
Ferment  des  Pankreassaftes,  die  Pankreasnekrose  entsteht 
sekundär  als  Folge  der  Fettgewehsnekrose. 

Ausgedehnte  Fettgewebs-  und  Pankreasnekrose  führt 
stets  zum  Tode.  Die  klinischen  Erscheinungen,  unter  denen 
der  Tod  erfolgt,  gleichen  denen  der  Perforationsperitonitis 
oder  des  Ileus  oder  auch  einer  Vergiftung.  Im  Vordergrund 
des  Krankheitshildes  stehen  schwere  Kollapssymptome.  Die 
eigentliche  Todesursache  ist  noch  nicht  ganz  aufgeklärt. 
Von  einigen  Autoren  wurde  Peritonitis  als  Todesursache 
angesehen.  Aber  gerade  bei  den  schwersten,  rapid  ver¬ 
laufenden  Fällen  findet  sich  hei  der  Sektion  keine  Spur 
von  Peritonitis.  Die  Serosa  ist  überall  intakt,  das  zumeist 
in  mäßiger  Menge  vorhandene,  seröshämorrhagische  Ex¬ 
sudat  ist  häufig  steril.  Andere  Autoren  nehmen  einen  ner¬ 
vösen  Vorgang  an.  Danach  wäre  die  Todesursache  abdomi¬ 
naler  Shock,  hervorgerufen  durch  mechanische  Beizung  des 
dem  Pankreaskopf  benachbarten  Plexus  coeliacus.  Derartige 
mechanische  Vlomente  (Blutung  im  Pankreaskopf,  Vergröße¬ 
rung  des  Pankreas)  sind  jedoch  in  vielen  Fällen  gar  nicht 
vorhanden,  so  daß  auch  diese  Erklärung  der  Todesursache 
nicht  haltbar  ist.  Auch  der  Ausfall  der  Pankreasfunktion 
kann  nicht  die  Ursache  des  raschen  Todes  sein,  denn  einer¬ 
seits  sind  in  der  Regel  bei  den  schwersten  Fällön  keine 
Ausfallserscheinungen  von  seiten  des  Pankreas  (Diabetes, 
Fettstühle)  vorhanden,  anderseits  wüssen  wir,  daß  Total¬ 
exstirpation  des  Pankreas  (xMinkowski)  nicht  unmittelbar 
tödlich  wirkt.  In  der  neuesten  Zeit  macht  sich  die  Ansicht 
geltend,  daß  wir  es  bei  ausgedehnter  Fettgewebs-  und  Pan¬ 
kreasnekrose  mit  einer  schweren  Vergiftung  zu  tun  haben, 
was  ja  auch  mit  den  klinischen  Symptomen  übereinstim¬ 
men  würde.  Heß  ist  geneigt,  den  Tod  als  eine  Seifen¬ 
vergiftung  aufzufassen,  hervorgerufen  durch  Resorption  von 
Seife  aus  den  Nekrosenherden.  Er  weist  auf  die  Experi¬ 
mente  von  Munk  und  Frieden thal  hin,  welche  beweisen, 
daß  0-1  g  Seife  pro  Kilo  Tier,  in  das  Gefäßsystem  injiziert, 
den  Tod  unter  Kollaps,  fibrillären  Zuckungen  etc.  hervmr- 
ruft.  Diese  Erklärung  trifft  jedoch  nicht  zu  für  Fälle,  wo 
bei  ausgedehnter  Pankreaserkrankung  nur  geringe  Entwick¬ 
lung  der  Fettgewehsnekrose  gefunden  wird.  Mikulicz 
sprach  zuerst  die  Ansicht  aus,  daß  die  schädliche  Wirkung 
des  Pankreassaftes  nicht  allein  auf  den  Fermenten  beruht, 
sondern  auch  auf  den  Zerfallsprodukten  der  abgestorbenen 
Pankreaszellen.  Daß  eine  solche  spezifische  Giftwirkung  des 
erkrankten  Pankreas  die  Ursache  des  infolge  Pankreas¬ 
erkrankungen  eingetretenen  Todes  ist,  beweist  D ober¬ 
aue  r^^)  durch  eine  Reihe  interessanter  Tierversuche,  über 
welche  er  auf  dem  deutschen  Chirurgenkongreß  1906  re¬ 
ferierte. 

Der  experimentell  erwiesene,  von  manchen  Seiten 
(Baiser,  Po n fick,  Langerhans)  aber  noch  bestrittene 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


103 


Zusammenhang  von  Fettgevvebsnekrose  und  Pankroasläsion 
findet  weiterhin  seine  Bestätigung  durch  die  Befunde  bei 
Schußverletzungen  des  Pankreas.  Nur  in  den  Fällen  der 
älteren  Zeit  (drei  Fälle  von  Otis,  Sanitätsbericht  1870/71 
—  die  Fälle  Nie  mann  und  Bertram  kommen  hier  nicht 
in  Betracht,  da  dieselben  unmittelbar  nach  der  Verletzung 
gestorben  sind)  finden  wir  in  den  Sektionsprotokollen  keine 
Frwähnung  einer  Fettgewebsnekrose,  während  bei  den  in 
der  neueren  Zeit  an  Pankreasschuß  Verstorbenen  fast  aus¬ 
nahmslos  Fettnekrose  gefunden  wurde  (Simmonds,  Körte, 
Mac  Kinley,  Kindt,  Connell).  Dies  dürfte  damit  zu 
erklären  sein,  daß  die  Fettnekrose,  zum  erstenmal  von 
Baiser  im  Jahre  1882  beschrieben,  in  den  älteren  Fällen 
nicht  beachtet  wurde,  obwohl  sie,  nach  der  Regelmäßig¬ 
keit  ihres  Auftretens  in  den  neueren  Fällen  zu  urteilen, 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  vorhanden  war.  Unter  den  in 
der  neueren  Zeit  nach  Pankreasschuß  Verstorbenen  finden 
sich  drei  Fälle,  in  denen  die  ausgedehnte  Fettgewebs-  und 
Pankreasnekrose  mit  Sicherheit  die  alleinige  Todesursache 
abgab.  Es  sind  dies  die  Fälle  von  Simmonds,  Kindt, 
ferner  der  Präsident  Mac  Kinley.  Der  Tod  erfolgte  in 
diesen  Fällen  unter  den  Erscheinungen  des  Ileus  oder  der 
Perforationsperitonitis.  Bei  der  Sektion  fanden  sich  die 
charakteristischen  Balserschen  Fettgewebsnekrosen  und 
Nekrose  des  Drüsengewebes  des  Pankreas.  In  der  Bauch¬ 
höhle  war  eine  geringe  Menge  hämorrhagischer  Flüssigkeit 
vorhanden,  das  Peritoneum  war  vollständig  intakt,  die  ge¬ 
nähten  Wunden  der  anderen  Organe  in  reizloser  Verheilung 
begriffen.  Auch  im  Falle  Körte,  in  welchem  eine  Dünn¬ 
darmschlinge  reseziert  werden  mußte  und  der  Tod  bereits 
einige  Stunden  nach  der  Operation  im  Kollaps  erfolgte, 
wurden  bei  der  Sektion  Fettnekrosen  gefunden.  Auch  in 
meinem  Falle  kam  es  zu  einer  beschränkten  Fettgewebs¬ 
nekrose.  Als  am  achten  Tage  nach  der  Operation  der  die 
Pankreasgegend  tamponierende  Streifen  entfernt  wurde, 
stürzte  eine  große  Menge  rötlichgelben  Sekretes  hervor,  in 
welchem  eine  Menge  bis  linsengroßer,  gelblichweißer,  fester 
Gebilde  schwamm,  welche  makroskopisch  und  mikroskopisch 
als  sequestrierte  Fettgewehsnekrosen  erkannt  wurden.  Da 
die  Operation  relativ  spät  (17  Stunden  nach  der  Verletzung) 
ausgeführt  wurde,  war  offenbar  bereits  genügend  Pankreas¬ 
saft  ausgetreten,  um  in  der  nächsten  Umgehung  des  Pan¬ 
kreas  Fettnekrosen  zu  erzeugen.  Der  weiteren  Entwicklung 
der  Fettnekrose  wurde  durch  die  Operation  Einhalt  getan. 
Durch  diese  Fälle  ist  es  zur  Genüge  erwiesen,  daß  das  Aus¬ 
treten  von  Pankreassekret  in  die  Bauchhöhle  Nekrose  des 
intraahdominalen  Fettes  erzeugt  mit  sekundärer  Pankreas¬ 
nekrose,  welche  im  Falle  größerer  Ausdehnung  für  sich 
allein  den  Tod  zur  Folge  hat. 

Das  Austreten  von  Pankreasisaft  in  die  Bauchhöhle 
einerseits,  die  komplizierenden  Organverletzungen  ander¬ 
seits  machen  die  Schußverletzung  des  Pankreas  zu  einer 
so  gefährlichen.  Inwieweit  sind  wir  nun  imstande,  diesen 
Gefahren  durch  geeignete  Behandlung  zu  begegnen? 

Die  erste  Bedingung  ist  möglichst  rasche  Laparotomie 
in  jedem  Falle  von  Schußverletzung,  wo  der  Verdacht  auf 
penetrierende  Bauchverletzung  besteht,  ein  Grundsatz,  wel¬ 
cher  heute  wohl  von  allen  Chirurgen  akzeptiert  ist.  Aber 
selbst  nach  operativer  Eröffnung  der  Bauchhöhle  kann  die 
Pankreas  Verletzung  sehr  leicht  ühersehen  werden.  Dies  hat 
seinen  Grund  darin,  daß  die  Pankreasschußwunden  auf¬ 
fallend  wenig  bluten.  In  meinem  Falle  bestand  nur  eine 
unbedeutende  parenchymatöse  Blutung,  welche  zur  Ansamm¬ 
lung  einiger  Blutgerinnsel  und  einer  geringen  Menge  flüssi¬ 
gen  Blutes  in  der  Bursa  omentalis  führte.  Aehnliches  be¬ 
richten  auch  Borchhardt  und  Bramann.  So  ist  es  er¬ 
klärlich,  daß  die  Pankreasverletzung  bei  der  Operation 
einige  Male  übersehen  wurde  (Simmonds,  Mac  Kinley, 
Connell).  Da  aber  ein  Uebersehen  der  Pankreas  Verletzung 
nach  unseren  heutigen  Erfahrungen  gleichbedeutend  mit 
Tod  ist,  sollte  man  es  sich  bei  jeder  penetrierenden  Schu߬ 
verletzung  des  Epigastriums  zur  Regel  machen,  auch  das 
Pankreas  abzusuchen.  Diese  Untersuchung  wird  zur  un¬ 


bedingten  Pflicht,  wenn  die  Leber  und  das  kleine  Netz 
oder  der  Magen  von  der  Kugel  durchbohrt  ist,  da  diese 
beiden  Verletzungen  erfahrungsgemäß  am  häufigsten  mit 
Pankreasverletzung  kombiniert  sind.  Den  Zugang  zum  Pan¬ 
kreas  kann  man  erhalten  entweder  durch  das  Ligamentum 
gastrohepaticum  oder  das  Ligamentum  gastrocolicurn.  Hat 
die  Kugel  eines  dieser  Ligamente  durchlöchert,  so  wird 
man  die  bereits  vorhandene  Oeffnung  stumpf  erweitern, 
wie  ich  es  in  meinem  Falle  getan  habe.  Sind  diese  Ligamente 
nicht  verletzt,  ist  z.  B.  die  Kugel  durch  den  Magen  ge¬ 
gangen,  so  schafft  man  sich  Zugang  zum  Pankreas  durch 
Einreißen  einer  gefäßlosen  Stelle  des  Ligamentum  gastro- 
colicum,  da  dieser  Weg  bequemer  ist  und  eine  größere 
Uebersicht  verschafft  als  der  Weg  durch  das  Ligamentum 
gastrohepaticum.  Sitzt  die  Verletzung  sehr  weit  nach  links, 
sind  speziell  Milz  und  Milzgefäße  mitverletzt,  so  kann  man 
sich  den  Zugang  sehr  erleichtern  durch  einen  Schnitt  parallel 
dem  linken  Rippenbogen,  wie  es  Borchhardt  getan  hat. 
Becker  empfiehlt  in  diesen  Fällen  die  Rippenknorpel  der 
siebenten  bis  neunten  Rippe  am  Uebergange  in  den  knö¬ 
chernen  Teil  zu  durchschneiden  und  dann  den  Rippen¬ 
bogen  nach  außen  oben  zu  verziehen,  eine  einfache  MeÜiode, 
wie  sie  ähnlich  MarwedeU'^)  für  Operationen  in  den  Hypo¬ 
chondrien  angegeben  hat. 

Ist  es  uns  gelungen,  eine  Verletzung  des  Pankreas 
nachzuweisen,  so  muß  unsere  nächste  Sorge  sein,  das  aus 
der  Pankreaswunde  ausfließende  Sekret  unschädlich  zu 
machen.  Dies  geschieht  am  besten  durch  eine  ergiebige 
Tamponade,  nicht  nur  der  Pankreaswunde  selbst,  sondern 
auch  der  ganzen  Umgebung.  Der  Tampon  erzeugt  rasch 
schützende  Adhäsionen  gegen  die  freie  Bauchhöhle  und  saugt 
das  gefährliche  Pankreassekret  auf.  Von  den  sieben  ge¬ 
heilten  Fällen  wurde  in  vier  Fällen  die  Tamponade  allein 
ausgeführt  (zwei  Fälle  von  Bramann,  Hahn,  Gobiet), 
in  zwei  Fällen  wurde  Naht  des  Pankreas  und  Tamponade 
gemacht  (Borchhardt,  Becker),  in  einem  Falle  die  Naht 
allein  (Ninni).  Wie  wir  daraus  ersehen,  genügt  die  Tam¬ 
ponade  allein  voJlständig,  um  der  Gefahr  der '  Fettgewebs¬ 
nekrose  vorzubeugen.  Von  Kindt  wird  zwar  mit  Bezug  auf 
seinen,  mit  bloßer  Tamponade  behandelten  und  trotzdem 
infolge  Fettgewebs-  und  Pankreasnekrose  letal  verlaufenen 
Fall,  die  Forderung  aufgestellt,  außer  der  sorgfältigen  Tam¬ 
ponade  auch  noch  die  Pankreaswunde  mit  tiefgreifenden 
Nähten  exakt  zu  verschließen.  Soviel  aus  der  Publikation 
Kindts  zu  entnehmen  ist,  war  wohl  die  Gegend  hinter 
dem  Magen  wegen  einer  Perforation  der  hinteren  Magen¬ 
wand  tamponiert  worden,  die  Pankreasverletzung  scheint 
aber  erst  bei  der  Obduktion  entdeckt  worden  zu  sein.  Daher 
dürfte  xlie  Tamponade  sich  nicht  bis  auf  den  Schußkanal 
im  Pankreas  erstreckt  haben,  so  daß  neben  dem  Tampon 
Pankreassaft  in  die  freie  Bauchhöhle  geflossen  ist.  In  allen 
übrigen  mit  bloßer  Tamponade  behandelten  Fällen  gelang 
es,  die  Entwicklung  einer  ausgedehnteren  Fettgewebsnekrose 
zu  vermeiden.  Es  sind  dies  die  oben  erwähnten  vier  ge¬ 
heilten  Fälle  und  außerdem  ein  Fall  von  Bramann,  welcher 
infolge  einer  Lungenaffektion  tödlich  endete.  Bei  der  Ob¬ 
duktion  dieses  Falles  fand  sich  keine  Spur  einer  Fett- 
gewehsnekrose. 

Die  Naht  einer  Pankreaswunde  ist  wegen  der  tiefen 
und  versteckten  Lage  des  Organes,  sowie  wegen  seiner 
engen  Beziehungen  zu  großen  Gefäßen  (Vasa  lienalia)  tech¬ 
nisch  schwierig.  Es  dient  daher  zur  Beruhigung,  zu  wissen, 
daß  eine  zielbewußte  Tamponade  allein  zur  Heilung  genüge. 
Wenn  die  Verhältnisse  zur  Ausführung  einer  Naht  günstig 
liegen,  wie  z.  B.  im  Falle  Beckers,  wo  sich  der  ver¬ 
letzte  Pankreasschwanz  bis  in  die  Bauchwunde  vorziehen 
ließ,  so  wird  man  natürlich  außer  der  Tamponade  von  der 
Naht  des  Pankreas  Gebrauch  machen.  Eine  Naht  des  Pan¬ 
kreas  könnte  auch  notwendig  werden,  wenn  die  Pankreas¬ 
wunde  sehr  stark  bluten  sollte,  was  jedoch,  wie  wir  gesehen 
haben,  bei  den  Schußwunflen  des  Pankreas  in  der  Regel 
nicht  der  Fall  ist. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


10  t 


Ist  es  gelungen,  eine  Pankreas  wunde  durch  Naht  zu 
■schließen,  so  ist  unter  allen  Umständen  eine  ausgiebige 
Tamponade  anzuschließen,  genau  so,  als  ob  die  Wunde 
nicht  genäht  worden  wäre.  Den  Beweis  für  die  Notwendig¬ 
keit  der  Tamponade  erbringt  v.  Mikulicz,^^)  welcher 
80  Fälle  von  operativen  Eingriffen  am  Pankreas  gesammelt 
hat.  Von  den  tamponierten  Fällen  starben  38%,  von  den 
nichttamponierten  80%.  Allerdings  hat  Ninni  in  seinem 
Falle  von  Schußverletzung  des  Pankreas  die  Naht  ohne 
Tamponade  zur  Anwendung  gebradit  und  Heilung  erzielt. 
Dieses  Resultat  wird  aber  gewiß,  Avie  Borchhardt  meint, 
eine  Ausnahme  bleiben.  Wie  wichtig  eine  Tamponade  trotz 
exakter  Naht  der  Pankreaswunde  ist,  zeigt  der  Fall  von 
Becker,  in  welchem  es  zur  Ausbildung  einer  reichlich 
sezernierenden  Pankreasfistel  kam,  welche  sich  erst  fünf 
Monate  nach  der  Verletzung  schloß.  Hätte  Becker  im  Ver¬ 
trauen  auf  die  Naht  die  Tamponade  unterlassen,  so  hätte 
sich  das  reichliche  Pankreassekret  unfehlbar  in  die  freie 
Bauchhöhle  enlleert. 

Wir  haben  gesehen,  wie  wir  der  ,, spezifischen  Pan¬ 
kreasgefahr“  begegnen  können.  Selbstverständlich  muß  man 
auch  den  komplizierenden  Organverletzungen  die  größte  Auf¬ 
merksamkeit  schenken.  Welch  schöne  Resultate  man  durch 
rasches  Eingreifen  selbst  bei  den  schwersten,  die  Pankreas- 
wunde  komplizierenden  Verletzungen  erzielen  kann,  zeigt 
der  Fall  von  Ninni,  wo  außer  der  Pankreaswunde  sechs 
Dünndarm-  und  eine  Dickdarmwunde  genäht  wurde,  und 
der  Fall  von  Borchhardt,  der  es  mit  einer  Verletzung  der 
Leber  und  einer  Zerreißung  der  Milzgefäße  zu  tun  hatte. 
Die  Leberwunden  wurden  genäht,  die  Milzgefäße  umstochen, 
das  Pankreas  genäht.  Es  erfolgte  Heilung.  In  zwei  Fällen 
von  Bramann  wurden  je  zwei  Schußwunden  des  Magens 
vernäht.  Im  Falle  von  Hahn  und  in  meinem  Falle  wurden 
je  zwei  W unden  der  Leber  tamponiert. 

Aus  den  bisherigen  Mitteilungen  über  Schußverletzung 
des  Pankreas  lassen  sich  folgende  Schlüsse  ziehen : 

Der  Pankreasschuß  ist  eine  außerordentlich  gefährliche 
Verletzung,  welche,  sich  selbst  überlassen,  den  Tod  zur 
Folge  hat.  Die  Gefahr  besteht  einerseits  in  den  komplizie¬ 
renden  Verletzungen  anderer  Organe,  anderseits  in  der 
„spezifischen  Pankreasgefahr“,  d.  i.  dem  Austreten  von  Pan¬ 
kreassaft  in  die  Bauchhöhle.  Diese  Gefahren  sind  abzu¬ 
wenden  nur  durch  möglichst  rasche  Operation.  Bei  Schu߬ 
verletzungen  des  Epigastriums  soll  man  prinzipiell  das  Pan¬ 
kreas  untersuchen,  falls  der  Weg  durch  die  Kugel  nicht 
Amrgezeichnet  ist,  nach  stumpfer  Durchtrennung  des  Liga¬ 
mentum  gastrocolicum.  Im  Falle  einer  Verletzung  des  Pan¬ 
kreas  ist  als  einfachstes  und  zur  Heilung  vollständig  ge¬ 
nügendes  Verfahren  die  Tamponade  der  Drüse  und  der  Um¬ 
gehung  derselben  zu  empfehlen.  Eine  Naht  der  Pänkreas- 
wunde  kann  im  Falle  leichter  Zugänglichkeit  ausgeführt 
werden.  Eine  Naht  ohne  Tamponade  ist  unzureichend. 

Literatur: 

h  Deutsche  Chirurgie,  Lieferung  45 d.  —  Langenbecks  Archiv, 
Rd.  60.  —  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  58.  —  Refer. 
Zentralblalt  für  Chirurgie  1901,  S  1024.  —  »)  Berliner  klin.  Wochen¬ 
schrift  1904,  Nr.  3  und  4.  —  ®)  Beiträge  zur  klin.  Chirurgie,  Bd.  44.  — 
h  Münchener  med.  Wochenschrift  1898,  Nr.  6.  —  »)  Langenbecks  Archiv, 
Bd.  60.  —  “)  Med.  Record  1901.  Bd.  2.  —  Verhandlungen  der  freien 
chir.  Vereinigung,  Bd.  13.  —  Münchener  med.  Wochenschrift  1905, 
Nr.  10.  —  Refer.  Zentralblatt  für  Chirurgie  1905,  Nr.  35.  —  Z'mlral- 
blatt  für  Chirurgie  1895,  Nr.  12.  —  Inaug.-Diss.  Göttingen  1895.  — 
Münchener  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  4L  —  Virchows  Archiv, 
Bd.  122.  —  *’)  Verhandlungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 
1906.  —  ^8)  Zenlralblatt  für  Chirurgie  1903,  Nr.  35.  —  Grenzgebiete 
Bd.  12.  >  /  6  , 


Aus  der  I.  chirurgischen  Abteilung  der  k.  k.  Kranken¬ 
anstalt  Rudolfstiftung.  (Primararzt  Doz.  Dr.  Karl  Funke.) 

Penetrierende  Schußverletzung  des  Abdomens 
durch  eine  Exerzierpatrone. 

Von  Dr.  Arthur  Neudürfer,  dzt.  Volontärarzt  der  Klinik  Chrobak. 

Im  folgenden  soll  über  einen  Fall  berichtet  werden, 
den  ich  als  supplierender  Assistent  in  Vertretung  meines 


damaligen  Chefs,  des  Herrn  Primarius  Funke,  zu  operieren 
Gelegenheit  hatte. 

C.  P.,  28  Jahre  alt,  wurde  am  11.  August  1906,  um 
10  Uhr  abends,  in  das  Spital  aufgenommen.  Derselbe  gab  an, 
am  Tage  seiner  Aufnahme,  um  11  Uhr  vormittags,  mit  dem 
Kavalleriekarabiner  eines  Soldaten  gespielt  zu  haben.  Derselbe 
entlud  sich  und  brachte  ihm  die  später  zu  schildernde  Ver¬ 
letzung  bei.  Wie  er  das  Gewehr  gehalten  habe,  konnte  nicht 
eruiert  werden,  da  wir  uns  mit  dem  nur  polnisch  sprechenden 
Patienten  nur  schwer  verständigen  konnten. 

Die  objektive  Untersuchung  ergab  folgendes:  Mittelgroßer, 
ziemlich  kräftiger  Mann,  von  mäßig  gutem  Ernährungszustand. 
Allgemeine  Decken  und  sichtbare  Sclileimhäute  sehr  blaß.  Die 
Augen  halloniert,  ängstlicher  Gesichtsausdruck.  Die  unteren  Ex¬ 
tremitäten  werden  im  Knie  und  Hüftgelenk  gebeugt  gehalten. 
Respiration  28  in  der  Minute,  oberflächlich.  Nasenflügelatmen. 
Puls  128,  rhythmisch,  ziemlich  gut  gespannt.  Herz  und  Lunge 
ohne  pathologischen  Befund.  Abdomen  über  dem  Thoraxniveau, 
ziemlich  gleichmäßig  ausgedehnt.  In  der  linken  Inguinalgegend 
2  cm  oberhalb  der  Mitte  des  Po  up  art  sehen  Bandes  und  parallel 
zu  diesem  eine  5  cm  lange,  3  cm  breite,  penetrierende  Wunde 
der  Bauchdecken,  aus  welcher  ein  ca.  7  cm  langes  Stück  Netz 
vorgefallen  ist.  Die  Perkussion  ergibt  überall  hohen,  tympaniti- 
schen  Schall,  mit  Ausnahme  der  beiden  Flanken,  welche  ge¬ 
dämpften  Schall  geben.  Leber-  und  Milzdämpfung  erhalten.  Deut¬ 
licher  Schallwechsel  bei  Lageveränderung.  Die  Bauchmuskulatur 
bretthart  gespannt,  Abdomen  überall  gegen  Druck  sehr  empfindlich. 

Es  wurde  die  Diagnose  auf  eine  Blutung  in  die  freie  Bauch¬ 
höhle  gestellt  und  da  außerdem  eine  Darmverletzung  nicht  aus¬ 
geschlossen  werden  konnte,  wurde  die  sofortige  Operation  vor¬ 
genommen. 

In  Chloroformnarkose  wurde  vorerst  der  vorgefallene  Netz¬ 
zipfel  reseziert.  Dann  10  cm  langer  Laparotomieschnitt  parallel 
dem  Ligamentum  Pouparti,  die  penetrierende  Wunde  erweiternd. 
Im  freien  Peritoneum  ziemlich  reichlich  koaguliertes  und  dünn¬ 
flüssiges  Blut.  Die  unter  dem  Laparotomieschnitt  liegende  Flexura 
signioidea  kontrahiert,  zeigt  keine  Verletzung.  Dann  wird  mit 
Spateln  der  mediale  Wundrand  möglichst  weit  nach  rechts  ver¬ 
zogen,  das  Cökum  aufgesucht  und  von  hier  aus  der  Dünndarm 
visitiert.  Ueberall  zwischen  den  Darmschlingen  koaguliertes  und 
auch  dünnflüssiges  Blut,  welches,  so  weit  es  möglich  ist,  entfernt 
wird.  Die  Serosa  des  Darmes  ist  nicht  injiziert  und  zeigt  keinen 
Fibrinbelag.  Nach  Absuchen  des  Ileums,  das  eng  kontrahiert 
und  ohne  Verletzung  gefunden  wird,  zeigt  sich  beim  Vorziehen 
des  Jejunums  eine  fast  die  ganze  Zirkumferenz  der  Darmschlinge 
einnehmende  Blutunterlaufung  der  Darmwand.  In  der  Ausdehnung 
von  ca.  iy2  cm  vom  Mesenterialansatz  der  einen  Seite,  bis  etwas 
seitlich  von  der  Kuppe  der  Darmschlinge,  sieht  man  einen  Defekt 
der  Serosa  und  der  Muskularis  von  ca.  Va  cm  Breite.  Die  Mukosa 
scheint  intakt  zu  sein,  jedenfalls  gelingt  es  nicht,  eine  Kom¬ 
munikation  mit  dem  Darmlumen  aufzufinden.  Diese  Stelle  des 
Darmes  wird  durch  eine  fortlaufende  Seidennaht  und  eine  zweite 
Schichte  von  Seidenknopfnähten  versorgt,  die  suffundierte  Stelle 
mit  einer  einfachen  Schichte  von  Seidenknopfnähten  überdeckt. 
Da  nach  diesem  Befund  die  Schußrichtung  nach  aufwärts  gegangen 
sein  mußte,  wurde  die  untere  Laparotomiewunde  provisorisch 
mit  Darmkompressen  abgestopft.  Hierauf  mediane  Laparotomie 
zwischen  Processus  xiphoideus  und  Nabel;  sofort  nach  Eröffnung 
des  Peritoneums  zeigte  sich,  daß  die  Abtragungsstelle  des  Netzes 
dicht  an  dessen  Abgang  vom  Querkolon  gelegen  war.  Das 
Ligamentum  gastrocolicum  war  in  einer  Ausdehnung  von  zirka 
5  cm  zerrissen.  Ebenso  erschien  das  Querkolon  an  seiner  vor¬ 
deren  Fläche  in  ca.  1  cm  Länge  von  Serosa  entblößt.  Hier  fand 
sich  auch  ein  zirka  erbsengroßes  Loch  in  der  Darmwand.  Nach 
Uehernähung  dieser  Stelle  mit  zwei  Schichten  von  Seidenknopf¬ 
nähten  wurde  das  Querkolon  emporgeschlagen  und  nun  fand 
sich  als  Quelle  der  Blutung  ein  1  cm  langer  Schlitz  im  Mesocolon 
transversum.  Mehrere  blutende  Gefäße  wurden  abligiert,  der 
Schlitz  im  Mesocolon  transversum  stumpf  erweitert  und  nun 
fand  sich  in  der  Bursa  omentalis  ein  zirka  bohnengroßer,  teil¬ 
weise  verkohlter  Rest  des  Pfropfens  und  an  der  hinteren  Magen¬ 
wand  eine  unbedeutende  Suggilation.  Schließlich  wurde  noch 
von  der  Flexura  duodeno-jejunalis  der  Rest  des  Jejunums  abge¬ 
sucht.  Noch  an  zwei  Stellen  fanden  sich  subseröse  Suggilationen 
von  geringer  Ausdehnung  und  ohne  Verletzung  der  Serosa,  welche 
eine  Uehernähung  als  überflüssig  erscheinen  ließen.  Colon  as- 
cendens  und  descendens  kontrahiert  und  ohne  pathologischen 
Befund.  Es  blieb  nur  noch  zu  entscheiden,  wie  das  allseitig 
abgelöste  Stück  des  Querkolons  versorgt  werden  sollte,  da  er¬ 
fahrungsgemäß  Abtrennungen  desselben  vom  Ligamentum  gastro- 
colicuni  besonders  leicht  die  Ernährung  desselben  in  Frage  stellen. 


Nr.  4 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Anderseits  drängte  der  Zustand  des  Patienten  zur  Eile. 
Es  wurde  seitlich  die  Vorderfläche  des  Colon  transversum  durch 
Flächennähte  mit  dem  Peritoneum  parietale  vereinigt  und  oben 
durch  das  zerrissene  Ligamentum  gastrocolicum  und  unten  bis 
in  den  durch  Nähte  verengerten  Schlitz,  des  Mesocolon  transversum 
durch  zwei  breite  Jodoformgazestreifen  ein  ca.  7  cm  langer  Teil 
des  Colon  transversum  abtamponiert,  so  daß  für  den  Fall  einer 
Gangrän,  die  Perforation  nach  außen  erfolgen  mußte.  Schlie߬ 
lich  wurde  noch  in  die  untere  Laparotomiewunde  ein  Mikulicz¬ 
tampon  eingeführt  und  beide  Laparotomiewunden  bis  auf  die  Stelle 
der  herausgeleiteten  Gazestreifen  durch  vierschichtige  Bauch¬ 
deckennaht  verschlossen.  Dauer  der  Operation  50  Minuten. 

Nach  der  Operation  war  Pat.  sehr  kollabiert  (Puls  140, 
klein,  aber  rhythmisch).  Derselbe  wurde  in  das  Bett  gebracht,  in 
heiße  Tücher  gewickelt  und  erhielt  zwei  Spritzen  Kampfer  und 
1000  cm®  Kochsalzlösung  subkutan. 

Aus  dem  Dekursus  sei  nur  erwähnt,  daß  sich  der  Patient 
sehr  rasch  nach  der  Operation  erholte.  Am  folgenden  Tage  gingen 
auf  Klysma  Stuhl  und  Winde  ab. 

Am  13.  August  prophylaktisch  30  cm®  Wiener  Tetanus¬ 
antitoxinserum  isubkutan,  welches  rcaktionslos  vertragen  wurde. 
Am  fünften  Tage  wurden  die  Jodoformgazestreifen  gelockert  und 
etwas  vorgezogen,  am  14.  Tage  konnten  sie  vollständig  entfernt 
werden.  Die  weitere  Wundheilung  verlief  vollständig  ungestört 
und  Pat.  konnte  am  10.  September  mit  linear  verheilten  Lapa¬ 
rotomiewunden,  ohne  alle  Beschwerden,  entlassen  werden. 

Das  Interessante  an  dieser  Beobachtung  scheint  mir 
die  sehr  bemerkenswerte  Perknssionskrait  des  Pfropfens 
von  Exerzierpatronen  zu  sein. 

In  der  einschlägigen  Literatur  konnte  ich  analoge  Be¬ 
obachtungen  nicht  finden.  Neudörfer  erwähnt  wohl  in 
seinem  Handbuch  der  Kriegschirurgie,  daß  auch  die  Pfropfen 
von  Exerzierpatronen  nicht  zu  unterschätzende  Verletzun¬ 
gen  hervorrufen  können,  ohne  jedoch  nähere  Details  an¬ 
zugeben.  In  anderen  älteren  Handbüchern  (Stromeyer, 
Demme)  finden  Verletzungen  durch  Exerzierpatronen  über¬ 
haupt  keine  Erwähnung.  H.  Fischer  (Kriegschirurgie. 
Deutsche  Chirurgie,  Bd.  17  a,  S.  32)  berichtet  über  Ver¬ 
letzungen,  welche  von  Selbslmördern  durch  bloße  Pulver¬ 
schüsse  ohne  Projektil  erzeugt  wurden,  beschreibt  bei  einem 
Falle  eines  Schusses  in  den  Mund  die  weitgehenden  Zer¬ 
reißungen  des  weichen  Gaumens,  welche  auf  die  Wirkung 
des  Luftdruckes  zurückgeführt  werden,  ohne  die  Wirkung 
des  Pfropfens  zu  erwähnen. 

Daß  Verletzungen  mit  den  Pbopfen  von  Exerzier¬ 
patronen  nicht  so  selten  sind,  beweisen  die  Untersuchungen 
von  Schjerning  (zit.  nach  Lotheisen)  und  Schmidt 
in  Breslau  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1904, 
Nr.  8  und  76;  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  in  Breslau  1904)  über  den  Zusammenhang  von 
Schußverletzungen  und  Wundstarrkrampf.  Beide  Autoren 
konnten  zeigen,  daß  die  aus  Filz  gepreßten  Pfropfen  fast 
stets  Tetanussporen  enthielten  und  diese  Untersuchungen 
waren  auch  der  Anlaß,  daß  in  Deutschland  die  Filzpfropfen 
vor  ihrer  weiteren  Verwendung  durch  strömenden  Wasser¬ 
dampf  sterilisiert  werden. 

Jedoch  scheinen  die  Verletzungen  an  und  für  sich 
durchaus  harmloser  Natur  gewesen  zu  sein,  da  ich  nirgends 
Angaben  über  schwere  Verletzungen  durch  Exerzierpatronen 
gefunden  habe.  Die  oben  erwähnten  Arbeiten  von  Schjer¬ 
ning  und  Schmidt,  dann  die  Arbeit  Lotheisen  (Wiener 
klinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  24)  waren  auch  die  Ver¬ 
anlassung,  daß  in  unserem  Fälle  am  dritten  Tage  nach 
der  Verletzung,  als  der  Mann  sich  ein  wenig  erholt  hatte, 
prophylaktisch  Tetanusantitoxin  gegeben  wurde.  Wie  ich 
nachträglich  durch  gütige  Mitteilung  des  Stabsarztes  Doktor 
Dra stich  erfahren  habe,  bestehen  die  Pfropfen  der  Exer¬ 
zierpatronen  aus  gepreßtem  Filz  und  werden  vor  der  Ver¬ 
wendung  ebenfalls  sterilisiert.  Aus  seinen  Mitteilungen  habe 
ich  auch  erfahren,  daß  es  den  Offizieren  bekannt  ist,  daß 
die  Filzpfropfen  der  Exerzierpatronen  noch  auf  eine  Distanz 
von  zehn  Metern  imstande  sind,  eine  Päppenscheibe  zu 
durchschlagen. 


Aus  dieser  und  der  von  uns  beschriebenen  Beobach¬ 
tung  ergibt  sich,  daß  auch  Exerzierpatronen  sehr  ernst  zu 
nehmende  Verletzungen  erzeugen  können. 

Herrn  Primararzt  Dr.  Funke  bin  ich  für  die  Ueber- 
lassung  dieses  Falles  zu  besonderem  Danke  verpflichtet. 


Ueber  Asthmabehandlung. 

Von  Dr.  W.  Siegel,  Arzt  in  Bad  Reichenhall. 

Das  Asthma  bronchiale  ist  bekanntlich  charakterisiert 
durch  den  asthmatischen  Anfall,  durch  die  anfallsweise 
auftretende  Atemnot.  Die  Meinungen  über  die  Ursachen 
dieser  Atemnot,  über  die  zugrunde  liegenden  Veränderungen 
im  Respirationsgebiet  waren  von  jeher  geteilt.  Die  haupt¬ 
sächlich  von  Wintrich  und  Bamberger  verfochtene 
Theorie  vom  Zwerchfellkrampf  ist  heutzutage  verlassen, 
nachdem  Biermer  in  seinem  berülnnt  gewordenen  Vortrag 
dargelegt,  daß  das  Astlima  bronchiale  auf  einem  Krampfe 
der  Bronchialmuskulatur  beruhen  müsse.  „Das  Prinzip  des 
sog.  Bronchialasthmas  liegt  in  der  Exspirationsstörung  und 
die  auffallend  verlängerte  und  forcierte  Exspiration  mit  den 
sibilierenden  Geräuschen  spricht  für  ein  Hindernis  in  den 
mittleren  und  feineren  Bronchien,  welches  fast  mit  Not¬ 
wendigkeit  zur  Annahme  einer  spastischen  Bronchialver¬ 
engerung  drängt.“  Der  Versuch,  diese  Anschauung  experi¬ 
mentell  zu  beweisen,  mißlang;  elektrische  Reizung  des 
Vagusstammes  oder  seiner  Endigungen  im  Respirationstrak- 
tus  erzeugte  wohl  Kontraktionen  der  Bronchialmuskeln,  nie¬ 
mals  aber  Asthma. 

Eine  andere  Theorie  bezieht  die  Atemnot  auf  eine 
ganz  akute  Schwellung  und  Hyperämie  der  Bronchialschleim¬ 
haut,  durch  welche  es  zu  einer  hochgradigen  Verengerung 
der  Lumina,  sowie  zur  Ansammlimg  zähen  Sekretes  komme 
(Störk,  Weber).  Tr  ousseau,  Leyden  sprechen  von 
einem  fluxionären  Element,  Curschmann  von  einem 
Catarrhus  acutiosimus  infolge  vasomotorischer  Einflüsse.. 

Mit  Recht  macht  A.  Fränkel  darauf  aufmerksam, 
daß  eine  ganze  Reihe  von  Symptomen  sich  sowohl  durch 
die  Krampf-,  als  auch  die  Schwellungstheorie  erklären  lasse ; 
daß  aber  immer  einige  übrig  bleiben,  die  durch  keine  von 
beiden  allein  ganz  verständlich  würden;  man  müsse  daher 
annehmen,  daß  beide  Faktoren,  sowohl  der  Krampf,  als 
auch  die  hyperämische  Schwellung,  an  dem  Zustandekom¬ 
men  des  asthmatischen  Symptomenbildes  beteiligt  seien. 
Eine  Unterscheidung,  was  von  beiden  im  einzelnen  Falle 
das  Primäre  ist,  dürfte  oft  unmöglich  sein,  da,  wie  Talma 
sich  ausdrückt,  Bronchopathie  zum  Krampf  und  Krampf 
zur  Bronchitis  führen  könne. 

Der  Kampf  um  diese  Theorien  war  für  die  Therapie 
von  geringem  Wert.  Weit  mehr  Bedeutung  kommt  den  Be¬ 
obachtungen  zu,  die  Talma,  Sänger  und  Strübing  ver¬ 
öffentlicht  haben. 

Talma  verlegt  den  Ivrampf  hauptsächlich  in  den 
Larynx,  Aditus  laryngis  und  in  die  Bronchioli,  wenigstens, 
bezieht  er  die  Dyspnoe  und  die  Geräusche  zumeist  auf  eine 
krampfliafte  Verengerung  dieser  Regionen,  während  er  dem 
Krampf  der  Muskulatur  der  Trachea  und  Hauptbronchien 
nur  geringen  Einfluß  zuschreibt,  ihn  für  ,, nebensächlich“ 
hält.  Zu  dieser  Auffassung  kam  er  einesteils  auf  Grund 
von  Messungen,  nach  denen  menschliche  Bronchien  durch 
Muskelkontraktion  erst  bei  einem  Durchmesser  von  4  mm 
und  abwärts  vollkommen  verschlossen  würden,  ferner  auf 
Grund  von  laryngoskopischen  Untersuch  imgen  während  des 
Anfalles,  wo  er  in  vielen  Fällen  eine  Verengerung  der  Stimm¬ 
ritze  am  Ende,  selten  während  der  ganzen  Exspiration  fest¬ 
stellte.  StrülDing  sah  ähnliches,  aber  nur  gegen-  Ende 
der  Exspiration,  weshalb  er  diese  Befunde  als  nicht  aus¬ 
reichend  für  die  Erklärung  der  Atemnot  verwirft,  die  immer 
während  der  ganzen  Exspiration  und  meist  auch  schon 
[  während  der  Inspiration  vorhanden  ist. 

Talma  hatte  ferner  beobachtet,  daß  nicht  nur  Ge- 
i  Sunde  und  Asthmatiker  durch  Imitierung  des  im  Anfall  ein- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


setzenden  x4temtypns  den  Krampf  auslösen,  einen  Anfall 
hervornifen  konnten,  sondern  auch  —  darin  liegt  für  die 
Praxis  der  Schwerpunkt  der  Sache  —  daß  viele  Asthmatiker 
imstande  seien,  den  Krampf  ,,Wcährend  des  Anfalles,  aber 
sicher  in  den  Remissionsperioden“  zu  unterdrücken.  Zu 
dem  gleichen  Resultate  war  im  großen  und  ganzen  auch 
Strübing  gekommen,  der  bei  Leuten  ,,mit  und  ohne 
Asthma“  den  Einfluß  der  pathologischen  Atembewegungen 
auf  das  Zustandekommen  und  den  Verlauf  des  Leidens 
untersuchte.  Er  ließ  gleichfalls  die  Atmungsweise  der  Asthma¬ 
tiker  nachahmen,  d.  h.  ,,die  Inspiration  kurz,  die  Ex¬ 
spirationen  dagegen  forciert  und  gepreßt  und  unter  Inan¬ 
spruchnahme  der  Hilfsmuskeln“  vornehmen  und  konstatierte 
dabei  die  ^Möglichkeit  einer  willkürlichen  Erzeugung  eines 
Asthmaanfalles,  sowie  den  günstigen  Einfluß,  den  die  Kor¬ 
rektur  der  fehlerhaften  Atmung  ausübt.  Wenn  Strübing 
also,  mit  gewisser  Reserve,  Talmas  Angaben  bestätigt,  so 
ist  er  doch  mit  gutem  Recht  weit  davon  entfernt,  dessen 
Schlußfolgenuigen  anzuerkennen,  daß  ,, nämlich  die  Mus¬ 
keln  der  Luftwege  dem  Willen  unterworfen  seien  oder  unter¬ 
worfen  werden  können“,  eine  Behauptung,  die  mit  allen 
physiologischen  Gesetzen  über  glatte  und  quergestreifte  Mus¬ 
keln  in  grellem  Widerspruch  steht.  Strübing  bezieht  den 
Einfluß  des  Willens  lediglich  auf  die  Atmungsmuskulatnr ; 
er  sieht  in  den  forcierten  Exspirationen  und  in  dem  dadurch 
bedingten  abnormen  Druck  (Biermer)  auf  die  nachgiebigen 
Bronchien  die  Ursache  der  Verengerung,  und  wenn  der 
Wille  diese  Erscheinungen  hervornifen  oder  mildern  könne, 
so  müsse  er  eben  auf  die  Tätigkeit  der  Atmungsmuskeln 
einwirken,  d.  h.  diese  hemmen  und  ausgleichen. 

Während  Talma  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an 
Kranken  und  Strübing  im  Verlaufe  seiner  planmäßigen 
Untersuchungen  die  Bedeutung  der  abnormen  Atmung  im 
Asthmaanfall  kennen  lernte  und  demgemäß  therapeutische 
Rückschlüsse  zog,  war  Sänger  einen  anderen  Weg  ge¬ 
gangen.  Ihm  lag  daran,  die  nie  fehlende  akute  Lungen¬ 
blähung  als  die  Quelle  aller  Leiden  des  Asthmatikers  zu 
bekämpfen.  Er  sagte  sich,  die  Lungenblähung  steigert  die 
Atemnot,  die  Atemnot  hinwieder  führe  zu  tieferen  Inspira¬ 
tionen,  also  zur  Mehraufnahme  von  Luft,  ohne  daß  durch 
entsprechende  Exspirationen  eine  genügende  Menge  ver¬ 
brauchter  Luft  abgegeben  werden  könnte,  daraus  resultiert 
eine  Steigerung  der  Blähung;  infolgedessen  müsse  die  In¬ 
spiration  verflacht,  resp.  abgekürzt,  die  Exspiration  aber 
im  Verhältnis  zur  Inspiration  verlängert,  jedoch  keinesfalls 
vertieft  werden.  Goldschmidt  hat  die  Möglichkeit  einer 
Verkürzung  der  Inspiration  negiert,  indem  er  —  worauf 
schon  Biermer  aufmerksam  gemacht  —  zeigte,  daß  bei 
nicht  allzu  schweren  Anfällen  die  Exspiration  ohnehin  schon 
dreimal  so  lange  dauere  als  die  Inspiration  und  daß  dieses 
Verhältnis  bei  stärkeren  Anfällen  sich  noch  verschlechtere; 
infolgedessen  sei  es  ganz  unmöglich,  die  Inspirationen  zeit¬ 
lich  noch  mehr  abzukürzen,  ln  Wirklichkeit  legt  Sänger 
wie  auch  Strübing  weniger  Wert  auf  den  zeitlichen  Ab¬ 
lauf,  als  auf  den  Umfang  der  Inspiration,  die  er  zwar  kurz¬ 
dauernd,  vor  allem  aber  wenig  kräftig  wünscht. 

Die  Atembewegungen  vollziehen  sich  l)ekanntlich  nor¬ 
malerweise  unwillkürlich  in  einem  bestimmten  Rhythmus 
mit  bestimmter  Tiefe.  Die  Eiiialmung,  Hebung  des  Thorax, 
geschieht  durch  die  Tätigkeit  der  Atemmuskelu,  die  Aus¬ 
atmung  vollzieht  sich  passiv  durch  die  Schwere  (les  Thorax 
und  die  Elastizität  der  Lunge.  In  vielen  Fällen,  wenn  das 
Asthma  bereits  längere  Zeit  bestand,  zeigt  sich  selbst  in 
der  anfallsfreieti  Zeit  eine  Vertiefung  der  Inspiration  und 
eine  verlangsamte  und  sichtbar  unter  Muskelanstrengung 
einhergehende  Exspiration.  Im  schweren  Anfall  atmen  die 
Asthmatiker  so,  daß  auf  eine  ganz  kurze,  angestrengt  liefe, 
gleichsam  überhastete  Insi)iration  eine  langgezogene,  keu¬ 
chende  Exspiration  folgt,  wie  Strübing  sagt:  ,, Forciert, 
l)ressend,  unter  Inanspruchnahme  der  Hilfsmuskeln.“  Es 
kann  nicht  die  .Absicht  des  Therapeuten  sein,  die  in 
solchen  Källen  obnehiii  S(  hoii  langdauernde  Exspira¬ 
tion  zeillich  noch  mehr  auszudehnen,  vielmehr  müssen 


wir  auf  die  Art,  wie  sie  vor  sich  geht,  noch  be¬ 
sonders  einzuwirken  suchen,  in  der  Weise,  daß  wir 
die  krampfhafte  Tätigkeit  der  Muskulatur,  die  ja  hindernd 
auf  den  normalen  Ablauf  wirkt,  nach  Alöglichkeit  aus¬ 
schalten.  Gelingt  dies,  so  reguliert  sich  die  Inspiration 
von  selbst,  sie  dauert  länger  und  verläuft  langsamer,  ruhiger 
und  nach  und  nach  auch  tiefer.  Es  ist  leicht  zu  beob¬ 
achten,  daß,  wenn  ein  Anfall  seinem  Ende  naht,  zunächst 
die  forcierten  Exspirationen  an  Heftigkeit  und  Spannung 
verlieren,  und  daß  dann  erst  die  Inspiration  sich  ändert. 
Deshalb  setzen  alle  hier  in  Frage  kommenden  Bestrebungen 
an  der  Exspiration  ein;  Sänger  nennt  seine  Alethode  ge¬ 
radezu  Ausatmungsgymnastik. 

Sänger  läßt  auf  eine  wenig  tiefe  Inspiration  eine 
länger  dauernde,  ebenfalls  wenig  tiefe  Exspiration  folgen. 
Letztere  läßt  er  tönend  sich  vollziehen,  derart,  daß  der 
Kranke  ,,mit  mäßig  lauter  Stimme  und  unter  Dehnung  der 
Vokale“  zählt  (z.  B.  eiiins,  zweiii,  dreiii  usw.).  Indem  er 
bis  zu  einer  gewissen  Zahl  —  pro  Zahl  eine  Sekunde  — 
zählen  läßt,  fixiert  er  gleichzeitig  die  Dauer  der  Ausatmung, 
die  anfänglich  ziemlich  begrenzt,  etwa  bis  vier,  später  länger 
ausgedehnt  werden  soll.  Dann  folgt  die  Inspiration.  In  der 
anfallsfreien  Zeit  soll  diese  Methode  geübt,  im  Anfall  selbst 
diese  Hebung  öfter  fünf  bis  zehn  Minuten  lang  gemacht 
werden.  Wichtig  ist  das  Einhalten  eines  bestimmten  Tempos. 
Die  Einatmung  reguliert  er,  indem  er  eine  vorher  bestimmte 
Zahl,  resp.  deren  Vielfaches  ausfallen  läßt  und  das  dieser 
Zahl  zukommende  Tempo  zur  Einatmung  benützt,  um  dann 
im  unverändert  gleichen  'Peinpo  weiterzuzählen.  Dadurch 
sucht  er  zu  umfangreiche  Inspirationen  zu  vermeiden.  Durch 
das  folgende  Schema  veranschaulicht  er  den  Gang  der 
Hebung : 

1  I  2  !  3  I  4  I  Insp.  I  0  I  7  j  8  i  9  [  Insp.  |  usw. 

Exsp.  Exsp. 

Im  Verlaufe  des  vergangenen  Sommers  habe  ich  von 
dieser  Methode  bei  einer  Pteihe  von  Patienten  Gebrauch 
gemacht.  Es  kam  mir  zunächst  auf  eine  Nachprüfung  an, 
da  wir  um  jedes  einigermaßen  brauchbare  Hilfsmittel,  sofern 
es  frei  von  Nebenwirkungen  ist,  froh  sein  müssen.  Ich  ent¬ 
schloß  mich  zur  Anwendung  gerade  des  Sänger  sehen  Ver¬ 
fahrens,  weil  sein  Prinzip  dem  Kranken  leicht  verständlich 
ist  und  dieser  das  Wesentliche  rasch  erkennt,  ferner,  weil 
es  dem  Patienten  recht  präzise  Vorschriften  an  die  Hand 
gibt,  so  daß  er  auch  allein  und  fern  vom  Arzt  imstande  sein 
kann,  die  Atemübungen  korrekt  durchzuführen.  Die  von 
Talma  gegebenen  Anhaltspunkte  sind  zu  allgemein  ge¬ 
halten,  als  daß  sie  eine  genaue  Durchführung  ohne  ständige 
ärztliche  Aufsicht  garantierten. 

Trotzdem  man  im  allgemeinen  der  Mefhode,  vermutlich 
wegen  ihrer  Einfachheit,  starkes  Mißtrauen  entgegenbrachte, 
konnte  ich  doch  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  die  Hebun¬ 
gen  durchsetzen;  ich  ließ  sie  auch  im  anfallsfreien  Inter¬ 
vall  mehrmals  täglich  vornehmen  und  kontrollierte  zeitweise 
in  der  Sprechstunde.  Aus  Gründen,  die  aus  meinen  weiteren 
Ausführungen  ersichtlich  werden,  war  ln  allen  Fällen  die 
A'erahredung  getroffen,  daß  die  Kranken,  sobald  ein  Anfall 
drohte,  in  die  Sprechstunde  kommen  oder  außerhalb  der¬ 
selben  mich  rufen  lassen  sollten. 

Die  in  Frage  kommenden  Fälle  lassen  sich  ohne  wei¬ 
teres  in  zwei  Gruppen  einteilen :  die  erste  Gruppe  besteht 
nur  aus  zwei  Fällen,  Patienten  im  Alter  vDii  27,  beziehungs¬ 
weise  30  Jahren,  bei  denen  in  der  anfallfreien  Zeit  nicht 
der  geringste  Befund  zu  erheben  war.  Die  Anfälle  traten 
nach  der  Schilderung  der  sich  genau  kontrollierenden  Pa¬ 
tienten  unberechenbar  und  von  äußeren  Einflüssen  unab¬ 
hängig  auf;  auch  Dauer  und  Intensität  wechselte.  Irgend¬ 
welche  Gelegenheitsursachen  werden  ausdrücklich  negiert, 
jegliche  ätiologische  Anhaltspunkte  fehlen.  Die  Anfälle 
wurden  bald  mit  dem  Tuckerschen  Apparat,  bald  mit  Mor¬ 
phium  bekämpft. 

Bei  allen  Fällen  der  zweiten  Gruppe  bestand  chroni¬ 
scher  Bronchialkatarrh,  zum  Teil  ohne,  zmn  Teil  mit  mehr 


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oder  minder  ausgeprägten  Emphysem.  Die  Krankengeschich¬ 
ten  bieten  nichts  Bemerkenswertes.  Das  allen  Gemeinsame 
war,  daß  von  Zeit  zn  Zeit,  wenn  sich  die  Expektoration 
verringerte  oder  erschwert  war  oder  bei  akuten  Nach¬ 
schüben  zunehmende  Atemnot  eintrat,  diese  sich  allmählich 
zu  Asthma  steigerte,  bald  mir  in  leichter,  bald  in  schwerer 
Form. 

Während  man  bei  der  ersten  Gruppe  vasomotorische 
Vorgänge  mindestens  mit  ebenso  gutem  Recht  wie  einen 
Bronchialmuskelkrampf  annehmen  kann,  erklärt  sich  die 
Entstehung  des  asthmatischen  Anfalles  bei  der  zweiten 
Gruppe  zwanglos  durch  Steigerung  der  hyperämischen 
Schwellung  der  bereits  katarrhalisch  affizierten  Bronchial¬ 
schleimhaut.  Diese  Schwellung  führt  zu  Stenose,  die  Stenose 
zu  Steigerung  des  Exspirationsdruckes  (Biermer)  infolge 
forcierter  Exspirationen,  der  gesteigerte  Exspirationsdruck 
zu  einer  weiteren  Verengerung  der  nachgiebigen  Bronchien 
und  Bronchiolen  (Sänger,  Strübing). 

Ich  hatte  Gelegenheit,  bei  beiden  Fällen  der  ersten 
Gruppe  einen  Anfall  zu  beobachten.  Bei  dem  einen  versagte, 
wie  im  Falle  Golds climid  ts,  der  Versuch  völlig,  trotz¬ 
dem  früher  die  Uebungen  korrekt  durchgeführt  wurden.  Das 
Krankheitsgefühl,  der  Drang  nach  verstärkter  Ausatmung, 
die  man  hier  als  falsche  Abwehrbeweigung  auf  fassen  kann, 
war  so  heftig,  daß  der  Kranke  an  die  Uebungen  ganz  Ner- 
gaß  und  sich  willenlos  dem  Anfall  überließ.  x\nch  meine 
persönlichen  Bemühungen  (Zureden,  lautes  Vorzählen') 
waren  zwecklos ;  mit  dem  Einsetzen  des  xVnfalles  war  jede 
Energie  verschwunden,  so  daß  mir  nichts  übrig  blieb,  als 
jMorphium  zu  geben. 

Glücklicher  verlief  der  zweite  Fall,  dank  der  Willens¬ 
stärke  des  Patienten.  Er  hatte  sofort  zu  zählen  angefangen, 
aber,  wie  mir  schien,  in  der  Angst  vor  den  bevorstehenden 
Oualen  zu  rasch  ohne  Einhaltung  des  Tempos,  so  daß  von 
einer  Gleichmäßigkeit  der  Atmung,  von  einem  Erfolg,  zu¬ 
nächst  keine  Rede  sein  konnte.  Hier  zeigte  sich  von  dem 
Moment  an,  wo  ich  selbst  vorzuzählen  anfing,  sofort  eine 
geringe,  aber  immerhin  auffallende  Beruhigung,  und  es  ge¬ 
lang  tatsächlich  durch  konsecpientes  ,, Exerzieren“  den  An¬ 
fall  bald  zum  Schwinden  zu  bringen,  ohne  die  Anwendung 
der  gebräuchlichen  Asthmamittel  oder  des  Tnckerschen 
Apparates. 

Wie  weit  bei  der  zweiten  Gruppe  ein  Einfluß  dieser 
Atmungsgymnastik  angenommen  werden  kann,  läßt  sich  nicht 
in  allen  Fällen  mit  Sicherheit  entscheiden.  Es  muß  berück¬ 
sichtigt  werden,  daß  alle  diese  Katarrha liker  am  Badeort 
unter  viel  günstigeren  hygienischen  Bedingungen  leben, 
ferner,  daß  sie  alle  eine  ausgiebige  Inhalations-,  respektive 
pneumatische  und  auch  eine  entsprechende  hydropathische 
Behandlung  durchmachten,  Faktoren,  die  ja  an  sich  schon 
eine  bessernde  oder  heilende  Wirkung  auf  diese  Affek- 
tioneii  ausüben..  Auch  ist  zu  bedenken,  daß  diese  Kranken 
bald  nur  von  einem  Beklemmungsgefühl,  bald  von  richtigem 
Asthma  heimgesucht  werden,  und  wie  die  Intensität  der 
Beschwerden,  die,  wie  stark  oder  schwach  sie  auch  seien, 
vom  Kranken  stets  Asthma  genannt  werden,  so  ist  auch 
die  Häufigkeit  und  Dauer  zu  allen  Zeiten  wechselnd  ;  infolge¬ 
dessen  ist  die  Beurteilung  im  einzelnen  Fall  sehr  erschwert. 

Wenn  ich  die  Fälle,  welche  ich  selbst  im  Anfall  sah, 
von  denen,  welche  ich  nicht  sah,  trenne,  so  lauten 
die  Berichte  der  Patienten  selber  zum  Teil  sehr  skeptisch; 
man  sagte  mir  sehr  richtig,  daß  die  Anfälle  ja  immer  an 
Stärke  und  Dauer  verschieden  seien,  daß  also  ein  objek¬ 
tives  Urteil  über  den  Einfluß  dieser  Behandlung  nicht  mög¬ 
lich  sei.  Die  begleitenden  Personen  dagegen  glaubten  eine 
gute  Wirkung  des  Verfahrens  jedesmal  gesehen  zu  haben, 
wenn  es  nur  gelang,  die  im  Anfall  der  Methode  wider¬ 
strebenden  Patienten  zum  rechtzeitigen  und  konsequenten 
Zählen  zu  veranlassen ;  sie  waren  auch  davon  überzeugt, 
daß  es  möglich  sei,  den  übermäßigen  Gebrauch  der  ver¬ 
schiedenen  Astlimamittel  bedeutend  einzuschränken.  Einige 
Patienten  glaubten,  es  gleichfalls  der  Metliode  zuschreiben 
zu  müssen,  daß  bei  ihnen  schwerere  Anfälle  ausblieben; 


sie  schildern  allerdings,  daß  sie  beim  geringsten  Anzeichen 
oder  sofort  nach  einem  heftigen  Hustenanfall  mit  eiserner 
Energie  und  unermüdlich  zählten  und  ihre  ganzen  Ge¬ 
danken  gewaltsam  darauf  konzentrierten  und  sich  so  zwan¬ 
gen,  den  Anfall  quasi  nicht  zu  beachten.  Dadurch  sei  es 
ihnen  doch  gelungen,  wiederholt  über  Beschwerden  Herr 
zu  werden,  die  sich  nach  ihrer  Erfahrung  —  jeder  Asthma¬ 
tiker  pocht  auf  seine  Erfahrung  —  sonst  zu  heftigen  Attacken 
auswuchsen. 

Da,  wo  ich  persönlich  intervenierte,  habe  ich  recht 
Ermutigendes  gesehen.  In  zwei  Fällen,  die  sonst,  zur  An¬ 
wendung  von  Morphium  oder  Atropin  Veranlassung  gegeben 
hätten,  gelang  es  mir,  ohne  diese  auszukommen.  Dabei  war 
auffallend,  daß,  sobald  der  Kranke  in  den  Pauseri  sich 
selbst  überlassen  blieb,  sofort  die  Atmung  in  der  fehler¬ 
haften  Weise  einzusetzen  begann  und  daß  die  Atemnot 
wuchs,  so  daß  er  von  selbst  wieder  zu  zählen  anfing.  Die 
Spannung  der  Muskulatur  ließ  unter  meinem  Augen  nach, 
die  Kranken  aber  waren  froh,  ohne  Narkotikum  ausge¬ 
kommen  zu  sein  und  überzeugte  Anhänger  der  Methode. 
In  einem  dritten  Fall,  wo  man  mich  bat,  gleich  IMorphium 
zur  Einspritzung  mitzubringen,  gelang  es  gleichfalls  durch 
Geduld  und  ruhiges  Auftreten  mit  Hilfe  der  Methode  des 
Anfalles  Herr  zu  werden. 

Die  übrigen  Fälle  waren  leichter  Natur,  wie  sie  auch 
durch  Räuchern  oder  durch  eine  Asthmazigarette  ohne  wei¬ 
teres  beseitigt  werden.  Immerhin  war  der  Einfluß  der  Atem¬ 
übung  auf  die  Art  der  Atembewegungen  eklatant,  sie  voll¬ 
zogen  sich  ruhig;  man  hörte  nur  wenig  Geräusche. 

Fasse  ich  mein  Ihdeil  zusammen,  so  mußi  ich  in  dieser 
Art  von  Atemgymnastik,  welche  die  instinkliven  forcierten 
Atembewegungen  (besonders  in  der  Exspiration)  auszu¬ 
schalten  versucht,  eine  nicht  zu  unterscdiätzende  Bereiche¬ 
rung  unserer  Behandlungsmethoden  des  asthmatischen  An¬ 
falles  sehen;  über  den  Einfluß  auf  das  Gesamtleiden  ver¬ 
mag  ich  wegen  der  gleichzeitigen  Anwendung  anderer  Mittel 
kein  objektives  Urteil  abzugeben.  Ich  teile  nicht  den  Opti¬ 
mismus  Talmas  oder  Sängers,  sondern  l)in  gleich  Strü¬ 
bing  der  Ansicht,  daß  das  Verfahren  -  -  ob  nach  Sängers 
Vorschrift  oder  auf  andere  Weise  —  nicht  in  allen  Fällen 
gleichwertig  ist.  Nicht  nur,  daß  dasselbe  an  sich,  trotz 
des  besten  Willens  der  Patienten  und  Ausdauer  des  Arztes, 
versagen  kann,  eS  scheitert  oft  auch  an  der  Willensschwäche 
und  der  geringen  Widerstandskraft  im  Anfall.  Gar  oft  wird 
das  Zählen,  der  Kampf  gegen  den  Zug  der  Muskulatur  den 
Kranken  ermüden,  so  daß  er  resigniert  auf  die  Uebungen 
verzichtet;  daraus  geht  ohne  weiteres  hervor,  daß  selbst 
schon  bei  mittelschweren  i\nfällen  ein  Mißerfolg  eintreten 
kann  oder  muß,  wenn  der  Kranke  sich  selbst  überlassen 
bleibt,  wenn  die  Umgebung  nicht  genügend  instruiert  ist 
oder  Geduld  und  Ruhe  verliert.  Darin,  daß  in  vielen  Fällen 
der  Erfolg  von  der  iVnwesenheit  und  Hilfe  einer  zweiten 
Person,  eventuell  des  Arztes,  überhaupt  abhängig  ist,  liegt 
eine  nicht  zu  beseitigende  Schwäche  der  Methode;  wer  nicht 
gleichzeitig  irgend  jemandem  aus  der  Umgebung  des  Kranken 
die  Uebungen  lernen  läßt,  darf  sich  über  IMißerfolge  nicht 
wundem. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  die  psychische  Ab¬ 
lenkung,  die  im  Verlaufe  der  Uebungen,  wenn  sie  erfolg¬ 
reich  sind,  stets  eintritt,  einen  großen  Anteil  an  dem  Erfolg 
hat;  wie  weit  dies  von  Fall  zu  Fall  stattfindet,  läßt  sich 
ebensowenig  präzis  entscheiden  wie  die  Frage,  ob  nicht 
überhaupt  der  ganze  Effekt  auf  Ablenkung  beruht.  Die  Er¬ 
klärung  hiefür  wäre,  daß  die  falschen  Atembewegungen,  die 
—  wie  Strübing  sagt  —  zwuangsmäßig  eiiisetzen,  auf  psy¬ 
chischer  Basis  entstehen  und  nur  dem  Bestreben  der  Kranken 
entspringen,  sich  durch  forcierte  Exspirationen  ,,Luft“  zu 
verschaffen.  Indem  auf  diese  Weise,  wie  dien  ausgeführt, 
durch  gesteigerten  Exspiralionsdruck  und  weiterer  Verenge¬ 
rung  der  Bronchioli  erst  recht  wieder  Asthma  enisteht,  wäre 
der  Circulus  vitiosus  geschlossen  und  die  Ablenkung  wäre 
nur  Vermeidung  kräftiger  Atemzüge.  Damit  fiele  die  IMe- 


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thode  in  das  Bereich  dessen,  was  Brügelmann  fiducation 
asthmatiqne  nennt. 

Die  Tatsache  aber  bleibt  unumstößlich,  daß  durch  der¬ 
artige  Beeinflussung  der  Atmung  der  Anfall  günstig  be¬ 
einflußt,  ein  Mißbrauch  der  gewöhnlichen  Asthmamittel  leicht 
vermieden,  insbesondere  in  vielen  Fällen  Atropin  und  Mor¬ 
phium  entbehrt  werden  kann,  ein  Gewinn,  der  bei  einem 
chronischen  und  so  qualvollen  Leiden  nicht  hoch  genug 
eingeschätzt  werden  kann. 

Literatur: 

')  B  i  e  r  n  e  r,  Volkmanns  klin.  Vorträge,  Nr.  12.  —  *)  A.  Fränkel, 
Asthma  broiich.  Eul'^nb.  Realenzykl.  —  Goldschmidt,  Repert,  für 
praktische  Aerzte  1906,  7/8.  —  Ü  Sänper,  lieber  Aslhmabehandluiig. 
Rathke,  Magdeburg  1905.  —  ®)  S  t  r  ü  b  i  n  g,  Deutsche  med.  Wocheri- 
schrift  1906,  Nr.  31  und  34.  —  ®)  Talma,  Berliner  klin.  Wochenschrift 
1898,  Nr.  52.  _ 

Bemerkungen  zu  der  Erwiderung  Prof.  Kreibichs 
auf  meinen  Vortrag  „Die  Angioneurosenlehre 
und  die  hämatogene  Hautentzündung. 

Von  Dr.  LndTrig’  Török  (Budapest). 

Ich  werde  mich  in  den  folgenden  kurzen  Darlegungen  bloß 
mit  jenen  Behauptungen  der  Erwiderung  Prof.  Kreibichs  be¬ 
fassen,  welche  sich  strenge  an  das  Wesen  der  Streitfrage  über 
die  Existenz  einer  angioneurotischen  Entzündung  halten  und  einer 
Korrektur  bedürfen. 

Auf  eine  Diskussion  über  spontane  oder  neurotische 
Gangrän,  lasse  ich  mich  nicht  ein.  Ich  habe  in  meinem  Vortrage 
expressis  verbis  angegeben,  daß  ich  mich  in  demselben  nicht  mit 
der  Pathogenese  von  Hautnekrosen  befasse.  Ich  hätte  auch  die 
Experimente  Prof.  Kreibichs  nicht  erwähnt  und  er  hätte  vor 
meiner  Kritik  Ruhe  gehabt,  wenn  er  nicht  aus  denselben  Folgerungen 
in  bezug  auf  die  Urtikaria  gezogen  hätte.  Ich  war  daher  ge¬ 
zwungen,  dieselben  in  den  Bereich  meiner  Betrachtungen  zu 
ziehen.  Dabei  überzeugte  ich  mich  von  der  Unzulänglichkeit  dieser 
Versuche  und  der  Unhaltbarkeit  der  aus  ihnen  gezogenen  Folge¬ 
rungen.  Ich  könnte  mich  nun  mit  einem  einfachen  Hinweis  auf 
den  diesbezüglichen  Teil  meines  Vortrages  begnügen,  durch  welchen, 
wie  ich  hoffe,  der  Nachweis  gelungen  ist,  daß  die  Hautverände¬ 
rungen  in  Kreibichs  Versuchen,  sofern  sie  nicht  spontan, 
d.  h.  unabhängig  von  dem  Experimentator  und  von  der  Versuchs¬ 
person,  als  Folge  der  ursprünglichen  Krankheit  entstanden  sind, 
entweder  als  unmittelbare  Resultate  der  experimentellen  Einwirkung 
oder  als  von  der  Versuchsperson  sich  selbst  zugefügte  artefizielle 
Hautveränderungen  zu  betrachten  sind.  Ich  muß  hier  aber  doch 
einen  Versuch  Kreibichs  erwähnen,  weil  er  auf  die  Streifen¬ 
form  der  Hautveränderungen  ganz  besonderes  Gewicht  legt,  und 
von  Voigt  sehen  Grenzlinien  spricht.  Beim  Versuche  I.  Nr.  15. 
wird  eine  schmale,  scharf-rote  Linie  beschrieben,  welche  am  rechten 
Unterschenkel,  etwas  nach  einwärts  von  der  Mitte  der  Kniekehle 
gegen  den  Malleolus  internus  verläuft,  ,,über  demselben  an  dem 
festliegenden  Schuhrand  aufhört“.  Jedem  Unbefangenen  muß  sich 
da  die  Annahme  aufdrängen,  daß  die  Kranke  die  Hautreizung 
ausgeführt,  nachdem  sie  bloß  die  Strümpfe  nach  unten  gestreift, 
aber  die  Schuhe  nicht  abgelegt  hatte.  Dies  erklärt  das  plötzliche 
Aufhören  der  Linie  ,,an  dem  festliegenden  Schuhrand“. 

Prof.  Kreibich  zieht  in  seiner  Erwiderung  seine  histo¬ 
logischen  Befunde  heran,  um  den  artefiziellen  Ursprung  der  Haut¬ 
veränderungen  auszuschließen.  Diese  Befunde  sollen  im  Einklänge 
stehen  mit  jenen  von  Zieler,  laut  welchen  die  Hautgangrän  ein 
Kutisprozeß  ist,  bei  welchem  jede  Andeutung  einer  von  der  Haut- 
obertläche  kommenden  Einwirkung  fehlt,  während  bei  der  Ver¬ 
ätzung  die  Kutisveränderungen  nur  die  Reaktion  gegen  den  von 
außen  wirkenden  Reiz  darstellen,  vorwiegend  nur  die  oberste 
Schichte  einnehmen  und  tiefere  Partien  unbeeinflußt  lassen.  Ich 
bitte  aber  Herrn  Prof.  Kreibich,  das  betreffende  Kapitel  seiner 
Monographie  (S.  25  und  folg.),  so  wie  ich  es  getan  habe,  durchzu¬ 
lesen.  Da  werden  stufenweise  die  histologischen  Veränderungen 
beschrieben,  die  er  bei  seiner  Patientin  hervorgerufen  hat.  Nach 
Veränderungen,  welche  „eine  geringste  entzündliche  Reizung“  be¬ 
dingen,  werden  parallel  verschiedene  nekrotische  Veränderungen 
des  Epithels  und  der  Lederhaut  beschrieben,  welche  ohne 
Schwierigkeit  auf  lokale,  äußere,  schädigende  Einwirkungen  zurück¬ 
geführt  werden  können.  Auf  S.  32  wird  als  erstes  Symptom  der 
Nekrose  die  Epithelriesenzellenbildung  erwähnt,  demnach  eine  ober¬ 
flächlich,  (weil  in  der  Epidermis)  stattfindende  Veränderung.  Ueber- 
haupt  scheinen  die  Epithelveränderungen  den  Autor  sehr  stark 
irnpressionirt  zu  haben,  denn  auf  Seite  33  finden  wir  eine  Zusammen¬ 
stellung  aller  der  beobachteten  Epitheldegenerationen.  Prof.  Krei¬ 


bich  erwähnt  in  seiner  Erwiderung,  daß  man ,, Erytheme  mit  Nekrose 
der  Basalzellen  unter  gut  erhaltenem  Rete“  beobachten  kann.  Da 
zitiert  er  sich  falsch.  Auf  Seite  35  seiner  Monographie  wird  gerade  das 
Gegenteil  hievon  behauptet;  nämlich,  daß  man  gerade  die  Basal¬ 
zellen  öfter  normal  findet,  „während  das  Epithel  darüber  abge¬ 
storben  ist“.  Dieser  letztere  Befund  steht  mit  der  Annahme  einer 
ratefiziellen  Entstehung  der  Hautveränderungen  in  bestem  Einklang. 
Denn  nach  Einwirkung  einer  äußeren  Schädlichkeit  können  höhere 
Lagen  der  Epidermis,  welche  unmittelbarer  getroffen  werden,  des 
öfteren  stärker  geschädi  gt  werden,  als  die  tiefer  gelagerten  Basalzellen. 

Ich  könnte  noch  weitere  Argumente  für  den  artefiziellen 
Ursprung  der  Hautveränderungen  beiden  Experimenten  Kreibichs 
Vorbringen.  Für  den  Zweck,  die  Wertlosigkeit  dieser  Experimente 
zu  beweisen,  genügt  aber  das  bisher  Vorgebrachte  vollkommen. 
Daran  ändert  die  Anrufung  anderer  Autoren  nichts.  Professor 
Kreibich  hat  seine  Experimente  durch  Entkräftung  der  gegen 
sie  vorgebrachten  Einwände  zu  verteidigen. 

Und  nun  gehe  ich  zu  dem  Wenigen  über,  was  Prof.  Kreibich 
gegen  die  Versuche  von  Philippson,  Vas,  Häri  und  mir  vor¬ 
gebracht  hat. 

Auf  das  Jadassohn  entlehnte  Argument,  daß  durch  die 
Versuche  Philippsons  der  Einfluß  peripherischer  Gefäßganglien 
nicht  ausgeschlossen  sei,  hat  schon  Philippson  geantwortet; 
ich  habe  diese  Antwort  in  meinem  Vortrage  zitiert,  ich  verweise 
daher  Prof.  Kreibich  auf  denselben. 

In  bezug  auf  die  Versuche  von  Vas  und  Török  wird  be¬ 
hauptet,  daß  dieselben  Gegenstand  einer  bereits  anderwärts  ge¬ 
führten  Kontroverse  gewesen  seien.  Dem  muß  ich  widersprechen. 
Die  sogenannte  Kontroverse  beschränkte  sich  darauf,  daß  Vas 
und  ich  Kreibich  und  P  o  1 1  a  n  d  gegenüber,  welche  behauptet 
hatten,  die  ersten  gewesen  zu  sein,  welche  einen  höheren  Eiwei߬ 
gehalt  des  iirtikariellen  Exsudats  nachgewiesen  haben,  ,,da  die 
von  Török  und  Vas...  erhobenen  Zahlen  nicht  von  urti- 

kariellen  Prozessen .  stammten,“  unser  Prioritätsrecht 

wahrten.  (Archiv  f.  Dermatologie,  67.  Bd.,  1.  Heft.)  Hierauf  er¬ 
hielten  wir  das  Manuskript  einer  längeren  Erklärung  von 
Kreibich  und  P  o  1 1  a  n  d,  auf  welches  wir  kurz  antworteten, 
daß  wir  uns  auf  keine  Diskussion  einlassen,  sondern  uns  auf  die 
Konstatierung  der  Tatsache  beschränken,  daß  wir  zuerst  den 
höheren  Eiweißgehalt  des  urtikariellen  Exsudats  nach  gewiesen 
haben.  Kreibich  und  P  o  1 1  a  n  d  zogen  hierauf  ihre  Ent¬ 
gegnung  zurück  und  es  blieb  bei  unserer  ersten  Berichtigung.  In 
dieser  haben  wir  die  ganz  willkürliche  Annahme  Kreibichs, 
daß  wir  keine  Urtikaria  untersucht  hätten,  zurückgewiesen.  Es 
ist  auch  heute  nicht  einzusehen,  was  Kreibich  dazu  berechtigt, 
anzunehmen,  daß  die  Prozesse,  welche  wir  untersuchten,  zur  Zeit 
der  Untersuchung  keine  Urtikaria  mehr  waren.  Den  Beweis  hiefür 
bleibt  er  nämlich  schuldig.  Meine  Annahme  von  der  entzündlichen 
Natur  der  Urtikaria  stützt  sich  übrigens  nicht  bloß  .auf  den 
höheren  Eiweißgehalt  des  Exsudats,  sondern  noch  auf  andere 
Tatsachen,  welche  Prof.  Kreibich  in  meinem  Vortrage  nach- 
lesen  kann.  Eine  recht  gute  Zusammenstellung  von  Argumenten, 
welche  die  entzündliche  Natur  der  Urtikaria  beweisen,  findet  man 
in  dem  im  Jahre  1904  erschienenen  Lehrbuche  der  Hautkrank¬ 
heiten  von  Prof.  Kreibich  (auf  S.  52).  Ich  empfehle  ihre 
Lektüre  Herrn  Prof.  Kreibich  angelegentlichst  und  mache  ihn 
gleichzeitig  darauf  aufmerksam,  daß  die  urtikarielle  Natur  der 
von  Vas  und  Török  untersuchten  Hautveränderungen  an  der 
betreffenden  Stelle  nicht  im  entferntesten  in  Zweifel  gezogen 
wird,  obschon  ihre  Versuchsergebnisse  ausführlich  zitiert  werden. 

In  bezug  auf  die  Experimente  von  Häri  und  mir  muß  ich 
betonen,  daß  dieselben  nicht,  wie  Prof.  Kreibich  vorgibt,  des¬ 
halb  unternommen  wurden,  um  dem  Einwand  zu  begegnen,  daß 
bei  der  Entstehung  der  Urtikaria  nach  Ausschluß  des  zentralen 
Nervenapparates  periphere  Gefäßganglien  mitwirken.  Dieselben 
wurden,  wie  ich  auch  in  meinem  Vortrage  angegeben  habe,  zu 
dem  Zwecke  unternommen,  um  nachzuweisen,  daß  Stoffe,  welche 
in  Fällen  interner  Urtikaria  im  Blute  supponiert  werden  konnten, 
tatsächlich  die  Fähigkeit  besitzen,  urtikarielles  Oedem  zu  erzeugen. 
Wenn  ich  die  betreffende  Stelle  in  der  Entgegnung  Professor 
Kreibichs  recht  verstehe,  so  führt  er  die  von  Häri  und  mir 
bei  Hunden  durch  die  lokale  Einwirkung  verschiedener  Substanzen 
bewirkte  Quaddelbildung  auf  Nerveneinflüsse  zurück  u.  zw.  des¬ 
halb,  weil  in  unseren  ,, Aufzeichnungen  Phänomene  enthalten 
sind,  die  nur  durch  Nerveneinfluß  erklärt  werden  können : 
z.  B.  es  eignet  sich  nicht  jeder  Hund,  nicht  jede  Gegend  des 
Tieres,  in  der  Nähe  von  toxischen  Quaddeln  erzeugen  sonst  un¬ 
wirksame  Substanzen  Quaddeln;  wurde  an  einem  Hunde  länger 
operiert,  so  bringen  auch  unwirksame  Substanzen  Quaddeln  her¬ 
vor  und  der  Hund  ist  einige  Zeit  nicht  brauchbar.“  Diese  Phäno¬ 
mene  erklären  sich  auf  einfache  Weise  durch  die  verschiedene 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


109 


Empfindlichkeit  der  Tiere  und  der  verschiedenen  Hautregionen. 
Des  weiteren,  daß  durch  Diffusion  der  zum  Experiment  benützten 
Stoffe  benachbarte  Blutgefäße  leicht  geschädigt  und  dadurch  em¬ 
pfindlicher  werden.  Und  endlich  dadurch,  daß  durch  wiederholte 
Reizung  die  Empfindlichkeit  der  Blutgefäße  gesteigert  wird,  welch 
letztere  Annahme  noch  durch  die  Analogie  mit  der  artefiziellen 
Dermatitis  und  dem  Ekzem  gestützt  wird.  Die  Erklärung,  daß 
es  bei  diesen  Geschehnissen  auf  die  Empfindlichkeit  der  Gefäße 
ankommt,  ist  gar  zu  naheliegend. 

Das  Experiment,  welches  Prof.  Kreibich  im  November¬ 
hefte  der  Monatshefte  für  praktische  Dermatologie  beschrieben 
und  welches  er  an  dem  klinischen  Assistenten  U.  und  an  der 
Wärterin  J.  G.  ausgeführt  hat,  werde  ich  nicht  wiederholen,  weil 
ich  über  kein  so  tüchtig  angioneurotisch  veranlagtes  Aerzte-  und 
Wartepersonal  verfüge  wie  Professor  Kreibich. 


I^eferatc. 


Volkiiiaims  Tortrilge. 

Leipzig  1906,  Breitkopf  &  Härtel, 
lieber  Vorschläge  zu  Reformen  des  Hebammenwesens 
und  die  Bekämpfung  des  Puerperalfiebers. 

Von  E.  Eckstein,  Teplitz. 

Gynäkologie,  Heft  Nr.  159. 

Erörterungen  rein  polemischer  Natur,  welche  sich  gegen  einen 
Vortrag  Wein  dl  er  s  (Archiv  für  Gynäkologie,  Bd.  78)  richten. 
Zu  kurzem  Referate  ungeeignet. 

♦ 

Indikationsverschiebungen  in  der  Geburtshilfe. 

Von  A.  Mermaiin,  Mannheim. 

Gynäkologie,  Heft  Nr.  159. 

Die  Indikationsverschiebungen  haben  sich  hauptsächlich  nach 
der  Richtung  hin  vollzogen,  daß  heutzutage  der  Erhaltung  des 
kindlichen  Lebens  hei  geburtshilflichen  Komplikationen  mehr  Auf¬ 
merksamkeit  zugewendet  wird  als  früher.  Hermann  befürchtet, 
daß  diese  Bestrebungen  zu  einer  operativen  Polypragmasie  führen 
könnten.  Bossis  Verfahren,  die  häufigere  Anwendung 
der  hohen  Zange,  die  Symphyseotomie,  der  klassische 
Kaiserschnitt  bei  Eklampsie,  sind  Operationen,  welche  er  auf 
Grund  seiner  Erfahrungen  ablehnt.  Dagegen  hält  er  die  Pubio- 
t  o  m  i  e  für  eine  große  Errungenschaft.  Er  will  dieselbe  bis  herab 
zu  7  cm  beim  platten,  bis  7V2  cm  C.  v.  beim  allgemein  verengten 
Becken  ausführen;  ob  bei  schwer  Fiebernden  die  Pubiotomie 
ausgeführt  \verden  darf,  ist  fraglich.  Gibt  die  Pubiotomie  bessere 
Resultate  in  bezug  auf  die  Kinder,  als  die  künstliche  Frühgeburt, 
so  wird  die  Indikation  zu  letzterer  mehr  eingesclmänkt  werden 
müssen.  Zum  Schlüsse  bespricht  Hermann  an  der  Hand  selbst 
erlebter  Fälle  die  Komplikationen  gynäkologischer  Natur  mit 
geburtshilfliclien  Fällen  und  die  Aenderungen  in  der  Behandlung 
derselben  im  Vergleich  zu  früheren  Zeiten.  -i 

* 

lieber  die  Verletzungen  des  Kindes  während  der  Geburt. 

Von  K.  Birnbaum,  Göttingen. 

Gynäkologie,  Heft  Nr.  158. 

Sehr  übersichtliche  und  instruktive  Zusammenstellung  der 

Geburtsverletzungen  der  Kinder,  der  Aetiologie  und  Prognose. 

* 

Indikationen,  Erfolge  und  Gefahren  der  Atmokausis 

und  Zestokausis. 

Von  L.  Pinciis,  Danzig. 

Gynäkologie,  Heft  Nr.  155. 

In  seiner  bekannten  Manier  propagiert  Verf.  die  von  ihm 
angegebene,  einer  Idee  Snegiiireffs  entsprungene  Methode, 
deren  engumgrenztes  Indikationsgebiet  von  Pincus  mit  unver¬ 
kennbarem  Widerwillen  jetzt  selbst  zugegeben  wird;  außerdem 
reichlich  Bemerkungen  persönlicher  Natur,  die  sich  auf  die  Wür¬ 
digung  seiner  Verdienste  beziehen  usf. 

* 

Die  Mechanik  der  Geburt. 

Von  Hugo  Selllieim.  Freiburg  i.  B. 

Gynäkologie,  Heft  Nr.  156. 

Enthält  das  Resümee  der  langjährigen  Studien  des  Ver¬ 
fassers;  über  die  Hauptpunkte  wolle  das  unten  folgende  Referat 
über  seine  ausführliche  Publikation  zu  Rate  gezogen  werden. 


Die  Beziehungen  des  Geburtskanales  und  des  Geburts¬ 
objektes  zur  Geburtsmechanik. 

Von  Hugo  Selllieim,  Düsseldorf. 

Mit  42  Abbildungen. 

125  Seiten. 

Leipzig  1906,  T  hie  me. 

Jahrelange  Beobachtungen  an  der  Lebenden,  anatomische 
Untersuchungen,  zum  Teil  komplizierte  Phantome  und  mathema¬ 
tische  Berechnungen  haben  Seil  heim  in  die  Möglichkeit  ver¬ 
setzt,  in  ein  Gebiet  der  geburtshilflichen  Physiologie  Licht  zu 
bringen,  das  bis  jetzt  größtenteils  nur  zu  theoretischen  Ucber- 
legungen  angeregt  hatte.  Wer  erinnert  sich  nicht  aus  seiner 
Studienzeit  an  die  komplizierten  Erklärungen,  die  die  meisten 
Lehrbücher  für  den  Geburtsmechanismus,  speziell  für  die  innere 
Drehung  geben?  Seil  heims  Untersuchungen  sind  zwar  keines¬ 
wegs  unkompliziert  zu  nennen.  Die  Lektüre  der  Monographie 
erfordert  große  Aufmerksamkeit  und  einiges  Verständnis  für 
mechanische  Fragen.  Die  Resultate  sind  geeignet,  früher  wenig 
verständliche  Vorgänge  durch  eine  einzige  Tatsache  zu  erklären. 
Selllieim  fand  nämlich,  daß  die  Fruchtwalze  — !  d.  i.  die  Frucht 
im  Stadium  der  Geburt  — :  nach  den  verschiedenen  Richtungen 
ungleichmäßig  biegsam  ist  und  auf  ihrem  Wege  durch  den  Ge¬ 
burtskanal  zur  Verbiegung  gezwungen  wird;  hiedurch  allein  ist 
schon  die  innere  Drehung  erklärt,  da  nämlich  nach  einem  vom 
Verf.  experimentell  und  mathematisch  bewiesenen  physikalischen 
Gesetz  ungleichmäßig  biegsame  Zylinder  sich  bei  eintretender 
Verbiegung  so  lange  um  ihren  Höhendurchmesser  drehen,  bis  die 
Stellung  erreicht  ist,  in  der  sie  sich  am  leichtesten  verbiegen 
lassen.  ,,Die  Natur  handelt  bei  der  Geburt  nach  dem  sehr  ein¬ 
fachen  Prinzip,  alle  Vorgänge  sich  so  abspielen  zu  lassen,  daß 
die  Widerstände  am  leichtesten  überwunden  werden  können.  Zu 
diesem  Zwecke  geschieht  zweierlei:  Erstens  nimmt  die  Frucht 
in  allen  Teilen  womöglichst  Kreiszylindergestalt  an  und  dreht 
sich  zweitens  bei  der  notwendig  werdenden  Verbiegung  so,  wie 
sie  am  leichtesten  verbogen  werden  kann.“ 

Nach  diesen  Leitsätzen  erklären  sich  nonnale  und  abnormale 
Haltungen  der  Frucht.  Wenn  die  Anzeichen  nicht  (rügen,  so 
dürfte  durch  Sellheims  mit  Fleiß  und  großem  Scharfsinn  voll¬ 
endeten  Arbeiten  die  Frage  des  Geburtsmechanismus  gelöst  sein. 

* 

Die  neue  königliche  Frauenklinik  in  Dresden. 

Von  Prof.  Leopold  und  Geh.  Baurat  Reichelt. 

Dritter  Band  der  Arbeiten  aus  der  königl.  Frauenklinik  in  Dresden. 

Mit  35  Abbildungen  und  12  Plänen. 

Leipzig  1906,  Hirzel. 

Im  Jahre  1898  beschloß  die  sächsische  Staatsregierung  in 
Anbetracht  des  Raummangels,  unter  welchem  die  1869  erbaute 
kgl.  Frauenklinik  litt,  den  Bau  eines  neuen  Instituts.  Der  Bau, 
für  den  2,100.000  Mark  flüssig  gemacht  wurden,  war  1902  nach 
2V4jähriger  Arbeit  vollendet  und  wurde  im  März  1903  bezogen. 
Das  Institut  bedeckt  ein  Areal  von  35.000  m^  und  liegt  im  Osten 
der  Stadt,  begrenzt  von  der  Pfotenhauerstraße,  dem  Fiedlerplatz, 
der  Terschekstraße  und  der  Fürstenstraße.  Der  Gebäudekomplex 
umfaßt:  a)  Ein  Verwaltungsgebäude  mit  Räumen  für  die  Wohnung 
des  Direktors  etc.;  b)  ein  gemeinschaftliches  vierstöckiges  Ge¬ 
bäude  (Erd-,  L,  H.  und  vollkommen  ausgebautes  Dachgeschoß)  für 
die  gynäkologische  und  geburtshilfliche  Abteilung  mit  Bade-, 
Operations-  und  Nebenräumen;  c)  ein  Sonderhaus  für  die  septische 
Abteilung  und  d)  ein  Wirtschaftsgebäude  mit  angebautem  Kessel¬ 
haus.  Alle  Gebäude,  mit  Ausnahme  des  Kesselhauses,  sind  unter 
sich  durch  verglaste  Gänge  verbunden,  die  beiden  ersten  im  Erd-, 
I.  und  11.  Obergeschoß,  die  letzteren  beiden  nur  im  Erdgeschoß. 
Unter  den  Verbindungsgängen  befindet  sich  ein  Rohrkanal,  der 
die  Kellergeschoße  sämtlicher  Gebäude  untereinander  verbindet. 
Rohrkanäle  und  Kellergänge  beherbergen  die  Dampfhaupt-  und 
-Nebenleitimgen,  die  Warmwasser-  und  Niederdruckdampfheizung, 
die  Dampfsterilisier-  und  Koch-,  die  Warmwasser-,  Kaltwasser-, 
Kondens-,  Abfallwasser-  und  Klosettabwasserleitungen;  ferner  die 
elektrischen  Licht-  und  Telephonleitungen,  die  Gasleitungen  zum 
Kochen  des  Wassers  in  den  Teeküchen  und  für  die  Sterilisatoren. 
In  Seitengängen  daselbst  befinden  sich  innen  glasierte,  durch 
Dampf  zu  sterilisierende,  weite  Steinzeugschlote,  welche  für  die 


110 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


verbrauchten  Verbandstoffe,  schmutzige  Wäsche  und  Kehricht  be¬ 
stimmt  sind. 

Im  Wirtschaftsgebäude  erzeugen  vier  Doppel  -  Cornwall- 
Kesseln  mit  je  90  m'^  Heizfläche  die  nötige  Dampfmenge;  die 
elektrische  Kraft  wird  von  zwei  GOpferdigen  liegenden  Einzylinder¬ 
dampfmaschinen  und  zwei  Dynamomaschinen  geliefert. 

Von  Details,  betreffend  die  Krankensäle,  sei  erwähnt,  daß 
für  eine  Wöchnerin  samt  Kind  stündlich  70  cm^  Luftzuführimg 
erzielt  wird,  welche  aus  Frischluftkammern  durch  Filter,  Luft¬ 
verteilungskanäle  und  Vorwärmkamniern  -  durch  Heizschlangen, 
wenn  nötig,  erwärmt  und  befeuchtet  —  kommt.  Eine  Eisbereitnngs- 
und  Kühlanlage  (durch  Kohlensäure-Külümaschine)  fehlen  natür¬ 
lich  nicht. 

Die  Anstalt  ist  berechnet  für:  12  Betten  für  Gebärende, 
82  Betten  für  Wöchnerinnen,  52  Betten  für  gynäkologische  Kranke, 
00  Betten  für  Hausschwangere,  0  Betten  für  kranke,  isolierte 
Hausschwangere,  82  Betten  für  Kinder;  ferner  je  82  Reserve¬ 
betten  für  Wöchnerinnen  und  Kinder,  30  Reservebetten  für  gynä¬ 
kologisch  Kranke.  Die  Einrichtung  der  Zimmer  ist  nach  jeder 
Hinsicht  musterhaft. 

Die  im  Auszug  gegebenen  Dienstinstrnktionen  für  Aerzte, 
Pflegerinnen  und  Hebammenschülerinnen  zeugen  von  dem  hohen 
Organisationstalent  L  e  op  0 1  d  s.  Statistische  und  orientierende  An¬ 
gaben  über  den  Unterricht  für  Aerzte  und  Hebammen,  über  die 
gelieferten  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  über  den  Tagesplan 
der  einzelnen  Funktionäre  lassen  uns  Leopolds  Anstalt  als 
ein  wahrhaftes  Musterinstitut  erscheinen,  wenngleich  die  Behörde 
die  ursprünglichen  Pläne  Leopolds  stark  umgeändert  hat. 

Es  ist  nicht  ganz  überflüssig,  zu  erwähnen,  daß  sich  die 
Gebäude  der  neuen  Frauenklinik  von  außen  außerordentlich  gün¬ 
stig  präsentieren  —  ein  Punkt,  in  welchem  ihnen  jene  unserer 
beiden  neuen  Kliniken  wohl  unstreitig  weit  nachstehen. 

Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  der  weib¬ 
lichen  Sexualorgane. 

Bearbeitet  von  A.  Foges,  Wien  und  Dr.  0.  Fellner,  Wien. 

Mit  6  Textabbildungen. 

Aus:  Physikalisclie  Tlierapie  in  Einzeldarstelluugen. 

Herausgegeben  von  Marknse  und  Straßer. 

Heft  22,  66  Seiten. 

Stuttgart  1906,  Enke. 

Kach  einer  kurzen  Einleitmig,  in  welcher  auf  die  zu¬ 
nehmende  Würdigung  der  physikalischen  Therapie  bei  Frauen¬ 
leiden  hingewiesen  wird,  folgt  das  Kapitel  „Massage“  (Heilgym¬ 
nastik,  Sport),  bearbeitet  von  Fellner.  Abgesehen  von  der  er¬ 
müdenden  Wiedergabe  der  Br  an  dt  sehen  Vorschriften,  weiche- 
schwer  verständlich  und  äußerst  umständlich  ist,  kann  sich  Re¬ 
ferent  auch  mit  der  Indikationsstellung  des  Verfassers  nicht  ganz 
für  einverstanden  erklären ;  daß  die  häufigste  Anwendung  die  Mas¬ 
sage  bei  Erkrankungen  der  Eileiter  und  der  Eierstöcke  findet,  dürfte 
wohl  nicht  der  heute  geltenden  Anschauung  entsprechen.  Auch 
massiert  man  kaum  je  eine  halbe  Stunde  (bei  größeren  Exsudaten) 
oder  bis  zu  15  Minuten  (bei  kleineren  Exsudaten).  Als  Autorität 
hätte  der  Verfasser  sich  besser  auf  Olsh arisen  u.  a.,  denn  auf 
seinen  Gewährsmann  beziehen  sollen.  Das  Kapitel  Pessar¬ 
therapie  (Fellner)  hätte  wohl  eine  viel  breitere  Behandlung 
und  auch  Abbildungen  erfordert.  Die  B  el as  tu  n  g s  1  age r un  g 
erfährt  von  Foges  eine  übersichtliche,  abgerundete  Darstellung. 
Die  Elektrotherapie  (Foges)  wird  —  was  dankbar  ane r- 
kaimt  sei  — .  recht  kurz  erledigt;  die  unglückselige  Idee  Sell- 
heims  über  intrauterinen  Gebrauch  eines  Elektromagneten  zu 
diagnostischen,  ja  sogar  zu  therapeutischen  Zwecken,  hätte  besser 
nicht  erwähnt  werden  sollen.  Ebenso  kurz  und  doch  genügend 
instruktiv  ist  die  Vaporisation  (Foges)  abgetan,  während 
der  11  e  i  ß  1  u  f  t  b  e  h  a  n  d  lung  ein  wenig  mehr  Raum  hätte  ge¬ 
widmet  werden  sollen;  auch  über  Balneotherapie  (Felln ei) 
hätte  man  gerne  mehr  gehört. 

Ein  kurzer  Ueberblick  über  physikalische  Behandlungs¬ 
methoden  in  der  Geburtshilfe  schließt  das  Heft. 

* 


Handbuch  der  Geburtshilfe. 

Herausgegeben  von  F.  v.  Winckel,  München. 

3.  Band,  2.  Teil. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text  und  auf  dtn  Tafeln  I  bis  X. 

1025  Seiten. 

Wiesbaden  1906,  Bergmann. 

Mit  bemerkenswerter  Schnelligkeit  schreitet  die  Herausgabe 
des  umfangreichen  Werkes  fort.  Im  .fahre  1903  begonnen,  ist 
sie  bereits  bis  zum  siebenten  stattlichen  Bande  gediehen;  es 
berechtigt  dies  zur  Hoffnung,  daß  das  gesamte  Werk  bald  ab¬ 
geschlossen  vor  uns  liegt  und  die  ersten  Bände  nicht,  wie  leider 
so  oft  bei  ähnlichen  Handbüchern,  bereits  veraltet  sind,  wenn 
die  letzten  erscheinen. 

Fr.  V.  Winckel  beendet  seine  liis torischen  Beiträge  zum 
Handbuch  dui’ch  einen  Ueberblick  über  die  Geschichte  der  Gynä¬ 
kologie  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  Ende  des  XIX.  Jahr¬ 
hunderts.  Der  schon  im  ersten  Teil  des  zweiten  Bandes  be¬ 
gonnene  Beitrag  enthält  die  Italiener,  Schotten,  Irländer,  Eng¬ 
länder,  Holländer,  Belgier,  Franzosen  und  Skandinavier  des 
XIX.  Jahrhunderts.  Zahlreiche  Holzschnittporlräts  beleben  die 
historischen  Daten. 

Die  siebente  Abteilung  des  Werkes :  Pathologie  und  Therapie 
des  Wochenbettes,  leitet  R.  v.  Braun-Fern  wähl- Wien  mit 
den  sorgfältig  und  ausführlich  behandelten  Kapiteln:  Genital¬ 
wunden  der  Wöchnerinnen,  Ein-  und  Umstülpung  der  Gebär¬ 
mutter  bei  AVöchnerinnen,  Genitalblutungen  im  W^ochenbelt,  ein; 
trotzdem  das  Thema  ein  ziemlich  eng  begrenztes  ist,  so  muß  doch 
bei  aller  Genauigkeit  die  Vermeidung  jeglicher  Weitschweifigkeiit 
dankbar  anerkannt  sein. 

Das  folgende  Kapitel  ist  einem  Gebiete  gewidmet,  auf  wel¬ 
chem  seit  dem  Erscheinen  des  Peter  Müll  er  sehen  Handbuches 
wohl  die  meisten  Enideckungen  gemacht  wurden:  dem  Kind¬ 
bet  tf  i  e  'b  e  ri.l 

^Wenngleich  zwischen  zwei  Autoren  —  v.  Herff  und  Walt- 
hard  —  geteilt  (eine  kleine  Abhandlung  über  den  Gonokokkus 
stammt  von  W  i  1  d  b  o  1  z  -  Bern),  zeigt  das  mit  ungeheurem  Fleiße 
bearbeitete  Kapitel  eine  Einheitlichkeit,  wie  wenn  es  aus  einer 
Feder  stammen  würde,  ein  Umstand,  der  gerade  dem  in  Frage 
stehenden  Thema  unbedingt  notwendig  war.  Man  kann  sich  bei¬ 
läufig  eine  Vorstellung  von  dem  Umfang  des  Gebietes  machen, 
wenn  mau  hört,  daß  die  bezügliche  Literatur  ca.  10.000  Nummern 
umfaßt.  Für  die  Literaturangabe  sind  nur  die  Arbeiten  nach 
1889  verwendet  und  schließt  dieselbe  an  die  im  P.  Müllerscben 
Handbuch  gegebene  an.  Doch  auch  hier  mußte  noch  eine  Ein¬ 
schränkung  —  Raummangels  wegen  —  gemacht  werden,'  inso- 
ferne  nur  jene  Arbeiten  zitiert  sind,  die  in  irgendeiner  Weise  ver¬ 
wendet  wurden.  Nichtsdestoweniger  füllt  das  Literaturverzeich¬ 
nis  nicht  weniger  als  80  Druckseiten  aus! 

Die  von  v.  Herff  bearbeiteten  Kapitel  enthalten:  Allgemeines, 
Statistisches,  den  Kampf  des  Körpers  gegen  die  Spaltpilze  des 
Kindbettfiebers,  Uebertragungsweise  der  Spaltpilze  in  die  Geburts¬ 
wunden,  Verlauf  der  Infektion,  die  Gifte  der  Spaltpilze,  Beteili¬ 
gung  und  Besonderheiten  der  einzelnen  Spaltpilzarten  an  der 
Entstehung  des  Kindbettfiebers.  Aus  seinen  Thesen  wäre  hervor- 
zLÜieben:  ,,Als  wichtigste  Maßregel,  um  eine  weitere  Besserung 
der  puei-peralen  Vlortalität  zu  erzielen,  ist  zu  verlangen,  daß 
Aerzte  und  Hebammen  sich  nach  einer  jener  Methoden  desinfi¬ 
zieren,  die  den  Alkohol  einfügen,  es  sei  denn,  daß  sie  es  vor¬ 
ziehen,  Gummihandschuhe  anzulegen  oder  sorgfältige  vorbeu¬ 
gende  Scheidenausspülungen  zu  machen.“  ,,Die  Lehre,  daß  Kiiid- 
bettfieber  ausschließlich  nur  durch  Uebertragung  von  FT’emd- 
keimen  durch  die  AVöclmerin  selbst  oder  durch  dritte  Personen 
entsteht,  ist  zweifellos  falsch.  Eigenansteckungen  kommen  wäh¬ 
rend  der  Schwangerschaft,  wenn  auch  selten,  besonders  häufig 
während  und  nacli  der  Geburt  oder  einer  Fehlgeburt  und  im 
Verlaufe  des  ganzen  Wochenbettes  vor,  allerdings  nur  unter  be¬ 
sonders  begünstigenden  Umständen.“  Ebenso  wie  in  diesen  stritti¬ 
gen  Fragen,  präzisiert  v.  Herff  seinen  Standpunkt  in  zahlreichen 
anderen,  über  welche  die  Diskussion  heute  noch  nicht  ge¬ 
schlossen  ist. 

Walthards  „Spezielle  Bakteriologie  der  puerperalen  Wund¬ 
erkrankungen“  verwertet  zum  erstenmal  die  zahlreichen  mühsamen 
Untersuchungen  über  dieses,  seit  mehr  als  einem  Dezennium  im 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCPIE  WOCHENSCHRIBT.  1907. 


Ill 


Vordergrund  des  Interesses  stehende  Thema  in  zusammenfassen¬ 
der,  übersichtlicher  Weise.  Der  Gonokokkus  erfährt  eine  spezielle 
Besprechung  durch  Wildbolz.  Hierauf  folgt  ein  fast  400  Seiten 
starker  Abschnitt  aus  der  Feder  v.  Herffs  über  pathologische 
Anatomie,  Diagnostik  und  Therapie  der  Puerperalinfektion.  Auch 
dieses  Kapitel  wird  entsprechend  den  Fortschritten  der  Wissen¬ 
schaft  seit  dem  Müll  er  sehen  Handbuch  das  größte  Interesse 
erregen;  vor  allem  die  Abschnitte  über  Serumbehandlung  und 
operative  Behandlung  der  Wochenbetterkrankungen.  ,, Heilsera 
können  nur  wirken,  wenn  sie  vorbeugend  oder  doch  so  frühzeitig 
dargereicht  werden,  daß  nur  wenige  Keime  zu  bekämpfen  sind. — 
Kollargol  beeinflußt  in  manchen  Fällen  sichtlich  das  Allgemein¬ 
befinden  günstig;  die  Wirkung  ist  aber  nur  vorübergehend,  wahr¬ 
scheinlich  bedingt  durch  Abnahme  der  Toxinämie.  —  Je  weniger 
Alkohol  fiebernden  Wöchnerinnen  gereicht  wird,  desto  wohler 
fühlen  sie  sich.  —  Durch  eine  Ausschabung  kann  eine  an  sich 
harmlose  oder  doch  wenig  gefährliche  Schleimhautentzündung 
zu  schwerer  und  schwerster  Erkrankung  gesteigert  werden.  Die 
Anzeige  zur  Venenunterbindung  bei  Verschleppungsbakteriämie 
wird  mit  einiger  Klarheit  zu  stellen  sein,  sobald  die  Temperatur 
und  der  Puls  mit  ausgesprochenen  steilen  An-  und  Abstiegen, 
wenn  mehr  wie  fünf  bis  sechs  Schüttelfröste  die  Annahme  einer 
Verschleppungsbakteriämie  zu  stellen  gestalten;  wenn  eine  sorg¬ 
fältige  Untersuchung  die  Abwesenheit  örtlicher  Eiterherde  er¬ 
gibt  und  vor  allem,  wenn  mit  einiger  Sicherheit  der  Nachweis 
entzündeter  und  verstopfter  Venen  gelingt,  alles-  dieses  ohne  Vor¬ 
treten  schwerer  Allgemeinerscheinungen  bei  kräftigem  Puls.  Ins¬ 
besondere  müssen  mit  einiger  Sicherheit  jene  Verschleppungs¬ 
bakteriämien  ausgeschlossen  sein,  welche  ohne  Venenentzündung 
verlaufen.  —  Die  Entfernung  der  infizierten  Gebärmutter  bietet 
der  Indikationsstellung  große  Schwierigkeiten  und  Unklarheiten; 
der  Erfolg  wird  im  Einzelfall  —  auch  bei  Genesung  der  Kranken 
—  angezweifelt  werden  können.“ 

Diese  Auswahl  aus  v.  Herffs  Schlüssen  zeigt  zur  Genüge, 
daß  wir  es  nicht  mit  einem  bloßen  Referat,  sondern  mit  einer 
sorgsam  durchgedachten,  auch  auf  eigene  Erfahrung  sich  stützen¬ 
den  Arbeit  zu  tun  haben. 

Auch  D  öder  lein,  einer  der  verdientesten  Arbeiter  auf 
dem  Gebiete  der  Puerperalerkrankungen,  liefert  einen  Beitrag.  Er 
bespricht  die  puerperalen  Erkrankungen  der  Harnorgane. 

Der  vorliegende  Band  darf  wohl  im  großen  und  ganzen  als 
der  wertvollste  des  Handbuches  bezeichnet  werden. 

* 

Untersuchungen  über  den  Bau  der  menschlichen  Tube 
zur  Klärung  der  Divertikelfrage  mittels  Modell¬ 
rekonstruktion  nach  Born. 

Von  Dr.  Paul  Kroemer,  Gießen. 

Mit  26  Abbildungen  im  Text. 

Groß-Oktav,  31  Seiten. 

Leipzig  1906,  Hirzel. 

ln  einer  nach  obiger  Methode  rekonstiarierten,  makroskopisch 
völlig  normalen  Tube  fand  Verf.  nicht  weniger  als  drei  eebte 
Divertikel.  Daraus  und  aus  anderen,  teils  grob  anatomischen, 
teils  mikroskopischen  Beobachtungen  schließt  Kroemer,  daß  an¬ 
nähernd  ein  Drittel  sämtlicher  Tuben  Abnormitäten  aufweisen. 
Für  eine  abnorme  Einbettung  des  Eies  ist  aber  Jiur  das  partielle 
Fehlen  des  Flimmerepithels  verantwortlich  zu  machen;  bei  gänz¬ 
lichem  Fehlen  desselben  kann  überhaupt  ein  Transport  des  Eies 
riicht  stattfinden.  K  ei  tier. 

flus  A/ersehiedenen  Zeitschriften. 

30.  Ueber  die  Behandlung  des  Magengeschwürs. 
Von  Prof.  Dr.  A.  Schmidt  (städtisches  Krankenhaus  Friedrich¬ 
sladt  in  Dresden).  Für  die  innere  Behandlung  des  Magengeschwürs 
hat  V.  Leu  be  die  „diätetische  Rubekur“  empfohlen,  welche  sich 
aus  Bettruhe,  heißen  Umschlägen  auf  den  Magen,  strenger  Diät 
und  dem  Gebrauche  kleiner  Mengen  Karlsbader  Mineralwassers 
znsammensetzt.  Jeder  derartige  Kranke  gehört  für  niindestens 
zwei  bis  drei  Wochen  ins  Bett,  sagt  Verf.,  bei  Neigung  zu  Blut- 
brechen  soll  der  Kranke  auch  im  Bette  alle  unnötigen  Bewegungen 
vermeiden,  v.  Leu  be  verlangte  nur  zehn  Tage  Bettruhe,  der 
Verfasser  geht  darin  weiter,  da  der  günstige  Einfluß  der  Bett¬ 


ruhe  auf  das  Ulcus  ventriculi  feststehe.  Bei  frischen  Blutungen 
wird  ein  Eisbeutel  auf  die  Magengegend  appliziert,  sind  schon 
drei  Monate  seit  der  letzten  Blutung  verflossen,  ein  Prießnilz- 
Umschlag;  sonst  werden  allgemein  die  von  v.  Leube  empfohlenen 
heißen  Leinsamenumschläge  bevorzugt.  Sind  diese  heißen  Brei¬ 
umschläge  dem  Kranken  sehr  unangenelrm,  so  gehe  man  ungc- 
scheut  zum  anderen  Extrem,  der  Eisblase,  über.  Die  heißen  Um¬ 
schläge  läßt  Schmidt  nicht  dauernd,  sondern  mit  stundenweisen 
Unterbrechungen  applizieren,  um  den  Eintritt  einer  Stase  zu 
vermeiden.  Der  Verfasser  teilt  sodann  die  v.  Leubesche,  von 
Penzoldt  noch  weiter  ausgebaute  strenge  Speiseonlnung  mit, 
erwähnt  die  Vorschläge  von  Lenhartz  in  Hamburg  (sofortige 
Darreichung  einer  eiweißreichen  konzentrierten  Kost,  wie :  zwei 
geschlagene  rohe  Eier  mit  etwas  Wein  gequirlt  und  gekühlt,  dazu 
200  g  Milch,  rasches  Ansteigen)  und  von  Senator  (Darreichimg 
von  Leim,  Gelatine  mit  Fett  und  Zucker  neben  geringen  Eiweiß, 
z.  B.  Kalbfuß-  oder  Huhngelee  oder  Decoct.  gelatinae,  dann  Sahne 
oder  Mandelmilch  oder  gefrorene  Butterkügelchen)  und  äußert 
sich  hierüber:  ,,Die  Hauptvorteile  der  Le n h a  r tz sehen  und 
Senator  sehen  Vorschläge  liegen  darin,  daß  sie  uns  von  der 
allzu  schematischen  Verfolgung  des  v.  Leu  besehen  Speisezettels 
entwöhnen.  Bleiben  wir  ruhig  bei  dem  Schonungsprinzip,  worauf 
er  aufgebaut,  aber  erweitern  wir  die  Kost,  wo  es  irgend  angängig 
ist  und  besonders  da,  wo  die  Kräfte  es  erfordern,  frühzeitiger,  als 
es  von  V.  Leube  vorgeschrieben  ist,  durch  Zulage  von  Eiern, 
Gelatine,  Butter,  Sahne,  Mandelmilch,  Zucker,  etwas  Wein,  meinet¬ 
wegen  auch  von  Milchreis.  Mit  Hackfleisch  und  geschabtem 
Schinken  (welchen  Lenhartz  in  der  IMenge  von  35  g  schon  am 
sechsten  Tage  gestattet)  seien  wir  aber  vorsichtig:  das  rohe 
Bindegewebe  stellt  an  die  Verdauungskraft  des  Magens  die  größten 
Ansprüche  von  allen  Nahrungsmitteln!“  Bei  Lenhartz’  Diät 
erkennt  Schmidt  den  Hauptpunkt,  die  Vermeidung  der  Unter¬ 
ernährung,  für  berechtigt  an,  hat  aber  gegen  sie  (mit  Minkowski) 
Bedenken  bei  frischen  Blutungen  und  zieht  bei  höheren  Graden 
von  überschüssiger  Salzsäureabscheidung  eine  kohlehydratreiche 
Schonungsdiät  vor.  Er  begrüßt  auch  die  Senat  or  sehen  Vor¬ 
schläge  und  sieht  in  der  Darreichung  von  Leim,  Mandelmilch  und 
gefrorezier  Butter  eine  Erweiterung  der  Ulkusdiät,  glaubt  aber  nicht, 
daß  die  im  Magen  verflüssigte  Gelatine  ebenso  blutstillend  wirke, 
als  die  unverändert  in  die  Blutbahn  eingebrachte  Gelatine,  ln 
arzneilicher  Hinsicht  billigt  Schmidt  die  v.  Leubesche  Ver¬ 
ordnung  von  täglich  einem  Glas  Karlsbader  Mühlbrunnen  (früh, 
nüchtern,  schluckweise  und  warm),  hält  sodann  die  Kußmaul- 
sche  Wismutbehandlung  (durch  die  Schlundsonde  werden  alle  zwei 
Tage  10  bis  20  g  Bismut.  subnitric.  in  200  cm®  Wasser  in  den 
vorher  gereinigten  Magen  eingelassen,  das  Wasser  nach  einer 
Viertelstunde  abgelassen  oder  der  Kranke  trinkt  schnell  die  obige 
Aufschwemmung)  während  der  Ruhekur  für  entbehrlich,  doch 
sei  ein  Versuch  unter  allen  Umständen  erlaubt.  Die  Höllenstein¬ 
behandlung  (Ausspülungen  mit  lo/oigen  Arg.  nitric. -Lösungen 
mittels  Sonde  oder  Eingabe  einer  OT°/oigen  Lösun.«;,  eßlöffelweise 
eine  Viertelstunde  vor  dem  Essen)  eigne  sich  besonders  für  die 
ambulante  Behandlung  in  der  Rekozivaleszenz.  Die  Genesenen 
sollen  noch  weiter  in  Beobachtung  bleiben,  behufs  Ueberwachung 
der  Ernährung,  eventuell  einer  Nachkur  in  Karlsbad.  Treten  inner¬ 
halb  kurzer  Zeit  wiederholte  Rückfälle  ein  (dauernde  Magen¬ 
schmerzen  mit  Erbrechen,  zeitweise  völlige  Nabrungsabstinenz 
und  so  weiter)  und  bestehen  dabei  Hypersekretion  und  zeitweise 
verlangsamte  Motilität  des  Magens,  so  ist  die  Gastroenterostomie 
(nicht  die  Exzision  des  Ulkus)  indiziert.  Von  den  Komplikationen 
des  Ulkus  bespricht  Verf.  vorerst  den  Eintritt  schwerer,  respektive 
wiederholter  Blutungen.  Absolute  körperliche  und  geistige  Ruhe. 
Eisblase  auf  die  IMagengegend,  Opium  oder  Belladonna  in  Zäpf- 
chenforni,  wenn  der  Kranke  stark  aufgeregt  ist  oder  Brechreiz 
zeigt,  im  Anfänge  absolute  Enthaltung  der  Nahrungsaufnahme, 
eventuell,  bei  großem  Durste,  Eispillen;  Ernährung  per  Klysma; 
der  Arzt  kümmere  sich  selbst  um  die  Herstellung  der  Nähr¬ 
flüssigkeit.  Später  eisgekühlte  Milch,  eiskaltes  Fleiscbgelee  etc. 
Per  OS  kann  man  Plumb,  acetic,  (zweistündlich  Ü-Ü5  g  in  Pul¬ 
vern)  oder  Adrenalin  (l  bis  2  cm®  der  01°/'oigen  Lösung)  geben, 
mehr  zu  em])fehlen  sind  Ergotininjektionen  (Ergotin  20,  Aquae 
und  Glyzerin  ana  5-0,  zweistündlich  eine  Spritze)  oder  Gelatine¬ 
einspritzungen.  Berieselungen  des  blutenden  Älagens  mit  Eis- 


112 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr,  4 


Wasser  oder  Eingießungen  von  Wismutaufschwemmungen  sind 
nicht  angezeigt.  Bei  wiederholten  und  schweren  Blutungen  be¬ 
rate  man  sich  mit  einem  Chirurgen  wegen  einer  etwa  indizierten 
Operation,  wiewohl  im  allgemeinen  die  Chancen  einer  Heilung 
durch  operativen  Eingriff  (Unterbindung  der  blutenden  Gefäße, 
Kauterisation,  Exzision  des  Geschwüres  oder  Gastroenterostomie) 
hier  nicht  groß  sind.  Bei  drohender  Perforation  des  Geschwürs 
(deutliche  peritonitische  Reizerscheinungen,  Hörbarwerden  von 
Reibegeräuschen  in  der  Oherbauchgegend)  ist,  sowie  bei  erfolgter 
Perforation  oder  bei  Verdacht  auf  solcher,  die  sofortige  Opera¬ 
tion  angezeigt.  Desgleichen  wird  man  beim  Fortbestehen  der 
für  Ulkus  charakteristischen  Symptome  nach  erfolgloser  Anwen¬ 
dung  der  innerlichen  Behandlung,  ferner  bei  Pylorusstenosen  mit 
einer  motorischen  Insuffizienz  zweiten  Grades  (bei  leichteren 
Graden  der  Passagebehinderung  kann  man  zuwarten,  die  Diät 
strenge  regeln,  regelmäßige  Spülungen  vornehmen  lassen)  zum 
Messer  greifen  müssen.  Oft  sind  hiefür  die  äußeren  Verhältnisse 
des  Kranken  maßgebend.  Fläcbenbafte  oder  strangförmige  Ver¬ 
wachsungen  des  Magens  mit  den  Nachbarorganen,  sog.  perigastri- 
tische  Adhäsionen,  deren  Diagnose  zumeist  recht  schwierig  ist, 
können  ebenfalls  nur  auf  chirurgischem  Wege  beseitigt  werden. 
—  (Deutsche  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  47.)  E.  F. 

* 

31.  Ueber  Hyper azi di tät.  Von  Priv.-Doz.  E.  Schütz 
in  Wien.  Nachdem  Verf.  den  Wert  der  gegenwärtig  üblichen. 
Mageninhaltsprüfung  für  die  Beurteilung  der  Aziditätsverhältnisse 
auf  Grund  einer  kritischen  Sichtung  der  Literatur  und  eigener 
Untersuchungen  erörtert  und  die  bei  dieser  Methode  zu  berück¬ 
sichtigenden  Kautelen  eingehend  besprochen,  geht  er  zur  Frage 
der  Feststellung  der  normalen  Aziditätsgrenzen  über.  Zu  diesem 
Zwecke  dienten  ihm  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchung  an  830 
Kranken.  Eine  genaue  Analyse  der  Fälle  mit  Hyperaziditäts- 
beschwerden  mit  und  ohne  Erhöhung  der  Azidität  und  solcher, 
bei  denen  neben  hoher  Azidität  des  Mageninhaltes  entsprechende 
Beschwerden  fehlten  (die  Fälle  sind  in  einer  Reihe  von  Tabellen 
übersichtlich  zusammengestellt),  führte  ihn  zu  folgenden  Er¬ 
gebnissen.  Als  hyperazid  ist  jener  Mageninhalt  anzusehen,  dessen 
Säurewert  für  A  (eine  Stunde  nach  Verabreichung  eines  PF) 
über  75  liegt.  Unter  den  Fällen  mit  Hyperaziditätswerten  zeigt 
nur  die  Minderzahl  Hyperaziditätsbeschwerden;  solche  kommen 
auch,  wenn  auch  nicht  allzuoft,  bei  nicht  Hyperaziden,  zuweilen 
auch  bei  subaziden  A -werten  zur  Beobachtung.  Dort,  wo  solche 
Beschwerden  auftreten,  sind  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ander¬ 
weitige  Komplikationen  von  seiten  des  Magens  (besonders  Katarrh, 
durch  Insuffizienz)  oder  der  Verdauungsorgane  überhaupt  vor¬ 
handen;  besonders  häufig  zeigt  der  Mageninhalt  in  solchen  Fällen 
gewisse  Anomalien  (reichliche  Menge,  schlechte  Chymifizierung). 
Die  Analyse  des  Mageninhaltes  in  Fällen,  wo  neben  niedrigen 
Aziditätswerten  Hyperaziditätsbeschwerden  auftreten,  gab  in 
keinem  Falle  Anhaltspunkte  für  die  Annahme  einer  sogenannten 
„Hyperaciditas  larv^ata“.  Die  Hyperazidität  des  Mageninhaltes  spielt 
bei  Entstehung  der  Hyperaziditätsbeschwerden  nur  eine  unter¬ 
geordnete  Rolle;  deren  Zustandekommen  ist  vermutlich  durch  ein 
Aufsteigen  des  Mageninhaltes  in  den  Oesophagus  durch  reflek¬ 
torische  Erweiterung  der  Kardia,  infolge  von  Reizzuständen  der 
IMagenschleimhaut  oder  durch  Erschlaffung  der  Kardia  bedingt. 
Unter  allen  Umständen  erfordert  jedoch  das  Vorhandensein  einer 
Hyperazidität  aus  prophylaktischen  Gränden  Berücksichtigung. 

Zur  besseren  Charakterisierung  der  Fälle  empfiehlt  Schütz 
die  Bezeichnung  „Hyperaziditas“  dort,  wo  es  sich  um  eine  ein¬ 
fache  Hyperazidität  des  Mageninhaltes,  ohne  nachweisbare  ana¬ 
tomische  oder  funktionelle  Anomalien,  von  seiten  des  Älagens 
und  ohne  typische  Beschwerden  handelt;  dort  wo  erstere  neben 
Hyperazidität  vorhanden  sind,  ist  zu  der  entsprechenden  diagnosti¬ 
schen  Bezeichnung  „cum  Hyperac.“  hinzuzufügen;  bei  vorhan¬ 
denen  Hyperaziditätsbeschwerden  ohne  nachweisbare  sonstige  ana- 
tomisebe  und  funktionelle  Anomalien  ist  die  Bezeichnung  „Dys¬ 
pepsia  acida“,  bei  gleichzeitiger  Hyperazidität  „Dyspepsia  hyper- 
acida“  zu  wählen.  —  (Wiener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  46 

bis  49.)  Pi, 

♦ 

32.  Einige  Bemerkungen  über  die  skro  tum  ähn¬ 
liche  Beschaffenheit  der  Zunge.  Von  L.  Dubreuil- 


Chambardel,  Die  erwähnte  Beschaffenheit  der  Zunge  ist  durch 
das  Vorhandensein  tiefer,  symmetrischer  Furchen  an  der  Dorsal¬ 
seite  der  Zunge  gekennzeichnet,  wodurch  diese  ein  gerunzeltes 
Aussehen,  ähnlich  wie  die  Skrotalhaut,  annimmt.  Man  muß 
zwischen  der  pathologischen  Furchenbildung  an  der  Zunge,  im 
Gefolge  von  Karzinom,  Syphilis,  Tuberkulose,  Exanthemen  und 
den  physiologischen  Furchen,  die  sich  bei  der  Mehrzahl  der  er¬ 
wachsenen  Personen  vorfinden  und  namentlich  zu  beiden  Seiten 
der  Medianfurche  ausgeprägt  sind,  unterscheiden.  Von  diesen 
beiden  Typen  unterscheidet  sich  die  skrotale  Zunge  durch  die 
Symmetrie  und  Tiefe  der  Furchen,  durch  deren  Vorhandensein 
an  der  ganzen  Oberfläche  des  Organs  und  die  Einkerbungen  der 
Zungenränder.  Man  kann  hier  einen  blattartigen,  transversalen 
und  gehirnrindenartigen  Typus  je  nach  der  Anordnung  und  dem 
Verlaufe  der  Furchen  unterscheiden.  Die  skrotale  Zunge  zeigt 
häufig  eine  Hypertrophie  der  Papillen,  jedoch  steht  diese  nicht 
im  Zusammenhang  mit  der  Genese  des  Zustandes.  Die  skrotale 
Zunge  zeigt  lebhafte  Rötung,  sowie  abnorme  Breite  und  Ab¬ 
flachung.  Ebenso  ist  der  Unterkiefer  stark  verbreitert,  die  Zähne 
meist  von  sehr  guter  Beschaffenheit  und  regelmäßiger  Anordnung, 
die  Speicheldrüsen  sind  hyper frophisch  und  die  Speichelsekretion 
vermehrt.  In  einzelnen  Fällen  wurde  auch  eine  Hypertrophie 
der  Tränendrüsen  beobachtet.  Die  skrotale  Zunge  steht  in  keinem 
Zusammenhang  mit  pathologischer  Heredität,  dagegen  wurden, 
wie  bei  allen  anatomischen  Variationen,  welche  den  Charakter 
der  Rückbildung  tragen,  ein  günstiger  Boden  für  Erkrankungen 
des  Organs,  z.  B.  Aphthen,  Leukoplakie^  Glossitis  und  Soor  ge¬ 
schaffen.  Die  skrotale  Zunge  ist  eine  hereditäre  tmd  familiäre 
Erkrankung,  über  deren  Ursache  nichts  näheres  bekannt  ist.  Auch 
über  die  Histologie  ist  mangels  einschlägiger  Untersuchungen 
nichts  Näheres  bekannt.  Aufschlüsse  sind  am  ehesten  von  der 
Embryologie  und  vergleichenden  Anatomie  zu  erwarten.  —  (Ar¬ 
chiv-.  gen.  de  Med.  1906,  Nr.  44.)  a.  e. 

* 

33.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Freiburg  i.  B.  (Pro¬ 
fessor  Hoebe).  Zur  Frage  der  amnestischen  Aphasie 
und  ihrer  Abgrenzung  gegenüber  der  transkortika¬ 
len  und  glossopsychischen  Aphasie.  Von  Dr.  Kurt 
Goldstein,  jetzt  Assistenzarzt  an  der  psychiatrischen  Klinik 
in  Königsberg.  An  der  Hand  eines  Falles,  der  das  ziemlich 
reine  Bild  einer  amnestischen  Aphasie  im  Sinne  von  Titres 
bietet  u.  zw.  wabrscheinlich  auf  der  anatomischen  Basis  einer 
allgemeinen  Hirnatrophie  erörtert  Go  Id  stein  das  Wesen  der 
amnestischen  Aphasie,  bei  der  sich  als  einziges  Symptom  die 
erschwerte  Wortfindung  bei  erhaltenem  Wiedererkennen  ergibt, 
während  Wortbegriff  und  Objektbegriff  intakt  sind.  Die  drei 
Aphasien :  amnestische,  transkortikale  und  glossopsychische,  unter¬ 
scheiden  sich  einerseits  durch  die  einer  jeden  derselben  eigene 
Art  der  Amnesie  und  ferner  durch  die  Differenz  der  Störung 
des  Lesens  und  Schreibens.  Bei  transkortikaler  Aphasie  kommt 
die  Amnesie  vorwiegend  in  der  Verwendung  von  Worten,  die  zu 
weiten  Begriffen  entsprechen,  zum  Ausdruck.  Der  glossopsychisch 
Aphasische  bringt  die  Worte  wesentlich  verstümmelt  und  para- 
phasisch  heraus,  während  der  eigentlich  amnestisch  Aphasische 
sich  \delerlei  Umschreibungen  bedient.  Bei  der  transkortikalen 
Aphasie  mangelt  das  Verständnis  für  Gelesenes  oder  auch  Diktat¬ 
geschriebenes,  es  mangelt  die  Auffassung  der  Buchs tabenfonuen. 
Bei  der  glossopsychischen  Aphasie  werden  beim  Lesen  und 
Schreiben  die  Buchstaben  verwechselt;  Worten  gegenüber  kommt 
diese  Stönmg  noch  stärker  zum  Ausdruck  als  bei  einzelnen 
Buchstaben,  bei  der  amnestischen  Aphasie  sind  die  Schreib-  und 
Lesestörungen  selten,  betreffen  am  meisten  das  Schreiben  und 
sind  dadurch  charakterisiert,  daß  sie  das  Lesen  und  Schreiben 
von  Buchstaben  weit  mehr  alterieren  als  das  von  Worten.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  41,  H.  3.) 

S. 

* 

34.  (Aus  der  11.  medizinischen  Klinik  in  Berlin.)  Die  Todes¬ 
ursache  bei  akuten  Pankreaserkrankungen.  Von  Doktor 
G.  V.  Bergmann.  Den  Ausgangspunkt  für  die  Forschungen 
V.  Bergmanns  über  die  Todesursache  bei  akuten  Pankreas¬ 
erkrankungen  bilden  die  Resultate  der  Arbeiten  Gulekes,  wel¬ 
cher  durch  künstliche  Embolien  und  durch  Injektionen  verschie- 


Nr.  4 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


dener  Flüssigkeiten  in  den  Hauptausführungsgang  des  Pankreas 
am  Tiere  eine  Pankfeaserkrankung  (im  wesentlichen  Pankreas¬ 
nekrose)  erzeugte,  welche  sowohl  durch  den  Krankheitsverlauf, 
als  durch  den  pathologisch-anatomischen  Befund  der  akuten  Pan- 
kreashämorrhagie  des  Menschen  an  die  Seite  zu  stellen  ist.  Aus 
weiteren  Experimenten  Gulekcs  ergeben  sich  nämlich  folgende 
Schlüsse:  1.  Es  wird  eine  tödliche  Wirkung  ausgeübt  vom  Pan¬ 
kreas,  das  im  Körper  schnell  nekrotisch  zugrunde  geht  und  zwar 
gleichgültig,  ob  es  das  körpereigene  Pankreas  ist,  in  dem  durch 
das  Experiment  der  Zerfall  ausgelöst  wird,  oder  ob  das  steril 
gewonnene  Pankreas  eines  anderen  Hundes,  in  die  Bauchhöhle 
implantiert,  der  Nekrose  verfällt.  2.  Die  zerfallende  Drüse  wirkt 
im  allgemeinen  giftiger,  wenn  sie  tätig  gewesen,  als  wenn  sie 
geruht  hatte.  Die  Arbeiten  Gulekes  wiesen  also  auf  die  Auf¬ 
fassung  einer  Intoxikation  durch  Pankreaszerfall  hin.  v.  Berg¬ 
mann  suchte  nun  durch  seine,  in  Gemeinschaft  mit  Guleke 
angestellten  Experimente  Aufschluß  über  die  Natur  des  schädi¬ 
genden  Agens  zu  gewinnen.  Naheliegend  war  es,  dasselbe  zu¬ 
nächst  im  Trypsin  zu  suchen.  Indes  erlaubten  die  Ergebnisse 
der  Untersuchungen  nicht,  ein  Urteil  darüber  auszusprechen,  daß 
Fermente,  Profermente  oder  ähnliche  Körper  einen  Zusammen¬ 
hang  haben  mit  Giftigkeit  und  Immunität  (welche  sich  gegen 
die  fragliche,  schädliche  Noxe  erzeugen  ließ  durch  entsprechende 
Vorbehandlung).  Dagegen  läßt  sich  mit  Sicherheit  behaupten: 
Die  giftige  Noxe  ist  enthalten  oder  entsteht  in  gleicher  Weise  im 
frischen  oder  kranken  Pankreas,  im  Pankreassekret  und  im  Trypsin 
Grübler  (welches  künstliche  Präparat  allein  verwendet  wurde). 
Hunde,  die  mit  den  käuflichen  Trypsinpräparaten  vorbehandelt 
sind,  erweisen  sich  als  immun,  wenn  eine  Autodigestion  des 
Pankreas  sich  in  ihrem  Körper  vollzieht,  sei  eis  als  akute  Pan¬ 
kreatitis  ihres  eigenen  Organs,  sei  es  als  Implantation  eines 
körperfremden  Pankreas.  In  analoger  Weise  ist  also  jedenfalls 
anzunehmen,  daß  vom  Pankreas  selbst  die  akute  tödliche  Ver¬ 
giftung  ausgeht,  an  der  viele  Kranke  mit  akuter  Pankreatitis  und 
Pankreasapoplexie  zugrunde  gehen,  daß  es  sich  also  um  eine 
echte  Autointoxikation  handelt,  gegen  welche  es  vielleicht  einen 
Schutz  auch  beim  Menschen  durch  vorbehandelnde  Einspritzungen 
geben  kann.  —  (Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und 

Therapie,  Bd.  3,  H.  2.)  K.  S. 

* 

35.  Aus  dem  kgl.  Institut  für  Infektionskrankheiten  zu  Berlin 
(Direktor:  Geheimrat  Prof.  Dr.  Gaffky).  Ueber  das  Vorhan¬ 
densein  von  Antituberkulin  im  tuberkulösen  Ge¬ 
webe.  Von  Prof.  Dr.  A.  Wassermann,  Ab teilungs Vorsteher  am 
Institut  für  Infektionskrankheiten  und  Dr.  C.  Bruck,  früherem 
Assistenten  am  Institut,  jetzigem  Assistenten  der  kgl.  dermatologi¬ 
schen  Universitätsklinik  in  Breslau.  Die  beiden  Verfasser  sind 
auf  Grund  früherer  Versuche  zu  dem  Schlüsse  gelangt,  daß  im 
tuberkulösen  Gewebe  Tuberkulin  und  beim  Vorhandensein  noch 
reaktionsfähigen  Gewebes  als  Reaktionsprodukt  Antituberkulin  sich 
nachweisen  läßt.  Diesen  Schluß  machten  sie  deshalb,  weil  1.  der 
Extrakt  von  tuberkulösen  Organen,  gemischt  mit  Serum  von  Tieren, 
welche  mit  Tuberkelbazillenpräparaten  vorbehandelt  waren,  Kom¬ 
plementbindung  ergibt  (Tuberkulinnachweis)  und  weil  2.  der  gleiche 
Extrakt,  mit  dem  entgegengesetzten  Agens,  d.  h.  Tuberkulin,  ver¬ 
setzt,  das  gleiche  Phänomen  zeigt  (Antituberkulirinachweis).  Die 
Verfasser  sehen  in  der  Anwesenheit  eines  Antikörpers  gegenüber 
Stoffwechselprodukten  der  Tuberkelbazillen  (Tuberkulin)  die  Ur¬ 
sache  für  die  spezifische  Ueberempfindlichkeit  des  tuberkulösen 
Gewebes  im  Vergleiche  mit  dem  noraialen,  gegenüber  dem  Tuber¬ 
kulin.  Bail  und  seine  Schüler  dagegen  stehen  auf  dem  Stand¬ 
punkt,  daß  im  tuberkulösen  Organ  Tuberkulin  vorhanden  sei, 
daß  aber  nur  dieses  bei  der  Tuberkulinwirkung  eine  Rolle  spiele, 
indem  das  neu  injizierte  Tuberkulin  sich  zu  dem,  ursprünglich! 
vorhandenen  summiere  und  dadurch  die  Reaktion  auslöse.  Der 
Unterschied  ist:  Die  Verfasser  sehen  die  Spezifität  der  Wirkung 
in  der  natürlichen  Avidität  zwischen  Antikörper  und  Tuberkulin ; 
Bail  und  seine  Schüler  in  einer  Sunmiierung  gleichartiger  Sub¬ 
stanzen.  Bail  ließ  nun  durch  Weil  und  Nakajama  die  gleichen 
Versuche  der  •  Verfasser  ausführen.  Diese  Autoren  sind  nun  der 
Ansicht,  daß  Antituberkulin  bis  jetzt  nur  dann  nachgewiesen  ist, 
wenn  der  betreffende  Organismus  mit  Tuberkulin  vorbehandelt 
ist,  daß  aber  die  spontane  Bildung  von  Anütuberkulin  während 


der  tuberkulösen  Infektion,  wie  die  Verfasser  es  behaupten,  nicht 
bewiesen  sei.  Es  obliegt  also  den  Verfassern  die  Pflicht,  zu  be¬ 
weisen,  daß  auch  in  dem  nicht  spezifisch  behandelten,  tuber¬ 
kulösen  Organismus  sich  Antituberkulin  findet.  In  ihrer  früheren 
Arbeit  haben  die  Verfasser  das  Antituberkulin  im  Serum  nur  bei 
Rindern  und  Meerschweinchen,  nicht  aber  beim  Menschen  nach¬ 
gewiesen.  13  darauf  untersuchte,  nicht  spezifisch  vorbehandel  te, 
tuberkulöse  Menscben  zeigten  im  Serum  kein  Antituberkulin. 
Spätere  Untersuchungen  aber  von  Wassermann  und  Citron 
an  tuberkulösen,  nicht  spezifisch  behandelten  Menschen  haben 
in  ihrem  Serum  Anütuberkulin  gezeigt.  In  einem  Falle  fand  sich 
eine  derartige  Anhäufung  von  Anütuberkulin  im  Serum  und 
Pleuraexsudat,  daß  rein  rechnerisch  schon  jeder  Einwand  der 
Summierung  auszuschließen  ist.  Aus  dem  beigegebenen  Proto¬ 
koll  geht  hervor,  daß  selbst  0-04  cm*  Tuberkulin  mit  005  cm* 
Serum  noch  die  Reaküon  ergaben,  während  OT  cm*  Tuberkulin 
für  sich  allein  noch  lücht  hemmt.  Die  Verfasser  verfügen  über 
einen  zweiten,  niemals  mit  Tuberkulin  behandelten  Fall,  bei  dem 
sie  die  Richtigkeit  ihres  Schlusses  auf  Vorhandensein  von  Anü¬ 
tuberkulin  im  Serum,  durch  die  nachträgliche  reaktionslose  In¬ 
jektion  von  10  mg  Tuberkulin  erhärteten.  Demgemäß  gelingt  es 
auch,  im  Serum  nicht  spezifisch  behandelter,  an  ausgebreiteter 
Tuberkulose  leidender  Menschen  in  einzelnen  Fällen  dieselben 
Stoffe  nachzuweisen,  wie  in  dem  Serum  spezifisch  behandelter, 
i.  e.  Antituberkulin.  Es  ist  deshalb  nach  Ansicht  der  Verfasser 
experimentell  bewiesen,  daß  im  tuberkulösen  Gewebe  in  einem 
gewissen  Stadium  Antituberkulin  vorhanden  ist.  —  (Münchener 
mediz.  Wochenschrift  1906,  Nr.  49.)  '  G. 

♦ 

36.  Aus  der  I.  cliir.  Universitätsklinik  in  Wien  (Professor 
Freiherr  v.  Eiseisberg).  Ein  seltener  Fall  von  Stenose 
des  Magens  und  des  obersten  Dünndarmes.  Von  Doktor 
Hans  V.  Haberer,  Assistent  der  Klinik.  Bei  einer  35jährigen, 
auf  Phthisis  pulm.  verdächtigen  Patientin,  bestanden  seit  drei 
Vierteljahren  Magen-Danubeschwerden  (Obstipation,  seit  sechs 
Wochen  heftiges  Erbrechen  fester  Speisen,  Körpergewichts¬ 
abnahme).  Nach  Annahme  einer  Magen  -  Darmstenose  wurde 
Pat.  am  2.  September  1905  laparotomiert.  Als  Befund  ergab  sich 
hochgradige  Verengerung  des  Pylorus  durch  einen,  den  Magen 
in  einer  Länge  von  7  cm  einnehmenden  Tmnor,  der  mit  Pan¬ 
kreas  und  Duodenum  verwachsen  war;  ferner  ein  Tumor  der 
obersten  Dünndarinschlinge,  die  durch  denselben  zirkular  hoch¬ 
gradig  verengt,  mächtig  auf  ge  trieben  war.  Weiters  zaldreiche  bis 
walnußgroße  Drüsen  im  dazugehörigen  Mesenterium.  Durch  eine 
breite  Gastroenterostomia  antecolica  anterior  und  eine  breite  late¬ 
rale  Enteroanastomose  zwischen  den  zu-  und  abführenden 
Schenkeln  gelang  es,  beide  strikturierenden  Tumoren  auszu¬ 
schalten.  Per  exclusionem  wurde  (nachdem  nur  eine  makrosko¬ 
pische  Betrachtung  möglich  war  und  die  histologische  Unter¬ 
suchung  einer  Mesenterialdrüse  nichts  Positives  ergab),  eine 
Magen- Darmtuberkulose  angenommen.  Nachdem  die  Patientin 
durch  7V2  Monate  post  Operationen!  frei  von  allen  Beschwerden 
war,  stellte  sich  neuerdings  heftiges  Erbrechen  von  nur  gallig¬ 
wässerigem  Magensaft  ein;  Nahrungsteile  wurden  nicht  er¬ 
brochen.  Gleichzeitig  wurde  wiederholt  Darmsteifung  im  linken 
Hypochondrium  beobachtet.  Auf  dringlichen  Wunsch  wurde  die 
Patientin,  die  durch  das  Erbrechen  der  galligen  Vlassen  arg  ge¬ 
quält  war,  am  21.  März  1906  relaparotomiert.  Es  ergab  sich:  gute 
Funktion  der  Gastroenteroanastomose,  die  mesenterialen  Drüsen 
waren  wesentlich  verkleinert;  dasselbe  schien  bei  dem  Magen¬ 
tumor  der  Fall  zu  sein;  hingegen  besteht  zwischen  dem  aus¬ 
geschalteten  Darmtunior  und  dem  Duodenum  eine  bandartige  Ver¬ 
wachsung,  wodurch  letzteres  komprimiert  wurde;  der  Darmtumor 
selbst  war  gegenüber  dem  ersten  Operationsbefund  deutlich  ver¬ 
kleinert.  Es  wurde,  da  Gallen-  und  Magensaftabfluß  durch  die  be¬ 
stehenden  Anastomosen  gesichert  waren,  der  Darmabschnitt  samt 
zugehörigen  Tumor  (von  der  Gastroenterostomie,  bis  herab  zur 
Enteroanastomose)  reseziert;  die  Enden  blind  vernäht.  Die  histo¬ 
logische  Untersuchung  ergab  Lymphosarkom.  Pat.  verträgt  nach 
der  Operation  alle  Speisen  und  hat  sechs  Wochen  post  Operationen! 
an  Körpergewicht  zugenommen.  Der  Fall  ist  besonders  des  dia¬ 
gnostischen  Interesses  wegen  mitgeteilt,  zumal  Lymphosarkom 
als  seltene  Ursache,  hochgradiger  Stenosen  anfangs  ausgeschlossen 


114 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


werden  iimßle.  Außerdein  liegt  eine  Hestäligung  der  wiederholt 
gemachten  Beohachtnng,  daß  Lymphosarkome  nach  palliativen 
Eingriffen  sich  teilweise  rückbilden,  vor.  —  (Mitteilungen  aus 
den  Grenzgehielen  der  Medizin  und  Chirurgie  1906,  Bd.  XI  I, 

11.  3.)  1-  II- 

* 

37.  1*  a  t  h  o  1  0  g  i  s  c  h  -  a  Ji  a  t  o  m  i  s  c  h  e  V  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n 

des  Gehirns  hei  Lepra,  L  e  p  r  a  b  a  z  i  1 1  e  n  i  n  Gasse  r- 
schen  Ganglien  und  über  die  Anatomie  und  Patho¬ 
logie  der  Nervenzellen  des  Gehirns  im  allgemeinen. 
Von  Dr.  med.  Hugo  Stahlberg,  praktischer  Arzt  in  Oger  hei 
Riga  (Livland).  Auf  Grund  seiner  umfangreichen  Untersuchun¬ 
gen  kommt  Stalilberg  zu  dem  Schlüsse,  daß  der  Befund  von 
Leprabazillen  im  Großhirn,  Kleinhirn  und  in  der  Äledulla  oblongata 
nicht  häufig  ist.  Sowohl  die  tuberöse,  als  die  Nervenlepra  führen 
zu  degenerativen  Veränderungen  im  Gehirn,  die  sich  an  Nerven¬ 
zellen,  wie  an  Nervenfasern  abspielen.  Diese  Veränderungen  am 
Gehirn  haben  keinen  spezifischen  Charakter  und  dürften  auch 
hei  anderen  schweren  Infektionskrankheiten  zu  finden  sein. 
Dringen  Leprabazilien  in  Nervenzellen  des  Ganglion  Gasseri,  so 
kommt  es  zu  einer  Art  vakuolärer  Degeneration,  welche  den 
Untergang  der  Zellen  herbeiführt.  —  (Archiv  für  Psychiatric 
und  Nervenkrankheiten,  Bd.  41,  H.  2  und  3.)  S. 

♦ 

38.  Zur  Präventivimpfung  bei  Tetanus.  Von 
E.  Bär,  Assistenzarzt  am  Kanton-Spiüil  Münsterlingen.  Die  Prä¬ 
ventivimpfung  bat,  wie  Verf.  aus  der  Literatur  nachweist,  bis¬ 
her  in  19  Fällen  im  Stiche  gelassen,  d.  h.  es  trat  Tetanus  auf 
trotz  rechtzeitiger  Präventivimpfung.  Einen  weiteren  Fall  eigener 
Beobachtung  teilt  Verf.  mit.  Ein  13V2jähriger  Knabe  fiel  von 
einem  hohen  Baume  und  erlitt  eine  komplizierte  Vorderarni¬ 
fraktur,  bei  welcher  das  obere  Fragment  beim  Auffallen  in  den 
Boden  (Wiese)  hineingedrückt  wurde.  Von  einem  .\rzte  sorg¬ 
fältig  verbunden,  war  der  Kranke  schon  nach  3V2  Stunden  im 
Spital,  bekam  eine  Injektion  von  10  cm^  Berner  Antitetanus¬ 
serum  subkutan  in  die  Bauchgegend  und  wurde  nochmals  und 
intensiv  desinfiziert  (Freilegung  der  ganzen  Verletzung,  Beriese¬ 
lung  mit  Wasserstoffhyperoxyd  und  Sublimatlösung,  daun  mit 
10,'üiger  Kollargollösung,  Verband).  Trotzdem  stiegen  schon  am 
nächsten  Tage  aus  der  Wunde  Gasblasen  auf  (Gasphlegmone), 
das  Sekret  war  stinkend.  Am  dritten  Tage  wird  permanente 
Irrigation  mit  H2O2  installiert,  am  Abend  eine  zweite  Antitetanus¬ 
injektion  (10  cm®)  gemacht.  WTederholt  wird  die  Wunde  erweitert, 
werden  abgestorbene  Teile  entfernt.  Am  achten  Tage  beginnt 
der  Tetanus.  Exartikulation  im  Ellbogengelenk,  Injektion  von 
20  cm®  Berner  Serum,  weitere  8  cm®  werden  in  den  Operations¬ 
stumpf  hinein,  hauptsächlich  in  das  Gebiet  der  Nerven  injiziert. 
Am  neunten  und  zehnten  Tage  wurden  wieder  je  10  cm®  Serum 
injiziert.  Der  Tebanus  nimmt  an  Schwere  zu,  es  stellen  sich 
Krampfzustände  mit  Dyspnoe,  dann  Erstickungsgefühl  (de.  ein. 
Brom,  Chloralhydrat,  Morphium.  Am  16.  Tage  halbseitiger  Schwei߬ 
friesel.  Nun  bessert  sich  allmählich  der  Zustand,  die  Starre  und 
Steifheit  gehen  zurück,  der  Kranke  genest  langisam.  ln  Münster¬ 
lingen  sowohl,  als  im  hygienischen  Institut  in  Zürich,  dem  der 
amputierte  Arm  zugeschickt  wurde,  konnten  Tetanusbazillen 
nicht  nachgewiesen  werden,  die  geimpften  Tiere  bekamen  keinen 
Tetanus.  Das  ist  begreiflich,  weil  die  Wunde  inzwischen  wieder¬ 
holt  energisch  desinfiziert  worden  war.  Trotz  dreimaliger  pro¬ 
phylaktischer  Injektion  von  je  10  cm®  Antitetanusserum  ent¬ 
wickelte  sich  also  am  achten  Tage  nach  der  Verletzung  ein  aus¬ 
gesprochener  Starrkrampf,  nach  Rose  ein  Tetanus  vehemens 
incompletus  tardior,  nach  anderer  Benennungsweise  ein  Teta¬ 
nus  descendens  chronicus,  der  einen  schweren  Verlauf 
erwarten  ließ,  schon  mit  Rücksicht  auf  die  kurze  Inkubations¬ 
zeit.  Fast  vier  \Vochen  lang  hielt  der  Tetanus  an,  der  Verlauf 
war  aber  im  ganzen  eher  ein  leichterer,  da  die  Kiefersperre 
eine  unvollständige  war  und  die  Agrypnie  fehlte.  „W^ar  es  eine 
leichte  Art  der  Infektion,  war  es  die  Präventivimpfung,  die  nach¬ 
trägliche  Serumtherapie,  war  es  die  Amputation  des  verletzten 
Armes  oder  die  symptomatische  Behandlung  mit  Nervinis  und 
Narkotizis,  die  Fernhaltung  aller  Reize  durch  den  Aufenthalt 
in  stillem  Dunkelzimmer?  Wer  will  es  entscheiden?  Einer  dieser 
Möglichkeiten  den  Vorzug  zu  geben,  hieße  vielleicht  eine  andere 


ungerecht  liintausetzen.“  Dei'  Verfasser  bespricht  noch  die  Älor- 
talität  in  den  bisher  mit  Prävontivimpfung  hehandelten  Tetanus¬ 
fällen,  die  (luantität  und  Qualität  der  benützten  Seren  und  schließt, 
daß  aus  seinem  Falle  hervorgetie,  daß  auch  eine  frühzeitigste 
und  fortgesetzte  Injektion  von  im  ganzen  30  cm®  Berner  Serum 
nicht  genügte,  um  Tetanus  zu  vermeiden.  Der  Fall  lehre  ferner, 
daß  eine  minutiöse  antiseptische  Behandlung  bei  schwer  ver¬ 
unreinigten,  komplizierten  Frakturen  mit  Gelenkseröffnung  nicht 
imstande  sei,  die  in  den  Wundnischen  verborgenen  Infektions¬ 
keime  unschädlich  zu  machen.  Eine  Gewebsauffrischung  nach 
Friedrich  könnte  hier  aber  nur  in  dem  Umfange  einer  pri¬ 
mären,  ausgedehnten  Resektion  zum  Ziele  führen.  ■ —  (Korrespon¬ 
denzblatt  für  Schweizer  Aerzte  1906,  Nr.  23.)  E.  F. 

39.  Ueber  funktionelle  Hypertrophie  über¬ 
pflanzter  Schilddrüsens  tückchen  beim  Menschen. 
Von  Dr.  H.  Cristiani,  o.  ö.  Professor  und  Dr.  E.  Kummer, 
Privatdozent  an  der  Universität  zu  G'enf.  Die  Beobachtung,  welche 
den  Gegenstand  der  vorliegenden  Untersuchung  bildet,  bietet  nach 
verschiedenen  Richtungen  ein  Interesse.  Die  beiden  Verfasser 
betrachten  sie  nur  von  der  pathologisch-anatomischen  Seite.  Es 
handelt  sich  um  einen  Fall  von  Schilddrüsenübertragung  beim 
Menschen,  wo,  für  den  Menschen  zum  ersten  Male,  am  trans¬ 
plantierten  Drüsengewebe  der  Charakter  einer  regelrechten  Hyper¬ 
trophie  nachgewiesen  wird.  Bei  einer  36jährigen  Frau,  bei  der 
wegen  Kropf  fast  die  ganze  Schilddrüse  entfernt  werden  mußte, 
sind  die  unter  die  Akromialhaut  verpflanzten  Schilddrüsenpfröpf¬ 
linge  angewachsen  und  hatten  sich  regelrecht  weiter  entwickelt, 
ganz  so,  wie  wenn  das  Drüsengewebe  im  Zusammenhang  mit 
dem  Mutterboden  und  der  normalen  G'efäßversorgung  geblieben 
wäre.  Diese  überpflanzten  Schilddrüsenstückchen  haben  nicht 
nur  weitergeleht,  sondern  haben  sich  sehr  deutlich  vergrößert, 
so  daß  sie  drei  Jahre  nach  der  Transplantation  das  mehrfache 
ihrer  ursprünglichen  Grölk?  aufwiesen.  Eine  histologische  Unter¬ 
suchung  eines  nach  drei  Jahren  exstirpierten  Pfröpflings  hat  ein 
mit  der  normalen  SchiMdrüse  ganz  übereinstimmendes  Aussehen. 
Es  ist  ferner  ganz  außer  Zweifel,  daß  die  Pfröpflinge  bei 
dieser  Patientin  auch  an  der  Gesamtschilddrüsenfunktion  teil- 
genommen  haben.  Schon  die  experimentellen  Kenntnisse  der 
Verfasser  lassen  darüber  keinen  Zweifel.  Aber  die  Erfahrungen 
an  einer  anderen  an  Cachexia  thyreopriva  verstorbenen  Patientin, 
welche  am  gleichen  Tage  die  gleiche  Operation  durchgemacht 
hatte,  bei  welcher  aber,  bei  Erhaltung  von  mehr  Schilddrüse  als 
bei  der  ersten,  eine  Schilddrüsenpfropfung  unterblieben  war,  diese 
Erfahrung  demonstriert  die  Nützlichkeit  der  Schilddrüsenpfropfung. 
Es  erscheint  den  Verfassern  wichtig,  darauf  hinzuweisen,  daß 
der  Pfröpfling  von  histologisch  normalem  Schilddrüsengewebe 
eines  Kropfes  entnommen  wurde.  Dieser  Umstand  ist  von  größter 
Wichtigkeit  für  die  Ausführung  der  Schilddrüsenpfropfung,  welche 
auf  diese  Weise  in  einfacher  und  leicht  zugänglicher  Weise  aus¬ 
geführt  werden  kann.  Auf  diesen  Punkt  werden  übrigens  die 
Verfasser  nächstens  zurückkommen,  bei  Anlaß  einer  vergleichen¬ 
den  Untersuchung  über  die  verschiedenen  Schilddrüsengewebe, 
welche  bei  den  verschiedenen  Transplantationen  als  Pfröpflinge 
gedient  haben.  Die  Verfasser  erklären  zum  Schlüsse;  ,,Mit  der 
Methode  der  Schilddrüsenpfropfung  ist  es  möglich,  beim  Men¬ 
schen  neue  Schilddrüsenorgane  zu  erzielen,  die  sich  nicht  nur 
auf  die  Dauer  erhalten  und  funktionieren,  sondern  die  sich  auch 
nach  und  nach  vergrößern,  so  daß  kleine  Pfröpflinge  mit  der  Zeit 
zu  Neuschilddrüsen  (Glandulae  neothyreoideae)  von  ansehnlicher 
Größe  anwachsen.“  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1906, 

Nr.  49.)  G. 

* 

40.  Ueber  die  pneumonische  Form  der  Tuber¬ 
kulose.  Von  Ch.  Morel  und  E.  Dalous  in  Toulouse.  Die  pneu¬ 
monische  Form  der  Tuberkulose  ist  ihrem  Wesen  nach  eine 
tuberkulöse  Bronchopneumonie.  Die  Infektion  kommt  in  diesen 
Fällen  durch  Aspiration  zustande,  wodurch  Tüberkelbazillen  in 
großen  Massen  in  die  terminalen  Bronchien  und  die  Lungen¬ 
alveolen  gelangen;  die  Aspiration  erfolgt  sekundär  nach  Durch¬ 
bruch  eines  käsigen  Herdes  in  die  Luftwege.  Experimentell  kann 
man  bei  verschiedenen  Tierarten  eine  analoge  Erkrankung  durch 
intratracheale  Einimpfung  feinst  pulverisierter  Kulturen  von  Tu- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Nr.  4 


IjerkellKizillcii  liervoirufeii.  Aiialouiiscli  ist  die  ])neuinoiiisclio 
Fonu  der  Tuberkulose  durch  Exsudate  in  <leu  l(*ruiinaleu  Broncinoi 
und  Alveolen  charakterisieri,  welche  rasch  der  käsigen  Degene¬ 
ration  verfallen.  Die  für  die  Tuberkel  charakteristische  Anordnung 
der  Zellen  wird  meist  in  diesen  Exsudaten  nicht  heohachtet,  eheirso 
fehlen  Riesenzellen.  Es  ist  nicht  die  Erkrankung  an  sich,  sondern 
nur  der  äliologisclie  Faktor  in  diesen  Fällen  si)ezifi,scli.  Die; 
Exsudate  sind  von  einer  Zone  entzündlicher  Reaktion  um- 
gelxui.  Die  lobulären  Formen  der  tuberkulösen  Rronchopneu- 
monie  sind  im  Verlaufe  der  chronischen  Tuberkulose  häufig. 
Die  Verstopfung  der  Bronchien  mit  tuberkulösen  Massen  ist  auch 
die  Ursache  der  sukzessiven  Eruption  von  Tuberkeln  in  den 
Lungen  der  Phthisiker.  —  (Arch,  gener.  de  Med.  1906,  Nr.  39.) 

a.  e. 


Therapeutisehe  |4otizen. 

Aus  dem  städtischen  Krankenliause  in  Ludwigshafen  a.  Rh. 
(Direkt or  Dr.  Westhoven).  U  e  h  e  r  B  e  h  a  n  d  1  u  n  g  v  o  n  M  a  g  e  n- 
u  n  d  Darmblutungen  mit  flüssiger  Gelatine.  Von  Doktor 
.4rtur  Mann,  früher  Assistenzarzt  der  Anstalt.  Verf.  hat  in  der 
Zeit  vorn  1.  Oktober  1905,  bis  1.  Oktober  1900  in  den  Fällen 
von  Magen-  und  Darmblutungen,  welche  er  zu  behandeln  Gelegen¬ 
heit  hatte,  flüssige  Gelatine  innerlich  gegeben.  Dieselbe  wurde 
genau  nach  der  Vorschrift  von  Dr.  Erich  Kolm  (Therapie  der 
Gegenwart  1905)  angefertigt,  unter  Zusatz  von  2  g  Acid,  citric, 
und  20  g  Syr.  cort.  aur.  auf  200  g  Mixtur.  Von  allen  sonst  üblichen 
Arzneimitteln  wurde  Abstand  genommen.  Der  damit  erzielte  Er¬ 
folg  war  ein  so  befriedigender,  daß  Verf.  durch  Bekanntmachung 
seiner  diesbezüglichen  Erfahrungen  dieser  Medikation  Eingang 
in  weitere  Kreise  wünscht.  In  den  neun  mitgeteilten  Fällen  handelt 
es  sich  meist  um  Hämatemesis  nach  Ulcus  ventriculi,  Darmblu¬ 
tungen  bei  Abdominaltyphus,  bei  Carcinoma  ventriculi,  bei  Dann¬ 
tuberkulose.  Von  der  Gelatinemixtur  wurde  zweistündlich  ein 
Eßlöffel  voll  verordnet.  Nur  in  einem  äußerst  schweren  Fall 
von  Abdominaltyphus,  in  dem  die  Sektion  zahllose  Darmgeschwüre 
ergab,  hatte  die  Gelatinetherapie  natürlich  keinen  Erfolg,  ln  den 
acht  Fällen  war  die  Wirkung  der  innerlich  gegebenen  flüssigen 
Gelatine  eine  so  prompte  und  eklatante,  daß  an  dem  ursächlichen 
Zusammenhang  nicht  gezweifelt  werden  kann.  Verf.  erwähnt  noch, 
daß  selbst  in  der  heißesten  Jahreszeit  das  Mittel  sieb  während 
einiger  Tage  gut  hält  und  daß  es  von  allen  Patienten,  denen  es 
verordnet  wurde,  gern  genommen  wurde.  —  (Münchener  niediz. 
Wochenschrift  1907,  Nr.  1.)  G. 


J^ekrolog. 


Wilhelm  Ritt.  v.  Harte! 

den  wir  heute  zu  Grabe  getragen  haben,  gehörte  zu  den  gi'ößten 
Arbeitskräften,  denen  ich  in  meinem  Leben  begegnet  bin.  Un¬ 
zählige  Male  hat  er  meine  Bewunderung  durch  die  Raschheit 
erweckt,  mit  der  er  sich  in  komplizierten  Fragen  orientierte. 
Dabei  konnte  er  in  unmittelbarer  Aufeinanderfolge  die  heterogen¬ 
sten  Dinge  behandeln,  stets  sachgemäß',  das  ganze  einschlägige 
Gebiet  überblickend. 

So  kam  es,  daß  er,  der  Philologe,  reiche  Spuren  seiner 
Tätigkeit  außer  auf  dem  Felde  der  humanistischen  Wissenschaften 
auch  auf  dem  anderer  Wissenszweige,  auf  dem  Felde  der  Künste, 
der  musikalischen,  der  sprechenden,  der  bildenden  zurückgelassen 
hat,  daß  er  mit  großartigem  Erfolge  in  die  Organisation  der  Be¬ 
triebe  bei  dieser  Betätigung  menschlicher  Ideale  eingreifen  konnte, 
ganz  abgesehen  von  seinen  politischen  Leistungen  als  Herren¬ 
hausmitglied,  Beamter  und  Minister.  Es  wäre  zu  erwarten  ge¬ 
wesen,  daß  diese  weitausgreifende  Tätigkeit  den  Mann  nervös 
gemacht  hätte.  Trotzdem  glaube  ich  nicht,  daß  man  ihn  jemals 
in  solchem  Zustande  gesehen  hat.  Ein  Meister  der  Sparsamkeit 
an  Zeit,  erschien  er  stets  ruhig  und  ganz  bei  der  Sache,  fand  auch 
immer  noch  reichlich  Muße,  anregende  und  heitere  Geselligkeit 
zu  pflegen.  Eine  Sitzung,  der  er  präsidierte,  erledigte  die  Tages¬ 
ordnung,  dank  der  Präzision  seiner  Leitung  und  seines  nüch¬ 
ternen  Blickes  für  das  Durchführbare  in  der  Hälfte  der  Zeit,  in  der 
es  unter  einem  anderen  Präsidium  geschehen  wäre.  Schon  vor 
Jahren  im  Professorenkollegium,  später  so  häufig  in  Kommissions¬ 
oder  Plenarsitzungen  der  Akademie  der  Wissenschaften  und  bei  | 


zahlreiclien  anderen  Beralungen,  konnte  jnan  sehen,  wie  er  bei 
dem  Gegeneinanderprallen  der  Meinungen  immer  wieder  einen 
Ausweg  fand,  durch  welchen  das  Stocken  der  Verhandlungen  b(v 
hoben  und  diese  wieder  auf  gangbare  Bahnen  geleitet  wurden. 

Diesem  seinen  Geschick  in  der  nach  allen  Riehl ungen  aus¬ 
greifenden  Tätigkeit  verdankt  auch  die  Wiener  Aerztesebaft  jene 
Leistung,  durch  welche  er  sich  in  unserem  Gedächtnis  ein  impo¬ 
santes  Denkmal  gesetzt  und  welche  die  k.  k.  Gesellschaft  derAerzte 
seinerzeit  veranlaßt  hat,  ihm  die  größte  Ehre  zu  erweisen,  über 
die  sie  verfügt :  ihn  zum  Ehrenmitglied  zu  erwählen.  Ich  meine 
die  endliche  Lösung  der  Krankenhausfrage.  Jahrzehntelang  wurde 
gesprochen  und  geschrieben,  wurden  Akten  gewechselt,  ohne  daß 
es  bei  der  entsetzlichen  Kompliziertheit  der  Verhältnisse  gelang, 
die  maßgebenden  Faktoren,  Unterrichtsministerium,  Finanzmini¬ 
sterium,  Land,  Stadt  und  Krankenhausfonds,  bzw.  Statt halterei 
und  Ministerium  des  Innern  aus  diesem  sterilen  Vegetieren  zu 
einer  fruchtbringenden  Tätigkeit  zu  erwecken.  Durch  kluge  Mäßi¬ 
gung  und  persönliches  Eingreifen  in  vertraulichen  Unterredungen 
vermochte  er  die  gegensätzlichen  Interessen  zu  vereinen  und 
die  im  Jahre  1904  erfolgte  Grundsteinlegung  zu  den  neuen  Kliniken 
war  wohl  die  größte  Tat  seiner  xMinisterperiode. 

Diese  Zeit,  in  welcher  er  teils  als  Leiter,  teils  als  Minister 
an  der  Spitze  der  Unterrichtsverwaltung  stand,  war  für  ihn  keine 
leichte.  Denn  er  war  in  Politizis  von  Haus  aus  ein  Schwarzseher, 
was  im  vertraulichen  Gespräche  besonders  in  der  Beurteilung 
unserer  Nationalitätenschwierigkeiten  häufig  zum  Ausdruck  kam. 
Und  gerade  diese  Fragen  gewinnen  in  der  Unterrichtsverwaltung 
täglich  praktisclie  Bedeutung.  Trotzdem  half  ihm  auch  hier  sein 
Geschick,  Auswege  zu  finden,  in  der  Regel  über  die  Schwierig¬ 
keiten  hinweg.  Es  war  aber  auch  in  anderer  Beziehung 
für  ihn  schwer.  So  vorteilhaft  es  für  die  Sache  ist,  wenn  ein  Mann 
an  die  Spitze  des  Unterrichtsministeriums  tritt,  der  seit  Jahr 
zehnten  nicht  nur  als  Professor,  sondern  auch  in  vielerlei  anderen 
Stellungen  das  Getriebe  des  Unterrichtes  mitgemacht  und  bis  in 
die  kleinsten  Details  kennen  gelernt  hat,  den  Persönlichkeiten 
gegenüber  wird  seine  Stellung  häufig  überaus  peinlich. 

V.  Hartei  hat  in  dieser  Zeit  mir  gegenüber  wiederholt  ge¬ 
klagt,  daß  seine  Beziehungen  zu  seinen  alten  Freunden  und 
ehemaligen  Kollegen  vielfach  getrübt  seien.  Mancher  von  diesen 
glaubt  irgendeinen  langgehegten  Wunsch,  sei  er  nun  sachlich 
oder  persönlich,  erfüllt  zu  sehen,  sobald  sein  altbefreundeter 
Kollege  das  Ministerportefeuille  in  der  Hand  hält.  Aber  auch  ein 
Minister  ist  nicht  allmächtig,  auch  mit  dem  besten  Willen  waren 
nicht  alle  Wünsche  auszuführen,  manche  von  ihm  nicht  weniger 
als  von  den  Fachgenossen  angestrebte  Berufung  mißlang,  die 
Abberufung  einzelner  hervorragender  Männer  nach  dem  Ausland 
war  nicht  hintanzuhalten,  die  Ausgestaltung  dieser  und  jener 
Lehrkanzel  vorläufig  nicht  zu  erreichen;  und  so  sah  v.  Hartei 
zu  seinem  schweren  Kummer,  daß  sich  gerade  in  Professoren¬ 
kreisen  die  Stimmung  gegen  ihn  wendete  und  trotz  vieler  zum 
Vorteil  der  Unterrichtsanstalten  und  des  Unterrichtspersonals  er¬ 
griffener  Maßregeln  —  ich  erinnere  an  die  unscheinbare  Ver¬ 
leihung  des  ,, Charakters“  zum  Hofrats  titel  der  Professoren,  wo¬ 
durch  den  Witwen  die  höhere  Pensionsstufe  gesichert  wurde  — 
sich  lange  so  erhielt.  Erst  in  der  letzten  Zeit  seiner  Minister¬ 
laufbahn  besserte  sich  dieses  Verhältnis  wieder. 

Wenn  in  solchen  Zeiten  gegen  den  ehemaligen  Kollegen  Vor¬ 
würfe  erhoben  wurden  und  man  ihn  des  Wandels  seiner  Ge¬ 
sinnung,  wohl  auch  seines  persönlichen  Verhaltens  zieh,  so  muß 
ich,  der  ich  ihn  seit  dem  Ende  der  Sechzigerjahre  kannte,  ander¬ 
seits  sa.gen,  daß  ich  ihn  als  Privatdozent,  Professor,  Sektionschef, 
Vlinister,  als  Mitglied  wie  als  Vizepräsident  der  Akademie,  im 
Sitzungssaal  und  im  Salon,  in  der  Bauernstube  meiner  I^and- 
wohnung  und  in  dem  Prunksaal  bei  einem  Hofempfang  immer  als 
den  gleichen  gefunden  habe:  jeden  Ausdruck  lebhafter  Empfin¬ 
dungen  vermeidend,  zu  ernstem  und  sachlichem  Gespräch  stets 
geneigt,  anregend  und  belehrend,  jederzeit  bereit,  der  Sache  und 
nicht  minder  in  anspruchslosem  Wohlwollen  Personen  zu  dienen; 
so  war  sein  Leben  ein  ernstes  und  nützliches. 

W'ien,  den  17.  Januar  1907. 

Sigmund  Exner. 


Vermisehte  flaehriehten. 

Ernannt:  Landessanitätsinspektor  Dr.  Julius  Löcker  zum 
Statthaltereirat  und  Landessanitätsreferenten,  bei  der  Statthalterei 
in  Linz.  —  Dr.  Vanderstraeten  zum  Professor  der  Augenheil¬ 
kunde  in  Löwen. —  Dr.  Cannon  zum  Professor  der  Physiologie 
an  dör  Harvard -Universität  in  Boston. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


Verliehen:  Dein  Oberbezirksarzte  Dr.  Wilhelm  Blau  in 
Baden,  anläßlich  seiner  Versetzung  in  den  Ruhestand,  der  Titel 
eines  Ländessanitäteinspektors.  —  Hof  rat  Schauta  in  Wien 
das  Konunandeurkreuz  des  Ordens  der  Krone  von  Rumänien. 
—  Dr.  Hans  Kopf  in  Marienbad  der  preußische  Rote  Adler-Orden 
vierter  Klasse.  —  Dr.  Leo  Klemperer  in  Karlsbad  das  Ritter¬ 
kreuz  erster  Klasse  des  schwedischen  Wasa -Ordens.  —  Doktor 
Raoul  R.  V.  Wolf  in  Wien  das  Ritterkreuz  des  fürstl.  hulgav. 
St.  Alexander- Ordens.  —  Dr.  Albert  Konried  in  Edlach  das 
Ritterkreuz  zweiter  Klasse  des  herzoglich  Sachsen  -  Erneslinischen 
Hausordens. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Ernst  Lesser  in  Halle  a.  S.  für  Phy¬ 
siologie.  —  Dr.  Stadler  für  innere  Medizin  in  Leipzig.  -- 
Dr.  Hottinger  für  Urologie  in  Zürich. 

* 

Gestorben:  Hofrat  Dr.  Franz  Hektor  R.  v.  Arneth  in 
Wien,  ehern.  Leibarzt  der  Großfürstin  Helene  Paulowna  von 
Rußland. 

♦ 

Bei  der  am  15.  Januar  abgehaltenen  Vollversammlung  des 
Aerz  tlichen  Vereines  im: IX.  Bezirk  wurden  Dr.  J.  Thenen 
zum  Obmann,  Dr.  J.  Lamb  erg  er  und  Dr.  K.  Na  tan  son  zu 
Obmannstellvertretern,  Dr.  L.  Stolper  zum  Schriftführer  und 
Dr.  A.  Foges  zum  Kassier  gewählt. 

♦ 

Donnerstag,  den  24.  Januar  1907,  umi  7  Uhr  abends,  findet 
im  Sitzungssaale  der  Witwen-  und  Waisen-Sozietät  des  Wiener 
mediz.  Doktorenkollegiunis,  Wien  I.,  Rotenturmstraße  19,  die 
Generalversammlung  des  Unterstützungsvereines  für 
Witwen  und  Waisen  jener  Mitglieder  des  Wiener  mediz.  Doktoren¬ 
kollegiums,  welche  in  die  Witwen-  und  Waisen-Sozietät  nicht 
einverleibt  waren,  statt. 

♦ 

Gar  done  Riviera  am  Gardasee  als  Winterkurort.  Von 
Dr.  K.  Koenig  er.  5.  Auflage.  Verlag  von  J.  Springer,  Berlin. 
Mk.  1-20.  • 

* 

Unter  Mitwirkung  von  Prof.  Dr.  A.  Hoff  a  in  Berlin  er¬ 
scheint  im  Verlage  von  S.  Karger  in  Berlin  von  diesem  Monat 
ah  ein  von  Prof.  Dr.  0.  Vulpius  in  Heidelberg  redigiertes  Zen- 
tralhlatt  für  chirurgische  und  mechanische  Ortho¬ 
pädie,  einschließlich  der  Heilgymnastik  und  Mas¬ 
sage.  Das  Zentralblatt  stellt  sich  vor  allem  die  Aufgabe,  die 
gesamte  in-  und  ausländische  Faclüiteratur  in  ausführlichen  Re¬ 
feraten  kurz  nach  Erscheinen  der  Originalarbeiten  so  zu  bringen, 
daß  der  Leser  aus  ihnen  über  den  Inhalt  der  letzteren  völlig 
orientiert  ist.  Zeitweilig  sollen  kurze  Originalarbeiten  über  aktu¬ 
elle  Fragen,  besonders  interessante  Fälle,  technische  Neuheiten 
und  dergleichen,  sowie  Vereins-  und  Kongreßberichte  veröffent¬ 
licht  werden.  Das  Zentralblatt  erscheint  in  regelmäßigen  Heften 
von  je  ca.  50  Seiten,  die  am  Schlüsse  jedes  Monats  ausgegeben 
werden.  Der  Preis  des  Jahrgangs  ist  auf  Mk.  15  für  das  Inland, 

Mk.  16-50  für  das  Ausland  festgesetzt. 

* 

Priv.-Doz.  Dr.  M.  Oppenheim  ordiniert  I.,  Schotten¬ 
ring  28,  1.  Stock,  von  V22  bis  4  Uhr  für  Haut-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten.  Telephon  Nr.  22.116. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiet.  1. Jahres woche  (vom  30. Dezember  1906 
bis  5.  Januar  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  579,  unehelich  241,  zusammen  820. 
Tot  geboren,  ehelich  43,  unehelich  25,  zusammen  68.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  713  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
18'9  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  1,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  12, 
Scharlach  4,  Keuchhusten  0,  Diphtherie  und  Krupp  12,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  2,  Lungentuberkulose  110,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  38,  Wochenbettfieber  5.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  35  (-)-  4),  Wochenbettfieber  6  (-j-  2),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  103  (-f-  28),  Masern  277  ( —  11),  Scharlach  77  ( —  11),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  10  (-|-6),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  81  ( —  5),  Keuchhusten  31  (-(-  18),  Trachom  0  ( —  1), 
Influenza  0  (0). 


Freie  Stellen. 

Leopoldstädter  Kinderspitalverein.  Durch  das  am 
5.  1.  M.  erfolgte  Ableben  des  Herrn  med.  univ.  Dr.  Balthasar  Unter- 
holzner  ist  am  Leopoldstädter  Kinderspitale  in  Wien  die  Stelle  des 
dirigierenden  Primararztes  in  Erledigung  gekommen.  All¬ 
fällige  Bewerber  um  diese  Stelle  werden  eingeladen,  ihre  Gesuche  (be¬ 
legt  mit  einfachen  Abschriften  der  betreffenden  Zeugnisse  über  Studien 
und  bisherige  Verwendung)  längstens  bis  zum  1.  Februar  1907, 


mittags  12  Uhr,  bei  dem  Vereinsvorstande  Herrn  Dr.  Konrad  Kluger 
in  Wien  IV/2,  Favoritenstraße  52,  zu  überreichen.  Später  einlan.!ende 
Gesuche  werden  nicht  berücksichtigt.  Wien,  am  11.  Januar  19u7.  Für 
den  Ausschuß:  Dr.  Kluger  m.  p.,  Vorstand. 

Bei  der  k.  k.  Forst-  und  Domänendireklion  in  Wien  ist  die  Stelle 
eines  k.  k.  Forstarztes  lür  den  Kurbezirk  Groß-Reifling 
(Steiermark)  zu  besetzen.  Mit  der  Stelle  als  k.  k.  Forstarzt  ist  ohne  An¬ 
spruch  auf  Pension  eine  Jahresbestallung  inklusive  Reisepauschale  von 
K  1890,  ein  Holzdeputat  von  jährlich  9  rnP  harten  und  18  rm*  weichen 
Brennholzes  zur  Beheizung  des  Ordinationszimmers  und  ein  Wohnungs¬ 
relutum  von  jährlich  K  400  seitens  der  Religionsfonds-Gutsverwaltung 
verbunden.  Dem  Arzte  obliegt  die  unentgeltliche  ärztliche  Behandlung  der 
im  Kurbezirke,  d.  i.  in  dem  k.  k.  Forst-  und  Domänenverwaltungsbezirke 
Groß-Reiflmg  (Urisgemeinde  Landl,  Gams  und  Palfau)  wohnenden  Forst- 
arbeiterschalt  und  Provisionisten  samt  deren  Angehörigen,  dann  des  im 
Bezirke  stationierten  Forstschutzpersonales  nebst  Angehörigen,  weiters  die 
Haltung  einer  Hausapotheke,  aus  welcher  an  die  kui berechtigten  Personen 
die  erforderlicnen  Medikamente  und  Verbandstoffe  gegen  Bezahlung  eines 
vierteljährigen  Pauschalbetrages  von  K  2  pro  Kranken  und  Quartal  seitens 
der  Religionsfonds-Gutsverwaltung  abzugeben  sind.  Die  Bestallung  des 
Arztes  erfolgt  auf  unbestimmte  Dauer  unter  Vorbehalt  einer  beiderseitigen 
einvierleijährigen  Kündigung.  Der  Antritt  der  Arztesstelle  muß  längstens 
am  8.  April  1907  erfolgen.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  mit  K  1 
gestempelten  Gesuche  bei  der  k.  k.  Forst-  und  Domänendireklion  in  Wien, 
XV.,  Tannengasse  6,  u.  zw.  insofern  sie  in  einer  staatlichen  Dienstleistung 
stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  unter  Beibringung  nach¬ 
stehender  Belege  in  Urschrift  oder  beglaubigter  Abschrift  bis  1.  März  1907 
einzureichen:  a)  Nachweis  über  den  erlangten  Doktorgrad,  b)  Alters¬ 
nachweis,  c)  Nachweis  über  die  österreichische  Staatsangehörigkeit, 
d)  über  ihre  untadelhafte  staatsbürgerliche  Haltung,  e)  amtsärztliches 
Zeugnis  über  ihre  physische  Eignung  und  f)  Nachweise  über  praktische 
Ausbildung  über  bisherige  ärztliche  Tätigkeit.  Jene  Aerzte,  welche  neben 
einer  entsprechenden  Spitalspraxis  eine  besondere  Ausbildung  in  der 
operativen  Chirurgie  und  Geburtshilfe  nachzuweisen  imstande  sind, 
erhalten  den  Vorzug  vor  allen  anderen  Kompetenten.  Auch  haben  die 
Bewerber  zu  erklären,  ob  sie  diese  Stelle  längstens  zum  obigen  Termine 
vom  8.  April  1907  anzutreten  imstande  sind.  K.  k.  Forst-  und  Domänen¬ 
direklion  Wien,  am  11.  Jänner  1907. 

Kundmachung.  Im  Studienjahre  1906/7  kommt  ein  Dr.  Josef 
Späth  sches  Reisestipendium  im  Betrage  von  K  3200  zur  Ver¬ 
leihung,  Anspruch  auf  den  Genuß  dieses  Stipendiums  haben  kurz  zuvor 
an  der  Wiener  Universität  promovierte  Doktoren  der  gesamten  Heilkunde 
ohne  Unterschied  der  Konfession,  welche  in  einem  der  im  Reichsrate  ver¬ 
tretenen  Königreiche  und  Länder  geboren  und  ihre  deutsche  Nationalität 
nachzuweisen  imstande  sind.  Von  den  Bewerbern  erhalten  jene  den  Vor¬ 
zug,  welche  ihr  ernstes  wissenschaftliches  Streben  und  ihre  sittliche  Auf¬ 
führung  während  der  Studienzeit,  sowie  insbesondere  auch  vorzügliche 
Rigorosenkalküle  aufzuweisen  haben.  Die  Angehörigen  Tirols  erhalten  bei 
nachgewiesener  Mittellosigkeit  und  gleicher  Wür  igkeit  vor  den  anderen 
Bewerbern  den  Vorzug.  Die  Auszahlung  dieses  Reisestipendiums  geschieht 
in  zwei  Hälften,  wovon  die  eine  sogleich,  die  andeie  dann  zu  erfolgen 
hat,  sobald  der  Stipendist  bei  dem  Professorenkollegium  den  Nachweis 
erbracht  hat,  daß  er  die  empfangene  Unterstützung  tatsächlich  zur  weiteren 
Ausbildung  verwendet  hat.  Die  Bewerber  um  dieses  Reisestipendium 
wollen  ihre  an  das  Professorenkollegium  der  medizinischen  Fakultät  zn 
Wien  gerichteten,  mit  den  aus  den  obigen  Daten  sich  ergebenden  legalen 
Nachweisen  belegten  Gesuche  bis  28.  Februar  1907  beim  Dekanate  der 
medizinischen  Fakudät  einbringen.  Wien,  am  15.  Januar  1907. 

Im  Verwaltungsgebiete  der  k.  k.  niederösterreichischen  Statthallerei 
gelangt  eine  Oberbezirksarztes-,  beziehungsweise  Bezirks¬ 
arztes-,  beziehungsweise  Sanilätskonzipistenstelle  mit  den 
Bezügen  der  VIII.,  beziehungsweise  IX.  und  X.  Ranssklasse  zur  Besetzung. 
Bewerber  haben  ihre  vollständig  instruieiten  Gesuche  bis  spätestens 
20.  Februar  1907  beim  k.  k.  Statlhaltereipräsidium  und  im  öffent¬ 
lichen  Dienste  stehende  Kompetenten  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten 
Behörde  zu  überreichen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Schön¬ 
wald  (Bezirk  Aussig,  Böhmen),  umfassend  die  Gemeinden:  Schön wald 
mit  Jungferndorf,  Streckenwald  mit  Adolfsgrün,  Ebersdorf  und  Nollen- 
dorf  mit  3161  Einwohnern  und  dem  Amtssitze  in  Schönwald.  Gehalt 
K  1200,  Reisepauschale  K  180.  Bewerber  deutscher  Nationalität  haben 
ihre  mit  dem  Nachweise  der  österreichischen  Staatsbürgerschaft,  der  Be¬ 
rechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  der  moralischen  Un¬ 
bescholtenheit  und  physischen  Tauglichkeit  belegten  Gesuche  bis 
31.  Jänner  1.  J.  beim  Bezirksausschuß  in  Karbitz  einzubringen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdislrikt  Bensen  A, 
(Böhmen)  mit  dem  Sitze  in  Bensen,  bestehend  aus  den  Ortsgemeinden 
Bensen,  Franzenf-thal,  Hermersdorf,  Voitsdorf,  Groß-Wöhlen  und  Klein- 
Wöhlen  mit  7747  Einwohnern.  Falls  jedoch  diese  Stelle  einem  Ueber- 
selzungsbewerber  verliehen  würde,  so  gelangt  gleichzeitig  die  Stelle  des 
Distriktsarztes  für  den  Sanitätsdistrikt  Bensen  B  zur  Ausschreibung, 
web  hem  die  Gemeinden  Habendorf,  Nieder  Ebersdorf,  Ober-Ebersdorf, 
Groß-Bocken,  Klein-Bocken  mit  4163  Einwohnern  zugeteilt  sind.  Für 
jeden  dieser  beiden  Dienstposten  beträgt  der  Gehalt  K  800  und  das 
Dienstreisepauschale  K  160.  Die  Bewerber  hiefür  haben  ihre  Gesuche 
bis  3  .  Jänner  1.  J.  beim  Bezirksausschüsse  in  Bensen  einzubringen 
und  denselben  die  Nachweise  über  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der 
ärztlichen  Praxis,  über  den  Besitz  der  österreichischen  Staatsbürgerschaft, 
sowie  über  die  moralische  Unbescholtenheit  beizuschließen.  Mit  der  Ver¬ 
leihung  dieser  Dienststellen  ist  die  Verpflichtung  zur  unentgeltlichen 
Behandlung  der  Ortsarmen  in  den  betreffenden  Gemeinden  verbunden. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


117 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Kongreßberichte. 

INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  18.  Januar  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  10.  Januar  1907. 


Wiener  dermatologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  21.  November  1906. 
Wiener  laryugologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  Dezember  1906. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  18.  Januar  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Ed.  Lang. 

Schriftführer:  Dr.  Fritz  Hitschmann. 

Präsident  Hofrat  Chrohak  hält  dom  verstorhenen  Ehrcn- 
mitgliede  Exzellenz  Dr.  Wilhelm  Ritter  v.  Härtel,  einen  wann 
empfundenen  Nachruf,  worin  er  dessen  Verdienste  um  den  Neu¬ 
bau  der  klinischen  Anstalten  hervorhebt. 

Der  Vorsitzende  verliest  ein  eingelangtes  Dankschreiben 
der  Familie  U  n  t  e  r  h  o  1  z  n  e  r,  für  die  Beileidskimdgebung  von 
seiten  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Dr.  Otto  V.  Frisch  stellt  einige  Fälle  aus  der  Klinik  des 
Hofrales  v.  Eiseisberg  vor,  an  welchen  die  Sehnennaht 
nach  Lange  ausgeführt  wurde.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser 
Zeitschrift.) 

Dr.  Martin  Engländer ;  Der  H a r n  t e m p e r a  t  u r  ei  n- 
fache  Messung  und  Bedeutung  als  Körpertem¬ 
peratur. 

Der  Vortragende  weist  zunächst  darauf  hin,  daß  der  Ge¬ 
danke,  die  Temperatur  des  frisch  gelassenen  Urins  als  Ausdruck 
der  jeweiligen  Körpertemperatur  zu  messen,  in  der  Literatur 
nur  sporadisch  auftauche.  Die  diesbezüglichen  Untersuchungen 
von  Mantegazza,  Mestivier,  Oertmann,  Mosso  und 
Tiegel  fanden  eine  abfällige  Kritik.  Die  Methoden  der  Messung 
erwiesen  sich  nicht  einwandfrei,  weil  der  Harn,  der  stets  eine 
höhere  Temperatur  als  die  atmosphärische  Luft  besitzt,  sogleich 
nach  seiner  Entleerung  abzukühlen  beginnt  und  die  Wärme¬ 
abgaben  des  Harnes  an  das  Meßgefäß  und  an  die  Luft  bedeutende 
sein  können.  Die  Fehler,  welche  dieses  Verfahren  einschließt, 
sind  größer,  als  die  bei  direkten  Bestimmungen  der  Körper¬ 
temperatur  in  der  Achselhöhle  etc. 

Nach  der  Besprechung  der  von  den  genannten  Autoren  er¬ 
zielten  Meßresultate,  wendet  sich  der  Vortragende  zur  Darstellung 
seines  eigenen  Meßverfahrens. 

L  Der  Leitgedanke. 

Der  Leitgedanke,  nach  welchem  der  Bef.  sein  Verfahren 
einrichtete,  läßt  sich  in  drei  Punkte  zusammenfassen :  1.  Messen 
in  einem  Sammelgefäße  und  nicht  im  direkten  Harnstrahle. 
2.  Wahl  des  Materiales  für  das  Sammelgefäß  derart,  daß  dasselbe 
nicht  vorerst  vorgewärmt  werden  müsse.  3.  Messung  trotz  des 
Sammelgefäßes  nicht  im  stehenden  sondern  im  fließenden  Harne. 

H.  Durchführung  des  Prinzipes. 

Als  Material  zur  Herstellung  des  Sammelgefäßes  verwendet 
Bef.  das  Filtrierpapier  stärkerer  Sorte.  Jedes  aus  anderem  Materiale 
verfertigte  Sammelgefäß  muß  zunächst  künstlich  vorerwärmt 
werden,  sonst  entzieht  es  dem  ausfließenden  Harne  Wärme.  Das 
Filtrierpapier  hingegen  imbibiert  sich  sofort  mit  dem  körperwarmen 
Harne  und  schon  in  den  nächsten  Sekunden  fließt  der  Harn  in 
ein  erwärmtes  Gefäß.  Allerdings  wird  auch  das  Sammelgefäß  aus 
Filtrierpapier  trotz  der  sofortigen  Imbibition  nicht  sogleich  die 
Temperatur  des  ausfließenden  Harnes  erreichen.  Damit  jedoch 
dieser  Ausfall  in  der  Messung  paralysiert  werde,  ist  die  Anord¬ 
nung  getroffen,  daß  nach  Anbringung  einer  Abflußöffnung  Zu- 
und  Abfluß  des  Harnes  derart  geregelt  ist,  daß  das  Quecksilber¬ 
gefäß  des  Thermometers  stets  in  der  frisch  zugeflossenen  Harn¬ 
menge  stecke. 

Die  Vorrichtung  zur  Messung  besteht  nun  aus  einem  Trichter 
aus  Filtrierpapier  und  einem  geprüften  Maximalthermometer.  Das 
Papier  sei  von  stärkerer  Sorte,  damit  es  nicht  im  Laufe  der 
Messung  durchweicht  zerreiße. 

Nachdem  man  das  Filtrierpapier  wie  zu  einem  gewöhn¬ 
lichen  Filter  gefaltet  hat,  wird  es  geöffnet  und  in  frontaler 
Richtung  gefaltet.  Es  sieht  nun  so  aus,  falls  man  das  Papier 
linearrandig  belassen  hat,  wie  ein  mit  der  Spitze  nach  unten  ge¬ 
stürztes  Dreieck  mit  einem  schmalen  oben  aufgesetzten  Recht¬ 


ecke.  Zur  Filterbildung  wählt  man  am  besten  das  »Papier  in 
der  Form  eines  Höhenrechteckes  mit  der  Höhe  von  15  cm  und 
einer  Breite  von  12  cm.  Die  Spitze  des  Dreieckes  wird  ah- 
geschnitten,  damit  eine  Ausflußöffnung  entstehe.  Dieser  horizontale 
Schnitt  ist  9  bis  10  mm  lang.  An  der  Kante,  wo  das  Papier 
sechsfach  gefaltet  liegt  (an  der  anderen  Kante  liegt  es  nur  zwei¬ 
fach)  werden  mit  einer  Schere  senkrecht  auf  die  Kante  durch 
die  ganze  Dicke  des  Papieres  zwei  Schnitte  geführt  vom  Durch¬ 
messer  des  Thermometers.  Der  erste  Schnitt  liege  von  der  Aus¬ 
flußöffnung  zumindest  so  weit,  als  die  Länge  des  Quecksilber- 
hehälters  es  erfordert.  Die  Distanz  des  zweiten  Schnittes  erfordet 
keine  besondere  Rücksicht.  Das  Filter  wird  nun  geöffnet  und  das 
Thermometer  durch  die  entstandenen  Papierspangen  hindurch¬ 
gesteckt.  Das  untere  Ende  des  Quecksilberbehälters  reiche  eben 
bis  zum  Horizontalschnitte,  rage  keinesfalls  in  die  Luft  hinaus. 
Das  Thermometer  sitzt  in  den  Spangen  fest  und  hält  den  nach 
dem  Oeffnen  nurmehr  dreiblättrigen  Teil  des  Filters  zusammen. 

Nun  kann  mit  der  Messung  begonnen  werden.  In  der  einen 
Hand  hält  man  Thermometer  und  Filter  am  oberen  Rande  des 
letzteren,  mit  der  anderen  Hand  wird  das  Membrum  in  das  Filter 
hineingesteckt.  Ist  dies  geschehen,  so  kann  man  mit  der  einen 
Hand  auch  ein  Aufsaiigglas  unter  das  Filter  halten,  falls  die 
Miktion  im  Zimmer  geschieht.  Das  Orificium  urethrae  komme 
knapp  über  das  obere  Ende  des  Quecksilberbehälters. 

Die  Miktion  beginnt. 

Vielfache  Messungen  ergaben,  daß  nach  7  bis  8,  in  maximo 
10  bis  12  Sekunden  bereits  die  maximale  Temperatur  erreicht 
ist  und  daß  nach  dieser  Zeit  100  bis  150  cm**  Harn  entleert 
werden,  ferner,  daß  diese  Mengen  genügen,  um  genaue  Resultate 
zu  erzielen.  Die  ganze  Mixtionsdauer  und  die  hiebei  gelassene 
Harnmenge  eines  Erwachsenen  bei  gut  gefüllter  Blase  betragen 
natürlich  mehr.  Bef.  mißt  immer  nach  voller  Miktion. 

Das  Quecksilbergefäß  wird  von  allen  Seiten  vom  Harne 
umspült,  mit  Ausnahme  jener  Stelle,  wo  es  an  dem  Filter  an¬ 
liegt.  Doch  auch  diese  Stelle  imbibiert  sich  sofort  mit  dem 
körperwarmen  Harne.  * 

Bei  gut  gefüllter  Blase  können  anläßlich  einer  Miktion 
auch  zwei  bis  drei  Messungen  vorgenommen  werden,  unter  den 
gewünschten  Bedingungen  stimmen  die  Resultate  der  Einzel¬ 
messungen  vollkommen  überein. 

Die  Papierfilter  bieten  überdies  den  Vorteil,  daß  sie  sich 
in  großer  Zahl  bequem  ineinanderstecken  lassen,  so  daß  man 
behufs  Vornahme  mehrerer  Messungen  viele  davon  mit  sich 
führen  kann. 

Die  Messung  ist  allerorts  mit  Leichtigkeit  durchzuführen. 

Der  Vortragende  erklärt  hierauf  die  physikalischen  Ver¬ 
hältnisse,  welche  es  verständlich  machen,  daß  selbst  bei  Außen¬ 
temperaturen  von  unter  0"  C  während  der  Messung  nur  so  wenig 
Wärme  des  Harns  verloren  geht,  daß  dies  thermometrisch  nicht 
zum  Ausdrucke  kommt. 

Das  Wasser  ist  ein  schlechter  Wärmeleiter,  es  nimmt  die 
Wärme  schwer  an  und  gibt  sie  auch  schwer  ab,  im  Gegensätze 
zum  Quecksilber,  das  ein  guter  Wärmeleiter  ist. 

Das  Wasser  hat  eine  große  Wärmekapazität:  zum  Erwärmen 
1  kg  Wassers  von  0'^  auf  C  ist  eine  Wärmemenge  von  einer 
Kalorie  nötig,  das  Quecksilber  hat  eine  im  Vergleiche  ganz 
bedeutend  kleinere  Wärmekapazität,  zum  Erwärmen  1  kg  Queck¬ 
silbers  von  0''  auf  1“  ist  bloß  eine  Wärmemenge  von  0'03  Ka¬ 
lorien  nötig. 

Hierin  liegt  der  Schlüssel  zu  den  Erklärungen  der  Ver¬ 
suche.  Das  Thermometer  in  warmes  Wasser  von  z.  B.  37“  C 
gesteckt,  schnellt  nach  wenigen  (5  bis  6)  Sekunden  auf  die 
Skalenhöhe  von  37“;  aus  dem  Wasser  entfernt,  sinkt  es  auch 
sehr  rasch  ab,  falls  es  kein  Alaximalthermometer  ist. 

Das  Wasser  hingegen  kühlt  sehr  langsam  ab.  Wie  die  vom 
Vortr.  angestellten  Abkühlungsversuche  lehren,  benötigen  z.  B. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19Ü7. 


Nr.  4 


HOO  cm'  Wasser  bei  einer  Zimmertemperatur  von  15°  C ,  um  von 
3(5"  auf  35,  33,  33°  etc.  abzusinken,  2‘  2,  3,  3',o  etc.  Minuten. 

Das  E''iltrierpapier  als  schlechter  Wärmeleiter,  das  Imhibieren 
desselben  mit  körperwarmem  Harne,  die  langsame  Abkühlung 
des  Harnes,  die  nur  nach  wenigen  Sekunden  dauernde  Meßzeit, 
innerhalb  welcher  das  xMaximalthermometer  seinen  höchsten 
Sland  erreicht,  begründen  die  fehlerfreie  Messung. 

Um  die  Brauchbarkeit  dieses  Meßverfahrens  zu  erproben, 
wählte  der  Vortragende  absichtlich  ungünstige  Verhältnisse : 
.Messungen  im  Breien  bei  einer  Lufttemperatur  unter  0°  C.  Die 
hiebei  gleichzeitig,  bzw'.  unmittelbar  ^'orangega^genen  Achsel- 
höblenmessungen  im  geschlossenen  Baume  ergal)en  folgendes: 

12  Uhr  mittags: 


10  Minuten  36’4 


At 

bei 

Zimmertempeiatu  r 

von 

16°  C  nach 

15 

20 

36-8 

36-8 

lit 

im 

Freien  bei  — 5"  (' 

25 

36‘8 

37T 

Differenz 

0-3 

11 

Uhr  nachts: 

10  iMinuten 

362 

Al 

bei 

Zimmertemperatur 

von 

19°  U  nach 

15 

20 

36 '3 
367 

Hl 

im 

Freien  bei  -  -  6°  ( ' 

1‘25 

367 

36-9 

12 

Uhr  mittags: 

Differenz 

(r2 

.  5  Minuten 
10 

36-3 

36-6 

At 

bei 

Zimmertemperatur 

von 

20°  C  nach . 

15 

20 

—  V/  ,, 

36 '7 
36-9 

25 

37-05 

Ul 

im 

Freien  bei  — 7°  (’ 

. 

30 

37-05 

371 

Differenz  O'Ol 


Zwei  Momente  stützen  nun  die  Behauptung,  daß  selbst 
Lufttemperaturen  von  unter  0°  U  das  vom  Vortr.  angegebene 
Meßverfahren  als  ein  einwandfreies  erscheinen  lassen :  erstens 
die  gleichzeitige  Achselhöhlenmessung  im  geschlossenen  Raume 
und  zweitens  das  volle  Uebereinstimmen  der  erhaltenen  Werte  im 
Freien  mit  den  vielfachen  Messungen  f  ü  r  d  i  e  s  e  1  b  e  T  a  g  e  s- 
zeit,  wie  dies  aus  den  demonstrierten  Tabellen  ersichtlich  ist. 
Damit  begegnet  aber  auch  dieses  Verfahren  wirksam  dem  Haupt¬ 
argument,  das  alle  bisherigen  Methoden  der  Harntemperatur¬ 
bestimmungen  am  empfindlichsten  traf. 

Der  Vortragende  wendet  sich  nunmehr  der  nächsten  Frage 
zu,  ob  seine  Messungen  die  physiologischen  Tagesschwankungen 
der  Körpertemperatur,  den  Ennfluß  der  Muskeltätigkeit  und  der 
.Malilzeiten  auf  dieselbe  zum  Ausdruck  bringt  oder  nicht. 

Der  Vortragende  hat  im  Verlaufe  von  zwei  Jahren  über 
250  Messungen  durchgeführt.  Die  täglichen  Messungen  wurden  in 
ein  Tagesjournal  eingetragen;  aus  denselben  sind  die  Ergebnisse 
der  Harntemperatur  nach  den  gleichen  Tagesstunden  tabellarisch 
zusammengefaßt.  Die  Zimmertemperaturen,  bei  denen  gemessen 
wurde,  waren  recht  differente. 

Wie  nun  aus  den  Tabellen  und  der  beigefügten  Harn- 
lemperaturkurve  ersichtlich  ist,  stimmen  die  Ergebnisse  bezüglich 
der  physiologischen  Tagesschwankungen  mit  jenen  überein,  welche 
die  Physiologie  mit  Hilfe  der  Rektalmessung  ermittelt  hat. 

Die  Mittelwerte  betragen  für  (5  Uhr  morgens  3615,  für 
8  Uhr  morgens  36’3,  für  9  Uhr  morgens  361,  für  10  Uhr  vor¬ 
mittags  36'57,  für  11  Uhr  vormittags  36'7  und  für  die  Mittags¬ 
stunde  371 ;  das  Maximum  mit  37‘3  erreicht  die  Tagesschwankung 
um  3  Uhr  nachmittags.  In  den  weiteren  Nachmittagsstunden  bis 
7  Uhr  abends  hält  sich  die  Temperatur  um  das  Mittel  von  37‘0, 
von  hier  ab  erfolgt  bis  zur  zehnten  Abendstunde  ein  leichtes 
Ansteigen  bis  zum  Mittel  von  371,  was  durch  die  Muskeltätigkeit 
zufolge  von  Bewegiaigen  außerhalb  des  Hauses  sich  erklärt.  Ln 
weiteren  Verlaufe  findet  sich  ein  konstantes  Sinken  der  Tempe¬ 
ratur  von  .36  8  bis  .36'0,  d.  i.  um  4  Uhr  morgens. 

Energischere  Muskeltätigkeit  findet  ihren  Ausdruck  in  einer 
Erln'ihung  dei-  Harntemperatur  gegenüber  dem  Mittel  der  be¬ 
treffenden  'Fageszeit  bei  mehr  ruhigem  Verhalten. 

So  beträgt  z.  B.  die  Harntemperatur  um  die  11.  Abend- 
sTunde  nach  einem  halbstündigen  Spaziergange  in  rascherem 
Schritte  37'2  gegenüber  d(Mn  Mittel  von  .36'7  ;  um  12  Uhr  nacht.'i 
nach  einem  einstündigen  Karambolspiele,  .37‘3  gegenüber  deni 


Mittel  von  36'7 ;  um  2  Uhr  nachts,  nach  einem  halbstündigen 
scharfen  Gange,  37'0  gegenüber  dem  Mittel  von  36‘2  und  um 
4  Uhr  morgens,  nach  einem  einstündigen  Wegmarsche,  37'3 
gegenüber  dem  Mittel  von  36'0. 

Die  Temperatursteigerung  während  der  Morgenstunden 
bleibt  bei  andauernder  Bettruhe  zwar  nicht  aus,  aber  sie  wird 
doch  wesentlich  eingeschränkt.  So  betrug  z.  B.  die  Harn¬ 
temperatur  um  12  Uhr  mittags  bloß  36'5,  nachdem  die  Bettruhe 
erst  um  11  Uhr  vormittags  verlassen  wurde,  gegenüber  dem  Mittel 
von  37'1  unter  normalen  Verhältnissen. 

Die  den  Mittelwert  erheblich  überschreitende  Körperwärme 
bei  einer  leichten  Influenza  und  einer  durchgemachten  Periostitis 
findet  ihren  Ausdruck  in  der  Harntemperatur  genauer  als  in  der 
gleichzeitig  gemessenen  Achselhöhlentemperatur. 

Die  durchgeführten  Rektalmessungen  ergaben  das  Resultal, 
daß  dieselben  mit  den  gleichzeitig  erhobenen  Harntemperatur¬ 
bestimmungen  völlig  übereinstimmen. 

Nach  diesen  Ergebnissen  glaubt  der  Vortragende  berechtigt 
zu  sein,  sagen  zu  können,  daß  die  genau  erhobene 
H  a  r  n  t  e  m  p  e  r  a  t  u  r  d  er  Ausdruck  der  jeweiligen 
Körpertemperatur  ist. 

Flingegen  ergaben  die  Parallelmessungen  in  der  Achselhöhle 
ganz  differente  Resultate.  Dieselben  lassen  sich  folgendermaßen 
zusammenfassen : 

1.  In  keinem  einzigen  Fall  übersteigt  die  Achselhöhlen¬ 
temperatur  die  gleichzeitig  gemessene  Harntemperatur ;  letztere 
steht  also  immer  höher. 

2.  Die  größte  und  konstanteste  Uebereinstimmung  zwischen 
Ht  und  At  findet  im  afebrilen  als  febrilen  Zustande  nur  dann 
statt,  wenn  die  gemessene  Person  sich  in  der  Bettruhe  oder 
unmittelbar  danach  noch  im  geschlossenen  Raum  befindet.  Die 
Differenzen  schwanken  zwischen  Ü'05  und  O’l  bis  0’3°  C.  Als 
Messungsdauer  für  die  Axilla  erwiesen  sich  für  die  Axilla  10  bis 
15  Minuten  als  hinreichend. 

3.  Bei  ambulanten  Personen  kann  die  Differenz  zwischen 
Ht  und  At  in  den  Nachmittags-  und  Abendstunden  sowohl  im 
afebrilen  als  auch  im  febrilen  Zustande  0'8”  C  betragen,  selbst  bei 
einer  Messungsdauer  von  einer  halben  Stunde  in  der  Axilla. 

4.  Nach  Vi- bis  stündigen  Märschen  können  sich  zwischen 
Ht  und  At  Differenzen  von  selbst  1'2°  C  ergeben,  namentlich  in 
den  Abendstunden  bei  einem  Verweilen  des  Thermometers  von 
einer  halben  Stunde  in  der  Axilla. 

0.  Nach  Wannenbädern  von  22  bis  29°  C  in  der  Dauer 
von  10  bis  15  Minuten  ergibt  die  At  Messung  bei  Gesunden 
niedrigere  Werte  von  0'9  bis  1T°  U  gegenüber  der  gleichzeitigen 
Ht- Messung,  bei  einem  Verweilen  des  Thermometers  in  der 
abgetrockneten  Axilla  während  einer  halben  Stunde. 

Aus  alldem  geht  hervor,  daß  die  Achselhöhlen¬ 
messung  unter  Umständen  mit  großen  Feliler- 
quellen  b  e  h  a  f  t  e  t  i  s  t,  d  a  ß  h  i  n  g  e  g  e  n  d  i  e  v  0  m  V  or¬ 
trag  e  n  d  e  n  g  e  ü  b  t  e  M  e  t  h  o  d  e  z  u  r  B  e  s  t  i  m  rn  u  n  g  der 
H  a  r  n  t  e  m  p  e  r  a  t  u  r  wohl  geeignet  ist,  die  jeweilige 
Körperte  m  p  e  r  <a  t  u  r  richtig  zu  ermitteln. 

Zum  Schlüsse  weist  der  Vortragende  auf  die  praktische 
Verwendung  seiner  Methode  hin,  deren  Vorzug  darin  besteht, 
daß  die  Dauer  der  Messung  nur  wenige  Sekunden  beträgt  und 
daß  die  Resultate  zuverlässige  sind. 

Die  Einschränkung  dieser  Methode  besteht  allerdings  darin, 
daß  sie  nur  dann  durchführbar  ist,  wenn  die  Untersuchungs¬ 
person  über  die  genügende  Harnmenge  verfügt. 

Besonders  geeignet  hält  er  sein  Meßverfahren  bei  der 
Untersuchung  ambulanter  Kranken,  ferner  für  physiologische 
Untersuchungen  bei  Bergbesteigungen,  Tunnel-  und  Kaissonbauten, 
Ballonfahrten.  Ferner  empfiehlt  er  sein  Meßverfahren  zum 
Studium  der  Temperaturverhältnisse  bei  Soldatenmärschen, 
namentlich  in  den  heißen  Jahreszeiten,  wo  anläßlich  dieser 
Märsche  Hitzschläge  nicht  so  selten  sind. 

Zum  Schlüsse  betont  der  Vortragende,  daß  sein  Meßver¬ 
fahren  die  bisher  bestehenden  wohl  nicht  entbehrlich  macht, 
daß  aber,  die  Brauchbarkeit  seiner  Methode  in  Betracht  gezogen, 
dieselbe  jedenfalls  eine  Bereicherung  der  Thermometrie  bedeutet. 

Diskussion:  Hol  rat  W  i  n  I  e  r  11  i  t  z  :  ’Tem])oralurmessungen 
des  Haines  sind  schon  trüln'i'  vielfach  versucht  worden, 
doch  s(di(n tcrlon  di(‘  Ih'snilate  immer  an  mannigfachen  F'chbu- 
(luellen  der  Melhode.  Es  ist  keine  Frage,  daß  die  von  dem  Herrn 
Vortragenden  angegebem>  IMolhode  einen  Fortschritt  bedeutet, 
wenn,  wie  er  sagt,  die  Messung  in  wenigen  Sekunden  beendet 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


119 


ist.  AndernfalJs  würde  die  rauhe  Auß.eiifläclie  dos  Filtrierpapiers 
einen  großen  Wtännevei'lnsl  durch  Straldung  bedingen.  Es  ist  von 
allen  Forschern,  die  sicli  mit  Tempei-aturuntersuchungen  be¬ 
schäftigt  haben,  längst  eikannt,  daß  (li('  .Vchselhöhle  ein  unver¬ 
läßlicher  Ort  für  Teinperaturmessungen  ist  und  der  Herr  Vor- 
Iragemh'  hat.  seihst  gezeigt,  daß  oft  noch  nach  einer  halben  Stunde 
die  Te)n])eraturkonslanz  daselbst  nicht  erredcht  ist.  Winternitz 
kann  aller  nicht  finden,  daß  die  Harnteinperaturinessung,  die  ja 
heim  weiblichen  Geschlechte  geradezu  untunlich  wäre,  nach  der 
Methode  des  Herrn  Vortragenden,  vor  der  Rektum-  oder  Vaginal- 
messnng  irgendwelche  Vorzüge  haben  könnte.  "W  i  n  ter  ni  tz  glaubt 
im  Gegenteil,  daß  der  letztere  Messungsort  aus  gar  mannigfachen 
Gründen  der  Haintemperaturmessung  vorzuziehen  sei.  Tempe¬ 
raturmessungen  hei  und  nach  dem  Bergsteigen  sind  auch  schon 
vielfach  vorgenommen  worden  und  wenn  es  gerade  darauf  an- 
komml,  sind  sie  mindestens  ebenso  leicht  durchführbar,  wie  die 
Harn  teinperaturmessungen. 

Dr.  H.  Teleky:  xVueh  ich  glaube,  daß  die  Messung  im 
Rektum  am  Krankenbette  verläßlich  und  in  wenigen  Minuten 
zu  erreichen  ist.  Bei  Messungen  aber,  die  z.  R.  beim  Berg¬ 
steigen  gemacht  werden  sollen,  vräre  vielleicht  die  Messung  im 
Munde  vorzu nehmen,  doch  weiß  ich  hierüber  nicfits  Bestimmtes. 

Dr.  IMartin  Engländer:  Es  freut  mich,  zunächst  kon¬ 
statieren  zu  können,  daß  Herr  Hofrat  Winternitz  mein  Meß- 
vm’fahren  im  Prinzipe  anerkennt.  Der  Bemerkung  gegenüber,  daßi 
er  der  Rektalmessung  doch  den  Vorzug  gebe,  erlaube  ich  mir, 
zu  erwiedern,  daß'  es  doch  Verhältnisse  gibt,  unter  welchen  die 
Rcktalmessung  nicht  praktikabel  ist.  Wenn  wir,  um  auf  ein  kon¬ 
kretes  Beispiel  hinzuvveisen,  nach  (dnei'  Bergsteigung  wissen 
wollen,  um  wie  viel  die  Köri)ertem})eratur  durch  den  Berganstieg 
sich  erhöht  hat,  so  ist  cs,  wie  ich  glaube,  doch  einfacher,  sofort 
die  Hai'ntemperaturbestimiiumg  vorzuiudmien,  als  erst  das  Ther- 
momeler  in  das  Rektum  zu  stecken.  Ohendrein  weise  ich  auch 
auf  di('  Untersuchungen  von  Zunlz  hin,  nach  welchen  nach 
einem  Berganstieg  die  erhöhte  Körjiertemperatur  sehr  rasch  v/ieder 
ahsinkl,  so  daß  dieselbe  nach  einer  halben  Stunde  schon  wieder 
die  Norm  erreicht  hat. 

Bezüglich  der  Bemerkungen  des  Ib.urn  Dr.  Teleky, 
die  Temperatur  nach  (unem  Berganstieg  im  Munde  zu  messen, 
erlaube  ich  mir,  darauf  binzuweisen,  daß  nach  dmi  Ergebnissen 
aller  Physiologen  gerade  die  Vlundhöhle  di(^  am  wenigsten  verläß- 
lichsletL  Meßresultate  ergibt. 

Dem  Einwande  des  Herrn  Hofrat  Wintemiitz  gegenüber, 
daß  mein  Meßverfahren  für  die  Temperaturbestimmung  bei 
Weibern  nicht  geeignet  ist,  so  gebe  ich  di(^s  mit  der  Bemerkung 
zu,  die  ich  in  meinem  Voi'tj'age  machte,  fm  Fiebei’zustande  ist 
zwischen  Achselhöhlen  und  Harntemperatur  kein  wesentlicher 
Dnterschied.  AVir  haben  demnach  ja  Methoden  genug,  um  das 
Fii'ber  hei  Weibern  zu  messen. 

Für  die  Avissenschaftlichen  Untersuchungen  bei  Märschen, 
Rergbesteigungen,  Tunnel-  und  Kaissonbauten,  Ballonfahrten  ctc., 
kommt  di('  Frage,  glaube  ich,  wenig  in  Betracht,  denn  gegeinvärtig 
besorgen  das  Geschäft,  der  wissenschaftlichen  Untersuchungen 
noch  immer  wir  Männer. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  10.  .1  a  n  u  a  r  1 907. 

PMlix  K  anders:  Zur  Kenntnis  deJ‘  Beziehungen 
zwischen  B 1  u  t  ge  r  i  mn  u  n  g  und  Leber,  l'ortr.  teilt  einen 
fall  von  Cholelithiasis  mit,  der  vor  2^.4  Jahren  inkomplett  operiert 
wurde  (Gallenfistcl)  und  sich  durch  eine  l)eim  Husten  akc[uirierte 
Zerreißung  eines  kleinsten  Muskelgefäßchens  innerhalh  zehn 
Pagen  in  die  Bamdidecken,  sowie  in  (*in  mannskopfgroßes,  retro- 
l)eritoneal  gelegenes  Hämatom  langsam  verblutfü  hat.  Da  bei  der 
S(!ktion  nirgends  Aneurysmabildung  an  den  größeren  Gefäßen, 
noch  beträchtliches  Atherom  der  Gefäße  gefunden  wurde,  war  man 
darauf  angewiesen,  die  Blutungsciuelle  dort  zu  suchen,  wo  in 
Form  eines  blauen  Fleckes  in  der  Rückenhaul  über  der  rechten 
Nierengegend  die  anfängliche  Blutung  vermulcM  werden  mußte.  Die 
Blutung  fand  von  außen  nach  innen  zu  sl:itt  und  nach  <lrei 
Tagen  konnte  man  unterhalh  des  Leheri'andes  einen  in  diesei’ 
Zeit  entstandenen  Tumor  (Hämatom)  tasUm.  Der  Umstand,  daß 
bei  der  Sektion  (P^riv.-Doz.  Sto(M'k)  das  blutende  Gefäßeben  nicht 
direkt  nachg(‘wiesen  werden  konnte,  läßt  vcunuiten,  daß  das¬ 
selbe  sehr  klein  gewesen  sein  muß.  Es  müssmi  dahei'  besondere 
V(‘rbältnissi‘  mitgespielt  babmi,  die  es  ähnlich  wie  bei  der  Hämo- 
t»hilie  herbeig('füitrl  habem,  daß  aus  kleinster  Blutuugscpu'lle  eine 


tödliche  Blutung  erfolgen  konnte.  K  anders  glaubt  nun,  daß 
es  die  S  c  hw  er  g  e  r  i  n  n  b  a  r  k  e  i  t  des  Blutes  war,  dir*  diesem 
Folgezustande  Vorschub  leistete  und  meint  weiter,  daß  dies(‘ 
Schwergeiinnbarkeit  bedingt  war  durch  eine  schwere  Schädi¬ 
gung  der  Lebei'.  Dieses  Raisonnemont  findet  seine  Stütze 
in  der  Erfaluimg  der  internen  Klinik,  die  bei  akutei'  g(dber  Lcber- 
atropbie,  bei  Phos])horvei'giftung,  kurz  bei  schweren  Lebererkrau- 
kungen  von  Neigung  zu  Blutungen  si)ri(dit,  und  anderseits  in  dei- 
vom  Vortragenden  eingehend  berücksichtigten  Literatur  vorwiegend 
französischer  Physiologen,  die  Avirklich  experinnmtell  nachge- 
wiesen  haben,  daß  die  Leber  das  Fibrinogen  sezernierejide  Organ 
sei  und  daß  demnach  hei  srdnverer  Lebererkrankung  odiu'  Leber¬ 
schädigung  das  Fibrinogen  im  Blute  fehle  und  das  Rlut  seine 
( J  erinnungsf  ähi  gkeit  ein  büße. 

H.  Teleky  frägt,  Avarum  die  Operation  nicht  zu  Ihuh' 
geführt  Avurde  und  die  Gallensteine  entfernt  Avurden. 

Felix  Kaudei  s  antAvortet,  daß  dies  Avegen  der  morschen 
Beschaffenheit  de]'  GallcuAvege  nicht  möglich  Avar. 

Jul.  Schnitzler  bestätigt,  daß  in  vorgeschrittenen  Fällen 
von  Cholelithiasis,  namentlich  in  solchen,  Avelche  spät  zur 
Operation  gelangen,  es  manchmal  nicht  möglich  ist,  die  bc'ib- 
sichtigte  Operation  zu  Ende  zu  führen.  Kehr  gild  an,  daß  in 
lüCo  der  Fälle  Nachoperationen  bei  Gallensteinoperationeu  not- 
Avendig  Averden.  Bisher  hat  man  sich  nur  von  den  gefährlichen 
Rlutungen  bei  Ikterischen  gefüichtet,  nun  zeigt  es  sieb,  daß  aueb 
solche  Kranke,  bei  Avclchen  die  Galle  nach  außen  abfließt,  zu 
Blutungen  neigen.  Schnitzler  hat  hei  einem  l’atienten  jiiit 
Gallenfistel  eine  schwere  parenchymatöse  Blutung  auftreten  sehen. 
Die  Beobachtung  des  Vortragenden  lehrt,  daßi  man,  Avenn  eine 
radikale  Gallensteinoj)eration  im  Anfang  nicht  möglich  ist,  die¬ 
selbe  möglichst  bald  nachtragen  soll. 

L.  Plofbauer:  Ueber  Orthopnoe.  Die  Eigentümlicli- 
keit,  daß  Patienten  mit  schAveren  Erkrankungen  der  Zirkulatious- 
oder  Respirationsorgane  nur  im  Sitzen  ,, genug  Luft  haben“,  im 
Liegen  aber  von  scliAverer  Kurzatmigkeit  geplagt  Averden,  erklärt 
man  damit,  daß  im  Sitzen  und  Stehen  der  Thorax  vom  Körper- 
gcAvicht  mehr  entlastet  und  das  ZAverchfell  vom  Drucke  der  Bauch- 
eingeAveide  befreit  sei,  so  daß  die  respiratorische  Tätigkeit  des 
Brustkastens  und  des  Diaphragmas  sich  ausgiebiger  gestaltet. 
Gegen  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  spricht  deF  Umstand,  daß 
viele  Patienten  nur  nachts  orthopnoisch  sind,  trotzdem  doch 
Tag  und  Nacht  dieselben  mechanischen  Verhältnisse  bestellen 
bleiben.  Fernerhin  zeigten  die  Untersuchungen  des  V^ortragenden, 
daß  im  Gegensatz  zu  dieser  herrschenden  Lehre  die  respiratori¬ 
schen  ZwerchfellbeAvegungen  im  Liegen  viel  ausgiebiger  sind  als 
im  Sitzen  und  Stehen.  Hiebei  zeigt  sich  auch,  daß  die  ZAverch- 
fellkuppel  im  Stehen  und  Sitzen  um  vieles  tiefer  rückt  als  im 
Liegen;  es  Averden  daher  in  letzterer  Körperstellung  die  Lungen 
viel  Aveniger  ausgespannt  als  im  Sitzen  und  Stehen,  die  elasti¬ 
schen  Kräfte  derselben,  die  noi'inaliter  hauptsächlich  die  Exspii'a- 
lion  besoi'gen,  Averden  viel  Aveniger  stark  in  Aktion  gesetzt.  Diese 
Exspirationski'äfte  aber  sind  bei  den  pleuralen  Erkrankungen,  Avie 
des  Vortragenden  frühere  Untersuchungen  ei'Aviesen,  stark  ge¬ 
schädigt  und  diese  Schädigung  veranlaßt  die  Atemnot  der  Pa¬ 
tienten.  Daher  vermeiden  dic'  Patienten  die  Aveitere  Schädigung 
der  elastischen  Kräfte  der  Lunge,  Avelche  im  Liegen  eintritt  und 
Avählen  die  aufrechte  Körperlage,  in  A\mlcher  dieselben  die  denk¬ 
bar  gi'ößte  Intensität  erreichen,  die  Exspiration  daher  möglichsl 
frei  Avird.  Am  Tage  können  hier  auxiliäre,  exspiratorische  Muskel¬ 
kräfte  eintreten.  daher  ist  am  Tage  die  Atmung  leichter  möglich. 
Tni  Schlafe  jedoch,  avo  die  Aktion  der  exspiratorischen  Avillküi- 
lichen  Muskulatur  Avegfällt,  nmß  der  Patient  selbst  dann  im  Bette 
aufrecht  sitzen,  wenn  am  J'age  noch  die  Korrektur  durch  die 
exspiratorische]!  Hilfsmuskehi  genügt. 


Wiener  Dermatologische  Gesellschaft. 

S  i  t  z  u  n  g  A"  o  m  21.  N  o  v  e  ]i]  h  e  r  1 90(1. 

Vorsitzender:  Riehl. 

Schriftfülnau' :  R  r  a  n  d  av  e  i  n  e  r. 

Stoerk  demonstriert  ;i]i  Präpa]’aten  des  i]i  der  letzten 
Sitzung  vo]i  Riehl  vorgestellte]]  PMlles  vo]i  Xanthoma 
li]l)erosum  das  Phäno]ue]i  iler  Doppidbrechung  an  den  Tropfen 
der  fettäh]iliche]]  Substaiiz.  Stoerk  hat  sei]ierzeit  in  seiner 
Veröffentlichung  ,,üh<‘r  Protagon“  und  ,,übe]'  die  große  Aveiße 
Niere“  U  auf  das  lu'zügliche  Vei'h;ilt(m  der  Xiuitliome  hingewiese]). 


*)  Sitzungsbericht  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
math.  natiirAv.  Klasse,  Rd.  IIB,  Abteil.  HI,  Februar  1906. 


130 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


Betreffs  der  Substanz,  welche  sich,  trotz  einer  Anzahl 
ähnlicher  färherischer  Reaktionen,  durch  charakteristische  diffe¬ 
rentielle  JMerkmale,  insbesondere  auch  durch  das  Verhalten  iin 
polarisierten  Licht,  vom  Fett  unterecheidet,  darf  nunmehr  als 
feststehend  ausgesagt  werden,  dah  sie  einerseits  als  physiologisches 
Sekretions})ro(lukt  in  der  Nehennierenrinde,  anderseits  als  patho¬ 
logisches  Produkt,  vermutlich  des  Protoplasmaabhaues,  sowohl  in 
epithelialen  Bildungen,  wie  auch  in  solchen  mit  Herkunft  vom 
Zwischengewehe  auftritt.  Speziell  für  die  Niere  konnte  der  Nach¬ 
weis  erbracht  werden  (Panzer),  daß  sich  die  unter  pathologi¬ 
schen  Umständen  gebildete  dopi)elbrechende  Substanz  im  chemi¬ 
schen  Sinne  wesentlich  von  derjenigen  der  physiologischen  Nehen¬ 
nierenrinde  unterscheidet,  indem  letztere,  in  Uebereinstimmung 
mit  dem  Protagon  des  Zentralnervensystemes  P-  und  N-hallig 
ist,  die  Substanz  der  Niere  sich  jedoch  als  Cholesterinestcr  mit 
Fettsäuren  erweist.  Wenn  auch  mangels  genügender  Quantitäten 
die  doppeltbrechende,  fettähnliche  Substanz  der  Xanthome  bisher 
der  chemischen  Untersuchung  nicht  zugeführt  werden  konnte, 
so  sprechen  doch  ihre  mikroskopischen  Merkmale  mit  Wahrschein¬ 
lichkeit  dafür,  daß  sie  nicht  der  Gruppe  der  Protagone  des  Zentral- 
nervensyslemes  und  der  Nebennierenrinde,  sondern  vielmehr  der 
P-  und  N-freien  Gruppe  einzureihen  wäre,  demnach  auf  die  Be¬ 
zeichnung  ,, Protagon“  keinen  Anspruch  liätte. 

Feiner  stellt  aus  dem  Karolinen- Kinderspitale  ein  zwei 
j\lonate  altes  Kind  mit  einer  ausgebreiteten  Vitiligo  vor. 

Von  dieser  in  diesem  Alter  äußerst  seltenen  Pigmentanomalie 
sind  besonders  die  Genital-  und  Kreuzbeingegend,  sowie  die  Innen¬ 
seite  beider  Oberschenkel  auf  große  , Strecken  hin  betroffen.  Am 
Rücken  und  Abdomen  sind  kleine,  kreisrunde  Vitiligoflecke  zu 
sehen,  die  von  einer  deutlich  hyperpigmentierten  Zone  begrenzt 
sind.  Das  Kind  litt  bis  vor  kurzem  an  einem  Ekzem  der  Gesä߬ 
gegend  und  der  unteren  Extremitäten.  Nach  x4ngabe  der  IMutter 
sollen  die  weißen  Flecke  erst  nach  dem  Abheilen  des  Ekzetns 
aufgetreten  sein.  Ob  diese  Beziehung  zwischen  Vitiligo  und  Ekzem 
tatsächlich  voihanden  ist,  möchte  ich  dahingestellt  sein  lassen. 

Diskussion:  Riehl  fragt,  ob  vielleicht  Lues  voraus¬ 
gegangen  ist. 

Feiner:  Die  Familie  ist  mir  seit  Jahren  bekannt  und 
fehlt  jeder  Anhaltspunkt  zur  Annahme  einer  luetischen  Vorer¬ 
krankung. 

Ullmann  stellt  vor:  1.  Einen  seit  einem  Jahre  mit  zahl¬ 
reichen,  etwa  30  Lupusknötchen  behafteten  24jährigen  Markör, 
der  im  Röntgenlahoratorium  des  Allgemeinen  Krankenhauses  mit 
Radium  und  Röntgen  behandelt  worden  ist.  Auf  jeder  Lupus¬ 
stelle  wurde  128  ^Minuten  lang  die  Radiumeinwirkung  einer  Menge 
von  5  mg  verteilt  auf  1  enU  zugelassen,  die  Zwischenpartien 
einmaliger  Röntgenbestrahlung  aus  weicher  Röhre  exp.oniert. 
Der  Erfolg  ist  nicht  nur  kosmetisch  ein  idealer,  von  der  etwas 
braunen  Pipnentation  abgesehen,  sondern  auch  ein  anscheinend 
sehr  giäindlicher ;  denn  es  sind  in  wenigen  IMonaten  alle  Knötclien 
verschwunden,  ohne  daß  stärkere  Reaktion,  geschweige  Ulzeration 
eingetreten  wäre  (Demonstration  einer  Photographie  mit  Ansicht 
vor  der  Behandlung  des  Patienten). 

2.  Eine  46jähr.  Pat.  mit  einem  ausgehreileten  Lupus  erythema¬ 
todes  des  Gesichtes  und  der  Kopfhaut.  Ullmann  hat  sie  viele 
Jahre  nicht  gesehen,  da  sie  aufs  Land  gezogen  ist,  um  doil  ihren 
Spitzenkatarrh  mit  Bronchiektasien  zu  bessern.  Dies  ist  auch 
der  Pall  gewesen.  Die  PMtientin  ist  wesentlich  stärker  geworden. 
Im  S])utum  finden  sich  derzeit  keine  elastischen  P^asern  und 
keine  Bazillen,  auch  der  Lupus  erythematodes  hat  im  Bereiche  des 
einmal  ergriffenen  Areals  wesentlich  an  Intensität  ahgenommen. 

Ueher  die  Natur  der  Affektion  als  Lupus  erythema¬ 
todes  ist  kein  Zweifel,  wie  schon  die  großen,  ausgehreiteten 
Atrophien  an  der  Kopfhaut  und  an  den  Ohren  dartun.  Hingegen 
spräche  ein  etwa  kreuzergroßer,  derber,  dunkelroter,  heetartig 
])rominenler  Placpie  in  der  Mitte  des  Gaumens,  der  vor  fünf 
Jahren  noch  bestand  und  nun  ohne  Narben  und  ohne  jede  De¬ 
pression  spurlos  zur  Resorption  gelangte,  eher  für  I.,upais  der 
Mukosa. 

Iditer  bisher  —  seil  1893  —  genau  beobachteten  34  Fällen 
von  Lupus  erythematodes  verfügt  Ullmann  über  28  reine  und 
sichere  Ei'ythemafodesformen,  vier  Fälle  von  Tuberkuliden  hei 
Erwachsenen  mit  Erythematodes  gemengt,  also  Fälle  von  Lupus 
ei'ylhemalodes  disseminatus  Boeck.  Letztere  vier  sind,  sämtlich  mit 
Zfdehen  von  latenter,  bazillärer  Tuberkulose  behaftet.  Von  den 
ei'steren  28  Fällen  von  reinem  Lupus  erythematodes  sind  23  ehen- 
falls  mit  irgendwelchen  Zeichen  als  tuberkulöse  Ijidividuen  quali¬ 
fiziert,  indem  sie  entweder  Spitzenveränderungen  der  Lungen, 
oder  Empyeme,  hzw.  Narben  nach  solchen  Prozessen,  Otitis 


media,  skrofulöse  Hornhautnarben  oder  Älastdannfistel,  oder 
auch  Lirpus  vulgaris  selbst,  aufwiesen.  In  einigen  Fällen  war  die 
tuberkulöse  Natur  der  Individuen  allerdings  nur  anamnestisch, 
in  wieder  anderen  durch  die  Tuberkulinreaktion  gesichert. 

Wenn  auch  das  Material  klein  ist,  so  entspricht 
doch  die  Koinzidenz  von  Zeichen  bazillärer  Tuberkulose  mit 
I,iUi)us  erythematodes  in  etwa  SQo/o,  so  daßi  es  also  heute  nach 
meiner  Auffassung  und  Ueberzeugung  nicht  mehr  gut  angeht, 
diese  Koinzidenz  lediglich  auf  ein  zufälliges  Zusammentreffen 
etwa  bedingt  durch  Häufigkeit  der  Tuberkulose  überhaupt,  zurück¬ 
zuführen,  sondern  daß  wir  uns  unbedingt  der  alten  französischen 
Ansicht,  die  schon  durch  die  Bezeichnung  Cazenaves  treffend 
ausgedrückt  ist,  anschließen  müssen.  Ja,  es  erschiene  mir  der¬ 
zeit  fast  mehr  nötig,  nach  einer  Erklärung  für  solche  P'ällc  von 
Lupus  erythematodes  -  Affektionen  zu  suchen,  die  ohne  Vorhanden¬ 
sein  bazillärer  Prozesse  zustandegekommen  sind,  etwa  wie  die 
Seborrhoea  congestiva  F.  v.  Heb  ras.  Vielleicht  ist  diese  IMinder- 
zahl  der  Pdille  wirklich  etwas  anderes,  dem  Lupus  erythematodes 
nur  ähnliclies.  Vielleicht  aber  wird  auch  in  diesen  P''ällen  die 
latente  Tuberkulose  wegen  Geringfügigkeit  der  anatomischen  Herde, 
wegen  ihres  versteckten  Sitzes  in  Knochen,  Bronchialdrüsen 
einfach  —  selbst  auch  bei  der  Sektion  —  übersehen.  Sicher 
ist,  daß  ein  häufigeres  Nebeneinandervorkommen  von  I.jupus  vul¬ 
garis  und  erythematodes  und  ein  häufigerer  Uebergang  beider 
lü'ozesse  in  loco  zu  finden  ist,  als  angenommen  wird. 

Diskussion:  Jungmann  kennt  die  Patientin.  Sie  wurde 
nach  Holländer  mit  Tinctura  jodi  und  Chinin  behandelt  und 
wesentlich  gebessert.  Das  madit  die  Diagnose  zweifellos. 

Spie  gier:  Die  Diagnose  zwischen  Lupus  vulgaris  und 
Lupus  erythematodes  ist  manchmal  .sehr  schwierig.  Er  (udnnert 
an  die  Bezeichnung  Lupus  syphiliticus.  Es  gibt  aber  nur  Syphilis 
oder  Lupus.  Der  Zusammenhang  des  Lupus  erythematodes  mit 
Tuberkulose  ist  durchaus  nicht  erwiesen,  wie  dies  hei  jenen 
Fällen,  die  zu  Exitus  letalis  geführt  haben,  feststeht  und  ans 
der  Zusammenstellung  von  I^rof.  Riehl  hervorgeht.  Die  Misch- 
fonn  ist  mit  großer  Reserve  zu  betrachten.  Es  wird  in  jedem 
Fall  zu  entscheiden  sein,  ob  Lupus  erythematodes  oder  Impus 
vulgaris  besteht. 

Riehl  hat  seinerzeit  die  Fälle  von  Hehra,  die  von 
Rokitansky  obduziert  wurden,  zusammengestellt.  Er  fand 
elf  Fälle,  darunter  sieben  ohne  irgendein  Zeichen  von 
Tuberkulose.  Vor  zwei  Jahren  starb  ein  Mädchen  mit  Lupus 
erythematodes  an  einer  interkurrenten  Krankheit;  sämtliche  Organe 
wurden  genau  untersucht,  doch  keine  Tuberkulose  gefunden.  Es  ist 
richtig,  daß  die  Kombination  oft  vorkommt.  Aber  die  Tüherkulo- 
toxintheorie  ist  nicht  haltbar.  Die  eigentliche  Ursache  des  Lupus 
erythematodes  kennen  wir  nicht.  Es  gibt  Grenzfälle.  Was  die 
jetzt  hier  bestehende  Schleimhautaffektion  betrifft,  so  ist  sie 
eine  ganz  andersartige  (Gingivitis  ulcerosa). 

Ullmann:  AVas  die  Veränderungen  des  Zahnfleisches  der 
Patientin  betrifft,  so  halte  auch  ich  sie  nicht  für  tuberkulöse. 
Wichtig  war  inir  nu)'  die  Erwähnung  der  Affektion  am  Gaumen, 
die  ich  seinerzeit  für  eine  vulgär -lupöse  halten  mußte.  Was 
die  von  Prof.  Riehl  angeführten  Fälle  hei  Sektionen  l)etrifft, 
so  ist  selbstverständlich,  daß  wir  an  deren  Richtigkeit  vorläufig 
vollständig  festhalten,  nur  ergäbe  sich  die  Frage  an  die  patho¬ 
logischen  Anatomen,  ob  nach  unseren  heutigen  Kenntnissen  auch 
bei  von  kundiger  Hand  durchgeführter  Sektion,  wenn  nicht  alle 
Knochen,  Drüsen  (Bronchialdrüsen),  untersucht  wurden,  nicht  doch 
häufig  ein  kleiner  latenter  Herd  bazillärer  Tuberkulose  übersehen 
werden  kann,  der  aber  schon  genügte,  um  das  Lupuserythem 
hervorzurufen.  Zumal  aber  gilt  dies  für  Sektionshefunde,  welche 
retrospektiv  aus  allen  Zeiten  herangezogen  werden,  in  denen 
die  Anschauungen  über  die  Stellung  der  Diagnose  von  Tuberkulose 
an  der  Leiche  ebenso,  wie  über  die  Heilbarkeit  derselben,  denn 
doch  etwas  andere  waren,  als  sie  gegenwärtig  sind. 

Neck  er  demonstriert  einen  Fall  von  Geschwürsbildungcn 
auf  endarteriitischei-  Grundlage.  Der  29jährige  Patient  suchte  das 
Ambulatorium  der  Abteilung  Zuckerkandl  wegen  eines  heller¬ 
großen,  stark  schmerzenden,  kraterförmig  vertieften,  seit  elf 
Wochen  bestehenden  Geschwüres  an  der  Streckseite  der  fünften 
Zehe  des  linken  Fußes  auf. 

Die  Anamnese  ergab,  daß  I’at.  vor  vier  Jahren  an  ober¬ 
flächlichen  Ulzerationen  am  Daumennagel  des  rechten,  später 
des  linken  Fußes  litt,  die  viele  Monate  zur  Verheilung  brauchten, 
Kältegefühl  in  den  Füßen  besteht  auch  hei  keineswegs  abnorm 
niederen  Temperaturen  schon  lange.  Ebenso  sei  ihm  aufgefallen, 
daß  oft  einige  Finger  kalt  und  wachsbleich  wurden,  sich  wie 
tot  anfühlten  und  erst  nach  einiger  Zeit  normale  Farbe  annahmen. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Iiii  August  dieses  Jahres  versi)ürt  I’al.  ganz  plölzlicli  wälirend 
eines  Geschäftsganges  intensive  Schmerzen  in  der  linken  Wade, 
er  muß  längere  Zeit  stehen  hleil)en,  bevor  er  wieder  einige  Schritte 
gehen  kann.  Bald  darauf  traten  die  heftigen  Schmerzen  wieder 
auf,  so  daß  sein  Gang  oft  plötzlich  hinkend  wurde. 

Nach  drei  Wochen  ließen  diese  Beschwerden  nach  und  es 
kam  zur  Bildung  des  beschriebenen  kraterförmigen  Ulkus  an 
der  kleinen  Zehe. 

i\lit  besonderer  Deutlichkeit  läßt  sich  an  diesem  Pa¬ 
tienten  das  Phänomen  demonstrieren,  welches  Moskowicz 
zur  Funktionsprüfung  der  Arterien  angab.  Wird  am  kranken 
linken  Bein  eine  durch  zwei  Minuten  am  Oberschenkel  angelegte 
Esmarch  sehe  Dinde  gelöst,  so  sehen  wir,  wie  sich  die  ein¬ 
tretende  Hyperämie  scharf  in  der  Mitte  des  Unterschenkels  be¬ 
grenzt,  ganz  langsam  gegen  die  Peripherie  vorrückf,  während 
die  Zehen  und  der  Vorfuß  noch  lange  schneeweiß,  blutleer  bleiben. 
Puls  der  Arteria  dorsalis  pedis  links  mäßig  deutlich,  rechts 
deutlich  fühlbar. 

Der  Fall  ist  auch  deswegen  besonders  interessant,  weil 
er  in  klassischer  Weise  einen  von  Erb  vermuteten,  bisher  aber 
noch  nicht  beobachteten  Uebergang  Raynaud  scher  Symptome 
(symmetrische,  intermittierende,  vasomotorische  Phänomene)  in 
die  Dyshasia  angiosclerotica  darbietet. 

Spie  gl  er  demonstriert  zwei  Fälle  von  Lupus  erythe¬ 
matosus  und  einen  P  e  m  p  h  i  g  u  s  foliaceus. 

Riehl:  Die  Bezeichnung  ,, foliaceus“  entspricht  für  den 
demonstrierten  Fall  in  seinem  dermaligen  Zustande  nicht  dem, 
was  Hehra  so  genannt  hat,  weil  wir  ja  jetzt  fast  alle  Stellen 
mit  normaler  Epidermis  bedeckt  sehen. 

Man  sieht  übrigens  jetzt  selten  einen  Fall,  der  als  typischer 
Pemphigus  vulgaris  chronicus  verläuft.  Die  früher  als  x\usnahmen 
bezeichneten  Variationen  sind  weit  häufiger  geworden.  Wir  sehen 
hier  seit  Jahren  mehr  atypische  Fälle  als  dem  gewöhnlichen 
Typus  entsprechende.  Möglicherweise  hat  auch  hier  eine  Ver¬ 
änderung  im  Typus  der  Krankheit  stattgefunden. 

Kren  demonstriert  aus  der  Klinik  Riehl: 

1.  eine  57jährige  Frau,  die  seit  sieben  Jahren  an  einer 
ziemlich  scharf  umschriebenen  Rötung  der  Nase  und  der  an¬ 
grenzenden  Wangenpartien  leidet.  Die  Haut  ist  daselbst  ein  wenig 
verdickt  und  zeigt  an  der  Nasenspitze  einige  deprimierte 
Narben.  Drückt  man  an  den  betreffenden  Stellen  die  Hyperämie 
weg,  so  resultiert  eine  leichte  Gelbfärbung,  die  einem  diffusen 
Infiltrat  entspricht.  Der  rhinologische  Befund  ergibt  Granulationen 
und  Geschwüre,  von  denen  eines  zur  Perforation  des  knorpeligen 
Septums  geführt  hat.  Die  histologische  Untersuchung  ergab  tuber¬ 
kulöse  Infiltration  mit  reichlichen  Epitheloidzellen  und  eine  diffuse, 
chronische  Dermatitis,  so  daß  der  Prozeß  für  eine  Hauttuberkulose 
mit  sekundären  Dermatitiden  kompliziert  gehalten  werden  muß. 
Das  klinische  Bild  erinnert  durch  die  diffuse  Ausbreitung  an  den 
Lupus  pernio,  obwohl  die  zyanotische  Färbung  fehlt. 

2.  Eine  22jährige  Patientin  mit  ausgedehnter  diffuser 
Sklerodermie,  die  im  Winter  1904  an  den  Fingern  be¬ 
gann.  Befallen  sind  jetzt  die  oberen  und  unteren  Ex- 
Iremitäten,  sowie  in  diffuser  Weise  das  Gesicht,  das  maskenähn¬ 
liches  Aussehen  hat.  Auffallend  ist  wieder  das  Befallensein  des 
Zungenbändchens,  das  verkürzt  und  blendend  weiß  ist,  wie  zu 
zu  einer  Sehne  umgewandelt.  Der  Effekt  dieser  Lokalisation  ist, 
daß  die  Patientin  die  Zunge  kaum  bis  über  die  Zahnreihen  her¬ 
vorstrecken  kann  und  das  ,,R“  schnarrend  mit  dem  Beiklang  eines 
,,Sch“  ausspricht,  was  dadurch  zustande  kommt,  daß  die  Pa- 
lientin  die  Zunge  nicht  an  den  Gaumen  bringen  kann. 

3.  Einen  siebenjährigen  Knaben  mit  einem  Ulzerationsprozeßi 
in  der  linken  Genitofemoralfalte  und  ad  anum  zur  Diagnose. 

Riehl  demonstriert:  1.  Einen  Fall  eines  Quinckeschen 
0  e  d  e  m  s.  i 

2.  Bespricht  Riehl  die  als  Trichonodosis  in  jüngster  Zeit 
öfters  erwähnte  „Krankheit“  die  keiner  Krankheit  entspricht,  son¬ 
dern  als  rein  mechanische  Bildung  von  Knoten  und  Pseudoknoten 
an  Haaren  aufzufassen  ist,  deren  Cuticula,  resp.  Rinde  durch 
äußere  Einflüsse  geschädigt  worden  ist.  (Siehe  Protokoll  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  vom  30.  November  1906; 
eine  ausführliche  Mitteilung  erscheint  in  dieser  Wochenschrift.) 


Wiener  laryngologische  Gesellschait. 

Sitzung  vom  Dezernher  1906. 

Vorsitzender:  Prof.  Chiari. 

Schriftführer:  Dr.  Kahler. 

Als  Gäste  anwesend:  Dr.  Bloch,  Dr.  Geyer,  Dr.  Lvnch 
Dr.  Tschi'rkoff. 

Prof.  Chiari  stellt  einen  55jährigen  Patienten  vor,  hei  dem 
am  14.  November  wegen  Karzinom  die  Totalexstirpalion  des  Larynx 
nach  Gluck,  iiider  Vornähung  der  Trachea  ausgeführt  wurdex 
Es  mußte  auch  ein  Teil  des  Oesophagus  (6  cm)  und  drei  Tracheal- 
ringe  mitreseziert  werden. 

Priv.-Doz.  Dr.  Fein  stellt  eine  45jährige  Frau  vor,  welcluj 
eine  linksseilige,  anscheinend  angeborene  Choanala’tresie  hat. 
Die  fjontal  stehende  Wand  ist  knöchern  und  nunmehr  auch 
von  vorne  gut  sichtbar,  nachdem  eine  die  Nase  fast  vollständig 
verlegende  Crista  septi  abgetragen  wurde.  Sie  wird  unter  Leitung 
des  Auges  mit  der  elektrisch  betriebenen  Trephiue  rlurchbohrt 
werden,  da  die  Kranke  durch  die  Undurchgängigkeit  der  Nase 
und  die  stattfindende  Schleimansammlung  sehr  belästigt  wird. 
Der  harte  Gaumen  ist  zwar  steil  und  hoch,  jedoch  symmetrisch 
geformt. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  Roth  weist  auf  den  auf¬ 
fallend  hohen  Gaumen  hin,  der  wiederum  die  Körner- Waldo w- 
sche  Theorie  bestätigt,  zumal  da  der  Gaumen  auf  der  erkrankten 
Seite  deutlich  höher  ist. 

Dr.  Hanszel  erinnert  an  einen  von  ihm  seinerzeit  hier 
vorgestellten  Fall  von  angehorener  Choanalatresie,  wobei  nach 
Messungen  von  Hofra  t  Z  u  c  k  e  r  k  a  n  d  1  Chamäprosopie  und  ein 
niederer,  breiter  Gaumen  bestand. 

Dr.  Kahler  erwähnt,  daß  er  fünf  Fälle  von  Choanalatre- 
sien  sah,  bei  denen  trotz  Chamäprosopie  ein  hoher  Gaumen  zu 
finden  war.  Stets  war  die  Gaumenhälfte  der  erkrankten  Seite 
höher. 

Priv.-Doz.  Dr.  Fein  (Schlußwort):  Ich  wollte  mich  mit 
der’  Erwähnung  der  symmetrischen  Beschaffenheit  des  Kiefers 
durchaus  nicht  gegen  die  .in  Rede  sitehende  Theorie,  deren  An¬ 
hänger  ich  vielmehr  bin,  aussprechen,  sondern  nur  feststellen, 
daß  in  diesem  vorgestellten  Falle  beide  Kieferhälften  gleichmäßig 
entwickelt  sind.  Ich  habe  die  Ueberzeugung,  daß  keiner  der 
Herren  aus  dem  Anblick  des  harten  Gaumens  allein  hätte  auf 
diejenige  Seite  schließen  können,  welche  der  Artresie  entspricht. 

Dr.  JMarschik  stellt  zwei  Fälle  von  Kehlkopfver¬ 
letzung  vor. 

1.  34jähr.  Kutscher  erlitt  vor  zehn  Tagen  einen  Huf¬ 
schlag  gegen  die  rechte  Halsseite.  Bald  darauf  trat  Anschwellung 
derselben  und  Hämoptoe  (zirka  ein  Viertelliter)  auf.  Die  inten¬ 
siven  Schmerzen  und  der  blutige  Auswurf  dauerten  noch  vier 
Tage  an.  Jetzt  ist  auch  die  Anschwellung  ziemlich  zurückgegaugen. 
Dagegen  trat  Fieber  auf,  welches  auf  kalte  Umschläge  nicht  zurück¬ 
ging,  weshalb  er  auf  die  laryngologische  Klinik  aufgenommeii 
wurde. 

Die  wichtigsten  Merkmale  des  objektiven  Befundes  sind : 
Fieber  (bis  39°),  Bronchitis  mit  lobulänDiieumonischen  Herden 
rechts,  Verstrichensein  der  Konturen  der  rechten  Halsseite  bei 
dem  sehr  mageren  Menschen,  in  der  Schildknori)elgegend  inten¬ 
sive  Druckschmerzhaftigkeit  und  Krepitieren.  Schleimig¬ 
eitriger  Auswurf,  Stimme  sehr  heiser.  Sprechen  bereitet  Schmerzen, 
ebenso  Schlucken.  Laryngoskop! sch  Fixation  der  rechten 
Kehlkopfhälfte,  Schwellung  beider  Aryknorpel,  Suffusion  der  Inter- 
arytärioidalfalte  und  des  linken  Aryknorpels.  Rechtes  Stimmband 
nicht  sichtbar,  vom  geschwollenen  Taschenband  überdeckt,  man 
hat  den  Eindruck  einer  Höhlung  an  der  Stelle  der  rechten  Stimm¬ 
lippe,  in  welche  der  eitrige  Schleim  durch  den  Exspirationsstrom 
hineingeschleudert  wird.  Diagnose:  Fractura  cartilaginisi 
thyreoideae.  Therapie:  vorläufig  abwarten,  da  keine  Stenose 
besteht. 

2.  16jähriges  Dienstmädchen  geriet  am  15.  Oktober 
dieses  Jahres  zwischen  die  Bodenkanten  zweier  sich  begegnender 
Gemüsewagen,  wodurch  ihr  Hals  gequetscht  und  zugleich  torquiert 
wurde.  Danach  kurze  Zeit  Bewußtlosigkeit.  In  der  rechten  Sub- 
maxillargegend  war  eine  8  cm  lauge,  klaffende  Rißquetschwunde 
entstanden.  Dieselbe  wurde  vom  herbeigeholten  Arzt  genäht.  Die 
Erscheinungen  unmittelbar  nach  dem  Unfall  waren :  keine  An¬ 
zeichen  von  Dyspnoe,  aber  Stimmverlust  und  heftige  Schmerzen 
im  Kehlkopf,  die  beim  Schlucken  Zunahmen,  Blutung  aus  Mund- 
und  Nase.  Noch  im  Laufe  des  Tages  der  Verletzung  trat  zu¬ 
nehmende  Dyspnoe  auf,  weshalb  sie  von  dem  Arzt  auf  die 
Klinik  v.  Eiseisberg  gebracht  wurde.  Dort  konstatierte  Vor¬ 
tragender  Oedem  des  Larynxeinganges  und  Einbruch  der  rechten 
Kehlkopfhülfte  in  die  linke,  mit  Verdrehung  des  Kehlkopfs.  Lumen 


WIENER  KIRN  ISCHE  WUGHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  4 


verscliwundeii,  aus  einem  schmalen  Spall  wird  eitriger  Schleim 
expektoriert.  Es  war  sol'orligo  Tracheotomie  nötig.  Hei  der  Fnn- 
legung  dei'  Ti’achea  hörte  man  jilötzlich  imft  aus  der  Tiefe  der 
Wunde  zischen.  Nach  weiterer  Hrä])aration  ergab  sicli  eine 
klaffende  Fraktur  des  S  chi  1  d  k  n  o  r  p  e  1  s  in  der  Medianlinie, 
aus  d('i'  ]’(‘ichlichei-  (utriger  Scdileim  ausgehustet  wurde.  Wegen 
der  Nähe  der  Fj'akturstelh*  am  ()rl(‘  der  Wahl  wurde  die  tiefe 
'l'iacheolomie  ausgeführt.  Hei'  Jleilungsverlauf  war  reakt ionslos. 
Hie  vor  dei'  Tracln'otomie  wiefler  geöffnete  Rißiquetschwuiule  am 
Halse  heilte  iier  granulationem  und  das  Cdottisödem  ging  soweit 
zurück,  daß  • —  nach  sechs  Tagen  —  die  Kanüle  ganz  mitfernt 
werden  konnte.  14  Tage  nach  der  Tracheotomie  konnte  A^’ortr.  ein 
laryngosk()i)isches  Hild  konstatieren,  welches  mehr  oder  weniger 
dem  jetzigen  glich.  Das  auffallendste  an  diesem  ist  nun  neben 
dem  noch  immer  ziemlich  hochgradigen  Üedem  beider  Aryknorpel 
das  Erscheinen  vmn  zwei  sonderbaren,  der  Epiglottis  dicht  an¬ 
liegenden,  mit  den  aryepiglottischen  Falten  in  Verbindung  stehen¬ 
den,  von  normaler  Schleimhaut  überkleideten  Vorsprüngen  in 
der  Höhe  des  Kehlkopfeinganges,  welche  den  Eimlruck  machen, 
als  wären  die  Taschenfalten  durch  Knorpelstücke  vorgewölbt. 
Es  fragt  sich,  wem  diese  beiden  Zapfen  angehören.  Das  Kehl¬ 
kopflumen,  welches  14  Tage  nach  dem  Unfall  wieder  vorhanden 
war,  von  zirka  Erbsengröße,  in  der  Tiefe  die  wenig  beweglichen 
Stimmbänder  erkennen  lassend,  war  nach  weiteren  zwei 
Wochen  wieder  verschwunde]i,  die  Kanüle  mußte  wieder  ein- 
geführl  und  dauernd  getragen  werden.  Derzeit  sieht  man  beim 
l^honieren  einen  schmalen  Spalt  in  der  Tiefe  und  unten,  zwischen 
den  ödematösen  Aryknorpeln  sich  Öffnen  und  die  Exspirations¬ 
luft  austreten  lassen.  Vortr.  möchte  sieb  noch  am  ehesten  dazu 
mdschließen,  diese  zwei  Vorsprünge  als  die  sub mukös  ab¬ 
gesprengten  S  a  n  t  o  r  i  n  i  sehen  und  W  r  i  s  b  e  r  g  sehen  Knorpel  an¬ 
zusprechen  u.  zw.  erstens  mit  Rücksicht  auf  ihre  Verbindung 
mit  den  aryepiglottischen  Falten,  zweitens  mit  Rüchsichl  auf 
das  Fehhm  einer  sichtbaren  Schleimhautverlelziing  sowohl  am 
Tage  des  Unfalles,  als  14  Tage  später.  Das  laryn- 
goskopische  Rild  hat  sich,  wie  gesagt,  während  vier  AVochen 
nicht  wesentlich  geändert.  Die  Patientin  wurde  daher  behufs 
Eiideitung  einer  eventuellen  Dilatationsbehandlung  auf  die  laryn- 
gologische  Klinik  Iramsferierl.  Sie  Avird  jetzt  methodisch  sondierl, 
um  sich  an  die  Manipulationen  am  Kehlkopf  zu  gewöhnen. 

Dr.  Hanszel  frägt  an,  ob  in  diesen  beiden  Fällen  Röntgen¬ 
aufnahmen  gemacht  wurden  und  ob  hiebei  die  Frakturen  an¬ 
schaulich  zur  Geltung  kommen. 

Dr.  Alarschik:  Es  wurden  Radiogramme  angeferligt.  Die¬ 
selben  (“i'gaben  aber  keinen  Anhaltspunkt  für  Fraktur.  . 

Dr.  Emil  Glas  demonstriert  zwei  anatomische  Prä¬ 
parate  tiefgreifender  gummöser  Prozesse  der  Tra- 
chi'a  und  der  Rronchien. 

Der  erste  Fall  betraf  einen  35jährigen  Patienten,  der  unter 
Erscheinungen  höchster  Atemnot  auf  die  Klinik  gebracht  wurde 
tmd  bei  welchem  schon  mittels  der  alten  Türckschen  Methode 
Gummata  im  Gebiete  der  Rifurkation  diagnostiziert  werden 
konnten.  Tags  darauf  Exitus.  Rei  der  Sektion  fand  sich  hoch- 
graflige  Stenose  an  der  Rifurkation,  durch  strahlige,  schrumpfende 
■Narben  und  Gummata  erzeugt,  so  daßi  ,,man  eben  noch  mit 
einer  dünnen  Sonde  durch  konnte“.  (Prof.  Ghon.)  Desgleichen 
wai'en  auch  in  beiilen  Hauptbronchien  Gummata  und  Narl)en  zu 
konstatieren. 

Der  zweite  Fall  betraf  jenen  Patienten,  den  Vortragender 
am  7.  Februar  a.  c.  mit  einem  interessanten  Phänomen  bei 
linksseitiger  Rekurrenslähmung  vorgestellt  hatte  (laute  Sprache 
bei  Drehung  des  Kopfes  nach  rechts,  vollkommene  Aphonie  bei 
entgegengesetzter  Drehung).  Dei  der  Sektion  fanden  sich  fief- 
greifemh',  zerfallene,  zum  Teil  zu  schrumpfenden  Narben  führende 
Gummata  in  Trachea  und  Rronchien,  wobei  große  Wandpar¬ 
tien  de  r  T  r  a  c.  h  e  a  fehlten  und  die  R  a  s  i  s  fl  er  S  u  b  s  ta  n  z- 
r  1  u  s  t  durch  p  e  r  i  I  r  a  c  h  e  a  1  e  s  R  i  n  d  e  g  e  w  e  b  e  g  e  b  i  1  d  e  t 
war  (Obduzent  Hofrat  Weichselba  um).  Das  oben  angeführte 
l’hänomen  war  damals  damit  riclitig  erklärt  worden,  daß  bei 
Hi'ehung  des  Kopfes  nach  rechts  die  linke  Hälfte  der  Cartilago 
thyieoidea  durch  Druck  der  Halsmuskulatur,  vorzüglich  der  Sterno- 
kh  ido,  abgeflacht  wurde  und  nur  auf  diese  AA'eise  eine  Anspannung 
des  grdähmten,  in  Kadaverstelhmg  stehenden  Stimmbandes  zu¬ 
stande  komme,  wodurch  das  gesunde  Stimmband  leichter  an  das 
gelähmte  herankonnte,  wie  ja  auch  bei  verschiedener  Drehung 
d('s  Koph's  zu  konstatieren  war.  Dei'  linke  Rekurrens  war 
(len  n  a  u  c  h  in  g  u  m  m  ö  s  zerfallende  Ly  in  p  h  d  r  ü  sen  a  u  f- 
ge gangen,  weshalb  dieses  Phänomen  nur  auf  mechanisclie  AA'eise 
(Muskeldruck  1  zu  erklären  war. 

Glas  führt  anschließend  hieran  an,  daß  auch  wiederholte 
Einführung  des  Rronchoskopes  in  einem  solchen  Falle  keinerlei 


therapeutischen  Erfolg  gehallt  hätte,  wohl  aber  anderseits  mit 
Rücksicht  auf  das  Fehlen  ganzer  \AAin  dpar tien  leicht 
zu  Komplikationen  (Mediastinitis)  hätte  führen  können.  Daher 
meint  er,  daß. man  feicli  die  Fälle,  bei  denen  man  zu  theraiieutischeu 
Zwecken  bronchoskopische  Rohre  einführt,  wohl  ansfdien  müsse. 

Priv.-Doz.  Hajek  imichte  doch  der  Ansicht  Raum  geben, 
daß  vorsichtige  Dilalalion  dm  Hauptbronchien  doch  ausgeführl 
werden  kann,  er  hatte  vor  kurzem  in  einem  Falle  nach  vier-  bis 
fünfmaliger  Einführung  des  Rronchoskopes  in  den  rechten  Rron- 
chus  die  darniederliegende  Atmung  der  rechten  Thoraxseite  erheb¬ 
lich  bessern  können. 

Dr.  Hanszel  hat  vor  einigen  .laliren  an  der  Klinik  bei 
einer  Patientin  mit  gummöser  Infiltration  der  Trachea  mehrmals 
bronchoskopierl  uml  jedesmal  hernach  nennenswerte  Blutungen 
beobachtet.  Es  ist  dieses  Amrfahren  in  solchen  Fällen  jedenfalls 
mit  Ahirsicht  in  Angriff  zu  nehmen. 

Dr.  Glas;  AVenn  man  bedenkt,  wie  langwierig  in  den 
meisten  Fällen  die  Dilalationsbehandlung  mittels  Schroettem'- 
scher  Bolzen  und  Hartgummiröhren  bei  tertiär  luetischen  Pi'ozessen 
des  Larynx  ist  und  wie  es  oft  monatelanger  konstanter  Behand¬ 
lung  bedarf,  um  zu  einer  sichtbaren  Besserang  zu  kommen,  er¬ 
scheint  dieser  Heilungserfolg,  wobei  das  Rohr  fünfmal  und 
jedenfalls  nur  auf  kurze  Zeit  in  dem  Bronchus  lag,  sehr 
auffallend.  Da  jedoch  auch  ,lod  gegeben  wurde,  so  wäre  immer¬ 
hin  noch  die  Frage,  Avas  auf  Rechnung  der  spezifischen  'Iherapie 
zu  setzen  Aväre.  Jedenfalls  sind  auch  mit  der  Killian  sehen 
Tracheo  -  Bronchoskopie  in  geAvissen  Fälle]i  von  tertiärer  Lues 
therapeutische  Versuche  zu  onachen,  doch  Avollte  AMrtr.  nur  be¬ 
tonen,  daß  Fälle,  Avie  der  angeführte,  unbedingt  auszuschließen 
seien,  Aveil  keinerlei  Erfolg  verbürgt,  der  Eingriff  aber  anderseits 
gefährlicli  werden  könnte. 

Dr.  Emil  Glas  demonstriert  ferner  folgende  histologische 
Präparate : 

1.  Angiofibrom  der  Zung(‘,  AA'elches  galvanokaustisch 
entfernt  Avurde.  Heilung. 

2.  Eine  mult  ilokuläre,  kongenitale  Epiglottis- 
zystc,  Avobei  an  einzelnen  Stellen  Plattene])ithel  mittels  Ueber- 
gangsepithel  in  Zylinderepithel  übergpht,  an  anderen  ohne  A^er- 
mittlung  derselben.  Dieses  Moment  Aveist  auf  die  kongenitale  Ab¬ 
stammung  der  Zyste  hin.  (A^ergleiche  Glas;  Leber  Tjarvnxzysteii. 
Archiv  für  Jvaryngologie,  Bd.  XIX.) 


Programm 

der  am 

Freitag  den  25.  Januar  1907,  7  Uhr  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Dr.  H.  H.  Meyer  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  V.  Haberer :  Zur  Frage  der  Knochenzysten. 

2.  Regimentsarzt  Dr.  Doerr :  Das  Dysentprietoxin. 

3.  Dr.  Isor  Stein ;  Demonstration  eines  Rönlgenapparates. 

Eine  Demonstration  wurde  angemeldet  von  den  Herren  Doktor 
Bartel  mit  Prof.  Hartei. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren;  Dr.  Oskar  Senieleder 
und  Dr.  L.  Hon)auer.  Bergmeister,  Paltauf. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Noordeii  Donnerstag' 
den  24.  Januar  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz;  Professor  v.  Noorden. 

Programm; 

Demonstrationsabend.  Demonstrationen  angemeldet:  Prof.  Dr.  Kretz, 
Dr.  Helly,  Dozent  Dr.  Türk,  Prof.  Dr.  Schlesinger  und  Dr.  Wiesel. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag,  den  28.  Januar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des 
Herrn  Hofrat  Prof.  Obersteiner  stattfindenden  wissenschaftlichen 

Versomnilnug. 

Prim.  Doz,  Dr.  Fabriciiis:  Zur  Diagnose  und  Differentialdiagnoso 
der  Extrauteringravidität. 

Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Programm  der  am  Montag  den  28.  Januar  1907,  0  Uhr  abends 
im  Hörsaal  der  k.  k.  Universitätsohrenklinik  stattfindenden 
wisseuschaftlicheii  Sitzung. 

1.  Demonstrationen:  Angemeldet  von  den  Herren:  Hofrat  Politzer, 
Doz.  Dr.  (t.  Alexander  und  Dr.  H.  Neumann. 

2.  Dr.  E.  Urhantschitscli ;  Zur  Behandlung  des  chronischen 
Mittelohrkatarrhs. 

Urhantschitscli.  Alexander.  Frey. 


Vtrantwortiiehar  Badaktaar:  Adalbert  Karl  Trapp.  Yarlag  tob  Wilhelm  Braamttller  in  Wiau. 

Drnok  TOB  Bruno  BartoU,  Witn,  XVlll.,  Xberoaioagasae  8 . 


rr  — .  ^ 

Die 

„Wiener  kllulsclie 
Woctaeusclirift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0-  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v,  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riehl,  Arthur  Schattenfroh,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


rr  . —  - 

Abouueii*eiit»prel» 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buohbändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  31.  Januar  1907. 


Nr.  5. 


INH 

I.  Originalartikel :  1.  Ueber  eine  bisher  unbekannte  Ursache  des 
Fiebers  nach  Milzexstirpationen.  Von  Prof.  Dr.  Ein.  von 
Herczel  in  Budapest. 

2.  Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium  des  k.  u.  k.  Militär¬ 
sanitätskomitees.  (Vorstand  Regimentsarzt  Dr.  R.  Doerr.)  Zur 
ätiologischen  Diagnose  des  Typhus  abdominalis.)  Von  Dr.  Hugo 
Ranbitschek,  k.  u.  k.  Oberarzt. 

.3.  Der  Einfluß  schwerer  Muskelarbeit  auf  Herz  und  Nieren  bei 
Ringkämpfern.  Von  Dr.  Artur  Selig  in  Franzensbad. 

4.  Die  Heilbarkeit  äußerer  Zahnfisteln  ohne  Extraktion  des  ver¬ 
anlassenden  Zahnes.  Von  Prof.  Dr.  Mayrhofer  in  Innsbruck. 

II.  Mitteilungen  ans  der  Praxis.  Zum  Kapitel  Tuberkulosenfiirsoige 
in  Oesterreich.  Von  Dr.  Artur  B  a  e  r,  Sanatorium  Wienerwald. 

III.  Referate;  Lehrbuch  der  Bakteriologie  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Untersuchungsmethoden,  Diagnostik  und 


ALT: 

Immunitätslehre.  Von  Ludwig  Heim.  Ref. :  Ghon.  —  Die 
Verwendung  von  Chemikalien  als  Heilmittel.  Von  Dr.  Paul 
Cohn.  Handbuch  der  Sauerstofftherapie.  Von  Dr.  med.  Max 
Michaelis.  Ref.:0.  Loewi.  —  Mikroskopische  Untersuchung 
des  Wassers  mit  Bezug  auf  die  in  Abwässern  und  Schmutz¬ 
wässern  vorkommenden  Mikroorganismen  und  Verunreini¬ 
gungen.  Von  Mr.  pharm.  Emanuel  Sen  ft.  Lehrbuch  der 
Intoxikationen.  Von  Dr.  Rudolf  Kohert.  Ref.;  Hoc  kauf. 
—  Anatomischer  Atlas  für  Studierende  und  Aerzte.  Von  Prof. 
A.  Dalla-Rosa  und  Hofrat  0.  Toldt.  Ref.;  R.  Kretz. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften, 
y.  Tlierapeutische  Notizen. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

VII.  y erhandlnngeu  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßherichte. 


Ueber  eine  bisher  unbekannte  Ursache  des 
Fiebers  nach  Milzexstirpationen.'') 

Von  Prof.  Dr.  Em.  v.  Herczel  in  Budapest. 

Temperatursteigenmgeii  nacli  Splenektomien  wurden 
sowohl  in  unmittelbarein  Anschluß,  an  di©  Operation,  als 
auch  im  späteren  Verlaufe,  schon  seit  langem  beobachtet. 

Solange  die  Milzexstirpation  nur  in  einzelnen  seltenen 
Fällen  ausgeführt  worden  ist,  wurden  diese  Temperatur- 
Steigerungen  kaum  einer  Erwähnung  gewürdigt,  da  dieselben 
einer  mangelhaften  Operationstechnik  oder  aber  einer  wäh¬ 
rend  der  Operation  zustande  gekommenen  Infektion  zur  Last 
gelegt  wurden. 

In  letzterer  Zeit  jedoch,  wo  die  Exstirpation  der  Milz 
so  oft  ausgeführt  wird  und  wo  sich  die  diesbezüglichen 
Beobachtungen  immer  mehr  häufen,  finden  wir  in  der  Litera¬ 
tur  immer  ausdrücklicher  die  Tatsache  hervorgehoben,  daß 
die  wahre  Ursache  dieser  Temperatursteigerungen  nach 
Milzexstirpationen  noch  nicliL  ausreichend  aufgeklärt  ist. 

Unter  anderen  hat  bereits  Jonnescu^)  nach  Milz¬ 
exstirpationen  Temperatursteigenmgeii  gesehen.  Er  ist  ge¬ 
neigt,  dieselben  Limgenkongestionen  zuzusebreiben,  doch 
konnte  die  Annahme  eines  Malariaanfalles  auch  nicht  völlig 
ausgeschlossen  werden. 

Bei  einem  Kranken  von  Ceci  trat  das  Fieber  nach 
Exstirpation  der  Milz  zugleich  mit  Schwellung  der  Schild- 

*)  Auszugsweise  vorgetragen  am  internationalen  med.  Kongreß  zu 
Lissabon,  April  1906. 

*)  Archiv  für  klin.  Chirurgie,  Bd.  55,  S.  330. 


drüse,  Hypertrophie  der  Tonsillen  und  hochgradiger  Ab¬ 
magerung  auf. 

Bond,  der  bei  einer  BOjährigen  Frau  die  Splenektomie 
ausführte,  beobachtete  im  Laufe  der  ersten  Woche  nach 
der  Operation  snbnormale  Temperatur,  dann  stieg  die  Tem¬ 
peratur,  von  Schmerzen  in  der  Lebergegend  begleitet,  bis 
38-3°  C.  Nach  Ablauf  einiger  Tage  begann  die  Temperatur 
zu  sinken,  um  zwei  Wochen  nachher  neuerdings  bis  auf 
39'4®  C  zu  steigen  und  drei  Tage  hindurch  —  von  morgend¬ 
lichen  Remissionen  abgesehen  —  auf  derselben  Höhe  zu 
verbleiben.  Aehnliche  Beobacbtimgen  hat  er  auch  bei  zw^ei 
anderen  Fällen  von  Milzexstirpation  angestellt.  Die  Tem¬ 
peratursteigerungen  waren  nicht  durch  die  Wunde  ver¬ 
ursacht,  sie  konnten  seiner  Ansicht  nach  eher  auf  die  nach 
der  Operation  stattgefiindenen  Bliitveränderimgen  ziirück- 
geführt  werden.  Doch  bleibt  er  uns  die  genaue  Be¬ 
schreibung  der  Art  und  Weise  dieses  Zusammenhanges 
schuldig.  Die  Aufklärung  desselben  sollte  weiteren  For¬ 
schungen  beibehalten  bleiben. 

Heaton  hat  bei  einem  neunjährigen  Knaben  wegen 
Milzrnptiir  ohne  äußerliche  Verletzung  erfolgreich  die  Milz 
entfernt.  Während  der  Rekonvaleszenz  —  der  Zeitpunkt  wird 
nicht  genau  angegeben  —  traten  Fieber,  Appetitlosigkeit 
lind  Leukozytose  auf,  von  {lenen  sich  der  Patient  nur  bmg- 
sam  erholte.  Desgleichen  hat  Morrison  wegen,  ohne  äußer¬ 
liche  Verletzung  stattgefmidener  Milzniptnr  die  Mil?;  eines 
16jährigen  Knaben  exstirpiert.  Die  Wunde  heilte  per  pri- 
mam,  doch  bewegte  sich  die  Temperatur  vom  dritten  bis 
zum  achten  Tage  nach  der  Operation  zwischen  37-8°  bis 
40-3”  C;  Schwellung  der  Drüsen  trat  zugleich  auf  und  am 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


i2:-r 


sieboiitcli  Tago  <‘in  scliaiiacliähnliclK'«  llaiil(“xan(lH‘n.i.  Das  ; 

veiscliwand  iiidpsseti  Ta.ü:eii,  wäh¬ 

lend  der  Krankt'  erst  nacli  fiini'  Wuclien  genas.  .\('linli(di(‘ 
lä'sclK'imingen  hat  (‘r  auch  in  zwt'i  weiteren  Fällen  heoh- 
achlel. 

Ilai’ris  und  Herzog,  Prol't'ssoi’en  der  Poliklinik  von 
Fliicago,  teilen  in  der  Deiitsclien  Zeitschrift  für  Chirurgit' 
(Jahrg.  IhOl)  zwei  ä’älh'  von  Alilzexstirpidion  mit.  Der  erste 
hezieht  sich  auf  eine  22,iährige  ID'au  mit  Anaemia  splenica,  , 
heziehungsweist'  Sph'iiomegalia  i)rimit,iva.  80  iStmnh'n  nach 
dei'  ( )[)(U'atioti  stieg  die  Teinperatur  auf  k',  das  heißt' 

l)einah('  40**  (’,  und  Itew'egte  sich  nachher  zwt'i  Wochen 
hindurch  zwischen  87-<S'*  und  88-8*’  (’.  Auf  dem  Ope’rations- 
gehit'te  zeigte  sich  nichts,  was  die  'remperalursteigt'rung 
('i'klärt'u  konnte.  An  Wt'chselfieht'r  hat  die  Kranke  niemals 
gelitten,  es  konnte  daher  als  Frsaclie  der  Temperatiirsteige- 
rungeji  auch  diese  Krankheit  nicht  in  Betracht  kommen. 
Das  Allgenu'inhefitiden  dei’  l.^alienlin  war  trotz  des  Fiebers 
stets  t'in  befriedigendes  und  sit'  A'erließ  das  Spital  drei 
Wochen  nach  der  Operation,  dem  Anscheine  nach,  voll¬ 
kommen  geheilt.  Aach  ('inejn  AVohl befinden  von  8V2  Monaten 
empfand  die  Patientin  in  der 'Magengegend  ('in  unangenehmes 
Oefühl,  si)äler  entstanden  daselbst  Schmerzen,  welche  an 
Stärke  immerfoii  Zunahmen;  auch  hat  sie  einige  Tage  hin¬ 
durch  Blut  ('rhrochen.  Die  Oedärme  meteoristisch  aufge¬ 
bläht ;  kolikartige  Krämpfe.  Aach  einer  zAvei  Alonate  lang 
fortgesetzten  häuslichen  Behandlung  suchte  die  Patientin 
neuerdings  das  Spital  auf.  Die  Schmerzen  lokalisierten  sich 
zu  dieser  Zeit  auf  die  Pankreasgegend,  welche  auch  gegen 
Druck  stark  emi)fiudlich  war.  Die  Temperatur  betrug  lOt*’ 
bis  102**  F  (d.  i.  ßS-ß**  bis  ßS-O*^  C).  Die  Kranke  erbrach 
alles,  so  daß  sie  i)er  Rektum  ernährt  werden  mußte.  All-, 
mählich  stellte  sich  spontane  Besserung  ein,  nach  einigen. 
Wochen  verließ  sie  vollends  geheilt  das  Spital.  Anderthalh 
Jahre  nach  der  Operation  votlsländiges  Wohlbefinden.  Der 
Bang  dei'  Operation  ist  nicht  geschildert,  doch  betonen  die 
.\utoren,  daß  sie  di('  'rempieratursteigerungen  nicht  zu  er¬ 
klären  wissen. 

ln  einem  zweiten  Falle,  der  einen  44.iährigen  Alann 
betrifft,  wurde  die  Alilzexstirpalion  ebenfalls  wegen  Spleno¬ 
megalie'  ausgeführt.  Fiunittelbar  nach  der  Operation  war  der 
\'e]lauf  ein  ziemlich  ungestörter,  inrlessen  traten  bereits 
nach  drei  Wochen  intensive  Bauchschmerzen  in  Begleitung 
von  Blähung,  Frbrechen  und  hartnäckiger  Obstiiiation  auf. 
Fine  Darnnnkarz('ralion  annehmend,  befaßten  sich  die' 
.\ut()ren  bereits  mit  dem  Oedanken  einer  Betaparotomie,  als 
die  Erscheinungen  nach  einer  staltgefundenen  Stuhlenllee- 
rung  nachzulassen  begannen.  Die  d'emperatur  schwankte 
bei  diesem  Kranken  im  Laufe  der  ersten  zehn  Tage  zwischen 
ß7-2”  bis  87-8**  C  Ah)**  bis  100'*  F),  wobei  sie  bloß  am  zweiten 
J’age  bis  auf  88-8*’ ■  0  ('ini)orsiieg.  Auf  dem  Operationsfeld 
zeigte*  sich  keine'  krankhafte  Reaktion,  so  daß  sich  die 
Temperatursteigerung  auf  diese  Weise'  nicht  erklären  ließ. 
Doch  ist  zu  bemerken,  daß  infolge  der  Aethernarkose  eine' 
leichte  bronchiale  Irritation  zu  beobachten  war. 

Im  ersten  Falle  von  DoUinger-)  heilte  die  Bauch¬ 
wunde  der  wegen  .Vnaenha  splenica  operierten  Kranken  ohne 
Komplikationen,  de'nnoch  wurden  drei  Wochen  hindurch 
Temperatursteigerungen  von  88*’  bis  884*’  C  beobachtet. 
Die  einzeliK'u  Aloinente  de'r  Operation  finden  wir  in  diesem 
Falle  nicht  detailliert,  ln  seinem  zweiten  Falle  war  der 
Schweif  der  Bauchspeicheldrüse  mit  dem  Hilus  der  Wander¬ 
milz  verwachsen,  so  (laß  beide  zusammen  entfernt  worden 
sind.  Die  Wunde  der  Ivaparolomie  heilte  bei  dieser  Kranken 
per  primam,  trotzdeun  stieg  die  Abendtemperatur  der  Pa¬ 
tientin  bis  auf  88-8**  (',  zwei  Wochen  nach  der  Ojieration  ^ 
einige?  'tage  hindurch  sogar  bis  auf  89**  bis  89-1*’  ('.  Die 
Temperatursteigerungen  bestanden  25  Tage  lang;  während', 
diese'i'  Zeit  war  im  Bauche,  dem  Alilzstumpfe  entsprechend, 
eine  unempfindliche  umschriebene  Resistenz  zu  beobachten. 

Aus  all  diesen  Ihnständen  geht  deutlich  hervor,  daß 
sich  die  Fieberbewegungen,  welche  nach  Alilzexstirpationen 

Orvosi  Hetilap  1902. 


;  in  einem  großi'u  'teile der  Fälle  anftreleu,  nicht  immer  auf 
diejenigeu  palliologischeu  Veränderungen  zurückgeführl 
werden  können,  welche  ge'A'ölmliedi  als  IT'sachen  der  Tem- 
peratursteigerungeli  nach  anderweitigen  Laparotomien  gehen. 
iXalurgemäß  kommen  auch  hier  Fälle  vor,  wo  d,as  Fieber 
durch  Wundhifektion  ode'i'  Pnpumonie  be'diiigt  wird,  so  zum 
Be'ispiel  bei  meineni  zu  bese  hreibenden  e'rstcn Falle,  ,  wo 
eine  katarrhalische  Pneumonie  der  rechten  Lunge  die  be¬ 
obachtete  'Temperalursteigeiung  zur  Genüge  erklärt,  ln  zwei 
anderen  Fällen  konnte  jedoch  eine  solche  banale  Frsache 
des  Fiebers  nicht  gefunden  werden. 

Bevor  ich  mich  mit  dej‘  Erklärung  eler  Fieberursache 
in  diesen  Fällen  eingehei.rd  befasse,  sei  der  postoperative 
Verlauf  meiner  fünf,  in  den  letzten  anderthalb  Jahren  aus¬ 
geführten  Alilzexstirpatioiu'ii  in  kurzen  Zügen  dargestellt. 

1.  S  p  1  e  n  o  m  e  g  a  1  i  e  a  u  f  m  a  1  a  r  i  s  c  h  e  r  Grundlage  m  i  t 
L  (' b  (' r  h  y  p  e  r  t  r  oph  i  e,  Aszites  und  Anämie.  Alilz- 
e  X  s  I  i  r  p  a  I  i  0  n,  H  e  i  1  u  n  g. 

M.  L.  8.,  32jälirige  Taglütniersfrau  von  Resiczabätiya.  Ahdten' 
starb  in  ihrem  50.  Lebensjahre;  HOjäbriger  Vater  lebt  und  ist 
vollkommen  gesund.  Keine  Kinderkrankheiten.  Ihre  erste  flegel 
trat  nnt  18  Jahren  auf  und  war  seitdem  —  abgesetien  von  drei 
Frühgeburten  und  einer  normalen  Gravidität  —  stets  normal. 
Seit  einem  Jahre  zeigt  sich  -die  Menstruation  nur  durch  einige 
Tropfen  Blutes.  Die  Graviditäten  wurden  angeblich  durch  Heben 
schwerer  Lasten  vorzeitig  unterbrochen.  Im  Alter  von  24  Jahren 
litt  sie*  ein  Jahr  lang  an  ,, Wechselfieber“  und  sollen  zur  selben 
Zeit  in  ihrem  damaligen  Wohnort  —  Gyurgyova  —  mehrere  Per¬ 
sonen  von  derselben  Krankheit  liefallen  gewesen  sein.  Die  Krank¬ 
heit  wich  damals  ohne  jegliche  Behandlung,  kehrte  jedoch  vor 
einem  Jahre  neuerdings  zurück.  Seit  fünf  .lahren  wächst  in  ihrem 
Bauche  eine  stets  schmerzhafte  Geschwulst;  seit  drei  Jahren 
wird  die  Frau  immer  schwächer,  ist  hlaß,  fühlt  sich  krank  und 
ist  seither  gänzlich  arbeitsunfähig.  « 

Bei  der  A  u  f  n  a  h  m  e  zeigen  die  B  r  u  s  t  o  r  g  a  n  e  der  Kranken 
keine  Veränderung.  Bauch  schlaff,  die  linke  Bauchliälfte  stark 
hervorgewölbt.  Diese  Seite  ist  durch  eine,  beiläufig  die  Form 
der  Milz  annehmende,  gleichmäßige,  fast  knorpelharte,  leicht  be¬ 
wegliche,  den  Atembewegungen  jedoch  nur  mäßig  folgende,  flache, 
kuchenförnuge  Geschwulst  ausgefüllt,  deren  scharfer  innerer  Band 
ungefähr  in  der  Mitte*  einen  Finschnitt  aufweist  und  über  welche 
der  P(*rkussionsschall  absolut  dumpf  ist.  Der  Band  der  Gescliwulst 
kommt  unter  denn  linken  Biiipenbogen  in  d(*r  Paraste'rnaliinie  zum 
Vorschein,  zieht  in  konvexer  Bichtung  in  der  Höhe  des  Nabels 
nach  vorne  und  zeigt  die*  leereils  ei'wälmte  Kerbung,  ln  der 
Mamillarlinie  reicht  die  Geschwulst  iu  die  Fossa  iliaca  und  wird 
erst  zwei  Fingei'  über  der  Symphyse  unpaii)abel. 

Die*  am  unteren  Bande  der  sechsten  Bippe  beginnende  Leber¬ 
dämpfung  endet  am  Bippen bogen.  Sonst  findet  sich  in  der  Bauch¬ 
höhle  keine  abnormale  Dämpfung  oder  Besistenz  vor.  Der  Harn 
enthält  keine  abnormalen  Bestandteile. 

Laut  der  durch  Dr.  Körmöczy  angestellten  Blutunler- 
suchung  beträgt  die  Zahl  de]-  roten  Blutköi-percheu  2,500.000  |)ro 
Kubikmillimeter,  die  der  weißen  4600,  während  sicli  der  Häino- 
globingehalt  auf  65'’o  beläuft.  In  den  mit  Triazid  und  Giemsa- 
schein  Azur  gefäi-blen  Präparaten  zeigen  die  roten  Blutzellen 
Nm'inozytentypus  und  gelinge  Poikilozytose;  Normoblasten  sind 
nicht  vojhanden.  Das  Prozentualverhältnis  der  weißen  Blutzellen 
ist  folgendes:  55'ö>  polynukleäre*  Leukozyten  mit  neutrojihilen 
Granulationen,  kleine  Lymiihozyten,  lO'lo  große  Lympho¬ 

zyten.  Auf  jedem  Präparat  findet  sich  eine  eosinophile  Zelle, 
Aiyelozyten  fehlen.  Die  unmittelbar  vor  der  Operation  angestellte 
Untersuchung  ergab  im  großen  und  ganzen  dasselbe  Besultat. 

0  p  e  r  a  t  i  o  n  a  m  15.  J  u  n  i  1904  i  n  (’  h  1  o  r  o  f  o  r  m  n  a  r  k  o  s  e. 

Der  in  der  Linea  alba  geführte,  20  on  lange  Schiiitt  be¬ 
ginnt  1  cm  unter  dem  Sebwerffortsalz  tmd  reicht  bandflächeiii- 
weit  unter  den  Nabel.  Geringer  Aszites;  große,  bis  zu  dom 
Nabel  sich  erstreckende,  weiclie  Leber.  Die  .Milz,  deren 
oberer  Pol  durch  membranösc  Adliäsionen  an  das  Zwerchfell 
fixiert  ist,  läßt  sich  ei'st  nacli  Trennung  der.selben  herauswälzen. 
Ihr  handbreiter  Stiel  wird  in  Klammern  gefaßt  und  die  großen  (|e- 
fäße  einzeln  unterbunde]].  Die  von  der  Aldösung  der  Adhäsioneiv 
bedingte  geringe  Blutung  wird  durch  umfassende  Ligatur  ge¬ 
stillt.  Verschluß  der  Bauclihöhlo  mittels  durchgreifender  Nähte. 
Verband. 

Das  Gewicht.  de*r  e'nifernten  Alilz  beträgt  2850  g-,  elas  des 
sieb  aus  derselben  ergießenden  Blutes  850  g,  zusammen  3700  g. 
Ihre  Größe  ist  32  X  20  X  10  cm ;  ihr  größter  Umfang  beträgt 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


125 


72  {'Hl.  Die  Kapsel  ist  zäh,  has  Bauelilell  am  uljereii  L’ol  aul  eine]' 
linsen-  bis  kreuz(‘rgroßen  Fläche  glänzend  weiß,  sehnenarlig 
verdickl. 

Mikr.uskopischter  Betund:  Die  Bindegewel)skapsel  der 
.Milzoberfläche  zeigl  keine  auffallende  Verdickung;  zieudich  starke 
Bindegewebsbalken  erstrecken  sich  von  ilir  in  die  .Milzpulpa, 
zwischen  denen  ein  dichtes  Retikulum  zu  finden  ist.  Die  Holil- 
räuine  und  Ritzen  zwischen  den  dicken  und  zellreichen  Netz- 
inaschen  derselben  sind  teils  leer,  teils  mit  Blut  gefüllt.,'  zu  be- 
nierken  ist  jedoch,  daß  diese  letzteren  gegen  die  Pulpe  zu  sehr 
in  den  Hintergrund  Ireten.  Sowohl  in  den  leeren,  als  auch  in  den 
blutgefüllten  Räumen  sind  neben  den  Erythrozyten  aucti  verhält¬ 
nismäßig  viele  falblose  Blutkörperchen  zu  finden;  in  einigen 
dieser  Räume  lassen  sich  auch  die  Endothelien  gut  erkennen ; 
dieselben  sind  dick,  an  den  meisten  Stellen  aber  voii  den  übrigen 
Zellen  kaum  zu  unterscheiden,  ln  den  erwälmten  lilutenthal- 
tenden  Ausbuchtungen,  teils  auch  an  deren  Rändern  lassen  sich 
hie  und  da  einige  größere,  intensiv  gelb  tingierte  Zellen  mit,  breitem 
Plasmasaum  erkennen,  deren  Körner  im  allgemeinen  dunkler  ge¬ 
färbt  sind  als  die  der  übrigen  Zelten.  Diese  Zellen  erscheinen 
zumeist  vereinzelt,  wir  finden  nur  ab  und  zu  zwei  bis  drei  solche 
nebeneinander;  größere  Gruppen  bilden  sie  nirgends.  Rot  tingierte, 
hyaline  Zellen  sind  nicht  vorhanden.  Malpighische  Follikel  sind 
nur  iu  mäßiger  Zahl  zu  finden ;  dieselben  sind  klein  und  nicht 
genügend  scharf  abgegrenzt. 

Diagiiose;  Hypertrophia  lienis  byperplastica  (Professor 
Per  tik). 

Verlauf:  Der  rknlungsprozeß,  wird  durch  eine 
katarrhalische  Bronchopneumonie  gestört,  welche  auf  den 
mittleren  und  unteren  Lappen  der  rechten  Lunge  lokali¬ 
siert  ist.  Die  Temperatur  erreicht  trotzdem,  daß  das  Opera¬ 
tionsterrain  absolut  reaktionsfrei,  der  Bauch  nicht  aufge¬ 
bläht  und  unempfindlich  ist,  kein  Erbrechen  auftritt  und 
sich  Winde  und  Harn  spontan  entleeren,  bereits  am  ersten 
Tage  nach  der  Operation  abends  40®  C  und  verbleibt  von 
da  ab  bis  zum  vierzigsten  Tage  nach  der  Operation  stets 
erhöht.  Die  Temperatursteigerungen,  die  sich  zwischen  37-8® 
bis  40®  C  bewegen,  zeigen  im  großen  und  ganzen  den  Cha¬ 
rakter  der  Febris  continua  continuens.  Nach  Remissionen 
von  einigen  Zehntelgraden  steigt  die  Temperatur,  von  mehi'- 
fach  wiederholten  Schüttelfrösten  begleitet,  neuerlich  in  die 
Höhe.  Hiebei  entwickeln  sich  allmählich  auch  die  übrigen 
physikalischen  Erscheinungen  der  Bronchopneumonie.  Der 
Perkussionsschall  ist  üljer  dem  mittleren  und  oberen  Lappen 
der  recbten  Lunge  gedämpft,  ebendaselbst  sind  bronchiales 
Atmungsgeräusch  und  stellenweise  feuchte  Basselgeräusche 
vernehmhar;  zeitweise  zeigt  sich  rubiginöser  Auswurf. 

Nachdem  infolge  des  protrahierten  Fiebers  auch  der 
Verdacht  an  Tuberkulose  auftaucht,  wird  auch  eim*  l)ak- 
terielle  Untersuchung  vorgenommen,  doch  wurden  im  Aus¬ 
wurf  keine  Koch-  Bazillen,  son  dem  bloß  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r  sehe 
Bazillen,  doch  auch  nur  in  geringer  Menge  gefunden,  die  d(m 
Charakter  des  Prozesses  zweifellos  klarstellten. 

Nach  beinahe  sechswöchentlichem  unausgesetzten 
Fieber  lassen  die  Temperatursleigerungen  lytisch  nach,  wäh¬ 
rend  der  über  den  Lungen  hörbare,  mehr  tympanitische  Per¬ 
kussionsschall  auf  Lösung  des  Prozesses  hinweist.  Seit 
dieser  Zeit  ist  die  Kranke  stets  fieherfrei,  fühlt  sich  voll¬ 
ständig  wohl  und  verläßt  das  Spital  alsbald  vollends 
geheilt. 

Der  Blutbefund  war  — -  32  Tage  nach  der  Operation 
untersucht  —  folgender;  Die  Zahl  der  weißen  und  roten 
Blutzellen  entspricht  ungefähr  der  vor  der  Operation  ge¬ 
fundenen,  der  Hämoglobingehalt  heträgt  58%,.  Die  roten 
Blutkörperchen  zeigen  Normozytentypus,  Normohlasten  sind 
nicht  vorhanden,  ,Von  den  weißen  Blutzellen  sind  60% 
polynukleäre,  40%  mononukleäre.  Eosinophile  oder  Mast¬ 
zellen  fehlen  gänzlich.  •  ‘  ' 

II.  1  n  f  e  k  t  i  ö  S  e  ( ? )  S  i  >  1  e  n  o  m  e  g  a  1  i  e.  W  a.  n  d  e  r  m  i  1  z  m  i  t 
geringer  sekundärer  Anämie.  Exstirpation  und 

Heilung. 

Frau  A.  F.,  28  Jahre  alt,  Feldwebelsgattin  von  üj-Arad. 
Vater,  sowie  fünf  Geschwister  leben  und  sind  gesund.  Bis  zürn 
Reginn  ihres  gegenwärtigen  Leidens  war  auch  sie  niemals  krank. 
Im  Dezember  des  Jahres  1902  tiatte  sie  zwei  Wochen  lündurcti 


täglich  zwei-  t)is  rlreimal  Scliüttelfröste  und  empfand  links,  in 
tier  Kreuzgegend  heftige  Schmerzen.  Auf  die  von  ilirem  .\rzle 
veroi'dneten  Bäder  und  Umschläge  besserte  sicli  ilir  Zustand  und 
sie  fühlte  sich  seitdem  bis  zum  März  1904  ganz  wold.  Zu  dies('r 
Zeit  traten  in  der  linken  Bauchhälfte  z(‘rrende,  ausslrahleude 
Schmerzen  auf,  die  nacli  schwerer  Arbeit  oder  fort¬ 
gesetzter  Bewegung  noch  zunalimen.  Seither  v('rspürl  sie  in  der 
linken  Bauchhälfte  eine  Geschwulst,  welche  ilire  Lage  oft  wechselt. 
Die  Stuhlentleerung  erfolgt  t)loß  auf  Abfidirmittel,  die  Hajaient- 
leerung  ist  normal. 

Die  Bruslorgane  der  ziemlich  gut  entwickelten  und  genähr¬ 
ten  Frau  zeigen  keine  Veränderung.  Bauch  mäßig  vorgewöll)t, 
weich.  Der  Peekussionsschall  ist  überall  scharf  tympanitisch  bis 
auf  eine  sich  vom  Nabel  nach  links  ziehende,  über  tnuidgroße 
Dämpfung,  welcher  entsprechend  eine  zweifaustgroße,  nach  jeder 
Richtung  liin  leicht  bewegliche,  kaum  empfindliclie  Gesctiwulst 
mit  glatter  Oberfläche  fühlbar  ist,  deren  innerer  Rand  die  Mittel¬ 
linie,  der  äußere,  scharfe  Rand  aber  <lie  Achsellinie  erreiclit, 
während  sie  oben  zwei  Finger  ül)er  dem  Nabel,  unten  zwei  Finger 
über  dem  P  o  u  p  a  i' t  sehen  Bande  endet.  Die  Milzdämpfiing  ver¬ 
schwindet  hei  lechtseitiger  Lagerung  <ler  Kranken,  die  beschrie¬ 
bene  Geschwulst  ist  indessen  leicht  unter  <ten  linken  Rippenbogen 
verschiebbar,  wobei  ungefähr  zwei  Drittel  des  vorher  ])erkutierten 
Trau  he  sehen  Raumes  gedämpften  Perkussionsschall  ergehen. 

Der  Harn  enthält  keine  krankhaften  Bestandteile.  Die  durch 
Dr.  Körmöczy  angestellte  Blutuntersuchung  ergab  eine  gering¬ 
gradige,  sekundäre  Anämie;  Leukozytenzahl  21.800. 

0 p e ration  a  m  14.  .1  u  n i  1904  in  C  h  1  o  r  o f  o  r  m  n  a r  k  o s e. 

Der  gr()ßere  Teil  des  in  der  Mittellinie  geführten,  20  cm 
langen  Schnittes  fällt  über  den  Naljel.  Nach  Eröffnung  des  Bauch¬ 
felles  kommen  der  etwas  gesenkte  Magen  und  das  Netz  zum  Vor¬ 
schein.  Der  Geschwulst  entspricht  tatsächlich  die  in  der  linken 
Fossa  iliaca  gelegene  Milz,  welche  ungefähr  dreifach  vergrößert  ist 
und  sowohl  das  Ligamentum  gastrolienale,  als  aucli  die'  Bauch¬ 
speicheldrüse  und  eine  mäclitige  Falte  des  parietalen  l^ritoneumi^ 
i\ach  sich  zieht.  Nach  vorsichtiger  Herauswälzung  der  iMilz 
schreiten  wii'  an  die  Unterhindung  der  Gefäß<',  wol)ei  ebi  Teil 
d(‘s  Pankreasschweifes  in  die  Ligatur  gerät.  Nacli  der  in  toto 
erfolgten  Entf('rnung  der  Milz  wird  die  Bauchwunde  .vollständig 
g(‘schlossen. 

M  i  k  r  o  s  k  o  p  i  s  c  h  e  r  Befund  der  e  x  s  f  i  r  p  i  e  r  t  e  n  i  I  z  : 
Zwischen  den  Bindegewet)shalken,  welche  sicli  von  der  etwas  ver¬ 
dickten  Milzkaiisel  in  die  Pulpe  erslJ'ecken,  sind  die  helrächtliidi 
vernndii  len  Netzmas(dien  mit  Pulpenzellen  reichlich  ausgefülll.  Di  ' 
Pulpa  Ijesleht  aus  den  bekannten,  liochpolymorphofischen  Zellen, 
zwischen  welctien  die  Lympliozyten  prädominieren;  in  mindm'ei’ 
Zahl  sind  anden*  liekannte  Leukozytenformen  zu  finden,  wc'itei- 
hin  neben  diesen  aucli  mehrere  größere,  sogenannte  täilpenzellen 
mit  runden  oder  ovalen  Kernen,  hie  und  da  Zellen  mit  großem, 
lireiten  Piotoplasma,  welches  an  die  Plasmazellen  gemalmt  und 
großem,  exzentrisch  gelagerten  Kerne.  Von  Erythrozyten  sind 
iin  Präparat  nur  einzelne  vorhanden,  dagegen  sind  sowohl  Pig- 
menlzellen,  als  auch  Pignientschollen  frei  zwiscdien  den  Zellen 
in  heträchllicher  Zahl  zu  beobachten.  Zwischen  den  Inedullären 
Strängen  liegen  die  stark  erweitmäen,  al)  und  zu  förmlich  höhlen¬ 
artigen  Milzvenen,  deren  Wände  mit  großkei'iiigen  Endothelien 
ausgepolstert  sind.  Die  Wände  der  größeren  Arterien  sind  etwas 
verdickt.  Die  M  a  1  p  i  g  h  i  sidien  Follikel  sind  nicht  vergrößert,  wie 
auch  am  trabekulären  Bindegewebe  keine  Vermelu'ung  zu  kon¬ 
statieren  ist. 

Vlikroskopisch  sind  in  den  histologischen  Präparaten  die 
normalen  Gewehselemente  der  Milz  zu' sehen  mit  einer  beträcht¬ 
lichen  Zunahme  der  Pulpazellen.  Das.  trabekidäre  Bindegewebe 
ist  nicht  vermehrt.  Die  Vcu’größerulrg  der  ^lilz  ist  demzufolge 
f'iner  zelligen  Hyperplasie  zuzuschreihen. 

Diagnose:  Zeitige  Hyperplasie. 

Verlauf:  Nadi  der  Operation  zeigen  sich  absolut 
keine  peritonealen  Ersclieiiiungen,  die  Stelle  des  Eingriffes 
ist  vollkommen  reaktionsfrei;  sO'  daß  die  Nähte  der  per 
priinam  geheilten  Baiichwunde  bereits  am  siebenten  Tage 
nach  der  Operation  entfernt  Averden  können,  fjaut  der  am 
21.  Juni  angestellten  Blutuntersuchung  beträgt  die  Zahl  der 
roten  Blutkörperchen  4,300.000,  die  der  weißen  14.000,  die 
Hämoglobinmenge  85-9%.  Die  roten  Blutzellen  zeigen Normo- 
zytentypeii.  Normo blasten  fehlen,  während  ein  bis  zwei 
Makro-  und  Mikrozyten  nachweisbar  sind.  Von  den  weißen 
Blutzellen  sind  18%  groß,  mononukleär,  ungranuliert,  10% 
kleine  Lymphozyten,  20%  <H)sinophil,  70‘’'o  polynukleär, 

I  neutrophil,  granuliert. 


X 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


Das  allgeiiKMin?  Befinden  und  die  Tein])ei'a(ur  der 
Kranken  ('nl.sprkdd  jedoch  dein  reaklionsfreien  Verlanh' 
nichl.  .\n  d(‘r  linken  Seile  Ireleii  zuwidlen  SclinuM'zen  auf, 
während  die  T(‘ in ]j ('. ra  tu  r  sniifehril  is  l  und  am 
HO.  .1 11  n  i  das  Maximum  von  38-4'^  C  erreicht.  Gleich- 
z(‘ilig  isl  in  der  Jjaucliliühle  eine  sdnnerzliafle  Resistenz 
zu  konslalieren,  die  nacli  rechts  von  der  rechten  para¬ 
sternahm  Jiinie  begrenzt  wird,  in  der  Mittellinie  bis  zwei 
Finger  über  den  Nabel  reicht,  sich  von  hier  aus  steil  nach 
links  und  unten  fortsetzt  und  mit  ihrem  liefsten  Punkte 
in  der  Verlängerung  der  linken  Alamillarlinie,  drei  Finger 
über  (hmi  F*onparts(dien  Bande  endet.  Die  Resistenz  er¬ 
streckt  sich  sodann  in  horizontaler  Bichlung  bis  zum  oberen 
Rande  des  Rüftkammes,  den  er  in  der  vorderen  Acbsel- 
linie  erreicht;  ihre  olierc  Grenze  verliert  sich  unter  dem 
linken  Rippentiogen.  Der  Perkussionsschall  ist  über  der 
Resistenz  dumpf.  Allmählicb  wird  die  Resistenz  kleiner, 
die  Empfindlichkeit  läßt  nach,  die  subfebrile  Temperatur 
bleibt  jedodi  unverändert,  bis  sie  am  8.  Juni,  am  24.  Tage 
nach  der  Operation,  in  Begleitung  eines  Schüttelfrostes  plötz¬ 
lich  bis  auf  39”  C  steigt.  Von  diesem  Tage  an  erreicht 
die  Temperatursteigerung  stets  drittäglicli,  wiederholt  von 
Schüttelfrösten  begleitet,  über  40”  C  (.Maximum  40-5”  C), 
während  {lie  Temperatur  zwischen  je  zwei  Exazerbationen 
normal  oder  subfebril  l)leibt.  Da  das  regelmäßige  Auftreten 
der  Temperatursteigerungen,  welcdie  sich  sechsmal  wieder¬ 
holten,  den  Verdacht  auf  Weehselfieber  erweckte,  wird  eine 
Blutuntersuchimg  vorgenommen,  welche  jedoch  keine  Ma¬ 
lar  i  ap I asm 0 dien  e r gi  1  > t. 

Seit  dem  letzten  (secüisten)  Eieberanfall  am  22.  .limi 
ist  die  Temperatur  beständig  normal,  die  Resistenz  wird 
auf  resorbierende  Behandlung  allmählich  kleiner,  das  All¬ 
gemeinbefinden  ist  äußerst  befriedigend. 

Bei  der  am  28.  Juni  vorgenommenen  Untersuchung 
ist  keine  Resistenz  mehr  vorhanden. 

Am  5.  August  verläßt  die  Kranke  geheilt  das  Spital. 

111.  Durch  Milzexstirpation  geheilter  Fall  niala- 
rische  r  S  p  1  e  n  o  m  e  g  a  1  i  e. 

1.  M.,  tili  iiu  Aller  von  15  Jahren  an  Wechselfieber.  Lues 
und  xVlküholisnius  werden  in  Ahrede  gestellt.  Angeblich  fühli  der 
Kranke  seit  fünf  Jahren,  daß  er  fortwährend  schwächer  Avird, 
wobei  er  zeitweise  an  Ateinheschwerden  und  Kopfschmerzen  leidet. 
Seither  entwickelt  sich  in  der  linken  Bauchhälfte  eine  Geschwulst. 
Seit  dem  Herbste  des  Jahres  1904  treten  sämtliche  Erscheinung('n 
in  gesteigertem  Älaß'C  auf  und  seit  dieser  Zeit  hat  er  A^iermal  — 
zuletzt  im  April  1905  —  ohne  jede  äußerliche  Hrsache  teils  ge¬ 
ronnenes,  teils  flüssiges,  scliAvarzes  Blut  erbrochen.  Nach  dem 
Blulerhrechen  Avar  der  Stuhl  vier  bis  fünf  Tage  bindurch  in  der 
Hegel  blutig. 

Bei  der  A  u  f  n  a  h  ni  e  zeigen  die  Brustorgane  des  mäßig 
(MilAvickelten,  blassen  Kranken  keine  Veränderung.  Der  Bauch 
Avölbt  sich,  namentlich  an  der  linken  Seite,  vor.  Die  Leber  etwas 
vei'großcrt,  die  obere  Grenze  der  Lebeidämpfung  entspricht  der 
.sechsten,  Ijzav.  siebente)!  Rippe,  AA’ährend  ihre  untere  Grenze 
hei  tiefer  Insj)iration  unter  dem  Rippenbogen  fühlbar  ist.  Die  an 
der  siebenten  Rippe  beginnende  Milzdämpfung  übergeht  in  eineu, 
die  linke  Bauchhälfte  hervorAVÖlbenden  Tumor,  der  uach  inneii 
beinahe  die  .Mittellinie  erreicht  nnd  nach  unten  in  der  Hübe 
der  Spina  ant.  sup.  endet.  Die  glatte,  harte  Geschwulst  ist  auf 
Di'uck  kaum  empfindlich,  hingegen  sind  die  Knochen  beider  Ober¬ 
und  Unterextj'emitäten  auf  Druck  schmerzhaft.  Von  Adenopathie 
keine  Spur. 

Die  durch  Dr.  Körmöczy  vorgenommene  Blutuntersuchung 
(2.  Juli)  ergab  folgendes  Resultat:  Zahl  der  roten  Blutkörperchen 
3,800.000,  die  der  Aveißen  5000;  Hämoglobingehalt  75'yo.  Die 
Erytlu'ozyten  Aveisen  Aveder  bezüglich  der  Form,  noch  hinsichtlich 
derGröße  Abnoruiitätei)  auf.  Von  den  Aveißen  Blutzellen  sind  62'Vo 
polynukleäre,  neutrophile  Leukozyten,  320,0  kleine  Lymphozyten, 
200/0  große  Lymphozyten.  Hie  und  da  fanden  sich  zerstreut  eosino¬ 
phile  Zellen,  Mastzellen  und  Myelozyten,  insgesamt  ca.  20o. 

Operation  am  7.  Juli  1905  in  C  hl  o  r  of  o  rni  n  a  r  k  os  e. 

18  cm  langer  HautschnitI  in  der  Mittellinie.  Die  Bauchhöhle 
enthält  keine  freie  Flüssigkeit.  Die  Leber,  namentlich  der  linke 
Lappen,  ist  stark  Amrgrößert,  sehr  blutreich,  die  Oberfläche 
granuliert. 


Bits  llejauswälzcui  de)’  mittels  Bseiidomembianen  oben  au 
den  Magen,  unten  an  dem  Kolon  fixierten  Milz  ist  mit  mäßigen 
SchAviei'igk(dle]i  veibimden.  Die  in  dem  ca.  18  bis  20  cm  langen 
Hilus  gelegene,  fingei'dicke  Vene  und  kleinfingerdicke  Arterie  Aver- 
den  in  Klammern  gefaßt.  Große  ScliAvierigkeiten  verursacht  die 
Versorgung  des  Ligamentum  gastrolienale,  das  überaus  kurz  ist, 
infolgedessen  Avdr  bei  dem  Durchschneiden  desselben  sehr  nahe 
an  den  Magen  und  an  die  Bauchspeicheldrüse  gelangen.  Die  Ge¬ 
fäße  Averden  en  masse  unterbunden,  die  Milz  in  toto  entfernt, 
d(‘r  dadurcdi  entstandene,  gi'oße  Hohlrauni  sorgfältig  tiimponiert 
und  der  Stumpf  des  Mitzhilus  mittels  einiger  Seidennähte  ver¬ 
sorgt.  Daraufhin  vollständige,  schichtenAAxdse  Wreinigung  der 
BaucliAvände. 

Die  l.änge  der  exstirpierten  Milz  betrug  28  cm,  ihre  größte 
Bi'eile  17  cm.  Ihre  Oberfläche  ist  glatt  und  Aveist.  bloß  am  oberen 
Pole  ZAvei  kronengroße,  durcb  Perisplenitis  callosa  bedingte  Sehnen¬ 
flecken  auf.  .An  den  histologischen  Präparaten  (Dr.  Kirälyfi) 
läßt  sich  bedeutende  Verdickung  des  BindegeAvebes  des  Stroma, 
stelleiiAveise  mit  hyaliner  Degeneration,  konstatieren.  Das  ver¬ 
mehrte  Bindegewebe  durchziebt  in  Form  dünner  Stränge  einen 
bedeutenden  Teil  des  Milzparenchyms. 

Die  Follikel  sind  atrophisch,  die  Pulpazellen  durch  inter¬ 
stitielle,  hämorrhagische  Infiltration  dissoziiert;  an  anderen  Stellen 
zeigen  .sich  ausgebreitetere  Blutungen.  Letztere  entsprechen  den 
malu’oskopisch  sichtbaren,  schwarzroten  Stellen. 

Verlauf:  Trotzdchra  das  Operationsgebiet  durchaus 
reakliousfrei  ist  und  die  Nähte  der  per  prinram  vereinigten 
Bauchwunde  bereits  am  achten  Tage  nach  der  Operation 
entfernt  Averden  können,  wird  der  Verlauf  dennoch  durch 
Teinperatursteigerungen  gestört,  die  am  vierten  Tage  39”  C 
überschreiten.  Dal)ei  bestehen  bloß  Erscheinungen  einer 
leichten,  akuten  Bronchitis  mit  starkem  Husten  und  bedeu¬ 
tendem  Auswurfe,  welch  letzterer,  fla  sich  mit  demselben 
auch  Blutstriemen  entfernen,  auch  hinsichtlich  Koch  scher 
Bazillen  untersucht  wird.  Resultat  negativ. 

Der  Blutbefund  ist  neun  Tage  nach  der  Operation 
folgender:  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  1,890.000,  die 
der  weißen  Blutzellen  20.800,  Hämoglobingehalt  60 To.  Die 
beiläufig  dem  Typus  der  Febris  continua  continuens  ent¬ 
sprechenden,  nur  selten  über  39”  C  steigenden  fieberhaften 
Temperalursteigerungen  dauern  beinahe  fünf  Wochen  lang. 
Dabei  ist  in  der  Tiefe,  links  von  der  Wirbelsäule,  dem 
unterbundenen  Milzstum])f  entsprechend,  eine  flache,  gegen 
Druck  empfindliche,  harte,  handflächengroße  Resistenz  fühl¬ 
bar,  welche  sich  hinter  dem  Alagen  auf  die  Lumbal-  und 
Milzgegend  erstreckt.  Der  P(u-kussionsschall  ist  über  der¬ 
selben  stets  tympanitisch.  Außerdem  treten  stechende 
Schmerzen,  häufig  Ueblichkeiten  und  Erbrechen  auf.  Auf 
resorbierende  Behandlung  und  fortgesetzte  Verabreichung 
von  Chinin  beginnt  indessen  das  Fieber  allmählich  abzu¬ 
nehmen,  wobei  auch  die  fühlbare  Infiltration  verschwand. 
Die  letzte  Temperatursteigerung  (mit  einem  Alaximum  von 
38”  C)  wurde  am  14.  August,  d.  h.  am  38.  Tage  nach  der 
Operation,  beobachtet,  seit  dieser  Zeit  ist  die  Temperatur 
beständig  normal.  Das  Allgemeinbefinden  des  Patienten 
Ijesserte  sich  allmählich  und  derselbe  verließ  am  18.  August 
vollständig  geheilt  das  Spital. 

Einige  Wochen  nachher  wurde  der  Kranke  neuerlich 
vom  Fieber  befallen  und  lag  20  Tage  lang,  auf  der  Ab¬ 
teilung  des  Prof.  Ängyän,  bis  er  ganz  defervesziert. 

Seitdem  ist  er  nunmehr  niehrere  Monate  hindurch  gänz¬ 
lich  fieberfrei,  fühlt  sich  sehr  wohl,  hat  wieder  Appetit  und 
eine  Gewichtszunahme  von  12  kg.  Der  Blutbefund  war  am 
30.  Jännei'  1906  folgender :  Zahl  der  roten  Blutkörperchen 
4,600.000,  Zahl  der  weißen  ßlutzellen  8000,  Hämoglobiii- 
gehalt  105.  Das  Blut  zeigt  Normozytentypus;  von  den  weißen 
Blutzellen  sind  74To  polynukleär.  22To  Lymphozyten,  3To 
eosinophil  polynukleär.  ITo  basophil. 

Bei  der  am  25.  Februar  1906  vorgenommenen  Unter¬ 
suchung  fülilte  sich  unser  Patient,  \mn  unwesentlichen 
Hückenschmerzen  abgesehen,  ganz  wohl.  Er  war  arbeits¬ 
fähig,  ständig  fieberfrei,  der  Appetit  war  gut,  die  Stuhl¬ 
entleerung  normal.  01)jektiv  war  der  rigide  Thorax  im 
unteren  Teile  glockenförmig  erweitert,  nahm  an  den  Atem¬ 
bewegungen  kaum  teil,  so  daß  dieselben  ganz  abdominalen 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


127 


lyRiis  zeigten.  Die  Herzdäiupfuug  war  äußerst  klein,  keine 
Fingerbreite.  Die  Lebertlämpfung  begann  in  der  Parasternal¬ 
linie  am  nnteren  Rande  der  sechsten  Rippe,  überschritt 
da  tlen  Rippenbogen  nur  um  ein  (ieringes  mul  endete  in 
der  jMamillar-  und  vorderen  Achsellinie  am  Rippenhogen ; 
folglich  erschien  die  Leber  keinesfalls  vergrößert.  In  dem 
muldenartig  eingezogenen  Bauche  war  an  der  dem  Pankreas- 
schiveife  entsprechenden  Stelle  keine  Resistenz  fühlhar,  doch 
war  der  Bauch  über  dem  ganzen  Colon  descendens  gegen 
Druck  noch  etwas  empfindlich;  daseihst  war  der  Perkus¬ 
sionsschall  bis  zur  Mamillarlinie  etwas  gedämpft  und  ging 
derselbe  in  eine  an  dem  unteren  Teile  der  linken  Thorax¬ 
hälfte  hefindliche,  gedämpfte  Zone  über.  Diese  Zone  er¬ 
streckte  sich,  der  normalen  Lage  der  Milz  entsprechend, 
in  der  Ausbreitung  von  anderthalb  Handflächen  auf  den 
unteren  Teil  des  Bnrstkorbes  und  wurde  von  oben  durch 
eine  nach  oben  konvexe  Linie  abgegrenzt,  die  in  der  mitt¬ 
leren  Axillaiiinie  den  Rand  der  zehnten  Rippe,  in  der  hin¬ 
teren  Axillarlinie  den  unteren  Rand  der  neunten  Rippe  er¬ 
reichte  und  dann  bogenförmig  nach  hinten  ziehend  die 
zwölfte  in  der  Skapularlinie  kreuzte. 

Bei  tiefer  Inspiration  bewegte  sich  der  obere  Rand 
der  Dämpfung  abwärts. 

Ahichdem  im  vorliegenden  Falle  nicht  angenommen 
werden  kann,  daß  die  große  Dämpfung  in  ihrem  ganzen 
Umfange  allein  durch  ein  subphrenisches'  Exsudat  bedingt 
ist,  erscheint  es  überaus  wahrscheinlich,  daß  die  Dämpfung 
teilweise  dadurch  entstand,  daß  sich  der  Leberlappen  der 
Brustwand  angelegt  hatte,  wie  ich  dies  bei  Fällen  voji 
Wandermilz,  sowie  nach  Milzexstirpationen  zu  beobachten 
wiederholt  Gelegenheit  hatte.  Daß  die  Leher  in  der  Tat 
den  Platz  der  Milzdämpfung  einnahm,  darauf  weist  auch  das 
Röntgenbild  hin.  Die  rechte  Zwerchfellkuppe,  die  in  der 
Regel  einen  nach  oben  stark  konvexen  Bogen  bildet,  zeigt 
im  gegebenen  Falle  eine  sich  von  der  Brustwand  bis  zur 
Mittellinie  ei*streckende  gerade  Linie,  in  einer  gewissen  Lage 
sogar  einen  nach  oben  etwns  konkaven  Bogen.  Dies  ist 
daraus  erklärlich,  daß  das  Zwerchfell  durch  die  nach  links 
verschobene  Leber  mittels  der  Lig.  falciforme  hepalis  nach 
unten  und  links  verzerrt  wird. 

IV.  jVIit  Leberhypertrophie  verbundene  Spleno¬ 
megalie,  Milzexstirpation,  Heilung. 

R.  S.,  37jähriger  ilieiistboU!  von  Ujpest.  Der  Valer  starb 
an  einer  ihr  iinbekajinten  Krankheit,  die  Müller  an  einem  Danch- 
leiden.  Auf  Kinderkrankheiten  kann  sie  sich  nicht  erinnern.  Seit 
ihrer  Kindheit  leidet  sie  häufig  an  Nasenbluten.  Erste  Regel  mit 
13  Jahren,  dann  bis  zum  Beginn  der  gegenwärtigen  Krankheit 
qualitativ  wie  (piantitativ  normal;  seitdem  stets  unregelmäßig, 
in  den  letzten  Monaten  bei  fünf-  bis  sechstägiger  Dauer  zwei- 
bis  dreimal  wiederkehrend.  Vor  zwei  Jahren  hat  sie  Typluis 
überstanden.  Spirituosen  hat  sie  nicht  genossen,  Lues  undWechsel- 
fiel)er  werden  in  Abrede  gestellt. 

Seit  sechs  Jahren  verspürt  sie  im  Bauche  heftige,  krampf¬ 
artige  Schmerzen,  welche  wochenlang  bestelnm  und  nur  auf  einen 
oder  zwei  Tage  aussetzen.  Zu  Beginn  der  Krankheit  hat  sie 
vder  Wochen  liindurch  wiächentlicli  zweimal  erbrocdieii;  der  Aus¬ 
wurf  ist  von  geringer  Menge,  riecht  sauer,  enthält  Speisereste', 
und  war  niemals  blutig.  Seit  vier  Jahren  l)emerkt  sie,  daßi  ihr 
Bauch  wächst  und  seit  der  genannten  Zeit  empfindet  sie  im 
Bauche  ein  spannendes  Gefühl.  Vor  drei  WoVlien  traten  sich  täg- 
licli  wiederholende,  eine  Woclie  lang  dauernde  Schüttelfröste  dazu, 
die  .mit  reichlicher  Diaphorese  endigten.  Ihres  Leidens  halber 
suchte  sie  wiederholt  das  Spital  auf  und  wurde  zuletzt  vom 
o.  Juni  bis  27.  August  1905  im  St.  Stephans-Spital  behandelt. 

Bei  der  x\ufnahme  zeigt'n  di(;  Brustorgane  der  mäßig  ent¬ 
wickelten  und  g('nähr-ten  Kranken  keine.  Veränderung.  Der  mäßig 
vorgewülbte  Bauch  erscheiid  namentlü  h  in  der  linken  Hälfte  auf¬ 
gebläht.  Die  obere  Grenze  der  Leberdämpfung  befindet  sich  am 
unteren  Rande  der  sechsten,  am  oberen  Rande  der  siebenten, 
bald  am  unteren  Rande  der  sieben  ten  Rippe.  D<'r  rechte  Leber¬ 
lappen  überschreit(d  den  Rippenbogen  um  eine  Handfläche,  sein 
glatter,  harter  Rand  isl.  ('twas  abgenmdel.  Die  obere  Grenze  der 
Milzdämpfung  Ix'fimb'l,  si(b  am  mderen  Rande  der  siebenU'ti 
Hipp('  und  endet,  den  Rippenbogen  überschrc'ilend  und  nach 
rechts  und  untoi  ziehend,  zwei  Qucjfinger  unter  dem  Nabel. 


Cie  Milz  ist  von  harter  Konsistenz,  auf  Druck  empfindlich,  iiire 
Oberfläche  uneben.  In  der  Tiefe  der  Rauchhöhle  isl  —  iu  schein¬ 
bar  geringer  Menge  —  frei  bewegliche  Flüssigkeit  vorhanden. 

Das  Ergebnis  der  Blulunlersucbung  ist  folgendes:  Zahl  der 
i'oten  Blutkörperchen  4,200.000,  die  der  weißen  7000;  ILimo- 
globingehalt  92°, o.  Unter  dem  Mikroskop  ergibt  sich  Normozylose 
mit  gei'inger  Anisozylose,  Normoblasten  sind  nicht  vorhanden. 
Von  den  weißen  Blutzellen  sind  74Fo  polynukleär  neutrophil 
granulierl,  22Fu  Lymphozyten,  20)  Myelozyten,  2To  eosinoi)hile. 

Operation  am  27.  September  1905  in  Ghloroforni- 
Aethernarkose. 

23  cm  langer  Schnitt.  In  der  Raucbhöhle  kein  fix'ies  Exsudat. 
Der  obere  Pol  der  bedeutenrl  vergrößerten  Milz  ist  an  das  Zwerch¬ 
fell  fixiert,  ihi'  Herauswälzen  trifft,  nachdem  die  Adhäsionen 
teils  stumpf,  teils  scharf  gelöst  werden,  auf  keine  größeren 
Schwierigkeiten.  Die  Arterie  und  die  staik  erweiterte 
Vena  lienalis  werden  unmittelbar  beim  Hilus  iso¬ 
liert  und  unterbunden,  wobei  darauf  geachtet  wird, 
daß  kein  J,’ eil  d  er  B a  u c h s p  e i c h e  1  d  r  ü so  in  die  Ligatur 
gerate.  Infolgedessen  rutscht  ein  Teil  der  Ligaturen  ab,  wes¬ 
halb  wir  eine  neue,  doch  das  Pankreasgewebe  nicht  niitfassende 
I.igatur  anbringen.  Die  Leber  ist  vergrößert,  etwas  blntreich,  von 
glatter  Oberfläche.  Vollständige,  schichtenweise  Verscdiließung  der 
Bauchhöhle. 

Die  Kranke  hat  die  Narkose  während  der  fünf  Viertelstunden 
lang  dauernden  Operation  sehr  schlecht  vertragen,  ist  wiederholt 
zyanotisch  worden  und  hat,  offenbar  infolge  der  Wirkung  des 
Aethers,  wiederholt  erbrochen. 

Der  histologische  Befund  der  entferjüen,  3  kg  schweren, 
32  X  IG  X  12  cm  großen  ]\Iilz  ist  folgender  (Doz.  Dr.  Kroni- 
p edier):  Die  Struktur  der  in  der  Milz  enthaltenen  Herde  ist 
äußerst  kompliziert  und  sehr  schwer  zu  erkläreir.  Die  genannten 
Herde  bestehen  aus  großen  Zellen,  die  rund  oder  oval  und  ver¬ 
schieden  groß  sind  nnd  an  zahlreichen  Stellen  schaumiges,  be¬ 
ziehungsweise  vakuolenbaltiges  Protoplasma  aufweisen.  Diese 
sonderbaren  Zellen  sind  bald  ein-,  bald  zwei-  oder  mehrkernig, 
die  Kerne  sind  rund,  eckig  oder  eingeschnürt,  meist  blasenartig 
und  gleichen  den  Kernen  von  Epitlielzellen.  Dieses  Gewebe  ist 
reichlich  mit  zwischen  den  Zellen  verlaufenden  und  das  Gewebe 
in  Grupiien  teilenden  Gefäßen  versehen.  Stellenweise  sind  rund- 
zeilige  Infiltration,  Pigmenlzellen  und  Plasmazellen  sichtbar,  die 
.iedoch  den  bereits  geschilderten,  blasenartigen  Zellen  gegenüber 
im  Hintergrund  bleiben. 

Aehnliche  Fälle,  bzw.  mikroskopische  Befunde  sind  in  der 
Literatur  unseres  Wissens  nicht  verzeichnet.  Hanseman]i  traf 
in  einem  Falle  in  der  Harnblase  ähnliche  weiche  Herde,  deren 
histologische  Struktur  dem  eljen  geschilderten  Bilde  entsprach. 
Ohne  sich  hinsichtlich  der  Natur  des  Leidens  zu  äußern,  nennt 
er  dasselbe  M a  1  a  k  op  I  ak i  e.  Vorderhand  läßt  es  sich  mit  Sicher¬ 
heit  nicht  bestimmen,  ob  es  sich  um  einen  entzündlichen  ITozeß 
oder  um  einen  Tumor  handelt;  ließe  auch  die  weitere  Unter¬ 
suchung  die  letztere  Annahme  als  wahrscheinlicher  erscheinen, 
so  ist  eher  an  eine  gutartige  Neubildung  zu  denken,  indem  sämt¬ 
liche  Kriterien  der  Bösartigkeit  fehlen. 

Verlauf:  Im  Laufe  der  ersten  auf  die  Operation  fol¬ 
genden  Woclie  sinil  nebst  geringeren  fieberhaften  Tempera¬ 
tursteigerungen  (maximale  Temperatur  C)  Ersclieiniin- 

gen  einer  akuten  Bronchitis  zu  beobaebten  (starkes 
Husten,  reichlicher  eitriger  Auswurf,-  zirkumskripte  Däm¬ 
pfung  an  der  rechten  Seite),  welche  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  als  Folge  der  schlecht  vertragenen  Aethernarkose  an¬ 
zusehen  ist.  Am  siebenten  Tage  schwindet  das  Fieber,  seit¬ 
her  ist  die  Kranke  absolut  fieberfrei.  Am  neLuiten 
Tage  werden  die  Nähte  der  per  primam  geheilten  Bauch¬ 
wunde  entfernt,  worauf  der  Heilprozeß  ungestört  vor  sich 
geht;  am  3.  November  verläßt  die  Kranke  vollständig  ge¬ 
sund  das  Spital. 

Der  Blutbefund  war  zur  genannten  Zeit  folgender: 
Hämoglobingehall  9()To ;  Zahl  der  roten  Blutköi4)erchen 
4,600.000,  Zahl  der  weißen  Blutzellen  8000.  Unter  dem 
Mikroskop  sind  Normozytose  und  Isozytose  zu  konstalieren. 
Von  den  weißen  Blutzellen  sind  66 Uo  Leukozyten,  28% 
Lymphozyten,  6%  eosinophil,  2%  basophil. 

Bei  Gelegenheit  <ler  fünf  Monate  nach  der  Operation 
\orgenommenen  Untersuchung  teilt  uns  die  Kranke  mit, 
daß  sie  seit  der  Operation  ständig  an  Diarrhoi'  leidet,  wäh¬ 
rend  das  Operationsgebiet,  seitdem  sie  beim  Heben  eines 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


1:^0 


Wassereimers  gefallen  war  und  sich  dortselbs!  stark  an¬ 
geschlagen  hatte,  etwas  empfindlich  ist. 

Die  Leberdämpfnng  beginnt  in  der  Parasternallinie'  am 
unteren  Rande  der  sechsten  Rippe  und  überschreitet  den 
Rippenbogen  ungefähr  um  drei  Finger.  Die  Milzgegend  ist 
gegen  Druck  etwas  empfindlich;  Infiltrat  läßt  sich  nirgends 
konstatieren.  Die  Milzdämpfung  fehlt  vollständig,  bloß  hinter 
der  Skapularlinie  zeigt  sich  über  der  elften  und  zwölften 
Rippe  eine  geringe,  durch  eine  aufwärts  konkave  Linie  ah- 
gegrenzte  Dämpfung,  zwei  Ouerfinger  breit  und  lang,  welche 
offenbar  dem  oberen  Pole  der  linken  Niere,  eventuell  dem 
linken  Leherlappen  entspricht. 

Echinococcus  1  i  e  n  i  s, 

Frau  .1.  S.,  38  .lahre  all,  aus  Zsolna.  Pät.  war  stets  gesinul, 
hat  nie  an  Wecljselfieber  uiul  d’yphus  gelitten  und  niemals  Spiri¬ 
tuosen  genossen ;  auch  Lues  wird  geleugnet,  wenngleich  von 
vier  Graviditäten  die  zwei  ersten  zu  Ahortusi  führten;  ihr  drittes 
Kind  start),  drei  Wochen  alt,  an  einem  unbekannten  Leiden,  beim 
vicu'ten  Kinde  zeigten  sich  einige  Tage  nach  der  Geburt  an  beiden 
Sohlen  desselben  Blasen,  doch  ist  das  Kind  derzeit  ganz  gesund. 

Irn  Januar  1905  verspürte  sie  an  der  linken  Seite  des  Bauches 
und  Rückens  stechende  Schmerzen  und  gleichzeitig  bemerkte  sie, 
daßi  sich  in  der  Gegend  des  linken  Rippenbogens  eine  Geschwulst 
(Mitwickell ;  die  Schmerzen  traten  später  wöchentlich  bloß  einmal 
oder  zweimal  auf,  Avogegen  die  GeschAVulst  rasch  geAvachsen  ist. 
Seitdem  hat  Pal.  um  3  kg  abgenonmien.  Urin  stets  normal. 

Das  Knochensystem,  die  Atmungs-  und  Zirkulationsorgane 
der  schveich  enlAAÜckelten,  abgemagerten  Frau  weisen  keine  Ver¬ 
änderung  auf.  Der  Bauch  ist,  namentlich  im  linken  Epi-  und 
Resogastrium,  vorgeAvölbt,  AA’oselbst  eine  glatte,  feste,  gegen  Druck 
unempfindliche,  den  AtembeAvegungen  gut  folgende  Resistenz  fühl¬ 
bar  ist,  die  sich  nacli  oben  uut(*r  den  linken  Rippenbogen  forP 
selzt  und  nach  unl(m  die  Nabelhöhe  um  Fingerbreite  überschreitet; 
(hu-  innere,  etwas  scharfe  Rand  derselben  erstreckt  sich  bis  zur 
■Mittellinie,  Avährend  dei'  äußere,  abgerundete  Rand  bis  in  die 
Lumbalgegend  reicht.  An  der  Vorderfläche  ist  unter  dem  Rippen¬ 
bogen  in  der  vorderen  Axillarlinie  eine  kinderhandgroße,  AAudehe, 
fluktuier(‘nde  VorAA'ölbung  fühlbar  (Echinokokkus?).  Der  t*er- 
kussionsschall  ist  über  der  Resistenz  dumpf,  die  Dämpfung  Hießt 
mit  der  Herz-  und  Milzdämpfung  zusammen.  Der  Leberrand  ist 
unter  dem  rechten  Rippenbogen  nicht  fühlbar.  Ergebnisse  der 
Blutuntersuchung  am  (>.  Februar:  Zahl  der  roten  Blutkörperchen 
■1,247.000,  die  der  AV(dßen  14.000;  am  10.  Februar:  Zahl  der  roten 
Blutkörperchen  4,000.000,  di('  der  Aveißen  Blutzellen  16.000. 

Das  Blut  zeigt  Nuj'mozytenty])us  mit  orthochromatischer  Iso- 
zylose.  Von  den  AA’eißen  Blutzellett  sind  64"Ai  polynukleäre,  neulro- 
l)liile,  5"‘'  mmtrophih*  Myelozytmi,  20'’"  eitdeernig  klein,  (S?'"  ein¬ 
kernig  grftßer,  D'/o  eosinophil  mehrkernig,  2'L  basophil  granuliert. 

0 p  e  r  a  t  i  o )i  a  m  7.  M ä r  z  1906  in  G  h  1  o r  o  f  o r  ju  n  a r k  o s e. 

Oeffnung  der  Bauchhöhle  in  der  Mittellinie,  bald  ein  Hilfs- 
sclmilt  quer  durch  den  linken  Bektus;  die  große  Milz  ist  durch 
zahlreiche  Adlüisionen  an  das  Peritommm  parietale  und  an  das 
ZAA-erchfell  fixiert.  Erst  nach  mühsamer  Trennung  dieser  Ad¬ 
häsionen  und  nachdem  214  Liter  einer  wasserklaren  Flüssigkeit 
niillels  S{)en  (•('!•  scluMi  'froikai'ls  aus  der  zystösen  GeschAAUilst 
(Mitleert  siiul,  läßt  sich  dieselbe  herausAvälzen.  Nun  Averden 
die  zum  Milzhilus  f  ü  h  r  e  n  d  e  n  G  e  f  ä  ß  e  isoliert  u  n  d  m  i  t 
S  e  i  (1  e  u  ri  I  e  i'  h  u  n  d  e  n,  av  o  b  e  i  aa'  i  r  b  e  s  o  n  d  e  r  s  d  a  r  a  u  f  a  c  h- 
|(“n,  daß  die  Lä])pchen  ries  Pa  n  k  r  e  a  s  s  c  h  av  e  i  f  (^s  nicht 
in  die  Ligatur  geraten.  Nach  Entfernung  der  Milz  Avird  die 
parenchymatöse  Blutung  aus  den  Adhäsionen,  soAvie  die  Blutung 
d(M-  kleinem  Gefäße  duich  vorläufige  Tamponade  und  mehrläche, 
uiid’asseu'h'  Nähte  gestillt  und  dann  die  an  der  Bursa  omental  is 
))efindlich(‘,  6  cm  lang<‘  Sjealte  A'ereinigl ;  sodann  folgt  schichten- 
AviMse  Veu’eijiigung  der  BauchAVändi“  mit  vollslämliger  Venschließiing 
(h‘r  Bauchhöhle. 

Die  mdterntc'  .Milz  ist  25  cm  lang,  17  cm  brcnl  und  1350  g 
scliAver.  Das  Milzgeuveda'  umfaßt  an  der  inneren  und  unlmam 
lVri])h<*ri(“  Imfeisenfiwmig  die  mannskopfgroße  Echiiio- 
kokkemblase. 

D(m-  ll(qlpr()zeß  voi-lärifl  irlmal  iingr'slörl,  di)‘  Kranke* 
ist  stets  gänzlich  fieberfrei,  was  dein  üinstande  zu- 
znschreihen  ist,  daß  der  Rankreasschweif  beim  Ihiterliinden 
fl(‘r  llilnsgefäße  niebt  ver](‘fzt  Avorden  ist. 

Die  Nälite  Averd<*n  aebt  'l'age  nacb  dei'  ( liberation  (*nt- 
feriit.  Zur  selben  Z(‘it  belrägl  die  Zabl  der  roten  Blut¬ 
körperchen  8,2ß0.000  die  der  weißen  Rlnlzellen  11.200. 


Wir  sahen  im  zweiten  Falle,  daß  die  Rekonvaleszenz 
anfänglich  bei  gänzlich  befriedigendem  Allgemeinbefinden 
und  mäßigen  Temperatursteigerimgen  vor  sich  ging,  bis 
2V2  Wochen  nach  der  Operation  im  linken  liintereiT,  oberen 
Teile  der  ßanchhöhle  eine  aus  der' Umgebung  ■  •des  Opera- 
tionsstumpfes  ausgehende,  flache,  ziemlich  indolontU  Resi¬ 
stenz  fühlbar  wurde,  welche  sich  bis  zur  Wirbelsäule  er¬ 
streckte.  Die  Resistenz  zeigte  rasches  Wachstum  und-  er¬ 
reichte  schon  nach  einigen  Tagen  den  linken  Darmbemkamm. 
Inzwischen  stellten  sich  (24  Tage  iiach’  der  )  Operation) 
regulär  auftretende,  hohe  (bis  40-5^^  C  steigende),  intermittie¬ 
rende  Temperatursteigerungen  ein.  ■  ’  ' 

Zur  Zeit,  als  sich  diese  Kranke  auf  meiner  Ableilnng 
im  St.  Stephan-Spital  befand,  hatte  ich  in  meiner  Spitals¬ 
und  Privatpraxis  Gelegenheit,  zufälligerweise  mehrere  Fälle 
von  abdominaler  Fettgewefisnekrose  zu  beobachten,  welche 
sich  an  Erkrankungen  der  Rauchspeicheldrüse  anschlossen 
und  durch  meinen  damaligen  Assistenten  Dr.  Pölya  auch 
eingehend  beschrieben  wurden. 

Die  ausgeprägte  Aehnlichkeit  dieser  Fälle  mit  dem 
Krankheitsbilde,  welches  die  oben  erwähnte  splenektomi- 
sierte  Patientin  aufAvies,  Avar  nicht  zu  verkennen. 

Auffallend  war,  daß  nach  der  Operation,  zuerst  auf 
einem  geringen  Gebiete,  eine  schwer  nachweisbare,  unbe¬ 
deutende  Empfindlichkeit  zeigende  retroperitoneale  Infiltra¬ 
tion  zustande  kam,  welche  sich  im  retroperitonealen  Fett¬ 
gewebe  etappenweise  ausbreitete,  so  daß  Perioden  der  Ex¬ 
azerbation  und  des  Stillstandes  einander  folgten.  Die  Loka¬ 
lisation  und  VerbreitungSAAmise  der  Infill  ration,  soA\de  ihre 
Konsistenz  und  die  bei  der  Palpation  wahrnehmbare  rauhe 
und  höckerige  Oberfläche  desselben  entsprachen  vollkommen 
dem  in  einem  Falle  von  leichter  verlaufenden  Fettgewebs- 
nekrose  wiederholt  konstatiertem  Befunde.  So  suchte  ich 
festzustellen,  ob  sich  niclil  auch  diese  nach  Milzexstirpa¬ 
tionen  beobachtete  Veränderung  auf  eine  Avährend  der  Opera¬ 
tion  zustande  gekommene  Pankreasläsion,  bzw.  auf  eine 
aus  derselben  hervorgegangene  Fettgewebsnekrose  zurück- 
fübren  ließe. 

Da  bei  der  Milzexstirpation  eine  Verletzung  des  Pan¬ 
kreas  sehr  leicht  möglich  ist,  durch  diese  Verletzungen  aber 
die  Bedingungen  einer  FettgeAvebsnekrose  in  der  Umgebung 
des  Milzstumpfes  gegeben  werden,  schien  mir  bei  der  auf¬ 
fallenden  Uebereinstimmung  der  Krankheitsbilder  der  Schluß 
zulässig:  daß  die  Temperatursteigerungen  nach  Splenek- 
tomie  der  bei  der  Operation  gesetzten  Pankreasverletzung 
und  tier  biedurch  bervorgebrachten  Fettgewebsnekrose  zu¬ 
zuschreiben  sind. 

Ein  gewöhnliches  Stumpfexsudat,  Avie  dies  z.  B.  nach 
Ovariotomieu,  Netzunterbindungen  infolge  einer  Infektion, 
aus  dem  Stumpfe  oder  aus  der  Ligatur  hei'A'orgebend,  beob¬ 
achtet  Averden  kann,  Avar  sclnverlich  anzunehmen.  Dagegen 
sprach  die  große  Häufigkeit,  fast  Regelmäßigkeit,  mit  der 
diese  Temperatursteigerungen  nach  iVIilzexstirpationeii  auf- 
treten,  soAvohl,  Avie  das  klinische  Bild,  das  Fehlen  von  Sup¬ 
puration,  Perforation  des  Eiters,  welche  kaum  der  Aufmerk¬ 
samkeit  so  vieler  gediegener  Beobachter  entgangen  wären. 
Viele  Autoren  heben  ja  gerade  bervor,  daß  dieAnnaiune  eines 
Stumpfexsudates  mit  Sicherheit  auszuschließen  war. 

Daß  T'emjteratursteigerungen  und  letroperitoneale  Infil¬ 
trationen  in  Gefolge  von  Milzexstirjiationen  verhältnismäßig 
häufig  zu  l)(‘obachteii  sind,  läßt  sich  am  ehesten  durch  äli(‘ 
anatomischen  V  (*  r  bäl  t  n  issn  erklären,  welche  —  wie 
bereits  hervorgeboben  —  bei  der  Versorgung  des  Milz- 
stumpfes  sehr  leicbl  (‘ine  Läsion  der  •Bauchspeicheldrüse, 
gestatten.  Die  .Milz  sitzt  mit  ihrer  Basis*'  bekanntermaßen 
der  linken  Nien*,  bzAv.  Neb(*)miere  an  und  ist  in  dieser  Lage 
diircb  zablreicbe  Baucbfellduplikat.uren  fixiert.  Diese  Peri- 
lonealduplikaturen  sind  die  folgenden:  das  Lig.  pbreno- 
splenicum,  lüg.  gastrolienab',  Lig.  pancreaticolienale  und 
Lig.  splenicocolicum.  Die  innere,  auf  einem  kleinen  G(‘biote 
vom  Bauchfelle  nicht  überzogene  Oberfläcbe  der  Milz  liegt 
der  groß*“!)  Kuivatur  des  Magens  und  detTi  Scbw('if  der 


Nr  5 


WIENER  KLINISCHE  WüCilENSCilRIFT.  1907. 


12i 


Baudispeiclieldrüse  an  und  naiiuMidicdi  der  Jelztere  ist  ihr 
am  iiäGhsteii  gelegen.  '  . 

,  ln  einzelnen  Fällen  kommt  es  sogar  vor/,  daß  das 
Lig'.  phi'enicolienale,  welches  auch  ansonsten  kurz  ist,  voll- 
küimnen  fehlt  und  dann  kommt  das  kaudale  Ende  der  ßaiich- 
speicheldrüse  mit  der  kleinen  vom  Bauchfelle  nicht  ge¬ 
deckten  dreieckigen  Fläche  der  Milz  in  unmittelbare  Be- 
rührung..,i  Die  iMilzschlagad(U‘,  die  Art.  lienalis,'  zieht,  nach¬ 
dem  sie  aus  der  Art.  coeliaca  ausgegangen  ist,  an  der  hin¬ 
teren  Fläche  der  Bauchspeicheld.rüs(‘  in  horizontaler  Rich¬ 
tung  gegen  den  Milzhilus  ■  hin,  kommt  jedoch  im  Schweif¬ 
teile  des  Pankreas  bereits  auf  dessen  oberen  Ramb,.  bald 
auf  die  Vorderfläche  desselben.  Sehr  nahe  der  Mjlz,  ins- 
g  e  s  a  m  t  5  bis  6  mm  v  o  m  .  H  i  1  u  s  derselben  entfernt , 
gibt  sie  die  Art.  gastro-epiploica  sin.  ab,  während  die  eigent¬ 
liche  Milzarterie,  selbst  in  den  Hilus  mündet,  ln  der  unmittel¬ 
baren  blähe  der  Milz  verläuft  die  Milzvene  eng  neben  der  Ar 
teile.  Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  ist  noch  das  Verhältnis 
der  Milzbänder  zu  den  (Jelaßen.  Die  Größe  dieser  Bänder 
zeigt  nicht  nur  individuelle  Schwankungen,  sondern  weist 
auch  hei  ein  und  demselben  Individaum  Veränderungen 
auf.  Beispielsweise  ist  das  Lig.  gastrolienale  bei  leerem 
Ma  gen  länger  als  dann,  wenn  der  Raum  zwischen  den  beiden 
Blättern  der  Bauchfellduplikatur  durch  den  gefüllten  Magen 
aiisgefüllt  wird.  Hinter  dem  Lig.  gastrolienale,  zwischen  den 
Blättern  des  Lig.  pancreaticolienale  befinden  sich  die  Vlilz- 
gefäße,  folglich  stellt  letzteres  Band  den  Stiel,  respektive 
nach  Exstirpation  den  Stumpf  der  Milz  dar.  ln  der  über¬ 
wiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  ist  dieser  Stiel  nicht  über 
2  5  cm  lang,  erreicht  indessen  in  einzelnen  Fällen  die  Länge 
von  3.  ja  sogar  5  cm,  während  er  nicht  selten  ganz  fehlt, 
wobei  die  Entfernung  .zwischen  Milz  und  Schweif  der  Bauch¬ 
speicheldrüse  weniger  als  2-5  cm  beträgt.  Dementsprechend 
ist  es  begreiflich,  daß  der  Schweif  des  Pankreas  bei  Milz¬ 
exstirpationen  sehr  leicht  sowohl  unmittelbar,  wie  hesonders 
durch  die  Ligaturen  und  Umstechungen,  welche  zur  Ab¬ 
bindung  des  Milzstieles  dienen,  verletzt  wird.  Diese  letztere 
Art  der  Verletzung  kann  nur  mit  ganz  besonderer  Sorgfalt 
vermieden  werden. 

Bei  der  Exstirpation  einer  Wandermilz  ist  die  Möglich¬ 
keit  der  Pankreasverletzung  noch  größer:  (?s  wird  näm¬ 
lich  der  Schweif  der  Bauchspeicheldrüse  durch  die  Milz 
mit  dessen  Stiel  herausgezogen  und  wiederholt  bat  es  sich 
in  ähnlichen  Fällen  ereignet,  daß  bei  der  Abtragung  der 
Milz  auch  der  Pankreasschweif  mit  amputiert  wurde.  Ob 
mm  das  Pankreas  flirekt  verletzt  oder  bloß  bei  den  Uin- 
stechungeti  mit  gefaßt  wird  —  wie  es  Billroth,  um  dem  Ab¬ 
rutschen  der  ligaturen  vorzubeugen,  prinzi])iell  vorge- 
scblagen  hatte,  immerhin  besteht  die  Vlöglichkeit,  daß  der  aus¬ 
strömende  Pankreassaft  in  das  umgebende  Bauchfettgewebe 
gerate  und  demzufolge  eine  Autopepsis  dieses  Fettgewebes 
durch  das  lipolytische  Ferment  des  Pankreasisaftes  bewirkt 
werde.  So  entsteht  in  der  Thngehung  des  Milzstumpfes  Fett- 
gewebsnekrose  ganz  analog  den  Katz  und  Wink  1er sehen 
Tierexperimenten,  wo  durch  mehrfache  Unterbindung  der 
Bauchspeicheldrüse  mit  Schonung  der  (jJefäße,  in  sämtlichen 
Fällen  eine  Fettgewehsnekrose  hervorgerufeiiiwerden  konnte. 

In  der  Umgehung  dieses  nekrotisierten  Eettgevvehes 
beginnt  ein  von  Bakterien  unabhängiger  aseptischer  Enl- 
zündungsprozeß,  welcher  zur  Sequestration  der  abge¬ 
storbenen  Fettpartien  führt.  l)i(>  an  der  Stelle  des  Milz¬ 
stumpfes  vorhandene,  zuweilen  sehr  schwer  fühlbare  In¬ 
filtration,  welche  sieb  stets  hinter  dem  Kolon  und  .Magen, 
teilweise,  unter  der  Zwerchfellku[)p('  befimUd,  ist  mit  größt<‘r 
Wahrscheinlichkeit  als  Folge  diesen'  scniuestrierenden  Enl- 
zündung  zu  helrachlen,  währ(m(l  die  d'ielxn'haflen  Tein- 
peratursteiger.ungen  auf  llesorption  (hn  nekrotisedjen  Massen 
beruhen. 

Ist  der  Pj'ozeß  (un  Unchler,  bzw.  die  V'cnTetzrmg  keim' 
bedeutende  und  sind  dem('nlsiir('chend  die  Nekrosen  g('- 
ringer,  so  kann  si(di  nacb  mäßig  iid('nsiven.  Ei'sclu'inungc'u 
und  kurzem  Verlaufe  Hebung  oder  ein  gc'wisser  Slillstands- 
zustand  einsl(*llen.  Doch  kamt  nach  (lieseun  Stadium  der 


Prozeß  von  neuem  aufflackern  und  einen  heftigeren  Cha- 
raktej'  annehmen,  wenn  Bakterien  in  die  nekrotischen  Ge- 
vvebsmassen,  welche  als  Locus  minoris  resistentiae  einen 
vorzügliclK'ii  Nährboden ,  für  Mikroorganismen  bilden,  ein- 
vvandern  oder  die  Zersetzungsprodukte  der  abgestorbeiu'n 
Gewebe  sich  nach  Vdrlauf  einer  gewissen  Zeit  ansammeln 
und  zur  Resorption  gelangen.  Ein  solches  Vorkommnis  war 
in  meinem  dritten  Falle  zu  beobachten.  Hier  wurde  die  Ex¬ 
stirpation  der  malarisch  vergrößerten  Milz  vorgenonnnen. 
Die  Rekonvaleszenz,  nach  der,  0],>eration  verzögerte  sich  be¬ 
deutend  und  war  mit  Fielder,  Schmerzen  und  retroperi- 
lonealer  Infiltration  verbunden.  Diese  Erscheinungen  gingen 
dermaßen  zurück,  daß  Pat.  das  Spital  in  gutem  Zustande 
verlassen  konnte.  Nach  mehrwöchentlicher  Euphorie  st('lll('n 
sich  die  Schmerzen,  das  Fieber  und  die  Infiltration  von 
neuem  ein,  so  daß  eine  wiederholte  Aufnahme  ins  Spital 
(auf  die  Abteilung  des  Prof.  Angyäii)  notwendig  wurde. 

Nach  mehrwöchentlicher  interner  Behandlung  konnte 
eine  ständige  Besserung  ('rreichl  werden,  die  Anämie  ließ 
von  Tag  zu  Tag  nach,  d('r  Patient  wurde  arbeitsfähig  und 
hat  seit  der  Operation  12  kg  zugenommen. 

Ich  will  hesonders  nocli  hervorheben,  daß  die  Teni- 
peralursteigerungen  nach  IMüzexstirpationen  keinen  konti¬ 
nuierlichen  Charakter  zeigen,  sondern  Remissionen  und  in 
gewissen  Fällen,  wie  z.  ß.  in  unserem  zweih'ii  Falle,  sogar 
typische  Intermissionen  aufweisen. 

Im  erwähnten  Falle  zeigte  die  Fieberkurve  einen  aus¬ 
gesprochen  malariaartigen  Charakter.  Nach  je  zweitägigen 
Bemissionejt  folgten  ganz  regelmäßig  Exazerbationen,  so 
daß  bloß  der  negative  Piasmodienbefund,  sowie  die  Spontan¬ 
heilung,  welche  binnen  zwei  Wbxdu'u  ohne  Darreichung  von 
Chinin  ('rfolgte,  es  bewiesi'ii,  daß  die  Krankheit  mit  Wechsel¬ 
fieber  nichts  Gemeinschaftliidies  hatte.  Der  TypuS'  des  ge¬ 
schilderten  Fieberverlaufes  läßt  sich  durch  die  periodische 
Resorption  von  fiebererregi'inlen  Stoffen  erklären.  Daß  das 
Fieber  bei  gewöhnlichen  bakteriellen  Infektionen,  nament¬ 
lich  bei  eitrigen  Leberprozessen  einen  intermittierenden  Cha¬ 
rakter  (wobei  die  Temperatur  tagelang  nicht  die  Norm  über¬ 
steigt)  aufweisen  und  einen  ganz  malariaähnlichen  Typus 
annehmen  kann,  ist  eine  bereits  seit  langem  bekannte  Tat¬ 
sache.  ln  diesen  Fällen  mögen  die  periodischen  Exazer¬ 
bationen  darauf  beruhen,  daß  sich  dem  .Vbflusse  des  infek¬ 
tiösen  Sekretes  zeitweise  gewisse  Hindernisse  ('iitgegen- 
stellen  (z.  B.  wird  die  Gallcnpassage  durch  einen  Chole¬ 
dochusstein  vorübergehend  aufgehoben),  zufolge  dessen  sich 
eine  Vermehrung  der  .Mikroorganismen,  gesteigerte  Produk¬ 
tion  von  Toxinen  und  vermehrte  Resorption  derselben  ein¬ 
stellen.  Mitunl('r  läßt  sieb  auch  bei  anderen  Prozessen, 
namentlich  liei  großen  Tumoren,  nicht  ulzerierten  Sarkomen, 
eine  ähnliche  Fieberkurve  —  ab  und  zu  hohe  Temiieraturen, 
inzwischen  vollkommen  afebrile  Tage  und  Wochen  -  heob- 
achten.  In  diesen  Fällen  müssen  wir  annehmen,  daß  sicli 
die  Verhältnisse  zur  Desorption  der  in  der  Gesehwulst  ge¬ 
bildeten  fiebererregenden  Stoffe  nur  zeitweisi'  günstig  ge¬ 
stalten,  während  die  Produkte  des,  im  Neugebibh'  statt¬ 
findenden  Zerfalles  ansonsten  nicht  in  die  Zirkulation  ge¬ 
raten  und  daher  auch  kein  Fieber  hervorrufen.  Bei  den, 
in  den  elx'n  geschilderti'n  Fällen  angenommenen  Fetlgewelis- 
nekrosen  sind  tlie  Verbällnisse  für  die  Resoridion  der  ge¬ 
bildeten  Zerfallsproilukle  in  dem  retroperitoiK'alen  Fettge¬ 
webe,  di'ssen  Zirkidation  eitu'  äußerst  langsame  ist  —  und 
dessen  Lymphabfluß  außerdem  auch  durch  die  voi'ange- 
gangene  Entzüiulung  gi'lilti'n  bat  ^  durchaus  ungünstige. 
\Vahrs(dieinlich  gelangen,  diese  Produkt, ('  bloß  dann  in  das 
Lymphgc'fäßsystem,  w('nn  sie  imstande  sind,  eine  gewisse 
d’ension  auszuüben,  nachdem  sie  im  umgi'benden  Gewi'bs- 
safte  eine  gewissi'  Konzi'Ut ration  erreicht  habc'ti.  1st  dies 
geschehen  Und  geraten  die  Zi'rfallsprodukte  in  die  Zirku¬ 
lation,  so  stellt  sich  Fieber  ('in,  welches  durch  .Vusscheidung 
dieser  k'ernu'ulstoffe  mittels  d('i’  Bbdbahn  dureb  Nieren  und 
Leber  wiedc'r  aufgehoben  wird.  .Vaturgemäß  treten  auch 
in  diesem  Falle  nur  dann  Temperatursleigerungen  auf,  w('nn 
di('  ZerfaJlsprodukli'  ads'  <L'>u  fett  nekrotischen  Herde  zur 


löU  J 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


Resorption  koinnien,  dessen  Bedingungen  kehren  aber  — 
wenn  man  das  Maß  des  Zerfalles  und  die  Zirkulations Ver¬ 
hältnisse  als  konstant  betrachtet  ■ —  in  gewissen,  regel¬ 
mäßigen  Zeiträumen  zurück.  Sehr  wahrscheinlich  bedarf 
es  bei  der  langsainen  Zirkulation  der  (Jewebssäfte  in  den 
infiltrieiden  Geweben  mehrej'er  Tage,  bis  die  fiebererregen- 
den  Stoffe  in  den  Lymph-  und  von  da  aus  in  den  Blutstrom 
geraten. 

Nachdem  die  genaue  Beobachtung  des  Krankheitsver¬ 
laufes  im  zweiten  Falle  in  mir  den  Verdacht  erweckte,  daß 
Temperatursteigerungen  und  das  Exsudat  nach  Milzexstir¬ 
pationen  mit  Fettgewebsnekrosen  Zusammenhängen  und 
dieser  Verdacht  nach  Beobachtung  des  dritten  Falles,  sowie 
auf  Grund  des  Studiums  der  bezüglichen,  ziemlich  spär¬ 
lichen  Literatur  zu  meiner  Feberzeugung  geworden  ist,  be¬ 
durfte  ich  bloß  noch  einer  Gegenprobe,  welche  naturgemäß 
darin  bestehen  sollte,  daß  der  Verlauf  einer  folgenden  Milz- 
cxslirpation  bei  strengster  Schonung  des  Pankreasschweifes 
vor  der  geringsten  Läsion,  nach  der  (Operation,  ein  unge- 
slörter,  vollkommen  fieberloser  sei. 

Zur  Anstellung  dieser  Kon  trollprobe  hatte  ich  in 
meinem  vierten  und  fünften  Falle  Gelegenheit. 

Ich  führte  die  Milzexstirpation  in  diesen  Fällen  wegen 
Splenomegalie  primitiva,  res])ekFve  Milzecliinokokkus  durch, 
wobei  ich  jede  Verletzung  der  Bauchspeicheldrüse  sorg- 
fältigst  vermied,  indem  ich  die  Milzgefäße  nicht  en  masse, 
sondern  unmittelbar  neben  der  Milz  parlieweise  unterband. 
Trotzdem  in  einem  dieser  Fälle  während  der  Versor¬ 
gung  des  Stumpfes  eine  Ligatur  abgerutscht  ist,  wendete 
ich  keine  umfassende  Ligatur  in  der  Tiefe  an,  sondern  unter¬ 
band  die  Arterie  isoliert  von  neuem,  und  das  Ergebnis  war 
ein  günstiges. 

Im  vierten  Falle  war  der  Patient  von  den,  auf  Bron¬ 
chitis  beruhenden  geringeren  Temperatursteigerungen  ab¬ 
gesehen,  vom  vierten  Tage  an  vollends  fieberfrei 
und  der  Verlauf  des  Heilprozesses  ein  unge¬ 
störter. 

Im  fünften  Falle  war  der  Verlauf  ganz  und  gar 
fieberlos. 

Auf  diese  AVeise  ist  die  Frage  meiner  Ansicht  nach 
von  allen  Seiten  her  entsprechetid  aufgeklärt.  Das  nach 
Splenek  toniien  auftretende  Fieber  stellt  stets 
eine  aseptische,  durch  kleinere  Fettgewebsne¬ 
krosen  um  den  Stumpf  herum  bedingte  Tempera¬ 
tu  rs  te  i  g  (>  run  g  dar,  welche  stets  zu  vermeiden  ist, 
wenn  man  dafür  Sorge  trägt,  daß  der  Schweif  der 
Bauchspeicheldrüse  nicht  in  die  Ligatur  mit  ge¬ 
faßt  und  dadurch  verletzt  werde.  Dies  läßt  sich  auf 
die  Weise  erreichen,  daß  die  Hilusgefäße  unmittelbar  neben 
der  Milz  —  u.  zw.  partieweise  —  unlerbimden  werdcui. 

Es  emi)fiehlt  sich  hiebei,  keine  Klammern  anzuwenden, 
sondern  jedes  Gef.äß  unmittelbar  bei  seinem  Austritte  aus 
der  Milz  initlels  zwei  bis  drei  Seidenligaturen  zu  unter¬ 
binden.  Dieses  Verfahren  ist  um  so  mehr  zu  empfehlen, 
als  diese  Ligaturen  wesentlich  verläßlicher  halten,  als  die 
en  masse  angebrachten  und  demgemäß  auch  zu  Na(‘h- 
blulungen  seltener  Anlaß  bieten. 


Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium  des  k.  und  k. 
Militärsanitätskomitees. 

(Vorstand:  Regimentsarzt  Dr.  R.  Doerr.) 

Zur  ätiologischen  Diagnose  des  Typhus 

abdominalis.^) 

Von  Rr.  Hugo  Raubilscliek,  k.  und  k.  Oberarzt. 

Aleine  Herren!  Wie  Sie  wissen,  brach  im  Herbst  des 
V('rflossenen  .lahres  unter  den  Truppen,  die  vom  Alanöver- 
hdd  in  die  AViemu*  Garnison  zurückgekehrt  waren,  eine 
Typhus(‘i)idemie  ans,  welclu'  allerdings  auf  die  von  aus¬ 

*)  Vortrag,  gehalten  am  12.  Januar  1907  im  wissenschaftlichen 
Verein  der  Militärärzte  der  Garnison  Wien. 


wärts  eingeschleppten  Fälle,  dank  der  umsichtigeii  und  ener¬ 
gischen  Prophylaxe  beschränkt  blieb,  die  aber  doch  ein  be¬ 
achtenswertes  Material  für  das  Studium  dieser  Erkrankung 
lieferte.  Der  vielfach  ganz  leichte  Charakter  der  Infektion, 
der  häufig  atypische  Beginn  der  Krankheit,  die  Notwendig¬ 
keit,  bei  jedem  neu  erkrankten  Alann  der  verseuchten  Regi¬ 
menter  so  schnell  als  möglich  eine  einwandfreie  Diagnose 
zu  stellen,  machten  hier  noch  mehr  wie  anderwärts  die 
Unzulänglichkeit  der  klinischen  Diagnostik  fühlbar. 

Nun  ist  es  ja  bekannt,  daß  wir  in  der  G  ru  b  e  r  -  AAM d  al- 
§chen  Reaktion  seit  .fahren  ein  wertvolles  Hilfsmittel  be¬ 
sitzen,  welches  uns  gestattet,  die  Typhusdiagnose  auf  eine 
sichere,  ätiologische  Basis  zu  stellen.  Es  wird  aber  keinem, 
der  an  einem  größeren  Krankenmaterial  in  unseren  leider 
so  zahlreichen  endemischen  Typhusherden  gearbeitet  hat, 
entgangen  sein,  daß  jene  allzu  optimistischen  Hoffnungen, 
die  man  seinerzeit  auf  die  klinische  Leistungsfähigkeit  des 
spezifischen  Agglutinationsphänomens  gesetzt  hat,  sich  nicht 
völlig  erfüllt  haben.  Abgesehen  davon,  daß  man  bei  einem 
positiven  Ausfall  der  Reaktion  anamnestisch  in  allen  Fällen 
erst  einen  vorausgegangenen  Typhus  ausschließen  mußi,  um 
die  Agglutination  für  die  bestehende  Erkrankung  diagno¬ 
stisch  verwerten  zu  dürfen,  leidet  die  Brauchbarkeit  der 
Gruber-AVidalschen  Reaktion  für  die  Frühdiagnose  be¬ 
sonders  dadurch,  daß  meist  erst  in  der  zweiten  Krank¬ 
heitswoche  die  Agglutinine  im  Serum  des  Patienten 
jene  Mengen  erreichen,  die  diagnostisch  beweisend  sind. 
Namentlich  diese  letztere  Tatsache  ist  dort  von  Be¬ 
deutung,  Avo  es  sich  nicht  um  einige  wenige,  sporadische 
Fälle,  sondern  um  Epidemien  in  dicht  gedrängten  Menschen¬ 
massen  handelt,  wo  eine  eventuell  nicht  entsprechende 
sanitäre  Versorgung  eines  neuen,  leichten  oder  abortiven 
Falles,  zur  AVeiterverbreitung  Veranlassungi  geben  kann. 

Und  endlich  gibt  es  ja  zweifellos  Fälle  von  sicherem 
Typhus,  bei  denen  die  Widal  sehe  Reaktion  im  ganzen 
A^erlauf  der  Erkrankung  negativ  bleibt;  so  war  Gelegenheit 
gegeben,  einen  Typhus  hei  einem  Offizier  zu  beobachten, 
bei  dem  die  G  ru  b  e  r  -  W  i  d  a  1  sehe  Reaktion  fünf  AVochen 
hindurch  stets  negativ  ausfiel  und  erst  eine  in  der  Rekon¬ 
valeszenz  auftretende  A^enenthromhose,  die  zur  Vereiterung 
und  zum  schließlichen  Durchbruch  führte,  eine  sichere  Dia¬ 
gnose  durch  den  kulturellen  Nachweis  von  Typhusbazillen 
im  Eiter  ermöglichte.  Die  Serumreaktion  ist  also  kein  patho- 
gncmonisches  Zeichen,  sondern  nur  mit  ein  Symptom  des 
Typhus;  ihr  positiver  Ausfall  spricht  keineswegs  eindeutig 
für  einen  hestehenden  Typhus,  ein  negatives  Resultat  der 
Reaktion  ist  diagnostisch  gegen  Typhus  kaum  zu  verwenden. 

Es  war  deshall)  ein  großer  Fortschritt,  als  Schott- 
niüller^)  gezeigt  hat,  daß  die  Züchtung  der  Typhuserreger 
aus  dem  Blute  das  verläßlichste  Hilfsmittel  zur  Frühdiagnose 
des  .Abdominaltyphus  bildet. 

Das  A'orhandensein  der  Erreger  im  Blute  wurde  schon 
lange  zur  Erklärung  der  verschieden  lokalisierten,  relativ 
häufigen  posttyphöseu  Abszesse  postuliert.  Seit  den  ersten 
Veröffentlichungen  über  den  bakteriologischen  Nachweis  der 
Typhushazillen  im  zirkulierenden  Blute,  die  von  Kühne,“) 
Gas  teil  a  ni,^)  S  ch  o  ttm  ü  1 1  e  r“^)  und  Neufeld^)  stam¬ 
men,  ist  die  früher  allgemein  vertretene  Ansicht,  daß.  dtvr 
Typß'is  abdominalis  eine  streng  auf  den  Darm  lokalisierte 
Infektionskrankheit  wäre,  verlassen  und  heute  weiß  man, 
daß  (‘s  si(di  in  den  allermeisten  T'äihm  um  eine  echte  Typhus- 
bakteriämi«'  hamhdi.  Diese  Tatsaelu'  ist  vom  e])idemiologi- 
schen  Gesicbts[)unkte  eigentlich  wenig(‘r  interessant,  da  eine 
direkte  oder  indirekte  Infektioji  vom  Blut  eines  Typhus¬ 
kranken  aus  jedenfalls  außerhall)  des  Bereiches  der  j)rak- 
tischen  AVahrscheiidichkeit  liegt,  ir)  diagnostischer  Hinsicht 
ist  sie  jedoch  von  allergrößter  AAGcditigkeit.  Eim*  ganze  Reihe 


>)  Münchener  mcd.  Wochenschrift  1902,  Nr.  25  und  38. 
h  Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektionskrankheiten,  Bd.  25. 

La  settimana  medica  1899,  Nr.  3. 
d  Deutsche  med.  Wochenschrift  1900,  Zeitschrift  für  Hvgiene, 
Bd.  36. 

Zeitschrift  für  Hygiene  1899. 


Nr.  5 


131 


WIENER  KLINISCH K 


von  Autoren  haben  Methoden  angegeben,  mil  Hilfe  deren 
es  ihnen  in  einem  größeren  oder  geringeren  Prozentsatz 
gelangen  ist,  Typhusbazillen  im  Blute  nachzuweisen.  Da  die 
Anzahl  der  Typhasbazillen  in  einer  Quanlihät  Blut  meist 
eine  sehr  geringe  ist,  so  war  man  darauf  bedacht,  durch 
Anreicherungsmefhoden  zu  einem  positiven  Resulhit  zu  kom¬ 
men.  lieber  diesen  Punkt  hat  in  allerletzter  Zeit  Conradi'p 
bemerkenswerte  Resultate  und  Methoden  veröffentlicht.  Es 
ist  ihm  mit  Hilfe  einer  (Tallenanreicherung  (5  cnP  Rinder¬ 
galle,  10®/o  Pepton,  10  To  Glyzerin)  gelungen,  auch  in  ganz 
geringen  Quantitäten  Blut  (OT  bis  0-2  cm^)  sehr  häufig 
Typhusbazillen  nachzuweisen.  Eine  Gallenvorkultur  soll 
nach  Conradi  aus  dem  Grunde  einer  direkten  Einsaat 
von  Blut  in  clas  Nährsubstrat  überlegen  sein,  weil  die 
Galle  eine  Anreicherung  der  Typhusbazillen  bewirkt  und 
durch  Aufheben  der  bakteriziden  Wirkung  des  Blutserums, 
wie  auch  durch  Hemmung  der  Blutgerinnung  eine  ungestörte 
und  gleichmäßige  Entwicklung  der  im  Blut  vorhandenen 
Typhuskeime  bedingt.  Conradi  glaubt,  daß  jede  Blutprobe, 
deren  Menge  zur  Anstellung  der  G  ru  ber- Widalschen  Re¬ 
aktion  him-eicht,  gleichzeitig  zum  kulturellen  Nachweis  der 
Typhusbazillen  geeignet  ist. 

Müller  und  Gräf^^  haben  dagegen  vor  einiger  Zeit 
die  interessante  Mitteilung  gemacht,  daß  bei  der  Gerinnung 
die  im  Blut  vorhandenen  Typhusbazillen  in  die  Placenta 
sanguinis  übertreten  und  hier  vor  der  Schädigung  des 
Serums  bewahrt  sind,  das  lange  Zeit  klar  und  keimfrei  bleibt. 
Sämtliche  Bakterien  würden  von  den  Fibrinnetzen  des  Blutes 
eingefangen  und  in  dem  sich  kontrahierenden  Blutkuchen 
zurückgehalten.®)  Sie  empfehlen  daher,  den  zerkleinerten 
Blutkuchen  unter  sterilen  Kautelen  auf  Drigal  ski- Platten 
mittels  eines  Glasspatels  zu  verstreichen,  und  wollen  mit 
dieser  Methode  auch  bei  kleinen  Blutquantitäten  befriedi¬ 
gende  Resultate  erhalten  haben.  Dagegen  empfehlen  eine 
Reihe  anderer,  besonders  italienischer  und  französischer 
Autoren®)  die  Nährhouillon  für  die  Bluteinsaat.  Hat  eine 
Agarmethode  vor  der  Bluteirisaat  in  ein  flüssiges  Nähr¬ 
medium  zweifellos  den  Vorzug,  daß  sie  gestattet,  exakte 
Zählungen  der  im  Blute  vorhandenen  Mikroorganismen  vor- 
zunehmen,  so  darf  man  nicht  vergessen,  daß  in  diesem 
speziellen  Fall  es  weniger  auf  die  Zahl  der  Keime  an¬ 
kommt,  als  auf  die  sichere  Entscheidung,  ob  im  Blute  Typhus¬ 
bazillen  nachweisbar  sind  oder  nicht. 

Jedenfalls  erfordern  beide  Methoden  gleich  viel  Zeit; 
nur  benötigt  man  für  die  Bouilloneinsaat  größere  Blutmengen, 
wenigstens  2  bis  3  cm®,  die  man  kaum  anders  als  durch 
Venenpunktion  erhalten  kann. 

Für  die  Agarplatte  braucht  man  dagegen  weniger  Blut 
und  kann  sich  mit  der  bisher  üblichen  Methode  kleiner 
Stiche  oder  Einschnitte  ins  Ohrläppchen  behelfen.  Wer  aber 
einmal  zugesehen  hat,  wie  man  dabei  genötigt  ist,  das  Ohr¬ 
läppchen  zu  quetschen  und  zu  massieren,  um  namentlich 
bei  Anämischen  die  nötigen  Bluttropfen  auszupressen,  der 
wird  eine  von  geübter  Hand  durchgeführte  Blutentnahme 
aus  der  Vene  sicher  als  den  schonenderen  Eingriff  be¬ 
zeichnen.  Sie  geschieht  am  zweckmäßigsten  durch  Aspira¬ 
tion  mit  steriler  Spritze,  ein  Verfahren,  das  zuerst  B us¬ 
que  t^°)  und  Schottmüller^^)  empfahlen. 

Bei  der  letzten  Typhusepidemie  im  Herbst  vorigen 
Jahres  war  Gelegenheit  gegeben,  den  Nachweis  von  Ba¬ 
zillen  im  Blute  als  diagnostisches  Hilfsmittel  zu  erproben 
und  sich  Klarheit  über  den  Wert  desselben  und  über  sein 
Verhältnis  zum  Ausfall  der  Gruber- Widalschen  Reaktion 
zu  verschaffen,  zumal  es  auffällig  schien,  daß  diese  Methode 
nicht  nur  bei  uns,  sondern  auch  in  Zivilspitälern  bisher  so 
wenig  Verwendung  gefunden.  Bevor  jedoch  darauf  näher 

®)  Münchener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  49. 

T  Münchener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  2. 

®)  Zeitschrift  für  Hygiene  1900,  Bd.  34. 

®)  Literatur  siehe  Kutscher  Handbuch  der  pathog.  Mikro¬ 
organismen,  Ergänzungsband  1906,  Heft  1. 

La  presse  m4dicale  1902. 

")  Münchener  med.  Wochenschrift  1902. 


WOCHENSCHRIFT.  1907. 


eingegangen  werden  soll,  möge  hier  in  kurzen  Worten  einiges 
über  die  Technik  erwähnt  werden. 

Der  oberste  Teil  des  Obenirnies  wird  durch  eine  üuiuini- 
biiide  derart  konipriniierl,  daß  der  Radialpuls  noch  deutlich  fübl- 
bar  bleibt.  Die  Gegend  der  Ellbogenbeuge  wird  hierauf  mechanisch 
mit  Seife  sauber  gewaschen  und  mit  Aether  überdies  gereinigt. 
Die  durch  die  Kompression  prall  gefüllte  Vena  mediana  cubiti, 
wird  mit  einer  durch  Auskochen  sterilisierten  Spritze,  die  zirka 
10  cnR  faßt,  in  schräger  Richtung  angestochen  und  das  Blut 
langsam  und  öfters  aussetzend,  uni  der  Vene  wieder  Zeit  zur 
Füllung  zu  geben,  aspiriert.  Ist  die  Spritze  gefüllt,  so  lyartet 
man  noch  wenige  Augenblicke,  bis  der  negative  Druck  in  der 
Spritze  völlig  ausgeglichen  ist,  um  ein  späteres  Eindringen  von 
Luft  in  die  Spritze  und  damit  eine  bakteiielle  V^erunreinigung 
des  Blutes  mit  Luftkeimen  zu  verhindern,  zieht  dann  ruckweise 
die  Kanüle  aus  der  Vene,  löst  rasch  die  Gununibinde  und  eleviert 
gleichzeitig  den  Arm.  Die  Einstichöffnung  wird  hierauf  mit  Heft¬ 
pflaster  oder  Kollodium  versorgt.  Der  Inhalt  der  Spritze  wird 
teils  unter  sterilen  Kautelen  in  ein  Kölbchen,  das  ca.  100  cm^ 
Nährbouillon  enthält,  gespritzt,  teils  (ca.  1  enV  Blut)  zwecks  An¬ 
stellung  der  Gruber- Widalschen  Reaktion  in  eine  Eprouvette 
entleert.  Das  Kölbchen  mit  Blut  bleibt  durch  24  Stunden  im 
Brutofen  bei  37°  und  dann  wird  die  entstandene  Kultur  mittels 
Agglutination  mit  einem  hochwertigen,  künstlichen  Typhusimmun- 
seruni  identifiziert. 

Mit  Hilfe  dieser  Methode  ist  es  gelungen,  in  ca.  66®/o 
aller  Fälle  in  allerersten  Stadien  der  Krankheit,  im 
allgemeinen  noch  vor  der  Febris  continua  Typhusbazillen 
im  Blut  nachzuweisen.  Die  Reihe  positiver  Resultate  zeigte 
deutlich,  daß  die  Erreger  bei  einem  großen  Teile  aller  Typhus¬ 
kranken  in  den  ersten  Stadien  im  Blute  angetroffen  werden 
können;  noch  häufiger  findet  man  sie  in  der  Kontinua, 
seltener  im  amphiholen  Stadium  (Jo  chm  a  nn^®).  Dagegen 
muß  daran  festgehalten  werden,  was  schon  von  NeufekD®) 
hervorgehoben  wurde,  daß  es  umnöglich  war,  die  Krank¬ 
heitserreger,  während  der  fieberfreien  Zeit  im  Blute  auf- 
zufinden. 

Zweimal  ist  es  gelungen,  während  typischer  Typhus¬ 
rezidive  die  Bazillen  im  Blute  nachzuweisen.  Die  meisten 
Untersucher  konnten  nur  in  schweren  und  mittelschweren 
Fällen  die  Erreger  im  Blute  finden;  wenn  auch  das  Urteil 
über  die  Schwere  eines  Falles  starken  individuellen  Schwan¬ 
kungen  unterworfen  sein  muß,  so  kann  man  doch  behaup¬ 
ten,  daß  auch  bei  ganz  leichten  Fällen  von  Typhus  die 
Bazillen  im  Blute  nachzuweisen  sind,  wenn  die  Blutknltur 
bei  Patienten,  die  nur  wenige  Tage  febrile  Temperaturen 
hatten,  ein  positives  Resultat  ergab. 

Jedenfalls  muß  daran  festgehalten  werden,  daß  weder 
die  Menge  der  Typhusbazillen,  noch  überhaupt  der  positive 
Nachweis  derselben  im  Blute  irgendeine  prognostische  Be¬ 
deutung  hat. 

Abgesehen  von  der  Einschränkung,  welche  der 
Wert  des  kulturellen  Nachweises  der  Typhusbazillen  im 
Blute  dadurch  erfährt,  daß  die  Untersuchung  auch  bei 
Fällen  mit  regelmäßigem  Fieberverlauf  negativ  ausfällt, 
gewinnt  der  Nachweis  der  Bazillen  im  Blute  durch 
seine  Eindeutigkeit,  namentlich  für  die  Frühdiagnose 
eine  außerordentliche  Bedeutung,  wenn  man  bedenkt,  daß 
es  gelungen  ist,  die  Krankheitserreger  häufig  (in  25%  aller 
Fälle)  schon  zu  einer  Zeit  aus  dem  Blute  zu  isolieren,  wo 
eine  noch  negative  G  r  u  b  e  r  -  W  i  d  a  1  sehe  Reaktion  dem 
Typhusverdacht  eher  widersprochen  hätte.  Das  Auftreten 
der  Gr  über- Widalschen  Reaktion  steht  in  keinem  Zu¬ 
sammenhänge  mit  derjenigen  der  Typhusbazillen  im  Blute, 
da  vielfach  Gelegenheit  geboten  war,  zu  beobachten,  daß 
trotz  positiver  Agglutinationsreaktion  der  kulturelle  Nach¬ 
weis  mißlang,  anderseits  bei  völlig  negativer  Gruber- 
Wi  dal  scher  Reaktion  Typhusbazillen  im  Blute  nachzu¬ 
weisen  waren. 

Kurz  zusammengefaßt,  stellt  also  der  kulturelle  Nach¬ 
weis  der  Typhusbazillen  aus  dem  Blute  ein  wichtiges  Hilfs¬ 
mittel  für  die  Frühdiagnose  vor,  das  um  so  wertvoller  ist, 

Zeitschrift  für  klin.  Medizin  1906. 

Handbuch  der  pathog.  Mikroorganismen,  Ko  He  Wassei- 
m  ann,  Bd.  2. 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


als  der  positive  Nachweis  ais  ätiologisclies  iMoiiieiit  die 
Krankheit  eindeutig  sicherstellt.  Der  Eingriff  der  Venen¬ 
punktion  selbst  ist  so  gut  Avie  völlig  gefahrlos,  technisch 
keineswegs  schwierig  und  fast  schmerzlos,  wie  eine  dies¬ 
bezügliche  Umfrage  ergab,  und  für  die  meisten  Patienten 
weit  Aveniger  peinlich,  als  die  Entnahme  von  einigen  Tropfen 
Blut  aus  dem  Ohrläppchen.  An  Komplikationen  sahen  Avir 
nur  zAveimal  ein  etAAm  hohnengroßes  Hämatom  auftreten, 
das  sich  aber  durch  Eie  vieren  des  Armes  und  rasches  Lösen 
der  Binde  fast  sicher  vermeiden  läßt. 

1st  also  in  diagnostischer  Beziehung  das  Vorkommen 
von  Typhuserregeni  im  zirkulierenden  Blute  AvertAmll,  so 
ist  die  Tatsache,  daß  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  in  die 
Sekrete  und  Exkrete  Typhöser  hifektionskeime  gelangen, 
die  dann  in  der  Außenwelt  zu  Neuinfektionen  reichlich 
(Gelegenheit  gehen  können,  vom  epidemiologischen  Gesichts¬ 
punkt  Avichtig.  Hier  kommt  neben  den  Eäzes  der  Urin 
Typhöser  in  allererster  Linie  in  Betracht. 

Auf  Grund  der  Eorschungen  der  letzten  Jahre  muß  man 
annehmen,  daß  bezüglich  der  Ausscheidung  der  Bazillen 
durch  die  HaniAvege  dieselben  nur  auf  dem  Wege  der  Blut¬ 
bahn  in  die  Niere  verscldeppt  Averden  und  sich  hier 
an  siedeln  können,  um  in  die  abführenden  HaniAvege  zu 
gelangen.  Nach  den  experimentellen  Untersuchungen  von 
Streng^^)  treten  nach  intravenöser  Injektion  Avon  Typhus¬ 
bazillen  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Injektion  keine  mikro¬ 
skopisch  sichtbaren  Veränderungen  in  den  Nieren  der  Ver¬ 
suchstiere  auf;  Avurden  jedoch  die  Nieren  durch  vorherige 
intravenöse  Injektion  Amn  Staphylokolvlven  geschädigt,  so 
Avaren  Typhusbazillen  im  Harn  nacliAveishar.  Bestätigt  Avur- 
den  diese  Angaben  später  Amn  Asch.^^)  Nur  Viiicent’*’) 
vertritt  eine  etwas  abAveichende  Ansicht,  indem  er  behaup¬ 
tet,  daß  der  Grund  der  Ausscheidung  von  Typhusbazillen 
im  Urin  in  einem  lokalen  typhösen  Prozeß  der  Harnblasen- 
Avand  zu  suchen  sei,  Avelcho  für  die  Bazillen  bei  neutraler 
oder  schAvach  saurer  Reaktion  des  Urins  einen  sehr  gün¬ 
stigen  Nährboden  abgebe. 

Die  Angaben  der  einzelnen  Autoren  über  die  Zeit 
des  Auftretens  der  Typhus bazillen  im  Harn  der  Kranken 
sind  außerordentlich  verschieden.  Während  eine  Reihe  von 
Untersachern  dieselben  schon  zur  Zeit  des  Roseolaaus¬ 
bruches  nachAveisen  konnten  (Jakobi, Pfister,^®)  Fla¬ 
min  i^®)  u.  a.  m.),  fanden  andere  Autoren  dieselben  nur 
nach  der  Entfieberung  und  in  der  Rekonvaleszenz 
(Fuchs,^®)  Richardson,“^)  Herbert^-).  Noch  viel  weit¬ 
gehenderen  SchAvankungen  sind  die  Angaben  der  einzelnen 
Forscher  über  die  prozentuale  Häufigkeit  des  Vorkommens 
der  Typhusbazillen  im  Urin  unterworfen.  Pfister“'^)  hatte 
bei  50 o/o,  Lesieur  und  Mahaut“^)  bei  38-5 o/o.  Richard¬ 
son^^)  bei  21  o/o,  Vincent^^j  bei  17 o/o  aller  untersuchten 
Fälle  positive  Resultate  und  so  differieren  die  verschie¬ 
denen  Untersuchungen  erhehtich.  Der  Grund  hiefür  ist  wohl 
nur  in  clen  Methoden  zu  suchen,  die  die  einzelnen  Autoren 
zu  ihren  Untersuchungeji  gebraucht  haben.  Die  meisten 
Untersucher  benützten  zum  Naclnveis  den  Plattenausstrich 
einer  Oese  Urin  auf  Lacknius-Milchzucker-KristallAiolettagar. 
Pfister^^)  hatte  relativ  gute  Erfolgemil  direkter  Einsaatsteril 
aufgefangenen  Harns  in  scliAvach  alkalische  Bouillon  gehabt. 
Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  Angaben  so  kolossal 
differieren,  da  ja  nur  eine  verscliAvindend  geringe  Menge 
des  Urins  zu  bakteriologischen  Untersuchungen  heran¬ 
gezogen  Averden  konnte  und  es  mehr  Sache  des  Zufalles 
Avar,  gerade  i)i  den  wenigen  (lesen  Urin,  die  bakteriologisch 

")  Arbeiten  aus  dem  patholog.  Institut  Helsingfors,  Jena  1902. 

Zentralblatt  für  Harn-  und  Sexualorg.  1902,  Heft  5  und  6. 

Compt.  rend,  de  la  soc.  de  biolog.,  Paris  1903. 

Archiv  für  klin.  Medizin  1902. 

Sitzungsbericht  des  naturhistor.  Vereines  Heidelberg,  28.  Fe¬ 
bruar  1905. 

'®)  Riv.  di  clin.  pediat.  1903. 

-“)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1902. 

-‘)  Brit.  nied.  and  surg.  journ.  1903. 

-■^)  Münchener  med.  Wochenschrift  1904. 

^')  Bull,  de  la  soc.  med.  des  hop.  de  Lyon  1904. 

'h  1.  c. 


weiter  verarbeitet  Avurden,  Typhuserreger  zu  erhalten.  Es 
lag  daher  der  Gedanke  nahe,  möglichst  große  Mengen  von 
Harn  (zAvei  und  mehr  Liter)  bakteriologisch  auf  das  Vor¬ 
kommen  von  Typhuserregern  zu  untersuchen,  da  in  diesem 
Falle  dem  Zufall  Aveniger  Spielraum  geboten  und,  falls 
nur  Avenige  Typhusbazillen  im  Harn  ausgeschieden  Avürden, 
immerhin  die  Möglichkeit  gegeben  Avar,  diese  wenigen  Keime 
auf  die  Drigalsky-Idatte  zu  bekommen.  Ich  benützte  eine 
unlängst  cmn  Müller^^)  zum  Nachweis  von  Typhuskeimen 
im  Wasser  veröffentlichte,  sog.  mechanische  Fällungs¬ 
methode. 

Zwei  Liter  Harn  eines  Kranken  in  möglichst  keim¬ 
freien  Gefäßen  aufgefangen  und  tunlichst  vor  nachträglicher 
Verunreinigung  geschützt,  AAmrden  mit  einer  keimfreien  Soda¬ 
lösung  in  einem  sterilisierten  Scheidetrichter  scliAvach  alka¬ 
lisch  gemacht,  hierauf  setzt  man  100  cm^  einer  5o/oigen 
sterilen  Lösung  von  Liquor  ferri  oxychlorati  zu.  Alsbald 
entsteht  ein  äußerst  feiner,  aber  sehr  voluminöser,  tief¬ 
brauner  Niederschlag,  der,  alle  korpuskulären  Elemente  mit 
sich  reißend,  sich  langsam  zu  Boden  setzt.  Nach  ein  bis 
zAvei  Stunden  zentrifugiert  inan  den  Bodensatz  oder  filtriert 
ihn  durch  ein  steriles  Papierfilter.  Der  Filterrückstand,  der 
aus  dem  braunen  Niederschlag  samt  fast  allen  im  Ham  be¬ 
findlichen  Mikroorganisnien  besteht,  wird  nun  folgendermaßen 
bakteriologisch  Aveiter  verarbeitet.  Ein  oder  zwei  Oesen  des¬ 
selben  Averden  mit  dem  Glasspatel  direkt  auf  Drigalsky- 
Platten  verstrichen,  da  immerhin  Aussicht  Arnrhanden  ist, 
schon  jetzt  Typhuskolonien  auf  der  Platte  zu  erhalten.  Tat¬ 
sächlich  ist  es  auch  gelungen,  durch  Kultivierung  des  Nieder¬ 
schlages  Typhus  nacliAveisen  zu  können  in  Fällen,  bei  denen 
die  gewöhnliche  Kultur  aus  dem  Harn  zu  keinem  Resultat 
führte.  Da  man  jedoch  nur  einen  verschwindend  kleinen 
Teil  des  gesamten  Filterrückstandes  derartig  bakteriologisch 
untersuchen  kann,  so  ist  immer  noch  dem  Zufall  ein  recht 
weites  Feld  offen  gelassen.  Man  muß  deshalb  trachten,  mög¬ 
lichst  den  gesanden  entstandenen  Niederschlag  auf  das  Vor¬ 
handensein  von  Typhuserregern  zu  untersuchen.  Nach 
einigen  fehl  geschlagenen  Untersuchungen  habe  ich  den 
Filterrückstand  unter  völlig  sterilen  Kautelen  in  ein  Kölb¬ 
chen  mit  Nährhouillon  eingetragen.  Nach  24  Stunden  war 
die  Bouillon  diffus  getrübt,  der  Niederschlag  sedimentiert 
am  Boden  des  Gefäßes,  ohne  dem  Bakterienwachstum  zu 
schaden,  da  derselbe,  nur  ln  Amrdünntein  Säuren  löslich,  in 
alkalischer  Bouillon  sich  nicht  verändert. 

Die  überstellende  getrübte  Bouillon  wurde  nun  durch 
ein  steriles  Papierfilter  filtriert,  um  eine  recht  homogene 
Bakterienemulsion  zu  erhalten.  Einem  genau  abgemes¬ 
senen  Quantum  dieser  getrübten  Bouillon  wurde  nun  in 
einer  Verdünnung  1:1000  hochagglutinierendes  Typhus- 
immunseruni  (,,Edgar“)  zugesetzt,  ln  kurzer  Zeit  zeigte 
die  früher  völlig  homogen  getrübte  Bouillon  eine  äußerst 
feine  Chagrinierung,  und  der  nach  zirka  einer  Stunde  auf¬ 
getretene  Bodensatz  Avurde  in  seiner  Gänze  auf  Drigalsky- 
Platten  kultiviert. 

Die  auf  der  Dri gal sky -Platte  blau  wachsenden 
Kolonien  Avurden  dann  AAueder  mittels  spezifischer  Ag¬ 
glutination  mit  dem  Typhusimmunserum  ,,Edgar“  iden¬ 
tifiziert.  Eine  genaue  biologische  und  eventuell  kultu¬ 
relle  Identifizierung  der  typhusAmrdächtigen  Kolonien  ist 
in  allen  Fällen  dringend  geboten,  um  sich  Amr  unliebsamen 
Verwechslungen  zu  schützen,  da  im  Harn  eine  Reihe  von 
Mikroorganismen  Vorkommen  können,  die  auf  Lackmus- 
Milchzucker-Kristallviolettagar  blau  wachsen.  Statt  der  ge- 
Avöhnlichen  Nährhouillon,  in  die  ich  den  Filterrückstand 
brachte,  könnte  auch  ein  ttüssiger,  für  Typhus  elektiver 
Nährboden  gewählt  werden,^'^)  z.  B.  ein  Malacdiitgrünnähr- 
boden  nach  Löffler^Q  „der  Lentz  und  Tietz“®)  oder 
ein  Koffeinnährhoden  nach  Hoff  m  a  n  n  ^9)  oder  B  o  t  h 

‘‘‘h  Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektionskrankheiten,  Bd.  51. 

-®)  Arbeiten  aus  dem  kaiserl.  Gesundheitsamt  Berlin  1906,  Bd.  24. 

-ö  Deutsche  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  36,  Vereinsbeilape. 

28)  Münchener  med.  Wochenschrift  1903,  Klin.  Jahrbuch  1905,  Bd.  14. 

28)  Archiv  für  Hygiene  1904. 

38)  Archiv  für  Hygiene  1904,  Hygien.  Rundschau  1903. 


Nr.  5 


133 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Die  erhaltenen  Resultate  zwangen  jedoch  nicht,  jene  neuen 
Typhusanreicherungsnährböden  zu  Hilfe  zu  nehnien. 

Es  ist  einleuchtend,  daß  man  nach  der  eben  geschil¬ 
derten  Methode  die  meisten  im  Harn  vorkommenden  Typhus¬ 
bazillen  zur  Kultur  bekommt  oder,  falls  nur  spärliche 
Typhuserreger  im  Harn  zur  Ausscheidung'  kommen,  mehr 
Chancen  gegeben  sind,  dieselben  nachzuweisen  als  durch 
bloße  Kultivierung  einer  Oese  des  Urins  auf  Agar. 

Tatsächlich  ist  es  mir  auch  nach  der  geschilderten 
Metliode  gelungen,  in  allen  Fällen  von  Typhus  abdominalis 
im  Harn  die  Erreger  nachzuweiseii,  allerdings  öfters  erst 
nach  mehrmaligen  Untersuchungen.  Die  Ausscheidung  von 
Typhusbazillen  steht  in  keinem  Zusammenhang  mit  dem 
Stadium  der  Krankheit  oder  mit  der  Schwere  des  Falles; 
sie  kommt  nicht  nur  in  der  Rekonvaleszenz  vor,  wie  die 
meisten  Voruntersucher  behaupten,  sondern  schon  um  die 
Zeit  des  Roseolenausbruches,  ja  sogar  vor  demselben  können 
Typhusbazillen  im  Harn  nachgewiesen  werden. 

Diese  TätsacKei  besitzt  nicht  nur  theoretisches  Interesse, 
sondern  unter  Umständen  auch  praktische  Wichtigkeit.  Es 
sind  ja  immerhin  Fälle  denkbar,  wo  die  Elutimtersachung 
unmöglich  wird,  die  Agglutination  and  die  Kultur  aus  den 
Fäzes  negativ  aiisfallen.  der  Typhusverdacht  aber  klinisch 
gerechtfertigt  erscheint.  In  solchen  Ausnahmsfällen  kann  die 
Untersuchung  des  Harnes  nach  der  angegebenen  Methode 
immerhin  noch  zum  Ziele  führen. 


Der  Einfluß  schwerer  Muskelarbeit  auf  Herz 
und  Nieren  bei  Ringkämpfern. 

Von  Dr.  Artur  Selig  in  Franzensbad. 

Der  Einfluß  großer  Kürperanstrengungen  auf  den 
menschlichen  Organismus  ist  vielfach  studiert  worden,  spe¬ 
ziell  haben  stets  die  Wirkungen  starker  Vluskelarbeit  auf 
den  Zirkulationsapparat  und  die  Nieren  das  Hauptinteresse 
der  Reobachter  gebildet. 

So  tritt  auch  in  der  letzten  Zeit  wieder  die  Frage  in 
den  Vordergrund,  ob  durch  eine  forcierte  Körperarbeit  eine 
Dilatation  des  Herzens  entstehen  und  innerhalb  kurzer  Zeit 
symptomlos  zurückgehen  kann.  Daß  eine  Dilatation  des 
Herzens  nach  schwerer  körperlicher  Anstrengung  eintreten 
kann,  darüber  belehren  uns  die  Beobachtungen  älterer  Auto¬ 
ren,  so  von  Thompson,^)  Corvisart^)  und  Curs ch¬ 
in  ann,^)  Bollinger.^)  In  einzelnen  Fällen  wurde  auch 
die  klinische  Diagnose  der  akuten  Dilatation  durch  die  Ob¬ 
duktion  bestätigt.  Von  geringgradigen  Dilatationen  des 
Herzens,  bei  denen  Herzklopfen,  Dyspnoe,  beschleunigte  und 
unregelmäßige  Herzaktion  beobachtet  wurden,  die  unter  ent¬ 
sprechender  Behandlung  oft  nach  kurzer  Zeit  zurückgingen, 
wissen  erfahrene  Kliniker  nicht  so  selten  zu  berichten. 

In  neuerer  Zeit  ist  diese  Streitfrage  wieder  aktuell 
geworden. 

AV ährend  Moritz,^)  Hoffmann,* *’)  de  la  Camp^) 
die  Existenz  der  akuten  Herzdilatation  des  gesunden  Herzens 
auf  Grund  orthodiagraphischer  Untersuchungen  in  Zweifel 
ziehen,  geben  andere  Beobachter,  wie  Schott®)  und 
Starck,®)  die  Möglichkeit  einer  solchen  nach  forcierter 
Muskelarbeit  wohl  zu.  Diese  Autoren  haben  auch  das 
Röntgen  verfahren  für  die  Entscheidung  dieser  Frage  heran¬ 
gezogen. 

Die  Untersuchungen,  die  sich  nicht  auf  orthodiagra- 
phische  Befunde  stützen,  sondern,  nur  die  Ergebnisse  der 
Perkussion,  der  Herzdämpfung  und  die  Lage  des  Herz- 

h  Thompson,  zitiert  bei  Eichhorst,  Lehrbuch  der  speziellen 
Pathologie  und  Therapie  1890. 

Gorvisart,  Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin  1895,  55,  8. 

Curschmann,  ebd. 

*)  Bollinger,  ebd. 

Moritz,  Münchener  med.  Wochenschrift  1902,  49,  5. 

®)  Hoffmann,  Kongreß  für  innere  Medizin  1902,  20,  308. 

’)  de  la  Camp,  Zeitschrift  für  klin.  Medizin  1904,  51,  1. 

®)  Schott,  Kongreß  für  innere  Medizin  1890,  9,  448;  1902,  20,  419. 

®)  Starck,  Münchener  med.  Wochenschrift  1905,  52,  302. 


Spitzenstoßes  für  die  Beuiteilung  einer  nach  geleisteter 
Körperarheit  entstandenen  akuten  Dilatation  verwerten,  sind 
ziemlich  zahlreich. 

Alhu^*^)  sah  dieselbe  bei  Radrennfahrten,  Albu  und 
Caspari^^)  bei  den  Dauergehern  beim  Distanzmarsch 
Dresden — Berlin,  ebenso  Baldes,  Heichelheim  und 
Aletzger^^)  bei  mehreren  Teilnehmern  an  einem  Dauer¬ 
marsche,  bei  Fußballspielern  konnte  ich^®)  die  klinischen 
Symptome  einer  Dilatation  nach  einem  Wettspiele  physika¬ 
lisch  .feststellen. 

Es  dürfte  von  Interesse  sein  die  Ergebnisse  der  Unter¬ 
suchungen  von  22  Berufsringern  von  Weltruf  mitzuteilen. 

Die  internationalen  Ringkämpfe,  welche  im  Frühjahr 
1906  im  Theatre  Variete  in  Prag  stattfanden,  gaben  mir 
Gelegenheit,  den  Einfluß  größter  Körperarbeit  auf  den  Orga¬ 
nismus,  speziell  auf  Herz  und  Nieren,  genauer  zu  studieren. 
Es  handelte  sich  durchwegs  um  Berufsringer,  welche  teils 
kürzer,  teils  länger,  bis  15  und  20  .lahre  diesem  Erwerbe 
nachgingen.  Von  nicht  zu  unterschätzendem  Werte  für  die 
Beurteilung  der  Leistungen,  war  der  Umstand,  daß  es  sich 
hier  um  die  Erlangung  der  Weltmeisterschaft  und  auch 
um  die  Erwerbung  eines  ansehnlichen  Geldbetrages,  der 
als  Siegespreis  ausgesetzt  war,  handelte,  wodurch  ja  die 
Teilnehmer  sicherlich  zu  den  denkbar  größten  Muskel¬ 
leistungen  angefacht  wurden.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus 
scheinen  mir  Beobachtungen  bei  öffentlichen  Veranstal¬ 
tungen  von  weit  größerer  Bedeutung  zn  sein,  als  die  Ergeb¬ 
nisse  von  Untersuchungen,  welche  experimentell  vorgenom¬ 
men,  mehr  den  Charakter  des  Improvisierten  tragen,  wobei 
der  mächtige  Impuls  des  Ehrgeizes  und  der  Willensstärke 
nicht  so  sehr  in  den  Vordergrund  rückt. 

Es  sei  gleich  mitgeteilt,  daß  sämtliche  Ringer  vor 
dem  Ringkampfe  ganz  genau  untersucht  wurden,  speziell 
wurde  die  Herzgröße,  der  Puls,  der  Blutdruck,  die  Atmung 
und  der  Harnbefund  festgestellt.  Orthodiagraphische  Unter¬ 
suchungen  konnten  aus  technischen  Schwierigkeiten  an  Ort 
und  Stelle  nicht  vorgenommen  werden.  Die  freundliche 
Unterstützung  des  Herrn  Dr.  Weißbarth  ermöglichte  es 
mir,  unmittelbar  nach  beendetem  Kampfe  die  LTnter- 
suchungen  vorzunehmeii,  so  daß  die  Perkussionsgrenzen, 
Puls,  Blutdruck,  Respiration  etc.  in  schnellster  Aufeinander¬ 
folge  vorgenommen  und  gegenseitig  kontrolliert  werden 
konnten.  Noch  in  den  Kulissen,  also  unmittelbar  nach  be¬ 
endetem  Kampfe,  wurden  die  nachfolgenden  Beobachtungen 
angestellt. 

Alle  Ringer  boten  zunächst  nach  dem  Ringen  mehr 
oder  weniger  das  Bild  schwerer  Erschöpfung.  Was  den 
Puls  betrifft,  so  war  derselbe  in  sämtlichen  Fällen  nach 
der  enormen  Muskelarbeit  sehr  frequent.  Durchschnittlich 
stieg  derselbe  um  48  Schläge  in  der  Minute.  Der  größte 
Pulszuwachs  betrug  110;  in  diesem  Falle  stieg  der  Puls 
von  70  auf  180.  Ein  proportionales  Verhältnis  zwischen 
der  Dauer  der  Körperarbeit  und  der  Pulszunahme  konnte 
nicht  gefunden  werden,  da  bei  manchem  Ringer  oft  schon 
nach  ganz  kurzer  Zeit  eine  rapide  Pulsfrequenz  festzustellen 
war,  während  bei  anderen  selbst  nach  langem  Kampfe  eine 
nur  mäßige  Pulszunahnie  beobachtet  wurde.  Die  höchste 
Pulsfrequenz  betrug  187  Schläge  in  der  Minute.  Diese 
Ziffer  übertrifft  jene  Höhe,  welche  gewöhnlich  als  Grenze 
der  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  angesehen  wird.  Diese 
liegt  nach  Traut  weile  r^^)  bei  170  Schlägen  pro  Vlinute, 
nach  Grünbaum  und  Amson^®)  bei  173  Pulsen  in  der 
Minute. 

Die  Qualität  des  Pulses  änderte  sich  insofern,  als  der¬ 
selbe  meist  kleiner,  öfter  sogar  fadenförmig  wurde,  letz- 

Albu,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1897,  34,  202. 

“)  Albu  und  Gas  pari,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1903, 
29  252 

Baldes,  Heichelheim,  Metzger,  Münchener  med. 
Wochenschrift  1906,  53,  1865. 

Selig,  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  18,  838. 

iq  T  r  a  u  t  w  e  i  I  e  r,  Jahrbuch  S.  A.  G.  1883/84,  zitiert  Deutsches 
Archiv  für  klin  Medizin  1897,  59,  84. 

Grün  bäum  und  Am  son,  1901,  71,  539. 


Nr.  f) 


i'd't 


WIENER  KLINISCHE  WUCIIENSCllRIET.  1907. 


teres  dort,  wo  die  Pidsfreqnetiz  eine  außerordentlich  liolic 
Ziffer  aufwies.  Arhythmie  kam  äußerst  selten  und  nur  in 
Linhedeiiteiidem  i\Iaße  zur  Beobachtung. 

Ein  charakteristisches  Verhalten  hot  der  Blutdruck, 
welcher  mit  dem  Tonometer  von  Gärtner  gemessen  wurde. 
Es  zeigte  sich,  daß  derselbe  mit  Ausuahme  von  zwei  Fällen, 
wo  eine  Zunahme  des  Blutdruckes  stattfand,  in  allen  Fällen 
nach  dem  Ringkampfe  beträchtlich  gesunken  war,  im 
Durchschnitt  um  26  mm  Hg.  Wohl  selten  kommen  aber 
so  niedrige  Blutdruckwerte  zur  Beobachtung,  wie  ich  die¬ 
selben  bei  diesen  Bingkämpfern  feststellen  konnte.  So  zeigte 
ein  Ringer  nach  einem  Kampfe  von  15  Minuten  einen  Blul- 
druck  von  40  mm  (Gärtner)  hei  einem  Puls  von  187 
pro  IMinute,  während  vorher  ein  Blutdruck  von  110  mm 
bei  einem  Puls  von  90  bestand.  Ein  ähnliches  Verhalten 
hot  ein  zweiter  Ringer.  Daß  diese  niedrige  Ziffer  nicht 
auf  einen  Fehler  in  der  Messung  zurückzuführen  war,  dar¬ 
über  belehrten  mich  Kontrollmessungen,  welche  das  gleiche 
Resultat  ergaben.  Auch  hei  Fußballspielern  konnte  ich  nach 
einem  Wettspiel  bedeutend  herabgesetzte  Blutdruckwerte 
beobachten.  Doch  glaul)e  ich,  daß  der  verminderte  Blut¬ 
druck  nicht  allein  auf  eine  herabgesetzte  Herzkraft  zu  he- 
ziehen  sein  dürfte,  wahrscheinlich  spielt  die  reichliche  Blut- 
durcliströmung  der  Organe  und  Muskeln,  sowie  der  Schwei߬ 
ausbruch  eine  nicht  zu  unti'rschätzende  Rolle. 

Die  Respiration  nach  der  Arbeit  war  stets  beschleu¬ 
nigt,  der  durchschnittliche  Zuwachs  betrug  ca.  12  pro  Mi¬ 
nute.  Die  höchste  R e spi  i  a  ti onsz  if  f  e  r  betrug  60.  Was 
nun  die  Beurteilung  der  Herzgröße  nach  dem  Kampfe  an- 
langl,  so  muß  konstatiert  werden,  daß  für  uns  nur  die 
Perkussion  der  Herzdämpfung  und  die  Palpation  des  Herz¬ 
spitzenstoßes  maßgebend  sein  konnte,  nachdem  keine  ortho- 
diagraphischen  Messungen  vorgenommen  wurden.  Es  ist 
ja  heute  eine  berechtigte  Forderung,  bei  der  Entscheidung 
von  exakten  Herzgrößenbestimmungen  auch  die  orthodia- 
graphische  Methode  heranzuziehen.  Ich  gehe  wohl  zu,  daß 
die  Perkussion  uns  nicht  vollständig  über  geringgradige 
Dilatationen  wird  aufklären  können,  stets  aber  hat  die  Lage 
des  Herzspitzenstoßes  den  wichtigsten  Anhaltspunkt  für  die 
Beurteilung  der  Herzgrößenverhältnisse  geliildet. 

Nun  hat  HoffmaniW*^)  bekanntlich  auf  die  Abhängig¬ 
keit  der  Lage  der  Herzspitze  vom  Zwerchfellstand  hinge¬ 
wiesen.  So  bewirkt  ein  exspiratorischer  Hochstand  des 
Zwerchfelles  eine  Verschiebung  des  Herzspitzenstoßes  nach 
außen  und  auf  diese  Weise  eine  scheinbare  Herzvergröße¬ 
rung.  ln  diesenr  LTinstande  ist  auch  häufig  die  Zunahme 
der  perkutorischen  Dämpfungsfigur  zu  suchen.  Auch  das 
zweite  Moment,  welches  von  Hoffmann  zur  Erklärung  des 
anscheinend  vergrößerten  Herzens  nach  Körperarbeit  an¬ 
geführt  wird,  nämlich  die  größere  Diastole,  bedingt  durch 
die  lebhaftere  Pulsation  während  derartiger  Anstrengungen, 
muß  gleichfalls  Berücksichtigung  finden.  Hervorheben 
möchte  ich  nur,  daß  ich  viermal  eine  Verlagerung  des 
Spitzenstoßes  bis  zwei  und  drei  Querfinger  außerhalb  der 
Mamillarlinie  feststellen  konnte  und  daß  in  diesen  Fällen 
auch  die  Herzdämpfung  verbreitert  war.  Doch  wäre  es  sehr 
voreilig,  daraus  gleich  den  Schluß  auf  eine  akute  Herz¬ 
dilatation  zu  ziehen. 

Ich  bin  vielmehr  geneigt,  sowohl  die  Verlagerung  des 
Spitzenstoßes,  wie  die  Zunahme  der  Dämpfungsfigur  auf 
Zwerchfellhochstand  und  eine  verstärkte  Diastole  zu  be¬ 
ziehen,  um  so  mehr,  als  ich  schon  nach  Verlauf  von  fünf 
Minuten  die  gleichen  Befunde,  wie  vor  dem  Bingen  er¬ 
heben  konnte,  nämlich  das  Einwärtsrücken  des  Spitzen¬ 
stoßes,  die  Verkleinerung  der  Herzdämpfung  und  die  Rück¬ 
kehr  aller  übrigen  Erscheinungen  von  seiten  des  Pulses, 
des  Blutdruckes  und  der  Respiration.  Außerdem  zeigten 
sich  auch  nicht  jene  subjektiven  Beschwerden,  wie  wir 
sie  doch  unbedingt  bei  einer  ausgesprochenen  Dilatation 
des  Herzens  zu  erwarten  pflegen.  Es  ist  bemerkenswert, 
wie  überraschend  schnell  im  allgemeinen  die  pathologischen 

^®)  H  0  f  f  m  an  n,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1900,  16,  306; 
Kongreß  für  innere  Medizin  1902,  20,  308. 


Erscheinungen  zurückkehren,  speziell  wenn  eine  auch  noch 
so  kurze  Erholungspause  stallfindet.  Nur  so  ist  es  zu  er¬ 
klären,  daß  es  nicht  zu  den  schwersten  Erscheinungen  der 
Herzinsuffizienz  kommt,  es  geiiügen  da  sicherlich  jene,  wenn 
auch  kurzen,  freiwillig  eingeschalteten  Ruhepausen  währeml 
des  Kampfes,  in  welchen  wir  bald  den  einen,  bald  den 
anderen  Ringer  bewegungslos  am  Boden  liegen  sehen. 

Einen  sehr  schätzenswerten  Beitrag  für  die  Entschei¬ 
dung  der  Frage,  ob  außerordentliche  Körperarheit  zu  einer 
akuten  Herzdilatation  führen  könne,  haben  Lennhoff  und 
Levy-Dorn^^)  ebenfalls  durch  die  Untersuchung  von  Be¬ 
rufsringern  hei  öffentlichen  Bingkämpfen  gegeben.  Diese 
Ergebnisse  sind  um  so  wertvoller,  als  auch  an  Ort  und 
Stelle  orthodiagraphische  Aufnahmen  des  Herzens  vorge- 
nomnien  werden  konnten.  Auch  hier  ergab  mehrmals  und 
zwar  bei  verschiedenen  Ringern,  die  Perkussion  nach  dem 
Ringkampfe  eine  größere  Herzdämpfung  als  in  der  Ruhe, 
orthodiagraphisch  ließ  sich  aber  selbst  nach  den  schwersten 
Kämpfen  in  keinem  Falle  eine  Zunahme  des  Herzumfanges 
feststellen.  Diese  orthodiagraphischen  Bestimmungen 
sprechen  also  ebenfalls  dagegen,  daß  selbst  durch  die 
stärksten  körperlichen  Anstrengungen  gesunde  Herzen 
akut  dilatiert  werden  können,  ln  dieser  Anschauung  werde 
ich  gleichfalls  um  so  mehr  bestärkt,  als  mir  später  ange- 
stellte  orthodiagraphische  Untersuchungen  an  Ringern  keine 
Anhaltspunkte  für  den  Nachweis  einer  Dilatation  nach  for¬ 
cierter  Muskelarbeit  erbringen  konnten. 

Noch  soll  des  Einflusses  der  Ringarbeit  auf  die  Nieren 
besonders  Erwähnung  geschehen. 

Während  der  Harn  sämtlicher  Ringkämpfer  vor  dem 
Wettkampfe  vollständig  eiweißfrei  war,  zeigte  derselbe  nach¬ 
her  in  690/0  Eiweiß  von  leichten  Trübungen  bis  zu 
schweren  flockigen  Niederschlägen.  Die  höchste  zur  Beob¬ 
achtung  gekommene  Eiweißquantität  betrug  l%o  Eßbach. 
Die  Eiweißmenge  ist  jedoch  nicht  abhängig  von  der  ge¬ 
leisteten  Muskelarbeit.  So  zeigte  der  Harn  des  Ringers  Jan. 
nach  1  Minute  16  Sekunden,  der  des  Ringers  Schm,  nach 
3  Minuten  17  Sekunden  deutliche  Eiweißtrübung,  der  des 
Negers  Mourz.  nach  5  Minuten  30  Sekunden  sogar  l°/oo 
Eiweiß,  während  der  Harn  des  Ringers  Po.  noch  nach 
30  Minuten  währendem  Ringkampfe  vollständig  eiweißfrei 
war.  Zum  Nachweis  wurde  die  Essigsäure-Ferriocyankaliuni- 
probe  und  die  Salpetersäurekochprobe  verwendet.  Inter¬ 
essante  Befunde  zeigten  die  Harnsedimente,  ln  63 0/0 
der  untersuchten  Fälle  fanden  sich  neben  Epithelien  der 
Harnwege  und  weißen  und  roten  Blutkörperchen 
auch  noch  zahlreiche  hyaline  und  granulierte  Zy¬ 
linder,  so  daß  für  den  unbefangenen  Beobachter  sich  das 
mikroskopische  Bild  einer  akuten  hämorrhagischen 
Nephritis  darbot.  Das  Auftreten  von  Albuminurie  nach 
körperlicher  Ueberanstrengung  ist  seit  längerer  Zeit  be¬ 
kannt.  Leube^®)  hat  als  erster  den  Einfluß  der  Muskel¬ 
tätigkeit  auf  ihr  Zustandekommen  festgestellt,  seither 
mehrten  sich  in  großer  Zahl  derartige  Beobachtungen.  Aber 
erst  verhältnismäßig  spät  und  nicht  gar  häufig  fand  die 
« mikroskopische  Untersuchung  des  Harnsedimentes  nach  for¬ 
cierten  KörpeiTeistungen  die  verdiente  Beachtung  seitens 
der  Untersucher. 

Der  Befund  von  Zylindern  im  Harn  ist  von  Müll  er 
hei  Radfahrern  nach  Wettfahrten,  von  Al  hu  und  Cas- 
pari“°)  bei  Dauergehern,  von  Lennhoff  und  Levy- 
Dorn^^)  bei  Ringkämpfern,  von  Pick,  Mc.  Farlane^^)  und 
mir 23)  ppj  Fußballspielern  erhoben  worden.  Angesichts  des 
Befundes  von  Eiweiß  und  Zylindern  im  Urin  müssen  wir 
uns  die  Frage  voiTegen,  ob  wir  es  hier  mit  einer  physio- 

^9  Lennhoff  und  Levy-Dorn,  Deutsche  med.  Wochen¬ 
schrift  1905,  31,  869. 

18)  Leube,  Virchows  Archiv  1878,  13,  159. 

>9  Müller,  Münchener  med.  Wochenschrift  1896,  43,  1181. 

28)  A  1  b  u  und  C  a  s  p  a  r  i,  1.  c. 

29  Lennhoff  und  Levy-Dorn,  1.  c. 

22)  Mc.  F  a  r  1  a  n  e,  Med.  Record  1895,  ref.  Zentralblatt  für  innere 
Medizin  1895,  16,  1034. 

28)  Selig,  Prager  med.  Wochenschrift  1905,  30,  419. 


Nr.  5 


WIENER  KIJNISCliE  WOClIENSCIiRIET.  1907. 


1H5 


logischen,  oder  schon  pathologischen  Albuminurie  zu 
tun  haben.  Leube  nud  Senator,  die  liervorragendsten 
Kenner  dieser  Frage,  heben  liervor,  daß  eine  Albuminurie 
nur  dann  als  physiologisch  angesehen  werden  darf,  wenn 
sich  im  Sedimente  gar  keine  oder  nur  spärliclie  Zylinder 
u.  zw.  nur  hyaline  vorfinden  und  Albumin  nur  nach  be¬ 
sonders  anstrengender  Arbeit  auftritt  und  bald  nach  dem 
Aufhören  der  Arbeit  verschwindet.  Nach  Verlauf  von 
24  Stunden  war  die  Albuminurie  wieder  meist  vollständig 
verschwunden,  wenn  ancii  ganz  vereinzelt  sich  noch  Sparen 
von  Eiweiß  nach  dieser  Zeit  nachweisen  ließen.  Die  Er¬ 
fahrung  lehrt  nun,  daJ3  sich  auch  bei  der  sogenannlen  phy¬ 
siologischen  Albuminurie  nebst  hyalinen  auch  granulierte 
und  Epithelialzylinder  finden  können,  worauf  Senator“'^) 
später  auch  Rücksicht  genommen  hat.  Für  das  sicherste 
Kriterium  der  Nephritis  bezeichnete  er  neben  dem  Be¬ 
fund  von  Harnzylindern  das  Vorhandensein  von  roten  und 
weißen  Blutkörperchen.  Auch  der  Befund  von  roten  und 
weißen  Blutkörperchen  als  klinisch  diagnostisches  Hilfs¬ 
mittel  der  Nephritis  scheint  nun  auch  nach  den  Beobach- 
lungeii  von  Baldes,^®)  Heichelheim  und  Metzger, 
welche  bei  den  Teilnehmern  eines  Dauermarsches  nebst 
Zylindern  verschiedenster  Art  auch  noch  massenhaft  rote 
Blutkörperchen  im  Sedimente,  sowie  durch  chemische  Reak¬ 
tion,  gleich  Albu  und  Gas  pari, 2* *^)  Blut  im  Urin,  nebst 
roten  Blutkörperchen  im  Harnsedimente  nachweisen  konnten, 
nur  bedingten  Wert  zu  besitzen. 

Wie  ist  nun  das  Zustandekommen  dieser  Albuminurie 
nach  gesteigerter  Muskelarbeit  zu  erklären?  Am  nächsten 
liegt  die  Annahme,  daß  es  sich  um  eine  Folge  der  venösen 
Blutstauung  in  den  Nieren  handle. 

Eine  weitere  Erklärung  könnte  auch  darin  erblickt 
werden,  daß  die  in  vermehrter  VIenge  hei  der  geleisteten 
gewaltigen  Muskelarbeit  gebildeten  Stoffwechselprodukte, 
wie  etwa  Oxalsäure,  Harnsäure.  Alloxurbasen  usw.  eine 
sogenannte  toxische  Albuminurie  erzeugen,  Indem  sie  bei 
ihrer  Ausscheidung  das  Nierenparenchym  reizen,  eine  An¬ 
nahme,  welche  auch  T  e  i  s  s  i  e  r,^^)  Baldes,  Heichelheim 
und  Metzger  zur  Erklärung  der  nach  Märschen  auftretenden 
Albuminurie  herangezogen  haben.  Im  Harnsedimente  konnte 
Teissier,  wie  iVlbu  und  Gas  pari  mitunter  auffallend 
zahlreiche  Harnsäurekristalle  beobachten,  was  auch  bei  un¬ 
seren  Ringern  bisweilen  zutraf.  Mc.  Farlane^®)  hält  es  für 
möglich,  daß  der  größere  Salzgehalt  des  konzentrierten  Urins 
schuld  sei  an  der  reichlichen  Transsudation  von  Eiweiß, 
glaubt  aber  eher,  daß  es  sich  bei  dem  stärkeren  Blutzufluß 
während  der  Anstrengung  lediglich  um  ein  stärkeres  Ab¬ 
stößen  von  Nierenepithelien  handle,  ähnlich  wie  nach  einem 
Dampfbad  sich  die  Haut  in  größeren  Fetzen  abstoße. 

Wir  sehen,  daß  bei  allen  forcierten  Sportleistungen,  sei 
es  Radfahren,  Fußballspiel,  Distanzmarsch  oder  Ringkampf, 
mehr  oder  minder  starke  Schädigungen  lebenswichtiger  Or¬ 
gane  hervorgerufen  werden  können.  Wenn  diese  auch  nach 
kurzer  Zeit  meist  verschwinden,  so  ist  die  Befürchtung  wohl 
unabweislich,  daß  derartig  fortgesetzte  Insulte  des  Herzens 
und  der  Nieren  wahrscheinlicb  endlich  zu  dauernden  Schädi¬ 
gungen  führen  können. 


Die  Heilbarkeit  äußerer  Zahnfisteln  ohne 
Extraktion  des  veranlassenden  Zahnes."^) 

Von  Prof.  Dr.  B.  Mayrhofer  in  Innsbruck. 

Wenn  in  einem  Zahne  die  Pulpa  zerfallen  und  der 
Wurzelkanal  von  infektiösen  Massen  ausgefüllt  ist,  so 
schreitet  unter  gewissen  Umständen  die  Infektion  durch 
das  Foramen  apicale  in  die  umgebencle  Spongiosa  fort,  es 

‘■“h  Senator,  Nothnagel  spez.  Pathologie  und  Therapie  1902,  19,  1. 

“h  Baldes,  Heichelheim,  Metzger  I.  c. 

Albu  und  Caspar!,],  c. 

Teissier,  Sem.  med.  1894,  567. 

Mc.  F  ar  1  a  n  e,  1.  c. 

*)  Nach  einem  in  der  Wissenschaftlichen  Aerztegeseli schalt  in 
Innsbruck  am  19.  Januar  1907  gehaltenen  Vortrage. 


bilden  sich  um  den  Apex  Granulationen  aus,  welche  den 
Knochen  usurieren  und  der  in  dieser  so  zustande  kom¬ 
menden  kleineren  oder  größeren  Knochenhöhle  eingc- 
schlossene  Infektiotisherd  bahnt  sich  nicht  selten  nach 
außen  einen  Weg;  es  entsteht  eine  Zahnfistel,  welche  ent¬ 
weder  in  einer  Körperhöhle  (in  der  Regel  der  Mundhöhle, 
selten  der  Kiefer-  oder  Rachenhöhle)  oder  an  irgendeiner 
Stelle  der  äußeren  Haut  (meist  am  Unterkieferrande  oder 
Kinn,  ferner  an  der  Wange,  insbesondere  nahe  dem  Augen¬ 
winkel,  bei  weiterer  Senkung  nach  abwärts  aber  auch  am 
Halse,  vor  oder  hinter  dem  Kopfnicker,  an  der  Klavikula, 
selbst  auf  der  Brust  oder  in  der  Achselhöhle)  mundet. 

Wir  wollen  uns  hier  nur  im  allgemeinen  mit  der 
Therapie  dieser  Prozesse  befassen. 

Was  die  Z ah  n  f  1  e  i  s  ch f  i  s  tel n  anlangt,  so  stehen 
uns  zwei  prinzipiell  verschiedene  Alethoden  zur  Verfügung, 
die  medikamentöse  und  die  chirurgische. 

Erstere  besteht  in  Desinfektion  des  Wurzelkanales  und 
Durchspritzung  desinfizierender  Lösungen  durch  Zahn  und 
Fistel.  Viele  Fisteln  vernarben  unter  dieser  Behandlung  in 
kurzer  Zeit.  Andere  Fisteln  heilen  trotz  Anwendung  stark 
ätzender  Mittel,  wie  konzentiierte  Karbolsäure,  Kreosot,  man 
ist  von  gewisser  Seite  ja  selbst  vor  Schwefelsäure  und 
Scheidewasser  nicht  zurückgeschreckt,  gar  nicht  oder  ver¬ 
kleben  nur  oberflächlich,  um  liald  wieder  aufzubrechen.  Für 
diese  Fälle  hatPar  t  s  ch  das  clnrurgische  Voggehen  empfohlen 
und  ist  der  kleine  Eingriff  im  Laufe  der  letzten  .Jahre  durch 
Ausgestaltung  der  Technik  zu  einer  zierlichen  Operation 
ausgebildet  worden,  die  unter  lokalei'  Anästhesi(i  schmerz¬ 
los  ausgeführt  werden  kann.  Es  wird  hiebei  nach  Desin¬ 
fektion  und  Füllung  des  Wurzelkanales  die  Schleimhaut 
über  dem  Apex  gespalten,  die  Alveole  trepaniert,  die  Wurzel¬ 
spitze  amputiert  und  nach  Auskratzung  der  Granulationen 
die  Knochenhöhle  durch  Tamponade  zur  Ausheilung  ge¬ 
bracht,  oder  besser  mit  .lodoformknochenplombe  gefüllt  und 
der  Schleimhautschnitt  durch  Naht  wieder  vereinigt. 

Was  nun  die  äußeren  Zahnfisteln,  die  Zahnfistel 
im  engeren  Sinne,  hetrifR,  sO‘  wird  in  allen  —  auch  den 
neuesten  —  chirurgischen  sowohl  als  zahnärztlichen  Lehr¬ 
büchern  die  sofortige  Extraktion  des  schuldigen  Zahnes 
als  erstes  und  unbedingtes  Erfordernis  der  Heilung  vor¬ 
geschrieben.  Tatsächlich  ist  vielfach  der  noch  vorhandene 
Zahn-  oder  Wurzelrest  einer  Erhaltung  weder  wert,  noch 
selbst  fähig.  Immerhin  kommen  Fälle  vor,  wo  die  Auf¬ 
opferung  des  Zahnes  mit  einem  berücksichtigenswerten 
Nachteile  für  den  Träger  desselben  verl)unden  wäre.  Dies 
betrifft  insbesondere  gerade  die  oberen  und  unteren 
Vor  der  zähne,  die  nicht  so  selten  infolge  Trauma  usw. 
eine  abgestorbene,  infizierte  Pulpa  mit  konsekutiver  Fistel 
besitzen,  während  die  Kronen  intakt  sind.  Dabei  erfreuen 
sich  solche  Patienten  oft  einer  sonst  lückenloisen  Zahnreihe 
und  erfordert  dann  der  Ersatz  des  einen  extrahierten  Zahnes 
eine  unverhältnismäßig  große  Gaumenplatte,  wenn  der 
Patient  nicht  noch  weiters  die  Kronen  der  benachbarten 
tadellosen  Zähne  behufs  Herstellung  eines  Brückenersatzes 
opfern  will,  was  nicht  jedermanns  Sache  ist.  Auch  Karies 
befällt  oft  nur  einen  einzelnen  Vorderzahn  und  ist,  wenn 
schon  die  Krone  seihst  arg  zerstört  sein  sollte,  wenigstens 
die  Erhaltung  der  Wurzel  für  einen  Stiftzahn  wünschens¬ 
wert,  um  so  die  oberwähnte,  stets  lästig  empfundene  und 
für  das  übrige  Gebiß  eine  gewisse  Gefahr  bedingende 
Plattenprolhese  zu  vermeiden;  aber  auch  Backen-  und  Mahl¬ 
zähne  können,  wie  jeder  erfahrene  Zahnarzt  weiß,  sei  es 
für  den  Kauakt,  sei  es  als  Slütze  für  PTothesen  unter  Um¬ 
ständen  eine  besondere  Wichtigkeit  erlangen. 

Wenn  sonach  auch  bei  äußeren  Fisteln  die  Erhaltung 
des  schuldigen  Zahnes  des  öfteren  in  Betracht  kommt,  so 
fragen  wir  uns,  auf  welche  M'Tise  dieses  Ziel  zu  erreichen 
sein  möge. 

Bei  der  gegenüber  Zahnfleischfisteln  meist  bedeutend 
größeren  xVusdehnung  der  anatomischen  Läsionen  ist  es 
einleuchtend,  daß  hier  das  chirurgische  Verfahren  an  erster 
Stelle  steht.  Zwar  wird  vereinzelt  von  Heilungen  auch 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


1  bü 


äußerer  Zahnfistelii,  lediglich  durch  medikamentöse  Be¬ 
handlung  berichtet.  In  der  Tat  gibt  es  eine  Art  von  äußeren 
Fisteln,  hei  welchen  der  von  der  Wurzelspitze  bis  zur 
äußeren  Haut  zurückzulegende  Weg  so  kurz  ist,  daß  die 
palhologischen  Gewebsveränderungen  manchmal  —  in  der 
Minderzahl  der  Fälle  —  sehr  gering  sein  können  und  dies 
sind  die  Kiniifisteln ;  dieselben  sind  aus  dem  eben  erwähnten 
Grunde  manchmal  so  harmlos,  daß  sie  an  pathologischer 
Wertung  den  gutartigeren  Zahnfleischfisteln  an  die  Seite 
zu  setzen  sind  und  hei  nicht  allzu  lange  bestehenden  Kinn- 
fisleln,  aber  auch  nur  hei  diesen,  mag  ein  Versuch  mit 
der  medikamenlösen  Behandlung,  aber  unter  Ausschluß  aller 
shirker  ätzenden  Mittel,  gestaltet  sein.  Selbstverständlich 
kann  hier  nur  von  einem  Versuche,  nie  von  einer  Me¬ 
thode,  die  Rede  sein,  bleibt  man  dabei  doch  stets  voll¬ 
ständig  in  Unkenntnis  der  genaueren  anatomischen  Details 
(Ausdehnung  der  Knochenusur,  Verlauf  des  Fistelganges, 
Nekrose  mit  Sequesterbildimg,  Wurzelverkrümmungen,  ab¬ 
norme  Mündung  des  Wurzelkanales,  Verkalkungsprozesse 
und  so  weiter),  so  daß  man,  wenn  die  Fistel  auch  bald  zu 
sezernieren  aufhöii^  doch  niemals  dem  Patienten  mit  Be¬ 
stimmtheit  versprechen  kann,  daß  sie  nicht  wiederkehren 
werde.  Enttäuschnngen  sind  hier  um  so  eher  möglich,  als 
bekanntlich  der  Organismus  an  Abkapselung  infektiöser 
Stoffe  in  allen  seinen  Geweben,  selbst  im  Gehirne,  oft 
Staimenswertes  leistet,  bis  dann  früher  oder  später  doch 
der  imter  der  Asche  glimmende  Funke  zum  hellen  Feuer 
entflammt.  So  sehen  wir  eben  auch  unbehandelte  Zahn¬ 
fisteln.  auf  Wochen,  selbst  Monate  vernarben  und  ist  mir 
umgekehrt  aus  der  Literatur  ein  Fall  erinnerlich,  wo  eine 
Zahnfistel  ohne  Behandlung  des  Zahnes  nur  aus- 
gekralzt  wurde  und  acht  Monate  lang  geschlossen  blieb. 

Es  kann  daher,  sowohl  für  die  meisten  Kiimfisteln 
als  insbesondere  für  alle  übrigen  äußeren  Zahnfisteln,  einzig 
und  allein  das  chirurgische  Vorgehen  als  wirklich  ratio¬ 
nelle  Methode  bezeichnet  v/erden,  wenn  man  das  Leiden 
mit  Erhaltung  des  Zahnes  beseitigen  will. 

So  iiaheliegend  dieser  Gedanke  scheint,  ist  er  doch 
bislier  weder  ausgesprochen,  noch  ausgeführt  worden.  Es 
wolle  deshalb  gestattet  sein,  über  vier  auf  die  angedeutete 
Art  operierte  Fälle  kurz  zu  berichten. 

Fall  1  (.1904).  B.  Sch.,  25  Jahre  all,  rechtseitige  Augcn- 
winkelfistel,  ausgehend  vom  kariösen,  lateralen,  oberen  Schneide- 
zahm  Wurzel reseklion  au  letzterem,  Kxkocldealion  der  Fistel, 
Tamponade.  Iteilung  in  17  Tagen. 

Fall  2  (T90(t).  M.  K.,  90  Jahre  alt,  rechtseitige  Wangen¬ 
fistet  in  der  G<*gend  kler  unteren  Backenzähne,  etwas  oherhalh  (h^s 
Futerkieforraudes,  seit  etwa  drei  Monaten  bestehend,  ausgehend 
vom  zweiten  Bräinolaris;  Krone  desselben  intakt,  Pulpa  zerfallen, 
Nachweis  dieses  Zustandes  durch  faradische  Vitalitätsinüer- 
suchung,  Ursache  nicht  sicher  aufzuklären.  Wurzelresektion  von 
a  ulten  durch  den  Fistelkanal  hindurch  mit  Vermeidung  einer 
Verletzung  der  Schleimhautumschlagfalte,  Exkochleation  der  nuß- 
großen  Knochenhöhle,  Exzision  der  Fistel,  Jodoformknochen¬ 
plombe,  Naht.  Heilung  in  fünf  Tagen.  Zahn,  bei  dem  deso¬ 
laten  Zustaud  des  Gebisses  linkerseits,  wichtig  für  den  Kauakl, 
hzw.  als  Pi'olhesenstütze. 

Fall  o  11906).  0.  B.,  14  Jahre  alt,  Kinnfistel,  im  Kinn- 
grühchen  silzend,  seit  ungefähr  2V2  Jahren  bestehend,  ausgehend 
vom  kariesfreien,  linken  unteren  zentralen  Schneidezahn,  von 
ilessen  oberer  Scbmelzkante  ein  kleines  Stückeben  abgesprengt 
ist.  Einzelnes  Trauma  wird  bestimmt  in  Abrede  gestellt,  da¬ 
gegen  hat  Pat.  die  Gewohidieit,  Nüsse  mit  den  Zähnen  aufzu¬ 
knacken.  IVurzelresektion  von  außen  mit  Umgehung  der  Mund¬ 
höhle,  Exkochleation  dei'  nußgroßen  Knochenhöhle,  Exzision  der 
Fistelränder,  Jodoformknochenplondje,  Naht.  Heilung  in  fünf 
Tagen.  Vermeidung  der  Piolhese  bei  lückenloser  Zahnreihe. 

Fall  4  (1906).  A.  Th.,  17  Jahre  alt,  liukseitige  dentale  Augen- 
winkdfistel.  Dieser  Fall  sei  etwas  ausführlicher  beschrieben. 

Pat.  suchte  im  Juli  v(‘rgangenen  Jahres  hehufs  Plombierung 
der  obeiam  Schneidezähne  einen  Zahntechniker  auf;  dersellie 
zwickte  ihr  alle  vier  Zahnkronen  ah  und  fertigte  eine  Platten¬ 
prothese;  die  IVurzeln  hlieben  unhehandelt.  Nach  einem  Monat 
schwoll  die  rechte  Wange  vorübergehend  an,  einige  Zeit  später 
die  linke,  worauf  sich  allmählicli  auf  der  Nasenwurzel  linker¬ 
seits,  nahe  dem  inneren  Augenwinkel,  ein  Knötchen  bildete,  das 


schließlich  von  einem  Arzte  aufgeschnitten  wurde,  wobei  sich 
Eiter  entleerte;  die  Inzisionswunde  schloß'  sich  nicht,  weshalb 
Pat.  nach  Innsbruck  reiste. 

Die  Untersuchung  ergab  ein  —  mit  Ausnahme  der  fehlenden 
oberen  Schneidezahnkronen  und  eines  kürzlich  extrahierten, 
linken  oberen  Prämolaris  —  lückenloses  Gebiß,  Gingiva  stark 
gerötet,  gequollen,  leicht  blutend,  die  vielfach  von  Zahnstein 
besetzten  Zahnkronen  zur  halben  Höhe  derselben  bedeckend,  die 
oberen  Schneidezahnwurzeln  völlig  ühenvuehert,  unsichthar ; 
ferner  drei  stark  eiternde  Zahnfleischfisteln,  eine  rechts,  zwei 
links,  druckschmerzhafter,  derher,  nirgends  fluktuierender,  auch 
kein  Pergamentknittern  darbietender  Tumor  im  Vestibulurn  oris,  von 
der  rechten  zentralen  bis  zur  linken  lateralen  Schneidezahn¬ 
wurzel  reichend,  Anschwellung  der  VVange  längs  der  linken  Nasen¬ 
wurzel,  bohnengroße,  gerötete  Geschwulst  nahe  dem  Augenwinkel 
mit  eiterndem  Granulationspfropfe  auf  der  Kuppe. 

Die  Diagnose  einer  dentalen  Augenwinkelfistel  ergab  sich 
nach  alledem  von  selbst;  quoad  therapiam  forderten  das  jugend¬ 
liche  Alter  der  Patientin,  sowie  die  fast  lückenlose  obere  Zahn¬ 
reihe  gebietei'isch  die  Erhaltung  der  Schneidezahnwurzeln  für 
einen  Brückenersatz,  um  die  umfangreiche  Gaumenplatte  ent- 
l)ehrlich  zu  machen.  Die  rechtseitige  gingivale  Fistel  war  ein 
Prozeß  für  sich,  ausgehend  von  der  lateralen  Schneidezahnwurzel ; 
sie  Avurde  durch  Wurzelresektion  beseitigt,  wobei  sich  ein  korti¬ 
kaler  Sequester  vorfand.  Die  drei  anderen  AVurzeln,  die  von  einem 
gemeinsamen  Tumor  überdeckt  waren  und  von  denen  daher 
keinesAvegs  ausgesagt  werden  konnte,  in  welcher  Weise  sie 
zu  dem  Krankheitsherde  in  Beziehung  stünden,  bzw.  an  dem 
Zustandekommen  der  äußeren  Fistel  beteiligt  seien,  mußten  mit 
letzterer  zugleich  in  einem  Operalionsakt  angegangen  Averden. 

Die  Operation  (Narkose:  Billroth-Mischung)  verlief  fol¬ 
gendermaßen  : 

Ein  schAvachbogenförmiger,  nach  unten  konvexer,  zirka 
3  cm  langer  Schnitt,  in  der  beAveglichen  Mukosa  über  die  Warzeln 
geführt,  legte  üppig  Amrquellende  Granulationen  ,bloß,  nach  deren 
Entfernung  mit  dem  scharfen  Löffel  die  drei  Wurzelspitzen  sicht¬ 
bar,  reseziert  und  die  bezüglichen  Knochenusuren  ausgekratzt 
Avurden.  Nunmehr  zeigte  sich,  daß  die  linke  laterale  Schneide¬ 
zahnwurzel  die  unmittelbare  Veranlassung  für  die  äußere  Fistel 
gegeben  batte,  indem  von  der  ihr  entsprechenden,  nußgroßen 
Knochenhöhle  ein  Granulationsgang  u.  zav.  auf  der  Oberfläche 
des  Knochens,  längs  des  Periostes  und  unter  den  Weichteilen 
nach  oben  zur  Augenwinkelfistel  führte,  derart,  daß  eine  Amn  oben 
vorgeschobene  Sonde  in  der  beschriebenen  Knochenhöhle  zum 
Vorschein  kam.  Mit  dem  iVntrum  bestand  keine  Kommunikation. 
Eine  elAva  erbsengroße,  ei’Aveichte  Partie  des  oberen  Knochen¬ 
höhlenrandes  Avurde  ausgekratzt,  ebenso  der  Fistelgang  von  unten 
und  die  Fistel  selbst  von  außen.  ATit  Einführung  eines  schmalen 
Vioformstreifens  in  den  Wundkanal  von  oben,  Ausfüllung  der  drei 
Knochenusuren  mit  Jodoformplombe  und  Verschluß  der  Schleim- 
hautAvunde  durch  sieben  Nähte  Avar  die  Operation  beendet.  Ent¬ 
fernung  der  Näbte  am  fünften  Tage,  Heilung  per  primain;  Ver¬ 
narbung  der  äußeren  Wunde  unter  ständiger  Verkürzung  des 
Tampons  binnen  zwei  Wochen.  Brückenprothese. 

Nach  dem  günstigen  Verlaufe  der  mitgeteilten  Fälle 
glaube  ich  die  Wnrzelresekti 011  zur  Heilung  äußerer 
Zahnfisteln  mit  Erhaltung  des  Zahnes  empfehlen 
zu  dürfen  und  kann  daher  hei  diesem  Leiden  die  Extraktion 
des  veraidassenden  Zahnes  n  i  c  h  t  m  e  h  r  a  1  s  unbedingte 
Voraussetzung  einer  erfolgreichen  Therapie  hin¬ 
gestellt  Averden. 

MITTEILUNG  AUS  DER  PRAXIS. 

Zum  Kapitel  der  Tuberkulosenfürsorge  in 

Oesterreich. 

Von  Dr.  Artur  Raer,  Sanatorium  Wienerwald. 

Es  klingt  fast  schon  etAvas  ahgehrauchl,  Avenn  nian  hei 
Betrachtung  der  Tuberkulose  als  sozialer  Krankheit  in  unserem 
\  aterlande  immer  AAueder  die  Verhältnisse  im  benachbarten 
Deutschen  Reiche  zum  Vergleiche  heranzieht.  Und  doch  drängt 
sich  einem  der  Vergleich  stets  A'on  neuem  auf  und  wird  immer 
angeführt  Avei'den,  solange  Avir  in  hezug  auf  die  Fürsorge  für 
die  Tuberkulösen  so  Aveit  hinter  Deutschland  zurückstehen  Averden. 
Neuerdings  hat  mich  ein  Fall  hiezu  angeregt,  dessen  Ge.schichte 
mir  der  Veröffentlichung  wert  erscheint. 

Herr  W .  T.  aus  P.  trat  am  6.  Dezember  a\  .1.  in  unsere 
Anstalt  ein.  Seine  in  bezug  auf  die  A^orliegetide  Bh'age  interessante 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WÜCHENSCHRIFT.  1907. 


187 


Anamnese  ergal)  folgendes;  Seit  einiger  Zeit  henierkle  l’at.,  daß 
er  al)niagere,  dann  begann  er  zu  husten,  auszuwerfen,  zu  fielicrn, 
an  Naclilscbwcißen  zu  leiden.  Er  zog  zuerst  seinen  Vertrauens¬ 
arzt  zu  Rate,  welcher  bei  ihm  eine  tuberkulöse  Spitzen- 
affektion  diagnostizierte  und  ihn  anwies,  sich  in  eine  Lungen¬ 
heilanstalt  auf  nehmen  zu  lassen.  Darauf  ließ,  sich  der  Patient 
von  seinem  Kassenarzt  untersuchen.  Dieser  aber  erklärte  Herrn  T. 
für  g es u  11  d  und  v o  1 1  k  o m men  a  rh  e i  t  s  f  ä  h  i  g.  Als  der  Patient 
auf  seine  a  h  e  n  d  1  i  c  h  e  n  T  e  m  p  e  r  a  t  u  r  s  t  e  i  g  e  r  u  n  g  e  n  hin  wies, 
wurde  dies  nicht  anerkannt,  mit  dem  Bemerken,  daß  er  zur  Zeit 
der  Untersuchung  normale  Temperatur  habe.  Da  nun  der  Patient 
trotzdem  hei  der  Krankenkasse  um  Krankengeld  oder  Kurbeilrag 
ansuchte,  wurde  er  von  dieser  an  einen  anderen  Arzt  zur  neuer¬ 
lichen  Untersuchung  verwiesen.  Doch  auch  dieser  gab  nur  die 
■Möglichkeit  eines  ganz  leichten  Bronchialkatarrhs 
nicht  tuberkulöser  Natur  zu  und  erklärte  den  Patienten  für 
arbeitsfähig.  Aut  seine  Anfrage  bei  einem  Beamten  der 
Krankenkasse,  wann  diese  einen  Lungenkranken  für  unter¬ 
stützungsbedürftig  anerkenne,  wurde  ihm  die  bündige  Antwort 
zuteil ;  Wir  erkennen  einen  Tuberkulösen  nur  dann  als  arbeits¬ 
unfähig  an,  wenn  er  hohes  Fieber  hat,  etwa  38-5*^  oder  mehr; 
denn  ein  Lungenkranker  mit  geringeren  Temperaturen  kann  noch 
jahrelang  leben,  deshalb  werden  in  solchen  Fällen  nur  ärztliche 
Behandlung  und  Medikamente,  aber  keine  Krankenunterstützung 
gewährt. 

Da  nun  der  Patient  liegreiflicherweise  durch  die  Symptome 
seiner  Krankheit  sehr  beunruhigt  war,  schenkte  er  der  Diagnose 
seines  ersten  Arztes  volles  Vertrauen  und  ließi  sich  unter  Ver¬ 
zicht  auf  die  Unterstützung  seiner  Kasse  in  unsere  Anstalt  auf¬ 
nehmen. 

Ich  konstatierte  bei  ibm  folgenden  Befund:  Deulliche  leicbte 
Schallverkürzung  über  der  linken,  raubes  Atmen  und  mäßig  reich¬ 
liche,  trockene  Rasselgeräusche  über  beiden  Spitzen.  Die  weitere 
Beobachtung  ergab  positiven  Bazillenbefund  im  Sputum 
und  subfebrile  Temperaturen  (die  ül)rigens  erst  nach  mehr- 
wöchentlicher  absoluter  Bettruhe  zum  Schwinden  gebracht  werden 
konnten).  Ein  neuerliches  Gesuch,  das  der  Patient  von  hier  aus 
an  seine  Kasse  richtele,  wurde  selbstverständlich  abgewiesen, 
trotzdem  das  beigelegte  ärztliche  Zeugnis  die  sicher  tul)erkulöse 
Natur  des  Leidens  hervorbob.  Indessen  konnte  sich  die  Kasse 
auf  die  Aussage  ihrer  beiden  Aerzte  stützen  und  batte  daher 
keine  Verpflichtung  gegen  den  Kranken. 

Ziehen  wir  nun  die  Ikrrallele  im  Sinne  der  eingangs  er¬ 
wähnten  Verhältnisse,  so  sehen  wir  folgendes.  Während  man 
sich  anderwärts  bemüht,  die  Diagnose  ,,Tuberkuiose“  in  einem 
möglichst  frühen  Stadium  zu  machen,  um  den  Kranken  in  einem 
noch  heilungsfäbigen  Zustand  der  geeigneten  Behandlung  zu¬ 
zuführen,  während  dort  über  das  geeignete  ,, Ausleseverfahren' 
Bände  geschrieben  und  große  Diskussionen  abgebalten  werden, 
bemüht  man  sich  hier,  diese  Diagnose  tunlichst  nur  dort  zu 
stellen,  wo  man  sie  stellen  muß,  weil  der  Prozeß  schon  Idn- 
reichend  weit  fortgeschritten  ist.  Denn  im  großen  und  ganzen 
steht  der  Kassenarzt  der  Tuberkulose  machtlos  gegenüber. 

Es  sind  wohl  in  (tiesem  Fälle  Fehler  unterlaufen,  denn  ab¬ 
gesehen  davon,  daß^  die  Kassenärzte  bereits  durch  die  Anam¬ 
nese  und  frühere  Diagnose  eines  Kollegen  zum  Verdachte 
auf  eine  tuberkulöse  Affektion  gedrängt  werden  mußten,  ist  es 
doch  gewiß  n  i  c  h  t  a  n  g  ä  n  g  i  g,  eine  auch  n  u  r  1  e  i  c  h  t  e  a  b  e  n  d- 
liche  Te m p e r atu r s t e i g e r u n  g  einfach  nicht  zu  be- 
a.  c  h  t  e  ir,  weil  zur  Zeit  d  e  i*  U  n  t  e  r  s  u  c  b  u  n  g  die 
Tenii)eratur  normal  war.  Wenn  auch  zugegeben  werden 
mag,  daß  man  nach  einer  einmaligen  Untersuchung  sich 
nicht  leicht  entschließt,  die  schwerwiegende  Diagnose  ,, Tuber¬ 
kulose“  zu  stellen,  so  hätte  doch  dieser  Fall  unbedingt 
zu  weiterer  ge  n a  u e r  Beobachtung  a n r  e  g e n 
müssen,  wobei  die  Sachlage  keinesfalls  so  einfach  sein  muß 
wie  in  dem  vorliegenden  Falle,  bei  dem  die  bloße  Sputum;- 
Untersuchung  die  Sicherstellung  der  Diagnose  gegeben  hätte. 

Aber  abgesehen  von  diesem  speziellen  Falle  steid.  der  Kassen¬ 
arzt,  wenn  er  Lungentuberkulose  leichten  Grades  festgestellt  bat, 
Vf)!'  der  Frage,  was  er  mit  dem  Patienten  beginnen  soll;  und 
diese  Frage  ist  in  den  meisten  Fällen  unlösbar.  Unsere  allge¬ 
meinen  Krankenhäuser  haben  wohl  jetzt  ziemlich  alle  l’uberku- 
losenabteilungen,  die  aber  immer  fast  noch  ausschließlich  nur 
Zufluchtsorte  der  Schwerstkranken  bilden, ‘’auch  wohl  nur  selten 
in  der  Lage  sind,  den  Forderungen,  die  an  eine  Heilstätte  für 
Lungenkranke  gestellt  werden  müssen,  gerecht  zu  werden.  So 
bleibt  der  Kranke  im  l)eslen  Falle  mit  einem  geringen  Kurl)eitrag 
sich  selbst  überlassen  und  ist  gezwungen,  sobald  es  seine  Kräfte 
nur  erlauben,  wieder  seiner  Arbeit  nachzugehen.  Die  eizielte 


Besserung  ist  dann  gewiß  nur  vorübergebend;  nach  wi(‘d(Mli(dt(‘n 
solchen  Krankenurlauben  ist  dann  der  Prozeß  so  weit  fortge¬ 
schritten,  daß  aus  dem  leicht  luberkulösen  ein  schwer  nhtbisischer 
Kranker  geworden  ist.  Und  di('se  Unmöglichkeit,  einen 
Leichtkranken  richtig  u  n  t  e  r  zu  b  r  i  n  ge  n,  ist  es  wohl 
meines  Erachtens  vorwiegend,  welche  die  Kassen  auf  dem  Stand¬ 
punkte  stehen  läßt,  daß  nur  ein  S(diwerkra.nker  uiderstützungs- 
l)edürftig  ist. 

Dieser  eine  hier  geschilderte  Fall  kennzeichnet  die  traurige 
Situation  einer  überaus  großen  Zahl  von  Tuberkulösen,  der  nur 
durch  eine  zweckmäßige  Krankengcsidzgebung  al)geholfen  werden 
könnte.  Diese  müßte  verhindern,  daß  jemand,  der  jahrelang  seinen 
Krankenbeitrag  gezahlt  hat,  in  die  Lage  kommt,  im  Erkrankungs¬ 
falle  als  nicht  unterstützungsbedürftig  angesehen  zu 
werden,  w^eil  er  noch  nicht  vollkommen  arbeitsun¬ 
fähig  ist.  Zahlloses  Material  könnte  der  Allgemeinheit  als  er¬ 
werbsfähiges  Mitglied  nützlich  sein,  statt  ihr  in  einem  späteren 
Stadium  der  Krankheit  dauernd  zur  Last  zu  fallen. 


{Referate. 


Lehrbuch  der  Bakteriologie  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Untersuchungsmethoden,  Diagnostik  und 

Immunitätslehre. 

Von  Ludwig  Heim. 

Dritte,  vollständig  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  233  Abbildungen  im  Text  und  13  mikrophotographischen  Tafeln. 

S  t  u  1 1  g  a  r  t  1906,  Verlag  von  Ferdinand  E  n  k  e. 

Der  ersten  Auflage  des  Lehrbuches  im  Jahre  1894  konule 
Heim  schon  1898  die  zweite,  zum  Teil  umgearbeitete  folgen 
lassen  und  jetzt  liegt  uns  die  dritte,  völlig  umgearbeitete  vor. 

Die  Einteilung  des  Stoffes  ist  aucb  in  dieser  neuen  Auflag(' 
im  allgemeinen  beilxdialten :  Der  erste  Abschnitt  behandelt  die 
Untersuchung  im  allgemeinen  und  ihre  Hilfsmittel  (mikroskopische 
Untersuchung,  Züchtung  und  Tierversuch),  der  zweite  die  Unter¬ 
suchungen  über  die  Form  und  Lebenseigenschaften  der  Bakterien 
(mikroskopische  Merkmale,  iMerkmale  bei  der  Züchtung,  Immuni¬ 
tät  und  Desinfektion),  der  dritte  die  bakteriologische  Diagnostik 
(Einteilung  der  Bakterien,  Vorkommen  und  Nachweis  von  Klein¬ 
wesen  in-  iiml  außerhalb  des  Köiirers  nebst  Beschreibung  der 
häufigeren  Arten)  und  der  vierte  bringt  als  Anhang  eine  Anleitung 
zur  Einrichtung  bakteriologischer  Arbeitsstätten,  Erläuterungen 
zu  den  iMikrophotogrammen  nel)st  Wirdven  lür  mikrophotogra¬ 
phische  Aufnahmen. 

Da  aber  die  Fortschritte  in  der  Bakteriologie  und  ihren 
Hilfswissenschaften  im  Verlaufe  der  letzten  Jahre  derart  große 
waren,  daß  eine  Ergänzung  der  früheren  Aullage  nach  der  An¬ 
sicht  Heims  „nur  ein  Flickwerk  zutage  gefördert  hätte“, 
entschloß  sich  Heim,  sein  Buch  neu  zu  schreiben.  Diese  Arbeit 
ist  um  so  mebr  zu  begrüßen,  als  Heim  das  Neue  und  Wissens¬ 
werte,  was  uns  die  bakteriologische  Forschung  gebracht  hat, 
nicht  bloß  vollständig  erschöpfend,  sondern  auch  kritisch  berück¬ 
sichtigt.  Dabei  ist  Heim  seinem  scbon  in  den  fiüheren  Auf¬ 
lagen  durchgeführten  Plane,  vorwiegend  dem  Praktiken’  zu  dienen 
und  jedem,  der  sich  mit  bakteriologischen  Arbeiten  befassen  will, 
ein  ,,zuv'erlässiger  Führer  und  Berater“  zu  sein,  tixni  geblieben. 
Und  darin  liegt  wobl  der  Hauptwert  des  Lebrbuches. 

Ghon. 

* 

Die  Verwendung  von  Chemikalien  als  Heilmittel. 

Nach  Vorlesungen  von  Dr.  Paul  Cobu. 

Aus  »Sammlung  chemischer  und  chemisch-technischer  Vorträge«. 

Herausgeber:  Prof.  Dr.  F.  Alireiis. 

Baud  X. 

Stuttgart  1906,  Enke. 

Verf.,  der  Nichtpharmakologe  ist,  gibt  eine  gedrängte,  lücken¬ 
hafte  Ueljcrsicht  über  einzelne  Wirkungen  der  Arzneimithd.  fm 
wesentlicben  hält  er  sich  dabei  an  die  Darstellungen  der  vor¬ 
liegenden  Fachlehrbücher.  Das  Heftchen  ist  nicht  für  Mediziner, 
sondern  für  Ghemiker  geschrieben,  deren  Anforderungen  und  An¬ 
sprüche  Referent  nicht  zu  beurteilen  vermag. 

=1« 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


Handbuch  der  Sauerstofftherapie. 

Unter  Mitwirkung  von  Dr.  H.  Brat,  Dr.  W.  C  o  w  I,  Prof.  Dr.  G.  Gärtner, 
Branddirektor  E.  Giersberg,  Prof.  Dr.  E.  Hagenbach-Burck- 
hardt,  Prof.  Dr.  H.  Kionka,  Prof.  Dr.  A,  v.  Koran  yi,  Professor 
Dr.  A.  L  o  e  w  y,  Prof.  Dr.  N.  0  r  t  n  e  r,  Prof.  Dr,  J.  P  a  g  e  1,  Doktor 
H.  V.  Schrötter,  Privatdozent  Dr.  L.  Spiegel,  Dr.  H.  Wohl¬ 
gemuth,  Dr.  L.  Z  u  n  t  z.  Geh.  Rat  Prof.  Dr,  N.  Z  u  n  t  z. 

Herausgegeben  von  Dr.  med.  Max  Michaelis,  Universitätsprofessor. 

Mit  126  Textfiguren  und  1  Tafel. 

551  Seiten. 

Berlin  1906,  H  i  r  s  c  h  w  a  1  d. 

,,So  häufig  man  auch  die  Sauerstoffinhalationeii  versucht 
hat,  so  selten  haben  sie  einen  günstigen  Erfolg  gegeben,  ln  der 
Mebrzabl  der  Krankheiten  waren  sie  unnütz,  in  manchen  (bei 
den  meisten  Lungenkrankheiten  z.  B.)  nachteilig,  in  einzelnen 
durch  einfachere  Mittel  ersetzbar  und  nur  in  ganz  wenigen  von 
vorübergehendem  Nutzen.“  So  äußerte  sich  noch  vor  wenigen 
Jahren  Benzol  dt  in  seinem  von  seiten  selbst  erster  Autoritäten 
auf  dem  Gebiete  der  klinischen  Medizin  hochgeschätzten  Lehr¬ 
buch  der  klinischen  Arzneibehandlung. 

Inzwischen  mögen  sich  ja  auf  Grund  neu  gewonnener  Er- 
falirungen  die  Ansichten  der  Klinik  geändert  haben.  In  der  Tat 
scheint  das  Urteil  Penzoldts  ein  wenig  zu  hart  zu  sein,  aber 
auffällig  ist  immerhin,  daß  das  Kapitel  Ortners,  des  Vertreters 
der  inneren  iMedizin  im  vorliegenden  Handbuch,  weitaus  das 
kleinste  isl,  mit  sechs  Seiten  nur  1%  der  Seitenzahl  des  Werkes 
ansmacht.  Sicher  aber  können  wir  den  Satz  aufstellen,  daß  in 
('iner  so  kurzen  Zeitspanne  ein  abschließendes  Urteil  sich  nicht 
bilden  läßt,  die  Herausgabe  eines  Handbuches  also  mindestens 
verfrüht  ist.  Und  weiter  darf  man  hei  dem  beschränkten  Be¬ 
reiche  der  Indikation  für  die  O2- Therapie  fragen,  ob  für 
die  Herausgabe  eines  solchen  nicht  lediglich  oder  iln  wesent¬ 
lichen  ein  Bedürfnis  des  Herausgebers  bestimmend  war.  Und 
den  Wunsch  dürfen  wir  anschließen,  daß  nicht  dies  Verfahren 
Schule  mache  und  wir  im  Laufe  der  kommenden  Jahre  mit 
handhuchweisen  Herausgaben  der  übrigen  Therapien  beschenkt 
werden. 

Ein  nach  Fassung  und  Inhalt  gleich  hervorragendes  Kapitel 
ist  das  über  die  physiologischen  Grundlagen  der  Sauerstoff- 
Iherapie  von  A.  Loewy  und  N.  Zuntz,  Forschern,  denen  wir 
ein  gut  Teil  unserer  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  verdanken. 
Das  Kapitel  enthäll  alles  Wissenswerte  und  große  Abschnilte 
anderer  Kapitel  sind  nichts  weiter  als  Wiederholungen  und  de- 
laillierte  Ausführungen  des  hier  in  präziser  Form  Niedergelegten. 

Die  Technik  der  Anwendung  des  Sauerstoffes  in  den  ver¬ 
schiedenen  Betrieben  wird  im  allgemeinen  mit  großer  Sachkennt¬ 
nis  und  breitester  Ausführlichkeit  iu  nicht  weniger  als  sechs 
Kapiteln  behandelt.  Besonders  wichtig  sind  die  von  Wohl¬ 
gemuth,  Brat  und  Giersberg,  da  sie  sich  auf  reiche  Eigen¬ 
erfahrungen  der  Verfasser  stützen.  Die  Kapitel  Cowl,  v.  Ko- 
ränyi,  Gärtner,  namentlich  al)er  v.  Schrötter  gehen  zum 
Teil  weiivolle  Griginalarheiten  der  betreffenden  Verfasser  wieder, 
die  meines  Erachtens  aber  nicht  in  den  Rahmen  eines  Hand¬ 
buches  gehören  ;  zum  Teil  haben  sie  auch  sehr  wenig  mit  Sauer- 
stofflherapie  zu  tun  und  behandeln  weil  ahliegende  Gegenstände. 
Bis  zu  einem  gewissen  Grade  selbstverständlich  ist,  daß  die 
Besprechung  ein-  und  desse]l)en  Gegenstandes  in  den  vei-schieden- 
sten  Ka])iteln  wiederkehrt ;  so  wird  die  Anwendung  der  O2- 
Therapie  ])ei  Kcjhlendunstvergiftung  in  nicht  weniger  als  sieben 
Kapiteln  eingehend  erörtert.  Das  ist  nicht  die  Schuld  der  Mit¬ 
arbeiter  sondern  des  Unternehmens. 

Am  wenigste)!  befriedigen  die  Ausfühiaingen  der  Kliniker, 
da  jiaturgemäß  kein  einziger  von  diesen  bisher  zu  ('inem  ab¬ 
schließenden  Urt(‘il  gelangen  konnte.  Hier  sind  d(mn  auch  zum 
Teil  seh)'  überraschende  Erfahrungen  und  Anschauungen  nieder¬ 
gelegt.  So  schreibt  Seite  148  M.  Michaelis  wöillich :  „Bei 
einer  Reihe  von  Stoffwechselkrankheiten,  hei  denen 
es  sich  uni  verminderte  Oxydationsprozesse  im  Or¬ 
ganismus  handelt,  so  hei  Gicht,  Fettleibigkeit  und 
Diabetes  (siel),  ist  Sauerstoff  vielfach  angeblich  mit  Nutzeji 
angewendet  worden.  Andere  und  ich  seihst  standen  diesen  Be¬ 
obachtungen  etwas  skeptisch  gegenüber.  Nachdem  aber  im  Jaf fe¬ 
schen  Laboratoiium  in  Königsberg  die  Möglichkeit  gezeigt  worden 
ist,  experimentell  erzeugte  (Aether-  [Ref.])  Glykosurie  an  Tieren 


durch  intravenöse  Sauerstoffinjektionen  zu  verhindern,  scheint 
auch  hier  die  Sauerstofftherapie  festen  Fuß  fassen  zu  wollen.“ 

Ein  Tierjihysiologe  ließe  es  sich  nicht  leicht  heikommen, 
eine  derartige  Konsequenz  zu  ziehen.  Auch  manche  klinische  Er¬ 
fahrungen,  wie  die  N.  Ortners,  der  in  manchen  Fällen  dem 
Sauerstoff  eine  appetitamegende  Wirkung  nicht  ahsprechen  möchte 
(Seite  54)  und  Empfehlungen,  wie  die  ernsthaft  gemeinte  Spie¬ 
gels  (Seite  547),  hei  Krankheitserscheinungen,  die  auf  mangel¬ 
hafte  Oxydationsvorgänge  zuriiekgeführt  werden,  natürliche  Oxy- 
dasen  zuzuführen,  stimmen  sehr  nachdenklich. 

0.  Loewi. 

Mikroskopische  Untersuchung  des  Wassers  mit  Bezug 
auf  die  in  Abwässern  und  Schmutzwässern  vorkommenden 
Mikroorganismen  und  Verunreinigungen. 

Von  Mr.  pharm.  Emanuel  Senft,  k.  u.  k.  Militärapotheker. 

Mit  180  Figuren  in  86  Abbildungen  im  Texte  und  220  Figuren  auf 

10  lithographierten  Tafeln. 

Wien  1906,  Verlag  von  J.  Safäf. 

Die  iu  den  verschiedenen  Wässern,  Abwässern  und  Schmutz¬ 
wässern  oft  in  außerordentlich  großer  Zahl  vorhandenen  niederen 
pflanzlichen  und  tierischen  Organismen  werden  wohl  seit  ge¬ 
raumer  Zeit  von  Botanikern,  und  Zoologen  bearbeitet  und  liegen 
hierüber  sehr  schöne  und  gründliche  Untersuchungen  vor.  Daß 
diese  Mikroorganismen,  wie  auch  die  in  diesen  Gewässern  vor¬ 
handenen  Schwebestoffe  vor  allem  bei  der  Beurteilung  des  Trink¬ 
wassers,  hzw.  der  Wasserversorgung  der  Gemeinden  eine  Rolle 
spielen,  ist  früher  bereits  geahnt  worden,  voll  und  ganz  ge¬ 
würdigt  wird  es  aber  erst  in  jüngster  Zeit.  Das  erste  größere 
Werk  hierüber:  IMikroskopische  Wasseranalyse,  von  C.  Mez, 
stammt  aus  dem  Jahre  1898.  In  diesem  ausgezeichneten  Buche 
sind  eine  stattliche  Anzahl  pflanzlicher,  wie  tierischer  Organis¬ 
men,  welche  im  stark  oder  schwach  verunreinigten  Wasser  ihre 
Lehensbedingungen  zu  finden  gewohnt  sind,  namhaft  gemacht. 

Den  gleichen  Gegenstand  behandelt  das  vorliegende  Werk; 
nur  hat  der  Verfasser  hei  der  Bearbeitung  desselben  die  in  den 
Mitteilungen  aus  der  königlichen  Prüfungsanstalt  für  Wasserver¬ 
sorgung  und  Ahwässerbeseitigung  zu  Berlin  1902  erschienene 
grundlegende  Arbeit  von  Dr.  R.  Kolkwitz  und  Dr.  M.  Mars  son: 
Grundzüge  für  die  biologische  Beurteilung  des  Wassers  nach  seiner 
Flora  und  Fauna,  noch  berücksichtigen  können.  Er  bespricht 
daher  im  speziellen  Teile  unter  den  organisierten  Körpern  außer 
den  niederen  pflanzlichen  und  tierischen  Organismen  (Mikroflora 
und  -fauna)  auch  höher  organisierte  Tiere.  Im  allgemeinen  Teile 
behandelt  der  Autor  auf  59  Seiten:  I.  Das  Mikroskop  und  die 
Nebenapparate,  welche  hei  einer  mikroskopischen  Wasserunter¬ 
suchung  nötig  sind  ;  11.  Sammeln,  Auf  bewahren  und  Untersuchung 
der  Wasserproben;  Hl.  die  saprohen  Organismen  und  die  Selbst¬ 
reinigung  des  Wassers.  Der  Verfasser,  als  Zeichner  rühmlichst 
bekannt,  hat  zahlreiche  brauchbare  Bilder  in  das  Werk  auf¬ 
genommen,  von  der  ganz  richtigen  Erwägung  ausgehend,  daß 
gute  Illustrationen  mehr  sagen  als  eine  lange  Beschreibung. 

Das  Werk  kann  besonders  jenen,  welche  Wasser  nicht  be¬ 
rufsmäßig  untersuchen,  wie  Landärzte,  Chemiker,  Fahriksdirek- 
toren,  Apotheker  bestens  empfolden  werden. 

* 

Lehrbuch  der  Intoxikationen. 

Von  Dr.  Rudolf  Kohert,  kaiserlich  russischem  Staatsrat,  ordentlicher 
Professor  für  Pharmakologie  und  physiologische  Chemie  der  Universität 

Rostock. 

Zweite  durchwegs  umgearbeitete  Auflage. 

Zwei  Bände.  II.  Band:  Spezieller  Teil,  2.  Hälfte. 

Mit  94  Abbildungen  im  Text. 

Stuttgart  1906,  Verlag  von  Ferd.  Enke. 

Die  zweite  Hälfte  dieses  zweiten  Bandes  bringt  den  speziellen 
Teil  und  damit  die  zweite,  durchwegs  umgearheitete  Auflage 
des  Lehrbuches  der  Intoxikationen  zum  Abschlüsse. 

Die  Gifte  wenlen  in  di-ei  großen  Abschnitten  liespi’ochen ; 
in  der  ei'sten  Gruppe  behandelt  der  sehr  bekannte  Autor  die 
Stoffe,  welche  schwere  anatomische  Veränderungen  einzelner  Or¬ 
gane  veranlassen  können,  in  der  zweiten  die  Blutgifte,  in  der 
dritten  die  Nervengifte  und  Herz'gifte.  Ui'sprünglich  hatte  der 
Verfasser  den  Plan,  diesen  di'ei  großen  Ahteilungen  als  seihst- 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCllIUET.  1907 


139 


ständige  Kapitel:  die  Stoffwechselprodukte,  welche  für  die  Ihcore-  1 
tische  oder  praktische  Toxikologie  von  Bedeutung  sind,  die  in 
Nahrungsmitteln,  GenußiniLteln  und  Gehrauchsgegenständen  he- 
sonders  häufig  vorkommenden  Gifte  und  die  wichtigsten  GifL- 
tiere  folgen  zu  lassen.  Bei  der  Bearbeitung  des  speziellen  Teiles 
ist  es  ihm  jedoch  möglich  geworden,  die  letztgenannten  Themen 
den  drei  großen  Abschnitten  an  den  entsprechenden  Stellen  ein¬ 
zufügen. 

Ergänzungen  und  Verbesserungen,  welche  dem  Verfasser 
erst  während  des  Druckes  bekannt  geworden  sind,  bringt  er  in 
einem  Anhänge.  Nichtsdestoweniger  ist  doch  manches  übersehen 
oder  nicht  berücksichtigt  worden. 

Mit  gutem  Rechte  kann  gesagt  werden,  daß  auch  die  zweite 
Auflage  der  Intoxikationen  unter  den  verschiedenen  Lehr-  und 
Handbüchern  der  Toxikologie  an  erster  Stelle  zu  nennen  ist. 
Als  Nachschlagewerk  ist  es  geradezu  unentbehrlich.  H  o  c  k  a  u  f. 

st: 

Anatomischer  Atlas  für  Studierende  und  Aerzte. 

Unter  Mitwirkung  von  Prof.  A.  Dalla-Rosa  herausgegeben  von  Hofrat 

C.  Toldt. 

Fünfte,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Preis  geh.  K  60. 

Wien  und  Berlin  1907.  Urban  &  Schwarzenberg. 

Die  fünfte  Auflage  des  Toldtschen  Atlas  entliält  auf  etwa 
800  Holzschnitttafeln  an  1500  Einzelabbildungen  in  vorzüglichen 
Holzschnitten.  Auswahl  und  Zusammenstellung  folgt  der  üblichen 
Einteilung  im  Unterrichte;  die  makroskopisch-anatomischen  Dar¬ 
stellungen  sind  bei  den  Organen  durch  schematische  Darstellung 
des  histologischen  Aufbaues  recht  gut  unterstützt,  die  topogra¬ 
phischen  Darstellungen  sehr  klar  und  übersichtlich.  Es  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  dieser  Atlas  den  erwähnten  vor¬ 
züglichen  Eigenschaften  seine  große  Beliebtheit  und  Verbreitung 
verdankt,  die  sich  durch  das  Erscheinen  der  fünften  Auflage 
in  sehr  wenig  veränderter  Form  schon  im  siebenten  Jahre  nach 
der  Herausgabe  der  ersten  augenscheinlicher  dokumentiert,  als 
durch  die  schmeichelhafteste  Rezension. 

Die  Anempfehlung  des  Bardelebenschen  Handbuches  der 
systematischen  Anatomie  als  Textbuch  zum  Toldtschen  Atlas 
am  Umschläge  scheint  wohl  nur  der  Intention  des  Verlegers 
entsprungen  zu  sein;  der  Atlas  will  nur,  wie  der  Autor  in  der 
Vorrede  ausdrücklich  hervorhebt,  ein  Bildwerk  und  nicht  ein 
Kompendium  der  Anatomie  sein;  es  ist  darum  ein  Text,  der 
diesen  Anschei]i  erwecken  kann,  absichtlich  vermieden. 

R.  K  re  tz. 

Aus  A/erschiedenen  Zeitsehriften. 

41.  Aus  dem  Ostkrankenhaus  für  Haut-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten  Berlin  (dirigierende  Aerzte:  Prof.  Kr  o  may  er  und 
V.  Chrismar).  Die  Behandlung  der  gonorrhoischen 
,,Posteriozystitis“  seitens  des  praktischen  Arztes. 
Von  Prof.  Kromayer.  Die  vorzüglich  wirkenden  Höllenstein¬ 
instillationen  nach  Giiyon  und  Ultzmann,  beim  Uebergreifen 
der  gonorrhoischen  Entzündung  auf  den  Blasenhals  sind  für  den 
praktischen  Arzt'  als  Nichtspezialisten  zu  schwierig.  Verf.  bat 
nun  mit  einem  neuen  Silberpräparat,  dem  Albargin,  Versuche 
mit  sehr  befriedigendem  Resultate  angestellt.  Eine  2°/oige  Albar- 
ginlösung  in  Blasenhals  und  Blase  mittels  des  Guyon  eingespritzt, 
ruft  keine  Reizerscheinungen  hervor,  selbst  wenn  man  eine  ganze 
Guyonsche  Spritze  (4  bis  5  cm®)  injiziert.  Aus  diesem  Grunde' 
wird  auch  der  Guyonsche  Katheter  überflirssig  und  kann  durcli 
einen  Seidenkatheter  mit  einer  leichten  Mercierschen  Abkuickung 
ersetzt  werden,  um  sicher  den  äußeren  Schließmuskel  der  Bla.so 
zu  i)assieren.  Verf.  empfiehlt  folgendes  Verfahren:  Man  führt 
den  Seidenkatheter  bis  in  die  Blase,  entleert  den  Urin  und  spritzt 
mit  einer  beliebig  großen  (bis  50  cm®)  Spritze  5 — 10 — 20  cm® 
ein,  entfernt  die  Spritze  vom  Ansätze  des  Katheters,  worauf 
sogleich  einige  Tropfen  der  eingespritzten  Lösung  sich  entleeren 
und  zieht  nun  den  Katheter  soweit  heraus,  bis  das  Hei'ausfließeu 
der  Lösung  aufhört.  Nun  weißi  man  sicher,  daß  das  Auge  des 
Katheters  sich  im  Blasenhals  befindet  und  man  injiziert  jetzt 
weitere  5 — 10 — 20  cm®  in  den  Blasenhals.  Das  Verfahren  ist 
außerordentlich  schonend.  In  den  meisten  Fällen  gelang  es,  mit 
Injektionen  einer  8Aoigen  Lösung,  die  alle  zwei  Tage  wiederholt 


wurden,  in  kurzer  Zeit  (ein  bis  zwei  Wochen),  die  Posterio- 
zystitis  zum  Verschwinden  zu  bringen,  so  daß  diese  Behandlungs¬ 
methode  dem  praktischen  Arzte  als  eine  bequeme,  zuverlässige 
und  reizlose  Behandlung  empfohlen  werden  kann.  In  Fällen  von 
großer  Empfindlichkeit  der  Patienten  und  iVkuität  des  Prozesses 
verbietet  sich  aber  die  Einfübrung  eines  Instrumentes  von  selbst 
und  man  muß  sich  auf  eine  interne  Behandlung  beschränken. 
Bettruhe,  Vermeidung  aller  körperlichen  Anstrengung  wirken  an 
sich  schon  günstig  und  können  durch  eine  Trinkkur  unterstützt 
werden.  Verf.  läßt  nämlich  große  Quantitäten  des  Bärentrauben¬ 
blättertees  (fünf  bis  zehn  Liter  pro  Tag)  in  dünnem  Aufguß  trinken, 
mit  der  Weisung  an  den  Patienten,  so  häufig  wie  möglich  zu 
urinieren.  Diese  Trinkkur  bewährt  sich  nicht  nur  in  akuten, 
sondern  bei  ganz  alten  und  hartnäckigen  Fällen.  Diese  Methode 
ist  jedoch  nicht  bei  ambulanter  Behandlung  anwendbar.  Für  diese 
Fälle  sind  eine  Beihe  innerer  Medikamente  in  Anwendung  ge¬ 
zogen.  Die  allbewäbrten  Kubeben  und  Kopaivbalsam  sind  wegen 
der  häufigen  Nierenreizung  fast  vollkommen  von  dem  Sandelöl 
aus  der  Therapie  verdrängt  worden.  In  letzter  Zeit  sind  neue 
Präparate  dazugekommen,  die  der  Verfasser  im  Krankenhause 
einer  Pinfung  unterwarf.  Darunter  das  ,,Kawa- Karwin“,  eine  Zu¬ 
sammensetzung  von  Kawa -Kawa  und  Urotropin  und  weiter  das 
,,Santyr’‘,  eine  chemische  Verbindung  des  Santalols  und  der  Sali¬ 
zylsäure,  ersteres  des  wirksamen  Prinzips  des  Sandelöls,  letzteres 
des  bewährten  Antipldogistikums  und  Desinfiziens.  Das  Santyl 
hat  vor  dem  Sandelöl  den  nicht  hoch  genug  anzuschlagenden 
Vorteil  der  absoluten  Reizlosigkeit  auf  den  Magen.  Verf.  ist  in 
seiner  Privalpraxis  zu  hohen  Dosen  des  Santyls  übergegangen 
(dreimal  täglich  60  Tropfen),  ohne  daß  die  Patienten  nur  im 
geringsten  isich  beschwert  hätten.  Stets  wurde,  gegenüber  dem 
Sandelöl,  die  absolute  Geschmacklosigkeit  und  Reizlosigkeit  des 
Mittels  auf  Magen  und  Nieren  lobend  anerkannt.  Dem  praktischen 
Arzt  empfiehlt  der  Verfasser,  dieses  Mittel  nicht  gleich  beim 
Beginn  des  akuten  Trippers  zu  geben,  sondern  sich  im  Anfänge 
auf  die  lokale  Behandlung  mit  Injektionen  zu  beschränken,  um 
dann  im  ^Momente,  wo  die  Entzündung  auf  den  Blasenhals  über¬ 
greift,  sich  dieses  wirksamen  Mittels  zu  bedienen  und  dadurcli 
häufig,  wie  mit  einem  Schlage,  den  schimerzhaften  Tenesmus, 
die  quäleudc  Unruhe  und  den  trüben  Urin  zu  beseitigen.  Erst 
wenn  diese  interne  Medikation  versagen  sollte,  würde  Verf.  raten, 
die  lokale  Behandlung  der  Posteriozystitis  in  der  von  ihm  an¬ 
gegebenen  Weise  anzu wenden.  —  (Münchener  mediz.  Wochen¬ 
schrift  1007,  Nr.  1.)  G. 

* 

42.  Aus  der  I.  chirurg.  Abteilung  des  1\  iener  allgemeinen 
Krankenhauses.  Ueher  Ablösung  von  Gelenkteilen  und 
verwandte  Prozesse.  Von  Dr.  Konrad  B  ü  d  i  n  g  e  r.  Auf 
Grund  eines  Materials  von  28  Arthrolomien,  welche  Verf.  in  dcji 
letzten  Jahren  ausgeführt  hat,  wird  über  eine  Reihe  trauma¬ 
tischer  und  arthritischer  Gelenksdefekte  und  Arthrophyten  be¬ 
richtet.  Gegenstand  wissenschaftlicher  Ihitersuchung  in  bezug  auf 
Aetiologie,  klinische  Symptomatologie  und  pathologische  Anatomie 
bilden  insbesonders  20  Fälle,  in  welchen  es  sich  siebenmal  um 
,,Knorpel risse“  im  Kniegelenk,  einmal  um  einen  „trauma¬ 
tischen  Knorpeldefekt  ohne  Arthrophyten“,  achtmal  um  „trau¬ 
matische  Knorpeldefekte  mit  Artlirophiten“,  zweimal  um  „Knorpel¬ 
defekte  mit  Arthrophyten  hei  Arthritis  deformans“  und  zweimal 
um  ,,Arthroi)hyten  durch  Kantenbruch“  handelte.  Nach  seinen 
Erfahrungen  und  Beobachtungen  tritt  Verf.  sowohl  für  eine  Er¬ 
weiterung  der  Indikation  zur  operativen  Eröffnung  des  Gelenkes, 
insbesonders  aber  für  die  Ausführung  der  ,, breiten  Arthrotomie“ 
bei  mit  Inkarzerationssytnptomen  einhergehender  Arthritis  ein. 
In  der  Nachbehandlung  wird  großes  Gewicht  auf  haldige  aktive 
Bewegungsversuche  gelegt.  Verf.  läßt  die  Operierten  am  dritten 
bis  fünften  Tage  bereits  aufstehen.  Am  achten  bis  zebnte}i  Tage 
wird  der  fixierende  Gi  gautinverband  diirch  einen  kurzen,  Be¬ 
wegung  gestattenden  Kniekappenverband,  der  längstens  am 
14.  Tage  wegbleil)t,  ersetzt.  Verf.  kann  fast  ausschließlich  über 
gute  Dauerresullale  bericblen.  Unter  Bi'uulzung  der  Operations¬ 
befunde  stellt  Verf.  Untersuchungen  an  über  flen  Mechanismus  der 
Knoipelverlctzungen,  sowie  über  die  strittige  Frage,  ob  die  Knoi’- 
pelablösung  und  die  Bildung  der  echt(Mi  Arthrophyten 
in  einem  Tempo,  oder  langsam  zustande  kommen.  Zu  diesem 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


ITJ 


Hohofo  iinlorsTiclile  Verf.  an  dem  Wiener  pathologisch-analomi- 
schen,  sowie  gerichtlicli-niedizinisclien  Institute  Leichen  Ver- 
nn  glückt  er,  welche  kurz  vor  ihrem  Tode  eine  Gelenksver- 
letznng  erlitten  hatten.  Unter  gleichzeitiger  Verwertung  der 
eigenen  Befunde  resümiert  Verf.  seine  Erfahrungen  wie  folgt: 
I.  Infolge  von  Kantenfrakturen  kommen  Arthrophyten  zustande, 
di('  entweder  ins  Gelenk  disloziert  und  sofort  frei  sein,  oder  auch 
in  loco  oder  anderer  Stelle  vorübergehend  oder  dauernd  fixiert 
sein  können.  2.  Das  Entstehen  von  Arthro])hyten  durch  Zug  der 
Ligamenta  cruciata  ist  sehr  wahrscheinlich,  doch  ist  dies  nicht 
die  Hauptursache  der  Arthrophytenbildung ;  primäres  Freiwerden 
ist  hiebei  unter  besonderen  Umständen  nicht  unmöglich.  3.  Die 
meisten  Arthrophyten  stammen  speziell  am  Kniegelenk  aus  der 
IMitte  der  Femurgelenksflächen.  Es  ist  durch  nichts  wahrschein¬ 
lich  gemacht,  daß  Flächenarthrophyten  isoliert  primär  frei  werden 
können;  sekundäres  Freiwerden  ist  nachweisbar  u.  zw.  entweder 
von  einer  Läsion  aus  nach  den  Seiten,  od,er  von  einem  zirku¬ 
lären  Sprung  aus  nach  der  Mitte  des  Defektes.  Die  Untersuchungen 
über  Arthrophyten  nicht  traumatischen  Ursprunges 
faßt  Verf.  in  folgende  Sätze  zusammen:  ,, Viele  Formen  der  durch 
T]-auma  entstandenen  Gelenksveränderungen  —  der  traumatischen 
Arthritis  —  sind  nicht  von  den  übrigen  Arthritiden  zu  unter¬ 
scheiden,  Ablösungen  von  Teilen  der  Gelenksflächen  sind  hei 
den  verschiedenen  Arthritiden  häufig,  in  schwereren  Fällen  kommt 
es  selten  zum  Freiwerden  der  Arthrophyten.“  ....  ,,Die  Fläche]i- 
arthrophyten  dürften  sich  —  oh  traumatischen  oder  nicht  trau¬ 
matischen  Ursprunges  —  durch  die  mechanische  Einwirkung  der 
Gelenkshewegung  langsam  ablösen.  In  sehr  vielen  derartigen 
Fällen  ist  das  einzige  Unterscheidungszeichen  die  Anamnese,  ln 
chronisch  erkrankten  Gelenken  können  Traumen  leichter  zur  Bil¬ 
dung  echter  Arthrophyten  führen;  Arthritis  deformans  kann  wahr¬ 
scheinlich  neben  Bildung  echter  Arthrophyten  infolge  der  gleichen 
Traumen  entstehen.“  —  (Dentsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1906, 

Bd.  84,  H.  4  bis  6.)  F.  H. 

* 

43.  U  e  h  e  r  i  r  a  g  ii  n  g  v  o  Ji  T  u  m  o  r  e  n  hei  Hunde  n  d  u  r  c  h 
den  Geschlechtsakt.  Von  Dr.  Anton  Sticker,  Assistent  der 
chirurgischen  Universitätsklinik  Berlin  (Exzellenz  v.  Bergmann). 
Es  war  dem  Verfasser  schon  früher  gelungen,  von  eimu’  malignen 
Geschwulst  (Sarkom),  welche  sich  am  Penis  eines  Hundes  spon¬ 
tan  entwickelt  hatte,  experimentelle  Uebertragungen  auf  andere 
Tiere  herbeizuführen.  Eine  spontane  Uehertragung  eines  malignen 
Tumors  wurde  aber  bislang  nicht  beohachtet.  Nun  hatte  Verfasser 
eine  Hündin  mit  umfangreichem,  experimentell  erzeugtem  Sar¬ 
kom  der  Vagina,  dann  eine  zweite  Hündin,  welche  spontan  ein 
Vaginalsarkom  bekommen  hatte.  Diese  zwei  Tiere  benützte  Ver¬ 
fasser  vorerst  wieder  zur  subkutanen  Implantierung  von  Ge¬ 
schwulstmassen  auf  andere  Tiere,  wobei  die  Versuche  so  gut 
gelangen,  daß  Verf.  es  als  bewiesen  erklärt,  daß  auch  aus  ulzerie- 
renden  Tumoren  lebende,  zu  progressivem  Wachstum  befähigte 
Geschwulstzelleii  in  die  Außenwelt  gelangen  können.  Er  ließ 
aber  auch  eine  Hündin,  welche  am  Introitus  vaginae  Defekte 
der  Schleimhaut  mit  darunter  liegenden,  haselnußgroßen  Sar¬ 
komen  hesaßi,  von  sieben  Hunden  decken.  Bei  einem  Hunde 
entwickelte  sich,  nach  einer  Latenzzeit  von  3V2  Monaten,  am 
Penis  u.  zw.  an  einer  Stelle,  welche  genau  der  Geschwulststellö 
der  Vagina  entsprach,  eine  brombeerengroße  Geschwulst  und  eine 
Schwellung  der  regionären  Lymphdrüse,  welche  bald  eine  Huhn¬ 
eigröße  erreichte,  auf  Kastaniengröße  zurückging  und  seitdem 
stabil  blieb.  Auch  der  Penistumor  wuchs  langsam,  er  bildet  jetzt 
einen  derben,  höckerigen  Tumor,  der  an  der  Oberfläche  zer¬ 
klüftet  und  aus  einzelnen  kleinen  Knötchen  zusammengesetzt 
erscheint.  Ein  zweiter  Hund  zeigte,  wieder  nach  3V2  Monaten, 
sieben  hirsekorngroße  Knötchen  am  Penis,  welche  langsam  und 
stetig  wachsen,  jetzt  schon  Hanfkorngröße  zeigen ;  keine  Drüsen¬ 
metastase.  Bei  allen  übrigen  Hunden  ist  bis  jetzt  keine  Geschwulst- 
hildung  bemerkbar.  Die  in  beiden  i)ositiv  verlaufenen  Fällen  ent¬ 
standenen  Penissarkome  sind  als  Kontakttumoren  aufzu¬ 
fassen.  Vlanche  der  in  der  Literatur  mitgeteilten  Fälle  von  spon¬ 
tanem  Kontakt übeiti’agungen  maligner  Tumoren  heim  Menschen 
sind  aber  auch  nicht  anders  zu  deuten.  Verf.  berichtet  über 
mehrere  derartige  Fälle,  woiunter  solche,  daß  Vlänner  an  Krebs 
des  Penis  erkrankten,  weil  sie  mit  Weibejai  Umgang  pflegten. 


welche  an  Uteruskrebs  litten,  oder  daß  Frauen  an  Uteruskrebs 
erkrankten,  weil  der  Mann  an  Krebs  des  Penis  litt.  Solche  ältere 
Beobachtungen  dürften  jetzt,  nach  Bekanntwerden  obiger  Befunde 
an  Tieren,  eine  andere  und  wohl  richtigere  Auffassung  erfahren. 
—  (Berliner  klinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  49.)  E.  F. 

44.  lieber  die  Behandlung  der  Pneumonie.  Von 

Albert  Bob  in.  Nach  den  Vlißerfolgen  der  Serumtherapie,  sowie 
überhaupt  der  auf  Aetiologie  und  Pathogenese  aufgebauten  Be¬ 
handlungsmethoden,  ist  die  gegenwärtige  Behandlung  der  Pneu¬ 
monie  ihrem  Wesen  nach  symptomatisch.  Es  weist  jedoch  das 
Studium  der  allgemeinen  und  respiratorischen  Stoffwechselvor¬ 
gänge  auf  die  Art  des  Ablaufes  der  zur  LIeilung  führenden  Krise 
hin  und  gibt  die  Basis  einer  natürlichen  Therapie.  Im  Augenblick 
der  Entfieberung,  eigentlich  noch  vor  dem  Temperaturabfall, 
werden  große  Mengen  von  Harnstoff  und  Harnsäure  ausgeschieden^ 
gleichzeitig  nimmt  die  Ansnützung  des  Stickstoffes  beträchtlich 
zu.  Der  respiratorische  Stoffwechsel  zeigt  in  der  gleichen  Epoche 
eine  Abnahme,  so  daß  die  im  allgemeinen  Stoffwechsel  eintreten¬ 
den  Veränderungen  nicht  auf  eine  vermehrte  Aufnahme  von  Sauer¬ 
stoff  zurückgeführt  werden  können.  Im  geschilderten  Chemismus 
kommt  die  Verteidigungsreaktion  des  Organismus  gegen  den  An¬ 
griff  der  Pneumokokken  zuin  Ausdruck,  ln  ganz  analoger  Weise 
wirken  die  metallischen  Fermente  —  Gold,.  Mangan,  Palladium 
und  so  weiter  —  so  daß  sie  geeignet  sind,  das  spontane  Heil¬ 
bestreben  zu  erwecken,  zu  unterstützen  oder  hervorzurufen.  Auf 
die  anatomische  Läsion  bei  Pneumonie  üben,  wie  Obduktions¬ 
befunde  lehren,  die  metallischen  Fermente  keine  Wirkung  aus, 
sondern  es  erstreckt  sich  ihre  Aktion  nur  auf  das  toxisch- 
infektiöse  Moment  der  Erkrankung.  Es  ist  daher  noch  eine  Unter¬ 
stützung  durch  andere  ttierapeutische  Faktoren  erforderlich;  hie- 
her  gehört  der  Aderlaß,  die  einmalige  Verordnung  von  Kalomel 
iu  fraktionierter  Dosis,  die  Darreichung  mäßiger  Alkoholmengen, 
die  V^erordnung  von  Chininum  hydrochloricum  in  kleinen  Dosen, 
welche  vom  vierten  Krankheitstage  an  mit  Pyraniidon  kombiniert 
werden,  sowie  die  Applikation  von  Blasenpflastern  nach  Ablauf 
des  vierfen  Krankheitstages.  Die  metallischen  Fermente  lufen 
Temperaturabnahme,  Veränderang  der  Harnheschaffenheit  und 
Blutdrucksteigerung  hervor.  Unter  53  in  der  geschilderten  Weise 
behandelten  Fällen,  darunter  26  schwerer  Art,  betrug  die  Vlor- 
talität  ll-32"/o,  weniger  günstig  waren  die  Resultate  bei  schweren 
sekundären  Bronchopneumonien,  wo  eine  Mortalität  von  46 'Vo 
beohachtet  wurde.  Die  metallischen  Fermente  werden  in  Dosen 
von  10  cm^  subkutan,  in  schweren  Fällen  5  cm®  intravenös  in¬ 
jiziert.  Es  wird  mit  den  Injektionen  am  vierten  Krankheitstage 
begonnen  nnd  dann  jeden  zweiten  Tag  eine  Injektion  appliziert. 
(Bull.  gen.  de  Therap.  1906,  Bd.  H,  Nr.  21.)  a.  e. 

* 

45.  (Aus  dem  General -Hospital  in  Birmingham.)  Die 

Wechsel  bezi  eh  inigen  zwischen  den  Erkrankungen 
des  Uterus  und  seiner  Adnexe  u  n  d  d  e  n  e  n  des  übrige  n 
Körpers.  Von  Thomas  Wilson.  Nach  einem  allgemeinen Ueber- 
blick  über  dieses  wichtige  Thema  der  praktischen  Medizin,  der 
meist  allgemein  bekanntes  enthält,  betont  Verf.  vor  allem  die 
Wichtigkeit  der  Beziehungen  zwischen  Genitaltrakt  und  Schild¬ 
drüsenfunktion.  Er  führt  zur  Illustration  acht  Fälle  aus  seiner 
Praxis  an,  von  welchen  nur  zwei  eine  Schilddrüsenaffektion 
(Basedow)  ohne  Störungen  der  Menses  überstanden.  Zwei  Fälle 
zeigten  Menorrhagien  im  Zusammenhang  mit  der  Schilddrüsen¬ 
affektion.  ln  drei  Fällen  trat  Amenorrhoe  oder  Spärlichkeit  der 
Menses  auf.  Beim  letzten  Falle,  einer  22jährigen  Patientin,  die 
lusher  ganz  normal  menstruiert  hatte,  zesisierten  die  Menses  gleich¬ 
zeitig  mit  dem  Auftreten  der  Basedow -Symptome.  Zugleich 
entwickelte  sich  eine  deutliche  Atrophie  der  Vulva,  der  Vagina 
und  des  Uterus.  Von  den  übrigen  Ausführungen  des  Verfassers, 
die  mehr  den  Charakter  eines  Sammelreferates  tragen,  wäre  noch 
der  Hinweis  auf  die  Tatsache  zu  erwähnen,  daß'  die  Unwirksam¬ 
keit  mancher  Ovarialpräparate  z.  T.  auch  davon  abhängig  sei, 
daß  die  Ovarien  nicht  geschlechtsreifer  Tiere  zur  Verwendung 
kommen.  —  (Lancet,  24.  November  1906.)  .1.  Sch. 

♦ 

46.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Gef  ä  ßve  rände- 
rungeii  in  der  Gehirnrinde  bei  Psychosen.  Von  Doktor 


Nr.  5 


WIENER  KLINiyCllE  WüCIIENSClIRIFT.  1907. 


141 


Elniiger,  St.  Urban  (Kantou  Luzern).  Ris,  Mahaiin  und 
andere  niachlen  schon  vor  Jahren  darauf  aufmerksam,  <laßi  die 
(lefäße  der  Gehirnrinde  l)oi  Paralyse  eine  Anomalie  aufvveiseii 
(Zellinfiltration  der  perivaskulären  Räume  und  der  adventitiellen 
Gefäßischeiden,  wobei  unter  den  infiltrierenden  Zellen  die  soge- 
naimten  Plasmazellen  eine  besonders  wichtige  Rolle  spielen), 
welche  sich  bei  anderen  Psychosen  nicht  findet.  Elmiger  unler- 
suclite  diesbezüglich  28  Gehirne  von  Geisteskranken,  worunter 
sich  zwölf  Paralytiker  befunden  hatten.  Er  fand  die  oben  ange¬ 
führten  Yei'ändei'ungen,  namentlich  an  den  Zentralwindungen  und 
im  Frontalhirn  ausgeprägt,  bei  sämtlichen  Paralytikern,  sonst 
aber  bei  keinem  seiner  Fälle.  Es  kann  also  wohl  gesagt  werden, 
daß  die  Zellinfiltration  der  Gefäßscheiden  der  Gehirnrindeugefäße 
für  Paralyse  charakteristisch  ist.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und 
Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  1.)  S. 

* 

47.  (Aus  der  dritten  medizinischen  xVbteilung  des  k.  k.  all¬ 
gemeinen  Krankenhauses  in  Wien.)  Klinische  Wahrueh- 
m u n g e n  ü  1j er  Aorta-,  Anonyma-  und  K a r  o  t i s p  u  1  s e  des 
gesunden  und  kranken  Menschen.  Von  Prof.  Dr.  Norbert 
Ortner,  k.  k.  Primararzt.  Die  vorliegende  Arbeit  bringt  der 
physikalischen  Diagnoslik  neue,  wertvolle  Beiträge,  indem  Ver¬ 
fasser  sich  mit  der  Inspektion,  Palpation,  Auskultation  und 
Sphygmographie  an  der  menschlichen  Aorta,  bzw.  Karotis  be¬ 
schäftigt.  Sphygmographische  Aufnahmen  des  menschlichen  Aor¬ 
tenpulses  existierlen  bisher  so  gut  wie  keine.  Veranlassung  zu 
diesen  Studien  gab  das  von  Ortner  gefundene  Symptom  der 
Doppelschlägigkeit  des  Aortenbogenpulses  im  Jugulum.  Durch  viele 
genaue  Beobachtungen  und  exakte  Ausführung  entsprechender 
Sphygmogramme,  die  in  der  Arbeit  ausführlich  besprochen  wer¬ 
den,  gelangt  Verf.  zur  Aufstellung  folgender,  wichtiger  Schlu߬ 
sätze:  .Man  hört  vielfach  bei  den  verschiedensten  Erkrankungen 
in  der  Incisura  sterni  über  dem  Aortenbogen,  resp.  der  Arteria 
anonyma  und  der  untersten  Karotis  im  seitlichen  Halsdreieck  (öfter 
auch  noch  höher  oben  und  über  der  Arteria  subclavia  supra¬ 
clavicular.)  drei  Töne,  einen  gespaltenen,  lierzsystolischen  'Pon 
und  einen  diastolischen  Hauptton  (Triphonie  nach  Ortner 

— ).  Es  läßt  sich  klinisch  feststellen,  daß  der  ersle  Ton 
der  Triphonie  dem  Eintritt  der  Blutwelle  in  die  genamdeii  Arterien 
seinen  Ursprung  verdankt,  der  erste  Gefäßton  sonach  bedinguuss- 
los  als  autochthon  entstanden  aufgefaßt  werden  muß.  Die  sphyg¬ 
mographische  Aufnahme  von  Kurven  des  Aortenbogens,  resp.  der 
Anonyma  und  untersten  Karotis,  ergibt  manchmal  ähnliche  Bilder, 
wie  jene  der  peripheren  Arterien.  Recht  oft  unterscheiden  sich 
aber  die  ersteren  von  den  letzteren  dadurch,  daß^  jene  einen 
schräg  und  langsam  ansteigenden  Aszensionssclienkel  und  einen 
.\bfall  der  Deszensionslinie  unter  die  Abszissenachse  darbieten. 
Die  Erklärung  hiefür  dürfte  in  der  Einflußnahme  des  die  Arterien 
deckenden  Gewebes,  ganz  besonders  aber  der  auf  den  Arterien 
gelegenen  Venen  auf  das  arterielle  Sphygmogramm,  zu  suchen  sein. 
Sphygmographisch  läßt  sich  feststellen,  daß  der  zweite  Halblon 
der  Triphonie  mit  der  sogenannten  ersten  Reflexwelle  der  Aorten- 
Karotiskurve  zusammenfällt,  mag  sie  katakrot  oder  anakrot  liegen. 
Anakrotismus  ist  ein  häufiger  Befund  an  der  Aorten-Karotiskurve. 
Anakrotie  und  hiemit  Triphonie  sind  in  den  verschiedenen 
Fällen  verschieden  zu  erklären.  Bald  kommt  erstere  bei  hohem 
Blutdrucke  vor:  eine  klinisch  lange  bekannte  Tatsache.  Bald 
kommt  sie  bei  normalem  Blutdruck  vor:  eine  bisher  unbekannte 
klinische  Tatsache,  ln  diesen  Fällen  ist  —  konform  dem  Ex¬ 
perimente  —  die  Anakrotie  (und  Triphonie)  zu  erklären,  ent¬ 
weder  infolge  Vagusreizung  oder  andersarliger  Bradykardie,  oder 
infolge  eines  abnormen  Füllungsmodus  der  Aorta,  der  l)evvirkt, 
daß  während  der  Austreibungszeit  mehr  Blut  in  die  Aorta  ein¬ 
strömt,  als  nach  der  Peripherie  abfließt.  Dies  läßt  sich  auf  Grund 
verschiedener  Momente  hei  akuten  Infektionskrankheiten,  be¬ 
ginnender  Aortensklerose,  Aortenstenose,  Neurosen  etc.  versbdien. 
(Schädigung  oder  Schwund  eines  Teiles  der  elastischen  Substanz 
der  Arterienwand,  resp.  Relaxationszustand  der  Aorten- Anonyma- 
Karotiswand  bei  nervösen  Individuen.)  —  (Zeitschrift  für  Heil¬ 
kunde,  November  1906,  Bd.  XXVH,  H.  XI.)  K.  S. 

* 

48.  Ein  o])erativ  geheilter  Tumor  des  Okzipi¬ 
tallappens  des  Gehirns.  Von  FI.  Oppenheim  und 


F.  Krause.  Ein  35jähriger  Kaufmann  erkrankte  im  März  v.  ,1. 
an  anfangs  intermittierenden,  späterhin  konstanten,  heftigen  Kopf¬ 
schmerzen.  Ende  i\pril  wurde  überdies  eine  Netzhaiitblulung  am 
rechten  Auge  konstatiert,  kurze  Zeit  später  eine  Neuritis  optica 
rechts  und  eine  Pulsverlangsamung  auf  der  Höhe  des  Schmerz¬ 
anfalles.  Innerhalb  weniger  Wochen  entwickelte  sich  folgendes 
Krankheitsbild :  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Erbrechen,  doppel¬ 
seitige,  aber  rechts  ausgesprochenere  Stauungspapille  mit  vielen 
Netzhaulblulungen.  Dann  kamen  rechtseitige  Hemianopsie,  eine 
Störung  beim  Schreiben  und  Lesen  vom  Charakter  der  Alexie  und 
Agraphie.  Nun  diagnostizierte  Oppenheim  eine  Neubildung  im 
Bereiche  des  linken  Okzipitallappens.  Es  wurde  eine  Jod-  und 
Ouecksilbeihehandlung  eingeleilet,  welche  einen  nur  vorüber¬ 
gehenden  Erfolg  hatte.  Ende  Mai  wurde  eine  leichte,  rechtseitige 
Hemihypästhesie,  Hemiataxie  und  Heiniparesis  konstatiert.  Jetzt 
wurde  eine  operative  Behandlung  in  Vorschlag  gebracht.  Die 
Operation  wurde  von  F.  Krause  in  zwei  Akten  ausgeführt.  Am 
9.  Juni  wurde  eine  große  osteoplastische  Trepanation  in  der 
linken  Hinterhauptgegend  ausgeführt,  durch  wmlche  die  Dura,  der 
linke  Sinus  transversus  und  der  untere  Teil  des  Sinus  longitudi- 
nalis  freigelegt  war.  Die  Dura  war  prall  gespannt,  pulsierte  nicht; 
im  unteren  medialen  Gebiet  der  Wundfläche  war  eine  flache 
Vorwölbung  mit  dunklerer  Verfärbung  zu  erkennen.  Die  große 
Wunde  wurde  nach  Zurücklagerung  des  Hautknochenlappens  durch 
Nähte  geschlossen.  Am  14.  Juni  Entfernung  der  Nähte;  am 
25.  Juni  Exstirpation  der  Geschwulst.  Die  verklebten  Wundränder 
wurden  stumpf  getrennt,  die  Knochenplatte  heruntergeklappt,  die 
Dura  eröffnet  (nicht  Kreuzschnitt,  sondern  Bildung  eines  großen 
Lappens).  Es  wurde  ein  fleischroter  Tumor  sichtbar,  vou  welchem 
die  Dura  stumpf  abgelöst  werden  mußte;  der  Tumor  erreichte  nicht 
bloß  die  Mittellinie,  er  ging  auch  medianwärts  nach  dem  Cuneus 
in  die  Tiefe,  Mit  dem  bloßen  Fingej'  konnte  der  scharf  abge¬ 
grenzte,  tief  nach  vorn  in  die  Gehirnmasse  hiiieinragende  Tumor 
stumpf  ausgelöst  werden,  ein  Stück  Dura  wurde  abjfetrageu  (Vhr- 
wachsungsstelle),  der  Best  über  die  im  Hirn  zurückbleibeiuhi 
große  Höhle  gelagert,  von  links  her  ein  lappenartiges  Gebilde  nor¬ 
maler  Hirnsiibstanz  gleichfalls  über  die  Flöhle  gelegt,  schlie߬ 
lich  der  Weichteilknochenlappen  wieder  durch  Nähte  befestigt. 
Die  eiförmige  Geschwulst  (Maße:  32:55:58  nun)  erwies  sich 
als  Spindelzellensarkom.  Nach  ihrer  Entfernung  zeigte  der  frei¬ 
liegende  Okzipitallappen  des  Großhirns  deutliche  Pulsation.  Nach 
dem  Erwachen  aus  der  Narkose  befand  sich  der  Kranke  wohl,  bald 
aber  stellte]i  sich  hohe  TemperaLur,  beschleunigter  Puls  (bis 
158  ,, Gehirnfieber“)  ein,  der  Kranke  wurde  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  wenig  unbesinnlich,  er  erbrach  aber  nicht  und  fühlte  sich 
objektiv  wohl.  Die  ganze  Nacht  über  war  sein  Zustand  sehr 
bedenklich.  Am  nächsten  Tage  keine  Temperatur,  Puls  128;  nor¬ 
maler  Verlauf.  Vier  Wmchen  lang  mußte  er  im  Bette  liegen. 
Er  litt  einige  Zeit  an  optischen  Halluzinationeii  (er  sah  farbige 
Muster,  die  Körper  erschienen  ihm  strahlig,  die  Personen  konvex 
oder  konkav  ausgebuchtet  etc.),  alle  sonsligen  Beschwerden  w^aren 
aber  geschwunden.  Schon  nach  14  Tagen  war  links  die  Stauungs- 
pai)ille  zurückgegangen,  rechts  bloß  angedeutel,  nach  weiteren 
acht  Ta-gen  wlar  auch  die  Hemianopsie  im  Begriffe,  sich  zui'ück- 
zubilden,  nachdem  auch  die  Ausfallserscheinungen  der  rechten 
Körperhälfte  gewichen  waren.  Am  14.  August  konstatierte  Oppen¬ 
heim  fast  restlose  Heilung.  Die  reistierenden  Erscheinungen  sehr 
geringfügig,  sein  Körpergewicht  um  20  Pfund  erhöht.  Da  um 
die  Kjiochenklappe  ein  zentimeterbreiter  Knochenstreifen  (mtfernt 
wurde,  so  kann  man  jetzt,  nach  4V2  Monaten,  ein  leichtes  Federn 
dieser  Klappe  konstatieien.  Er  hat  seit  anfangs  September  seinen 
anstrengenden  Beruf  voll  aufgenommen.  —  (Berliner  klinische 

Wochenschrift  1906,  NT'.  51.)  E.  F. 

♦ 

49.  Aus  d(U’  chiru rgiischen  Klinik  und  dem  pathologischen 
Institut  zu  Lund,  Schweden  (Prof.  .1.  Borei  ins  und  H.  Bendz). 
Kasuistische  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Intestinal¬ 
lipoms.  Von  Nils  Hellström,  Assistenzarzt,  Im  Zusammen¬ 
hang  eines  Beliebtes  über  eine  zur  Opeiration  gelangte  Fett¬ 
geschwulst  im  Kolon  fühlt  Verf.  eine  kasuistische  Zusammen¬ 
stellung  der  Inteslinalliiiome  vor,  \im  ein  annähernd  exaktes 
Bild  der  klinischen  Bedmitung  dieser  nach  den  Autoren  seltenen 
Tumoren  geben  zu  können.  Ein  47jähriger  Knecht  litt  vor  zwei 


WlEINEll  KLINISCHE  WOCHENSCIIIUET.  1907. 


Nr.  5 


I4ü 


Jahren  einen  Monat,  lang  an  Spannung  und  kolikartigen  Schmerzen 
und  erschwertem  Gasabgang ;  dann  völlig  gesund,  bis  zwei  Wochen 
vor  Spitalseintritt  heftige  Schmerzen  im  oberen  Bauchteil,  vier 
bis  fünf  Stunden  nach  den  Mahlzeiten  dauernd,  auftraten ;  kein 
Erbrechen;  träger  Stuhlgang,  keine  Schleim-  und  Blutheirnisclmng 
im  Stuhl,  Blähungen  und  wiederholt  ein  Gefühl,  ,,als  ob  sich 
etwas  innen  bewege,  aber  nicht  heraus  könne“ ;  keine  Abmagerung. 
Die  Palpation  ergibt  bei  leerem,  wie  aufgeblähtem  Magen  im  un¬ 
teren  Teil  des  Epigastrium,  einen  wohlhegrenzten,  beweglichen 
Tumor,  nahezu  mannsfaustgroß;  fest,  nicht  druckempfindlich.  Bei 
der  Laparotomie  findet  sich  im  Colon  transversum  ein  manns- 
faustgroßer,  im  Dannlumen  unverschiehlicher  Tumor,  mit  älteren 
und  frischeren  Adhärenzen,  die  den  Tumor  im  Lumen  fest- 
halten.  Wegen  vermutetem  malignen  Tumor  wird  eine  Darm¬ 
resektion  ausgeführt;  die  histologische  Untersuchung  ergab  ein 
submuköses  Lipom,  von  intakter  Schleimhaut  bedeckt.  In  einem 
zweiten  (dem  Verfasser  von  Dr.  Bring  zur  Veröffentlichung  üher- 
lassenen)  Falle  —  45jähriger  Mann  —  bestanden  durch  14  Tage 
die  heftigsten,  ins  linke  Hypochondrium  verlegte  Schmerzen,  mit 
ileusähnlichen  Symptomen;  im  Colon  descendens  konnten  an 
zwei  Stellen  ziemlich  harte,  voluminöse  Besistenzen  palpiert 
werden.  Pat.  wurde  durch  14  Tage  mit  Klysmen  behandelt.  Bei 
einem  Versuche,  zu  urinieren,  hatte  er  plötzlich  das  Gefühl 
eines  an  der  Wirbelsäule  sich  nach  abwärts  bewegenden  Körpers 
und  mit  großer  Anstrengung  entleerte  er  per  anum  einen  apfel¬ 
großen,  nicht  zerklüfteten,  dünngestielten  Klumpen,  dessen  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  ,, Lipom“  ergab.  Einschließlich  elf  hielier- 
gehöriger  Präparate  aus  dem  pathologischen  Institut  zu  Lund 
stellt  Verf.  aus  der  Literatur  45  submuköse  Lipomfälle  zusammen: 
hievon  waren  19  als  zufällige  Sektionsbefunde  konstatiert  worden; 
bei  14  wurde  Invagination  beobachtet,  fünfmal  wurde  ein  Tumor 
diagnostiziert  und  sechsmal  wurde  spontaner  Abgang  gesehen. 
Betreffs  der  Lokalisation  verteilen  sich  die  45  Fälle,  von  welchen 
19  gestielt  waren,  wie  folgt:  3  Magen,  G  Duodenum,  9  Jejunum, 
9  Ileum,  20  Kolon,  2  unbekannt.  Die  Darmlipome  treten  meistens 
solitär  auf;  eine  erheblichere  Größe  (bis  Mannsfaustgröße)  konnte 
vorwiegend  nur  bei  Kolonlipomen  beobachtet  werden.  Im  Dünn¬ 
darm  erreichen  sie  selten  über  'Walnußigröße.  Das  klinische  Sym- 
ptornenbild  muß  als  sehr  vages  bezeichnet  werden.  Wiewohl 
bei  vielen  Patienten  Störungen  in  der  Funktion  des  Darmes  (Ob¬ 
stipation  und  Diarrhöen  abwechselnd,  selten  Schleim-  und  Blut¬ 
abgang)  bestanden,  ist  das  legitime  Bild  eines  sich  chronisch 
entwickelnden  Darmhindernisses  mit  Hypertrophie  und  Dilatation 
der  zuführenden  Schlinge,  wie  dies  ansonsten  bei  Tumoren  der 
Darmwand  der  Fall  ist,  eine  Seltenheit.  Diese  Tumoren  machen 
in  der  Hegel  nur  unbedeutende  Hindernisse  für  die  Peristaltik; 
die  Ursache  hiefür  mag  teils  in  der  Elastizität  und  Verschieblich¬ 
keit  der  Geschwulst  innerhalb  des  iDarmrohres  liegen,  vor  allem 
aber  bewahrt  die  Darmwand  ihre  Kontraktibilität  und  Elastizität. 
.Vhgesehen  A'on  der  Palpation  des  Tumors,  die  jedoch  nur 
fünfmal  gelang,  sind  von  größerer,  wenn  auch  nicht  ausschlag- 
gehender  Bedeutung,  die  Schmerzen,  deren  genaue  Lokali¬ 
sation  von  Wichtigkeit  ist.  Leichtere  Schmerzen  und  unbehag¬ 
lichere  Empfindungen  rühren  zweifellos  von  zufälligen  Lagever¬ 
änderungen  des  Tumors  her.  Heftigere,  plötzlich  auft.retende 
Schmerzanfälle  werden  meist  auf  Darminvagination  zurück¬ 
zuführen  sein,  deren  klinischer  Verlauf  sich  jedoch  meist  chro¬ 
nisch  und  m il de  gestaltet,  und  deren  spontane  Behebung  als 
siche)'  möglich  zugegeben  wird.  Sie  ist  sicher  erwiesen  für  Lipome 
der  Flexur  und  des  Bektums,  wobei  nach  spontanem  Abgang  die 
vorausgegangene  Invagination  sich  von  seihst  behob.  In  dem 
bunten  Krankheitsbilde  der  Intestinalli])ome  glaubt  Verf.  )uich 
den  auffallendsten  Symptomen  der  heschriehenen  Fälle  drei 
Grupj)en  feststellen  zu  können:  erstens  jene,  wo  die  Invagi¬ 
nation  das  Beherrschende  im  Krankheitsbild  ist,  daun  jene, 
bei  welchen  die  Diagnose  des  ,,palpahlen“  Darmtumors  den 
opo'ativen  Eingidff  indiziert  und  <lie  di'itte  Gruppe  ist  durch 
die  Fälle  mit  spontanem  Abgang  des  Tumoi's  gekennzeichnet. 
—  Die  Differentialdiagnose,  ob  benigner  oder  nialigner  'ITanor 
erscheint  —  sobald  die  laiparolomie  (sei  es  durch  die  Diagnose 
auf  Tumor  oder  Ileus  oder  Invagination)  indiziert  war  —  A'or 
allem  für  den  Eingriff  am  Darm  von  Wichtigkeit,  da  ein  recht¬ 
zeitig  gcunachler  exi)loi'aliver  Schnitt  in  den  Darm,  eine  Resektion 


mit  allen  ihren  Gefahren  für  den  Patienten,  ersparen  kann.  — 

(Deutsche  Zeitschr.  für  (Bir.  1906,  Bd.  84,  H.  4  bis  6.)  F.  11. 

* 

50.  U(*bcr  Heilung  der  Melaena  neonatorum  mit¬ 
tels  Magen-  und  D  a  r  m  a  u  s  w  a  s  c  h  u  n  g  e  n.  Von  S  h  u  k  o  w  s  k  y 
in  Petersburg.  (Vorläufige  Mitteilung.)  Verf.  wendete  in  zwei 
Fällen  von  Melaena  neonatorum,  in  denen  alle  übrigen  hämo- 
slatischen  IMaßnahmen  (auch  Gelatine)  sich  wirkungslos  erwiese)) 
hatte)),  Magenausspülung  inid  hohe  Irrigationen  )nit  sterilisierter, 
physiologischer  Kochsalzlösung  an.  Der  Effekt  war  sehr  frappant. 
Gleich  nach  der  Auswaschung  fiele))  die  Kinder  in  einen  12-  bis 
14stündigen  Schlaf,  währenddessen  weder  Erbrechen,  )ioch  Blut¬ 
ausfluß  aus  dem  Darme  bestand.  Auch  die  Temperatur  sank. 
Nach  dem  Erwachen  wurde  die  Prozedur  wiederholt.  Weder 
das  Erbreche)),  noch  der  Blutausfluß  kehrten  wieder.  Die  Kinder 
t)'anken  gierig  die  dargereichte  Brust.  —  (Praktitschesky  Wratsch 

1906,  Nr.  38.)  J.  Sch. 

* 

51.  Ueber  die  e xa )) t he )))a tische  Foru)  der  Trypa- 
n  o  s  0 )))  e  n  k  r  a  n  k  h  e  i  t  bei  Europäern.  Vo))  N ;)  1 1  a  n  -  L  a  r  i  e  r. 
Das  Auftreten  eines  Erythe)na  circinatum  hei  der  Trypanoso)))en- 
krankheit  des  JMmrschen  ist  höchst  selten,  trotzden)  ko))U))t  de)n- 
selbe))  eine  hohe  pathognomonische  Bede)itung  zu  u))d  es  ver¬ 
leiht  de)))  Krankbeitsbilde  ein  eige))artiges  Gepräge.  Die  vo))) 
Verfasser  )))itgeteilte  Beobachtung  betrifft,  einen  26jährige'n  Mann, 
welcher  ei))ige  Jahre  sich  a)n  oberen  Kongo  aufgehalte))  hatte, 
wo  Fälle  von  Schlafkrankheit  bei  Eingebormien  vorka)nen.  Das 
Krankheitshild  setzte  sich  aus  den  Erschei))ungen  schwerer  Anä- 
)))ie,  gelegentliche))  Fieberanfällen  oh)ie  Schüttelfrost  und  Schwei߬ 
ausbruch,  welche  sich  gegmi  Chini))  refraktär  verhielte))  u))d  don 
charakteristischen  Exanthe)))  zusa))))))en.  Das  Exa))then)  war  a)) 
de))  Schultern,  Hypochondrie)),  unterhalb  der  Achselhöhle  u))d 
i))  der  Le))de))gegend  sehr  deutlich,  we))iger  a))  der  Hrterskapular- 
gegend  u))d  a))  de))  Ar)ne)i  ausgesprochen.  Die  Er))ptio))e))  waren 
ringför)nig,  über  das  Haut))ivea))  leicht  erhaho)  ))nd  vo))  AÜoletter 
Färbu))g,  die  4  bis  12  ))))))  breite))  Ringe  u)))gabe))  Hautstellen 
VO))  2  bis  12  CU)  Durch)))esser.  I)))  Ze))tru)))  der  Eruptio))  zeigte 
die  Haut  )))eist  ))or)nales  Verhalte)),  stelle))weise  ekchyn)otisches 
Aussehe)).  A))  einige))  Stellen  war  Ko))flue))z  der  ringförmigen 
Eruptione))  ))achweisbar.  I)))  Auge))blick  der  Eruption  besta))d 
das  Exanthe)))  aus  rosa  gefärbten,  über  das  Niveau  erhabene)), 
))icht  jucke))de))  Flecken,  erst  i)))  weitere))  Verlauf  bildete  sich 
die  Ringfor)))  heraus.  Die  E))twicklu))g  der  ei))zel))e))  Plaques 
vollzog  sich  i))))erhalb  ei))es  Zeitraumes  von  ei))  bis  zwei  AVochen, 
a))  einzehren  Stellen  blieben  ringför)))ige  Pig)nentieru))ge))  zurück, 
die  i)))  weiteren  Verlaufe  verschwa))de)).  Wen))  auch  das  geschil¬ 
derte  Exa))the)n  selten  ist,  so  )))uß  doch  zur  Feststellung  der 
Diagnose  der  Trypa))oso)))iasis,  in  jede)))  Fall  danach  gesucht 
werde)),  eve))tuell  ))ach  zurückgebliehe))e))  ri))gför)))ige))  Pig)))e))- 
tierungen.  Bonerkenswert  ist  die  Tatsache  des  positiven  Befu))des 
VO))  Trypa))oso)ne)i  i))  den  Hauteruptio))en,  hei  negativem  Blut- 
hefu))d.  —  (Bull,  et  Me))),  de  la  Soc.  )))ed.  des  Hop.  de  Paris 

1906,  Nr.  29.)  a.  e. 

♦ 

52.  Aus  der  chirurgische))  Abteilung  des  ))eue))  Kranke))- 
hauses  zu  Kalk-Köhi.  Ile  her  die  Dosieru))g  u))d  D  ar- 
reich  u))gsf  or)))  der  a))algesiere))de))  Mittel  bei  der 
L)))))hal  anäs  the  sie.  Von  Dr.  C.  Hof)))a)))),  leitender  Arzt. 
Verf.  hat  gefu))den,  daß  )))a))  bei  dün))ere))  Lösunge))  der  übliche)) 
Anästhetika  n)it  unverhält))is)))äßig  klei))erer  Dosis  ei))e'  n)i))deste))s 
ehe))so  g)ite,  we))))  nicht  bessere  A))ä,sthesie  erzielt,  wie  früher 
mit  de))  größe)'en  Dosen.  Mit  dieser  Herabsetzung  der  Dosis 
geht  selbstredend  eine  Ver)ninderung  der  Intoxikationsgefahr  ein¬ 
her.  Verf.  ist  bei  seine))  Versuchen  von  der  5E'oige))  Novokain¬ 
lösung  nach  und  nach  zur  lo/oigen  Lösung  ühergegangen.  Mit 
der  Herabsetzung  der  KmizenBatio))  )nußte  natürlich  das  Qua))tum 
der  elnzuspritzende))  Flüssigkeits)ne))ge  steige)).  Des  Verfassers 
Erfahru))ge))  )))it  der  lo/oigen  Novokai))lösu))g  stützen  sich  anf 
über  120  Fälle.  Dabei  ware))  die  unange))eh)))e))  Nachwirkungo) 
—  Kopfsch)))erzen,  Erln-echen  etc.  —  wesentlich  geringer  als 
bei  Anwendung  von  konzentrierte))  Lösu))ge)).  Die  Novokai))- 
lös)ing  hat  sich  Verf.  )neist  seihst  zubereitet.  Die  Herstellung 
ist  folgende:  Man  wiegt  sich  0-2  Novokain  (Pulver)  ah,  löst 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


143 


dieses  Quanlani  in  ciiieni  slerilen  Külbchen  niii  21  cm®  destillierleu 
Wassers,  welches  vorher  gekocht  ist.  Dann  kocht  man  die  Losung 
nochmals  bis  auf  20  cm®  ein  und  läßt  nun  die  Flüssigkeit  in 
dem  mit  sterilem  Wattepfropf  verschlossenen  Kölbchen  erkalten. 
Nach  dem  Ei'kalten  setzt  man  20  Tropfen  einer  Suprareninlösung 
(1:1000)  mittels  eines  gekochten  Angenlropfgläschens  zu.  Man 
hat  jetzt  eine  gebrauchsfertige  IToige  Novokainlösung,  die  auf 
jeden  Kubikzentimeter  001  Novokain  -|-  1  Tropfen  Suprarenin¬ 
lösung  000005  Suprarenin)  enthält.  Wegen  der  größeren 
Flüssigkeitsmenge,  die  eingespritzt  wird,  verwendet  Verf.  eine 
Kekordspritze,  die  10  cm®  faßt.  Die  Injektion  macht  er  im  Sitzen 
zwischen  dem  ersten  und  zweiten,  oder  zweiten  und  dritten, 
manchmal  auch  dritten  bis  vierten  Lendenwirl)el  in  der  Mittel¬ 
linie.  Als  kleinen  Kunstgriff  empfiehlt  Verf.  zuerst  das  Durch¬ 
stechen  der  Haut  und  des  Ligament,  interspinal,  mit  einem  feinen, 
ganz  spitzen  Skalpell,  wodurch  das  Einführen  der  Nadel  spielend 
ermöglicht  wird.  Der  Mandrin  wird  vor  dem  Einführen  der 
Hohlnadel  entfernt.  Wenn  Liquor  cerebrospinalis  sofort  aus  der 
Hohlnadel  hervorstürzt,  schließt  der  Daumen  der  linken  Hand 
die  Oeffnung.  Nun  injiziert  Verf.  möglichst  langsam,  ohne  noch 
Liquor  cerebrospinalis  abfließen  zu  lassen,  je  nach  Alter,  Kräfte¬ 
zustand  und  auszuführender  Operation  5  bis  höchstens  7  cm® 
der  lo/oigen  Novokainlösung.  Jungen  Individuen,  Frauen  und  vor 
allem  älteren  Leuten  gibt  er  die  kleinere  Dosis,  ßeckenhoch- 
lagerung  macht  er  nie;  im  Gegenteil,  er  eleviert  den  Oberkörper 
und  vor  allem  den  Kopf  etwas.  Die  anästhetische  Zone  reicht 
bei  der  niedersten  Dosis  bis  in  die  Nabelhöhle;  bei  etwas  höherer 
Dosis  erstreckt  sie  sich  meist  bis  zum  Rippenbogen.  Die  E,in- 
wirkung  der  dünnen  Novokainlösung  auf  die  motorischen  Nerven¬ 
wurzeln  geht  nicht  bis  zur  Aufhebung  jeglicher  Beweglichkeit 
der  unteren  Extremitäten.  Es  ist  dies  ein  Vorzug,  da  bei  hoch- 
steigender  Anästhesie  kaum  eine  ungünstige  Einwirkung  auf  die 
Medulla  oblongata  zu  befürchten  ist;  es  findet  durch  die  dünne 
Lösung  vorwiegend  nur  eine  Beeinflussung  der  sensiblen  Nerven¬ 
wurzeln  statt.  Was  die  Frage  der  Verwendbarkeit  der  Lumbal¬ 
anästhesie  überhaupt  und  besonders  bei  Abdominaloperationen 
anlangt,  so  sind  nach  des  Verfassers  Erfahrungen  typische  Opera¬ 
tionen  wohl  für  diese  Art  der  Schmerzaufhebung  geeignet.  Wo 
kompliziertere  Verhältnisse  zu  erwarten  sind,  muß  man  im  Inter¬ 
esse  der  Paiienten  stets  zur  Allgenieinnarkose  raten,  um  so  mehr, 
da  fast  alle  Patienten  von  vornherein  die  Inhalationsnarkose 
vorziehen.  Aber  auch  vom  objektiv  ärztlichen  Standpunkte  aus 
möchte  Verf.  der  Allgemeinnarkose  den  Vorzug  geben,  da  die 
heutige  Narkosen technik  bei  einiger  Sorgfalt  eine  wirklich  gefahr¬ 
lose  Narkose,  wenigstens  mit  Aether  und  geeigneten  Unter¬ 
stützungsmitteln,  ermöglicht.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift 
1906,  Nr.  52.) 

* 

53.  (Aus  dem  hirnanatomischen  Laboratorium  des  haupt¬ 
städtischen  Elisabeth-Siechenhauses.)  Beiträge  zur  Noso¬ 
graphie  und  Histopathologie  der  amaurotisch -para¬ 
lytischen  Idiotieformen.  Von  Prof.  Karl  Schaffer  in 
Budapest.  Aus  der  Mannigfaltigkeit  der  iverschiedenen  Arten  der 
Idiotie  haben  seinerzeit  War ren-Tay  und  Sachs  einen  scharf 
umschriebenen  Typus  hervorgehoben.  Die  familiäre  amaurotische 
Idiotie,  charakterisiert  durch  Schwäche  der  Extremitäten,  bisi  zur 
völligen  Lähmung,  Abnahme  der  Sehkraft  bis  zur  Blindheit,  psy¬ 
chischen  Defekt,  der  mit  der  Zeit  zur  vollständigen  Verblödung 
führt,  Rückschritt  der  körperlichen  Entwicklung,  fortschreitenden 
Charakter  der  Erkrankung,  Familiarität  derselben.  Vogt  hat  später 
die  familiär -amaurotischen  Idiotien  in  zwei  Grappen  getrennt, 
Fälle  von  infantilem  Charakter  (den  typischen  Sachs  sehen  Fällen 
entsprechend)  und  Fälle  von  juvenilem  Charakter,  sich  beziehend 
auf  die  familiär- amaurotischen  Idiotien  des^  Jünglingsalters. 
Zwischen  beiden  Gruppen  existieren  Uehergänge  und  beide  stellen 
eigentlich  einen  gemeinsamen  Typus  dar.  Anatomisch  differieren 
die  verschiedenen  Fälle  der  amaurotisch-paralytischen  Idiotie  un- 
gemein.  Schaffer  wies  jedoch  in  zwei  früheren  Arbeiten  ]iach, 
daß  dieser  Idiotieform  eine  scharf  charakterisierte  Erkrankungs¬ 
form  der  Nervenzellen,  namentlich  jener  der  Hirnrinde  entspricht: 
Zunahme  der  Interfibrillärsubstanz,  und  Schwellung  des  Zell¬ 
körpers,  resp.  der  Dendriten.  Insoferne  bietet  der  vorliegend  ge¬ 
schilderte  Fall  Schaffers  eine  jaedeutende  Abweichung  von  dem 


(‘ben  besprochenen,  in  früliercn  Fällen  konstatieiäen  anatomischen 
Befund.  Hier  handelte  cs  sich  um  eine  amaurotisch-spastische 
Idiotie  mit  epileptischen  Krampfanfällen.  Der  Fall  endete  bei 
fortschreitendem  Marasmus  letal  durch  eine  Pneumonie.  B^mili- 
arität  fehlte.  Aeußerlich  Imt  das  Gehirn  keine  bemerkenswerten 
iVnonialien.  Aber  in  der  inneren  Struktur  ließ  es  zwei  bemerkens¬ 
werte  Abnormitäten  erkennen:  Das  Fehlen  des  temporo-okzipitalen 
Sagittalmarkes  in  seiner  Hauptmasise,  so  daß  weder  Flechsigs 
primäre,  noch  sekundäre  Sehstrahlung  sichtbar  war,  ferner  einen 
nicht  unbedeutenden  Mangel  an  den  zentralen  Markmassen,  haupt¬ 
sächlich  im  frontalen  und  temporo-parietalen  Lappen.  Dadurcli 
entstanden  guirlandenartige  Windungen,  weiche  allein  durch  Fibrae 
propriae  sich  verbanden.  Dieser  anatomische  Befund  erklärt  die 
klinischen  Erscheinungen.  Die  Amaurose  ist  durch  die  fehlende 
Sehstrahlung  aufgeklärt,  die  Idiotie  durch  den  mangelhaften  Asso¬ 
ziationsapparat.  Die  Kontrakturen  lassen  sich  als  patho-physio- 
logisches  Produkt  der  mangelnden  zerebralen  Innervation,  durch 
das  defekte  Großhirn  bedingt,  auffassen,  die  mangelnde  zerebrale 
Tätigkeit  gab  sich  in  liochgradigen  txophischen  Störungen  des 
Muskel-  und  Knochengewebes  kund.  Für  die  epileptiformen  Er¬ 
scheinungen  ließ  sich  keine  anatomische  Erklärung  finden. 
Schaffer  erklärt  den  Befund  der  symmetrisch  -  defekten  zentralen 
Marksubstanz  und  der  fehlenden  SehsHahlung  durch  Entwicklungs¬ 
hemmungen  bedingt  und  hält  den  Fall  für  eine  hoch  differenzierte 
Mißbildung.  Wtährend  die  Sachs  sehen  Fälle  nur  zyto-patho- 
logisch  charakterisiert  sind,  ist  der  vorliegende  Fall  nur  tera- 
tologisch  begründet.  Er  beweist,  daßi  es  neben  der  zyto-patho- 
logisch  charakterisierten  Form  der  familiär-amaurotischen  Idiotie 
noch  eine  teratologisch  begründete  Form  derselben  gibt.  Beide 
Formen  sind  zwei  Glieder  einer  einzigen  großen  klinischen  Fa¬ 
milie  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42, 

H.  1.)  S. 

* 

54.  Aus  der  Heidelberger  chirurg.  Klinik  (Direktor:  Geh. 
Rat  Prof.  Dr.  Czerny,  Exz.).  Zystographie  und  Pyelo¬ 
graphie.  Von  Dr.  Fritz  Völker  und  Dr.  Alexander  v.  Lichten¬ 
berg.  Verf.  versuchten  die  Anatomie  und  Topographie  der  Blase, 
Ureter  und  Niere  durch  Röntgenaufnahme  nach'  Injektion  von 
Kollargollösungen,  zu  studieren.  Die  Aufnahmen  wurden  mit 
Müller sscheii  Röhren  mit  Hilfe  der  Albers-Schönberg- 
schen  Kompressioiisblende  gemacht.  Die  Verfasser  verwendeten, 
nachdem  sie  sich  durch  Füllung  der  eigenen  Blasen  und  Nieren- 
becken  überzeugt  hatten,  daß  Kollargollösungen  nicht  reizend 
auf  die  .Schleimhaut  wirken  und  auch  keine  Schmerzempfindung 
hervmrrufen,  2%  Kollargollösungen  (Argentum  colloidale 
Frede)  zur  Blasenfüllung,  eine  Konzentration,  die  selbst  bei  dicken 
Individuen  bei  richtiger  Expositionszeit  eine,  für  klare  Schatten- 
bilder  hinreichende  Schattenbildung  erzeuge;  es  wurden  aber 
auch  bei  5o/oigen  Lösungen  keine  unangenehmen  Erscheinungen 
beobachtet.  Im  ganzen  verfügen  die  Verfasser  über  105  Zysto- 
graphien  bei  82  Individuen  (55  Männer,  27  Weiber).  Die  Röntgeno¬ 
gramme  bestätigten,  daß  die  erschlaffte  Blase  die  Form  einer 
flachen,  nach  oben  konkaven  Schüssel  habe;  die  kontrahierte 
Blase  nimmt,  wie  dies  beim  Neugeborenen  infolge  häufigeren 
Urindranges  der  Fall  ist,  eine  Spindelform  an.  Betreffs  des 
viel  umstrittenen  Blasenverschlusses  ergibt  die  von  den  Ver¬ 
fassern  geübte  Zystographie,  daß  die  Theorie  der  Trichterbil¬ 
dung  am  Blasenhalse  (auf  die  sich  auch  die  Therapie  einer 
Urethritis  antei’ior  und  posterior  stützt),  nicht  zu  Recht  be¬ 
stehen  könne.  Nach  den  Röntgenogrammen  verläuft  der  Kontur 
der  Harnblasenprojektion  in  der  Gegend  des  Orificium  urethrae 
internum  stetig,  ohne  jede  Unterbrechung,  so  daßi  von  einer 
Einbeziehung  der  Pars  prostatica  uretlrrae  izu  dem  Blasenkavum 
keine  Rede  sein  kann.  Von  Interesse  sind  auch  die  Studien 
über  Gestalt  und  Lage  der  Blase  bei  Schwangerschaft  und  den 
vielfachen  Lageveränderungen  der  weiblichen  inneren  Genitalien, 
sowie  die  am  Röntgenbilde  wahrnehmbaren  Formveränderungen 
bei  großen  Hernien,  bei  welchen  eine  mehr  minder  deutliche 
Verziehung  der  Blase  nach  der  Seite  des  Bruches  beobachtet 
wird.  Bei  kleineren  Hernien  konnten  keine  Asymmetrien  der  Blase 
wahrgenommen  werden.  Von  Vorteil  dürfte  die  Zystographie  bei 
B 1  a s e n h e r n i e n  sein,  ln  fünf  Fällen  konnten  die  Verfasser 
mit  ihrer  Methode  Blasendivertikel  zur  Darstellung  bringen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


j  4^ 


und  in  19  Fällen  von  Prostaialiyi)ertrui)liie  konnten  alle  Uebergänge 
der  normalen  Form  bis  zur  tyinscli-i)rostatischen  Blasenform  dar¬ 
gestellt.  werden.  Auch  das  Verhalten  der  Blase  bei  Tumoren 
und  Eiterungen  in  der  Nachbarschaft,  am  Becken  konnte  studiert 
werden.  Zur  Darstell ung  eines  Schattens  vom  Nierenbecken 
verwendeten  die  V^erfasser  gleichfalls  2®/oige  Kollargollösung ;  bei 
beleibten  Individuen  eine  5®/oige  Lösung,  die  durch  den  Ureter¬ 
katheter  injiziert  und  nach  Vollendung  der  Aufnahme  mit  der 
Spritze  sorgfältig  wieder  aspiriert  wurde.  Es  wurden  meist  Mengen 
von  3  his  5  cnU,  einige  Male  bei  vorhandener  Dilatation  10  bis 
15  cnU  verwendet.  Die  meisten  Patienten  empfinden  durch  die 
Anfüllung  des  Nierenbeckens  einen  variablen  Schmerz  vom  Cha¬ 
rakter  einer  Nierenkolik,  dessen  Intensität  gewöhnlich  nach  einigen 
^Minuten  nachläßt  und  mit  Ablassen  der  Flüssigkeit  ganz  ver¬ 
schwindet.  Manchmal  wirkte  eine  subkutane  Injektion  von  UOl 
Morphin  sehr  beruhigend  und  für  die  Röntgenaufnahme  vorteil¬ 
haft  ein.  Die  Verfasser  haben  dieses  Verfahren  (zur  Pyelographie} 
an  sich  selbst  und  an  17  Patienten  zur  Anwendung  gebracht, 
ohne  irgendwelche  üble  Folgeerscheinungen  gesehen  zu  haben. 
Man  konnte  wiederholt  nach  den  Röntgenogrammen  Dilatationen 
des  Nierenbeckens,  sowie  Abknickungen  deis  Ureters  bei  seinem 
Abgänge  infolge  ,, Wanderniere“  konstatieren;  in  sieben  Fällen 
wurde  auf  Grund  der  röntgenographischen  Beobachtung  die 
Nephropexie  ausgeführt.  Der  Arbeit  —  die  auch  großes  anato¬ 
misches  Interesse  hat  —  sind  eine  große  Reihe,  die  einzelnen 
Studien  betreffenden  Photogramme  beigefügt.  —  (Beiträge  zur 
klin.  Chirurgie  1906,  Bd.  52,  H.  1.)  F.  H. 

* 

55.  Lieber  die  diagnostiscbe  Hirnpunktion.  Voji 
Dr.  M.  Ascoli,  Privatdozenten  und  ersten  Assistenten  am  Insti¬ 
tute  für  spezielle  Pathologie  in  Pavia  (Prof.  L.  Devoto).  Unter 
Hinweis  auf  die  vorausgegangenen  Arbeiten  von  A.  und 
Th.  Kocher,  E.  Neisser  und  Pollak  u.  a.  berichtet  Verf.  über 
die  Resultate  von  zwölf  an  sechs  Kranken  vorgenommenen  Hirn¬ 
punktionen.  Er  verwandte  eine  gewöhnliche  zahnärztliche  Bohr¬ 
maschine,  an  welche  feine  Bohrer  angepaßt  wurden.  Eine  elek¬ 
trische  Bohrmaschine  ist  eine  kostspielige  Einrichtung,  während 
eine  zahnärztliche  Bohrmaschine  mit  Fußmotor  den  praktischen 
Aerzten  leicht  zur  Verfügung  stehen  kann.  Das  Handstück  möge 
federartig  erfaßt  werden,  um  Verletzungen  der  Dura  oder  sogar 
des  Gehirnes  zu  vermeiden,  auch  ist  es  ratsam,  den  Ellbogen 
des  den  Bohrer  führenden  Armes  auf  eine  feste  Stütze  zu  lehnen, 
oder  den  Kleinfingerballen  auf  den  Kopf  des  Patienten  zu  stützen. 
Die  Richtung  des  Bohrers  zum  durchzubohreJiden  Knochen  muß 
eine  senkrechte  sein,  der  Bohrer  werde  mit  leichtem  Drucke  auf¬ 
gesetzt  und  sofort  außer  Funktion  gesetzt,  wenn  der  Widerstand 
plötzlich  aufhört.  Dann  wird  vorerst  das  Handstück  der  Bohr¬ 
maschine  entfernt,  die  Bohrer  selbst  noch  in  situ  gelassen,  so¬ 
dann  vorsichtig,  damit  keine  Verschiebung  der  Weichteile  statt¬ 
findet,  der  Bohrer  mit  der  Explorativnadel  vertauscht.  Die  Haut 
muß  dabei  gut  fixiert  werden,  sonst  trifft  man  nicht  den  Bohr¬ 
kanal.  Dieses  Moment  erfordert  Geschick,  Vorsicht,  eventuell  auch 
Geduld.  Bei  der  Wahl  der  Bohrstelle  wird  man  selbstverständlich 
allen  jenen  Punkten  ausweichen,  an  welchen  die  Verletzung  einer 
Arterie,  oder  eines  venösen  Sinus  droht.  Neisser  und  Pollak 
haben  solche  Punkte  genau  verzeichnet.  Man  möge  nicht  zu 
tief  punktieren,  da  ja  tiefsitzende  Herde  ohnehin  nicht  radikal 
operiert  werden  können.  Im  folgenden  werden  sechs  Fälle  be¬ 
schrieben,  in  welchen  die  Hirnpunktion  ausgeführt  wurde,  ln 
einem  Falle  wurde  auf  Grund  der  mikroskopischen  Untersuchung 
der  aspirierten  Geschwulstpartikel  und  der  chemischen  Eigen¬ 
schaften  der  gewonnenen  Flüssigkeit  die  Diagnose  auf  ,, zystischen 
Tumor  der  rechten  Kleinhiridiemisphäre,  wahrscheinlich  glioma- 
töser  Natur“  gestellt  und  die  Sektion  bestätigte  diese  Diagnose. 
In  einem  anderen  Falle  wurde  ein  tuberkulöser  Tumor  (eitrige 
Ansammlung  der  linken  Kleinhirnheniisphäre,  wahrscheinlich 
tuberkulöser  Natur)  diagnostiziert,  die  Hirnpunktion  ergab  einige 
Tropfen  sterilen  Eiters,  Tuberkelbazillen  nicht  nachweisbar. 
Sektion:  über  haselnußgroßer  Kleinhirntuberkelherd.  Diese  zwei 
Fälle,  sowie  eine  Beobachtung  von  Neisser- Pollak  zeigen, 
daßi  man  auf  diesem  Wege  auch  solide  Tumoren  feststellen  könne, 
ln  einem  Falle  ließ  die  Symptomatologie  einen  chronischen,  walir- 
.scheiidich  sekundären  (Hirntumor?)  Hydrozephalus  vermuten; 


einige  Andeutungen  wiesen  auf  die  linke  Kloinhirnhemisphäre 
hin.  Die  Hirnpunktion  fiel  aber  negativ  aus,  die  Sektion  ergab 
eine  Geschwulst  der  Hirnbasis,  während  sich  das  Kleinhirn  als 
unversehrt  erwies.  Im  vierten  Falle  mußte  die  Diagnose  nach 
(len  Krankheitssymptomen  unbedingt  auf  linksseitigen  Kleinhirn¬ 
tumor  gestellt  werden.  Die  Probepunktion  des  Kleinhirns  fiel 
aber  beständig  negativ  aus.  Die  Diagnose  Kleinhirntunior  wurde 
daher  fallen  gelassen  und  der  unzweideutig  zerebellare  Syni- 
ptomenkomplex  auf  an  anderer  Stelle  lokalisierte  Erkrankung 
zurückgeführt.  Der  Kranke  ist  zurzeit  stationär.  In  einem  Falle 
konnte  eine  Blutung  der  Arteria  meningea  media  ausgeschlossen 
werden  und  bei  der  Sektion  wurde  die  Diagnose  bestätigt  und 
nur  die  ebenfalls  diagnostizierte  Fraktur  der  Schädelbasis  ge¬ 
funden.  Ohne  auf  weitere  Details  einzugehen,  konstatieren  wir 
mit  dem  Verfasser,  daß  unangenehme  Zwischenfälle  oder  Folgen 
der  Punktion  bisher  nicht  beobachtet  wurden.  Gleichwohl  ist 
die  Hirnpunktion  mit  Vorsicht  und  Bedachtsamkeit  vorzunehnien, 
der  Kranke  gewissenhaft  zu  beobachten  und  die  Symptomatologie 
sorgsam  zu  analysieren,  wobei  die  Punktion  nur  den  Schlußstein 
des  diagnostischen  Gebäudes  bilden  soll.  Die  Hirnpunktion  hat 
vor  der  eigentlichen  Trepanation  die  geringere  Scliwere  des  Ein¬ 
griffs  'vorißis  und  gestattet  eine  vollständigere  Exploration  in 
bezug  auf  Oberfläche  und  Tiefe. —  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift  1906,  Nr.  51.)  E.  F. 

* 

56.  (Aus  dem  Londoner  Nordwest-Hospital.)  Die  Behand¬ 
lung  der  chronischen  Obstipation.  Von  W.  Knowsley 
Sibley.  Verf.  unterscheidet  zwei  Arten  der  Behandlung,  eine 
äußere  und  innere.  Zur  ersteren  zählt  er  regelmäßige  körper¬ 
liche  Uebungen,  Sport  und  Massage,  sowohl  manuelle,  als  auch 
Vibrationsmassage.  Große  Bedeutung  wird  der  Anwendung  des 
konstanten  elektrischen  Stromes  —  mehrmals  täglich  durch  einige 
Minuten  —  beigelegt.  Hiebei  sei  es  wichtig,  die  eine  Elektrode 
ins  Rektum  zu  applizieren.  Bei  der  innei’en  Behandlung  kommen 
Diät,  abführende  Arzneimittel  und  Klysmen  in  Betracht.  Neben 
mehreren,  allgemein  bekannten  Tatsachen  findet  sich  auch  die 
Angabe,  daß  hartes  Wasser  infolge  seines  Kalkgehaltes  die  Peri¬ 
staltik  zu  hemmen  imstande  ist.  Ferner  ist  Verf.  der  Ansicht, 
daß  Salat  die  Lebersekretion  fördert,  ohne  jedoch  hiefür  Belege 
zu  erbringen.  Es  muß  hervorgehoben  werden,  daß  Verf.  die 
günstige  AVirkung  der  gebräuchlichen  Abführmittel  wohl  entspre¬ 
chend  einschätzt,  jedoch  die  dezidierte  Ansicht  ausspricht,  die¬ 
selben  nur  als  Unterstützungsmittel  zu  benützen  und  längeren 
Gebrauch  derselben  zu  vermeiden  —  eine  keineswegs  selbstver¬ 
ständliche  Forderung,  da  nach  dieser  Richtung  bekanntlich  noch 
immer  von  Aerzten  und  Patienten  viel  gesündigt  wird.  —  (British 

medical  Journal,  1.  Dezember  1906.)  J.  Sch. 

* 

57.  PI  e  her  die  U  r  s  a c  h  e  n  des  u  n  s  t  i  1 1  b  a  r  e  n  E  r- 
brechens  der  Säuglinge;  gesteigerte  Irritabilität  des 
Magens  und  spastische  Gastritis.  Von  G.  Variot.  ln 
jenen  Fällen,  wo  das  Erbrechen  eines  an  der  Brust  der  Mutter 
genährten  Säuglings  aufhört,  wenn  man  die  Muttermilch  durch 
eine  andere  ersetzt,  ist  man  zur  Annahme  einer  spastischen 
Gastritis  als  Ursache  des  Erbrechens  berechtigt.  Die  Wirkung  des 
zitronensauren  Natriums  gegen  das  Erbrechen,  gestattet  die  Unter¬ 
scheidung  zwischen  gesteigerter  Irritabilität  der  xMagenschleim- 
haut  und  spastischer  Ga:stritis,  da,  das  Mittel  nur  bei  Fällen  ersterm' 
Kategorie  seine  antienietische  AVirkung  entfaltet,  während  bei  der 
spastischen  Gastritis  nur  ein  AAAchsel  der  Milch  sich  als  wirksam 
erweist.  Das  klinische  Bild  und  die  Schwere  des  Erbrechens 
sind  bei  beiden  Formen  verschieden.  Die  gesteigerte  Irritabilität 
des  Magens  des  Säuglings  ist  nur  eine  quantitative  Steigerung 
der  normalen  Kontraktion  der  Magenmuskulatur  nach  der 
Nahrungsaufnahme  und  wird  durch  A^erabreichung  von  zitronen¬ 
saurem  Natrium  —  z.  B.  15  g  einer  Lösung  5 : 300  —  prompt 
beseitigt.  Radioskopische  Untersuchungen  des  Säuglingsmagcns 
lassen  die  Hypothese  eines  lokalisierten  Pyloruskrampfes  als  Ur¬ 
sache  des  Erbrechens,  wenn  man  von  den  Fällen  angeborener 
kongenitaler  Pylorushypertrophie  absieht,  als  unbegründet  <'r- 
scheinen.  Die  Kontraktion  erstreckt  sich,  wie  direkt  nachgewiesen 
werden  kann,  auf  den  ganzen  Alagen  und  nicht  auf  den  Pylorus 
allein.  Bei  der  außerordentlichen  Seltenheit  der  kongeiiitahm 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


145 


l’ylürassteiiose  ist,  es  ungerechtfertigt,  eine  Pyloroplastik  bei  urv- 
stillbarem  Erbrechen  der  S,äuglinge  vorzuscblagen,  bevor  man 
einen  Versuch  mit  Wechsel  der  Milcli,  bzw.  mit  zitronensaiirem 
Natrium  gemacht  hat.  Aus  den  Beobachtungen  des’  Verfassers 
geht  hervor,  daß  das  unstillbare  Erbrechen  bei  Brustkindern  durch 
Wechsel  der  Amme,  ferner  durch  gemischte  Ernährung,  schließlich 
durch  ausschließliche  Ernährung  mit  sterilisierter  Milch  beseitigt 
werden  kann,  ln  allen  Fällen  hat  sich  auch  die  Anwendung 
des  vollkommen  unschädlichen  zitronensauren  Natriums  be¬ 
währt.  —  (Bull,  et  Mein,  de  la  soc.  med.  des  Hop.  de  Paris  1906, 

Nr.  28.)  a.  e. 

* 

58.  Selbstmordversuch  während  der  (Tohurt. 
Von  Dr.  W.  Sigwart,  Assistenzarzt  an  der  Universitätsfrauen¬ 
klinik  der  königlichen  Charite  zu  Berlin  (Direktor:  Geheiinrat 
E.  Burnm).  Es  handelte  ,sich  in  dem,  vorliegenden  Falle  um  eine 
89jährige  Gebärende.  (Die  Frau  hatte  fünf  spontane  Geburten 
und  vier  Aborte  durchgemacht.)  Pai,  welche  nach  zweitägigen 
Wehen  wegen  Gesichtslage  des  Kindes  auf  die  Klinik  gebracht 
wurde,  machte,  ohne  irgendeine  Sinnesverwirrung  zu  zeigen,  plötz¬ 
lich  in  einem  unbewachten  Moment  einen  Strangulationsversuch 
und  wurde  bewußtlos  ahgeschnitten.  Nach  einigen  Minuten  künst¬ 
licher  Atmung  spontanes  Atmen.  Wendung  in  tiefer  Narkose. 
IVährend  der  zu  einer  vorübergehenden  Sinnesverwirrung  füh¬ 
rende  schwere  Erregungszustand  der  Frau,  welcher  den  Selbst¬ 
mordversuch  veranlaßte,  wohl  auf  den  intensiven  Wehenschmerz 
zurückgeführt  werden  mußi,  läßt  sich  die  hochgradige  motorische 
Unrahe,  welche  sich  in  diesem  Falle  nach  dem  Erwachen  aus 
der  Narkose  einstellte  und  welche  unter  heftigstem  Negativismus 
und  automatischen  Bewegungen  einherging,  auf  den  Suspensions¬ 
versuch  zurückführen.  Die  in  diesem  Zustande  erloschene  Pu¬ 
pillenreaktion  kehrte  allmäldich  zurück,  ebenso  die  sprachliche 
Reaktion,  während  das  Orientierungsvermögen  und  die  Auf¬ 
fassung  sich  erst  später  wieder  einstellten.  Retroaktive  Amnesie 
fehlte.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Neiwenkrankheiten,  Bd.  42, 

H.  1.)  S. 

* 

59.  (Aus  der  kgl.  bakteriologischen  Pintersuchungsanstalt 
Neunkirchen.)  Zur  bakteriologischen  Frühdiagnose  des 
Typhus.  Von  Dr.  H.  Conradi,  Leiter  der  Anstalt.  Um  die 
Frühdiagnose  des  Typhus  durch  Züchtung  der  Typhuserreger 
aus  dem  Blute  haben  sich  Schottmüller,  Müller  und  Gräf 
besondere  Verdienste  erworben.  For  net  hat  die  Verwertung 
der  Gallenkultur  für  die  Ausreicherung  des  geronnenen  Blutes 
eingeführt.  Verf.  hat  nun  Versuche  gemacht  zur  Entscheidung 
der  Fi’age,  ob  die  nämliche  kleinste  Blutmenge,  die  zur  Anstel¬ 
lung  der  Widal  sehen  Seramreaktion  hinreicht,  noch  den  Nach¬ 
weis  der  Typhuserreger  ermöglicht.  Für  diesen  Zweck  standen 
ihm  60  von  Typhuskranken  herstammende  Blutproben  von  005 
bis  0-2  cm^  zur  Verfügung.  Bei  der  Mehrzahl  der  Proben  hcttrug 
die  Blutmenge  höchstens  OT  cm^.  Das  in  den  Kapillaren  ent¬ 
haltene  Blutserum  wurde  zur  Agglutinationsprüfung,  der  Blut- 
faden  zur  Blutzüchtung  verwandt.  Hiezu  hält  Verf.  Reagenz¬ 
röhrchen  vorrätig,  die  5  cm^  Rindergalle,  10%  Pepton  und  10% 
Glyzerin  enthalten.  Der  Blutfaden  wird  mit  einer  Pinzette  aus 
der  Kapillare  herausgezogen,  in  ein  Gallenröhrchen  übertragen 
und  in  die  Flüssigkeit  versenkt.  Zur  Anreicherung  und  Auf¬ 
lockerung  des  Blutgerinnsels  wird  das  Röhrchen  12  bis  16  Stun¬ 
den  bei  37®  gehalten.  Danach  werden  OT  und  10  cm^  der  durch¬ 
geschüttelten  Flüssigkeit  auf  je  eine  scharf  getrocknete  Platte 
Lackmus-Milchzucker-Agar  verteilt  und  mit  Hilfe  des  Glasspatels 
ausgestrichen.  Die  weitere  Untersuchung  geht  in  der  bekannten 
Weise  vor  sich.  Es  gelang,  bei  24  Typhuskranken  mit  Hilfe  der 
Gallenkultur  des  Blutfadens  die  Typhuserreger  nachzuweisen.  Bei 
21  Personen  wurden  Typhus-,  bei  drei  Personen  Paratyphusbazillen 
festgestellt.  Verf.  erzielte  demnach  in  40%  der  Fälle  ein  positives 
Resultat.  Aus  diesen  Versuchen  ergibt  sich,  wie  Verf.  ausführt, 
für  die  Typhusdiagnose  ein  neuer  Gesichtspunkt.  .Jede  Blut])rohe, 
deren  Menge  zur  Anstellung  der  Widal  sehen  Serumreaktion  hin¬ 
reicht,  ist  gleichzeitig  zuini  kulturellen  Nachweis  der  Typhus¬ 
bazillen  geeignet.  Da  die  Gallenkultur  der  Gerinnsel  von  einem 
bis  vier  Blutstropfen  eines  Typhuskranken  in  mindestens  50% 
der  Fälle  die  Frühdiagnose  des  Typhus  herheiführt,  so  fordert 


er,  daß  hei  jeder  eingesandten  Blutprobe  eines  lyphusverdächtigeii 
Kranken  nicht  nur  die  Agglutinationsprüfung  des  Serums,  son¬ 
dern  auch  die  Gallenkultur  des  Blutfadens  vorgenommen  wird. 
Wenn  auch  die  Anreicherung  des  vor  Gerinnung  bewahrten  Blutes 
durch  Galle  das  zuverlässigere  und  elegantere  Verfahren  dar¬ 
stellt,  so  zweifelt  Verf.  nicht,  daß  gerade  ihrer  Einfachheit  halber 
die  Gallenkiütur  des  Blutfadens  vielfache  Anwendung  finden  wird. 
Es  steht  fest,  daß  im  Beginne  der  Typhuserkrankung  der  Nach¬ 
weis  der  Erreger  in  den  DejektioJien  wenigstens  hei  der  Mehrzahl 
der  Fälle  fehlschlägt,  ob  man  die  Malachitgrünplatten  von  Löff¬ 
ler,  Lentz  und  Tietz  oder  den  D-ri  g al  s  ki -  C  o n  radi- Nähr¬ 
boden  anwendet.  Diesen  Verfahren  fällt  die  wichtige  Aufgabe  zu, 
die  bakteriologische  Feststellung  der  Genesung  und  der  Bazillen¬ 
träger  im  Interesse  der  Seuchenbekämpfung  durchzuführen.  Die 
Frühdiagnose  des  Typhus  erwartet  Verf.  von  der  Gallenkultui'. 
—  (Münchener  mediz.  Wochenschr.  1906,  Nr.  49.)  G. 


Therapeutisehe  l^otizen. 

Klinische  Erfahrungen  mit  Prop  o  nah  Von  Doktor 
P.  Schirbach,  Assistenzarzt  der  psychiatrischen  Klinik  der 
Universität  in  Bonn  (Direktor:  Prof.  Dr.  A.  Westphal).  ln 
Uebereinstimrnung  mit  den  bisherigen  Veröffentlichungen  kann 
der  Verfasser  nach  seinen  Versuchen  in  43  Fällen  der  Klinik 
das  Proponal  als  Schlaf-  und  Beruhigungsmittel  empfehlen.  Be¬ 
nützt  wurden  Tabletten  zu  OT  g,  in  Wasser  gelöst.  Bei  ein¬ 
facher  Schlaflosigkeit  und  selbst  bei  leichterer  Unruhe  hat  sich 
das  Proponal  in  Dosen  von  0-3  bis  0-5  g  als  gut  wirkendes,  un¬ 
schädliches  Schlafmittel  bewährt.  Bei  stärkeren  Erregungszustän¬ 
den  haben  sich  Dosen  bis  zu  0-8  g  (höchste  Einzeldosis  für  den 
Tag)  noch  als  wirksam  erwiesen.  Mmi  gewann  den  Eindruck, 
daß  0-3  g  Proponal  in  der  hypnotischen  Wirkung  etwa  0-5  g 
Veronal  gleichkomme,  während  0-5  g  Proponal  etwa  1  g  Veronal 
entsprechen  dürfte.  Wie  schon  Fischer  und  v.  Mehring  be¬ 
tonen,  wird  Proponal  hei  den  chronischen  Formen  der  Schlaf¬ 
losigkeit  nicht  selten  vorübergehend  das  Veronal  ersetzen  können, 
namentlich  aber  an  Stelle  gesteigerter  Veronaldosen  anzuwenden 
sein.  Der  Preis  des  Mittels  ist  derzeit  noch  ein  hoher.  —  (Deutsche 
medizinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  39.)  -  E.  F. 


Vermisehte  fiaehriehten. 

Ernannt:  ln  Jena:  Die  Privatdozenten  Dr.  Giese  (ge¬ 
richtliche  Medizin)  und  Dr.  Lonimel  (innere  Medizin)  zu  außer¬ 
ordentlichen  ProfesBoren.  —  Dr.  Whitfield  zum  Professor  der 
Dermatologie  am  Kings  -  Kollege  in  London.  —  Dr.  Taylor  zum 
Professor  der  Chirurgie  am  Trinity- College  in  Dublin.  —  Doktor 
Muscatello  in  Pavia  zum  a.  o.  Professor  der  externen  Patho¬ 
logie  in  Catania.  —  Dr.  Barros  in  Rio  de  Janeiro  zum  Pro¬ 
fessor  der  Bakteriologie.  —  Dr.  Larkin  zum  a.  o.  Professor 
der  pathologischen  Anatomie  am  College  of  Physicians  and  Sur¬ 
geons  in  New-York. 

* 

Verliehen:  Dr.  Hugo  Apolant,  Assistenten  am  Institut 
für  experimentelle  Therapie  in  Frankfurt  a.  M.,  der  Professortitel. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Otto  Benda  in  Heidelberg  für  Ana¬ 
tomie.  — ■  Priv.-Doz.  für  Kinderheilkunde  Dr.  Moro  in  Graz 
für  das  gleiche  Fach  in  München.  —  Dr.  Kottmann  für  innere 
Medizin  in  Bern.  —  Dr.  Fieber  a  für  allgemeine  Pathologie  in 
Rom.  —  Dr.  Cicconardi  für  medizinische  Semiologie  in  Neapel. 

* 

Gestorben:  Der  ehemalige  Professor  an  der  Universität 
Lüttich  Dr.  BoiTee.  —  Der  Professor  für  Augen-  und  Ohren¬ 
heilkunde  an  der  Howard-Universität  in  Washington  Dr.  Belt. 

* 

In  der  am  21.  Januar  d.  J.  unter  dem  Vorsitz  des  Statt¬ 
halters  Grafen  Kielm ansegg  abgehaltenen  konstituieren¬ 
den  Sitzung  des  niederösterrcichischen  Landes- 
sani  tätsrates  für  das  Triennium  1907  bis  1909  wurde  der 
o.  ö.  Universitätsprofessor  Hofrat  Dr.  Leopold  Oser  zum  Vor¬ 
sitzenden  und  der  Direktor  der  niederösterreichischen  Landes- 
irrenanstalt  in  Wien,  Regierungsrat  Dr.  Adalbert  Tilkowsky, 
zum  Vorsitzendenstellvertreter  gewählt.  In  der  darauffolgenden 
Fachsitzung  wurden  folgende  Gutachten  erstattet:  1.  Ueber  die 
Errichtung  von  öffentlichen  Apotheken  in  zwei  Landgemeinden 


WIEr^ER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


1  i6 


in  Niederösterreich.  2.  Betreffend  die  Veroidnung,  mit  welclier 
der  Zusatz  von  reiner,  kristallisierter  Soda  zur  iMilch  als  zulässi.g 
erklärt  wurde.  Am  Schlüsse  der  Sitzung  wurde  ein  Initiativ¬ 
antrag,  hetreffend  ein  von  einer  privaten  Desinfeklionsunterneh 
mung  in  Wien  den  praktischen  Aerzten  zugesendetes  Zirkular, 
eingebracht  und  einem  Komitee  zum  Referat  zugewieseu. 

* 

Das  Ministerium  des  Innern  hat  einen  vom  22.  Dezember 
vorigen  Jahres  datierten  Erlaß  an  die  k.  k.  Statthalterei  in  Wien 
herausgegehen,  welcher  sich  mit  dem  allen  Aerzten  durch  die 
Reklame  bekannten  Ramisirup  beschäftigt.  Der  Erlaß  wurde 
allen  Landesbehörden  zur  Danachachtung  mitgeteilt.  Er  lautet: 
„Ueber  das  mit  dem  Bericht  vom  30.  Juni  1906  vorgelegte  neuer¬ 
liche  Gesuch  des  Apothekers  Rudolf  Schober  in  Wien  um  Zu¬ 
lassung  der  ausländischen  pharmazeutischen  Zubereitung  Syrupus 
hromoformii  compos,  mit  der  Wortmarke  ,,Rami“  zum  allge¬ 
meinen  Apothekenvertrieb  wird  der  k.  k.  Statthalterei  auf  Grund 
des  Ergebnisses  der  fachtechnischen  Prüfung  der  vorgelegten 
Proben  durch  die  hiezu  berufene  Kommission  des  Obersten  Sani¬ 
tätsrates  eröffnet,  daß  der  Vertrieb  der  gedachten  phar¬ 
ma  z  e  u  t  i  s  c  h  e  n  Z  u  h  e  r  e  i  t  u  n  g  im  A p  o  t h  e k e n  V e r k e h r,  un¬ 
geachtet  der  vom  Gesuchsteller  angehotenen  Verpflichtung,  zur 
Bereitung  des  Sirups  nur  einen  auf  0-319  Gewichtsprozent  Ako¬ 
nitingehalt  eingestellten  alkoholischen  Auszug  der  Akonitpflanze 
zu  verwenden,  auch  derzeit  nicht  gestattet  werden 
kann.“  —  Als  Grund  hiefür  wird  der  sehr  stark  wechselnde 
Gehalt  der  Pflanze  an  dem  außerordentlich  giftigen  Akonitin  an¬ 
gegeben.  Der  Erlaß  schließt  dann:  ,,Die  Beilagen  des  eingangs 
erwähnten  Berichtes  folgen  zur  weiteren  Veranlassung  mit  der 
Einladung  zurück,  hievon  mit  Rücksicht  auf  die  aufdringliche 
Reklame,  die  für  die  gegenständliche  Zubereitung  unter  dem 
Namen  , Ramisirup“  durch  Postzusendungen  an  Aerzte  gemacht 
wird,  die  im  Verwaltungsgebiet  ansässigen  Apotheker  und  Aerzte 
in  Kenntnis  zu  setzen.“ 

♦ 

Wie  die  Münchener  mediz.  Wochenschr.  in  Nr.  4  d.  1. 
mitteilt,  hat  auf  Veranlassung  des  Staatssekretärs  des  Innern 
am  4.  d.  M.  im  kaiserlichen  Gesundheitsamt  in  Berlin, eine  Be¬ 
sprechung  von  Sachverständigen  aus  verschiedenen  Bundes¬ 
staaten  über  die  B 1  i  n  d  d  a  r  m  e  n  t  z  ü  n  d  u  n  g  und  ihre  K  u  s- 
hreitung  stattgefunden.  Die  überwiegende  Auffassung  ging  da¬ 
hin,  daß  eine  Zunahme  der  Blinddarmentzündung  in  den  letzten 
Jahren,  wie  sie  in  weiten  Kreisen  angenommen  wird  und  zu 
einer  gewissen  Beunruhigung  geführt  hat,  wissenschaftlich  nicht 
erwiesen  ist,  vielmehr  vermutlich  nur  scheinbar  vorliegt.  Viele 
Fälle  von  Blinddarmentzündung  seien  wahrscheinlich  früher  mit 
der  Sammelbezeichnung  ,, Unterleibsentzündung“  oder  ,, Bauchfell¬ 
entzündung“  oder  einem  ähnlichen  Namen  belegt  oder  nicht  ge¬ 
nau  erkannt  worden  oder  überhaupt  nicht  zur  ärztlichen  Behand¬ 
lung  gelangt.  Um  indes  die  Frage  der  zunehmenden  Häufigkeit 
der  Erkrankungen  näher  prüfen  zu  können,  wurde  befürwortet, 
in  der  Todesursachen-  und  in  der  Heilanstaltstatistik  des  Deut¬ 
schen  Reiches  künftighin  eine  besondere  Gruppe  einzuschalten, 
in  der  ausschließlich  die  Fälle  von  Blinddarmentzündung  auf  ge¬ 
zählt  werden.  Weiterhin  wurden  die  Punkte  besprochen,  welche 
bei  einer  gegebenenfalls  über  das  gesamte  Reichsgebiet  zu  er¬ 
streckenden  statistischen  Erhebung  über  die  Blinddarmentzün¬ 
dung  zu  bei’ücksichtigen  sein  würden. 

* 

Wie  mitgeteilt  wird,  ist  die  Zusammensetzung  des  Vorstandes 
der  Wiener  Dermatologischen  Gesellschaft  jetzt  fol¬ 
gende:  Präsident:  Prof.  Finger;  Vizepräsident:  Prof.  Ehr¬ 
mann;  I.  Schriftführer:  Dr.  Brand weiner;  11.  Schriftführer: 
Dr.  Kren;  Kassier:  Priv.-Doz.  Weiden  fehl. 

* 

Der  VI.  internationale  D  e  r  m  a  t  o  1  o  g  e  n  k  o  n  g  r  e  ß  wird 
in  diesem  Jahre  gemäß  der  Wahl  des  letzten,  vor  drei  Jahren  in 
Berlin  abgehaltenen  Kongresses  in  New- York  und  zwar  in 
der  Zeit  vom  9.  bis  14.  September  d.  J.  unter  dem  Präsidium 
von  Dr.  James  C.  White- Boston  tagen.  Die  Vorträge  des  Kon¬ 
gresses  sollen  in  englischer,  französischer,  deutscher,  spanischer 
oder  italienischer  Sprache  gehalten  werden.  Auszüge  aus  den 
beabsichtigten  Vorträgen  sind  noch  vor  dem  1.  Mai  1907  an 
den  Generalsekretär  des  Kongresses,  John  A.  Fordyce,  M.  D., 
80  West,  40.  Street,  New  York  City,  zu  senden. 

♦ 

Seit  Beginn  dieses  Jahres  erscheint  im  Verlage  von  Oskar 
C  o  b  1  e  n  t  z  -  Berlin  und  Georg  T  h  i  e  m  e  -  Leipzig  eine  Zeit¬ 
schrift  für  Urologie,  als  deren  Herausgeher  L.  Casper, 


11.  Lohn  stein  und  C.  Posher  in  Berlin,  A.  v.  Frisch  und 
0.  Z  u  c  k  e  r  k  a n  d  1  in  Wien,  sowie  F.  M.  0  b  e  r  1  ä n  d  e  r  in  Dresden 
angeführt  sind.  Die  Zeitschrift  für  Urologie,  welche  aus  der 
l'ereinigung  des  ,, Zentralblattes  für  die  Krankheiten  der  Harn- 
imd  Sexualorgane“  und  der  ,, Monatsberichte  für  Urologie“’  ent¬ 
standen  ist,  ist  auch  das  Organ  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Urologie.  Die  neue  Zeitschrift  erscheint  in  Monatsheften.  Preis 
eines  Jahrganges  Mk.  25.  Das  vorliegende  erste  Heft  enthält 
an  Originalarbeiten:  Stoerk  und  0.  Zuckerkandl:  Ueber 
Zystitis  glandularis  und  den  Drüsenkrebs  der  Harnblase; 
Stoeckel:  Ueber  die  Verwendung  des  Nitz  eschen  Zystoskops 
in  der  luftgefüllten  Blase  der  Frau;  Posner:  Die  Barberiosche 
Reaktion  auf  Sperma;  Schlagintweit:  Die  Behandlung  der 
Prostatahypertrophie  mit  Röntgenstrahlen. 

« 

Die  ehemaligen  medizinischen  Zeitschriften :  ,, Deutsche 

Praxis““,  ,, Zeitschrift  für  praktische  Aerzte““  und  „Medizinische 
Neuigkeiten““  werden  jetzt  als  eine  Zeitschrift  unter  dem  Titel 
„Leipziger  medizinische  Monatschrift““  von  Doktor 
W.  Kühn  im  Verlage  von  Seitz  &  Schauer  in  Leipzig  lieraus- 
gegeben. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  S  a  n  i  t  ä  t  s  s  t  a  t  i  s  t  i  k  bei 
der  Mannschaft  des  k.  u.  k.. Heeres  im  November  1906. 
Krankenzugang  21.283  Mann,  entsprechend  7oo  der  durchschnitt¬ 
lichen  Kopfstärke  68;  an  Heilanstalten  abgegeben  9190  Mann, 
entsprechend  %o  der  durchschnittlichen  Kopfstärke  29;  Todes¬ 
fälle  30  Mann,  entsprechend  %o  der  durchschnittlichen  Kopf- 
stärke  0-09. 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  tä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  2.  Jahreswoche  (vom  6.  bis 

12.  Januar  1907).  Lebendgeboren,  ehelich  604,  unehelich  283,  zusammen  887. 
Totgehoren,  ehelich  61,  unehelich  34,  zusammen  95.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  676  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
17  9  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  2,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  17, 
Scharlach  3,  Keuchhusten  3,  Diphtherie  und  Krupp  9,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  3,  Lungentuberkulose  112,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  60,  Wochenbettfieber  0.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  32  ( —  3),  Wochenhettfieber  3  ( —  3),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  126  (-[-  23),  Masern  351  (-j-  74),  Scharlach  101  (-)-  24),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  11  (-|-  1),  Ruhr  1  (-{-  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  107  (-j-  26),  Keuchhusten  24  ( —  7),  Trachom  0  (0), 
Influenza  0  (0). 


Freie  Stellen. 

Stelle  eines  Oberinspektors  an  der  k.  k.  allgemeinen 
üntersuchungsanstalt  für  Lebensmittel  und  Ge¬ 
brauchsgegenstände  in  Krakau  (Galizien)  mit  dem  Range 
und  den  systemmäßigen  Bezügen  der  VII.  Rangsklasse  (Anfangsgehalt 
K  4800,  Aklivitätszulage  K  840).  Die  Gesuche  um  die  Verleihung  dieser 
Stelle  sind  bis  längstens  1.  April  d.  J.  beim  k.  k.  Ministerium  des 
Innern  einzubringen. 

Stelle  eines  Hilfsarztes  im  allgemeinen  öffentlichen  Kranken¬ 
hause  in  Iglau  (Mähren).  Jahresremuneration  K  1000,  freie  Wohnung 
in  der  Anstalt,  Verpflegung  aus  der  Anstaltsküche  nach  der  I.  Klasse, 
Beheizung  und  Beleuchtung.  Die  Stelle  ist  eine  provisorische,  beiderseits 
auf  drei  Monate  kündbar  und  ist  dem  Hilfsarzte  die  Ausübung  der 
Privatpraxis  nicht  gestattet.  Gesuche  mit  den  Belegen  über  Alter,  Stand, 
Zuständigkeit,  Erlangung  des  Doktorgrades  und  die  bisherige  Verwendung 
sind  beim  Gemeinderate  der  Stadt  Iglau  bis  längstens  10.  Februar 
d.  J.  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgruppe  T  h  e  r  n- 
b  e  r  g  (Bez.  Neunkirchen,  Niederösterreich).  Fixe  Bezüge  vom  Landes- 
ausschusse  und  den  Gemeinden  zusammen  K  1280,  außerdem  eine 
Pauschalentlohnung  für  Behandlung  der  Armen  und  Krankenkassen¬ 
mitglieder.  Gesuche  bis  1.  F  e  b  r  u  a  r  d.  J.  an  die  Gemeindevorstehung 
Thernberg. 

Stelle  eines  Oberbezirksarztes,  bzw.  Bezirksarztes 
und  eines  Sanitätskonzipisten  für  Niederösterreich  mit 
den  Bezügen  der  VIIL,  bzw.  IX.  und  X.  Rangsklasse  der  Staatsbeamten. 
Bewerber  haben  ihre  vollständig  instruierten  Gesuche  bis  spätestens 
20.  Februar  d.  J.  u.  zw.  im  öffentlichen  Dienste  stehende  Kompetenten 
im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  beim  k.  k.  Statthaltereipräsidium  in 
Wien  zu  überreichen. 

Stelle  eines  zweiten  Assistenzarztes  in  der  Landesirren¬ 
anstalt  in  Valduna  (Vorarlberg)  provisorisch  zu  besetzen.  Mit  dieser 
Stelle  sind  die  Bezüge  der  IX.  Rangsklasse  der  Staatsbeamten  mit  dem 
Vorrückungsrechte  in  die  VHI.  verbunden.  Gesuche  um  diese  Stelle  sind 
an  den  Landesausschuß  in  Bregenz  zu  richten  und  bis  5.  F  e  b  r  u  a  r 
d.  J.  bei  der  Direktion  der  Landesirrenanstalt  in  Valduna  einzureichen. 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WUCIIENSCIIRIFT.  1907. 


147 


Yerhandlungen  ärztlicher  Clesellschaften  und  Eongreßberichte. 

INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  25.  Januar  1907. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
8.  Januar  1907. 


Verhandluiigeii  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  5.  Dezember  1906. 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in  Böhmen. 
Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der  Garnison  Wien. 
Sitzung  vom  12.  Januar  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  25.  .Januar  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Alexander  Kolisko. 

Schriftführer:  Dr.  Alfred  Exner. 

Der  Vorsitzende  teilt  mit,  daß  das  iMitglied  der  Gesellschaft, 
Herr  Hofrat  v.  Arneth,  am  1(S.  .laniiar,  beinahe  90  Jahre  alt, 
gestorben  ist. 

Die  Versaimnliing  erhebt  sich  zum  Zeichen  der  Anteilnahme. 

Prof.  Lang  stellt  einen  15jährigen  Knaben  mit  ,,Papu- 
losis  perstans“  vor,  eine  Krankheit,  auf  welche  Jadas¬ 
sohn  vor  mehreren  Jahren  aufmerksam  gemacht  iiat  und  mit 
welcher  die  Gesellschaft  der  Aerzte  durch  eine  Vorstellung  Krei- 
i)ichs  seinerzeit  bekannt  gemacht  wurde.  Die  Erkrankung  ist 
in  der  Literatur  unter  verschiedenen  Namen  bekannt,  zumeist 
wird  sie  als  Pityriasis  chronica  lichenoides  bezeichnet,  Jadas¬ 
sohn  nennt  sie  Dermatitis  psoriasiformis  nodularis,  Neisser 
führt  sie  als  psoriasiformes  und  lichenoides  Exanthem  auf  und 
Broeq  spricht  von  einer  Parapsoriasis  (engouttes).  Keine  der 
Benennungen  hält  Lang  für  bezeichnend.  Mit  Pityriasis  besteht 
am  allerwenigsten  Aehnlichkeit,  mit  Psoriasis  wohl  nur  in  ein¬ 
zelnen  Stadien  dieser  Krankheit,  insbesonders  besieht  eine  gewisse 
Aehnlichkeit  mit  jenen  vereinzelten,  an  der  Glans  auftretenden 
Psoriasisplaques,  wo  eigentliche  Auflagerungen  von  Schuppen¬ 
lamellen  fehlen  und  die  Oberfläche  der  Plaques  wie  mit  einem 
hraunen  Lack  bestrichen  erscheint;  der  Lichen  planus  unter¬ 
scheidet  sich  in  seinen  Primäreffloreszenzen  schön  und  deutlich 
durch  die  polygonale  Umrandung  derselben.  Die  nicht  präju- 
dizierende  Benennung  Dermatitis  nodularis  trifft  auch  auf  andere 
Erkrankungen  zu,  was  in  der  Bezeichnung  selbst  gelegen  ist. 
Nicht  selten  ist  es  vorgekommen,  daßi  diese  Dermatose  für  syphi¬ 
litisch  gedeutet  wurde  und  demgemäß  antiluetisch,  hzw.  mer- 
kuriell  behandelt  wurde,  aber  ohne  Erfolg,  sowie  überhaupt  diese 
durch  Jahre  sich  hinziehende  Krankheit  durcli  keine  Beliandlung 
zu  beseitigen  war.  Und  so  glaubt  i.,ang,  daß  in  den  beiden 
Worten  ,, Papulosis  perstans“  die  am  meisten  klinisch  charak¬ 
teristische  Bezeichnung  gelegen  ist. 

Von  ganz  besonderein  Interesse  erschien  Vortr.  der  Fall 
darum,  weil  er,  ohne  ihn  früher  zu  kennen,  durch  eine  Ver¬ 
änderung  an  der  Haut  seiner  Schwester,  die  nachher  gleich  ge¬ 
zeigt  werden  soll,  auf  die  Dermatose  des  Patienten  aufmerksam 
wurde.  Der  15jährige  Knabe  leidet  seit  sieben  Jahren  an  einem 
Exanthem,  das  sich  aus  hirsekorn-  bis  höchstens  linsengroßen, 
flach  papulösen,  rotbraunen  Effloreszenzen  zusammensetzt,  die 
meist  in  der  Mitte  eine  Delle  tragen.  Der  Rand  zeigt  einen  gegen 
die  Peripherie  offenen,  gegen  das  Zentiami  festhaftenden,  feinen 
Schuppensaum.  Einzelne  der  flacheren  Effloreszenzen  sind  von 
einem  nicht  scharf  begrenzten,  depigmentierten  Hof  umgehen. 
Die  Effloreszenzen  sind  schütter  über  den  Stamm  zerstreut,  zwei 
derselben  finden  sich  auch  am  linken  Vorderarm  und  am  linken 
Oberschenkel.  Am  rechten  Bippenbogen  sind  in  einer  Linie  von 
3V2  cm  (offenbar  einem  Kratzeffekt  entsprechend)  mehrere  inolni- 
koingroße,  gedeihe  Knötchen  aneinandergereiht,  von  denen  nur 
die  beiden  Effloreszenzen  etwas  größere  Dimensionen  aufweisen. 
Die  Effloreszenzen  dieser  Linie  haben  sich  während  einer  Beoh- 
achtungsdauer  von  mehreren  Wochen  nicht  verändert.  Außerdem 
aber  zeigt  der  Kranke  an  einigen  wenigen  Stellen  des  Stammes 
bis  linsengroße,  mil  einer  vielleicht  unter  dem  Niveau  der  Um¬ 
gebung  liegende,  narbig  -  atrophische  Stellen  von  weißlicher 
Färbung. 

Die  17  Jahre  alte  Schwester  bildet  das  folgende  Bild:  fdd)er 
dem  Stamnu'  zerstreul  finden  sich  hirsekorn-  bis  über  linsen¬ 
große  Stellen  von  narbigem  Aussehen,  welche  über  die  normale  Haut 
ein  wenig  hervorragen  und  sich  dundi  Zug  wic'der  in  das  Niveau 
dor  Haut  bringim  lassen.  Beim  Darüh(U'slr(dch(m  mit  dem  Fiirgcr 
sinkt  derselbe  an  vi(den  solchen  Sbdlen  (dn.  Die  Sbdlcii  sind 
weißer  gefärbt  und  sch.irf  gegen  die  l'mgebung  abgegrenzt,  viele 
weisen  in  der  Mille  eine  leiidd  n.abelige  Einziehung  auf,  die  Ober¬ 


fläche  ist  im  übj'igen  gefältell.  Die  Ki'anke  gab  an,  daß  du-se 
Veränderung  erst  seit  zwei  Jahren  besteht,  daßi  diese  Stellen 
aber  einem  Ausschlag  entsprechen,  der  durch  zirka  fünf  Jahre 
bestanden  hatte,  nie  mit  Pustelbihlung  einhergegangen  war  und 
jeder  Behandlung  getrotzt  hatte  und  erwähnte  dabei,  daß  ihr 
jüngerer,  eben  demonstrierter  Bruder  jetzt  noch  mit  dem  gleichen 
Ausschlag  behaftet  sei,  wie  sie  ihn  Jahre  hindundi  aufgewiesen. 

Sollten  nun  die  an  dem  Knaben  neben  der  noch  frisch 
bestehenden  „Papulosis  perstans“  sich  vorfindenden  narbigen 
Veränderungen  eine  Brücke  hinleiten  zu  den  narbigen  Verände¬ 
rungen,  wie  sie  bei  der  Schwester  beobachtet  werden,  so  müßte 
man  daran  denken,  daß  unter  Umständen  die  ,, Papulosis  perstans“ 
oder  doch  einzelne  Effloreszenzen  derselben  mit  dem  .Vusgang 
in  Atrophie  enden. 

Diskussion :  Doz.  Dr.  N  0  b  1  bemerkt,  daß  dem  demonstrierten 
interessanten  Krankheitsbilde  ein  erhöhtes  Interesse  entgegenge¬ 
bracht  wird,  seitdem  die  von  Juliusberg  hervorgehobenen  kenn¬ 
zeichnenden  Merkmale  eine  leichtere  Trennung  des  Prozesses  von 
anderen  ähnlichen  und  sicherlich  verwandten  P  a  r  a  k  e  r  a  t  o  s  e  n 
ermöglicht.  Die  Kombination  von  psoriasiformen  und 
lichenoiden  Komponenten  des  Ausschlages  pflegt  zumeist 
viel  deutlicher  als  in  dieser  Beobachtung  ausgeprägt  zu  sein  und 
nicht  in  letzter  Linie  mag  die  nach  der  Richtung  zum  Ausdruck 
gelangende  Polymorphie  des  Ausschlages,  zur  Wahl  der  allent¬ 
halben  akzeptierten  Benennung  ,,Pityriasis  lichenoides 
chronica“  Anlaß  geboten  haben.  Den  Symptomenkomplex  der 
hartnäckig  persistierenden  miliaren  Knötchenschübe  und  atrophisch 
erscheinenden  makulösen  Herde  bekommt  man  in  den  Vor¬ 
führungen  der  Dermatologischen  Gesellschaft  alljährlich  des 
öfteren  zu  sehen  und  war  nebst  Spie  gier,  v.  Neumann, 
K  r  e  i  b  i  c  h,  E  h  r  m  a  n  n,  K  a  1 1  e  n  b  r  u  n  n  e  r  u.  a.  auch  N  o  b  1 
in  der  Lage,  in  den  Sitzungen  der  Vereinigung  vom  9.  und 
23.  Januar  1907  zugehörige,  jugendliche  Individuen  betreffende 
Wahrnehmungen  zu  demonstrieren. 

Prof.  Chiari  demonstriert  einen  38jährigen  Mann,  welcher 
vor  30  Tagen  während  des  Schlafes  ein  Gebiß  verschluckte. 
Er  erwachte  plötzlich  mit  starker  Atemnot  und  hefligem  Wuirgen. 
Doch  schwanden  diese  Erscheinungen  sehr  schnell,  aber  er  konnte 
nur  ausschließlich  flüssige  Nahrung  zu  sich  nehmen.  Er  magerte 
stark  ab,  hatte  oft  ein  unangenehmes  Gefühl  beim  Schlucken  in 
der  Höhe  des  Kehlkopfes,  aber  nie  eigentliche  Schmerzen.  Mehrere 
Aerzte,  die  er  in  seiner  Heimat  zu  Rate  zog,  stellten  angeblich  die 
Diagnose  auf  Krebs  der  Speiseröhre. 

Am  25.  Januar  morgens  kam  der  Patient  auf  die  Klinik 
und  dort  wurde  sofort  die  Anwesenheit  eines  undurchgäiigigen 
Hindernis'ses  in  der  Speiseröhre,  22  cm  vom  Oberkieferrand, 
festgestellt.  Die  auf  der  Klinik  Hofrat  Freiherrn  v.  Eiseisbergs 
aufgenommenen  Radiogramme  zeigten  einen  einem  Gebiß  entspre¬ 
chenden  Schatten,  der  vor  dem  ersten  Brustwirbel  lag. 

Nach  Kokainisieruug  wurde  ein  dickes,  ösophagoskopi.sches 
Rohr  eingeführt.  Durch  dasselbe  sah  man,  20  cm  vom  OberkieUn- 
rand,  eine  durch  ödematöse  Schwellung  bedingte  Verengerung 
des  Lumens,  die  für  das  dicke  Rohr  unpassierbar  war.  Nach 
der  Bepinselung  der  ödematösen  Schleinduiutparlien  mit  Kokain 
gelang  die  Einstellung  des  Fremdkörpers  mit  einem  dünnen  Rohre 
und  schließlich  die  Pixfraktion  ohne  jede  Anwendung  von  Gewalt. 
Natürlich  konnte  die  Zalmplatte  mit  fünf  Zähnen,  aks  welche 
sich  der  P’remdkörper  erwies,  bei  ihren  Dimensionen  von  4V2  cm 
Länge  und  2V2  cm  Breite  nicht  in  da,s  Bohr  liineingezogen, 
sondeiii  mußte  mit  demselben  zugleich  ('xfrahiert  werden.  Da 
nach  Angabe  des  Patienten  (Las  Gebiß  keine  scharfen  Haken  be¬ 
saß  und  auch  das  Radiogramm  nichts  davon  zeigte',  konnte  die 
Extraktion  trotz  der  Giajße  versucht  werden,  sonst  wäre  wohl 
nur  die  Oesoph.agotomie  indiziei’l  gewesen.  Besonders  merk¬ 
würdig  ist  di((  gi'i'inge  Reaktion,  die  di('ser  große  Premdkörper 
trotz  seines  langen  Verweilens  hervorrief.  Pai.  licberte  nie  und 
hat  auch  jetzt  normale  Temperaturen. 

Der  Vortragende  hebt,  noch  hervor,  daß  g(*wöhnlicli  b('i 
verschluckten  ndei'  aspiri('rten  Fremdköi'ia'i  n  die  direkte  Insp('k- 
lion  durch  gerade  Böliren  leicht  gelingt,  wahrs(  heinlich,  weil  eine 


WIEWER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  5 


l)(*s()uclerfy  yüiusligc  (iestaltiing  der  JjuH-  oder  Sjieisewege  auch 
das  Eindriiigei)  großer  Fj’ejndkör]»e]‘  oiieichteil. 

Ah  del’  Kliiuk  warden  seit.  19U0  außer  diesem  noch  drei 
(iehisse  exli’aliiei’t  u.  zw.  eiiu's  von  l)r.  Kahler  aus  dein  Oeso- 
l»hagus,  BU  c.in  von  der  Zaliiireilie,  eines  von  I’riv.-Doz.  Doktor 
II  arm  er  aus  dem  Hecessus  inrifonnis  und  eines  von  Dr.  (Jlas 
aus  (lern  oherslon  Teile  der  Trachea,  di(*  beiden  letzteren  unter 
der  Leitung  des  Kehlkojifspiegels. 

Diskussion:  i’riv.-Doz.  Ür.  Freund  erwähnt  einen  ähii- 
licheii  Fall,  (len  er  vor  ca.  2Jahren  niitm’suchte.  Es  liandidte  sich  um 
(dneii  ()ri(ndalen,  bei  dem  das  Hönlgenhild  etwa  in  ghdeher  Höhe 
wi(‘  hei  dem  demonstrierten  Falle  ein  verschlucktes  falsches  Oe* 
hiß  nachwies.  Das  Merkwürdige  an  dem  Falle  war,  daß  der  KraidvC 
in  Abrede  stellte,  ein  falsches  Gehiß  geschluckt,  ja  sogar  leugnete, 
je  ein  solches  getragen  zu  haben.  Bei  der  von  Herrn  Primarius 
Dr.  Düdinger  erfolgreich  durchgeführlen  ( )eso])hagotomie  he- 
shäligte  isicli  aber  die  Diagnose. 

Hofrat  V.  Eisei  sherg  bemerkt,  daß  auch  er,  wie  Professor 
(’hiari  liereits  erwähnte,  hemhachtate,  daß  die  Oesopli  igoskopie 
hei  verschluckten  Fremdköipein  auffallend  leicld  gelingt. 

Dr.  Viktor  Grünberger:  Demonstration.  (Erschidnt  aus 
führlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Dr.  Hans  v.  Haberer  stellt  aus  der  E  i  s  e  1  s  h  (' r  g schon 
Klinik  einen  13jährigen  Knaben  vor,  der  an  den  meisten  Skelett¬ 
knochen  Verbiegung  und  Tumorbildung  zeigt.  In  Röntgenogrammen 
erweisen  sich  dieselben  als  ausgesprochene  Knochenzysten  und 
wiederholt  vorgenommene  Probeexzisionen  ergaben  nebst  multiplen 
Riesenzellensarkomen  eine  fibröse  Umwandlung  des  Markes  und 
eine  Auffaserung  des  Knochens  durch  zwischengeschobene  Rinde- 
gewebssubstanz.  Schmerzen  haben  niemals  bestanden,  im  5.  und 
8.  Lebensjahre  war  je  eine  Fraktur  des  rechten  Oberschenkels 
anamnestisch  angegeben.  Der  Knabe  wurde  an  der  v.  E  i  s  e  1  s- 
h  e  r  g  sehen  Klinik  vor  zwei  Jahren  und  jetzt  durch  längere 
Zeit  beobachtet  und  ergibt  diese  Beobachtung  eine  deutliche 
Progredienz  des  Prozesses.  Nach  Erörterung  des  v.  Reckling- 
hausenschen  Krankheitsbildes  der  Ostitis  fibrosa  wird  dieser 
Fall  in  dieses  Krankheitsbild  eingereiht,  wofür  außer  dem  all¬ 
mählichen  Entstehen  der  auffallenden  Knochenauftreibungen  und 
V^erkrümmungen  mit  deutlicher  Zystenbildung  besonders  das 
Befallensein  der  metaphyseren  Anteile  der  Röhrenknochen,  sowie 
das  angeführte  histologisch-anatomische  Bild  sprechen.  Die  für 
gewöhnlich  bei  der  Ostitis  fibrosa  angeführten  lanzinierenden 
Schmerzen  fehlen  in  dem  gezeigten  Falle.  Durch  seinen  besonders 
lange  ausgedehnten  Verlauf  —  die  Krankheit  dauert  seit  dem 
dritten  Lebensjahre,  also  jetzt  schon  zehn  Jahre  —  beweist  er 
die  auffallende  Benignität  der  bei  der  Ostitis  fibrosa  vor¬ 
kommenden  Riesenzellensarkome.  Von  sichergestellten  Fällen 
der  V.  R  e  c k  1  i  n  g  h  au  s  e  n  sehen  Erkrankung  findet  sich  in  der 
Literatur  kein  Beispiel  dafür,  daß  die  Erkrankung  in  so  früher 
.lugend  aufgetreten  wäre.  (Erscheint  ausführlich.) 

Begiinenlsarzt  Dr.  Robert  Doerr:  Das  Dyscuh'rie- 
loxin.  I)er  Vortragende  schildert  iiacli  einer  kurzen  Einleitung 
über  die  Entwicklung  der  Lehre  von  der  bazillären  Dysenterie 
die  Eigenschaften  des  Dysenterietoxins  und  seine  Wirkungen  im 
Tierex])erimenl,  besonders  bei  Kaninchen.  An  der  Hand  ana¬ 
tomischer  und  histologischer  Präparate  wird  der  Nachweis  ge¬ 
liefert,  daß  die  durch  das  Toxin  gesetzten  Veränderungen  völlig 
den  B('funden  beider  menschlichen  Dysenterie  entsprechen.  Auf 
Grund  dieser  Tatsacheu  und  dei’  klinischen  Beobachtung,  schlie߬ 
lich  auch  der  ausbleibenden  Generalisation  der  Ruhrbakterien 
im  menschlichen  Organismus  wird  die  Berechtigung  der  Auf- 
fasijung  dargclan,  daß  die  S  h  i  g  a  -  K  r  u  s  e  sehe  Form  der  Dysenterie 
als  bakterielle  Toxikose  auzusehen  sei.  Daraus  ergibt  sich  von 
selbst  die  Möglichkeit  einer  anlitoxischen  Therapie.  Der  Vor- 
ti'agende  referiert  kurz  die  von  Kraus  und  ihm  ausge-irbeitete 
experimentelle  Begiündung  derselben  und  b(‘richtet  über  die  An¬ 
wendung  d<‘s  im  Wiener  staatlichen  serolherapeutischen  Institut 
(Vorstand:  Pr(d'.  P  a  1 1  a  u  f)  hergestellten  antit(n\ischen  Ruhrserums 
und  die  bisher  damit  (uzielten  günstigen  Resultate.  'Der  Vort’L'ag 
bildet  eine  kurz(‘  Inhaltsangabe  eimn'  in  Kürza*  bei  Fischer,  .lena 
erscln.dnenden,  gleiclmamigini  Abliandlung.) 

Dr.  Isor  Stein  aus  Abbazia  (als  G;usl)  dc'monstiiert  einen 
R  ö  n  t  ge  11  a  p  pa  ra  t,  mit,  welchem  iinin  radioskopieren,  radio- 
graphi'.'i’im,  orthodiagraphiej'cm  und  orthophologra]dneren  kann,  in 
stehender,  sitzemhu’  und  li(‘gend(“r  St(dlung  (les  Patienten. 

Der  .\])parat  ist  aus  Holz  geb;iut,  hat  eine  Bodenfläche 
von  1  in-  und  240  cm  llöhi*.  Er  besteht  aus  zw(m  v(‘ischiehharen 
senkrei  Illen  Rahmen,  von  w(dch(Mi  der  eiiu'  den  Schirm,  ri'speklivc 
die  Schirmkasiselle  trägt,  der  amh're  di(‘  Uöiitgenröhri*  samt. 
Blendenvoi  !  ichlung. 


Das  R  a d  i  o  s  k  o  p  i  e  r  e  n  kann  sowohl  miL  fixiertem,  als 
mit  beweglichem,  nach,  H  o  I  z  k  n  ec  h  ts  Methode  läquilibrierten 
Schirm  erfolgen. 

Zum  Radiograp  liieren  benützt  Vortr.  eine  sog.  Stdiinn- 
kas'sette,  deren  Konstruktion  es*  möglich  macht,  während  der 
photographischen  Aufnahinc  sowohl  die  Belichtung,  als  auch  die 
Bewegungen  des  aufzunehmenden  Körperteiles  genau  zu  über¬ 
wachen. 

Die  Einteilung  dieser  Schirmkassetle  ist  :  Eine  edwa  4  mm 
dicke,  homogene  Jlolzplatle,  hinter  welcher  die  photograiiliische, 
doppelt  eing(>packte  Platte  liegt,  ist  auf  der  anderen  Seite  durch 
den  Fluoreszenzschirm  und  die  Bleiglasplatle  abgeschlossen. 
Das  Einschieben  der  photographischen  Platte  geschieht  durch 
eine  offene  Spalte.  Schließlich  kann  man  neben  der  Bleiglasplatte 
eine  Glasplatte  in  eine  Nut  einschieben  zum  Zwecke  des  Zeichnens. 

Das  ()  r  I  h  o (1  i  a  g  r aph  i  e  1' e  n  geschieht  nach  der  von 
Holzknecht  und  Robinsohn  beschriebenen  und  geübten 
Methode. 

An  (kmi  Apjiarat  sind  in  drei  Richtungen  Zenümelermensuren 
angcdjracht,  um  1.  den  Fokus  der  Antikathode  auf  den  Mittel¬ 
punkt  der  photographischen  Idatle  einzustellen;  2.  um  die  Ent¬ 
fernung  der  Platte  vom  Fokus  der  Antikathode  abzulesen;  3.  um 
die  horizontale  Verschiebung  der  Antikathode  von  iler  iMittel- 
linie,  d.  h.  den  Winkel  (finer -schrägen  Durchleuchtung  mit  arith¬ 
metischer  Sicherheit  fesfstellen  zu  können. 

Stein  führt  die  Röhre  samt  der  Blende  mit  Leichtigkeit 
in  einem  Dojipeb’ahmeit,  sowohl  in  vertikaler,  als  auch  in  hori¬ 
zontaler  Richtung  mittels  eines  Griffes  in  becpiemer  Stellung 
oder  vor  dem  Patienten  sitzend. 

Zum  genauen  Auszentrieren  des  Mittelstrahles  benützt  Vortr. 
einen  Zylinder  mit  einem  Doppelkreuz.  Im  Innern  dieses  Zvlinders 
ist  eine  A  1  b  er  s -  S c  h  ö  n  b  e  r  gsche  Blendenvorrichtung,  welche 
sowohl  (fine  viereckige  Abblendung,  als  auch  die  Bildung  einer 
senkrechten  und  wagrechten  Spalte  ermöglicht. 

Das  0 r  t  h  op  b  o  1  o  g r  a  p  h i  e  r  e n  geschiohl  in  der  oben  be¬ 
schriebenen  Weise,  indem  mau  einmal  mit  der  vertikalen,  nach¬ 
her  mit  der  horizontalen  Blendenspalte  die  Röhre  in  gleich¬ 
mäßigem  Tempo  über  den  aufzunehmenden  Körperteil  hin  und 
her  führt  (Dr.  Immelmann). 

Der  Apparat  eignet  sich  infolge  seiner  Bauai’t  und  Trans- 
portfähigkeit  für  Aufnahmen  im  Freien,  also  als  Feldkriegs- 
a  p  p  a  r  a  t. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  Freund  hält  den  demon¬ 
strierten  Apiiarat  wohl  in  vieler  Hinsicht  für  ganz  zweckmäßig 
und  brauchbar;  manche  Verbesserungen  der  bisher  bekaimlen 
Apparate,  welclu'  sich  an  dem  demonstrierten  iModelle  finden, 
hat  Freund  unabhängig  von  Stein  an  einem  eigenen,  seit 
mehreren  Monaten  zu  gleichen  Zwecken  im  Gebrauch  stehenden 
Instrumente  angebracht.  Bezüglich  zweier  Details  scheint  ihm 
der  Ajiparat  Dr.  Steins  als  IJ  n  i  v  e  r  s  a  1  a  ji  p  a  r  a  t  nicht  ganz 
ideal  zu  sein.  Erstens  was  die  Leichtigkeit  in  der  Bewegung 
nach  jeder  Richtung  hin  anlangt;  diese  muß  bei  der  Orthodia¬ 
graphie  eine  große  sein,  was  bei  dem  Stein  sehen  Apparate 
nicht  der  Fall  ist.  Zweitens,  was  die  Methode  der  Zentrierung  der 
Röhre  anlangl ;  di('  St  ein  sehe  Methode  bedingt  das  mühselige 
Umtauschen  und  Aufsetzen  neuer  Blendenrohre  bei  Unterbrechung 
der  Untersuchung,  Jlell machen  des  Zimmers  etc.,  wenn  man  die 
Orlhodiagraphie  mit  der  Radioskopie  v-ereinigen,  respektive  beide 
alternieren  lassen  will,  wie  es  bei  einer  korrekten  Untersuchung 
von  Voj’teil  ist.  Diesbezüglich  glaubt  Freund,  daß  sein  eigener 
Apparat  den  praktischen  Bedürfnissen  der  Radioskopie  und  gleich¬ 
zeitigen  Orthodiagraphie  hesser  entsinicht.  Derselbe  verwendet 
eine  Revolverblende,  welche  durch  eine  Uebertragung  vom  Hand¬ 
griffe  der  Hängeblende  aus  eingestellt  wird.  Das  Zentrieren  erfolgt 
durch  zw(fi  Melallringe,  welche  bei  senkrechter  Einstellung  kon- 
zamlrische  Bilder  geben.  Den  durch  die  Mitte  dieser  Ringe  passie¬ 
renden  Sliahl  fängt  das  markiei’te  Zenlrum  (fines ,  durch  einen 
re(dil(“Lkigen  Dojipelwinkel  mit  der  Häugeblende  f('fil  verbundenen 
und  sieb  auf  dem  fixen  Fluoreszenzschirme  gleichzeitig  mit  der 
s(du’  labihm  Häugeblende  bewegenden  Hakens  auf,  so  (laß  dieser 
Haken  jedei’zeit  (hm  senkr('chfen  Strahl  angibt.  (Die  ausführ- 
licbe  l’ublikalion  (l(‘s  ,\i»parates  erfolgl  olmehin  (h'lnin'ichst.) 

Dr.  Bauzi  bemerkt,  daß  (fin  in  nudirfacher  Hinsicht  ähn¬ 
licher  Apjiai'al  seil  zirka  zw(fi  ,lahr(m  im  Rönigenlahoralorium 
der  Klinik  v,  E  i  s  (>  1  s  h  e  i' g  mit  gutem  Erfolg  in  Vfiu’wendung 
sh'ht.  Ders(‘lh(‘  isl  (fin  modifizierh'S  BUnnhmslaliv  nacli  Doktor 
Guilicmiuol  (von  dei’  Firma  Beiiiig(‘r,  Gebherl  N:  Schall 
gtfii(‘fert).  \ Or  dem  .Apparat  des  Ihn-rn  Voxlragcuden  hat  fhu’.  an 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


149 


der  Klinik  verwendete  voraus,  daß  die  Rühre  samt  Bieiide  durch 
eine  einfache  Vorriclitung  um  90*^  getlrelit  werden  kann,  so  daß 
.Vufnahnien  von  Patienten,  die  auf  dem  unten'  dem  Rahmenstativ 
befindlichen,  Tische, .liegen,,  in  einfacher  und  rascher  Weise  voi'- 
genomnien  werden  können.  Zur  Durehleuchtung  der  liegenden 
Jkitienten  von  unten,  sowie  zum  Operieren  unter  Röntgenlicht 
haben  wir  ebenfalls  einen  unter  dem  xVufnahmelisch  angebrachten 
Apparat  konstruiert,  der  die  Rowegung  der  Röhre  in  zwei  auf- 
einaiuler  senkrechten  Richtungen  ermöglicht. 

Dr.  Stein  erwidert  aut  die  Ausführungen  Freunds: 

Ad  1,  daß  tlie  Blende  exakt  iupiilibriert  ist  und  mit.  absoluter 
Leicht igkeif  in  der  Yertikalebene  sich  verstellen  läßt.  Die  hori¬ 
zontale  Beweglichkeit  geschieht  mittels  Febersetzung  ;'^weier  in 
90*’  gestellter,  gezahnter  Kegelräd('r  auf  eine  Scimeckenwindung 
mit  vierfacher  Geschwindigkeit  in  Bewegung  gesetzter  Zahnstange. 
Bei  einer  Umdrehung  des  Radhandgriffes  erfolgt  mit  Leichtig¬ 
keit  eine  seitliche  Verschiebung  der  Blende  Amn  10  cm.  Eine 
raschere  Verschiebbarkeit  de;'  Blende  ist  nicht  notwendig,  da 
wir  beim  Orthodiagraphieren  hauptsächlich  mit  dem  Breiten- 
durchmesBer  des  Herzens  reclmen  müssen,  was  ca.  15  cm  aus- 
macht.  Eine  raschere  Verschiebbarkeit  Avürde  feinere  Grenz- 
hestimmungen  beeinträchtigen. 

Der  vorwiegend  aus  Holz  gebaute  Ai)parat  hat  durch  mecha¬ 
nische  Schäden,  beim  Transport  und  bei  dem  während  desselben 
vorgekommeiien  enormen  TemperaturAvechsels  (eingepackl  in 
.\bbazia  bei  +15"  G,  transportiert  bei  — 20"  C)  natürlich  einige 
Einbuße  an  Exaktheit  erlitten  und  funktionierte  deshalb  bei  der 
Demonstration  nicht  in  normaler  Weise. 

Ad  2.  Was  die  von  Freund  vorgebrachte  —  übrigens 
in  der  radiologischen  'rechnik  seit  vielen  Jahren  bekannte  — ■ 
,Marki(*rung  des  senkrechten  Strahles  durch  den  konzentrischen 
Schatten  zweier  Stellringe  betrifft,  so  leidet  diese  Methode  an 
Exaktheit,  weil  soAvoh!  di(i  Abschätzung  der  Konzentration  der 
Schatten,  als  auch  die  Einstellung  iler  Schattengrenze  des  Ob¬ 
jektes  in  das  Zentrum  des  Doppelkreises  der  Subjektivität 
unterliegt,  während  die  Methode,  einen  direkt  sichtbaren 
Kreuzungsitunkl  zweier  Strahlen  mit  der  Schattengrenze  zur 
Deckung  zu  bringen,  absolut  exakt  und  objektiv  ist. 

Was  ferner  (len  Einwand  Freunds  betrifft,  daßidas  Ze)i trier¬ 
rohr  in  seinem  Lumen  veränderbar  gemacht  werden  müsse,  so  be¬ 
ruht  das  auf  einei'  völligen  Verkennung  des  Wesens  und  des 
ZAveckes  der  Orthodiagraphie.  Das  Zentrierrohr  tZentrierhleude)  hat 
bloß  den  Zweck,  den  senkrechten  Strahl  (die  OrlhoprojektioiO  zu 
fixieren  und  muß  einem  maximalen  Lichtkegel  den  Durchtritt 
gestatten,  der  das  volle  Beleuchtungsfeld  auszeichnet.  Letzteres 
kann  durch  die  üblichen,  jedem  Durchleuchtungsschirm  ja  ohne¬ 
hin  beigegebenen  Blenden  mit  variierbarem  Lumen  (Steckhlenden, 
Revolverblenden.  Winkelblenden  etc.)  nach  Bedarf  in  seimu'  Aus- 
(hdmung  geregelt  Averden. 

Völlig  unverständlich  ist  fei  lUM'  d(M'  Einwand  Fri'unds, 
,, meine  Methode  bedinge  das  mühselige  Umtauschen  und  Auf¬ 
setzen  neuer  Blendenrohre  bei  der  Untersuchung,  Hellmaclum 
des  Zimmers  etc.,  wenn  man  die  Orthodiagraphie  mit  der  Radio 
skopie  An'reinigen,  res]),  beide  alternieren  lassen  Avill“.  .leder 
fremde  Schatten  im  Gesichtsfeld,  ob  es  nun  der  Schatten  eines 
Doppelringes  oder  eines  Fadenkreuzes  ist,  Avirkt  bei  der  allge¬ 
meinen  Durchleucbtung,  Avelche  jeder  Orthodiagraidiie  voraus- 
g(' schic  kt  Averden  muß,  störend. 

Der  richtige  Gang  einer  ortliodiagrai)hischen  Untersuchung 
ist  vielmehr  folgender :  1.  0  r  i  e  n  t  i  (' r  e  n  d  e  Durchleuchtung, 
h(“i  der  die  Röhre,  wie  es  ja  ohnehin  von  größttmi  Nutzen  ist, 
schon  ('xakT  zentriert  sein  kann;  2.  o  r  t  h  o  d  i  a  g  r  a  ])  h  i  s  c  h  e  s 
Zeichnen  mit.  aufgesetzter  Zenti icrvorriclitung  (ältere  Methode 
von  xMoriz);  8.  o r  t  h  o  d  i  a  g  r  a  p  h  i  s c  h e  P h  o  t  o  g r  a  f) h  i  e  bei 
zentrierter  Röhre  und  entfeinter  Zeniriervorrichtung  (neuere  Me¬ 
thode  von  Immelmann  und  A  I  b  e  r  s  -  S  c  h  ö  n  b  e  r  g). 

Priv.-Doz,  Dr.  Freund  meint,  daß  seine  Art  zn  zentriiu'en 
besser  sei. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

S  i  t  z  u  n  g  V  o  m  8.  .1  a  n  u  a  r  1 907. 

Vorsitzender:  Hofrat  0  b  e  r  s  t  (' i  n  e  r. 

Schriftführer  :  Di'.  E.  B  a  i  m  a  n  n. 

Zum  ordentliclHm  MilgliiMh'  Avird  gmvähll  :  Dr.  T’oter 
Galasso.'  . 

D  e  m  o  11  strati  o  n  e  n  : 

1.  Hofrat  Prof.  V.  W  a  g  n  e  r  erimuM'l  daran,  daß  er  vor  einigen 
Monaten  einen  krelinischen  Hund  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
.\erzt('  vorslelltc'.  Dcrsi'lhe  stammte  aus  eiiuu' kridinischen  (;iegend, 
war  offenkundig  blödsinnig,  halle  |)lnm()en  Körperbau,  gedunsene 


Haut.  Die  Obduktion  ergab,  daß  die  Schilddrüse  nicht  vollkoimmm 
fehlte.  Prof.  Schlagen  häuf  er  fand  eigentümliche  histologische 
Verändoningen  der  Haut,  an  Hämatoxylin  -  Eosinpr.Jpar:iten 
zwischen  den  rotgefärbten  Zellgewebsbalken  ein  blau  sich  färben 
des  GeAvebc  von  der  Rcniklion  des  SchleimgeAvebesi 

Juli  1900  machte  v.  Wägner  wieder  einen  solchen  Hund 
ausfindig,  aus  kretiiiischer  Gegend  stammend,  hlörlsinnig,  mit 
plumpen,  gedrungenen  Pfoten,  kurzer  Schnauze,  viel  niedriger 
als  seine  VerAvandten.  Ein  exzidierles  Stück  Haut  ergab  den¬ 
selben  Befund,  Avie  beim  ersterwähnten  Hund.  v.  Wagner  he- 
handelh'  nun  das  zAveite  Tier  seit  September  mit  Schilddrüssm- 
tabletten,  steigend  von  ein  bis  drei  Stück.  Der  Hund  Avurde  viel 
mägerer,  änderte  unzAveideulig  sein  Temperament.  Vor  einigen 
Tagen  AVurde  an  einer  der  ersten  Exzision  symmetriseben  Stelle 
des  Halses  Avieder  ein  Stück  Haut  herausgeschnitten,  v.  Wagner 
vei'Aveist  auf  die  unter  dem  Mikroskop  eingestellten  Präparate, 
Avelche  die  offenkundige  Veränderung  der  Haut  nach  Einleitung 
der  Behandlung  zeigen:  das  blaugefärbte  GeAvebe  ist  fast  vdH- 
komnien  verschAvunden.  Damit  ist  Avohl  der  Schluß  zwingend, 
daß  es  sich  auch  im  ersten  Falle  um  eine  durch  den  Kretinismus 
bedingte  Hautveränderung,  also  Myxödem  gehandelt  habe. 

2.  Priv.-Doz.  Dr.  A.  Fuchs:  .Meine  Herren!  Das  15  Jahre 
alte  Mädchen,  Avelches  ich  Ihnen  hier  vorstelle,  ist  vor  genau 
zehn  Wochen  beim  Spielen  (es  Avollte  eine  Kameradin  fangen), 
durch  ein  Zimmer  gelaufen  und  ist  in  vollem  Laufe  gegen  eine 
Türschnalle  angerannt.  Wie  es  ei'zähll,  .schlug  es ,  sich  am  Auge 
an  u.  ZAV.  knap])  unter  dem  Supraorbitalrand  und  am  unteren 
Orbitalrand,  an  Avelcher  letzteren  Stelle  noch  eine  kleine  Narbe 
sichtbar  ist. 

Gleich  darauf  bestand  die  jetzt  sichlbaie  Ptosis.  Am  iVach- 
millag  —  zirka  zAvei  Stunden  später  —  erschien  es  auf  dei' 
Klinik  Schnabl,  avo  konstatiert  Avurch',  daß  der  Bulbus  und 
sein  Neiwenmuskelapparat  intakt  ist  und  nur  die  Ptosis  als  Folge 
der  Verletzung  bestehe.  Dieser  Zustand  hat  sich  seither  —  die 
Patientin  stand  in  Beobachtung  der  ophthalmologischen  Klinik 
—  gar  nicht  verändert. 

Es  besteht  links,  Avie  Sie  sehen,  eiiu'  hochgradige,  aber 
nicht  kom])lette  Ptosis,  es  ist  noch  c;i.  2  bis  2*  2  mm  Lidsp.'dle 
vorhanden.  BemerkensAvertei'Aveise  sind  die  Ouerfalten  am  g('- 
senkten  oberen  Augenlid  ganz  normal  erhallen. 

Die  BeAvegungen  des  Bulbus  sind  frei.  Die  Pu])iUe  links  ist 
momentan  etAvas  größei'  als  rechts  u.  zav.  deshalb,  Aveil  dem 
Kinde  vor  einigen  Stunden  ein<‘  8'Voige  Kokainlösung  eingeträufell 
Avurde,  aus  einem  gleich  zu  erAvälmenden  Grunde.  Sonst  ist 
die  linke  Pupille  eine  Spur  enger  als  die  rechte.  Es  ist  ja  selbst¬ 
verständlich,  daß  der  erste  Eindruck  für  die  Diagnose  der  ist, 
daß  es  sich  hier  um  eine  partielle  Okulomotoriuslähmuug  handelt. 
(Für  eine  Pseudoi)tosis  spastica  ist  gar  kein  Anhallspunkt  Aveder 
in  loco,  noch  allgemein  nacliAveisbar.)  Bei  iiäherfun  Eingehen 
stellen  sich  aber  der  Diagnose  einer  Ixevatorlähmung  Bedenken 
entgegen,  Avelche  vornehmlich  die  folgenden  sind:  1.  .\ußer  der 
Ptosis  Avar  und  ist  an  dem  Bulbus  al)soIut  nichts  Pathologisches 
nachAveisbai' ;  Avir  hätten  die  MerkAvürdigkeit  vor  uns,  (.laß  eiiu' 
absolut  isolierte  Levatorlähmung  bei  Einwirkung  einer  stumpfen 
GcAvalt  (in  der  Literatur  meines  Wiss('ns  nicht  hekaimt)  eait- 
standen  ist.  2.  Die  linke  Pupille  ist,  Avenn  auch  nur  um  ein 
geringes,  kleiner.  3.  Di('  oben  erAAuihnte  Kokaininstillation  AVurde 
im  Sinne  des  Versuches  von  H.  Jackson  aiigeAA'endel.  Sie  ei- 
gab  (du  vollkommen  unverändertes  Bild  der  Ptosis,  nur  die  Pu- 
])iIlcndi!alalion  Iral  auf.  4.  Mit  dem  Exophthalmomelej'  AVurde 
(Assistent  Dr.  Ixauher)  (dn  Enophthalmus  von  I*/2  mm  links 
koiislalierl.  5.  ZAvar  ist  di(*  Ptosis  eine  sehr  starke,  aber  doch 
keine  komplette*  und  am  ptotischen  Augeidid  sind  deutliche  Ouer- 
falten  ausgeprägt.  15.  Die  elektrische  Untersuchung  am  Txevator 
(all  und  für  sich  nalürlich  eine  mißliche  .Aufgabe)  ergab  gar  keim* 
Veränderung,  Avohl  aber  zeigte  sich  b(*im  Kontrollversuch  rechts, 
daß  die  Umgebutig  des  linkr'ii  ButbuS  und  die  KonjunktiAUi  der¬ 
selben  sich  h(*i  .\p])likation  des  eleklrisch(*n  Stromes  auffällig 
AUisomotorisch  g(*i'(dzter  zeigen.  Dies  alles  drängt  die  \  ermulung 
auf,  zu  Avelclud'  ich  auf  Grund  des  Befundes  gelange*,  ob  hier 
nicht  der  drille  N(*rA'  überhaupt  unheleiligt  und  das  ganze  eine 
Synijialhikusfilosis  sei?  Di(*  l)iff(*renlialdiagnos{*  ist  vorwiegend 
aus  })rognoslischen  Gründen  Avichlig. 

Diskussion:  Prof.  v.  l' r  a  ii  k  I  - 1 1  o  c  h  aa' a  r  t  hat.  bezüg¬ 
lich  der  Diagnosi*  ,,Sym))athikuslähmuiig“  d(*shalh  Bedenken,  AV(*il 
die*  Ptosis  zu  hochgradig  ist. 

Hofral  Prof.  v.  Wagner  machl  (lenselhen  l'aiiAvand  wi(*  dei' 
Vort'edn(*i'  und  h(*nü|zl  die  Gel(*genheit,  <*iu(*  Dalieiitin  vmrzu- 
slellen,  h(*i  welcher  and(*rnorts  AV(*gen  Ejiilepsi)*  u.  zav.  zu  1lu*ra- 
peulischeii  Zw(*ck(*ii  h(*id(*rseits  der  Sym]ialliikus  durchschnilten 
und  ein  Stück  d('s  G r(‘nz.sl rang(*s  reseziert  AVurde*.  v.  Wagner 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  5 


l.')0 


weiß  alleidings  nicht,  inwieweit  die  Operation  gelungen  ist,  jeden¬ 
falls  ist  die  Ptosis  ganz  minimal,  die  Verengerung  der  Lidspalte 
so  geringfügig,  daß  man  sie  manigels  einer  Vergleichung  mit 
einer  gesunden  Seih'  kaum  bemerkt.  IMaii  sieht  selten  ganz  frische 
I'kllle  von  Symj)athikuslähmung ;  v.  Wagner  erinnert  sich  aber, 
einer  Halsoiieration  an  der  (diirurgischen  Klinik  angewohnt  zu 
haben,  nach  welcher  man  die  Vasoparalyse  auf  der  gelähmten  Seite 
sehr  schön  sah;  die  Verengerung  der  Lidspalte  war  aber  auch  nicht 
hochgradig,  v.  Wagner  möchte  also  doch:  gewisse  Itedenken 
äußern  gegen  die  von  Fuchs  gestellte  Diagnose  und  fragen,  ob 
nicht  eine  isolierte  Lähmung  des  Levator  vorliegt. 

Prof.  Schlesinger  fragt,  ob  nicdit  eine  Blutung  in  doi 
Muskel  voiliege,  die  diesen  furdctionsunfähig  maclie.  Es  müsse 
keine  Neivenlähmnng  sein.  Eine  so  hochgradige  Ptosis  könne 
keim'  Synipathikus])tosis  sein. 

Ih'of.  Pedlich  denkt  ehenfalls  an  einen  rein  muskulären 
Prozeß.  Degen  die  von  Fuchs  gestellte  Diagnose  äußert  er 
noch  ('in  Bedenken.  Warum  sei  die  vorhandene  Ptosis  durch 
den  als  intakt  angenommenen  Levator  nicht  zu  beheben? 

Prof.  W  in  t  e  r  s  t  e  i  n  e  r :  Es  sind  Sympathikussymptorae  da, 
aber  eine  Tvähmung  desselben  allein  kann  das  Bild  nicht  hervor¬ 
bringen  ;  es  fehlt  die  Levatorwirkung.  Wintersteiner  denkt 
an  eine  myogene  Lähmung. 

Priv.-Doz.  Dr.  Sachs  ko]istati('rt  Einigkeit  darüber,  daß 
das  eine  Sympathikuslähmung  allein  nicht  sein  kann.  Sachs 
fällt  eine  leichte  Fältelung  des  Oberlides  auf.  Dieselbe  kann  zurück¬ 
geblieben  sein  nach  Dehnung  durch  ein  vorausgegangenes  Häma¬ 
tom  oder  es  ist  ein  leichter  Sphinkterkrami)f.  Nun  ist  cs  nicht 
möglich,  den  Levator  und  seinen  Antagonisten  gleichzeitig  zu 
innorvieri'u.  Kinder  z.  R.  mit  Lichtsclieu  versuchen  das  ge- 
scddossene  Lid  durch  den  Frontalis  zu  heben.  Hier  sieht  maji  im 
Oegenteil  gar  keine  Neiguirg,  das  Auge  zu  öffnen,  vielmehr  das 
ges(ddossene  Auge  noch  mehr  zu  schließen  durch  den  Sphincter 
orbicularis.  Das  wiu‘do  für  Hysterie  sprechen.  Aus  dem  Enoph- 
thalmus  sei  gar  nichts  zu  folgern,  derselbe  finde  sich  ungemein 
häufig  nacli  stumpfen  Traumen. 

Priv.-Doz.  Dr.  Fuchs:  Zunächst  erlaube  ich  mir,  da  sämt- 
licdie  Herren  Diskussionsteilnehmer  für  die  Diagnose  der  Levator¬ 
lähmung  sich  aussprachen,  nochmals  herv'orzuheben,  daß  ich  den 
Fall  zur  Illustration  der  Schwierigkeiten  der  Differentialdiagnose 
der  Levator-  und  Sympathikusptosis  und  nicht  etwa  als  einen 
klaren  Fall  von  Sympathikuslähmung  vorstelltc. 

Hofr.  V.  Wagners  interessanten  Fall  betreffend,  fand  ich 
anläßlich  des  Studiums  der  Literatur  über  meinen  Fall,  daß 
die  Auloren  (Wil  brand,  Sänger,  Oppenheim)  übereinstim¬ 
mend  darauf  aufmerksam  machen,  daß  die  okulopupillären  Sym¬ 
ptome  nach  Resektion  des  Sympathikus  am  Halse  auffallend  zu¬ 
rückgehen. 

Was  die  Annahme  der  Blutung  und  Zerreißung  der  Levalor- 
endigungen  betrifft,  so  erwähne  ich,  daß  die  Infusionserscheinun¬ 
gen  am  Lide  nach  dem  Trauma  relativ  geringe  waren  (Prof.  Sc  tile- 
singer).  Es  scheint  mir  ferner  (Prof.  Redlich),  daß  allerdings 
l)ei  Anspannung  des  Frontalis  doch  eine  gewisse  Levatorwirkung 
hier  zustande  kommt.  Für  eine  hysterische  Affektion  (Privatdozent 
Sachs)  konnte  ich  niclits  auffinden.  Gewisse  Mischformen  der 
Ptosis  werden  bei  W  i  1 1)  r  a  n  d  -  S  ä  n  ge  r  angeführt.  Schließlich 
möchte  ich  noch  speziell  Prof.  W  i n  ter  s  t e i ne  r  und  Privat¬ 
dozenten  Sachs  auf  den  Ausfall  des  Kokainversuches  hin  auf¬ 
merksam  machen  und  fragen,  ol)  sie  ihrer  Erfahrung  nach  diesem 
diffeia'iitialdiagnostisclien  Versuche  eine  Redeutung  zuerkennen; 
für  den  Neurologen  wäre  die  Ansicht  der  Ophthalmologen  hier- 
üh('r  recht  wichtig.  Die  Ansicht,  daß  der  Grad  der  Ptosis  in  dem 
d('monstrierten  Falle  den  gewöhnlichen  Grad  der  Sympathikus^ 
ptosis  überschreitet,  habe  ich  gleich  eingangs  ehenfalls  zum  Aus¬ 
druck  gebracht,  glaube  aber,  daß  dies  kein  absoluter  Eiuwand  gegen 
di('  Diagnose  der  Sympathikusptosis  sein  kann,  wenn  anderseits 
so  viele  .Momente  für  di('se  sprechen. 

Priv.-Doz.  Dr.  Sachs  bezweifelt,  daß  Irei  vollständiger  Sym- 
pathikuslähmung  Kokain  irgend  etwas  macht. 

Priv.-Doz.  Dr.  Hirse  hl  ersucht  Fuchs,  den  Kalt  in  der 
nächsten  Sitzung  wi('d('r  vorzustellen. 

8.  Dr.  Egon  Frif's  stellt  zwei  Fälle  von  Epilepsie  mit 
Tetanie  aus  d('r  psychialrisclH'ii  Klinik  Hofrat  l*rof.  v.  Wagnei'- 
Jauregg  vor. 

1.  J.  V.,  -ITjähiiger  Musterzeichner;  als  Kind  schweres 
Schädeltrauma.  Seit  dem  20.  Lf'bensjatir  typische  epileptisclie 
.Xrifäth',  anfangs  in  Zwischenräumen  von  drei  his  vier  IMonatcn,  in 
d('n  l('lzt('n  .lahri'n  melirmals  gehäufte  Anfälle  bis  zu  acht  in 
einem  'l'agi*.  Im  Frülijahr  190Ö  Aufenthalt  in  der  Klinik  wegen 
eiiK'S  postei)ileptisclu*n  V'erwirrlheitzuslaiub's.  Bald  darauf  Klagen 
über  I’aräslliesien,  Sclmierzi'ii  und  zeitweise  aufirelendc'  Krämpfe 


in  den  Händen.  Seit  drei  Jahren  psychisch  verändert.  In  der 
Klinik  wurden  mehrere  epileptische  Anfälle  und  typische  Tetanie¬ 
krämpfe  beobachtet,  ln  der  anfallsfreien  Zeit  dauernde  Pfötchen¬ 
stellung.  Chvostek  angedeutet.  Die  mechanische  Erregbarkeit  der 
Nerven,  insbesondere  vom  Erbschen  Punkte  aus,  bedeutend  er¬ 
höht.  T  r  o  u  s  s  e  a  u  sches  Phänomen  an  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten.  Elektrische  Erregbarkeit  im  allgemeinen  nicht  er¬ 
höht,  hingegen  tritt  bei  relativ  geringer  Stromstärke  schon 
A.  S.  Te.  und  A.  ().  Te.  auf.  Schilddrüse  normal. 

2.  K.  H.,  30  Jahre  alt,  Frau  eines  Platzmeisters.  Erster 
epileptischer  Anfall  vor  drei  Jahren  in  der  Laktation,  sechs  Monate 
nach  einer  normalen  Gravidität  und  Geburt.  Zweiter  Anfall  nach 
iVr jähriger,  dritter  Anfall  nach  weiterer  halbjähriger  Pause.  Seit 
Herbst  alle  sechs  bis  acht  Wochen  ein  Anfall,  seit  24.  Dezember 
gehäufte  Anfälle.  Seit  Eintritt  der  Anfälle  schwachsinnig,  in  der 
letzten  Zeit  verwirrt.  Gleichzeitig  mit  dem  ersten  Anfall  Auf¬ 
treten  von  laryngospastischen  Krämpfen  von  einer  bis  zehn  Mi¬ 
nuten  Dauer  und  leichten  Krämpfen  in  den  Händen,  ln  der  aller¬ 
letzten  Zeit  Abnahme  des  Sehvermögens.  Ein  Bruder  infolge  eines 
epileptischen  Anfalles  gestorben.  Katarakt  der  hinteren  Linsen¬ 
rinde.  Schilddrüse  nicht  tastbar.  Dauernde  Neigung  zur  Pfötchen¬ 
stellung.  Status  nervosus  wie  beim  ersten  Fall. 

Kurze  Erörterung  des  möglichen  Zusammenhanges  beider 
Krankheiten  mit  Bezug  auf  den  zweiten  Fall. 

Diskussion:  Prof.  v.  F  r  a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  L  sieht  eben¬ 
falls  in  den  epileptischen  Anfällen  ein  Telaniesymptom  —  eine 
lde(',  die  er  bereits  1891  ausgesprochen  hat.  hinter  zehn  seiner 
Fälle,  welche  die  Kombination  aufweisen,  hatten  vier  die  Epilepsie 
schon  vorher  gehabt,  sind  also  nicht  beweiskräftig.  Hingegen 
haben  dreimal  die  Zuständb  ungefähr  gleichzeitig  eingesetzt,  drei- 
pial  traten  die  IMorbus  sacer- Anfälle  später  zur  Tetanie. 

4.  Dr.  R.  Nepalleck  stellt  aus  der  Klinik  v.  Wagner 
einen  Patienten  vor,  der  das  Krankheitsbild  einer  ,, zentralen 
Typose  mit  kurzen  Anfällen“  (Kirn)  bietet. 

Isidor  F.,  58  Jahre  alt,  verheirateter  Taglöhner;  Vater  an 
Apoplexie  gestorben,  Jugendanamnese  belanglos,  von  Fraisen 
nichts  bekannt.  Im  Alter  von  20  Jahren  Sturz  bei  einer  Berg¬ 
partie  mit  nachfolgender  Bewußtlosigkeit.  Vom  Militärdienst  wegen 
Blähhalses  superarbitriert,  seither  angeblich  stets  gesund;  Polus 
und  Lues  negiert.  Ueber  sein  psychisches  Verhalten  wird  be¬ 
richtet,  daß  Pat.  allmonatlich,  angeblich  zusammenireffend  mit 
dem  Auf  nehmen  des  Alondes,  in  einen  ungefähr  zwei  Tage  wäh¬ 
renden  Zustand  von  Reizbarkeit  und  Streitsucht  geriet;  hierauf 
reuevolle  Einsicht  und  in  der  Zwischenzeit  friedfertiges,  ver¬ 
trägliches  Verhalten. 

ln  der  zweiten  Hälfte  November  des  Jahres  1905  verfällt 
Pat.  in  eine  traurige,  weinerliche  Stimmung,  die  er  mit  Kränkung 
über  den  Verlust  seines  Sohnes  motiviert  (ein  im  Ausland  lebender 
Sohn  des  Patienteiv  ist  seit  Frühjahr  1905  vei'schollen !).  Nach 
wenigen  Tagen  Ausbruch  von  ,,Tol)sucht“  und  am  23.  November 
wird  Pat.  auf  die  Klinik  gebracht.  Daselbst  lebhafteste  Erregung, 
Rede-  und  Bewegungsdrang;  er  wiederholte  immer  dieselben  Rede¬ 
wendungen,  wie:  „Entschuldigen  Sie,  ich  habe  die  Ehre“;  er  ver¬ 
langt  zum  Kaiser,  will  das  goldene  Verdienstkreuz,  klatscht  in 
die  Hände  und  schlägt  mit  d('r  Hand  unzählige  Alale  auf  die 
Brust.  Dabei  anfangs  ziemlich  gute  Orientierung  hinsichtlich!  der 
Personen  seiner  Umgebung.  Einfache  Auffordemngen  werden  be¬ 
folgt,  die  Beantwortung  von  Fragen  abgelehnt  mit  den  Worten: 
,,Das  ist  Privatsache.“  In  den  nächsten  Tagen  Steigerung  der 
Erlegung;  es  gelingt  kaum  mehr,  mit  dem  Patienten  in  Rapport 
zu  kommen.  Schlaflos.  Am  27.  November  durchschläft  Patient 
die  Nacht ;  in  den  folgenden  Tagen  ist  er  ruhig,  anfangs  noch 
leicht  verworren,  Ermüdung  beim  Examen.  Er  bestätigt  die  Ver¬ 
wirrtheit,  erinnert  sich  zunächst  nicht  an  seine  Halluzinationen. 
Am  7.  Dezember  vollkommen  klar,  berichtet  über  die  vergangenen, 
massenhaften  Sinnestäuschungen  (Feuer,  Kanonenschießen, 
Glockenläuten  ('tc.)  und  Delirien  (Schwimmen  durch  große  AVasser- 
flächen.  Fliegen  durch  weite  Räume  etc.).  Am  16.  Dezember  1905 
geheilt  entlassen. 

Am  14.  Dezember  1906,  also  genau  ein  Jahr  später,  aber¬ 
malige  Aufnahme,  ln  der  Zwischenzeit  vollkommen  gesund,  auch 
die  früher  regelmäßig  monatlich  auftrelenden  .Aufregungszuständb 
sind  seit  der  Entlassung  ausgeblieben.  A'or  der  zweiten  Auf¬ 
nahme  durch  wenige  Tage  melancholische  Stimmung,  abermals 
motiviert  mit  der  Kränkung  wegen  des  verschollenen  Sohnes; 
plötzlich  —  am  14.  Dczernlx'r  —  Ausbruch  von  ,,T(jbsucht“. 
Bei  der  Aufnahnu'  das  gleiche  AVrlialten  wie  im  ersten  Anfall, 
h'bhaftest('r  Rede-  und  Bewegungsdrang,  Klel)en  an  dens('ll)eji 
R('d('nsarten,  die  unzählige  Alale  wi('derholt  und  variiert  W('rden  : 
,,lch  habe  die  Ehre  ....  Ehre  sei  Gott  in  der  Höhe  .  .  .  Seine 
Alaj('släl  luatichl  sich  nicht  zu  fürchten  .  .  .“  Er  äiißorl  häufig 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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Furcht  vor  (k'iu  Krschk'lk'ii,  will  zum  Kaiser,  verlaiigl  das  goldene 
Verdienstkreuz.  Personen  tier  Pmgcbung  (Aerzte,  Wärter)  werdeji 
erkannt  und  mit  Namen  genannt,  Fragen  mit  der  oft  wiederhüllen 
Phrase:  ,,l)as  ist  privat“,  heaiitwortel.  Dabei  Klatschen  in  die 
Hände  und  au(  die  Brust.  Am  17.  Dezember  nimmt  die  Ver¬ 
wirrtheit  einen  ideenflüchtigen  Charakter  an.  ln  den  folgenden 
Tagen  werden  die  motorischen  Entladungen  weniger  intensiv,  die 
Bewulitseinstrübung  jedoch  erscheint  liefei';  Pat.  erkennt  nieman¬ 
den,  ist  kaum  mein'  zu  fixieren. 

Am  31.  Dezember  ist  Pat.  nach  durchschlafener  Nacht  jadiig, 
geordnel,  ziemlich  gut  orientiert,  weih,  daß  er  verwirrt  war,  gibt, 
über  den  Inhalt  des  Deliriums  befragt,  ausweichende  Antworten; 
bei  eingehenderem  Examen  wird  er  widerspenstig  und  reizbar. 
Dieser  Zustand  hält  bis  zum  Tage  der  Demonstration  an. 

Diese  beiden  durch  ein  einjähriges  Intervall  getrennten  An¬ 
fälle  gleichen  sich  vollständig,  sowohl  in  ihrem  Beginne,  als  auch 
in  ihrem  weiteren  Verlaufe,  selbst  in  den  sprachlichen  Aeußerungen 
des  Patienten  und  in  der  Form  der  motorischen  Entladungen, 
bieten  also  das  Merkmal  der  photographischen  Treue  in  vier 
schönsten  Ausprägung;  es  besteht  nur  der  Unterschied,  daß  der 
gegenwärtige  Anfall  in  allen  seinen  Phasen  länger  dauert  als  der 
Anfall  vom  Jahre  1905. 

Was  die  auffallende  Erscheinung  betrifft,  daß  Pat.  seit  dem 
ersten  Anfall  durch  ein  Jahr  von  den  sonst  allmonatlich  auf¬ 
tretenden  Aufregungszuständen  freiblieb,  so  verweist  Vortragender 
auf  die  Aufstellung  Kinns,  daß  die  zentrale  Typose  nach  einer 
Serie  von  einander  gleichen  Anfällen  ihren  Typus  ändern  kann, 
wobei  aber  die  Gesetzmäßigkeit  dadurch  gewahrt  bleibt,  „daß 
sowohl  die  einzelnen  Stadien  ihre  gegenseitige  Proportion  be¬ 
wahren,  als  auch  die  Dauer  des  Anfalles  und  des  Intervalles  im 
gleichen  relativen  Längeverhältnis  beharren“. 

Wenn  man  die  monatlichen  Aufregungszustände  als  Anfälle 
von  kleinsten  Dimensionen  auffaßt,  so  könnte  man  den  ganzen 
Krankheitsfall  als  eine  seit  vielen  Jahren  bestehende  zentrale: 
Typose  bezeichnen,  die  sich  durch  eine  Reihe  von  Jahren  nur  in 
Anfällen  von  ganz  geringer  Intensität  und  Dauer  mit  kurzen, 
monatlichen  Intervallen  geäußert  und  im  Jahre  1905  ihren  Typus 
geändert  hat  in  dem  Sinne,  daß  die  ilnfälle  an  Intensität  und 
Dauer  Zunahmen  unter  gleichzeitiger  Verlängerung  des  freien 
Intervalles  auf  ein  Jahr. 

Diskussion:  Dr.  Poetzl  bemerkt,  daß  der  vorliegende 
Fall  geeignet  sei,  die  Frage  über  das  Wesen  der  Periodizität,  über 
periodische  Psychosen  im  allgemeinen  wieder  aufzuwerfen.  Die 
Hitzigsche  Definition  der  periodischen  Psychose  bedürfe  viel¬ 
leicht  in  mancher  Beziehung  einer  Ergänzung  und  Erläuterung, 
besonders  angesichts  der  vielen  Uebergangsformen  zwischen  perio¬ 
dischem  und  rezidivierendem  Irresein.  Der  gegenwärtige  Fall,  tat¬ 
sächlich  ein  typisches  Beispiel  für  eine  zentrale  Typose,  biete  nur 
in  Einzelheiten  des  Krankheitsverlaufes  eklatante  Beispiele  von 
photographischer  Treue  beider  Anfälle;  der  Gesamtverlauf  des 
zweiten  Anfalles  unterscheide  sich  von  dem  Verlaufe  der  ersten 
Erkrankung  durch  längere  Dauer  und  Art  der  Lösung,  die  mehr 
allmählich  erfolgte. 

•  Redner  meint,  daß  vieles  von  dem,  was  photographische 
Treue  genannt  werde,  nicht  aus  der  Pathologie  und  Klinik  allein, 
sondern  aus  rein  psychologischen  Problemen  heraus  erklärt  wer¬ 
den  müsse. 

Priv.-Doz.  Dr.  Pilcz  bemerkt,  daß,  er  schon  in  der  Vorrede 
zu  seiner  Monographie  über  periodische  Psychosen  die  Einwändo 
Kräpelins  gegen  die  Aufstellung  einer  eigenen  Krankheitsgruppe 
,, periodische  Psychosen“  vollinhaltlich  anerkannte.  Es  gibt  ebeji 
zahllose  fließende  Uebergänge  zwischen  rezidivierenden  und  perio¬ 
dischen  Typen,  aber  eine  haarscharfe  Rubrizierung,  welche  allen 
Fällen  gerecht  würde,  gibt  es  nicht.  Immerhin  aber  lassen  sich 
im  Rahmen  des  manisch-depressiven  Irreseins  viele  Fälle  heraus¬ 
greifen,  welche  dem  Typus  der  sogenannten  „periodischen  Formen“ 
im  Sinne  der  Alten  (speziell  ,, Folie  circulaire“  ßaillargei'- 
F  a  1  r  e  t)  entsprechen. 

Was  die  Frage  des  Ausganges  in  einen  intellektuellen 
Schwächezustand  anbelangt,  so  ist  es  ja  bekannt,  daß  die  günstige 
Prognose  quoad  intellectum,  wie  sie  von  einigen  Autoren  gerade 
den  ,, periodischen“  Formen,  bzw.  dom  manisch-depressiven  Irre¬ 
sein  zugesprochen  wird,  durchaus  nicht  für  alle  Fälle  zutrifft. 
Schon  Kräpelin  machte  auf  Formen  ,, periodischer  Manie“  auf¬ 
merksam,  die  verblöden,  und  Redner  hat  diese  üble  Prognose 
betreffs  Demenz  speziell  l)ei  den  Periodikern  mit  ,, Hirnnarben“ 
seinerzeit  betont. 

Prof.  Redlich:  Die  Beschreibung  Kräi)elins  vom  ma¬ 
nisch-depressiven  Irresein  stimmt  so  wenig  mit  dem  Bilde  der 
früher  bekannten  periodischen  Psychosen.  Redlich  unterecheidet 
Fälle,  die  dem  alten  Typus  vollkommen  entsprechen,  andere, 


die  sich  nur  mit  großem  Zwang  ein  reihen  lassen.  Speziell  in  dim 
letzten  Jahren  sah  er  Fälle,  wo  die  Psychosen,  :\lanien  odm- 
Melancholien  ungemein  kurz  damulen,  rasch  aufeinanderfolgten, 
dann  aber  etwas  ganz  anderes  anschloß.  Die  Frage,  wie  sich  die 
periodischen  Psychosen  im  älteren  Sinne  klinisch  und  pathologisch- 
anatomisch  zum  manisch-depressiven  Irresein  Kräpelins  ver¬ 
halten,  sei  wichtig  genug,  um  sie  einmal  sej)arat  zu  erledigen. 

Dr.  Stransky:  Wenn  man  diiich  längere  Zeitabsclmitt{! 
hindurch  den  Krankheits  verlauf,  resp.  die  K  r  am  k  h  e  i  t  s  g  (e 
schichten  der  sogenannten  Periodiker  studiert,  konunt  man 
allerdings  zu  dem  Resultat,  daß  viele  Fälle,  deren  Anfälle  längere 
Zeit  den  für  die  Diagnose  ,, periodisches  Irresein“  gesellten  An¬ 
forderungen  zu  genügen  scheinen,  früher  oder  später  doch  ihren 
Typus  verwischen  oder  schon  in  der  Anamnese  nicht  ganz 
stimmen  und  ;sich  in  das  manisch-depressive  Irresein  der  Kräpe- 
linschen  Schule  auflösen,  dessen  genauere  Abgrenzung  und  Ein¬ 
teilung  natürlich  noch  des  Studiums  bedarf;  denn  gewiß  ist  es 
nicht  etwa  so,  daß  alle  Fälle  sogenannten  periodischen  Irreseins 
in  den  Rahmen  des  manisch-depressiven  Irreseins  hineinpassen. 
Um  nur  einiges  herauszugreifen,  glaubt  Redner  z.  B.,  daß  es 
nicht  gut  möglich  .sein  wird,  auch  die  periodisch,  resp.  rezidivierend 
auftretenden  Amentiafälle  schlechthin  unter  das  manisch-depres¬ 
sive  Irresein  zu  subsumieren,  wie  dies  mehrfach  geschieht; 
solche  Fälle  ähneln  ja  manchmal  ihrem  Aspekt  nach  den  so¬ 
genannten  Mischzuständen;  aber  man  darf  sie  doch  auch  nicht 
damit  zusammenwerfen.  Ein  weiterer  Umstand  ist  z.  B.  die  Ab¬ 
grenzungsfrage  gegenüber  der  Epilepsie.  Gerade  Fälle,  wie 
der  Vortragende  einen  vorstellte,  sind  bekanntlich  in  ihren  Be¬ 
ziehungen  zur  psychischen  Epilepsie  schon  in  früheren  Zeiten 
gewürdigt  worden.  Auch  diese  Beziehungen,  resp.  Grenzschwierig¬ 
keiten  sind  noch  nicht  ganz  geklärt.  Redner  erinnert  an  die  in 
.letzter  Zeit  namentlich  von  Aschaffenburg  studierten  periodi¬ 
schen  Verstimmungen  der  Epileptiker,  die  gewiß  die  differential- 
diagnostischen  Schwierigkeiten  erhöhen  können,  wenn  konvulsive 
Anfälle  oder  ausgesprochenere  epileptische  Delirien  fehlen.  Auch 
in  dem  vom  Vortragenden  demonstrierten  Falle  haben  ja,  wie 
wir  hörten,  längere  Zeit  bloß  passagere  Verstimmungszustände 
präludiert.  Solche  Beispiele  —  sie  lassen  sich  natürlich  im  Rahmen 
einer  kurzen  Diskussion  weder  erschöpfen,  noch  gründlich  er¬ 
örtern  —  zeigen  gewiß  nur,  daß  der  Begriff  des  periodischen  Irre¬ 
seins  einer  Revision  bedarf,  daß  aber  nicht  minder  das  manisch- 
depressive  Irresein  der  Kräpelinschen  Schule  noch  nicht  als 
abgeschlossene  klinische  Einheit  aufzufassen  ist  und  auch  in 
diesem  Sinne  noch  nicht  aufgefaßt  wird. 

Priv.-Doz.  Dr.  E.  Rainiann  möchte  zum  vorgestellten  Falle 
zurückkehren.  Hier  sei  die  gegenwärtig  schon  so  nngebräuchliche 
Bezeichnimg  als  zentrale  Typose  vollauf  berechtigt,  da  sich  einer¬ 
seits  alle  Kriterien  der  sogenannten  periodischen  Psychosen  finden, 
während  der  Fall  anderseits  unzweifelhaft  der  Epilepsie  zuzu¬ 
rechnen  isl.  Wenngleich  konvulsive  Elemente  und  spezifisch  epi¬ 
leptische  Antezedenzien  fehlen,  so  daßj  man  Aequivalente  einer 
senilen  Epilepsie  diagnostizieren  muß,  dürften  für  die  von  Rai- 
mann  gestellte  Diagnose  zur  Begründung  wohl  ausreichen:  Anal¬ 
gesie  während  der  vollen  Entwicklung  der  Psychose,  zum  Teil 
vielleicht  mit  der  Bewußtseinstörung  zusammenhängend,  der  Vor¬ 
stellungsinhalt  monoton,  eingeengt,  lebhafte  und  schreckhafte  De¬ 
lirien  mit  Sinnestäuschungen,  Gott-  und  Majestätsnomenklatur, 
Perseveration  und  unverkennbare  Aphasie.  Fälle  wie  der  vorge¬ 
stellte  sind  nicht  gar  häufig  und  so  gelingt  es  in  analogen  Fällen 
meist,  dieselben  entweder  mit  der  bequemen  Etikette  ,, periodische 
Psychose“  oder  als  Epilepsie  ins  Schema  einzureihen ;  es  besteht 
für  den  Kliniker  von  heute  kaum  eine  NotAvendigkeit,  auf  den 
alten  Kirnschen  Ausdruck  zurückzugreifen. 

Dr.  Pilcz  möchte  sich  in  der  Auffassung  des  Falles  Rai- 
mann  anschließen  und  erinnert  daran,  daß  er  einmal  in  einem 
Vor  Hag  (in  diesem  Vereine)  die  vielfachen  Beziehungen  zwischen 
periodischen  Geistesstörungen  und  epileptische]i  Psychosen  her¬ 
vorgehoben.  Speziell  die  zentralen  Typosen  mit  kurzen  Anfällen 
(Kirn),  die  periodisch  deliranlen  VerAvorrenheitszustände  können 
von  den  Anfällen  psychischer  Epilepsie  (Epilepsia  larvata)  nicht 
unterschieden  werden. 

Dr.  Poetzl  schließt  sich  in  der  Aulfassung  des  Falles 
Rainiann  vollkommen  an  und  bemerkt,  daß;  da  tatsächlich 
die  Fälle  von  zentraler  Typose  A^ermöge  ihrer  Symptome  und 
ihres  Verlaufes  gerade  die  Mitte  hielten  zAvischen  epileptischen 
und  periodischen  Geistesstörungen,  ihre  beste  Benennung  aller¬ 
dings  das  Wort  Typose  sei,  Avährend  die  Einreihung  in  eine  der 
genannten  Krankheitsgruppen  vorläufig  Gcschmacksache  bleibe. 

Was  die  Frage  der  periodischen  Psychosen  betreffe,  so  könne 
er  in  der  Aufstellung  des  manisch-depressiven  Irreseins  von 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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\:)2 


Ki'ä|M'lin  keine  Lösung  der  J’’i-,ige  eil)licken.  Ls  luuidle  sicli 
iliin  mehr  um  das  Weseii  der  l’cniodiziläl  als  um  die*  Hcmennnng. 

Pjiv.-Doz.  IJr.  Raimann  konstatiert  seine  volle  IJebereiu- 
slimnmng  mil  den  von  ])r.  J’oetzl  vorgebi’achten  Sätzen.  Wenn 
man  eine  Krankheitseinheit  ,, periodische  Psychosen“  aufslelll,  so 
gehl  es  nicht  an,  daß  ein  Fall,  der  alle  Charakteristika  der  (iruppe 
Irägt,  gleichzeitig  der  Elpilepsie  angehört.  Eine  Revision  der  E'rage 
der  ,, periodischen  Psycdiosen“  wird  nicht  längej'  zu  umgehen  sein. 

Priv.-Doz.  Dr.  Hirse  hl:  hdi  bin  erstaimt,  daß:  die  Existenz 
.jener  i)eriodische)i  Psychosen,  insbesondere  der  zirkularen  Form, 
denen  man  photograplnsche  Treue  und  gleichlange  I)an(U'  der  /u- 
standsbilder  als  besonders  eigentümlich  nachgf'rühmt  hal,  gegen¬ 
wärtig  geradezu  in  xVbrede  gestellt  wird.  Ich  kemne  solche  Fälle 
in  größenu'  xVnzahl  und  die  allen  Psychiater,  die  ganz  Kul  be- 
obachlen  koniden,  beschreiben  eine  große  Anzahl  derartiger  lle- 
ol)achlungen.  Sollten  aber  die  neuerkrankten  Periodiker  niemals 
mehr  die  gleichlangen  Perioden  oder  die  photographische  'Freue 
der  Zustandsbitder  zeigen,  dann  muß  eine  Veränderung  der  perio- 
ilischen  Psychosen  in  den  letzten  Dezennien  angenommen  werden; 
Mendel  nimmt  ja  auch  an,  daß  die  progressive  Paralyse,  die 
früher  meist  die  klassisch-manische  F’orm  zeigte,  in  den  letzten 
Dezennien  in  überwiegender  Anzahl  als  demeTite  Form  auftriil, 
also  ihr  klinisches  Rild  verändert  hat. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

(Sitzung  am  5.  Dezember  1906.) 

Vorsitzender:  Riehl. 

Schriftführer  :  B  r  a  n  d  w  e  i  n  e  r. 

Urpani  demonstriert  zwei  extragenitale  Primäraffekte. 

E  h  r  m  a  n  n  demonstriert:  1.  Einen  Fall  von  Psoriasis] 
plantaris  syphilitica. 

2.  Einen  Fall  von  radiär  gestellten  Nurben  am 
?d  u  n  d  w  i  n  k  e  1. 

Riehl  bemerkt,  daß  die  radiär  von  der  Mundöffnung 
ausstrahlenden  Narbenzüge  zur  Diagnose  Lues  congenita 
durchaus  nicht  berechtigen.  Der  alte  Grundsatz  ,,aus  Residuen, 
resp.  sekundären  Erscheinungen  allein  darf  keine  Diagnose  ge¬ 
stellt  werden“,  ist  auch  hier  ganz  berechtigt.  Genau  solche  Narben 
sieht  man  nach  chronischen  Lippenekzemen  gar  nicht  selten 
entstehen. 

E  h  r  m  a  n  n  betont,  daß  diese  Narben  in  zarter  Haut  typisch 
seien,  während  nach  Ekzem  eine  faltige,  matsche  Haut  auftritt. 
Wahrscheinlich  setzt  auch  nicht  das  luetische  Infiltrat,  sondern  : 
das  begleitende  Ekzem  die  Narben. 

3.  Einen  Fall  von  Eccema  chronicum. 

Weidenfeld:  Es  besteht  doch  ein  strikter  Unterschied 
zwischen  Lichen  chronicus  simplex  und  zwischen  chronischem 
Ekzem.  Bei  letzterem  ist  die  Haut  wesentlich  verdickt.  Auffällig 
ist  in  diesem  Falle  die  Pigmentation,  so  daß  es  fraglich  ist,  ob 
nicht  Gebrauch  von  Arsen  stattgefunden  hat.  Er  hält  die  Affektion 
für  Lichen  simplex  Vidal,  kann  aber  Lichen  ruber  planus  nicht 
ausschließen. 

Ullmann:  Unter  den  zahlreichen  Fällen  chronischer  Ek¬ 
zeme,  die  ich  hei  H.  v.  H  e  b  r  a  gesehen  habe,  wurden  von 
ihm  mehrere  als  mykotische  angesehen.  Speziell  die  in  den 
Knie-  und  Ellbogenbeugen  lokalisierten  chronischen,  bald  mit 
Nässen,  bald  mit  diffuser  Hautverdickung  einhergehenden  Ekzeme  / 
hob  er,  wie  bekannt,  klinisch  als  Mycosis  flexurarum  heraus  und 
beschrieb  sie  in  eigener  Publikation.  Er  erwähnte  oft  Fälle  seiner 
Praxis,  bei  denen  z.  B.  durch  Verschränken  der  Arme  über  dem 
ekzematösen  Gesichte  im  Schlafe  oder  sonstigen  öfteren  Kontakt 
höchstwahrscheinlich  die  nässenden  Stadien  von  einer  auf  die 
andere  Stelle  des  Körpers  übertragen  worden  seien.  Mehrere 
mir  von  ihm  zur  Untersuchung  auf  spezifische  Mikroorganismen 
zugewiesene  Fälle  ergaben  stets  ein  negatives  Resultat,  ebenso 
die  Färbung  von  Schnitten,  so  daß  H.  v.  Hehr  a  an  der  auch 
von  Kaposi  damals  hier  bekämpften  Auffassung  später  selbst 
Zweifel  hegte.  Die  zirkumskripten,  derben,  ausgesprochen  knoten¬ 
förmigen  Erhebungen  des  Lichen  simplex  circumscriptus  Vidal 
hat  aber  H.  v.  H  e  b  r  a  meiner  Erinnerung  nach  nicht  in  diesen 
Begriff  miteinbezogen,  sondern  als  eigene  Form  des  Ekzemes  im 
Sinne  Vidals  aufgefaßt. 

Riehl:  In  diesem  Falle  sind  keinerlei  primäre  Krankheits¬ 
erscheinungen,  nur  Pigmentation  und  Verdickung  der  Papillar- 
schichte  und  Epidermis  (Lichenifikation)  sichtbar ;  da  allerlei 
chronisch-entzündliche  Prozesse  dasselbe  Bild  produzieren  können, 
ist  die  Diagnose  der  primären  Krankheit  unmöglich. 


Ehr  m  a  n  n  erwidert  W  e  i  d  e  n  f  e  1  d,  daß  er  gar  nicht  ge¬ 
fragt  habe,  ob  Arsen  gebraucht  wurde,  wie  er  auch  bei  Melanosis 
post  pediculos  nicht  frage.  Denn  die  lang  dauernde,  chronische 
Entzündung  ist  genügende  Erklärung  für  die  Pigmentierung.  In 
den  Fällen  von  Melanosis  post  pediculos  haben  die  Patienten 
immer  schwarze  Haare  gehabt.  Was  die  Unterscheidung  gegen¬ 
über  Ekzem  betrifft,  so  hält  E  h  r  m  a  n  n  Lichen  chronicus  sim¬ 
plex  auch  nicht  für  Ekzem,  wiewohl  Vidal  einmal  von  Ek- 
zematisation  des  Lichen  simplex,  einmal  von  Lichenifikation  des 
Ekzems  spricht.  Die  Fälle  von  H  e  b  r  a  habe  er  selbst  gesehen, 
über  dieselben  sei  die  Meinung  geteilt.  Im  Jacobi  sehen  Atlas 
werden  diese  als  Neurodermitiden  bezeichnet.  Dieser  Prozeß  hier 
sei  als  Ekzem  oder  Lichen  simplex  Vidal  abgelaufen.  Jetzt  sind 
nur  Reizerscheinungen  vorhanden. 

4.  Einen  Fall  von  Atrophia  cutis  idiopathica. 

S  c  h  e  r  b  e  r  stellt  aus  der  Klinik  Prof.  Fingers  vor : 

i.  Einen  35jährigen  Tischler  mit  einem  Exanthem,  welches  den 
Hals  und  Nacken,  Brust,  Rücken  bis  zur  Lendengegend,  sowie 
die  oberen  Extremitäten  einnimmt,  während  der  untere  Teil  des 
Rumpfes  wie  die  unteren  Extremitäten  von  der  Affektion  völlig 
frei  erscheinen.  Das  Exanthem  besteht  aus  verschieden  großen, 
ziemlich  scharf  begrenzten  Erythemen,  die  stellenweise  in  größerer 
Ausdehnung  konfluieren,  teils  frisch  rot,  teils  mehr  livid  gefärbt 
sind,  teils  in  Rückbildung  begriffen,  einen  bräunlichen  Farbenton 
zeigen.  Auf  der  Basis  der  überwiegenden  Mehrzahl  dieser  Ery¬ 
theme  sieht  man  in  Gruppen  angeordnete  stecknadelgroße  Bläs¬ 
chen,  mit  klarem,  gelblichen  Serum  gefüllt,  die  teils  isoliert,  teils 
herpesartig  angeordnet  erscheinen.  Auf  den  in  Rückgang  begriffenen 
Erythemen  sieht  man  noch  die  Reste  der  Bläschen  in  Form  kleiner 
verkrusteter  Stellen. 

Die  Affektion  trat  bei  dem  Manne  ohne  nachweisbare  Ur¬ 
sache  vor  drei  Monaten  auf,  geht  zeitweilig  zurück,  um  dann 
wieder  zu  rezidivieren.  Hervorzuheben  ist  noch,  daß  die  Affektion 
äußerst  heftiges  Jucken  verursacht,  daß  dabei  das  Allgemein¬ 
befinden  nicht  wesentlich  beeinflußt  ist.  Wir  haben  hier  einen 
Fall  jener  kleinblasigen  Pemphigusform  vor  uns,  die  Duhring 
wegen  ihrer  bestimmten,  in  diesem  Falle  deutlich  ausgesprochenen 
Symptome  als  Dermatitis  herpetiformis  von  der  Gruppe 
der  Pemphigusformen  ausgeschieden  hat. 

2.  Den  bereits  von  Kollegen  Müller  vor  vier  Wochen 
demonstrierten  Fall  von  Mycosis  fungoides.  Bei  dem 
Manne  haben  die  damals  in  geringer  Ausdehnung  auf  Bauch, 
Rücken  und  Oberschenkeln  bestandenen  Erythrodermien  so  be¬ 
deutend  an  Ausdehnung  zugenommen,  daß  sie  jetzt  fast  den 
ganzen  Rumpf,  Schulter  und  Halsgegend,  wie  die  Oberschenkel 
überziehen.  Ebenso  sind  auf  den  Wangen  Eu-ythrodermien  auf¬ 
getreten.  Die  Farbe  aller  dieser  Erythrodermien  ist  nur  stellen¬ 
weise  hellrot,  im  übrigen  zeigen  sie  einen  bläulichroten  und 
bräunlichroten  Farbenton ;  dabei  zeigt  die  Haut  an  den  er¬ 
griffenen  Partien  eine  starke  Abschuppung.  Die  Tumoren  in  der 
Gegend  der  rechten  Skapula  sind  unter  der  Arsentherapie  im 
Rückgang  begriffen. 

3.  Einen  56jährigen  Mann  mit  einer  seit  drei  Jahren  be¬ 

stehenden  Ulzeration  an  der  großen  Zehe  des  rechten  Fußes, 
Es  zeigt  sich  ein  guldengroßer,  unregelmäßig  tiefer,  mißfärbig 
belegter  Substanzverlust,  der  in  der  distalen  Hälfte  der  tumor¬ 
artig  verdickten  Zehe  sitzt.  Die  Vergrößerung  der  ganzen  Zehe  ist 
eine  unregelmäßige,  durch  stellenweise  knotenförmig  hervor¬ 
tretende  Bildungen.  Am  Ansatz  der  Zehe  sitzen  am  Dorsum  pedis 
mehrere  erbsen-  bis  bohnengroße,  derbe,  von  intakter  Haut  ge¬ 
deckte  Tumoren.  Die  Drüsen  in  inguine  sind  mächtig  geschwollen, 
man  fühlt  die  elastisch-derben  großen  Pakete.  Das  rasche  tumor¬ 
artige  Wachsen  der  Zehe,  die  erst  vor  kurzer  Zeit  aufgetretene 
Drüsenschwellung  und  die  seit  ungefähr  acht  Tagen  am  Dorsum 
pedis  aufgetretenen  Metastasen  ließen  uns  an  eine  bösartige  Neu¬ 
bildung  denken  und  wurde  unsere  klinische  Diagnose  durch  eine 
Probeexzision  bestätigt.  Es  handelt  sich  um  ein  alveoläres  Sar¬ 
kom,  vom  Bau  jener  Sarkome,  wie  sie  sich  von  Nävis  aus  zu 
entwickeln  pflegen.  (Demonstration  der  h  i  s  t  o  1  o  g  i-  ■ 
s  c  h  e  n  P  r  ä  p  a  r  a  t  e.)  ,, 

4.  Zwei  Frauen  mit  extragenitalen  Sklerosen,  eine  an  der 
Oberlippe,  die  andere  an  der  Unterlippe.  Scher  be  r  hebt  hervor, 
daß  in  den  letzten  vier  Wocheti  acht  Fälle  von  extra¬ 
genitalen  Sklerosen  auf  der  Klinik  Prof.  Fingers  zur 
Beobachtung  kamen.  Die  Fälle  betrafen  zwei  Männer  und  -sechs 
Frauen.  Fünf  Sklerosen  saßen  an  den  Lippen,  zwei  an  den 
Tonsillen,  eine  an  der  linken  Wange. 

Weidenfeld  demonstriert  einen  Fall  von  Lichen 
ruber  planus,  kombiniert  mit  Lichen  s  p  i  n u  1  o  s  u  s.  An 
den  Vorderarmen  innerhalb  der  abgeheilten  Stellen  finden  sich 
liohenoide  kleinste  Effloreszenzen,  spitz,  nicht  gerötet,  an  den 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


I.’dS 


Follikeln  lokalisiert,  wobei  kleinste  dornähnliche  llornspilzen 
hervorragen.  An  der  Brust  linden  sich  auch  solche  Knötchen 
gruppiert  innerhalb  gesunder,  d.  h.  an  nicht  von  Lichen  ruber 
befallenen  Stellen.  Auch  an  anderen  Körperstellen  finden  sich 
innerhalb  solcher  von  Lichen  ruber  planus  befallenen  Stellen 
ähnliche  Knötchen.  Sonst  ist  der  Lichen  ruber  abgeheilt  und  an 
Stelle  der  Effloreszenzen  linden  sich  gleichgroße  pigmentierte 
Scheiben. 

Hinter  den  Ohren  und  am  aufsteigenden  Kieferast  finden 
sich  blaurote  Erytheme,  bandförmig,  von  blauroter  Farbe,  die 
Epidermis  darüber  ist  aufgerauht  und  pigmentiert. 

Faßt  man  die  Verhältnisse  zusammen,  so  muß  man  den 
Liehen  spinulosus  gleichfalls  als  Wirkung  des  Arsens  auffassen, 
mithin  wir  an  eine  Wirkung  auf  die  Follikel  durch  Arsen 
denken  müssen. 

Ullmann:  Der  hier  vorgestellte  34jährige  Mann  leidet 
seit  angeblich  zwei  Jahren  an  Lupus  erythematodes  im 
Gesichte.  Zahlreiche  unregelmäßig  begrenzte  Scheiben  und 
Plaques  meist  von  kleinerem  Durchmesser  (2 — 3  cm)  im 
Gesichte,  auf  der  Stirne,  Wange,  einzelne  davon  mit  deutlich 
narbigen  Veränderungen  sind  vorhanden.  Nebenbei  besteht  auch 
seit  Jahren  eine  Bronchitis  mit  sehr  starkem  Auswurf  und  bron- 
chiektatische  Erscheinungen.  Vor  mehreren  Jahren  soll  eine  leichte 
Lungenhlutung  stattgefunden  haben.  Befund  an  Bazillen  und 
elastischen  Fasern  (Dr.  Urban)  vor  etwa  vier  Wochen  negativ. 
Von  den  drei  Alt-Tuberkulininjektionen  in  einwöchentlichen 
Intervallen  von  bjo  bis  3  mg  steigend  hatte  erst  die  letzte  (ä  3  mg) 
deutliche,  u.  zw.  intensiv  fieberhafte  Reaktion  mit  gleichzeitiger 
erysipelähnlicher  Anschwellung  im  Gesichte  und  Schwellung  der 
Plaques  des  Lupus  erythematodes  zur  Folge,  die  in  einigen  Tagen 
wieder  zurückging,  aber  heute  noch  andeutungsweise  besteht,  so 
daß  die  Niveaudifferenzen  der  atrophischen  Stellen  hie  und  da  ausge¬ 
glichen  sind.  Die  lokale  Reaktion  hat  hier  gleichzeitig  eine  wesent¬ 
liche  Veränderung  an  den  Plaques  hervorgerufen,  welche  in  bezug 
auf  Intensität  ihrer  Färbung  und  Schuppenbildung  wesentlich 
zurückgebildet  erscheinen. 

Dieselbe  Beobachtung  habe  ich  bereits  in  mehreren  Fällen 
gemacht  und  davon  auch  hier  gesprochen.  Von  Interesse  ist,  daß 
nun  eine  zweite  Untersuchung  des  Sputums  durch  Frau  Fuchs 
(Schülerin  Dr.  Spenglers  [Davos])  aus  den  letzten  Tagen  mit 
Bestimmtheit  mittels  Pikrinsäurefärbung  sogenannte  tuber¬ 
kulöse  Splitter  (d.  i.  Involutionsformen  oder  Jugendformen)  von 
Tuberkelbazillen  ergab. 

Weitere  Untersuchung  dieser  und  anderer  Fälle  nach  dieser 
Richtung  findet  statt  und  werde  ich  Ihnen  darüber  berichten.  Mir 
lag  vorläufig  heute  daran.  Ihnen  zur  Rechtfertigung  meines 
hier  eingenommenen  Standpunktes  in  der  Frage  des  Lupus  eryth. 
in  seiner  Beziehung  zur  Tuberkulose  derartige  Fälle  vorzii  führen 
und  durch  Sie  selbst  kontrollieren  zu  lassen. 

Von  demselben  Gesichtspunkte  stelle  ich  Ihnen  den  zweiten 
Fall,  ein  papulonekrotisches  Tuberkulid,  vor.  Das  20jährige  Mäd¬ 
chen,  anscheinend  sehr  kräftig,  aus  sonst  gesunder  Familie,  litt  in 
frühester  Kindheit  an  Otitis  media  suppurativa  dextra  und 
Caries  des  linken  Felsenheines,  die  zur  Sequestrotomie  im 
Proc.  mastoides  geführt  hat.  Eine  große  Narbe  hinter  dem  Ohr 
zeigt  die  Operationsstelle.  Zwei  Narben  von  Drüsenoperalionen 
unter  den  Kiefern  bestehen  seit  dem  10.  Lebensjahre. 

Seit  einigen  Monaten  zeigen  sich  auf  Nase  und  Gesicht 
4  bis  5  runde  und  ovale  dem  Lupus  eryth.  sehr  ähnliche 
schuppende  und  gerötete  Plaques. 

Eine  Stelle  findet  sich  im  Ohrläppchen  rings  um  die  Ohr¬ 
stichöffnung,  ähnlich  wie  sonst  beim  Lupus  vulgaris.  Die  Diagnose 
Lupus  erythematodes  ist  jedoch  nicht  mit  Sicherheit  zu  stellen, 
mit  Rücksicht  auf  das  Vorhandensein  zahlreicher  papulonekrotischer 
Tuberkel,  die  in  Form  von  Papeln  und  Pusteln  an  den  Vorder¬ 
armen  einzeln  und  in  Gruppen,  meist  in  Involution  befindlich  vor¬ 
handen  sind.  Auch  an  den  Fingern  waren  früher  einige  wenige 
vorhanden;  jetzt  bestehen  bloß  seichte  Narben.  Dieses  gleichzeitige 
Vorhandensein  von  Lupus  eryth  klinisch  sehr  ähnlichen  Er¬ 
scheinungen  mit  papulonekrotischen  Tuberkuliden  ist  in  einer 
größeren  Anzahl  meiner  Beobachtungen  vorhanden  und  habe  ich 
ja  hier  insbesondere  darauf  schon  aufmerksam  gemacht,  daß  auch 
dieses  Zusammentreffen  einerseits  kariöser  Prozesse  in  Knochen 
oder  sonstige  skrofulöse,  tuberkulöse  Erscheinungen  neben 
typischen  papulonekrotischen  Tuberkuliden  an  den  Extremitäten 
oder  am  Stamme  und  anderseits  mit  gleichzeitigen,  dem  Lupus 
eryth.  ähnlichen  Erscheinungen  im  Gesichte  (B  o  e  c  k  s  Lupus 
eryth.  disseminatus),  ferner  auch  noch  die '  (wie  im  vorgestellten 
Falif'}  vorhandene  intensive  Reaktion  auf  Tuberkuline  aller  Arten 
mir  ein  weiterer  Beweis  zu  sein  scheint,  für  die  Zusammen¬ 


gehörigkeit  des  Lupus  eryth.  mit  den  sogejiannten  tuberkuliden 
Affektionen. 

Auch  diese  Patientin  wird  der  S  p  e  n  g  1  e  r  sehen  Behand¬ 
lung  mit  Porlsucht'Tuberkulin,  bzw.  Leibessul)stanzen  von  Bazillen 
schon  seit  einiger  Zeit  zugeführt  und  zeigte  intensive  Lokalreaktion 
an  den  Plaques  wie  an  der  Stichstelle  schon  auf  \io  mg. 

Es  wäre  ja  möglich,  daß  wir  auf  dem  Wege  der  Sp  engl  er¬ 
sehen,  Feststellungen  eher  dazu  gelangen  werden,  den  klinischen 
Begriff  der  HauKuberknlose  auch  mit  Hilfe  exakter  Methoden  zn 
erweitern.  i Schluß  folgt-) 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in 

Böhmen. 

XI  li.  Sil  zun  g  vom  24.  Oklolx-r  19()fi. 

Pf  i  b  r  a  m  demonstriert  einen  Fall  von  D  e  r  c  u m  sclief ' 
Krankheit.  Nach  eingehender  Besprechung  des '  Krankheils¬ 
bildes  der  Adiposis  dolorosa  führt  er  die  fiOjälirige  Palienlin  vor, 
welohe  seit  ihrem  24.  Lebensjahre  im  unmiltelbaren  Zusammen¬ 
hang  an  ein  heftiges  psychisches  Trauma  die  ziendich  rasche  Fetl- 
zunahme  bemeikte.  Gegenwärtig  sind  die  Hände  ziemlicli  zart 
imd  fettarm,  das  Gesicht  und  der  Hals  eher  mager,  die  Fußrücken 
der  zwar  plumpen,  aber  nicht  fettreiclien  Füße  sind  fettarm.  Beide 
Beine  sind  von  den  Glutaei  nach  abwärts  säulenförmig  verdickl 
und  bieten  tiefe  Furchen  (ähnlich  wie  bei  fetten  Kindern)  dai'. 
Nirgends  sind  noduläre  Lipome  vorhanden,  t  An  den,  Oberarmen 
sieht  man  an  der  Rückseite  herabhängende,  diffuse,  kleinlappige 
Fettwülste.  Ueberall,  wo  starke  Fettlagen  sind,  beslehen  mäßige, 
spontane  Schmerzen  und  starke  Druckempfindlichkeit.  Die  Rönt¬ 
genaufnahmen  der  Gelenke  ergaben  nur  am  rechten  Kniegelenk 
die  Zeichen  rheumatischer  Artliropathie,  sonst  normalen  Befund. 
Die  Schilddrüse  scheint  wesentlich  verkleinert.  Ein  Skiagramm 
des  Schädels  ergibt  keine  auffallende  Erweiterung  der  Sella  turcica. 
Die  Patientin  wird  mit  Schilddrüsentabletten  behandelt. 

E 1  b  o  gen:  U  e  b  e  r  e  i  n  e  n  seltenen  Fall  von  t  r  a  u  m  a- 
ti  scher  Reposition  en  bloc  e  i  n  e  r  L  e  i  s  te  n  h  e  r  ri  i  e. 

Der  53jährige  Patient  litt  bis.  vor  zehn  Jahren  ah  einem 
rechtseitigen  Leistenbruch.  Nach  einem  Unfall  soll  derselbe  ver¬ 
schwunden  sein;  Pat.  verspürte  danach  heftigen  Schmerz  in  der 
Gökalgegend  und  fieberte  hoch.  Nach  dem  dreiwöchentlichen 
Krankenlager  wiederholten  sich  drei-  bis  viermal  im  Jahre  Krank¬ 
heitserscheinungen,  die  mit  hohem  Fieber  einhergingen  und  von 
lleuserscheinungen  begleitet  waren. 

Bei  der  ersten  Untersuchung  fand  El  bogen  in  der  Cökal- 
gegend  eine  mannsfanstgroße  Geschwulst  mit  einem  Fortsatz  gegen 
das  kleine  Becken;  es  bestanden  Zeichen  perforativer  Reizung. 
Bei  der  Operation  fand  sich,  entsprechend  dem  Mesokolon  des 
Blinddarmes,  eine  Geschwulst  von  der  Form  eines  Magens,  von 
der  ein  knopfförmiger  Ansatz  gegen  die  rechtseitige  Bruchpforte 
gekehrt  war.  Sie  war  mit  dem  Peritoneum  parietale,  dem  Meso- 
kolon  und  mit  dem  Darme  in  ihrer  oberen  Hälfte  verwachsen.  Dei’ 
Inhalt  derselben  war  von  einem  vollkommen  normal  anssehenden 
Netz  gebildet.  Es  handelle  sich  also  um:  (fine  traumatische,  ge¬ 
waltsame  Reposition  einer  rechtseitigen  Netzhernie  mit  vollkom¬ 
mener  Abtrennung  und  nachträglicher  Verwachsung  des  Bruch¬ 
sackes  mit  dem  Mesokolon  des  Blinddarmes  und  des  Bauchfelles. 
Die  Ernährung  dieser  Geschwulst  konnte  nur  durch  die  außei- 
gewöhnlich  festen  Adhäsionen  mit  dem  Darme  und  dessen  Ge¬ 
kröse  bewerkstelligt  worden  sein. 

M  e  n  d  1  bespi  icht  den  S  t  i  c  k  s  t  o  f  f  w  e  c  h  s  e  1  bei  einem  Falle 
von  Tetanus  Iraumaticus.  Die  Menge  des  ausgeschiedenea 
Stickstoffes  war  enorm  gesteigert,  analog  die  prozentualen  Weih“ 
des  Harnstoffes.  Ebenso  bestand  starke  Vaumehrung  der  Ammo¬ 
niakausscheidung.  Nachdem  die  Slickstoffaussclieidung  ihren  Höhe¬ 
punkt  eiTcicht  hat,  erfolgt  für  den  Gesamtstickstoff,  sowie  für 
die  übrigen  Sticksloffkomi)onenten  ein  kritischer  Abfall,  worauf 
rasch  die  Norm  erreicht  wird.  Im  Mittel  ergibt  sich  (äne  Steige¬ 
rung  der  Stickstoffausscheidung  gegen  die  Norm  wie  2:1.  Ebenso 
war  d(n-  Stickstoffgehalt  der  Fäzes  fast  um  das  Doppelte  erhöhl. 
Die. Chlorausscheidung  verhält  sich  analog  der  Stickstoffausschei¬ 
dung.  Die  r^hosphorsäureausscheidung  im  Harn  schwankt  inner¬ 
halb  der  normalen  Werte,  nur  wurden  die  Erdphosphate  in  gleicher 
oder  sogar  in  größere'!-  Menge  ausgeschieden  wie  die  Alkali- 
phosphah'. 

XIV.  Sitzung  vom  31.  Oktober  IfiOfi. 

R  o  k  e  :  1)  e  m  o  n  s  t  r  a  t  i  o  n  v b  n  T  r  y  p  a  n  o  s  o  hi  e  n  i  m 

Blute. 

M  ü  n  z  e  r  :  LI  e  b  e  r  B 1  u  t  d  v  u  c  k  m  e  s  s  u  n  g  u  n  d  ihre  B  e- 
deutung  nebst  Beiträgen  zur  funktionellen  Herz¬ 
diagnostik. 


154 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  5 


IMünzer  das  (i  ä  r  t  n  c  r  sehe:  Tonometer  und  doji 

Appai  at  il  i  V  a  -  H  o  c  c  i  s,  welelie  Ixdde  sehi’  leielit  transporlabel 
geslalled  wei'ihm  köimeii,  wenn  man  si(  li  (dues  zerlegbaren  Älano- 
meters  Itedienl.  Die  Hestimmung  nach  (lärlner  läßt  sich  durch 
Einstich  in  die  Fingerkuppe  vor  dem  Nachlassen  des  Druckes 
leicht  objektiv  gestalten.  Heim  H  i  v a  - 11  oc  c i  sehen  Apparat,  ist 
die  Verwendung  einer  Lul'li)umpe  mit  horizontaler  Längsachse 
sehr  [ländlich.  A’ortr.  betont,  daß  der  sogenannte  Normalwert 
kein  Heweis  für  (dn  gesundes  Ilerzgefäßsystem  sei;  es  kann  an¬ 
scheinend  normaler  Druck  einem  Schwächezustand  des  Herzens 
entsprechen.  Das  Hlutdruckoptinium  sohdier  Menschen  liegt 
viel  höher. 

Tritt  nach  der  Arbeit  hei  einem  vorher  regelmäßig  schlagen¬ 
den  Herzen  Herzheschleunigung  mit  Arrhythmie  ein,  so  ist  dies 
ein  Zeichen  ernsterer  Flerznmskelveränderung. 

Bei  Morbus  Basedowii  ist  der  Blutdruck  nicht  immer 
gesteigert.  Erst  wenn  es  zn  Gefäßveränderungen  kommt,  was 
hier  früher  als  gewöhnlich  infolge  erhöhter  tnanspnichnahme 
eintritt,  erscheint  der  Blutdruck  stark  erhöht. 

Bei  der  Arteriosklerose  sind  zwei  Formen  zu  nnter- 
scheiden:  die  Arteriosklerose  der  großen  Gefäße,  die  senile  Form, 
welche  ohne  Blutdrucksteigernng  einhergeht  und  charakterisiert 
ist  durch  große  Pulse  und  einen  besonders  jiiedrigen,  dia¬ 
stolischen  Druck  und  die  ausgedehnte  Arteriosklerose  der  kleinen 
Gefäße,  welche  ein  Krankheitsbild  für  sich  darstellt,  mit  hoher 
Blutdrucksteigerung  einhergeht  und  häufig  mit  Eiweißausschei¬ 
dung  kombiniert  ist.  Ob  letztere  das  Primäre  in  solchen  Fällen 
darstellt,  ist  zweifelhaft,  da  Nierenentzündung  auch  nach  langer 
Dauer  nicht  immer  zur  Blutdrucksteigerung  führt. 

Bei  der  P  o  1  y  c  y  t  h  a  e  m  i  a  h  y  p  e  r  t  o  n  i  c  a  G  e  i  s  b  ö  c  k  be¬ 
ruht  die  Hypertonie  wahrscheinlich  auf  Arteriosklerose. 

Fischer:  U  e  h  e  r  die  V  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n  tl  e  r  S  p  i  n  a  1- 
ganglien  hei  Herpes  zoster. 

Fischer  untersuchte  nach  dem  Vorgang  von  Head  und 
Camp  hell  die  Spinalganglien  in  vier  Fällen  von  Herpes  zoster 
in  verschiedenen  Stadien  nach  der  Eruption  (einen  Fall  10  Tage, 
einen  Fall  6  Monate  und  zwei  Fälle  10,  resp.  24  Monate  nach 
dem  Beginne  der  Hauterkrankung)  und  fand  den  Angaben  H  e  a  d  s 
entsprechende  Veränderungen;  in  dem  ersten  Falle  bestand  eine 
nekrotisierende  Entzündung  des  Spinalganglious,  in  den  anderen 
Fällen  narbige  Veränderungen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1907. 

Regimentsarzt  Dr.  Koder  stellt  vier  Fälle  aus  der  Ab¬ 
teilung  des  Stabsarztes  Dr.  v.  Wolff  vor  (zwei  Hiebverletzungen : 
eine  Luxation  des  linken  Ellenbogengelenkes  mit  Myositis  ossi 
ficans  des  Bizeps,  Brachialis  internus  und  Trizeps,  eine  operativ 
behandelte  Analfistel). 

Regimentsarzt  IDr.  Settmacher  erläutert  an  der  Hand  ent¬ 
sprechender  Bilder  die  V orzüge  des  normalen  R  a  d  i  o  g  r  a  m  m  s, 
des  plastischen  Röntgenbildes  und  der  stereosko¬ 
pischen  Radiogramme  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß 
das  plastische  Röntgenbild  in  praktischer  und  d  i  a- 
gnostischer  Hinsicht  gegenüber  dem  normalen  Radiogramm 
keine  Vorzüge  besitzt,  im  Gegenteil  hinter  diesem  zurücksteht. 
Auch  eine  Orientierung  bezüglich  der  gegenseitigen  Lageverhält¬ 
nisse  der  Details  ist  im  plastischen  Röntgenbild  ebenso  unmög¬ 
lich  wie  im  normalen  Radiogramm.  Dort,  wo  es  darauf  ankommt, 
das  räumliche  Verhältnis  der  einzelnen  Details  im  Bilde  für  die 
Dauer  zu  fixieren,  ist  die  stereoskopische  Aufnahme 
einzig  dastehend.  Handelt  es  sich  darum,  rasch  und  exakt  die 
Lage  irgendeines  Fremdkörpers  zu  bestimmen,  so  ist  wohl  die 
Aufnahme  oder  die  Durchleuchtung  in  verschiedenen  Richtungen 
das  praktische  Verfahren.  (Demonstration  entsprechender  Bilder.) 
Zum  Schlüsse  demonstriert  Settmacher  einen  Fall  von  durch 
Behandlung  mit  Röntgenstrahlen  geheilter  Psoriasis. 

Regimentsarzt  Dr.  U  r  p  a  n  i  stellt  einen  Fall  mit  multi¬ 
lokularen  Gummen  der  Zuge  vor,  Folgezustände  einer 
zwar  anfänglich  intensiv  behandelten,  aber  im  Beginne  schon 
in  maligner  Form  aufgetretenen  syphilitischen  Er¬ 
krankung. 


Regimentsarzt  Dr.  P  e  1 1  e  c  h  referiert  über  den  klinischen 
Verlauf  der  im  Herbste  1906  im  Garuisonspital  Nr.  1  abge¬ 
laufenen  Typhusepidemie. 

Oberarzt  Dr.  Raubitschek  hält  seinen  angekündigten 
Vortrag:  „Zur  ätiologischen  Diagnose  des  Typhus  abdominalis“. 
(Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Diskussion:  Regimentsarzl  Dr.  Doerr  möchte  die 
kulturelle  Blutuntersnehung,  die  l)isher  in  Wien  wenig  üblich 
war,  in  allen  Fällen  von  fieherhaften  Erkrankungen  zur  ätiologi¬ 
schen  Diagnosestellung  heranziehen.  Die  Entnahme  des  Blutes 
mit  einer  sicher  sterilen  Spritze  aus  der  Armvene  ist  bei  einiger 
Hebung  für  den  Patienten  absolut  nicht  schmerzhafter  als  das 
Anstechen  des  Ohrläppchens  oder  der  Fingerbeere,  für  den  Arzt 
gefahrloser  und  weniger  zeitraubend.  Der  Nachweis  des  Erregers 
in  der  Blutbahn  gest  attet  allein  eine  völlig  einwandfreie  Diagnose 
und  ist  selbst  der  Agglutination  weit  vorzuziehen.  Abgesehen 
von  dem  differentialdiagnostischen  Wert  (bei  Typhus,  Paratyphus, 
Sepsis  etc.)  hat  das  Verfahren  auch  prognostische  Bedeutung 
(letale  Prognose  der  Staphylokokkämie).  Doerr  berichtet  über 
einige  Fälle  aus  der  klinischen  Praxis,  in  denen  erst  die  kulturelle 
Blutuntersuchung  Aufschlüsse  über  den  Krankheitsprozeß  brachte 
und  einmal  zu  einer  lebensrettenden  Operation  Veranlassung  gab. 


Programm 

der  am 

Freitas:  den  r.  Februar  1907,  7  Uhr  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Heim  Hofrat  Clirobak  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Dr.  Moriz  Benedikt;  Demonstration. 

2.  Primararzt  Dr.  L.  Moszkowicz :  Heber  Technik  der  Uranoplastik 
(mit  Demonstration). 

3.  Dr.  Julius  Bartel :  Zur  Frage  der  Perlsucht  (mit  Demonstration). 
Eine  Demonstration  angemeldet:  Hofrat  v.  Wagner. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Dr.  Oskiir  Seineleder 
und  Dr.  L.  Hofbauer.  Bergmeister,  Paltauf. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  Pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Eschericli  Donnerstag  den  31.  Januar  1907,  um  7  Uhr 

abends,  statt. 

Vorsitz;  Professor  Dr.  Unger. 

Programm: 

I.  Demonstrationen. 

H.  Dozent  Dr.  Kuoepfeliuacher ;  Die  Aetiologie  des  Icterus 
neonatorum. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  4.  Februar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des 
Herrn  Dr.  Eni.  Frank  stattfindenden  wissenschaftlichen  Versammlung. 

Doz.  Dr.  Hugo  Frey :  Reflexepilepsie  bei  Ohren-  und  Nasen¬ 
erkrankungen. 


Ophthalmolo gische  Gesellschaft  in  Wien. 

Programm  zu  der  am  Mittwoch  den  6.  Februar  1907,  7  Ubr  abends 
im  Hörsaal  der  Klinik  Fuchs  stattfindenden  Sitzung. 

1.  Hajek  (a.  G.):  Heber  die  Operationsmethoden  bei  entzündlichen 
Affektionen  der  Stirnhöhle.  (Mit  Krankendemonstrationen.) 

2.  V.  Benedek:  Heber  präretinale  Hämorrhagien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  Mittwoch  den  6.  März  1907  im  Hör¬ 
saale  der  Klinik  Fuchs  statt. 

Dr.  J.  Meller,  dz.  Schriftführer. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Nächste  Sitzung  Mittwoch  am  6.  I'ebruar  1907. 
Programm;  1.  Administrative  Sitzung.  2.  Demonstrationen. 
Nach  der  Sitzung  Zusammenkunft  im  Riedhof. 


Vw«ntwortlich«r  BtdakUar:  Adalbert  Karl  Trupp.  V#rl»g  Ton  WUhelm  Braumttller  in  Wien. 

Druck  TOD  Bruno  Bartelk,  Wien,  XVIII.,  Theresiengasse  8. 


rr  ^ 

Die 

„Wiener  kliulsclie 
woclieiisclirifl“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


nnter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0-  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


rr  -  ^ 

AboiiiieiiiciitNpreiN 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
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vl  - 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlacshandlung: 

Telephon  Nr.  17 .618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  7.  Februar  1907. 


Nr.  6. 


INH 

f.  Originalartikel :  1.  Aus  dem  patliologisch-anatomischen  Institute 
in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  A.  Weichselbanm.)  Zur  Biologie 
des  Perlsnchtbazillns.  Von  Assistent  Dr.  Julius  Bartel. 

2.  Aus  der  II.  med.  Abteilung  des  k.  k.  Kaiser-Franz-Josepb- 
Spitales  in  Wien.  Septische  Erkrankungen  bei  Verkümmerung 
des  Granulozytensystems.  Von  Privatdozent  Dr.  Wilbelm 
Türk,  k.  k.  Primararzt. 

3.  Aus  der  III.  med.  Klinik.  (Vorstand:  Prof.  v.  Schrötter.) 
Zur  differentiellen  Diagnose  der  Knochenverdickungen.  Von 
Dr.  Carl  Reitter,  Assistenten. 

4.  Aus  der  deutschen  psychiatrischen  Klinik  in  Prag.  (Vorstand: 
Prof.  A.  Pick.)  Isolierter  halbseitiger  Zungenkrampf.  Ein 
Beitrag  zur  Jacksonschen  Epilepsie.  Von  Dr.  M.  Pappen- 
h  e  i  m,  Assistenten  der  Klinik. 

II.  Referate:  Die  Verbesserung  mangelhafter  Negative.  Von 
G.  Hauben- ießer.  Der  Porträt-  und  Grnppenphotograph 
beim  Setzen  und  Beleuchten.  VonE.  K  e  m  p  k  o.  Die  Tonnngs- 
verfabren  von  Entwicklungspapieren.  Von  E.  Sedlaczek. 


ALT: 

Orthodiagrapbische  Praxis.  Von  Paul  C.  F  ranze.  Atlas  der 
orthopädischen  Chirurgie  in  Röntgenbildern.  Von  A.  H  o  f  f  a 
und  L.  Rauen  b  u  s  c  h.  Mitteilungen  ans  Finsens  medicinske 
Lysinstitut.  Archives  of  the  Roentgen  Ray.  Fortschritte  an! 
dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen.  Ref.:  Kienböck.  —  Die 
Invalidenversorgung  und  Begutachtung  beim  Reichsheere,  bei 
der  Marine  und  bei  den  Schutztruppen,  ihre  Entwickelung 
und  Neuregelung.  Von  Dr.  Fr.  Paalzow.  Repetitorium  des 
österreichisch-ungarischen  Heerwesens  im  Felde  für  Militär- 
äi-zte.  Von  Felix  Hahn.  Hilfsbuch  für  den  Einjährig-Frei¬ 
willigen  Mediziner  im  ersten  Halbjahr.  Von  Mar  sehn  er. 
Epidemiologie  der  Garnisonen  des  k.  n.  k.  Heeres  in  den 
Jahren  1894  bis  1904.  Von  Dr.  Paul  Myrdacz.  Ref. :  Johann 
Steiner. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Berliner  Brief.  Von  Pickardt. 

V.  Vermischte  Naciiricliten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßherichte. 


Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien, 
(Vorstand:  Prof.  A.  Weichselbaum,) 

Zur  Biologie  des  Perlsuchtbazillus.*) 

Von  Assistent  Dr,  Julius  Bartel. 

Es  war  mir  und  meinen  xMitarbeiLern  gelungen,  darzn- 
tnn,  daß  den  Orgaiizelleii,  speziell  den  Lymphozyten  die 
Fähigkeit  zukomme,  virulente  Tuberkeibazillen  des  Typus 
hnraanns  —  ich  halte  mich  hier  an  die  von  Kos  sei,  Weber 
und  Heuß  geübte  Bezeiclmniig  —  bei  erhaltener  Lebens¬ 
fähigkeit  soweit  zu  beeintlussen,  daß  sie  nach  längerer  Zeit 
der  Liiiwirkung  mit  dem  urgaui sehen  Material  verimpft,  für 
Meerschweinchen  ihre  Virulenz  verloren  haben.  Es  konnte 
ferner  gezeigt  werden,  daß  solchergestalt  geimpfte  Meer¬ 
schweinchen  bei  einmaliger  ,, Vakzination“  eine  erhöhte  Resi¬ 
stenz  gegen  eine  folgende  vollvirulente  Infektion  mitBazilleii 
des  gleichen  Typus  aufwiesen.  Diesbezügliche  Impf-,  respek¬ 
tive  Vakzinatioiistiere  wurden  gelegentlich  meines  vor¬ 
jährigen  Vortrages  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  demon¬ 
striert.  Es  konnte  ferner  gefunden  werden,  daß  durch  den 
Einfluß  von  Blutserum  und  Aleuronatexsudaten.  keine  ana¬ 
loge  Wirkung  zu  erzielen,  war,  indem  lediglich  eine  geringe 
Abschwächung  sO'  beeinflußter  Bazillen  gesehen  wurde. 

Hartl  und  ich^)  haben  nun  gemeinsam  die  sich  von 
selbst  ergebende  Frage  geprüft,  ob  auch  Bazillen  des  Typus 
bovinns  auf  gleiche  oder  ähnliche  Weise  gegenüber  Orgam 
zellen  sich  verhalten.  Kurz  habe  ich  in  meinem  Vortrage 

*)  Nach  einer  Demonstration  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in 
Wien,  1.  Februar  1907. 

*)  Im  Erscheinen  begriffen. 


auf  der  letzten  Tagung  der  deutschen  pathologischen  Gesell¬ 
schaft  in  Stuttgart  bereits  milgeteilt,  daß  es  gelingt,  auch 
Bazillen  des  Typus  bovimis  durch  den  Einfluß  organischer 
Gewebe  in  einen  Zustand  der  Aviruleiiz  überznführen.  Ich 
hielt  mich  dabei  mit  Hartl  an  die  frühere  Versnchsaii- 
ordmmg  mit  Neu  m  a  n  n,  die  auch  Neu  m  a  n  n  und  W  i  t  g  e  n- 
stein  bei  weiterer  Nachprüfimg  beobachteten.  So  konnten 
Bazillen  verschiedener  Stämme  des  Typus  bovinns  durch 
Milz-,  Lymphdrüsen-,  Leber,  Nieren-  und  Limgensnbstanz 
von  Kaninchen  schließlich  zur  Avirulenz  für  das  Äleer- 
schweincheii  gebracht  werden,  wenn  die  genannten  Sub¬ 
stanzen  längere  Zeit  auf  das  in  ihnen  suspendierte  Bazillen¬ 
material  einwirkten.  Demgegenüber  konnte  durch  den  Ein¬ 
fluß  des  Kaninchenblntes  ein  gleiches  Resultat  nicht  er¬ 
zielt  werden.^) 

Es  gilt  al&o  auch  für  den  Typus  bovinns,  was  ich  und 
Neumann,  dann  hei  Nachprüfung  Neu  m  a  n  n  und  W  i  t  g  e  n- 
stein  bezüglich  des  Typus  hnmanns  beobachten  konnten: 
Bazillen  des  Typus  bovinns  erweisen  sich  bei 
länger  daneriider  Becinf Inssniig  durch  organi¬ 
sche  Substanzen,  dann  mit  denselben  verimpft, 
für  das  Meerschweinchen  a  v  i  r  n  1  e  n  t.  Hingegen  ist 
s  e  1  b  s  t  d  n  r  c  h  1  ä  n  g  e  r  dauernden  Einfluß  des  Blutes 
eine  solche  Avirulenz  nicht  zu  erzielen.  Ob  hiebei 
die  Bazillen  noch  lebend  mit  dem  organischen  Material  ver¬ 
impft  wurden,  konnten  wir  nicht  entscheiden,  da  uns  bisher 
eine  Kultur  nicht  gelang. 

Wie  ich  mit  Neumann  ferner  den  Einfluß  einer 
solchen  avirulenten  Impfung  bezüglich  einer  folgenden  viru- 

h  Diesbezügliche  Kayserlingprilparate  wurden  demonstriert. 


\Vli:NliI{  Kl.lNISCIlE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  6 


IbG 


lonton  Iniitfnng  prüfte,  ergab  rficli  auch  hier  von  selhsl  flie 
Frage,  ol)  gleicherweise  eine  erliöhte  llesislenz  gegen  Perl- 
siicht  durch  einen  solchen  „Vakzinationsvorgaii  g“  zu 
erzielen  sei.  Meines  u  h  j  e  k  t  i  v  e  Anse  h  a u  u  n  g  1  ä  ß t  ni  i  c  h 
daran  denken,  daß  es  ni ö g  1  i c h  ist,  a u f  diese  Weise 
vielleicht  mit  einiger  Modifikation  ein  Vakzi- 
iiat  ionsve  rfahren  gegen  Perl  sucht  aufzu,hauen. 
Ich  1j e h a  1 1 e  m i  r  v o r,  d i e s e  ii  W eg  zu  verfolgen  u n  d 
darül)er  zu  t)e  rieh  len. 

Derzeit  möchte  ich  kurz  üt)er  einen  unserer  Versuche 
Mitteilung  zu  machen,  wel(dier  am  Kaninchen  iiacli  dieser 
Hinsicht  angeslellt  worden  war.''^) 

Der  Versuch  tjetrifft  ein  normales  Kaninchen,  das  als 
Kontrolltier  diente  und  ein  vakziniertes  Tier.  Letzteres  war 
vor  längerer  Zeit  zweimal  in  einem  größeren  Intervall  vak¬ 
ziniertworden.  Das  allerdings  schon  etwas  alte  Vakzinations¬ 
material  war  für  die  erste  Vakzination  mittels  menschlicher, 
für  die  zweite  mittels  Perlsuchthazitlen  hergestellt  worden. 
Beide  Tiere  wurden  gleichzeitig  mit  einer  voll  virulenten 
dichten  Perlsucht kultnraufschwemmung  intraperitoneal  unter 
den  notwendigen  Kautelen  zur  Verhinderung  einer  Störung 
des  Versuches  geimpft. 

Das  Kontrolltier  verendete  unter  starkem  trewichlsver- 
lust  und  Marasmus  84  Tage  nach  der  Impfung.  Bei  der  Oh- 
duktion  zeigte  es  starke  Ähmagerung,  das  Omentum  in  einen 
dicken,  mit  Käseherden  durchsetzten  Strang  verwandelt, 
eine  sehr  reichliche  Aussaat  von  bis  hirsekorngroßen  Knöt¬ 
chen  des  ganzen  Peritoneums,  Lymphdrüsentuherkulose  im 
Mesenterium  und  Mediastinum,  tuberkulöse  Pleuritis,  sowie 
Knötchen  der  Milz  und  Lungen,  sehr  undeutlich  auch  in  der 
Leiter.  Mikroskopisch  waren  typische  Tuberkel  mit  Ver¬ 
käsung  an  allen  genaimten  Stellen  nachweisbar. 

Das  vakzinierte  Kaninchen  ließ  nach  der  virulenten 
Impfung  keine  Störung  seines  Befindens  erkennen.  Es  wurde 
bei  völligem  Wohlbefinden  84  Tage  danach,  also  50  Tage 
nach  dem  Verenden  des  Kontrolltieres,  getötet  u.  zw.  nach 
steriler  Entnahme  des  Blutes.  Bei  der  Obduktion  zeigte  sieb 
das  Tier  kräftig  und  wohlgenäbrl.  Mit  Ausnahme  von  vier 
sichtbaren,  nmdlichen  Herden  unter  der  Pleura  pnlmonalis 
in  den  peripheren  laingenabschnitten,  die,  bis  hanfkorngroß, 
an  zwei  Stellen  kleine,  verkäste  Stellen  erkennen  ließen, 
waren  an  keiner  Stelle  des  Körpers  verdächtige  Veränderun¬ 
gen  zu  sehen,  Peritoneum  und  Pleura  waren  zart  und  glän¬ 
zend,  die  Lymphdrüsen  des  Mesenteriums  weich,  mäßig 
groß,  die  Lymphdrüsen  an  der  Mesenterialwurzel  zudem 
stark  pigmentiert,  das  Omentum  vollständig  zart,  die  Impf¬ 
stichstelle  nicht  sichtbar.  Mikroskopisch  zeigten  die  Lungen¬ 
herde  das  gewöhnliche  Bild  der  Tul)erkulose  mit  Verkäsung, 
sonst  war  mikroskopisch  w'eder  in  der  Leber,  noch  in  der 
Milz,  in  den  Lungen  und  Lymphdrüsen  Tidmrkulose  zu  kon¬ 
statieren.  Von  diesem  Tiere  wurden  das  Blut,  sowie  die 
einzelnen  Organe  an  gesunde  Meerschweinchen  intra¬ 
peritoneal  injiziert.  Nach  nunmehr  vier  Wochen  sind 
diese  Impftiere  wohlauf. 

Vor  der  Beurteilung  dieser  Versuche  möcJite  ich  einem 
Einwande  bezüglich  des  IMfekles  der  intraperitonealen  Perl¬ 
suchtkulturimpfung  • —  handelt  es  sich  um  ein  vollvirulentes 
Material  —  hegegnen,  der  eventuell  erhoben  w.erden  könnte. 
So  wie  bei  der  Perlsucht  die  intravenöse  Impfung,  ist  auch 
die  inlraperitoneale  Inokulation  ein  sicherer  Weg  zur  Er¬ 
zeugung  einer  im  letzteren  Falle  zunächst  mit  Beteiligung 
des  Peritoneums  entstehenden  allgemeinen  Tuberkulose.  So 
äußern  sich  Kos  sei,  Weber  und  Heuß  folgendermaßen  s 
,,Bei  der  subkutanen  Impfung  ist  darauf  zu  achten,  daß  das 
Impfmaterial  in  der  Tat  nur  in  das  subkutane  Gewebe  des 
Kaninchens  gebracht  wird.  Spritzt  man  die  Aufschwem¬ 
mung,  wie  es  hei  unruhigen  Tieren  unabsichtlich  Vorkommen 
kann,  unter  die  Faszie  in  die  Bauchmuskulatur,  so  wuchern 
die  Tuberkelbazillen  bis  zum  Peritoneum  und  durch  das 
Peritoneum  hindurch  in  die  Bauchhöhle  und  in  diesem  Falle 
können  auch  Kultnren,  die  nach  Einbringung  in  das  Unter- 


hautbindegewel)e  Kanineben  nicht  krank  macdien,  eine,  aller¬ 
dings  langsam  verlaufende,  allgemeine  Tuherknlose  hervor- 
riifen.“  Ersieht  man  schon  hieraus  die  große  Empfindlich¬ 
keit  des  Peritoneums,  so  erhellt  die  Sicherheit  des  Effektes 
der  intraperitonealen  Impfung  auch  ans  zahlreichen  ander¬ 
weitigen  Beobachtungen.  Auch  meine  allerdings  noch 
jungen  Erfahrungen  weisen  nach  dieser  Richtung  mul 
steht  dieses  auch  in  Febereinstimmung  mit  den  viel¬ 
seitigen  Erfahrungen  v.  Ba  umga.r  tens.  Baumgarten 
hält  es  für  ,,th eor  e  1  i  s  cli“  möglich,  daß  eventuell 
menschliche  Tuberkelbazillen,  die  trotz  großer  Viru¬ 
lenz  für  das  Meerschweinchen,  für  das  Kaninchen 
wenig  oder  gar  nicht  virulent  sein  können,  vorn  Ka¬ 
ninchenperitoneum  resorbiert  werden  können,  ohne  an  dem- 
sclhen  tuberkulöse  Veränderungen  zu  erzeugen.  Wirklich 
gesehen  aber  hat  Baum  gar  ten  auch  in  diesen  Fall 
niemals  ein  Freibleiben  des  Peritoneums.  Dagegen  hält  er 
es  für  vollkommen  ausgeschlossen,  daß  das  Peritoneum 
nach  der  Infektion  mit  für  die  betreffende  Tierspezies  viru¬ 
lenten  Tuherkelbazillon,  hier  Perlsuchthazillen  für  das  Ka¬ 
ninchen,  von  tuberkulösen  Veränderungen  freibleiben  kann. 

So  müssen  wir  nach  allen  Erfahrungen  über 
die  intraperitoneale  Impfung  mit  virulentem 
P  e  r  1  s  u  (•  h  t  k  u  1 1  u  r  m  a  t  e  rial  a  m  Kaninchen  bei  uns  e- 
rem  zweimal  vakzinierten,  dann  virulent  in¬ 
fizierten  Tiere  an  eine  bedeutend  erhöhte  Re¬ 
sistenz  gegenüber  der  voll  virulenten  Impfung 
denken,  welche  Resistenz  eben  durch  die  p  r  ä  v  e  n- 
t  i  V  e  Impfung  der  a  n  g  e  d  e  u  t  e  1  e  n  Art  erzielt  wurde. 

Jedoch  soll  dermalen  dieser  Versuch  weniger  dessent¬ 
wegen  angeführt  werden,  als  aus  dem  anderen  Grunde,  weil 
er  mir  nämlich  geeignet  erscheint,  einiges  Licht  auf  die 
S  tß  1 1  u  n  g  der  Lungen  gegenüber  der  Tuberkulose- 
infektion  zu  werfen.  Schon  bevor  uns  der  Tuberkelbazillus 
bekannt  war,  bildete  gerade  diese  Frage  den  Gegensta.nd  zahl¬ 
reicher  Untersuchungen  und  bildete  zugleich  einen  argen 
Streitpunkt.  Es  ist  dieser  Widerstreit  aucli  bis  heute  nicht 
verstummt,  flammt  vielmehr  neuerlich  wieder  auf.  In  Kürze 
will  ich  nur  auf  Cohnheim  und  anderseits  v.  Baum¬ 
garten  verweisen,  sowie  an  Worte  Orths  aus  dem  Jahre 
1887  erinnern.  Orth  sagte  damals:  ,, Meines  Erachtens  wird 
hei  den  Diskussionen  über  die  Phthisiogenese  der  Lungen 
zu  wenig  Rücksicht  darauf  genommen,  ob  die  J^imgenerkran- 
kung  eine  primäre  oder  sekundäre  ist.  Was  ich  vorhin  für 
die  Lymphdrüsen  festgestellt  habe,  gilt  auch  für  die  Lungen: 
aus  dem  Umfange  und  dem  Grade  von  Lungenverändenrngen 
darf  keineswegs  ohne  weiteres  auf  ihre  primäre  Natur  ein 
Rückschluß  gemacht  werden.“  Und  weiter:  ,,Also  ebenso¬ 
wenig  wie  Darmtuberkulose  und  Fütterungstuberkulose 
sich  deckende  Begriffe  sind,  so  wenig  sind  Inhalations¬ 
tuberkulose  und  Lungentu])ei'kulose  gleichwertige  Begriffe.“ 
V.  Behrings  späterer  Standpunkt  macht  hievon  auch 
Gebrauch  und  sind  diesbezügliche  Anschauungen  auch  von 
Weichsel  1)  a u m  und  mir  vertreten  worden.  Als  ich  schlie߬ 
lich  in  meinem  Vortrag  in  Stuttgart  neuerlich  den  Stand¬ 
punkt  vertrat,  daß  die  Lunge  ein  ,,Locus  minoris 
resi stenti ae“  gegenüher  der  Tnberkuloiseinfektion  sein 
müsse,  erklärte  Orth  in  seiner  Diskussionsbemerkung,  daß 
er  diese  Anschauung  als  eine  für  den  pathologi¬ 
schen  Anatomen  geläufige  betrachten  müsse. 

In  jüngster  Zeit  macht  sich  nun  neuerlich  Cornet 
den  Standpunkt  Cohnheims  zu  eigen  und  unterzieht  jede 
anderweitige  Anschauung  einer  herben  Kritik.  Cornet 
sagt:  ,,Im  Zusammenhang  mit  anderen  Schlußfolgerungen 
gewinnt  das  Lokalisationsgesetz  eine  eminente  Be¬ 
deutung,  welche  ich  nachdrücklichst  hervorheben  möchte; 
denn  durch  den  Nachweis,  daß  der  Tuberkelhazillus,  wenn 
er  in  den  Körper  gelangt,  nicht  eine  freie  Bahn  ä  la  Frei¬ 
karte  hat,  sondern  in  seiner  Verbreitung  an  bestimmte  Ge¬ 
setze  und  Wege  gebunden  ist,  wird  allen  spekulativen  Er¬ 
wägungen  über  die  menschliche  Tuberkulose  ein  Riegel  vor¬ 
geschoben.“  Auf  diese,  wie  auf  andere  Kritiken  hier  des 
näheren  einzugehen,  ist  v;ohl  nicht  möglich  und  muß 


h  Diese  Versuclistiere  wurden  gleichfalls  demonstriert. 


Nr.  6 


167 


WIKNKR  KLINISCHE  WüClIENSClIIUET.  1907. 


Späteren  Aiisfühniiigen  vorhehallen  hU'ibeii.  liier  will  ic.li 
vorderhand  nur  unseren  einen  Tierversneli  Cornets 
Worten  entgegenhalten.  Es  scheint  nämlich  das  eine  „vak¬ 
zinierte“,  dann  virulent  infizierte  Kaninchen  geeignet,  di  ' 
auch  von  Weichsel  hanin  nnd  mir  vertretenen  Anschan- 
nngen  zn  stützen,  welchen  Anschauimgen  sich  in  jüngster 
Zeit  Koväcs  (Budapest)  augeschlossen  hat.  Damit  soll 
jedoch  nicht  das  L  o kalis ations ge s  etz  für  sich 
angegriffen  werden.  Es  ist  dieses  Gesetz  ja  eine  selhsl- 
verständliche  Folge  der  Konstruktionsverhältnisse  des 
menschlichen,  wie  tierischen  Organismus.  Angegriffen 
werden  soll  jedoch  dessen  Anwendung  lediglicli 
auf  spezifisch  tuherkulöse  Veränderungen.  Nach 
vielerlei  experimentellen  kirgehnissen  besteht  nämlich  ein 
volles  Recht,  wenn  man  außer  spezifisch  tuberkulösen  Ver¬ 
änderungen  im  lebenden  Organismus  je  nach  der  Beschaffen¬ 
heit  desselben,  wie  seiner  einzelnen  Teile  und  nach  der  Art 
der  Infektion  infolge  damit  gegebener  Verscbiebungen  der 
Reizschwelle,  welche  überschritten  eben  spezifiscb  tuber¬ 
kulöse  Veränderungen  da  oder  dort  zur  Entwicklung  ge¬ 
langen  läßt,  Veränderungen  nicht  spezifischer  Natur  aner¬ 
kennt,  welche  vielleicht  nur  durch  Verschiebung  des  nor¬ 
malen  Zellbildes  cbarakterisiert  sind,  also  keinen  spezifisch 
tuberkulösen  Charakter  tragen.  Zum  wenigsten  bezüglich 
dieses  einen  angeführten  Tierversuches  möchte  ich  Cornets 
Kritik  als  nicht  zutreffend  bezeichnen. 

Wenn  wir  uns  schließlich  fragen,  wie  weit  sich  Aehn- 
liches  oder  Analoges  heim  Menschen  unter  den  natürlichen 
Verhältnissen  ereignen  könnte,  so  müssen  wir  eben  daran 
denken,  daß  nicht  jede  Tuberkelbazilleninvasion  auch  eine 
manifeste  Tuberkulose  zur  Folge  haben  muß.  Wie  künstlich 
beim  Tiere,  könnte  sich  unter  natürlichen  Infektionsverhält¬ 
nissen  beim  Menschen  auch  eine  mehr  minder  vollständige, 
ja  vielleicht  auch  lokale  Immunität  entwickeln.  Das  Auftreten 
einer  manifesten  Tuberkulose  infolge  einer  Reinfektion 
ktinnte  dann  ganz  gut  Bilder  zeitigen,  wie  wir  sie  bei  unse¬ 
rem  ,, Vakzinationstier“  gesehen  haben.  Auch  mag  das  Bild 
einer  so  sich  entwickelnden  Tuberkulose  je  nach  dem  Zeit¬ 
punkt,  wann  die  Reinfektion  erfolgte,  ein  wechselndes  sein, 
so  daß  dann  das  Lokalisationsgesetz,  so  wie  es  Cornet 
in  jedem  Falle  angewendet  wissen  will,  keinen  befriedi¬ 
genden  Aufschluß  über  die  Art  und  den  Gang  der  Tuber¬ 
kuloseinfektion  zu  geben  vermag.  Freilich  sollen  erst  weitere 
Versuche  hier  eine  völlige  Klärung  anbahnen.  Jedenfalls 
aber  kann  ich  einen  solchen  Standpunkt  gegenüber  Cornet 
schon  heute  nicht  mehr  für  ungerechtfertigt 
halten. 


Aus  der  II.  med.  Abteilung  des  k.  k.  Kaiser-Franz-Joseph- 

Spitales  in  Wien. 

Septische  Erkrankungen  bei  Verkümmerung  des 
Granulozytensystems  *) 

Von  Privatdozenl  Dr.  Willielm  Türk,  k.  k.  Primararzt. 

Meine  Herren !  Ich  möchte  mir  erlauben.  Ihnen  über 
einen  Fall  von  Staphylokokkensepsis  zu  berichten,  der  sich 
durch  einen  ganz  außergewöhnlichen  histologischen  Befund 
des  Blutes  und  des  Knochenmarkes  auszeichnete  und  beider 
Befunde  halber  eine  hohe  praktische  und  theoretische  Be¬ 
deutung  gewinnen  dürfte. 

Am  1 7.  Dezember  1906  wurde  eine  45jährige  Hilfs- 
arbeilerin  in  ziemlich  benommenem  Zustande  hoch  liehernd 
auf  meine  Spitalsahteilung  aufgenommen.  Die  Vorgeschichte 
ihrer  Erkrankung  war  sehr  kurz :  Die  Kranke  war  stets  gesund 
gewesen,  hatte  nie  einen  Arzt  gebraucht.  Seit  etwa  vier  Wochen 
fühlle  sie  sich  nicht  mehr  ganz  wohl:  sie  klagte  über  Stechen 
in  der  rechten  Flanke,  besonders  heim  Husten  und  fühlte  sich 
überhaupt  schwach.  Am  1.  Dezember  wurde  sie  bettlägerig, 
hatte  beständig  über  Frösteln,  Kopfschmerz,  Appetitlosigkeit  und 
in  den  letzten  Tagen  auch  über  Diarrhöen  zu  klagen  und  magerte 
sichtlich  ah.  Seit  einigen  Tagen  entstanden  auch  rote  Flecken 

*)  Nach  einer  in  der  Wiener  Gesellschaft  für  innere  Medizin  am 
24.  Januar  1907  gehaltenen  D  monslration. 


auf  der  liauchhaul  und  die  Schmerzen  in  der  rechten  Flanke 
steigerten  sich  soweit,  daß  die  Kranke  ins  Spital  ging. 

Der  klinische  Befund  am  18.  Dezember  war  folgender: 
Schwächlicher  Körperbau;  deutliche  Reste  von  Rachitis  an 
Schädel  und  Brustkorb;  starke  Abmagerung.  Hohes  Fieber  bis 
39  6“,  deutliche  Benommenheit.  In  der  Haut  des  Bauches,  weniger 
der  Hypochondrien  und  des  Rückens  findet  sich  eine  große 
Zahl  von  lebhaft  roten,  erhabenen,  in  der  Mitte  häufig  mit  einem 
Blutpunkt  oder  einer  förmlichen  Blulhla.se  gezeichneten  Infiltraten 
im  Durchmesser  von  3  bis  10  mm,  stellenweise  zusammen¬ 
fließend.  Sie  entsprechen  ihrem  Aussehen  nach  septischen  Haut¬ 
embolien.  Am  Schädel  nichts  Besonderes,  keine  meningitischen 
Symptome.  Schwellung  der  linken  Hälfte  der  Uherlippe;  hei 
Druck  auf  die  Schwellung  entleert  sich  aus  einer  kleinen  Oeff- 
nung  innen  eine  schmutzighräunliche,  trübe  Flüssigkeit.  An  der 
Unterlippe  rechts  ein  unregelmäßig  begrenztes,  mit  festhaften¬ 
dem  schmierigen  Belage  versehenes  Geschwür;  zwei  kleinere 
derartige  Geschwüre  an  der  Zungenspitze.  Zahnfleisch  gerötet, 
geschwellt,  den  mittleren  unteren  Schneidezähnen  entsprechend 
eine  unregelmäßige,  weiße,  nekrotische  Partie.  Zähne  außer¬ 
ordentlich  schlecht.  Weicher  Gaumen,  Gaumenbögen  und  Man¬ 
deln  etwas  geschwellt  und  stark  entzündlich  gerötet,  jedoch  ohne 
Beläge.  Am  Halse  sind  beiderseits  unter  dem  Unterkiefer  und 
am  vorderen  Rande  des  Kopfnickens  mehrere  erhsen-  bis  hohnen- 
große,  druckschnierzhafte  Drüsen  zu  tasten.  SupraJRavikular  und 
nuchal  finden  sich  beiderseits  ganz  kleine,  kaum  hanfkorngroßo, 
unempfindliche  Drüsen,  etwas  größere,  erhsen-  bis  hohnengroße 
in  beiden  Achselhöhlen  und  Leistenbeugen,  die  größten  von 
ihnen  empfindlich.  Die  Milz  ist  nicht  zu  tasten,  auch  per¬ 
kutorisch  kaum  vergrößert.  Leber  nicht  geschwellt.  Brustheiji, 
Rippen  und  Schienbeine  sind  auf  Druck  mäßig  schmerzhaft. 
An  der  Basis  der  rechten  Lunge,  rückwärts  neben  der  Wirbel¬ 
säule,  findet  sich  ein  etwa  handtellergroßer,  pneumonischer  Herd 
mit  Bronchialatmen  und  klingendem  Rasseln;  sonst  ist  dei' 
Lungenbefund  negativ;  kein  Auswurf.  Der  Herzspitzenstoß  steht 
im  fünften  Interkostalraum,  einen  Querfinger  außerhalb  der  Ma- 
millarlinie,  ist  verstärkt  und  verbreitert;  die  Herzdämpfung  ist 
nach  rechts  und  nach  oben  nicht  verbreitert.  An  der  Spitze 
hört  man  nach  dem  deutlichen  ersten  Tone  ein  langgezogenes 
systolisches  Geräusch,  der  zweite  Ton  ist  überall  rein,  an  der 
Fulmonalis  nicht  merklich  verstärkt.  Augen-,  Ohren-  und  Geni- 
talhefund  negativ.  Im  Harn  Spuren  von  Eiweiß',  V'erminderung 
der  Chloride,  keine  Diazoreaktion. 

Das  klinische  Bild  entsprach  also  einer  Sepsis  bei  be¬ 
stehender  Insuffizienz  der  Mitralis,  wahrscheinlich  also  hei  frischer 
ÄTitralendokarditis. 

Ich  war  nun  sehr  begierig,  das  Blutbild  zu  sehen,  um 
so  mehr,  als  mir  mein  Assistent  mitteilte,  er  habe  gleich  am 
17.  die  Leukozyten  zählen  wollen,  jedoch  hei  einer  Verdünnung 
von  1:20  so  wenig  Leukozyten  gefunden,  daß  er  die  Zählung 
wieder  aufgab.  Ich  nahm  also  sogleich  seihst  eine  Blutunter¬ 
suchung  vor  und  diese  ergab  tatsächlich  ein  ganz  eigenartiges 
und  unerwartetes  Resultat. 

Ich  fand:  Rote  Blutkörperchen  (R)  5,245.000,  Hämoglobin 
(Hb)  Fleischl -Mi  e  scher,  Verdünnung  V4oo:46,  also  92h'o  der 
Norm  entsprechend,  weiße  Blutkörperchen  (W)  940  im  Kubik¬ 
millimeter.  Es  bestand  also  eine  ganz  enorme  Verminderung 
der  Leukozyten,  das  Bemerkenswerteste  aber  war,  daß  sich  hei 
der  Durchzählung  von  sechs  großen  (Türkschen)  Leukozyteji- 
zählkammern,  also  auf  einer  Fläche  von  54  mm“  hei  einer 
V erdünnung  von  1:10  unter  532  weißen  Bl  u  t  k ö r p e r c h e n 
nicht  eine  einzige  polymorphkernige  Zelle  vorfand ; 
erst  in  der  sechsten  Kammer  sah  ich  außerhalb  des  Zählnetzes 
eine  einzige  derartige  Zelle.  Mehr  als  90%  (genauer:  93-5%) 
der  in  den  Zählkammern  vorhandenen  Zellen  tragen  die  Cha¬ 
raktere  von  Lymphozyten,  nur  sind  sie  zumeist  auffällig 
blaß  gefärbt  und  etwas  größer.  Ihnen  kommen  an  Zahl  zu¬ 
nächst  (4-4%)  größere,  einfach-  oder  gelapptkernige  Zollen,  die 
annähernd,  abe^  nicht  immer  ganz  dem  Typus  der  großen  mono¬ 
nukleären  Leukozyten  entsprechen,  an  dritter  Stelle  stehen  mit 
1-5%  Plasmazellen  und  vereinzelt  (0-6%)  finden  sich  ganz 
atypische,  äußerst  große,  einkernige  Zellen.  In  den  Trocken- 
prä paraten  sind  die  Erythrozyten  etwas  ungleichmäßig  in 
ihrer  Größe,  öfters  leicht  oval  oder  elliptisch;  sie  sind  kaum 
blässer,  zeigen  keine  auffällige  Polychromasie,  keine  Punktie¬ 
rung;  kernhaltige  sind  nicht  zu  finden.  Blutplättchen  kaum 
etwas  zahlreicher.  Bei  einer  sehr  sorgfältigen  Durchmusterung 
einer  ganzen  Anzahl  von  Präparaten  —  ich  saß  den  ganzen 
Nachmittag  und  die  halbe  Nacht  über  ihnen  —  konnte  ich 
schließlich  im  ganzen  acht  bis  zehn  polymorphkernige  Neutro¬ 
phile  von  gewöhnlicher  Form  des  Kernes,  nur  mit  etwas  mangel- 


158 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1'JÜ7. 


Nr.  G 


Juil'ler  üraiiulaliou  iiacliwoiseii.  Alyeio/ylen,  I'.osiiiupliile,  MasL- 
zelloii  f(‘lil('ii  vollsläiulig.  (lewil.)  über  1)0""  aller  weißen  lllnl- 
kürperchen  sind  liyinpliozyten.  \’on  ihnen  ist  aber  mir  ein 
kbdner  Teil  normal,  zeigt  gute  Färbung  des  Kernes  nnd  des 
Froto]Rasmas ;  mindestens  vier  Fünftel  der  Lymiihozyten  sind 
etwas  od('r  belräcbllicb  vei'größert,  ihr  Kern  ist  clironiatin- 
ärnier,  ihr  Zelleib  breit,  scblecht  färbbar.  Bei  'Friazid  ist  der 
Kern  dieser  Zellen  sehr  blaßi,  graublau,  das  Frotoiilasmn  unge¬ 
färbt,  zeigt  keine  Spur  von  Körnung.  Die  schon  erwälmten 
größei'en,  einfach-  oder  gelapptkernigen  ungranulierten  Zellen 
entsprechen  zum  Teil<*  dem  Typus  der  normalen  großen  mono¬ 
nukleären  Leukozyten,  zuin  Teile  sind  sie  etwas  abweichend 
gestaltet,  sehr  unregelmäßig  begrenzt,  hie  nnd  da  vakuolisiert, 
schlecht  färbbar.  Selten  findet  man  eine  außerordeidlicb  große 
Zelle  mit  verhältnismäßig  kleinem,  runden  Kerne  und  ungranu- 
liertem  Protoplasma,  einer  Endothelzelle  ähnlich.  Die  vorhan¬ 
denen  Plasmazeilen  sind  von  gewöhnlicher  Beschaffenheit,  nur 
hie  und  da  ebenfalls  vakuolisiert.  xVlle  einkernigen  Elemente, 
besonders  die  vergrößerten  Lymphozyten,  sind  nicht  nur  scblecht 
färbbar,  sondern  auch  außerordentlich  zerreißlich.  Eeberall  siebt 
man  auch  in  sehr  dicken  Präparaten  zertrümmerte  ungranu- 
lierte  Zellen,  die  man  dann  nicht  immer  mehr  näher  einreiben 
kann.  Zerrissene  Granulozyten  sind  nirgends  zu  sehen.  Der 
zahlreichen  Zelltrümmer  wegen  habe  ich  eine  Differenzialzäblung 
im  Trockenpräparat  unterlassen. 

13(0'  K  ran  k  h  e  i  t  s  v  e  r  1  a  u  f  war  folgender :  A m  1 9.  De¬ 
zember  Fieber  bis  400'’,  Allgemeinbefinden  schlechter,  Ifaut- 
infiltrale  größer  und  mit  größeren  zentralen  Blutungen;  die  Milz 
reicht  fast  bis  zum  Rippenbogen  ;  Binstbein,  Rippen  und  Schien¬ 
beine  mäßig  schmerzhaft,  Tonsillen  mit  einem  dicken,  opaken, 
weißen  Belage  versehen,  Drüsen  unverändert.  Am  20.  Dezember 
gleicbbohes  Fieber,  stärkere  Benommenheit,  Herzkraft  geringer, 
der  physikalische  Befund  unverändert;  um  Vä4  Uhr  nachmittags 
tritt  unter  zunehmender  Herzschwäche  der  Tod  ein. 

Inzwischen  waren  nocli  verschiedene  Untersuchungen  durch¬ 
geführt  worden.  Die  gleich  anfangs  voi'bereitete  Widalsche 
Reaktion  war  bei  Verdünnung  von  1:20  und  1:50  positiv. 
Einer  Blulblase  inmitten  eines  embolischen  Herdes  der  Baueb- 
haut  war  aseptisch  Inhalt  entnommen  und  dieser  bakteriologisch 
untersucht  worden.  Im  Deckglas  und  auf  der  Platte  fand  sich 
völlig  rein  Staphylococcus  pyogenes  aureus.  Auch  eine 
Vemmpnnktion  war  zwecks  bakteriologischer  Blutuntersuclnmg 
gemacht  worden;  die  Platten  bliehen  steril.  Am  20.  Dezember 
nahm  ich  mittags  noch  eine  Blutuntersuchung  vor.  Ich  fand 
eine  Leukozytenzahl  von  1950;  in  zwei  Leukozytenzäblkammern 
fand  sich  unter  359  weißen  Blutkörperchen  eine  polymorph¬ 
kernige  Zelle.  Die  Differenzialzählung  in  den  Zählkammern  er- 
gal)  folgende  Verhältniswerte:  Normale  und  vergrößerte  Lym¬ 
phozyten  zusammen  9()T"'o;  große  mononukleäre  Leukozyten 
2-23T" ;  Plasmazellen  0  55"";  ganz  atypische  große,  einkernige 
Zellen  (s.  o.)  0-84 "/";  polymorphkernige  Zellen  0-28"o.  DieTrocken- 
präparate  wiesen  genau  das  gleiche  Bild  auf  wie  bei  der  ersten 
Untersuchung,  nur  entdeckte  ich  nach  langem  Suchen  auch  einen 
Normoblasten. 

Nach  diesen  Befunden  war  die  Deutung  des  Falles 
keine  so  einfache  Sache  mehr.  Eine  Staphylokokkensepsis 
hesland  jedenfalls;  es  fragte  sich  aber,  oh  sie  die  einzige 
und  primäre  Krankheit  sei,  oder  ob  sie  sekundär  zu  einem 
anderen  Krankheitsprozesse  hinzugetreten  war.  Naturgemäß 
konnte  zur  Beantwortung  dieser  Frage  nur  der  Blutbefund 
herangezogen  werden,  der  auch  allein  ihre  Aufrollung  be¬ 
dingt  hatte.  Und  dieser  Befund  war  gekennzeichnet  durch 
das  beinahe  vollkommene  Verschwinden  der  Neutrophilen, 
das  v(’3llige  Fehlen  von  Eosinophilen  und  Mastzellen,  bei 
vielfach  pathologischer  Beschaffenheit  der  an  sich  nicht 
vermehrten,  aber  beinahe  allein  im  Blute  kreisenden  Lympho¬ 
zyten  und  verwandter  ungranulierter  Zellformen. 

Wii'  wissen  ja  längst,  daß  nicht  nur  der  Typhus,  die 
Miliarluherkulose,  die  Malaria  und  die  Masern  regelmäßig 
mit  einer  Leukozytenverminderung  im  Blute  einhergehen, 
sondern  daß  auch  andere  Infektionen,  insbesondere  septi¬ 
sche  Erkrankungen  in  seltenen  Fällen  eine  Leukopenie  auf¬ 
weisen.  Selbst  die  extreme  Leukozytenverminderung  in 
unserem  Falle  wäre  also  kein  Grund  gewesen,  an  etwas  Be¬ 
sonderes  zu  denken,  wenn  nicht  der  fast  völlige  Granulo¬ 
zytenschwund  den  bisherigen  Beobachtungen  bei  infektiösen 
Leukopenien  widersprochen  hätte ;  auch  bei  diesen  letzteren 
ist  ja  der  Verhältniswert  der  Neutrophilen  oftmals  herab- 


gesetzl,  hie  und  da  selbsl  bis  auf  30  oder  lO'Vo  ;  aber  zu 
einem  so  völligen  Schwunde  kommt  es  nicht.  Ein  so  hoch¬ 
gradiger  Granulozytenschwund  ist  bisher  nur  einige  Male 
hei  akuten  Lymphomatösen  (mit  und  ohne  Iwndvopenie)  be- 
obachtel  worden.  Ueber  einen  Fall  mit  völligem  Fehlen 
granulierter  Zellen  bei  extremer  Leukopenie  berichtete  in 
dieser  Gesellschatt  E.  Schwarz  am  23.  .luni  1004.  Ein 
neunjähriges  Kind  hatte  anscheinend  einen  Nierenahszeß  ge¬ 
habt,  dessen  Eiter  durch  den  Harn  entleert  wurde  und 
Bacterium  coli  enthielt.  Später  traten  Drüsenschwellungen 
und  Stomatitis  auf  und  das  Kind  ging  rasch  zugrunde.  Einige 
Tage  vor  dem  Tode  untersuch! e  Schwarz  das  Blut  und  fand 
nur  600  Leukozyten  u.  zw.  ausschließlich  Lymphozyten; 
granulierte  Zellen  komden  weder  in  der  Zählkammer,  noch 
in  den  Trockenpräparaten  nachgewiesen  werden.  Eine  Ob¬ 
duktion  wurde  nicht  gemacht,  der  Falt  hlieh  also  unauf¬ 
geklärt.  Schwarz  war  geneigt,  ,,das  totale  Versagen  der 
Knochenmarkkomponente  auf  eine  Wucherung  des  lympha¬ 
tischen  Apparates  zurückzu  führen“,  also  eine  LymphomatoS'O 
anzunehmen,  hielt  aber  auch  die  Möglichkeit  nicht  für  aus¬ 
geschlossen,  daß  ein  ganz  ungewöhnlich  hoher  Grad  negativ- 
chemotaktischer  Einwirkung  durch  Bacterium  coli  diesen 
Befund  erzeugt  habe.  Ich  selbst  schloß  mich  damals  der 
Meinung  an,  daß  eine  alym[diämische  Lymphomatöse  vor¬ 
liege  und  hatte  kurze  Zeit  danach  Gelegenheit,  einen  mit 
Arsen  bis  zum  Eintreten  und  halbjährigen  Forthestande  von 
Leukopenie  behandelten  Fall  von  typischer  myeloider  Leu¬ 
kämie  zu  sehen,  hei  dem  sich  terminal  eine  akute  Lympho¬ 
matöse  mit  extremer  Leukofienie  entwickelte,  wobei  die 
Granulozyten  schließlich  ehenfalls  bis  auf  6%  vermindert 
waren  und  auch  im  Knochenmarke  der  Granulozytenapparat 
bis  auf  ganz  vereinzelte  Myelozyten  völlig  durch  lymphoide 
Wucherung  verdrängt  war.*)  Schon  früher  hatte  ich  bei 
zwei  Fällen  akuter  alymphämischer  Lymphomatösen  eine 
sehr  starke,  aber  doch  nicht  so  extreme  Verminderung  der 
Granulozyten  hei  bestehender  Leukopenie  beobachtet. 

Da  also  bisher  lymiVlioide  Wucherur  g  im  Kno.hznmark 
als  das  einzige  anatomische  Substrat  für  eine  vollkommene 
\'erdrängung  des  Granulozylenhitdungssystenies  bekannt  war 
und  auch  der  Fall  Schwarz  eine  solche  Deutung  zuließ,  war 
ich  im  jetzigen  Falle  um  so  mehr  geneigt,  an  eine  alymphä- 
misclie  Lymphomatöse  als  Grundkrankheit,  auf  welche 
sekundär  eine  Staphylokokkensepsis  aufgepfropft  wurde,  zu 
denken,  da  auch  die  Lymphozyten  morphologisch  nicht 
normal  waren,  sondern  zumeist  jene  Veränderungen  zeigten, 
welche  regelmäßig  bei  lymphomatösen  Wucherungen  beob¬ 
achtet  werden :  Vergrößerung,  schlechte  Färbbarkeit  und 
enorme  Zerreißlichkeit  der  Zellen.  Eine  weitere  Stütze  fand 
diese  Annahme  in  dem  Auftreten  einer  nekrotisierenden 
Gingivitis  und  Stomatitis,  einer  rasch  fortschreitenden  Ton¬ 
sillitis  und  der  bestehenden  Knochenschmerzhaftigkeit.  Daß 
die  Drüsenschwellungen  ganz  minimal  waren,  konnte  dieser 
Annahme  nicht  widerstreiten,  da  ein  solcher  Befund  gerade 
bei  akuten  Lymphomatösen  nicht  selten  ist.  Zu  einer  völlig 
sicheren  Diagnose  konnte  ich  mich  aber  doch  nicht  ent¬ 
schließen,  da  insbesondere  die  positiv  ausgefallene  Grube  r- 
Wi  dal  sehe  Reaktion  aiudi  an  die  Möglichkeit  zu  denken 
zwang,  daß  die  Sepsis  sich  zu  einem  uncharakteristisch  ver¬ 
laufenen  Typhus  gesellt  habe  und  daß  beide  schweren  In¬ 
fektionen  zusammen  dieses  ungewöhnliche  Blutbild  erzeugt 
haben.  Ich  glaubte  zwar  an  einen  Typhus  nicht,  aber  dei’ 
erwähnte  Gedankengang  veranlaßte  mich  doch,  zu  den  in  die 
klinische  Diagnose  außer  der  Staphylokokkensepsis  aufge- 
nommenen  Worten  ,, akute  alymphämische  Lymphomatöse“ 
ein  Fragezeichen  zu  setzen. 

Die  am  21.  Dezember  von  Dr.  Helly  vorgenommone 
Sektion  ergab  nun  zunächst  das  Bestehen  einer  Sepsis. 
Anscheinend  im  Verlaufe  einer  von  den  Tonsillen  aus¬ 
gehenden  Allgemeininfektion  war  auf  der  von  früher  her 
leicht  insuffizienten  Mitralis  eine  frische  Endokarditis  ent¬ 
standen.  Aus  dem  steril  entnommenen  Herzblut  ging  eine 

*)  Siehe  Verhandlungen  des  ,23.  Kongrrß  für  innere  Medizin  in 
München  1906, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


169 


Nr.  6 


einzige  Kolonie  von  Stapliylocoecus  pyogenes  aureus  auf. 
Ini  Unterlappen  der  rechten  Lunge  fand  sich  ein  emholischer 
Eiterherd  mit  entzündlicher  Infiltration  der  Umgebung;  die 
iMilz  war  ganz  mäßig  vergrößert,  die  Ürüsenschwellungen 
waren  geringgradig  und  sahen  makroskopisch  wie  rein  ent¬ 
zündlich  aus.  Thymus  klein,  fettig.  Das  Knochenmark  eines 
Oberschenkels,  Schienbeines  und  Oberarmknochens  war  bis 
auf  eine  einzige  erbsengroße  Hämorrhagie  und  einige 
schwach  rötlich  schimmernde  Flecken  ein  ganz  gewöhnliches 
k'ettmark,  das  Mark  des  Brustbeines  sah  wie  ein  normales 
rotes  Mark  aus.  Von  Typhus  keine  Spur.  Die  makroskopisch- 
anatomische  Untersuchung  ergab  also  keinerlei  Anhalts¬ 
punkte  für  das  Bestehen  einer  primären  Lymphomatöse  und 
ließ  auch  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  einen  derartigen 
mikroskopischen  Befund  mehr  bestehen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  sämtlicher  blut- 
zellenhildenden  Organe,  über  deren  Einzelheiten  Ihnen  Herr 
Dr.  Hel  ly  sogleich  berichten  wird,  hat  ergehen,  daß  tat¬ 
sächlich  nirgends  eine  lymphoide  Wucherung  im  Sinne  einer 
Lymphomatöse  besteht.  Die  Lyrnphdrüsen  zeigen  einen 
durchaus  normalen  Aufbau,  in  der  Milz  liegt  keine  lym¬ 
phoide  Infiltration  vor.  Das  Knochenmark  aber  bietet  einen 
ganz  eigenartigen  Befund.  Zunächst  ist  die  Architektur  des 
i'oten  Markes  im  Sternum  und  in  den  winzigen  roten  An¬ 
teilen  des  Röhrenknochenmarkes  tadellos  erhalten,  eine  In¬ 
filtration '"oder  eine  Zellwucherung  irgendwelcher  Art  liegt 
nicht  vor.  Die  Markbälkchen  zwischen  den  rundlichen 
Fettzellengruppen  erscheinen  vielmehr  geradezu 
dürftig,  und  vor  allem  fällt  die  geringe  Zahl  von 
Leukozyten  in  ihnen  auf,  während  der  Erythro¬ 
zyt  e  n  h  i  1  d  u  n  g  s  a  p)  p  a  r  a  t  ziemlich  n  o  r  m  a  1  e  n  t- 
wi ekelt  ist.  Das  Bemerkenswerteste  aber  ist,  daß  die 
zwischen  den  Erythrozyten  und  Erythrohlasten  eingelagerten 
nicht  eben  reichlichen  weißen  Zellen  geradezu  aus¬ 
schließlich  nur  —  Lymphozyten  und  Plasmazellen  sind; 
nach  einer  neutrophilen  Zelle  muß  man  recht  lange  suchen 
und  diese  spärlichen  Myelozyten  liegen  stets  nur  einzeln, 
während  die  Lymphozyten  und  Plasmazellen  auch  kleine 
0 nippen  und  Verbände  bilden.  Aber  auch  sie  erzeugen  keine 
,, Infiltration“,  verdrängen  auch  keinen  anderen  Oewebsteil, 
scheinen  vielmehr  nur  in  einer  den  Baum  kaum  füllenden 
Zahl  an  die  Stelle  der  geschwundenen  Granulozyten  getreten 
zu  sein.  Eosinophile  Zelleji  sind  erst  nach  langem  Suchen 
vereinzelt  zu  finden,  Mastzellen  fehlen. 

Das  ist,  meine  Herren,  ein  Knochemnarkshild,  welches 
trotz  des  Umstandes,  daß  Lymphozyten  und  Plasmazellen 
beinahe  die  einzigen  Vertreter  der  Leukozyten  in  ihm  dar¬ 
stellen,  doch  von  dem  Bilde  der  lymphomatösen  Infiltration 
des  Markes  ebensoweit  entfernt  ist  wie  von  jenem  Bilde, 
das  man  sonst  bei  den  mit  Leukopenie  einhergehenden 
Infektionskrankheiten,  also  z.  B.  beim  Abdominaltyphus,  zu 
sehen  bekommt.  Im  ersteren  Falle  liegt  eine  rücksichtslose 
Wucherung  lymphoider  Eleinente  vor,  die  alle  anderen  Zell¬ 
formen  förmlich  erdrück! ;  die  Zellen  sind  dicht  gedrängt, 
die  Zellbalken  verbreitert,  die  Fettläppchen  verkleinert  oder 
stellenweise  ganz  verschwunden.  Im  letzteren  Falle  werden 
ja  allerdings  auch  Lymphozyten  und  ihnen  ähnliche  Zell- 
fornien  in  vermehrter  Anzahl  heohachtet,  dabei  ist  aber  der 
Granulozytenapparat  in  keiner  Weise  verkümmert,  sondern 
gut  entwickelt  und  funktionstüchtig. 

Von  keinem  dieser  beiden  Bilder  kann  in  unserem 
b alle  die  Rede  sein ;  es  handelt  sich  e i n f a c h  u m 
einen  IM  angel  an  Granulozyten,  den  spezifischen 
weißen  Elementen  des  Markgewebes,  und  an  ihre  Stelle 
sind  förmlich  vikariierend  vermehrte  Lympho¬ 
zyten  und  PI  a  s  m  a  z  e  1 1  e  n  getreten. 

Dieser  Knochenmark bef und  steht  meines 
Wissens  bisher  ohne  jede  Analogie  da  und  darf 
daher  auch  nur  mit  Vorsicht  gedeutet  werden.  Wenn  ich 
aber  Blutl)ild  und  Knochenmarkbefund  Zusammenhalte,  so 
drängt  sich  mir  immer  wieder  zwingend  der  Gedanke  auf, 
daß  hier  nur  deshalb  so  außerordentlich  wenige  Granulo¬ 
zyten  im  Blute  zu  finden  waren,  weil  von  vornherein, 


d.  h.  schon  vor  dem  Auftreten  der  tödlichen  Krankheit, 
ein  verkümmerter  und  mangelhaft  fnnktions- 
fähiger,  also  ein  hypoplastischer  Granulozytenappa¬ 
rat  bestand.  Aus  diesem  Grunde  konnte  die  Kranke  auf 
die  Infektion  nicht  mit  der  üblichen  Leukozytose  reagieren, 
die  Leistungsfähigkeit  des  Markes  war  rasch  erschöpft,  so 
sehr  erschöpft,  daß  schließlich  kaum  mehr  vereinzelte  Myelo¬ 
zyten  im  Gewebe  übrig  blieben  und  im  Blute  nur  mehr 
mit  Mühe  ein  paar  Neutrophiie  gefunden  werden  konnten. 
Daß  ein  solches  Ergebnis  bei  einem  vorher  normal  funk¬ 
tionierenden  Knochenmarke  durch  die  septische  Infektion 
allein  hervorgebracht  worderi  sei,  ist  nach  dem  histologischen 
Bilde  des  Markes  nicht  anzunehmen;  wir  würden  dann 
hier  schwere  Degeneration  und  Entdifferenzierung  des  Gra¬ 
nulozytensystems,  nicht  aber  einen  spurlosen  Ausfall  zu 
erwarten  haben.  Leider  fehlt  aber  in  der  logischen  Kette 
meiner  Schlußfolgerungen  ein  letztes  Glied:  die  Kenntnis 
des  Blutbildes  unserer  Patientin  vor  Beginn  ihrer  septi¬ 
schen  Erkrankung!  Ich  meine  ja  nicht,  daß  sie  in  gesunden 
Tagen  auch  beinahe  gar  keine  Granulozyten  gehabt  habe; 
aber  ich  stelle  mir  vor,  daß  ihr  Granulozytenapparat  so 
kümmerlich  funktionierte,  daß  die  von  ihm  gelieferte  Zell¬ 
menge  (vielleicht  schon  jetzt  hei  werktätiger  Unterstützung 
durch  vermehrte  Lymphozyten)  zwar  ausreichte,  die  Be¬ 
dürfnisse  des  von  keiner  wesentlichen  Schädigung  betrof¬ 
fenen  Organismus  zu  befriedigen,  daß  er  aber  absolut  außer¬ 
stande  war,  eine  energische  Reaktion  einzuleiten,  als  eine 
schwere  Infektion  eintrat;  bei  diesem  Anlaß  wurde  viel¬ 
mehr  sein  ohnehin  sehr  kümmerlicher  Bestand  vollends 
aufgezehrt.  Auch  jetzt,  meine  ich,  traten  wohl  die  schon 
früher  lebhaft  tätigen  Lymphozyten  für  das  versagende 
Schwestergewehe  als  ein  allerdings  minderwertiger  Ersatz 
in  die  Bresche  und  erlithm  im  Kampfe  dann  jene  oben 
beschriebenen,  morphologischen  Veränderungen,  welche 
wohl  den  auch  an  den  Neutrophilen  im  Verlaufe  von  In¬ 
fektionskrankheiten  zu  beobachtenden  Anomalien  an  die 
Seite  zu  stellen  sind,  über  die  Arneth  in  den  letzten 
Jahren  so  ühermäßig  vieles  geschrieben  hat.  ' 

Ich  bin  überzeugt,  daß  mein  Fall  durchaus  nicht  allein 
sieht,  sondern  daß  es  ähnliche  Bilder,  wenn  auch  nicht 
stets  von  gleich  hoher  Fntwicklung,  nicht  gar  so  selten 
gehen  mag:  Leute,  bei  denen  aus  irgendeinem  Grunde  der 
Granulozytenapparat  mangelhaft  entwickelt  oder  verküm¬ 
mert  ist  und  deren  Knochenmark  dementsprechend  bei  er¬ 
höhtem  Granulozytenhedarf  des  Blutes  mehr  oder  minder 
vollkommen  versagt.  Insbesondere  wäre  ich  geneigt,  daran 
zu  denken,  daß  die  Fälle  von  sogenanntem  Status  lym- 
phaticus,  der  sich  anscheinend  besonders  häufig  im  An¬ 
schluß  an  Rachitis  entwickelt,  in  die  Kategorie  von  Men¬ 
schen  mit  minderwertigem  Grannlozytensystem  gehören 
und  es  wäre  nicht  unmöglich,  daß  der  Ausfall  einer  aus¬ 
reichenden  Granulozytenlieferung  für  das  Blut  hei  Infek- 
lionskrankheiten  einer  der  Gründe  dafür  ist,  daß  solche 
Leute  verhältnismäßig  leichten  Infektionen  so  wenig  Wider¬ 
stand  entgegenzusetzen  vermögen  und  ihnen  so  leicht  er¬ 
liegen.  Aber  das  ist  bislang  reine  hypothetische  Spekulation! 

Ich  glaube  auch,  daß  ich  selbst  vor  wenigen  Monaten 
bereits  einen  Krankheitsfall  heobachtete,  der  in  diese  Gruppe 
gehört  und  den  ich  erst  jetzt  nach  dem  Ergehnis  der  histo¬ 
logischen  Untersuchung  des  besprochenen  Falles  richtig  zu 
deuten  vermag,  während  ich  ihn  damals  in  offenkundig 
irriger  Weise  als  eine  akute  sublyrnphämische  Lympho¬ 
matöse  mit  Sekundärinfektion  auffaßte.  Ich  bitte,  mir  noch 
zu  gestatten,  daß  ich  Ihnen  auch  über  diesen  hochinter¬ 
essanten  Fall  in  großen  Zügen  berichte. 

Am  27.  September  1906  wurde  ich  zu  einem  etwa  20- 
jährigen  Manne  gerufen,  der  eben  vom  luuide  in  die  Stadt  zu- 
rückgekehi't  war  und  nach  seinen  ganz  verläßlichen  Angaben 
bereits  seit  zwölf  Tagen  an  einer  heftigen  Italscmtznudung  litt. 
Er  hatte  die  ganze  Zeit  hindurch  unregelmäßiges  Fieber  mit 
Anstiegen  bis  zu  40”  C  und  zeitweiligen  Schweißausbrüchen. 
Dahei  waren  eigentlich  die  lokalen  Be.schwerden  gering,  dei' 
Kranke  war  sehr  aufgeräumt,  nahm  die  Erkrankung  selir  leiclil, 
da  er  schon  wieitinJintt  an  Italsentzündnngen  mit  Ahszedi('rnng 


WIKNEU  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


'bU 


geliUen  hatle,  suli  aber  doch  nach  der  Aussage  seiner  MuLler 
wesen! lieh  schlechter  ans  als  vorher.  Der  Arzt,  welcher  den 
Kranken  vorher  auf  dein  Lande  behandelt  hatte,  war  durch 
die  Hartnäckigkeit  der  Angina  uinl  durch  die  Hölie  nnd  lange 
Dauer  des  Fiebers  beunruhigt  und  stellte  bei  genauerer  Unter¬ 
suchung  auch  eine  Schwellung  der  Milz  fest.  Er  sagte  dann 
dein  Kranken,  daß  er  glaube,  es-  sei  ein  typhöses  Fieber  dabei 
und  gal)  wegen  gleichzeitiger  Verstopfung  eine  Dosis  Kalomel. 
Offenbar  hatte  er  also  wirklich  die  Meinung,  daß  die  Angina 
nur  Begleiterin  eines  Typhus  sei.  Ich  fand  den  Kranken,  wie 
gesagt,  bei  guter  Laune;  er  war  kräftig  gebaut  und  gut  genährt. 
Fieber  über  38'’.  Starke  Schwellung  und  mäßige  Zerklüftung 
beider  Tonsillen;  in  beiden  sind  mehrfach  lakunäre  Pfropfe 
zu  sehen ;  kein  Anzeichen  für  Abszedierung.  Es  bestehen  beider¬ 
seits  am  Halse  Drüsenschwellungen:  etwa  haselnußgroße 
schmerzhafte  Drüsen  beiderseits  unter  dem  Unterkiefer  und  am 
vorderen  Rande  des  Kopfnickers,  kleinere  gegen  das  Kinn  zu 
nach  vorne ;  ganz  kleine  Drüsen  über  dem  rechten  Warzen- 
fortsatzc,  linsengroße  beiderseits  nuchal,  bis  erbsengroße  supra¬ 
klavikulär;  die  rechtseitigen  sind  etwas  größer  und  auf  Druck 
empfindlich.  In  Achselhöhlen  und  Ellenbeugen  sind  gleichfalls 
kleine,  hanfkorn-  bis  erbsengroße  Drüsen,  etwas  deutlichere, 
ziemlich  derbe,  schmerzlose,  meist  linsen-  bis  erbsengroße  Drüsen 
sind  in  beiden  Leistenbeugen  zu  tasten.  Die  Milz  ist  beträcht¬ 
lich  vei-größerl,  ihr  Pol  ist  breit,  recht  derb,  steht  gut  tastbar 
V-»  bis  1  Querfinger  unterhalb  des  Rippenbogens;  der  vordere 
Rand  steht  zwischen  vorderer  Axillar-  und  Mamillarlinie  und 
ist  auf  Druck  etwas  empfindlich.  Brustbein,  Rippen  und  Schien¬ 
beine  sind  nicht  druckschmerzhaft.  Lungen-  und  Herzbefund 
negativ.  Harn  eiweißfrei. 

Daß  es  sich  nicht  um  eine  einfache  lakunäre  Angina  handle, 
war  hienach  wohl  allsogleich  klar;  ich  dachte  auch  nicht  an 
('inen  komplizierenden  Typhus,  nahm  vielmehr  eine  Allgemein¬ 
infektion  von  den  Tonsillen  aus,  eine  wahrscheinlich  nicht  sehr 
schwere  Bakteriämie  an.  Ich  hatte  aber  auch,  gestützt  auf 
frühere  Erfahiamgen,  schon  bei  der  ersten  Untersuchung  an  die 
Möglichkeit  einer  klinisch  uncharakteristischen  Lymphomatöse  mit 
sekundärer  Infektion  an  den  Tonsillen  gedacht.  Immerhin  war 
dieser  Gedanke  durch  die  erstangeführte  Annahme  wieder  ganz 
in  den  Hintergrund  gedrängt  worden.  Beim  nächsten  Besuche 
am  29.  September  nahm  ich  mir  aber  doch,  um  mich  sicher¬ 
zustellen,  meinen  Blutzählapparat  mit.  Das  Fieber  war  bestehen 
geblieben,  auf  den  Tonsillen  fanden  sich  zahlreichere  Pfröpfe 
und  auch  größere,  leicht  abstreifbare  Beläge;  keine  Abszedierung. 
Der  übrige  Befund  war  unverändert.  Ich  machte  mir  auch  Ab¬ 
striche  von  einem  am  unteren  Ende  der  linken  Tonsille  haften¬ 
den  glasig-zähen  Exsudatpfropfe. 

.Als  ich  nun  daheim  das  Leukozytenzählpräparat  ansah, 
erschrak  ich  wirklich  über  das  vorliegende  Bild.  Anstatt  der 
sicher  erwarteten  neutrophilen  Leukozytose  fand  ich  allerdings 
('ine  Leukozytenvermehrung  auf  16.700,  aber  ausschließlich  her¬ 
vorgebracht  durch  Lymphozyten  und  größere,  blaß  färbbare,  ein¬ 
kernige  oder  plump  -  gelapptkernige  Zellen,  welche  schon  nach 
(h'in  xVussohen  in  der  Zählkammer  bis  auf  drei  oder  vier,  die 
.Myelozyten  sein  konnten,  gewiß  keine  Granulozyten  waren.  Ich 
fand  in  der  Kammer  nui'  14-91  A'o  polymori)hkernige  Neutrophile 
(das  sind  2500  im  nvnU),  0-27”/o  Mastzellen,  dagegen  84-82Vo 
Lymphozyten  und  größere  einkernige  Elemente.  Die  nach 
.Icnner,  Leishman  und  Giemsa  gefärbten  Trockenpräpar.ate 
('rgaben  tatsächlich,  daß  die  Granulozyten  gegenühei'  den  un- 
granulierlen  einfach-  und  gelapptkernigen  Zellen  weitaus  in  der 
Minderzahl  waren;  ihr  AVer!  schwankt  in  den  verschi(‘denen 
Prä|)aralen  bei  Durchmusterung  von  500  bis  1000  Zollen  zwischen 
1LO°o  Tind  17-8, 3^/0.  Die  Neutrophilen  zeigen  dabei  nur  zu  einem 
kleinen  Teile  plumiigeformte  Kerne,  wie  das  bei  Infoklionskrank- 
lu'iU'ii  üblich  ist  und  ganz  vereinzelt  finden  sich  ueTdrophile 
Alyelozytc'ii  —  alle  übrigen  Elemente  aber  sind  ungranuliert 
u.  zw.  entfallen  unter  ihnen  auf  die  normalen  Lymphozyten 
und  großen  mononukleären  Leukozyten  nur  geringe  Prozent¬ 
zahlen,  während  die-  Hauptmasse  pathologische  Eigenschaften 
z('igt.  al)er  den  Lymphozytentypus  noch  immer  erkennen  läßt. 
Die  Zellen  sind  in  verschiedenem  Grad(‘  vergrößert:  etwas  kleiner, 
('Ix'iiso  groß  oder  sogar  größer  als  die  polymorphkernigen  Neu- 
lr()])hilen;  ihr  Kern  ist  chromalinreicher  als  jener  dei'  normahm 
großen  mononnkleären  Leukozyten,  schärfer  abgegrenzt,  rund¬ 
lich  Oller  nierc'nförmig  oih'i'  mit  einem  tieferen  hilusartigen  Ein¬ 
schnitt  versehen  nnd  zeigt  geradezu  ausnahmslos  die  Chronri- 
linslniklnr  eiiu's  gewöhnlichen  Lymi)hozyten.  Das  Protoplasma 
ist  nu'ist  ziendich  breit,  bei  den  kleineren  etwas  schwächer 
b(‘i  den  größ<'ren  auffülHg  gut  mit  Alethyleidilan  färbbar,  so  stark' 
daß  man  bei  mancher  Z(*lle  im  Zweifel  ist,  ob  sie  nicht  schon' 


den  Plasmazellen  zugezählt  werden  solle.  Endlich  finden  sich 
in  mäßiger  Prozentzahl  typische  Plasmazellen  („Reizungsformen“) 
der  verschiedensten  Größe.  Bemerkenswert  ist  auch  hier  die 
enorme  Zerreißlichkeit  der  Zellen:  auch  in  ganz  dicken  Prä¬ 
paraten  finden  sich  Zelltrümmer  von  ungranulierten  Zellen  in 
beträchtlicher  Zahl,  während  von  Granulozyten  nur  an  dünnen 
Stellen  vereinzelte  Exemplare  zerrissen,  aber  als  Granulozyten 
immer  wieder  leicht  ei kennbar  sind.  Ich  gebe  zur  genauci’en 
Kennzeichnung  der  Einzelbefunde  das  Zählresidtat  eines  recht 
dickgestrichenen  Jeimerpräparates,  in  welchem  ich  lOüU  Leu¬ 
kozyten  durchmusterte,  wieder: 


Polymorphkernige  Neutrophile 
Neutrophile  Myelozyten  .  .  .  . 

Eosinophile  (polymorphkernige)  . 
Mastzellen . 


15-3'’/o' 

0'2®/o  zusammen  15'8''/ii 
0'l®/o[  Granulozyten 
0-27„ 


Normal  aussehende  Lymphozyten  . 
Vergrößerte  und  atypische  Lymphozyten 
Große  mononukleäre  Leukozyten 

Plasmazellen . 

Trümmer  ungranulierter  Leukozyten 


6 -270 
62-77o 
ri7o 
l-97o 
12-37uJ 


zusammen  84'27o 
einkernige  ungra- 
nulierte  Zellen. 


Ich  färbte  jetzt  auch  einen  Exsudatabstrich  mit 
Methylenblau  und  einen  nach  Giemsa.  und  auch  im  Exsudate 
fand  ich  das  gleiche  überraschende  Bild  wie  im  Blute.  Eiter¬ 
zellen  muß  man  direkt  suchön,  es  sind  nur  ganz  wenige  vor¬ 
handen,  in  großen  Verbänden  dagegen  und  auch  verstreut  in 
großer  Zahl  finden  sich  typische  Lymphozyten  verschiedener 
Größe,  Zellen  vom  Charakter  der  großen  Lymphozyten,  mit 
blassem  Kern  und  schmalem,  stark  basopl  ilein  Protoplasma,  end¬ 
lich  ganz  große  blasse  Zellen  mit  rundem  oder  plump  gelapptem 
Kern  und  breitem,  wenig  färbbarem  Protoplasma.  Ein  nach 
Gram  gefärbtes  Präparat  der  gleichen  Herkunft  zeigt  Massen 
von  Gram-festen  Kokken,  in  Häufchen,  zu  Paaren  und  in 
Ketten. 

Nach  diesen  mikroskopischen  Befunden  war  ich  )iun  ge¬ 
zwungen,  meine  fiäiher  gestellte  Diagnose  umzustürzen;  ich  mußte 
nach  dem  bisherigen  Stande  unseres  AVissens  eine  akute  sub- 
ly  mp  hämische  Lymphomatöse,  mit  anderen  Worten  ('ine 
akute  lympoide  Leukämie  mit  dermalen  wenig  entwickeltem 
Blutbilde  diagnostizieren,  zu  welcher  sekundär  eine  von  den 
Tonsillen  ausgehende  Kokkeninfektion,  wie  so  häufig,  getreten 
war.  Der  schon  am  ersten  Tage  vorübergehend  gehegte,  dann 
aber  wieder  unterdrückte  Verdacht  wurde  nun  zur  ganz  posi¬ 
tiven  Ueberzeugung  verstärkt.  Denn  man  kannte  bisher  außer 
den  erwähnten  Formen  der  Lymphomatösen  keine  Erkrankung, 
welche  ein  derartiges  Blutbild  gäbe,  was  Zahl  der  Lymphozyten 
sowohl  als  insbesondere  deren  morphologische  Verhältnisse  be¬ 
trifft.  Der  klinische  Befund  war  zwar  nicht  so,  daß  er  an  sich 
eine  solche  Diagnose  nahegelegt  hätte,  aber  er  widersprach  auch 
nicht  der  durch  das  Blutbild  und  den  Zellbefund  des  Exsudates 
im  Rachen  scheinbar  festbegründeten  Annahme. 

Als  ich  am  1.  Oktober  den  Kranken  wieder  sah,  war 
der  Zustand  deutlich  verschlechtert.  Temperatur  39-3’’.  Tonsillen 
stärker  geschwellt,  berühren  fast  die  Uvula;  Pfröpfe  und  Beläge 
jedenfalls  nicht  geringer;  keine  Abszeßbildung.  Die  Drüsen- 
schwellimgen  sind  im  Gleichen,  die  .Milz  aber  ist  entschieden 
gewachsen,  ihr  Pol  steht  volle  zwei  Querfinger  unterhalb  des 
Rippenbogens,  ihr  innerer  Rand  in  der  verlängerteji  Mamillar¬ 
linie.  Auch  die  Leber  erscheint  jetzt  etwas  geschwellt,  sehr 
weich.  Knochen  nirgends  druckschmerzhaft.  Dabei  aber  ist  der 
Puls  nur  wenig  beschleunigt,  das  xAllgemeinbefinden  ein  ziem¬ 
lich  gutes. 

Durch  diese  A'^erschlimmeruiig  wurde  ich  in  meiner  Dia¬ 
gnose  noch  wesentlich  bestärkt  und  ich  fühlte  niich  vert)flicbt('l, 
eine  Schwester  und  später  den  Bruder  des  Kranken  über  die 
nach  fester  Ueberzeugung  gestellte  Diagnose  zu  informieren  und 
ihnen  die  vollkommen  trostlose  Prognose  zu  eröffnen.  Das  batli' 
aber  zur  Folge,  daß  man  meine  Behandlung  nicht  weiti'r 
wünscht('  und  einen  anderen  Ai'zt  rief.  Ich  sah  seither  den 
Kranken  nicht  mehr,  war  aber  nach  einigen  AA'ochen  sehr  über¬ 
rascht,  als  ich  hörte,  daß  sich  der  Zustand  dos  Kranken  anßei'- 
ordentlich  gebessert  babe,  daß  im  A^erlaufe  von  10  bis  14  Tagen 
Angina  und  Fieber  zurückgegangen  seien  nnd  daß  der  Kranke 
jetzt  zwar  etwas  blaß  aussehe  und  noch  eine  geringe  Milz¬ 
schwellung  habe,  sich  aber  gesund  fühle.  Und  seither  hat  er 
sich,  wie  ich  später  in  Erfahrung  brachte,  vollkommen  erholt, 
die  Milzschwellung  ist  zurückgegangen,  der  Patieid  sieht  auch 
wieder  gesund  aus  wie  früher. 

Ich  konnte  mir  das  alles  absolut  nicht  erklären  und 
hat  einen  mir  hefreundeh'n  Kollegen,  der  den  Kranken  zwar 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


nicht  behandelt,  aber  Gelegenheit  hat,  ihn  hie  und  da  zu 
sehen  und  von  dein  ich  im  wesentlichen  die  spcäteren  Nach¬ 
richten  erhielt,  mir,  wenn  möglich,  ein  Blutpräparat  von 
dem  Kranken  zur  Verfügung  zu  stellen.  Durch  die  Liebens¬ 
würdigkeit  dieses  Kollegen  kmn  ich  in  die  Lage,  noch  zwei- 
mnl  Bluttrockenpräparate  von  dem  Kranken  zu  sehen  und 
zwar  vom  24.  Oktober  1906,  also  kaum  zwei  Wochen  nach 
Ablauf  der  akuten  Erscheinungen  und  vom  12.  .Januar 
dieses  Jahres.  Beide  Male  ist  die  Leukozytenzahl  schätzungs¬ 
weise  eher  etwas  niedrig,  höchstens  normal;  beide  Male 
sind  die  Lymphozyten  noch  bedeutend  prozentual  ver¬ 
mehrt,  in  ihrer  Morphologie  jedoch,  abgesehen  davon,  daß 
namentlich  das  zweitemal  ein  Teil  etwas  größer  erscheint, 
nicht  mehr  pathologisch.  Ich  zählte  am  24.  Oktober  1906: 
Polymorphkernige  Neutrophile  376No,  Eosinophile  l-2°/o, 
Mastzellen  0-4 No,  Lymphozyten  56-4 No,  große  mononukleäre 
Leukozyten  3-6No  und  Plasmazellen  0  8No;  am  12.  Januar 
dieses  Jahres:  Polymorphkernige  Neulrophile  43-2No,  Eosino¬ 
phile  2-2 No,  Mastzellen  0-2 No,  Lymphozyten  48-2 No  und 
große  mononukleäre  Leukozyten  6^2 No. 

Dieser  Fall  findet,  da  er  ja  doch  nach  seinem  Aus¬ 
gang  und  dem  jetzigen  Befunde  unmöglich  mehr  als  eine 
sublymphämische  Lymphomatöse  aufgefaßt  werden  kann, 
in  der  Literatur  meines  Wissens  überhaupt  keine  Analogie 
und  ich  konnte  ihn  auch  insolange  nicht  deuten,  als  ich 
nicht  den  heute  zuerst  besprochenen  Fall  und  seinen  ana¬ 
tomischen  Befund  gesehen  hatte.  Jetzt  allerdings  ist  er 
mir  erklärlich,  ja  geradezu  klar:  auch  hier  handelte  es 
sich  offenbar  bei  einer  mangelhaften  Reaktionsfähigkeit  des 
Granulozytenapparates  um  eine  schwere  Reizung  und  in¬ 
fektiös-toxische  Schädigung  des  an  seiner  Statt  förmlich 
in  die  Lücke  tretenden  Lymphozytenapparates  durch  eine 
von  den  Tonsillen  ausgehende  Kokkenallgemeiuinfektion.  Da- 
bei  muß  man  annehmen,  daß  hier  die  Verkümmerung  des 
Granulozytenapparates  einen  wesentlich  geringeren  Grad  als 
in  dem  erstl)esprochenen  Falle  erreicht  hat,  da  er  ja  immer 
noch  imstande  war,  auf  der  Höhe  der  Krankheit  2500  Neutro¬ 
phile  pro  mm^  Blut  in  die  Zirkulation  zu  ■  entsenden.  Wäre 
die  Allgemeininfektion  eine  einigermaßen  schwerere  ge¬ 
wesen,  so  wäre  wohl  auch  hier  der  ohnehin  nur  durch 
Mobilisierung  des  letzten  Aufgebotes  (der  Lymphozyten¬ 
reihe)  in  einem  ganz  außergewöhnlich  langwierigen  und 
lange  Zeit  hindurch  uneu (schieden  geführten  Kampfe  end¬ 
lich  siegreich  durchgeführte  Widerstand  des  Organismus 
gebrochen  worden.  Eine  andere  Deutung  des  Falles  er¬ 
scheint  mir  heute  nicht  zulässig;  vielleicht  kann  er  uns 
aber  zu  Gedanken  darüber  anregen,  auf  welche  Weise  die 
ätiologisch  und  pathogenetisch  noch  unklaren,  akuten 
Lymphomatösen  überhaupt  entstehen. 

Die  beiden  besprochenen  Fälle  scheinen  mir  sowohl 
in  diagnostischer  Hinsicht  als  in  bezug  auf  die  prognostische 
Beurteilung  infektiöser  Erkrankungen  ein  großes  Interesse 
zu  verdienen.  Erstens  lernen  wir  aus  ihnen,  daß  Blutbilder, 
welche  man  bisher  ausschließlich  auf  eine  spezifische  Wu¬ 
cherung  des  lymphatischen  Apparates  zurückgeführt  hal, 
ausnahmsweise  auch  ohne  eine  solche  Wucherung  durch 
Infektionskrankheiten  dann  erzeugt  werden  können,  wenn 
der  Granulozytenapparat  einseitig  seine  Reaktionsfähigkeit 
mehr  oder  minder  vollkommen  eingebüßt  hat,  offenbar  des¬ 
halb,  weil  er  sich  von  früher  her  in  einem  Zustand  der 
Verkümmerung  oder  Hypoplasie  verschiedenen  Grades  be¬ 
laud.  Bei  den  höchsten  Graden  dieser  Verkümmerung  (siehe 
tall  1  und  Fall  Schwarz)  kann  es  zu  einem  geradezu 
oder  beinahe  völligen  Verschwinden  der  Granulozyten  aus 
dem  Blute,  dem  Knochenmark,  dem  Organismus  überhaupt 
kommen;  bei  den  mitideren  Graden  sind  zwar  Granidozyten 
im  Blute  leicht  zu  finden,  aber  ihre  Bildungsstätten  sind 
außerstande,  irgendeine  Mehrleistung  gegenüber  der  Norm 
aulzubringen  oder  auch  nur  die  normale  Tjeistung  aufrecht 
zu  erhalten.  In  beiden  Fällen  scheint  der  lymphatische 
Apparat,  soweit  er  es  vermag,  für  sein  funktionell  ver¬ 
sagendes  Schwestergewebe  in  die  Bresche  zu  treten  und 
es  finden  sich  dann  in  vers(dii('dener  Zahl  auch  palholo- 


gische,  teils  unreife,  teils  durch  die  krankmachende  Schäd¬ 
lichkeit  veränderte  I^ymi)hozytenformen  im  strömenden 
Blute.  Warum  eine  absolute  Vermehrung  der  J^ymphozyten 
einmal  vorhanden  ist,  ein  anderes  Mal  fehlt,  kann  ich  bis¬ 
her  nicht  aufklären. 

In  jedem  Falle  bedeutet  ein  mangelhaft  reaktionsfähiger, 
verkümmerter  Granulozytenapparat  eine  große  Schwäche  d('s 
Organismus,  denn  daß  die  Granulozyten  bei  der  Bekäm¬ 
pfung  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  den  Organismus 
treffenden  chemischen  und  infektiösen  Schädlichkeiten  eine 
ausschlaggebende  Rolle  siiielcn,  unterliegt  wohl,  keinem 
Zweifel  mehr.  Eine  Infektion,  die  ein  normaler  Organis¬ 
mus  mit  Leichtigkeit  überstellt,  kann  für  einen  solchen 
Kranken  einen  Kampf  auf  Leben  und  Tod  oder  direkt  die 
Katastrophe  bedeuten. 

Es  ist  seit  langen  Jahren  immer  wieder  darauf  hin¬ 
gewiesen  worden,  daß  Leu.kopenie  bei  solchen  Erkrankungen, 
welche  regelmäßig  mit  einer  neutrophilen  Leukozytose  ein¬ 
hergehen  (z.  B.  Pneumonie,  Sepsis)  eine  besonders  schlechte 
Prognose  bedeute.  Es  scheint  mir  naheliegend,  daß  gewiß 
ein  Teil  dieser  Fälle  in  das  heute  besprochene  Gebiet  ge¬ 
hört;  doch  wird  strenge  Kritik  des  Blutbildes  und  stets 
eine  genaue  Aufnahme  des  liistologischen  Befundes  aller 
Blutzellen  bildenden  Organe  notwendig  sein,  um  die  an¬ 
geregte  Frage  exakt  zu  lösen;  schematisch  wird  man  da 
nicht  Vorgehen  dürfen.  Weiters  habe  ich  die  Meinung,  daß 
die  enorm  verminderte  Widerstandskraft  der  Fälle  von  so¬ 
genanntem  Status  lyrnphaticus  der  Flauptsache  nach  oder 
doch  zum  Teile  auf  eine  Vcrkünunerung  des  Granulozyten¬ 
apparates  zurückzuführen  sein  dürfte ;  dafür  spricht  mir 
auch  der  Umstand,  daß  diesen  Habitus  besonders  häufig 
Rachitiker  zeigen  und  daß  die  Rachitis  nach  allen  Er¬ 
fahrungen  eine  nicht  zu  unterschätzende  Schädigung  des 
funktionierenden  Markgewebes  bedeutet. 

Ganz  anders  zu  beurteilen  sind  aber  zweifellos  die 
Blutbefunde  bei  jenen  Erkrankungen,  die  regelmäßig  oder 
doch  häufig  bei  ganz  normal  reaktionsfähigem  Granulo¬ 
zytenapparat  eine  Leukopenie  hervorrufen,  wie'z.  B.  beim 
Typhus.  Diese  Befunde  haben,  auch  wenn  die  Zahl  der 
Granulozyten  im  Blute  prozentual  und  absolut  herabgesetzt 
ist,  mit  einer  Hypoplasie  des  Granulozyteiiapparates  gar 
nichts  zu  lun.  Hier  liegt  offenbar  eine  spezifische  Einwir¬ 
kung  der  Infektion  vor,  welche  von  vornherein  einen  ver¬ 
mehrten  Uebertritt  solcher  Zellen  ins  Blut  verhindert.  Die 
Vorstellung  von  Arneth,  daß  ein  übermäßiger  Verbrauch 
von  Neutrophilen  in  der  Zirkulation  statlfinde,  dem  das 
Markgewebe  nicht  nachzukommen  vermöge,  kann  ich  mir 
nicht  zu  eigen  machen.  Ein  schlagendes  Beispiel  dafür, 
daß  nicht  Erschöpfung  des  Markgewebes  die  Ursache  der 
Typhusleukopenie  ist,  habe  ich  gerade  in  den  letzten  Wochen 
beobachten  können. 

Ein  junges  Mädchen  kam  Mitte  Dezember  1906  mit 
allgemeiner  Hyperästhesie,  Nackenstarro  und  anderen  nienin- 
gealen  Reizerscheinungen  hochfieberml  auf  meine  Abtei¬ 
lung  zur  Aufnahme.  Sie  hatte  eine  Leiikozytenzahl  von 
4700  und  wir  nahmen  nach  dem  klinischen  Bilde  zunächst 
an,  daß  eine  Meningitis  tuberculosa  bei  miliarer  Aussaat 
vorliege.  Erst  später  stellte  sich  heraus,  daß  es  sich  um 
einen  Abdominaltyphus  mit  besonders  schweren  Erschei¬ 
nungen  von  seiten  der  Meningen,  sowie  der  sensiblen  und 
trophischen  Nerven  handle.  Die  Patientin  bekam,  während 
die  Erkrankung  l^onst  in  gewohnter  Weise  verlief,  bei  wech¬ 
selnder  Hyperästhesie  und  Druckschmerzhaftigkeit  fast  aller 
zugänglichen  Nervenstämme  an  allen  Stellen,  wo  sie  auch 
nur  ganz  kurze  Zeit  mit  der  Unterlage  jn  Berührung  kam, 
einen  rapid  fortschreitenden  Dekubitus,  der  trotz  Wasser¬ 
polster  und  Wasserbett  zur  Gangrän  der  Weichteile  führte 
lind  die  Knochen  bloßlegte.  Vom  Dekubitus  aus  stellte  sich 
noch  während  des  Typhus  eine  septische  Allgemeininfektion 
ein,  welcher  die  Patientin  schließlich  erlag;  und  während 
der  septischen  Komplikation  brachte  es  die  Kranke  auf 
eine  tyiiische  neutrophile  Leukozytose  von  zunächst 
(lO.  Januar  1907)  39.000  und  schließrudi  kurz  vor 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


lb}i 


dem  Tode  (iß.  Januar  1907)  von  71.000  mit  allen 
morphologischen  Charakteren  einer  schweren  Schädigung 
der  kreisenden  Neutrophilen !  Einer  derartigen  Leistung 
wäre  ein  durch  den  Ty[)hus  gleich  anfangs  erschöpf¬ 
ter  oder  ein  verkümmerter  Ciranulozytenapparat  nie¬ 
mals  fähig  gewesen. 

Ich  habe  auf  die  Verschiedenheit  der  Bedeutung  leuko¬ 
penischer  Befunde  im  Verlaufe  von  Infektionskrankheiten 
nur  hingcwieseii,  um  einem  kritiklosen  Zusainmenwerfen  der 
gewöhnlichen  derartigen  Befunde  mit  den  von  mir  be- 
schriehenen  Blutbildern  von  vornherein  entgegenzutreten. 

Aus  der  III.  med.  Klinik.  (Vorstand:  Prof.  v.  Schrötter.) 

Zur  differentiellen  Diagnose  der  Knochenver¬ 
dickungen  *) 

Von  Dr.  Carl  Reitter,  Assistenten. 

Meine  Herren !  Die  Beohachtnng  eines  in  seiner  Form 
nicht  häufigen  Falles  von  Knochenerkranknng  veranlaßt 
mich,  Ihre  liebenswürdige  Aufmerksamkeit  für  einen  kurzen 
Vortrag,  der  nur  wenig  über  den  Bahmen  einer  Demonstra¬ 
tion  hinausgehen  soll,  zu  erbitten. 

Knochenverändernngen  im  Sinne  eines  Dickerwerdens 
des  Knochens,  d.  h.  einer  Zunahme  seines  queren  Durch¬ 
messers  —  ich  möchte  mich  mit  Bücksicht  auf  den  später 
zu  demonstrierenden  Fall  auf  diese  Verändernngen  an 
den  langen  Böhrenknochen  beschränken  —  können 
nur  einen  Abschnitt  der  Knochendiaphyse  oder  ihre  Gänze 
betreffen.  Die  Ursache  solcher  diffuser  Dickenzunahme  sind 
entzündliche  Vorgänge,  die  selten  im  Knochengewebe  selbst 
ihren  Ursprung  nehmen,  sondern  meist  entweder  vom 
Knochenmark  als  Osteomyelitis  oder  vom  Periost  als  Perio¬ 
stitis  ausgehen,  und  dann  sekundär  das  Knochengewehe 
in  Mitleidenschaft  ziehen.  Mitunter  können  auch  Mark  und 
Beinhaut  gleichzeitig  erkranken.  Auch  die  primäre  Erkran¬ 
kung  der  Weichteile,  entweder  mit  Uebergreifen  auf  den 
Knochen  oder  Erzeugung  einer  gewaltigen  Stauung,  ist  be¬ 
kannt;  ich  erinnere  z.  B.  an  die  Elephantiasis  ossea  bei 
altem  Ulcus  cruris.  Die  Entzündungsvorgänge  können  akut 
einsetzen,  wie  hei  der  Osteomyelitis  acuta  infectiosa  und 
in  ihren  Folgen  zur  Massenzunahme  des  Knochens  —  in 
diesem  Falle  meist  auch  mit  einer  Elongatio  verbunden  — 
führen,  oder  die  Entzündimgsprozesse  sind  chronische  und 
l)ringen  schließlich  ganz  ähnliche  Veränderungen  mit  sich. 
Unter  jene  Krankheitshilder,  die  schleichend  allmählich 
solche  diffuse  Knochenverdickungen  hervorriifen,  gehören 
die  Myeloperiostitis  chron.  (Schn  char  dt),  die  Osteite  ä 
forme  neuralgique  (Gossel in),  die  Quiet  necrosis  (Paget), 
die  Periostitis  ossificans  und  die  Lues. 

In  den  meisten  Fällen  wird  die  Anamnese,  der  Beginn 
des  Leidens,  die  genaue  Beobachtung  des  weiteren  Ver¬ 
laufes  die  Diagnoisenstellung  erleichtern;  es  gibt  aber  Fälle, 
bei  denen  wir  nur  auf  den  objektiv  zu  konstatierenden  Be¬ 
fund  angewiesen  sind,  und  bei  denen  nur  die  Anwendung 
aller  uns  zu  Gebote  stehenden  Untersiichungsmethoden  die 
Diagnose  ermöglichen. 

An  einem  derartigen  Falle  möchte  ich  die  weitere 
differentielle  Diagnose  besprechen. 

Der  jetzt  45jährige  Pat.  ist  Analphabet  und  macht  über  das 
Entstehen  seiner  Krankheit  ganz  ungenaue  Angaben,  aus  denen 
nur  hervorgeht,  daß  er  drei  Jahre  als  Infanterist  beim  Militär 
diente  und  daß  er  im  Jahre  1883,  während  seiner  Dienstzeit,  an 
den  Augen  durch  14  Tage  erkrankt  gewesen  sei.  Nach  seiner 
Entlassung  wäre  der  linke  Arm  allmählich  dicker  geworden  und 
wären  an  der  Haut  des  Oberarmes  Geschwüre  aufgetreten. 

Nach  einigen  Jahren  fiel  er  auf  der  Straße  zu  Boden  und 
seit  dieser  Zeit  sei  der  linke  Arm  —  mildem  er  sonst  alle  Hand¬ 
griffe  vornahm,  er  war  bis  dahin  Linkshänder  —  gebrauchs¬ 
unfähig. 

Wenn  wir  den  Pat.  betrachten,  so  sehen  wir  die  fehlende 
Schulterwölhung  und  die  medial  geneigte  Oherarmachse.  Ein 
Griff  unter  das  Akromion  zeigt,  daß  der  knöcherne  Widerstand 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  am 
11.  Januar  1907. 


des  sonst  an  dieser  Stelle  befindlichen  Oberarmkopfes  fehlt  und 
daß  weiterhin  der  rückwärtige  Rand  der  Fovea  glenoidalis,  wenn 
auch  nicht  sehr  deutlich,  zu  tasten  ist.  Außerdem  ist  aber  der 
Oberarm  in  seinem  oberen  Drittel  mit  nach  rückwärts  und  lateral 
offenem  Winkel  geknickt. 

Der  Humerus,  der  an  dieser  Stelle  verhältnismäßig  dünn 
ist,  verbreitert  sich  gegen  das  Ellbogengelenk  zu,  das  in  seinem 
Durchmesser  vergrößert  ist.  Der  schwere  Unterarm  ist  unförmig 
und  plump  und  setzt  sich  scharf  von  dem  fast  grazil  erscheinen¬ 
den  Handgelenk  und  der  Hand  ab.  Die  Zunahme  des  Vorderarm¬ 
umfanges  kommt  größtenteils  auf  Kosten  der  beiden  Vorderarm¬ 
knochen  zustande,  denn  diese  sind  als  stark  verdickt  und  an 
ihrer  ganzen  Oberfläche  höckerig,  gut  durchzufühlen.  Die  Muskel 
sind  an  der  linken  Schulter,  am  Oberarm  und  Vorderarm 
atrophisch;  am  Vorderarm,  nicht  aber  auf  der  Hand,  bestand 
Oedem,  das  in  den  letzten  zwei  Wochen  zurückgegangen  ist.  Die 
Haut  des  Oberarmes  und  der  Schulter  zeigt  sich  auf  eine  weite 
Strecke  hin  narbig  und  pigmentiert,  über  dem  Akromion  an  einer 
Stelle  mit  dem  Knochen  verwachsen. 

Die  Bewegung  im  Schultergelenk  ist,  wie  die  im  Ellbogen- 
gelenk  bedeutend  eingeschränkt;  die  Bewegungen  im  Hand-  und 
in  den  Fingergelenken  frei.  Die  übrigen  Gelenke  zeigen,  ebenso 
wie  die  Knochen  der  unteren  Extremitäten  und  des  Stammes 
keine  Veränderung.  An  beiden  Unterschenkeln  bestanden  Oedeme, 
die  bis  auf  eine  Verdickung*  der  Weichteile  am  rechten  Unter¬ 
schenkel  zurückgegangen  sind.  Die  interne  Untersuchung  ergibt 
eine  diffuse  chronische  Bronchitis  und  eine  Nephritis  parenchy- 
matosa,  wobei  für  Amyloidose  kein  Anhaltspunkt  gefunden 
werden  kann. 

Bevor  ich  zur  Darlegung  der  Diagnose  übergehe,  welcher 
Art  diese  Knochenerkrankung  ist,  demonstriere  ich  hier  die 
Röntgen  aufnahmen  der  Knochen : 

Der  linke  Humeruskopf  ist  von  der  Fovea  glenoidalis  weg 
nach  abwärts  gesunken  und  wendet  seine  Gelenkfläche,  die  in 
ihrer  Form  erhalten  ist,  kopfwärts.  Der  sich  anschließende  Teil 
des  Humerus  ist  verschmälert ;  am  Collum  cliirurgicum  ist  eine 
Kontinuitätstrennung  im  Knochen,  wobei  eine  winkelige  Stellung 
der  beiden  Fragmente  —  mit  einem  offenen  Winkel  nach  rück¬ 
wärts  und  außen  —  zustande  kommt.  An  dieser  Stelle  besteht 
eine  bindegewebige  Verbindung,  so  daß  wohl  eine  abnorme  Be¬ 
weglichkeit  vorhanden  ist,  gleichzeitig  aber  auch  das  obere  Frag¬ 
ment  an  den  passiv  ausgeführten  Bewegungen  des  unteren  teil¬ 
nehmen  muß. 

Unterhalb  der  Frakturstelle  beginnen  bereits  ausgehreitete 
periostale  Veränderungen,  indem  bedeutende  Verdickung,  Auf¬ 
faserung,  an  einzelnen  Stellen  auch  eine  Abhebung  des  ver¬ 
dichteten  Periostes  zu  bemerken  ist.  Gegen  die  Mitte  des  Ober¬ 
armes  ist  die  massige  Volumszunahme  am  stärksten.  Dabei  ist 
der  Markraum  weit  und  von  einer  besonders  starken  Sklerose, 
von  einer  ,,Eburneation“  nichts  zu  sehen.  Das  distale  Ende  ist 
weniger  verdickt,  doch  finden  sich  auch  hier  reichliche  periostale 
Auflagerungen.  Die  Gelenkfläche  der  Trochlea  ist  anscheinend 
gut  erhalten,  der  Gelenkspalt  nicht  sichtbar. 

Beide  Vorderarmknochen  sind  verbreitert ;  die  Ulna,  deren 
Kortikalis  eher  schmal  erscheint,  von  mächtigen  aufgelockerten 
und  ausgefransten  Periostauflagerungen  bedeckt. 

Der  Radius  ist  nicht  nur  durch  die  seine  ganze  Ober¬ 
fläche  einnehmende  Periostwucherung  verdickt,  wodurch  seine 
Oberfläche  wellig  uneben  wird,  sondern  es  ist  auch  seine  Knochen¬ 
substanz  verdichtet.  In  den  periostalen  Auflagerungen  sind  auch 
Stellen,  an  denen  Absumptionen  wahrzunebmen  sind ;  hier  sind 
Dellen,  die  bis  in  die  Kortikalis  hinein  reichen.  An  diesen  Partien 
wird  die  Markhöhle  undeutlich.  Die  distalen  Enden  des  Radius 
und  der  Ulna  sind  ganz  im  Gelenke  frei  von  Periostveränderungen, 
doch  zeigen  sie  rarifizierte  Spongiosazeichnung.  Das  Handgelenk 
und  die  Knochen  der  Hand  bieten  ein  vollkommen  normales  Bild. 

Was  null  die  Differentialdiagnose  betrifft,  so  kommen 
von  den  eingangs  erwähnten  Krankheiten  zwei  für  den  vor¬ 
liegenden  Fall  kaum  in  Betracht,  das  sind  Pagets  ,, Quiet 
necrosis“,  hei  der  eine  so  bedeutende  Mitbeteiligung  des 
Periostes  nicht  beschrieben  ist,  und  Grosselins  Osteite 
ä  forme  neuralgique,  ein  nur  von  diesem  Autor  geschildertes 
Krankheitsbild,  unter  dessen  Symptomen  die  hochgradigen 
neuralgiformen  Schmerzen  im  Ä^ordergrnnde  stehen.  Somit 
kommen  die  übrigen  drei  Knochenerkrankungen,  die  Osteo¬ 
myelitis.  die  Periostitis  chron.  ossificans  und  die  Lues  zur 
engeren  Differentialdiagnose. 

Die  Osteomyelitis  ofler  nach  Scbuchardt  die  Myelo¬ 
periostitis,  als  eine  Krankheit  der  Zeit  des  Wachstums,  wäre. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


163 


was  die  Zeit  der  Entstehung  betrifft  (wenn  die  Angabe 
des  Patienten,  daß  er  unmittelbar  nach  seiner  Entlassung 
vom  Militär  die  beginnende  Verdickung  bemerkt  hätte,  richtig 
ist),  nicht  ganz  abzuweisen.  Allerdings  wäre  die  Lokal isa*’- 
tion  eine  recht  seltene  und  würde  der  Mangel  des  ver¬ 
mehrten  Längenwachstums  auffallen.  Reichliche  Fistel¬ 


drittel  ist  vorhanden  und  die  Fraktur  an  dieser  Stelle  würde 
zwar  ein  verhältnismäßig  seltenes,  aber  doch  bekanntes 
Vorkommnis  darstellen.  Daß  die  Sklerosierung  der  Knochen 
keine  hochgradige  ist,  wäre  wohl  auch  gegen  die  Osteo¬ 
myelitis  anzuführen.  Ich  zeige  hier  zum  Vergleich  einige 
osteomyelitisch  veränderte,  durchgesägte  Knochen  aus  der 


Fig.  I 

C  =  gut  erhaltene  Cavitas  glenoidalis. 

K  —  Gelenkfläche  des  Hunaerus-Kopfes.  ' 

F  —  Frakturstelle  mit  Pseudarthrose. 


bildung  ist  auch  nicht  vorhanden,  doch  verweise  ich  auf  die 
eine  Stelle  am  Akromion,  an  der  die  Haut  mit  dem  Knochen 
verwachsen  ist.  Die  Bildung  von  Sequestern,  namentlich 
größeren  Sequestern,  fehlt,  wie  aus  den  Röntgen  bildern  zu 
entnehmen  ist,  vollständig.  Daß  bei  der  Erkrankung  der 
Skapula,  des  Humerus,  des  Radius  und  der  Ulna  die  Ge¬ 
lenke  und  Gelenksflächen  eine  so  geringe  Beteiligung  zeigen, 
wäre  bei  Osteomyelitis  auch  nicht  leicht  zu  erklären. 

Aus  der  Form  der  Knochen  wäre  sie  allerdings  nicht 
auszuschließen ;  auch  eine  Nekrose  am  oberen  Humerus- 


Sammlung  des  pathologischen  Institutes,  die  mir  Herr  Hofrat 
Prof.  W  e  i  c  h  s  e  1  b  aum  zur  Demonstration  freundlichst  über¬ 
lassen  hat,  wofür  ich  meinen  besten  Dank  ausspreche. 

Was  den  Befund  der  inneren  Organe  betrifft,  so  steht 
die  pulmonale  Erkrankung  in  keinem  Zusammenhang,  wohl 
aber  ist  eine  Nephritis  eine  häufige  Komplikation  der  Osteo¬ 
myelitis;  eine  im  Blute  vorhandene  Eosinophilie  —  es  sind 
11 ‘^/o  polynukleär-eosinophile  Zellen  —  ist  von  Joseph 
bei  Osteomyelitis  beschrieben. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


1GI 


Sind  somit  einige  Momente  vorhanden,  die  die  Dia¬ 
gnose  eijier  Osteomyelitis  stützen  können,  so  möchte  ich 
versnchen  darznlegen,  welche  Zeichen  für  die  Annahme 
einer  luetischen  gummösen  Knochenerkrankung  sprechen. 


von  Spontanfrakturen  hei  Myelitis  gummosa  in  der  Literatur 
niedergelegt.  Einer  dieser  Fälle  wurde  von  Hofrat  Neu¬ 
mann  vor  Jahren  in  dieser  Gesellschaft  demonstriert.  Auf 
einen  zAveiten,  in  dem  es  zur  Pseudarthrose  kam  und  der 


Durch  die  Arbeiten  von  Köh  l er,  Hahn,  Holzknecht, 
Freund  und  Kienböck  sind  wir  mit  den  Röntgenbildern 
der  gummösen  Periostitis,  Ostitis  und  Myelitis  vertraut  ge¬ 
macht  worden.  Gerade  die  überwiegende  Beteiligung  der 
periostalen  Affektion,  ihre  diffuse  Ausbreitung,  mit  stellen¬ 
weiser  Absumption  und  Finschmelzung,  ist  ein  Symptoni, 
das  wir  aus  den  Darstellungen  der  genannten  Autoren  für 
Lues  sprechend  kennen.  Unter  anderen  Fällen  hat  Kien¬ 
böck  in  einer  zusammenfassenden  Arbeit  einen  ihm  von 
Holzknecht  überlassenen  Fall  geschildert,  eine  gummöse 
Ostitis  des  mächtig  vergröberten  Humerus  bei  einem  34jäli- 
rigen  Manne  betreffend,  der  viele  Aehnlichkeit  mit  dem 
demonstrierten  Falle  aufweist.  Doch,  was  spricht  außer  dem 
Röntgenbefund,  der  vielleicht  einen  bindenden  Schluß  nicht 
erlaubt,  für  Lues?  Daß  fast  immer  Sequester  fehlen,  ist 
eine  bei  Knochensyphilis  bekannte  Tatsache;  dagegenkonnnt 
es  mitunter  zu  Nekrose  und  Karies  mit  Fistelbildung,  nament¬ 
lich  bei  sekundären  Infektionen  mit  pyogenen  Raklerien,  für 
welclie  Fälle  Rokitansky  den  Ausdruck  der  ('aries  pro¬ 
funda  schuf.  Die  Nekrose  spricht  also  ebenso  für  die  Lues 
wie  für  die  Osteomyelitis.  Reichliche  Fistelbildung  ist  bei 
Juies  selten,  aber  sie  ist  beobachtet  und  Chiari  bringt 
in  seiner  grundlegenden  Arlieit  über  die  Knochenmarks¬ 
gummen  einige  Beispiele  dafür.  Auf  diese  Nekrose  wird  auch 
die  bei  tertiärer  Knochensyphilis  seit  langem  her  bekannte 
Brüchigkeit  der  Knochen,  die  selbst  zu  Spontanfrakturen 
führen  kann,  zurückgeftihrt.  Ein  zweiter  Umstand,  der  aber 
die  Frakturierung  veranlassen  kann,  ist  das  Gumma  im 
Mark.  Gerade  für  den  Humerus  sind  bisher  neun  Fälle 


Fig.  HI. 

Blendenaufnahme  des  Ellbogengelenkes  in  der  ersten  Stellung  nach 

Albers-Schönberg. 


von  Prof.  E  h  rmann  hier  vorgestellt  wurde,  hat  mich  Dozent 
Freund  aufmerksam  gemacht.  Ich  kann  das  Röntgeno- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


105 


grainiii  desselben,  das  mir  Doz.  Freund  in  liebenswürdiger¬ 
weise  überließ,  hier  wieder  zeigen. 

Es  läge  also  für  luiseieii  Fall  die  doppelte  Möglich¬ 
keit:  Nekrose  oder  zentrales  Gumma,  vor.  Vielleicht  er¬ 
laubt  die  Eosinophilie  au  Mitbeteiligung  des  Markes  zu 
denken.  Jedenfalls  spricht  die  Frakturierung  ohne  Sequester¬ 
bildung  eher  für  Lues  als  für  Osteomyelitis.  Immerhin  ist  es 
bei  Annahme  einer  Lues  auffallend,  daß  das  Skelett  sonst 
keine  Veränderungen  aufweist;  ich  habe  den  Alarm  stück¬ 
weise  durchleuchtet  und  alle  übrigen  Knochen  normal  ge¬ 
funden.  Gerade  für  die  luetischen  Affektionen  wird  ja  immer 
betont,  daß  sie  meist  viele  Knochen,  oft  in  symmetrischer 
Anordnung  befallen.  Ich  verweise  diesbezüglich  wieder  auf 
eiiren  Fall  Kienböcks,  der  eiiren  Kranken  der  Klinik 
Nothnagels  beschrieb,  dessen  ganzes  Skelett  luetisch  ver¬ 
ändert  war.  Daß  unser  Patient  über  keine  wesentlichen 
Schmerzen  klagt,  mag  einerseits  in  seiner  Indolenz  liegen, 
anderseits  müssen  bei  luetischer  Knochenerkrankung  Dolores 


Aus  der  deutschen  psychiatrischen  Klinik  in  Prag. 

(Vorstand :  Prof.  A.  Pick.) 

Isolierter  halbseitiger  Zungenkrampf. 

Ein  Beitrag  zur  Jacksonschen  Epilepsie. 

Von  Dr.  M.  Pappenlieim,  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Zahl  der  in  der  Literatur  verzeichneten  Fälle  vou 
isoliertem  Zungenkrampf  ist  trotz  dem  von  den  Autoren 
immer  wieder  geäußerten  Wunsche  nach  kasuistischen  Alit- 
teilungen  eine  sehr  beschränkte  geblieben. 

Lange,^)  stellte  im  Jahre  1893  15  Fälle  zusammen 
und  unterzog  sie  einer  Besprechung.  Bernhardt“)  zitiert 
außer  diesen  noch  einige  zum  Teil  schon  vor  Jmnges 
I  Arbeit  publizierte  und  E.  Remak^)  erwähnt  noch  je  eine 
Beobachtung  von  Aphthongie  (Stein er t),  hysterischem 
Zungenkrampf  (E.  Remak),  von  Beschäftigungskrampf 
I  (Turner)  und  idiopathischem  Krampf  (Saenger *^^).  Einen 


Fig. 

Periostale  Veränderungen  an  Radius  und 

osteocopi  nicht ^auf treten.  Für  tlie  syphilitische  Osteomye¬ 
litis  betont  sogar  Chiari  diesen  Umstand.  Dieser  Kranke 
weiß  nichts  von  einer  syphilitischen  Ansteckung;  es  lassen 
sich  auch  keine  luetischen  Zeichen  an  seinem  Körper  finden, 
außer  der  Hautaffektion  am  linken  Oberarm. 

Ich  habe  bis  jetzt  von  dieser  Hauterkraidcung  nicht 
gesprochen.  Sie  gemahnt  uns,  an  jene  Fälle  zu  denken, 
in  denen  eine  chronische  Haut-  und  Unterhautzellgewebs¬ 
entzündung  oder  -entartung  eine  Knochenverdickung  hervo]-- 
ruft,  sei  es  durch  Uebergreifen  des  Prozesses  auf  den 
Knochen,  sei  es  durch  Stauung.  Bei  diesem  Patienten  zeigt 
die  Haut  an  der  lateralen  Seite  fast  des  ganzen  Oberarmes 
eine  narbige  Beschaffenheit.  Der  Rand,  der  wellenförmig 
verlauft,  ist  stärker  gerötet  und  reich  pigmentiert,  das  Zen¬ 
trum  dünn,  atrophisch,  blässer.  Unsere  Annahme,  daß  es 
sich  um  ein  serjriginöses  Hauisyphilid  handelt,  wurde  von 
Henri  Prof.  Finger,  der  die  Liebenswürdigkeit  hatte,  den 
Fall  anzusehen,  bestätigt.  Mit  dieser  Hautaffektion  syphili¬ 
tischer  Natur  über  dem  erkrankten  Knochen  ist  —  wie 
ich  glaube  —  das  wichtigste  Moment  gefunden,  wmlches 
zugunsten  der  Annahme  spricht,  daß  auch  die  Knochen¬ 
aff  e  k  t  i  o  n  eine  luetische  ist. 

Ob  das  Alark,  das  Periost  oder  die  Haut  den  Ausgangs¬ 
punkt  der  Veränderungen  bildete,  läßt  sich,  selbst  nur  mit 
einiger  Wahrscheinlichkeit,  nicht  entscheiden. 


IV. 

Ulna  mit  Freilassen  des  Handgelenkes. 

großen  Teil  der  beschriebenen  Fälle  trennt  Remak  als 
reflektorischen  Zungenkrampf,  Zungen-Tic  —  hieher  rechnet 
er  auch  die  von  Oppenheim  in  seinem  Lehrbuche  als 
,,in  Verbindung  mit  psychischen  Anomalien  auf  tretend“  er¬ 
wähnten  Krämpfe  —  artikulatorischen  Zungenkrampf  und 
Beschäftigungskrampf  von  den  idiopathischen  Krampflornien 
ab,  so  daß  diese  letzteren  nur  zehn  Beobachtimgen  um¬ 
fassen.  Doch  gibt  Remak  auch  für  diese  zu,  daß  es  sich 
nicht  um  ein  einheitliches  Krankheitsbild  handle  und 
die  Pathogenese  wahrscheinlich  nicht  in  allen  Fällen  die¬ 
selbe  sei. 

Nicht  erwähnt  ist  ein  F/ill  von  Paiisky,^)  in  welchem 
bei  einer  26jährigen  Frau  aus  nervöser  Familie  die  Krämpfe 
als  Vorläufer  allgemeiner  epileptischer  Anfälle  reflektorisch 
durch  Steine  im  I^uctus  Whartonianus  erzeugt  wmrden.  Per¬ 
sona  li*")  bemerkt  in  einer  Arbeit,  die  mir  leider  nicht 

*)  Lange,  Ein  Fall  von  beiderseitigem  idiopathischem  Hypoglossus- 
krampf.  Ein  Beitrag  etc.  (Archiv  f.  klin.  Med.,  Bd.  46,  S.  705.) 

Bernhardt,  Die  Erkrankungen  der  peripherischen  Nerven. 
H.  Teil.  (Nothnagel,  11.  Bd  ,  H.  Teil,  S.  73.) 

^)  E.  Remak,  Ueber  lokalisierte  Krämpfe.  (Deutsche  Klinik  am 
Eingänge  des  20.  Jahrhunderts.  6.  Bd.,  I.  Abt.,  S.  791.) 

^)  Säen  ge r,  Ein  Fall  von  idiopathischem  Zungeiikrampf.  (Monats¬ 
schrift  f.  Psych.,  7.  Bd.,  S.  77.) 

h  P  an  s  k  i.  Ein  Fall  von  Glossospasmus  und  von  Epilepsie  reflektori¬ 
schen  Ursprungs.  (Kronika  lökarskä  1897,  Nr.  12,  cf.  Jahresbericht  1897, 
S.  866.) 

®)  Personal i,  Idiopathic  cramp  of  the  tongue.  (Clinica  medica  I  ; 
ref.  im  British  med.  Journal,  9.  September  1899.) 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr  ü 


J.6Ü 


im  Originale  ziigcänglicli  war,  daß  idiopathische  Znngen- 
krämpfc  im  Alter  von  30  bis  40  Jahren  ziemlich  häutig 
Vorkommen.  Doch  scheinen  mir  die  Angahen  der  übrigen 
Autoren  gegen  diese  Behauptung  zu  sprechen. 

In  nieinein  Falle  handelt  es  sich  nin  einen  56jährigen  Flur- 
wächler,  der  ani  15.  Juli  1906,  gegen  11  Uhr  vormittags,  wegen 
,, großer  Unruhe,  Bedrohung  des  Wartepersonales  und  mehrfach 
niilornommener  Fluchl versuche“  von  einer  medizinischen  Klinik 
des  Allgemeinen  Krankenhauses  auf  unsere  Klinik  transferiert 
wurde.  Fat.  war  am  Tage  vorher  in  das  Krankenhaus  aufgenom- 
nien  worden  und  hatte  abends  ,, einen  Anfall  mit  klonisch-toni¬ 
schen  Krämpfen,  im  rechten  Fazialisgehiete  heginnend  und  auf 
den  rechlen  Arm  ühergehend“.  Die  mit  der  Frau  erhobene  Anam¬ 
nese,  die  später  durch  Angahen  des  Patienten  ergänzt  wurde, 
ergab,  daß  dieser  seit  vielen  Jahren  außerordentlich  große  Alkohol¬ 
mengen  —  in  der  letzten  Zeit  an  manchen  Tagen  bis  zu  einem 
Idler  Schnaps  und  zehn  Liter  Bier  —  konsumiert  habe.  Bis  vor 
acht  Jahren  sei  Pat.  stets  gesund  gewesen;  damals  habe  ('r  in 
einem  Zwischenräume  von  wenigen  Tagen  zwei  mit  Bewußtseius- 
verlust  vei'hundenc  allgemeine  Krajnpfanfäl'.e  gehabt,  deren  jeder 
etwa  zehn  Minuten  dauerte  und  hei  dejien  Schaum  aus  dem 
Munde  trat.  Seither  soll  Pat.  wieder  bis  auf  zeitweilige  Kopf¬ 
schmerzen  und  Magenühlichkeiten  vollkommen  gesund  gewesen 
sein,  nie  wieder  Krämpfe  gehabt  haben.  Psychische  Anomalien 
waren  nicht  bemerkt  worden.  Am  26.  Juni,  gegen  7  Uhr  früli, 
lial)e  Pat.  plötzlich  im  Schlafe  einen  Anfall  hekommen,  hei  dem 


reflexe  beiderseits  herabgesetzt.  Keine  Sensilnlitätsstörung,  auch 
nicht  fler  Zunge  oder  Wange.  Geschmack  und  die  übrigen  Sinnes- 
empfindnngen  intakt.  Die  motorische  Kraft  des  rechten  Armes 
vielleicht  etwas  herabgesetzt.  Im  Bereiche  der  Motilität  der  Fx- 
Iremitäten  sonst  keine  Störung.  Herz  nicht  hypertrophisch.  Innere 
Organe  normal.  Urin  ohne  pathologische  Bestandteile. 

Pat.  ist  zeitlich  und  örtlich  orientiert,  gibt  auf  Fragen 
nach  seinen  Generalien,  nach  seiner  Krankheit  ganz  korrekte 
Antworten,  wobei  sich  jedocli  eine  ziemlich  hochgradige  Sprach¬ 
störung  geltend  macht.  Die  Sprache  ist  sehr  verwaschen,  undeut¬ 
lich,  manchmal  fast  unverständlich,  so,  als  oh  Pat.  einen  Gegen¬ 
stand  im  Munde  hätte.  Er  seihst  sagt,  daß  er  nicht  sprechen 
könne,  weil  ,, seine  Zunge  so  schwer  sei,  daß  er  sie  nicht  gut  be¬ 
wegen  könne“.  (Die  Sprachstörung  ist  hochgradiger  als  ilie  in 
einem  Falle  von  halbseitiger  Zungenlähmung  nach  peripherer 
Hypoglos'susverletzung,  der  sich  auf  unserer  Klinik  befindet.) 
Dabei  ist  der  Kauakt  nicht  wesentlich  gestört  (ein  Verhalteti, 
auf  das  schon  v.  Monakow  aufmerksam  machte  und  das  er 
auf  bilaterale  Vertretung  des  Kauzentrums  in  der  Binde  zurück¬ 
führte). 

Im  Laufe  des  Tages  hatte  unser  Kranker  fünf  Krampf¬ 
anfälle  bei  erhaltenem  Bewußtsein.  Der  erste,  den  ich  seihst 
heohachtete,  hatte  folgenden  Verlauf:  Drehung  der  Bulbi  naci) 
rechts  und  klonische  Zuckungen  im  rechten  Orbicularis  oculi, 
dann  in  langsamer  Folge  klonische  Zuckungen  irn  rechten  Mund- 
facialis,  die  den  Mundwinkel  nach  außen  oben  verziehen,  Bechts- 


alle  Extremitäten,  die  rechten  stärker  als  die  linken,  gekrampft 
hälte]i.  Diese  Anfälle  hätten  sich  in  den  folgenden  Tagen  sehr 
häufig  wiederholt,  an  einem  Tage  angeblich  alle  fünf  Minuten, 
ln  der  Zwischenzeit  soll  Pat.  meist  henommen  oder  wenigstens 
sehr  stumpf  gewesen  sein,  fast  gar  nichts  gesprochen  haben. 
Lähmungen  will  Bef.  nicht  bemerkt  haben.  Im  ganzen  werden 
die  Angahen  über  die  letzte  Zeit  von  seiten  der  Fan  ziemlich 
unsicher  vorgebracht.  Ob  Aphasie  bestand,  ließ  sich  natürlich 
nicht  nachweisen.  Hereditäre  Belastung  fehlt  angeblich.  Für  Lues 
kein  Anhaltspunkt. 

Dem  Status  somaticus  ist  zu  entnehmen,  daß  es  sich 
um  einen  mittelgroßen,  kräfdg  gebauten  und  sehr  gut  genährten 
Ma]m  handelt.  Temperatur  hei  der  Einbringung  Puls  68, 

rhytlimisch,  äqual;  mäßige  Sklerose  der  peripheren  Arterien.  Ge¬ 
sicht  gerötet.  In  den  hinteren  Partien  des  rechten  und  linken 
Scheitelbeines  jo  eine  kleine  Hanl  narbe  (angeblich  von  lluf- 
schlägen  herrührend,  die  Pat.  mit  zwölf  Jahren  erhalten  habe). 
Die  Augenuntersuchung  ergibt  nichts  PathologisMies :  Augeiihewe- 
gungeii,  Verhalten  der  Pupillen,  Augenhinlergrund,  Gesichtsfeld 
sind  vollständig  normal.  Im  Bereich  des  Mundfazialis  zeigt  sich 
auch  in  der  Buhe  ein  deutliches  Beben,  der  rechte  Mundwinkel 
st(dit  wesentlich  tiefer  als  der  linke  und  bewegt  sich  weder  l)ei 
willkürlicher  Innervation,  noch  heim  Sprechen.  Im  Stirn-  und 
Augenfazialis  keine  wesentliche  Differenz.  Die  Zunge  wird  über 
Aufforderung  unter  lebhafter  grober  Unruhe  bloß  so  weit  vor- 
gestreckl,  daß  ihre  Spitze  gerade  in  den  rechten  Mundwinkel 
zu  liegen  kommt;  sie  weicht  also  stark  nach  rechts  ah.  Kein 
Zungenhiß.  Gebiß  sehr  schadhaft:  Am  Unterkiefer  bloß  der  linke 
Eckzahn  erhallen.  Bachenschleimhaut  leicht  granuliert.  Sonst 
nichts  Abnormes  in  der  Mundhöhle.  Ziemlich  lebhafter,  klein- 
schlägig(‘r  Tremor  der  gespreizten  Finger.  Sehnenreflexe  lehhaft. 
Bauch-  und  Kremasterreflexe  beiderseits  gleich.  Schleimhaut¬ 


wendung  des  Kopfes,  langsames  Heben  des  im  Ellbogengelenke 
etwa  rechtwinklig  gebeugten  rechten  Armes  und  endlich  einige 
schwache  klonische  Zuckungen  in  den  Fingern,  im  Hand-  und 
Ellhogengc'lenke,  in  geringen  Benge-  und  Streckbewegungen  be¬ 
stehend.  Damit  ist  dei'  Anfall,  der  etwa  eine  Minute  dauert,  vor¬ 
über.  (Während  desselben  weder  Bahinski  noch  Fußklonus.  Das 
Veihallen  der  Zunge  wurde  nicht  beachtet.)  Die  übrigen  Anfälle 
waren  nach  Aussage  der  W^ärter  dem  geschilderten  ganz  ähnlich. 

Pat.  erhielt  an  diesem  und  an  dem  folgenden  Tage  je  4  g 
Nalr.  hi'omati.  Die  Anfälle  sistierten  bereits  am  Tage  nach  der 
Einlieferung. 

Am  17.  konnte  die  Zunge  ohne  gröbere  Unruhe  ziemlich 
gut  vorgestreckt  werden,  zeigte  aber  starke  Deviation  nach  rechts, 
ln  der  Mundhöhle  wich  sie  eine  Spur  nach  links  ab,  der  Zungen- 
grnnd  war  rechts  etwas  höher  als  links,  ein  durch  die  Verminde¬ 
rung  des  Hyoglo'ssustonus  bedingtes,  nicht  ungewöhnliches  Ver¬ 
halten  hei  einseitiger  Hypoglossuslähmung.  Fazialisparese  unver¬ 
ändert.  Sprache  noch  immer  sehr  schwer  verständlich;  doch 
gelingt  es  dem  Patienten,  dieselben  Worte,  die  innerhalb  eiiuis 
Satzes  ganz  verschwommen  klingen,  einzeln  langsam  ziemlich 
deutlich  auszusprechen,  so  dalf  man  den  Eindruck  gewinnt,  daß 
die  Ursache  der  Sprachstörung  bloß  darin  liege,  daß  heim  fließen¬ 
den  Sprechen  die  Zunge  den  übrigen  am  Artikulationsakte  be¬ 
teiligten  Muskeln  nicht  schnell  genug  folgen  könne. 

Am  19.  stellten  sich  wieder  klonische  Zuckungen,  hei  er¬ 
haltenem  Bewußtsein,  im  rechten  IMundfazialis  ein,  welche  mit 
Zuckungen  in  der  Zunge  kombiniert  waren.  Diese  überdauerten, 
wie  ich  mich  selbst  überzeugen  konnte,  die  Mundwinkelzuckun¬ 
gen  um  ein  kurzes  und  begannen,  nach  Aussage  des  Patienten, 
aiudi  um  einige  Sekunden  früher  als  jene.  Die  Zahl  dieser  An¬ 
fälle  betrug  am  ersten  Tage  zehn  und  steigerte  sich  iii  den 
folgenden  Tagen  beträchtlich. 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


167 


Gleichzeilig  stelKeii  sich  am  21.  Ki-ampfaiifälle  ein,  die 
])loßi  auf  die  Zunge  beschränkt  waren.  Ich  l)emerkte  diese  zufällig, 
als  mir  Pal.  auf  eine  gesfellle  Frage  durch  Bewegutigeu  zu  ver¬ 
stehen  gal),  daß  er  nicht  sprechen  könne,  auf  meine  Aufforderung 
aber  den  Mund  öffnete.  Aeußerlich  war  gar  nichts  wahrzuuetimeu 
gewesen.  Da  in  den  folgenden  Tagen  die  xVnfälle,  die  auch 
nachts  aufiraten  und  den  Patienten  immer  weckten,  sich  außer¬ 
ordentlich  häuften  —  am  26.  zählte  ikil.  97  kombinierte  und 
1-10  isolierte  —  konnte  ich  sie  genau  stmlieren. 

Bei  geöffnetem  Munde  sah  man  die  Zunge  sich  .30-  bis 
70mal  in  der  Minute  —  die  Dauer  eines  Anfalles  schwa idcle 
zwischen  10  Sekunden  und  einer  Minute  —  in  der  Biciduug 
von  links  hinten  nach  rechts  vorne  hin-  und  herhewegen.  Syn¬ 
chron  mit  diesen  Zuckungen  trat  eine  Ahflachuug  des  recliteu 
Zimgengrundes  und  eine  Verschmälerung  der  rechten  Zungen¬ 
hälfte  ein  und,  entsprechend  der  Angabe  des  Patienten,  er  liahe 
das  Gefühl,  als  oh  sich  etwas  im  Halse  zusammenziehe,  waren 
vorne  am  Halse  gleichzeitig  rhythmische  Kontraktionen  zu  fühlen, 
die  ofleidjar  den  vom  Unterkiefer  zum  Zungenbein  ziehenden 
iMuskeln,  also  vor  allem  dem  Geniohyoideus,  entsprachen.  (Die 
Abflachung  des  Zimgengrundes  wird  durch  den  Hyoglossus  be¬ 
wirkt,  die  Seitwärts-  und  Bückwärtshewegung  hauptsäcldich  durch 
die  IMusculi  stylo-,  hyo-  und  chondroglossus,’^)  die  V^erschmäle 
rung  durch  die  Binnenmuskulalur  der  Zunge,  den  Musculus  trans- 
versus.)  Eine  dem  Longiludinalis  linguae  entsprechende  Verkür¬ 
zung  konnte  nicht  deutlich  wahrgenommen  werden. 

B('r  Genioglossus  scheint  am  Krampfe  nicht  wesentlich  be¬ 
teiligt  gewesen  zu  sein.  Dies  geht  auch  daraus  hervor,  daßi  die 
Zunge  heim  Herausstrecken  —  die  Zuckungen  verstärkten  sich 
hiebei  —  immer  noch  nach  rechts  ahwich..  An  der  hinteren  Bacheu- 
wand  waren  keine  Zuckungen  zu  fühlen,  desgleichen  nahmen 
die  Gaumensegel  keinen  Anteil.  Die  wuederholt  auch  während  der 
Krämpfe  vorgenommene  laryngoskopische  Untersuchung  ergab 
durchaus  noi'inalen  Befund.  Auch  gelang  es  dem  Patienten,  ob¬ 
wohl  er  Worte  nicht  aus'sprechen  konnte,  einzelne  Vokale  ganz 
gut  zu  intonieren.  ' 

Auraartige  Erscheinungen  —  solche  sind  als  Gefühl  von 
Spannung,  Eingeschlafensein,  Brennen,  Steclien  wiederholt  lie- 
schriehen  —  waren  nicht  vorhanden.  Desgleichen  fehlten  jegliche 
Begleiterscheinungen.  Namentlich  zeigten  die  Pupillen  —  Per- 
sonali  (1.  c.)  und  Sa  enger  (1.  c.)  fanden  sie  erweitert  —  keine 
Veränderung.  Durch  äußere  Reize  wurden  die  Anfälle  gar  nicht 
beeinflußt:  Lange  (l.  c.)  sah  sie  durch  Druck  auf  den  Gaumen 
schwinden,  während  sie  in  den  Eällen  von  artikula  torischem 
und  mastikatorischem  Zungenkrampf  durch  Sprechen,  hzw.  Kauen 
ausgelöst  wurden. 

Vom  27.  an  nahm  die  Zahl  der  Krämpfe,  namentlich  der 
kombinierten,  ah,  vom  29.  an  traten  nur  mehr  isolierte  Zungen¬ 
krämpfe  auf,  etwa  30  bis  50  täglich.  Vom  1.  August  an  täglich 
6  g  Natr.  bromati.  Die  Anfälle  werden  immer  seltener.  Am  5. 
erreichen  sie  die  Zalil  von  15.  Der  Patient  gibt  an,  daß  er  das 
Zusammenziehen  im  Halse  nicht  mehr  verspüre.  Tatsächlich  sind 
auch  außen  am  Halse  keine  Zuckungen  mehr  wahrzu nehmen. 
Die  Fazialispcarese  ist  bedeutend  geringer.  Am  7.  sieben  Anfälle, 
am  8.  fünf,  am  9.  zwei.  Seither  sistierten  die  Anfälle  voll¬ 
ständig. 

IMit  den  Bromdosen  wurde  allmählich  heruiitergegangen. 
Am  20.  August  verzeichnet  die  Krankengeschichte,  daß  die 
Fazialisparese  geschwunden  ist,  die  Zunge  nur  mehr  wenig  nach 
rechts  ahweicht.  Am  6.  September  konnte  Pat.  genesen  entlassen 
werden.  Die  Zunge  wurde  noch  eine  Spur  nach  rechts  vorge- 
slreckt,  doch  schien  dieses  Verhalten  durch  den  Zahnmangel 
in  der  rechten  Unterkieferljälfte  genügend  erklärt  zu  sein. 

Halbseitige  klonische  Zimgenkrämpfe  beschrieb  bloß 
Seppilli.i)  Im  Falle  von  Remak®)  traten  im  weiteren 
A  erlaufe  die  Zuckungen  ,,v,'esentlich  links“  auf.  Nur  in 
diesem  letzten  Falle,  der  auch  sonst  mit  meiner  Heohachtung 
die  verhältnismäßig  größte  Aehnlichkeit  aufweist  und  auf 
den  ich  daher  noch  zurückkommen  werde,  wird  die  Be¬ 
teiligung  des  Geniohyoideus  vermerkt. 

Was  die  Pathogenese  der  Kram])fanfälle  betrifft,  so 
unterliegt  es  wohl  keinem  Zweifel,  daß  diese  kortikalen 
Ursprungs  waren.  Das  Bild  der  Monoplegia  faciolingualis 
iin  Vereine  mit  den  stets  gleichen,  immer  wieder  in  der 
Zunge  beginnenden  Krämpfen  weist  wohl  mit  Sicherheit 


h  Lange,  Ueber  Zungenbewegung.  (Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  i6, 

S.  634.) 

®)  Remak,  Ein  Fall  von  Hypoglossuskrampf.  (Berliner  klin 
Wochenschr.  IS'SS,  Nr.  34.)  1 


darauf  hin.  Auch  für  den  ersten  ausgedelinteren  xVnfall 
läßt  sicn  der  Beginn  in  der  Zunge  ohne  Zwang  annehmen. 
Es  konnte  sich  dann  der  Reiz  einerseits  nach  vorne  (siehe 
Figur),  Zentrum  für  Augenlid,  Augen-  und  Kopfdreher,  ander¬ 
seits  nach  oben,  Zentrum  für  Mundwinkel,  obere  Extremität 
verl,)reitet  haben.  Daß  zuerst  die  Schulter  gehoben  wurde 
und  dann  erst  Hand  und  Unterarm  krampften,  glaube  ich 
so  erklären  zu  können,  daß  auch  hier,  wie  es  ja  meistens 
der  Fall  ist,  dem  klonischen  ein  tonisches  Stadium  voran- 
giiig,  welches  aber,  da  ja  der  Arm  im  Ellbogen  olmehin 
gebeugt  war,  nur  in  der  Schulter  einen  sichtbai-en  Effekt 
erzeugte,  während  unmiltelbar  danach  die  klonischen 
Zuckungen  in  den  Fingern,  dem  Hand-  und  Ellbogengelenke 
einsetzten,  die  dann  die  Schulter  überhaupt  nicht  mehr  er¬ 
reichten.  Nebenbei  bemerke  ich,  daß  an  diesem  Krampfe 
bloß  der  rechte  Orbicularis  oculi  beteiligt  war,  daß  also 
das  Verhalten  der  Augenschließmuskeln  —  Opiienheim^) 
hat  wiederholt  das  Gegenteil  beobachtet  —  ebenso  wie  das 
der  Zungenmuskulatur  dem  halbseitigen  Typus  entsprach. 

Auffallend  ist,  daß  sich  der  Genioglossus,  trotzdem 
er  paretisch  war,  an  dem  Krampfe  nicht  beteiligte;  sehr 
interessant  ist  das  Aufhören  der  Zuckungen  in  den  zwischen 
Unterkiefer  und  Zungenbein  verlaufenden  Muskeln  einige 
Tage  vor  dem  Schwinden  der  Krämpfe  überhaupt.  Beide 
Tatsachen  scheinen  mir  für  getrennte  Lokalisation  der  ein¬ 
zelnen  Muskelgruppen  innerhalb  des  Zentrums  zu  sprechen 
u.  zw.  könnte  man  vielleicht  vermuten,  daß  sich  das  Genio- 
glossuszentrum  weiter  unten,  dem  Schlundzentrum  (siehe 
Figur)  —  also  deni  für  die  am  Krampfe  überhaupt  nicht 
mehr  beteiligten  Muskelgruppen  —  benachbart  befand,  wäh¬ 
rend  das  Zungenbeinmuskelzentrum  oben  an  das  des  Fa- 
zialis  grenzte  und  sich  so  in  den  allmählichen  Rückgang 
folgerichtig  einfügte,  während  das  Zentrum  für  die  übrige 
Zungemnuskulatur,  zwischen  den  beiden  erwähnten  liegend, 
den  Hauptreizherd  darstellte. 

Immerhin  könnte  man  den  etappenweisen  Rückgang 
der  Krämpfe  —  aber  wie  ich  glaube,  viel  weniger  natürlich 
—  auch  durch  die  von  v.  Monakow’^®)  für  den  Rückgang 
von  Lähmungen  gemachte  Annahme  erklären,  daß  die  früher 
zur  Norm  zurückkehrenden  Muskeln  eine  geringere  kor¬ 
tikale  Komponente  besitzen,  mit  Geringerwerden  des  Reizes 
also  früher  aufhören,  an  der  Erregung  teilzu nehmen.  Die 
B  r  o  a  d  b  e  n  t  sehe  Lehre  von  der  bilateralen  Innervation  kann 
natürlich  für  das  Zurückgehen  der  Krämpfe  nicht  in  An¬ 
spruch  genommen  werden. 

Welcher  Art  ist  nun  der  supponieiTe  Herd?  Aus¬ 
schließen  läßt  sich  ohne  weiteres,  daß  es  sich  um  einen 
paralytischen  oder  genuin-epileptischen  Anfall  handelt,  eben¬ 
so  kann  ein  syphilitischer  Prozeß  oder  eine  wachsende 
Schädlichkeit,  etwa  ein  Tumor  oder  ein  Abszeß,  kaum  in 
Betracht  kommen ;  erfordert  doch  der  ganze  Verlauf  die 
Annahme  einer  sich  spontan  allmählich  rückhildenden  Noxe. 
Man  könnte  also  vielleicht  an  einen  apoplektischen  Insult 
denken  und  müßte,  glaube  ich,  wegen  des  plötzlichen  Be¬ 
ginnes  und  des  Mangels  jeglicher  psychischer  Symptome 
eher  eine  Blutung  vermuten  als  eine  Thrombose  —  für  die 
Annahme  einer  Embolie  fehlt  jeder  x\nhaltspunkt  —  obwohl 
sich  das,  schon  wegen  der  von  der  unintelligenten  Frau  des 
Patienten  gemachten,  recht  mangelhaften  anamnestischen 
Angaben,  nicht  siclTer  entscheiden  ließe.  Jedoch  sind  so 
lange  andauernde  Krampfanfälle  bei  einer  Ajioplexia  san- 
guinea  wohl  ein  außerordentlich  seltenes  Vorkommnis  — 
hei  einem  Fall  von  Verstopfung  des  dritten  Astes  der  iXrteria 
fossae  Sylvii  sah  v.  Monakow  (1.  c.,  S.  350)  eine  Zeitlang 
partielle  Krämpfe  auftreten  —  und  vor  allem  wäre  der  voll¬ 
ständige  Rückgang  der  Lähmung  bei  dieser  Annahme  schwer 
zu  verstehen. 

Eine  Pachymeningitis  liaeinorrhagica,  die  sich  durch 
den  Alkoholmißhrauch  des  Patienten  begründen  ließe, 

0  Oppenheim,  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten.  (4,  Auflage, 
S.  687.) 

V.  Monakow,  Gehirnpathologie.  (Nothnagel,  9.  Bd.,  I.  Teil  1897, 

S.  297.) 


IGS 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCllKIET.  1907. 


N'.  C) 


wil'd  (lurch  den  langen  Bestand  der  isolierten  Krämpfe  un¬ 
wahrscheinlich  gemacht. 

Der  Erörterung  liedarf  daher  die  Frage,  inwieweit  der 
Alkohol  selbst  als  ätiologisches  Moment  für  die  xVuslösung 
von  Jack  so  11  sehen  Krämpfen  in  Anspruch  genommen 
werden  darf. 

Sarrailhe^^)  hat  1V)03  elf  Fälle  zusammengestellt, 
in  denen  der  Alkohol  die  (lelegenheitsursache  bildet,  welche 
die  in  letzter  Ursache  durch  Llindenläsionen  bedingten  An¬ 
fälle  auslöste.  Es  könnte  sich  also  in  dem  beschriebenen 
Falle  an  der  präzisierten  Stelle  eine  Meningealverdickimg 
oder  ein  kleines  Zystchen  befinden,  das  unter  dem  Ein¬ 
flüsse  des  Alkohols  die  geschilderten  Krämpfe  erzeugte, 
die  nun  durch  die  Abstinenz  —  auch  das  Brom  scheint 
von  Einfluß  gewesen  zu  sein  —  immer  schwächer  und 
seltener  wurden.  Immerhin  fehlt  für  die  Annahme  einer 
solchen  Läsion  jede  anamnestische  Angabe.  Die  Krämpfe 
vor  acht  Jahren,  die  wohl  mit  größter  Wahrscheinlichkeit 
alkohol -epileptische  waren,  können  dafür  nicht  gut  in  An¬ 
spruch  genommen  werden. 

Es  bleibt  daher  nur  übrig,  die  toxische  Wirkung  des 
Alkohols  als  Ursache  auch  der  jetzigen  Krämpfe  aufzufassen. 
Oppenheim,  Mills  erwähnen,  daß  Jacks  on  sehe  Epi¬ 
lepsie  auch  durch  Intoxikation  (Alkohol,  Bleivergiftung  und 
so  weiter)  hervorgerufen  werden  kann.  Ich  konnte  zwar 
in  der  Literatur  —  hei  der  Unübersehharkei t  derselben  ist 
es  natürlich  ohneweiters  möglich,  daß  mir  der  eine  oder 
der  andere  Fall  entgangen  ist  —  den  Alkohol  nirgends 
als  direkte  Ursache  von  Bindenkrämpfen  erwähnt  finden, 
wohl  aber  fand  ich  solche  Angaben  bei  anderen  Intoxika¬ 
tionen.  So  publizierte  erst  unlängst  Stauder^^)  mit  Be¬ 
rufung  auf  einen  auch  mikroskopisch  untersuchten  Fall  von 
Bed  lieh,  eine  Beobachtung  von  Bindenkrampf  infolge  von 
Azetonvergiftung  bei  Diabetes. 

Wir  hatten  aber  auf  unserer  Klinik,  Gelegenheit,  einen 
Patienten  zu  beobacJiten,  dessen  Rindenkrämpfe  wir  mit 
Wahrscheinlichkeit  auf  Alkoholismus  zurückführen  durften 
und  dessen  KrankengescJiichh'  ich  ganz  kurz  erwähnen  will. 

Es  handelt  sich  um  einen  jetzt.  35jährigen  Elösser,  der 
bereits  im  Mai  1903  durch  zwölf  Tage  mit  Delirium  tremens 
auf  unserer  Klinik  war  und  der  am  25.  April  1905  mit  der¬ 
selben  Krankheit  aus  dem  Allgemeinen  Krankenhause  zu 
uns  transferiert  wurde.  Außerdem  zeigte  er  damals  Sym¬ 
ptome  einer  Neuritis  (Fehlen  der  P.  S.  IL,  beiderseits  Pero¬ 
neuslähmung,  Herabsetzung  der  elektrischen  Erregbarkeit, 
Sensibilitätsstörungen  an  (teil  unteren  Extremitäten).  Die 
Frau  des  Patienten  gibt  an,  daß  Pat.  vor  etwa  drei  Wochen 
einen  allgemeinen  Kranipfanfall  gehabt  habe,  dann  eine  Zeit¬ 
lang  nichts  habe  sprechen  können,  die  Frau  nicht  erkannt 
habe,  ,,wie  ein  Stück  Holz“  da.  gelegen  sei.  Die  akuten 
Brscheinungen  waren  bereits  geschwunden,  als  Pat.  am 
5.  Mai  plötzlich  Zuckungen  im  rechten  Mundwinkel  bekam. 
.\n  demselben  Tage  stellten  sich  auch,  bei  vollem  Bewußt- 
s(ün,  Krämpfe  im  rechten  Mundfazialis  uud  der  glejchseitigen 
olx'ren  Extremität  ein,  die  sich  bei  Bewegungen,  Aufsetzen 
oder  dergleichen,  verstärkten  und  die  im  Laufe  der  Nacht 
außerordentlich  häufig  auftraten.  Gleichzeitig  trat  auch  eine 
Parese  der  rechten  oberen  Extremität  auf.  Der  Eazialis 
war  bereits  bei  der  Aufnahme  paretisch.  Am  nächsten  Tage 
wurde  eine  motorische  Aphasie  und  rechtseitige  Hemianopsie 
konstatiert.  In  den  folgenden  Tagen  traten  wieder  nur 
Zuckungen  im  Mundwinkel  auf;  die  Bindenausfallserschei¬ 
nungen  gingen  allmählich  zurück.  Von  Ende  Mai  an  aber 
hatte  Pat.  immer  wieder  in  wechselnder  Zahl  rechtseitige 
Jack  so  tische  Anfälle,  die  vom  Vlundfazialis  ausgingen  und 
meist  auf  die  oberen  Bxlrerni täten  Übergriffen.  Manchmal 
kam  ('S  nur  zu  einem  geringen  Verziehen  des  Mundwinkels 
und  einer  krampfhaften  Pronationshewegung  des  Unterarmes 

“)  Sarrailh6,  Etudes  sur  les  causes  occasioiielles  des  acc^s 
d’4pilepsie  jacksonienne.  (Th6se  de  Bordeaux  1903.) 

Stau  der,  Epileptiforme  Krämpfe  bei  Diabetes  mellitus. 
(Münchener  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  35.)  [ 


—  Pat.  fühlte  meist  vorher  das  Kommen  der  Anfälle  und 
fand  noch  Zeit,  sich  niederzulegen  —  manchmal  war  ob¬ 
jektiv  überhaupt  nichts  wahrzunehmen  und  Pat.  hatte  bloß 
subjektiv  das  Gefühl  eines  Krampfes  in  der  rechten  Gesichts¬ 
hälfte  und  im  rechten  Arm.  Es  traten  also  halbseitige 
Krampfanfälle  im  Wechsel  mit  „sensiblem  Jackson“  auf, 
die  noch  bei  der  Transferierung  des  Patienten  auf  eine 
andere  Abteilung  —  Pat.  war  ein  Jahr  auf  unserer  Klinik 
gewesen  • —  bestanden.  Ich  will  noch  bemerken,  daß  die 
Lumbalpunktion  ein  negatives  Ergebnis  hatte  und  auch  sonst 
nichts  für  die  Annahme  einer  progressiven  Paralyse  sprach. 

Es  handelt  sich  also  wohl  auch  in  dem  zuerst  be¬ 
schriebenen  Falle  um  eine  kortikale  Epilepsie  als  Folge 
der  toxischen  Wirkung  des  Alkohols,  von  (lern  man  wohl 
in  derartigen  Fällen  .annehmen  muß,  daß  er  eine  lokale,  wenn 
auch  mit  unseren  Hilfsmitteln  nicht  nachweisbare  Verände¬ 
rung  gesetzt  hat. 

Remak®)  hat  die  oben  kurz  erwähnte  Fmkrankung 
eines  33jährigen,  sonst  gesunden  Arbeiters,  bei  welchem 
erst  Krämpfe  in  der  Zunge,  dann  auch  im  unteren  Teile 
der  linken  Gesichtshälfte  mit  einer  Parese  des  Mundfazialis 
auftraten,  ebenfalls  als  eine  partielle,  kortikale  Epilepsie  auf¬ 
gefaßt.  Da  er  über  die  Aetiologie  des  Falles  nichts  aussagen 
konnte,  rechnet  er  ihn  zu  den  idiopathischen  Krämpfen. 

Mein  Fall  wäre  mit  Rücksicht  auf  die  angenommene 
Ursache  als  toxischer  Zungenkrampf  vmn  den  anderen 
Zungeukrampfformen  abzu trennen. 


{Referate. 


Die  Verbesserung  mangelhafter  Negative. 

Von  Gr.  Hauberrießer. 

Mit  11  Tafeln. 

Leipzig  1906,  E.  Liesgang  Verlag  M,  Eg  er. 

Es  werden  die  zahlreichen  idetlioden  —  sie  mußten  zum 
Teil  erst  neu  ausgearbeitet  werden  —  besprochen,  die  zur  Ver¬ 
besserung  schlechter  Negative  dienen  können.  Selbstverständlich 
sind  auch  die  jnöglichen  Ursachen  der  Fehler  und  ihre  Ver¬ 
meidung  ahgehandelt.  Das  Thema  ist  wichtig,  da  es  viele  so  wert¬ 
volle  Negative  gibt,  daß  sich  ihre  Rettung  seihst  auf  komplizierte 
Weise  lohnt.  (75  Seiten.) 

=i< 

Der  Porträt-  und  Gruppenphotograph  beim  Setzen  und 

Beleuchten. 

Von  E.  Kempke. 

Enzyklopädie  der  Photographie,  Heft  55. 

2.  Auflage. 

Halle  a.  S.  1906,  Verlag  von  W.  Knapp. 

Die  Wirkung  des  Bildes  hängt  zum  großen  Teile  von  der 
Stellung  und  Beleuchtung  der  Person  und  der  Gruppe  ah;  das 
Büchlein  füllt  nun  mit  seiner  Anweisung  eine  Lücke  in  vielen 
pholograj)hischen  Lehrbüchern.  (40  Seiten.) 

Die  Tonungsver fahren  von  Entwicklungspapieren. 

Von  E.  Sedlaczek. 

Heft  54  derselben  Enzyklopädie. 

Ausführliche  wissenschaftliche  Bearbeitung  des  Themas. 
(159  Seiten.) 

* 

Orthodiagraphische  Praxis. 

Von  Paul  C.  Franze. 

Leipzig  1906,  Nemnich. 

Ein  40  Seiten  starkes  Heftchen,  das  sich  Leitfaden  der 
Theorie,  Technik  und  Methodik  der  Orthodiagraphie 
benennt,  in  dem  der  Verfasser  (praktischer  Arzt  in  Bad  Nauheim) 
ahernials  Winke  für  diese  exakte  üntersuchungsmelhode  gibt. 
Beigefügt  sind  elf  Abbildungen  von  orthodiagraphiseben  Vorrich¬ 
tungen  und  Orthodiagrammen,  sowie  zwei  Thoraxradiograinnu' 
(Lichtdrucke).  K  i  (*  u  b  ö  c  k. 

i 

I 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Atlas  der  orthopädischen  Chirurgie  in  Röntgenbildern. 

Von  A.  Hoffa  und  L.  Rnueubuscli. 

137  Bilder  auf  80  Tafeln  in  Lichtdruck  mit  erklärendem  Text. 

Stuttgart  1906,  F.  Enke. 

Der  neue  Atlas  ist  ungemein  reichhaltig  und  zeichnet  sich 
durch  Vortrefflichkeit  und  Schönheit  aller  Tafeln  ohne  Ausnahme 
aus.  Die  Verfasser  sind  ebenso  zum  Gelingen  der  Originalauf¬ 
nahmen,  wie  der  Verleger  zur  Ausführung  der  Reproduktionen 
zu  heglückwünschen.  Die  Ausstattung  läßt  nichts  zu  wünschen 
übrig.  Auch  die  Auswahl  ist  gut  getroffen  und  bezieht  sich  auf 
alle  radiographisch  darstellbaren  Gebiete  der  Ortliopädie.  Die 
Erkrankungen  des  Hüftgelenkes  nehmen  den  größten  Raum  ein; 
Hüftluxation,  Coxa  vara  und  Koxitis ;  die  Deformitäten  der  Wirbel¬ 
säule  sind  gut  vertreten,  die  der  Ober-  und  Unterextremitäten  reich¬ 
lich  illustriert.  Nächst  der  Tuberkulose  sind  Fälle  von  Arthritis 
chronica,  Knochenatrophien  verschiedener  Art,  Syphilis,  chro¬ 
nische  Osteomyelitis,  Rachitis,  angeborene  Deformitäten  und  Tu¬ 
moren  aufgenommen,  frische  Osteomyelitis  und  Frakturen,  soweit 
sie  nicht  speziell  orthopädisches  Interesse  beanspruchen,  aber 
weggelassen. 

Wir  wünschen  dem  selten  schönen  Werke  die  weiteste  Ver¬ 
breitung  unter  Chirurgen,  Orthopäden,  Radiologen  und  pathologi¬ 
schen  Anatomen,  soMÜe  Aerzten  und  Studenten  überhaupt. 

G.  En  ge  Im  an. 

* 

Mitteilungen  aus  Finsens  medicinske  Lysinstitut. 

X.  Heft. 

Mit  1  Tafel,  12  Kurven  und  6  Abbildungen  im  Text. 

Jena  1906,  Verlag  von  G.  Fischer. 

G.  Busek:  Ueber  farbige  Lichtfilter.  Zur  Erfor¬ 
schung  der  Wirksamkeit  der  einzelnen  Farhstrahlen  isoliert  man 
sie  durch  prismatische  Zerlegung  oder  durch  Filter,  i.  e.  gefärbte 
Glasplatten  oder  in  Glasgefäßen  mit  in  planparallelen  Wänden  ein- 
geschlos'senen  Flüssigkeiten.  Busek  bedient  sich  der  letztgenann¬ 
ten  Methode;  er  prüft  Lithionkarmin,  Fuchsin,  Saffranin,  hichrom- 
saures  Kalium,  monochromsaures  Kalium,  Pikrinsäure,  Orange  G., 
Lichtgrün,  Methylgrün,  Kupferazetat,  Kuprammoniunisulfat  und 
gesättigte  Lösung  von  Kupferazetat  in  Pikrinsäure.  lu  Tabellen 
und  Kurven  sind  die  in  den  verschiedenen  Spektralahschnitteu 
gemessenen  Lichtstärken  angegeben  u.  zw.  in  Prozenten  der  iir- 
sprünglichen  Lichtstärke  ausgedrückt;  es  zeigte  sich,  daß  es  sich 
häufig  um  Farbenmischungen  handelte. 

G.  Busek:  Ueber  die  photochemische  Hautreak¬ 
tion.  Beim  Entstehen  des  Lichterythems  spielen  nach  Finsen 
folgende  Faktoren  eine  Rolle:  Qualität  und  Intensität  der  Licht¬ 
strahlen,  Dauer  der  Belichtung,  Pigmentationsgrad  der  Haut  und 
Dicke  der  Epidermisschicht.  Busek  fand  nun  weiterhin,  daß 
.an  diversen  Stellen  seines  Körpers  zur  Hervorrufung  von  Erythem 
—  bei  einheitlicher  Versuebsanordnung  mit  konzentriertem  Bogen- 
licht  —  verschieden  lange  Belichtung, szeiten  erforderlich  waren; 
an  Gesicht,  Brust,  Rücken,  Abdomen  und  Arm  genügten  zwei 
Minuten,  am  Dorsum  manus  waren  15  Minuten,  an  der  Vota  20, 
an  der  Unterextremität  ebenfalls  20,  an  der  Planta  pedis  45  his 
60  Minuten  notwendig.  In  einem  anderen  Versuche  wurde  die 
Beugeseite  des  Vorderarmes  mehrerer  Individuen  verglichen,  dabei 
ergaben  sich  Unterschiede  in  der  Empfindlichkeit,  wie  1 : 4,  ohne 
daß  der  verschiedene  Teint  allein  maßgebend  war. 

H.  Mygind:  Lupus  cavi  nasi,  eine  klinische  Unter¬ 
suchung.  Das  Material  bestand  aus  200  Patienten,  die  wegen  Lupus 
der  äußeren  Nase  behandelt  wurden;  es  fanden  sich  129  Fälle, 
bei  denen  in  der  Nasenhöhle  Lupus  oder  charakteristische  Narben 
oder  Destruktionen  vorbanden  waren :  bei  36  Männern  und 
93  Frauen.  Es  handelt  sich  um  eine  Lokalisation,  die  das  Leben 
des  Patienten  nicht  in  dem  Grade  gefährdet,  wie  die  Erkrankung 
tieferliegender  Abschnitte  der  oberen  Luftwege.  Meist  war  der 
Lupus  cavi  nasi  von  der  äußeren  Haut  fortgeleitet;  er  konnte 
jahrelang  bestehen,  ohne  Destruktion  hervorzurufen.  Zumeist  war 
die  Erkrankung  schon  an  den  Nasenlöchern  zu  finden,  seltener 
im  Innern  verborgen  u.  zw.  erwies  sich  das  Septum  nasi  als 
Prädilektionsstelle  im  Innern,  fast  stets  beiderseits.  Bei  45% 
der  Betroffenen  war  es  zur  Perforation  gekommen.  Nur  selten 
konnte  man  bei  Lokalisation  im  Nasenrachenraum  annehmen, 
daß  sich  der  Prozeß  dahin  aus  der  Nasenhöhle  fortgepflanzt  hatte. 


169 


R.  K  o  1  s  t  e  r  :  S  I  u  d  i  e  n  ü  h  r  d  i  (>  E  i  n  w  i  r  k  u  n  g  g  e- 
wissor  Lichtstrahlen  auf  sensibilisiertes  Gewebe. 
Strahlen  von  großer  Wellenlänge  rufen  im  durch  Erythrosin  sen¬ 
sibilisierten  Gewebe  einen  eigenartigen,  zum  Untergaug  von  Ge- 
websteilen  führenden  Prozeß  hervor  (vgl.  Tapp  einer,  Dreycr 
und  H  a  1  h  e  r  s  t  a  e  d  te  r).  Innerhalb  der  ersten  zwölf  Stunden 
tritt  bei  so  behandelten  Mäusen  Oedem  auf,  das  allmählich  zu- 
ninimt  und  etwa  24  Stunden  nach  der  Belichtung  seine  größte 
Ausbildung  erreichl.  Die  Gefäße  haben  sich  erweitert  und  (uiL- 
halten  Massen  polynukleärer  Leukozyten  mit  Auswanderung  sol 
eher  in  die  Umgebung.  Die  Muskelbündel  werden  mehr  geschädigt 
als  das  suhepitheliale  Gewebe,  also  die  Tiefe  mehr  als  die  Ober¬ 
fläche.  Die  Muskelhündel  lösen  sich  in  einzelne  Fibrillen  auf 
und  gehen  unter,  von  Leukozyteninfiltration  begleitet.  Am  vierten 
Tage  beginnt  die  Regeneration,  die  Gefäße  ziehen  sich  wieder 
zusammen  und  die  Leukozyten  schwinden  allmählich,  die  Muskel¬ 
lücken  schließen  sich.  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  primär 
nekrotisierende  Wirkung  der  Lichtstrahlen  auf  die  Gewebszellen, 
namentlich  Muskelfibrillen,  aber  auch  Haarfollikel  und  Talgdrüsen. 
Die  Nerven  scheinen  unverändert.  Sekundär  kommt  es  zu  Leuko¬ 
zytenauswanderung. 

K.  L  u  n  d  s  g  a  a  r  d  :  B  e  h  a  n  d  1  u  n  g  v  o  n  Lupus  c  o  n  j  u  n  c- 
tivae.  Unter  1250  Lupuspatienten  litten  elf  an  dieser  Komplika¬ 
tion.  Verf.  kommt  zu  dem  Schlüsse : 

1.  Wenn  radikale  Exstirpation  ein  paar  Millimeter  außerhalb 
des  Randes  im  gesunden  Gewebe  möglich  ist,  so  ist  diese  Be¬ 
handlung  anzuwenden. 

2.  Ist  der  Prozeß  umfangreicher  oder  entstehen  nach  Exstir¬ 
pation  Rezidive,  so  ist  Lichtbehandlung  anzuwenden;  sie  scheint 
die  einzige  sichere  Methode  zur  Heilung  nicht  operierbarer  Fälle 
zu  sein. 

3.  Theianokauter,  Auskratzung  usw.  sollen  Hilfs-,  nicht  Haupt¬ 
methoden  sein. 

S.  Schmidt- Ni  eisen:  Die  Wirkung  der  Radium¬ 
strahlen  auf  Chymosinlösungen.  Seihst  die  kräftigsten 
Präparate  üben  darauf  nur  eine  sehr  geringe,  abschwächende  Wir¬ 
kung  aus  u.  zw.  durch  Lumineszeiiz  der  an  der  Innenfläche  des 
Versuchsgefäßes  gebildeten  Ultraviolettstrahlen. 

S.  Schmidt-Nielsen:  Ueber  die  Verwendbarkeit 
des  Lichtes  als  Reagens.  Es  wird  zunächst  auf  die  Varia¬ 
tionen  und  Versuchsfelder  bei  Inaktivierung  von  Chymosiulösun- 
gen,  sowie  auf  die  Tatsache  aufmerksam  gemacht,  daß  Licht¬ 
wirkung  keine  maskierte  Wärmewirkung  ist.  Schließlich  kommt 
Verf.  zu  dem  Schlüsse,  daß  seine  Methode  mit  Bogenlicht  viel 
genauer  ist  als  die  anderer  Forscher,  z.  B.  von  Duclaux  und 
Sebelien  mit  Sonnenlicht  an  Oxalsäurelösungen. 

A.  Reyn  gibt  schließlich  eine  Älodifikation  im  Baue  und 

in  der  Anwendung  der  Lichtbehandlung  an. 

* 

Archives  of  the  Roentgen  Ray, 

September,  Oktober,  November  1906. 

London  und  New-York,  Rebmann. 

Edwards  Hall-  Birmingham  macht  auf  die  Fehlerquellen 
der  radiologischen  Diagnose  von  Fraktur  aufmerksam :  Epi¬ 
physenlinien  können  mit  Frakturen  verwechiselt  werden,  per¬ 
spektivische  Verkürzungen  (Femurhals)  können  Gomphose  Vor¬ 
täuschen,  addorsale  Ellhogenaufnahmen  „imitieren“  Olekranon¬ 
fraktur,  das  Akromioklavikulargelenk  ,, sieht  wie  Fraktur  aus“, 
perspektivische  Verdickungen  können  als  wahre  imponieren.  Wer 
aber  an  die  Deutun|  des  Bildes  mit  anatomischen  und  radio¬ 
logischen  Kenntnissen  herangeht,  kann  sich  vor  Fehldiagnosen 
schützen  und  die  von  Goldin g-Bird  behandelte  Frage,  „ob  ein 
Radiogramm  Fraktur  zeigen  könne,  wo  keine  vorhanden  ist,“ 
erscheint  in  dieser  Form  widersinnig. 

Eitner-Wien  teilt  seine  bereits  in  der  Wiener  medizini¬ 
schen  Presse  1906,  Nr.  24  und  25,  veröffentlichten  Erfahrungen 
mit  dem  Freund  sehen  Radiometer  mit  ;  es  werden  stets  wieder¬ 
holte,  sehr  schwache  Bestrahlungen  zu  s('chs  Minuten  gegeben. 

Belot-Paris  bestätigl  die  überaus  günstige  Wirkung  der 
Radiotherapie  bei  Pseudo  I  eukämie  verschiedener  Form,  wenn 
auch  der  Erfolg  nicht  mit  derselben  Regelmäßigkeit  eintritt  wie 
bei  Leukämie.  ,,Wer  bei  diesen  Erkrankungen  die  Röntgen¬ 
strahlen  nicht  anwendet,  ladet  dieselbe  Verantwortung  auf  sich, 


i/ü 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  6 


wie  wenn  er  einem  Syphilitiker  Quecksilber  vorenthaltcn  wollte.“ 
Bei  Karzinom  und  Sarkom  ist  das  Verfahren  selten  ohne 
Nutzen,  zuweilen  sogar  hervorragend  wirksam.  Die  Ausführungen 
entsprechen  vollkommen  dem  neuesten  Standpunkt;  auch 
ist  die  Bedeutung  richtiger  Technik  und  Tiefendosierung  gebüh¬ 
rend  gewürdigt. 

Auch  Willia ms  Chisholm-  London,  B  i  s  s  e  r  i  e  -  Pa ris. 
Butcher  Deane-London,  Laquerriere-,  Foveau  de  Cour- 
melles-Paris,  Reuß-Chemoga  und  Gr  oßm  a  n  n- Wien  geben 
ihre  günstigen  Erfahrungen  mit  Radiotherapie  hei  Karzinom 
bekannt. 

Bordier  und  Galimard-Lyon  besprechen  abermals  ihr 
neues,  dem  Sab  ou r  a u d - N  oi  r  e sehen  nachgebildetes  Radio¬ 
meter.  Sie  legen  die  Leuchtscheibchen  (aus  Bariumplatincyanür) 
nicht  in  halbe  Fokushautdistanz,  sondern  direkt  auf  die  Haut; 
daher  verfärben  sieb  diese  nur  langsam,  aber  eine  Vergleichs¬ 
skala  gibt  schon  die  ersten  Nuancen  wieder.  Es  finden  sich 
vier  Grade : 

I  angeblich  entsprechend  5  H, 

II  „  7  H, 

III  „  „  13  H, 

IV  „  „  22  H, 


nach  des  Ref.-Prüfung  7 

„  „  „  16 
.  28 


H 

H 

H 

H 


Wie  ersichtlich,  bedeuten  aber  die  Dosen  III  und  IV  nässende, 
bzw.  nekrotisierende  Dermatitis,  sind  also  praktisch  nicht  ver¬ 
wertbar;  auch  könnte  es  Vorkommen,  daß  man  die  Ausbildung 
der  so  zarten  Farbe  I  übersieht  und  daher  stärker  als  l)eab- 
sichtigt  bestrahl  t.  V orläufig  ist  also  S  a  b  o  u  r  a  u  d  -  N  o  i  r  e  s  In¬ 
strument  nicht  übertroffen. 

Bordier  und  G  a  1  i  m  a  r  d  studieren  auch  Freu  n  d  s  Radio¬ 


meter,  verwenden  aber  statt  5cm®  nur  1cm®  der  2‘’/oigeu.rodoform- 
Chloroformlösung ;  das  Freiwerden  von  Vio  mg  Jod  (schwache 
Rotfärbung  der  Lösung)  entspricht  einer  Röntgenlichtrose,  die 
sie  1  J.  nennen;  1  J.  ist  äquivalent  mit  1-4  H. 

An  Radiogrammen  finden  sich  in  dem  Archiv  Fingerfrak¬ 
turen,  knöcherne  Ankylose  der  Wirbelsäule,  Osteomyelitis,  De¬ 
fektbildung  von  Phalangen,  Schrotschuß  usw.  reproduziert. 

* 


Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen. 

Bd.  X,  Heft  2  und  3. 

Hamburg  1906,  Graefe  und  Sil  lern. 

Alban  Köhler- Wiesbaden  beschreibt  typische  Radiogrammc 
von  Knochengummen  und  vervollständigt  dadurch  die  vom  Re¬ 
ferenten  vor  Jahren  publizierte  Sammlung.  Treffliche  Bilder  sind 
angefügt. 

Lieb  old -Leipzig  schildert  einen  Fall  von  Spontanfraktur 
des  Os  ischii  bei  Tabes.  Die  Erscheinung  ist  selten,  wenn  auch 
die  Lokalisation  des  deformierenden  Prozesses  charakteristisch  ist. 

E  r  a  n  g  e  n  h e  i  m  -  Altona  studiert  im  Radiogramm  die  I lei- 
lungsvorgänge  bei  Schenkelhalsfrakturen. 

Bel  ot- Paris  bespricht  in  einem  geistreichen  Artikel  die 
Geschichte  und  Gegenwart  der  Radiologie  in  Frankreich;  er  hebt 
die  Verdienste  der  Franzosen  Gouy,  Perrin,  Blondlot,  Vil¬ 
la  r  d,  B  e  n  o  i  s  t,  B  e  c  1  e  r  e,  C  h  a  b  a  u  d,  S  a  b  o  u  r  a  u  d  und  Noire 
hervor,  deren  Werke  uns  allen  geläufig  sind,  würdigt  aber  nicht 
weniger  die  Leistungen  deutscher  Forscher.  An  Lehrern  der  medi¬ 
zinischen  Radiologie  kennt  man  in  Frankreich  bisher  erst  drei: 
B  e  c  1  e  r  e,  B  e  r  g  o  n  i  e  und  B e  1  o  t.  Auf  wie  viele  mag  sich  die 
Zahl  in  zehn  und  zwanzig  Jahren  vermehren? 

W  al  ter-Hamhurg  veröffentlicht  seine  physikalischen  Stu¬ 
dien  über  radioaktive  Umwandlung  in  populärer  Weise. 

Colombo-Rom  macht  auf  die  Fehlerquellen  bei  Verwen¬ 
dung  des  S  a  1)  o  u  r  a  u  d  -  N  o  i  r  e  sehen  Radiometers  aufmerksam. 

Gillet-Berlin  hat  ein  Verfahren  der  Röntgenstereoskopie 
mit  unbewaffnetem  Auge  ausgebildet  und  für  IMessungen  ange¬ 
wendet,  ferner  einen  einfachen  Orthodiagraphen  konstruiert. 

Jaksch-Prag  teilt  Fälle  geheilter  lAingenluberkulose  mit 
und  zeigt  die  radiographisch-anatomischen  Substrate. 

Krause  und  Ziegler -Breslau  veröffentlichen  eine  unge¬ 
mein  ausführliche  Studie  über  die  Einwirkung  der  Röntgenslrahlen 
auf  das  tierische  Gewebe,  worin  sie  die  bisherigen  Forschungen 
bestätigen  und  ergänzen.  Sie  kommen  auch  auf  die  Theorie 
der  Röntgenwirkung  bei  Krankheiten  zu  sprechen  und  halten  an 
der  Lehre  von  der  primären  Zelläsion,  zunächst  mit  Lähmung 


der  Zelltätigkeit,  namentlich  der  Proliferation  fest.  Der  vom  Re¬ 
ferenten  seinerzeit  ausgesprochene  Grundsatz,  daß  proliferieren- 
des  Gewebe  am  empfindlichsten  für  die  Strahlen  ist  und  daher 
zuerst  getroffen  wird,  besteht  zurecht.  „Röntgenbestrahlung  wird 
im  allgemeinen  nur  da  von  Nutzen  sein  können,  wo  es  sich 
darum  handelt,  überschüssiges  oder  krankhaftes  Wachstum  zu 
hemmen  oder  auszuschalten.  Dagegen  ist  sie  zu  widerraten,  wo 
man  ein  Gewebe  zur  gesteigerten  regenerativen  Tätigkeit  an¬ 
zuregen  bestrebt  ist,  vollends,  wenn  das  Gewebe  schon  hoch¬ 
gradige  zelluläre  Einbußen  erlitten  hat.“  Für  den  ersten  Fall 
dienen  als  Beispiele  Tumoren  und  Leukämie,  für  den  letzten  per¬ 
niziöse  Anämie. 

A  dam -Hamburg  hat  technisch  vollendete  Radiogramme 
suspekter  Lungenspitzen  hergestellt  und  damit  die  Frühdiagnose 
auf  Lungentuberkulose  in  den  nicht  so  seltenen  Fällen  stellen 
können,  bei  denen  die  Erkrankung  längere  Zeit  ohne  Katarrh 
in  der  Form  des  clironisch  infiltrierenden  Prozesses  verläuft. 

Kienböck. 

=K 

Die  Invalidenversorgung  und  Begutachtung  beim  Reichs¬ 
heere,  bei  der  Marine  und  bei  den  Schutztruppen,  ihre 
Entwickelung  un-d  Neuregelung. 

Von  Dr.  Fr.  Paalzow,  Generaloberarzt  im  Kriegsministerium. 

243-  Seiten. 

(Band  24  der  Bibliothek  von  Coler.) 

Berlin  1906,  August  Hirschwald. 

Im  deutschen  Heere  habeir  das  Offizierspensions-  und  das 
Mannschaftsversorgungsgesetz,  beide  vom  31.  Mai  1906,  eine  Um¬ 
wälzung  der  bisherigen  Invalidenversorgtmg  und  dadurch  auch 
der  Sachverständigentätigkeit  der  Militärärzte  mit  sich  gebracht. 
Letztere  in  die  neuen  Verhältnisse  einzuführen,  ist  der  Zweck 
des  vorliegenden  Buches,  das  dem  Generalstabsarzte  der  Annee, 
Prof.  Schjerning,  gewidmet  ist. 

Die  Fürsorge  für  den  undienstbar  gewordenen  Krieger  im 
preußischen  Heere  reicht  bis  auf  den  großen  Kurfürsten  zurück, 
der  die  ,,Blessiertenkompagnien“  stiftete  und  den  Verwundeten 
,, Schmerzensgelder“  auszahlen  ließ.  Vorher  hatte  die  Invalidenver- 
S'orgung  gerade  nur  in  der  Erlaubnis  zum  Betteln  bestanden.  Einen 
gewaltigen  Schritt  nach  vorwärts  tat  dann  Friedrich  der  Große,  in¬ 
dem  er  das  Berliner  Invalidenhaus  schuf  nnd  die  Zivilversorgung 
einführte.  Unter  Friedrich  Wilhelm  H.  wurde  die  Invalidenfürsorge 
zum  erstenmal  gesetzlich  geregelt  (Patent  vom  2.  Februar  1789). 
In  weiterer  Ausgestaltung  folgte  hierauf  eine  Reihe  von  einschlä¬ 
gigen  Gesetzen,  bis  dasjenige  vom  27.  Juni  1871  das  Militär¬ 
versorgungswesen  auf  eine  neue  und  auskömmliche  Basis  stellte. 
Aber  die  fortschreitende  sozialpolitische  Entwicklung,  vor  allem 
das  Unfallversicherungsgesetz  vom  Jahre  1884,  sowie  das  Unfall¬ 
fürsorgegesetz  vom  Jahre  1901  machten  Aenderungen  und  Ver¬ 
besserungen  auch  in  der  Militärversorgung  notwendig,  die  in 
Form  von  Ergänzungsgesetzen  festgelegt  wurden.  So  erschien 
1886  das  Gesetz  betreffend  die  Fürsorge  für  Beamte  und  Per¬ 
sonen  des  Soldatenstandes  infolge  von  Betriebsunfällen,  1901  das 
Gesetz  betreffend  die  Versorgung  der  Kriegsinvaliden  und  der 
Kriegshinterbliebenen.  All  das  war  Stückwerk,  in  dem  sich  zu¬ 
rechtzufinden  bald  sehr  schwierig  wurde.  Nun  ist  durch  die 
beiden  neuesten  Gesetze  vom  Jahre  1906  über  die  Pensionierung 
der  Offiziere  und  die  Versorgung  der  Personen  der  Unterklassen 
des  IJeeres  eine  einheitliche,  auf  den  modernsten  Grundsätzen 
der  Versorgungstechnik  ruhende  Norm  gegeben. 

Hervorzuheben  ist,  daß  der  Pensionsanspruch  der  Offiziere 
nach  der  Militärdienstfähigkeit,  bzw.  -Unfähigkeit  beurteilt  wird, 
wobei  die  Erwerbsfähigkeit  nicht  weiter  in  Betracht  kommt.  Bei 
den  Unterklassen  (Mannschaft),  für  deren  Mehrheit  das  Aufgeben 
des  militärischen  Berufes  nebensächlich  ist,  wird  ausschließlich 
die  Erwerbsbeeinträchtigung  für  den  Anspruch  auf  Ver¬ 
sorgung  als  maßgebend  betrachtet.  Offiziere  erhalten  demnacb 
eine  Pension,  die  Älannschaft  eine  Rente.  Die  Höchstpension 
ist  zufolge  des  neuen  Gesetzes  schon  nach  35  Dienstjahren  er¬ 
reichbar.  Die  ,, Verstümmelungszulage“  (bei  uns  Verwundungs¬ 
zulage  genannt)  ist  beträchtlich  verbessert  worden. 

Für  den  begutachtenden  Militärarzt  ist  die  Verfügung  von 
größter  Wichtigkeit,  dalJ  eine  prozentuale  Schätzung  der 
Erwerbsunfähigkeit  der  Mannschaft  anzuwenden  sein  wird,  analog 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


171 


wie  beim  bürgerlichen  Unfallbegutachtungswesen.  In  jedem  Falle 
ist  somit  ein  sorgfältiges  IndivMualisieren  erforderlich,  was  im 
Anfänge  den  ungewohnten  Aerzten  manche  Schwieiigkeit  bereiten 
dürfte.  Wir  erachten  es  daher  als  einen  Hauptvorzug  des  vor¬ 
liegenden  Buches,  daß  der  Verfasser,  ein  versierter  Fachmann, 
in  einem  eigenen  Abschnitt  äußerst  lehrreiche  Erläuterungen  und 
Hinweise  für  die  prozentuale  Schätzung  der  erwerbsbeeinträch¬ 
tigenden  Gesundheitsstörungen  bringt.  Insbesondere  die  Tabelle 
auf  Seite  148/149,  welche  die  bisherigen  mit  den  neuen  Abstu¬ 
fungen  der  Dienst-  und  Erwerbsunfähigkeit  in  Vergleich  stellt,  ist 
für  die  Uebergangszeit  von  höchstem  Werte. 

Auf  Details  des  Inhaltes  einzugehen,  ist  hier  unmöglich. 
Es  sei  nur  bemerkt,  daß  geschichtliche  Entwicklung  und  der¬ 
zeitiger  Stand  des  Militärversorgungs-  und  Begutachtungswesens 
wohl  nirgends  so  ausführlich  behandelt  sind,  wie  im  vorliegenden 
Werke. 

Ist  auch  Paalz'ows  Buch  in  erster  Linie  für  den  deutschen 
Militärarzt  bestimmt,  so  sind  die  darin  enthaltenen  Erörterungen 
und  kasuistischen  Beispiele  doch  nicht  minder  für  den  \yeiteren 
Kreis  aller  jener  Aerzte  von  Wert  und  Interesse,  die  sich  mit  der 
ünfallbegutachtung  überhaupt  zu  beschäftigen  haben.  Es  verdient 

demnach  allgemeine  Beachtung. 

* 

Repetitorium  des  österreichisch-ungarischen  Heerwesens 
im  Felde  für  Militärärzte. 

Zusammengestellt  von  Dr.  Felix  Halm,  k.  k.  Regimentsarzt. 

116  Seiten. 

Wien  1906,  Josef  S  a  f  ä  f. 

Das  vorliegende  Repetitorium  soll  den  iVlilitärärzten  bei 
den  applikatorischen  und  Kriegsspielübungen  als  handlicher  Be¬ 
helf  dienen.  Daher  ist  auch  der  Abschnitt  ,,Feldsanit,ätswesen’‘ 
am  ausführlichsten  behandelt;  außerdem  werden  die  wichtigsten 
organisatorischen  Daten  über  die  einzelnen  Waffengattungen  und 
Armeekörper,  dann  über  das  Feldverpflegs-,  Train-,  Feldeisen¬ 
bahn-  und  Etappenwesen  übersichtlich  zur  Darstellung  gebracht. 

Mehrere  der  enthaltenen  Angaben  entsprechen  nicht  mehr 
den  Tatsachen. 

* 

Hilfsbuch  für  den  Einjährig-Freiwilligen  Mediziner  im 

ersten  Halbjahr. 

Zweite,  umgearbeitele  und  vermehrte  Auflage  von  Marsclmers  Hilfsbucb. 

104  Seiten. 

Wien  1906,  Josef  §  a  f  ä  f. 

Marsch  n  e  r  s  Hilfsbuch  für  einjährig-freiwillige  Mediziner 
hat  schon  in  der  ersten  Auflage  viel  Anklang  gefunden.  Die  zweite 
Auflage  war  notwendig  geworden,  weil  durch  das  seither  erfolgte 
Erscheinen  des  neuen  Reglements  für  den  Sanitätsdienst  im  Kriege 
wesentliche  Aendenmgen  eingetreten  sind. 

Im  ersten  Abschnitt  werden  das  Sanitätshilfspersonal  und 
der  Dienst  auf  Hilfs-  und  Verbandplätzen,  sowie  das  Wesen  der 
Genfer  Konvention  besprochen.  Der  zweite  Abschnitt  behandelt 
die  im  Heere  systemisierten  Verbandmittel,  die  wichtigsten  Ver¬ 
letzungen  und  die  Hilfeleistung  bei  ihnen.  Im  dritten  Abschnitt 
gelangen  die  Pflichten  der  Blessiertenträger  auf  dem  Schlacht¬ 
felde,  sowie  das  Führen  und  Transportieren  von  Kranken  und 
Verwundeten  zur  Erörterung.  Die  erste  Hilfeleistung  bei  lebens¬ 
gefährlichen  Zufällen  bildet  den  Gegenstand  des  vierten  Ab¬ 
schnittes,  während  der  fünfte  Abschnitt  die  den  pinjährig -frei¬ 
willigen  Mediziner  betreffenden  militärdienstlichen  Vorschriften 
enthält. 

* 

Epidemiologie  der  Garnisonen  des  k.  u.  k.  Heeres  in 
den  Jahren  1894  bis  1904. 

Von  Dr.  Paul  Myrdacz,  k.  u.  k.  Oberstabsarzt  I.  Klasse  etc. 

76  Seiten. 

Wien  1906,  Josef  S  a  f  ä  f. 

Die  seit  mehr  als  zwei  Dezennien  alljährlich  erscheinende 
,, Statistik  der  Sanitätsverhältnisse  der  Mannschaft  des  k.  und  k. 
Heeres“  enthält  ein  reiches  Material,  um  dessen  wissenschaftliche 
Venvertung  sich  Myrdacz  schon  durch  frühere  Arbeiten  manches 
Verdienst  erworben  hat.  In  der  vorliegenden  Studie  ist  auf  Grumt 
der  statistischen  Daten  für  den  elfjährigen  Zeitraum  1894  bis  1904 
eines  der  interessantesten  und  praktisch  wichtigsten  Gebiete,  das  | 


Auftreten  der  Epidemien  und  sonstigen  Massenerkraiikungoti  in 
den  Garnisonen  des  Heeres  bearbeitet,  wobei  alle  erwiesenen 
oder  vermuteten  ätiologischen  Momente  und  die  zur  Bekämpfung 
der  Seuchen  angewandten  Maßnahmen  erwähnt  werden.  Myr¬ 
dacz  hat  auf  diese  Weise  für  jede  Garnison  in  knappen  Fm- 
rissen  eine  epidemiologische  Charakteristik  geschaffen,  die  für 
alle  Militärärzte,  insbesondere  die  leitenden,  von  größter  Wich¬ 
tigkeit  ist,  da  sie  sich  nunmehr  ohne  weitläufige  Nachforschungen 
über  die  während  der  letzten  Jahre  in  ihrer  Garnison  oder  ihrem 
Dienstbereich  vorgekommenen  Epidemien  Aufklärung  verschaffen 
können.  Auch  wird  ihre  Aufmerksamkeit  schon  von.  vornherein 
auf  gewisse  Oertlichkeiten  und  Verhältnisse  gelenkt,  die  das  Ent¬ 
stehen  und  die  Verbreitung  der  Epidemien  begünstigt  bähen, 
so  daß  in  Hinkunft  oft  der  rechtzeitig  und  zweckmäßig  einge¬ 
leiteten  Seuchenabwehr  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  beschieden  sein 
dürfte,  als  in  früheren  Zeiten,  wo  keine  solchen  Erfahrungen  zur 
Verfügung  standen. 

Der  neuesten  Studie  Myrdacz’  kommt  aber  gewiß  auch 
eine  Bedeutung  für  die  wissenschaftliche  Epidemiologie  im  all¬ 
gemeinen  zu.  Sie  ist  ein  wertvoller  Beitrag  zu  einer  Sanitäts¬ 
geographie  unseres  Vaterlandes  und  es  wäre  nur  zu  wünschen, 
daß  die  Arbeit  eine  Fortsetzung  erfährt,  um  so  für  jede  Gar¬ 
nison  eine  ununterbrochene  Kenntnis  der  vorgekommenen  Epi¬ 
demien  zu  sichern. 

Die  in  den  Kreis  der  Betrachtung  gezogenen  Krankheiten 
sind:  Darmtyphus,  asiatische  Cholera,  Ruhr,  Blattern,  Scharlach, 
Masern,  Influenza,  Ohrspeicheldrüsenentzündung  (Mumps),  epide¬ 
mische  Genickstarre,  Wechselfieber,  Trachom,  Skorbut,  epide¬ 
mischer  Bindehautkatarrh,  epidemischer  Magen-  und  Darmkatarrh. 
Ueber  einheimische  Cholera,  Rotlauf,  Diphtherie  und  Krupp  lagen 
für  den  in  Rede  stehenden  Zeitraum  keine  Berichte  vor.  Die 
venerischen  und  syphilitischen  Krankheiten  wurden  mit  Rück¬ 
sicht  auf  ihren  ubicpiitären  Charakter  außer  Betracht  gelassen. 
Als  Maßstab  für  die  Extensität  der  einzelnen  Epidemien  dient  die 
bei  allen  größeren  Gai’nisonen  angegebene  durchschnittliche  Mann¬ 
schaftskopfstärke.  Für  jeden  Korpsbereich  werden  zum  Schlüsse 
jene  Garnisonen  angeführt,  in  denen  während  der  elf  Jahre  keine 
Epidemien  vOrgekommen  sind. 

Nach  all  dem  oben  Gesagten  ist  die  ,, Epidemiologie“  nicht 
nur  für  Militärärzte  von  großer  Bedeutung,  sondern  sie  kann 
auch  den  praktischen  Hygienikern  und  den  Amtsärzten  des  Zivil¬ 
standes  zum  Studium  bestens  empfohlen  werden. 

Johann  Steiner. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

60.  Ein  Fall  von  generalisierter  Kontraktur  in¬ 
folge  von  Kompression  des  H  a  1  s  m  a  r  k  e  s ;  Besserung 
nach  x\pplikation  von  Röntgenstrahlen.  Von  J.  Ba- 
binski.  Bei  einem  von  einem  Automobil  überfahrenen  15jährigen 
Knaben  stellte  sich  unmittelbar  nach  dem  Unfall  eine  Lähmung 
der  linken  oberen  und  unteren  Extremität  ein,  während  rechterseits 
die  Motilität  erhalten  blieb  und  nur  leichte  Parästhesien  bestanden. 
Im  weiteren  Verlauf  entwickelte  sich  eine  Herabsetzung  der  Tem¬ 
peraturempfindung  an  der  rechten  Seite,  welche  sich  auch  etwas 
kühler  anfühlte,  ferner  traten  Lähmungserscheinungen  am  Rumpf 
und  an  der  rechten  Körperhälfte.,  sowie  Störungen  der 
Sphinkterfunktion  hinzu.  Die  Sensibilitätsistörungen  gingen  all¬ 
mählich  zurück,  während  die  motorischen  Störungen  sich  aus¬ 
breiteten,  so  daß  ein  lialbes  Jahr  nach  dem  Unfall  eine  allgemeine 
Kontraktur  des  Halses,  des  Rumpfes  und  der  Extremitäten  bestand, 
welche  den  Patienten  fast  vollständig  immobilisierte.  Es  bestand 
Muskelatrophie  an  der  linken  oberen  Extremität,  beträchtliche 
Steigerung  der  Knochen-  und  Sehnenreflexe,  positives  Zehen¬ 
phänomen,  zeitweilig  stellten  sich  auch  amwillkürliche  spastische 
Flexionsbewegungen  an  den  unteren  Extremitäten  ein.  Das  Sym- 
ptomenbild  fübrle  zur  Diagnose  einer  organischen  Läsion  des 
Halsmarkes,  wahrscheinlich  Kompression  durch  Bluterguß  oder 
hämorrhagische  Pachymeningitis.  Zur  Sicherung  der  Diagnose 
wurde  auch  eine  Röntgenaufnahme  der  Wirbelsäule  gemacht  und 
acht  Tage  später  eine  derartige  Besserung  der  Beweglichkeit  <ler 
rechten  oberen  Extremität  konstatiert,  daß  der  Patient  wieder 
imstande  war,  die  Nahrung  zum  Munde  zu  führen.  Es  wurde 


172 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


nun  eine  systematische  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  diircli- 
geführt  und  fortschreitende  Rückbildung  der  Kontrakturen  beob¬ 
achtet.  Die  45  Tage  nach  der  ersten  Röntgenapplikation  vorge- 
nonnnene  Untersncbung  ergab  wesentliche  Resserung  der  Reweg- 
licbkeit  des  Kopfes,  des  Rumpfes  und  der  oberen  Extremitäten, 
ebenso  war,  wenn  auch  in  eingeschränkterem  Maße,  die  Beweg¬ 
lichkeit  der  unteren  Extremitäten  wiedergekehrt.  Für  die  Wirk¬ 
samkeit  der  Röntgenstrahlen  in  diesem  Falle  spricht  die  rapide 
Besserung  des  bis  dahin  progressiv  sich  entwickelnden 
Krankheitsl)ildes,  sowie  die  Tatsache,  daß  bisher  eine  gleiche 
bedeutende  spontane  Besserung  der  Motilitätsstörungen  hei 
Rückenmarkskom])ression  nicht  beobachtet  wurde.  Man  kann  an¬ 
nehmen,  daß  die  Röntgenstrahlen  die  Aufsaugung  des  Blutergusses 
oder  pachymeningitischen  Exsudates  begünstigt  haben.  In  gleichem 
Sinne  spricht  die  Heilung  eines  Falles  von  tuberkulöser  Pachy¬ 
meningitis,  wo  sich  unmittelbar  im  Anschluß  an  zwei  zu  dia¬ 
gnostischen  Zwecken  vorgenommene  radiographische  Unter¬ 
suchungen  bereits  eine  sichtbare  Besserung  einstellte.  —  (Bull, 
et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1906,  Nr.  35.) 


61.  Aus  der  k.  k.  deutschen  Universitätsklinik  in  Prag 

(Aorstand  :  Prof.  Dr.  K  reih  ich).  Zur  Technik  der  Spiro¬ 
chäte  n  f  ä  r  b  u  n  g.  Von  Dr.  Alfi-ed  K  r  a  u  s,  erster  Assistent.  Hoff- 
m an n- Halle  hat  zum  Nachweise  der  Spirochaete  pallida  die 
Durchführung  der  Giemsafärbung  an  vorher  durch  Osmiumdämpfe 
fixierten  Präpaxaten  empfohlen.  Diese  Methode  hat  den  Fehler, 
daß  die  Deutlichkeit  der  Darstellung  vielfach  durch  unvermeid¬ 
liche  Farhstoffniederschläge  leidet.  Verf.  hat  sich  nun  bemüht, 
die  Klarheit  der  Bilder  zu  steigern  mit  Hilfe  einer  30o/oigen  wässe¬ 
rigen  Tanninlösung,  in  welcher  die  nach  der  Hof f mann-Hallei- 
schen  Methode  angefertigten  Präparate  je  nach  ihrer  Beschaffen¬ 
heit  (Dicke  des  Aufstrichs,  Dauer  der  vorgenommenen  Färbung) 
kürzere  oder  längere  Zeit  differenziert  wurden.  Der  mehr  bläu¬ 
liche  Grundton  der  Aufstriche  ging  dabei  in  einen  sehr  zarten, 
rötlichen  über,  während  gleichzeitig  unter  Abgang  bläulich-grüner 
Farlnvolken  der  das  eigentliche  Präparat  umgebende  Mantel  von 
Farbstoffnieders’chlägen  schwand.  Nach  dem  Verbleiben  von  einer 
halben  Minute  in  der  Tanninlösung,  erzielte  der  Verfasser,  daß 
sich  die  deutlich  rot  gefärbten  Spirochäten  vom  farblosen  oder 
zart  rosarot  gefärbten  Grund  klar  abhoben,  ln  den  auf  diese 
M’eise  hergestellten  Präparaten  erfolgt  das  Aufsuchen  der  Spiro¬ 
chäten  dank  der  scharfen  Kontraste  ungemein  leicht.  Verf.  em- 
])fiehlt  seine  Metlmde  für  Ausstrichpräparate  ganz  besonders  zu 
Demonstrationszwecken  und  für  jene  Fälle,  wo  es  sich  darum 
handelt,  gewdsse  Anhaltspunkte  über  die  Menge  vorhandener  Spiro¬ 
chäten  zu  erhalten.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1906, 
Nr.  52.)  G. 

* 

62.  Aus  dem  Laboratorium  der  psychiatrischen  Universi¬ 

tätsklinik  in  Basel  (Direktor:  Prof.  Dr.  G.  Wolff).  Heilungs¬ 
vorgänge  an  Erweichungen,  Lichtungsbezirken  und 
Zysten  des  Gehirns.  V(m  Di'.  S.  Saltykow,  Prival dozen! 
der  allgemeinen  Pathologie  und  pathologischen  Anatomie  an  der 
Universität  Basel,  zurzeit  Prosektor  am  Kaiiton-Hospital  in_  Sankt 
Gallen.  Vernarben  Erweichungsherde,  so  beteiligen  sich  daran 
in  wechselvoller  Weise  Glia  und  Bindegewebe,  indem  fast  gleich¬ 
zeitig  gliöse  und  bindegewebige  Wucherung  auftritt.  Unter  Um¬ 
ständen  kommt  auch  ausschließlich  gliöse  Heilung  von  selbst 
größeren  Erweichungsherden  vor.  Lichtungsbezirke  sind  nicht  für 
<lie  multiple  Sklerose  typisch.  Sie  heilen  nur  gliös.  Gliöse  Narben 
größerer  Lichtungsbezirke  sind  schon  makroskopisch  sichtbar  und 
ähneln  den  Narben  nach  kleinen  Enveichungen.  Perivaskuläre 
Zysten  werden  zumeist  gliös  eingekapselt,  können  aber  auch 
gliös  oder  bindegewebig  obliterieren  infolge  Wucherung  eines 
präexistiei'enden,  lymphatischen  Retikulums.  Bei  der  Heilung 
der  verschiedenartigsten  Mischformen  der  drei  Herderkrankungen 
entstehen  kompliziei'l  gebaute  atyinsche  Narben.  —  (Archiv  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  41,  H.  3.)  S. 

* 

63.  lieber  die  Anwendung  von  Sonnenbädern 
bei  Peritonitis  tuberculosa.  Von  Dr.  Karl  Oppen- 


heiiner,  Ambulatorium  für  Kinderkrankheiten  in  München.  Uebej' 
zwei  Beobachtungen,  die  einen  zehnjährigen  Knaben  und  ein  acht¬ 
jähriges  MädPlien  betrafen,  die  beide  an  Bauchfelltuberkulose  litten 
und  durch  Sonnenbäder  günstig  beeinflußt  wurden,  wird  ein¬ 
gehend  berichtet.  Der  Knabe  gebrauchte  seine  Sonnenbäder  auf 
einer  3  km  von  der  Stadt  entfernten  ,,Kneippwiese“,  er  lief  durch 
14  Tage  fast  den  ganzen  Tag,  ziuneist  nackt,  auf  der  Wiese  umher, 
legte  sich  von  Zeit  zu  Zeit  etwa  eine  halbe  Stunde  hmg  in  die 
Sonne  und  kühlte  sich  wieder  ab.  Seine  Nahrung  war  dürftig. 
Das  Mädchen  nahm  die  Sonnenbäder  auf  dem  flachen  Dach  des 
Wohnhauses,  war  stets  nur  kurze  Zeit  der  Sonne  ausgesetzt.  Das 
Körpergewicht  stieg  bei  dem  Knaben  bei  gleichzeitigem  Rückgang 
des  Aszites;  das  Aussehen  des  Kindes  wurde  ein  besseres,  es 
wurde  vergnügt  und  munter;  der  früher  leidende,  matte  und 
gleichgültige  Gesichtsausdruck  schwand,  es  blickte  wieder  fröhlich 
in  die  Welt.  Ob  man  es  mit  einer  Dauerheilung  zu  tun  habe,  das 
ist  noch  abzuwmrten.  Das  Mädchen  nahm  stets  an  Körpergewicht 
zu,  wenn  es  auf  dem  Lande  war  und  dort  fleißig  Sonnenbäder 
nahm.  Wenn  es  des  kühlen  Wetters  halber  in  die  Stadt  kam, 
so  verschlechterte  sich  dessen  Befinden,  es  verlor  wieder  an 
Körpergewicht.  Aber  auch  in  der  Stadt  sah  es  besser  aus,  w^enn 
es  fleißig  Sonnenbäder  gebrauchte  und  nahm  einmal  in  14  Tagen 
um  2  kg  zu.  Dem  Verfasser  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  inten¬ 
sive  Bestrahlung  eine  Hyperämie  des  Peritoneums  erzeuge,  daß 
die  Sonnenbäder  ähnlich  wirken  wie  die  Laparotomie  oder  die 
Bi  er  sehe  Stauung.  Auch  Poncet  hat  tuberkulöse  Knochenaffek¬ 
tionen  der  Kinder  mit  gutem  Erfolg  schon  mit  lokalen  Sonnen¬ 
bädern  behandelt.  Ein  abschließendes  Urteil  ist  dem  Verfasser 
bei  der  geringen  Zahl  der  Beobachtungen  noch  nicht  möglich. 
—  (Zeitschrift  für  physik.  und  diätetische  Therapie  1907,  H.  1.) 

E.  F. 

* 

64.  Der  gegenwärtige  Stand  der  Schutzimpfung 
gegen  Tuberkulose.  Von  G.  Moussu.  Die  Zusammenfassung 
der  Erfahrungen  über  die  von  v.  Behring  angegebene  Schutz¬ 
impfung  der  Rinder  gegen  Tuberkulose  zeigt,  daß  diese  Methode 
unwirksam  und  ohne  praktischen  Wert  ist.  Dies  geht  besonders 
aus  den  in  Melun  vorgenommenen  Kontrollversuchen  hervor.  Die 
Impfung  besteht  in  der  intravenösen  Injektion  von  wenig  viru¬ 
lenten  menschlichen  Tuberkelbazillen  in  Form  einer  Emulsion. 
Bei  den  späteren  Versuchen  betrug  die  erste  Dosis  0-004  g,  die 
zweite  Dosis  002  g.  Die  Impfungen  wurden  ausschließlich  an 
solchen  Tieren  vorgenommen,  welche  durch  die  Tuberkulinprobe 
als  frei  von  Tuberkulose  festgestellt  w'orden  waren.  Eine  Gruppe 
der  Versuchstiere  wmrde  intravenös,  eine  zw^eite  subkutan  ge¬ 
impft  und  eine  dritte  Gruppe  für  längere  Zeit  mit  an  offener 
Tuberkulose  leidenden  'Tieren  zusammengebracht.  Die  ersten  zwei 
Gruppen  wmrden  drei  Monate  nach  der  zweiten  Impfung  mit 
virulenten  Rindertuberkulosebazillen  geimpft,  dann  neuerlich  der 
'Tuberkulinprobe  unterzogen,  auf  welche  nur  ein  Tier  reagierte, 
welches  aber,  wie  die  Sektion  zeigte,  keine  tuberkulösen  Herde 
aufwies.  Außerdem  sprach  die  Beobachtung  für  die  Unschädlich¬ 
keit  des  angewendeten  Impfstoffes.  Von  den  sechs  intravenös 
mit  Rindertuberkulose  infizierten  Impftieren  zeigten  vier  kleine 
makroskopisch  nachweisbare  Läsionen,  während  zwei  'Tiere  kleine 
Lymphdrüsenherde  aufwiesen.  Von  den  mit  dem  gleichen  Virus 
infizierten  Konirolltieren  gingen  drei  an  akuter  'Tüberkulose  zu¬ 
grunde,  drei  an  dere  bekamen  schwere  Viszeral  tuberkulöse.  Die 
Versuche  isprachen  demnach  zugunsten  einer  gewissen  Wirksam¬ 
keit  der  Schutzimpfung.  Aehidiche  Resultate  wurden  bei  den 
subkutan  infizierten  'Tieren  erbalten.  Eine  Gruppe  der  geimpften 
'tiere  wurde  für  längere  Zeit  mit  an  offener  'tuberkulöse 
erkrankten  'Tieren  zusammengebrachl,  um  möglichst  den  natür¬ 
lichen  Infektionsmodus  nachzuahmen.  Die  geimpften  'tiere  er¬ 
krankten  im  Laufe  eines  .lahres  sämtlich  an  Tuberkulose,  woraus 
die  praktische  Wertlosigkeit  der  Schutzimpfung  heiTorgeht.  Auch 
ein  vor  Infektion  durch  Kontamination  geschütztes  Impftier, 
welches  ein  Jahr  nach  (ler  Impfung  intravenös  infiziert  wurde, 
ging  an  generalisierter  'Tuberkulose  zugrunde.  Außerdem  zeigte 
ilie  Impfung  von  Meerschweinchen  mit  Lymphdrüsenpartikeln  an¬ 
scheinend  gesund  gebliebener  Impftiere,  daß  in  den  Drüsen  an¬ 
scheinend  virulente  Bazillen  enthalten  wnaren.  Auch  sonst  finden 
sich  in  iler  Literatur  Berichte,  welche  den  Wm-t  der  Tuberkulose- 


JMr.  6 


WlEiNEU  KLiWiycllE  WUCHEiNSCHRlFT.  1907. 


173 


Schutzimpfung  in  Abrede  stellen.  Auch  sonst  wurden  Impfversuche 
mit  ahgetöteten  Tuberkelhazillen,  sowie  mit  in  der  Tiefe  von 
llouillonnährböden  gezüchteten,  ferner  mit  vii'ulenten,  in  Wasser 
aufgeschwemmten  Tuberkelhazillen  gemacht.  Diese  Versuche 
zeigen  wohl,  daß  es  gelingt,  die  Resistenz  gegen  Infektion  zu 
erhöhen,  haben  aber  keine  für  praktische  Zwecke  verwertbaren 
Resultate  ergehen,  so  daß  das  Problem  der  Schutzimpfung  gegen 
Tuberkulose  noch  seiner  endgültigen  Lösung  harrt.  —  (Sem. 

med.  1906,  Nr.  49.)  a.  e. 

* 

65.  Die  .Milchsäure  in  der  Otiatrie.  Von  Dr.  Viktor 
Lange  in  Kopenhagen.  Schon  vor  20  .fahren  (Monatsschrift 
für  Ohrenheilkunde  1887,  Nr.  3)  hat  Verf.  die  Milchsäure  hei 
chronischer  eitriger  Mittelohrentzündung  empfohlen.  Er 
wendet  das  Mittel  auch  heute  noch  an,  pinselt,  zumal  wenn  ('s 
sich  um  hypertrophische  Zustände  im  Mittelohr  handelt,  anfangs 
mit  verdünnter,  später  mit  konzentrierter  Milchsäure  im  Ohre 
und  beobachtet,  daß  gewöhnlich  die  Sekretion  rasch  abnimmt,  daß 
ein  bestehender  üblerOeruch  in  der  Regel  in  kurzer  Zeit  schwindet. 
Der  durch  konzentrierte  Milchsäure  bedingte  Schmerz  ist  nicht 
arg  und  geht  rasch  vorbei,  isofern  das  Individuum  nicht  eine 
besondere  Reizbarkeit  besitzt.  Reibt  man  konzentrierte  Milch¬ 
säure  gut  ein,  BO  färben  sich  die  pathologischen  Gewel)e  weiß. 
Fibröse  Vegetationen  werden  durch  die  Milchsäure  nicht  beein¬ 
flußt,  für  die  akuten  Mittelohrentzündnngen  eignet  sie  sich  über¬ 
haupt  nicht.  Dei  der  diffusen,  immer  aufs  neue  rezidivierenden 
Entzündung  des  äußeren  Oehörganges  pinsele  man  (mit  AVatlej 
mit  einer  dOVoigen  Milchsäurelöisung  einmal  täglich,  bis  entweder 
Bessening  oder  eine  zu  starke  Reizung  eintritt.  1st  die  Gehör¬ 
gangsentzündung  teilweise  abgelaufen,  so  wende  man  andere 
Mittel  .(Gazetampons,  Pulver  etc.)  an.  Der  Milchsäure  ist  schließlich 
keine  hämostatische  Wirkung  zuzuschreiben.  —  (Therapeutische 

Monatshefte  1906,  Dezember.)  E.  F. 

* 

6(5.  Drei  Fälle  von  Z  u  n  g  e  n  n  e  u  r  a  1  g  i  e.  Von  Doktor 
L.  lloeflmayr,  Nervenarzt  in  München.  Im  ersten  Falle  handelt 
es  sich  um  einen  68jährigen  Mann,  der  plötzlich  über  heftige, 
brennende  Schmerzen  entlang  dem  vorderen  Zungenrande  klagt. 
Zungenwurzel  und  Gaumen,  sowie  weitere  Umgehung  sind  olme 
jede  Störung.  Geschmackscjualitäten  intakt,  Appetit  gut,  nui-  stört 
heim  Essen  der  Schmerz  in  den  Zungenrändern.  Seit  einigen 
Tagen  absolute  Obstipation.  2.  44jähriger  Kaufmann.  Schmerzen 
in  den  Zungenrändern  hei  Tag  und  Nacht,  vorübergehend  in  die 
Lippen  ausstrahlend.  (Obstipation.  GeBchmack  ungestört.  Sensi¬ 
bilität,  Motilität  der  Zunge  vollkommen  normal.  3.  -tOjähriger 
Hotelier.  Plötzlich  heftige  Schmerzen  im  vorderen  Zungenrande. 
Augst  vor  Zungenkrebs.  Obstipation.  Untersuchung  der  Zulage 
ergibt  nichts  Abnormes.  Es  handelt  sich  in  allen  drei  Fällen  um 
mäßig  ncurasthenische  Patienten  mit  träger  Darmtätigkeit.  Mil 
Hebung  der  Obstipation  verschwanden  auch  die  Schmerzen  in  der 
Zunge.  Interessant  ist  in  diesen  Fällen,  daß:  die  beiden  eigent¬ 
lichen  Zungennerven  Glossopharyngeus  und  Hypoglossüs  —  also 
Geschmacksnerv  und  der  motorische  Nerv  —  vollständig  unbe¬ 
teiligt  waren.  Die  Schmerzen  traten  nur  im  Ausbreitungsgebiete 
des  Nervus  lingualis,  eines  Zweiges  des  Ramus  inferior  des  Trige¬ 
minus  auf.  Daß  es  sich  um  eine  reine  Neuralgie  des  Lingualis 
handelte,  kann  nach  Verf.  daraus  geschlosisen  werden,  daß  die 
Chorda  tympani,  die  dem  vorderen  Drittel  der  Zunge  die  Ge¬ 
schmacksfasern  zuführl,  nicht  an  der  Erkrankung  beteiligt  war. 
Eine  lokale  Entzündung  oder  sonstige  örtliche  Erkrankung  ist 
ausgeschlossen.  Eine  solche  Erkrankung  würde  nicht  den  sensiblen 
Nerven  allein  in  Mitleidenschaft  ziehen ;  außerdem  waren  die 
zugehörigen  Lymphdrüsen  nie  angeschwollen,  wie  dies  sonst  hei 
Alund-,  Zungen-  und  llalserkrankungen  sofort  der  Fall  ist.  Als 
Ursache  der  Neuralgie  bleibt  demnach,  wie  Verf.  meint,  nur  die 
habituelh;  Obstipation.  Es  erscheint  naheliegend,  daß  in  diesen 
Fällen  ein  bei  der  Darmfäulnis  entstehendes  und  von  der  Dann¬ 
wand  i'esorbiertes  Toxalbumin  eine  nervenschädigende  Rolle 
spielt.  —  (Müiu'hener  mediz.  Wochenschrift  1906,  Nr.  5t.)  (f. 

* 

67.  Ueber  g  e  s  te  i  g  (U' t  e  s  L  ä  n  g  e  n  w  acdi  s  t  u  m  d  e  i' 
R  ö  h  re  n  k  11  o  c  h  (‘ n  jugendlicher  Individuen  im  An¬ 
fan  g  s  t  a  d  i  u  in  tuberkulöser  G  e  1  e  n  k  s  e  n  t  z  ü  n  d  u  n  g  e  n. 


Von  Dr.  Th.  Wartmann  in  St.  Gallen.  Untei'  Anführung  dei’ 
älteren  kasuistischen  Mitteilungen  und  dieshezüglichen  experi¬ 
mentellen  Ergehnisse  (v.  Bergmann,  v.  Langen  heck,  Ol¬ 
lier,  Haab,  Helfer  ich,  Dollinger  u.  a.)  über  Wachstums¬ 
störungen  der  Extremitätenknochen  bei  Entzündungsprozessen  be¬ 
richtet  Verf.  einschließlich  eigener  Beobachtungen  über  vom  (.'hef- 
arzt  Dr.  F eurer  in  St.  Gallen  seit  25  .Tahren  ,, regelmäßig  und 
einheitlich“  (mit  ilem  Bandmaß)  vorgenommenen  Messungen  bei 
tuberkulöser  Koxilis  und  Gonitis.  Von  131  Koxilisi)atienten  wiesen 
30,  d.  i.  22-9Co,  eine  Wachstumsverlängerung  des  entsprechenden 
Beines  von  0-5  bis  2  cm  auf  (Femur  oder  Tibia  oder  ganzes 
Bein  betreffend).  Von  80  Gonitisfällen  konnte  bei  57,  d.  i.  71'’o, 
eine  Verlängerung  des  entsprechenden  Beines  von  0-5  bis  3  cm 
konstatiert  werden.  Die  AVachsLumsverlängerungen  betrafen  vor¬ 
wiegend  jugendliche  Individuen  im  Anfangstadium  der  Krank¬ 
heit.  Feil  rer  ist  der  Ansicht,  daß  ,,die  Tuberkulose  an 
H ü f  t  e  u n  (1  Knie  bei  jungen  I n d i v i d u e n  in  allen  F ä  1 1  e n 
ei  nma  1  AV  a  c  h  s  1 11  m  s  ve  rl  än  g  e  r  u  n  g  macht“.  In  den  Fällen, 
die  man  überhaupt  darauf  untersucht  hat,  war  die  V^erlängerung 
sehr  oft  da;  und  wo  sie  nicht  gefunden  wurde,  maß  man  viel¬ 
leicht  nicht  zur  rechten  Zeit  oder  nicht  wiederholt  genug.  In 
zahlreichen  Fällen  folgte  später  u.  zw.  manchmal  relativ  schnell 
auf  die  Amrlängerung  eine  Verkürzung  der  betreffenden  Extremi¬ 
tät  (Femur,  Tibia  oder  ganzes  Bein  betreffend).  Diese  Beobach¬ 
tung  steht  im  Gegensatz  zu  früheren  Behauptungen  v.  Langen- 
becks  und  H e  1  f  e  r  i  c  h  s,  daß  eine  nachträgliche  Längenabnahme 
durch  Besorplion  nicht  stattfinde.  Ueher  die  Art  und  Weise,  wie 
die  A'erlängeriing  zustande  kommt,  bestehen  noch  Aleinungsver- 
schiedenheiten.  Die  meisten  Autoren  neigen  der  Ansicht  zu,  daß 
durch  die  Gelenksentzündung  in  den  Knochenenden  Hyperämie 
entstehe  und  daß  dadurch  der  Epiphysenknorpel  zu  verstärkter 
Tätigkeit  angeregt  werde.  Verf.  ist  mit  F eurer  der  Ansicht,  daß 
die  wahre  Ursache  noch  im  Dunklen  liegt.  Betreffs  des  Zusam¬ 
menhanges  der  Wachstumsverlängerimg  mit  der  pathologischen 
Schenkelstellung  hei  beginnender  Koxitis  (Abduktion,  Außenrota¬ 
tion,  Flexion  etc.)  und  Gonitis,  wofür  nach  König  und  anderen 
Autoren  höchst  komplizierte  Erklärungen  liestehen,  ist  A^erf.  der 
Meinung,  daß,  nachdem  bei  tuberkulöser  Koxitis  im  Anfangstadium 
sozusagen  immer  A'^erlängerung  des  Beines  besteht,  dasselbe,  wenn 
der  Schenkel  länger  wird  und  der  Patient  dabei  herumgeht,  not¬ 
gedrungen  abduziert,  eventuell  flektiert  werden  mußi.  (.tanz  ana¬ 
loge  A'erhältnisse  bestehen  beim  Kniegelenk.  Für  die  Praxis  er¬ 
gibt  sich  hiei'aus  die  dringende  Notwendigkeit,  bei  jeder  AVachs- 
tumsverlängerung  von  Koxitis-  und  Gonitiskranken  Absatz  und 
Sohle  für  den  gesunden  Fuß  zu  erhöhen,  um  Stellungsanomalien 
zu  vermeiden.  —  (Deutsche  Zieitschrift  für  Chirurgie  1906,  Bd.  84. 

H.  4  bis  6.)  F.  H. 

♦ 

68.  Diag  n  OS  I  iisc  he  Bedeutung  des  prozentischen 
E i we i ß g e h a  1 1 e s  (Minima  und  Maxima)  der  Aszites¬ 
flüssigkeiten.  Von  Dr.  Martin  Engländer,  AVien.  Da  die 
bisherigen  Forschungen  über  die  diagnostische  Bedeutung  des 
prozentischen  Eiweißgehaltes  zu  diametral  entgegengesetzten  Be¬ 
hauptungen  führten,  so  befaßte  sich  Engländer  in  der  vor¬ 
liegenden  Arbeit  neuerdings  mit  dieser  Frage,  ob  der  Eiwei߬ 
gehalt  diagnostisch  verwertet  werden  könne,  für  welche  Hoft- 
niann  und  Ru  ne  borg  mit  größter  Entschiedenheit  bejahend 
eingetreten  sind,  ohne  jedoch  Beachtung  gefunden  zu  haben. 
Die  Resultate  der  UiMersucliLingen  Engländers  sind  wie  folgt: 

I.  Portalstasen-Transsudate :  gehören  zu  den  eiweißärmeren  Er¬ 
güssen  (meist  unter  2%);  überschreitet  der  Eiweißgehalt  2-6'’/o, 
so  zeigt  dies  eine  entzündliche  Komplikation  von  Seite  der 
Peritonealhöhle,  oder  bei  gleichzeitiger  Kachexie  ('in  Karzinom 
an,  eventuell  auch  Syphilis,  wie  denn  überhaupt  der  Eiweißgehalt 
nur  im  Zusammenhang  mit  den  übrigen  klinischen  Befunden 
zu  verwerten  ist.  2.  xAllgemeine  venöse  Stase :  der  Eiweißgehatt 
ist  im  allgemeinen  höher  (l^/o  bis  über  4°,i>),  aber  diagnostisch 
nicht  sehr  bedeutsam,  weil  die  klinische  Diagnose  der  Vitien  nicht 
darauf  angewiesen  ist  und  die  Eiweißvverte  auch  Schwankungen 
unterworfen  sind.  Nur  erhel)liche  Differenzen  von  2  bis  3*^,0 
Eiweiß  bei  verschiedenen  Untersuchungen  desselben  Falles  bieten 
Anhaltspunkte  für  eine  entzündli(he  Komplikation.  3.  Exsudate: 
a)  Peritonitis  carcinomatosa :  der  Eiweißgehält  ist  sehr  variabel 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


(unter  1%  l)is  über  7%),  koniinl  daher  diagnostisch  kaum  in 
Helracht.  h)  Peritonitis  exsudativa  chronica  et  Peritonitis  tuhor- 
culosa:  Die  Ergüsse  geliören  zu  den  eiweißreichsten  (niemals 
unter  3°/o,  so  daß,  wenn  keine  Komplikation,  welche  eine  Hydrämio 
l)edingen  könnte  (chron.  parench.  Nephritis),  vorhanden  ist,  ein 
Eiweißgehalt  unter  3%,  eine  Peritonitis  chron.  mit  Sicherheit, 
ausschließt,  c)  Peritonealer  Erguß,  auf  Grundlage  der  allgemeinen 
Serositis;  er  trägt  den  Charakter  des  Transsudates  und  des  Plx- 
sudates  (Transoexsudat),  dementsprechend  der  Eiweißgelialt 
zwischen  dem  Maximum  des  Transsudates  (2-6'Vo)  und  Minimum 
des  Exsudates  (3%)  liegend.  Natürlich  ist  auch  in  diesem  B’alle 
der  Eiweißgehalt  nur  im  Zusammenhang  mit  den  klinischen 
Symptomen  zu  verwerten  (Karzinom  muß  ausgeschlossen  werden 
können).  Der  quantitative  Eiweißgehalt  ist  demnach  in  seinem 
absoluten  Zahlenwerte  kein  Kriterium  dafür,  oh  ein  Erguh  ein 
Transsudat  oder  Exsudat  sei,  mit  Ausnahme  jener  Fälle,  wo 
der  Eiweißgehalt  die  maximale  Grenze  der  allgemeinen  venösen 
Slase  als  der  eiweißreichsten  Transsudationsgruppe  überschreitet. 
Die  klinische  Verwertung  des  Zahlenausdmckes  kann  daher  nur 
im  Zusammenhang  mit  den  übrigen  klinischen  Befunden,  ins¬ 
besondere  im  Vergleiche  mit  den  durch  die  Empirik  gewonnenen 
Minima  und  Maxima  der  verschiedenen  Gruppen  erfolgen.  — 
(Zeitschrift  für  Heilkunde  1906,  Bd.  XXVII,  H.  XI.)  K.  S. 

* 

69.  Die  Schweige  Hier  apie  hei  der  Kehl  kopf¬ 

tu  herkul  ose.  Von  Sanitätsrat  Dr.  Luhlinski.  Verfasser 
macht  aufmerksam,  daß  er  schon  vor  20  Jahren  die  von  Sir 
Felix  Sem  on  jüngstens  warm  empfohlene  Schonung  des  Stimm¬ 
organs  bei  Tuberkulose  (siehe  Nr.  3,  1907,  dieser  Wochenschrift) 
befürwortet  habe.  ,, Absolutes  Schweigen,  womöglich  Monate  hin¬ 
durch,  eventuell  nur  der  Gebrauch  der  Flüstersprache,  ist  ein 
oft  nicht  zu  umgehendes  Postulat“  —  so  sagte  er  schon  1887. 
Er  teilt  sodann  die  kurzen  Krankengeschichten  einiger  günstig 
verlaufener  Fälle  mit,  fügt  aber  hei,  daßi  andere  Fälle  wegen 
schwererer  Erkrankung  oder  wegen  ungenügender  Befolgung  der 
Vorschriften  minder  gute  Resultate  erzielen  ließen.  Daneben 
wendet  Verf.  jetzt  auch  die  Anästhetika  an  (Orthoform,  Anästhesin, 
Kodein),  weil  diese  Mittel  für  die  gesamte  Entzündungstherapie 
große  Bedeutung  haben  (Spieß).  Ein  Versuch  ist  übrigens  nur 
bei  der  inneren  Kehlkopf  tuberkulöse  anzuraten,  während  die 
Fälle  von  äußerer  Kehlkopftuberkulose  von  der  Schweigetherapie 
kaum  beeinflußt  werden.  Wo  tiefgreifende  innere  Geschwüre  vor¬ 
handen  sind,  wird  man  ohne  eingreifende  lokale  Therapie  durch 
die  Schweigekur  allein  wenig  nützen.  Die  Ankylose  des  Kriko- 
arytänoidalgelenkes,  welche  einer  Entzündung  um  das  Gelenk 
ihren  Ursprung  verdankt,  ist  (eine  Beohachtung)  durch  die  kon¬ 
sequente  Schonungskur  einer  Rückbildung  fähig,  während  eine 
Eröffnung  der  Gelenkkapsel,  a’:so  eine  wahre  Perichondritis,  keine 
Chance  mehr  bietet.  Die  Schweigetherapie  ist  innerhalb  obiger 
Grenzen  gewiß  von  Nutzen.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift 
1906,  Nr.  52.)  E.  F. 

>K 

70.  Aus  dem  königlichen  Institut  für  experimentelle 
Therapie  (Abteilung  für  Krebsforschung)  zu  Frankfurt  a.  M.  (Di¬ 
rektor;  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Ehrlich).  Unters  luGiun 
gen  über  K  a  i  z  i  n  o  m  i  m  m  u  n  i  tä  t  bei  Mäusen.  VMn  Doktor 
Georg  Schöne.  Jensen  hat  zuerst  durch  seine  Experimente 
gefunden,  daß  es  möglich  zu  sein  scheint,  gesunden  IMäusen 
eine  aktive  Karzinomimmunität  beizubringen  und  weiter  auch 
Mäuse,  die  schon  durch  Impfung  kleine  Geschwülste  bekommen 
haben,  zu  immunisieren,  mit  dem  Erfolg,  daß  das  Geschwulst¬ 
gewebe  zerfällt  und  resorbiert  wird.  Ehrlich  hat  dann  durch 
seine  Versuche  diese  Immunität  über  jeden  Zweifel  sicherge- 
stellt.  Verf.  hat  sich  nun  seit  Mai  1906  auf  der  Karzinomabteilung 
des  Frankfurter  Institutes  für  experimentelle  Therapie  mit  Experi¬ 
menten  über  die  Frage  beschäftigt,  ob  es  sich  denn  überhaupt 
um  eine  spezifische,  nur  durch  Tumorgewebe  zu  erzielende  Im¬ 
munität  handle,  oder  oh  nicht  auch  im  normalen  Organismus  im¬ 
munisierungsfähige  Zellen  oder  Stoffe  vorhanden  seien.  Nach 
Angaben  von  Borrel  in  Paris  ergaben  Einspritzungen  von  Mäuse¬ 
leber  keinen  immunisierenden  Effekt,  während  Bashford  aus 
London  berichtet,  daß  es  ihm  gelungen  sei,  eine  Immunität  gegem 
Jensens  Tumor  durch  Einspritzung  von  Mäuseblut  zu  erzielen. 


Verf.  selbst  hat  zuerst  mit  Sarkom  gearbeitet  und  ging  erst  später 
zur  Nachimpfung  mit  Karzinom  fiber.  Verschiedene  Gruppen  von 
Mäusen  wurden  vorbehandelt  mit  1.  Mäuseemhryonen,  2.  Mäuse¬ 
leber,  3.  Mäusehoden,  4.  Hübnehenembryonen,  5.  menschlichem 
Mammakarzinom.  Der  Verfasser  teilt  seine  Versuche  in  sechs 
lieigegehenen  Tabellen  mit.  Das  Resultat  dieser  Untersuchungen 
ist  im  wesentlichen,  daß  eine  Immunität  gegen  epitheliale  Mäuse¬ 
tumoren  durch  wiederholte  Injektionen  eines  Breies  aus  großen 
Mäuseembryonen  erzielt  werden  kann.  Einspritzungen  von  Mäuse¬ 
organen  (Leber  und  Hoden)  haben  in  des  Verfassers  Versuchen, 
wenn  überhaupt,  sehr  viel  weniger  immunisierend  gewirkt,  eben¬ 
so  fünf  Tage  alle  Hühnchenembryonen.  Doyen  faßt  die  Kar- 
zinomimmunität  als  eine  bakterielle  auf  und  bringt  sie  in  Be¬ 
ziehung  zu  dem  von  ihm  beschriebenen  Micrococcus  neoformans. 
Nachdem  es  nun  auf  der  einen  Seite  Bashford  (Blutinjektionen), 
auf  der  anderen  dem  Verfasser  (Emhryoinjektionen)  unabhängig 
voneinander  gelungen  ist,  mit  normalen  Geweben,  in  denen  der 
xMicrococcus  neofoiinans  nicht  vermutet  werden  kann,  Immunität 
zu  erzeugen,  steht  fest,  daß  es  eine  Immunität  gegen  Mäusekarzi¬ 
nom  gibt,  welche  nicht  spezifisch  genannt  werden  kann  und 
welche  jedenfalls  niclit  durch  Parasiten  oder  deren  Stoffwechsel¬ 
produkte  hervorgebraebt  wird.  Ob  diese  Immunität  identisch  ist 
mit  der  auf  eine  Tumorinjektion  folgenden,  bleibt  eine  offene 
Frage.  Ebenso  muß  es  der  Zukunft  überlassen  bleiben,  zu  ent¬ 
scheiden,  ob  es  sich  hier  überhaupt  um  eine  durch  Serum  vermittelte 
Antikörpei Wirkung  des  Blutes  handelt,  oder  ob  die  in  Frage  siebende 
Immunität  nicht  etwa,  als  eine  zelluläre  oder  histogene  zu  verstehen 
und  mit  denjenigen  Erscheinungen  in  Beziehung  zu  setzen  ist, 
welche  Ehrlich  untei'  dem  Namen  der  atreptischen  Immunität 
zusammengefaßt  hat.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1906, 

Nr.  51.)  G. 

* 

71.  Ueber  die  Diagnose  der  Orient  beule  durch 
den  Nachweis  des  P  i  r  o  p  I  a  s  m  a.  Von  N  a  1 1  a  n  -  L  a  r  i  e  r  und 
Nicola  i  dis.  Klinisch  ist  die  Orientbeule,  auch  Biskra-  und 
Aleppobeule  genannt,  leicht  zu  diagnostizieren,  wenn  ein  in  den 
Ländern,  wo  die  Krankheit  endemisch  herrscht,  entstandenes  Ge¬ 
schwür  vorliegt.  Dagegen  ist  bei  beginnenden,  abortiven,  oder 
bereits  stark  geschwürig  zerfallenen  Herden  die  Diagnose  erst 
auf  Grundlage  der  bakteriologischen  Untersuchung  möglich.  Para¬ 
siten  wurden  bei  der  Orientbeule  von  verschiedenen  Autoren 
beschrieben  und  scbließlich  mit  den  Piroplasmen,  welche  das 
als  ,,Kala  äzar“  bezeichnete  remittierende  Fieber  hervorrufen, 
identifiziert.  Der  fast  konstante  Nachweis  der  Piroplasmen  hei 
der  Orientbeule  spricht  für  die  ätiologische  Bedeutung  dieser 
Mikroorganismen  und  es  wird  in  zweifelhaften  Fällen  durch  den 
Nachweis  der  Piroplasmen  die  Diagnose  ermöglicht.  Bei  dem 
von  den  Verfassern  beobachteten,  aus  Konstantinopel  stammen¬ 
den  Patienten  fand  sich  an  der  Dorsalfläche  des  ersten  Metatarsus 
des  rechten  Fußes  eine  große  rundliche,  ca.  2  cm  im  Durchmesser 
haltende  Papel  von  rötlich-violetter  Färbung,  mit  hellerem  Rande. 
An  der  Spitze  der  Papel  saß  eine  kleine  gelbliche  Kruste  und  in 
geringer  Entfernung  davon  eine  Stelle,  wo  die  Haut  Abschuppung 
zeigte.  Die  Papel  war  vollständig  schmerzlos  und  erinnerte  in 
ihrem  Aussehen  am  meisten  an  ein  Hauttuberkulid.  Lymphangoitis 
und  Inguinaldrüsenschwellung  waren  nicht  vorhanden.  Syphilis 
und  Tuberkulose  waren  anamnestisch  nicht  nachweisbar,  dagegen 
Erysipel  und  Malaria.  Die  Erkrankung  war  während  eines  Auf¬ 
enthaltes  in  Aleppo  aufgetreten,  wo  der  Patient  Malariaanfälle 
durchgemacht  hatte  und  zahlreichen  Moskitostichen  ausgesetzl 
war.  Die  Papel  wurde  an  der  Spitze  inzidiert,  von  den  Rändern 
etwas  Gewebe  abgeschabt,  sowie  auch  einige  Tropfen  Serum 
erhalten.  Das  Präparat  wurde  eine  halbe  Stunde  lang  in  mit 
drei  Teilen  destillierten  Wassers  verdünnter  Giemsalösung  gefärbt 
und  darin  zahlreiche  Piroplasmen  teils  isoliert,  teils  in  einer 
Zahl  von  15  bis  80  in  großen  Zellen  Makrophagen  nachge¬ 
wiesen.  An  einem  Ende  der  Parasiten  fand  sich  ein  tiefblau 
gefärbtes,  halbmondförmiges  Karyosoma  und  in  dessen  Nacb- 
barschaft  ein  kurzes,  viereckiges,  dunkelgefärbtes  Stäbchen.  Auch 
in  dem  aus  der  Läsion  selbst,  sowie  3  cm  davon  entfernt  ent¬ 
nommenen  Blut  fanden  sich  Piroplasmen,  dagegen  nicht  in  dem 
der  Zeigefingerpulpa  mitnommenen  Blute.  Die  Btutuntersuclmng 
ergab  ausgesprochene  Leukozytose.  Mit  fortschreitender  Ver- 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


175 


nar])ung  nahm  die  Anzahl  der  Pirosomen  ah.  Es  ist.  in  jedem 

Fall  einer  suspekten,  hei  einem  Anfenlhalt  im  Orient  erworhenen 

Läsion  ratsam,  die  Untersuchung  auf  Piroplasmen  vorzunehmen, 

welche  sich  von  den  Hämatoblasten  durch  das  Karyosoma  und 

den  rechtwinkeligen,  stäbchenförmigen  Körper  unterscheiden.  Der 

Refund  von  Piroplasmen  an  dem  an  einer  vom  Krankheitsherd 

einige  Zentimeter  entfernten  Stelle  entnommenen  ßlut  macht  die 

Möglichkeit  der  Uebertragung  der  Erkrankung  durch  Moskitostiche 

verständlich.  —  (Rull,  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de 

Paris  1906,  Nr.  34.)  a.  e. 

♦ 

72.  Ueher  Frühdiagnose  von  Infektionskrank¬ 
heiten  durch  Beachtung  von  allgemeinen  Schwel¬ 
lungen  des  Ly  m p  h d  r  ü  s e  n s  y s  t e m  s.  V on  Albert  E.  V  i p  o  n  d 
(Montreal).  Bei  einer  Anzahl  von  Infektionskrankheiten  konnte 
Verf.  noch  während  des  Inkubationsstadiums  Lyniphdrüsen- 
schwellungen  konstatieren.  Dieses  Verhalten  zeigt  sich  vor  allem 
hei  Individuen  im  Alter  von  3  bis  18  Jahren.  Die  Größe  der  Lymph- 
drüsenschwellnng  ist  hei  den  einzelnen  Krankheiten  verschieden, 
dieselbe  ist  z.  B.  hei  Masern,  Erisypel  und  Rubeolen  stärker 
als  hei  Scharlach  und  Keuchhusten.  Daß  die  Schwellung  ihre 
Ursache  in  einem  für  die  betreffende  Krankheit  spezifischen  Toxin 
hat,  will  Verf.  aus  der  Tatsache  erschließen,  daß  bei  Diphtherie 
während  der  Heilserumhehandlnng  die  Drüsenschwetlnngen 
schneller  znrückgehen,  als  hei  Masern  und  Erisypel.  Vereiterung 
der  geschwollenen  Drüsen  tritt  nur  im  Falle  einer  Mischinfektion 
auf.  Als  Eingangspforte  für  das  die  Drüsenschwellungen  hewir- 
kende  Toxin  sieht  Verf.  die  Tonsillen  an  und  empfiehlt  daher  vom 
Standpunkte  der  Prophylaxe  eine  möglichst  sorgfältige  Mund¬ 
pflege.  Die  für  die  Frühdiagnose  vor  allem  in  Betracht  kommenden 
Krankheiten  sind :  IMasern,  Drüsenfieher,  Scharlach,  Schafblattern, 
Bnheolen,  Mumps,  Keuchhusten,  Diphtherie,  Rotlauf  und  Vakzine. 
Von  den  Drüsensystemen  sind  am  häufigsten  die  Zervikal-, 
x\xillar-  und  Inguinaldrüsen  affiziert.  —  (British  medical  Journ.il 
1906,  15.  Dezend)or.)  .1.  Sch. 


Berliner  Brief. 

Unser  heutiger  Bericht  soll  der  inhaltlichen  Wiedergabe 
zweier  vor  wenigen  Tagen  in  Berlin  gehaltener  Vorträge  ge¬ 
widmet  sein,  welche  voraussichtlich,  da  sie  in  Zeitschriften  er¬ 
scheinen  werden,  die  mehr  oder  weniger  „unter  Ausschluß  der 
Oeffentlichkeit“  ausgegeben  werden,  einem  größeren  Inter- 
essentenpublikum  nicht  in  der  Weise  bekannt  werden  würden, 
welche  ihnen  gebührt. 

Am  Friedrichs  tage  der  Kgl.  preußischen  Akademie  der 
Wissenschaften,  d.  h.  dem  öffentlichen  Sitzungstage,  welcher 
statutengemäß  am  Geburtstage  Friedrichs  des  Großen  abgehaiten 
wird,  gab  in  diesem  Jahre  —  vor  einigen  Tagen  —  rmser 
berühmter  Chemiker  Emil  Fischer,  eine,  wie  der  Sekretär  der 
Akademie,  der  feinsinnige  Philologe  V  ah  len,  sich  treffend  aus¬ 
drückte,  ,, Probe  frischer  Forschung“. 

Sein  Thema  bildeten  Darlegungen  ,, Ueher  die  Cliemie  der 
Proteine  und  ihre  Beziehung  zur  Biologie“.  Eine  der  wichtigsten 
Fragen  des  ganzen  Ge:sellschaftslebens  ist  die  Nahrungsfrage; 
die  Hälfte  aller  unserer  Ausgaben  ist  der  Nahrung  gewidmet. 
Gesetzgebung,  Physiologie,  Botanik  und  Chemie  beschäftigen  sich 
nnt  den  Nahrungsmitteln.  Alle  diese  Nabrimgsmittel,  trotz  ihre)' 
enormen  Differenzen  in  bezug  auf  äußere  Form,  ihre  Wirkung 
auf  die  Sinnesorgane  etc.,  lassen  sich  in  chemisclier  Beziehung 
auf  einige  wenige  chemische  Grundstoffe  zurückführen,  deren 
bedeutendster  der  Kohlenstoff  ist.  Zu  guterletzt  entstammen  sie 
alle  dem  Pflanzenreich,  denn  auch  die  animalischen  Nährstoffe 
stellen  nur  Umwandlungsprodukte  der  Pflanzen  dar.  Bei  ihrem 
Uehergang  in  den  menschlichen,  bzw.  tierischen  Organismus 
gehen  sie  mit  dessen  Bestandteilen  eine  große  Summe  von 
Wechselbeziehungen  ein  und  die  Erforschung  dieser  letzteren 
ist  das  Hauptproblem  der  biologischen  Cliemie.  Von  den  drei 
Hauptgruppen  der  sogenannten  organischen  Nahrungsmittel,  den 
P'etten,  Kohlehydraten  und  Eiweißköiiiern  ist  die  Natur  der 
ersteren  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
durch  Chevreuil  klargestellt  worden,  die  Struktur  der  Mo¬ 
lekeln  vieler  Kohlehydrate  ist  aufgedeckt  und  von  einer  Reihe, 
so  von  Traubenzucker  — ■  durch  Emil  Fischer  selbst  —  eine 
Synthese  hergestellt.  Wie  steht  es  mit  den  Proteinen,  den  Ei¬ 
weißkörpern,  die  sich  von  den  beiden  anderen  Körpergruppen 
durch  ihren  Gehalt  an  Stickstoff  unterscheiden?  Im  weiteren 


Verlaufe  seines  Vortrages  geht  Fischer  die  verschiedenen  Arten 
der  Proteine  durch,  bespriclit  deren  Vorkommen  in  den  ver¬ 
schiedenen  Organen  von  Pflanzen  und  Tieren  und  erläutert  kur¬ 
sorisch  deren  Hauptunterschiede  im  grobchemischen,  tinkto- 
rieilen  etc.  Verhalten. 

Um  zur  genaueren  Kenntnis  der  feineren  chemischen 
Struktur  zu  gelangen,  gibt  es  zwei  Wege:  x4bbau  und  Aufbau. 
Beide  sind  heschritten,  der  erstere  natürlicherweise  als  der  re¬ 
lativ  einfachere  zuerst,  später  die  Synthese,  beide  mit  ver¬ 
heißenden  Hoffnungen  für  die  Zukunft.  Es  wird  erörtert,  wie 
die  Proteine  sich  durch  verschiedene  Einwirkungen,  so  durch 
Hydrolyse,  besser  noch  durch  kochende  Salzsäure,  zerlegen  lassen, 
zunächst  in  Peptone,  weiter  in  Aminosäuren.  Nun  ‘kann  Jüan 
auf  umgekehrtem  Wege,  durch  Aneinanderreihung  verschieden 
konstruierter  Aminosäuren  —  es  ist  das  das  eigentliche  Arbeits¬ 
gebiet  P'ischers  und  seiner  Schule  in  den  letzten  Jahren  — 
Peptone  entstehen  lassen,  diese  wieder  miteinander  kuppeln  und 
gelangt  so  zu  sogenannten  Polypeptiden;  es  gibt  deren  bereits 
mehr  als  100  verschiedene,  welche  alle,  je  nach  Art  und  An¬ 
zahl  —  bis  zu  14  —  der  vereinigten  Peptone  auch  dement¬ 
sprechende  verschiedene  charakteristische  Eigenschaften  auf- 
weisen.  Gewisse  Peptide,  insbesondere  die  von  den  Tetra pep- 
tiden  bis  zu  den  DeLipeptiden  weisen  mit  den  natürlichen  Pep¬ 
tonen  so  sehr  viel  Aehnlichkeiten  auf,  daß  sie  mit  ihnen  fast 
identisch  |sind. 

Hat  man  so  -also  in  der  Tat  Eiweißkörper  synthetisch 
aufgebaut  —  dieser  „)nan“  ist  immer  und  immer  wieder  Emil 
Fischer  selbst  —  so  ist  an  eine  Verwertung  dieser  Forschungs¬ 
resultate  für  soziale  Zwecke  nicht  im  geringsten  zu  denkcm; 
der  Weg  ist  ein  mühsamer,  komplizierter,  vor  allem  auch  sehr 
teurer.  Ein  billiges  Eiweiß  auf  diesem  Wege  herzustellen,  wovon 
einzelne  Utopisten  träumten  und  träumen,  ist  nach  Fischer 
einfach  unmöglich.  Als  Möglichkeiten  für  eine  weitere  x\us- 
nutzung  uns  zur  Verfügung  stehender  Gebiete  zur  Ernährung 
müssen  wir  ins  Auge  fassen  eine  ausgiebigere  Ausnutzung  der 
Pflanzen  und  vielleicht  der  Zellulose;  die  Umwandlung  der  Zellu¬ 
lose  im  Organismus  geschieht  hauptsächlich  auf  dem  Wege  der 
Fermentation ;  gelingt  eine  Synthese  von  Fermenten,  können  wir 
uns  so  die  Zellulose  und  ähnliche  Stoffe  mehr  nutzbar  machen, 
so  erschließen  wir  uns  damit  eine  unerschöpfliche  Quelle  dei' 
Nahrung.  Vor  80  Jahren  fand  Wöhler  die  —  erste  —  Syn¬ 
these,  die  des  Flarnstoffs;  hoffen  wir,  daß  zum  hundertjährigen 
Jubiläum  dieser  Tat  ein  intimerer  Einblick  in  die  Rätselwelt 
der  Proteine  und  Fermentationen  geschaffen  isf. 

Der  zweite  Vortrag  von  Bedeutung,  dessen  Kenntnis  ich 
den  Lesern  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  vermitteln 
möchte,  wurde  von  dem  hiesigen  Physiologen  Friedenthal 
in  der  Gesellschaft  für  naturforschende  Freunde  zu  Berlin  in 
der  vorigen  Woche  gehalten.  Er  betrifft  die  Behaarung  von 
Mensch  und  Affe.  Seine  Bedeutung  liegt  in  dem  Nachweis, 
daß  die  Menschenaffen  den  Menschen  viel  näher  stehen  als 
den  anderen  Affenarten.  Einen  Beweis  für  die  nahe  Verwandt¬ 
schaft  von  Mensch  und  Affe  hatte  in  seiner  Zeit  in  Fach-  und 
Laienkreisen  viel  hemerkten  Unteisuchungen  Friedenthal  be¬ 
reits  auf  dem  Wege  der  Serumforschung  erbracht,  indem  er 
zeigte,  daß  die  Seren  von  Mensch  und  gewissen  xNnthropoiden 
sich  gegenseitig  nicht  fällen,  wie  die  einander  körperfremden 
Seren.  Wie  in  diesen  zoologischen  Spezies  also  identisches  Blut 
fließt,  so  ist  ihre  nahe  Verwandtschaft  auch  in  Bau  und  An¬ 
ordnung  der  Haare  derselben  enviesen.  Ein  neuer  Beweis  also 
für  die  Richtigkeit  Darwinscher  Theorien,  daß  Mensch  und 
Anthropoiden  zu  einer  und  derselben  Lhiterordnung  der  Pri¬ 
maten  gehören;  diese  Behauptung,  d-aß  der  Mensch  vom  Affen 
direkt  abstamme,  ist  bekanntlich  weder  von  Darwin  noch  vo)i 
Häckel  jemals  anfgestellt,  sondern  diesen  nur  untergeschoben 
worden.  Beim  Mensctien  unterscheidet  man  bekaimllich  dreier¬ 
lei  Arten  von  Haaren :  Flaum-,  Kinder-  und  Terminalhaare,  das 
letztere  tritt  erst  mit  der  Geschlechtsreife  auf.  Der  mensch¬ 
liche  Fötus  ist  im  sechsten  Monat  der  Schwangerschaft  mit 
einem  Pelz  von  Flaumhaaren  überzogen,  von  dem  nur  die 
Lippen,  Konjunktiven,  Nabel,  Handfläche,  Fußsohle,  sowie  ein 
Ring  um  Genitalien  und  Anus  ausgenommen  sind  u.  zw.  beim 
Menschen  und  den  menschenähnlichen  Affen,  bei  anderen  nicht. 
Die  Haare  stehen  einzeln  oder  in  Reihen  zu  zweien  oder  dreien 
neben  den  ersteren;  im  Beginn  gibt  es  niu'  eine  Einzelstellung; 
die  spätere  Anordnung  deckt  sich  mit  der  dauerndeji 
Anordnung  der  amerikanischen  Affen,  insbesondere  der  Hapa- 
liden.  Bereits  im  sechsten  Monat  beginnt  beim  Menschen  der 
Ersatz  des  Flaumhaarkleides  durch  die  Kinderhaare,  ilessen  Cha¬ 
rakteristika  die  Ausbildung  von  Wimpern  und  Augenbrauen  in 
Einzelstellung  und  von  Kopfhaaren  in  Stellung  von  zwei  bis 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  6 


1/H 


zu  fünf  Haaren  sind.  Das  Daiierliaar,  Teiniiiialhaar,  des  Menschen 
erscheiat  erst  zur  Zeit  der  Pubertät,  an  Lippen,  Achselhöhlen 
und  Mons  Veneris,  während  ilie  Haare  der  .Vffen  hereils  in  ilen 
ersten  Jahren  ihi'es  Lehens  den  Charakter  der  Terniinalhaare  auf- 
weisen.  Beim  Auftreten  des  Termiualhaares  sowohl  wie  der  Kiiu.h'r- 
haare  heim  Vlenschen  sieht  man  öfter  eine  Haarslelluug,  welche 
denHylohatesformen  eigentümlich  ist,  d.  h.  starke  Haare  in  Einzel¬ 
stellung  und  dazwischen  Gruppen  in  Flaumhaarstellung.  Letz¬ 
tere  verschwinden  hei  besonders  starker  Behaarung  und  machen 
einer  Beihenbildung  der  Terminalhaare  wie  hei  anderen  Primaten 
Platz,  so  daß'  hei  extremer  Ausbildung  die  Aehidichkeil  des 
Terminalhaares  des  Menschen  mit  dem  Fell  der  Anthropoiden 
auch  dem  Laien  erkennbar  wird.  Die  Haare  der  Halbaffen  da¬ 
gegen  besitzen  weder  mit  denen  der  Anthropoiden,  noch  mit 
denen  des  Menschen  Aehnlichkeit.  Eigejitümlich  ist,  daß  die 
physiologische  Kahlköpfigkeit,  d.  h.  die  der  weißen  Rasse  cha¬ 
rakteristische  Eigentümlichkeit  der  Glatze  der  Schädelhaut  auch 
hei  einzelnen  Anthropoiden,  so  Schimpansen  und  Orang-Ltan 
vorkommt.  In  bezug  auf  den  Bart  steht  der  Orang-Utan  dem 
Meiischen  näher  als  allen  übrigen  Primaten.  Die  menschliche 
Haararmut  erklärt  Frieden thal  als  eine  Folge  der  Dome¬ 
stikation.  Mit  der  Ausbreitung  der  —  später  pigmentarnien, 
daher  weiß  erscheinenden,  aber  sehr  starken  —  Terminalhaare 
auf  der  Haut  alter  Leute  tritt  ein  Zustand  ein,  der  den  Anthro¬ 
poiden  eigentümlich  ist ;  nur  legen  diese  bereits  vor  der  Geburt 
ihr  Terminalkleid  an. 

Die  Behaarung  ist  mit  der  keines  anderen  Lebewesens 
zu  verwechseln  oder  zu  vergleichen,  als  mit  der  der  menschen¬ 
ähnlichen  Affen.  Interessant  ist  übidgens  auch  die  von  Frieden¬ 
thal  zum  Schluß  seines  Vortrages  erwähnte  Tatsache,  daß  die 
menschlichen  Spermatozoen  von  denen  der  Affen  kaum  zu 
unterscheiden  sind.  Pickai'dt. 


Vermisehte  ISlaehriehten. 

Hofrat  Prof.  L.  v.  Schrötter  beging  am  5.  d.  M.  seinen 
70.  Geburtstag.  Aus  diesem  Anlasse  wurde  an  seiner  Klinik 
eine  Feier  veranstaltet,  an  der  nebst  den  Hörein,  Freunden,  Kol¬ 
legen  und  \  eixdirern  des  Gefeierten  auch  xVbordnungen  auswärtiger 
Vereine  (Berliner  laryngoskopische  Gesellschaft,  vertreten  durch 
Geh.  Bat  B.  Fraenkel,  Internationale  Vereinigung  gegen  Tuber¬ 
kulose,  vertreten  durch  Prof.  Pannwitz)  teilnahmen.  ln  zahl¬ 
reichen  Ansprachen  wurden  die  Verdienste  v.  Schrötters  ge¬ 
würdigt.  Im  Namen  der  engeren  Schüler  überreichte  der  klinische 
Assistent,  Dr.  Wein  berge r,  eine  Festschrift. 

Ernannt;  Priv.-Doz.  Dr.  H.  Lameris  zum  Professor 
der  Chirurgie  in  ITrecht.  —  Dr.  S c h t  s c h  e  g  o  1  e  w  zum  Pro¬ 
fessor  der  Chirurgie  in  Odessa. 

* 

V  e  r  1  i  e  h  e  n  :  Dem  Begimentsarzl  Dr.  Adolf  Reit  m  am  n 
das  Offizierskreuz  des  rumänischen  Ordens  Krone  von  Ru¬ 
mänien.  —  Dem  Oberhezirksarzte  Dr.  Moritz  Rudnik  in  Czer- 
nowitz  der  Titel  und  Charakter  eines  Landessanitätsinspektors. 
—  Dem  Privatdozenten  für  Ohrenheilkunde  Dr.  Voß  in  Königs¬ 
berg  das  Prädikat  Professor. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Guyot-Bourg  für  interne  Patho¬ 
logie  in  Genua.  —  Dr.  Moris  a  ni  für  Geburtshilfe  und  Frauen¬ 
heilkunde  in  Neapel.  —  Dr.  Migliorini  für  Hautkrankheiten 
und  Syphilis  in  Ididua. 

♦ 

Gestorben:  Der  Professor  der  med.  Klinik  in  Lissabon 
Dr.  Maced  o.  —  Der  Physiologe  Sir  Vlichael  Foster  in  London. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  Der  Vl.  Kongreß  der- 
Deutschen  Gesellschaft  für  orthopädische  Chirur¬ 
gie  wird  in  der  Osterwoche,  am  Dienstag,  den  2.  April,  dem 
Tage  vor  der  Zusammenkunft  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Chirurgie,  im  Langenbeckhause,  Ziegelstraße  10/11  stattfinden. 
Die  Eröffnung  des  Kongresses  wird  vormittags  9  Uhr  erfolgen. 
Von  der  Aufstellung  eines  Hauptthemas  für  die  Verhandlungen 
der  G('sellschaft  ist  in  diesem  Jahre  Abstand  genommen  worden. 
Vorträge  und  Mitteilungen  bitte  ich  jnöglichst  l)ald  —  spätestens 
bis  zum  1.  März  —  bei  Herrn  Prof.  Dr.  Joachimsthlal, 
Berlin  W.,  Ma.gdeburgerstraße  36,  anzumelden.  Vorzustellende, 
von  auswärts  kommende  Kranke  finden  in  der  Kgl.  chirurgischen 
Klinik  Sr.  Exzellenz  des  Herrn  Geh. -Rat  Prof.  Dr.  v.  Berg¬ 
mann  (Ziegelstraße  '5/9)  Aufnahme.  Anmeldungen  neuer  Mit¬ 
glieder  bitte  ich  mit  der  Unterschrift  dreier  Mitglieder  der  Ge¬ 
sellschaft  ghdchfalls  an  Herrn  Prof.  Dr.  Joachimsthal  zu 


richten.  Köln,  im  Januar  1907.  Barden  heu  er,  Vorsitzender 
für  1907. 

+ 

Der  Vorstand  der  Wiener  Aerztekammer  fordert  hie- 
mit  die  Aerzteschaft  Wiens,  resp.  die  ärztlichen  Vereine  auf, 
gegen  die  geplante  Einreihung  der  ärztlichen  T('le- 
phone  in  die  Kategorie  der  Geschäftstelephone  schärfstens  Stel¬ 
lung  zu  nehmen  und  die  Bestrebungen  aller  jener  Komitees, 
welche  den  Kampf  gegen  diese,  speziell  von  der  Aerzteschaft  hart 
empfundene  Erhöhung  der  Telephongebühren  führen,  in  der 
energischesten  und  werktätigsten  Weise  zu  unterstützen. 

* 

Aus  dem  eben  versendeten  Jahresbericht  des 
Krankenhauses  der  Barmherzigen  Brüder  in  Wien  ist 
ersichtlich,  daß  im  genannten  Spitale  1906  6105  Kranke  ver¬ 
pflegt  worden  sind,  an  denen  insgesamt  2947  operative  Eingriffe 
ausgeführt  wurden.  An  sämtlichen  15  Hospitälern  der  Barm¬ 
herzigen  Brüder  der  östeir.-böhm.  Ordensprovinz  waren  21.001 
Kranke  in  Behandlung  gestanden. 

Im  Verlage  von  Urban  &  Sc h  w  a r  z  e n  b  e  r  g,  W ien,  ist 
das  Handbuch  der  Massage  und  Heilgymnastik,  von 
Dr.  A.  Bum  in  Wien  in  vierter  vermehrter  und  verbesserter  .Auf¬ 
lage  erschienen.  Wie  der  Verfasser  des  rühndichst  bek;mnten  Wer¬ 
kes  hei'vorhebt,  wurde  im  ersten,  allgemeinen  Teil  des  Buches  der 
physiologische  Teil  der  Mechanotherapie,  einer  besonderen  Bear¬ 
beitung  unterzogen;  im  zweiten,  speziellen  Teile  die  Kapitel 
,,Nerveidvrankheiten“  durch  eingehende  Bearbeitung  der  Uebungs- 
behandlung  bei  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems,  „Er¬ 
krankungen  und  Verletzungen  des  Bewegungsapparates“  durch 
Betonung  der  Bedeutung  der  (Mechanotherapie  in  der  Unfall- 
c  h  i  r  u  r  g  i  e  erweitert. 

* 

Nervenarzt  Dr.  Artur  Schüller  woLnt  nummhr  IX,  Gar¬ 
nisongasse  7,  und  ordiniert  von  2  bis  3  Uhr. 

* 

Berichtigung.  Im  offiziellen  Protokoll  (Nr.  5),  erste 
Spalte,  vorletztes  Alinea,  ist  durch  einen  Druckfehler  eine  Un¬ 
verständlichkeit  entstanden:  statt  _ _ von  denen  nur  die  heilten 

Effloreszenzen  _ “  soll  es  richtig  heißen:  ,....  von  denen 

nur  die  beiden  End  effloreszenzen  _ “ 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  t  ä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  3.  Jahreswoche  (vom  13.  bis 
19.  Januar  1907).  Lebendgeboren,  ehelich  631,  unehelich  286,  zusammen  917. 
Totgeboren,  ehelich  55,  unehelich  25,  zusammen  80.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  724  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
19'2  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  4,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  13, 
Scharlach  8,  Keuchhusten  6,  Diphtherie  und  Krupp  11,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  7,  Lungentuberkulose  117,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  50,  Wochenbettfieber  2.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  45  (-j-  13),  Wochenbettfieber  3  (=),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  106  ( —  20),  Masern  356  (-}-  5),  Scharlach  90  ( —  11),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  7  ( —  4),  Ruhr  0  ( —  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  98  ( —  9),  Keuchhusten  38  (-)-  14),  Trachom  0  fO), 
Influenza  1  (-j-  1). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearzlesstelle  für  den  neukreierten  Sanitäts¬ 
sprengel  Wiznitz  (Stadt),  Bukowina.  Jahresgehalt  K  1000.  Der  Ge¬ 
meindearzt  hat  die  Agenden  eines  fachmännischen  Organes  der  Stadt¬ 
gemeinde  Wiznitz  im  Sinne  des  Gesetzes  vom  18.  März  1888,  L.-G.  u.  V.-B. 
Nr.  13,  zu  versehen.  Bewerber  haben  ihre  mit  den  Nachweisen  der 
österreichischen  Staatsbürgerschaft,  der  Berechtigung  zur  Ausübung  der 
ärztlichen  Praxis  in  den  im  Reichsrate  vertretenen  Königreichen  und 
Ländern  und  der  Sprachkenntnisse  versehenen  Gesuche  bis  28.  Februar  1.  J. 
bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  in  Wiznitz  a.  Cz.  zu  überreichen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeinde  Scharden- 
berg  (Bezirk  Schärding),  Oberösterreich.  Jahresbezug  K  1000,  Einwohner¬ 
zahl  3853.  Die  mit  dem  Taufscheine,  Heimatscheine,  Doktordiplom, 
Gesundheits-  und  Sittenzeugnisse  und  den  Ausweisen  über  die  bisherige 
ärztliche  Verwendung  instruierten  Gesuche  sind  bis  15.  F  e  b  r  u  a  r  1.  J. 
bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  Schärding  am  Inn  einzureichen, 
welche  auch  bereit  ist,  nähere  Auskünfte  zu  erteilen. 

G  e  m  e  i  n  d  e  a  r  z  t  e  8  s  t  e  1 1  e  für  die  Gemeinde  Hermannstadt 
(Sanitätsgruppe  Hermannstadt  Obergrund),  Schlesien.  Fixe  Bezüge  K  1000, 
Landessubvention  und  K  740  Gemeindebeiträge  für  Armenbehandlung, 
Totenbeschau,  Vieh-  und  Fleischbeschau.  In  Aussicht  steht  außerdem 
ein  Pauschale  für  die  Behandlung  der  fürstbischöflichen  Waldarbeiter. 
Die  mit  Tauf-  oder  Geburtsschein  sowie  mit  den  Nachweisen  über  die 
Studien  und  die  bisherige  praktische  Verwendung  belegten  Gesuche 
sind  bis  1.  M  ä  r  z  1.  J.  bei  der  Gemeindevorstehung  in  Hermannstadt 
einzubringen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 

INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  ia  Wien. 

Sitzung  vom  1.  Februar  1907.  _  .  „r. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  17.  Januar  1907. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  5.  Dezember  1906.  (Schluß.) 

Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der  Garnison  Wien. 
Sitzung  vom  19.  Januar  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  1.  Februar  1907. 

Vorsitzender:  Vizepräsident  Hofrat  S.  Exner. 

Schriftführer :  Richard  Paltauf. 

Der  Vorsitzende  teilt  mit,  daßi  er  im  Namen  des  Präsidiums 
das  Bedauern  darüber  auszusprechen  habe,  daß  über  den  For¬ 
trag  vor  acht  Tagen  bereits  wieder  eine  Mitteilung:  in  der  Tages¬ 
presse  erschienen  ist,  was  dem  Vortragenden  sowohl  persönlich 
unangenehm  ist,  als  auch,  wie  bereits  mehrmals  vermerkt  worden 
ist,  den  Intentionen  der  Gesellschaft  nicht  entspricht. 

Ferner  macht  der  Vorsitzende  aufmerksam,  daß  allfällige 
Wahlvorschläge  bis  15.  Februar  einzureichen  sind;  auch  be¬ 
merkt  der  Vorsitzende,  daß  die  Zahl  der  Mitglieder  bereits  eine 
sehr  große  ist,  so  daß  der  Verwaltungsrat  bei  der  xFufstellung 
der  Wahlliste  vielleicht  auf  diesen  Reichtum  an  Mitgliedern  wird 
Rücksicht  nehmen  müssen. 

Hofr.  Wagner  v.  Jauregg  erinnert  daran,  daß  er  vor  un¬ 
gefähr  Jahresfrist  einen  kretinischen  Hund  vorgestellt  hat.  Der 
Hund  wurde  bald  nachher  getötet;  die  Obduktion  ergab  rnakro- 
skopisch  wenig  Bemerkenswertes;  vor  allem  war  die  Schild¬ 
drüse  vorhanden  und  ungefähr  von  normaler  Größe.  Es  warden 
daher  Zweifel  laut,  ob  man  berechtigt  gewesen  sei,  flen  Hund 
überhaupt  als  einen  Kretin  zu  bezeichnen. 

Prof.  Sc  hl  a  gen  häuf  er  aber,  der  den  größten  Ted  der 
Gewebe  des  Hundes  zur  mikroskopischen  Untersuchung  über¬ 
nommen  hatte,  entdeckte  in  der  Haut  des  Hundes  einen  ineik- 
würdigen  Befund,  der  das  allergrößte  Interesse  erregen  mußte. 
An  Präparaten,  die  in  Formol  oder  in  Orthscher  Mischung  und 
Alkohol  gehärtet  und  mit  Hämatoxylin-Eosin  gefärbt  wurden, 
sieht  man  eine  von  der  roten  B’arbe  der  Bindegewebsbalken 
sich  scharf  abhebende,  rein  blaugefärbte  Substanz,  die  sich  teds 
in  dünnen  Streifen  zwischen  die  Bindegewebszüge  liineinscluebt 
und  verzweigt,  teils  an  einzelnen  Stellen,  besonders  um  die 
Talgdrüsen  herum,  sich  in  größeren  Massen  ansammelt  und  daher 
am  Schnitte  eine  flächenhafte  Ausdehnung  gewinnt.  Bei  stärkerer 
Vergrößerung  sieht  man,  daß  diese  Substanz  eine  teils  fein¬ 
faserige,  teils  netzförmige  Struktur  zeigt.  Die  Substanz  macht 
bei  stärkerer  Vergrößerung  nicht  den  Eindruck  eines  präfor- 
mierten  Gewebes,  sondern  vielmehr  eines  Niederschlages  oder 
vielmehr  Koagulums;  sie  sieht  aus  wie  ein  aus  einer  Flüssig¬ 
keit  abgeschiedenes  Gerinnsel,  ähnlich  etwa,  wie  sich  Fibrm- 
gerinnungen  mikroskopisch  ausnehmen.  Und  es  dürfte  das  wohl 
auch  die  richtige  Erklärung  für  das  Zustandekommen  dieser 
Bildung  anzusehen  sein,  daß  man  annimmt,  eine  in  der  lebenden 
Haut  in  halbflüssigem,  kolloidem  Zustand  vorhandene  Substanz 
habe  beim  Absterben  oder  iniolge  Einwirkung  der  Reagenzien 
dieses  mit  Härnatoxylin  sich  blaufärbende  Koagulum  abgescbieden. 

Noch  schöner  als  mit  Hämatoxylinfärbung  ließ  sich  diese 
Substanz  durch  Färbung  mit  Karbol-Thionin  darstellen;  die  Sub¬ 
stanz  färbt  sich  dabei  hellrot  und  sticht  scharf  von  der  intensiv 
blauen  Färbung  des  übrigen  Gewebes  ab.  . .  , 

Auch  mit  der  Unnaschen  polychromen  Methylenblautärbung 
ließ  sich  die  Substanz  nach  Alkoholwirkung  durch  ihre  schöne 
llotfärbung  sehr  gut  nachweisen.  Dagegen  gab  sie  mit  Tbionm 
und  Toluidenblau  behandelt,  keine  Metachromasie  und  auch  mit 
Muzikarmin  war  keine  elektive  Färbung  zu  erzielen. 

Außer  dieser  Substanz  fand  sich  in  der  Kutis  noch  als  be¬ 
merkenswerter  Befund  eine  größere  Menge  von  Mastzellen,  die 
besonders  an  jenen  Stellen  sich  zahlreich  vorfanden,  an  denen 
die  erwähnte  Substanz  in  reichlicherer  Menge  vorhanden  war. 

Die  eigentümliche  Färbung  dieser  Suhstanz,  die  sich  an 
allen  Hautstücken  dieses  Hundes  nachweisen  ließ,  allerdings  am 
Kopf  und  Hals  reichlicher  als  an  den  Extremitäten,  legte  sofort 
den  Gedanken  nahe,  daß  es  sich  da  um  eine  Art  schleimiger  Sub¬ 
stanz  handle,  die  in  die  Haut  eingelagert  war.  Denn  die  eigen¬ 
tümliche  Färbung  mit  Härnatoxylin  wenigstens  ist  _  auch  dem 
Muzin  eigen.  Wir  haben  sofort  daran  gedacht,  daß  wir  da  etwas 
vor  uns  haben,  was  mit  den  Befunden,  die  englische  Autoien 


an  der  Haut  von  Myxödemkranken  erhoben  haben,  identisch 
sein  dürfte.  Wir  erinnerten  uns  auch,  daß  seinerzeit  Halli¬ 
burton  bei  der  chemiscben  Untersucbung  der  Haut  Myxödem¬ 
kranker  einen  abnorm  großen  Reichtum  an  Muzin  gefunden  hatte. 

Zunächst  war  allerdings  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  dieser 
Befund  in  der  Haut  des  Hundes  nicht  etwa  ein  normaler  ioder 
eine  Rasseneigentümlichkeit  sei.  Es  wurden  darum  Hautstücke 
von  16  Hunden  der  verschiedensten  Rassen  untersucht.  Es  fand 
sich  nun  in  den  meisten  Fällen  keine  Spur  der  beschriebenen, 
mit  Härnatoxylin  sich  blaufärbenden  Substanz.  In  einigen  wenigen 
Fällen  waren  zwar  Spuren  davon  vorhanden,  aber  nicht  ent¬ 
fernt  so  massenhaft  wie  bei  unserem  kretinischen  Hunde. 

Konnte  es  so  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  daß  es  sich  da 
um  einen  pathologischen  Befund  handle,  so  wuiHe  unsere  weitere 
xFimahme,  daß  das  reichliche  Vorkommen  dieser  Substanz  in 
der  Haut  für  den  kretinischen  Hund  charakteristisch  sei,  bald 
in  vollstem  Maße  bestätigt. 

Es  gelang  mir  im  Herbst  des  vorigen  Jahres,  wieder  einen 
kretinischen  Hund  ausfindig  zu  machen,  den  Sie  hier  vor  sich 
sehen.  Dieser  Hund,  einer  ganz  anderen  Rasse  angehörig  als 
der  erste,  zeigte  an  einem  ausgeschnittenen  Stücke  Haut  vom 
Halse  ganz  genau  denselben  histologischen  Befund  wie  der  erste, 
mir  in  noch  höherem  Grade. 

Es  war  also  durch  diese  beiden  übereinstimmenden  Be¬ 
funde  mit  hinlänglicher  Sicherheit  festgestellt,  daß  die  gefundene 
Hautveränderung  das  Flyxödem  des  Kretinismus  beim  Hunde  sei, 
eine  Feststellung,  die  um  so  wichtiger  ist,  als  ja  die  Berechtigung, 
die  Hautveränderungen  des  endemischen  Kretinismus  als  Myx¬ 
ödem  anzusprechen,  vielfach  bestritten  wird. 

Es  lag  nahe,  noch  die  Probe  auf  das  Exempel  zu  machen 
und  den  Einfluß  zu  studieren,  den  Fütterung  mit  Schilddrüsen¬ 
substanz  auf  die  von  uns  gefundene  Hautveränderung  haben 
würde.  Diesen  Versuch  liaben  wir  auch  gemacht,  und  es  ergab 
sich,  daß  nach  einer  dreimonatlichen  Fütterung  mit  Schilddrüsen¬ 
tabletten  die  Menge  der  beschriebenen  Substanz  in  der  Haut 
sehr  beträchtlich  abgenommen  hat,  so  daß  man  erwarten  kann, 
daß  die  Haut  nach  hinlänglicher  Dauer  der  Behandlung  von 
dieser  schleimigen  Einlagerung  ganz  frei  sein  werde. 

Nun  noch  einige  Worte  über  den  Hund,  den  ich  Ihnen  vor¬ 
stelle.  Derselbe  stammt  aus  der  Gegend  der  Kropf-  und  Kretinis¬ 
musendemie,  nämlich  aus  St.  Georgen  ob  Judenburg.  Daßi  der 
Hund  blödsinnig  sei,  daß  er  vor  allem  im  höchsten  Grade  apa¬ 
thisch  sei,  konnte  niemand  bezweifeln,  der  ihn  seinerzeit  ge¬ 
sehen  hat.  W^as  seine  Körperbeschaffenheit  anbelangt,  so  fällt 
die  Kürze  der  Nase,  resp.  der  ganzen  Schnauze  auf,  feiner 
die  dicken  plumpen  Extremitäten.  Ich  kann  diese  Eigentümlichkeit 
der  Körperbildung  noch  besser  würdigen  als  Sie,  da  ich  Gelegmi- 
heit  hatte,  die  Verwandten  des  Hundes  zu  sehen,  nämlich  eine 
Schwester  und  einen  Neffen.  Dieselben  haben  ganz  die  schmalen, 
langen  und  zierlichen  Schnauzen  ihrer  Rasse ;  denn  um  nicht 
ganz  reinrassige  Dachshunde  handelte  es  sich  ja  anscheinend. 
Sie  haben  auch  etwas  längere  und  viel  zierlichere  Extremitäten 
als  dieser  Hund.  Vor  allem  aber  sind  sie  himmelweit  v^on^hni 
verschieden  durch  die  außerordentlicne  Lebhaftigkeit  ihres  leni- 
perameiits,  während  dieser  Hund  ein  Ausbund  von  Stumpfsinn 
war.  Seine  Beweguifgen  waren  so  plump  und  langsani,  daß  er 
nicht  imstande  war,  einem  Menschen  in  langsamem  Schritt  auf 
einem  Wege  von  fünf  bis  zehn  Minuten  nachzukommen.  Ei  hatte 
ebenso  wie  der  erste  kretinische  Hund,  den  ich  Ihnen  zeigte, 
einen  sehr  trägen  Stoffwechsel;  er  fraß  sehr  wenig,  urinierte 
nur  einmal  des  Tages  und  ela  nur  ganz  geringe  Quantitäten 
und  setzte  nur  sehr  selten  Kot  ab. 

Auffallend  waren  die  Veränderungen,  die  mit  dem  Hunde 
im  Laufe  der  Behandlung  vor  sich  gegangen  sind.  Dieselben 
betreffen  vor  allem  sein  Temperament.  Wahrend  er  früher,  ins 
Freie  geführt,  in  schwerfälligem  Trott  nur  immer  geradeaus  ge¬ 
zottelt  war,  ohne  rechts  oder  links  zu  schauen  und  ohne  sich 
um  irgend  etwas  zu  kümmern,  läuft  er  jetzt  häutig  so,  c  a  i  man 
ihm  nicht  nachkommen  kann,  beguckt  und  beschnuppert  al  es. 
bellt  Menschen  und  WTagen  an,  kurz  er  benimmt  sich  aut  (l(‘r 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  0 


Gasse  wie  ein  anderer  lustiger  Hund.  Zu  Hause  ist  er  jetzt  zu¬ 
tunlich  geworden  und  inanchinal  sogar  zuni  Spielen  geneigt. 
Interessant  ist  die  Veränderung,  die  Jiiit  seinem  Schweife  vor 
sich  gegangen  ist.  Vor  der  Behandlung  hielt  er  den  Schweif 
immer  zwischen  deii  Beinen  eingeklemmt,  mit  der  Spitze  nach 
vorne  gerichtet;  und  da  er  den  ganzen  Tag  lag  und  immer 
auf  seinem  Schwänze,  so  hatte  er  denselben  ganz  ahgescheuert, 
so  daß  derselbe  an  der  Dorsalseite  vollkommen  haarlos  war. 
Seit  der  Behandlung  liegt  er  viel  weniger  und  hält  seinen  Schwanz 
so  wie  jeder  andere  Hund,  ja  beim  Laufen  steil  aufgerichtet  und 
in  steter  lebhafter  Bewegung;  infolgedessen  ist  sein  Schwanz, 
wie  Sie  sehen  können,  dicht  behaart  geworden.  Diese  einge¬ 
klemmte  und  vorwärtsgekrümmte  Schweifhaltung  scheint  allen 
kretinischen  Hunden  eigen  zu  sein;  wenigstens  können  Sie  das 
auf  dem  einen  Bilde  des  ersten  kretinischen  Hundes  sehr  deutlich 
sehen;  und  Cerletti  und  Perusini,  die  kürzlich  einen  aus 
dem  Veltlin  stammenden  kretinischen  Hund  heschriehen  haben, 
erwähnen  diese  Schweifhaltung  ausdrücklich. 

Auch  der  Stoffwechsel  hat  sich  bei  dem  Hunde  bedeutend 
gehoben.  Er  frißt  jetzt  reichlich,  er  trinkt  öfters  auch  Wasser, 
was  er  fi  üher  nie  getan  liat;  er  uriniert  gerade  so  häufig  und  rei(di- 
lich  wie  jeder  andere  Hund  und  hat  regelmäßigen  Stuhl. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  die  Schilddrüsen  der 
beiden  Hunde. 

Die  Schilddrüse  des  ersten  Hundes  war,  wie  erwälmt,  von 
ungefähr  normalei'  Größe.  Histologisch  zeigte  sich  die  Mehrzahl 
aller  Alveoli  sehr  stark  ausgedehnt,  prall  mit  Kolloid  gefüllt; 
die  Zellen  platt  bis  kubisch,  anscheinend  nicht  verändert;  rlas 
Zwischengewehe  normal.  Also  das  histologische  Bild  eines  Kolloid¬ 
kropfes,  ohne  daß  makroskopisch  Kropf,  d.  h.  eine  V^ergrößerung 
der  Schilddrüse,  zu  beobachten  gewesen  wäre.  Genau  dasselbe 
Bild  hol  auch  ein  Stück  Schilddrüse,  das  wir  dem  zweiten 
Hunde  exslirpierlen. 

Sie  sehen,  das  anatomische  Bild  der  Schilddrüse  gibt  kaum 
einen  Anhaltspunkt  zur  Erklärung  des  Krankheitsbildes,  denn 
solche  Schilddrüsen  kann  auch  ein  ganz  gesunder  Hund  haben. 
.Anderseits  doch  der  so  auffällige  Effekt  der  Schilddrüsenfütterimg ; 
also  doch  ein  Beweis,  daß  es  sich  um  mangelhafte  Funktion 
der  Schilddrüse,  um  Hypothyreoidismus  gehandelt  hat. 

Die  Lösung  des  Rätsels  ist  darin  zu  sehen,  daß  man  es 
einer  Schilddrüse  überhaupt  nicht  ansehen  kann,  ob  sie  genügend 
funktioniert  oder  nicht;  denn  dazu  sind  unsere  Kenntnisse  vom 
Sekretionsvorgange  in  der  Schilddrüse  und  seinem  histologischen 
Korrelat  noch  viel  zu  lückenhaft,  um  nach  dem  Aussehen  einer 
Schilddrüs(;  sagen  zu  können,  oh  sie  ausreichend  funktioniert 
hat  oder  nicht. 

Diskussion:  Riehl  teilt  mit,  daß  er  an  ihm  von  Professor 
Wagner  übergebenen  Hautstücken  dieses  Hundes  ganz  den 
gleichen  Befund  erhoben  hat.  Die  an  der  menschlichen  myx- 
ödematösen  Haut  erhobenen  Befunde  stimmen  weder  unter¬ 
einander,  noch  mit  dem  Befunde  an  der  Hundehaut  überein; 
wir  kennen  die  anatomischen  Veränderungen  dieser  Krankheiten 
noch  nicht  genügend. 

Prof.  Wagner  führt  aus,  daß  er  den  geschilderten  Befund 
ni(dü  als  charakteristisch  für  jede  Form  von  Alyxödem  ansehe, 
sondern  nur  für  den  endemischen  Kretinismus  des  Hundes. 

Einige  Fälle  von  sporadischem  Kretinismus  zeigten  diesen 
Befund  nicht;  auch  ni  ht  ein  Fall  von  endemischem  Kretinismus; 
dieser  wai'  aber  schon  durch  drei  Jahre  mit  Schilddrüsentahletten 
behandelt  worden. 

Es  beschränkt  sich  die  Haulveränderung  beim  Myxödem 
offenbar  übejdiaupt  nicht  auf  die  Kutis,  sondern  auch  auf  die 
Subkuiis,  wie  die  ])athologischen  Fettansammlungen  heim  Myx¬ 
ödem,  vor  allem  die  so  charakteristischen  Pseudoiipome  zeigen. 

Dr.  Füster  demonstriert  aus  der  chirurg.  Aht.  des  Pri¬ 
marius  Lot  heisse  11  einen  Fall  einer  P  li  ä  h  1  u  n  g  s  v  e  r  1  e  t  z  u  n  g 
—  Durchsiiießung  des  Vorderarmes  durch  eine  Kehlleiste.  (Er¬ 
scheint  ausführlich  im  Archiv  für  llnfallheilkunde.) 

Primararzt  Dr.  Schnitzler  stellt  einen  21jährigen  Mann 
vor,  dem  er  einen  großen  S  o  1  i  t  ä  r  t  u  b  e  r  kel  der  Leber  ex- 
stirpiert  hat.  Der  Kranke  hatte  als  löjähriger  Bursche  die  Ex¬ 
stirpation  von  Halslymphdrüsen  und  eine  Operation  wegen  chro¬ 
nischer  Mitlelohreiterung  durchgemacht.  Vier  Jahre  später  kam 
er  zum  erstenmal  an  Schnitzlers  Abteilung.  Damals  be¬ 
standen  Schmerzen  im  rechten  Hypochondrium,  Vergrößerung 
des  rechten  Leherlappens,  dessen  Oberfläche  höckerig  war. 
Längere  Zeit  hindurch  wurde  anliluetische  Behandlung  durch¬ 
geführt,  die  erfolglos  blieb.  Eine  im  Februar  1905  ausgefübrte 
Laparotomie  in  der  rechten  vorderen  Axillarlinie  ergab  das  Vor¬ 


handensein  von  Netzadhäsionen  an  der  Leber.  Im  rechten  Leber¬ 
lappen  harte  Tumoren.  Damals  hlieh  es  hei  einer  Probe¬ 
laparotomie,  die  eine  vorübergehende  Besserung  im  subjektiven 
Befinden  des  Patienten  und  eine  dauernde  Verkleinerung  fies 
rechten  Leberlappens  zur  Folge  hatte.  Nach  zirka  einem  JaLre 
traten  neuerlich  stärkere  Beschwerden  auf,  es  entwickelte  sich 
in  der  Mittellinie,  unter  dem  Schwertfortsatz,  ein  größerer, 
schmerzhafter  Tumor.  Neuerliche  antiluetische  Behandlung  er¬ 
folglos.  Die  hochgradigen  Beschwerden  des  arbeitsunfähig  ge¬ 
wordenen  Patienten  veranlaßten  die  Ausführung  der  vom  Kran¬ 
ken  selbst  gewünschten  neuerlichen  Operation.  Bei  der  am 
7.  November  1906  ausgeführten  medianen  Laparotomie  fand 
sich  im  linken  Leherlappen  ein  zirka  faustgroßer,  weißer, 
harter  Tumor,  der  teils  stumpf,  teils  scharf,  unter  sehr 
starker  Blutung  aus  der  Leber  ausgeschält  wurde.  Der  exstir- 
pierte,  während  der  Operation  als  Gumma  betrachtete  Tumor 
wog  178  g  und  erwies  sich  nach  der  Untersuchung  durch  Pro¬ 
sektor  Dr.  Zee  mann  als  Tuberkel.  Die  starke  Blutung  wurde 
durch  Tamponade  mit  in  Adrenalinlösung  getränkter  Gaze  be¬ 
herrscht.  Schnitzler  betont  die  große  Seltenheit  dieser  P’orm 
der  Lehertuherkulose.  Ein  von  Ranschoff  operierter  Fall  starb 
sechs  Tage  post  operafionem.  Schnitzler  konnte  in  der  Li¬ 
teratur  keinen  weiteren  Fall  von  operierter  Lebertuberkulose  fin¬ 
den.  Die  Berechtigung  zu  dem  Eingriff  erscheint  durch  die  der 
Operation  folgende  beträchtliche  Besserung  im  Befinden  des  nun 
mehr  wieder  arbeitsfähigen  Patienten  erwiesen. 

Prof.  Benedikt  bemerkt  zunächst,  daß  wir  nach  der  alten 
hippokratischen  Denkmethode  den  Parallelisrnus  zwischen  Leiden 
und  Untersuchungsresultaten  verfolgen  müssen,  wenn  auch  jede 
Untersuchungsmethode  in  historischen  Zeitperioden  große  Unvoll¬ 
kommenheit  und  Dunkelheit  aufweist.  Von  diesem  Gesichtspunkte 
demonstriere  B.  zunächst  vier  gleichartig  aufgenommene  Röntgen¬ 
platten  derselben  Stelle  desselben  Individuums,  die  innerhalb  zwei 
Monaten  hergestellt  wurden.  Der  Kranke  hatte  Schläge  aufs  Occiput 
bekommen  und  die  Krankheitserscheinungen  waren :  lokale  Em¬ 
pfindlichkeit  gegen  Perkussion,  heftige  Anfälle  von  Schmerzen 
daselbst,  die  von  epileptisch-kataleptischen  Anfällen  gefolgt  wurdcm. 
Komischerweise  wurde  dies  Leiden  von  sieben  Spezialzelebritäten 
im  Auslande  als  ,, Hysterie“  erklärt.  Der  Vortragende  hat  die  erste 
Platte  bereits  in  einer  früheren  Sitzung  gezeigt  und  damals  wurde 
von  verschiedener  autoritativen  Seite  der  beobachtete  okzipitale 
Herd  wahrscheinlich  als  ein  Hämatom  gedeutet,  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  das  ursächliche  Moment. 

Eine  Lumbarpunktion  wurde  von  Eiseisberg  bald  darauf 
ausgeführt  und  der  Verdacht  auf  Hämatom  oder  Abszeß  durch  den 
ganz  negativen  Befund  (Albrecht)  mit  großer  Sicherheit  aus¬ 
geschlossen.  Es  wurde  eine  energische  Therapie  eingeleitet  — 
Points  de  feu  mit  Unterhaltung  der  Wunden  durch  eine  Woche, 
elektrostatische  Dusche,  Jodnatriiim  und  zuletzt  Injektionen  mit 
Sublimat. 

Die  späteren  Aufnahmen  zeigten  eine  Abnahme  des  Herdes 
—  ein  Zerflattern  —  desselben;  hingegen  trat  die  Undurchlässigkeit 
der  Knochen  der  Seitenwand  des  Occiput  in  abnorm  greller  Weise 
hervor.  Daß  am  Beginne  die  Undurchlässigkeit  der  Knochen  so 
wenig  ausschlaggebend  war,  hätte  eigentlich  die  Aufmerksamkeit 
a  priori  erregen  sollen. 

Diese  Tatsachen  scheinen  .mit  Sicherheit  zu  erweisen,  daß 
es  sich  vom  Anfänge  an  um  eine  Infiltration  der  Knochen 
gehandelt  habe  und  daß  jetzt  relative  Ausheilung  in  Sklerose 
stattfmdet. 

Parallel  mit  diesem  anatomischen  Vorgänge  —  resp.  der 
Veränderung  der  radiologischen  Bilder  —  ging  der  therapeutische 
Erfolg.  Die  Anfälle  wurden  seltener,  schwächer  und  blieben 
durch  mehrere  Wochen  aus.  Nur  Anstrengung  büßt  der  Kranke 
noch  manchmal  mit  Kopfschmerz  und  das  Anhören  einer  großen 
Oper  rief  sogar  in  der  letzten  Nacht  einen  Schmerzanfall  mit 
kataleptischer  Bewußtseinsstörung  hervor.  Die  Perkussions- 
empfmdlichkeit  ist  verschwunden. 

Der  Vortragende  demonstriert  weiters  die  Platte  eines 
Falles  von  traumatischer  Exostose  am  hervorragendsten  seitlichen 
Teile  der  Eminentia  occipitalis  externa  mit  Fortsetzung 
sklerotischer  —  d.  i.  ungewöhnlich  undurchlässiger  —  Stellen  am 
Hinterhaupte  dieser  Seite  (Folge  eines  Unfalls  auf  der  elektrischen 
Straßenbahn).  Der  Kranke  —  ein  Student  —  büßt  jeden  Versuch 
geistiger  Anstrengung  mit  heftigem  Kopfschmerz. 

Bei  einem  anderen  Falle  (Eisenbahnunfall)  weist  die  Platte 
einen  Sprung  im  Hinterhauptsknochen  auf. 

In  einem  weiteren  Falle  (Unfall  auf  der  elektrischen 
Straßenbahn)  zeigte  auf  der  Platte  von  der  linken  Seite  die 
innere  Lamelle  der  hinteren  Hälfte  des  Scheitelknochens  eine 
Reihe  von  Streifen  (Sprünge)  ohne  Lokalsymptome.  Rechts  ist 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


179 


eine  Zone,  die  vom  Scheitelbeine  bis  zur  Eminentia  occipitalis 
externa  reicht,  in  der  große  spontane  Druckempfindlichkeit  be¬ 
steht.  Die  Platte  zeigt  dementsprechend  einen  unregelmäßigen 
Herd,  der  sozusagen  stellenweise  die  undurchlässigen  Knochen 
verschwinden  läßt.  Der  ganze  Knochen  dieser  Stelle  hat  eine 
knotige  Umrandung.  Es  liegt  hier  offenbar  wieder  schwere 
Osteitis  und  Periostitis  vor;  sie  ist  den  Symptomen  nach  fort¬ 
schreitend. 

Man  sieht,  wie  unrecht  es  ist,  hei  mechanischen  Traumen 
des  Kopfes  natürlich  auch  durch  Eiscnbahnunfälle  den  alten 
Satz  von  Schädel-  und  Gehirnbeschädigungen 
zu  vernachlässigen  und  bloß  auf  dem  Steckenpferde  der 
Shock-Neurose  berumzureiten. 

Primararzt  Moszkowicz  demonstriert  fünf  Patienten,  an 
denen  die  Uranoplastik  nach  einer  von  der  Langenbeck- 
sclien  iMethode  abweichenden  Art  ausgeführt  wurde.  Unabhängig 
hievon  hat  der  englische  Chirurg  Arbufhnot  Lane  an  zwei¬ 
hundert  Fällen  ein  ähnliches  Verfahren  angewendet. 

Es  wird  ein  Schleimhau tperi ostlappen  im  Gegensatz  zur 
L  a  n  g  e  11  b  e  c  k  sehen  Methode  nicht  verschoben,  sondern  seiner 
ganzen  Breile  nach  über  den  Defekt  umgeklappt.  Bei  sehr  großen 
Defekten  wird  der  Schnitt  am  äußeren  Bande  des  Processus  alveo- 
laris  ausgeführt  (Lane).  Man  gewinnt  so  einen  Lappen,  der 
auch  die  breiteste  Gaumenspalte  überbrückt.  Doch  kann  mau 
mir  hei  ganz  jungen  Kindern,  ehe  die  Zähne  durchgebrochen  sind, 
den  Schleimhautüberzug  des  Alveolarfortsatzes  verAvendeii.  Bei 
Erwachsenen  empfielill  der  Vortragende,  dem  umgeklappteii 
Lappen,  wenn  er  nicht  den  ganzen  Defekt  überbrückt,  von  der 
entgegengesetzten  Seite  einen  Lange nbeckschen  Brückenlappen 
entgegenzuschieben. 

Der  Vorteil  der  neuen  Methode  ist,  daß  die  Lappen  ohne 
Spannung  und  mit  breiten  Flächen  aneinandergeliracht  werden. 
Die  Arteria  palatina  descendens  kann  dabei  leicht  geschont 
werden. 

Im  Bereiche  des  weichen  Gaumens  kann  auf  jeder  Seite  ein 
umgeklappter  Lappen  formiert  werden.  Der  Vortragende  nimmt 
auch  von  der  Schleimhaut  des  vorderen  Gaumenbogens  und  den 
seitlichen  Rachenpartien  soviel  in  den  Lappen,  daß  ein  sehr 
langes  Velum  entsteht.  Damit  hofft  er  auch  wesentlich  bessere 
funktionelle  Resultate  zu  erzielen,  als  es  bisher  bei  der  Langeii- 
b  eck  sehen  Methode  möglich  war. 

Die  Operation  wird  unter  Adrenalinanämie  'nicht  mehr 
als  vier  Tropfen  der  l%oigeii  Lösung)  aiisgeführt  und  ist  fla- 
durcli  bei  weitem  nicht  so  schwierig  und  gefahrvoll  als  ehedem. 
Kinder  von  zehn  Monaten  vertragen  die  Operation  recht  gut; 
am  zweiten  Tage  nach  der  (Jehurt  zu  operieren,  wie  es  Lane 
tut,  möchte  Vorlr.  nicht  empfehlen,  da  die  Kinder  den  Operations- 
shock  nicht  vertragen.  Später  soll  nicht  operiert,  werden,  da  die 
Kinder,  wenn  sie  ,sich  die  näselnde  Sprache  einmal  angewöhnt 
haben,  schwer  davon  ahzuliringeii  sind.  (Erscheint  ausführlich 
im  Archiv  für  klinische  Chirurgie.) 

Diskussion:  Dr.  Ranzi:  Ich  möchte  mir  zu  bemerken  er¬ 
lauben,  daß  au  der  Klinik  v.  Eiselsberg  auch  in  mehreroi 
Fällen  die  L  a  n  e  sehe  (dperalionsmethode  ausgeführl  wurde,  je- 
floch  nicht  mit  so  günstigen  Resultaten  wie  die  des  Herrn  Prim. 
Moszkowicz.  In  diesen  Fällen  wmrde  die  La  ne  sehe  Opera¬ 
tion  mit  der  Vomei’plastik  kombiniert.  Zu  dieser  Kombination  wmr- 
(len  wdr  dadurch  veratdaßt,  daß  die  Vomeri)la&tik  fast  ausnahmslos 
ausgezeichnete  Resultate  ergeben  hatte.  Es  wurde  also  zuerst 
der  Defekt  im  harten  Gaumen  durch  (lie  Vouierplastik  gedeckt 
und  dann  in  einem  zweiten  Akt  zur  Deckung  der  Spalte  im 
weichen  Gaumen  die  Lanesche  Operation  ausgeführ'.  Was  die 
Blutstillung  anhelangt,  so  wurde  dieselbe  durch  Irrigation  mit 
Eiswmsser  erzielt;  Adrenalin  wuirde  in  letzter  Zeit  einige  Male, 
jedoch  nur  hei  älteren  Kindern,  bzwn  Eiavachsenen  augew^andt. 
Auch  wir  halten  die  Zeit  nach  dem  ersten  Lebensjahr  als  den 
günstigsten  Zeitpunkt  für  die  Operation.  Die  schönen  Resultate 
MoszkowAcz’  wau’den  gew'iß  anregen,  die  Lau  ('sehe  Operation 
in  geeigneten  Fällen  häufiger  zu  versuchen. 

Hofral  Exner  bemerkt  zu  einer  Angabe  des  Vortragenden, 
daß  er  aus  Neuburgers  Geschichte  der  Medizin  entnommen 
hat,  daß  die  Uranoplastik  bereits  bei  den  Römern  zur  Zeit, 
Christi  Geburt  ausgeführl  wmrden  ist. 

D)-.  Bartel:  Zur  Biologie'  des  P  e  r  I  s  u  c  h  I  h  a  z  i  1 1  n  s 
(mil  Demonslra'ionen ).  (Siehe  0  igin  lar  ikel  in  die  ser  Nuimre  ’.) 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  17.  Januar  1907. 

G.  Ri  et  her  demonslrieii  ein  Kind  mit  Lymphangiom 
und  lipoma  töser  Wucherung.  An  der  rechten  Brustseite 
ist  eine  handflächengroße,  erhabene,  blaurot  verfärbte  Stelle, 
welche  von  w'eißlichen  Strängen  und  eiwveiterten  Gefäßen  durch¬ 
zogen  ist.  Die  Affektion,  welche  als  eine  Kombination  von  Lymph¬ 
angiom  mit  Lipom  anzusehen  ist,  ist  w-ährend  der  Beohachtungs- 
dauer  erheblich  zurückgegangen. 

B.  Schick  zeigt  ein  Kind  mit  einer  schmerzhaLen  Sclnvel- 
lung  des  rechten  Unterschenkels,  w'elcher  eine  diffuse  lueOischo 
Periostitis  der  U  n  t  e  r  s  c  h  e  nk  e  1  k  n  o  c  h  e  n  zugrunde  liegt. 

K.  V.  Pirquet  demonstriert  Fälle  von  Frühreaktion 
hei  Impfung.  Vortr.  hat  Selbstversuche  an  einem  Vorderarni 
vorgenommen,  außerdem  wairden  Kinder  von  einem  Jahre  einer 
neuen  Impfung  unterzogen.  Es  zeigte  sich,  daß  nach  der  Vak¬ 
zination  eine  Periode  von  Uuterempfindlichkeit  gegen  Revakzi- 
nalion  einiritt,  w^elche  dann  von  einem  Stadium  der  üeberempfind- 
lichkeit  abgelöst  wird. 

W.  Knöpfeimacher  bemerkt,  daß  man  bei  subkutaner 
Impfung  ähnliche  Resultate  bekommt;  die  Stärke  eler  Reaktion 
hängt  von  dem  Konzentralionsgrad  des  Impfstoffes  ab. 

K.  Lein  er  stellt  einen  achtjährigen  Knah(?n  vor,  w'elcher 
seit  mehreren  Monaten  an  Pemphigus  vulgaris  chronicus 
leidet.  Es  traten  zuerst  große,  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllte  Blasen 
an  den  Wangen  auf,  der  Inhalt  trübte  sich  bald  und  die  Blase 
verwandelte  sich  allmählich  in  eine  Kruste,  w’elche  unter  Hinter¬ 
lassung  eines  pigmentierteil  Fleckes  abheilte.  Später  traten  solche 
Blasen  auch  am  übrigen  Körper  auf,  es  kam  auch  zur  Blasen¬ 
bildung  im  Munde.  Der  Inhalt  der  Blasen  ist  ursprünglich  steril, 
später  finden  sich  in  ihm  Eiterbakterien. 

Herrn.  Schlesinger  frägt,  ob  die  Epidermis  bei  starkem 
Druck  eine  erhöhte  Ablösbarkeit  von  ihrer  Unterlage  zeigt. 

K.  Leiner  erwddert,  daß  die  Epidermis  sich  nicht  leicht 
ablösen  läßt;  auch  bei  starkem  Druck  kommt  es  nicht  zur 
Blasenbildung. 

E.  Sink  a  führt  ein  neunjähriges  Mädchen  mit  akuter 
lymphatischer  Leukämie  vor.  Das  Kind  war  früher  voll¬ 
ständig  gesund,  vor  vier  Monaten  wmrde  es  auffallend  blaß,  es 
traten  Hautinfiltrate  im  Gesicht  und  am  Stamme  auf,  die  Lymph- 
drüsen  schwmllen  an,  das  Kind  verfiel  und  in  der  Haut  wurden 
punktförmige  Blutungen  sichtbar.  Die  Rachentonsille  und  die 
Mandeln  sind  erheblich  vergrößert,  ebenso  die  Leber.  Die''  Bhit- 
untersuchung  ergibt  2,600.0(30  Erythrozyten,  Färbeindex  0-6,  2000 
weiße  Blutkörperchen,  unter  ihnen  nur  eine  geringe  Zatd  von 
polynukleären  Lymphozyten.  Die  Temperatur  steigt  jetzt'  bis  40'’. 

K.  Hochsinger  bemerkt,  daß*  in  der  Haut  kleine  lu- 
moren  sitzen,  welche  dafür  sprechen,  daß.  es  sich  um  einen 
Fall  von  Leukaemia  cutis  handelt. 

A.  Bau  mg  arten  demonstriert  das  anatomische  Präparat 
eines  Falles  von  partieller  id  iop  a  thischer  Oesophagus- 
dilatation.  Der  untere  Abschnitt  der  Speiseröhre  ist  gegen¬ 
über  dem  normalen  oberen  Anteile  erheblich  eiaveitert,  eine 
Stenose  ist  nirgends  zu  finden.  Der  Befund  scheint  für  die  Kon- 
genitalität  des  Falles  zu  sprechen.  Das  Kind  wmr  im  Alter  von 
sechs  Wochen  an  Bronchitis  gestorben. 

R.  Neurath  bemerkt,  daß  von  manchen  Autoren  als  Ur¬ 
sache  einer  derartigen  Dilatation  der  Spasmus  des  Pylorus  an¬ 
gegeben  ward. 

Th.  Esc  her  ich  demonstriert  anatomische  Präparate  von 
Embolien  bei  postdiphtheritischen  Prozessen.  Ein 
zweijähriges  Kind  bekam  nach  Diphtherie  eine  Lähmung  der 
rechten  Körperhälfte,  am  jiächsten  Tage  Anfälle  von  Jaktationen, 
daun  Zeichen  von  Arterienverschluß'  an  beiden  unteren  Extremi¬ 
täten.  Die  (Jbduktion  ergab  Herzdilatation,  verruköse  Auflage¬ 
rungen  an  der  Mitralis,  einen  wandständigen  Ihrombus  im  linken 
Herzen,  Embolie  und  Thrombose  der  lliaca  communis,  Embolie 
der  A.  fossae  Sylvii  mit  Gehirnerweichung  und  Niereninfarkt. 
—  Ferner  stellt  Vortr.  ein  neunjährigeiS  Mädchen  vor,  welches 
nach  Diphtherie  eine  Lähmung  aller  Extremitäten  bekam;  diese 
gingen  links  vollständig  zurück,  rechts  sind  sie  unverändert  ge¬ 
blieben.  Es  liegt  eine'  siiastische  zerebrale  Hemiplegie  vor. 

Frau  St.  Weiß  zeigt  einen  Säugling  mit  einer  Urachus- 
fistel.  Am  Mons  Veneris  des  Mädchens  findet  sich  eine  Fistel, 
aus  welcher  sich  auf  Druck  krümelige,  w'eiße,  aus  Lpitheiien 
i  bestehende  Massen  entleeren.  Es  liegt  wohl  eine'  zystische  Er- 


i80 


WIENER  KLINIiSCllE  WÜCIIENÖCIIRIET.  iüU7. 


Nr.  6 


weilcruiig  des  persistierenden  Urachus  vor,  welcher  durch  einen 
Fistelgang  nach  außen  mündet. 

Behl  Schick:  Ueber  Nachkrankheiten  des  Schar¬ 
lachs.  Vortr.  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  man  schon  h’s- 
hor  auf  Grund  rein  klinischer  Ueherlegung  imterschiedeti  hat: 
die  Gesamtheit  der  primären  Scharlachsymptome  mit  ihren  un- 
miltelhareu  Komplikationen  und  die  Nierenentzündung  als  Nach¬ 
krankheit.  Trotzdem  die  Zusammengehörigkeit  beider  Prozesse 
in  ätiologischer  Beziehung  noch  nicht  strikte  bewiesen  ist,  sieht 
man  die  Nierenentzündung  als  spezifische  Nachkrankheit  des 
Scharlachs  an.  Das  Auffälligste  an  der  Nephritis  ist  das  Be¬ 
stehen  eines  symptomlosen  Intervalles  zwischen  primären  Schar¬ 
lachsymptomen  und  Eintritt  der  nephritischen  Symptome.  Den 
Schlüssel  zur  Erklärung  dieser  Tatsache  sieht  Vortr.  darin,  daß 
die  Niere  nicht  das  einzige  Organ  ist,  welches  in  der  Rekonvales¬ 
zenz  nach  Scharlach  Krankheitssymptome  aufweist.  Gleichzeitig 
oder  einen  bis  zwei  Tage  vor  cler  Nephritis  kommt  es  häufig 
zu  schmerzhafter  Schwellung  der  LymphdiTisen  am  Kiefervvinkel 
und  seitlich  am  Halse.  Diese  Lymphdiäisenerkrankung  kommt 
überdies  als  selbständige  Nachkrankheit  ähnlich  der  Nephritis 
vor.  Lymphadenitis  und  Nephritis  sind  die  häufigsten  Formen 
der  spezifischen  Nachkrankheiten  des  Scharlachs.  Die  Ein¬ 
trittstage  der  Erkrankungen  fallen  in  die  Zeit  vom 
zwölften  Krankheitstag  bis  zur  siebenten  Woche. 
I )  a  s  M  a  X  i  m  u  m  der  E  i  n  t  r  i  1 1  s  t  a  g  e  findet  ni  a  n  i  n  d  e  r 
dritten  und  vierten  Woche  nach  Scharlachheginn. 
Ausgehend  von  diesem  Gesetze  der  Eintrittszeit,  hat  Vor- 
Iragender  die  Vorgänge  der  Scharlachrekonvaleszenz  auf  weitere 
Krankheitshilder  studiert  und  in  Uehereinstimrnung  mit  Kuw- 
s  c  h  i  n  s  k  i  und  Past  o  r  naclnveisen  können,  daß-  neben  Lymph¬ 
adenitis  und  Nephritis  postscarlatinosa  auch'  Fiebersteigerungen 
ohne  Befund,  Endokarditis  und  rheumatische  Affektionen  auf- 
t  re  teil  können.  Alle  diese  Spätformen  der  Rekonvaleszenzerkran¬ 
kungen  halten  sich  an  das  oben  aufgestellte  Gesetz  der  Ein¬ 
trittszeit.  Auf  Grund  eines  Materiales  von  rund  1700  Schar¬ 
lachfällen  der  pädiatrischen  Klinik  in  When  entwickelt  Vortr.  die 
Berechtigung  der  Annahme,  diese  neuen  Formen  von  Nachkrank¬ 
heiten  der  Nephritis  und  Lymphadenitis  postscarlatinosa  anzu¬ 
reihen.  Als  Gründe  seiner  Annahme  betont  Vortr.:  1.  das  allen 
Nachkrankheiten  gemeinsame  Gesetz  der  Eintrittszeit;  2.  die  Kom- 
lünation  mehrerer  Formen  von  Nachkrankheiten  bei  einem  und 
demselben  Individuum;  3.  das  Auftreten  gleicher  und  verschie¬ 
dener  Formen  von  Nachkrankheiten  bei  Geschwistern.  Die  Ent¬ 
scheidung,  welche  Formen  der  postskarlatinösen  Erkrankungen 
infektiöser,  bzw.  toxischer  Natur  sind,  läßt  sich  noch  nicht  end¬ 
gültig  fällen.  Vieles  spricht  für  eine  gemeinsame  Ursache  säiut- 
licher  Nachkrankheiten.  Oh  diese  gemeinsame  Ursache  identisch 
ist  mit  dem  Scharlacherreger,  ist  ebenfalls  noch  nicht  festzu¬ 
stellen.  Für  die  Identität  spricht  die  Tatsache,  daß  die  Rezidive 
dasselbe  E  i  n  tr  i  tts  g  e  s  e  t  z  befolgen  wie  die  vorher  er¬ 
wähnten  Formen  der  Nachkrankheiten.  Zum  Schlüsse  erörtert 
Vortr.  die  Ursache  des  Inter  valles  zwischen  primären  Schar¬ 
lachsymptomen  und  Nachkrankheiten,  die  bisher  nur  hei  der 
Nephritis  berücksichtigt  wurde.  Diese  EiLlärungsversuche  (Er¬ 
kältung,  Speisen,  mechanische  Theorie  Bohns,  Spätausscheidung 
von  Toxinen  [Le  ich  ten  stern])  werden  unzulänglich,  wenn  man 
auch  die  anderen  Formen  der  Nachkrankheiten  erklären  will. 
\h)rlr.  nimmt  an,  daß  am  zwölften  Krankheitstag  des  Scharlachs 
(une  bis  zur  siebenten  Woche  dauernde  spezifische  Dis¬ 
positionsperiode  für  i)ostskarlatinöe  Erkrankungen 
besteht.  Die  größte  Tendenz  zum  \V  i  e  d  e  rau  f  f  1  a  ck  e  r  n  des 
s  k  a  !•  1  a  t  i  n  ö s e n  Prozesses  besteht  in  der  dritten  und 
vierten  Woche. 

K.  II  och  singer  bemerkt,  daß  in  vielen  Fällen  die  Lympli- 
drüsen  nicht  eiki'anken;  sie  werden  besonders  dann  befallen, 
wenn  die  Affektion  im  Nasenrachenraum  hochgradig  ist.  Dem 
postskarlatinösen  Fieber  liegt  wohl  meist  eine  nicht  nachweishare 
Lokalisation  des  Prozesses  zugrunde,  z.  B.  eine  schmerzlos  ver¬ 
laufende  Arthromeningitis.  Hochsinger  hat  in  der  Privatpraxis 
k('in  Scharlachrezidiv  beobachtet. 

J.  Za])pert  bemerkt,  daß  auch  hei  Keuchhusten  die  Re¬ 
zidive  meist  in  der  vierten  bis  fünften  Woche  auftreten. 

H.  Schlesinger  weist  auf  die  d’onsillen  als  Eingangs¬ 
pforten  von  allgemeinen  Infektionen  hin  und  regt  zu  einer  Unter¬ 
suchung  über  das  Verhalten  der  Tonsillen  hei  Scharlach  an. 

H.  Ah  eis  hat  im  Karolinen-Kinderspital  an  zahlreichen 
Fälhm  Symptome  beobachtet,  welche  dafür  sprechen,  daß  die 
Nachkrankheiten  und  Rezidive  des  Scharlachs  eine  gemeinsame 
Aetiologie  haben.  Rei  einer  größeren  Anzahl  traten  in  der  Nach¬ 
periode  T.ym])hadenitis,  .Angina  catarrhalis  und  ein  neuerlicher 
Zungenbelag  mit  nachträglicher  Abschuppung  auf. 


P.  Aloser  bemerkt,  daß  in  manchen  Fällen  Schwellungen 
von  abdominalen  Lymphdrüsen  das  Auftreten  von  Nachfieber 
erklären. 

B.  Schick  envidert,  daß  er  als  postskarlatinöses  Fieber 
dasjenige  bezeichnet  hat,  hei  welchem  trotz  genauester  Unter¬ 
suchung  ein  anatomisches  Substrat  für  dasselbe  nicht  zu  finden 
war.  Seine  Untersuchungen  über  Alyokarditis  sind  noch  iiiclit 
abgeschlossen. 

Th.  Escherich  lieht  die  Wichtigkeit  der  Untersuchungen 
des  Vortragenden  für  die  einheitliche  ätiologische  Auffassung 
der  Nachkrankheiten  des  Scharlachs  hervor.  Er  vermißt  in  den 
Ausführungen  des  Vortragenden  die  Erwähnung  der  Myokarditis. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

(Sitzung  am  5.  Dezember  1906.) 

(Schluß.) 

Pick  demonslriert:  1.  Eine  82jährige  Frau  mit  einem  zirka 
fünfkronenstückgroßen  Ulcus  rodens  an  der  Haut  der  Oberlippe; 
ein  zweiter  kleinerer  Tumor  findet  sich  auf  der  rechten  Wange. 
Außerdem  finden  sich  im  Gesicht  an  mehreren  Stellen  Knötchen 
mit  gelblicher,  warziger  Obmfläche  in  entzündlicher  Umgehung. 
Diese  von  Darier  als  Keratpse  precancer euse  bezeichnete 
Affektion  erklärt  wohl  in  unserem  Falle  das  sonst  so  seltene  Vor¬ 
kommen  multipler  Epitheliome. 

2.  Einen  25jährigen  Patienten  mit  Lepra.  Pat.  stannnt 
aus  Kanthey  (City),  einer  leprafreien  Gegend,  ist  aber  als  Rei¬ 
sender  viel  auch  in  Lepragegenden  (Kalifornien  etc.)  gereist. 
Die  Krankheit  besteht  erst  seit  einem  halben  Jahre  u.  zw.  bemerkte 
Pat.  die  ersten  Erscheinungen  im  März  1.  J. ;  drei  Wochen  nach 
einer  am  linken  Oberarm  vorgenommenen  Schutzimpfung  gegen 
Variola  traten  Knötchen  am  Vorderarm  auf.  Gegenwärtig  finden 
sich,  wesentlich  über  der  Streckseite  der  Extremitäten  verstreut, 
braune,  weiche,  Stecknadelkopf-  bis  haselnußgroße  Knoten,  mit 
glatter  glänzender  Oberfläche.  Am  Stamm  ein  aus  unscharf  um¬ 
grenzten  braunen  Flecken  hestehendes,  großmakulöses  Exanthem. 
Die  sichtbaren  Schleimhäute  frei ;  ebenso  erscheinen  die  Nerven 
nicht  affiziert.  Es  handelt  sich  also  um  einen  ganz  im  Beginn 
stehenden  Prozeß. 

Oppenheim  macht  hei  dem  Falle  auf  weiße  leukoderma- 
ähnliche  Flecke  des  Halses  aufmerksam,  die  histologischi  dasselbe 
Bild  bieten,  wie  das  Leukoderma  syphiliticum,  wie  er  bei  Kranken 
des  Lepraasyls  Matunga  beobachten  konnte. 

Riehl:  Um  Alißverständiiissen  vorzubeugen,  will  ich  be¬ 
tonen,  daß  im  demonstrierten  Falle  eine  frische  Lepra  vorliegt. 
Die  erythematösen,  zum  Teil  annulären  Flecke  sind  flache 
Leprome  und  entsprechen  der  Roseola  syphilitica,  während  die 
als  Morphaea  etc.  hezeichneten  Flecke  der  Lepra  nervorum,  die 
mit  Anästhesie  oder  Hypästhesie  einhergehen,  von  den  vorliegen¬ 
den  Flecken  streng  zu  unterscheiden  sind.  In  unserem  Falle  sind 
Veränderungen  an  den  Nerven  klinisch  nirgends  nachzu weisen, 
speziell  besteht  keine  Ahschwächung  oder  Aufhebung  der  nor¬ 
malen  Funktionen  der  Handnerven. 

Kren  demonstriert  aus  der  Klinik  Riehl:  1.  Einen  Fall 
von  Lichen  und  Ekzeina  scrophulosor  um  hei  einem 
22jährigen  phthisischeu  Alädchen.  Am  ganzen  Stamm,  hauptsäch¬ 
lich  an  seinen  Seitenteilen,  sieht  man  teils  disseminiert,  teils  in 
Gruppen  stehende,  gelhlichrote,  derbe  Knötchen  typischen  Aus¬ 
sehens.  Durch  Rückbildung  zentraler  Effloreszenzen  und  Auf¬ 
treten  peripher  stehender  neuer  entstehen  Ringe,  die  zentral 
ein  wenig  pigmentiert  und  glatt  sind,  während  sie  an  der  Peri¬ 
pherie  einen  mehr  weniger  breiten  hellroten  Saum  frischer  Knöt¬ 
chen  aufweisen.  Durch  Aneinanderreihung  und  Konfluenz  meh¬ 
rerer  solcher  Ringe  wieder  sind  serpiginös  angeordnete  Figuren 
entstanden.  Ueber  einzelnen  größeren  Gruppen  finden  sich  Krusten¬ 
auflagerungen,  nach  deren  iVblösung  sehr  schnell  sich  Bläschen 
entwickeln,  die  sich  zu  Pusteln  mnwandeln  und  nach  Platzen 
wieder  eitrige  Krusten  produzieren. 

2.  Einen  30jährigen  Kellner,  der  seit  fünf  .fahren  an  einer 
anscheinend  fleckenförmigen  Erkrankung  der  Extremitäten  lei<let. 
Die  einzelnen  Effloreszenzen  stellen  kleiidinsen-  bis  fast 
kronenstückgroße,  leleangiektatische  Flecke  dar,  von  denen  die 
meisten  unter  Glasdruck  vollständig  schwinden,  während  die  ge¬ 
ringere  Zahl  hei  Glasdruck  einen  gelhlichhraunen  Farbenton,  wie 
nach  einer  kleinen  Blutung  hinU'rläßf.  Dii;  älteren  Effloreszenzen 
zeigen  im  Zentrum  (dm^  leichtem  Atroi)hie  und  keine  Teleangi¬ 
ektasien,  während  letztere  am  Rand  deutlich  ausgebildet  sind. 
Es  ('ulstelu'ii  dadureb  i'ingföi'inigc'  Effl()r('sz('nz('ti.  An  einigen 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WÜCHENSCIIRIFT.  1ÜU7 


181 


solchen  fehlen  auch  zentral  die  I.anugohaare,  so  daß  es  hier 
auch  zu  einer  zentralen  Alropluc  der  Follikel  gekommen  ist. 

Die  Beschreibung  paßt  auf  jene  Fälle,  wie  sie  Majocchi 
als  Furpura  teleangiectodes  annularis  oder  Teleangi¬ 
ectasia  follicularis  a  n  n  ii  1  a  t  a  publiziert  hat. 

Weiden  fei  d  verfügt  über  drei  hiehergehörige  Fälle;  zu¬ 
nächst  eine  Dame,  die  kleinste,  stecknadelkopf-  bis  linsengroße, 
lehhafirote  bis  schwarzbraune,  nicht  verdrückbare  Flecke  an  den 
Extremitäten,  besonders  an  den  Streckseiten  aufwics,  die  sich  nur 
sehr  spärlich  am  Rumpfe  befanden.  Beim  Wegkratzen  der  Epi¬ 
dermis  und  nachträglichem  trockenen  Verbände,  den  Weiden¬ 
feld  zu  therapeutischen  Zwecken  anlegte,  zeigte  sich  nach 
24  Stunden,  daß  die  ganze  abgekratzte  Stelle  bedeckt  war  mit 
stecknadelkopfgroßen,  wie  kleine  Trauben  oder  schwarzbraime' 
Beeren  aussehende  Exkreszenzen,  die  nach  einigen  Tagen  spon¬ 
tan  abfielen.  Nachdem  die  Epidermis  sich  regeneriert  hatte,  ver¬ 
schwanden  dann  diese  roten  Flecken.  Weidenfeld  konnte  sich 
dann  nach  dem  neuerlichen  Wegkratzen  an  einer  anderen  Stelle 
überzeugen,  daß  diese  roten  Beeren  bei  Anstechen  Blut  entleeren, 
also  sicherlich  als  Teleangiektasien  aufzufassen  waren.  Im  spä¬ 
teren  Verlaufe  vermehrten  sich  jedoch  diese  Teleangiektasien 
enorm,  so  daß  sie  selbst  den  Hals  und  den  ganzen  Rumpf  be¬ 
fielen.  Diese  Krankheit,  welche  ihr  physiologisches  Analogon 
in  den  auch  normaliter  auftretenden  Teleangiektasien  am  Stamm 
und  auch  Extremitäten  findet,  kann  man  füglich  Teleangiectasia 
universalis  propria  nennen.  Ein  zweiter  Fall  betrifft  einen  Kol¬ 
legen,  der  an  den  Beugeseiten  beider  Oberarme  und  Vorderarme 
linsengroßo,  schwarzbraune  Flecken  aufwies,  die  nicht  verdrück¬ 
bar  waren.  Innerhalb  dieser  Herde  und  auch  sonst,  traten  rote 
Stellen  auf,  während  die  Epidermisi  feinste  Fältelungen  auf¬ 
wies,  nicht  unähnlich  dem  Aussehen  der  Epidermis  bei  Pityriasis 
lichenoides.  Auch  dieser  Prozeß  blieb  konstant,  vermehrte  sich, 
erreichte  aber  nur  Linsengröße.  Ein  dritter  Fall  betrifft  ein  junges 
Mädchen,  das  seit  mehreren  Jahren  an  beiden  Unterschenkeln 
symmetrische,  guldengroße,  schwarzbraune  oder  gelbbraune,  wie 
hämorrhagisch  aussehende  Herde  zeigte  und  gleichfalls  als  Nach¬ 
schübe  sowohl  innerhalb  dieser  Herde,  als  auch  an  neuen  Stellen 
punktförmige,  rote  Flecke.  Die  Haut  zeigte  jedoch  außer  der 
Pigmentierung  gar  keine  weitere  Veränderung.  Er  glaul)t,  der 
vorgestellte  Fall  sei  in  die  Reihe  der  Teleangiektasien  einzureihen, 
unterscheide  sich  aber  durch  das  Fehlen  der  Progression  von 
der  von  Älajocchi  beschriebenen  Form;  er  gehöre  in  die  Gruppe 
der  erworbenen  Teleangiektasien. 

Brandweiner:  Der  von  Kren  vorgestellte  Fall  hat  mit 
dem  von  mir  beschriebenen  keine  große  Aehnlichkeit.  Es  fehlt 
vor  allem  die  Ringform,  derentwegen  Majocchi  der  Affeklion 
das  Epitheton  ,, annularis“  heilegte.  Dieser  Ringform  ist  meines 
Erachtens  übrigens  nicht  allzuviel  Wert  beizulegen;  die  Herde 
erscheinen  oft  auch  in  Streifen  und  unregelmäßiger  Form.  Be¬ 
merkenswerter  scheint  mir  der  Mangel  der  Teleangiektasieu,  die 
sich  klinisch  (unter  Glas-  und  Fingerdruck)  als  Hämorrhagieji 
präsentieren.  Derentwegen  gab  Majocchi  der  Affeklion  ja  die 
Bezeichnung  ,, Purpura“.  Im  Falle  Krens  gelingt  eine  völlige 
Anämisierung  der  Flecke,  sie  sind  durch  Druck  gänzlich  zum 
Schwinden  zu  bringen.  Dies  gelang  in  meinen  Fällen  nicht, 
weshalb  klinisch  das  Vorhandensein  von  Hämorrhagien  ange¬ 
nommen  werden  mußte.  Erst  die  histologische  Untersuchnng  gab 
insoferne  eine  Aufklärung,  als  sich  herausstellte,  daßi  die  hämor- 
rhagieähnlichen  Flecke  eigentlich  durch  Teleangiektasien  vorge¬ 
täuscht  wurden.  Die  Farbenveränderung  konnte  nur  durch  diese 
und  nicht  durch  die  ganz  spärlichen  und  unwesentlichen  Austritle 
roter  Blutkörperchen  bedingt  sein.  Kren  beschreibt  beim  vor¬ 
gestellten  Fall  Atrophie  und  Haarlosigkeit  der  befallenen  Stellen 
—  Symptome,  die  Majocchi  beschrieben,  in  meinen  Fällen 
jedoch  nicht  nachweisbar  waren. 

Es  ist  immerhin  möglich,  daß  der  Fall  Krens  in  die 
Gruppe  gehört.  Unsere  Kenntnisse  von  der  Affektion  sind  ja 
bisher  sehr  gering,  was  wohl  vor  allem  darauf  zurückzuführen 
ist,  daß  Majocchi  bedauerlicherweise  keine  klinischen  .Abbil¬ 
dungen  seiner  Fälle  gegeben  hat. 

Kren:  Alajocchi  selbst  sagt,  daß  die  Purpura  bei  dieser 
Affektion  nicht  ein  integrierendes  Symptom  darstelll,  sondern 
häufig  fehlt.  Stets  aber  sind  Teleangiektasien  vorhanden.  \\  as 
die  Ringform  betrifft,  so  ist  sie  in  dem  dcvmonstrieii’ten  balle 
deutlich  nacb'weishar,  nur  nichl  in  allen  Effloreszenzen  ausge¬ 
sprochen.  ln  den  B  r  a  n  d  w  e  i  u  e  r  sehen  Fällen  fehlt  wieder 
Atrophie  und  Achromie. 

.Jedenfalls  ist  das  ganze  Kiunkbeitsbild  viel  zu  wenig  ge¬ 
kannt,  um  über  die  einzelnen  Symptoime  und  die  genaue  Ab¬ 
grenzung  ein  abschließendes  Urteil  zu  fällen. 


Riehl  demonstriert  einen  seit  sechs  Monaten  an  Syphilis 
leidenden  jungen  Mann,  dessen  Stamm  zum  Teil  diffus  braun 
gefärbt  erscheint,  zum  Teil  mit  braunen,  disseminierten  Flecken 
bedeckt  ist,  letztere  erstrecken  sich  über  Hals  und  Extremitäten, 
an  Zahl  und  Dichte  der  Anordnung  distalwärts  abnehmend. 

Es  könnte  hier  die  Frage  einer  mit  Syphilis  in  kausalem 
Zusammenhang  stehenden  Pigmentierung  in  Erwägung  kommen. 
Der  Kranke  gibt  aber  an,  daß  er  nach  Einreibung  grauer  Salbe 
gegen  Morpiones  eine  heftige  Hautentzündung  durchgemacht  hat 
und  die  Lokalisation  der  braunen  Flecke  entspricht  der  An¬ 
nahme,  daß  die  Pigmentierungen  als  Folge  einer  Hg- Dermatitis 
aufzufassen  sind. 

Als  Beleg  für  diese  Anschauung  demonstriert  Riehl  (ünen 
frischen  Fall  von  Hg -  Erythem,  der  (gleichfalls  nach"  Einreibung 
von  grauer  Salbe  vor  wenigen  Tagen  entstanden)  in  fast  ganz 
kongruerder  Lokalisation  wie  der  erste  Kranke  diffuse  und 
fleckenförmige  Rötung  zeigt. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  vom  19.  Januar  1907. 

Reg. -Arzt  Dr.  v.  Bogusz  referiert  über  einen  Fall  von 
Parinaudscher  Konjuidctivitis,  der  im  vergangenen  Herbste  im 
Ambulatorium  der  Augenabteilung  behandelt  worden  war.  Es 
handelte  sich  um  eine  Patientin,  die  am  19.  Oktober  1900  zum 
erstenmal  wegen  dieser  Erkrankung  sich  vorstellte.  Die  ersten 
Symptome  hatte  sie  schon  seit  acht  Tagen  bemerkt,  dieselben 
bestanden  in  Lichtscheu,  Tränen  und  Fremdkörpergefübl  des 
linken  Auges.  Dann  kam  es  zu  allgemeinem  Unbehagen,  Mattig¬ 
keit,  abendlichen  leichten  Temperatursteigerungen,  bis  am  17.  Ok¬ 
tober  die  Drüsen  anzuschwellen  begannen.  Bei  der  Untersuchung 
ergab  sich  folgender  Befund :  Das  rechte  Auge  vollkommen  nor¬ 
mal,  links  das  Oberlid  verdickt,  stärker  herabhängend;  nach 
dessen  Unistülpen  sieht  man,  daß  sowohl  über  dem  Tarsus,  als 
auch  im  Fornix  die  Bindehaut  mit  großen  und  zahlreichen,  teils 
himbeerartigen,  teils  auch  längeren,  papillomatösen  Wucherungen 
besetzt  ist,  deren  längste  an  der  Spitze  nekrotisiert  ist.  Das  Unter¬ 
lid  zeigt  nur  an  der  äußeren  KommislsUr  einige  solche  Exkre- 
szenzeii,  dabei  fast  gar  keine  Sekretion.  Der  Augapfel  selbst,  die 
Kornea  und  die  Iris  ganz  normal.  Die  Sehschärfe  beträgt  Ve. 
Die  präaurikulare  Lymphdrüse,  die  retro-  und  inframaxillaren 
DiMsen,  ferner  die  an  der  Halsseite  hinter  dem  Musculus  sterno- 
cleidomastoideus  gelegenen,  alle  aber  nur  an  der  linken  Körper¬ 
seite,  geschwollen,  ziemlich  hart  infiltriert  und  druckempfindlich. 
Das  ganze  Bild  war  so  typisch,  daß  man  nach  der  Aehnlichkeit 
mit  den  bisher  beschriebenen  Fällen  nicht  daran  zweifeln  konnte, 
die  nach  Parinaud  benannte  Form  der  Bindehauterkrankung 
vor  sich  zu  haben.  Die  Behandlung  war  eine  ziemlich  indifferente 
und  bestand  in  Auswaschungen  des  Konjunktivalsackes  mit 
0-25%f)iger  Sublimatlösung  und  Umschlägen  mit  essigsaurei'  Ton¬ 
erde.  Zweimal  wurden  die  gröbsten  AVueherungen,  um  die  Be¬ 
lästigung  durch  das  Fremdkörpergefühl  zu  vermindern,  abgetragen; 
die  Exzision  eines  größeren  Gewebstückes  behufs  mikroskopische!' 
Untersuchung  war  leider  nicht  möglich.  Der  Zustand  blieb  ziem¬ 
lich  unverändert  bis  in  die  zweite  Novemberwoche,  wobei  die 
Patientin  am  meisten  unter  der  ziemlich  schmerzhaflen  Schwel¬ 
lung  der  Drüsen  zu  leiden  hatte.  Von  dem  genannten  Zeitpunkt 
ab  trat  eine  deutliche  Besserung  ein,  die  nun  anbielt,  bis  sich 
Ende  der  ersten  Woche  im  Dezember  vollständige  Restitutio 
ad  integrum  einstellte,  so  daßi  die  Erkrankung  acht  AVochen 
gedauert  hatte.  Die  Bindehaut  war  ohne  eine  Spur  von  Narben 
bildung  wieder  vollständig  glatt  geworden,  zu  einer  Vereiterung 
der  Drüsen  war  es  nicht  gekommen.  Auch  in  diesem  Falle  muß 
eine  Infeklion  durch  ein  krankes  Tier  angenommen  werden.  Die 
Patientin  hatte  sich  :^m  10.  Oktober  ein  an  Rotlauf  erkranktes 
Schwein  angesehen  und  batte  ihr  Malgerät  in  dem  Hause  der 
Besitzerin  dieses  kranken  Tieres  zur  Aufbewahrung.  Jedenf'ills 
ein  eigenlümliches  Zusamnienlreffen  von  Umsländen. 

Ini  Anschluß  daran  bespricht  der  Vortragende  den  derzeitigen 
Stand  unserer  Kenntnisse  von  der  Conjunctivitis  Pariiiaudi,  die, 
leicht  zu  erkennen,  für  den  Militärarzt  wegen  der  Möglichkeit, 
sie  bei  flüchtiger  Unterisuchung  mit  Trachom  zu  verwecbselui 
nicht  ohne  Bedeutung  ist. 

Dann  stellt  der  Voi'tragemb'  einen  Patienten  vor,  bei  dem 
er  wegen  Glaucoma  chronicum  am  19.  Dezember  1905  rechts 
und  am  25.  Januar  190()  links  die  Iridektomie  mit  Ausschneidung 
eines  breiten  Irisstückes  nach  Bowmann  vorgenommeu 
hat  und  der  seilber  von  Rezidive!!  frei  geblieben  ist.  Die  Seh- 
schäi'fe,  vor  der  Operation  kaum  ®/i2,  bat  durch  dieselbe  keine 
w<‘senlliche  Einbuße  erlitlen;  sie  beträgt  j('tzt  Vis-  Vcu'trageiuku'be- 


182 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nt.  6 


spricht  die  Wirksamkeit  der  Iridektoniie  bei  den  verschiedenen 
(i  1  a  u  k  o  in  f  o  r  in  e  n,  hebt  die  Vorteile  des  H  o  w  m  a  n  n  sehen  Ver- 
fahix'iis  zur  Erzielung  breiter  Kolobome  hervor  und  schildert 
die  von  Ilolth  in  C’bristiania  angewendete  Methode  der  Iritlen- 
c  1  e  i  s  i  s  a  n  t  i  g )  a  u  c  o  m  a  t  0  s  a,  über  deren  Werl  ein  abschließen¬ 
des  Urteil  allerdings  derzeit  noch  nicht  zu  fällen  ist. 

Reg. -Arzt  Dr.  Koder  stellt  aus  der  Abteilung  des  Stabs¬ 
arztes  R.  V.  Wolff  einen  Uatienten  vor,  bei  welchem  nach  einer 
Iliehverletzung  der  Hand  eine  Sehnennaht  vorgenommen  wurde. 

Admiralstabsarzt  Hofrat  Freiherr  v.  Eiseisberg  fragt  den 
Vortragenden,  nach  welcher  IMethode  die  Sehnennaht  vorgenom¬ 
men  wurde  und  bemerkt  zu  Koders  Antwort,  daß  die  Sehnen 
durch  seitliche  Schlingung  genäht  wurden,  daß  auch  er  mit 
dieser  all  bewährten  Methode  sehr  gute  Erfolge  erzielt  habe.  Bei 
der  sekundären  Sehnennaht,  namentlich,  wenn  (>s  sich  um 
die  Beugesehnen  der  Finger  handle,  habe  diese  jedoch  den  Nach- 
leil,  daß  die  Streckung  der  letzteren  mit  größter  Vorsicht  vor- 
genommen  werden  müsse.  In  letzter  Zeit  habe  v.  Eiseisberg 
die  von  dem  Münchener  Orthopäden  Lange  angegebene  und 
bei  S  e  h  n e  n  t  r  a  n  sp  1  a  n  t  a  t  i  o n  verwendete  Methode  bei  der 
s('kundären  Sehnennaht  angewendet  und  damit  recht  gute 
Resultate  erzielt.  ■ 

Reg.-x\rzt  ])r.  Doerr  demonstriert  den  neuen  Spiegelkonden¬ 
sor  von  C.  Reichert  zur  Sichtbarmachung  ultramikroskopischer 
Teilchen.  Nach  einer  kurzen  Erörterung  des  optischen  Brinzips 
hebt  Doerr  die  vielen  Vorzüge  des  Apparates  Vor  der  alten  An¬ 
ordnung  nach  Zsigmondi  und  Sieden  topf  hervor,  insbeson¬ 
dere  das  Fehlen  der  die  Beobachtung  störenden  Beugungslinien 
an  den  Konturen  der  Objekte.  Dieser  Umstand  bedingt  die  Brauch¬ 
barkeit  des  Reichert  sehen  Spiegelkondensors  für  bakterio- 
skopische  Zwecke,  insbesondere  für  daS'  Aufsuchen  der  ,Spiro- 
chaeta  pallida  in  Nativpräparaten.  Landsteiner  und  Mucha 
haben  zuerst  auf  diese  wichtige  Anwendungsart  hingewiesen, 
welche  die  ätiologische  Diagnose  der  Syphilis  in  Wenigen  Minuten 
ermöglicht,  während  das  alte  Schaudi  mische  Färbeverfahren 
nach  Gieinsa  Stunden  in  Anspruch  nahm  iind  daher  für  die 
Klinik  und  den  Praktiker  kaum  brauchbar  war.  Doerr  empfiehlt 
die  allg(‘meine  Anwendung  des  Spiegelkondensors  zur  ätiologi¬ 
schen  Schnell-  und  Frühdiagnose  der  Syphilis.  Schließlich  kver- 
den  bewegliche  Spirochäten  im  Punktionsisaft  von  Bubonen  gezeigt. 

Stabsarzt  Dr.  Stenczel  demonstriert  nach  der  Pyridin¬ 
methode  zur  Darstellung  gebrachte  Spirochäten  vom  Typus 
der  Pallida  u.  zw.  ein  Infiltrat  in  Iden  Lymphgefäßen  und  den 
Gefäßwandungen  syphilitischer  Initialaffekte;  ein  scheinbar  noch 
nicht  pathologisch  verändertes  Bindegewebe  nächst  des  Sklerosen¬ 
massivs  ;  ferner  im  perineuralen  Lymphraum  und  zwischen  den 
Nervenbündeln,  in  der  Haarwurzelscheide,  des  weileren  in  Schnit¬ 
ten  luetischer  Adenitiden,  von  papulösen  und  papulokrustösen 
Hautaffektionen  und  breiten  Kondylomen. 

Bezüglich  der  morphologischen  Details,  dann  bezüglich  der 
Lagerung  der  Spirochaete  pallida  im  syphilitischen  Gewebe  ll)e- 
gnügt  sich  der  Vortragende  mit  dem  kurzen  Hinweis,  daß  die 
nach  der  Silbermethode  im  syphilitischen  Gewebe  zur  Darstellung 
gebrachten  Spirochäten  nicht  immer  jene  stereotype  Regelmäßig¬ 
keit  in  Form  und  Größe  aufzuweisen  pflegen,  wie  in  .Ausstrichen 
nach  Giemsa  dargestellt  ist  und  verweist  im  übrigen  auf  seine 
in  dieser  Wochenschrift  erschienene,  diesbezügliche  Arbeit. 

Als  beachtenswert  wird  hervorgehohen ;  Bei  genauer  Durch¬ 
sicht  der  demonstrierten  Präparate  findet  man  zahlreiche  Spiro¬ 
chätenpaare,  die  sich  gegenseitig  rankenartig  umschlingen,  feiner 
Spirochäten,  die  an  dem  einen  Ende  Y-förniig  gespalten,  an 
ihrem  nicht  gespaltenen  anderen  Ende  aber  im  Vergleich  zu 
Nachbarspirochälen  etwas  verdickt  erscheinen.  Es  sind  dies  Be¬ 
funde,  die  bisnun  schon  von  sehr  vielen  Autoren  beschrieben 
und  meist  als  in  Längsteilung  begriffene  Spirochä'en  gedeutet 
wurden. 

Nach  den  Ausführungen  des  Vortragenden  ist  aber  ihre 
Px'deutung  eine  ganz  andere.  Die  in  Symbiose  mit  dem  Ijacillus 
fusiformis  bei  der  Stomatitis  mercurialis  i'eichlich  vorhandene 
Ross  a  sehe  Spirochäte  bleibt,  wenn  im  Alundspeicdiel  des 
Ki'anken  selbst  suspendierl  und  durch  luftdiidden  Abschluß  vor 
dem  Eiutrocknen  geschülzt,  im  Kapillarramne,  zwischen  Olijekt- 
träger  und  Deckglas  lange  Zeit  munter,  lebhaft  beweglich  unil 
kann  so  gut  beobachtet  werden. 

Gelegentlich  einer  solchen  Beoliachlung  hal  der  Vortragende 
folgenden  Vorgang  sich  abs]nelen  gesehen : 

Zwei  bis  dahin  freie  Spirochätenpaare  geraten  mit  ihren 
vorderen  Enden  aneinander  und  vereinigen  sich  nach  kurzer 


Zeit  zu  einem  scheinbar  eiidieitlichen,  doppelt  so  langen  Exem¬ 
plare.  Bald  darauf  eine  sehr  lebhafte  peitschenartige  Bewegung 
beider  vereinigten  Spirochäten,  die  den  Eindruck  macht,  als  ol) 
sich  dieselben  bemülien  würden,  wieder  frei  zu  werden.  Dieser 
Vorgang  wechselte  einige  Alale  mit  eingeischalteten  kurzen  Ruhe¬ 
pausen,  dann  aber  begannen  sich  die  beiden  am  vorderen  Pole 
noch  immer  vei  einigt  bleibenden  Spirochäten  gegenseitig,  Win¬ 
dung  in  Windung,  rankenartig  einzuschlingen  und  die  Verschlin¬ 
gung  war  zeil weise  in  der  ganzen  Länge  beider  Spirochätenleiber 
eine  so  präzise,  daß  man  meinen  könnte,  nur  eine  einzige,  wohl 
aber  verhältnismäßig  dicke  Spirochäte  vor  sich  zu  haben.  Nach 
kurzer  Ruhepause  aber  begann  das  Spirochätenpaar  an  seinem 
vorderen  Ende  seine  gegenseitige  Verschlingung  aufzulösen,  sich 
zu  öffnen,  wodurch  Y- förmige  Gestalten  zustande  kamen.  Dieses 
Sichöffnen  und  Wiederverschlingen  wiederholte  sich  während  der 
leider  nur  etwa  15  Stunden  dauernden  Beobachtung  vielmals. 

Ob  es  sich  hiebei  nur  um  ein  zufälliges  V^orkommnis  im 
Spirochätenleben  gehandelt  hat,  oder  ob  der  geschilderte  Vorgang 
vielmehr  als  edne  geschlechtliche  Vereinigung  von  Spirochäten 
aufzufassen  ist,  kann  der  Vortragende  auf  Grund  dieser  einen 
Beobachtung  nicht  beurteilen,  glaubt  aber,  daßi  auch  die  oben 
angeführten  Y-förmigen,  dann  die  rankenartig  sich 
verschlingenden  F  o  r  m  e  n  d  e  r  S  ])  i  r  o  c  h  a  e  t  e  p  a  1 1  i  d  a  auf 
eine  analoge  Verschlingung  zweier  Spirochäten  zu¬ 
rückzuführen  sind  und  nicht  als  in  Längstei  lung  be¬ 
griffene  F  o  r  m  e  n  g  e  d  e  u  t  e 1  w  erde  n  d  ü  r  f  e  n . 

Endlich  macht  der  Vortragende  noch  auf  folgende  Erschei¬ 
nung  aufmerksam : 

Beobachtet  man  die  im  Kapillarraume  zwischen  Objekt¬ 
träger  und  Deckglas  sich  wellenförmig  dahinschlängelnde  Rossa¬ 
sche  Mund:s])eichelspirochäte,  so  sieht  man  über  den  sich  be¬ 
wegenden  Spirochätenleib  einen  oder  auch  mehrere  dunkle,  glän¬ 
zende  Punkte  mehr  oder  wmniger  rasch  dahinziehen.  Dasselbe 
Phänomen  haben  Hoffmann  und  Podwazek  bei  der  Spiro¬ 
chaete  halanitidis  heobachtet.  Sie  schreihen  .  .  .  :  Die  Bewegung 
ist  wellenförmig,  oft  mit  Rotationen  um  die  Körperachse  ver¬ 
bunden,  meist  auch  schlängelnd,  häufig  wechseln  Ruhepausen 
mit  Momenten  lebhafter  Bewegung,  w'obei  stärker  lichtbrechende 
Knotenpunkte  mehr  oder  weniger  rasch  über  den  Spirochäten¬ 
leib  dahinlaufen.  Alan  kann  sich  aber  leicht  davon  überzeugen, 
daß  diese  scheinbar  rasch  über  den  Spirochätenleib  dahin  laufen¬ 
den  glänzenden  dunklen  Punkte  davon  lierrühren,  daß  die  sich 
schlängelnd  bewegende  Spirochäte  abwechselnd  mit  immer  an¬ 
deren  Punkten  ihres  Leibes  direkt  an  das  Deckglas  anzuliegen 
kommt,  wobei  letzteres  Spiegelwirkung  entfaltet,  respektive  von 
dem  einfallenden  Tdcht  soviel  reflektiert,  bzw.  zerstreut,  daß  die 
Stelle  für  das  Auge  des  Besichtigers  dunkel  erscheint. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  8.  Februar  1907,  7  IJhr  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Dr.  A.  Kollsko  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  Oskar  Senieleder:  Verwendung  des  Körpergewichtes  zur 
Korrektur  von  Belastungsdeformitäten. 

2.  Dr.  L.  Hof  bauer :  Herzmuskelkraft  und  Kreislauf. 

Einen  Vortrag  bat  angemeldet  Herr  Dr.  C.  v.  Pirquet. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Sclirötter  Douuerstag 
den  7.  Februar  1907,  um  7  Ubr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  v.  Sclirötter. 

Programm; 

I.  Demonstrationen  angemeldet:  Doz.  Dr.  v.  Stejskal. 

II.  Prof.  Dr.  Kretz:  Postanginöse  Lymphdrüsenentzündung. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  11.  Februar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
!  Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des 
Herrn  Doz.  Dr.  A.  Hum  slattfindenden  wissenschaftlichen  Versammlung. 

!  Prof.  Dr.  Otto  Loewi :  Pharmakologisches  über  praktisch  bedeut- 

'  same  Gefäßmittel. 


Vvrantwortlicbtr  Redakteur:  Adalbert  Karl  Trapp.  Verlag  von  Wilhelm  Hraurafiller  in  Wien. 

Hrnck  von  Urnno  Hartelt,  Wien,  XVIII.,  ThercHiengnsBe  3. 


fr- 


Die 

,,Wleuer  kllulsclie 
Wocheuschrlft<* 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


'4;: 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J,  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


fF- 


Aboiinemeutsprels 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  weiden  von  allen  Buch¬ 
handlungen  und  Postämlein, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlung  übernommen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
als  erneuert. 


In  sera  t  e 

werden  mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkoramen. 


Verlaeshandlung ; 

Telephon  Nr.  17 .618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  14.  Februar  1907.  Nr.  7. 


INH 

I.  Origiiialartikel:  1.  Aus  der  ersten  chirurgischen  Klinik  in  Wien. 
(Vorstand;  Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.)  Zur  Technik 
der  Sehnennähte.  Von  Dr.  0.  v.  Frisch,  Assistenten  der 
Klinik. 

2.  Der  Pestfall  vom  Lloyddampfer  Calipso.  Von  Sanitätsinspektor 
Dr.  M  a  r  k  1. 

3.  Aus  der  III.  mediz.  Abteilung  des  k.  k.  allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  N.  Ort  n  er.)  Ueber  ein 
durch  Gelatineinjektionen  wesentlich  gebessertes  Aneurysma 
der  Arteria  anonyma.  Von  Dr.  Viktor  G  r  ü  n  b  e  r  g  e  r,  Assistenten 
der  III.  med.  Abteilung. 

4.  Aus  der  II.  internen  Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses 
in  Triest.  (Vorstand:  Primararzt  Dr.  Viktor  Liebman.)  Ueber 
Novaspirin,  ein  neues  Aspirinpräparat.  Von  Dr.  Guido 
Liebman. 

II.  Referate:  Das  Militärsanitätswesen  in  Schweden  und  Norwegen. 
Von  Dr.  Johann  Steiner.  Nasziturus.  Von  Prof.  Dr.  Friedrich 


ALT: 

A  h  1  f  e  1  d.  Ref. :  R  e  u  t  e  r.  —  Atlas  der  deskriptiven  Anatomie 
des  Menschen.  Von  Sobotta.  Das  Nerven-  und  Gefä߬ 
system  des  Menschen.  K.  v.  Bardeleben,  Lehrbuch  der 
systematischen  Anatomie  des  Menschen  für  Studierende  und 
Aerzte.  Räubers  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  Von 
Dr.  Fr.  Kopse  h.  Ref. :  Tandler.  —  Die  Handhabung  des 
Wasserheilverfahrens.  Von  Dr.  M.  van  0  o  r  d  t.  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Anwendung  und  Wirkung  heißer  Bäder,  ins¬ 
besondere  heißer  Teilbäder.  Von  Georg  Hauffe.  Zur  physi¬ 
kalischen  Therapie  der  habituellen  Obstipation  und  der 
sexuellen  Neurasthenie.  Von  Prof.  Dr.  J.  Zabludowski. 
Ref. :  B  u  X  b  a  u  m. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


Aus  der  ersten  chirurgischen  Klinik  in  Wien. 

(Vorstand:  Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.) 

Zur  Technik  der  Sehnennähte. 

Von  Dr.  0.  v.  Frisch,  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Tatsache,  daß  die  Erfolge  der  Sehriemiaht  trotz 
der  gewaltigen  Fortschritte  in  der  modernen  Chirurgie  noch 
keineswegs  hefriedigende  sind,  gibt  uns  die  Berechti¬ 
gung,  dieses  Kapitel  als  noch  nicht  abgeschlossen  zn  be¬ 
trachten.  Die  einschlägigen  Arbeiten  und  Statistiken,  in 
welchen  meist  eine  der  bekannten  Nahtmethoden  in  ihrer 
ursprünglichen  Form  oder  vom  Antor  modifiziert  empfohlen 
wird,  weisen  einen  recht  geringen  Prozentsatz  von  Hei¬ 
lungen  auf. 

So  berichtet  Math  er  aus  der  Kieler  chirurgischen  Klinik 
über  52  Sehnemiähte  mit  mir  13  vollkommenen  Wiederher¬ 
stellungen;  Teuber  aus  der  Breslauer  Klinik  über  32  Fälle 
mit  15  Dauerheilimgen ;  H  agier  hat  mit  seiner  Methode^  46®'' 
Heilung  der  Fingerbeuger,  77° o  der  Strecker;  Schüßler  17  voll¬ 
kommene  Heilungen  von  .30  Fällen;  Wolter  15  von  33;  aus 
der  Klinik  v.  Eiseisberg  konnte  ich  von  17  Fällen  (operiert 
nach  W^ölfler)  bei  der  Nachuntersuchung  zehnmal  Restitutio 
ad  integrum  konstatieren. 

Es  ist  bei  dem  meist  ambulanten  Krankenmaterial 
nicht  merkwürdig,  wenn  ein  nicht  unbedeutender  Teil  dieser 
Mißerfolge  auf  Rechnung  von  Infektion  und  mangelhafter 
Nachbehandlung  zu  schreiben  ist.  Trotzdem  kommt  man. 


*)  Auszugsweise  vorgetragen  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  18.  Januar  1907. 


vveim  man  die  den  diesbezüglichen  Arbeiten  heigegebenen 
Krankheitsprotokolle  aufmerksam  verfolgt,  zur  Ansicht,  daß 
in  manchen  Fällen  die  Sehnennaht  an  sich  nicht  gehalten 
hat,  daß  sie  sich  n.  zw.  meist  im  Beginne  der  Nachbehand¬ 
lung,  merklich  oder  nnmerklich  gelöst  hat.  Bedenkt  man, 
wie  vorsichtig  die  meisten  Anloren  hei  dieser  Nachbehand- 
Inng  zu  Werke  gehen,  wie  spät  sie  oft  damit  beginnen, 
so  kann  man  sieb  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  daß  der 
Operateur  oft  der  Haltbarkeit  seiner  Naht  nicht  gar  viel 
I  zunmtet.  Diese  Vorsicht  und  Ziirückhalhmg  mit  der  ortho¬ 
pädischen  Behandlung  kann  nicht  ohne  hemmenden  Ein¬ 
fluß  auf  die  Wiederherstelhmg  der  Funktion  sein;  denn 
je  sicherer  die  Selmeimaht  hält,  desto  früher  kann  mit 
der  Nachhehandlung  begonnen  werden  und  je  eher  dies 
geschieht,  desto  besser  das  Endresultat.  Eine  weitere  Ur¬ 
sache  für  Mißerfolge  ist  die  Verwachsung  der  Sehne  mit 
ihrer  Umgebung.  F^in  gewisser  Grad  von  Verklebung  tritt 
wohl  in  jedem  Falle  ein,  wird  aber  im  Beginne  der  Funk¬ 
tion  in  der  Begel  wieder  gelöst.  Größere  Hämatome,  Ver¬ 
lust  der  Sehnenscheide,  lange  Rnhigstellnng  nach  der  Ope¬ 
ration,  besonders  aber  entzündliche  Vorgänge  begünstigen 
die  Verwachsung. 

Wenn  wir  uns  fragen,  was  für  Anforderungen  wir 
an  eine  Sehnennaht  stellen,  so  ist  wohl  in  allererster  Linie 
die  d  a  u  e  r n  d  e  Hai  t  b  a  r  k  e  i  t  zu  nennen  und  so  leicht 
dies  manchmal  mit  einer  einfachen  Naht  zu  erreichen  ist, 
so  schwer,  ja  fast  unmöglich  erscheint  es  uns  in  anderen 
Fällen.  Ist  die  Naht  verläßlich,  so  bedeutet  eine  etwaige 
stärkere  Spannung  der  Sehnenenden  keine  Verschlechte¬ 
rung  der  Prognose.  Die  verlangte  Eigenschaft  der  dauern* 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE 


den  Haltbarkeit  schließt  es  in  sicli,  daß  das  Sehnengewebe 
nicht  etwa  (hircb  Strangulation  in  seiner  krnäbrung  ge¬ 
stört  werde,  wodurch  die  l’esligkeil  der  Naht  /u  leiden 
hätte.  Das  nächstwiclilig(‘  h'ostulat,  welches  weniger  die 
ungestörte  llfühing  der  Sehnenenden  aneinand(M’,  sondern 
melir  die  Wiederherstellung  der  l'dinklionstüchtigkeit  l)e- 
Irifft,  ist  di(‘  Heilung  in  anatomisch  richtiger  j^age- 
rung  der  Organe  und  stutzt  seine  Berechtigung  auf  den 
-Mangel  an  Elastizität  ini  Sehnengewehe.  Eine  nur  wenige 
i\lillimet(;r  betragende  Verkürzung  einer  Strecksehne  heninit 
die  Faiisthildung. 

Wolhui  wir  dies(‘r  Forderung  Rechnung  tragen,  so 
dürfen  die  Sehnenenden  hei  der  xNaht  iiicdit  neheneinandei' 
gelagert  werden;  aiudi  soll  eine  Resektion  derselben  wegen 
Ouelschung,  Auffaserung  u.  dgl.  möglichst  vermieden 
werden. 

Betrachtet  man  die  gangbaren  Nahtinetlroden  von 
diesem  Gesichlspunkl  aus,  so  fällt  es  auf,  daß  nahezu  alle 
eine  gemeinsame  Stelle  an  der  Sehne  haben,  an  welcher 
die  Durchschlijigimg  des  Badens  gemacht  wird.  Diese  he- 
lindet  sich  4  bis  ß  mm  von  dem  Querschnitt  entfernt 
und  nur  die  Art  der  Durchstechung,  die  Zahl  der  Knoten 
und  Fäden  unterscheidet  die  einzehieji  Methoden.  Dabei 
sind  dieselben  wesentlich  voneinander  verschieden  betreffs 
Zugfestigkeit,  Schonung  des  Gewebes  etc.  Der  Operateur 
setzt  alles  auf  die  Widerstandsfähigkeit  jener  Partie  der 
Sehne,  wo  er  seine  Fäden  durchgeschlungen  hat  und  da 
diese  Stellen  in  der  Regel  wenige  Millimeter  umfaßt,  die 
überdies  nicht  weit  von  dem  Querschnitt  der  Sehne  ent¬ 
fernt  ist,  so  ist  die  Sorge  um  die  Haltbarkeit  der  Naht  be¬ 
rechtigt.  Es  kann  der  Vluskelzug  die  Sehne  aus  der  Schlinge 
ziehen,  in  einem  anderen  Falle  das  ahgeschnürte  Stück  durch 
mangelhaite  Ernährung  oder  Infektion  nekrotisch  werden. 

Ijeherhlicken  wir  kurz  die  gebräuchlichsten  der 
Nahtmethoden  und  prüfen  wir  sie  auf  jene  erstgenann¬ 
ten  Eigenschaften,  die  wir  von  einer  guten  Sehnen¬ 
naht  verlangen,  die  dauernde  Haltbarkeit  hei  anatomisch 
richtiger  Lagerung  der  Gewebe,  so  können  wir  beobachten, 
wie  das  eine  der  Postulate  meist  auf  Kosten  des  anderen 
vernachlässigt  wird.  Daneben  wird  der  Vorteil  der  Einfach¬ 
heit  und  raschen  Ausführbarkeit  sehr  verschieden  hocli  be¬ 
wertet. 

Ich  will  hier  betonen,  daß  man  in  vielen  Fällen  (bei 
Irischer  und  einfacher  Durchschneidung  dicker  Sehnen  im 
lockeren  Gewebe)  wohl  jedes  der  angegebenen  Verfahren, 
soferne  keine  Verkürzung  resultiert,  mit  gutem  Erfolg  an¬ 
wenden  kann.  Doch  sind  die  Fälle  tatsächlich  fast  ebenso 
häufig  in  irgendeiner  Weise  kompliziert  und  ich  will  nur 
auf  die  eingangs  notierten  statistischen  Zahlen  hin  weisen, 
lim  anzude Ilten,  wie  häufig  der  gewünschte  Erfolg  aus¬ 
bleibt  und  der  Betroffene  oft  sehr  empfindliche  Einschrän¬ 
kungen  seiner  Erwerbsfähigkeit  erleidet. 

W  Ölflors  erste  Methode  tiat  den  Vorzug,  itaß  die  prak- 
liscdie  provisorisclje  AnsehÜnguiig  zur  definitiven  Naht  henätzt 
wil'd;  auch  wird  der  größere  Teil  der  Sehne  in  keiner  Weise  durch 
Druck  odei'  Strangulation  lädiert;  die  Naht  ist  fest  und  kann  hei 
Sehnen  jeden  Kalibers  oline  Schwierigkeit  angelegt  werden.  Sie 
wurde  an  der  Kdinik  v.  Eiselsherg  bisher  allen  anderen  Me¬ 
thoden  vorgezogen  und  mit  günstigen  Resultaten  angewendet. 

Die  früher  nicht  seltene  Abstoßung  der  angeschtungenen 
Gewebsbündel,  welche  leicht  zur  Fistelhildung  führte,  hat 
W  öl  ft  er  seihst  veranlaßt,  eine  weitere  Methode  zu  ersinnen. 
Diesellie  umgeht  den  Fehler  der  Abschnürung,  indem  die  Sehne 
in  einer  pai'allel  zum  Querschnitt  gedachten  Ebene  mehrfach 
durchstochen  wird  unit  leistet  in  Fällen  geringer  Spannung  gute 
Dienste.  Dei  stärkerer  Diastase,  schlecht  ernährten  oder  aufge¬ 
faserten  Sehnenenden  muß  man  dem  Verfatiren  den  Vorwurf  der 
fnsicherludt  machen.  Außerdem  ist  diese  Methode  hei  dünnen 
Si'hnen  meist  sctiwei'  ausführbar.  Schüßlcr,  der  das  große 
-Material  der  Billrothsclien  Klinik  verarbeitete,  nimmt  es  als 
selbstverständlich  an,  daß  liei  Wölflers  erster  Methode  die 
ligierten  Faserliündei  nekrotisch  werden,  vertäßt  sich  aller  auf 
die  Langsamkeit,  mit  welcher  dieser  -Vhstoßungsprozeß  vor  sich 
geld,,  wälu'enddes’sen  die  Sehne  genügend  Zeit  habe,  zu  ver- 


WOCHENSCHRIFT.  1907. 


I 

heilen.  Er  tritt  mehr  für  die  zweite  Methode  ein.  die  er  verein¬ 
facht  und  derart  modifiziert,  daß  sic  auch  an  dünnen  Sehnen 
ausgidTilu'L  weiden  kann. 

Witzei  erzielt  mit  seinen  zwei  ziemlich  weit  i'onein- 
ander  angelegten  llalti'scldingen  eim*  ganz  bedeutende  Festig¬ 
keit.  Diese  Schlingen,  welche  1  bis  2  cm  vom  Querschnitt  ent¬ 
fernt  angelegt  werden  und  quer  durcli  die  Mitte  der  Seime  ge¬ 
führte,  lose  geknüpfte  starke  Fäden  darstellen,  dienen  anfangs 
nur  dazu,  das  Adaptieren  und  Vernähen  der  Wundflächen  mit 
zwei  feinen  Catgutfäden  zu  erleichtern;  zum  Schluß  werden 
sie  ebenfalls  geknüpft  und  haben  in  erster  Linie  das  Ausein¬ 
anderweichen  zu  verliüten.  Das  Verfahren,  welches  im  übrigen 
unseren  Forderungen  noch  am  idiesten  entspricht,  hat  meines 
Erachtens  den  Nachteil,  daß  auf  ein  und  derselben  Fläche  der 
Sehne  nicht  allein  fünf  Knoten,  sondern  auch  ein  4  cm  langer, 
starker  Seidenfaden  zu  liegen  kommt,  der  die  spätere  Gleitfähig¬ 
keit  diM'  Sehne  zu  hemmen  imstande  ist. 

Trnka  bildet  durch  kunstvolle  Verschlingung  eines  PMilens 
zwei  anscheinend  voneinander  isolierte  Nälite.  Denkt  man  sich 
die  Naht  mit  zwei  Fäden  ausgeführl,  so  bedeutet  sie  die  denkbar 
einfachste  Vereinigung  der  Selinenenden,  durch  eine  zweite,  in 
gleictier  Art  geführte  Sclilinge  vei'stärkt;  diese  supiionierte  vVrt 
hätte  sogar  vor  Trnka.s  V'erfahren  den  \'orteil,  daß  das  Nach¬ 
lassen  einer  Scldinge  die  Naht  nicht  zur  Lösung  liringen  muß, 
während  geradi'  die  Zusammengeliörigkeit  Trnka  s  beider 
Schlingen  durcli  das  Nachlassen  einer  derselben  von  verhängnis¬ 
voller  Redeutung  sein  muß.  Einen  weiteren  Mangel  an  Trnkas 
Methode,  welcher  darin  besteht,  daß  die  Fadenschlingen  an  allen 
vier  Stellen  in  idn  und  derseltien  Ebene  die  Sehne  perforieren,, 
beseitigt 

Friedrich,  indem  er  die  Fäden  in  zwei  aufeinander 
senkrecht  stehenden  Ebenen  durctifütirt ;  vor  ihm  hatte  Hägler 
bereits  sich  einer  ähnlichen  Methode  liedient,  wobei  die  äußere 
Naht  durch  zwei  neheneinander  liegende  Fäden  vertreten  war. 

Schwartz  legt,  um  das  Ahgleiten  des  durchgeführten 
Fadens  zu  verhüten,  an  jedem  Sehnenende  eine  strangulierende 
Schlinge,  welche  er  fest  knüpft.  Diese  Schlingen  gefährden  aber 
lucht  unbedeutend  die  Lebensfähigkeit  des  ahgeschnürten  Ge¬ 
webes,  weshalb  wdr  die  Methode  nicht  empfetden  können. 

Kochers  Naht  sticht  am  Querschnitt  der  Sehne  ein,  er¬ 
reicht  eini'  genaue  Adaptierung  und  quetscht  das  Gewebe  nicht. 
Kocher  ist  mit  seinem  Prinzip  der  direkte  Vorläufer 
Langes.  Seine  -Methode  leidet  aber  sehr  an  Zugfestigkeit.  Sie 
ist  in  dieser  Beziehung,  wie  ich  mich  am  Kadaver  überzeugte, 
mit  dei'jenigen  Trnkas  zusammen  die  schwächste. 

Die  übrigen  Vorschläge  zur  Sehnenvereinigung  (Le  Deutu 
et  Remoise,  Baum,  Hueter,  Mourque,  Nehinger),  welche 
im  wesentlichen  dieselben  Vor-  und  Nachteile  wie  die  bereits 
besprochenen  haben,  will  ich  übergehen  und  nur  mehr  der  Art 
und  Weise  gedenken,  in  welcher  Suter  seine  Naht  anlegt. 
Sein  Verfahren  ist  das  jüngsfe  und  um  so  merkwürdiger  ist  es, 
daß  Suter  die  wohlbegründeten  Postulate,  welche  im  Laufe 
der  Jahre  bezüglich  der  Technik  der  Sehnennähte  aufgestellt 
wurden,  außer  acht  läßt.  Er  durchsticht  ein  jedes  der  Sehnen¬ 
enden  an  einer  hestimmten  Stelle  in  vier  verschiedenen  Durch¬ 
messern  derart,  daß  sich  die  Fäden  im  Zentrum  des  Quer¬ 
schnittes  treffen.  Die  so  angeschlungenen  Sehnen  werden  nun 
nach  separater  Knüpfung  der  Fäden  nebeneinander  gelagert  und 
durch  einen  dritten  Knoten  zur  seitlichen  Berülirung  gebracht. 
Diese  Methode  soll  die  Vorteile  bieten  der  besonderen  Festigkeit, 
sowie  der  raschen  und  einfachen  Ausführbarkeit  ohne  Assistenz. 

Verfolgt  man  die  vorgeschriehene  Fülirung  des  Fadens, 
so  muß  man  wohl  einwenden,  daß  dieselbe  nicht  leicht  im 
Gedächtnis  zu  behalten  ist;  auch  kann  ich  mir  nicht,  gut  vor¬ 
stellen,  warum  gerade  diese  Naht  besonders  rasch  ausführbar 
sein  'Soll.Q 

Nebenbei  bemerkt,  muß  dieselbe,  da  sie  die  Sehne  in 
vier  Quadranten  ihres  Querschnittes  faßt  und  quetscht,  älmlich 
der  von  Schwartz  angegebenen  Naht  das  Gewebe  in  seiner 
Ernährung  gefährden.  Suter  erspart  die  Assistenz,  indem  er 
durch  das  Neheneinandeidegen  der  Sehnenenden  die  adaptierende 
Hand  des  Gehilfen  entbehrt.  Wir  können  uns  damit  nicht  be¬ 
freunden,  bloß  um  einen  Assistenten  zu  ersparen,  solche  ab¬ 
norme  Veihältnisse  herzustellen.  Wir  halten  fest  an  dem  Be¬ 
streben,  die  anatomischen  Verliältnisse  nach  Möglichkeit  wieder- 

’)  Suter  betont  in  seiner  Arbeit,  daß  es  darauf  ankommt, 
möglichst  rasch  die  Vereinigung  zu  erzielen  und  daß  seine  Methode  in 
ein  Drittel  bis  ein  Viertel  der  sonst  nötigen  Zeit  ausgeführt  werden  kann. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


185 


iierzuslelleii,  ein  iTiiizijj,  das  in  der  ganzen  Chirurgie  seine 
berechtigte  Anwendung  tindel.“) 

Aus  dieser  Suter  sehen  Nebeneinandersclialtung  resultiert 
eine  \’erdickung  an  der  Naldstelle  und  eine  Verkürzung  der 
Sehne.  Soll  letztere  aus  naheliegenden  Gründen  möglichst  gering 
sein,  so  muß-  die  Durchl'lechtung  der  Sehne  näher  ihrem  Ende 
angelegt  werden,  welcher  Umsland  wieder  die  Gefahr  des  leichlen 
Ausreißens  der  Fäden  mil  sich  bringl.  Den  Vorwurf  der  Ver¬ 
kürzung  macht  sich  Suter  selbst,  begegnet  demselben  aber 
damit,  daß  er  auf  die  große  Dehnbarkeit  des  ausgebiMeten  Binde¬ 
gewebes  hinweist,  ein  Argument,  dessen  Bedeutung  bei  den 
durch  die  INaht  doch  dauernd  vereinigten  Sehnenenden  und  dem 
außerordentlich  geringen  Elastizitätskoeffizienten  des  Setmenge¬ 
webes  nichl  recht  verständlich  erscheint.  Ferner  sagt  Suter 
selbst;  ,, Handelt  es  sich  um  eine  Verletzung  von  Extensoren, 
so  muß  allei’dings  durch  eine  etwas  früher  einsetzende,  äußerst 
sorgfältige  und  länger  durchgeführte  orthopädische  Nachbehand¬ 
lung  versucht  werden,  jede  Verkürzung  zu  vermeiden“  —  eine 
Komplikation  in  der  Behandlung,  die  gerade  bei  den  so  leicht 
zu  heilenden  Extensorensehnen  gegen  die  Methode  Suters 
spricht. 

Daß  die  eigenartige  Vemähung,  durch  welche  eine  knotige 
Verdickung  entstehl,  insbesondere  dort,  wo  wir  nach  lieendeter 
Naht  der  Sehne  ihre  Scheide  zu  vernähen  pflegen,  die  exakte 
Vollendung  der  Operation,  sowie  die  spätere  Gleitfähigkeit  des 
Gewebes  leicht  stören  kann,  liegt  auf  der  Hand. 

* 

Ein  Verfahren,  welches  diesen  allen  anderen  Me¬ 
thoden  anhaftenden  Mangel  nicht  in  sich  trägt,  ist  die  von 
Lange  angegebene  Durchflechtnng  der  Sehne  und  es  ist 
nnr  zu  verwundern,  daß  dieselbe  außer  in  der  orthopädi¬ 
schen  Chirurgie  so  wenig  Anklang  findet,  obwohl  sie  vom 
Erfinder  wiederholt  und  auch  für  die  Unfallschirurgie  em¬ 
pfohlen  wurde.  Obgleich  diese  Methode  bereits  seit  sieben 
Jahren  geübt  wird,  gelang  es  mir  nicht,  in  der  Literatur 
einen  Bericht  zu  finden,  welcher  die  Verwertung  derselben 


bei  den  Verletzungen  der  Hand-  und  Fingersehnen  beträfe. 
Lange  durchflicht  (Fig.  Ij,  vom  Querschnitt  der  Sehne  he- 
ginnend,  dieselbe  in  einer  Ausdehnung  von  mehreren  Zenti¬ 
metern,  sowohl  distal  als  proximal,  überträgt  somit  die  Be¬ 
lastung  auf  eine  ansehnliche  Strecke  der  Sehne,  während  fast 
alle  anderen  Methoden,  wie  bereits  bemerkt,  den  ganzen  Zug 
und  Druck  an  einer  bestimmten  Stelle  u.  zw.  recht  nahe 
dem  Querschnitt  wirken  lassen.  Darin  liegt  der  wesent¬ 
liche  Vorteil  und  gerade  in  der  Verwertung  eines  größeren 
Abschnittes  der  meist  leicht  darstellbaren  Sehne  die  Lösung 
des  Problems. 

Die  Lange  sehe  Sehnennaht  ist  außerordentlich  fest, 
ohne  kompliziert  zu  sein;  sie  quetscht  das  Gewebe  nicht, 
indem  sie  an  keiner  Stelle  zirkulär  verläuft.  Sie  gestattet 
durch  ihre  Fadenführung  ein  genaues  Adaptieren  der  Quer¬ 
schnitte.  Ferner  liegen  die  Punkte  der  größten  Belastung 
am  weitesten  von  den  Sehnenenden  entfernt  und  dies  ist 
meines  Erachtens  von  großer  Bedeutung.  Denn  erstens  be¬ 
dingt  ein  eventuelles  Nachgeben  der  Naht  durch  zu  hef¬ 
tigen  Zug  noch  lange  nicht  das  Aufgehen  derselben;  zwei¬ 
tens  ist  das  Gewebe  desto  besser  ernährt,  je  weiter  man 
sich  von  der  ursprünglichen  Stelle  der  Verletzung  ent¬ 
fernt,  so  daß  diese  stärkere  Belastung  füglich  auch  einen 
widerstandsfähigeren  Teil  des  Organes  betrifft.  Schließlich 
kann  eine  eventuell  auftretende  lokalisierte  Entzündung 
nicht  leicht  die  Naht  lockern,  viel  weniger  zur  Abstoßung 
bringen.  Weiters  hat  der  Faden  nur  einen  Knoten,  ein 
Vorteil,  der  bezüglich  der  Gleitfähigkeit  der  geheilten  Sehne 
nicht  belanglos  ist.  Die  enorme  Zugfestigkeit  der  Naht, 

*)  Lejars  schreibt  in  seiner  »Technik  dringlicher  Operationen«: 
Das  regelrechte  Aneinanderlegen  ist  für  die  feste  Vereinigung  die  Haupt¬ 
sache;  die  Sehne  wird  um  so  besser  ihre  glatte  Gestalt  und  ihre  normale 
Funktion  erhalten,  wenn  sie  regelmäßig  aneinandergenäht  ist. 


welcher  ehie  odwaigc'  Oiielschimg,  mangelhafte  Ei'iiährung, 
Auffaserung  oder  Infektion  der  Selmeneiiden  kaum  etwas 
anhaben  kann,  gestattet  uns,  sehr  bald  mit  der  Nachbehand¬ 
lung  zu  beginnen,  wodurch  unliebsamen  Vcrwachsimgc'ii 
vorgebeiigt  und  das  ftmklionolle  Besultat  günslig  l.u'ein- 
tlußt  wird. 

Man  könnte  einwenden,  daß  eine  derart  feste  An- 
schlingung  nicht  notwendig  sei;  demgegenüber  wäre  zu 
betonen,  daß  die  Methode  in  Fällen  von  veralteten  Sehnen¬ 
verletzungen,  in  welchen  oft  eine  nicht  unbedeutende  Dia¬ 
stase  der  Sehnenenden  besteht,  es  ermöglicht,  eine  Be¬ 
rührung  der  Querschnitte  dennoch  zu  erzielen  und  so  in 
manchen  Fällen  die  stets  unsicdiere  Sehnenverlängerung  zu 
umgehen. 

Der  Einwand,  man  lege  die  Sehne  unnötig  weit  frei, 
wird  durch  die  Erfahrung  entkräftet,  daß  man  das  proxi¬ 
male  Sehnenende  nach  seiner  Auffindung  stets  leicht  in 
die  Wunde  vorziehen  kann;  auch  am  distalen  Stumpf  ge¬ 
lingt  dies  ohne  besondere  Erweiterung  der  Wunde,  soferne 
dieselbe  nicht  allzu  nahe  der  Insertion  gelegen  ist;  in  letz¬ 
terem  Falle  ist  die  Langesche  Naht  in  ihrer  typischen 
Weise  nicht  durchführbar  und  muß  modifiziert  zur  Aus¬ 
führung  kommen. 

Außer  diesen  speziellen  und  den  anfangs  (erwähnten 
allgemeinen  Vorteilen  bietet  das  Verfahren  noch  folgejide; 
1.  Bei  Verletzimgen  mehrerer  Sehnen,  welche  unmittelhar 
neben-  oder  übereinander  liegen,  können  die  Seideuknoten 
abwechselnd  am  distalen  und  proximalen  Teile  geknüpft 
werden;  2.  gestattet  die  große  Haltbarkeit  der  Schlinge  und 
die  damit  verbundene  Möglichkeit,  auch  weiter  voneinander 
entfernte  Schnittflächen  gut  und  sicher  zu  vereinigen,  die 
Sehnennaht  zur  Zeit  d  e  r  Wahl  a  u  s  z  u  t  ü  h  r  e  n.  Wir 
hahen  es  uns  zur  Hegel  gemacht,  bei  jeder  zur  Behand¬ 
lung  kommenden  frischen  Sehnenverletzung  mit  aseptischen 
und  antiseptischen  Verbänden  die  Zeit  abzuwarten,  in  wel¬ 
cher  sich  eine  eventuelle  Infektion  zur  Entzündung  a.us- 
bilden  konnte,  in  der  Regel  keine  Sehnenverletzung  mehr 
vor  Ablauf  des  vierten  Tages.^) 

Ich  habe  die  Lau  ge  sehe  Methode  bisher  an  26  Sehnen 
angewendet;  von  den  13  Patienten  konnte  über  drei  ein 
definitives  Resultat  nicht  festgestellt  werden;  doch  waren 
zwei  von  denselben  geheilt  aus  der  Behaudlung  entlassen 
worden.  Zwei  Fälle  sind  erst  in  allerletzter  Zeit  operiert 
worden;  ein  Patient  blieb  ungeheilt.  ln  diesem  Falle  han¬ 
delte  es  sich  um  die  Durchschneidung  des  Flexor  i)ollucis 
longus  über  der  ersten  Phalanx  mit  darauffolgender  Eite¬ 
rung.  Durch  die  Sehnennaht  flackerte  die  fast  ausgeheilte 
Entzündung  wieder  auf  und  es  entstand  eine  Phlegmone, 
in  deren  Gefolge  der  Finger  steif  blieb.  Die  übrigen  sieben 
Fälle  sind  geheilt.  Bei  denselben  kam  die  Naht  einmal 
nach  neun,  zweimal  nach  drei  Wochen  zur  Ausführung; 
die  übrigen  Patienten  wurden  am  vierten  bis  sechsten  Tage 
nach  der  Verletzung  operien. 

Da  speziell  einer  dieser  Fälle  ganz  besonders  für  die 
in  Rede  stehende  Nahtmethode  spricht,  will  ich  die  Kran¬ 
kengeschichte  hier  kurz  wiedergeben. 

W.  J.,  42jähriger  Schneider.  Tentainen  suizid.  Durcli- 
trennung  aller  Beugesehnen  des  linken  Vorderarmes,  des  Nervus 
medianus  und  ulnaris,  der  Arteria  radialis  und  idnaris, 
drei  Querfinger  vom  Handgelenk  entfernt.  Blutstillung,  anti- 
septischer  Verband.  Nach  drei  Wochen  Nerven-  und 
Sehnennaht  (Lange).  Obwohl  wegen  Verletzung  beider 
Arterien  volle  drei  Wochen  mit  der  Operation  gewartet  wurde, 
kam  es  dennoch  zur  leilweisen  Nekrose  der  Hautla])pen;  es 
trat  eine  heftige  Phlegmone  auf,  die  erst  nach  mehreren  Wochen 
zur  Ausheilung  kam.  Di(‘  Nachbehandlung  setzte  demnach  erst 
in  der  achten  Woche  nach  der  Verletzung  ein  und  erzielte  ein 
vollkommenes  Resultat.  Es  hatte  sicli  keine  der  Seimen  ah- 
gestoßen;  Pat.  kann  eine  kräftige  Faust  bilden,  die  Fing(‘r 
einzeln  beugen  und  vollkommen  strecken. 


h  Eine  Ausnahme  bildet  die  Durchtrennung  des  langen  Daumen¬ 
beugers  in  der  Höhe  der  II.  Phalanx  wegen  der  hier  sehr  ndßlichen 
Retraktion  des  proximalen  Stumpfes. 


löf'- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


Im  Laufe  der  Zeit  haben  sicli  mir  mehrere  klei)ie 
xMoclifikationen  des  Verfahrens  als  zweckmäßig  erwiesen. 
Zunächst  lege  ich  jetzt  häufig  eine  kleine,  locker  geschürzte 
Adaptionsnaht  durch  die  Selmenenden  nach  dem  Knüpfen 
des  langen  Fadens.  Ich  gehe  dahei  derart  vor,  daß  ich 
die  Sehnen  mit  dem  ersten  Faden  auf  2  bis  3  mm  ein- 
andei'  nähere,  während  die  zweite  Naht  den  in  der  Dnrch- 
flechlung  befindlichen  Teil  der  Sehne,  welcher  häufig  etwas 
gewellt  verläuft,  vollkommen  strafft  und  genau  adaptiert. 
Diese  Schlinge  hat  keinen  Zug  auszuhalten,  soll  vielmehr 
die  genaue  Berührung  der  ORorschnitfe  verbürgen.  Fehlt 
die  Si)annung  der  Sehnenenden,  so  kann  man  sie  auch 
leicht  entbehren. 


In  Fällen,  wo  die  Zeit  der  V^erletzung  weit  zurück¬ 
liegt,  die  Sehnenenden  atrophisch  geworden  sind  und  sich 
leicht  auffasern,  desgleichen  wenn  die  Sehne  nahe  dem 
IJebergang  zu  ihrem  Muskel  durchtrennt  ist,  bediene  ich 
mich  statt  der  typischen  L an  gesehen  Methode  einer  Art 
fortlaufenden  Naht  (Fig.  2),  welche  den  seitlichen  Rand 
der  Sehne  in  weiten  Abständen  spiralförmig  faßt,  im  übrigen 
aber  der  alten  Naht  gleich blei])t.  Diese  Modifikation,  welche 
nebenbei  bemerkt  außerordentlich  rasch  ausführbar  ist,  er¬ 
möglicht  es,  dem  Faden  auch  im  Muskel  genügend  Halt 
zu  verschaffen;  sie  hält  weiters  hei  aufgefaserter  Sehne 
dm  einzelnen  Bündel  beisammen.  Auch  bei  besonders 
uünnen  Sehnen,  die  wegen  stärkerer  Diastase  eine  andere 
Nahtmethode  schwer  vertragen,  hat  sich  mir  dieses  Ver¬ 
fahren  als  praktisch  gezeigt. 

Ist  die  Sehne  nahe  ihrem  Ansatz  durchtrennt,  so  ist 
für  eine  Durchflechtung  das  distale  Stück  zu  kurz.  In  sol¬ 
chen  Fällen  schlinge  ich  bloß  das  proximale  Ende  nach 
Lange  an  und  lege  am  anderen  Ende  die  zweite  Naht 
nach  Wölfl  er  an  fFig.  3). 

Ebenso  oder  in  ähnlicher  Weise  muß  unter  Ilmstän- 
den  vorgegangen  werden,  wenn  es  sich  um  die  Naht  sehr 
tief  gelegener  Sehnen  handelt.  Immer  aber  trachten 
wir,  die  Langesche  Methode  auszutühren,  indem 
wir  dieselbe  bei  ihrer  Einfachheit  als  die 
sicherste,  schonendste  und  exakteste  befunden 
haben;  sie  bietet  allen  anderen  gegenüber  den  Vorteil, 
daß  die  Belastung  der  Sehne  auf  einen  größeren  Abschnitt 
derselben  verteilt  wird. 

Literatur: 

M  ä  t  h  e  r,  Die  Resultate  der  Sehnennaht  aus  der  königl.  Chirurg. 
Klinik  zu  Kiel.  I.-D.,  Kiel  1903.  —  T  e  u  b  e  r,  lieber  Sehnennähte. 
I.-D.,  Breslau  1902.  —  H  ä  g  1  e  r,  Beilräge  zur  klin.  Chirurgie,  Bd.  16. 

—  Lange,  Operationen  an  den  Weichteilen.  Handbuch  der  orthopädischen 
Chirurgie  1904,  H.  2.  —  W  ö  1  f  1  e  r,  Wiener  med.  Wochenschrift  1884, 
Nr.  52  und  1888,  Nr.  1.  —  Schußler,  Sehnennähte  an  der  Klinik 
Billroths.  Sammlung  med.  Schriften.  Wiener  med.  Wochenschrift  1890 

—  Witzei,  Volkmanns  Sammlung  klin.  Vorträge  1887,  Nr.  291.  — 
Trnka,  Zentralblatt  für  Chirurgie  1893,  Bd.  12.  —  Friedrich  Hand¬ 
buch  der  prakt  Chirurgie,  Bd.  4.  —  Schwartz,  Sur  la  reparation  des 
tendons  etc.  Bull.  d.  1.  Soc.  d.  Chir.  d.  Paris,  Mai  1888.  —  Suter 
Archiv  für  klin.  Chirurgie,  Bd.  72,  S.  725.  —  Wolter,  Heber  die 
funktionelle  Prognose  der  Sehnennaht.  Archiv  für  klin,  Chirurgie  1888, 


Der  Pestfail  vom  Lloyddampfer  Calipso. 

Von  Sanitätsinspektor  Dr.  Markl. 

Das  Vorkommen  von  sporadischen  Pestfällen  in  Hafen¬ 
städten  und  auf  Schiffen  ist  hei  dem  regen  Schiffverkehre 
mit  überseeischen  Lämlern  keine  Seltenheit;  der  letzte 
Trieste!'  Fall  scheint  mir  :iher  in  mancher  Beziehung  in¬ 
teressant  zu  sein,  um  in  der  Literatur  verzeichnet  zu 
werden. 

Um  gleich  in  medias  res  zu  gehen,  will  ich  vorher 
bemerken,  daß  ich  das  Interessante  an  dem  Falle  darin 
erblicke,  daß  er  bei  einem  Individuum  vorgekommen  ist, 
welches  nie  in  überseeischen  Ländern  gewesen,  auf  einem 
Schiffe,  das  mit  pestverseuchten  Häfen  nicht  verkehrte  und 
lediglich  den  Frachten  verkehr  der  aus  Indien  herstammen¬ 
den,  für  Venedig  bestimmten  Waren  vermittelte.  Dieser 
Dampfer  beherbergte,  wie  sämtliche  Schiffsmannschaft  aus¬ 
sagte,  und  wie  ich  mich  davon  durch  wiederholte  sehr  in¬ 
tensive  Schwefelräucherung  auch  überzeugt  hatte,  absolut 
keine  Ratten,  was  dadurch  zu  erklären  ist,  daß  das  Schiff 
zumeist  die  Ladung  und  Ausschiffung  mittels  Lichterboote 
besorgt  und  keine  Küche  führt  und  daher  auch  keine  Lebens¬ 
mittel  für  Ratten  besitzt.  Aber  auch  das  andere  Schiff,  von 
welchem  die  ,, Calipso“  die  aus  Indien  herstammenden  Waren 
(Jute,  Baumwolle,  Oelsamen)  für  Venedig  übernahm,  und 
welches  daher  für  die  Aetiologie  des  Pestfalles  in  Betracht 
kommt,  die  ,, Austria“,  war  fast  rattenfrei.  Bei  der  nach  der 
Feststellung  des  Pestfailes  unmittelbar  vorgenommenen 
Rattenvertilgung  mittels  Schwefelräucherung  wurden  nur 
zwei  Ratten  und  18  Mäuse  vorgefunden,  die  bei  der 
bakteriologischen  Untersuchung  keine  Anzeichen  einer  Pest¬ 
infektion  erkennen  ließen. 

Man  könnte  wohl  gerade  diesen  Umstand,  daß  einer 
der  größten  Lloyddampfer  fast  rattenfrei  befunden  wurde, 
dahin  deuten,  daß  vielleicht  vorher  auf  dem  Schiffe  eine 
Rattenpest  herrschte,  der  bereits  die  meisten  Ratten  zum 
Opfer  gefallen  sind.  Dieser  Hypothese  muß  man  jedoch  die 
Tatsache  gegenüberhalten,  daß  die  ,, Austria“  ein  modernes, 
ganz  aus  Eisen  konstruiertes  Schiff  ist,  auf  welchem  die 
Ratten  notorisch  keine  günstigen  Existenzbedingungen 
finden.  In  der  Tat  wurden  nach  einer  vor  einem  Jahre 
ausgeführten  Schwefelräucherung  nur  14  Ratten  vorge¬ 
funden,  eine,  im  Verhältnis  zu  anderen  Schiffen,  die  mit¬ 
unter  Hunderte  von  Ratten  beherbergen,  ganz  unbedeu¬ 
tende  Zahl. 

Noch  interessanter  als  die  dunkle  Aetiologie  des  in 
Rede  stehenden  Pestfalles  dürfte  der  Umstand  sein,  daß 
der  Fall  vereinzelt  geblieben  ist,  trotzdem  die  Möglichkeit 
zur  Uebertragung  der  Krankheit,  nach  allen  Umständen  be¬ 
urteilt,  reichlich  gegeben  w^ar. 

Wenn  man  bedenkt,  daß  der  mit  Lungenpest  behaftete 
Patient  noch  einige  Stunden  vor  dem  Tode  mit  zahlreichen 
Personen  verkehrte.  Besuche  abstattete,  das  Krankenzimmer 
mit  anderen  zwölf  Patienten  teilte,  daß  ferner  in  dem  Bette 
des  Kranken  an  Bord  unmittelbar  nach  dessen  Ausschiffung 
ein  anderer  Matrose  schlief,  ohne  daß  durch  diesen  engen 
Verkehr  weitere  Pesterkrankungen  zustande  kamen,  kann 
man  sich  wohl  nicht  wundern,  wenn  selbst  hochgestellte 
Persönlichkeiten  den  Pestcharakter  dieses  Falles  bezwei¬ 
felten.  Und  dieser  Umstand  ist  mir  auch  ein  Beweggrund, 
den  Sachverhalt  im  nachstehenden  der  Oeffentlichkeit  mil¬ 
zuteilen. 

Am  10.  November  1906  habe  ich  erfahren,  daß  hei  dei' 
am  9.  November  ausgeführlen  Obduktion  der  Leiche  des  Steuer¬ 
mannes  xV.  D.  vom  Lloyddampfer  ,, Calipso“,  welcher  am  7.  No¬ 
vember  krankheitshalber  ausgeschifft  wurde  und  einen  Tag  spätei' 
im  hiesigen  allgemeinen  Krankenhause  starb,  verdächtige  Sym¬ 
ptome  vorgefunden  wurden. 

Die  soforl  eingeleiteten  Erhebungen  ergaben,  daß  der  Ge¬ 
nannte  am  7.  November  zu  Fuß  in  die  Ambulanz  des  Lloyd¬ 
arztes  sich  begab  und  von  diesem,  da  Symptome  einer  fieber¬ 
haften  Krankheit  und  Ikterus  Vorlagen,  in  das  Spital  venviesen 
wurde. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


187 


Jin  Spitale  diagnostizierte  man  olme  einen  Verdacht  zu 
schöpfen,  Pneumonie  und  als  nach  zwölfstündigem  Spitalsauf¬ 
enthalte  der  Exitus  eintrat,  führte  man  24  Stunden  später  wie 
gewöhnlich  die  Obduktion  der  Leiche  aus.  Dabei  wurde,  wie  mir 
der  Prosektor  der  Anstalt,  Herr  Dr.  Ferrari,  liebenswürdig 
mitteilte,  eine  Bronchopneumonie,  ferner  Vereiterung  einer  Bron¬ 
chialdrüse,  Ikterus,  Milztumor  und  Degeneration  der  parencliy- 
matösen  Organe  vorgefunden. 

In  den  Ausstrichpräparaten  aus  der  Lunge  und  der  ver¬ 
eiterten  Lymphdrüse  waren  bipolargefärbte.  Gram  -  negative,  l)läs- 
chenartige  Gebilde  zu  erkennen,  welche  auf  den  ersten  Blick 
an  die  Involutionsformen  des  Pestbazillus  erinnerten.  ^ 

Auf  Grund  dieses  Befundes  bezeichnete  Dr.  Ferrari  den 
Fall  als  pestverdächtig  und  verständigte  die  kompetenten  Be¬ 
hörden.  . . 


Reinkultur  vom  Calipsoslamm,  24  Stunden  alt. 
Karbolfuchsinpräparat. 


Fig.  2. 

Agarkolonien  vom  Calipsoslamm,  48  Stunden  alt. 

Als  ich  von  dem  Falle  erfahren  hatte,  war  die_  Leiche 
bereits  vernäht,  so  daß  ich  nicht  in  der  Lage  war,  mica  \  on 
den  pathologisch-anatomischen  Veränderungen,  welche  hei  der 
Autopsie  gefunden  wurden,  persönlich  zu  überzeugen.  Den  Befund 
in  den  Ausstrichpräparaten  aus  der  Lunge  und  Bronchialdrüse 
konnte  ich  jedoch  bestätigen. 

Bei  der  Obduktion  hat  Dr.  Ferrari  mit  dem  verdächtigen 
Materiale  zwei  Agarröhrchen  beschickt  und  bei  Bruttemperatur 
stehen  gelassen.  Nach  24  Stunden  waren  einige  gelbbiauue, 
mehrere  Millimeter  im  Durchmesser  fassende,  dann  aber  auch 
kleinere  Kolonien  entwickelt,  deren  nähere  Untersuchung  jedoch 
erschwert  war,  weil  gerade  die  verdächtigen  Kolonien  nahe  dem 
Boden  der  Röhrchen  lagen,  so  daß  man  sie  unterm  Mikroskop 
mit  stärkeren  Linsen  nicht  einstellen  konnte. 

Diese  Kulturen,  die  mir  Herr  Dr.  Ferrari  liebenswürdig 
überließ,  bildeten  das  Ausgangsmaterial  für  meine  Untersuchungen. 

Am  10.  November  abends  wurden  mit  diesen  Kulturen 
vier  Meerschweinchen,  zwei  Ratten  und  zw^ei  Mäuse  teils  sub¬ 
kutan,  teils  intraperitoneal  infiziert.  Außerdem  wurde  das  ver¬ 
dächtige  Material  zwei  Meerschweinchen  in  die  rasierte,  unver¬ 
letzte  Haut  eingeriehen. 

Am  11.  November  früh,  also  zwölf  Stunden  nach  der 
Infektion,  wurden  alle  Tiere  bis  auf  die  perkutan  geimpften  zwei 

Meerschweinchen  tot  aufgefunden.  _ 

Bei  der  Obduktion  der  Meerschweinchen  konstatierte^  ich 
hämorrhagische  Peritonitis  mit  unzähligen  Bazillen  im  Exsu¬ 
date,  welche  der  Form  und  dem  Tinktionsvermögen  nach  den 


Pestbazillen  entsprachen  und  mit  Gentiana-Alaun-Tanniu  gefäiht, 
deutliche  Kapseln  erkennen  ließen. 

Im  Herzblute  der  Meerschweinchen  waren  sehr  siiärlicli 
Bazillen  vorhanden. 

Die  Ratten  und  Mäuse  wiesen  leichte  Hyperämie  des  sub¬ 
kutanen  Gewebes,  Milztumor  und  zahlreiche  Bazillen  im  Blute 
auf,  welche  mit  alkoholischem  Methylenblau,  sowie  mit  ver¬ 
dünntem  Karbolfuchsin  die  charakteristische  Polfärbung  zeigten. 

Die  vom  HerzbluLe  der  gestorbenen  Tiere  angolegtcii  Agar¬ 
kulturen  zeigten  starke  Verunreinigung  mit  einem  Koli stamm, 
jene,  die  von  den  Tieren  stammten,  welche  mit  vier  Kultur  von 
der  Drüse  infiziert  waren,  außerdem  Verunreinigung  mit  Ba¬ 
cillus  Pyocyaneus. 

In  einigen  Kulturen  waren  diese  Saprophyteii  derart  über¬ 
wuchert,  daß  das  Auf  finden  der  Pestkolonien  überhaupt  un¬ 
möglich  war.  Ich  versuchte  eine  derartige  Mischkultur  (mit 
Bazilhis  Coli)  an  Mäusen  auszuwerten  und  fand,  daß  erst  Dosen 
von  Vio  Oese  peritoneal  einverleibt,  die  Tiere  innerhalb  24  Stunden 
mit  Pestbazillenbefunden  im  Blute  töteten,  während  nach  ge¬ 
ringeren  Dosen  ^/loo,  ^/looo  etc.,  bis  ‘/loonono  Oese  die  Tiere 
überhaupt  nicht,  oder  erst  nach  9  bis  20  Tagen  ohne  Infektions¬ 
befund  eingingen. 

Die  zwei  perkutan  geimpften  Meerschweinchen  starben  erst 
nach  dem  vierten,  bzw.  fünften  Tage  nach  der  Infektion.  Das 
letztere  von  diesen  Tieren  ließ  schon  24  Stunden  nach  der 
Impfung  die  Pestdiagnose  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  zu.  Das 
Tier  schrie  vor  Schmerzen  und  man  konnte  in  der  linken  Inguinal¬ 
gegend  eine  vergrößerte  schmerzhafte  Drüse  fühlen.  Bei  der 
Obduktion  wurde  ein  hämorrhagisch  infiltrierter  Bubo  mit  zahl¬ 
reichen  bipolargefärbten  Bazillen  vorgefunden,  welche  auch  in 
den  angelegten  Kulturen  aufgingen.  Das  Herzblut  lieferte  Rein¬ 
kultur  von  Pestbazillen. 

Der  Sektionsbefuiid  bei  dem  anderen  Tiere  war  weniger 
überzeugend.  Es  waren  zwar  auch  in  diesem  Falle  die  Inguinal¬ 
drüsen  etwas  vergrößert  und  hämorrhagisch  infiltriert,  es  gelang 
jedoch  weder  mikroskopisch  noch  kulturell,  Pestbazillen  mit 
Sicherheit  nachzuweisen.  Aus  dem  Drüsensafte  ist  nur  Staphy¬ 
lococcus  aureus  gewachsen,  während  die  vom  Herzblute  an¬ 
gelegten  Kulturen  steril  blieben. 

Der  isolierte  Stamm  zeigte  alle  Eigenschaften  einer  typi¬ 
schen  Pestkultur: 

1.  Kurze,  an  beiden  Polen  abgerundete  und  stärker  sich 
färbende,  unbewegliche.  Gram -negative  Stäbchen  (siehe  Fig.  1), 
in  älteren  Kulturen  bläschenartige  Involutionsformen. 

2.  Langsames  Wachstum,  sowohl  bei  Zimmer-  als  bei  Brut¬ 
temperatur.-  .  . 

3.  Tautropfenähnliche,  zarte,  grauweiße  Kolonien,  mit  iri¬ 
sierendem,  gewelltem  Rande  (siehe  Fig.  2),  deren  Durchmesser 
selbst  nach  Wochen  kaum  1  mm  überschreitet. 

4.  Auf  Gelatine  zarte,  halbdurchsichtige  Kolonien  ohne 

Verflüssigung. 

5.  In  Bouillon  bei  Zimmertemperatur  sehr  langsame  Ent- 
w'icklung  in  Form  von  kleinen  Flocken  am  Boden  und  an  den 
Wänden  des  Kolbens;  im  späteren  Verlaufe  inselartig  zerstreute 
Flocken  an  der  Oberfläche.  Die  Bouillon  bleibt  ungetrübL  bei 
Hiaittemperatu!'  zeigt  die  Bouillon  in  den  erstell  lagen  minimale, 
gleichmäßige  Trübung,  nach  vier  Tagen  findet  ein  starkes  Wachs¬ 
tum  an  der  Oberfläche  in  Form  von  feinen,  leicht  zu  Boden 
sinkenden  W'olken  statt. 

6.  In  Zuckerbouillon  keine  Gasbildung. 

7.  Auf  D  r  i  g  a  1  s  k  i  -  C  o  11  r  a  d  i  s  Lackmus  -  Violett  -  N utrose- 
agar  zaite,  blau  gefärbte  Kolonien. 

8.  Der  Stamm  ist  pathogen  für  Mäuse,  Ratten  und  Meer¬ 
schweinchen,  sowohl  bei  subkutaner  und  ])eritonealer,  als  auch 
bei  perkutaner  Applik;yion.  Zur  Infektion  genügen  die  mini¬ 
malsten  Dosen.  Rei  intraperitonealer  Einverleibung  gingen  Mäuse 
und  Ratten  noch  nach  ^/loooüo  Oese  einer  24  Stunden  alten 
Agarkultur  in  36  Stunden,  nach  '/loooooj  Oese  innerhalb  diei 
Tagen  an  Septikämie  ein. 

9.  In  keimfreien  Filtraten  von  älteren  Bouillonkulturen 
sind  für  Mäuse  toxische  Substanzen  nachweisbar. 

Einen  weiteren  Kommentar  über  die  Natur  des  Stammes 
halte  ich  für  ülierflüssig ;  eher  möchte  ich  einige  Erwägungen 
vom  administrativen  Standpunkte  beifügen. 

Wir  sehen  an  dem  beschriebenen  Falle,  daß  ganz  un¬ 
vermutet  auf  Schiffen  und  unter  Seeleuten,  gegen  welche 
nicht  der  mindeste  Verdacht  besteht,  Pestfälle  Vorkommen 
können,  welche  erst  post  festuin  zur  Kenntnis  der  Seever¬ 
waltung  gelangen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


„Die  Bazillen  lassen  sich  eben  nicht  kommandieren, 
in  welchem  Verwaltungsgebiete  sie  aufzutreten  haben“,  sagte 
mir  scherzweise  ein  hervorragender  Staatsmann  und  hat 
mit  diesen  Worten  den  Kernpunkt  der  Sache  getroffen. 

Da  meine  Vorschläge  auf  Aktivierung  eines  Seemann¬ 
krankenhauses  nach  dem  Hamburger  Muster,  in  welchem 
kranke  Seeleute  ohne  Unterschied  der  Provenienz  des 
Schiffes  Aufnahme  finden  könnten,  nicht  Anklang  fanden, 
ist  es  fraglich,  oh  die  Anstellung  eines  Bakteriologen  hei 
der  Seebehörde  in  Triest,  welcher  auf  ein  entlegenes,  schwer 
zugängliches  Laboratorium  ohne  Kommunikationsmittel, 
oline  Assistenten  und  praktische  Diener  angewiesen  ist,  nicht 
illusorisch  sei  und  ob  es  nicht  besser  wäre,  zu  diagnostischen 
Zwecken  für  die  politischen  Behördmi  und  die  Seeverwaltung 
ein  gejiieiiisames,  gut  eingerichtetes  Laboratoriiun  zu  be- 
slimmen,  wie  es  z.  B.  in  Italien,  Spanien  und  Portugal  der 
Fall  ist. 

ln  Frankreich  besteht  allerdings  bei  dem  maritimen 
Bureau  de  la  Saute  auch  ein  bakteriologisches  Laboratorium; 
aber  dieses  Laboratorium  befindet  sich  im  Hafen,  in  der 
nächsten  Nähe  des  Seesanitätsamtes,  an  dessen  Spitze  ein 
ärztlicher,  bakteriologisch  gebildeter  Pachmann  sieht  und 
nicht  wie  bei  uns  ein  gewesener  Marineoffizier. 


Aus  der  III.  mediz.  Abteilung  des  k.  k.  allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.  (Vorstand  :  Prof.  Dr.  N.  Ortner.) 

Ueber  ein  durch  Gelatineinjektionen  wesentlich 
gebessertes  Aneurysma  der  Arteria  anonyma .*) 

Von  Dr.  Vifetor  Grünberger,  Assistenten  der  IH.  med.  Abteilung. 

Wir  hatten  auf  unserer  Abteilung  einen  Krankheits¬ 
fall,  welcher  sowohl  durch  das  klinische  Krankheitsbild  als 
auch  durch  den  Erfolg  der  Therapie  Interesse  hervorzurufen 
imstande  ist. 

Es  handelt  sich  um  einen  45jährigeii  verheirateten  Expeditor. 
Der  \'a1er  des  Patienten  war  ein  mäßiger  Trinker  und  ein  starker 
llaiicher  und  starh,  66  Jahre  alt,  an  einem  Schlagant'all.  Die 
sonstige  Familienanamnese  ist  belanglos.  Pat.  hatte  in  der  Kind¬ 
heit  Scharlach  und  Typhus.  Mit  25  Jahren  erlitt  er  beim  Militär 
eiiieti  Hilzschlag.  Vor  acht  Jahren  bekam  Pat.  im  Anschlüsse  an 
eiiK'  Infektion  einer  Rißwunde  des  rechten  Mittelfingers  eine 
Schwellung  der  rechten  Hand.  Fünf  Monate  später  trat  eine  all¬ 
gemeine  Furunkulose  (32  Furunkel)  auf.  Es  wurde  damals  Zuck(!r 
im  Harn  gefunden  und  eine  Karlsbader  Kur  verordnet,  die  der 
IkilienI  im  nächsten  Sommer  wiederholte. 

Vor  drei  .Jahren  bekam  Pat.  eine  Rötung  und  Schwellung, 
sowie  Schmerzhaftigkeit  und  Fuidvtionshehinderung  im  rechten 
Schul lergelenke.  Bis  auf  ein  leichles  Unbehagen  schwanden  diese 
Bescdi  werden. 

Am  4.  oder  5.  Januar  1905  konnle  Pat.  frühmorgens  nicht 
laul  sprechen,  auch  nicht  schlucken,  der  Hals  war  an  der  Vorder¬ 
seile  stark  geschwollen,  der  Kehlkopf  war  nach  links  verschoben, 
gleichzeitig  halle  Pal.  kein  rechtes  Gefühl  im  vierten  und  fünften 
Finger  der  rechten  Hand.  Schon  seit  längerer  Zeit  bestand  ein 
leichter  Grad  von  Atemnot.  Es  wurde  damals  eine  rechtseitige 
Rekurrenslähmung  konstatiert  (Prof.  Cliiaril  und  Fisumschläge, 
Jod,  sowie  der  Genuß  von  Kalhsfußgelee  verordnet  (Professor 
Chvosta'k).  Nach  einem  (Monate  liekam  Pat.  wieder  die  Stimme, 
nach  einem  weileiam  (Mojiale  war  er  wieder  diensttauglich. 

Tm  Juli  1906  hal  l’al.  auf  einer  ürlauhsreise  stärkere  An- 
strcmgungen  duicdigemacld.  Danach  fühlte  er  sich  nicht  recht 
wohl.  In  der  letzten  Angus  twoclie  wui'de  Pat.  wieder  heiser; 
gleicli/,(dlig  sl(*ltlen  si(di  auhalleude,  nicdit  näher  zu  charakterisie¬ 
rende  SchmerzcMi  im  Hei-eiche  der  rechten  Scludter  ein,  die  im 
Schulferhlait  hc'gamum,  in  das  Gelenk  ausstrahlten,  bei  Rewegun- 
geu  Zunahmen  und  das  Fiegeu  auf  der  rechten  Seite  unmöglich 
machien.  Die  vermindeile  Empfindlichkeit  des  vierten  und  fünften 
Fiugei’s  der  rechten  Hand  war  noch  vom  ersten  Anfall  her 
unverände)-t.  Nach  (dner  Woche  nahm  der  reißende  Scdimerz  in 
der  rechten  Schulter  zu. 

Die  Schmerzen  in  der  nadden  Schultei',  sowie  die  Heiserk(dt 
hielten  bis  zum  lieutigen  Tage  an,  ferner  l)esteht  jetzt  Brechreiz, 
Herzklopfen  nach  schnellerem  G(>hen  und  nach  der  Mahlzeit, 

*)  Nach  einer  am  25.  Januar  1907  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien  abgehaltenen  Demonstration. 


Atemnot  heim  Stiegensteigen,  sowie  leichte  Ermüdbarkeit.  Patient 
wacht  bisweilen  im  Schlafe  auf  und  findet  sich  sitzend. 

Potus:  Früher  10  Krügel  Bier,  später  4,  seit  einem  Jahre  2. 
Früher  bisweilen  statt  des  Bieres  IV2  Liter  Wein,  zuletzt  nur 
ausnahmsweise.  Auch  jetzt  noch  täglich  ein  Tee  mit  drei  liöffel 
Rum,  sehr  selten  Schnaps. 

Tabak:  Frühei'  bis  zu  10  Virginier,  dann  6  bis  7  Tr'a- 
huko,  in  den  letzten  Jahren  12  bis  20  'Zigaretten. 

Gonorrhoe  mil  18  Jahren,  gleichzeitig  Hodeiientzündimg. 
Lues  negiert. 

31.  Oktober  1906.  S  t  a  t  u  s  p  r  a  e  s  e  n  s  :  Pat.  nimmt  erhöhte 
Rückenlage  ein.  Das  Gesicht  ist  auffallend  gerötet,  die  Rötung 
ist  diffus,  man  sieht  keine  ektatischen  Venen,  die  Konjunktiven 
sind  auffällig  injiziert,  die  IT'hergangsfalte  ödematös,  kein  Oedem 
des  Schädels.  Auf  der  Nase  ein  Schmill  nach  einem  Säbelhieb. 
Die  Pupillen  gleich,  mitlelweit,  auf  Licht  reagierend.  Die  Lippen 
blaß  und  zyanotisch,  eine  graubraune  Pigmentation  auf  der  Unter*- 
lipiie,  eine  Unzahl  hläulichei'  Thgmentflecke  auf  der  Wangen¬ 
schleimhaut,  die  Zunge  breit,  feucht,  geradeso  wie  die  Wangen¬ 
schleimhaut  gefärbt.  Die  Rachenschleimhaut  blaß  und  fein  ge- 
höckert.  '  ■  I  ^  '  1  I  j  1 

Der  Hals  abnorm  dick,  ziemlich  gedrungen,  dabei  nach 
unten  u.  zw.  sowohl  nach  beiden  Seiten,  als  auch  nach  vorne 
ausladend.  Innerhalb  dieser  gleichmäßigen  Verdickung  sieht  man 
etwas  rechts  von  der  Medianlinie  eine  wie  aus  der  Incisura  sterni 
austretende,  rechts  und  ülaer  dieselbe  sich  erhebende,  isolierte, 
überwalnußgroße,  jedoch  mehr  längsovale  Protuheranz, 
welche  deutlich  pulsiert  u.  zw.  besteht  die  T’ulsation  sowohl 
von  oben  nach  unten,  wie  von  rechts  nach  links.  Der  hei 
stärkerem  Druck  etwas  druckschmerzhafte  Tumor  läßt  sich  vom 
Sternum  nicht  ahdrängen.  Der  Tumor  bietet  ein  deutlichef. 
Schwirren  dar  und  zeigt  hei  oberflächlicher  Berührung  zwei 
Stöße.  Ueher  dem  Tumor  hört  man  eine  deutliche  Triphonie,  der 
zweite  Halbton  ist  manchmal  unrein,  daneben  hört  man  ein 
fernes  Sausen.  Seitlich  vom  Tumor,  über  dem  rechten  Sterno- 
kleidomastoideus,  hör!  man  zwei  Töne,  noch  mehr  seitlich  ein 
lautes  Sausen. 

Der  T..arynx  ist  in  auffälliger  Weise  disloziert,  so  zwar, 
daß  der  Pomus  Adami  einen  guten  Zentimeter  nach  links  von 
der  (Medianlinie  verlagert  ist.  Das  C  a  r  dar  el  li  s  che  Symptom 
ist  positiv.  I 

Beide  Karotiden  ungleich,  die  linke  zeigt  einen,  wenn 
auch  schwachen,  so  doch  deutlichen  Ihrls,  die  rechte  Karotis 
läßt  sich  als  pulsierendes  Gefäß  nicht  finden.  Der  Puls  an  der 
Artei'ia  temporalis  ist  links  vor  dem  Ohre  deutlich  vorhanden, 
fehlt  rechts.  Die  rechte  Suhklavia  zeigt  eine  deutliche,  wenn 
auch  schwache  Pulsation  über  der  Klavikula,  ebenso  die  linke. 
Keine  der  beiden  Arterien  ist  in  der  M obre nh  ei m  sehen  Grube 
palpahel.  Beide  Radialpulse  sind  different,  der  linke  entschieden 
größer  wie  der  rechte,  auch  scheint  der  linke  früher  anzukommen 
als  der  rechte.  Dieselbe  Differenz  zeigen  auch  die  Bra¬ 
chialarterien.  Die  Kruralarterien  pulsieren  beide  schwach  und 
kommen  im  Vergleich  zu  den  Radialarterien  deutlichj  später. 

Die  beiden  Fossae  supraclavicula  l  e  s  erscheinen  so¬ 
wohl  in  liegender,  wie  in  slehiender  Stellung  different  und  zwar 
ist  die  rechte  PMssa  supraclavicularis  deutlichi  vorgewölbt.  Diese 
Vorwölbung  ist  zum  großen  Teile  durch  eine  diffuse  Erweiterung 
dm-  Vena  jugularis  externa  gebildet,  an  der  man  eine  Pulsation 
nicht  nachweisen  kann.  .‘\uch  zeigt  sie  kein  inspiratorisches 
.\hschwellen.  ' 

Die  Haut  über  dem  oberen  Sternum  und  namentlich  rechts 
von  demselben,  etwas  weniger  links  von  demselben,  ist  in  der 
Höhe  des  ersten  bis  vierten  Interkostalraumes  von  korkzieher- 
arlig  geschlängelten,  teils  längsverlaufenden,  teils  auch  quer¬ 
ziehenden,  miteinander  in  grobem  Maschenwerk  kommunizieren¬ 
den,  nirgends  Ihilsation  darhietenden  und  sich  auf  der  Höhe  des 
Inspiriums  v('islärkt  stauenden  Venen  durchzogen.  Ansonsten 
ist  die  Haul  in  dem  besagten  Bereiche,  namentlicli  über  dem 
(Manuhrium  sterni  und  rechts  davon  in  der  Höhe  des  erste"' 
und  zweiten  Interkostalraumes  bis  zur  vorderen  Achselfalte 
ödematös,  ebenso  die  Haut  dei'  rechten  Fossa  supraclavicularis. 

Man  sieht  im  ersten  und  zweiten  Interkostalramu,  reclifs 
vom  Sternum,  eine  Spur  auch  über  dem  Manubrium  sterni,  eine 
schwache  systolische  Pulsation  und  gleichzeitig  fällt  auf. 
ilnß  der  Stei'nalanteil  d('s  zweiten  Interkoslalraumes  rechts  stärkci' 
mich  oben  zu  ausladel  wie  links.  Bei  tiefer  .Atmung  bleibt  der 
rechte  Thorax  in  den  oberen  Partien  deutlich  zurück.  Dabei  zeigen 
die  hypochondralen  Inlerkostalräume  eine  beiderseitige,  anschei¬ 
nend  gleiche  insidralorische  Einziehung. 

Die  Distanz  der  rechten  .Areola  von  der  .Mittellinie  beträgt 
16  cm,  die  der  linken  13  cm. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WCCIIENSCIIRIET.  1907. 


18!) 


Perkussion  vorjie:  Pie  linke  Fossa  clavicularis  schalli 
voller  als  die  röchle,  die  reclile  Fossa  iiifraclavicularis  gibt  außen 
abnorm  sonoren,  spurweise  tyinpaniüschen  Schall,  innen  Scball- 
däinpfung,  links  ist  etwas  kürzerer  Schall  als  normal.  Rechts  ist 
von  der  dritten  Rippe  an  voller  Schall  bis  zum  oberen  Rand  der 
sechsten  Rip])e,  daselbst  deutlicbe  respiratorische  Verschieblich¬ 
keit.  Pie  Verkürzung  des  Schalles  in  der  linken  Fossa  infra- 
clavicularis  nimmt  nach  unten  an  Intensität  zu,  im  vierten  tnter- 
kostalraum  beginnt  die  Herzdämpfung  und  gebt  im  fünften 
Interkostalraum  in  den  lympanitischen  Schall  des  Trau  besehen 
Raumes  über. 

Auskultation  vorne:  ln  der  reebten  Fossa  supraclavi- 
CLilaris  ist  im  Reginn  ein  schwach  vesikuläres,  i’auhes  Inspirium. 
ein  im  Beginn  schwaches,  gegen  Ende  auffällig  lautes  bronchiales 
Exspirium,  in  der  linken  Fossa  supraclavicularis  dasselbe  bron¬ 
chiale  Exspirium  hörbar.  Dasselbe  bört  man  auch  unter  dem 
Larynx  über  der  Trachea.  In  der  rechten  Fossa  iiifraclavicularis 
fehlt  das  Inspirationsgeräusch,  das  Exspirium  ist  protrahiert  und 
bronchial,  von  da  nach  abwärts  ist  das  Inspirationsgeräusch 
noidi  immer  heimlich  und  wird  erst  vom  5.  Interkostalraum  an 
lautei',  bei  noeb  immer  bestehendem  bronchialen  Exspirium.  tu 
der  linken  Fossa  iiifraclavicularis  besteht  ein  abgeschwächtes 
vesikuläres  Inspirium,  ein  bronchiales  Exspirium. 

Der  S  tiniinf  reini  tus  ist  in  der  rechten  Fossa  infra- 
clavicularis  deutlich  gegenüber  den  anderen  Partien  unter  der 
Klavikula  abgeschwächt,  ebenso  oberhalb  der  Klavikula  rechts. 
Auch  in  der  linken  Fossa  infraclavii  ularis  ist  der  Stimmfremitus 
abgeschwächt,  jedoch  ist  die  Abschwächung  rechts  stärker 
wie  links. 

Die  Stimnikonsonanz  ist  in  der  rechten  Fossa  infra- 
clavicularis  gegenülier  der  linken  Seite  stark  abgeschwächt. 

Die  Wirbelsäule  zeigt  eine  minimale,  arkuäre  Kyphose 
und  Sinislroskoliose  im  unteren  Halssegmente,  eine  korrigierende 
im  oberen  Brustsegmente,  im  mittleren  Brustsegmente  wieder  eine 
leichte  Sinislroskoliose,  im  unteren  Brustsegmente  und  oberen 
Lendensegmente  wieder  eine  Dextroskoliose. 

Die  rechte  Fossa  suprasiiinata  erscheint  leiidil  vorgewolbt, 
die  linke  eingesunken.  Eine  ähnliche  Differenz  besteht  in  den 
beiden  Fossae  infraspinatae. 

Die  Haut  in  der  rechten  Fossa  suprasiiinata  und  iufra- 
spinata  deutlich  dicker,  wulstiger,  ödematös  im  Vergleich  zur 
linken.  Dieses  Oedem  reicht  bis  zum  unteren  Rande  der  Skapula. 

Perkussion  hinten:  Die  linke  Fossa  supraspinata  gibt 
kürzeren  Schall  als  normal,  die  rechte  Fossa  supraspinata  gibt 
hypersonoren  Schall.  Die  linke  Fossa  infraspinata.  ist  gleichfalls 
kürzer  als  normal,  erst  zwei  Querfinger  unter  der  Spina  wird  der 
Schall  voller,  nach  unten  zu  wird  der  Schalt  sogar  über¬ 
voll  bis  bandbreit  unter  den  Angulus,  woselbst  deutlicbe 
|■espil'atorisehe  Verscbieb’icbkeit  bestebt.  Reebts  ist  der  Schall 
unter  der  Spina  eher  etwas  kürzer  als  links  u.  zw.  bis  zni 
Mitte  der  Skapula,  von  da  an  besteht  voller  Schall,  allerdings 
minder  voll  wie  links,  bis  handbreit  unter  den  Angulus  reicbend 
und  gleicbfalls  respiratorisch  verschiehlich. 

Auskultation  hinten:  In  der  nadden  Fossa  supra¬ 
spinata  fehlt  das  Inspirium,  man  hört  ein  bionchiales  Exspirium, 
unter  der  Spina  rechts  allenthalben  ein  etwas  scharfes,  vesikuläres 
Inspirium  und  eiir  brotichiales  Exspirium,  Danehen  besteht  ein 
entferntes,  mehr  kleinröhrenartiges,  dumpfes  Rronchia’atmen,  be¬ 
sonders  gut  in  der  Höhe  der  Spina  scai)ul'u^  zu  bören,  weitei 
nach  abwärts  besieht  ein  forldam'rnd  abgeschwächtes,  vesikuläres 
Inspirium,  nui'  an  der  Basis  dei'  linken  Lunge  ist  dasselbe  lautei 
zu  hören,  daneben  ein  dichter,  feuchter  Katarrh,  wähiamd  sonst 
über  der  linken  Lunge  nur  leichtes  Schnurram  zu  hören  i^l-^__ 

Der  Stimmfremitus  ist  in  der  linken  Fossa  supras|)inal:i 
innen  deutlich,  außen  geringgradig  abgeschwä'dit,  el)enso  rechts, 
ohne  deutliche  Differenz  zwischen  heiden  Seilen.  Unter  (ler  Spina 
ist  der  Stimmfremitus  beiderseits  gleich,  doch  inmuwhin^  mäßig 
stark  und  von  oben  nacb  unten  gegen  die  Basis  an  Intensität  zu¬ 
nehmend. 

Die  S  t  i  mm  k  0  n  s  o  n  a  n  z  fehlt  in  der  rechten  Fossa  siipri- 
spinata  fast  völlig,  links  ist  eim*  .Vndeutung  von  Aegophonie. 
Un'er  der  Spina  ist  die  Stimmkonsonanz  i'(*chts  etwas  schwächei 
wie  links,  von  annähernd  normalem  Klangcharakter  und  gegen 
die  Basis  zu  stärker  werdend.  Bei  angehaltenem  Atcmi  hört  man 
über  d(Mn  linken  Thorax  ein  lautes  systolisches  Geräusch  nach 
dem  schwachen  ersten  Ton,  rechts  von  der  Wirbelsäule  ist  das 
Geräusch  nur  angedeutet. 

Herz:  Der  Herzspitzensloß  ist  im  tüniten  Interkostalraum 
in  der  linken  äußeren  Mamillarlinie  schwach  und  beschränkt 
fühlbar,  eine  präkordiale  Pulsation  ist  im  linken  Mamillarbereich 
sichtbar,  nacb  innen  davon  nicht  eikennhar,  (d.ienso  zeigt  aiu’h  das 


unteia'  Sternum  nichts  von  einer  l’ulsation,  hingegen  sieht  man 
rechts  vom  Sternum  im  ersten  und  zweit('n  I nlerkostalraum  eiiu' 
schwache  systolische'  Bulsation,  Feiner  sieht  man  eine 
schwache  epigastrale  Pulsation. 

Die  Herzdämpfung  (h'ckt  sich  mit  dem  Spitzenstoß, 
geht  von  da  nach  oben  zur  linken  äußeren  .Mamillarlinie,  geht 
dann  schräg  durch  die  Areola,  leichl  nach  oben  nur  bis  in  den 
vierten  Interkostalranm  und  nach  lechts  nur  einen  Querfingei' 
nach  links  von  der  linken  Sternallinie.  Das  übrige,  rechts  davmi 
gelegene  und  supraslernale  Gebiet.  z('igt  einen  deutlichen  Lungen¬ 
schall.  Im  ersten  und  zweiten  Interkostalraum,  links  vom  St(‘r- 
num,  1  cm  nach  außen  vom  linken  Sternalrand  reichend,  findet 
sich  eine  Dämpfung,  welche  das  ganze  obere  Sternum  b('- 
trifft  und  nach  rechts  sich  einen  Zentimeter  übei’  den  rechten 
Sternalrand  in  den  ersten  und  zweiten  fnlerkostalramn  und  über 
den  Sternalansatz  der  dritten  rechten  Hippe  ausdehnt.  Die  unü'ic' 
Dämpf imgsgrenze  bildet  eiiu'  sebräg  von  la'chls  unten  nach  links 
oben  ziehende  Linie,  so  dab  die  ganze  obere  Dämpfung  eine 
eigenlümlicbe  scbalenförmige  Figur  liefert. 

Auskultation  des  Herzens:  Man  hört  an  der  Herz¬ 
spitze  einen  dumpfen  systolischen  Ton,  ein  schwacdies  systolisches 
(äeräusch,  einen  dumpfen  zweiten  Ton,  zwei  dumpfe  Töne  jirä- 
kordial  und  im  zweiten  Interkostalraum  links  vom  Sternum, 
rechts  vom  Sternum  sind  die  Töne  etwas  lauter  und  der  ersle 
Ton  etwas  unrein,  am  lautesten  sind  die  Töne  rechts  vom  Sternum 
im  ersten  Intokostalraum.  Ueber  dem  Trikuspidalostilim  sind 
dumpfe  Töne. 

Abdomen:  Die  Leber  ist  palpabel,  überragt  den  Rippen¬ 
bogen  um  ungefäbr  zwei  Queifinger,  der  unteia^  Band  ist  etwas 
stumpf,  respiratorisch  ist  sie  deutlich  verschiebbar.  Die  iMilz  ist 
vergrößert,  einen  halben  Querfinger  unter  den  Rippenbogen  rei¬ 
chend,  mit  ziemlich  scharfem  unteren  Rande,  respiratorisch  gut 
verschieblich. 

Kein  iVszites,  keine  Qedeme  der  unteren  Extremitäten,  die 
Patellarsehnenreflexe  sind  vorhanden. 

Harn-  und  Blutbefund  normal. 

Der  Larynx  bei  und  ergibt  eine  rechtseitige  Rekurrens¬ 
lähmung  (Dr.  Kahler). 

Aus  dieser  Kraiikeiigeschiclite  ergibl  sich,  daß  es  sicli 
in  dem  vorliegenden  Falle  um  einen  raimieinnehmenden 
Tumor  im  Mediastinum  handelt.  Dafür  spricht  die  Ver¬ 
größerung  des  ganzen  rechten  oberen  Thoräxraiunes,  die 
Dämpfung  am  oberen  Sternum,  welche  sich  um  je  einen 
Querfinger  nach  rechts  und  links  von  dem  entsprechenden 
Sternalrand  erstreckt  und  welche  rechts  etwas  tiefer  reicht 
als  links.  Dafür  spricht  ferner  der  walnußgroße,  längs¬ 
ovale  Tumor,  welcher  zwischen  dem  rechten  Musen  bis 
sternocleidomastoideus  und  der  Trachea  aus  der  Incisura 
Storni  zum  Vorschein  kommt.  Dies  ist  ferner  durch  eine 
Reihe  von  Kompressionserscheinungen  und  Verdrängungs¬ 
erscheinungen  bewiesen. 

1.  Man  sieht  erweiterte  Venenstämmchen  in  der  Haut 
des  Manubrium  sterni  und  rechts  vom  Sternum,  in  der 
Höhe  des  ersten  bis  vierten  Interkostalraumes,  die  Haut 
ist  daselbst,  sowie  in  der  rechten  Fossa  supraclavicularis 
und  supraspinata  ödematös,  die  Vena  jugularis  externa 
dextra  ist  stark  erweitert  und  nicht  pulsierend,  schwillt 
auch  insi)iratorisch  nicht  ab.  Man  hört  im  rechten  seit¬ 
lichen  Halsdreieck  ein  deulliches  Sausen,  dazu  kommt  das 
in  der  Anamnese  erwähnte,  akut  entstandene  Oedem  am 
Halse,  ^Momente,  welche  wohl  alle  für  eine  Kompression 
der  rechten  Vena  anonyma  sprechen. 

2.  Besteht  eine  Lähmung  des  i'echten  Nervus  re¬ 
currens. 

3.  Es  ist  der  Oherlappen  der  rechten  Lunge  kom¬ 
primiert.  Dies  ergibt  sich  daraus,  daß  über  demselben  zum 
Teil  ein  kürzerer,  zum  Teil  hyi)ersonorer  und  lympaniti- 
scher  Perkussionsschall  bestcdit,  daß  der  Stimmtremitus  und 
die  Stimmkonsonanz  über  demselben  abgeschwächt,  das  In¬ 
spirium  fehlend,  das  Exspirium  nur  als  fortgeleitetes  tracheu- 
bronchiales  Atmen  hörbar  isl. 

4.  Es  besteht  eine  Slenose  des  linkam  Ih'onchus.  Da¬ 
für  s[)richt  die  Verkürzung  d('S  Perkussionsschalles  in  der 
linken  Fossa  iiifraclavicularis,  supi'aspinata  und  zum  Teil 
infraspinata,  feiner  das  abgeschwächte  Inspirium,  vor  allem 
aber  das  namentlich  in  der  Höhe  der  Spina  scapulae  hör- 


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bare,  lokal  entstandene,  kleiiiröhrenartige,  dumpfe  Bron¬ 
chialatmen.  Dazu  kommt  noch  der  abgeschwächte  ötimm- 
fremitiis  und  die  Aegophonie  in  der  Fossa  supraspinata 
sinistra. 

5.  Das  Herz  ist  nacli  links  verschoben.  Man  spürt 
den  Spitzenstoß  im  fünften  Interkostalraum  in  der  linken 
äußeren  ^Maniillarlinie  und  die  Herzdämpfung  reicht  nicht 
his  an  den  linken  Sternalrand. 

6.  Auch  die  Trachea  und  der  Larynx  sind  sehr  stark 
nach  links  verschoben. 

7.  Die  Parästhesien  in  der  rechten  Hand  sind  durch 
Kompression  des  Plexus  brachialis,  die  in  die  rechte  Schulter 
ausstrahlenden  Schmerzen  entweder  durch  Kompression 
eines  Nerven  oder,  wie  Cardarelli  behauptet,  durch  Kom¬ 
pression  der  rechten  Vena  anonyma  entstanden. 

Auch  über  die  Art  des  Tumors  besteht  wohl  kein 
Zweifel.  Es  handelt  sich  um  ein  Aneurysma,  denn  wir 
finden  einen  aus  der  Jncisura  sterni  kommenden  Tumor, 
der  nach  allen  Richtungen  hin  gleichmäßig  pulsiert,  über 
dem  ein  systolisches  Schwirren  und  zwei  Stöße  palpahel 
sind  uud  über  dem  man  eine  deutliche  Triphonie  hört. 
Ferner  finden  wir,  daß  die  rechte  Karotis  nicht  nachweis¬ 
lich  pulsiert,  daß  der  rechte  Radialispuls  kleiner  ist  und 
später  kommt  als  der  linke.  Ferner  sieht  man  ein  zweites 
pulsierendes  Zentrum,  nämlich  eine  systolische  Pulsation 
rechts  vom  Sternum  im  ersten  und  zweiten  Interkostal- 
raum.  Für  ein  Aneurysma  spricht  ferner  der  rasche  Be¬ 
ginn  der  Erkrankung  und  ganz  besonders  der  rasche  Wechsel 
im  Krankheitsbild. 

Nun  galt  es,  das  Aneurysma  genau  zu  lokalisieren. 
Der  erste  Gedanke  war,  es  handelt  sich  um  ein  Aneurysma 
der  Arteria  anonyma.  Dafür  spricht  die  rechtseitige  Re¬ 
kurrenslähmung,  der  für  Anonymaaneurysmeu  charakteri¬ 
stische  Sitz  des  pulsierenden  Tumors  zwischen  dem  rechten 
Sternokleidomastoideus  und  der  Trachea,  die  Kompression 
der  rechten  Vena  anonyma  und  des  rechten  Plexus  bra¬ 
chialis,  die  Kompression  des  Oberlappens  der  rechten  Lunge 
und  die  hochgradige  Verschiebung  des  Herzens  und  des 
Kehlkopfes  nach  links.  Vor  allem  war  es  aber  ein  Sym¬ 
ptom,  das  die  Diagnose  eines  Anonymaaneurysmas  wesent¬ 
lich  unterstützte  und  das  war  die  Beteiligung  der  rechten 
Badialis,  Brachialis  und  Karotis.  In  Betracht  käme  da  noch 
ein  am  Uehergang  zwischen  Aorta  ascendens  und  Arcus 
aortae  sitzendes,  sackförmiges  Aneurysma,  welches  sich 
aber  in  ganz  merkwürdiger  Weise  gegen  die  rechte  Hals- 
s(Mte  hin  ausbreiten  müßle,  um  derartige  Symptome  zu 
vfuiirsachen.  Es  wurde  daher  die  klinische  Diagnose  Aneu¬ 
rysma  der  Arteria  anonyma  festgehalten.  Mit  dieser  An¬ 
nahme  lassen  sich  aber  zwei  Symptome  nicht  vereinbaren, 
das  ist  das  positive  Oli  ver- Card  are  11  i sehe  Symptom 
und  die  Stenose  des  linken  Bronchus.  Diese  beiden  Sym¬ 
ptome  führten  zu  der  Annahme,  daß  neben  dem  Anonyma- 
aneui'ysma  noch  ein  zweites  Aneurysma  am  Arcus  aortae 
bf'stände,  eine  Annahme,  die  um  so  herechtigter  erschien, 
als  pathologisch-anatomisch  ein  gleichzeitiges  Vorkommen 
eines  Aneurysmas  der  Arteria  anonyma  und  des  Arcus 
aortae  häufig  ist. 

Nun  wurde  die  radiologische  Untersuchung  von 
Priv.-Doz.  Holzknecht  vorgenommen.  Diese  bestätigte  zu- 
nächsl  vollinhaltlicb  die  Diagnose  Anonymaaneurysma,  da¬ 
gegen  wurde  die  Annahme,  daß  gleichzeitig  ein  zweites 
Aneurvsma  am  Arcus  aortae  besteht,  nicht  bestätigt.  Schon 
am  23.  .laiiuar  1905  war,  wie  sich  nachträglich  heraus- 
stellh“,  eiiu'  Höntgenuntersuclmng  vorgenommen  und  damals 
die  Diagnose  auf  ein  apfelgroßes  Aneurysma  der  iVrteria 
anonyma  gestellt  worden. 

Am  13.  Afovember  1906  lautete  der  radiologische  Be¬ 
fund  :  Der  heutige  Befund  weicht  qualilativ  nicht,  quan¬ 
titativ  erheblich  von  dem  am  23.  Januar  1905  ab.  Die 
fremde  Bildung  im  oberen  Mediastinum,  welche  pulsiert, 
hat  kugelig(‘  Gestalt  und  fast  die  Größe  einer  Faust  an¬ 
genommen,  noch  mehr  als  damals  hat  sie  den  dilatierten 
-Aortenhogen  nach  links  verdrängt. 


Da  wir  nun  diesen  mit  völliger  Sicherheit  angegebenen 
Befund  als  unbestreitbaren  Punkt  in  der  Diagnose  aner¬ 
kennen  müssen,  mußten  wir  die  Annahme  eines  zweiten 
Aneurysmas  am  Aortenbogen  fallen  lassen.  Dann  wäre 
aber  die  Stenose  des  linken  Bronchus  und  das 
Oliver-Cardarellische  Symptom  nur  d,adurch  zu 
erklären,  daß  der  dilatierte  und  nach  links  ge¬ 
drängte  Aortenbogen  gegen  den  linken  Bron¬ 
chus  gepreßt  wird  und  dadurch  eine  Stenose  des¬ 
selben,  sowie  das  Oliver-Cardarellische  Sym¬ 
ptom  hervor  ruft.  Ist  diese  Erklärung  richtig,  so  hätten 
wir  in  diesem  Falle  eine  neue  Entstehungsart  dieser  beiden 
Symptome.  Aus  diesem  Grunde  ist  der  Fäll,  der  an  sich 
kein  alltägliches  Ereignis  darstellt,  von  klinischem  Interesse. 

Von  weit  größerem  Interesse  ist  aber  dieser  Fall  durch 
den  Erfolg  der  Therapie.  Der  Patient  wandte  sich  zuerst 
an  den  Chirurgen.  Hofrat  Prof.  Eiseisberg  lehnte  aber 
jeden  chirurgischen  Eingriff  entschieden  ab.  Es  wurden 
früher  wiederholt  Anonymaaneurysmen  operiert  und  zwar 
durch  einzeitige  oder  zweizeitige  Unterhindung  der  Karotis 
und  Subclavia  dextra,  mit  welchem  Erfolge  zeigt  eine 
Statistik  von  Bennet,^)  nach  welcher  von  35  derartig 
operierten  Patienten  23  unmittelbar  nach  der  Operation 
starben,  sechs  gebessert  und  sechs  geheilt  wurden.  Gleich¬ 
falls  ungünstige  Resultate  zeigen  die  Statistiken  von  Rosen- 
stirn^)  und  Jakob s th al.^)  Wir  behandelten  den  Patien¬ 
ten  mit  subkutanen  Gelatineinjektionen. 

Bekanntlich  haben  Ijancereaux  und  Paulesco  im 
Jahre  1897  den  Vorschlag  gemacht,  Aneurysmen  mit  sub¬ 
kutanen  Gelatineinjektionen  zu  behandeln.  Ueber  den  Wert 
und  die  Erfolge  dieser  Alethode  wurde  seit  dieser  Zeit  viel 
geschrieben.  Sorgo^)  hat  im  Jahre  1901  ein  umfassendes 
Referat  über  die  bis  zum  Jahre  1901  mit  subkutanen  Ge¬ 
latineinjektionen  behandelten  Fälle  erstattet  und  kam  da¬ 
bei  zu  folgenden  Schlüssen.  In  einem  hohen  Prozentsatz 
der  Fälle  kann  man  nach  subkutaner  Gelatineinjektion  eine 
direkte  Verkleinerung  und  Verhärtung  des  aneurysmati¬ 
schen  Sackes  nachweisen,  allerdings  nur,  wenn  es  sich 
um  sackförmige  Aneurysmen  handelt.  Da  aber  in  allen 
diesen  Fällen  Bettruhe  und  entsprechende  Diät  eingehalten 
wurde  und  da  experimentell  eine  Steigerung  der  Gerin¬ 
nungsfähigkeit  des  Blutes  l>ei  subkutaner  Injektion  von  Ge¬ 
latine  nicht  nachgewiesen  wurde,  wissen  wir  nicht,  ob  die 
Gerinnung  im  Sacke  wirklich  (une  Folge  der  Gelatinebehand¬ 
lung  ist. 

Seit  dieser  Zeit  hat  sich  der  Stand  der  Frage  wesent¬ 
lich  geändert.  Vor  allem  ist  experimentell  nachgewiesen, 
daß  die  Gelatine  die  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  stei¬ 
gert.  So  zeigte  Mo  11,^)  daß  bei  subkutaner  Gelatineinjektion 
nach  12  bis  24  Stunden  eiue  Fibrinogen  Vermehrung  im 
Blute  auftritt  und  daß  ferner  die  roten  Blutkörperchen 
agglutiniert  werden. 

Die  Steigerung  der  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  nach 
Gelatineinjektion  wurde  übrigens  auch  von  vielen  anderen 
Autoren  nachgewiesen,  wie  Lütkens,^)  Kaposi'^)  und 
Zi  he  11.8) 

Was  den  zweiten  Einwand  Sorgos  anbelangt,  daß 
bei  allen  günstigen  Fällen  Bettruhe  und  strenge  Diät  an¬ 
geordnet  wurde,  so  ist  gerade  unser  Fall  ein  glänzendes 
Beispiel  dafür,  daß  trotz  des  Mangels  dieser  zweifellos  gün¬ 
stigen  Momente  Gerinnung  eintreten  kann  und  daher  vor 
allem  die  Gelatine  die  Gerinnung  im  Sacke  bewirkt.  Patient 
ist  während  der  Behandlung  als  Stations-  und  Frachten¬ 
kassier  im  Dienste  gestanden  und  hat  auch  eine  strenge 
Diät  nicht  eingehalten.  Nachträglich  hat  sich  sogar  heraus¬ 
gestellt,  daß  er  täglich  einen  Tee  mit  Kognak  trinkt  und 
daß  er  den  ganzen  Tag  Zigaretten  raucht. 

Bei  unserem  Patienten  wurde  folgende  Gelatinelösung 
verwendet.  Es  wird  Goldgelatine  in  einer  warmen,  9°/ooigen 
Kochsalzlösung  aufgelöst,  dann  filtriert,  dann  in  Kolben 
gefüllt  und  durch  drei  Tage  bei  100®  C  durch  je  eiiu'  Stunde 
fraktioniert  sterilisiert.  Ich  injizierte  von  einer  10^/oigen  Ge- 


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latiiielüsung  1X31,  1X34,  1X37,  1X40,  1X45,  3X50  ciii^, 
also  im  ganzen  337  g  Gelatine. 

Die  Injektionen  wurden  allwöclientlicli  einmal  sub¬ 
kutan  in  der  hinteren  Axillarlinie,  in  der  Höhe  des  Angulus 
scapulae  gemacht.  Hei  der  Injeklion  schmerzt  der  Einstich 
der  Nadel,  sowie  das  Ende  der  Injektion.  Regehnähig  vier 
Stunden  nach  der  Injeklion  bekommt  der  Patient  durch 
zwei  Stunden  anhaltende  Schmerzen.  Die  durch  die  in- 
jektionsmasse  bedingte  Geschwulst  verschwindet  in  der 
Regel  nach  48  Stunden,  bei  Umschlägen  mit  essigsaurer 
Tonerde  etwas  rascher,  einmal  blieb  die  Geschwulst  durch 
zwölf  Tage,  einmal  bekam  Rat.  nach  der  Injektion  Fieber 
bis  39-2^,  das  aber  nach  einem  Tage  verschwand,  einmal 
bekam  Pat.  eine  halbe  Stunde  nach  der  Injektion  eine  läh- 
niungsartige  Schwäche  der  linken  Hand,  welche  nach  einer 
halben  Stunde  besser  wurde  und  nach  sechs  Stunden  ver¬ 
schwand. 

An  dem  Patienten  bemerken  wir  folgende  Verände¬ 
rungen  :  Der  Befund  an  den  Pulsen  ist  unverändert,  die 
rechte  Arteria  temporalis  und  Karotis  nicht  pulsierend,  der 
Puls  an  der  rechten  Radialis  und  ßrachialis  Ideiner  und 
später  kommend  wie  links.  Pat.  gibt  an,  daß  sein  Hals¬ 
umfang  um  4V2  cm  abgenommen  hat.  Eine  sichere  Ver- 
ändermig  in  der  Lage  des  Kehlkopfes  ist  nicht  nachweis¬ 
bar,  doch  behauptet  der  Patient,  daß  aucli  der  Kehlkopf 
in  seiner  Lagerung  etwas  nach  rechts  gerückt  ist. 

Der  zwischen  dem  rechten  Sternokleidomastoideus  und 
der  Trachea  vortretende  Tumor  ist  zwar  nicht  mehr  sicht¬ 
bar,  man  spürt  ihn  aber  bei  Palpation  als  deutlich  pulsie¬ 
renden  Tumor,  der  mit  seiner  höchsten  Kuppe  die  Incisura 
sterni  um  iVi  cm  überragt.  Doch  ist  die  Pulsation  bedeu¬ 
tend  schwächer  als  damals,  die  Resistenz  des  Tumors  ist 
bedeutend  stärker,  der  Tumor  geht  liinter  den  rechten  Mus- 
culus  sternodeidomastoideus,  verliert  sich  aber  sofort  hinter 
dem  vorderen  Rande  desselben.  Man  hört  über  dem  Tumor 
deuthche  Triphonie,  der  zweite  Halbton  ist  unrein. 

Das  Oedem  der  Haut  ist  geschwunden,  die  Venen¬ 
netze  in  der  Haut  sind  viel  spärlicher  und  kleiner,  die 
rechte  Vena  jugularis  externa  tritt  nicht  mehr  auffällig  her¬ 
vor,  die  Schmerzen  in  der  rechten  Schulter,  die  Parästhesien 
im  vierten  und  fünften  Finger  der  rechten  Hand  sind  ge¬ 
schwunden,  das  rechte  Stimmbaird  ist  his  auf  eine  geringe 
Parese  der  Ahduktoren  frei  heweglich. 

Die  Asymmetrie  des  Thorax  ist  kaum  mehr  sichtbar, 
die  rechte  Areola  ist  I2V2,  die  linke  IIV2  cm  von  der 
^littellinie  entfernt  (früher  betrug  die  Differenz  3  cm).  Der 
Spitzenstoß  ist  im  fünften  Interkostalraum  in  der  linkseitigen 
inneren  Mamillarliiiie  kaum  angedeutet  palpahel.  Er  rückt 
in  Linkslage  gut  einen  Querfinger  nach  außen  von  der 
linkseitigen  äußeren  Mamitlaiiinie.  Die  Herzdämpfung  er¬ 
reicht  nicht  ganz  den  linken  Sternalrand. 

Der  Lungenbefund  auf  der  rechten  Lunge  hat  sich 
nicht  wesentlich  geändert,  nur  ist  das  Inspirium  etwas  hör¬ 
bar,  während  es  früher  fehlte. 

Dagegen  ist  links  vorne  derzeit  normaler  Lungen¬ 
schall,  das  Inspirium  rauh  vesikulär,  im  Inspirium  hört 
man  ein  fortgeleitetes  tracheobronchiales  Atmen.  In  den 
beiden  Fossae  supraclaviculares  ist  der  Stimmfremitus  und 
die  Stimmkonsonanz  rechts  stärker  als  links  abgeschwächt. 
Das  in  der  Höhe  der  Spina  scapulae  entstandene  klein¬ 
röhrenartige  Bronchialatmen  ist  nicht  mehr  hörbar. 

Dagegen  besteht  noch  ein  deutliches  Üliver-Car- 
darellisches  Phänomen,  allerdings  schwächer  als  früher. 

Es  ist  also  die  rechtseitige  Rekurrenslähmung,  die 
Kompression  des  rechten  Plexus  hrachialis,  der  rechten 
Vena  anonyma,  ferner  die  Stenose  des  linken  Bronchus 
geschwunden,  ferner  ist  der  sichtbare  Tumor  um  ein  ganz 
Bedeutendes  kleiner  und  härter  geworden,  seine  Pulsation 
geringer. 

Daraus  ergibt  sich,  daß  in  diesem  Falle  der  Aneu¬ 
rysmasack  unter  Gelatinebehandlung  deutlich  kleiner  wurde, 
ein  Erfolg,  der  die  günstigen  Berichte  über  diese  Behand¬ 
lungsart  neuerdings  bestätigt.  So  hat  Baß^)  in  einem  Sani- 


nielreferat  gezeigt,  daß  von  126  Fällen  von  sackförmigen 
Aneurysmen  61  mit  glänzendem  Erfolge  durch  subkutane 
Gelatiiieinjektionen  behandelt  wurden. 

Der  ganze  Fall  scheint  demnach  mitteilens¬ 
wert,  weil  es  sich  um  ein  am  Krankenbett  dia¬ 
gnostiziertes  und  durch  den  Röntgenbefund 
zweifellos  bestätigtes  Aneurysma  der  Arteria 
a  11  o  n  y  m  a  handelt,  weil  wahrscheinlich  d  u  r  c  h 
dasselbe  eine  neue  Ursache  für  das  Zustande¬ 
kommen  einer  linkseitigen  Bronchusstenose  und 
des  Oliver  -  Cardarellischen  Symptoms  durch 
einfache  Verdrängung  des  Aortenbogen^  klarge¬ 
legt  zu  sein  scheint  und  weil  endlich  der  Fall 
beweist,  daß  unter  selbst  ungünstigen  äußeren 
Verhältnissen  des  Kranken  lediglich  unter  der 
Einwirkung  wiederholter  G  e  1  a  t  i  n  e  i  11  j  e  k  t  i  0  n  e  n 
eine  objektiv  sicher  ge  stellte,  erhebliche  Ver¬ 
kleinerung  des  Aneurysmas  erreicht  worden  zu 
sein  scheint. 

Zum  Schlüsse  erübrigt  mir  noch  die  angenehme 
Pflicht,  Herrn  Prof.  Ürtner  für  die  Ueberlassung  des  Falles 
meinen  verbindlichsten  Dank  auszusprechen. 

Literatur: 

1)  B  e  n  n  e  t,  The  Lancet  188L  -  h  Rosenstirn,  Langenbecks 
Archiv  für  klinische  Chirurgie,  Bd.  34.  J  a  k  0  b  s  t  h  a  1,  Deutsche 

Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  63,  5.  und  6.  Heft.  —  Sorgo,  Zeitschrift 
für  klinische  Medizin  1901.  —  Moll,  Wiener  klinische  Wochenschrift 
1903.  —  ®j  L  ü  t  k  e  n  s,  Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Phar¬ 
makologie,  Bd.  55.  —  9  Kaposi,  Mitteilungen  aus  dem  Grenzgebiete 
der  Medizin  und  Chirurgie,  Bd.  13.  -  Z  i  b  e  1 1,  Münchener  medizinische 
Wochenschrift  1901.  —  9  B  a  ß,  Zentralblatt  für  die  Grenzgebiete  der 
Medizin  und  Chirurgie  1904. 


Aus  der  II.  internen  Abteilung  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  in  Triest.  (Vorstand:  Primararzt  Dr.  Viktor 

Liebman.) 

lieber  Novaspirin,  ein  neues  Aspirinpräparat. 

Von  Dr.  Guido  Liebinau. 

Die  moderne  Therapie  vt-rfügt  über  eine  so  große  Reihe 
von  Salizylpräparaten,  daß  es  wohl  gewagt  erscheint,  mit 
einem  neuen,  verbesserten  Mittel  an  die  Oeffentlichkeit 
herantreten  zu  wollen,  um  so  mehr,  als  das  saiizylsaure 
Natron  von  allen  seinen  Derivaten  gewiß  an  Wert  weder 
überboten,  noch  durch  sie  verdrängt  werden  konnte.  Somit 
erschien  auch  die  Skepsis  gegen  das  Aspirin  gerechtfertigt, 
welche  von  allem  Anfang  seine  Einführung  hervorrief,  bis 
man  zum  sicheren  Schlüsse  kommen  konnte,  daß  dieser 
Essigsäureester  der  Salizylsäure  —  gegenüber  der  gewöhn¬ 
lichen  Salizylsäure  selbst  —  doch  den  Vorteil  bietet,  die 
Schleimhaut  des  Magens  fast  gar  nicht  zu  reizen,  folglich 
den  Appetit  nicht  zu  beeinträchtigen.  Somit  war  in  der 
Tendenz,  alle  unangenehmen  Nebenwirkungen  abzuschaffen, 
mit  welchen  man  unstreitig  bei  jedem  Präparate  rechnen 
muß,  wieder  ein  Bedeutendes  geleistet. 

Und  nach  den  Erfahrungen  die  man  beim  Ersatz  der 
Salizylsäure  durch  Aspirin  gemacht  hatte,  blieb  es  nicht  aus¬ 
geschlossen,  ja  sogar  wahrscheinlich,  daß  auch  neue  Aspi¬ 
rinpräparate  in  einzelnen  Fällen  einen  Vorzug  durch  Aus¬ 
schaltung  gewisser  ^uierwünschter  Nebenwirkungen  noch 
aufweisen  könnten.  Ich  will  dabei  nicht  behaupten,  daß 
das  Novaspirin,  ein  Methylzitronensäureester  der  Saliz’^d- 
säure,  als  ein  in  jeder  Hinsicht  verbessertes  Aspirin  zu 
betrachten  ist;  doch  wage  ich  aus  den  mit  clem  neuen 
Mittel  angestellten  Versuchen  den  Schluß  zu  ziehen,  daß 
auch  dieses  Präparat  bei  zweckmäßiger,  von^  Fall  zu  Fall 
zu  bestimmender  Anwendung  nicht  ohne  AVert  ist,  weil, 
wie  gesagt,  hei  der  ungemein  häufigen  Indikation  der  Sali- 
zylate  man  mit  allen  bestehenden  Präparaten  noch  immer 
wieder  auf  eine  von  seiten  der  Kranken  his  zur  Idiosyn¬ 
krasie  gesteigerten  Intoleranz  gegen  das  eine  oder  das  an¬ 
dere  stößt.  Als  ein  Beispiel  will  ich  nur  auf  Kranke,  die 
an  Hyperazidität  leiden,  hinweisen,  welche  Aspirin  schlecht 
oder  gar  nicht  vertragen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


Das  N  o  vaspiriii  hat  eine  ähiiiiche  Zusaniineiisotzung 
wie  Aspirin.  Bei  ersterem  Iritt  die  Methylenzitroiiensäiire 
an  Stelle  der  Essigsäure.  Somit  ist  der  wirksame  Bestand¬ 
teil  des  Citarins  gegeben  und  man  kann  Novaspirin  als 
eine  Verbindung  von  (’itarin  und  Aspirin  be¬ 
trachten.  Die  Firma  Bayer  in  Elberfeld  wandte  sich  an 
uns  und  wir  stimmten  mit  ihr  im  Wunsche  überein,  dieses 
neue  Präparat  speziell  in  Fällen  anzuwenden,  wo  neben 
rbeuma tischen  auch  gichtische  Affeklionen  bestehen. 

Da  aber  leider  im  Spitalsmateriale  gichtische  Affek¬ 
tionen,  besonders  akute  Gichtanfälle,  sehr  selten  zur  Be¬ 
handlung  kommen,  mußten  wir  die  Prüfung  in  dieser  Rich¬ 
tung  dahingestelll  sein  lassen  und  icli  unternahm  im  Auf¬ 
träge  meines  Chefs  eine  größere  Reihe  von  Versuchen,  in¬ 
dem  ich  mit  Novaspirin  vorwiegend  Affektionen  rheumati¬ 
schen  Ursprunges  behandelte.  Bei  über  50  derartigen  Fällen 
konnte  ich  zu  einem  sehr  befriedigenden  Endresultate 
kommen. 

An  der  Hand  der  gemachten  Erfahrungen  darf  ich 
annehmen,  daß  das  Novaspirin  nicht  die  geringsten  Magen¬ 
beschwerden  herv'orruft  und  meine  Versuche,  Novasi)irin  als 
einen  vollkommenen  Ersatz  des  Aspirins  zu  betrachten,  in 
Fällen,  wo  dieses  letztere  nicht  toleriert  wurde,  stimmen 
den  günstigen  Ergebnissen  von  Witthauer  (Berliner  kli¬ 
nische  Wochenschrift  1907,  Nr.  3)  vollkommen  bei.  Die  An¬ 
schauung  \Vi  Ithauers  aber,  Novaspirin  habe  eine  schwä¬ 
chere  Wirkung  als  Aspirin,  wurde  bei  unseren  Fällen  nicht 
bestätigt.  Ich  konnte  hingegen  —  vermöge  einer  mit  größeren 
Dosen  (4  bis  6  g  pro  die)  eingeleiteten  Behandlung  —  bei 
P'olyarthritischen  und  einfach  rheumatischen  Affektionen, 
ein  sehr  rapides  Schwinden  der  Schwellung  und  der 
Schmerzen,  mit  gleichzeitig  sehr  guter  antipyretischer  Wir¬ 
kung  konstatieren,  ln  Kürze  möchte  ich  nur  einige  der 
vielen  Krankengeschichten  wiedergeben : 

1.  Fall.  Pr.  R...  22  Jahre  aller  Maurer,  litt  schon  vor  fünf 
Jahren  an  Gelenksschwellimg  an  beiden  Knien  mit  fieberhaftem 
Zustand.  Seit  fünf  Tagen  wieder  Schmerzen  und  Schwetluug  an 
verschiedenen  Gelenken.  Heftige  Magenbescliwerden  (Nause;),  Er¬ 
brechen).  Innere  Organe  normal.  Heiztöne  etwas  dumpf.  Tem¬ 
peratur  40°. 

Rechtes  Kniegelenk:  Schwellung.  Aktive  Rewegunoeii  ein¬ 
geschränkt,  passive  kaum  möglicli  und  sehr  schmerzhaft. 

Linkes  Kniegelenk:  Sehr  starke  Schwellung  und  Schmerzen. 
Aktive  und  passive  Bewegungen  aufgehoben. 

Rechter  Fuß:  Sprunggelenk  diffus  geschwollen  und  intensiv 
druckschmerzhaft.  Bewegungen  in  jedem  Sinne  sistiert. 

Linker  Fuß  :  Etwas  geringere  Schwellung.  Aktive  Bewegun¬ 
gen  etwas  eingeschränkt. 

Am  rechten  Schultergelenk  Druckschmerzhaftigkeit. 

18.  November:  3  g  Novaspirin.  Status  idem.  Nausea.  Zwei¬ 
mal  Erbrechen. 

Temperatur:  Früh:  38-6°.  Abend:  39-3°. 

19.  November:  4  g  Novaspirin.  Besserung.  Die  ganze  rechte 
untere  Extremität  ist  in  allen  Gelenken  aktiv  beweglich  und  mini¬ 
mal  schmerzhaft.  Das  linke  Kniegelenk  wird  fast  ganz  flektiert. 
Linker  Fulf  noch  schmerzhaft.  Rechts  Schmerzen  am  Scliuller- 
Ellbogen  und  Handgelenk.  Beweglichkeit  im  rechten  Schultergelenk 
eingeschränkt.  Nausea  geschwunden.  Kein  Erbrechen. 

Temperatur:  Früh:  38-2°.  Abend:  38  5°. 

20.  Novendmr:  4  g  Novaspirin.  Schmerzen  an  den  unteren 
Extremitäten  geschwunden.  Der  rechte  Arm  kann  aktiv  nicht 
gehoben  werden.  Allgemeinbefinden  gebessert. 

Temperatur:  Früh:  38-4°.  Abend:  39°. 

*  21.  November:  4  g  Novaspirin.  Die  Finger  der  rechten  Hatid, 

die  gestern  etwas  geschwollen  und  schmerzhaft,  auch  auf  Druck 
schmerzlos  und  in  allen  Gelenken  beweglich.  Komplette  Beweglich¬ 
keit  und  Schmerzlosigkeit  an  den  unteren  Extremitäten.  Magen¬ 
beschwerden  ganz  geschwunden. 

Temperatur:  Früh:  38°.  Abend:  381°. 

22.  November:  4  g  Novaspirin.  Besserung  schreitet  fort. 
Auch  der  rechte  Vorderarm  ist  beweglich  und  schmerzlos.  Der 
Kranke  fühlt  sich  wohl. 

Temperatur:  Früh:  37-5°.  Abend:  37  8°. 

23.  November:  4g  Novaspirin.  Alle  Gelenke  frei  beweg¬ 
lich.  Keine  Schmerzen.  Allgemeinbefinden  ein  ausgezeichnetes. 
Der  Kranke,  bisher  bei  flüssiger  Kost,  verlangt  feste  Nahrujig. 

Temperatur :  Früh ;  37'3°.  Abend :  36-9°. 


24.  November:  3  g  Novaspirin.  lüs  auf  sehr  gi'ringe  Diuck- 
schmerzhaftigkeit  im  rechten  Schutlergelenk  gar  keine  Be¬ 
schwerden.  Vollkommenes  VMhlbelinden.  Sehr  guter  Appetit. 

Temperatur:  Früh:  36-6°.  Abend:  36-7°. 

25.  November:  2  g  Novaspirin.  xVlte  Beschwerden  ge¬ 
schwunden. 

Temperatur:  Früh:  36-5°.  Atmend:  36-5°. 

26.  Novemljer:  Novaspirin  wird  eingestellt. 

Ich  lasse  den  Patienten  noch  zwei  'tage  liegen  und  beludle 
ihn,  trotz  seiner  Widerspräche,  eine  Woclie  lang  als  Rekonvales¬ 
zent  in  tier  Anstalt.  Keinerlei  Schmerzen  oiler  Beschwerden 
treten  auf. 

2.  Fall.  4'.  Z.,  39  Jahre  alter  Matrose,  litt  wiederholt  an 
Gelenksschwellungen  an  den  unteren  Extremitäten.  Seit  einer 
Woche  ist  Pat.  von  Schwellung  und  Schmerzen  an  sämtlichen  Ex¬ 
tremitäten  befallen.  Ausgedehnte  katarrtialische  Erscheinungen  an 
beiden  Lungen.  Herztöne  kaum  hörbar  und  dumpf.  Radialis  etwas 
hart,  gesctdängelt.  Puls  108,  arrhythmisch.  Temperatur  39-2°. 
Beide  Knie  und  Füße  sind  bei  der  leisesten  Berührung  in  höch¬ 
stem  Grade  schmerzliaft.  Beide  Schultern,  die  Hände  und  der 
ganze  rechte  Arm  stark  drucksclimerzhaft.  Schwellung  des  linken 
Sprung-  und  des  rechten  Ellbogengelonkes,  welches  ak  iv  unbeweg¬ 
lich.  Sehr  starke  Schwellung  des  linken  Handgelenkes. 

24.  November:  Al)ends  3  g  Novaspirin.  Temperatur:  39-2°. 

25.  November:  4g  Novaspirin.  Pat.  hatte  eine  sehr  un¬ 
ruhige  Nacht.  Ziemlich  starker  Sclnveißiausbruch.  Schmerzen  in¬ 
tensiv.  Objektiv  keine  Aeiideiamg. 

Temperatur:  Früh;  37-8°.  Abend:  39°. 

26.  NWvember:  6  g  Novaspirin.  Pat.  hat  besser  geschlafen. 
Die  Schmerzen  haben  wesentlich  nachgelassen.  Am  Abend  sind 
alle  Gelenke,  bis  auf  den  rechten  Ellbogen,  frei  beweglich. 

Temperatur:  Früh:  37-3°.  Abend:  38°.  Puls  92. 

27.  November:  6  g  Novaspirin.  Nacht  gut.  Pat.  klagt  nur 
noch  über  Schmerzen  an  beiden  Armen.  Sein  Allgemeinbefinden 
ist  bedeutend  gebessert.  Es  stellt  sich  Appetit  ein. 

Temperatur :  Früh :  37°.  Abend :  37-8°.  Puls  80. 

28.  November:  4  g  Novaspirin.  Die  Extremitäten  sind  aktiv 
vollkommen  beweglicb.  Leichte  Schmerzempfindung  im  linken 
Hai’.d-  und  Tn  rechten  Fllbogengelenk. 

Temperatur:  Früh:  36-6°.  Abend:  36-7°.  Puls  84. 

29.  November:  4  g  Novaspirin.  Der  Patient  fühlt  sich  ganz 
wohl.  Gar  keine  Schmerzen,  keine  Schwellung.  Sämtliche  Be¬ 
wegungen  werden  unbeschränkt  ausgeführt.  Appetit  ein  sehr  guter. 

Temperatur:  Früh:  36-2°.  Abend:  36-6°.  Puts  84. 

Novaspirin  wird  eingesteltt.  In  den  nächsten  Tagen  ist 
kein  Rückfalt  zu  verzeichnen.  Pat.  ist  von  seiner  rheumatischen 
Affektion  ganz  hergestellt.  Auch  die  katariha'ischen  Erscheiuungen 
sind  wesentlich  gebessert. 

3.  Fall.  L.  S.,  58  Jahre  alter  Taglühner,  klagt  über 

Schmerzen  beiderseits  in  der  Regio  mastoidea.  Es  besteht  voll¬ 
kommene  Kiefersperre.  Beide  Kiefergelenke  sind  stark  druck- 
schmerzhaft.  Der  Zustand  ist,  wegen  den  Beschwerden  in  der 
Nahrungsaufnahme,  ungemein  lästig.  Der  PaHent  hat  ein  dumpfes 
Schmerzgefühl  im  rechten  Ohre.  Die  otologische  Untersuchung 
ergibt  normale  Verhältnisise.  MTr  sahen  uns  daher  veranlaßt, 
den  Prozeß  als  einen  rheumatischen  aufzufassen.  Der  ganze  Zu¬ 
stand  soll  seit  mehr  als  einer  Woche  dauern.  Es  wird  Novaspirin 
durch  vier  Tage  verabreicht  (3  g  pro  die).  Schon  nach  der 
dritten  Gabe  war  Pat.  imstande,  den  Finger  zwischen  die  Zahn¬ 
reihe  einzuführen.  Die  Schmerzen  (auch  die  im  Ohre)  schwanden 
in  der  kürzesten  Zeit  und  am  fünften  Tage  war  Pat.  vollkommen 
genesen.  Da  er  außerdem  ein  Ulcus  varicosum  an  der  linken 
Wade  hatte,  behielt  ich  ihn  noch  zwei  Wochen  in  Behandlung 
und  ich  konstatierte,  daß  Pat.  keinem  Rezidiv  seiner  rheumati¬ 
schen  Affektion  anheimfiel. 

Diese  Fälle  und  der  fast  ganz  ähnliche  Verlauf  vieler 
anderer  brachten  mich  zu  der  LTeberzengung,  daß  Nov- 
aspirin  in  seiner  Wirkung  dem  Aspirin  gar  nicht  nach¬ 
steht.  ln  der  Diaphorese  konnte  ich  wohl  —  ceteris  paribus 
—  einen  minderen  Effekt  des  Novaspirins  den  anderen 
schweißtreibenden  Mitteln  gegenüber  beobachten.  Da  ich 
aber  entschieden  der  Meinung  bin,  daß  die  Diaphorese  bei 
polyarthritischen  Affektionen  eher  als  eine  schwächende  als 
eine  wohltätige  Wirkung  anzusehen  ist,  so  glaube  ich  die  ge¬ 
ringeren  Schweißausbrüche,  bei  erzielter  Wirkung,  un¬ 
bedingt  als  einen  Vorteil  betrachten  zu  können. 

Absolut  nicht  schädlich  beeinllußte  Fälle  von  bestehen¬ 
den  organischen  llerzaffektionen ;  unter  Xovaspirinbehand- 
lung  vollkommen,  nach  Entfieberung,  ausgeschaltctes  Albu- 


Kr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


193 


men  aus  Kiweißliai'iien  ;  (laben  des  Präparates  während  der 
Scliwangerscliati  und  im  Kindesalter;  stets  bis  zu  8  g  pro 
die,  ajislandsl'os,  auch  durch  lange  Zeit  tolerierte  Dosen, 
sprechen  für  die  Tatsache,  daß  Novaspirin  in  keinem  Sinne 
unangenehme  Nebenwirkungen  hervorruft,  noch  die  ge¬ 
ringste  Clefahr  darhietet. 

Was  die  neuralgischen  Affektionen  anbelangt,  konnte 
ich  bei  meinen  Fällen  in  Novaspirin  gegenüber  den  übrigen 
Salizylaten  keinen  ausgesprochenen  VWrteil  erblicken.  Nur  in 
einem  Falle  von  Trigeminusneuralgie  bei  einem  Diabetiker 
leistete  es  mir,  nach  lange  vergeblich  versuchten  Antineu- 
ralgizis  und  Salizylpräparaten,  vorzügliche  Dienste.  Wo  ich 
aber  Novaspirin  fast  als  ein  Spezifikum  hetrachten 
möchte,  das  sind  die  Fälle  von  Influenza.  Ich  sah  in 'der 
kürzesten  Zeit  —  oft  schon  nach  den  ersten  24  Stunden  — 
eine  heilende  Wirkung.  Ohne  zu  den  vielen  Krankenge¬ 
schichten  zu  greifen,  will  ich  nur  noch  einen  Fall,  der  mir 
einigen  Interesses  würdig  erscheint,  erwähnen. 

A.  D.,  33  Jahre  alter  Korbmacher,  leidet  seit  15  Tagen 
an  heftigen  Schmerzen  am  Nacken  und  an  den  Extremitäten 
(speziell  am  rechten  Ellbogen,  an  den  Knien,  Schenkeln  und 
Zehen).  Sehr  intensive  Schmerzen  in  der  Sakralgegend.  Der  Pa¬ 
tient  ist  zum  erstenmal  krank.  Sein  Beruf  zwingt  ihn,  stunden¬ 
lang  im  Wasser  zu  stehen.  Potus  und  Lues  werden  negiert.  Die 
Untersuchung  ergibt  normale  Verhähnisse,  bis  auf  eine  leichte 
Vergrößerung  der  Milz,  die  deutlich  zu  palpieren  ist  (weiche  Kon¬ 
sistenz).  Die  Temperaturkurve  zeigt  unregelmäßige  Steigerungen 
und  Remissionen  (höchste  Temperatur  39°).  Pat.  fühlt  sich  sehr 
angegriffen  und  kann  fast  nicht  auf  den  Füßen  stehen.  Er  hat 
einen  leidenden  Habitus  und  klagt  über  Mattigkeit  und  Appetit - 
mangel. 

Malaria  (außer  dem  Milztumor  lag  der  Aufenthalt  des  Pa¬ 
tienten  in  suspekter  Gegend  vor)  wird  durch  die  wiederholten 
mikroskopischen  Untersuchungen  ausgeschlossen.  Gleichfalls  fällt 
der  Verdacht  auf  eine  Knoclienerkrankung  im  Sakrem,  wo  die 
schmerzhafte  Stelle  vom  Patienten  konstant  und  genau  lokalisiert 
wird,  u.  a.  auch  durch  den  negativen  radiologischen  Befund. 
Somit  dachten  wir  an  Influenza  oder  an  eine  rheumatische  Affek¬ 
tion.  Durch  25  Tage  wurde  Chinin,  Phenazetin  und  Aspirin  ganz 
erfolglos  angewendet.  Die  Milz  ist  zwar  unterdessen  nicht  mehr 
zu  palpieren  und  Pat.  ist  auch  zeitweise  fast  ganz  entfiebert;  die 
Schmerzen  dauern  jedoch  nach  wie  vor  an  und  sind  mit  Un¬ 
wohlbefinden  und  lästigen  subjektiven  Beschwerden  verbunden. 
In  der  Nacht  des  25.  Krankheitstages  (38°)  versuchte  ich  1  g 
Novaspirin  und  gab  tags  nachlier  3  g.  Schon  am  Abend  des¬ 
selben  Tages  (37-5°)  trat  eine  wesentliche  Besserung  ein.  Aui 
dritten  Tage  der  Novaspirinbehandlung  waren  die  Schmerzen 
auf  ein  Minimum  reduziert  und  der  Appetit  gebessert  (36-6°).  Am 
vierten  Tage  (5  g  Novaspirin)  überstieg  die  Temperatur  nicht 
36-8°.  Pcd.  ist  vollkommen  munter,  hat  keinerlei  Schmerzen  und 
Beschwerden  außer  etwas  Mattigkeit.  Nun  stellte  ich  Nov¬ 
aspirin  ein  und  beobachtete  den  Patienten  ohne  medikamentöser 
Behandlung.  Er  bekam  kein  Rezidiv^,  erholte  sich  bei  Spitals¬ 
schonung  rasch  und  gänzlich  und  verließ  nach  weiteren  zehn 
Tagen  als  vollkommen  genesen  die  Anstalt. 

Im  Novaspirin  habe  ich  somit  ein  recht  nützliches 
Salizylp  ’äparat  gefunden,  das  ich  dem  Aspirin  ganz  gleich- 
steilen  möchte.  In  Fällen,  wo  das  letztere  Magenbeschwerden 
verursacht  und  bei  Influenza  ist  es  dem  Aspirin  entschieden 
vorziiziehen.  Bei  neuralgischen  Formen  nicht  zu  über¬ 
schätzen,  bleibt  es  erst  Versuchen  anhcimgestellt,  die  Wir¬ 
kung  des  Novaspirins  bei  gichtischen  Affektionen  zu  er¬ 
gründen. 

Ich  möchte  Novaspirin,  wegen  seiner  absoluten  Un¬ 
gefährlichkeit,  gleich  von  Anfang  in  größeren  Dosen  verab¬ 
reichen  und  es  —  mich  auf  die  gemachten  Erfahrungen 
stützend  —  mit  Vorliebe  bei  fieberhaften  Fällen  anwenden. 


Referate. 

Das  Militärsanitätswesen  in  Schweden  und  Norwegen. 

Von  Dr,  Joliaiiii  Steiner,  k.  u.  k.  Stabsarzt,  a.  o.  Mitglied  des  k.  u.  k. 

Militär-Sanitätskomitees. 

Wien  1906,  Safaf. 

Steiner,  dem  wir  schon  eine  größere  Anzahl  wertvoller 
Publikationen  auf  dem  Gebiete  des  Militärsanitätswesens  ver¬ 
danken,  schildert  in  der  vorliegenden  Schrift  das  Militärsaiütäls- 


west'ii  der  l)eiden  Staaten  auf  der  skandinavischen  llalh- 
insel,  deren  politische  Verliältnisse  in  diesem  Jahre  im  Vorder¬ 
gründe  des  allgemeinen  Interesses  standen. 

Die  Broschüre  teilt  sicli  in  drei  Abschnitte.  Der  erste  um¬ 
faßt  die  Organisation  des  Alilitärsanitätswesens  in  Schweden, 
der  zweite  die  von  Norwegen,  der  dritte  endlich  bringt  rectit 
irjteressante,  vergleichende  Schlußhetrachtungen,  welche  sehr 
zugunsten  des  letzteren  Staates  ausfielen,  dessen  Mititärsanitäis- 
wesen  in  organisatoiischer  Beziehung  geradezu  als  Muster  hin¬ 
gestellt  werden  kann. 

Da.  es  unmöglich  ist,  in  einem  kurzen  Referate  diese  Schrift 
im'  Detail  zu  besprechen,  so  will  Ref.  hier  nur  das*  Wichtigste 
liervorheben.  In  Schweden  ist  das  Militärsanitätswesen  in  zwei¬ 
facher  Abhängigkeit:  in  militärischer  Beziehung  vom  Train  und 
der  Intendanz,  in  ärztlicher  Beziehung  von  der  Zivilmedizinal- 
ilirektion.  Die  Feldärzte  sind  halb  Militärs,  halb  Zivilpersonen, 
haben  also  die  Pflichten  des  Soldaten  und  Mühen  des  ärztlichen 
Berufes,  ohne  der  Freiheiten  eines  bürgerlichen  Arztes  teilhaftig 
zu  werden .  In  der  M  e  d  i  z  i  n  a  1  d  i  r  e  k  t  i  o  n  sitzt  nur  ein  e  i  n- 
z  i  g  e  s  m  i  1  i  t  ä  r  ä  r  z  1 1  i  c  h  e  s  Mitglied,  dem  es  gewiß  nicht  mög¬ 
lich  ist,  die  militärärztlicheii  Interessen  voll  zu  vertreten.  Daß  die 
gegenwärtig  heslehende  Organisation  des  Feldsanitätsdienstes 
dtu'chaus  nicht  den  modernen  Anforderungen  entspricht,  beweisen 
die  Proljemohilisierung  im  Jahre  1900  und  die  großen  Uebungen 
im  Jahre  1902.  Die  Ursache  dieser  Verhältnisse  liegt  in  dem 
Entwicklungsgang  des  schwedischen  Militärsanitätswesens, 
das  sich  ebenso  wie  in  mancli’  anderer  Armee  aus  dem  kläglichen 
Feldscherertum  entwickelte.  Unter  Karl  XIV.  Johann  (Bernadotle) 
fand  zwar  ein  vorübergehender  Aufscliwung  des  schwedischen 
Heeressanitätswesens  statt,  doch  konnte  dieser  den  Militärärzten 
nicht  jene  Stellung  verscbalfen,  die  ihnen  veimöge  ihrer  wissen 
schaftlichen  Ausbildung  gebührt.  Ein  Vorzug  der  heutigen  Militär¬ 
sanität  in  Schweden  ist  die  reiche  personelle  und  materielle 
Dotierung,  sowie  das  im  ärztlichen  Korps  herrschende  rege  wissen- 
schal  tliche  Streben. 

Demgegenüber  finden  wir  in  Norwegen  ein  organisatorisch 
selbständiges  und  den  übrigen  Heeresdienstzweigen  vollkommen 
gleichgestelltes  Militärsanitätswesen.  Das  norwegische  Militär- 
sanitätswesen  entwickelte  sich  zwar  auch  aus  dem  Feldscherer¬ 
tum,  vermochte  sich  aber  in  den  Jahren  1853  bis  1883  durch  einen 
sozusagen  niilitäräiztlichen  Freiheitskampf  auf  die  gegenwärtige 
Höhe  emporzuschwingen.  Die  heutigen  norwegisicben  Militärärzte 
sind  vollwertige  Offiziere  und  tüchtige  Aerzte,  dem  Milizcharakter 
der  norwegischen  Armee  entsprechend,  betreibt  der  größte  Teil 
der  Offiziere  eine  zivile  Nebenbeschäftiigung.  Ein  Mangel  der 
norwegischen  Militärsanität  sind  die  relativ  geringen  Stände  des 
Sanitätspeisonals,  insbesondere  in  den  Sanitätsanstalten  und  die 
kurze  Ausbildungszeit,  die  allerdings  eine  Folge  des  Miliz¬ 
systems  sind. 

Zum  Schlüsse  spricht  Steiner  den  Wunsch  aus,  daß  die 
Prinzipien  der  ausgezeichneten  norwegischen  Organi¬ 
sation  a  u  c  h  i  n  a  n  d  e  r  e  n  A  r  m  e  e  n  A  n  e  r  k  e  n  n  u  n  g  und 

Einführung  f  i  n  d  e  n  mögen. 

* 

Nasziturus. 

Eine  gemeinverständliche  Darstellung  des  Lebens  vor  der  Geburt  und 
der  Rechtsstellung  des  Menschen  für  Juristen,  Mediziner  und  gebildete 

Laien. 

Verfaßt  von  Prof.  Dr.  Friedrich  Alilfeld,  Geheimer  Medizinalrat, 
Direktor  der  Universitäts-Frauenklinik  und  Hebammen-Lehranstalt  in 

•  Marburg. 

Leipzig  1906,  Fr.  Wilh.  G  r  u  n  o  w. 

Ahlfeld  verfolgt  in  der  vorliegenden  Schrift  nicht  nur 
das  Ziel,  medizinische  Laien,  namentlich  Juristen,  über  die  Ent¬ 
wicklung  des  ,,Nasziturus“  aufzuklären,  sondern  er  bringt  unter 
Kritik  der  gegenwärtigen  gesetzlichen  Bestimmungen  des  deut¬ 
schen  bürgerlichen  und  Strafgesetzbuches  auch  eine 
Reihe  von  Vorschlägen,  wie  die  Rechtsstellung  des  ,,Naszi- 
turus“  in  einem  Zukunftsgesetze  zu  präzisieren  sei. 

Die  Schrift  ist  in  vier  Abschnitte  geteilt.  Der  erste  handelt 
von  der  Menschwerdung,  dem  Dasein  vor  der  Geburt,  dem  Ueber- 
gang  des  intrauterinen  Lebens  in  das  extrauterine,  der  Lebens¬ 
fähigkeit,  der  Bedeutung  der  menschlichen  Gestalt,  der  zweite 
umfaßt  die  Verheimlichung  der  •  Schwangerschaft  und  Geburt,  die 


194 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


i 


Zurechnungsfälligkeit  Schwangerer,  Gebärender  und  frisch  Ent¬ 
bundener,  die  Geburtstörungen  heindich  Gebärender,  welche 
Scheintod  und  Tod  des  Kindes  zur  Folge  haben  können,  den  intra- 
und  extrauterinen  Scheintod,  die  Lehensprohen.  Im  dritten 
Abschnitte,  der  uns  am  meisten  interessiert,  bringt  Ahlfeld 
eine  Kritik  der  jetzigen  Stellung  des  Nasziturus  im  Recht, 
sowie  Abänderungsvorschläge,  Motive  und  Folgerungen  für  die 
Rechtspraxis,  der  vierte  Abschnitt  endlich  beschäftigt  sich  mit 
dem  ärztlichen  Beirat. 

Ref.  mu.ßl  es  sich  versagen,  im  Detail  diese  Abschnitte  zu 
besprechen,  da  dies  den  Raum  eines  kurzen  Referates  weit  über¬ 
schreiten  würde;  derjenige,  der  den  Standpunkt,  den  Ahlfeld 
in  dieser  Frage  einnimmt,  genau  kennen  lernen  will,  möge  die 
Broschüre  im  Original  nachlesen.  Den  forensischen  Medi¬ 
ziner  und  den  Geburtshelfer  werden  in  erster  Linie  die 
.•\bschnitte  3  und  4  interessieren.  In  ersterem  beschäftigt  sich 
A  h  1  f  e  1  d  vorwiegend  mit  dem  §  1  des  deutschen  bürge  r- 
lichen  Gesetzbuclies,  welcher  lautet:  ,,Die  Rechtsfähig¬ 
keit  des  j\I e n s c h e n  beginnt  mit  der  Vollendung  de r 
Gehurt“;  er  kritisiert  die  Fassung  desselben,  indem  er  darauf 
hinweist,  dah.  im  juridischen  Sinne  nur  ,,ein  lebend  geborener 
Mensch  rechtsfähig  ist“  und  ,,daß  nur  der  Geborene  lebt“,  durch 
welche  Auffassung  die  Eltern  des  „Nasziturus“  und  etwaige 
rechtlich  interessierte  Dritte  von  den  während  der  Gehurt  ein¬ 
tretenden  Ereignissen  abhängig  gemacht  werden,  während  nach 
Ahlfelds  Ansicht  dem  Kinde  der  zweiten  Schwangerschaftshälfte 
die  bürgerlichen  Rechte  nicht  nur  im  Falle  einer  ,, Lebend¬ 
geburt“,  sondern  überhaupt  bereits  vor  der  Geburt  zu  sichern 
seien.  Ahlfeld  macht  schließlich  folgende  Vorschläge  zur  Ab¬ 
änderung  des  §  1 : 

1.  Die  Rechtsfähigkeit  des  Alenschen  beginnt  mit  dem  sicheren 
Nachweis  seiner  Existenz. 

2.  Mensch  im  Sinne  des  Rechtes  ist  jedes  vom  Manne  und 
Weihe  erzeugte  Schwangerschaftsprodukt,  das  ein  Herz  besitzt 
und  den  sechsten  Schwangerschaftsmonat  in  der  Entwicklung 
überschritten  hat. 

3.  Der  totgeborene  Mensch  gilt  rechtlich  als  einer,  der  vorher 
gelebt  hat. 

Der  sichere  Nachweis  der  Existenz  des  Menschen  geschieht 
durch  Feststellung  der  ,,kindlichen  Herztöne“;  dieser  soll 
jedoch  nicht  obligatorisch,  sondern  fakultativ  sein,  d.  h.  Frauen, 
die  für  ihre  Frucht  oder  für  sich  selbst  oder  für  weitere  Inter¬ 
essenten  einen  Rechtsnutzen  aus  dem  Existenznachweis  erwirken 
zu  können  glauben,  sollen  Gelegenheit  haben,  den  Beweis  zu  er¬ 
langen,  daß  sie  ein  lebendes  Kind  tragen.  Der  Amtsarzt  hätte 
nun  die  Aufgabe,  diesen  E  x  i  s  t e  n  z, n  a  c  h  w e  i  s  mittels  eines  Doku¬ 
mentes  zu  führen.  Dieser  Gedanke  wird  von  Ahlfeld  in  den 
„Folgerungen“  und  ,,]\Iotiven“  noch  weiter  ausgesponnen 
und  seine  Bedeutung  auch  für  das  deutsche  Strafrecht  (§  211) 
näher  präzisiert. 

Im  vierten  Abschnitt  behandelt  der  Autor  die  Stellung 
und  Aufgaben  des  Arztes  als  Sachverständiger  in  geburts¬ 
hilflichen  und  gynäkologischen  Fragen  und  erweist  sich 
hiebei  als  Anhänger  der  in  Deutschland  fast  allgemein 
vertretenen  Ansicht,  daß  der  tüchtigste  Spezialarzti 
auch  der  tüchtigste  G  e  r  i  c  h  t  s  a  r  z  t  sei.  Auch  sollte  nach 
Ahlfelds  Meinung  dem  Sachverständigen  bei  der  V  erne  h  m  u  n  g 
des  Angeklagten  und  in  der  Voruntersuchung,  schlie߬ 
lich  auch  hei  der  Entscheidung  ein  größerer  Einfluß  als  bisher 
gewahrt  werden.  Die  dadurch  bedingte  größere  Wertschätzung 
des  ärztlichen  Beirates  würde  auch  gleichzeitig  mit  einer 
Hebung  der  gerichtlichen  Medizin  als  Wissenschaft 
e  i  n  h  e  r  g  e  h  e  n. 

Diese  Ansichten  werden  wohl  nicht  von  allen  praktisch 
tätigen  Gerichtsärzten  geteilt  werden.  Eine  obligatorische  Zu¬ 
ziehung  von  Spezialisten  zur  Begutachtung  der  einschlägigen  ge¬ 
richtsärztlichen  Fragen  würde  eine  Zersplitterung  der  gericht¬ 
lich  -  ui  e  d  i  z  i  n  i  s  c  h  e  n  Wissenschaft  herbeiführen,  deren 
Stellung  unter  den  übrigen  medizinischen  Disziplinen  da¬ 
durch  gewiß  nicht  gewinnen  würde.  Auch  ist  diese  Stellung  in 
anderen  Ländern,  so  z.  B.  in  Oesterreich,  keineswegs  eine  so 
untergeordnete,  wie  dies  in  Deutschland  der  Fall  ist.  (Ref.) 

Reuter, 


Atlas  der  deskriptiven  Anatomie  des  Menschen. 

Von  Sobotta. 

HI.  Abteilung,  1.  Lieferung. 

Das  Nerven-  und  Gefäßsystem  des  Menschen. 

Lehmanns  medizinischen  Atlanten,  Bd.  4. 

München  1906,  Lehmann. 

Im  vorliegenden  Bande  erfährt  das  schöne  Tafelwerk  des 
Autors  eine  würdige  Fortsetzung.  Ein  glücklicher  Gedanke  zur 
Förderung  des  didaktischen  Zweckes  des  Atlas  liegt  darin,  daß 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Gefäße  und  Nerven  zusamhien  ahgebildet 
wurden  und  von  dieser  Darstellungsweise  nur  dort  Abstand  ge¬ 
nommen  wurde,  wo  es  der  Deutlichkeit  wegen  unerläßlich  war. 
Hiedurch  vermeidet  der  Student  viel  Zeitverlust  beim  Präparieren 
durch  lästiges  Nachschlagen,  da  er  die  Gebilde  einer  Präparations¬ 
schicht  auf  einer  einzigen  Seite  des  Atlas  vereinigt  findet.  Gleich¬ 
zeitig  erhält  der  Leser  eine  Serie  topographisch-anatomischer 
Uehersichtshilder.  Die  technische  Ausführung  der  Reproduktionen 
(Anger er  &  Göschl,  Wien)  steht  auf  der  gleichen,  vollendeten 
Höhe,  wie  in  den  bisher  erschienenen  Lieferungen. 

* 

K.  V.  Bardeleben,  Lehrbuch  der  systematischen  Anatomie 
des  Menschen  für  Studierende  und  Aerzte. 

Berlin  und  Wien  1906,  Urban  und  Schwarzenberg. 

Das  neue  Lehrbuch  der  systematischen  x\natomie  füllt 
einen  stattlichen  Band  von  1000  Seiten.  Es  soll  also  nicht  bloß 
zum  Rigorosum  einpauken;  für  Studierende  und  Aerzte  bestimmt, 
hat  es,  wie  der  Verfasser  selbst  im  Vorwort  hervorhebt,  die 
Beziehung  zur  praktischen  Heilkunde  nicht  außer  acht  gelassen. 
Dabei  wird  es  allen  modernen  Forschungsergebnissen  gerecht 
und  gibt  durch  zahlreiche  Literaturnachweise  dem  Leser  Gelegen¬ 
heit  zu  genauerem  Eingehen  auf  die  einzelnen  Fragen.  Nicht 
nur-  die  makro-  und  mikroskopische  Anatomie,  sondern  auch  die 
Zellen-  und  Gewebelehre,  die  Entwicklungsgeschichte,  die  Grund¬ 
züge  der  Anthropologie  sind  mit  dargestellt.  Eine  kurze  Ueber- 
sicht  der  Geschichte  der  xAnatomie  (meist  in  Schlagworten)  leitet 
das  Buch  ein. 

Einige  kleine,  heim  Durchblättern  gefundene  Mängel  möchte 
Referent  hervorheben.  So  ist  das  Kapitel  über  allgemeine  Ent¬ 
wicklungsgeschichte  wohl  etwas  gar  zu  kurz  geraten  und  nament¬ 
lich  die  Darstellung  der  Gastrulation  und  Keimhlatthildung  dürfte 
in  dieser  knappen  Fassung  zu  Mißverständnissen  xAnlaß  geben. 
Ferner  findet  sich  bei  Beschreibung  des  Gehirnes  zweimal  die 
Angabe,  daß  der  Ple.xus  chorioideus  lateralis  durch  das  Foramen 
Monroi  in  den  Seitenventrikel  gelange.  Auch  mit  der  Auffassung 
der  Tela  choroidea  superior  (S.  768)  und  der  Fissura  trans¬ 
versa  cerebri  (S.  772,  im  Text  steht  „cerehelli“)  können  wir  uns 
nicht  ganz  einverstanden  erklären.  Die  Furchen  und  Windungen 
des  Großhirns  sind  etwas  stiefmütterlich  behandelt.  Die  Angabe, 
daß.  das  Cavum  septi  pellucidi  einer  Einfaltung  von  der  Lamina 
terminalis  aus  seine  Entstehung  verdanke  (S.  773),  beruht  wohl 
nur  auf  ungenauer  xAusdrncks weise.  Doch  ließen  sich  diese  Punkte 
bei  einer  Neuauflage  leicht  verbessern.  Im  allgemeinen  ist  das 
Buch  durch  klare  und  übersichtliche  Darstellung  ausgezeichnet 
und  als  Lehrbuch  bestens  zu  empfehlen. 

* 

Räubers  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen. 

Neu  bearbeitet  und  herausgegeben  von  Dr.  Fr.  Kopscli. 

In  sechs  Abteilungen,  mit  221,  zum  Teil  farbigen  Abbildungen. 

Siebente  Auflage. 

Leipzig,  Verlag  von  Georg  T  h  i  e  m  e. 

Kopsch  hat  sich  der  dankenswerten  xMühe  unterzogen, 
das  bekannte  Rau  bersche  Lehrbuch  neu  zu  bearbeiten.  Von 
der  richtigen  Erkenntnis  ausgehend,  daß  der  größte  xMangel  des 
Lehrbuches  die  ungenügenden  Ahbildungen  desselben  darstellen, 
hat  der  Herausgeber  sich  vor  allem  bemüht,  das  Buch  mit  möglichst 
guten  Illustrationen  zu  versehen.  So  weit  man  aus  den  beiden 
bisher  vorliegenden  Abteilungen  ersehen  kann,  ist  dies  auch  voll¬ 
kommen  gelungen,  so  sind  vor  allem  die  in  der  ersten  Abteilung 
befindlichen  histologischen  Ahbildungen,  von  welchen  ein  großer 
Teil  farbig  ist,  geradezu  ausgezeichnet.  Die  naturgemäße  Folge 
der  Verbesserung  der  beigegebenen  Bilder  ist  die  Vergrößerung 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


195 


(lersolbeii  und  damit  alicli  die  Vergrößerung  des  Formates.  Auch 
dadurch  hat  zweifelsolme  das  Buch  au  Wert  gewonnen.  Nur, 
was  die  von  Kopsch  in  der  Einleitung  erwähnte,  Lesonders 
liervorgehohene  Methode  der  Herstellung  der  Originale  anbelangt, 
sei  hier  bemerkt,  daß  sie  schon  bei  der  Herausgabe  des  Heitz- 
mann  sehen  iHlasses  von  Zuckerkandl  verwendet  wurde. 

Die  beiden  erschienenen  Abteilungen  enthalten  die  allge¬ 
meine  Anatomie,  die  Knochen-,  die  Bänder-  und  die  Gelenkslehre. 
Das  Buch,  welches  ohne  Zweifel  viele  Freunde  finden  wird,  ist 
ausgezeichnet  ausgestattet  und  trotzdem  sehr  billig. 

T  a  n  d  1  e  r. 

* 

Die  Handhabung  des  Wasserheilverfahrens. 

Ein  Leitfaden  für  Aerzte  und  Badewartung. 

Von  Dr.  M.  van  Oordt,  St,  Blasien. 

Wien  und  Berlin  1906.  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg. 

Verfasser  schreibt  im  Vorwort,  daß  in  den  Hand- 
Inichern  und  Anleitungen  für  das  Wasserheilverfahren  der  letzten 
Jahre  die  rein  sachliche  Schilderung  der  praktischen  Wasser¬ 
behandlung  hinter  ihre  physiologische,  erfahrungsgemäße  und  ge¬ 
schichtliche  Begründung  zurücktrete.  Das  stimmt  nicht  ganz.  Vor¬ 
liegendes  Büchlein  wird  gewiß  —  abgesehen  von  einigen  Mängeln 
—  seinen  Zweck  erfüllen,  aber  es  darf  nicht  scheinen,  als  ob 
V.  Oordt  derjenige  wäre,  der  ,,in  eine  Lücke  trete“.  Der  Autor, 
der  selbst  sagt:  ,,Der  Beschreibung  liegt  eine  im  wesentlicben 
unter  dem  Einfluß  der  Winter nitz sehen  Lehren  gemachte  mehr¬ 
jährige  eigene  Erfahrung  zugrunde,“  sollte  den  grundlegenden 
Arbeiten  Winter  nitz’  und  seiner  Schule  auch  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  Technik  und  den  allgemein  bekannten  Publikationen 
bierüber  auch  etwas  mehr  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen.  Es 
ist  nicht  angezeigt,  immer  wieder  auf  ,, Lücken“  in  der  Literatur 
hinzuweisen,  namentlich,  wenn  solche  gar  nidit  existieren.  Auch 
eine  „Technik  des  Wasserheilverfahrens  für  Badediener  etc.“  exi¬ 
stiert  seit  dem  Jahre  1901  aus  der  Feder  des  Referenten,  was  wohl 
dem  Autor  nicht  so  ganz  unbekannt  sein  dürfte. 

Was  an  dem  Büchlein  auszusetzen  wäre,  sind  zunächst 
die  Angaben  über  die  Dauer  einzelner  Prozeduren  (wenn  es 
überbaupt  angezeigt  ist,  in  einer  ,, Handhabung  des  Wasserheilver¬ 
fahrens“  hievon  zu  sprechen).  Die  Dauer  der  einzelnen  Pro¬ 
zeduren  hängt  von  so  vielen  Umständen  ab,  daß  in  einem  Leit¬ 
faden  Lehren,  wie:  ,,die  Gesamtdauer  einer  Teilabwaschung 
betrage  bei  Männern  3V2,  bei  Frauen  4  Minuten“  etc.  etc.,  sehr 
unangebracht  sinil.  So  etwas  kann  doch  nicht  ernst  gemeint 
sein!  Unverständlich  ist,  wie  der  Badende  in  der  Abreibung  (vor¬ 
ausgesetzt  natürlicb,  daß  diese  in  einer  Weise  gemacht  wird,  wie 
es  üblich  ist)  gleichzeitig  mitfrottieren  solle. 

Abgesehen,  wie  gesagt,  von  diesen  und  ähnlichen  ,, tech¬ 
nischen“  Mängeln  ist  das  Büchlein  recht  gut.  Illustrationen  fehlen. 

♦ 

Beiträge  zur  Kenntnis  der  Anwendung  und  Wirkung 
heißer  Bäder,  insbesondere  heißer  Teilbäder. 

Von  Georg  Hauffe,  Hilfsarzt  am  Krankenhause  in  Gr.-Lichterfelde. 

Mit  zahlreichen  Kurven. 

Separatabdruck  aus  der  Wiener  Klinik  1906. 

Wien  und  Berlin  1906.  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg 
Der  Autor,  ein  Schüler  Schweningers,  plädiert  für  die 
Anwendung  heißer  Lokalbäder  u.  zw.  der  Sitz-,  Fuß-,  Arm-  und 
Kopfbäder  in  allmählich  ansteigender  Temperatur.  Die  Erwägun¬ 
gen,  welche  Schweninger  und  mit  ihm  seinen  Schüler  Hauffe 
veranlassen,  die  erwähnten  Teilprozeduren  anstatt  der  Vollbäder 
zu  gebrauchen,  sind :  ,,Man  pflegt  die  Bäder  nach  ihrer  Ver¬ 
wendung  in  Vollbäder,  Teilbäder,  je  nach  ihrer  Temperatur  in 
kalte,  Avarme  und  heiße  Bäder  einzu teilen.  Der  naheliegende  Ge¬ 
danke,  bei  weitverbreiteten  (Haut-)  Erkrankungen  V^ollbäder  und 
bei  Teilerkrankungen  Teilbäder  zu  geben,  ist  falsch.  Kaum  je 
sind  verschiedene  Partien  der  Körperoberfläche  gleich  stark  und 
gleich  lange  erkrankt  und  schon  aus  diesem  Grunde  läßt  sich 
eine  gleichmäßige  Heilung  nicht  immer  erreichen.  Der  erkrankte 
Mensch  ist  doch  nur  ein  Bruchteil  des  gesunden  und  es  ist  viel¬ 
fach  geraten,  ihn  auch  nur  mit  Bruchteilen  von  dem  zu  be¬ 
handeln,  Avas  der  Gesunde  ohne  Schaden  verträgt.“ 

♦ 


Zur  physikalischen  Therapie  der  habituellen  Obstipation 
und  der  sexuellen  Neurasthenie. 

Von  Prof.  Dr.  J.  Zabludowski. 

Mit  Textfiguren. 

Berlin  1906.  Verlag  von  August  Hirschwald. 

Z ablud OAVski  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  das  Ver- 
Iraucn  zu  den  physikalischen  Heilmethoden  beim  großen  Publikum 
in  stetem  Wachsen  begriffen  ist.  Neben  der  Wirksamkeit  des 
Heilmittels  kommt  aber  unter  den  gegebenen  Verbältnissen  noch 
in  Betracht,  daß  die  Apparate,  die  den  HeilzAvecken  dienen,  nicht 
kompliziert,  der  Beirieb  einfach  und  billig  sei. 

Zabludowski  scbildert  in  vorliegender  Broschüre  die  ein¬ 
fachen,  aber  nicht  minder  Avirksamen,  mechanotherapeu tischen 
Älethoden,  welche  in  der  habituellen  Obstipation  anwendbar  sind 
und  es  ist  von  besonderem  Interesse,  den  Ausfübrungen  des  Autors 
über  Selbstmassage  und  Selbstübungen  zu  folgen.  Die  Kritik  der 
Vibrationsmassage  und  der  ihr  dienenden  verschiedenartigen  Appa¬ 
rate  ist  sachlich  und  vollkommen  begründet.  Verf.  berichtet  aucJi 
über  die  Wechselwirkung  der  Neurasthenia  sexualis  und  der  habi¬ 
tuellen  Obstipation  und  beschreibt  die  Technik  und  Anwendungs- 
Aveise  eines  Apparates,  der  die  Hyperämisierung  des  Penis  er¬ 
möglicht  und  in  Fällen  von  Impotentia  virilis  gute  Dienste  leistet. 

B  u  X  b  a  u  ni. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitsehriften. 

73.  Aus  dem  königlichen  Victoria- Hospital  zu  Ncav- 
castle  a.  Tyne.)  Allgemeine  und  lokale  Zyanose.  Von 
Thomas  Oliver.  Verf.  beschreibt  zunächst  einen  Fall  voii  all¬ 
gemeiner  Zyanose  bei  einem  27jährigen  Mädchen.  Es  handelte 
sich  bei  derselben  um  eine  starke  Zyanose  der  Wangen,  Lippen, 
Zunge  und  Hände,  von  einem  Kolorit,  Avie  man  es  sonst  bei  Herz¬ 
fehlern  im  Stadium  sclnverster  Inkompensation  zu  sehen  ge¬ 
wöhnt  ist.  Die  Grundfarbe  der  Haut  Avar  von  fahler  Blässe. 
Herz  und  Lungen  waren  völlig  gesund.  Der  Uterus  Avar  ein  Avenig 
retroflektiert.  Pat.  hatte  früher  häufig  an  Ekzemen  gelitten.  Der 
Stuhl  Avar  träge.  Einige  Zeit  vor  Ausbruch  der  Zyanose  Avar  eine 
starke  Uterusblutung  vorausgegangen,  Avelche  sich  jedoch  nicht 
Aviederholte.  Im  Urin  Avar  kein  Eiweiß  vorhanden,  dagegen  ein 
urobilinähnlicher  Körper.  Das  Blut  enthielt  37%  Hämoglobin  und 
3,100.000  Erythrozyten  und  zeigte  spektroskopisch  die  beiden 
Oxyhämoglobinstreifen.  Die  Zyanose  dauerte  AÜele  Monate’  hin¬ 
durch,  wechselte  jedoch  stark  in  ihrer  Intensität,  ohne  nach- 
Aveisbare  Ursache.  Einmal  hatte  die  Patientin  einen  kollapsähn¬ 
lichen  Anfall.  Verf.  suchte  mit  größtem  Fleiße  der  Ursache 
aiif  die  Spur  zu  kommen.  Pat.  hatte  längere  Zeit  eine  Ichthyol¬ 
salbe  Avegen  ihres  Ekzems  gebraucht,  doch  glaubt  Verf.  nicht, 
dieselbe  anschuldigen  zu  können,  da  die  Zyanose  noch  Monate 
nach  Aussetzen  derselben  pensistierte,  dagegen  kam  er  endlich' 
darauf,  daß  Pat.  durch  lange  Zeit  hindurch  Koffein  und  Azet- 
anilid  gegen  nervöse  Depressionen  gebraucht  hatte.  Versuche  im 
Beagenzglase  zeigten  ihm,  daß  Antipyrin,  Azetanilid  und  Phen¬ 
azetin,  besonders  letzteres  imstande  sind,  die  rote  Farbe  des 
Blutes  durch  Reduktion  in  eine  blaurötliche  umzuwandeln.  Von 
Interesse  ist  übrigens,  daß  nach  der  Verheiratung  der  Patientin 
die  Zyanose  allmählich  zurückging.  Im  Anschluß  an  diesen  ball 
beschreibt  Verf.  zwei  analoge  Fälle.  In  einem  derselben  Avurde 
die  Ursache  der  Zyanose  im  Gebrauch  von  Phenazetin,  im  anderen 
im  Gebrauch  eines  anilinhaltigen  ,,Caputin“-Pulvers  gefunden. 
Weiters  Avird  auf  Fälle  aus  der  Literatur  hingCAviesen,  in  Avelchen 
die  Zyanose  enterotoxischen  Ursprungs  Avar.  Es  soll  sich  hierbei 
in  manchen  Fällen  um  Vergiftungen  mit  im  Intestinaltrakt  ge¬ 
bildetem  ScliAvefel Wasserstoff  handeln.  WTchtig  ist,  daß  bei  den 
Fällen  von  enterotoxischer  Zyanose  ■ —  sei  es  nun  durch  allge¬ 
meine  Regulierung  der  Darmtätigkeit,  oder  durch  Operation  einer 
Atresia  ani  —  durch  die  Therapie  nicht  nur  ein  Verschwinden 
der  Zyanose,  sondern  eine  Rückbildung  eventuell  vorhandener 
Troinmelschlegelfinger  möglich  ist.  Eine  Aveitere  Form  von  all¬ 
gemeiner  Zyanose  Avird  bei  Arbeitern  in  Anilinfabriken  ange¬ 
troffen  und  soll  hiebei  vorzugSAveise  auf  Metbämoglot)inbildung 
beruhen.  Vom  gewerbehygienischen  Standpunkt  ist  wichtig,  daß 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


‘96 


beim  Aussetzen  der  Beschäftigung  eine  Heilung  möglich  ist.  Zur 
lokalen  Zyanose  rechnet  Verf.  die  Raynaud  sehe  Krankheit. 
Er  bespricht  ihre  Pathologie,  ohne  jedoch  über  eigene  Fälle  zu 
berichten.  —  (Lancet  1906,  29.  Dezember.)  J.  Sch. 

* 

74.  Aus  dem  hirnanatomisclien  Institut  der  Universität  in 
Zürich  (Prof.  Dr.  v.  Monakow).  Ein  Beitrag  zur  Ana¬ 
tomie  der  S  e  h  s  t  r  a  h  1  u  n  g  e  n  b  e  i  m  Menschen.  Von  Doktor 
U.  Tsuchida  aus  Tokio.  Der  von  Tsuchida  beschriebene 
Fall  von  Erkrankung  des  Okzipitallappens  bietet  bezüglich  der 
Bedeutung  der  Großhirnrinde  für  den  Gesichtssinn,  namentlich 
in  Beziehung  zur  Frage  des  anatomischen  Zusammenhanges,  so¬ 
wie  der  kortikalen  Lokalisation  wichtige  Ergebnisse  und  Auf¬ 
schlüsse.  Es  fand  sich  in  dem  vorliegenden  Falle  im  Okzipital¬ 
lappen  eine  entweder  angeborene  oder  frühzeitig  durch  Trauma 
erworbene  Zyste.  Die  mit  Zerebrospinalflüssigkeit  erfüllte  Zyste 
wurde  durch  einen  chirurgischen  Eingriff  entleert  und  drainiert. 
Der  primäre  Angriffspunkt  des  Herdes,  dessen  nähere  Natur  sich 
als  eine  Ependymitis,  verbunden  mit  einem  alten  Defekt  (alter 
Blutung)  im  Okzipitalkonus  erwies,  dürfte  das  retroventrikuläre 
Markfeld  im  Okzipitallappen  gewesen  sein.  Die  weitere  Zerstörung 
aber  erfolgte  in  einer  besonderen  elektiven  Weise,  die  einer 
vorzüglich  ausgeführten  experimentellen  Ahtragung  der  Seh¬ 
sphäre  gleichkommt.  Klinisch  hatte  die  eng  begrenzte  Läsion 
eine  komplette  und  dauernde  homogene  Hemianopsie  hervorge¬ 
bracht.  Während  die  primäre  Zerstörung  einesteils  gerade  hin¬ 
reichte,  um  als  einziges  örtliches  Symptom  eine  Hemianopsie 
vom  Okzipitallappen  aus  hervorzurufen,  brachte  sie  andernteils 
in  maximaler  Weise  die  optischen  Bahnen  und  Zentren  zur 
sekundären  Degeneration.  Nach  den  Ergebnissen  vorliegenclen 
Falles  würde  die  pathologisch -anatomische  Sehsphäre  die  Win¬ 
dungen  des  Okzipitallappens,  welche  hinter  der  Frontalebene  des 
Pedunculus  cunei  liegen,  umfassen.  Der  Fall  beweist  ferner,  daß 
die  ,, optischen“  Projektionsfasern,  je  nach  Entfernung  der  Ebene 
vom  Okzipitalpol  in  frontaler  Richtung,  sukzessive  verschiedene 
Strata  durchziehen.  Endlich  gibt  der  Fall  wichtige  Aufschlüsse 
über  die  Verbindungen  des  Stratum  sagittate  internum  und  über 
die  des  unteren  Längsbündels.  Die  vorliegenden  Befunde  sprechen 
für  eine  Endigung  oder  Unterbrechung  der  peripheren  optischen 
Fasern  in  den  primären  Optikuszentren  (speziell  im  Corpus  geni- 
culatum  externum)  und  für  einen  Weiterverlauf  der  kortikalen 
optischen  Bahn  durch  Einschaltung  eines  zweiten  Neurons  zum 
Lobus  occipitalis.  Schaltzellen  in  den  primären  Zentren  dürften 
zur  näheren  Verknüpfung  dieser  beiden  Neurone  dienen.  - 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  1.) 

■  t  S. 

* 

Ib.  Ueber  subunguale  Exostosen  an  den  Zehen. 
Von  Broca.  Diese  relativ  seltene,  gutartige  Affektion  wird  nur 
hei  Personen  unterhalb  des  25.  Lebensjahres  beobachtet  und  ist 
vorwiegend  an  der  großen  Zehe,  seltener  an  den  anderen  Zehen 
oder  den  Fingern  lokalisiert.  In  der  Anamnese  findet  sich  öfter 
ein  Trauma  als  Ursache  der  subungualen  Exostose  angegeben, 
doch  scheint  es,  daß  das  Trauma  nur  die  Aufmerksamkeit  des 
Patienten  auf  die  bereits  vorhandene  Exostose  lenkt.  Wenn  der 
Nagel  durch  eine  unterhalb  seiner  Mitte  sitzende  Exostose  in 
die  Uöhe  gedrängt  wird,  so  erfolgt  eine  Zerrung  seiner  Matrix 
und  es  treten  Schmerzen  auf.  Durch  den  Druck  der  Exostose  auf 
die  Weichteile  bilden  sich  Exkoriationen,  welche  durch  Infektion 
in  Eiterung  übergehen  können.  Diese  Komplikationen  trüben  das 
klinische  Bild  der  Exostose  und  führen,  wenn  man  an  das  Vor¬ 
handensein  eines  solchen  Befundes  nicht  denkt,  zur  irrtümlichen 
Diagnose  des  Lhiguis  incarnatus.  Eine  nähere  Besichtigung  nach 
Reinigung  der  Gegend  ergibt  das  Vorhandensein  eines  lunden, 
glatten,  harten  Tumors  unter  dem  Nagel,  dessen  freier  Rand  in 
die  Höhe  gehoben  erscheint.  Eine  Verwechslung  ist  in  jenen 
Fällen  denkbar,  wo  ein  unter  dem  Nagel  sitzendes  Papillom 
gleichfalls  zu  entzündlielier  Reaktion  der  Umgebung  führt.  Hier 
entscheidet  der  radiographische  Befund,  welcher  bei  Exostose 
einen  kleinen,  in  die  Phalange  implantierten  Tumor  zeigt.  Die 
Prognose  ist  günstig,  der  Tumor  kann  bis  zu  Haselnußgröße 
anwachsen,  bleil)t  aber  mit  Abschluß  des  Wachstums  bei  der 


bereits  erreichten  Größe.  Die  Wachstumsexostosen  zeigen  einen 
Knochenkern  mit  knorpeliger  Umhüllung;  sie  entstehen  am  Dia- 
physenende,  sind  zunächst  knorpelig  und  es  tritt,  ebenso  wie 
im  Knochen,  von  welchem  sie  ausgehen,  die  Ossifikation  sekundär 
ein.  Die  Behandlung  ist  einfach,  nach  Entfernung  des  Nagels  wird 
die  Exostose  mit  der  Schere  abgetragen,  der  Grund  geschabt 
und  der  Verband  angelegt.  Die  kleine  Wunde  heilt  schnell  und 
es  erfolgt  von  oben  her  die  Regeneration  des  Nagels.  —  (Journ. 
de  Prat.  1906,  Nr.  42.)  a.  o. 

* 

76.  Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Marburg 
(Geheimrat  Prof.  Dr.  Küster).  Erfahrungen  über  Lumbal¬ 
anästhesie  mit  Novokain.  Von  Dr.  R.  Henking,  Oberarzt 
der  Klinik.  Verfs.  Beobachtungen  erstrecken  sich  auf  160  Fälle. 
Die  Methode  der  Injektion  ist  genau  die  von  Bier  angegebene. 
Trotz  einwandfreier  Technik  war  nicht  eine  gleiche  tadellose 
Anästhesie  zu  erzielen.  In  26  Fällen  mußte  noch  eine  leichte 
Aethernarkose  angewendet  werden.  Manchmal  wurde  vor  Beginn 
der  Operation  eine  Morphiuminjektion  gemacht.  Die  Dauer  der 
Anästhesie  schwankte  zwischen  ein  und  sechs  Stunden.  Unter 
den  160  Fällen  war  ein  vollständiger  Versager.  Das  Alter  der 
Patienten  schwankte  zwischen  5  und  77  Jahren.  Irgendwelche 
das  Leben  bedrohende  Zufälle  hat  Verf.  nie  erlebt,  niemals  die 
geringste  Beeinflussung  des  Atemzentrums.  Brechreiz  war  oft 
vorhanden,  Erbrechen  kam  14mal  vor.  Einen  unwillkürlichen 
Abgang  von  Flatus,  Kot  und  Urin  hat  Verf.  mehrfach  gesehen. 
Von  Nachwirkungen  machten  sich  bei  23  Patienten  besonders  Kopf¬ 
schmerzen  geltend.  Bei  tagelang  bestehenden,  sehr  heftigen  Kopf¬ 
schmerzen  wurde  eine  noclimalige  Punktion  des  Duralsackes  mit 
überra'schendem  Erfolge  vorgenommen.  Eine  vier  Tage  anhal¬ 
tende  aseptische  Meningitis  wurde  einmal  beobachtet.  Es  bestand 
lebhaftes  Erbrechen,  Nackensteifigkeit  und  Druckempfindlichkeit 
der  Dornfortsätze  der  Halswirbelsäule  bei  starken  Kopfschmerzen. 
Spontan  gingen  diese  Beschwerden  wieder  zurück.  In  einem 
Falle  trat  nach  14  Tagen  eine  Abduzenslähmung  des  rechten 
Auges  ein,  die  innerhalb  drei  'Wochen  wieder  verschwand.  Ver¬ 
einzelt  wurde  ein  hoher  Fieberanstieg  bis  39*^  am  Tage  der 
Injektion  beobachtet.  Inkontinenz  von  Blase  und  Mastdarm  war 
in  zwei  Fällen  die  Folge  der  Injektion;  diese  Störungen  schwanden 
nach  acht  Tagen.  Ein  Patient  hatte  nach  der  Injektion  eine 
Parese  im  linken  Beine,  die  nach  fünf  Tagen  spontan  zurück¬ 
ging.  Verf.  erklärt,  zum  Schlüsse,  mit  den  Erfolgen  der  Lumbal¬ 
anästhesie  außerordentlich  zufrieden  zu  sein.  Gegenüber  der  All¬ 
gemeinnarkose  liegt  ein  großer  Vorzug  darin,  daß  die  Operation 
als  solche  auf  den  Gesamtorganismus  weit  weniger  eingreifend 
und  erschütternd  wirkt.  Auffallend  gut  wurde  die  Anästhesie 
von  alten  Leuten,  Kindern  und  elenden  und  schwächlichen  Per¬ 
sonen  vertragen.  Die  meisten  Nachwirkungen  und  eine  weniger 
sichere  und  nicht  so  schnell  eintretende  Anästhesie  sah  Verf.  bei 
jungen  und  kräftigen  Leuten.  Verf.  wendet  die  Lumbalanästhesie 
grundsätzlich  bei  allen  Operationen  an  den  Extremitäten  und 
an  der  Anal-  und  Inguinalregion  an.  Bei  Bauchoperationen  wurde 
sie  bis  jetzt  auf  die  Probelaparotomie,  auf  die  Entfernung  des 
Wurmfortsatzes  und  auf  die  transperitoneale  Nephrektomie  be¬ 
schränkt.  Die  Nachwirkungen  wiegen  nicht  schwerer  wie  hei  der 
Allgemeinnarkose.  Wertvoll  ist  die  Möglichkeit,  während  der 
Operation  von  dem  Patienten  die  Erlaubnis  zu  einem  größeren 
Eingriffe  einzuholen.  In  der  Regel  kann  man  den  Narkotiseur 
entbehren.  Die  Gefahr  für  das  Leben  scheint  geringer  zu  sein 
wie  bei  der  Narkose.  Eine  postoperative  Pneumonie  wurde  nie¬ 
mals  beobachtet.  Zu  verwerfen  ist  die  Lumbalanästhesie  bei 
schwer  septischen  und  ängstlichen  und  aufgeregten  Patienten. 
—  (Älünchener  mediz.  Wochenschrift  1906,  Nr.  50.)  G. 

77.  (Aus  der  II.  medizinischen  Univei-sitätsklinik  in  Berlin.) 
Ueber  das  Vorkommen  von  S  t  ä  r  ke  k  ö  r  n  e  r  n  im  Blute 
und  im  Urin.  Von  Dr.  Rahel  Hirsch.  Die  Verfasserin  teilt 
mit,  daß  sie  beim  normalen  Hunde  und  Menschen  experimentell 
wiederholt  nachweisen  konnte,  daß  Stärkekörner,  die  in  größerer 
Menge  roh  dem  IMagendarmkanal  zugefülirt  wurden,  durch  die 
Nieren  unter  vollständiger  Erhaltung  d('r  bekannten  Struktur 
wieder  ausgeschieden  werden.  Ebenso  waren  Stärkekörnei'  im 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


197 


Blutsediment  zu  finden.  Die  Versuche  wurden  selbstverständ¬ 
lich  unter  strengster  Einhaltung  aller  Kautelen,  die  jede  denk¬ 
bare  Verunreinigung  von  außen  ausschließen,  angestelll.  l)r.  Habel 
Hirsch  gedenkt  am  Tierexperiment  den  Weg  der  Stärkekörner 
im  Verdauungsapparat  zu  verfolgen  und  das  Verhalten  noch 
anderer  geformter  Elemente  in  dieser  Hinsicht  zu  prüfen.  Bisher 
hatte  es  in  der  Physiologie  als  feststehend  gegolten,  daß  geformte 
Elemente  vom  unverletzten  Darme  aus  unmöglich  ins  Blut  ge¬ 
langen  könnten,  allerdings  unter  Ignorierung  einer  iMitteilung  von 
Bonders  (1859),  daß  er  selbst  beim  Fros.chc  Amylumkörner 
vom  Darme  ins  Blut  hätte  übertreten  sehen  und  einige  andere 
Autoren  auch  den  Uebertritt  von  Kohlenpaxtikelchen  in  das  Blut 
vom  Darme  aus  nachgewiesen  haben  wollten.  —  (Zeitschrift 

für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie,  Bd.  3,  H.  2.)  K.  S. 

* 

78.  Aus  dem  Brisbane  -  Generalhospital,  üeber  neuere 
Erfolge  mit  A  m  y  1  n  i  t  r  i  t  bei  Hä  in  o  p  t  y  s  e  u  n  d  a  n  d  c  r  e  n 
11  äm o r r h a  g i e n,  berichtet  Francis  Hare.  Pic  und  Peliijean 
zeigten,  daß  bei  Hunden,  denen  die  vordere  Brustwand  entfernt 
worden  Avar,  sich  auf  intravenöse  Injektion  von  Amylnitrit  Er¬ 
blassen  der  Lungenoberfläche  einstellte.  Sie  konnten  dann  die 
Lunge  anschneiden,  ohne  daß  mehr  als  ein  Tropfen  Blutes  heraus¬ 
sickerte.  Diese  Vasokonstriktion  in  der  Lunge  soll  mit  einem 
Steigen  des  Blutdruckes  in  der  Pulmonararterie  einhergehem  Verf, 
berichtet  nun  über  neun  Fälle,  in  denen  die  Anwendung  von 
Amylnitrit  gleich  oder  bald  darauf  eine  Hämoptöe  zum  Stillstand 
brachte.  Er  berichtet  über  analoge  Fälle  in  der  Literatur,  die  zu¬ 
sammen  mit  seinen  die  Zahl  34  erreichen.  (So  interessant  diese 
Versuche  sind,  so  wären  nach  Ansicht  des  Referenten  —  in 
Anbetracht  der  landläufigen  Ansicht  von  der  va s  o d  i  1  a  t  a  t  o- 
rischen  Wirkung  des  Amylnitrits  —  jedenfalls  noch  zahlreichere 
Bestätigungen  abzuAvarten.)  —  (Lancet  1906,  24.  November.) 

J.  Sch. 

79.  Rausch  und  Zurechnungsfähigkeit.  Von  Pro¬ 
fessor  E.  Meyer  i]i  Königsberg  i.  Pr.  Im  Anschluß  an  einen 
speziellen  Fall  --  ein  bisher  unbescholtener  iMann  hatte  in  eii\em 
ZAA^eifellos  pathologischen  Rauschzustand  sich  einer  schweren 
Körperverletzung  schuldig  gemacht —  behandelt  Meyer  die  Frage, 
Avie  sich  die  Zureclmungsfähigkeit  im  Rausch  verhält.  Er  komnd  zu 
dem  Ergebnis,  daß  ein  sehr  großer  Teil  aller  Vergehen  und  Ver¬ 
brechen  im  Rausche  begangen  werden  (speziell  die  Körperver¬ 
letzungen  und  sexuellen  Delikte  spielen  unter  ersteren  eine  Rolle). 
Den  Rausch  definiert,  er  als  akute  Alkoholvergiftung,  die  zu  kurz¬ 
dauernden  psychischen  Störungen  führt,  Avährend  die  körperlichen 
Erscheinungen  fehlen  können.  Bei  allen  im  Rausche  begangenen 
scliAveren  Vergehen  und  Verbrechen  sollte  zur  Beurteilung  der 
Zurechnungsfähigkeit  ein  ärztlicher  Sachverständiger  herangezogen 
Averden.  Im  neuen  (deutschen)  Strafgesetz  sollte  der  Rausch 
in  gleicher  oder  ähnlicher  Weise  Berücksichtigung  finden,  Avie 
die  sonstigen  psychischen;  Störungen.  Neben  dem  typischen  Rausch 
gibt  es  atypische  Rauschzustände,  die  auf  krankhafter  Grundlage 
ei'Avachsen.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten, 

Bd.  42,  H.  1.)  S. 

* 

80.  Revision  der  A  ])  h  a  s  i  e  f  r  ag  e  ;  zur  Frage  der 
s  u  b  k  0  r  t  i  k  a  1  e  n  A  p  h  a  s  i  e  n.  Von  P.  j\I  a  r  i  e.  Die  bisher  gültige 
Einteilung  in  kortikale  und  subkortikale  Aphasien  ist  tlurchaus 
ungerechtfertigt,  da  die  mit  Herdläsionen  zusammenhängeuden 
Aphasien  niemals  auf  die  Rinde  allein  beschränkt  sind.  Man 
darf  überhaupt  nicht  die  gesamte  pathologische  Physiologie  der 
Sprache  mit  der  Hirnrinde  in  Zusammenhang  bringen,  da  die 
AA'eiße  Substanz  gerade  Auun  klinischen  Standpunkt  aus  größere 
Wichtigkeit  besitzt.  Wenn  man  ül)erhaupt  die  durcli  zahlreicbe 
Uebergänge  zusammenhängenden  Aphasieformcn  in  Grupj)cn  ein 
teilen  Avill,  so  empfiehlt  es  sich,  direkte  und  indirekte  Formen 
zu  unterscheiden;  bei  ersteren  ist  die  We r n i c k e sclie  Sprach 
zone  und  die  daAmn  ausgehenden  Fasern  durch  die  Läsion  un¬ 
mittelbar  und  in  beträchtlichem  Grade  betroffen,  hiehcr  gehören 
die  Brocasche  und  Wer  nicke. sehe  Aphasie.  Bei  den  indi¬ 
rekten  Ai)hasien  handelt  es  sicli  um  Läsionen,  welche  nicht  die 
Wernickesche  Sprachzone  unmittelbar  betreffen,  sondern  von 
der  Nachbarschaft  aus  einAvirk('u.  Bei  Sitz  der  Läsion  im  Lo 


bulus  lingualis,  bzAv.  Lobulus  fusiformis  findet  sich  die  reine 
!  Alexie  und  die  reine  Wortblindheit  der  Autoren,  bei  Erkrankung 
!  des  Lii'senkernes  die  reine  Anarthrie,  bzAV.  motorische  Aphasie 
der  Autoren.  Der  dritten  linken  Stiruwindung  kommt  keine  spe¬ 
zielle  Rolle  bei  der  Sprachfunktion  zu.  Das  eigentliche  Sprach¬ 
zentrum  Avird  durch  die  W  e r n  i c k e sclie  Zone  repräsentiert, 
welche  aber  kein  sensorisches,  sondern  ein  intellektuelles  Zentrum 
darstellt.  Jede  Läsion  dieses  Zentrums  ruft  außer  der  Störung 
des  gesprochenen  Wortes  eine  Beeinträchtigung  der  Schreibfähig¬ 
keit  und  des  durch  den  Unterricht  Erlernten  hervor.  Die  Anarthrie 
ist  klinisch  durch  Verlust  des  Sprachvermögens,  bei  erhaltenem 
Verständnis  des  gesprochenen  und  gelesenen  Wortes,  soAvie  der 
Schrift  charakterisiert,  sie  hängt  mit  Läsionen  der  Linsenkern¬ 
region  zusammen,  durch  Avelclie  die  Koordination  für  die  Pho 
nation  und  Artikulation  der  Worte  gestört  Avird,  ohne  daß  aber 
echte  Paralyse  der  IMuskeln  besteht.  Die  Wernickesche  Aphasie 
Avird  durch  Läsioni  dei'  AVer  nickeschen  Zone  erzeugt,  die 
Brocasche  Aphasie  ist  F'olge  einer  Kombination  der  Anarthrie 
erzeugenden  Läsion  mit  einer  Läsion  der  Wernicke  sehen  Zone. 
Es  ist  unrichtig,  daß  der  Fuß  der  ersten  linken  Schläfenwindung 
ein  sensorisches  Zentrum  für  die  akustischen  Wortbilder  dar¬ 
stellt  und  es  existiert  daher  auch  keine  reine  Worttaubheit.  Die 
reine  .Vlexie  wird  bei  Läsionen  im  Gebiete  der  Arteria  cerebralis 
posterior  beobachtet,  doch  kann  der  Gyrus  curvatus  nicht  als 
Zentrum  des  visuellen  AVortbildes  angesehen  Averden.  —  (Sem. 

med.  1906,  Nr.  42.)  a.  e. 

* 

81.  Der  NacliAveis  des  Toxins  im  Blute  der  Dipli- 
theriek  rank  eil.  Von  C.  Fraenkel.  Ffffenheinier  hat  nach 
Einspritzung  des  von  diphtheriekranken  Kindern  geAvonnenen  Blut¬ 
serums  an  MeerscliAveinclien  48  Stunden  später  ein  deutliches 
Oedeni  der  Brust-  und  Bauchhaut,  durchsetzt  mit  ziemlich  starken 
Hämorrhagien  gefunden  und  aus  diesen  Befunden  den  Schluß 
gezogen,  daß  ,,eine  schnelle  Absättigung  des  so  im  Blute  nach¬ 
gewiesenen  freien  Toxins  durch  Einspritzung  von  Heilserum“  be¬ 
sonders  geboten  sei  und  als  vornehmste  Pflicht  des  behandehiden 
Arztes  erscheine.  Veif.  sah  sich  nun  veranlaßt,  obzwar  er  vor 
Jahren  bereits  zu  völlig  negativem  Resultate  gekommen  Avar,  die 
Versuche  neuerlich  nachzuprüfen.  Er  machte  23  Tierversuche, 
indem  er  das  von  23  bakteriologisch  nachgeAviesenen  Diphtherie¬ 
kranken  herstammende  Blntserum  den  Tieren  unter  die  Bauch¬ 
haut  spritzte  und  sie  48  Stunden  später  tötete.  Nur  bei  einem 
einzigen  Tiere,  das  mit  dem  Serum  eines  am  gleichen  Tage 
bereits  mit  dem  Diphtherieheilmittel  behandelten  Kranken  ge¬ 
spritzt  Avorden  Avar,  ließen  sich  leichte  Symptome  einer  Ver¬ 
giftung  mit  dem  Toxin  der  Löffler  sehen  Stäljchen  ermitteln. 
Die  Bauchhaut  Avar  in  Aveiter  Ausdehnung  gerötet  und  leicht  ge¬ 
schwollen;  doch  fehlte  auf  der  anderen  Seite  der  Bauchhöhle'  jede 
Spur  einer  Reaktion,  in  allen  übrigen  22  Fällen  war  bei  der 
Sektion  der  MeerscliAveinchen  auch  nicht  die  geringste  Veränderung 
Avahrzunehmen,  die  auf  eine  örtliche  Eimvirkung  des  eingespritzten 
Serums  hätte  schließen  lassen.  Verf.  Avill  also  nach  seinen  F_jr- 
gebnissen  nur  darauf  hiiiAveisen,  daßi  die  Ansammlung  des  Giftes 
der  Löf  fl  er  sehen  Stäbchen  im  Blute  der  Aum  der  Diphtherie 
ergriffenen  jMenschen  keine  so  erhebliche  ist,  um  sich  auch  hei 
der  Ueliertragung  kleiuer  Meng(m  des  Serums  auf  MeerschAAminchen 
zu  erkennen  zu  geben.  Praktische  A  ei’Avendung  daraus  ableiten 
zu  AAmllen  Aväre  nicht  am  Platze.  —  (Münchener  mediz.  AA  ochen- 
schrift  1907,  Nr.  1.) 

•  *  ' 

82.  Aus  der  II.  Chirurg.  Klinik  der  Universität  Wien  (Vor¬ 
stand:  Prof.  Dl.  J.  Hochenegg).  Uelier  einen  F"all  eines 
u  n  gewöhnlich  großen  F^  i  b  r  o  a  d  e  n  o  in  a  m  a  m  m  a  e  u  n  d 
ü  b  e  r  b  e  n  i  g  n  e  J'  u  m  o  r  e  n  der  aa^  e  i  b  1  i  c  h  e  n  B  rust  d  r  ri  s  e. 
Von  Dr.  .1.  Finsterer.  Eine  45jährige  ledige  Handarbeiterin 
bemerkte  AU)r  \der  Jahren  einen  kleinen  bcAveglichen  Knoten  im 
inneren  unteren  Guadranten  der  linken  Mamma,  der  rasch  aauicIis 
und  (trotz  AiiAA’cndung  A"on  Salben  und  Pflastern)  innerhalb  zAAmi 
Jahren  Mannskopfgröße  erreichte.  Im  letzten  Jahre  Auftreten  von 
Ulzerationen  und  büchten,  zeitAAmise  brennenden  Schmerzen.  F^s 
bestehen  gleichzeitig  Atembesclnverden  durch  eine  rechtsseitige 
Struma.  Bei  der  Siiitalsaufnahme  betrug  der  größte  Umlang  des 
am  Thorax  A'ollkommen  verschieblichen,  gegen  diesen  scharf  ab- 


108 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


gegrenzten  Tumors  70  cm;  an  der  Inserlionsstelle  40  cm:  der 
Durchmesser  von  oben  nach  unten  25  cm,  Breite  24  cm,  Dicke 
12  cm ;  am  unteren  Rande  der  Axilla  eine  hohnengroße,  derbe, 
verschiebliche  Drüse,  Infra-  und  Supraklavikulardrüsen  frei.  Pa¬ 
tientin  ist  blaß,  schwäclilich,  jedoch  nicht  kachektisch.  Der  Tumor 
wird  durch  Umschneidung  an  seiner  Basis,  im  Zusammenhänge 
mit  dem  sternalen  Anteile  des  Muse,  pector.  maj.,  bis  auf  die 
Rippen  reichend,  unter  gleichzeitiger  Exenteratio  axillae  exsfir- 
piert.  Die  histologische  Untersuchung  ergab,  daß  es  sich  um  die 
typische  Form  eines  intrakanalikulären  Fibroadenomas  handelte; 
dasselbe  wog  4V2  kg.  Bei  einer  Nachuntersuchung  nach  fünf  ]\Io- 
naten  bestand  vollkommenes  Wohlbefinden  und  war  nirgends 
ein  Rezidiv  nachweisbar.  Im  Anschlüsse  an  diese  Mitteilung, 
sowie  die  hiezu  zitierten  ähnlichen  Fälle  der  Literatur  folgt  • 
ein  kurzer  Ueherblick  über  die  Zeit  des  Auftretens,  die  Symptome 
der  gutartigen  Mammatumoren,  nach  dem  Materiale  der  Klinik 
Billroth-Gussenhauer-Hochenegg  aus  den  Jahren  1877 
bis  1906.  In  diesen  29  Jahren  kommen  auf  800  Tumoren  der 
weiblichen  Brustdrüse  681  Karzinome  (85'12®/o)  66  Fi¬ 
broadenome  und  Zystoadenome  (8-250/'o),  48  Sarkome 
und  Zys  to  Sarkome  (6%)  und  5  Zysten  (0-63  %).  (Die  be¬ 
sonders  in  letzter  Zeit  ambulatorisch  an  der  Klinik  entfernten 
bübroadenome  sind  hiebei  nicht  berücksichtigt.)  Der  Beginn  als 
Tumorbildung  fiel  meist  in  das  jugendliche  Alter,  erst  nach  dem 
Einsetzen  der  Menses  in  die  Zeit  zwischen  dem  20.  und  25.  Le¬ 
bensjahre.  Bei  zwei  Mädchen  waren  die  Menses  zur  Zeit  der 
Tumorhildung  noch  nicht  eingetreten  gewesen.  In  vier  Fällen 
(davon  zwei  Frauen  über  60  Jahre)  bestand  bereits  Menopause. 
Schmidt  betonte  dagegen,  daß  Fibroadenome  niemals  vor  Be¬ 
ginn  der  Menstruation  und  nicht  nach  dem  40.  Jahre  auftreten 
sollen.  Auch  die  von  Schmidt  vertretene  Anschauung,  daß  der 
Tumorhildung  in  den  meisten  Fällen  eine  chronische,  interstitielle 
Mastitis  vorangehe,  konnte  nach  dem  Älaterial  der  Klinik  keine 
Bestätigung  finden.  Auch  für  das  Trauma  als  ätiologisches  Moment 
bieten  die  Fälle  keinen  Anhaltspunkt,  obwohl  hierauf  besonders 
geachtet  wurde.  Was  die  erkrankte  Seite  anbelangt,  so  zeigte 
sich  ein  bedeutendes  Ueberwiegen  der  linken  Seite,  indem  in 
42  Fällen  die  linke  Mamma,  in  22  Fällen  die  rechte  und  zwei¬ 
mal  beide  Brustdrüsen  erkrankt  waren.  Die  klinischen  Symptome 
(derbe,  scharf  umschriebene,  abgekapselte  Tumoren  von  Walnnßr 
bis  Faustgroße,  mit  glatter  Oberfläche  etc.)  sind  meist  derart  aus¬ 
geprägt,  daß  die  Diagnose  in  der  Regel  keine  Schwierigkeit  macht, 
soweit  es  sich  um  jugendliche  Individuen  handelt.  Bezüglich 
der  weiteren  Schicksale  der  bis  1900  operierten  47  Fälle  konnten 
bei  32  Patientinnen  brauchbare  Nachrichten  erbracht  werden. 
Von  diesen  wurde  von  neuerlicher  Tumorbildung  und  Operation 
nichts  berichtet;  außer  drei  Frauen,  die  an  anderen  Krankheiten 
starben,  leben  29  noch.  Verf.  ist  mit  Rücksicht  auf  die  Tat¬ 
sache,  daß  lange  bestehende,  benigne  Tumoren  malign  degene¬ 
rieren  können,  ferner  daß  selbst  bei  kleinen  Tumoren  ein  ganz 
junges  Karzinom  oft  mit  Sicherheit  nicht  auszuschließen  ist, 
mit  Braatz  der  Ansicht,  daß  jeder  Mammatumor  operativ  ent¬ 
fernt  und  einer  genauen  mikroskopischen  Untersuchung  unter¬ 
zogen  werden  soll.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1906, 

Bd.  84,  H.  4  bis  6.)  F'.  H. 

* 

83.  (Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Graz.)  Ueher  das 
Vorkommen  von  Labferment  in  den  Fäzes.  Von  Doktor 
Th.  Pfeiffer.  Mit  der  Untersuchung  über  das  Vorkommen  von 
Pepsin  und  Trypsin  in  entleeiden  Nährklystieren  beschäftigt,  prüfte 
Pfeiffer  gelegentlich  die  Fäzes  auf  Lab  u.  zw.  mit  positivem 
Ausfall,  was  überraschend  war,  da  es  als  gesicherte  Tatsache 
gilt,  daß  Lab  gegen  Alkalien  sehr  empfindlich  ist  und  durch 
Trypsin  und  Fäulnisbaklerien  vernichtet  wird.  In  seinen  wei¬ 
teren  Versuchen,  welche  er  so  durchführte,  daß  andere  Ursachen 
als  Lab  für  Gerinnung  seiner  Milchprohen,  wie  xVziditätsver- 
hältnisse,  Bakterienwirkung,  so  gut  wie  sicher  auszuschließen 
waren,  fand  Pfeiffer,  daß  der  Darminhalt  von  Tieren  sogar  auch 
nach  Fernhaltung  des  Zuflusses  von  Magen-  und  Pankreassekret 
eine  Labwirkung  entfaltet.  Nicht  nur  im  Magen  und  Pankreas, 
sondern  auch  im  Dünndarm  wird  also  Labferment  gebildet,  wo¬ 
bei  es  dahingestellt  bleibt,  ob  außer  der  Darmschleimhaut  etwa 
auch  Bakterien  an  seiner  Produktion  beteiligt  sind.  Diese  Lab¬ 


bildung  im  Darme  dürfte  die  Erklärung  dafür  gehen,  daß  dieses 
Enzym,  abweichend  von  den  eiweißspaltenden,  dagegen  in  Ueber- 
einstimmung  mit  der  sehr  regelmäßigen  Anwesenheit  von  Amylase, 
nahezu  regelmäßig  in  den  Fäzes  gefunden  wird.  —  (Zeitschrift 

für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie,  Bd.  3,  H.  2.)  K.  S. 

* 

84.  Aus  dem  Londoner  Hospital  -  Medical  -  College.  B  e- 
schreihung  eines  Herzens  mit  gummöser  Infiltra¬ 
tion  des  atrioventrikulären  Bündels.  Von  Artur  K  e  i  t  h 
und  Charles  Älille.r.  Fs  handelte  sich  um  den  Obduktionsbefund 
eines  Patienten,  der  an  Peritonitis  nach  Perforation  des  Wunnfort- 
satzes  starb.  Er  hatte  28  Jahre  vorher  Lues  gehabt.  13  Jahre 
vor  seinem  Tode  litt  er  an  blrscheinungen,  die  in  plötzlichem 
Schwächegefühl,  Niederfallen  und  Sekunden  dauernder  Bewußt¬ 
losigkeit  bestanden.  Zugleich  bestand  andauernd  Herzklopfen.  Die 
Herzerscheinungen  besserten  sich  allmählich  und  er  fühlte  sich 
bis  zu  seinem  Tode  leidlich  wohl.  Acht  Jahre  vor  seinem  Tode 
wurde  Bradykardie  von  durchschnittlich  42  Schlägen  in  der  IMi- 
nute  konstatiert.  Die  Obduktion  ergab  eine  vollkommene  anatomi¬ 
sche  Trennung  der  Herzaurikeln  von  den  Ventrikeln,  durch  gum¬ 
mös-narbige  Infiltrationszüge.  Verf.  macht  mit  Recht  darauf  auf¬ 
merksam,  wie  auffallend  es  sei,  daß  trotz  der  weitgehenden  Zer¬ 
störung  des  Reizleitungsystems  des  Herzens,  der  Patient  dennoch 
13  Jahre  ohne  besonders  heftige  Störungen  der  Herztätigkeit 
leben  konnte,  wenigstens  soweit  dieselbe  mittels  der  gangbaren 
Untersuchungsmethoden  des  Kreislaufs  zu  beurteilen  ist.  Er  be¬ 
tont  daher  die  Notwendigkeit  der  häufigeren  Benützung  exakt 
physiologischer  Untersuchungsmethoden  in  der  praktischen  Herz¬ 
pathologie  —  wie  sie  von  Wenckebach  und  Mackenzie 
angehahnt  worden  sind  —  um  auch  solche  Störungen  des  feineren 
Herzmechanismus  sinnfällig  und  der  Diagnose  dienstbar  zu 
machen,  welche  hei  Benützung  von  weniger  exakten  Methoden 
leicht  der  Beobachtung  entgehen.  —  (Lancet  1906,  24.  November.) 

J.  Sch. 

* 

85.  Zur  Behandlung  der  Wassersucht  durch  Re¬ 
gelung  der  Wasser-  und  der  S  a  1  z  z  u  f  u  h  r.  Von  Professor 
Dr.  0.  Minkowski  in  Greifswald.  Beim  Hydrops  handelt  es 
sich  nicht  bloß  um  Retention  von  Wasser,  sondern  auch  um  eine 
solche  von  Salzlösungen  verschiedener  Konzentration.  Von 
den  Salzen  kommt  in  praktischer  Hinsicht  nur  das  Kochsalz  in 
Betracht.  Wichtig  ist  nun,  zu  eruieren,  welche  Störung  hiebei 
das  Primäre  ist,  ob  die  Ausscheidung  des  Wassers  oder  die 
der  Salze  primär  gestört  ist.  Nach  dieser  Richtung  hat  die  Er¬ 
fahrung  gelehrt,  daß  bei  dem  kardialen  Hydrops,  bei  welchem 
die  venöse  Stauung  zum  Hydrops  führt,  in  erster  Linie  die 
Was'serausscheidung  durch  die  Niere  verringert  ist;  die  Salz¬ 
retention  ist  hier  mehr  Folge  der  Wasserretention  und  tritt  erst 
dann  ein,  wenn  eine  komplizierende  Niereninsuffizienz  eintritt. 
Ein  Herzkranker  mit  gesunden  Nieren  kann  auch  einen  konzen¬ 
trierten  Harn  ausscheiden.  Schränkt  man  in  einem  solchen  Falle 
die  Wasserzufuhr  ein,  so  wird  der  Organismus,  um  die  molekuläre 
Konzentration  des  Blutes  nicht  ansteigen  zu  lassen,  mehr  Salze 
im  Harne  ausscheiden  und  Wasser  aus  den  Geweben  nehmen. 
Es  wird  also  mehr  Wasser  ausgeschieden,  als  eingenommen, 
d.  h.  die  Einschränkung  der  Wasserzufuhr  könnte  hier  direkt 
den  Hydrops  vermindern.  Weniger  vorteilhaft  wäre  es,  in  einem 
solchen  Falle  die  Kochsalzzufuhr  zu  vermindern;  das  hätte  bloß 
den  Effekt,  daß  entsprechend  weniger  Salze  im  Harne  ausge¬ 
schieden  würden.  Ja,  sogar  die  erhöhte  Salzzufuhr  wäre  hier 
am  Platze,  da  zur  Ausischeidung  der  erhöhten  Salzmenge  auch 
mehr  Flüssigkeit  ausgeschieden  wird,  die  Salze  wirkten  hier  diure- 
tisch,  dem  Organismus  würde  Wasser  entzogen  werden.  Amlers 
liegt  der  Fall,  wenn  der  Hydrops  primär  auf  einer  Insuffizienz 
der  Nierentätigkei  t  beruhen  würde.  In  einem  solchen  Falle 
ist  die  Ausscheidung  der  gelösten  Substanzen  stärker  beeinträch¬ 
tigt  als  die  Wasserausscheidung.  Bei  der  Schrumpfniere  ist  der 
Harn  bekanntlich  stark  verdünnt  und  salzarm,  aber  nur  dadurch, 
daß  die  Niere  abnorm  große  Wassermengen  ahsondert;  Avird 
dann  der  Zirkulationsapparat  insuffizient,  so  stellt  sich  Hydrops 
ein,  der  den  Charakter  des  kardialen  Hydrops  trägt.  Bei  den 
akuten  und  chronischen  Formen  sogenannter  parenchymatöser 
Nephritis  leidet  die  Salzausscheidung  in  noch  höherem  Maße 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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als  die  Wasserausscdieidung.  Hier  gebt  die  Salzretenlion  nach¬ 
weisbar  häufig  der  Wasserretention  zeitlich  voraus.  Schränkt 
inan  hier  die  Salzzufuhr  etwas  ein,  so  entledigt  sich  der  Organis¬ 
mus  des  Salzüherschusses,  damit  schwindet  die  Ursache  der 
Wasserrelenlion,  id  est  des  Hydrops.  Die  Sache  ist  aber  leider 
nicht  so  einfach,  es  kommen  noch  viele  andere  Momente  in  Be¬ 
tracht.  Vorerst  führen  bekanntlich  die  Erkrankungen  des  einen 
Systems  sehr  bald  konsekutiv  zu  den  Erkrankungen  des  anderen 
Systems,  dann  spielen  noch  besondere  Zustände  der  Kapitlar- 
endothelien  eine  Rolle,  welche  die  Vorgänge  bei  der  I,ymph- 
sekretion  beeinflussen,  vielleicht  auch  noch  gewisse  Verände¬ 
rungen  an  den  Gewebsel  einen  ten  des  ganzen  Körpers,  welche 
diese  befähigen,  Wasser  und  Kochsalz  zurückzuhalten.  Größerer 
Wasserreichtum  des  Körpers  ist  noch  nicht  Hydrops,  das  Wasser 
muß  sich  hiebei  in  Lymphspalten  und  serösen  Höhlen  ansammeln. 
Und  der  Hydrops  entsteht  nicht  sofort,  wenn  nur  die  Wasser¬ 
ausscheidung  gehemmt  wird.  Einmal  führt  die  Scharlachnephritis 
sehr  früh  zu  Oedemen,  dann  wieder  stellt  sich  bei  Verschluß 
beider  Ureteren,  also  sicherer  Wassere tention,  erst  nach  vielen 
Tagen  Oedembildung  ein.  Auch  geht  bekanntlich  das  Wachsen 
und  Schwinden  der  Oedeme  mit  dem  Sinken  und  Steigen  der 
Harnausscheidung  nicht  immer  parallel  einher.  Die  Sache  ist 
aber  noch  komplizierter.  Eine  schwerkranke  Niere  wird  einer 
erhöhten  Anforderung  nicht  Folge  leisten  können,  es  werden 
aber  gewisse  Störungen  eher  schwinden,  wenn  man  die  An¬ 
sprüche  an  die  Funktion  dieser  Niere  her  ab  setzt.  Sind  aber 
noch  genügend  funktionsfäbige  Elemente  in  der  kranken  Niere 
vorhanden,  so  wird  man  mit  einer  Erhöhung  der  Wasser¬ 
oder  Salzzufuhr  eher  eine  diuretische  Wirkung  erzielen  und  schäd¬ 
liche  Retentionsprodukte  wegschaffen  können.  Aus  allen  diesen 
^Momenten  erklärt  es  sich,  warum  die  Resultate  der  diesbezüg¬ 
lichen  Beobachtungen  so  recht  verschiedene,  zum  Teil  einander 
sogar  widersprechende  sind.  Für  die  Praxis  möchte  Verfasser 
empfehlen,  bei  kardialem  Hydrops  jede  übermäßige  Flüssig¬ 
keitszufuhr  einzustellen,  die  Gesamtflüssigkeitsmenge  der  Nah¬ 
rung  auf  ca.  IV2  Liter  zu  reduzieren.  Will  man  die  Wasserzufuhr 
noch  mehr  einschränken,  iso  beachte  man  stets  das  Allgemein¬ 
befinden,  die  Harnsekretion  und  das  Köiiiergewicht.  Nach  Be¬ 
darf  kann  man  die  Flüsisigkeitszufuhr  auf  1200  bis  500  cnP  täg¬ 
lich  einschränken.  Treten  aber  Uebelbefinden,  Unbebagen,  Kopf¬ 
schmerzen,  Widerwillen  gegen  Nahrungszufuhr  ein,  so  wird  man 
die  Flüsisigkeitseinschränkung  nicht  fortsetzen.  Diese  ist  kontra- 
indiziert,  sobald  erhebliche  Störungen  der  Nierenfunktion  zu¬ 
tage  treten.  Die  Kochsalzzufuhr  wird  man  in  solchen  Fällen  auch 
etwas  einschränken,  um  den  Durst  zu  mindern  und  so  die 
Flüssigkeitsentziehung  zu  erleichtern.  Bei  Zirkulationsstörungen 
wirkt  eine  solche  geringe  Salzeinschränkung  oft  auffallend  günstig 
auf  den  Hydrops.  Bei  akuter  und  chronischer  parenchymatöser 
Nephritis  ist  vorerst  die  Einschränkung  der  Salzzufuhr  zu  ver¬ 
suchen.  Nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  schwinden  dadurch 
allein  oft  schon  Oedeme  und  Transsudate.  Ist  ein  Erfolg  erziel t,. 
so  kontrolliere  man  auch  fernerhin  die  Kochsalzzufuhr,  sodann 
das  KöiiJergewicht ;  ein  plötzlich  merkliches  Ansteigen  desselben 
läßt  das  Entstehen  von  Oedenien  befürchten.  Die  Wasserzufuhr 
ist  trotz  etwaigen  Hydrops  nicht  zu  yermindern,  sondern  eher 
zu  steigern  (Entfernung  der  Stoffwechselschlacken).  Da,  wo 
Urämie  droht,  wird  man  sogar  das  WWsser  per  os,  per  klysma 
und,  wenn  nötig,  auch  subkutan  zufübren.  Uebertreibungen  nach 
dieser  Richtung,  z.  B.  reine  IMilchdiät  mit  Zufuhr  von  drei 
Litern  Milch  täglich,  schaden;  IV2  Liter  genügen,  wenn  man 
dem  Nephritiker,  sofern  strenge  Diät  indiziert  ist,  zugleich  reich¬ 
lich  Kohlehydrate  und  Fette  verabreicht.  Unberechtigt  ist  die 
reine  Milchdiät  völlig  bei  der  Schrumpfniere  (v.  No  or  den), 
anderseits  braucht  diese  Niere  mehr  WMsser,  um  die  festen  Stoffe 
auszuscheiden.  Selbst  bei  Oedemen  schränke  man  die  Flüssig¬ 
keitszufuhr  nicht  zu  sehr  ein.  Da  diese  Oedeme  darauf  beruhen, 
daß  die  mit  der  Herzhypertrophie  gegebene  Kompensation  nach¬ 
läßt  und  bei  ungenügender  Herztätigkeit  die  Niereninsuffizienz 
offenbar  wird,  so  wird  man  die  Kardiotonika  (Digitalis)  verab¬ 
reichen  müssen.  Die  diuretische  Wirkung  der  Digitalispräparate 
kommt  nicht  nur  in  einer  Steigerung  der  Wasserausfuhr,  sondern 
auch  in  einer  erhöhten  Ausscheidung  von  Salzen  zum  Ausdruck. 
Die  Purinkörper  (Koffein,  Diuretin,  Agurin,  Theophyllin  oder 


Theozin)  wirken  direkt  auf  die  Nierenfunktion,  sie  erliöhen  außer¬ 
ordentlich  die  Salzausfuhr  unrl  wirken  günstig  auf  den  Stoff¬ 
austausch  in  den  Geweben.  Die  salinischen  Diuretika  sind  bei 
den  Nierenkranken  nach  dem  oben  Gesagten  weniger  indiziert. 
—  (Die  Therapie  der  Gegenwart,  Januar  1907.)  E.  F. 

* 

86.  lieber  die  Beziehungen  der  Glandulae  para- 
thyreoideae  zum  Auftreten  von  Konvulsionen.  Von 
L.  Alquier.  Zahlreiche  Versuche  haben  nahezu  übereinstimtnend 
ergeben,  daß  die  vollständige  Exstirpation  der  Nebenschilddrüsen 
bei  Tieren  akute,  rasch  tödlich  verlaufende  Erscheinungen,  am 
häufigsten  letanische,  klonische,  manchmal  epileptiforme  Konvul¬ 
sionen,  Kontraktur  verschiedener  Ausdehnung,  fibrilläre  Zuckungen 
und  in  einzelnen  Fällen  Tremor  hervorruft.  Zu  diesen  Erschei¬ 
nungen  gesellen  sich  Torpor,  Anorexie,  heftiger  Durst,  manchmal 
Erbrechen  und  Diarrhöen,  welche  öfters  sanguinolente  Beschaffen¬ 
heit  zeigen,  Dyspnoe,  Tachykardie  und  Albuminurie.  Bei  unvoll¬ 
ständiger  Exstirpation  der  Nebenschilddrüsen  beobachtet  man  ähn¬ 
liche,  aber  abgeschwächte  Erscheinungen  und  es  tritt  Heilung  ein, 
wenn  eine  genügende  Älenge  von  Drüsensubstanz  zurückgelassen 
wurde.  Chronisch  rezidivierende  Konvulsionen  sind  hei  unvoll¬ 
ständiger  Insuffizienz  der  Nebenschilddrüsen  bisher  nicht  beob¬ 
achtet  worden.  Bei  trächtigen  Tieren  wurde  durch  experimentelle 
Insuffizienz  der  Schilddrüsen  Eklampsie  während  der  Schwanger¬ 
schaft  oder  intra  partum  hervorgerufen.  Die  Erfahrungen  am  Men¬ 
schen  sprechen  dafür,  daß  die  Insuffizienz  der  Nebenschilddrüsen 
ebenso  wie  bei  den  Tieren  die  Ursache  der  Tetania  strumipriva  ist. 
Es  ergibt  sich  aber  hiebei  die  Frage,  ob  man  auch  andere  Formen 
von  Konvulsionen  einer  spontan  auftretenden  Insuffizienz  der 
Nebenschilddrüsen  zuschreiben  darf.  Bezüglich  der  Beziehungen 
der  postoperativen  und  der  spontanen  Tetanie  zu  dem  Verhalten 
der  Nebenschilddrüsen  herrscht  noch  keine  Uebereinstimmung 
der  Anschauungen.  Es  wurde  auch  auf  die  Beziehungen  zwischen 
Paralysis  agitans  und  Insuffizienz  der  Nebenschilddrüsen,  sowie 
die  günstige  Wirkung  der  Darreichung  von  Nebenschilddrüsensub¬ 
stanz  hingewiesen.  Das  iVuftreten  von  Graviditätstetanie,  Albu¬ 
minurie  und  Nierenläsionen  bei  parathyreoidektomierten  Tieren 
führt  zu  der  Bh’age  der  Bedeutung  der  Nebenschilddrüsen  für  die 
Genese  der  Eklampsie  der  Schwangeren.  Es  sprechen  viele  Beob¬ 
achtungen,  darunter  auch  solche,  welche  über  die  günstige  Wir¬ 
kung  der  Nebenschilddrüsensubstanz  berichten,  dafür,  daßi  die 
Insuffizienz  der  Nebenschilddrüsen  ein  wichtiger  Faktor  in  der 
Pathogenese  der  puerperalen  Eklampsie  ist.  Bezüglich  der  Be¬ 
ziehungen  der  Nebenschilddrüse  zur  Tetanie,  Epilepsie,  Morbus 
Basedowii  und  Paralysis  agitans  sind  noch  weitere  Untersiichungen 
erforderlich.  Die  Konvulsionen  sind  nicht  peripheren  Ursprunges, 
dagegen  wurden  von  mehreren  Beobachtern  zerebrale  Läsionen 
nachgewiesen.  Die  therapeutische  Darreichung  von  Nebenschild¬ 
drüsensubstanz  hat  auf  die  nach  totaler  Exstirpation  der  Neben¬ 
schilddrüsen  manchmal  auftretenden  Konviilsionen  nur  eine 
abschwächende  Wirkung  und  vermag  den  letalen  Ausgang  nicht 
hintanzuhalten.  Die  Anwendung  könnte  außer  der  internen  Dar¬ 
reichung  der  Substanz,  bzw.  des  Extraktes  auch  in  Form  der 
Implantation  geschehen,  doch  liegt  bisher  kein  Bericht  iiber  die 
Einpflanzung  von  Nebenschilddrüsen  vor.  —  (Gaz.  des  hop.  1906, 

Nr.  128.)  a.  e. 

* 

87.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Straßburg  (Professor 
Dr.  Fürstner).  Ueber  Bulbärparalyse  bei  Lipomatose. 
Von  Dr.  E.  Osann,  Assistent  der  Klinik.  In  dem  vorliegend  mit¬ 
geteilten  Falle  fanden  sich  bei  der  Obduktion  zahlreiche  multiple 
Lipome  in  der  Brust-  und  Bauchhöhle  (größtenteils  subserös), 
im  Wirbelkanal  peridurale  Lipome  im  unteren  Teile  des  Dorsal¬ 
teiles  und  im  Sakralmark.  In  der  Medulla  oblongata  makroskopisch 
keine  Veränderungen,  mikroskopisch  Degeneration  des  Nukleus 
hypoglossi,  des  Nukleus  ambiguus  vagi  und  der  Hypoglossus- 
fasern.  Während  man  in  dem  Bestreben,  das  ganze  klinische 
Bild  auf  eine  einzige  Ursache  zurückzuführen,  multiple  Tumoren 
(wahrscheinlich  Sarkome)  des  Rückenmarkes  und  der  Medulla 
oblongata  angenommen  hatte,  erwies  die  Obduktion  eine  eigen¬ 
artige  Kombination  von  Lipomatose  und  Bulbäriiaralyse.  Erstem 
dürfte  aber  ^loch  die  letztere  veranlaßt  haben.  IMan  braucht  nur 
zu  bedenken,  daß  bei  ausgedehnter  Erkrankung  des  Lymphappa- 


200 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


rates  maligne  Wirkungen  auch  sonst  gutartiger  Geschwülste  zu 
orwarlen  sieben,  daß  ferner,  abgesehen  davon,  dem  Körper  durch 
die  massenhafte  Anhäufung  von  Fett  an  einzelnen  Stellen  not¬ 
wendige  Stoffe  entzogen  werden  und  daß  dann  eine  Schädigung 
an  besonders  empfindlichen  Stellen  des  Nervensystems,  wie  an¬ 
der  IMedulla  oblongala,  sich  zuerst  l)emerkbar  macht.  - —  (Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  1.)  S 

♦ 

88.  Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  und  der  l'ni 
versitälsfrauenklinik  zu  Würzhurg.  Die  Füllung  der  Blase 
mit  Sauerstoff,  zum  Zwecke  der  Zystoskopie  und 
Radiographie.  Von  Priv.-Doz.  Dr.  L.  Burkhardt  und  Privat¬ 
dozent  Dr.  0.  Pol  a  no.  Die  Verfasser  hatten  gelegentticli  der 
Zystoskopie  wiederholt  mit  Patienten  zu  tun,  die  teils  kleinste 
Flüssigkeitsquantitäten  in  der  Blase  gar  nicht,  oder  nur  unter 
den  größten  Beschwerden  vertrugen,  teils  aber  trotz  schonendsten 
V'orgehens  bei  der  zystoskopischen  Untersuchung  jedesmal  )nitl 
Blutungen  reagierten,  wodurch  die  Flüssigkeit  stark  getrübt  wurde. 
Sie  halfen  sich  dadurch,  daß  sie  die  Blase  statt  mit  Flüssigkeit, 
mit  chemisch  reinem  Sauerstoff  füllten.  Es  fiel  auf,  wie  außer¬ 
ordentlich  tolerant  diese  Patienten  sich  der  Sauerstoffüllung  gegen¬ 
über  verhielten  und  wie  deutlich  alle  Einzelheiten  in  der  Blase 
beobachtet  werden  konnten.  Gegenüber  der  Eüllung  der  Blase 
mit  Luft  hat  die  Sauerstoffüllung  den  Vorteil,  daß  chemisch  miner 
Sauerstoff  keimfrei  und  Embolie  nicht  zu  fürchten  ist.  Eine 
nachteilige  Wärmeentwicklung  innerlialb  der  Blase  während  der 
Zystoskopie  konnte  nicht,  beobachtet  werden.  Auch  die  Gefahr  einer 
Blasenruptur  durch  Sauerstofflähmimg  scheint  nach  Ansicht  der 
Verfasser  nicht  zu  bestehen,  wenn  man  den  Sauerstoff  nicht 
unter  hohem  Druck  einströmen  läßt.  Die  Technik  der  Sauerstoff¬ 
füllung  ist  sehr  einfach.  Mittels  Metall-  oder  elastischen  -Katheters 
wird  die  Blase  ausgiebig  entleert  und  dann  durch  den  Katheter 
sofort  der  Sauerstoff  injiziert.  Man  kann  sich  dazu  eines  gewöhn¬ 
lichen  Gasometers  bedienen,  oder  man  nimmt  eine  ca.  120  g- 
Flasche,  die  durch  einen  Patentpfropfen  geschlossen  und  mittels 
Gummischlauch  mit  dem  Katheter  verbunden  wi:.!.  Durch  Anfüllen 
der  Elasche  mit  SToigem  Wasserstoffsuperoxyd  und  Zusatz  einer 
als  Katalysator  dienenden  Kaliumhypermanganpastille  findet  eine 
ausgiebige,  durch  Drehen  des  Pfropfens  leicht  regulierbare  Sauer¬ 
stoffentwicklung  statt.  120  cm''^  HoOo  produzieren  nach  Zufügung 
der  Pastille  annähernd  einen  Liter  Sauerstoff;  in  einer  IMinute 
werden  120  cm^  reinen  Sauerstoffes  entwickelt,  so  daß  zur  starken 
Entfaltung  einer  normalen  Blase  zwei  Minuten  genügen.  Weiters 
machen  die  Verfasser  darauf  aufmerksam,  daß;  die  mit  Sauerstoff 
gefüllte  Blase  viel  schärfere  und  klarere  Röntgenbilder  liefert. 
Während  in  der  mit  Borlösung  gefüllten  Blase  ein  Stein  kaum 
zu  sehen  war,  präsentierte  er  sich  in  der  mit  Sauerstoff  ge¬ 
füllten  Blase  sehr  klar  und  deutlich,  ja  auch  die  Blasenwand  zeigte 
deutliche  Differenzierung  ihrer  Details.  Zum  Schlüsse  iuddären, 
die  Verfasser:  Die  Füllung  der  Blase  mit  Sauerstoff,  zum  Zwecke 
der  Zystoskopie,  soll  und  kann  natürlich  nicht  die  klassische 
IMethode  Nietzes  ersetzen.  Sie  kann  aber  von  Vorteil  sein, 
wenn  die  Zystoskopie  in  der  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Blase  sehr 
erschwert  oder  unmöglich  ist.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift 

1907,  Nr.  1.)  G. 

* 

89.  .\us  der  Infektionsabteilung  des  k.  k.  Kaiser- Franz- 

.loseph - Spilales  in  Wien  (Prim.  Dr.  Mairinger).  Ueber  .lodo- 
l)hilie  bei  Skarlatina.  Von  Dr.  W.  Neutra.  Nacli  seinen 
Untersuchungen  hält  Vei'f.  die  Koexisletiz  von  Jodophilie  und 
Eosinophilie  füi'  charakteristisch  bei  Skarlatina  und  konnte  di(v 
selbe  weder  bei  den  anderen  akuten  Exanthemen,  noch  bei  Arznei- 
('xanthenien  jemals  wabrnehmen.  Die  Jodreaktion  tritt  bei  Skar¬ 
latina  stets  auf  und  ej-reicht  zumeist  einen  bedeutenden  Grad. 
Das  gätizliche  Feblen  der  Jodreaktion  während  des  ganzen  Ver¬ 
laufes  einer  skarlatinaverdächtigen  Erkrankung  spricht  gegen 
Skarlatina.  fh'ognoslisch  zeigt  sieb,  daß  das  rasclie  Vei*schwinden 
der  jodophilen  Zellen  im  Blutbilde  für  einen  günstigen  Verlauf 
s])i’ichl,  während  das  mas.senhafte  Auftreten  dieser  Zellen  und 
ihre  Besl;indigk(dt  im  Blulbilde,  mit  der  Schwere  der  Erkrankung 
paralhd  geht.  -  (Zeitsebrift  für  Heilkunde  1900,  Bd  XX VH 
II.  XI.)  K.  S. 


Vermisehte  flaehriehten. 

Verliehen:  Dem  ordentlichen  Professor  der  ('’hirurgie 
und  Vorstand  der  11.  chirurgischen  Klinik  in  Wien  Dr.  Julius 
Hochenegg  der  Titel  und  Charakter  eines  Hofrates.  —  Dem 
Oberstabsarzt  Dr.  Bronislaus  Majewski  in  Przemysl  das  Ritter¬ 
kreuz  des  Franz-Joseph-Ordens. 

* 

Vor  kurzem  feierte  der  bekannte  Gynäkologe  Franz  v.  Neu¬ 
gebauer  in  Warschau  sein  25  jähriges  D  o  k  t  o  r  j  u  b  i  1  ä  u  m. 
Ein  Bild  seiner  überaus  reichen  Avissenschaftlich- literarischen 
Tätigkeit  in  diesen  25  Jahren  gibt  das  Verzeichnis  seiner  Schriften, 
das  seinem  neuesten  Buche:  Zur  Lehre  Amn  der  Zwillings- 
schAvangersebaft  mit  heterotopem  Sitz  der  Früchte  (Verlag  von 
Dr.  Werner  Klinkhardt,  I^eipzig)  beigeheftet  ist. 

Habilitiert:  Dr.  Stursberg  für  iunerc  Medizin  in  Bonn. 

* 

Gestorben:  Der  Chemiker  Prot.  Men  dele  je  w  in  Peters¬ 
burg.  —  Der  Professor  der  Geburtshilfe  Dr.  P.  Budin  in  Paj’is. 

* 

Der  Herr  Minister  für  Kultus  und  Unterricht  Doktor 
Marchei  hat  folgenden  Erlaß  hinarrsgegeben :  „Auf  Grund 
des  §  3  des  Gesetzes  vorn  31.  Dezember  1896,  R.-G.-Bl.  Nr.  8, 
finde  ich  hinsichtlich  der  Qualifikation  der  Assistenten  bei  der 
Lehrkanzel  für  Anatomie  und  Physiologie  der  Haustiere  an  der 
Hochschule  für  Bodenkultur  die  besondere  Bestimmung  zu  treffen, 
daß  der  imi  §  1  der  hierortigen  Verordnung  vom  1.  Jänner  1897, 
R.-G.-Bl.  Nr.  9,  zur  Erlangung  einer  Assistentenstelle  an  der  Hoch¬ 
schule  für  Bodenkultur  vorgeschriebene  QualifikationsnachAveis 
bei  dieser  Lehrkanzel  auch  durch  den  medizinischen  Doktorgrad 
ersetzt  Averden  kann.“ 

In  der  Sitzung  des  niederösterreichischen 
La  ndessanitäts  rates  vom  4.  Februar  1907  Avurden  folgende 
Gutachten  erstattet:  1.  Ueber  ein  Ansuchen  um  BeAvilligung  zur 
Erbauung  eines  Gemeindekrankenhauses  in  Niederösterreich. 
2.  Ueber  die  Aenderung  der  Wahlordnung  und  des  Sitzes  der 
Aerztekammer  für  Niederösterreich  mit  Ausnahme  von  Wien  soAvie 
über  eine  Aenderung  in  der  Anlage  der  Wählerliste  der  Wiener 
Aerztekammer.  3.  Ueber  ein  Ansuchen  um  Bewilligung  zur  Er¬ 
richtung  eines  Instituts  für  mechanische  Behandlung  der  Atemnot 
in  Wien.  Schließlich  Avurde  ein  Initiativantrag  betreffend  die 
Regelung  der  Aufnahme  und  Entlassung  von  Leprakranken  in 
den  Spitälern  eingebracht  und  einem  Komitee  zugewiesen. 

* 

Von  der  zurzeit  noch  in  Bearbeitung  befindlichen  Statistik 
der  U  n  t  e  r  r  i  c  h  t  s  a  n  s  t  a  1 1  e  n  für  das  Schuljahr 
1904/05  ist  der  auf  die  österreichischen  Universitäten 
bezughabende  Teil  bereits  abgeschlossen.  Es  ergeben  sich  daraus 
nachstehende  Daten,  die  dem  ersten  Heft  der  ,, Statistischen 
Mitteilungen“  entnommen  sind.  Im  Studienjahre  1904/05  Avaren 
1727  (gegenüber  1690  im  Vorjahr)  Lehrpersonen  tätig, 
u.  zw.  500  ordentliche  und  234  außerordentliche  Professoren, 
17  honorierte  Dozenten,  13  Supplenten,  456  Prizatdozenten,  452 
Adjunkten  etc.  Vor  zehn  Jahren  betrug  die  Zahl  aller  Universitäts¬ 
lehrkräfte  1262.  Von  der  Gesamtzahl  der  Lehrpersonen  gehörten 
der  Wiener  Universität  574  =  33'3'’/(i  an.  Was  die  Verteilung  aller 
1727  Lehrkräfte  auf  die  einzelnen  Fakultäten  betrifft,  so  Avaren 
an  der  theologischen  Fakultät  91  =  5’3”,/o,  an  der  rechts-  und 
staatswissenschaftlichen  Fakultät  187  =  10'8‘’/o,  an  der  medizi¬ 
nischen  Fakultät  753  =  43‘6‘’/o  und  an  der  philosophischen  Fakultät 
696  =  dO’dVo  tätig.  Die  G  e  s  a  jn  t  f  r  e  q  u  e  n  z  aller  öster¬ 
reichischen  Universitäten  im  Studienjahr  1904/05  be¬ 
zifferte  sich  im  Wintersemester  auf  22.374  Studierende  gegenüber 
21.091  im  Jahre  1903/04  und  16.560  im  Jahre  1894/95;  im  Sommer¬ 
semester  belief  sich  diese  Frequenz  auf  19.496  Studierende  gegen 
18.805  im  Jahre  1903/04  und  14.411  im  Jahre  1894/95.  Unter  den 
22.374,  bzw.  19.496  Studierenden  befanden  sich  8232,  bzAv.  6926 
an  der  Universität  in  Wien  ;  Aveiter  1220  =  5‘5”/n  (bzw.  896  =  4'6“/o) 
gehörten  dem  weiblichen  Geschlechte  an.  Von  sämtlichen  Uni¬ 
versitätsstudierenden  entfielen  im  Wintersemester  auf  die  theo¬ 
logische  Fakultät  1390  (6'2'’/o),  die  rechts-  und  staatswissenschaft¬ 
liche  Fakultät  9593  (42'97o),  die  medizinische  Fakultät  3276 
(l4‘6'’/o),  die  philosophische  Fakultät  8115  (36’37o).  Von  sämtlichen 
Studierenden  des  Wintersemesters  (ausschließlich  der  654  Fre¬ 
quentanten  der  medizinischen  Fakultät  in  Wien,  deren  Nationale 
nicht  nachgeAviesen  Avurde)  Avaren  19.696  (90'77o)  Inländer  und 
2024  (9'37o)  Ausländer,  unter  den  letzteren  744  aus  den  Ländern 
der  ungarischen  Krone,  224  aus  Deutschland,  43  aus  der  Schweiz, 
16  aus  Italien,  8  aus  Frankreich,  521  aus  Rußland,  20  aus  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Türkei,  62  aus  Rumänien,  106  aus  Serbien,  59  aus  den  übrigen 
vier  Erdteilen.  Der  Älutterspracbe  nach  waren  von  sämtlichen 
Universitätshörern,  bzw.  Hörerinnen  des  Wintersemesters  9529 
(43‘97o)  Deutsche,  4405  (20’3“/n)  Tscheclioslaven,  4418  (20'3"/(,) 
Polen,  998  (l'O^/o)  Ruthenen,  1153  (5-3"/o)  Südslaven,  501  (2-3"/o) 
Italiener,  Ladiner  und  Friauler,  226  (l^/o)  Rumänen,  126  (0'6“/oj 
jMagyaren  und  364  (LT^'o)  anderer  Nationalität.  Nach  dem 
Religionsbekenntnisse ,  verteilte  sich  die  Gesamtzahl  der  Stu¬ 
dierenden  im  Wintersemester  auf  16.882  (77'77o)  Katholiken,  677 
(3‘l“/o)  Griechisch-orientalische,  711  (3’3"/o)  Evangelische,  6  Alt- 
katholiken,  3333  (15'47o)  Israeliten,  38  (0’2®/n)  anderer  Konfession 
und  73  (0'3"/o)  Konfessionslose. 

* 

Der  36.  Kongreß  der  Deutschen  Gesellschaft  füi 
Chirurgie  findet  vom  3.  bis  6.  April  1907  in  Berlin  ini 
Langenbeck-Hause  statt.  Die  Herren  Mitglieder  können  im  Bureau 
des  Herrn  Melzer  (Berlin  N.,  Langenbeek-Haus,  Ziegelstraße 
Nr.  10/11)  am  2.  April,  nachmittags  von  4  bis  9  Uhr,  sowie 
am  3.  April,  vormittags  voni  8  bis  10  Uhr,  die  gedruckte  Tages¬ 
ordnung,  sowie  die  Mitgliedskarten  gegen  Erlegung  des  Jahres¬ 
beitrages  in  Empfang  nehmen.  Gegen  Einsendung  des  Jahres¬ 
beitrages  pro  1907  an  Herrn  Melzer  bis  zum  20.  März 
werden  Mitgliedskarten  von  diesem  per  Post  zugesandt. 
Die  Eröffnung  des  Kongresses  erfolgt  am  IMittwoch,  den 
3.  April,  vormittagis  10  Uhr,  im  Langenbeck-Hause.  Die 
Ankündigungen  von  Vorträgen  und  Demonstrationen  haheu  Ids 
zum  3.  März  hei  Prof.  Ri  edel -Jena  mit  einer  kurzen  Inhalts¬ 
angabe  und  der  genauen  Bezeichnung,  oh  Vortrag  oder  Demon¬ 
stration  beabsichtigt  wird,  zu  gescliehcn.  Von  auswärts  komniende 
Kranke  können  in  der  Kgl.  Chirurg.  Universitätsklinik  (Berlin  N., 
Ziegelstraße  5 — 9)  Aufnahme  finden.  Präparate,  Apparate  und 
Instrumente  etc.  sind  mit  Angabe  ihrer  Bestimmung  an  Herrn 
Melzer  (Berlin  N.,  Langenbeck-Haus,  Ziegelstraße  10/11)  zu 
senden.  Ein  Demonstralionsahend  für  Röntgenbilder  ist  in  Aus¬ 
sicht  genommen.  Anmeldungen  zur  Aufnahme  neuer  Mitglieder 
sind  an  den  I.  Schriftführer  Herrn  Kürte  (Berlin  W.  62,  Kur¬ 
fürstenstraße  114)  einzusenden.  Zur  Besprechung  auf  dem  dies¬ 
jährigen  Kongresse  sind  folgende  Themata  vorgemerkt :  1.  Die 
Chirurgie  des  Herzens,  resp.  des  Herzbeutels  (Herr  Rehn).  2. Die 
operative  Behandlung  der  Lungenkrankheiten  (Herr  Friedrich). 
3.  Die  Exstirpation,  der  Prostata  (Herr  Kümmel).  4.  Ober¬ 
schenkelbrüche,  besonders  am  oberen  und  unteren  Drit  teile  (die 

Herren  Bardenh  euer  und  König). 

* 

Der  erste  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Urologie  wird  unter  dem  Protektorate  des  Herrn  Erzherzog 
Rainer  vom  2.  bis  5.  Oktober  1907  in  W^ien  im  Gebäude  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  tagen.  Als  Hau])tthemen  werden  in 
Diskussion  gezogen :  1.  Diagnostik  und  Therapie  der  Nieren¬ 

tumoren.  Referenten:  Küster- Marburg,  v.  Eiseisberg- Wien. 
H.  Diagnostik  und  Therapie  der  Nephrolithiasis.  Referenten: 
K  ümmel -Hamburg,  Holzknecht,  K  i  e  n  b  ö  ck  -  Wien.  Hl.  Ilie 
Albuminurie.  Referenten:  v.  N  o  o  r  d  e  n  -  Wien,  Po  s  ne  r  -  Berlin. 
Anmeldungen  von  Vorträgen  und  Demonstrationen  haben  mit  eim'r 
kurzen  Inhaltsangabe  versehen  bis  spätestens  15.  Juli  1907  an 
die  Geschäftsstelle  in  Wien  (Dr.  Kap s am m er,  IX.,  Maria 
Theresienstraße  3)  stattzufinden.  Ebendaliin  sind  auch  Anmel¬ 
dungen  zur  Diskussion  über  die  genannten  drei  Hauptthemen  zu 
richten.  Unhemittelte  Kranke,  welche  zu  Demonstrationszwecken 
nach  IVien  kommen,  werden  für  die  Zeit  des  Kongresses  au  der 
Wiener  allgemeinen  Polik'inik  unentgeltlich  untergebrachl.  Wäh¬ 
rend  des  Kongresses  wird  eine  Ausstellung  von  Präparaten,  In¬ 
strumenten  und  urologischen  Gebrauclisgegenständen  veranstaltel, 
für  welche  die  Anmeldungen  ebenfalls  bis  spätestens  15.  .luli 
an  die  Geschäflsstelle  in  M'ien  zu  erfolgen  hal)en.  Nichtmitgliedm' 
wollen  ihre  Teilnalmu'  an  dem  Kongreß  an  die  Geschäftsstelle  in 
Wien  melden,  woselbst  auch  der  Teilnehnnu’belrag  von  K  10 
zu  erlegen  ist.  Die  Mitglieder  der  Gesellschaft  werden  gebeten, 
den  von  der  konstituierenden  Versammlung  in  Stuttgart  fesl- 
gesetzten  Jahresbeitrag  von  Mk.  10  an  die  Zahlstelle  in  Breslau 

(Dr.  F.  Löwen  har  dt,  Karlstraße  l)  zu  senden. 

* 

Zur  Beratung  der  Frage,  betreffend  die  Gründung  <'iuer 
neuen  russischen  Universität  an  Shdle  der  seil  längerer 
•Zeit  bereits  geschlossenen  Warschauer  Universität  war  (wie  die 
Polersburger  ined.  WochenschrifI  mitteilt)  eine  Kommission  aus 
Professoren  der  Warschauer  Universität  gebildet,  die  in  ihren 
Konferenzen  mit  den  Vertretern  verschiedene)'  Slädte  und 
Semsfwos  das  nölige  IMalerial  daj'übei'  gesainmelt  hal,  welche  die 
günsli"s!en  Voi'bc'dingungen  für  die  Eröffnung  ei)ier  Universiiät 
bietet.  Unter  den  Städlen,  wcdclie  den  Wunsch  geäußeit  haben,  die 


Gründung  einer  Universität  zu  unterstützen,  wären  IMinsk, 
Witebsk,  Smolensk,  Nishni-Nowgorod,  Ssaratow  und  Woronesh 
zu  nennen.  Am  meisten  Aussichten  für  die  Errichtung  einer 
Universität  haben  Ssaratow,  Nishni-Nowgorod  und  Woronesh, 
weil  sie  gut  eingerichtete  Krankenhäuser  haben,  die  in  den  ersten 
Jahren  die  Kliniken  ersetzen  können. 

Der  dritte  Kongreß  der  Deutschen  Röntgen- 

Gesellschaft  findet  am  Montag,  den  1.  April  1907,  morgens 

9  Uhr,  in  Berlin  im  Langenbeckhause  statt.  Für  die  Wahl  dieses 

Tages  war  der  Gesichtspunkt  maßgebend,  den  Teilnehmern  den 

Besuch  des  am  2.  April  tagenden  Orthopädenkongresses  und  des 

am  3.  April  beginnenden  Chirurgenkongresses  zu  ermöglichen. 

Zur  Diskussion  steht  das  Thema:  ,, Welchen  Einfluß  hat  die 

Röntgendiagnostik  auf  die  Erkennung  und  Behandlung  der 

Knochenbrüche  gehabt?“  Das  Referat  Hat  Herr  Professor 

Dr.  0  b e  r:s t  -  Halle,  das  Korreferat  Herr  Dr.  Immel- 

mann- Berlin  übernommen.  Anfragen  sind  an  den  derzeitigen 

Vorsitzenden,  Herrn  Dr.  Albers-Schönberg,  Hamburg,  Klop- 

stockstraße  10,  zu  richten.  Anmeldungen  von  VOrlrägen  oder 

Demonstrationen  sind  spätestens  bis  zum  1.  März  1907  bei  dem 

I.  Schriftführer  der  Gesellschaft,  Herrn  Dr.  IMax  Immelniann, 

Berlin  W.  35,  Lützowstraße  72,  anzumelden. 

* 

Die  Deutsche  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der 
Geschlechtskrankheiten  wird  ihren  diesjährigen  Kongi'cß, 
den  dritten  seit  ihrer  Begründung,  am  24.  und  25.  Alai  in  Mann¬ 
heim  abhalten.  x41s  einziges  Verhandlungsthema  wird  die  Frage 
der  sexuellen  Pädagogik  eingehend  erörtert  werden.  Nach  der 
vorläufigen  Tagesordnung  sollen  folgende  Spezialreferate  erstattet 
werden:  Die  Aufgabe  der  Vlutter,  des  Hauses,  der  Volksschule. 
—  Sexuelle  Aufklärung  in  höheren  Schulen,  für  xVhiturienten, 
Seminaristen,  Fortbildungsschulen,  auf  dem  Lande.  —  Jugend¬ 
literatur.  —  Sexuelle  Diätetik. 

* 

In  Brüssel  wurde  eine  Schule  für  tropische  Medizin 
eröffnet,  zu  deren  Leiter  Dr.  van  Kämpen  hont  ernannt  wurde. 

* 

Zufolge  Beschlusses  des  Herausgeberkomitces  wurde  an 
Stelle  des  nach  Slraßl)urg  berufenen  Hofrates  Prof.  Hans  Chiari 
Prof.  R.  Kretz,  Wien  IV.,  Theresianumgasse  25,  mit  der  Re¬ 
daktion  der  Zeitschrift  für  Heilkunde  betraut. 

* 

Der  U  n  t  e  r  s  t  ü  t  z  u  n  g  s  V  e  r  e  i  n  für  Witwen  u  n  d 
Waisen  jener  Mitglieder  des  Wiener  Doktorenkollegiums,  welche 
in  die  Witwen-  und  Waisensozietät  nicht  einverleibt  waren,  hielt 
am  24.  Januar  1907  seine  ordentliche  Generalversannnlung  ab, 
in  welcher  der  Präses,  Herr  Dr.  iVnton  Khautz  von  Eulen¬ 
thal  sen.  den  Reclienschaftsbericht  erstattete.  Die  Gesamtein¬ 
nahmen  betrugen  K  12.478-84,  während  die  Gesamtauslagen  sich 
auf  K  12.104-67  beliefen. 

* 

Bei  der  am  22.  v.  M.  abgehaltenen  Vollversammlung 
des  ärztlichen  Vereines  im  VHl.  Bezirke  wurde  die 
Neuwahl  des  Vorstandes  vorgenommen.  Dieselbe  ergab  fol¬ 
gendes  Resultat:  Obmann:  Dr.  Ludwig  Skorscheba)i;  Ob¬ 
mannstellvertreter:  Dr.  Eduard  Kraus;  Kassier:  Josef  Hart- 
.niann;  Schriftführer:  Karl  Polläk  und  Arnim  V^ajda. 

Im  Verlage  der  Hofbuchhandlung  W.  Braumüller  er¬ 
scheint  ein  auf  zehn  Bände  berechnetes  Handbuch  der  Sach¬ 
verständigentätigkeit,  welches  von  Prof.  P.  Dittrich  in 
Pi’ag  unter  VHIwirkung  von  Fachmännern  herausgegeben  wird.  Der 
bereits  erschienene  dritte  Band  hal  in  dieser  Wochenschrift 
schon  eine  eingehende  Besprechung  gefunden.  Nun  liegt  auch 
bereits  der  größte  Teil  des  zweiten  Bandes  vor,  lerner  vom 
zehnten  B  a  n  d  e  Liefei'ung  1  bis  3  :  Die  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  i  s  c  h  e  n 
Sanitätsgesetze  (552  S.),  behandelt  von  Landessauitäts- 
rcferent  Di'.  August  Netolitzky.  Der  Subskriplionspreis  pro 

Liefei'ung  (ca.  50  im  ganzen)  beträgt  K  6. 

* 

Landesmann:  Die  Therapie  an  den  Wiener  Kli¬ 
niken.  Achte  vollständig  umgearbeitete  Auflage.  Herausgegeben 
im  Verlage  von  Fr.  De  ul  icke  in  Wien  von  Dr.  Otto  M;ir- 
b  u  r  g.  Preis  K  9-60.  Whe  dei'  Herausgeber  betont,  hat  die 
vorliegende  Auflage  gegenülier  der  siebenten  eine  vollständige 
Uinarbeilung  und  gründliche  Revision  erfahren. 

Mr.  Ph.  J,  Min  des:  Vlanuale  der  neuen  Arznei¬ 
mil  lei  für  A])olheker,  Aerzte  und  Di'ogisten.  Fünfle  Auflaa'<v 
D  e  u  I  i  c  k  e,  Wien.  Preis  K  12. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


2(>2 


Aus  dem  S  a  n  i  t  ä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  4.  Jahreswoche  (vom  20.  bis 
26.  Januar  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  618,  unehelich  271,  zusammen  889. 
Totgeboren,  ehelich  54,  unehelich  25,  zusammen  79.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  705  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
18  7  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  18, 
Scharlach  3,  Keuchhusten  1,  Diphtherie  und  Krupp  10,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  1,  Rotlauf  6,  Lungentuberkulose  104,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  45,  Wochenbettfieber  4.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  30  ( —  15),  Wochenbettfieber  8  (-j-  5),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  110  (-f-  4),  Masern  358  (-|-  2),  Scharlach  75  ( —  15),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  5  ( —  2),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  91  ( —  7),  Keuchhusten  39  (-[-  1),  Trachom  4  (-)-  4), 
Influenza  0  ( —  1). 


Freie  Stellen. 

Zwei  Assistenzarztesstellen  in  der  Landes-Irrenanstalt 
in  Kulparköw  (Galizien).  Mit  dieser  Stelle  sind  nachstehende  Bezüge 
verbunden:  1.  Jahresgehalt  K  1400;  2.  ein  Kostrelutum  von  jährlich 
K  816;  3.  eine  Wohnung  mit  Beheizung  und  Beleuchtung.  Gesuche  sind 
beim  Direktor  der  Landesirrenaustalt  in  Kulparköw  bis  einschließlich 

20.  Februar  1.  J.  einzubringen. 

Stelle  eines  Distriktsarztes  in  Uj^cie  Solne  (Galizien). 
Der  Sanitätsdistrikt  Ujscie  Solne  umfaßt  23  Gemeinden  mit  einer  Be¬ 
völkerung  von  11.400  Einwohnern.  Haltung  einer  Hausapotheke  not¬ 
wendig.  Jahresgehalt  K  1200,  jährliches  Reisepauschale  K  700.  Gesuche 
sind  bis  1.  März  1907  beim  Bezirksausschüsse  in  Bochnia  einzubringen. 
Nach  erfolgter  Ernennung  ist  der  Posten  sofort  anzutreten. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeindegruppe 
Mannswörth-Albern  bei  Wien  mit  dem  Wohnsitze  des  Gemeinde¬ 
arztes  in  Mannswörth  mit  1.  April  d.  J.  zu  besetzen.  Mit  dieser  Stelle 
ist  der  fixe  Bezug  von  K  680,  sowie  die  freie  Wohnung  verbunden.  Bis¬ 
her  war  die  Stelle  vom  niederösterreichischen  Landesausschusse  mit 
K  900  jährlich  subventioniert;  der  Landesausschuß  ist  jedoch  nicht  in 
der  Lage,  eine  bestimmte  Zusage  in  Hinsicht  der  Wiedergewährung  der 
Subvention  derzeit  schon  zu  machen  und  behält  sich  die  endgültige 
Fassung  bis  zum  Einlangen  des  Besetzungsvorschlages  vor.  Bewerber 
um  diesen  Posten  wollen  ihre  mit  den  im  §  11  des  Landesgesetzes  vom 

21.  Dezember  1888  (L.-G.-Bl.  Nr.  2  ex  1889)  vorgeschriebenen  Belegen 
(Heimatschein,  ärztliches  Diplom,  von  einem  Amtsärzte  ausgestelltes 
Gesundheitszeugnis  und  Sittenzeugnis)  versehenen  Gesuche  bis  spätestens 
1.  März  d.  J.  an  das  Bürgermeisteramt  Mannswörth  einsenden,  welch 
letzteres  zur  Erteilung  von  etwa  gewünschten  Auskünften  bereit  ist. 

Gemeindearztesstelle  für  die  1700  Einwohner  zählende 
Gemeinde  Schön  na  bei  Meran  (Tirol).  Wartgeld  K  800,  außerdem  er¬ 
hält  der  Arzt  eine  Naturalwohnung  und  freien  Holzbezug.  Führung  einer 
Hausapotheke  notwendig.  Ordination  und  Visiten  werden  nach  getroffener 
Vereinbarung  honoriert.  Gesuche  christlicher  Bewerber  sind  bis  spätestens 
1.  März  d.  J.  an  die  Gemeindevorstehung  Schönna  zu  richten. 


An  die  Redaktion  gelangte  Werke. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Ziegler,  Experimentelle  und  klinische  Untersuchungen  über  die 
Histogenese  der  myeloiden  Leukämie.  Fischer,  Jena  1906.  M.  4‘50. 

llöuck,  Ueber  die  Rolle  des  Sympathikus  bei  der  Erkrankung  des 
Wurmfort.-atzes.  Ebenda.  M.  4' — . 

Wulff,  Die  Lehre  von  der  Krebskrankheit  von  den  ältesten  Zeiten 
bis  zur  Gegenwart.  Ebenda.  M.  20’ — . 

Mense,  Handbuch  der  Tropenkrankheiten.  3.  Bd.  Barth,  Leipzig. 
M.  28-—. 

Ledermaiiii,  Die  Therapie  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten. 

3.  Aufl.  Goblentz,  Berlin.  M.  6' — . 

Dörbeck,  Geschichte  der  Pestepidemien  in  Rußland  von  der 
Gründung  des  Reiches  bis  auf  die  Gegenwart.  Kern,  Breslau  1906.  M.  6' — . 

Krückiuaiin,  Die  Syphilis  der  Regenbogenhaut.  (Augenärztliche 
Unterrichtstafeln.)  M.  7* — . 

Hancock  und  Higashi,  Das  Kano  Jiu-Jitsu  (Jiudo).  Hoffmann, 
Stuttgart. 

Fiir  und  Siredey,  Maladies  des  Organes  genito-urinaires  de  l’homme 
et  de  la  femme.  Bailliöre,  Paris  1907.  Frcs.  8’ — . 

Gerhardt,  Ueber  einige  neuere  Gesichtspunkte  für  die  Diagnose 
und  Therapie  der  Nierenkrankheiten.  Stüber,  Würzburg.  M.  — '75. 

Sobotta,  Grundriß  (s.  Atlas)  der  deskriptiven  Anatomie  des 
Menschen.  3.  Abt.  Lehmann,  München.  M.  12'— . 

Lelnnaiiii  und  Neaiiianii,  Atlas  und  Grundriß  der  Bakteriologie. 

4.  Aufl.  Ebenda.  M.  18' — . 

Grünwald,  Grundriß  der  Kehlkopfkrankheiten  und  Atlas  der 
Laryngoskopie.  2.  Aufl.  Ebenda.  M.  10' — . 

Huinm,  Ueber  Wundinfektion.  Festrede.  Hirschwald,  Berlin. 
Oetlingeii  v.,  Studien  auf  dem  Gebiete  des  Kriegssanitätswesens 
im  russisch-japanischen  Kriege  1904/05.  Ebenda. 

Heiträtfe  zur  Chirurgie  und  Kriegschirnrgie.  Festschrift  zum 
70jährigen  Geburtstage  Prof.  Dr.  Ernst  v.  Bergmanns.  Ebenda. 

Hardelelicn,  Erfahrungen  über  Cholezy.stektomie  und  Chole- 
zystenterostomie  nach  286  Gallenstein-Laparotomien.  Fischer,  Jena. 
M.  4-—. 

Arrhenius,  Immunochemie.  Aus  dem  Englischen  von  A.  Fink  ei¬ 
st  ein.  Akademische  Verlagsanstalt,  Leipzig. 

Muskat,  Das  intermittierende  Hinken  als  Vorstufe  der  spontanen 
Gangrän.  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig.  M.  — ‘75. 


W'iuckel  V.,  Shakespeares  Gynäkologie.  Ebenda.  M.  — '75. 
Hepeiidorf,  Akute  infektiöse  Osteomyelitis  des  Unterkiefers.  Ebenda. 
M.  --75. 

ToejHitz,  Des  Säuglings  Ernährung  und  Pflege.  Preuß  & 
Jünger,  Breslau.  M.  — 40. 

Ebstein  und  Schwalbe,  Chirurgie  des  praktischen  Arztes.  2.  Hälfte. 
Enke,  Stuttgart.  M.  12' — . 

Bergmann  und  y.  Bruns,  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 
3.  Aufl.  2.  Bd.  Ebenda.  M.  21-60,  5.  Bd.  M.  25-—. 

Döring,  Die  mathematisch  richtige  Erklärung  der  Entstehung  und 
Vererbung  der  Geschlechter.  Selbstverlag.  Böhlitz-Ehrenberg. 

Zsigmondy,  Ueber  Kolloidchemie.  Barth,  Leipzig.  M.  2- — . 
Krückmann,  Die  Syphilis  der  Regenbogenhaut.  Kern,  Breslau. 
Müller,  Hemmungen  des  Lebens.  Beck,  München.  M.  3' — . 
Blaschkes,  Dolmetscher  am  Krankenbette.  Deutsch,  französisch, 
englisch,  russisch.  W.  R  o  t  s  c  h  i  1  d,  Berlin,  ä  M.  8- — .  (Konversationsbuch 
für  sich  M.  2  50,  Wörterbuch  M.  6-50.) 

Kirsteiii,  Grundzüge  für  die  Mitwirkung  des  Lehrers  bei  der  Be¬ 
kämpfung  übertragbarer  Krankheiten.  Springer,  Berlin.  M.  IMO. 

Lesser,  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  2.  Teil, 
12.  Aufl.  Vogel,  Leipzig  1906.  M.  8- — . 

Ferdy,  1.  Teil:  Die  Mittel  zur  Verhütung  der  Konzeption.  2.  Teil: 
Die  Stellungnahme  des  Arztes  gegenüber  dem  Verlangen  nach  Konzeptions¬ 
verhütung  im  Volke.  Spohr,  Leipzig.  M.  2-40  und  M.  l' — . 

Burwinkel,  Die  Lungenschwindsucht,  ihre  Ursache  und  Bekämpfung. 
2.  Aufl.  G  m  e  1  i  n,  München.  M.  1' — . 

Michel,  Hautpflege  und  Kosmetik.  Ebenda.  M.  — '80. 

Goebel,  Die  englische  Krankheit  und  ihre  Behandlung.  Ebenda. 
Rodari,  Die  wichtigsten  Grundsätze  der  Krankenernährung.  Ebenda. 
M.  —-60. 

Callicart,  The  essential  similarity  of  innocent  and  malignant 
tumours.  Wright,  London. 

Koeniger,  Gardone  Riviera  am  Gardasee  als  Winterkurort.  5.  Aufl. 
Springer,  Berlin.  M.  1-20. 

Vorträge  über  Säuglingspflege  und  Säuglingsernährung,  gehalten 
in  der  Ausstellung  für  Säuglingspflege  in  Berlin  im  März  1906  von 
Baginsky,  Bendix,  Langstein,  H.  Neumann,  Salge,  Selter, 
Siegert  und  T  r  u  m  p  p.  Ebenda.  M.  2’ — . 

Aruetli,  Diagnose  und  Therapie  der  Anämien.  Stüber,  Würz¬ 
burg.  M.  9' — . 

Jenseii,  Organische  Zweckmäßigkeit,  Entwicklung  und  Vererbung 
vom  Standpunkte  der  Physiologie.  Fischer,  Jena.  M.  5-  —  . 

H.  Weber  und  Parkes  Weber,  Climatotherapy  and  balneotherapy. 
The  climates  and  mineral  water  health  resorts  (spas)  of  Europe  and 
North  Africa.  Smith,  Elder,  London. 

Jamiu  und  Meckel,  Die  Koronararterien  des  menschlichen  Herzens 
in  stereoskopischen  Röntgenbildern.  Fischer,  Jena.  M.  10- — . 

Struntz,  Johann  Baptist  van  Helm  ont  (1577 — 1644).  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Naturwissenschaften.  Deut  icke,  Wien. 

Kern,  Das  Wesen  des  menschlichen  Seelen-  und  Geisteslebens  als 
Grundriß  einer  Philosophie  des  Denkens.  2.  Aufl.  Hirschwald,  Berlin. 

Schreiber,  Medizinisches  Taschenwörterbuch  für  Mediziner  und 
Juristen.  2.  Aufl.  Beust,  Straßburg.  M.  3- — . 

Bardeiilieuer,  Die  allgemeine  Lehre  von  den  Frakturen  und 
Luxationen  mit  bes.  Berücksichtigung  des  Extensionsverbandes.  Enke, 
Stuttgart.  M.  11- — . 

Politzer,  Geschichte  der  Ohrenheilkunde.  1.  Bd.  Ebenda.  M.  20' — . 
Ebstein,  Arthur  S  c  h  o  p  e  n  h  a  u  e  r.  Seine  wirklichen  und  ver¬ 
meintlichen  Krankheiten.  Ebenda.  M.  1-20. 

Wesener,  Medizinisch-klinische  Diagnostik.  2.  Aufl.  Springer, 
Berlin.  M.  18-—. 

Zw'eig,  Die  Therapie  der  Magen-  und  Darmkrankheiten.  Urban 
&  Schwarzenberg,  Wien.  M.  12- — . 

Bum,  Handbuch  der  Massage  und  Heilgymnastik.  4.  Aufl.  Ebenda. 
M.  12--. 

Sindiug-Larsen,  Beitrag  zum  Studium  der  Behandlung  der  Hüft¬ 
gelenkstuberkulose  im  Kindesalter.  S.-A.  aus  dem  Nord.  med.  Archiv. 

Diltricli,  Handbuch  der  ärztlichen  Sachverständigentätigkeit. 
2.  Bd.,  1.  Liefg.  C  h  i  a  r  i  H.:  Leichenerscheinungen  und  Leichenbeschaue. 
2.  und  3.  Liefg.  Hab  er  da:  Behördliche  Obduktionen.  4.  Liefg.,  Fort¬ 
setzung  der  3.,  und  Kolisko:  Plötzlicher  Tod  aus  natürlicher  Ursache. 
10.  Bd.  1. — 3.  Liefg.  Netolitzky:  Oesterreichische  Sanitätsgesetze. 
Verlag  von  W.  B  r  a  u  m  ü  1 1  e  r,  Wien. 

EndeiTen  und  Gasser,  Stereoskopbilder  zur  Lehre  von  den  Hernien. 
Fischer,  Jena.  M.  28' — . 

Reich,  Das  irreguläre  Dentin  der  Gebrauchsperiode.  Ebenda. 
M.  6--. 

Grober,  Einführung  in  die  Versicherungsmedizin.  Ebenda.  M.  3-60. 
Stier,  Die  akute  Trunkenheit  und  ihre  strafrechtliche  Begutachtung 
mit  besonderer  Berücksichtigung  militärischer  Verhältnisse.  Ebenda. 
M.  4-50. 

Bechterew,  Die  Persönlichkeit  und  die  Bedingungen  ihrer  Ent¬ 
wicklung  und  Gesundheit.  Bergmann,  Wiesbaden  1906.  M.  U — . 

Lobedaiik,  Rechtsschutz  und  Verbrecherbehandlung.  Ebenda. 
M.  2-40. 

Buschan,  Gehirn  und  Kultur.  Ebenda.  M.  I  bO. 

Soberuheini,  Leitfaden  für  Desinfektoren.  M  a  r  h  o  1  d,  Halle. 
M.  —-40 

Diem,  Schwimmende  Sanatorien.  Im  Verein  mit  Schiffsbau-Ober¬ 
ingenieur  E.  Kagerbauer  herausgegeben.  Mit  zwei  Schiffsplänen. 
D  e  u  t  i  c  k  e,  Wien. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


2üb 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Clesellschaften  und  Kongreßberichte, 


INHALT: 


Offlzielles  Protokoll  der  k.  k,  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  8.  Februar  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  24.  Januar  1907. 


Verliandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  9.  Januar  1907. 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in  Böhmen. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

'  Sitzung  vom  8.  Februar  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  H.  H.  Meyer. 

Schriftführer:  Dr.  Alfred  Exner. 

Dr.  Pollak  demonstriert  einen  sechsmonatlichen  Säugling, 
bei  dem  seit  vier  Monaten  täglich  eine  reichliche  Menge  von 
ca.  1  cm  langen  und  2  cm  breiten,  gurkenähnlichen,  rötlich¬ 
grauen  bis  weißgrauen  Gebilden  mit  dem  Stuhle  abgehen.  Die 
nähere  (mikroskopische)  Untersuchung  ergab,  daß  es  sich  um 
die  Glieder  einer  Taenia  cucumerina  handelte.  Bekanntefinaßen 
kommt  diese  Tänienart  ziemlich  häufig  im  Dünndarm  des  Hundes 
oder  der  Katze  vor;  die  Tiere  akquirieren  den  ßandwurm  durch 
Verschlucken  der  Hundelaus  (Trichodectes  latus)  oder  des  Hunde¬ 
flohs  (Pulex  serraticeps),  in  denen  der  Wurm  sein  Zyslizerkoid- 
stadium  durchniacht.  Beim  Menschen  ist  die  Taenia  cucumerina 
verhältnismäßig  selten  gefunden  worden;  As  am  (Münchener 
med.  Wochenschrift  1903)  konnte  nur  20  Fälle  aus  der  Litera¬ 
tur  zusammenstellen;  fast  sämtliche  Fälle  hetreffen  Kinder 
(hauptsächlich  in  den  ersten  vier  Lebensjahren),  die  durch  den 
Kontakt  mit  den  infizierten  Tieren  die  Tänia  akquirieren.  Im 
vorliegenden  Falle  läßt  sich  Urheber  und  Zeitpunkt  der  In¬ 
fektion  genau  feststellen:  Die  Mutter  des  Kindes,  die  angeblich 
in  ihrer  IVohnung  nie  einen  Hund  oder  eine  Katze  beherbergt 
hat,  machte  mit  ihrem  damals  fünf  Wochen  alten  Säugling  einen 
Besuch  hei  einer  befreundeten  Familie,  wo  das  Kind  neben  eine 
Katze  aufs  Bett  gelegt  wurde.  Drei  Wochen  nach  diesem  Er¬ 
eignis  gingen  die  ersten  Glieder  ab  und  dieser  Zeitraum  wird 
auch  von  den  Autoren  als  der  zur  Reifung  der  Taenia  cucu¬ 
merina  erforderliche  angegeben.  Im  vorliegenden  Falle  hat  die 
Tänia  nicht  die  geringsten  Symptome  gemacht.  Das  Kind  Int 
seit  dem  Abgang  der  Glieder  nie  Verdauungsstörungen  durch- 
gemacht  und  ist  recht  gut  gediehen.  Von  anderen  Autoren  (zum 
Beispiel  Brandt)  wurden  Darmaffektionen  und  Erscheinungen 
von  seiten  des  Zentralnervensystems  (Krämpfe)  beobachtet;  hei 
den  erkrankten  Tieren  sieht  man  ziemlich  häufig  pathologische 
Erscheinungen  (Diarrhöen),  epileptische  Anfälle,  wutähnliche 
Attacken  (Pseudolyssa).  Zur  Abtreibung  des  Wurmes  wird  von 
manchen  (As am)  besonders  die  Kamala  (0-5  bis  20  g,  je  nach 
dem  Alter  des  Kindes),  von  anderen  das  Extract.  Filicis  maris 
(Sonnenschein,  Hl  o  s  e  n  h  e  r  g)  in  vorsichtiger  Dosis  em¬ 
pfohlen. 

Dr.  Artur  Horner,  Assistent  der  1.  med.  Abteilung  im 
k.  k.  allgemeinen  Krankenhause :  IVIeiiie  Herren !  Ich  erliuhe 
mir,  aus  der  Abteilung  des  Herrn  Prof.  Pal  einen  Fall  von 
Älißbi klung  an  der  linken  Hand  vorzustellen.  Es  handelt  sich 
um  eine  36jährige  Patientin,  die  vor  ungefähr  einein  Monate 
unsere  Abteilung  wegen  Anfällen  von  Schwindelgefühl,  Schwäche 
in  den  Beinen,  Unsicherheit  des  Ganges  und  Sehstörung  auf¬ 
suchte.  Bis  zu  ihrer  gegenwärtigen  Erkrankung  will  sie  immer 
gesund  gewesen  sein,  gibt  jedoch  an,  bereits  seit  ihrer  Geburt 
an  einer  Vergrößerung  des  Daumens  und  Zeigefingers  der  linken 
Hand  gelitten  zu  haben. 

Die  Untersuchung  der  Patientin  ergibt  neben  den  Initial¬ 
erscheinungen  einer  Taboparalyse  eine  ziemlich  bedeutende  Ver¬ 
größerung  des  linken  Daumens.  Derselbe  ist  um  IV2  cm  länger 
als  der  rechte  Daumen,  sein  Umfang  übertrifft  den  des  rcchtmi 
Daumens  um  2  cm.  Wie  aus  dem  Röntgenbilde  ersichtlich  ist, 
erscheint  der  Knochen  in  normalem  Größenverhältnis,  die  \o- 
lumszunahme  betrifft  nur  die  Weichteile.  Aus  diesem  Grunde 
kann  man  die  Affektion  auch  nicht  als  partiellen  Riesenwuchs 
bezeichnen,  da  für  diesen  auch  eine  V^ergrößerung  des  Skeletts 
gefordert  werden  muß.  Der  linke  Zeigefinger  der  Patientin  lehlt, 
es  findet  sich  an  seiner  Stelle  eine  Operationsnarbe.  Wie  uns 
die  Patientin  mitteilte,  wurde  ihr  derselbe  wegen  seiner  exzessiven 
Länge  im  Alter  von  acht  Jahren,  angeblich  aus  kosmetischen 
Gründen  operativ  entfernt.  Nach  der  Erzählung  der  Patientin 
wurde  sie  bereits  als  achtjähriges  Kind  einer  ärztlichen  Gesell¬ 
schaft  demonstriert.  Tatsächlich  findet  sich  in  einem  Sitzungs¬ 


bericht  der  Gesellschaft  der  xVerzte  aus  dem  Jahre  1879,  vom 
4.  April,  die  Demonstration  eines  Falles  von  partiellem  Riesen¬ 
wuchs  durch  Herrn  Prim.  Hauke  verzeichnet.  Derselbe  betraf 
den  linken  Daumen  und  Zeigefinger  einer  achtjährigen  Patientin, 
wobei  der  linke  Zeigefinger  etwa  dreimal  so  groß  wie  jener  der 
rechten  Hand  gewesen  sein  soll,  verbunden  mit  außerordejitlicher 
Schlaffheit  des  betreffenden  Metakarpophalangealgeleukes.  Ob 
auch  an  dem  Zeigefinger  die  Größenzunahme  nur  die  Weichteile 
betraf,  läßt  sich  heute  nicht  entscheiden;  es  erscheint  jedoch 
bei  der  bedeutenden  Länge  des  Fingers  wahrscheinlich,  daß  auch 
der  Knocheji  von  der  Affektion  mitbetroffen  war.  Nähere  Details 
konnte  ich  über  den  Fall  nicht  eruieren. 

Der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Prof.  Kolisko  verdanke 
ich  die  Abbildung  eines  ähnlichen  Falles  von  Vergrößerung  des 
Daumens,  über  den  mir  jedoch  keine  weiteren  Angaben  zur 
Verfügung  stehen. 

Ich  habe  mir  erlaubt,  den  Fall  vorzustellen,  weil  er  immer¬ 
hin  zu  den  selteneren  Erscheinungen  gehört  und  anderseits  auch 
die  Möglichkeit  vorhanden  ist,  daß  das  Präparat  des  operativ 
entfernten  Zeigefingers  noch  in  einer  Sammlung  vorhanden  ist. 

Prof.  Dr.  Riehl  demonstriert  einen  jungen  .Mann,  der  an 
Keratosis  palmar  is  hereditaria  leidet.  (Der  Fall  wird 
ausführlich  beschrieben  werden.) 

Dr.  Leischner  bespricht  mehrere  Fälle  von  Schädel  Ver¬ 
letzungen.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Dr.  Oskar  Kraus  demonstriert  ein  von  ihm  konstruiertes 
Modell  eines  Zweiwegehahnes  zur  Blasenspülung  und  zur  Harn¬ 
röhrenspülung  nach  Janet.  Das  Prinzip  dieses  Hahnes  beruht 
auf  der  wechselweisen  Kompression  des  zu-  oder  abführenden 
Schenkels  eines  T-Rohres  aus  Nelatongummi  durch  eine  besonders 
konstruierte  Quetschklemme,  die  mit  dem  ganzen  Apparate 
an  den  Irrigatorschlauch  einerseits,  an  die  Harnröhre,  respektive 
den  Katheter  anderseits  angesteckt  wird.  Die  Vorteile  gegenüber 
anderen  Apparaten  sind  die  IMöglichkeit  der  absoluten  Sterili¬ 
sation,  sowie  die  einfachere  Manipulation  (mit  einer  Hand  regier¬ 
bar).  Der  Zweiwegehahn  wurde  an  den  Abteilungen  von  I^rofessor 
Zuckerkandl  und  Primarius  Latzko  erprobt  und  empfiehlt 
sich  besonders,  außer  zur  Vornahme  von  kurativen  Spülungen, 
zum  Reinspülen  der  Blase  vor  der  Zystoskopie.  Er  wird  von 
Reiner  in  Wien  angefertigt  und  läßt  sich  überdies  zur  Spülung 
von  Körperhöhlen  mit  abwechselnd  heißen  und  kalten  Hüssig- 
keiten  verwenden. 

Dr.  Oskar  Semeleder:  Verwertung  des  Körper¬ 
gewichtes  zur  Korrektur  von  B  e  1  a  s  t  u  n  g  s  d  e  f  o  r  m  i- 
täten.  (Funktionelle  Behandlung  des  Plattfußes  und 
Klumpfußes.) 

Meine  Herren!  Ich  werde  mir  die  Freiheit  nehmen,  Urnen 
einige  Fälle  von  Plattfuß  und  Klumpfuß'  vorzustellen,  welche 
nach  einer,  wie  ich  glaube,  neuen  Methode  korrigiert  wurden. 
Wir  verwenden  beim  Plattfuß  gewöhnlich  Einlagen,  welche  ilie 
Fußwölbung  stützen  und  die  bestehenden  Schmerzen  lindern 
sollen.  Eine  Korrektur  der  Deformität  zu  erzielen,  sind  diese 
Einlagen  nicht  imstande.  Um  eine  solche  Korrektur  anzustreben 
oder  einer  Verschlimmerung  des  Leidens  vorzuheugen,  sind  v/ir 
in  vielen  Fällen  gezwungen,  zu  sogenannten  Plattfußapparaten 
zu  greifen.  Es  sind  dies  Apparate,  welche  an  der  Seite  des 
Unterschenkels  Schienen  besitzen  und  durch  Riemen  die  Knöchel¬ 
gegend  nach  außen  zu  ziehen  trachten.  Abgesehen  clavon,  daß 
solche  Apparate  wegen  ihrer  Größe  und  ihres  Gewichtes  von 
Patienten  zurückgewiesen  werden,  kommt  eine  Therapie  mit  sol¬ 
chen  Apparaten  sehr  bald  zum  Stillstand.  Unter  der  Einwirkung 
der  Körperschwere  entstehen  nämlich  an  der  Stelle,  wo  der 
Knöchelriemen  anfaßt,  also  am  inneren  Knöchel,  Entzündungen, 
Schwielen  mit  Schleimbeuteln  oder  Dekubitus  und  diese  Therapie 
muß  eingestellt  werden.  Der  nächste  Schritt  ist  das  Redresse¬ 
ment  force,  ln  der  Narkose  wird  der  Fußi  in  eine  üherkorrigierte 
Stellung  gebracht  und  in  dieser  durch  einen  Gipsverband  fixiert. 
Gelingt  es  uns  nun  nicht,  vor  Abnahme  des  Gipsverbandes 
Bedingungen  zum  Verschwinden  zu  bringen,  welche  früher  füi 
die  Bildung  des  Plattfußes  maßgebend  waren,  so  wird  mit  der 


■204- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


Zuiiahuie  der  ÜL-wegliclikeil  in  den  (fclenken  bald  wieder  eine 
Flalli'ußcinlage  und  endlich  wieder  der  PlaUrußai)i)arai  notwen¬ 
dig  werden  und  das  Rezidiv  ist  eingetreten.  Aelinlicli  geht  es 
mit  so  manchem  Klumpfuß.  Nehmen  wir  nur  zum  !ieis])iel  die 
paralytischen  Formen.  xMan  kann  manchmal  mit  ganz  gejänger 
Kraft  einen  solchen  Fuß  in  eine  normale  Lage  bringen,  aber 
wir  besitzen  keinen  Apparat,  welcher  imstande  wäre,  auf  die 
Dauer  in  brauchbarer  Weise  die  KoiTekturstellung  a.ucb  im  Moment 
der  funktionellen  Belastung  durch  das  Körpergewicht  aufrecht 
zu  eihalten.  Man  nimmt  eingreifende  Operationen  vor,  man  ver¬ 
sucht  die  womöglich  knöcherne  Verödung  der  Gelenke,  die  so¬ 
genannte  Arthrodese.  Auch  diese  gibt  unter  der  funktionellen 
Helastung  nach.  Daß  die  Methode  der  Sehnentransi)lantatiou, 
die  diesbezüglich  in  sie  gesetzten  Hoffnungen  leider  nicht,  oder 
nur  zum  kleinen  Teil  erfüllt,  ist  bekannt.  Wir  sind  also  in  sehr 
vielen  Fällen  nicht  imstande,  auf  die  Dauer  gegen  das  funktionell 
einwirkende  Körpergewdcht  anzukämpfen  und  Rezidive  zu  ver¬ 
hüten.  Deshalb  dürfte  eine  Methode  von  Interesse  sein,  welche 
meiner  Meinung  nach  imstande  ist,  solche  Rezidive  sicher  zu 
verhüten,  jede  vorgenommene  Korrektur  (auch  eine  zum  Teil 
gelungene)  im  Momente  der  funktionellen  Helastung  aufrecht  zu 
erhalten,  ohne  daß  eine  sogenannte  Ueberkorrektur  notwendig 
wäre.  Nicht  genug  dai’an,  ist  in  vielen  Fällen  diese  Melliotle 
allein  schon  imstande,  die  Korrektur  der  Deformität  selbst  ohne 
jede  Operation,  ohne  jeden  Eingriff  auf  funktionellem  Wege, 
geradezu  automatisch  herbeizuführen. 

Der  Grundgedanke  der  Methode,  von  der  ich  nun  sprechen 
will,  ist  ein  sehr  einfacher. 

Die  Methode  hat  zum  Gegenstand  die  Rehandlung  von 
Plattfuß,  Klumpfuß,  X-  und  0-Beinen.  Alle  diese  Deformitäten 
stehen  unter  dem  ungünstigen  Einflüsse  des  Körpergewichtes: 
entweder  sind  sie  durch  die  Einwdrkung  der  Körperscbwere  ent¬ 
standen,  oder  aber  werden  sie  durch  den  Einfluß  des  Körper¬ 
gewichtes  gesteigert,  verschlimmert.  Ich  will  Ihnen,  meine  Herren, 
nun  zeigen,  wie  eben  diese  selbe  Kraft,  nämlich  die  Körper¬ 
schwere,  imstande  sein  kann,  diese  Deformitäten  wieder  in  eine 
noiinale  Stellung  zurückzuführen  und  in  dieser  dauernd,  auch 
im  Momente  der  Funktion  zu  erhalten.  Meine  Herren !  Wenn  die 
Körperschwere  imstande  ist,  das  einenial  ein  X-Bein,  das  andere- 
mal  ein  O-Bein  zu  erzeugen,  oder  das  einemal  einen  Plattfuß, 
das  anderemal  einen  Klumpfuß,  also  entgegengesetzte  Produkte  zu 
bilden,  so  ist  es  gar  nicht  einzusehen,  warum  unter  bestimmten 
Bedingungen  die  Körperschwere  nicht  auch  einmal  aus  einem 
X-Bein  ein  O-Bein  und  aus  einem  Plattfuß,  einen  Klumpfuß  zu 
erzeugen  imstande  sein  sollte.  Erzeugt  dieselbe  Kraft  entgegen¬ 
gesetzte  Produkte,  so  muß  der  Weg,  welchen  die  Kraft  in  den 
beiden  Fällen  nimmt,  ein  entgegengesetzter  sein;  z.  B.  ich  habe 
hier  ein  X-Bein,  hier  ein  O-Bein  auf  gezeichnet  u.  zw.  sehen 
Sie  zwei  linke  Beine  von  rückwärts  gesehen  dargestellt.  Zeichnen 
wir  uns  die  Kraftlinien  der  Körperschwere  in  Beziehung  auf 
das  Kniegelenk,  so  finden  wir,  daß  hauptsächlich  zwei  Kräfte 
auf  das  Knie  einwirken:  P  1  und  P  2.  Die  eine  Kraft  wirkt 
längs  des  Oberschenkels  nach  abwärts,  die  andere,  tech¬ 
nisch  ausgedrückt,  die  sogenannte  Auflagerreaktion,  wirkt  längs 
des  Unterschenkels  nach  aufwärts.  Diese  beiden  Kräfte  vereinigen 
sich  zu  einer  resultierenden  Kraftwirkung,  welche  horizontal  ge¬ 
richtet  ist;  diese  resultierende  Kraft,  P  3,  wirkt  im  Sinne  eirier 
Steigerung  der  Deformität,  teils  durch  Lockerung  des  Handappa¬ 
rates,  teils  durch  Veränderung  der  Spannungsverhältnisse  in  den 
Epiphysenfugen,  Veränderung  der  Druckverhältnisse  der  Kondylen 
und  so  weiter.  Beim  O-Bein  sehen  wir  wieder  die  Kraft  P  3, 
jedoch  in  verkehrter  Richtung  tätig.  Diese  horizontal  wirkende 
Kraft  ist  während  der  Funktion  wirksam,  sie  ist  daher  keine 
konstante  Kraft,  sondern  beim  Stehen,  Gehen,  Laufen,  Springen 
und  so  weiter  eine  gesteigerte.  Gelingt  es  uns  nun,  die  Richtung 
dieser  Kraft  nach  Belieben  zu  bestimmen,  so  müssen  auch  wir 
nach  Belieben  X-  oder  O-Beine  erzeugen  oder  korrigieren  können. 
Vom  mechanischen  Standpunkte  betrachtet,  stellen  diese  beiden 
Zeichnungen  nichts  anderes  dar  als  zwei  Hebel,  welche  die  senk¬ 
rechtwirkende  Körperschwere  in  eine  horizontale  Richtung  über¬ 
führen.  Wenn  Avir  nun  mit  Hilfe  der  Körperschwere  dieser  Kraft 
entgegeiiAvirken  wollen,  so  müssen  wir  ebenfalls  imstande  sein, 
die  senkrecht  wirkende  K ö r p e r s c h w e r e  in  eine  hori¬ 
zontale  Richtung  überzuführen.  Ich  zeige  Ihnen  nun, 
auf  Avelche  einfaclie  Weise  man  imstande  ist,  diese  Aufgabe 
zu  erfüllen  u.  zav.  vom  Unterschenkel  her,  ohne  das  Knie  un¬ 
mittelbar  zu  fassen.  Es  ist  nichts  anderes  als  ein  Winkelhebel, 
Avelcher  derart  angeordnet  ist,  daß  der  eine  Arm  des  Hebels 
unter  den  Fuß  zu  liegen  kommt,  während  der  andere  Arm  an 
der  Seite  des  Unterschenkels  heraufzieht  und  durch  einen  Riemen 
unterhalb  des  Knies  befestigt  ist,  AVälirend  das  Hypomochlion 


des  Winkelhebels  sich  seitlich  neben  dem  Fuße  befindet.  Wirk! 
nun  das  Körpergewicbl  beim  Stehen,  Gehen,  Laufen  etc.  aut 
den  unter  dem  Fuß  belindlichen,  horizontalen  Hebelarm,  so  dreht 
sich  der  Winkelhebel  im  Hypomochlion  und  der  senkrechte  Hebel¬ 
arm  bewegt  sich  ungefähr  in  horizontaler  Richtung  u.  zw.  mit 
einer  Kraft,  Avelche  durch  seitliche  Verschiebung  des  Hypomoch- 
lions  beliebig  gesleig('rt  werrlen  kann.  Diese  Kraft  ist  dann  eben¬ 
falls  keine  konstante,  sondern  in  gleicher  Weise  beim  Stehen, 
Gehen,  Laufen  etc.  gesteigert.  Diese  HorizontalbeAvegung  des  unter 
dem  Knie  angebrachten  Hebelendes  kann  ich  als  Druck  oder  Zug 
verwerten  und  dadurch  die  Kraftverhältnisse  im  Kniegelenk  be¬ 
liebig  beeinflussen. 

Ich  kann  die  deformierende  Kraft  der  Körperschwere  ab¬ 
schwächen,  ich  kann  sie  aufheben  und  endlich  kann  ich  sie 
durch  geeignete  Verlegung  des  Hyponiochlions  in  eine  korri¬ 
gierende,  in  eine  redressierende  von  entgegengesetzter  Richtung 
überführen.  Man  kann  sich  aber  auch  darauf  beschränken,  die 
Belastungsverhältnisse  in  den  Epipliysenfugen  in  ginistigeni  Sinne 
zu  ändern  und  so  das  Wachstum  des  Knochens  zu  beeinflussen 
trachten.  Ich  Avill  nuj'  erwähnen,  daß  die  in  Betracht  kommenden 
Apparate,  um  die  schädliche  Stoßwirkung  des  Körpergewichtes 
beim  Auftreten  auszuschalten  und  um  zugleich  die  Phase  des 
Auftrittes  zu  verlängern,  elastisch  konstruiert  werrlen  müssen 
und  werde  auf  ihre  Konstruktion  später  noch  zurückkommen. 
Soviel,  meine  Herren,  über  den  Grundgedanken  der  Viethode, 
welche  in  einer  im  wesentlichen  ähnlichen  Weise  auch  bei  der 
viel  Avichtigeren  Behandlung  des  Plattfußes  und  des  Klumpfußes 
zum  Ausdruck  kommt.  Vleine  Herren !  Es  gibt  Plattfüße,  deren 
Entstehung  auf  ein  ungleiches  Wachstum  in  den  Fpiphysenfugen 
der  Tibia  und  Fibula  zurückgeführt  Avird.  Bei  diesen  Plattfüßen 
dürfte  vielleicht  eine  Korrektur  in  ähnlicher  Weise  zu  erklären 
sein  Avie  bei  den  schon  besprochenen  Kniedeformitäten.  Eine 
ganz  andere  Erklärung  dürfte  jedoch  bei  der  großen  Zahl  von 
statischen  und  paralytischen  Plattfüßen  oder  Klumpfüßen  am 
Platze  sein.  Ich  Avill  gleich  im  vorhinein  erwähnen,  daß  es  mir 
gelungen  ist,  nach  dieser  Viethode  einzelne,  selbst  ziemlich  hoch¬ 
gradige  Fälle  von  Plattfuß  in  eine  vollständig  korrigierte  Stellung 
überzuführen  und  im  Vlomente  der  Funktion  in  korrigierter  odei' 
überkorrigierter  Stellung  zu  erhalten. 

Wenn  wir  die  Gesetze  kennen  lernen  wollen,  nach  welchen 
der  Plattfuß  sich  entwickelt,  wenn  Avir  den  Weg  kennen  lernen 
wollen,  auf  welchem  die  Deformität  zustande  kommt,  dürfen 
wir  nicht  das  Endprodukt  zergliedern  und  aus  den  Veränderungen 
über  den  Gang,  Avelchen  die  Deformität  genommen  hat,  urteilen, 
sondern  Avir  müssen  den  beginnenden  oder  gar  den  normalen 
Fuß  und  seine  BeAvegungen  zum  Ausgangspunkte  unserer  Beob¬ 
achtungen  und  Betrachtungen  machen. 

Vleine  Herren  !  Bekanntlich  kann  auch  ein  normaler  Fuß  zum 
Plattfuß  Averden.  Der  erste  Weg,  Avelcher  zum  primären  Platt¬ 
fußstadium  führt,  Avird  daher  sicher  in  den  physiologischen  Bahnen 
und  Grenzen  der  Gelenke  erfolgen.  Betrachten  wir  z.  B.  einen 
beginnenden  Plattfuß  im  Vlomente  der  Belastung,  so  sehen  Avir 
folgendes:  der  Patient  stellt  den  Fuß;  in  normaler  Stellung  auf 
den  Boden,  im  Vlomente  der  Belastung  sclnvindet  die  Fu߬ 
wölbung,  zu  gleicher  Zeit  können  Sie  beobachten,  daß  die  Knöchel- 
gegencl  sich  dreht,  es  dreht  sich  auch  das  Bein  nach  eiruvärts 
und  Avenn  der  Patient  auf  diesem  Beine  steht,  so  folgt  sein 
Körper  der  Drehung  des  Beines.  Packen  Sie  nun  den  Patienten 
und  drehen  ihn  in  entgegengesetzter  Richtung,  so  erscheint  all¬ 
mählich  Avieder  die  Fußwö'bung,  drehen  Sie  den  Patienten  weiter 
nach  ausAvärts,  so  erscheint  die  normale  Gestalt  des  Fußes  und 
drehen  Sie  den  Patienten  noch  Aveiter,  so  geht  der  Fuß  in  die 
Klumpfußstellung  über.  Diese  Erscheinungen  kann  man,  wenn  auch 
in  beschränktem  Vlaße,  auch  beim  normalen  Fuß  während  eines 
solchen  Versuches  beobachten.  Dieser  Versuch  zeigt,  daß  Knöchel¬ 
drehung  und  FußAvölbung  in  inniger  Beziehung  zueinander  stehen. 
Wenn  Avir  nun  untersuchen,  avo  die  Achse  dieser  Knöcheldrehung 
liegt,  so  finden  Avir,  daß  sie  bei  fixiertem  Oberkörper  einerseits 
durch  das  Hüftgelenk,  anderseits  durch  einen,  ungefähr  am  hin¬ 
teren  Fersenrande  befindlichen  Funkt  hindurchgeht. 

Zur  Bestimmung  dieser  Achse  unternahm  ich  folgenden 
Versuch.  Der  Fuß  eines  Patienten  Avurde  mit  der  Sohle  auf  den 
Fußboden  fixiert.  Am  äußeren  und  am  inneren  Knöchel  AVurde 
eine  Stahlspange  in  der  Weise  fixiert,  daß  die  in  einer  horizontalen 
j  Ebene  liegenden,  nach  vorne  und  nach  rückwärts  in  je  einen  Zeiger 
endigenden  Stahlspangen  jede  Drehung  des  Fußknöchels  genau 
mitmachen.  An  der  Spitze  jedes  Zeigers  befand  .sich  ein  Stift, 
welcher  bei  der  Drehung  des  F'ußknöchels  je  einen  Bogen  auf 
den  Fußboden  zeichnete.  Die  Verbindung  der  Endpunkte  dieser 
beiden  Bögen  ergab  zwei  sich  schneidende  Idnion,  deren  Schnitt¬ 
punkt  die  Achse  der  Drehung  anzeigt.  Dieser  Schnittpunkt  liegt 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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nielli  im  Kuöchclgelenk,  somlorn  iiinler  dcmselhcn,  uugefahi-  am 
F('i-.seni)oi.  Wir  halieu  dalier  keine  Dretinng  nm  (diie  zeulraie 
Aclise,  süiiilern  eine  e  x  z  e  ii  t  r  i  s  c  li  e  S  c  li  w  e  n  k  n  n  g  der  Knöelud- 
gegend  um  diese  Achse.  Diese  e  x  z  e  n  I  r  i  s  c  li  e  Sclnvenkung  oder 
Dreliung  der  Knöehelgegend  kann  icli  durcli  einen  seillichen  Zug 
Oller  Druck  auf  den  Knöchel  erzeugen  oder  auch  eventuell  he- 
kämpfen,  was  bei  einer  zentrischen  Drehung  unmöglich  wäre. 

Da  wir  aktiv  imstande  sind,  diese  Schwenkung  vorzu- 
nehinen,  so  ergibt  sich  daraus,  daß;  wir  Muskelgruppen  besitzen, 
welche  innslande  sind,  in  horizoidal-frontaler  Hichtung  eine  Ver¬ 
schiebung  der  Knöchelgegend  zu  bewirken,  also  die  heschriehene 
Schwenkung  zu  erzeugen. 

Da  ich  nun  nach  meiner  Methode  auch  imstande  hin,  dundi 
die  elastisch  einwirkende  Körperschwere  in  beliebiger  Richlung 
diese  Schwenkung  hervorzurufen,  so  kann  ich  auch  die  eine 
oder  andere  Muskelgruppe  in  ihrer  Funktion  ersetzen,  falls  sie 
durch  Lähmung  oder  Insuffizienz  ihrer  Aufgabe  nicht  gewachsen 
wäre.  Dadurch  hin  ich  imstande,  die  Deformität  zurückzuführen; 
dadurch,  daß  die  gelähmte  n,  noch  lebe  n  d  e  n,  aber  d  u  r  c  h 
Inaklivität  atrophierten  Muskel  einen  elastisch  wir¬ 
kenden  Antagonisten  hekommen,  wird  ein  funktions¬ 
tüchtiges  Gelenk  erzielt  und  ein  Rezidiv  v  e  r- 
m  i  e  d  e  n. 

Die  bei  der  Behandlung  in  Verwendung  kommenden  Appa¬ 
rate  sind  nach  dem  schon  geschilderten  Prinzipe  gebaut.  Sie 
sehen  hier  die  Knöehelgegend  hei  der  Einwirkung  des  Körper¬ 
gewichtes  nach  der  Seite  gedrückt  oder  gezogen,  unter  dem  Fuß- 
hebelarm  befindet  sich  eine  einseitig  wirkende  Feder,  z.  R.  Die  nach 
diesem  Prinzipe  gebauten  Schuhe  sind  mit  einem  einseitig  federn¬ 
den  Absatz  versehen,  welcher  der  Körperschwere  entsprechend 
bezüglich  der  Kraft  seiner  Federung  dosiert  sein  muß. 

Auf  diese  W'eise  ist  es  möglich,  die  Wirkung  auf  das 
Knöchelgelenk,  hzw.  Sprunggelenk  zu  beschränken  und  jede  Neben¬ 
wirkung  auf  das  Knie  zu  verhindern;  anderseits  zeige  ich  Ihnen 
hier  eine  Apparatkomhination,  welche  imstande  ist,  zu  gleicher 
Zeit,  z.  B.  ein  Ü-Bein  und  einen  Plattfuß,  oder  ein  X-Bein  und 
einen  Klumpfuß^  zu  beeinflussen. 

Der  Grundgedanke  für  die  Apparatkonstruktion  ist  wohl 
ein  einfacher,  ich  möchte  aber  doch  erwähnen,  daß  ungezählte 
Versuche  notwendig  waren,  die  Apparate  auf  die  Stufe  der  Voll 
kommenheit  zu  bringen.  Ich  zeige  Ihnen  hier  z.  B.  Schuhe,  in 
welchen  wohl  niemand  einen  orthopädischen  Apparat,  geschweige 
einen  von  so  mächtiger  Murksamkeit  vermuten  würde.  Wie  jedes 
stark  wirkende  Mittel,  so  können  auch  diese  Apparate,  von  un¬ 
kundiger  Hand  in  Ainvendung  gebracht,  zu  Vlißerfolgen  führen. 

Obwohl  ganz  bedeutende  Kräfte  zur  Anwendung  kommen, 
ist  durch  die  elastisch  federnde  und  intermittierende  Art  ihres 
Angriffes  jede  Schädigung  des  Patienten  verhindert. 

Meine  Herren!  ich  bin  heute  nur  in  der  Lage,  Ihnen  drei 
Plattfußfälle  vorzustellen,  an  welchen  Sie  jedoch  ganz  gut  die 
Wirkung  der  Methode  und  die  Wirkung  der  unscheinbaren  Appa¬ 
rate  erkennen  können. 

Ich  zeige  Ihnen  vor  allem  eine  Patientin,  die  an  Platt¬ 
füßen  leidet,  welche  unter  einem  Körpergewichte  von  120  kg 
stehen  und  welche  sich  nach  der  beschriebenen  Methode  durcii 
das  funktionell  wirkende  Körpergewicht  aufgerichtet,  korrigiert 
haben  und  durch  solche  Schuhe  in  korrigierter  Stellung  erhaltiui 
werden. 

Als  zweiten  Fall  möchte  ich  Ihnen  einen  Patienten  vor¬ 
stellen,  welcher  in  seinem  Berufe  Kaufmann  ist  und  als  solcher 
den  ganzen  Tag  stehen  muß:;  er  ist  auch  genötigt,  oft  sein 
schwere  Lasten  zu  heben.  Pat.  konnte  trotz  Einlagen  und  auch 
ohne  solche,  keinen  Schritt  ohne  die  heftigsten  Schmerzen  machen 
und  zog  es  deshalb  manchmal  vor,  in  seinem  W  ohnzirnmer  auf 
den  Knien  herumzurutschen,  als  zu  gehen.  Therapie  durch  das 
funktionell  wirkende  Körpergewicht  ohne  jeden  weiteren  Ein¬ 
griff.  Der  Patient  konnte  nach  einigen  Tagen  ohne  Schmerzen 
gehen.  Die  vollständig  eingesunkene  Fußwölbung  stellte  sich  nach 
zirka  gechs  Wochen  wieder  her  und  der  Patient  macht  heute  drei¬ 
stündige  Partien,  ist  wie  früher  in  seinem  Berufe  tätig.  Schmerzen 
sind  nicht  wieder  aufgetreten. 

Als  dritten  Fall  stelle  ich  Ihnen  ein  Kind  mit  paralytischem 
Plattfuß  vor.  Korrektur  nach  derselben  Methode,  die  Stellungs- 
koi’rektur  wird  durch  einen  Schuh  der  beschriebenen  Art  ei- 
halten.  Das  Kind  wurde  vorher  durch  Jahre  hindurch  täglich 
massiert,  trug  eine  Stauungsbinde.  Trotzdem  konnte  ich  abei 
erst  durch  Anwendung  dieser  Methode  ein  plötzliches,  rasches 
Anwachsen  der  Wademnuskulatur  am  gelähmten  Beine  kon¬ 
statieren. 

Diskussion:  Hofrat  v.  Eiseisberg  begrüßt  es,  daß  der 
Vortragende,  wie  ihm  scheint,  eine  wertvolle  Verbesserung  dei 


'riii'iapii'  aitgah  und  lioffi,  d:tß  Versuche  mit  dem  iKuieii  Ap()aral 
günstige  Resullati'  geben  werden. 

Dr.  Haudek:  Das  wesentliche  hei  dem  demonsli ierten 
Platifußapparat  scheint  die  Wirkung  der  im  Absatz  angebrachten 
Federvorrichtung  zu  sein.  Dieselhi*  hmvii'kt  beim  Auftreten  ein 
Einsinken  der  Außenseite  des  Absatzi.'s,  wodurch  der  Fuß  in 
die  Supinationsstellung  übergeführt  wird.  Die  Idee  iUitspriclit  im 
Prinziiie  dinn  von  B  e  (d  y  angegeheium  schrägen  Absatz.  Die 
an  der  Innenseite  des  Schuhes  angehraidite  Sidiiime  soll  nach  den 
Ausführungen  des  Vorfragenden  den  Zweck  haben,  das  Sprung¬ 
gelenk  nach  außen  zu  drängen,  ohne  daß  bei  dieser  Vorrichtung 
die  so  häufig  anftretende  Druckwirkung  am  inneren  Kimcliel 
zur  Geltung  kommt.  Wenn  der  Wirkung  der  Schien.e  tatsächlich 
ein  Einfluß  zukommen  soll,  so  glaubt  Haudek,  daß  dies  auch 
hier  nicht  ohne  Druck  ahgehen  wird.  Der  Vortragende  mklärl 
das  Ausbleiben  von  Dekubilus  bei  seiner  Vorrichtung  dadurch, 
daß  im  unbelasteten  Zustande  des  Fußes  die  Druckwirkung  auf 
hört.  Dies  ist  auch  bei  den  bisher  in  Anwendung  gezogemm 
Vorrichtungen  der  Fall,  da  hier  der  Druck  der  innenseitig  ange¬ 
brachten  Schiern,*  oder  Feder  nur  im  Momente  der  Belastung  ziii' 
Geltung  kommt,  wenn  das  Sprunggelenk  in  die  Valgusstellung 
kommt.  Die  gezeigten  Erfolge  sind  ja  sehr  schön  und  müssen 
zur  Erprobung  des  Apparates  veranlassen. 

Dr.  Oskar  v.  Hovorka:  Obwohl  die  soeben  be¬ 
schriebene  neue  Plattfußbehandlung  nicht  in  allen  Teilen  als 
neu  zu  bezeichnen  ist,  so  macht  sie  auf  jeden  Fall  den  Eindruck 
einer  originellen  Idee.  Ich  bin  der  Ueberzeugung,  daß  diese 
Idee  einer  Nachahmung  sicher  wmrt  ist.  Die  uns  vordemon¬ 
strierten  Schuhe  stellen  eigentlich  eine  elastisch  federnd  gemachte 
schiefe  Ebene  dar  und  ich  erinnere  bei  dieser  Gelegenheit  an  das 
von  mir  vor  drei  Jahren  in  die  Plattfußtherapie  eingeführte  so¬ 
genannte  ,,Supinatioii3brett“,^)  welches  sich  seitdem  unter  den 
aktiven  Behandlungsmethoden  des  Plattfußes  ganz  gut  bewährt 
hat.  Der  Schuh  von  Semeleder  hat  den  Vorzug,  daß  er  den 
kranken  Fuß  bei  jedem  Schritte,  sozusagen  ambulatorisch  dazu 
zwingt,  in  korrigierter  Stellung  die  IJebung  mitzumachen.") 

Dr.  Engel  mann  bemerkt,  daß  er  öfters  bei  Plattfüßen 
die  Patienten  schiefe  Absätze  mit  Gummikeilen  tragen  ließ,  welch 
letztere  immerhin  eine  gewisse  Kompression  hei  Belastung  zu¬ 
lassen.  Er  gibt  die  gute  Wirkung  der  funktionellen  Belastung 
durch  das  Tragen  der  Semeleder  sehen  Schuhe  zu,  nur  findet 
er  dieselben  zu  schwer  und  weist  darauf  hin,  daßi  durch  die  sehr 
starke  Versteifung  der  äußeren  Fersen-  und  Knöchelgegend  das 
Entstehen  von  Dekubitus  zu  befürchten  ist. 

Dr.  Haudek  weist  noch  darauf  hin,  daß  eine  federnde 
Vorrichtung  zur  Behandlung  schwerer  Plattfüße  auch  von  Wolf  er¬ 
mann  angegeben  wurde;  es  ist  dies  eine  an  der  Innenseite 
des  Schuhes  angebrachte,  enorm  gebogene  Feder,  die  in  Kulissen 
läuft  und  zugleich  mit  einer  elastischen  Redression  einen  leichteren 
Gang  ermöglicht.  Haudek  muß  auch  die  bisher  übliche  Be¬ 
handlung  gegen  die  Angriffe  des  Vortragenden  in  Schutz  nehmen. 
In  leichten  Fällen  von  Plattfuß  wird  die  Anwendung  rationeller 
Plaltfußeinlagen,  resp.  Plattfußsohlen  sicher  zum  Ziele  führen, 
ln  schwereren  Fällen  ist  der  Grund  des  Mißerfolges  gewöhnlich 
in  dem  ITnstande  zu  suchen,  daß  eine  entsprechende  Behand¬ 
lung  mittels  Massage  und  Gymnastik  unterlassen  wird.  In  den 
schwersten  Fällen  wird  man  mit  dem  forcierten  Redressement 
gewiß  zum  Ziele  kommen,  wenn  die  Fixationsperiode  nicht  über 
drei  Wochen  ausgedehnt  und  dann  sofort  eine  energische  Massage- 
imd  Gymnastikbehandlung  durchgeführt  wird.  Es  werden  dann 
wohl  auch  die  von  manchen  Seiten  geübten  Operationen  über¬ 
flüssig  sein. 

Prim.  Dr.  v.  Fried  Länder:  Ich  finde  es  ganz  begreiflich, 
daß  jeder  Orthopäde  in  dem  neuen  Verfahren  Anklänge  an  die 
von  ihm  geübte  Methode  findet.  Aber  es  handelt  sich  dabei  ent- 
sebieden  um  eine  Verkennung  des  ganz  neuen  Prinzipes,  die 
schädliche,  uns  in  vielen  Fällen  geradezu  für  das  Entstehen 
der  Deformität  verantwortlich  zu  machende  Körperlast^  in  eine 
therapeutisch  wirkende  Kraft  umzuwandeln.  Daß  die  Konstruk¬ 
tionen  Dr.  S  e  m  e  1  e  d  e  r  s  in  W  irklichkeit  das  leisten,  was  sie 
rechnungsmäßig  leisten  sollen,  davon  konnte  ich  mich  in  einer 
Reihe  von  Fällen  überzeugen,  die  Herr  Dr.  Semeleder  an 
meiner  Abteilung  im  Wilhelminenspitale  und  aus  meiner  Privat¬ 
praxis  zur  Behandlung  übernommen  hat.  Ich  konnte  mich  nicht 
nur  von  der  subjektiven  Brauchbarkeit  der  Apparate,  sondern 
auch  von  ihrer  ganz  eminenten  modellierenden  Wirkung  über¬ 
zeugen.  Derartige  Erfolge  strebt  wohl  jeder  Chirurg  und  Ortho- 

*)  Zeitschrift  für  orthop.  Chir.,  Bd.  12.  •  i  j  ■ 

2)  Nachtrag:  Es  ist  schließlich  zu  erwähnen,  daß  Nikoladoni 
kurz  vor  seinem  Tode  Plattfußeinlagen  anfertigen  ließ,  welche  im  Schuh 
um  eine  dem  Chopartschen  Gelenke  entsprechende  Achse  wippten. 


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Nr.  7 


20fi 


päde  au ;  das  Ziel  ori'eicht  hat  nach  nieiner  Ueherzeugimg  erst 
Dr.  S  e  m  e  1  e  d  e  r. 

Dr.  Seineleder;  (Schlußwort);  Äleiiie  Herren!  Nach  dem 
der  Älethode  zugrunde  liegenden  Prinzipe  können  die  verschie¬ 
densten  Apparatformen  konstruiert  werden.  Ich  habe  Ihnen  eine 
Ausführungsform  als  Schuh  gezeigt,  weil  ich  annehme,  daß  die 
unauffällige  Form  des  Apparates  als  Schuh  von  psychischem 
Einfluß  auf  den  Patienten  ist.  Der  schiefe  Absatz  des  Beely- 
schen  Schuhes  adaptiert  sich  beim  ersten  Auftreten  des  Fußes 
der  horizontalen  Bodenebene  und  wirkt  als  Keihinterlage.  Der 
Schuh  paßt  sich  der  Deformität  an  und  nicht  die  Deformität  dem 
Schuhe.  Zur  Vermeidung  des  häßlichen  Aussehens  wurde  die 
Keilunterlage  in  das  Innere  des  Schuhes  verlegt  und  sowohl  unter 
der  Ferse,  als  auch  unter  dem  Vorfuße  verwendet.  Zerlegen 
wir  uns  nun  den  Plattfuß  in  eine  vordere  und  eine  hintere 
Hälfte,  so  zeigt  der  vordere  Teil  die  Form  einer  breiten  Platte, 
während  der  hintere  Teil  (Kalkaneus  und  Talus)  im  Durchschnitt 
ungefähr  die  Form  eines  Ovoides  darstellt,  dessen  Längsachse 
schief  (in  Valgusstellung)  steht.  Diese  schief  stehende  Achse 
durch  eine  schiefe  Unterlage  aufzurichten,  dürfte  kaum  ge¬ 
lingen,  da  ja  die  Schwerlinie  einwärts  vom  Fußpuidcte  des  Ovoides 
fällt.  Es  wird  ein  Ahgleiten  nach  der  Seite  (auswärts)  erfolgen, 
aber  nie  eine  Aufrichtung.  Beim  Vorfuße  ist  es  wohl  leicht, 
durch  eine  Keileinlage  die  Supination  zu  erzielen;  doch  steigert 
eine  solche  die  Deformität,  weil  der  Vorfuß  ja  ohnehin  schon 
gegenüber  dein  hinteren  Fußahschnitte  in  Supinationssteilung  sich 
befindet.  AVenn  ich  vorhin  erwähnte,  daß  es  mir  ein  Leichtes 
ist,  hei  einem  80  kg  sclnveren  Patienten  einen  Seitendruck  von 
40  kg  auf  die  Knöchelgegend  zu  erzielen,  so  kann  ich  sagen, 
daß  wir  solche  Kraftwirkungen  zur  Korrektur  auch  wirklich 
hi'auchen.  Bezüglich  der  Wirkungsweise  der  AVolf  ermannschen 
Einlage  dürfte  sich  der  Herr  Kollege  geirrt  haben;  sie  verfolgt 
nicht  den  Zweck,  im  Momente  des  Auftretens  korrigierend  zu 
wirken,  sondern  nachzugeben,  um  dann  dem  Fuße  im  unbe¬ 
lasteten  Zustande,  also  nach  dem  Ahhehen  des  Fußes,  durch 
ihre  Federkraft  eine  geAvisse  bessere  Form  zu  gehen. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  24.  Januar  1907. 

K.  R  e  i  1 1  e  r  und  L  a  u  b  e  r  stellen  einen  F all  von  typhöser 
Neuritis  des  Nervus  opticus  vor.  Eine  Frau  erkrankte 
an  Typhus;  in  der  dritten  Krankheitswoche  traten  Schmerzen 
in  den  Beinen  auf,  welche  von  den  Knien  gegen  die  Knöchel 
ausstrahlten,  die  Peronei  waren  druckempfindlich  (Neuritis).  Dann 
begann  Pat.  schlechter  zu  sehen  und  das  rechte  Auge  fing  an 
zu  schielen.  Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  ergab  Neu¬ 
ritis  des  Nervus  opticus.  Beide  Papillen  waren  geschwollen, 
stellenweise  waien  in  der  Retina  Hä,morrhagien  zu  finden.  Bis 
jetzt  sind  ca.  20  Fälle  von  Neuritis  optica  bei  Typhus  beob¬ 
achtet  Avorden;  in  einer  Anzahl  von  Fällen  scheint  dieselbe 
von  den  Vleningen  fortgeleitet,  in  anderen  toxischen  Ursprungs 
gewesen  zu  sein. 

IM.  Salomon  bemerkt,  daß  er  eine  intrameningeale  Druck¬ 
steigerung  mit  Druckpapille  hei  Typhus  öfters  beobachtet  habe. 

Laub  er  erwidert,  daß  in  dem  Falle  nicht  eine  Stauungs¬ 
papille,  sondern  eine  Neuritis  optica  vorlag,  welche  auch  auf 
die  Retina  ühergegriffen  hat. 

H.  V.  Schrötter  bestätigt  aus  eigener  Erfahrung,  daß 
die  Komplikation  des  Typhus  mit  Neuritis  optica  sehr  selten  ist. 

A\'.  AV  intern!  tz  hat  unter  ca.  600  Typhusfälleu  keineii 
mit  einer  solchen  Komplikation  beobachtet. 

K.  V.  N  o  o  r  d  e  n  bemerkt,  daß  es  sich  in  den  von  Salomon 
beobachteten  Fällen  um  Stauungspapille,  nicht  um  Neuroretinitis 
gehandelt  habe. 

K.  Reitter  und  A.  Exner  stellen  einen  Mann  vor,  hei 
Avelchem  eine  Cholecystitis  posttyphosa  operativ  be¬ 
handelt  Avorden  ist.  Pat.  hatte  vor  einigen  Jahren  Schmerzen 
unter  dem  rechten  Rippenbogen,  Avelche  auf  eine  Magenaffeklion 
bezogen  AAmrden.  Im  AMrjahre  machte  er  Typhus  durch,  Avohei 
die  Leber  druckempfindlich  Avar.  AMr  einigen  Wochen  stellten 
sich  krampfartige  Schmerzen  in  der  Lebergegend  und  Ikterus 
ein,  die  Leber  Avar  vergrößert  und  besonders  in  der  (legend 
der  (iallenblase  druckempfindlich.  Die  Diagnose  lautete  auf 
Cholelithiasis,  vielleicht  auch  Cholezystitis.  Bei  der  Operation 
wurden  in  der  Gallenblase  kleine  Steinchen  vorgefunden,  aus 
denselben  und  der  Galle  wurden  Typhushazillen  gezüchtet.  Außer¬ 
dem  AA'urde  ein  retroperitoneal  gelegener,  faustgroßer  Tumor  kon¬ 
statiert,  Avelcher  dem  Pankreas  angehörte;  dieser  verschwand 


nach  der  Operation  spontan.  ATelleicht  handelte  es  sich  um 
eine  Pankreatitis  auf  typhöser  Basis. 

R.  Kolisch  bemerkt,  daß  Symptome  von  Cholezystitis 
das  erste  Anzeichen  des  Typhus  bilden  und  eventuell  als  Indi¬ 
kation  zu  «einer  Operation  aufgefaßt  Averden  könnten,  Avie  Ko¬ 
lisch  in  einem  Falle  gesehen  hat. 

H.  Schlesinger  hat  bei  Typhus  dreimal  Cholezystitis 
beobachtet,  Ikterus  Avar  nur  einmal  vorhanden.  Die  Heilung 
erfolgte  ohne  Operation. 

H.  Teleky  trägt,  oh  der  Harn  auf  Zucker  untersucht 
Avurde,  da  hei  Pankreaserkrankungen  mitunter  ein  schwerer  Ikterus 
infolge  Kompression  des  Choledochus  auftritt,  ferner  ob  nicht 
die  Erkrankung  der  Gallenblase  das  Primäre  war,  Avorauf  sich 
dann  in  der  letzteren  Typhushazillen  ansiedelten. 

K.  Reitter  ei'Avidert,  daß  vor  der  Operation  kein  Zucker 
im  Harn  nachweisbar  Avar.  Die  ZAveite  Frage  läßt  sich  nicht 
entscheidend  heantAvorten ;  es  ist  möglich,  daß  die  Typhus- 
bazillen  nicht  die  Ursache  des  Entzündungsprozesses  der  Gallen¬ 
blase  geAvesen  sind. 

H.  Schlesinger  berichtet  über  Typhusfälle,  Avelche  mit 
Symptomen  einer  Appendizitis  begannen. 

G.  No  bl  demonstriert  eine  Frau  mit  Erytheme  in- 
duree  Bazin.  An  den  Unterschenkeln  sitzen  im  subkutanen 
ZellgeAvehe  halbkugelig  prominierende,  AÜolette,  derbe  und  scharf 
umschriebene  Knoten,  Avelche  nirgends  eine  geschAvürige  Um- 
Avandlung  erfahren,  trotzdem  sie  stelleiiAveise  erAveicht  sind ;  sie 
Averden  dann  langsam  resorbiert.  Diese  schmerzlose  Affektion 
besteht  seit  drei  Älonaten,  vor  einem  Jahre  hat  Pat.  dieselbe 
Erkrankung  durchgemacht.  Pat.  hat  skrofulöse  Lymphdrüsen  und 
eine  Lungenspitzenaffektion.  Histologisch  bestehen  die  Knoten 
aus  tuberkulösem  GranulationsgeAvehe,  der  NachAveis  von  Ba¬ 
zillen  ist  in  demselben  jedoch  nicht  gelungen. 

J.  Fl e sch  stellt  eine  BT-au  mit  koordinatorisch  er 
Störung  der  Phonation  vor.  Pat.  Avurde  vor  14  IMonaten 
durch  einen  Schreck  aphonisch,  nach  einigen  Monaten  kehrte 
die  Sprache  zurück,  sie  Avar  aber  nur  hei  der  Inspiration  mög¬ 
lich,  Avährend  der  Exspiration  konnte  Pat.  überhaupt  nicht 
sprechen.  Der  Kehlkopfbefund  und  die  Atmung  sind  normal. 
Die  Behandlung  besteht  in  kräftiger  Faradisation  am  Halse  und 
x\tmungsgynmastik.  Pat.  kann  jetzt  auch  schon  exspiratorisch 
phonieren. 

TI.  V.  Schrötter  und  AAT  Roth  Avünschen  näheren  iVuf- 
schluß  über  die  laryngoskopische  Untersuchung. 

J.  Flesch  erAvidert,  daß  nach  der  Untersuchung  von 
Ko  sc  hi  er  der  laryngoskopische  Befund  und  das  A’^erhalteu  der 
Stimmbänder  normal  Avaren. 

S  c  h  o  ß  b  e  r  g  e  r  stellt  einen  Mann  mit  b  lause  h. w  a  r  z  e  r 
Pigmentierung  der  Zunge  und  mit  Drinkelfärbung  der 
Finger  der  rechten  Hand  und  der  Bauchhaut  vor.  Pat.  leidet 
seit  seiner  Jugend  an  multipler  Knochenkaries,  ist  anämisch 
und  hat  beiderseitige  Lungenspitzeninfiltration.  Ueber  die  Ur¬ 
sache  der  Dunkelfärbung  ist  nichts  zu  eruieren. 

H.  Schlesinger  demonstriert  das  anatomische  Pr.äparat 
eines  Falles  von  Kompression  des  Rückenmarks  durch 
ein  Sarkom  der  AAMrbelsäule.  Ein  37jähriger  Mann  stürzte 
Amr  zehn  Monaten  auf  das  Gesäß  und  spürte  seither  Schmerzen 
im  Bereiche  der  Halswirbelsäule  und  des  Kopfes.  Vor  fünf 
Monaten  erschien  eine  kleine  AnscliAvellung  im  Nacken,  dann 
Avurden  die  rechten,  später  die  linken  Extremitäten  gelähmt; 
der  rechte  Arm  Avar  ausgesprochen  atrophisch.  Sensibilitäts- 
störungen  Avaren  nicht  nacliAveisbar,  die  Hirnnerven  Avaren  in¬ 
takt,  Pat.  konnte  den  Kopf  gut  beAvegen.  Als  Ursache  der  Lähmung 
AAUirde  ein  paravertebraler  Tumor  der  HalsAvirbelsäule  ange¬ 
nommen,  Avelcher  das  Rückenmark  komprimiert.  Die  Diagnose 
Avurde  durch  die  Obduktion  bestätigt;  der  Tumor  Avar  ein  Sarkom, 
Avelches  in  den  Wirhelkanal  eindrang  und  die  ersten  vier  Zer¬ 
vikalsegmente  des  Rückenmarks  komprimierte.  Sonderbar  ist  die 
gute  BeAveglichkeit  der  oberen  HalsAvirbelsäule  bei  dem  Um¬ 
stande,  daß  ein  Teil  der  Wirbelbogen  dieses  Abschnittes  von 
dem  Tumor  infiltriert  Avar. 

Ferner  demonstriert  H.  Schlesinger  das  anatomische 
Präparat  eines  Tumors  der  Hypophysis  bei  , Akrome¬ 
galie.  Dasselbe  stammt  A'on  einer  31jährigen  Frau,  Avelche 
vor  sechs  Jahren  unter  reißenden  Schmerzen  in  den  Beinen 
erkrankte  und  dann  das  Sehvermögen  auf  einem  .4uge  verlor. 
Durch  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  Avurde  auf  dem 
einen  Auge  Atrophie  des  Optikus,  auf  dem  anderen  Hemianopsie 
festgestellt.  Dann  entAvickelte  sich  das  typische  Bild  der  Akro¬ 
megalie.  Pat.  Avar  dabei  von  kleiner  Statur.  Kopfschmerz  Avar 
nur  im  Anfang  Amrhanden,  die  Kranke  zeigte  eine  zuneinnende 
1  Demenz  und  im  letzten  Monat'  vor  dem  Tode  häufig  subnorniale 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Temperaturen  bis  zu  35*’.  Die  Obduktion  ergab  ein  großes  klein¬ 
zelliges  Sarkom  der  Hypophysis.  In  den  letzten  zwei  Lebens¬ 
monaten  entleerte  Pat.  eine  kolossale  Flüssigkeitsmenge  durch 
die  Nase. 

L.  V.  Fr  a  n  k  1- H  oc  h  w  a  r  t  fragt,  ob  im  ersten  Falle  etwa.s 
Näheres  über  das  Trauma  bekannt  ist. 

H.  Schlesinger  erwidert,  daß  der  Sturz  nicht  schwer 
gewesen  zu  sein  scheint,  da  Pat.  seinem  Berufe  nachgehen  konnte. 

W.  Türk  und  Hel  ly  demonstrierten  Präparate  eines  Falles 
von  seltener  Blutcukrankung,  als  deren  Ursache  sie  das  voll¬ 
ständige  Fehlen  des  granul  ozytären  Apparat('s  an¬ 
nehmen.  (Erschien  ausführlich  als  Originalartikel  in  der  vorigen 
Nummer  dieser  Wochenschrift.) 

Burger  macht  Bemerkungen  zur  Krankengeschichte  des 
zweiten  Falles  und  verweist  darauf,  daß  derselbe  dazu  mahnt, 
die  Diagnose  und  Prognose  nicht  auf  Ctrund  des  Blutbildes 
allein  zu  stellen. 

Em.  Schwarz  erinnert  an  einen  vor  ungefähr  vier  .Jahren 
von  ihm  in  der  Gesellschaft  bespiochenen  Fall  von  Sepsis  mit 
ähnlichem  Blutbefunde,  wie  in  den  vom  Vortr.  besprochenen 
Fällen.  Vielleicht  ist  diese  Blutanomalie  eine  bisher  noch  nicht 
verständliche  Reaktion  auf  eine  Infektion. 

Türkei  bespricht  einen  ähnlichen  Fall  von  Leukopenie. 

W.  Türk  erwidert,  daß  die  Diagnose  im  zweiten  Falle 
nach  den  bisherigen  hämatologischen  Erfahrungen  gestellt  werden 
mußte.  Den  Fall  von  Schwarz  hat  Vortr.  in  seinen  Ausführungen 
zu  erwähnen  vergessen  und  wollte  ihn  im  Schlußworte  nach¬ 
tragen.  Der  Fall  von  Türkei  lasse  wohl  nicht  mit  Wahr¬ 
scheinlichkeit  die  Deutung  zu,  daß  es  sich  uni  einen  analogen 
anatomischen  Befund  wie  in  den  besprochenen  Fällen  ge¬ 
handelt  habe. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  vom  9.  Januar  1907. 

Vorsitzender :  Finger. 

Schriftführer :  B  r  a  n  d  w  eine  r. 

Brandweiner  demonstriert  aus  der  Ambulanz  der  Klinik 
Prof.  Fingers  einen  40jährigen  Mann  mit  Skier osis  redux. 
Die  Infektion  hat  vor  sieben  Jahren  stattgefunden,  der  Patient 
winde  nur  einmal  einer  spezifischen  Behandlung  unterzogen. 
Brandweiner  weist  auf  die  wesentlichen  klinischen  Differen¬ 
zen  hin,  die  das  Bild  einer  Sklerosis  redux  vom  Gumma  unter¬ 
scheiden.  Die  Unterschiede  bestehen  vor  allem  in  dem  gänz¬ 
lichen  Mangel  jeder  Tendenz  zum  Zerfall,  der  der  Sklerosis 
redux  eignet.  Sie  bietet  völlig  das  Bild  einer  frisch  überhäuleten 
Sklerose,  doch  fehlt  jede  Drüsenschwellung. 

Ehrmann:  Von  ihm  selbst  sind  Angaben  gemacbt  worden, 
daß  der  Bau  bei  Sklerosis  redux  nicht  dem  eines  Gumma  ent¬ 
spreche,  auch  hatte  er  einen  Fall  vorgestellt,  wo  sowohl  an  Stelle 
der  Initialsklerose  als  auch  an  den  Lymphgefäßen  Sklerosierung 
wieder  auftrat,  von  Residuen  an  den  Lymphgefäßen  ausgehend. 
Die  Unterscheidung,  Gumma,  ein  verkä.sendes,  Sklerosis  'redux, 
ein  nicht  verkäsendes  Infiltrat,  ist  bekannt. 

No  bl  bemerkt,  daß  die  Reinduration  des  Sklerosenrestes 
trotz  der  großen  klinischen  Aehnlichkeit  mit  dem  Primäraffekl 
bei  der  ätiologischen  Gewebsuntersuchung  von  diesem  namhafte 
Abweichungen  aufzuweisen  pflegt.  Nobl  hat  in  letzter  Zeit  drei 
Fälle  von  Reinduration  des  Endes  des  ersten  Krankheitsjahies 
mit  der  von  Reichert  angegebenen  und  von  1^  and  stein  er 
und  Mucha  explorierten  Dunkelfeldbeleuchtung  auf 
Spirochäten  untersucht  und  trotz  wiederhotter  Entnahme  von 
Gewebsproben  der  spezifischen  Einscldüsse  nicht  habhaft  werden 
können. 

Brandweiner  bemerkt,  daß  auch  in  dem  von  ihm  vor- 
geslellten  Falle  die  Mitbeteiligung  der  Lymphgefäße  deutlich  zu 
erkennen  ist. 

Nobl  verweist  1.  auf  die  Komponenten  jener  [)soiiasiforme)i 
Hauterkrankung,  welche  nach  dem  Vorschlag  Julius  bergs  als 
Pityriasis  lichenoides  chi-onica  bezeichnet  wird;  der 
einen  sechsjährigen  Knaben  betreffende  Fall  ist  um  so  bemer¬ 
kenswerter,  als  die  über  dem  Slernmn  und  den  Extreinitäteu 
disseminierlen,  schuppeubedeckten  Knötchen  und  bis  fingernagel¬ 
großen,  rosenroten,  vielfach  gerunzelt  und  wie  exkaviert  erschei¬ 
nenden,  makulösen  Herde  mit  einem  charakteristischen,  vorzüg¬ 
lich  an  Händen,  Gesäß  und  Füßen  lokalisierten,  papulonekro- 
ti sehen  Tuberkulid  vereint  erscheinen.  Die  seit  einem  halben 
Jahre  verfolgte  Eruption  beidei’  ätiologisch  sicherlich  nicht  zu¬ 
sammengehörigen  Ausschläge  schloß  sich  an  Masern  an. 


2.  Auf  einen  Fall  von  Primeldermatitis.  Die  Pflege 
eines  Exeniplares  der  Pj'imula  obconica  führte  hei 
einer  40.jährigen  Frau  zu  foudroyant  einsetzender  Schwellung 
und  Rötung  des  Gesichtes,  des  Stammes  und  der  Hände.  Die 
Wangen  waren  um  ein  Mehrfaches  verdickt,  die  Lider  in  über¬ 
hängende,  ödematöse  Wülste  umwandelt,  dabei  unerträgliches 
Jucken,  Brennen  und  schlaflose  Nächte.  Der  abklingende  Pro¬ 
zeß  ist  noch  in  Form  einer  diffusen,  schilfernden  Dermatitis 
am  Nacken  und  an  den  Armen  festzustellen ;  Krankheitsdauer 
drei  Wochen.  Diese  von  Riehl  zuerst  des  genaueren  m'schlossenc 
Pflanzendermatitis  ist  auf  die  reizende  Wirkung  einer  in  den 
Drüsenhaaren  der  Blattstiele  und  Rippen  enthaltenen  braunen 
Flüssigkeit  zurückzuführen,  welche  bei  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  der  eigenartig  gegliederten,  weichen  Stacheln  deulliidi 
nachgewiesen  werden  kann.  Hervorzuheben  ist,  daß  sich  die 
Intoleranz  der  Patientin  erst  im  Anschluß  an  eine  Ver¬ 
brühung  der  Handgelenke  entwickelt  hat,  indem  sie  bis  dahin 
14  Tage  hindurch  unbeschadet  den  Stock  gepflegt  hatte. 

Ehrmann  demonstriert  einen  Fall  von  Lichen  chroni¬ 
cus  Vidal.  Eine  87  Jahre  alte  Frau  mit  einer  mnschriebenen 
IJaulerkrankung  auf  dem  Halse,  der  Ellbogenheuge  und  der  Kreuz¬ 
beingegend;  teils  abgeschliffene,  lichenälmliche  Effloreszenzeu, 
teils  exkoriierte  Knötchen  auf  bräunlicher  Unterlage;  stellenweise 
Nässen,  Borkenbildung,  IT'ticaria  factitia  vorhanden.  Diarrhöen 
seit  Jahren  mit  Obstipation  abwechselnd.  Die  Untersuchung  des 
Magensaftes  zeigt  vollständiges  Fehlen  der  Säuren,  Salz-  wie 
Milchsäure,  sowie  unverdaute  Reste  des  Probefrühstückes.  Er 
fragt,  wie  die  einzelnen  Mitglieder  der  Gesellschaft  diese  Krank- 
heitsforni  auffassen.  Sie  entspricht  dem  umschriebenen  Ekzem 
en  plaques,  der  Neurodermitis  circumscripta  und  dem  Licheii 
chronicus  Vidal  in  den  verschiedenen  Phasen  und  Entwicklungs¬ 
stadien. 

Spie  gl  er  erklärt,  es  komme  nicht  so  selir  auf  den  Namen 
an,  den  man  dem  ITozeß  gebe,  als  vielmehr  auf  die  Deutung 
der  Erscheinungen  und  ihres  inneren  Zusammenhanges.  Hier¬ 
aus  ergebe  sich  die  Diagnose  zwanglos  von  selbst.  Analysieren 
wir  den  vorliegenden  Fall,  so  ergibt  sich  zweierlei:  1.  Die¬ 
jenigen  Erscheinungen,  Avelche  man  als  Urticaria  papulosa  kennt, 
in  Form  von  über  das  Hautniveau  leicht  erhabenen,  rotbraunen, 
derbinfiltrierten,  etwa  linsengroßen  Knötchen.  Da  diese  stark 
jucken,  werden  sie  zerki'atzt  und  sind  an  der  Oberfläche-  von 
einem  Blutbörkchen  bedeckt.  Zwischen  diesen  zerstreut  und  an 
den  oberen  Extremitäten,  Gesäß  sehen  wir  2.,  in  mehr  zusammen¬ 
hängenden  Herden,  die  Erscheinungen  eines  reinen,  in¬ 
filtrierten,  chronischen,  teilweise  krustösen  Ekzems.  Wir  haben 
es  also  hier  zu  tun  mit  einer  Urticaria  chronica  papulosa, 
einer  bekanutlich  heftig  juckenden  Dermatose,  kombiniert  mit 
dem  durch  das  Kratzen  erzeugten  chronischen  Ekzem.  Diesen 
Zusammenhang  zwischen  Kratzen  und  Ekzem  kennen  wir  ja 
seit  Ferdinand  Hebra  sein-  genau.  In  neuerer  Zeit  wurde,  ohue 
daß  hiedurch  in  der  Sache  selbst  unsere  Kenntnisse  er¬ 
weitert  worden  wären,  für  diesen  Vorgang  von  Broeq  der 
Name  ,;Lichenifikation“,  von  Besnier  ..Lichenisation“  eiuge- 
führt,  lediglich  eine  Bereicherung  unserer  Nomenklatur.  Geg(;u 
den  Ausdruck  „Prurigo  diathesicRie“  der  Franzosen  möchte  ich 
einwenden,  daß^  wir  unter  dem  Namen  ,, Prurigo“  ein  anderes,  gut 
charakterisiertes  Krankheitsbild  festgelegt  haben.  Fm  kurz  zu 
resümieren,  lautet  meine  Diagnose:  Urticaria  i)apulosa,  kom¬ 
biniert  mit  dem  durch  das  Kratzen  bedingten  chionischen  Ekzem. 
Der  von  Ehrmann  bereits  hervorgeholiene  Dermographismus 
entspricht  ja  übrigens  dem  urtikariellen  Zustand. 

Finger:  Im  vorigen  Jahre  wurde  von  uns  ein  analoger 
Fall  hier  vorgestellt.  Neumann  stellte  anfangs  die  Diagnose 
Prurigo,  bekannte  sich  spätei'  aber  doch  zu  Urtikaria.  Der  Prozeß 
war  am  Stamm  und  an  dmi  Extremitäten  ziemlich  ausgebreitet, 
z.  T.  zahlreiche  Knötchen  und  beetartige  Effloreszenzen,  die  mit 
Borken  bedeckt  waren  oder  näßten.  Spie  gl  er  betonte  damals, 
daß  dies  ein  Fall  von  Urticaria  chron.  sei.  Richtig  ist,  daß 
Jadassohn  beim  Kongreß  in  Bern  einen  analogen  Fall  als 
Neurodermitis  vorstellte.  Nun  müßte  man  von  diesem  Bilde  ab- 
ti-ennen,  was  Vidal  als  Lichen  simplex  acutus  und  als  Lichen 
chron.  verstand.  Bei  ersterem  haben  die  Effloreszenzen  einen  mehr 
subakuten  Charakter,  ein  ephemeres  Dasein,  während  letzterer 
ein  mehr  stabiles  Krankheitsbild  bietet.  Bei  unsercMU  Kranklieitsf'ill 
hinwiedeiiim  ist  eiiu'  Rc'stilutio  ad  integrum  völlig  möglich.  Die 
gastrischen  Störungen  sprechen  ganz  Rir  Urticaria  chronica. 

Ehrmann  bemerkt,  daßSpiegler  dem  von  ihm  genannten 
Namen  noch  einen  hinzug('fügt  habe:  Urticaria  chronica.  Aber 
hier  ist  das  Primäre  das  Jucken,  das  Sekundäre  ist  das  Knöt¬ 
chen,  daiu'ben  bi'sleht  die  Urtikaria  faktisch  und  es  kommt  zu 
Ekzematisation,  die  mit  zirkumskripten  Lichenphupies  abwech- 


WIENEU  KLINISCHE  WOCHENSCnUIET.  1907 


Nr.  7 


soll.  Er  küuiie  Abbildungen  zeigen  von  Fällen,  \vu  diifanga  nichts 
naeh\veisl)ar  war,  dann  Irat  auf  oiiinial  Lichen,  dann  Ekzem  auf 
und  dann  wieder  Lichen.  Ein  ähnliches  Krankheilsbild  sah  er 
in  Paris  untei'  dem  Namen  LiclKui  chronicus  circuniscriptus  Vidal. 
Er  biltel,  die  Lokalisation  am  Hals,  in  der  Ellenbeuge  und  am 
(lesäß  zu  merken.  Unter  den  Karlsbader  Patienten  werden  sich 
vi(de  mit  solchen  Hautleiden  finden.  Die  lichenartigen  Knötchen 
sind  aber  ganz  gewiß  keine  lAdikariatfiiaddeln,  weil  ihnen  alle 
Hei'kmale  einer  (Quaddel  iiberhanpt  fehlen. 

Reines  demonstriert  ans  der  Aldeilung  Prof.  Ehr  man  ns 
einen  Fall  von  liiipus  vulgaris  bei  einem  17  Monate  alten 
Kind(‘,  wahrscheinlich  durch  Inokulation  anläßlich  einer  Ver¬ 
letzung  der  Nasenspitze  eidstanden.  Ihmierkenswert  sind  das 
Alter  der  Patientin  und  die  Pathogenese  des  Lupns  (Inokulations- 
lupus). 

Winkler  demonstriert  einen  Kranken  mit  Periostitis 
nach  Typhus. 

R.  Volk:  Wenn  Winkler  meinl,  daß  er  durch  den  posi 
tiven  Ausfall  der  Reaktion  nach  Zugabe  von  aspiriertem  Absze߬ 
inhalt  zum  Fick  ersehen  Diagnostiknm  einen  Beweis  für  eine 
durch  Ty])husbazillen  lu'rvorgerufene  Infektion  geliefert  hat,  so 
ii'i't  er.  Damit  ist  nur  gezeigt,  daß  im  Abszeßinhalt  Agglutinine 
vorhanden  sind.  Wollte  man  die  postlyphöse  Natur  der  Abszesse 
erweisen,  so  wäre  dies  enlw^eder  durch  den  Nachweis  von  Typhus¬ 
bazillen  möglich,  der  nicht  gelungen  ist,  orler  man  hätte  mit 
(dnem  Immunserum  im  Abszeßinhail  spezifische  Präziiiiline  be¬ 
kommen  müssen;  schließlich  könnte  aindi  noch  die  Entstehung 
von  Typhusagglnlinin  nach  Einverleibung  von  Abszeßinhail  heim 
Versuchstier  diesen  Beweis  erbringen. 

Uli  mann  demonstriert  einen  Patienten  mit  Lupns  ery- 
t  h  e  ni  a  t  o  d  e  s  und  ]>  a  p  u  1  o  n  e  k  r  o  t  i  s  e  h  e  m  T  u  b  e  r  k  n  1  i  d,  nach 
Spengler  liehandelt. 

Die  bereits  vorgeführte  ‘22jähr.  Kranke  ist  mit  zahlreichen 
paiiulonekrolischen  Tuberkuliden  am  Vorderarm  und  Schenkel, 
besonders  aber  mil  einer  dimi  Lupus  erythematodes  sehr  ähn¬ 
lichen,  Aveim  nicht  inil  ihm  identischen  Affektion  über  dem  Nasen¬ 
rücken,  sowie  seil  ihrem  neunten  Lebensjahre  mit  einer  nunmehr 
obsoleten  Felsenbeinkaries  behaftet,  linier  fünf  in  steigender  Dosis 
giMiiachten  Einsiiritzungen  von  Perlsuchltuberk'ulin  nach  Doktor 
Karl  Spengler  sind  nun  die  Hautmanifestationen  liis  auf  An¬ 
deutungen  gänzlich  gescliwunden,  neue  nicht  aufgetrelen;  es  be¬ 
standen  nur  leichte,  lokale  Reaktionen  an  den  Injektionsstellen,  so- 
wde  minimale  Temperatursteigerung  (nur  einmal  über  88-2'0-  Ich 
habe  das  Zurückgehen  von  typischem  und  sicherem  Lupns  ery¬ 
thematodes  auf  Allluhei'kulininjektionen  im  Wege  der  lokalen 
Reaktionen  schon  des  öfteren  gesehen.  Ob  sich  Perlsiudittuber- 
knlin  für  derlei  Haulaffektionen  besser  eignen  wird,  werden  weitere 
Erfahrungen  zeigen. 

Winkler  vei'fügt  auch  über  einen  solchen  Fall,  den  er 
mit  Altlnberkulin  behandelt  hat.  ln  demselben  Irat  Fieberreaklion 
von  40”  auf.  Das  Exanthem  schwand.  Nach  dem  Abklingen 
der  Reaktion  verschwand  der  Effekt. 

Uli  mann:  Wenn  ich  von  einem  Zurückgeben  oder  Ver¬ 
schwinden  des  Lupus  erythematodes  durch  .Mttuberkulin  oder 
läu'lsruddtuberkulin  gesi)rochen  habe,  so  meiide  ich  natürlich 
nicht  jenes  tem])orä)’('  Undeutlich  werden  nnler  dem  Einfluß  der 
r('akliven  Scdiwellung  und  Hyperämie,  sondern  das  definitive  Ver¬ 
schwinden  der  infiltrierten,  verfärbten  und  schup])enden  Partien 
auf  immer  od('r  wenigstens  auf  lange  Zeit  hinaus,  soweit  ich 
es  wf'nigsleiis  in  mehreren  Fällen  beobachten  koTinte.  Daß  mil- 
nnt(‘r,  wenn  am  Individuum  tuberkidöse  Veränderungen  anderer 
.\rt  voihanden  sind,  doch  auch  wieder  an  denselben  Stellen  oder 
anderwäi'ts  Lupus  erythematodes  eintriti,  das  hat  wohl  mit  diesem 
Vorgang  in  therapeTdischer  und  diagnostischer  Beziehung  nichts 
zu  tun.  I 

Finger  bespricht  zunächst  jeme  Ers(dieiiiungen,  welche  von 
den  Autoren  ziendicdi  übereinstimmend  als  Cbarakteie  der  so- 
genantden  Lues  maligna  angesehen  werden:  Frühzeitiges  Auf¬ 
treten  papulöser,  i'ascdi  zerfallendei'  Effloreszenzen  der  Haut, 
Freibleiben  der  Seddeimbaut  odei'  hier  Auftreten  von  nicht  zer- 
fallendfui,  diphtlu't'oiden  Fap('lformen,  schwere  Beteiligung  des 
Allgemeinbefindens.  VerschlimiiHuaing  oder  zumindest  keine  Be- 
i‘inflvissung  der  Krankheilserscdieinungen  durcdi  Quecksilber¬ 
behandlung. 

Der  Voll  ragende  (hnnonsl  riiud  dann  fünf  Fälle  von  Syphi¬ 
lis  ulcerosa  iiraecox,  die  in  die  vorstehende  Drd'inilion  nicht 
hineinpassen,  weil  sie  di(‘  angeführlim  Erscheinungen  nur  teil- 
weisi'  darbieten.  So  zadgen  die  ersten  beiden  Patienten  wohl 
ulzeröses  Syphilid  und  intensive  Beteiligung  des  Allgemeinbefin¬ 
dens,  reagieren  abei'  gut  auf  Quecksilber;  der  dritte  Patient 
zeigt  eine  Lues  maligna,  die  aussfddießlich  auf  der  Nasen-  und 


Rachenschleimhaul  abläid't  und  sechs  Monate  nach  der  Infektion 
mit  ulzeröser  Zerstöiung  des  weichen  Gaumens  begann.  Die 
beiden  letzten  Ikilicmten  zeigen  gummöse,  zerfallende  Ihuderschei- 
nungen;  der  eine  ein  halbes  Jahr,  dei'  andere  zwei  Jahre  nach 
der  Infektion,  aber  keine  für  Lues  maligna  charakterislischen 
Symptome. 

Sc  herber  demonstriert  1.  ein  Präparat  von  (‘ineni  Falle, 
welcher  die  höchst  seltemm  Erscheinungen  einer  Phlebitis 
migrans  darbol.  Der  Fall,  von  Hofrat  v.  Ne  ns  so  r  zur  Do- 
monstralion  ülierlassen,  betrifft  einen  82jährigen  Arbeiter,  der 
im  A])ril  H)()4  mudi  schwerer  köi'iierlicher  Anstrejigung  unter 
den  Symploimm  eiiu's  Rheumatismus  erkrankte;  dabei  traten 
an  versidiiedenen  Slidlen  des  Körpers,  besonders  an  den  unteren 
Extremitäten,  Knoten  auf.  Zw^ei  Badekuren  brachten  elwas  Lin¬ 
derung  und  Rückgang  der  Erscheinungen;  im  Herbste'  1904  An¬ 
schwellung  des  linken  Kiefergelenkes  mit  Kieferklemme.  Im  Fi  üh- 
jahr  1905  bildete  sich  in  der  rechten  xVchselhöhle  ein  schmerz¬ 
hafter,  haselnußgroßer  Knoten,  der  bis  unter  die  Kubita  nach 
abwärts  wanderle;  dann  sei  der  Knoten  wieder  nach  anfwärls 
bis  zur  Gelenkslinie  der  Kubita  gewandert,  um  von  hier  au 
der  Ulnarseile  bis  zum  Handgelenk  nach  abwärts  zu  wandern 
und  hier  unter  einem  sclnvarzen  Pflaster,  (ärztlich  verordnet) 
zu  verschwinden.  Als  der  Patient  Ende  Seplember  1906  auf 
die  Klinik  v.  Neusser  kam,  zeigte  er  an  der  Beugeseite  des 
linken  Ai'ines,  etwas  olierhalb  der  Kubita,  einen  nußgroßen,  mit 
der  Haut  vei'wachsenen,  derben,  länglichen  Tumor,  der  am 
31.  Oktober  1906  auf  dej'  11.  chirurgischen  Klinik  exstii'pieit 
wurde.  Am  15.  November  1906  trat  an  der  ulnaren  Seite  des 
linken  Ellbogens  eine  neue,  längliche,  derbe,  auf  Druck  schmerz¬ 
hafte  Geschwulst  auf,  welche  von  Erhsen-  bis  zur  Haselnu߬ 
größe  hei'anwuchs  und  ein  deutliches  Wandern  nach  abwäils 
zeigte;  mit  diesem  Knolen  kam  Pat.  in  die  Ambulanz  der  Klinik 
Finger.  Der  Knoten  wanderle  bis  zum  24.  Dezendjcr  1906 
noch  vier  Querfinger  nach  ab-  und  ausAvärts  an  die  Streckseite 
d('s  Unterarmes  und  bildete  sich  hier  unter  Jothioneinpinselungen 
völlig  zurück.  Die  Injektion  von  0001  xVlttuberkulin  rief 
weder  lokale,  noch  allgemeine  Reaktion  hervor.  Der  neue,  in 
seiner  Wanderung  Aum  Scher  her  deutlich  heobachlete  Knolen 
hatte  sich  in  der  Fortsetzung  des  exzidierten  entwickelt.  Das 
demonstrierte  Präparat  vom  exzidierten  Knoten  zeigt  den  Durch¬ 
schnitt  einer  Vene  der  Subkutis.  Die  Vene  ist  in  ihrem  ganzen 
Umfang  fast  gleichmäßig  in  ihrer  Wand  pathologisch  A'eräiidert. 
Die  Wand  erscheiid  bedeutend  verdickt  u.  zw.  durch  Verbreite- 
terung,  besonders  der  Vledia  und  xXdventitia.  ln  der  .Media  sind 
die  Muskelbündel  stark  auseinandergedrängt,  das  dazwischen 
liegende  BindegeAvebe  erscheint  zellreicher;  die  Zellen  sind  teils 
ein-  und  mehrkernige  Rundzi dien,  teils  auch  längliche  Zellformen. 
Die  zellige  Infiltration  ist  in  den  äußeren  Schichten  der  Media 
und  in  der  Adventitia  am  reichlichsten  und  nimmt  auch  das 
perivaskuläre  Binde-  und  FettgeAvebe  in  lireitem  Umfang  ein. 
Die  Endothelzellen  iler  Inlima  erscheinen  nur  stellenweise  und 
da  in  einfacher  Lage  erhalten.  Es  handelt  sich  in  diesem  Falle 
um  einen  Fall  von  Phlebitis  migrans;  die  diesbezüglichen 
Publikationen  sind  äußerst  spärlich,  es  sind  dies  die  von  E.  Neis- 
ser,  Buschke  und  Schwarz. 

Die  Aetiologie  unseres  Falles  isl  unklar. 

2.  Eine  22jähiäge  Frau  mit  zahlreichen  Narben  am  Halse, 
am  Stamme  und  an  den  Extremitäten,  wadche  von  einem,  im 
zehnten  Lebensjahre  bestandenen,  Avahrscheinlich  tuberkulösen 
Prozeß  herrühren.  Vor  drei  Jahren  ak(iuiri('rte  Pat.  Lues,  lin 
Frühjahr  und  Herbst  1904  Rezidive  u.  zw.  beide  Male  unter 
dem  Bilde  der  auch  jetzt  Avieder  aufgetretenen  Erscheinungen. 

Pat.  zeigt  an  beiden  unteren  Extremitäten  zahlieiche,  teils 
runde,  teils  längliche,  derbe,  auf  Druck  schmerzhafte  Knoten 
iin  Unterhautzellgewebe;  die  Knoten  entstehen  in  der  Subkutis, 
Avachsen  langsam  nach  oben,  verlöten  mit  der  Haut,  Avelche  an¬ 
fangs  nur  leicht  gefärbt  isl,  dann  eiiu'ii  livid  rotbraunen  Farben¬ 
ton  annimmt.  Schließlidi  kommt  es  zur  Exulzeration,  Avie  die 
flachen  GeschAvüre  an  den  .Wadem  zeigen.  Die  Injektion  v<)n 
0-001  Alllubeikulin  ilef  allgenu'ine,  aber  keine  lokale  Re¬ 
aktion  hervor.  Es  scheint  sich  hier  um  jeiu's  in  Knotenform 
auftrelende  luetische  Exanthem  zu  handeln,  das,  von  den  Ge¬ 
fäßen  der  Subkutis  ausgehend,  eben  Aveil  s('in('  Effloreszenzen 
exrdzei'ieren,  am  besten  als  nodösi's  Syphilid  bezeiebnet  Avird. 

Finger:  Nachdem  bei  der  Patientin  deutlich  skrofulöse 
Erscheiuungen  nacliAveisbar  sind,  muß  man  an  beide  ätiologische 
Momente  denken:  Tuberkulose  und  Liu's.  Tuberkulin  ist  injiziert 
Avorden;  Pal.  hatte  allgemeine,  aber  keine  lokale  Reaktion. 

Mucha  demonstriert  aus  der  Klinik  Prof.  Finger: 

1.  Einen  Fall  von  Folliculitis  decalA^ans.  Der  Pro 
zeß  ist  zAvar  bereits  größtenteils  mit  kleinen,  haarlosc'ii  Narben 


Nr.  7 


WIENEU  KLINISCHE  WOCHENSCIHUFT.  1ÜÜ7. 


ausgeheilL  doch  sieht  man  noch  immer  einzelne  frische,  folli-  ; 
knläre  Infiltrate. 

2.  Eim;  Frau  mit  einer  etwa  vier  Monate  alten  Lues,  mit 
dem  Sklei'osenrest  an  der  rechten  Mamilla,  mit  gruppiertem 
papulösen  Exanthem  am  Stamme  und  besonders  unter  der  linken' 
Mamma,  papulösen  Effloreszenzen  am  Augenlid,  ad  genitale  und 
im  Munde,  sowie  luetischer  Iritis. 

3.  Einen  Patienten  mit  einer  vier  Monate  alten  Lues,  ab¬ 
geblaßtem,  makulösen  Exanthem,  sowie  pustulösen  Eftloreszenzen 
in  den  Achselhöhlmi  und  auf  dem  Kopfe. 

4.  Einen  Patienten  mit  bisher  ludjehandelter,  etwa  vier 
I)is  lünf  IMonate  alter  Lues,  ahgeblaßtem  Exanthem  und  orhi- 
kulären,  seborrhoischen  Papeln  im  Gesicht,  an  der  Brust  und 
an  der  Schulter. 

5.  Drei  Patienten  mit  ausgebreiletem  Lupus  disseminatus, 
die  nach  der  von  Karl  Spengler  angegebenen  Methode  mit 
Perlsuchttuberkulin  behandelt  werden.  Obwohl  bis  beute  (nach 
etwa  zelmwöcbenllicber  Behandlung)  ein  abscliließencles  Urteil 
noch  nicht  möglich  ist,  scheint  es  doch,  daß  eine  Beeinflussung 
des  Prozesses  durch  die  Injektionen  möglich  ist  und  daß  die 
Wirkung  des  Perlsuchttuberkulins  der  des  alten  Koch  sehen  Tu¬ 
berkulins  überlegen  ist;  ob  bloß  eine  vorübergehende  Besse 
rung  durch  diese  Art  der  Behandlung  zu  erzielen  ist  oder  Heilung 
ei'ieicht  werden  kann,  läßt  sich  derzeit  nicht  entscheiden. 

IMucha  und  Landsteiner  berichten  über  die  Fort¬ 
setzung  ihrer  Untersuchungen  über  die  Spirochaete  pallida  (mit 
Hilfe  der  Punkelfehlheleuchtung). 

Die  Untersuchungen  über  die  Lebensdauer  der  Spirochaete 
pallida  ergaben,  daß  sie  im  Laufe  von  etwa  zwei  Tagen  die  Eigen- 
hewegung  verlieren,  wenn  das  Material,  vor  Austrocknung  ge¬ 
schützt,  zwischen  Deckglas  und  Objektträger  hei  Zimmertem¬ 
peratur  aufhewahrt  wild.  Bei  37*’  C  wird  die  Bewegung  zunächst 
intensiver,  schwindet  jedoch  noch  früher  als  hei  Zimmertempera¬ 
tur;  hei  Aufbewahrung  im  Eisschrank  nimmt  die  Intensität  dei' 
Bewegung  etwas  ah,  scheint  aber  eher  besser  erhalten  zu  bleiben, 
doch  konnte  auch  hier  bis  jetzt  nicht  länger  als  durch  zwei 
Tage  Bewegung  nachgewiesen  werden.  Präparate,  die  einer  Tem¬ 
peratur  von  45°  C  durch  eine  Viertelstunde  ausgesetzt  worden 
waren,  hatten  ihre  Beweglichkeit  eingehüßt;  höhere  Temperaturen 
führten  zu  noch  schnellerem  Beweglichkeitsverlust. 

Weiters  wurde  die  Einwirkung  verschiedener  Flüssigkeiten 
eauf  die  Spirochaete  pallida  geprüft  u.  zw. :  Normales  Menschen¬ 
serum,  Serum  von  Syphilitikern,  Meerschweinchenserum,  Kanin¬ 
chenserum,  Wasser,  Kochsalzlösung  in  verschiedener  Konzen¬ 
tration,  Bouillon,  Peptonwasser,  Hydrozelenflüssigkeit.  Alle  diese 
Flüssigkeiten  wirkten  bewegungsbeeinträchtigend,  keines  der 
Seren  rief  Agglutinationserscheinungen  hervor.  Der  Umstand,  daß 
auch  normales  menschliches  Serum  die  Beweglichkeit  der  Spiro- 
(diaele  pallida  beeinträchtigt,  könntr'  vielleicht  ein  Grund  d;i- 
für  sein,  daß  die  Spirochaete  pallida  ungleich  anderen  Spiro¬ 
chätenarten  kein  eigentlicher  Blutparasit  ist.  ' 

Sei'um  eines,  durch  intraperitoneale  Einverleil)ung  spiro¬ 
chätenhaltigen  Materiales  immunisierlen  Kaninchens  zeigte  inten¬ 
sivere  schädigende  Wirkung  als  normales  Kaninchenserum.  Die 
Spii'ochäten  zeigten  unter  der  Einwirkung  dieses  Serums  ah- 
norme  Bewegungsformen  (Kontraktionen  ähnlich)  und  nahmen 
irreguläre  Ruhestellungen  an. 

Weiters  gelang  es,  ein  Agglulinationsphänomen  zu  beob¬ 
achten,  das  sich  in  dem,  von  syphilitischen  Effloreszenzen  (Pa¬ 
peln  und  Sklerosen)  gewonnenen  Safte  zeigte.  Kurze  Zeit  muh 
der  Abnahme  läßt  sich  in  den  Sekreten  sehr  oft  die  Bildung 
von  Sternfiguren  und  Häufchen  beobachten,  die  allmählich  zu¬ 
nimmt  und  nach  einigen  Stunden  einen  hohen  Grad  erreichen 
kann.  Nach  den  bisherigen  Untersuchungen  hat  es  den  Anschein, 
als  oh  diese  Erscheitmng  in  länger  bestehenden  syphilischen 
Effloreszenzen  ausgesprochener  wäre*  als  in  jüngeren.  Wenn  man 
berücksichtigt,  daß  ähnliche  Erscheinungen  hei  der  V(n'wendung 
von  Blutsernm  der  betreffenden  Patienten  fehlen,  so  ist  daraus 
wohl  auf  eine  lokale  Antikörpm'bildung  (Agglutininhildungi) 
zu  ischließen. 

Kyrie  stellt  das  in  K  a  y  s  e  i- 1  i  n  g  scher  Flüssigkeit  kon¬ 
servierte  Präparat  von  dem  Sarkom  der  großen  Zehe  vor,  welchen 
Fall  Dr.  Scherher  aus  der  Klinik  Prof.  Fingers  in  dei' 
vorletzten  Sitzung  besprochen  hat.  Aus  dem  makroskopi¬ 
schen  Befund  wäre  nicht  ohne  weitei's  zu  sagen,  oh  das  Neo¬ 
plasma  von  der  Kutis  oder  Suhkutis  ausgeht;  eventuell  wäre 
auch  an  das  Periost  als  Sarcoimnatrix  zu  denken.  Dii'  hislo- 
logische  Untersuchung  ei'gibt,  daß  es  sich  um  ein  pigmentfreies 
nävogenes  Sarkom  von  alveolärem  Ban  hamhdi,  welches  in  seinem 
Aufbau  und  in  der  Anordnung  der  neoplasmatischen  Einzel¬ 
elemente  an  die  Rndothelsarkome  erinnert. 


Ehrmann  bemerkt,  daß  er  sich  der  Diagnose  nävo¬ 
genes  Sai’kom  anschließe.  Offenbar  war  es  ein  pigmentfreier 
Nävus,  aus  dem  das  Sarkom  sich  entwickelte.  Uigmentfreie 
Nävn  charakterisieren  sich  durch  Mangel  iler  Melanoblasten 
(Chromatophoren),  welcher  bedingt,  daß  die  Zellen  der  Nävus¬ 
nester  pigmentfrei  sind.  Ehr  mann  hält  diese  beiden  Ele¬ 
mente  auseinander,  währeml  Bibbert  sie  identifiziert,  was  die 
Genese  lietrifft.  Im  fertigen  Pigmentsarkom  sind  sie  ausein¬ 
anderzuhalten. 

B.  Müller  demonstriert  das  Ergebnis  eines  in  Gemein¬ 
schaft  mil  Oppenheim  angestellten  Versuches,  das  in  deutlicher 
Weise  durch  Hemmung  der  Hämolyse  infolge  Komplementah- 
lenkung  das  Vorhandensein  von  Antikörpern  im  Serum  eines 
an  Flpididymitis  gonorrhoica  leidenden  Patieiden  beweist.  Die 
hier  verwendete  Technik  war  dieselbe,  wie  sie  von  den  Ge¬ 
nannten  in  einer  früheren  Arbeit  angewendet  wurde.  . 

M.  Oppenheim  demonstriert  eine  15  cm  lange,  Va  cm 
Durchmesser  zeigende,  biaune,  Röhre,  die  ein  Patient,  der  wegen 
chronischer  Gonorrhoe  mit  Silbernitratinstillationen  in  der  Klinik 
Prof.  Finger  behandelt  wui'de,  in  seinem  (Morgenurin  fand. 
Unter  dem  (Mikroskop  zeigt  sich  die  Wandung  dieses  Schlauches 
aus  kubi.schen  und  platten  Epit heilen  zusammengesetzt,  vom 
Typus  des  Harnröhienepithels,  mit  reichlichen  Körnchen  erfüllt. 
Es  kam  also  zu  einer  Abstoßung  des  geschichteten  Harnröhren¬ 
epithels  in  toto,  auf  die  ganze  vordere  Harnröhre  sich  (u-- 
streckend  (15  cm)  und  ohne  daß  der  Zusammenhang  der  Epi- 
thelien  gelockert  worden  wäre.  Eine  Epithelmembran  in  solcher 
Ausdehnung  gehört  gewiß,  zu  den  größkm  Selteidieiten,  kleineia; 
röhrenförmige  Epithelparlien  und  lamellöse  Schuppen  findet  man 
ja  häufig.  Es  ist  der  Zusammenhang  der  Epithelzellen  wohl 
nur  so  zu  erklären,  daß  die  austrocknenden  Epithelzellen  noch 
genug  Feuchtigkeit  enthalten,  um  den  Zusammenhang  mit  den 
anderen  Zellen  zu  bewahren.  Die  unmittelbare  Ursache  der  Ab¬ 
stoßung  waren  die  adstringierenden  Silbernitratinstillationen. 

Diese  Ausstoßung  von  Harnröhrenepithelien  darf  nicht  mit 
dem  Naiuen  L'rethritis  memhranacea  belegt  werden,  da  unter 
dieser  Bezeichnung  eine  sehr  heftige  Urethritis  acuta  gemeint  ist, 
bei  der  es  zu  einer  kruppösen  Entzündung  der  Schleimhaut  und 
zur  Abstoßung  von  Fihrinbelägen  kommt. 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in 

Böhmen. 

XV.  Sitzung  vom  7.  November  1906. 

B.  Fischt  demonstriert  ein  ßVajähriges  (Mädchen  mit  meh¬ 
reren  ki'eisrunden,  harten,  scharf  begrenzten  und  verschieblicdien 
Tumoren  in  den  oberflächlichen  Partien  der  Bauchhöhle.  Dieselben 
sind  auffallend  dünn  und  haselnuß-  bis  kinderhandtellergroß.  Sie 
müssen  als  tuberkulöse  Tumt)ren  anges(dien  werden  und  zeigen 
weitgehende  Uehereinstimmung  mit  den  Geschwülsten  des  zu¬ 
erst  von  Barlhez  und  Rilliet  als  ,,Epiplocite  plasticine“  he- 
schriebenen  Kraidcheitshildes,  welches  eine  ausscliließliche  oder 
vorwiegend  im  großen  Netze  in  Form  isolierter,  plattenförmigej’ 
Tumoren  sich  etablierende  Bauchhöhlenluberkulose  darstellt.  Auf 
RöiUgenhestrahlung  gingen  die  Tumoren  sehr  zurück. 

äVeiter  stellt  Fischt  einen  achtjährigen  Knaben  vor,  der 
als  einer  jener  interessanten  Fälle  aufzufassen  ist,  die  Oppen¬ 
heim  als  paralytische  IMrm  der  Pseudobulhärparalyse  beschrieb. 
Die  Erscheinungen  begannen  nach  einer  im  vierten  Lehensjahia' 
durchgemachten,  mdcomplizierten  Masernerkrankung,  so  daß  wohl 
eine  unter  dem  Einfluß'  derselben  entstandene  infektiöse  Enzepha¬ 
litis  angenommen  werden  muß,  aus  der  sich  eine  diffuse  zerebrale 
Sklerose  entwickelte,  deren  Endeffekt  die  langsam  bis  zur  gegen¬ 
wärtigen  Höhe  gediehene  Krankheit  darstellt. 

XVI.  Sitzung  vom  14.  November  1906. 

V.  .1  a  k  s  c  h  :  a)  Dcunonstration  eines  Falles  von  A  n  e  u  r  y  s  m  a 
des  Arcus  aortae  und  der  Aorta  a  see  tide  ns  mit  über 
kindskopfgroßer,  deutlich  pulsierender  Geschwulst  rechts  vorn 
Sternum. 

h)  Demonstration  eines  Falles  von  chronischer  Blei¬ 
vergiftung,  welcher  wegen  seiner  Darmerscheinungen  mit  der 
Diagnose  ,,lleus“  auf  die  chirurgische  Klinik  gebracht  worden 
war.  Bezüglich  der  Aetiologie  wurde  eruiert,  daß  der  Patient 
(Eisenbahnbediensteter,)  sich  seine  Krankheit  durch  Manipulation 
mit  Bleiplomben  zugezogtui  hatte. 

c)  Zwei  Fälle  von  chronischer  (Manganvergiftung. 
V.  Jaksch  betont  namentlich  die  unter  entsprechender  Elektro- 
und  Mechanotberapie  eingetrtdetu'  Besserung  des  Zustandes.  Die 
Prognose  ist  demnach  auch  bei  chronischer  (Mangantoxikose  gün¬ 
stig  zu  stellen.  Seiner  .\nsicht  nach  ist  als  wirksames  Prinzip 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  7 


hei  der  Vergiftung  das  in  Slauhforin  eingeatrnete  Manganoxydul 
anzusehen. 

d)  Denionslralion  eines  .Mannes,  bei  welchem  ein  mächtiger 
Tumor  d’er  linken  Flalsseite  (histologisch  Lympho- 
s  a  r  k  o  m)  nach  wenigen  R  ö  n  1  g  e  n  h  e  s  t  r  a  h  1  n  n  g  e  n  nahezu  voll- 
sländig  geschwunden  war. 

e)  Demonstration  von  Röntgenaufnahmen  von  Schä¬ 
deln,  unter  anderem  einer  Platte  von  einem  Falle  von  Akro¬ 
megalie,  die  einen  deutlichen  Tumor  in  der  Gegend  der  Sella 
turcica  zeigt. 

W  a  1  k  o  :  I '  e  b  (i  r  Magen-  u  n  d  1 )  a  r  jn  e  r  k  r  a  n  k  u  n  g  e  n  bei 
(■  h  r  o  11  i  s  (■  1 1  e  r  R 1  e  i  v  e  r  g  i  f  t  u  n  g. 

Der  Vol  l  ragende  berichtet  über  Untersuchungen  der  Alagen- 
und  Darmfunktionen  bei  35  Fällen  chronischer  Rleivergiftung, 
meist  durch  Dleistaubinhalation  bedingt.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  Avar  die  Salzsäuresekretion  (freie  und  gebundene  Salsäure) 
vom  Reginne  der  Erkrankung  an  hochgradig  herabgesetzt  oder 
felille  vollkommen ;  dementsprechend  bestand  gewöhnlicb  starke 
Schleimprodnktion.  Die  Fermente,  resp.  Profermente  fehlten  nur 
in  den  schweren  Fällen.  Die  Störungen  der  motorischen  Funktion 
äußerten  sich  anfangs  als  Hypermol ilität,  später  als  Atonie,  doch 
ohne  vollständige  Erschlaffung  der  Äluskulatur.  Durch  Kombina- 
lion  dieser  Erscheinungen  kamen  Krankheitsbilder,  ähnlich  denen 
scdiwerer  clironisclier  Gastritis,  Gastritis  anacida,  subacida  und 
mucosa,  der  Acbylie  und  auch  des  Magenkrebses  zur  Reobachtung. 
Der  Verlaut  war  ein  sehr  protrahierter.  Die  sekretorische  In¬ 
suffizienz  blieb  oft  monatelang  bestehen  bei  sub.iektivem  Wolil- 
befinden  der  Kranken,  was  bei  dem  Fehlen  von  iMotilitätsstörungen 
des  Magens  für  ein  kompensatorisches  Einsetzen  des  Darmes 
spricht.  Remerkenswert  waren  die  Spätanfälle  von  Vergiftungs- 
(‘rscheinungen  zu  einer  Zeit,  als  die  Arbeiter  längst  nichts  mehr 
mit  dem  Rlei  zu  tun  hatten.  Rezüglich  der  Genese  der  Magen¬ 
krankheiten  kommen  in  Mel  rächt:  1.  Parenchym  Veränderungen 
der  Schleimhaut;  2.  Veränderungen  des  Rlutes;  3.  die  begleitende 
Obstipation;  4.  Erkrankungen  der  gastrointestinalen  Nerven. 

Die  Fimktionsprüfung  des  Darmes  ergab  hauptsächlich  das 
Restehen  von  motoris(dien  Störungen,  während  die  Sekretion  und 
Resorption  nur  wenig  beeinträchtigt  Avar,  Avie  aus  den  Stuhlunter- 
suehungen  nach  d('r  S  c  b  m  i  d  t  sehen  Probemahlzeit  hervorging. 

XVII.  Sitzung  AM)  m  21.  November  DJOG. 

V.  Jak  sch  bespricht  den  Verlauf  des  Falles  von  Aorloti- 
aneurysma,  Avelchen  er  in  der  letzten  Sitzung  vorgestellt  hat. 
Der  Patient  ging  unter  den  Erscheinungen  des  Erstickungsloiles 
infolge  Durchbruches  in  den  Herzbeutel  plötzlich  zugrunde. 

M'  ö  1  f  1  e  r :  a)  ( )  e  s  o  p  h  a  g  o  t  o  m  i  e  wegen  eines  F  r  e  m  d- 
körpers.  Heilung. 

Ein  27jähriger  iMann  hatte  im  Schlafe  sein  Gebiß  geschluckt. 
iM  it  (1  er  Schlnndsonde  kam  man  in  der  Höhe  von  18  cm  auf  einen 
deutlichen  Widerstand.  Die  Röntgenphotograpliie  ließ  deutlich 
in  der  Gegend  des  ersten  RrustAvirbels  die  Umrisse  des  Gebisses 
(‘rkennen.  Nach  offener  Rehandlung  der  Wunde  glatte  Heilung. 

b)  Ueber  P a n k r e as z y s te n.' 

Wölf  1er  besprichl  zunächst  die  SchAvierigkeilen,  die  sich 
der  Exstirpation  der  Pankreaszysten  entgegoistellen  tind  stellt 
hierauf  einen  28jährigen  Kranken  vor.  Reginn  der  Erscheinungen 
vor  acht  Wochen.  Da  die  Exstirpation  der  zwei  bis  drei  Liter 
einer  hämorrhagiscben,  tiüben  Flüssigkeit  enthaltenden  retroperi- 
lonealen  Zyste  AA^egen  innigster  VerAvachsung  mil.  der  hinteren 
i\IagenAvand  nicht  gelang,  Avurde  die  Höhle,  an  deren  Grund  man 
gelbe  Massen  (nekrotisches  PankreasgeAvebe)  sah,  drainiert.  Aus 
der  chemischen  Flnlersuchung  (v.  Zeynek)  ging  hervor,  daß 
die  Zyste  in  der  Tat  Pankreassekret  enthielt.  Die  gering  sezer- 
nicuende  Fistel  schloß  sich  nach  drei  Monaten. 

V.  Lieblein  stellt  zwei  Fälle  von  Schußverletzungen 
vor,  bei  welchen  er  das  Projektil  auf  operativem  Wege  ent¬ 
fernt  hat.  In  dem  einen  Falle  (28jähriger  Kellner)  Avar  die  Ein¬ 
schußöffnung  in  der  rechten  Gesichtshälfte,  knapp  am  unteren 
Jochhogenrand,  ca.  G  cm  An)r  der  äußeren  Gehörgangsöffnung. 
Eine  Ausschußöffnuug  Avar  nicht  vorhanden.  Nach  den  pathologi¬ 
schen  Veränderungen,  die  der  linke  Rulbus  darbot,  niußte  der 
Sitz  des  Projektils  in  den  linken  retrobulbären  u.  zav.  in  den 
lem])oralen  Anteil  derselben  \mrlegt  AA'erden.  Auch  :.iie  Lagebestini- 
mung  mittels  Röntgenstrahlen  führte  zu  dem  gleichen  Resultat. 
Der  \  ortiagende  entferide  in  diesem  Falle  das  Projektil,  indem 
(*r  sich  durch  die  lemi)oräre  Resektion  der  lateralen  Orbitahvand 
nach  Krünlein  den  Weg  dahin  bahnte.  Heilung  per  primam. 


Während  vor  der  Operation  der  Kranke  nur  imstande  war,  Finger 
in  einer  Entfernung  von  2V2  m  zu  zählen,  betrug  die  Sehschärfe 
drei  Wochen  nach  der  Operation  0-2,  Avar  also  beiläufig  auf  das 
Doppelte  gestiegen. 

Im  zAAmiten  Falle  (25jähriger  Kaufmann)  handelte  es  sich 
um  einen  Pharynxschuß.  Der  Kranke  kam  zirka  zAvei  Monate 
nach  Amrübtem  Suizidversuch  an  die  Klinik.  Die  vernarbte  Ein¬ 
schußöffnung  fand  sich  in  der  Mittellinie  des  Halses  zwischen 
Zungenbein  und  Schildknorpel.  Die  hintere  PharynxAvand  Avar 
durch  eine  teigige,  gegen  das  hintere  IMediastinuin  sich  erstreckende 
Gesclnvulst  vorgeAvölbt  und  zeigte  in  der  Höhe  des  Schildknorpels 
eine  für  die  Fingerkuppe  gut  durchgängige  Perforationsöffnung, 
aus  der  sich  Eiter  entleerte.  Die  Röntgenaufnahme  zeigte,  daß 
das  Projektil  im  hinteren  Mediastinum  vor  dem  ersten  Drustwirbel 
lag.  Der  Vortragende  entfernte  das  Projektil  in  der  Weise,  daß 
er  durch  einen  Schnitt  am  Innenrand  des  linken  Sternokleido- 
mastoideus  die  vordere  Fläche  der  HalsAvirbelsäule  bloßlegte  und 
die  hier  befiiidliche  Abszeßhöhle  öffnete.  Am  Roden  derselben 
lag  frei  das  Projektil,  das  durch  Fassen  mit  der  Kornzange  leicht 
entfernt  Averden  konnte.  Heilung. 

R  u  b  r  i  t  i  u  s  :  Ueber  F  r  ü  h  o  p  e  r  a  t  i  0 11  e  n  bei  akuter 
0  s  t e  om y  el  i  I  i  s. 

Als  Frühoperationen  kommen  bei  der  Rehandlung  der  akuten 
Osteomyelitis  der  langen  Röhrenknochen  in  Detracht :  1.  Die 

primäre  Auftneißelung  mit  Evidement  des  eitrig  infiltrierten  Kno¬ 
chenmarkes ;  2.  die  subperiostale  Resektion  der  Diapjaysen.  Die 
erstere  Operation  ist  imstande,  einmal  die  Heilungsdauer  erheb¬ 
lich  al)zukürzen  und  ferner  die  Nekrosenbildung  in  den  meisten 
Fällen  ganz  oder  teil\Amise  zu  verhüten,  bietet  also  große  Vorteile 
gegenüber  der  konservativen  Rehandlung,  Avelche  sich  auf  die 
Eröffnung  der  Weichteilabszesse  beschränkt.  Ruhr i tins  be¬ 
richtet  über  acht  Fälle,  bei  Avelchen  die  primäre  Aufmeißelung 
ausgeführt  Avorden  war;  zAAmi  Fälle  endeten  trotz  dieser  letal. 
Von  den  sechs  geheilten  Fällen  Averden  fünf  vorgestellt.  Rei 
drei  Fällen  von  Tibiaosteomyelitis  und  bei  einem  Falle  von  Osteo¬ 
myelitis  des  Radius  gelang  es,  in  höchstens  59  Tagen  vollständige 
Heilung  ohne  Nekrosenbildung  herbeizuführen.  Zum  Schlüsse 
demonstriert  Rubritius  noch  einen  besonders  scliAveren  Fall 
von  multipler  Osteomyelitis,  bei  welchem  primär  die  rechte  Tibia 
und  die  linke  Fibula  aufgemeißelt  Avurden;  trotz:  scliAverer  All¬ 
gemeininfektion  (Staphylokokken  im  Dlute)  gelang  es,  den  Fall 
durchzubringen,  bei  Avelchem  sich  im  Aveiteren  Verlaufe  noch 
eine  Osteomyelitis  des  rechten  Radius  und  des  linken  Humerus 
entAvickelte. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  rs.  Februar  1907,  7  IJbr  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof,  Dr,  E.  Lang  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Stabsarzt  Dr.  K.  Franz:  Demonstration. 

2.  Dr,  L.  Hofbauer :  Herzmuskelkraft  und  Kreislauf. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Dr.  C.  v.  Pirquet. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  reclitzelti^e  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermögiichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  iiocli  am  SitzmijcHabeuU  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Eschericli  Donnerstag  den  14.  Februar  1907,  um  7  Uhr 

abends,  statt. 

Vorsitz:  Dozent  Dr.  Zappert. 

Programm: 

I.  Demonstrationen. 

II.  Dr.  li.  Bieuenfeld:  Das  Verhalten  der  Leukozyten  in  der 
Serumkrankheit.  Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  18.  Februar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
Silzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsilz  des 
Herrn  Prof.  E.  Finger  statlfindenden  wissenscliaftlichen  Versammlung, 

Doz.  Dr.  E.  R.  y.  Czylilarz:  Die  neue  Behandlung  des  Morbus 
Basedowii. 


V.r»ntworlHch*r  Rddakteur:  Adalbert  Karl  Trupp.  VtrUg  ron  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 

Drnok  von  Bruno  Burtelt,  Wien,  XVIII.,  Theresiengasee  8. 


f 


Die 

,, 'Wiener  kllulsctie 
■Woclieiisclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nacli 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


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jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  21.  Februar  1907. 


Nr.  8. 


INH 

I.  Oi'iginalartikel :  1.  Erfahrungen,  Beobachtungen  und  Versuche 
im  Stau-  und  Saugverfahren.  Von  Dr.  Franz  Riedl,  Bad 
Ullersdorf,  Nordmähren. 

2.  Aus  der  Grazer  dermatologischen  Klinik.  (Interim.  Vorstand: 
Priv.-Doz.  Dr.  Leo  v.  Zumbusch.)  Zur  pathologischen  Histologie 
der  inneren  Organe  beim  Verbrennungstod.  Von  Dr.  R.  Pollan  d, 
I.  Assistenten. 

3.  Aus  der  II.  Chirurg.  Abteilung  der  k.  k.  Rudolfstiftnng.  (Vor¬ 
stand:  Primarius  Priv.-Doz.  Dr.  0.  Föderl.)  Zur  Kasuistik  der 
Pneumokokkenmetastasen.  Von  Dr.  Anton  v.  K  h  a  u  t  z  jun., 
Assistenten  der  Abteilung. 

4.  Aus  der  Prosektur  der  Landeskrankenanstalt  in  Brünn. 
(Prosektor  Doz.  Dr.  Karl  Sternberg.)  Ueber  eine  Fehlerquelle 
bei  der  Ferrocyankaliprobe  als  Eiweißreaktion.  Von  Dr.  Hugo 
S  c  h  m  i  e  d  1,  Marienbad. 

5.  Aus  dem  Institute  für  allgemeine  Pathologie  in  Graz.  (Vor¬ 
stand:  Prof.  R.  Klemensiewicz.)  Leitfähigkeitsbestimmungen  der 
Gleichenberger  Mineralwässer.  Von  Dr.  Johann  v.  Szaböky, 
ein.  Assistenten  der  kgl.  Universität  in  Budapest,  dz.  Kurarzt 
in  Gleichenberg. 


Erfahrungen,  Beobachtungen  und  Versuche  im 
Stau-  und  Saugverfahren. 

Von  Dr.  Franz  Riedl,  Bad  Ullersdorf,  Nordmähren. 

In  der  Heilkunde  dürfte  es  seit  langem  keine  so  für 
die  breitesten  Schichten  der  Allgemeinheit  hedeutungsvolle 
Beobachtung  und  geschickte  Nutzan-vvendiing  in  einem  ziel- 
be’wußten  Verfahren  gegeben  haben,  -wie  es  die  in  neuester 
Zeit  zur  vollen  Würdigung  gelangte  Stau-  und  Saugbehand¬ 
lung  ist.  Schon  die  Beobachtung  und  Bestätigung  der  Wir¬ 
kungsweise  an  Tierversuchen  läßt  es  uns  kaum  glaubhaft 
erscheinen,  wie  eine  so  natürliche  Maßregel,  auf  der  ein¬ 
fachsten  Beobachtung  fußend,  mit  so  logischem  und  klarem 
Erfolge,  daß  es  einer  besonderen  Begründung  fast  gar  nicht 
bedarf,  auf  so  weiten,  geradezu  mit  Irrtümern  gepflasterten 
Umwegen  erst  in  einer  durch  die  Lösung  der  schwierigsten 
Fragen  großen  Zeit  zur  Erkenntnis  gelangen  konnte.  Dies 
muß  um  so  mehr  wuudernehmen,  als  das  Verfahren  schon 
mehr  als  zehn  Jahre  durch  seinen  Entdecker  weit  bekannt 
war  und  damals  schon,  freilich  infolge  mangelhaften  Ver¬ 
fahrens  und  zu  wenig  augenfälligen  Erfolges  nur  als  Volks¬ 
und  Hausmittel,  Vorläufer  hatte. 

Immer  wieder  las  man  in  den  letzten  Jahren  von 
erfolgbelohnten  Versuchen  im  Stauungsverfahren ;  sie  be¬ 
trafen  aber  stets  zu  lange  dauernde  und  nicht  immer  ein¬ 
wandfreie  Fälle.  Auch  außer  diesen  veröffentlichten  machte 
sonst  einer  oder  der  andere  gelegentlich  eine  gute  Erfah¬ 
rung  damit,  aber  alles  blieb  im  ewigen  Zweifel  und  Vor¬ 
urteil  stecken,  bis  wir  uns  endlich  gegen  die  Gültigkeit 


ALT: 

II.  Referate:  Schwimmende  Sanatorien.  Von  Dr.  Karl  Diem  und 

Ernst  K a g e r b a u e r.  Ref. :  Dr.  A.  Hinterberger.  —  Die 
Behandlung  von  Kranken  durch  Suggestion  und  die  wahre 
wissenschaftliche  Bedeutung  derselben.  Von  Dr.  W.  Br ü gel¬ 
mann.  Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  des  Zentral¬ 
nervensystems  inklusive  der  allgemeinen  Neurosen.  Von 
Dr. H.  Determann.  Untersuchungen  über  Muskelzustände.  Von 
Prof.  Rieger.  Die  psychischen  Störungen  nach  Kopftraumen. 
Von  0.  K Ölpin.  Grundriß  der  Psychiatrie  in  klinischen  Vor¬ 
lesungen.  Von  Karl  Wernicke.  Ueber  Sprachverwirrtheit.  Von 
Dr.  Erwin  Stransky.  Die  Nervosität,  ihre  Ursachen,  Erschei¬ 
nungen  und  Behandlung.  Von  A.  Gramer.  Ueber  Neur¬ 
asthenie.  Von  E.  Jendrassik.  Die  gemeinnützige  Forschung 
und  der  eigennützige  Forscher.  Antwort  auf  die  von  Wilhelm 
Fliesz  gegen  Otto  Weininger  und  mich  erhobenen  Beschuldi¬ 
gungen.  Von.  Priv.-Doz.  Dr.  Hermann  Swoboda.  Ref.:  E.  Rai- 
mann. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


eines  geradezu  über  Nacht  erzielten  Erfolges  nicht  mehr 
wehren  konnten  und  mm  — ■  staunen  wir! 

Dieses  Verfahren  erstreckt  sich  auf  alle  durch  Infek¬ 
tionen  bedingte  akute  und  clironisclie,  örtlich  begrenzte  Ent¬ 
zündungen,  Abstoßung  toten  Gewebes  ohne  oder  mit,  allen¬ 
falls  nur  nebensächlicher,  Infektion,  wahrscheinlich  auch 
auf  Abstoßung  oder  Einschließung  steriler  Fremdkörper,  so 
daß  wir  darin  einen  hedeulenden  Teil  alltäglichster  und  ver¬ 
breitetster  Erkrankungen  inbegriffen  sehen.  Der  Wert  des 
Verfahrens  steht  über  jedem  Zweifel;  nur  die  Durchführbar¬ 
keit  und  Anwendungsweise  ist  noch  nicht  für  jedermann 
und  alle  so  einfach  und  volkstümlich,  daß  es  von  allen 
Aerzten  und  allen  Kranken  anfgenommen  und  glatt  erledigt 
werden  könnte.  Auch  die  Ergründung  der  Wirknngsursachen 
und  der  größtmöglichsten  Anwendungszweckmäßigkeit  ist 
zum  vollen  Aufbau  des  Verfahrens  noch  nötig. 

Vor  allem  sehen  wir  in  den  bisherigen  Berichten  — 
fast  alle  aus  Spitälern  und  Ambulatorien  —  stets  darauf 
hingewiesen,  den  Kranken  mit  Stauverfahren  nicht  aus  dem 
Auge  zu  lassen;  ja  es  wird  von  Bier  selbst  vor  Anßer- 
achtlassen  dieser  Vorsichtsmaßnahme  gewarnt;  und  auch 
das  Saugverfahren  stand  bisher  wohl  meist  unter  jedes¬ 
maliger  und  beständiger  Aufsicht  des  Arztes.  Stauungs¬ 
und  Saugverfahren,  insbesondere  ersteres,  rufen  oft  fast 
beängstigende  Erscheinungen  hervor,  deren  Bedenkenlosig¬ 
keit  noch  nicht  über  Zweifel  steht,  die  zur  Verallgemeinerung 
gewiß  noch  Hindernisse  bilden,  und  deren  unbedingte  Not¬ 
wendigkeit  in  solcher  Hochgradigkeit  noch  unerwiesen  war. 
So  ist  es  nicht  zu  verwundern,  daß  in  manchen  Berichten  die 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


JMeinuiig  auflaucht,  dieses  neue'  Verlalireii  vorläufig  nocli 
der  Erprobung  in  den  Spicalsainbulaforien  zu  überlassen, 
bis  es  für  eine  allgemeine  Durchführung  geeignet  wäre. 

Nach  einiger  Erfahrung  (210  Fälle)  will  ich  nehen  der 
Besprechung  der  Schwierigkeiten  hei  breiter  Durchführung 
der  Stau-  und  Saugbehandlung  und  deren  Ersichtlichkeil 
aus  angeführten  Belegen,  wie  mir  scheint,  geeignete  Vor¬ 
schläge  bringen,  die  ich  bei  Behandlung  von  Kranken  nach 
diesem  Verfahren  hefolgte,  ohne  jemals  eine  Beeinträchti¬ 
gung  der  bereits  anerkannten  vorzüglichen  Erfolge  beob¬ 
achtet  zu  haben.  Auch  Versuchsheobachtungen,  die  Ergrün¬ 
dung  der  Wirkung  betreffend,  werden  eingeflochten  sein. 

Die  Ambulatorien,  insbesondere  die  chirurgischen, 
denen  neben  Unbemittelten  Krankenkassenmitglieder  über¬ 
wiesen  werden,  sind  sicherlich  reichlich  mit  Arbeit  ver¬ 
sehen,  ebenso  jene  Aerzte,  denen  obiges  Krankenmaterial 
zufällt;  und  dieses  gerade  stellt  die  größte  Anzahl  der  in 
Betracht  kommenden  Erkrankungen.  Wenn  aber  Kranke, 
die  bisher  jedeti  zweiten  oder  dritten  Tag,  seltener  täglich, 
zum  Verbandwechsel  kamen,  oder  mit  Ohr-  und  Nasenleiden 
nur  zeitweilig  zur  Nachschau  erschienen,  fortan  täglich 
zwei-  bis  dreimal  behandelt  oder  nachgesehen  werden  sollen, 
bedeutet  dies  eine  große  Arheitshäufung,  die  kaum  durch 
die  Abkürzung  der  Behandlungsdauer  und  Verminderung 
der  Kosten  wettgemacht  w^erden  dürfte.  Und  was  für  eine 
Probe  würde  eine  längere,  regelmäßige,  mit  Zeitverlust  ver¬ 
bundene  Behandlung  für  die  im  vorhinein  ungeduldigen 
Kranken  bedeuten,  zumal,  wenn  sie  trotzdem  ihren  Unter¬ 
halt  zu  verdienen  oder  ihr  Hauswesen  zu  bestellen  be- 
müssigt  sind  oder  arbeitsfähig  ihrem  regelmäßigen  Berufe 
nachgehend  nur  früh  und  abeuds  zur  Behandlung  Zeit  finden, 
wo  weder  Amhulatorium,  noch  Arzt  behandeln  kann?  Was 
dann,  wenn  sich  hoch  in  den  Bergen  bei  stundenlangen, 
ungangbaren  Wegen  Arzt  und  Kranke  unmöglich  erforderlich 
regelmäßig  zusammenfinden  können?  Und  eine  Behandlung 
mit  derartigen  Erscheinungen,  die  wohl  nur  bei  kunstge¬ 
rechter  x4.usführung  des  Verfahrens  ohne  Nachteil  sein 
dürfte,  wie  uns  einige  bisher  mitgeteilte,  trotz  peinlichster 
Sorgfalt  mit  ungünstigem  Ausgange  durchgeführte  Fälle  be¬ 
weisen,  kann  doch  wohl  unter  den  hestehenden  Verhält¬ 
nissen  die  Besorgtheit  des  Arztes  nicht  herabsetzen.  Wenige 
ungünstig  ausgegangene  Fälle  würden  bedauerlichst  die  her¬ 
vorragende  Güte  des  Stau-  und  Saugverfahrens  vor  der 
breiten  Allgemeinheit  zu  deren  eigenem  Nachteile  in  Verruf 
bringen.  Bei  der  großen  ivlenge  der  Bedürftigen  wäre  dann 
das  Vorurteil  um  so  tiefer,  ein  geradezu  zur  Schau  wan¬ 
delnder  Mißerfolg,  wahrscheinlich  auch  ein  nur  zu  oft  un¬ 
gerecht  angerufener  Zeuge.  Um  so  mehr  muß  unser  Trachten 
dahin  gehen,  die  Wohltat  des  neuen  Verfahrens  den  breiten 
Massen  selbst  unter  den  ungünstigsten  Verhältnissen  und 
bedenkenlos  zuteil  werden  zu  lassen.  Der  Jubel  über  Chloro¬ 
form  und  Kokain  war  auch  groß  und  doch  kamen  wir  auf 
Aetherrausch  und  Schleich-Lösung  und  sind  noch  nicht  zu¬ 
frieden;  und  was  für  Bedenken  trafen  später  die  schnell 
entschlossenen  Chirurgen  im  serbisch-hidgarischen  und  bos¬ 
nischen  Kriege  zur  Zeit  zu  geringer  Beachtung  konservativ 
chirurgischer  Behandlung. 

Meine  Erfahrungen  erstrecken  sich  auf  210  Fälle  in 
einem  Zeitraum  von  IV2  Jahren,  so  daß  ich  auch  über  die 
Dauerwirkung  des  Verfahrens  bei  chronisch-entzündlichen 
Erkrankungen,  wie  es  insbesondere  die  tuberkulösen  sind, 
urteilen  zu  dürfen  glaube. 

Ich  hehandelte  mit  dem  Stau-  und  Saugverfahren: 

4  A])kappungeii  und  Abqaetschungeii  der  Finger,  6  Unter- 
schonkelgeschwüre,  2  Granulationsflächen  (l  an  der  Scliulter 
nach  Karbunkel,  1  an  der  großen  Zehe  nach  Erfrierung),  14  Fu- 
ruidadn  (2  Nacken,  1  Wange,  8  Unterarm,  1  Schulter,  1  Unter¬ 
schenkel,  1  Gesäß),  4  Karbunkeln  (3  Nacken,  1  Schulter), 
2  heiße  Abszesse,  10  Panaritien  (1  unterdrücktes),  22  Phleg¬ 
monen  (6  ünlei'arm,  6  Fuß,  1  Bauchdecke,  3  Gesäß  [Säuglinge!,, 
2  Unterscheidcel,  4  Hals),  20  Sehnenscheidenphlegmonen  (4Hand- 
jücken,  7  llohlhand,  9  Finger),  4  llotlauf  (l  Hand',  1  Ge¬ 
sicht,  1  Bein.  1  Gesäß),  10  Brustdrüseneiterungen,'  1  Drüsen¬ 
eilerung,  1  (dirige  'rrämmsackentzündung,  1  Abszeß  bei  Ekzc-in, 


1  Lymphgefäßenlzündung,  1  Fistel  nach  Verletzung  mit  Knochen¬ 
abgang,  2  Thrombophlebitiden  (1  große  Schamlippe,  1  Unter¬ 
schenkel),  22  tuberkulöse  Fisteln,  4  tuberkulöse  Abszesse  (2  Schul¬ 
ter,  2  Unterarm),  10  tuberknlöse  Drüseneiterungen,  19  tuber¬ 
kulöse  Beinhautentzündungen  (ö  Hand,  5  Finger,  4  Rippen, 
3  Fuß',  2  Unterschenkel),  1  Lupus,  1  Ellbogengelenkstuberkulose, 
5  Kieferbeinhautentzündungen  nacb  Zahnfäule,  2  Ekzeme,  4Slirn- 
höhleneiterungen,  3  Slinknasen,  10  hypertrophierende  Nasen¬ 
schleim  hau  tkatarrhe,  4  akute  Mittelohrentzündungen,  11  chro¬ 
nische  Mittelohrentzündungen,  3  Gehörgangsentzünduiigen. 

Ich  konnte  durchwegs  eine  günstige  Beeinflnssimg  des 
neuen  Verfahrens  auf  den  Krankheitsvorgang  feststellen, 
sofern  eine  richtige  Anwendimgsweise  Platz  fand.  In  einigen 
Fällen  dagegen  hatte  eine  unrichtige  Dosierung  der  Stauung 
oder  Saugung  bei  Zuviel  oder  Zuwenig  keine  ausreichende 
oder  ungünstige  Einwirkung.  So  konnte  ich  bei  der  Sau¬ 
gung  Nekrose  der  Wundränder  und  der  Reaktionszone  sehen, 
z.  B.  selbst  bei  Furunkelbehandlung  als  insbesondere  Schä¬ 
digung  des  Granulationsgewebes,  das  auch  durch  zu  starke 
und  dabei  zu  lange  Stauung,  bei  Bläuung,  benachteiligt 
wurde.  Hingegen  brachte  auch  zu  schwache  Stauung  nicht 
die  gewünschte  Schnelligkeit  des  Erfolges..  Im  allgemeinen 
sah  ich  bei  der  durchgeführten  Selbstbehandlung  der  Kran¬ 
ken  nach  dem  Stau-  und  Saugverfahren  mit  den  im  folgenden 
angegebenen  Abänderungen,  daß  die  Stauung  eher  zu  wenig, 
die  Saugung  mitunter  zu  stark  durchgeführt  wurde.  Zum 
Beispiel : 

H.,  Hausiererin  aus  Z.,  zwei  Stunden  weit,  zerfallender 
Karbunkel  auf  der  linken  Schulter;  angeordnet  dreimal  täglich  je 
eine  Viertelstunde  kurz  unterbrechende  Saugung,  bei  Granula¬ 
tionsbildung  abgeschwäcbt  fortzusetzen.  Nach  acht  Tagen  kam 
die  Kranke  wieder  und  klagte  über  Beschwerden  infolge  der 
Behandlung  und  Verschlechterung  der  Wundfläche.  Der  Augen¬ 
schein  ergab  eine  Vergrößerung  der  Wunde  auf  das  Doppelte, 
von  Kronen-  auf  Guldengröße,  nekrotisches  Granalationsgewebe 
wie  am  Grunde  eines  Unterschenkelgeschwüres,  grüngelbe  Zone 
der  Haut  ringsherum.  Also  offenbar  zu  starke  Saugung:  und  da¬ 
durch  bervorgerufene  Nekrose.  Nach  Belehrung  und  Lanolin- 
Vaselin  als  Deckung  der  zarten  Granulation  glatte,  entschieden 
beschleunigte  Heilung;  Ueberhäutung  in  zwölf  Tagen. 

S.,  Arbeitersgattin  im  Orte,  mit  Phlegmone  von  der  rechten 
Ferse  bis  zum  äußeren  Knöchel,  durch  Nageleintreten  vor  14  Tagen 
verursacht;  starke  Schmerzen  bei  Tag  und  Nacht  bis  gegen  das 
Knie,  Temperatur  37-8°.  Bei  Druck  auf  die  Gegend  unter  dem 
Knöchel  Eiterentleerung  aus  der  Einstichwunde  an  der  Sohle. 
Ohne  irgend  andere  Heilmittelunterstützung  verordnete  ich  Ab¬ 
binden  über  dem  Knöchel  mit  Kalikotbinde,  in  zwei  bis  drei 
Stunden  auf  eine  halbe  bis  eine  Stunde  aussetzend.  In  zwei 
Tagen  ließen  die  Schmerzen  nach,  in  acht  Tagen  die  Eiterung; 
in  14  Tagen  vollständige  Heilung.  Doch  traf  ich  die  Binde  bei 
der  Nachsicht  stauend,  aber  mitunter  zu  locker  angelegt,  sonst 
hätte  erfahrungsgemäß  die  Heilung  früher  erfolgen  müssen. 

Abweichend  vom  bisherigen  Verfahren  nahm  ich  die 
Stauung  nicht  mit  einer  Gummibinde  vor,  sondern  mit  einer 
gewirkten  oder  selbst  mit  einer  gewöhnlichen  engmaschi¬ 
geren  Kalikotbinde.  Dazu  veranlaßte  mich  zunächst  ein  gün¬ 
stiger  Versuch  vor  drei  Jahren,  den  ich  jedoch  bis  zu  den 
jetzigen  Behandlungen  unbeachtet  gelassen  hatte,  der  gute 
Erfolg  der  ersten  jetzt  durchgeführten  Fälle,  dann  aber 
auch  der  Tierversuch  und  die  übrigen  Beobachtungen,  wie 
ich  sie  unten  ausführen  werde,  die  mir  anzuzeigen  schienen, 
daß  es  sich  im  wesentlichen  um  Herbeiführung  einer  Erwei¬ 
terung  der  Gefäße  im  Herde  handelt,  die  wohl  durch  eine 
Abbindung  leicht  erzielt  werden  kann,  welche  jedoch  weder 
arteriellen  Zufluß,  der  ebenso  notwendig  scheint,  abschlie¬ 
ßen,  noch  die  ErnäJirung  des  Gewebes  durch  allzu  starke 
Stauung  behindern  darf. 

Aus  demselben  Grunde  kürzte  ich  die  Stauungsdauer 
von  20  bis  22  Stunden,  die  ich  bei  den  ersten  Fällen  an¬ 
wandte,  auf  kürzere  Fristen  von  zwei  bis  sechs  Stunden 
mit  einer  Unterbrechung  von  einer  halben  bis  einer  ganzen 
Stunde.  Die  Nacht  über  ließ  ich  häufig  ohne  Stauung  ver¬ 
streichen.  Insbesondere  legte  ich  auf  energischere, 
länger  dauernde  oder  später  in  ununterbrochener 
Folge  von  Stauungs-  und  kurzen  Ruheabschnitten  erfolgte 
1  Abbindung  in  der  ersten  Zeit  der  Behandlung  großen 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


213 


Wert,  bis  ich  aniielimen  konnte,  daß  die  Abinauernng  des 
Herdes  bereits  stattgefunden  hat.  Ich  setzte  jedoch  auch 
dann  noch  die  Stauung  fort,  weil  ich  durch  dieselbe  auf  das 
Wachstum  der  Granulationen  und  die  Wiederherstellung  des 
Verlustes  an  Gewebe  eine  günstige  Beeinflussung  wahr¬ 
nehmen  konnte,  wie  es  jene  Verletzungen  zeigen,  die,  ohne 
infiziert  zu  sein,  unter  Stauung  ein  günstigeres  Heilungs¬ 
ergebnis  darboten. 

A.,  Sägearbeiter,  mit  unregelmäßiger,  zerrissener  Abkap- 
pimg  des  halben  rechten  Daunienendgliedes  mit  Erhaltung  des 
Nagelgrundes,  vor  zwei  Tagen  durch  Kreissäge  erfolgt;  Wunde 
nekrotisch  zerklüftet  und  eiterig  belegt,  Knochen  mit  der  Sonde 
fühlbar,  Schmerzen  im  Unterarm,  Schwellung  des  ganzen  Daumens. 
Stauung  am  Unterarm  22  Stunden  (mit  Kalikotbinde).  Folgen¬ 
den  Tages  Schmerzen  geschwunden.  Danach  durch  vier  Tage 
Stauung  am  Daumen  selbst.  Nach  zwei  Tagen  Nekrosen  abge¬ 
gangen,  Wund  fläche  rein  und  schon  nach  sieben  Tagen  über¬ 
häutet;  nach  neun  Tagen  arbeitsfähig. 

Den  Ort  der  Anlegung  der  Stauungsbinde  wählte  ich 
nicht  zu  entlegen  vom  Entzündungsherd,  da  ich 
wieder  in  der  Beobachtung  des  unbeeinflußten  Ablaufes 
eines  Entzündungsherdes  den  Fingerzeig  zu  sehen  glaubte, 
daß  es  sich  im  wesentlichen  um  eine  Stauung  gerade  nur 
im  Gebiete  der  Entzündung  handelt,  wie  es  ja  schließlich 
auch  der  Erfolg  der  Behandlung  mit  Saugglocken  ersicht¬ 
lich  macht.  Ich  staute  also  Entzündungen  der  Hand  über 
dem  Handgelenke,  der  Fingerendglieder  am  Grunde  der 
Finger,  des  Fußes  über  den  Knöcheln,  und  älmlich.  Als 
Beispiel  nicht  ganz  zweckmäßiger  Behandlung  diene  folgen¬ 
der  Fall: 

Furunkel.  Bauer  im  Orte,  mit  beginnendem  Furunkel  an 
der  Vorderseite  der  unteren  Hälfte  des  rechten  Unterarmes  mit 
handtellergroßer  Infiltration  und  Schwellung  der  unteren  Uuter- 
armhälfte,  Lymphgefäß-  und  Lymphdrüsenentzündung  bis  in  die 
Achselhöhle;  Schmerzen  im  ganzen  Arm,  Temperatur  39-2^’. 
Stauung  mit  gewirkter  Binde  siebenmal  je  20  bis  22  Stunden. 
Besondere  Besseiaing  nicht  bemerkbar.  Darauf  Saugglocke  drei¬ 
mal  täglich  je  eine  halbe  Stunde.  Nach  zwei  Tagen  Abgrenzung 
und  Entfernung  des  Pfropfes.  Heilung  in  weiteren  zwei  Tagen. 

Der  Grad  der  Stauung  war  stets  iiur  bis  zur  Heiß- 
und  Rot  Stauung.  Nachteile  des  Abbindens  bei  richtiger 
Durchführung  fand  ich  nie,  dagegen  konnte  ich  die  Schmerz¬ 
losigkeit,  von  der  die  meisten  bisherigen  Veröffentlichungen 
sprechen,  nicht  immer  erreichen,  sondern  nur  dann,  wenn 
die  Stauung  stark,  aber  nicht  zu  stark,  war  und  an  einer 
Stelle  stattfand,  wo  ich  einen  Druck  auf  alles  umfaßte  Ge¬ 
webe,  also  auch  die  durchlaufenden  Nerven,  annehmen 
konnte,  insbesondere  dort,  wo  kein  oder  nur  ein  Knochen 
das  Gewebe  durchzog.  Eine  Hohlhandphlegmone  war  bei 
Stauung  am  Oberarm  schmerzlos,  ober  der  Handwurzel  da¬ 
gegen  —  bei  offenem  Zwischenknochenraum  —  oft  von 
empfindlichen  Schmerzen  begleitet,  im  Entzündungsablauf 
jedoch  günstiger  beeinflußt.  Immer  jedoch  war,  auch  bei 
der  Saugbehandlung,  wenn  nicht  sofortige,  so  doch  baldige 
Schmerzlinderung  feststellbar. 

Die  Saugglocken  wählte  ich  nicht  zu  klein  oder  sog 
mehrmals  im  Kreise,  immer  konzentrischer,  gegen  den  Enl- 
zündungsherd,  meistens  drei-  bis  viermal  täglich,  eine  Viertei¬ 
bis  eine  halbe  Stunde  lang,  mit  kurzen  Unterbrechungen  von 
einer  bis  drei,  höchstens  fünf  Minuten.  Ich  war  damit  stets 
zufrieden  und  konnte  insbesondere  eine  rasche  Abstoßung 
des  toten  Gewebes  sehen,  wenn  ich  auch  eine  durch  zu 
starke  Saugung  hervorgerufene  Schädigung  und  dadurch 
bedingten  Zerfall  mit  folgender  neuer  rotlaufartiger  Infil¬ 
tration,  die  jedoch  niemals  Folgen  brachte,  nicht  verschwei¬ 
gen  darf.  Zerfall  von  Granulationen  rief  übrigens  auch  zu 
starke  und  zu  lange  Stauung  hervor,  doch  selten,  wie  ich 
schon  oben  erwähnt  habe. 

Was  das  operative  Angehen  der  Entzündungsherde 
betrifft,  verhielt  ich  mich  verschieden.  Bei  akuten  Entzün¬ 
dungen  machte  ich  die  Erfahrung,  daß  die  möglichst 
rasche  Eröffnung  eines  bereits  Eiter  enthaltenden  Herdes 
unter  jeder  Bedingung  günstig  wirkte,  wenn  es  mir  auch  in 
einzelnen  Fällen  gelang,  ohne  Eröffnung  den  Eiter  durch 
die  Staubehandlung  abzutöten  oder  mitunter,  wo  er  sicher 


bereits  bestand,  wenn  vielleicht  auch  nur  in  geringer  Menge, 
zur  Aufsaugung  zu  bringen. 

Die  Oeffnungen  machte  ich  sehr  klein,  wählte  aber 
immer  jenen  Teil,  welcher  der  Selbsteröffnung  am  nächsten 
war,  um  nicht  zu  viel  für  die  Erzeugung  von  Granulation 
brauchbares  Gewebe  zu  zerstören  und  durch  Gefäßtren¬ 
nungen  Umlaufsbehinderungen  zu  verursachen.  Ich  wandte 
niemals  Desinfektionsmittel  an  oder  doch  nur  kaum 
nennenswert  schwache  Lösungen,  weil  mir  die  da¬ 
durch  verursachte  Schädigung  des  zarten  Granulations¬ 
gewebes  entschieden  ungünstig  zu  wirken  schien  und  ich 
übrigens  von  ihnen,  deren  Wirkung  meist  auf  Eiweißgerin¬ 
nung  beruht,  eine  gleiche  Beeinträchtigung  der  Bakterien 
aber  auch  Gewebe,  also  keinen  tatsächlichen  Gewinn,  vor¬ 
aussetzen  konnte.  Aus  demselben  Grunde  wählte  ich  nie¬ 
mals  stark  imprägnierte  oder  mit  zu  scharfen  Desinfektions¬ 
mitteln  getränkte  Gaze  zu  Tamponaden.  Diese  letzteren 
wieder  führte  ich  nicht  zur  vollständigen  Aus¬ 
stopfung  des  Hohlraumes  durch,  sondern  beschränkte 
mich  auf  eine  bloße  Dochtung  oder  selbst  nur  Offen¬ 
haltung  des  Ausganges. 

Ich  verband,  um  durch  Austrocknung  der  herausge- 
dochteten  Flüssigkeit  und  Krustenbildung  und  dadurch  her¬ 
vorgerufenen  Abschluß  die  vielleicht  sogar  künstlich  er¬ 
zeugte  Herdöffnung  nicht  wieder  gleichgültig  zu  machen, 
stets  den  Herd  mit  einem  feuchten  Verbände,  den  ich 
nur  mit  gänzlich  harmlosen  Lösungen,  wie  dünnem 
Borsäurewasser  oder  meistens  sterilem  destillierten  Wasser 
oder  physiologischer  Kochsalzlösung,  befeuchtete. 

Der  Deckverband  lag  stets  locker,  um  so  mehr,  als 
man  bei  Durchführung  der  Stauung  auf  eine  Schwellung 
bedacht  sein  mußte,  die  durch  den  Verband  in  ihrer  Wirk¬ 
samkeit  nicht  eingeschränkt  werden  durfte. 

Anfangs  machte  ich  mitunter  ebenso  kleine  Gegen¬ 
öffnungen,  doch  waren  manche  sicher  überflüssig  und  ich 
unterließ  sie  später  ohne  Nachteil. 

Die  in  der  Tiefe  der  Oeffnung  sichtbaren  weißen 
Flocken,  die  abgestoßenes,  nicht  verflüssigtes  Gewebe  dar¬ 
stellten,  zog  ich  mitunter  in  weit  größeren  Klumpen,  als  daß 
sie  leicht  oder  ganz  durch  dje  kleine  Herdöffnung  durchzu¬ 
bringen  gewesen  wären,  mit  der  Hakenpinzette  heraus. 

Ich  sah  überhaupt  in  den  meisten  Fällen  nicht  sehr 
viel  Eiter,  wenn  ich  von  den  Brustdrüseneiterungen  absehen 
will;  in  den  meisten  Fällen  vollzog  sich  die  Heilung  mit  Ab¬ 
stoßung  des  Gewebes  in  Klumpenform.  Nur  sehr  starke, 
vollkommene  (um  einen  Knochen  stattfindende)  Stauung 
schien  eine  stärkere  und  raschere  Verflüssigung  zu  bewerk¬ 
stelligen,  ohne  jedoch  eine  schnellere  Heilung  zur  Folge 
zu  haben.  Dagegen  boten  aber  auch  die  Mastitiden  den 
besten  Beweis  von  Infiltrations-  und  Eiterrückgang  durch 
S  tauungsbeeinflussung. 

Brustdrüsenentzüiidung.  N.,  Gastwirtin,  an  beiden  Brüsten 
erkrankt;  eine  von  selbst  geöffnet,  die  andere  wird  kurz  einge- 
sobnitten;  an  ersterer  eine,  an  letzterer  zwei  Fluktuationen, 
bleiben  uneröffnet ;  große  Schmerzen ;  Saugglocke  zweimal  täg¬ 
lich  je  eine  Stunde.  Nach  drei  Tagen  schmerzlos;  Fluktuationen 
gehen  zurück,  Wunden  geschlossen  nach  fünf  und  zwölf  Tagen. 
Infiltration  geschAvunden  nach  drei  Wochen.  Selbstbehandlung, 
Nachsicht  jeden  zAveiten  bis  siebenten  Tag. 

H.,  Fabrikarbeitersfrau,  erschien  vor  acht  Monaten  mit  an 
einer  Stelle  fluktuierender  Mastitis,  verweigerte  Eröffnung  luid 
kam  nicht  mehr  wieder.  Behandelte  sich  mit  Hausmitteln,  worauf 
im  Wechsel  von  Besserung  und  Verschlimmerung  drei  Selbst¬ 
öffnungen  entstanden  und  ein  artefizielles  Ekzem;  des  Warzen¬ 
hofes  und  seiner  nächsten  Umgebung.  Kommt  nun,  um  endlich 
los  zu  werden.  Die  letzte  Oeffnung  und  das  Ekzem  bestehen 
noch,  desgleichen  eine  faustgroße  Infillration  der  Drüse ;  Schmer¬ 
zen.  Saugglocke  zweimal  täglich  je  drei  Viertelstunden.  Selbst- 
behandhing;  jeden  zweiten  bis  vierten  Tag  Nachsicht.  Schmerzen 
am  nächsten  Tage  geschwunden,  Wunde  in  zwei  Tagen  rein, 
in  vier  Tagen  geschlossen;  Infiltration  und  Ekzem  in  16  Tagen 
geschwunden.  Acht  Monate  krank,  dann  in  16  Tagen  gesund, 
was  sie  seither,  ein  Jahr,  geblieben  ist. 

L.,  Bauersfrau  in  S.,  drei  Stunden  weit.  Vor  vier  Wochen 
wurde  anderwärts  nach  alter  Methode  Brustdrüsenabszeß  ge- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  8 


J  \  '± 

I 

üITiiet,  daiauf  Jjis  zur  1-08111011011  Inl'iltraUüii  iiacli  und  nach  Uosso- 
ruug.  Hoi  Erkrankung  dor  zweilon  Hrusldrüso  Einstich  nieinor- 
soits,  Saugglocko  Uiglicli  zweimal  je  eine  Stunde.  Selbstbehand¬ 
lung  mit  zwei  Nachsiebten.  Zwei  nicht  eröft'nete  Fluktuationen 
gingen  zurück.  Schmerzen  nach  vier  Tagen,  Eiterung  nach  zehn 
Tagen  geschwumlen.  Vollständige  Heilung  fler  Intiltration  nach 
vier  Wochen.  Selbstheliandlung  nach  Schwinden  der  Schnierzeii 
nachlässig. 

H.,  Arbeitersgal  tin  mit  vollständig  verhärteter  Hrustdrüse; 
keine  Fluktuation.  Saugglocke  täglich  dreimal  eine  halbe  Stunde 
mit  zwei  bis  diei  Winuten  Unterbrechung;  nach  48  Stunden 
kleiner  Einstich  außenseitlich  des  Warzenliofes,  mit  Eiterent¬ 
leerung.  Zwei  andere  fluktuierende  Stellen,  sowie  Infiltration 
fler  ganzen  Drüse  schwinden  nach  elf  Tagen.  Die  sehr  heftigen 
Schmerzen  waren  nach  24  Stunden  beseitigt..  . 

\V.,  Friseursgattin  in  P.,  eine  Stunde  weil,  erscheint  mit 
einer  schon  mit  Saugglocke  behandelten  Brustdrüsenentzündung 
und  wird  nach  standesordnungsgemäßer  Hegel ung  der  Sachlage 
von  mir  übernommen.  Sie  gibt  an,  die  Schmerzen  hätten  (lurch 
die  Glockenbehandlung  zugenomnien  und  nun  sollte  sie  nochmals 
geschnitten  werden,  wa.s  sie  vermeiden  wolle.  An  der  jechten 
Brustdrüse,  außenseitig  dei-  Warze,  Wunde  und  durch  dicke  Granu¬ 
lationen  verschlossene  Oeffnung;  innenseitig  am  oberen  Drüsen¬ 
rande  tauheneigroße,  geschwollene  und  gerötete  Fluktuationsstelle. 
Einführung  eines  kurzen  Drains  zur  Offeidialtung  der  Eiterhöhle 
und  längere  stärkere  Saugung,  dreimal  täglich,  beseitigt  in  zwölf 
Stunden  die  Schmerzen  und  bringt  in  zehn  Tagen  Heilung  mit 
Aufsaugung  des  obigen  Eiterherdes. 

Bei  den  tuberkalösen  Entzündungen  schien  mir  die 
Saugbehandlung  weit  günstiger  zu  wirken,  weil  es  mir  vor¬ 
kam,  daß  die  Staiumg  zu  wenig  wirksam  wäre,  insofern, 
als  es  nicht  rasch  genug  möglich  wäre,  das  tote  oder  lehens¬ 
schwache  Gewebe  ahstoßen  and  dann  innerhalb  des 
Herdes  die  Bazillen  auslumgern  zu  können.  Da  insbe¬ 
sondere  hei  tuberkalösen  Vorgängen  durch  die  zu  lange 
Dauer,  ungenügende  Ernährang  und  immerwährende  Neu¬ 
schädigung  das  Granulationsgewehe  ungesand  wuchert,  ins¬ 
besondere  wenn  eine  Eröffnung  stattfindet  oder  eine  zu 
starke  Oeffnung  besteht,  saugte  oder  staute  ich  den  un- 
eröffneten  Herd  so  lange,  bis  ich  annehmen  konnte,  es  hätte 
sich  das  Gewebe,  das  unbedingt  verloren  ist,  genügend  ab¬ 
gestoßen  und  günstiges  Granulatiohsgewebe  eingefunden. 
Das  bestand  meist  bei  derber  gewordenem,  lappig  sich  an¬ 
fühlenden,  kalten  Abszeß.  Ich  konnte  dann  auch  nach 
kleinem  Einschnitt  mit  der  Hakenpinzette  oft  den  ganzen 
Herd  in  Ge  websfetzen  herausziehen,  um  eine  glatte  Höhle 
zu  finden,  die  sich  bei  Fortsetzung  der  Behandlung  rasch 
bis  auf  eine  Fistel  wieder  schloß. 

Rippen! uberkulose.  K.,  Maurer,  der  seine  Arbeit  ununter¬ 
brochen  gut  versah,  mit  hühnereigroßem  tuberkulösen  Herd  reebts 
an  der  siebenten  Rippe.  Dreimal  täglich  Saugung  eine  halbe 
Stunde.  Nach  drei  Wochen  Einstich  und  Herausziehen  des  toten 
Gewebes.  Die  Höble  schlaff,  vollkommen  mit  Granulationen  aus¬ 
gekleidet,  'schließt  sich  in  vier  Wochen.  Die  Fistel  ist  in  vier 
Monaten  vollständig  geheilt.  Seither,  acht  Monate,  keine  Rück¬ 
fälle;  Befinden  sehr  gut. 

St.,  Fabriksarbeiterin.  In  einem  Spitale  wurde  die  Kranke 
durch  breite  Eröffnung  und  Auskratzung  einer  Tuberkulose  der 
zweiten  rechten  Rippe  gebessert.  In  der  genähten  Schnittnarbe 
nach  fünf  Monaten  acht  tuberkulöse  Fisteln;  die  achte  Rippe 
derselben  Seite  bei  meiner  Uebernahnie  auch  mit  hühnereigroßem 
Herde  erkrankt.  Saugen  dreimal  täglich  je  eine  halbe  Stunde; 
Eröffnung  nach  drei  Wochen,  Herausziehen  des  toten  Gewebes; 
Heilung  der  Fistel  in  drei  Monaten.  Heilung  der  Fisteln  der  ersten 
Operationswunde  in  zwei  bis  sechs  Wochen.  Ein  dritter  Herd 
über  der  ersten  Rippe  grenzte  sich,  ohne  zu  verflüssigen,  ein¬ 
schließlich  der  Haut  guldengroß  ab  und  wurde,  scharf  gegen 
das  Gesunde  abgegrenzt,  mit  Sonde  und  Pinzette  geschieden  und 
entfernt.  Höhle  und  Fistel  in  acht  Wochen  geheilt.  Seit  einem 
halben  Jahre  ausgezeichnetes  Befinden  ohne  jeden  Rückfall.  Die 
Kranke  behandelte  sich  selbst  und  stand  neben  ihrem  Haushalte 
von  6  Uhr  früh  bis  6  Uhr  abends  bei  anstrengender  Arbeit 
im  Fabriksdienste. 

Nur  in  solchen  Fällen,  avo  ich  schon  im  Herde  neben 
Flüssigkeit  bereits  Granulationsgewehe  vermutete,  ließ  ich 
durch  kleine  Fistellegung  den  meist  serösen  Eiter  gleich 
eingangs  der  Behandlung  abfließen. 


Z.,  Gastwirt  in  B.,  cdne  Stunde  weit,  Tuberkulose  dei- 
Beinhaut  des  dritten  Mitlelbandknochens  am  Fingerende,  wurde 
in  einem  Spitale  mit  Jodoformeimdsioneinspritzung  behandelt. 
Daraufhin  infolge  lebhafter  Granulalionsw'ucherung  Vergrößerung 
der  Geschwulst  zu  Halbhülmereigröße  und  Verflüssigung  an  der 
Kuppe.  Wird  in  diesem  Zustande  vom  hiesigen  Kollegen  am 
3.  April  1904  zu  mir  gebracht.  Am  9.  April  breiter  Einsclmitt, 
Beiseileschiebung  der  Sehne,  die  im  kranken  Gewebe  steckte 
und  Auskratzung  alles  Erkrankten  (auch  Knochen).  Jodoform¬ 
tamponade.  Erfolg  ungenügend,  da  stets  schwammige  Granu¬ 
lationen,  trotzdem  sie  zweimal  ausgekratzt  worden  waren,  )iach- 
wucherten  und  die  Erkrankung  am  Knochen  höher  hinaufstieg. 
Da  bis  14.  Juni  (zwei  Monate)  wieder  die  Granulationen,,  so 
auch  der  Herd  selbst  größer  waaren  als  hei  der  letzten  Auskratzung, 
beschtoßi  ich  das  damals  schon  bekannte  Stauungsverfahren  nach 
Bier  anzuw'enden.  Ich  staute  der  großen  Entfernung  des  Kranken 
wegen  vorsichtshalber  geringgradig  und  nur  mit  Kalikotbinde  am 
Unterarm  u.  zw.  von  einem  zum  anderen  Verbandwechsel  (zw-ei 
bis  drei  Tage)  ununlerbrocben.  Allerdings  ließ  die  Stauung  iureb 
Nachgiebigkeit  der  Binde  ehvas  nach,  bestand  aber  stets  noch 
beim  Verbandwechsel  mit  mäßiger  Schwellung.  Wie  waren  wir, 
Kollege  und  ich,  erstaunt,  nach  drei  Wochen  den  Herd  vollständig 
abgeheilt  zu  sehen.  Gebrauchsfähigkeit  war  vollkommen  unein¬ 
geschränkt.  Nach  einem  Jahre,  jetzt  vor  IV2  Jahren,  schnitt 
ich  eine  seither  eidstandene  Hauttuberkulose  in  der  Narbe  (zwmi- 
hellergroß)  und  eine  ebensolche  von  Guldengröße  im  Zwischen¬ 
fingerraum  des  Daumens  derselben  Hand  aus.  Nach  glatter  Heilung 
bis  im  letzten  September,  also  1906,  nichts  Krankhaftes  an  der 
Hand  bemerkbar.  Damals  wieder  laubeneigroße  Schwellung  der 
Stelle  des  früheren  Krankheitsherdes,  mit  Schmerzen  bei  Druck 
und  FingerbeAvegung.  Daraufhin  Stauung  mit  gewirkter  Binde. 
Zunächst  Vergrößerung  der  Gesclnvulst  und  Schwammigvverden 
(Ga-anulation),  dann  Selbstöffnung  mit  verschwindendem  serösen 
Abgang;  vollständige  Heilung  ohne  geringsten  Eingriff  oder  Heil- 
mittelaiiAvendung,  nur  mit  Wirkbindenstauung.  Mitte  Dezember 
1906,  also  nach  vier  Monaten:  Allgemeinbefinden  stets  gut;  keine 
Berufsstörung  trotz  der  ungünstigen  Verhältnisse  für  solche  Er¬ 
krankungen  beim  Wirtsgeschäfte. 

N.  in  W.,  Werkführer,  IVi  Stunden  w^eit,  mit  tuberkulöser 
Beinhautentzündung  des  ersten  rechten  Mittelfingergrundgliedes. 
Einschnitt  anfangs  Juni  1905;  bei  Jodofornitamponade  Heilung 
der  Wunde  bis  auf  die  derbe  Schwellung  in  vier  Wochen.  Dann 
Jodtinkturpinselung.  Die  SchAvellung  AAÜrd  jedoch  größer,  es  ent¬ 
stehen  zAvei  Fisteln.  Seit  Mitte  November  stete  Stauung  mit  ge¬ 
wirkter  Binde,  geringgradig  bis  zu  leichter  Schwellung,  hochgradig 
nur  früh,  mittags  und  abends  je  eine  Stunde,  da  der  Kranke 
seinen  Dienst  \mrsehen  muß,  der  andere  Arm  aber  seit  20  Jahren 
(Schlotterhruch  des  Oberarmes)  gebrauchsunfähig  ist.  Jetzt  Fisteln 
fast  geschlossen,  ScliAvellung  zurückgegangen,  Heilung  bevor¬ 
stehend. 

Fisteln  sog  ich  in  nicht  zu  kleinem  Umfange,  Avählte 
daher  meist  verhältnismäßig  größere  Glocken. 

Hier  sei  auch  ein  Fall,  der  seit  drei  Monaten  eben 
wieder  zur  Nachsicht  kommt  und  mich  staunen  läßt,  niit- 
geteilt.  Er  betrifft  eine  Tuberkulose  des  Mittelhandknochens 
des  rechten  Zeigefingers,  die  einen  eitrigen  Herd  gesetzt 
hatte,  der  ungeöffnet  unter  Wir  khindenstauung 
vollständig  verscliAvunden  ist. 

H.,  Kaufmannsgattin  aus  M.-T.,  erschien  im  Juli  1906  mit 
Tuberkulose  des  rechten  Zeigefingermittelhandknochens,  welche 
den  halben  Handrücken  bis  einscbließilich  des  Daumenballens 
in  eine  apfelgroße,  stark  und  oberflächlich  fluktuierende,  gerötete 
GeschAvulst  verwandelt  batte,  die  schon  seit  iVr  Jidiren  immer 
zunehmend  bestand.  Außerdem  alte  Pleuritis,  Apizitis  und  fünf¬ 
kronenstückgroßer  Lupus  am  linken  Oberarm  und  beginnender 
kalter  Abszeß  des  linken  äußeren  Fußknöchels.  Ich  verordwete 
Abbinden  der  Hand  über  der  HandAvurzel  mit  gewirkter  Binde, 
zAveimal  täglich  je  zAvei  Stunden,  des  Fußes  mit  stellbarem  Gummi¬ 
band  nach  Bier,  von  Eschbaum  bezogen  und  Saugglocke  auf 
den  Lupus.  Nach  2V2  (Monaten  Avar  die  in  der  Zwischenzeit  an- 
geschAvollene,  heißgewordene,  daher  auch  schmerzende  Geschwulst 
gleich  geblieben,  ließ  nur  an  einzelnen  Orten  neben  Fluktuation 
derbere  Stellen  tasten;  Lupus  war  besser;  Fuß  ohne  Veränderung. 
Die  Ungunst  des  Wetters,  Weite  der  Bahnfahrt  und  Lungenver¬ 
schlechterung  gestatteten  erst  jetzt  nach  drei  Monaten  neuerliche 
Nachsicht.  SchAvellung  in  der  Hand  vollständig  ge- 
s  c  h  Av  u  n  d  e  n,  dafür  in  der  Tiefe  derbes,  0  f  f  e  n  1)  a  r  narbiges 
GeAvebe  tastbar,  das  bei  vollständig  normaler  Haut  eine  Ein¬ 
schränkung  der  DaumenbeAvegliclikeit  bedingt;  Lupus  bei  weitem 
besser,  FußgeschAvulst  vergrößert;  Lungenspitzen  kränker. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


215 


Was  die  verwendeten  Binden  und  Apparate  und  ihre 
Zweckmäßigkeit  betrifft,  habe  ich  schon  von  den  Staubinden 
erwähnt,  daß  ich  stets  mit  Wirk-  und  Kali  kotbinden 
oder  in  improvisierten  Fällen  mit  irgendwelchen  Stoffstreifen 
vollständig  mein  Auslangen  gefunden  habe. 

F.,  Kutschersgaitin  in  Th.,  eine  Stunde  weit,  mit  Phlegmone 
über  der  linken  Achillessehne,  seit  sechs  Tagen,  sehr  schmerz¬ 
haft  bis  zum  Knie,  mit  Schwellung  des  ganzen  Fußes,  ins¬ 
besondere  der  Knöchelgegend,  durch  Schuhdruck  verursacht.  Fän- 
stich  auf  der  Höhe,  Eiterabgang,  Höble  nach  beiden  Seiten  der 
Achillessehne  3  bis  4  cm  sondier])ar.  Mangels  eines  anderen 
Behelfes  Stauung  mittels  weichen  Leinwandstreifen  über  den 
Knöcheln,  nach  zwei  bis  drei  Stunden  auf  eine  Stunde  unter- 
brecheml.  Uebernächsten  Tages  der  ganze  Herd  höchstens  guldeii- 
groß,  Oeffnung  klein;  in  vier  Tagen  vollständig  geheilt,  davon 
drei  Tage  gestaut,  nachts  nicht;  die  Stauung  soll  anfangs  ge¬ 
schmerzt  haben. 

Dagegen  war  ich  bei  der  allgemein  abgewickelten 
Durchführung,  wobei  der  Kranke  sich  zum  Teil  in  Selbst- 
behandlung  befand,  mit  den  Saugglocken  und  ihrer  Armie¬ 
rung  nicht  immer  zufrieden.  Saugglocken  ohne  Eiterhehälter 
mit  zuviel  Leisten  und  Einsprüngen  schienen  mir  nicht 
zweckmäßig,  da  die  Reinigung  behindert  war.  Auch  ein¬ 
springende  Glasröhrchen  mit  Ansatz  von  Drainröhrchen 
schienen  mir  durch  gewöhnliche,  auf  die  Haut  mit  Heft- 
sl reifen  befestigte  Drainröhrchen  und  einfache  Glocken  er¬ 
setzbar  und  in  der  Handhabung  entschieden  leichter, 

Ganz  besonders  aber  konnte  ich  mich  mit  den  Gummi- 
hällen  und  Gummischläuchen  nicht  befreunden,  denn  sie 
waren  die  denkbar  besten  Infektionsträger,  sobald  sie  den 
Kranken  überlassen  waren,  konnten  dann  ohne  Schädigung 
nicht  mehr  gereinigt  werden,  waren  meistens  für  den  un¬ 
gelenken  Gebrauch  durch  den  Kranken  viel  zu  zart  und 
wurden  zu  sehr  verbraucht,  erhöhten  die  Kosten  zu  stark, 
wenn  diese  aüch  durch  Verband  und  Zeitersparnis  wett- 
geniacht  wurden.  Die  Auslage  hei  Ankauf  durch  den 
Kranken  hätte  derselbe  oft  genug  nicht  oder  nur  schwer 
tragen  können,  sO'  daß  ein  solcher  Apparat  nicht  für  die 
Verallgemeinerung  einer  Methode  beitragen  kann.  Insbe¬ 
sondere  war  es  auch  mit  den  Gummiballen  nicht  oder  schwer 
möglich  oder  nur  mit  den  allzu  filigranen  Ventilballons, 
die  Stauung  abzustufen,  ganz  besonders  dann,  wenn  dickere 
und  steifere  Ballons  Verwendung  fanden,  die  ihrer  Dauer¬ 
haftigkeit  wegen  allerdings  vorzuziehen  gewesen  wären. 
Wenige  Ballons  mit  vielen  Ansätzen  oder  mit  Vorrichtungen 
zum  Abnehmen  versehene  sind  überflüssig  und  unpraktisch, 
sobald  sich  der  Kranke  in  teilweiser  Sell)sthehandlung  be¬ 
findet,  weil  die  Gebarung  für  ihn  nicht  so^  einfach  ist.  Der 
Arzt  würde  freilich  der  geringeren  Anschaffungskosten 
wegen,  da  er  nur  wenige  solche  Ballons  benötigen  würde, 
gern  zugreifen,  muß  davon  jedoch  absehen,  weil  er  unmög¬ 
lich  den  Kranken  jedesmal  zur  Sitzung  in  sein  Haus 
kommen  lassen  kann.  Er  muß  daher  über  eine  größere 
Anzahl  dauerhafter,  leicht  desinfizierbarer 
Saugapparate  verfügen,  soll  er  für  Erfolg  und  Verall¬ 
gemeinerung  dieses  wohltätigen  Verfahrens  wirken. 

Ich  würde  daher  einem  kurzen  Gummischlauch,  den 
man  an  die  Glasglocke  setzt  und  nach  jedesmaligem  Ge¬ 
brauch  oder  zumindest  nach  zu  Ende  geführtem  Falle  ver¬ 
brennen  kann,  ohne  auf  die  geringeren  Kosten  achten  zu 
müssen,  das  Wort  reden.  Diesem  Schlauche  wäre  eine  Säug¬ 
pumpe  anzufügen,  die  möglichst  einfach  zerlegbar 
und  leicht  desinfizierhar  sein  müßte;  insbesondere 
in  ihren  Ventilen  gut  zu  gebrauchen,  mit  genügend  starker 
1*’eder  versehen  oder  auch  ohne  dieselbe,  böte  sie  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  Dosierung  und  gleichmäßigen  Erhaltung  der 
Stauung  durch  beliebige  Wiederholung  des  Pumpens  und 
wäre  dabei  die  denkbar  dauerhafteste  Vorrichtung.  Wir 
müssen  also,  um  zusammenzufassen,  unser  iVugenmerk 
hauptsächlich  auf  Glocken  legen,  die  dem  Körperteil  leicht 
anleghar  sind,  durch  ein  kurzes  Gummischläuchchen  mit 
einer  im  obigen  Sinne  brauchbaren  Säugpumpe  verbunden 
werden  können.  Letztere  sind  mir  in  befriedigender  Aus¬ 
führung  bisher  noch  nicht  zu  Gesicht  gekommen. 


Dann  wäre  es  für  jeden  Arzt  leicht  möglich,  ohne 
auf  allzuviel  birsatz  zugrunde  gerichteter  Apparate  bedacht 
sein  zu  müssen,  mit  einer  verhältnismäßig  kleinen  Anzahl 
eine  einmalige  Beschaffung  bedeutender  Säugpumpen,  also 
mit  geringen  Kosten,  sein  Auskommen  zu  finden. 

In  dieser  Art  vorgehend,  hat  sich  mir  die  auffallendste 
Einflußnahme  der  Blutstauung  auf  den  Ablauf  von  Entzün¬ 
dungen  etwa  in  folgenden  Erscheinungen  am  besten  zur 
Beobachtung  geboten.  Vor  allem  merkte  ich  einen  baldigen 
Stillsland  der  Entzündung,  so  daß  ich  nach  der  verhältnis¬ 
mäßig  großen  Anzahl  von  Beobachtungsfällen  geradezu  fest¬ 
legen  möchte,  daß  man  mit  großer  Sicherheit  darauf  rechnen 
kann,  den  Herd  mit  Beginn  der  Stauungshehandlung  auf  die 
zu  dieser  Zeit  bestehende  Ausbreitung  beschränken  zu 
können,  insofern,  als  jenes  Gewebe,  welches  im  Entzün¬ 
dungsherd,  nicht  mehr  leben s-  und  erholungsfähig  ist,  un¬ 
bedingt  verloren  geht,  das  andere  aber  sich  erholt,  den 
Verlust  ersetzt  und  die  Heilung  zur  möglichst  folgenlosen 
Wiederherstellung  bewirkt. 

H.,  Fabriksarbeiter,  Sehnenscheideiientzüiidimg  der  Holil- 
harid;  Phlegmone  vom  rechten  Mittelfingergrundgliede  ausgehend. 
Schwellung  der  ganzen  Hand.  Temp.  38-7,  LymphgefälP  und 
Lymphdrüsenentzündung  am  ganzen  Arme,  bezüglich  in  der  Ell¬ 
bogen-  und  Achselbcuge;  tiefer  Einstich  oberhalh  des  Mittelfinger¬ 
grundgliedes,  Eiterabgang  auf  Druck  in  der  Hohlhand.  Abbinden 
mit  Wirkbinde  je  sechs  Stunden  mit  einer  Stunde  Pause,  nachts 
längere  Ruhe.  Ueberflüssige  Gegenöffnung  am  Handrücken  am 
zweiten  Tage  entleerte  nur  Blut,  wenn  auch  die  Sonde  durch 
Granulationen  zur  Handtelleröffnung  führte.  Nach  vier  Tagen 
Eiterung  nach  Abstoßung  von  Gewebsfetzen  zu  Ende,  nacli  sieben 
Tagen  Heilung,  am  elften  Tage  Wiederaufnahme  der  Arbeit.  Stau¬ 
ung  zwei  Tage  anfangs  schmerzhaft,  jedoch  nachlassend. 

H.,  Knecht  im  Orte.  Sehnenscheidenentzündung  (Hohlhand- 
phleginone),  von  einer  Schwiele  über  dem  linken  Mittelfinger 
ausgehend.  Schwellung  der  ganzen  Hand  und  der  Drüsen  in 
Ellbogen-  und  Achselbeuge.  Temp.  37-9.  Einstich  in  der  Hohl¬ 
hand  wie  oben.  Abbinden  mit  Wirkbinde  je  zwei  bis  drei  Stunden 
mit  einstündiger  Pause.  Am  ZAveiten  Behandlungstage  zog  ich 
totes  Gewebe  aus  der  Wunde,  Höhle  schön  granuliert,^  damit 
Eiterung  zu  Ende.  Heilung  am  vierten  Tage,  wo  ich  den  Kranken 
wieder  ackern  sah.  Stauung  drei  Tage,  am  ersten  Tage  die  erste 
Viertelslunde  schmerzhaft. 

Abgesehen  davon,  daß  ich  mich  niemals  von  einer 
Lymphgefäß-  oder  Lymphdrüsenentzündung  abhalten  ließ, 
nahe  am  Herd  ahznhinden,  und  diese  eben  genannten  Ent¬ 
zündungen  vollständig  ohne  jede  Sonderbehandlung  außer 
Betracht  nahm,  habe  ich  auch  in  der  nächsten  Umgebung 
des  Herdes,  welche  Gewebsart  immer  betreffend,  diese  Be¬ 
obachtung  des  unbedingten  Gewebszerfalles  und  der  be¬ 
dingten  Erholung  nach  Einflußnahme  der  Blutstauung  be¬ 
obachten  können. 

Sehneuscheideueulzünduug.  S.,  Polier  im  Orte,  mit  Pana¬ 
ritium  tendiueum  des  rechten  Zeigefingers.  Von  einem  Kollegen 
geöffnet  und  nach  zwei  Tagen  wegen  Sehnenscheidenentzündung 
zu  mir  geschickt.  Ausgiebigerer  Einscbnilt  bis  zur  IMitte  des 
zweilen  Gliedes;  alte  Behandlung.  Tags  darauf  Schwellung  üboi 
d(‘m  Gi'undgelenke  und  Lymphdrüsenentzündung  in  der  Ellbogen¬ 
beuge  und  Achselböhle ;  Temp.  38-8.  Schmerzen  im  ganzen  Arm. 
Daraufhin  Stauung  mit  Kalikotbinde  am  Unterarm,  läglich 
14  Stunden  mit  ein-  bis  zweimaliger  Unterbrechung.  Tags  darauf 
ahgeschwollen  und  schmerzlos;  in  sechs  Tagen  geheilt;  in  acht 
Tagen  gebrauchsfähig. 

R.,  Magd  in  N.,  eine  Stunde  Aveit.  Herbstlich  schlechter 
Weg.  Sehnenscheidenentzündung  am  rechten  Handrücken  ^von 
einer  Vei’letzung  über  dem  Mittelhandknocben ;  Sonde  reicht  6  cni 
Aveit  vom  belegten  GescliAVÜrsgrund  quer  über  die  Strecksehnen 
gegen  das  Handgelenk.  Kalikotbiiule  Ader  Tage  je  1()  Stunden,  nach 
zAvei  Tagen  kein  Eiter  mehr,  nach  sechs  Tagen  geheilt.  Zwei  der 
letzten  At>bindungen  besorgt  die  Kranke  selbst,  da  sie  nur  jeden 
ZAveiten  Tag  zur  Nachsicht  kommt.  Keine  Folgen. 

H.,  Spinnereiarbeiter  in  B.,  IV'i  Stunde  Aveit,  Avird  _  von 
einem  hiesigen  Kollegen  ZAvecks  Eröffnung  einer  Sehnenscheiden¬ 
entzündung  (Hohlhandphlegmone)  mit  Beteiligung  der  beiden  imit¬ 
ieren  Finger  zu  mir  gebracht.  Ganze  Hand  und  unteres  Uniei- 
armdiittel  gescliAAmllen  und  gerötet,  Lymphgefäß-  und  Lymph¬ 
drüsenentzündung  bis  in  die  Achselböhle.  Heftige  JAchmerzen 
im  ganzen  Arm.  4’emp.  391.  Einstich  in  der  Hohlhand  nbe^  dem 
Mittelfingergrundgelenke  und  seitlich  gegenüher  am  Handrücken, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


beide  Einstiche  nur  für  Hohlsonde  durchgängig.  Abbindung  mit 
gewirkter  Binde.  Tags  darauf  sind  die  Erscheinungen  des  Lymph¬ 
systems  und  die  Schmerzen  geschwunden.  Temp.  37-8.  Vier  Tage 
Stauung  je  14  bis  20  Stunden.  Nach  zwei  Tagen  kein  Eiterabgang 
mehr,  nach  sieben  Tagen  gelieilt,  nach  zehn  Tagen  ohne  Folgen 
arbeitsfähig. 

Bauer  aus  B.,  zwei  Stunden  weit,  Sehnenscheidenentz'in- 
dung  der  rechten  Hand  (Hohlhandphlegmone)  mit  Beteiligung 
sämtlicher  Finger.  Schwellung  bis  zur  Unterarmhälfte.  Lymph¬ 
systementzündung  bis  in  die  Achselhöhle,  Schmerzen  im  ganzen 
Arm ;  Temp.  39-2.  Eiterung  in  der  Hohlhand,  sämtliche  Sehnen 
umgreifend,  am  ^Mittelfinger  bis  in  das  zweite  Glied  und  am 
Handrücken  über  den  zweiten  Mittelfinger.  Einstiche  wie  im 
vorigen  Falle;  Stauung  siebenmal  je  20  bis  22  Stunden;  nach 
Stauung  Schwinden  der  Lymphsystemerscheinungen  und  Arm¬ 
schmerzen;  nach  fünf  Tagen  keine  Eiterung  mehr,  nach  zwölf 
Tagen  geheilt,  nach  15  Tagen  ohne  Folgen  arbeitsfähig. 

Phlegmone.  K.,  Fabriksarbeiter,  IV2  Stunden  weit  in  St., 
sehr  bescliAverlich  auf  Hochebene,  mit  Zellgewebsentzündang  an 
der  Vorderseite  der  unteren  Hälfte  des  rechten  Unterarmes ;  In¬ 
filtration  handtellergroß,  Lymphgefäßentzündung.  Achtmal  Stau¬ 
ung  mit  gewirkter  Binde  je  16  Stunden.  Kommt  zweimal  wegen 
Glatteises  und  Ungangbarkeit  des  Fußweges  von  der  steilen  Höhe 
nicht  zur  Nachsicht,  legt  sich  jedoch  die  Binde  unaufgefordert 
selbst  an.  Daraufhin  bloß  jeden  zweiten  Tag  .jVachsicht;  am 
zAveiten  Tage  Fluktuation;  Einstich  auf  der  Höhe  Jiiit  wenig 
Eiter;  nach  fünf  Tagen  gereinigt,  nach:  acht  Tagen  igeheilt,  nach 
zehn  Tagen  arbeitsfähig. 

Sch.,  Fabriksarbeiter  in  N.,  eine  Stunde  weit  mit  Phleg¬ 
mone  an  der  Vorderarmseite  infolge  vernachlässigten  Furunkels 
(auf  der  Kuppe  zerfallen),  Infiltration  zweihandtellergroß;  fünf 
Tage  Stauung  mit  Kalikotbinde  je  16  Stunden.  Bleibt  zwei  Tage 
aus,  legt  sich  jedoch  die  Binde  seihst  an.  Nach  zwei  Tagen 
rein,  nach  sechs  Tagen  geheilt  und  arbeitsfähig. 

Ich  hal)e  insbesondere,  gleichviel  ob  man  früher  mehr 
oder  weniger  tatkräftig  operativ  vorging,  mit  mehr  oder 
weniger  starken  Desinfektionsmitteln  viel  oder  wenig  sparte, 
eine  weitaus  schnellere  als  nach  der  alten  Behandlimg 
und  weitaus  frühere  Entwicklung  des  so  wichtigen  Granula¬ 
tion  sge  wehes  sehen  können. 

B.,  Fabriksarbeiter  im  Orte,  zog  sich  einen  Einstich  mit 
einem  Holzschiefer  in  die  rechte  Hohlhand  zu.  Schon  tags  darauf 
erkrankte  er  unter  heftigen  Schmerzen  des  ganzen  Armes  und 
Fieber  bis  39-6.  Er  kam  zu  mir;  ich  trug  die  Schwiele  bis  gegen, 
die  Kutis  ab,  sondierte  die  Stichöffnung,  ohne  etwas  zu  finden 
und  ließ  ihn  Stauung  über  dem  Handgelenke  mit  Kalikotbinde 
durchführen,  in  drei  bis  vier  Stunden  zu  unterbrechen.  Auf  dem 
Wege  nach  Hause  brach  er  zusammen  und  wurde  unter  heftigem 
Schüttelfrost  nach  Hause  geschafft.  Am  Arme  bis  gegen  die 
Achsel  Lymphgefäßentzündung.  Schon  tags  darauf  sah  ich  aus 
der  Stichöffnung  verhältnismäßig  üppig  Granulationen  wuchern 
und  die  Epidermisreste  waren  bläulichrot  unterlegt.  Am  nächsten 
Tage  waren  diese  Oberhautstellen  vom  Granulationsgewebe  durch¬ 
brochen  und  boten  so  eine  Eiweiterung  der  ursprünglichen  Stich- 
Öffnung,  in  deren  Tiefe  gelbliches  totes  Gewmbe  sichtbar  war. 
Letzteres  zog  ich  an  diesem  und  am  nächsten  Tage  heraus, 
worauf  der  Kranke  am  fünften  Tage  vollständig  hergestellt,  wieder 
arbeitsfähig  war.  Die  sehr  heftigen  Schmerzen  hatten  schon  am 
zAveiten  Tage  nachgelassen,  gleichzeitig  auch  die  Lymphsystera- 
entzündungen  am  Arme.  Vier  Tage  Stauung. 

Freilich  haben  sich  mir  dabei  je  nacli  der  Art  des 
Gewebes  auch  Unterschiede  gezeigt,  sowohl  was  Bildung, 
als  aiicli  Wachstum  des  Granulationsgewebes  betrifft.  Dieses 
Gewebe  entwickelte  sich  überall  dort  am  schnellsten  und 
beschränkte  auf  diese  Weise  den  Herd  in  seiner  Aushrei- 
lung  dort  am  ehesten  und  günstigsten,  wo  die  Abstoßung 
des  lel)ensunfahig  gewordenen  Gewebes  am  allerschnellsten 
und  leichtesten  durchführbar  war.  Das  lockere  weiche 
Bindegewebe  vom  ünterhautzellgewebe  bis  an  die  Musku¬ 
latur  war  rasch  imstande,  sich  mit  Granulationen  gegen 
den  Herd  ahzuschließen,  dagegen  bot  das  derbere  Gewebe, 
wie  Faszien  und  Sehnen,  immer  größere  Widerstände  und 
dementsprechend  natürlich  auch  langsamere  Wirksamkeit 
der  Stauhehandlung.  So  z.  B.  vollzogen  sich  Entzündungen 
in  der  Hohlhand,  in  den  Grundgliedern  der  Finger,  im 
Ünterhautzellgewebe  überhaupt  meist  leicht  beeinflußbar, 
während  solche  am  Nacken,  Bücken,  Oberschenkel,  Finger¬ 
rücken  u.  dgl.  immer  mehr  Widerstand  boten;  ebenso  auch 


Sehnenscheidenentzündungen,  die  schon  zu  weit  vorge¬ 
schritten  waren.  An  diesen  Stellen  ist  das  derbe  Binde¬ 
gewebe,  von  dem  ich  eben  sprach,  da  es  gar  nicht  oder 
wenig  unmittelbar  vom  Blute  ernährt  wird,  sondern  nur 
durch  die  Gewebssäfte  und  andernteils  wahrscheinlich  auch 
mit  Geringem  davon  sein  Auslangen  findet,  frühzeitig  mit 
eintretender  Entzündung  in  dieser  Ernährung  somit  jn 
seinem  Lehen  gestört  worden  und  war  stärkerer  Schädi¬ 
gung  verfallen,  ohne  vollends  und  rasch  zugrunde  zu  gehen. 
Es  konnte  sich  auch  bei  eingetretener  Blutstauung  nicht 
mehr  erholen,  und  da  es  sehr  derb  war,  zerfiel  es  auch  lang¬ 
sam,  konnte  also  nicht  so  rasch  wie  das  übrige  Gewebe  ab¬ 
getrennt  werden.  Bei  dieser  Gelegenheit  konnte  ich  bei¬ 
spielsweise  bei  Karbunkeln  im  Nacken  beobachten,  wie  oft 
in  einem  durch  Kreuzschnitt  gebildeten  Lappen,  wenn  ich 
denselben  teilweise  abtrug,  größere  Gebiete  vollständig 
hepatisiert,  also  mit  Exsudaten  und  geronnenem  Blute  er¬ 
füllt  waren,  während  nur  an  einzelnen  Orten  nur  ver¬ 
hältnismäßig  größere  Gefäße  erhalten  geblieben  waren  und 
bluteten.  Schnitt  ich  seihst  solche  sich  offenbar  in 'derselben 
Weise  veränderte  Lappen  nicht  durch,  so  verfielen  sie  in 
ihrem  diesem  Vorgänge  enisprechenden  Anteile  dem  Zer¬ 
falle  oder  der  Schrumpfung.  Lange  und  starke  Saugung 
vernichtete  davon  ein  größeres  Stück,  während  mäßige  mehr 
zu  erhalten  schien. 

Oft  konnte  man  in  einem  widerstandsfähigeren  Ge- 
websfetzen,  wenn  man  ihn  zur  Beschleunigung  der  Beini- 
gung  des  Geschwürsgrundes  abtrug,  ein  stärkeres  blutendes 
Gefäß  beobachten.  Die  Hyperämie  bewirkte  dann  durch 
Unterernährung  beschleunigte  Abstoßung.  Diese  noch,  aber 
zu  wenig  ernährten  Gewebsteile  zerfallen  wohl  ßei  gewöhn¬ 
lich  ablaufenden  Entzündungen  mit  der  Funktionsstörung 
und  Verödung  der  Gefäße  von  selbst,  aber  die  Stauung 
vermag  diesen  Zerfall  offenbar  durch  Behinderung  der  Blul- 
erneuerung  zu  beschleunigen  und  damit  eine  raschere  Ent¬ 
fernung  schädlicher  Stoffe  zu  bewirken. 

Ich  sah,  wenn  ich  einige  Worte  über  diese  Abstoßung 
vmn  Gewebe  anführen  soll,  überhaupt  bei  Entzündungen, 
die  durch  Stauung  beeinflußt  waren,  das  unbedingt  verlorene 
und  daher  abzustoßende  Gewebe  fast  immer,  jedenfalls  aber 
viel  häufiger  als  bei  natürlichem  Ablaufe  oder  dem  nach 
alter  Behandlung  in  großen  Gewebsfetzen,  wie  Furunkel- 
pfröpfe,  abgehen,  während  früher  meist  zuerst  eine  Ver¬ 
flüssigung  stattfand.  Insbesondere  erfreulich  war  in  dieser 
Beziehung  (der  raschen  Abgrenzung)  selbst  das  derbere  Ge¬ 
webe,  wie  hei  Karbunkeln  im  Nacken  oder  an  den  Schul¬ 
tern  oder  am  Rücken,  beteiligt,  wenn  auch  etwas  lang¬ 
samer  als  das  weiche.  Wie  erfreulich  erholte  sich  so  einer 
von  den  unangenehmen  Nackenkarbunkeln  in  seinen  In¬ 
filtrationsgebieten,  wenn  er  auch  bis  zu  beiden  Kopfnickern 
reichte  und  beschränkte  sich  im  Zerfall  auf  Stellen  wie 
kaum  ein  Fünfkronenstück,  während  sonst  weit  größere 
Gebiete  unter  größeren  und  längeren  Qualen  verfallen  ge¬ 
wesen  wären. 

R.,  Karbunkel,  Maurer  in  N.,  eine  Stunde  weit;  teilweise 
eingeschniolzener  Karbunkel  von  Fünfkronenstückgröße,  mit  In¬ 
filtrationshof  aid  der  linken  Schulter.  Erhielt  wegen  Schnee¬ 
gestöbers  und  VVegungangbarkeit  eine  Saugglocke  mit  nach  Hause; 
Anlegen  derselben  täglich  zweimal  je  eine  halbe  Stunde  fünf 
Tage  hindurch;  rasche  Abgrenzung  des  Nekrotischen;  in  drei 
Tagen  gereinigt,  in  acht  Tagen  geheilt. 

St.,  Fabriksbeamter,  ambulatorisch  behandelt,  mit  teilweise 
eingeschinolzenem,  guldengroßen  Karbunkel  im  Nacken;  Saug¬ 
glocke  täglich  je  eine  halbe  Stunde  drei  Tage  hindurch;  nach 
2V2  Tagen  gereinigt,  nach  vier  Tagen  geheilt. 

Th.,  Ausgedingerin  in  M.,  zwei  Stunden  weit,  schwer  erreich¬ 
bar,  72  Jahre  alt,  mit  gefährlichem  Karbunkel  am  Nacken  von 
Kinderfaustgröße  und  Schwellung  bis  zu  beiden  Kopfnickern,  dem 
Hinterhaupthöcker  und  unteren  Halswirbeln.  Temp.  39-6;  sehr 
heftige  Schmerzen.  Geradezu  lächerlicher  Kreuzschnitt  durch  Haut 
und  Faszien.  Saugung  vom  Umfange  der  Schwellung  konzentrisch 
gegen  die  Mitte.  Stillstand  der  Entzündung  und  Eiterung  am 
vierten  Tage.  Abstoßung  des  toten  Gewebes  meist  in  Fetzen 
bis  zum  achten  Tage,  damit  Reinigung.  Schwellung  trotz  weiterer 
Saugung  am  neunten  Tage  geschwunden,  vollständige  Heilung 


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am  16.  Tage.  Schmerzen  waren  am  dritten  Tage  beseitigt.  Ge- 
scluvürsf lache  nur  gtildengroß.  —  Zwei  Monate  vorher  liatte  ich 
eine  nur  65  .Tahre  alte  Frau  mit  ganz  gleicliem  Karbunkel  nach 
altem  Verfahren  behandelt  und  trotz. .  Spaltung  bis  10  cm  im 
Kreuzschnitt  erst  am  12.  Tage  Stillstand,  18.  Tage  Reinigung 
und  erst  nach  56  Tagen  vollständige  Heilung  erreichen  können, 
wobei  die  zu  schließende  Wundfläche  handtellergroß  geworden 
war  und  nach  Herstellung  einige  Bewegungsbeliinderung  zu¬ 
rückließ. 

Die  Eiterungen,  bei  denen  das  derbe  Bindegewebe 
beteiligt  war,  das  durch  Stauung  in  seiner  Ernährung  weniger 
beeinflußbar  ist,  eben  wegen  seiner  Derbheit  und  Nahrungs¬ 
genügsamkeit,  dauerten  meistens  immer  länger,  aber  es  ge¬ 
lang  stets  den  Herd  zu  beschränken  und  die  Entzündung 
auch  schneller  und  ohne  so  starke  operative  Eingriffe  zur 
Heilung  zu  bringen,  wie  nach  altem  Verfahren. 

Am  auffälligsten  zeigte  sich  die  Beschränkung  des 
Herdes  im  Stillstand  und  raschen  Rückgang  der  bereits 
eingetretenen  Entzündungen  des  Lymphgefäßsystems  oder 
im  Mangel  des  Auftretens  solcher  Fälle,  wo  man  das  siclier 
vermutet  und  befürchtet  hatte.  Diese  Erholung  des  geschä¬ 
digten  Gewebes  oder  Abstoßung  des  unbedingt  verlorenen, 
konnte  ich  übrigens  auch  in  solchen  Fällen  beobachten 
und  durch  die  Stauung  günstig  beeinflußt  sehen,  in  denen 
es  sich  nicht  um  eine  Entzündung,  sondern  um  eine  Ver¬ 
letzung  und  Erledigung  der  zur  Wiederherstellung  sich  ah- 
wickelnden  Vorgänge  handelte.  Auch  da  konnte  ich  eine 
schnellere  Erholung  der  Gewebe  auch  vielleicht  bei  größe¬ 
rem  Gebiete,  als  ich  erwartete,  rasche  Abstoßung  der  toten 
Massen  und  eine  schnelle  Bildung  von  Granulationsgewebe 
wahrnehmen.  Ich  sah  selbst  ein  besseres  Wachstum  der 
Granulationen  unter  der  Stauung  und  insbesondere  auch 
eine  schnellere  Ueberhäutung  offener  Stellen,  wenn  ich  auch 
dabei  durch  zu  große  Stauung  hervorgerufene  Störungen 
in  der  Granulationshildung,  die  sich  im  Zerfall  und  in  Ver¬ 
flüssigung  der  am  meisten  entlegenen  Stellen  kundgaben, 
nicht  ableugnen  kann. 

Jedenfalls  aber  konnte  ich  von  einer  möglichst  früh¬ 
zeitigen  Eröffnung  des  Herdes  nur  den  l)esten  Erfolg  für 
einen  günstigen  Ablauf  der  Staubehandlung  erkennen,  wenn 
es  mir  auch  —  wie  gesagt  —  in  eipigen  Fällen,  wo  ich 
es  darauf  ankommen  ließ,  gelang,  ohne  Eröffnung  den  Herd 
zu  beschränken,  abzumauern  und  darin  die  Bakterien  ver¬ 
hungern  und  auflösen  zu  lassen,  so  daß  die  darauf  vorge¬ 
nommene  Eröffnung  vollständig  klare,  geradezu  seröse 
Flüssigkeit  ergab,  ln  dieser  ließen  sich  weder  Bakterien 
nachweisen,  noch  konnte  man  am  Versuchstiere  eine  Ent¬ 
zündung  setzen,  trotzdem  die  seinerzeitige  P'robepunktion 
typischen,  akuten,  staptiylokokkenreichen  Eiter  ergeben 
hatte. 

Ich  bin  überzeugt,  daß  auch  die  Umwachsung  steriler 
Fremdkörper,  die  unter  Entzündungserscheinungen  abläuft, 
durch  Hyperämie  günstig  zu  beeinflussen  wäre. 

Die  chronischen  Eiterungsvorgänge,  also  vornehmlich 
tuberkulöse,  ließen  sich  unleugbar  ebensogut,  wenn  auch 
nicht  SO'  rasch  beeinflussen;  letzteres  offenbar  deshalb,  weil 
die  Bakterien  dieser  Vorgänge,  die  Tuberkelbazillen,  gegen 
Entbehrungen,  also  auch  gegen  das  Verhungern  widerstands¬ 
fähiger  sind,  das  Granulalionsgewehe  aber  doch  auch  in 
seiner  Ernährung  und  daher  Widerstandskraft  mitunter  an 
einzelnen  Punkten  leiden  mag  und  daher  nicht  so  vollständig 
den  Abschluß  hersteilen  kann.  Erst  Heißwerden  der  Ent¬ 
zündung  änderte  die  Sachlage. 

Aber  auch  bei  diesen  tuberkulösen  Entzündungen  war 
es  am  günstigsten,  wenn  der  Herd  weiches,  rasch  abstoß- 
bares,  unbedingt  verlorenes  Gewebe  besaß,  so  daß  die  Ent¬ 
fernung  auch  rasch  vor  sich  gehen  konnte.  Trotzdem  war 
es  leicht  und  scheinbar  ohne  nachteilige  Folgen,  die  Herde 
allzuschließen  und  daun  nach  Eröffnung  zur  Heilung  zu 
bringen. 

Am  belangreichsten  und  für  den  Wert  und  die  Wirkung 
der  Stauung  üherhaupt  am  augenfälligsten  war  jener  obige 
Fall,  bei  dem  nach  einer  geringfügigen  Verletzung,  einem 
Nagelstiche,  schon  nach  wenigen  Stunden  der  Stauung  aus  ' 


diesem  Stiche  Granulationsgewebe  hervorwuchs  und  nach 
zwei  Tagen  eingelretener  spontaner  Erweiterung  mit  der 
Pinzette  ein  haselnußgroßer  Pfropf  enifernt  werden  konnte; 
und  dies  alles  in  der  Hohlhand  bei  einem  Falle,  der  schon 
sechs  Stunden  nach  der  Verletzung  Lymphgefäß-  und  he- 
denkliche  allgemeine  Erscheinungen  gezeigt  hatte  und 
schließlich  in  fünf  Tagen  Heilung  und  am  sechsten  voll¬ 
ständige  Arbeitsfähigkeit  brachte. 

Um  mir  diese  Erscheinungen  der  Stau-  und  Saug¬ 
behandlung  zu  erklären,  stellte  ich  an  Versuchstieren  Be¬ 
obachtungen  an.  Ich  wählte  Kaninchen  als  Warmhlüter  mit 
empfindlichen  Gefäßen,  die  leicht  an  einzelnen  Körperteilen 
zu  beohachten  sind,  und  als  Wesen,  die  für  Infektionen  leicht 
zugänglich  scheinen. 

All  diesen  Kaninchen  wählte  ich  als  Beobachtungsgegen¬ 
stand  das  Ohr,  denn  die  Gefäße  desselben  sind  flächenhaft,  daher 
denllich,  in  ihrem  Verlaufe  einfach,  Arterien  und  Venen  in  der 
Beobachtung  leicht  unterscheidbar,  selbst  ohne  allzugroße  Ver¬ 
größerung  und  hei  gleich  guter  Beobachtungsgelegenheit  der 
Beeinflussung  durch  verschiedene  äußere  Einwirkungen  leicht 
zugänglich.  Insbesondere  zeigte  sich  mir  eine  sehr  leichte  Be¬ 
einflussung  des  Gefäßsystems  am  Kaninchenohre  durch  Stau¬ 
ung.  Ich  legte  die  Infektionsstellen  in  verschiedenen  Beziehungen 
zu  diesen  Gefäßsystemen  an,  sowohl  Arterien  als  Venen  be¬ 
treffend.  Einmal  wählte  ich  Stellen  am  Kaninchenohre,  die  voll¬ 
ständig  im  Kapillarsysteme  lagen,  ein  andermal  solche  nnmittelbar 
neben  einer  größeren  Arterie,  oder  auch  neben  einer  größeren 
Vene.  Ich  schnitt  selbst  solche  Arterien  und  Venen  durch  und 
legte  in  den  Durchschnitt  eine  Impfstelle.  Am  Kapillarsystem 
impfte  ich  bald  am  Ende  einer  Vene,  bald  am  Ende  einer 
Arterie,  bald  etwa  an  der  Scheide  mehrerer  in  verschiedener 
Richtung  a])gehender  Venen. 

Die  Stauung  selbst  beobachtete  ich  zunächst  in  ihrem  na¬ 
türlichen  Verlaufe  ohne  irgendein  Zutun,  oder  ich  staute  das 
Blut  mittels  Klammern,  die  nach  Art  einer  Serviottenpresse  an 
den  Grund  des  Ohres  angelegt  wurden,  so  daß  darunter  das  Ohr 
platt  ausgebreitet  lag,  ohne  irgendwie  Falten  zu  machen.  Was 
die  Entwicklung  der  Impfstelle  betrifft,  so  bemerkte  ich,  daß 
sich  meistens  nur  verhältnismäßig  kleine  Pusteln  bildeten,  selbst 
wenn  der  Infektionsherd  durch  mehrere  nebeneinander  liegende 
Verletzungen  mit  einer  Lanzette  gesetzt  worden  war.  In  vier  Fällen 
suchte  ich  am  Rücken  des  Kaninchens  und  an  den  Beinen  unter 
der  Haut  Infektionsherde  zu  erzeugen,  doch  verlor  ich  alle  diese 
Tiere  an  Blutvergiftung.  Der  Eiter,  den  ich  verwendete,  stammte 
ausschließlich  aus  akuten  Prozessen :  Fingerwurm,  Brustdrüsen¬ 
entzündung,  Drüsenvereiterung,  Sehnenscheidenentzündung  und 
ähnlichen.  Ich  habe  da,  was  Ausbreitung  von  Infektionsstoffen 
im  Kaninchenkörper  betrifft,  gleiche  Erfahrungen  gemacht  wie 
Baum  gar  ten  u.  a. 

In  zwei  Fällen,  bei  denen  ich  am  Ohre  zu  stark  und  zu 
lang  gestaut  hatte,  verlor  ich  gleichfalls  die  Versuchstiere  wie  die 
oberen,  offenbar  auch  infolge  unbehinderter  Ausbreitung  des  In¬ 
fektionsstoffes,  beziehentlich  seiner  Gifte  im  ganzen  Körper,  trotz¬ 
dem  die  Impfstelle  klein  war  und  auch  sonst  von  keinem  außer- 
gewöludiclien  Aussehen  zeugte.  Diese  Beobachtungen  der  Aus¬ 
breitung  des  Infektionsstoffes  infolge  der  Stauung  scheinen  mir 
auch  tatsächliche  Beweise  für  die  Versuche  und  Ausführungen 
Lexers  und  W  o  1  f  -  E  i  s  1  e  r  s  zu  sein,  abgesehen  davon,  daß 
sie  uns  auch  in  den  Fällen  der  erstgenannten  vier  Versuchstiere 
eine  besondere  Neigung  des  Kaninchenkörpers  für  allgemeine 
Infektionen,  bezieheidlich  Infeklionsvergiftungen  zu  beweisen 
scheinen. 

Wenn  ich  vom  natürlichen  Verlauf  der  Blutstauung  in  einem 
Entzündungsherde  ausgehen  will,  so  werde  ich  zunächst  die  Er¬ 
scheinungen  am  Gefäßsystem  schildern,  wie  ich  sie  im  Laufe 
des  Entstehens  eines  künstlich  gelegten  Infektionsherdes  ab¬ 
laufen  isah. 

Schon  die  in  verschiedener  Beziehung  zum  Gefäßsysteme 
angelegten  Herde  lassen  auch  in  dieser  Hinsicht  verschiedene 
Beobachtungen  vermuten,  die  aber  alle  schließlich  in  ihrem  Ab¬ 
lauf  auf  ein  und  dieselben  Gründe  zurückführhar  sind. 

Ziehe  ich  vor  allem  jene  Infektionsstellen  in  Betracht,  die 
ich  an  das  Ende  der  Arterien  setzte,  so  beobachtete  ich  folgendes; 
Da  der  Herd  von  dem  mit  einer  stärkeren  Lupe  am  gerade 
noch  sichtbaren  Ende  der  Arterien  lag,  konnte  ich  vor  Anlegung 
desselben  mit  freiem  Auge,  natürlich  hei  dnrchfallendem  Lichte, 
die  Arterien  lange  nicht  bis  zur  Infeklioiisstelle  verfolgen.  Ent¬ 
wickelte  sich  nun  die  Entzündung,  so  wurde  die  Arterie  an 
ihi'em  Ende  bis  znm  Herde  weiter  und  daher  nicht  nur  mit 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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der  Lupe  augenfälliger,  sondern  ich  konnte  sie  selbst  mit  freiem 
Auge,  wenn  nicht  bis  zum  Herde,  so  doch  l)ei  weitem  ein  größeres 
Stück  als  früher  sehen.  Diese  Erweiterung  war  um  so  stärker, 
je  größer  der  Herd  angelegt  war,  oder  richtiger  gesagt,  je  größer 
er  wurde.  Dabei  konnte  man  eine  stärkere  Schwellung  der  Ar¬ 
terien  am  Grunde  des  Ohres  beobachten,  oder  auch  vermissen ; 
immer  aber  war  das  Gefäßsystem  gegen  mechanische  und  ther¬ 
mische  Reize  empfindlicher  und  schwoll  stets  von  einer  durch 
solche  Reize  erzeugten  lebhafteren  Füllung  langsamer  ab,  als 
im  gesunden  Zustande.  Insbesondere  bestand  stets  diese  Er¬ 
weiterungsempfindlichkeit  in  der  unmittelbaren  Herdnähe. 

Vornehmlich  zeugten  die  Gefäße,  die  zu  und  von  den 
Herden  führten,  soweit  sic  nicht  eine  scheinbare  größtmögliche 
Weite  erreicht  hatten,  von  ganz  besonders  langsamer  Abschwel¬ 
lung.  Diese  letztgenannten  Erscheinungen  galten  für  alle  Impf¬ 
stellen. 

Legte  ich  den  Herd  mitten  in  das  Kapillargefäßsystem  an 
eine  Stelle,  an  der  ich  mit  freiem  Auge  überhaupt  kein  Gefäß 
sehen  konnte,  mit  der  Lupe  nur  schwer  und  undeutlich  sichtbare 
bemerkte,  sah  ich  schon  nach  wenigen  Viertelstunden  stärkere 
Gefäßzüge  gegen  die  starken  Gefäße  am  Grunde  des  Ohres  ziehen. 
Diese  Gefäßzüge  betrafen  immer  Venen  und  verhielten  sich  je  nach 
der  Infektionsstelle  ganz  verschieden.  War  der  Herd  groß  ge¬ 
worden  bis  zu  einer  Pustel  von  Linsengröße,  so  konnte  ich 
Venen  sehen,  die  wohl  auf  ein  Vielfaches  der  normalen  Weite 
geschwollen  waren  und  so  eine  Dicke  erreicht  hatten,  die  den 
großen  abführenden  Venen  am  Grande  des  Ohres  oft  nicht  viel 
nachstand.  Diese  Erweiterung  der  Venen  nahm  verhältnismäßig 
mit  dem  Verlauf  gegen  den  Ohrgrund  ab,  so  daß  die  Vencn- 
kapillare  um  ein  staunenswert  Vielfaches  geschwollen  erschien, 
während  die  ableitende  größere  Vene  kaum  merklich  erweitert 
war.  Von  dieser  letzteren  betraf  die  Erweiterung  immer  nur 
den  Teil,  in  welchen  die  Abflußvene  des  Herdes  mündete  und 
von  da  abwärts,  so  daß  es  aussah,  als  hätten  Haupt-  und  Zu¬ 
fluß  getauscht  oder,  wenn  ich  ein  Gleichnis  mit  einem  Flusse 
wählen  soll,  als  wäre  aus  einem  weit  kleineren  Nebenflüsse  durch 
eine  Ueherschwemmung  ein  im  Verhältnisse  zum  Hauptflusse 
im  Rollenwechsel  mächtiger  Strom  entstanden. 

Ich  konnte  in  diesem  Falle  beobachten,  daß  von  einzelnen 
Herden  nur  das  System  eines  einzigen  Venenstämmchens  ge¬ 
schwollen  war  und  von  diesem  oft  auch  nur  wieder  eine  einzelne 
Abzweigung,  die  sich  von  den  in  nächster  Nähe  befindlichen  ganz 
oder  fast  normal  weilen  Venen  mächtig  abhob. 

Andere  solche  Stellen  hatten  nach  zwei  Seiten  venösen 
Abfluß  durch  erweiterte  AederChen.  Selten  merkte  ich  Impfstellen 
mit  mehr  als  zwei  erweiterten  Abflüssen.  Die  allgemeinen  Erschei¬ 
nungen  des  Gefäßsystems  des  ganzen  Ohres,  wie  ich  sie  oben 
b('schrieb,  waren  auch  hier  sichtbar;  nur  bei  rachitischen  Ka¬ 
ninchen  und  bei  größerer  Kälte  zeigten  sich  Verschiedenheiten, 
auf  die  ich  jedoch  nicht  eingehen  will.  Die  Impfstelle,  bei  der 
nur  ein  erweiterter  Abfluß  zur  Beobachtung  kam,  zeigte  im  Ver¬ 
laufe  des  Venenästchens  eine  kaum  nennenswerte  Zersplitterung 
bis  knapp  vor  dem  Herde.  Da  schien  es  sich  rasch  büschelförmig 
in  kleine  Aestchen  zu  teilen,  während  ein  oder  zwei  größere 
von  den  Seiten  gegen  die  abgelegeneren  Teile  der  Impfstelle  zogen, 
um  sich  dann  gleich  rasch  seitlich  gegen  den  Herd  zu  zersplittern. 

Dagegen  waren  jene  Stellen  in  ihrem  Venenverlaufe  schein¬ 
bar  viel  belangreicher,  die  nach  zwei  Seiten  hin  ihren  Abfluß 
sandlen.  Bei  diesen  konnte  man  weitaus  zumeist  deutlich  starke 
Venenäslchen  beobachten,  die  rings  um  den  Herd  strömend  wie 
ein  Wallgraben,  die  beiden  Veuenstämmchen,  die  eben  den  Ab¬ 
fluß  besorgten,  zu  verbinden  trachteten.  Und  auch  von  diesen 
verbindenden  Venen  scheint  die  feine  Gliederung  in  den  Herd 
ausgegangen  zu  sein. 

Bei  jenen  Stellen,  die  nach  mehr  Seiten  Abfluß  hatten,  sah 
man  verhältnismäßig  eng  aneinander,  unmittelbar  vorn  Herde 
weg,  die  Venenäslchen  ziehen,  ähnlich,  jedoch  nur  an  Zahl  ver¬ 
mehrt,  wie  bei  den  Stellen,  die  nur  einen  Abfluß  hatten;  nur 
mitunter  bestand  eine  stärkere  Verbindung  zweier  Aestchen. 

Wenn  ich  noch  jene  Herde  erwähnen  will,  die  ich  in  den 
Durchschnitt  von  Aiferien  und  Venen  legte,  so  seien  folgende 
Beobachtungen  beschrieben.  Zunächst  die  Venen  betreffend, 
merkte  ich  nach  erfolgtem  Durchschnitte,  daß  der  abfließende 
Teil  sich  sofort  enveiterte,  bis  sich  ein  Kollateralkreislauf  ge¬ 
bildet  hatte,  der  ineist  die  kürzesten  \Vege  wählte,  die  zu  er¬ 
reichen  waren,  ln  einzelnen  Fällen  schien  sich,  trotzdem  sich 
der  Herd  zur  gewöhnlichen  Fustelgröße  erweiterte,  doch  auf 
irgendeine  Weise  eine  Verbindung  zwischen  dem  zu-  und  ab- 
fließenden  Teile  der  Venen  gebildet  zu  haben,  ohne  einen  sieb.t- 
baren  Umweg.  Immer  jedocli  blieb  nur  derjenige  Teil  der  Vene 
wesentlich  erweitert,  der  vom  Herde  wegführte.  Der  zuführende 


Teil  schwoll  nur  so  viel,  als  durch  die  schon  oben  genannte 
Reizbarkeit  des  ganzen  Ohrgefäßsystems  in  oben  ausgeführtem 
Sinne  bedingt  war,  während  doch  eine  Stauung  bedingende  Er¬ 
weiterung  gerade  umgekehrt  den  zufließenden  Venenast  geschwellt 
haben  müßte. 

Weiters  legte  ich  wieder  einen  Herd  in  die  Durchschnitts¬ 
stelle  einer  Arterie.  Da  konnte  ich  meist  eine  Entstehung  eines 
Kollateralkreislaufes  auf  größeren  Umwegen  überhaupt  nicht  beob¬ 
achten,  sondern  es  stellte  sich  nach  einem  kurzen,  scheinbar 
geringeren  Gefülltsein  des  Endabschnittes  eine  stärkere  Erwei¬ 
terung  und  Füllung  desselben  ein,  die  sich  au  der  Durchschnitts- 
und  Infektionsstelle  scharf  vom  nicht  erweiterten  zuführenden 
Teil  schied.  Dahei  konnte  ich  durch  Aufklaffen  der  üurchschnitts- 
stelle,  die  ich  in  einzelnen  Fällen  absichtlich  durch  die  ganze 
Dicke  des  Ohres  geführt  hatte,  eine  geradlinige  Wiedervereinigung 
der  Schnittenden  ausschließen,  so  daß  ich  die  Herstellung  eines 
Kollateralkreislaufes  durch  die  Gefäße  des  Infektionsherdes  an¬ 
nehmen  mußte.  Merkwürdig  war  auch  in  mehreren  dieser  Fälle, 
daß  der  Infektionsherd  klein  blieb  und  keine  hervorragend  starke 
venöse  Abfuhr  zeigte.  Die  Venen,  die  aus  dem  Kapillarsysteme 
eines  solchen  Arterienendstückes  hervorgingen,  waren  in  keinem 
ihrer  Teile  besonders  erweitert.  Einfache,  nicht  infizierte  Gefä߬ 
durchschnitte  wiesen  gewöhnlichen  Verlauf  zur  Wiederherstellung 
des  Kreislaufes  auf,  mit  nur  verhältnismäßig  kurzwmhrender  Eiavei- 
terung.  Dieselben  Erscheinungen  boten  Fälle  mit  gleichzeitigem 
Durchschnitte  und  Herde  an  Arterie  und  Vene. 

Schließlich  seien  noch  jene  Infektionsstellen  orwmhnt,  die 
sich  in  unmittelbarer  Nähe  von  Arterien  oder  Venen  befanden. 
Die  Arterien  zeigten  keine  besondere  Veränderung,  dagegen  waren 
die  Venen,  wenn  Abflüsse  des  Herdes  in  dieselben  stattfanden, 
geschwollen,  aber  auch  nur  von  der  Stelle  des  Abflusses.  In 
einzelnen  Fällen,  wo  der  Herd  sehr  nahe  an  einer  großen  Vene 
lag,  war  diese  erweitert  so  weit  der  Herd  reichte,  trotzdem 
der  venöse  Abfluß  durch  sichtbare  Stämmchen  weiter  abwärts 
mündete  und  nicht  unmittelbar  der  Hauptvene  zuging.  Da  war 
oft  die  entzündliche  Infiltration  in  einer  auffallend  größeren  Ent¬ 
fernung  vom  Herde  längs  dieser  Vene  sichtbar,  als  bei  anderen 
Infektionsstellen  die  Infiltration  reichte.  Auch  dann  war  die  Vene 
schon  vom  Beginn  der  Infiltration  an  erweitert,  trotzdem,  wie 
gesagt,  der  Abfluß  aus  der  Pustel  weit  tiefer  mündete. 

Was  die  Dauer  dieser  Gefäßsclnvellung  betrifft,  konnte  man 
noch  bei  schon  eingetretener  Narbenbildung  eine  Erweiterung 
beobachten,  die  nur  sehr  langsam  zurückging  und  Wochen,  selbst 
Monate  bestand,  trotzdem  vom  Herde  nichts  mehr  übrig  war 
als  eine  etwas  dicke  Narbe,  gleichsam  ein  Keloid;  und  der  leb¬ 
haftere  Abfluß,  der  wahrscheinlich  auch  einem  wenigstens  teil¬ 
weise  stärkeren  Zufluß  entsprach,  war  scheinbar  hauptsächlich 
durch  die  Gewebszunabme  bedingt.  Allerdings  waren  diese  Venen¬ 
erweiterungen  nicht  mehr  so  stark,  wie  zur  Zeit  der  Entzündung 
und  auch  ihre  Ausbreitung  war  unmittelbar  vor  der  Narbe  nicht 
so  jäh  abbrechend,  wie  vor  dem  Entzündungsherd,  sondern  cs 
waren,  in  die  Narbe  hineinführend,  einzelne  Aederchen  sichtbar, 
ähnlich  wie  bei  normaler  Blutversorgung.  Immerhin  war  bei 
vollständiger  Wiederherstellung  ein  Gefäß,  vom  Narbengewebe 
abführend,  sichtbar,  wo  vorher  ein  solches  nicht  gesehen  werden 
konnte. 

Diese  Beobachtungen  ergaben  zuerst  die  Tatsache,  daß 
zu  einem  entzündlichen  Herde  eine  größere  Blutmenge  z  u¬ 
fließt,  was  sich  aus  der  Erweiterung  der  Arterien  in  dem 
gegen  den  Entzündungsherd  gelegenen  Gewebsteile  ergibt; 
weiters  die  Tatsache,  daß  nicht  sämtliche  Venen  in  der  Um¬ 
gebung  der  Entzündung  erweitert  sind,  sondern  lediglich 
diejenigen,  welche  die  Abfuhr  aus  dem  Entzündungsherde 
besorgen.  Und  diese  Venen  wieder  sind  gerade  in  dem 
Teile  geschwollen,  welcher  der  Entzündung  am  nächsten 
liegt  und  nehmen  an  Schwellung  in  ihrem  iVerlaufe  ver¬ 
hältnismäßig  rasch  ab.  Dann  war  insbesondere  auffällig,  daß 
in  jenen  Fällen,  wo  es  sich  um  die  Beteiligung  mehrerer 
Venen  handelte,  nur  der  in  unmittelbarster  Nähe  des 
Herdes  gelegene  Kollateralkreislauf,  welcher  meist  nur  aus 
einem  oder  zwei  Venenstämmchen  bestand,  durch  deren 
stärkere  Füllung  hergestellt  und  befördert  war. 

Ueberdies  zeigte  in  den  Fällen,  wo  der  Herd  im  Durch¬ 
schnitte  von  Gefäßen,  gleichgültig  ob  Arterien  oder  Venen, 
gesetzt  worden  war,  immer  der  vom  Herde  den  Abfluß 
besorgende  Gefäßteil  Erweiterung  u.  zw.  auch  in  der  Nähe 
des  Herdes  stärker  als  davon  entfernter.  Selbst  wenn  wir 
diese  Erweiterung,  bloß  als  durch  Beiz  der  Gefäßnerven 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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lierv'üi'gc‘ruii'11  aiisclieii,  isl  es  aiilfällig,  daß  iiiclil  beide 
Teile  erweiteid  sind,  der  ableiteiide  1'eil  idadit  sofort  nacdi 
dem  Durelisclmitt  niid  daß  beispielsweise  bei  den  Arterien 
die  Krweilerung,  also  Hlntfülle,  nicht  auch  über  das  Kapillar- 
systein  auf  die  enlsprechend(3  Vene  übergreift  und  daß  die 
Erscheinungen  bei  nicht  infiziertem  Dnrchschnitl  fehlen  oder 
geringer  auftreten,  l)e.i  und  während  der  Entzündung  alxn* 
immer  zunehmen. 

Ebenso  auffällig  ist  das  Verhalten  der  Venen,  daß 
gerade  nur  die  Stämme  erweitert  sind,  die  voin  Herde  ab¬ 
leiten  und  auch  der  Hauptstamm  nur  von  der  Mündung 
des  Nebenstämmchens,  und  daß  üherdies  eine  Benachbarung 
des  Herdes  an  Hauptstämme  auch  eine  Erweiterung  dieser 
letzteren,  ohne  daß  sie  Abfluß  bilden,  anslöst. 

Würde  es  sich  um  eine  gewöhnliche  Blntslauung  han¬ 
deln,  müßte  doch  der  ganze  Verlauf  der  Vene  erweitert  sein, 
insbesondere  der  zuführende.  Ebenso  müßten  alle  Venen- 
stänime,  die  in  der  Umgebung  des  Herdes  liegen,  auch  wenn 
sie  nur  den  Kollateralkreislanf  besorgen,  geschwollen  sein ; 
so  aber  scheint  doch  das  Verhalten  der  (lefäße,  Arterien 
sowohl  als  Venen,  beim  Ablauf  von  Entzündungen  doch 
nicht  so  sehr  eine  Stauung  des  venösen  Blutes  zur  un¬ 
mittelbaren  Abtötung  der  Entzündungserreger  hervorzurufen, 
die  Bestimmung  zu  haben,  sondern  sie  dient  nach  den  Be¬ 
obachtungen  nur  einem  mittelbaren  Zw(‘cke  dieses 
Zieles. 

Wir  wissen,  daß  frisches  Gewebe  eine  gewisse  Wider¬ 
standskraft  gegen  Bakterien  besitzt.  Nur  wenn  diese  Wider¬ 
standskraft  heruntergeselzt  ist  oder  gar  aufgehoben  wird, 
ist  es  den  Bakterien  möglich,  üppig  auf  Kosten  dieses  Ge¬ 
webes  und  ihres  Wirtes  zu  wuchern,  in  dem  Bestreben,  mög¬ 
lichst  viel  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen.  Diese  Herab¬ 
setzung  oder  Aufhebung  der  Widerstandskraft  des  Gewebes 
geschieht  beispielsweise  durch  Verletzungen,  wo  Gewebs- 
bestandteile  mit  geringerer  Widerstandfähigkeit  hei  gleich¬ 
zeitiger  Infektion  Bakterien  zugänglich  gemacht  werden,  wo¬ 
bei  die  letzteren  durch  das  zerdrückte  und  gequetschte  und 
dadurch  weniger  widerstandsfähige  Gewebe  von  vornherein 
mehr  oder  weniger  günstigen  Nährboden  erhalten.  Durch 
die  Eigenschaft,  Stoffe  abzusondern  und  in  solche  zu  zer¬ 
fallen,  welche  eine  Herabsetzung  oder  Tötung  der  Eebens- 
fähigkeit  des  zunächstliegenden  Gewebes  und  schließlich 
auch  des  Wirtes  ermöglichen,  können  sich  dann  die  Bakterien 
stets  neuen  Nährstoff  zubereiten.  Das  Gewebe  wieder  hat 
die  Fähigkeit,  mit  einzelnen  Einrichtungen  dieser  Schädigung 
seines  Bestandes  entgegenzu treten  und  die  Bakterien  an  der 
Abtötung  gesunden  Gewebes  zu  hindern  und  sie  selbst 
vollständig  des  Einflusses  auf  noch  gesundes  Gewebe  zu 
berauben  und  den  Einbruch  aller  Gifte  zu  hemmen;  dies  ge¬ 
schieht  insbesondere  dadurch,  daß  es  flurch  Bildung  eines 
Schutzgewehes,  Granulationen,  die  Bakterien  von  dem  ge¬ 
sunden  Gewebe  abschließt,  den  Herd  also  geradezu  ah- 
zumauern  versucht.  Das  Schutzgewebe  stellt  dann  auch 
das  Ersatzgewebe. 

Diese  Abmauernng  des  Gewebes  wird  eingeleitet  durch 
lebhaftere  Einwanderung  der  Bundzellen,  deren  besonderei' 
Sendungszweck  noch  unerforscht  ist,  in  das  bedrohte  Gebiet 
und  Hervorrufung  der  vielleicht  unter  Leukozyteneinfluß 
oder  -mithilfe  stattfindende  Erzeugung  genannten  Granula¬ 
tionsgewebes.  Dieses  mit  großer  Schnelligkeit  entstehende 
Gewebe  erfordert  offenkundig  eine  sehr  lebhafte  Ernährung 
zu  seinem  Wachstum,  abgesehen  davon,  daß  schon  die  Häu¬ 
fung  von  Rundzellen,  also  Vermehrung  des  Gewel)es  über¬ 
haupt,  eine  lebhaftere  Nahm  n  gsz  uf  uhr  bedingen 
muß.  Daraus  läßl  sich  schon  die  Notwendigkeit  schließen, 
warum  das  zuführende  Gefäß,  die  Arterie,  zu  einem  solchen 
Entzündungsherde  erweitert  ist,  also  mehr  Blut  zuführt, 
und  warum  dieser  lebhafteren  Blutzufuhr  natürlich  aucb 
eine  stärkere  Abfuhr  enlsprechen  muß. 

Wir  sehen  ja  schließlich  auch  in  dem  von  Infek¬ 
tion  unbeeinflußten  Falle  von  Fremdköri)ereinheilung  ganz 
gleiche  Erscheinungen. 


Wenn  wir  aber  im  Gefäßsystem  (‘ines  Kaninchenohres 
Beobachtungen  anstellen,  sehen  wir,  welch  starke  Venen 
als  Bluiahfuhr  ganz  dünnen  Artej'ien  gegenübtu'slebeJi.  Wenn 
wir  and(‘rnteils  aber  die  Beohacbtung  der  Erweiterung  derab- 
führenden  Gefäße  in  den  Fällen  der  G(‘fäßdurchschnitts- 
b(!obachtungen  in  Betracbt  ziehen,  so  müssen  wir  uns  sagen, 
daß  die  jedenfalls  durch  Gefäßnei'venreiz  hervorgerufene 
Ifrweiterung  gerade  am  Durchschnitt  mit  Entzündungsherd 
und  bei  Benacbbarung  eines  großem  \'(menstammes  vielleicht 
doch  noch  eine  andere  Bedeutung  haben  muß  und  daß  diese 
auch  auf  die  Erweiterung  d(!r  vmn  einem  Infektionsherde 
abführenden  Gefäße  überhaupt  übertragbar  und  anwendbar 
sein  könnte. 

Wir  wissen,  tlaß  die  oben  angeführten  Erzeugnisse 
der  Bakterien  das  Leben  des  inngebenden  G(‘webes  stören, 
daß  diese  Erzeugnisse  verhältnismäßig  rasch  und  weit  sich 
in  den  Spalträunien  verbreiten  und  vor  allem  auch  das  feine 
emplindliche  Gewebe  der  Gefäße,  zumal  der  dünnen  Kapil¬ 
laren  ergreifen  niici  daß  die  Gefahr  der  Ausbreitung  aller 
Arten  von  Erzeugungs-  und  Zerfallsgiften  dort  am  nächsten 
ist,  wo  der  Abschluß  vom  Gesunden  und  Kranken  nicJit 
stattfinden  konnte  oder  verzögert  ist.  Dadurch  wird  aber 
sofort  ein  kleines,  der  Ernährung  durch  die  Kapillare  ent¬ 
sprechendes  Gebiet  in  der  Ernährung  heruntergesetzt  und 
daher  erfahren  die  Bakterien  neuerdings  eine  Zimahjiie  an 
Nährstoff.  Diese  Zunahme  erzeugt  eine  stärkere  und  üppigere 
Ernährung  von  Bakterien,  welche  wieder  eine  um  so  größere 
Giftmenge  ahzusondern  in  der  Lage  sind.  So  laufen  im  Ent¬ 
zündungsherde  fort  Gefäßentzündungen  ab,  die  sich  natür¬ 
lich  stromabwärts  leichter  verbreiten  können,  ins¬ 
besondere,  da  die  Venen  empfindlicher  scheinen  als  die 
Arterien. 

Diese  Gefäße  werden  dadurch  gehrauchsunfähig,  daß 
durch  die  Giftstoffe  die  Wände  ergriffen  werden  und  das 
Blut  in  den  Gefäßen  gerinnt.  Diese  Gerinnung  reicht 
aber  offenbar  weiter  als  die  verursachende  Sch ä d  i- 
gung  der  Gefäßwand;  es  ist  also  anzunehmen,  daß  inuner 
ein  größerer  Teil  des  G(nvebes  durch  Unterernährung  infolge 
mangelnden  Nahrungszuflusses  an  Lebensfähigkeit  eiid^üßt 
und  so  den  Bakterien  verfällt,  als  das  von  diesen  unmittel¬ 
bar  lebensunfähig  gemachte  Gebiet  umfaßt. 

Das  Gleiche  muß  auch  den  Bund  zellen  wider¬ 
fahren,  sobald  sie  im  Gewebe  liegen,  das  nicht  mehr  ge¬ 
nügend  durch  Nahrungsstoffe  ernährt  wird.  Dadurch  aber 
ist  wieder  die  Erzeugung  des  abmauernden  Granulations¬ 
gewebes  behindert,  das  übrigens  für  sich  schon  eine  sehr 
lebhafte  Ernährung  durch  günstigen,  ausreichenden  Blut¬ 
zufluß  erfordern  würde. 

Üb  der  Alkaliverlust  im  Kapillarsystem,  insbesondere 
bei  wachsendem  Granulationsgewehe  nicht  durch  lebhaftere 
Zufuhr  wettgemacht  werden  soll,  bliebe  auch  bedenkens¬ 
wert.  Dieser  Alkaliverlust  würde  ja  auch  wieder  die  Ge¬ 
rinnbarkeit  nur  noch  erhöhen. 

Die  mächtige  Anschwellung  des  Gewebes,  das  für  so 
(unen  Gewebszuwachs  von  vornherein  nicht  eingerichtet  ist, 
bildet  mit  der  Rundzellenhäufung,  Gefäßausschwitzung,  nöti¬ 
gen  Vermehrung  des  Nährstoffzuflusses  und  dadurch  beding¬ 
ten  Sp a  n  nu  n  g  s  e  r  h  öh  u  n  g  des  Gewebes  einen  mächtigen 
Druck,  insbesondere  auf  die  dünnwandigen,  weichen,  leicht 
zusammendrückbaren  Gefäße  ebendieser  Entzündungsge¬ 
schwulst  seihst.  Dadurch  würde  natürlich  wieder  eine  Unter¬ 
ernährung  erzeugt. 

Abgesehen  davon,  daß  die  Gerinnung  des  Blutes  in 
den  Gefäßen  von  der  beschädigten  Gefäßwand  ausgehen 
dürfte,  wollen  wir  nicht  vergessen,  daß  sowohl  nach  den 
älteren,  als  auch  nach  den  neueren  Untersuchungen  hei 
jeder  Gerinnung  irgendwelche  aus  den  weißen  Blut¬ 
körperchen  stammenden  Stoffe  von  Einfluß  sind.  Die 
leichte  Gerinnbarkeit  des  Blutes  bei  kruppösen  Pneumonien 
mit  ihrem  Zerfalle  einer  ungeheuren  Eeukozytenmenge  mag 
hier  angeführt  sein. 

Wenn  wir  aber  im  Entzündungsherde  bis  an  seine 
äußerste  Grenze  Bundzelbm  gehäuft  finden,  gegen  den 


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22U 


mit  den  liakleiieii  um  so  dieliter  gedrängt,  su 
müssen  wir  einselien,  daß  jede  Scliädignng  des  Ulnt- 
als  A' all  r  s  Lo  l'f  z  u  fl  ü  s  s  e  s  nicliL  mir  eine  IJeein- 
träeliligung  der  sn  nütz  liehen  L  e  n  k  n  z  y  t  e  n  t  ä  ti  g- 
keit  hervurrufen  muß,  sondern  auch  durch  den  infolge 
Li  n  t  e  r  e  r  n  ä  h  r  u  n  g  e  r  z  e  u  g  t  e  n  f{  u  n  d  z  e  1 1  e  n  t  o  d  IS  to  f  f  e 
f  r  e  i  in  a  c  h  L,  die  ihrerseits  wieder  durch  B  e  f  ü  r  d  e  r  u  n  g  d  e  r 
(leriniiung  des  Blutes  in  den  Lie  faßen  eine  Bn  ler¬ 
ernäh  rung  einzelner  Teile  des  Biitzüiidungsherdes  be¬ 
dingt. 

L'eherdies  würde  durch  L  e  u  k  oz  y  t(' n  ver  1  u  s  I  oder 
deren  Lelienshehinderuiig  wahrscheinlich  die 
lytische  Alltrennung  des  zugrunde  gegangenen 
de  wehes  verzögert  werden,  wenn,  wie  es  den  An¬ 
schein  hat,  die  neueren  Beobachtungen  und  Versuche  über 
die  Wirkung  der  den  Leukozyten  innewohnenden  oder  von 
denselben  stammenden  Fermente  recht  behalten. 

Fs  ist  klar,  daß  die  oben  erwähnte  derinnung  dort  am 
meisten  gefährlich  sein  wird,  wo  sich  die  am  wenigsten 
widerstandsfähigen  Gefäßwände  befinden,  lang¬ 
samer  Blut  läuft,  Enge  der  Gefäße  und  Eindickiing 
des  Inhaltes  vorhanden  ist  (Blutplättchen)  und  vor  allem 
dort,  wo  überhaupt  die  Abfuhr  der  schädigenden 
Stoffe  stattfindet. 

Wir  dürfen  es  daher  als  keine  besondere  Erscheinung 
ansehen,  wenn  sich  gerade  die  V  e  n  e  n  des  Entzündungsherdes 
erweitern,  da  wir  ■  doch  wissen,  daß  dergestalt  eine 
solche  E n t z  ü n d n n g  in  i ni in e r w ä h r e n  d  e m  F o r  t- 
sch reiten  kleinster  und  kleiner  Venen e n tz ün- 
(1  u  n  gen  a  b  1  ä  u  f  t.  Ein  akutes  Unterschenkelgeschwür  bildet 
uns  da  das  brauchbarste  und  allbekannteste  Beispiel,  das 
uns  in  seinem  Ablaufe  auch  am  Menschen  den  besten  Be¬ 
obachtungsgegenstand  natürlich  hervorgerufener  Stauung, 
ihres  Zustandekommens,  Vei-gehens  und  ihres  Zweckes 
abgibt. 

Diese  Erweiterung  bezweckt  also  zunächst  genügende 
Abfuhr  der  stärkeren  Blutzufuhr,  Besserung  der 
l'irnährung,  Vorsorge  möglichst  rascher  Herstel¬ 
lung  des  Kollateralkreisla ufes  für  den  Fall  von 
Thrombosen  und  möglichst  ungünstige  Gelegenheit  für 
G  e  r  i  n  n  u  n  g  s  vo  r  g  ä  n  g  e  des  ohnehin  eingedickten  und  von 
den  Ergänzungs-  und  Zerfallstoffen  geschädigten  Blutes,  so¬ 
wie  Förderung  der  G  r  a  nul  a  ti  o  n  s  bil  du  n  g.  Daß  die 
Erweiterung  der  Venen  im  Kapillargefäßsystem  die  Gerin- 
nimgs Vorgänge  hintanhält,  läßt  sich  aus  der  Tatsache  schlie¬ 
ßen,  daß  venöses  Blut,  wenn  es  ungeschädigt  ist,  für  sich 
schwerer  gerinnbar  ist  als  arterielles.  Eine  Hückstauung  im 
Kapillargefäßsystem  setzt  also  die  Gerinnbarkeit  des  Blutes 
in  diesem  herunter;  ebenso  ist  die  Erweiterung  der 
engsten  Gefäße  für  Gerinnungsvorgänge  ungünstiger. 

Die  Eindickung  des  Blutes  nimmt  schon  Rokitansky 
an  und  bewiesen,  allerdings  ohne  Sicherheit,  teilweise  Jün¬ 
gere.  Ich  habe  durch  Blutkörperchenzählung  aus  Arterien 
und  Venen  des  Kaninchens  auch  von  dieser  Seite  eine  Ein¬ 
dickung  zu  ergründen  getrachtet  und  wieder  Beobachtung 
einer  tatsächlichen,  verhältnismäßigen  Vermehrung  in  eid¬ 
zündeten  oder  erweiterten  Venen  des  Entzündungsherdes 
angestrebt,  ln  Venen  fand  ich  allerdings  die  Blutkörper¬ 
chen  häufig  vermehrt,  doch  war  das  Ergebnis  zu  unsicher, 
um  es  als  ständig  hinstellen  zu  dürfen.  Die  verhältnismäßige 
Vermehrung  in  beeinflußten  und  normalen  Venen  war  mir 
der  Kleinheit  der  Venen  wegen  unmöglich  festzustellen  oder 
gab  in  den  größeren  kein  beachtenswertes  Ergebnis.  Ebenso 
unergründlich  ist  bisher  die  Viskosität  des  Blutes. 

Die  vermehrte  F 1  ü s s  i  gkei  t  s a  b ga  b e  und  viel¬ 
leicht  schon  dadurch  bedingte  teilweise  Eindickung  ersehen 
wir  an  nach  Art  des  Au  gust  sehen  Feuchtigkeitsmessers 
äthergekühlten  Saugglocken  mit  dem  reicheren  Wasserbe¬ 
schlage  hei  Entzündungsherden  als  bei  normalem  Gewebe, 
sowi('  an  der  gleichsinnigen  Zunahme  dieser  Abscheidung, 
je  größer  die  natürliche  oder  künstliche  Stauung,  bzw.  Ent¬ 
zündung  ist.  Ich  habe  diese  allerdings  groben  Versuche  oft 
gemacht  und  immer  wieder  bestätigt  gefunden.  Ueberdies 


würde  auch  zu  s  1  ar  k  e  r  A  Ik  al  i  v  e  iT  u  s  t,  auf  den  ich  schon 
oben  hin  wies,  die  Gerinnungsfähigkeit  hefördern. 

\'on  den  Tatsachen  über  Gerinnung  habe  ich  mich  auch 
selbst  durch  Anstellung  von  zahlreichen  Beobachtungen  bei 
Versuchen  über  die  Gerinnbarkeit  des  Bildes  nach  dem 
Vier ordtschen  Vorgänge  überzeugt. 

Derselbe  sucht  die  Gerinnungszeil  in  feinen  Glasröhr¬ 
chen,  die  mit  Blut  gefüllt  werden  und  durch  die  ein  Pferde¬ 
haar  führt,  festzustellen  und  miteinander  zu  vergleichen. 
Ich  zog  verschieden  starke  Haarröhrchen,  die  ich  unter 
dem  Mikrometer  möglichst  nach  gleicher  Innenweite  in 
Gruppen  stellte,  gleich  lang  brach  und  mit  einem  weißen, 
gereinigten,  jedoch  nicht  entfetteten  Pferdehaar  versah. 
Darauf  entnahm  ich  dem  Kaninchenohre  aus  Venen  und 
Arterien  mit  diesen  Kapillaren  Blut  und  konnte  nun  Ver¬ 
gleiche  mit  diesen  entnommenen  Blutmengen  in  diesen  Ka¬ 
pillaren  anstellen.  Al)gesehen  davon,  daß  sich,  was  Gerin¬ 
nungszeit  betrifft,  stets  arterielles  Blut  dem  venösen  gegen¬ 
über,  natürlich  in  gleich  weiten  Kapillaren,  ungünstiger  er¬ 
wies,  an  dem  herausgezogenen  Haare  bei  arteriellem  Blut 
Klümpchen  geronnenen  Blutes  früher  sichtbar  waren,  stellte 
sich  überdies  auch  ein  deutlicher  Unterschied  innerhalb 
jeder  einzelnen  Blutgattung  bei  verschiedener  Weite  der 
Kapillaren  zugunsten  verlängerter  Gerinnungszeit  bei  den 
weiteren  Röhrchen  ein. 

Brachte  ich  in  einem  Uhrschälchen  oder  direkt  in  einer 
Kapillare  mit  dem  Blute  Eiter  oder  zentrifugiertes  Eiter- 
seruni  in  Berührung,  konnte  ich  regelmäßig  eine  bedeu¬ 
tende  Verkürzung  der  Geriimungszeit  feststellen,  insbeson¬ 
dere  dann,  wenn  ich  leukozytenreichen  Eiter  oder  dessen 
Serum  verwendete. 

Die  Beobachtung  im  hängenden  Tropfen,  wie  sie  zu¬ 
nächst  Schwab  angibt,  die  Feststellung  der  Gerinnungs¬ 
zeit  durch  Beobachtung  des  am  Rande  auftretenden  Fibrin¬ 
netzes  bezweckt,  führte  zu  demselben  Ergebnisse.  Tatsäch¬ 
lich  können  wir,  wie  gesagt,  ähnliche  Fälle  am  Menschen 
selbst  beobachten,  in  denen  wir  bei  mancher  Pyämie  oder 
bei  jeder  kruppösen  Lungenentzündung,  wO'  starker  Leuko¬ 
zytenzerfall  stattfindet,  eine  übermäßige  Vermehrung  des 
Fibrinnetzes  und  GerimiLuigsbeschleunigung  festzustellen 
vermögen. 

Diesem  Zwecke  d  e  r  G  e  r  i  n  n  u  n  g  s  b  e  h  i  n  d  e  r u  n  g 
und  damit  Ernährungsbeförderung  scheint  die  re¬ 
flektorische  Erweiterung  gerade  der  ab  fließen  den  Ge¬ 
fäße  überhaupt  und  insbesondere  der  Venen  in  ihrem 
kapillaren  Teile  zu  genügen. 

Die  künstliche  Stauung  brachte  eine  sozusagen 
prophylaktische  Erweiterung  der  Venen  zustande, 
da  die  natürlich  eintretende  erst  im  Augenblick 
der  höchste  n  G  e  f  a  h  r  und  daher  oft  schon  z  u  s  p  ä  t 
in  Erscheinung  trat.  Weil  in  diesen  prophylaktisch  zu  er¬ 
weiternden  Gefäßgebieten  die  Abschwellung  zu  bald  statt¬ 
fand,  mußte  auch  die  Stauung  lang  genug  und,  da 
die  engen  Gefäßchen  über  ihr  Können  erweitert  werden 
mußten,  auch  stark  genug  vorgenommen  werden. 

Wenn  ich  nun  meine  obigen  Beobachtungen  über  die 
nach  der  Bi  ersehen  Blutstauung  behandelten  Entzündun¬ 
gen  im  Zusammenhang  des  eben  Vorgebrachten  besprechen 
soll,  will  ich  die  wichtigsten  Erscheinungen  bei  der  normal 
ablaufenden  Entzündung  hervorheben,  die  sich  durch  die 
Wirkung  der  Blutstauung  günstig  beeinflussen  lassen,  um 
dann  schließlich  die  Ursache  dieser  günstigen  Wirkungs¬ 
weise  durch  die  Beobachtungen  beim  Tierversuche  zu  er¬ 
klären. 

Wir  können  im  allgemeinen  die  gefährliche  Tätigkeit 
der  Bakterien  dann  als  beendet  oder,  besser  gesagt,  un¬ 
wirksam  für  den  Organismus  betrachten,  wenn  es  letzterer 
zustande  gebracht  hat,  den  Entzündungsherd  durch  Granu- 
lationsgewebe  abzu  mauern.  Dann  ist  es  für  gewöhnlich 
den  Bakterien  nicht  mehr  möglich,  gesundes  Gewebe  zu 
zerstören,  da  dieses  durch  das  Granulationsgewebe  geschützt 
wird;  den  Bakterien  selbst  aber  ist  gleichzeitig  jeder  Nähr¬ 
stoff  entzogen  und  sie  müssen  in  ihrem  eigenen  Schmutz 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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verli  Uli  gern  und  werden  wahrselieinliidi  durch  Perniente 
gelöst.  Von  irgendeiner  unmittelbar  stattl'indenden 
keimtötenden  Wirkung  des  Blutes  kann  man  wohl  so  lange 
nicht  sprechen,  als  die  Versuche  so  gegensätzliche  Ergebnisse 
zeiligen.  Wenn  ein  Entzündungsherd  nicht  gegen  die  ge¬ 
sunde  Umgebung  abgeschlossen  isl,  kann  die  zerstörende 
Wirkung  des  Bakterienlebens  immer  weitergreilen  und 
können  die  Gifte,  wie  sie  immer  heißen  und  sein  mögen, 
zur  allgemeinen  Ausbreitung  der  Bakterien  oder  Gifte  im 
Gesamtkörper  und  zu  dessen  Schädigung  führen. 

Damit  ein  solcher  Herd  abgemauert  wird,  ist  es  zu¬ 
nächst  notwendig,  daß  alles  Gewebe  in  der  Umgebung  des 
Herdes  möglichst  lebenskräftig  erhalten,  das  der  Zerstörnng 
verfallene  Gewebe  möglichst  rasch  entfernt  wird  und  daß 
die  Einwirkung  der  Bakterien  in  ihren  Erzeugimgs-  und 
Zerfallsgiften  heruntersinkt.  Bei  all  dem  ist  die  Leiiko- 
zy teile rlial tun g  scheinbar  von  herv'orragendstem  Werte. 

Zur  möglichsten  Erhaltung  und  Kräftigung  der  Um- 
gebimg  des  Entzündungsherdes  ist  vor  allem  eine  lebhaftere 
Zufuhr  von  Nährstoffen  notwendig;  dies  um  so  mehr  in 
solchen  Fällen,  wo  das  Gewebe  und  seine  Ernährung  durch 
Vermehrung  (weiße  Blutkörperchen)  und  lebhaftere  Vorgänge 
mit  der  früberen  Ernährung  sein  Auslangen  wohl  nicht 
finden  kann,  als  auch  durch  Ausdehnung  des  Gefüges  (Ex¬ 
sudation)  und  durch  Verhärtung  und  dadurch  bedingten 
Druck  eine  Behinderung  der  Nahrungszufuhr  erfährt,  ganz 
besonders  aber  dann,  wenn  noch  diesen  Wegen  der  Zufuhr 
und  Ernährung  die  Absperrung  (Gerinnung)  droht. 

Das  rasch  wachsende  und  offenbar  auch  sehr  üppigen 
Stoffwechsel  erfordernde  Granulationsgewebe  hat  wohl  auch 
reichliche  Nahrungszufuhr  nötig,  soll  es  eine  günstige 
und  feste  M  a  u  e  r  abgeben. 

Die  Entfernung  des  zerfallenden  Gewebes  wird  wohl 
dann  am  raschesten  erzielt  werden,  wenn  es  schnell  vom 
gesunden  Gewebe  abgetrennt  wird.  Das  geschiebt  teilweise 
dadurch,  daß  die  Zone  des  minder  ernährten  oder  von 
Bakterien  teilweise  geschädigten  Gewebes  eingeengt,  die 
Bildung  des  Granulationsgewel)es  angeregt  und  unrettbares 
Gewebe  nicht  noch  mit  unzulänglichen  Nährstoffen  er¬ 
halten  wird,  als  übermäßig  lang  bestehende,  für  den  Bak¬ 
terieneinbruch  günstige  Bresche  in  der  Granulati jnsmauer. 
Dazu  dient  wieder  die  künstliche  Stauung  mit  der  Erhaltung 
der  Leukozyten. 

Die  Bakterien  aber  werden  in  ihrer  Wirksamkeit  her¬ 
untergesetzt,  wenn  ihnen  Nährboden  entzogen  mul  dadurch 
bedingte  Virulenzherabsetzung  das  Auftreten  von  gewebs- 
schädigenden  Stoffen  (Erzeugungs-  oder  Zerfallstoffe)  be¬ 
schränkt  wird,  bzw.  wenn  die  verschiedenen  Erzeug  ungs- 
und  Zerfalls  gifte  unschädlich  gemacht  werden. 

Dies  erreicht  man,  wie  schon  Lexer  nachwies,  am 
l)esten  dadurch,  daß  man  am  Entzündungsherde  durch  Er¬ 
öffnung  und  Entleerung  der  Bakterien  und  des  sonst 
am  Herde  hefindlichen  Unrates  diesen  genannten  Schädi¬ 
gungen  günstig  begegnet. 

Neben  den  Bakterien,  ihren  Erzeugungs-  und  Zerfalls¬ 
stoffen  finden  sich  im  Eiter  außerdem  noch  nicht  ganz  ver¬ 
brauchte,  für  die  Bakterien  Nährstoff  abgebende  Gewebs- 
bestatidfeile  und  weiße  Blutkörperchen,  welch  letztere,  in 
ihrem  Leben  geschädigt,  auch  wieder  den  Bakterien  als 
Beute  zufallen  können.  Diese  weißen  Blutkörperchen  aber 
können  überdies  noch  eine  schädigende  Wirkung  durch  Er¬ 
höhung  der  Gerinnbarkeit  des  Blutes  in  den  zuführenden 
Gefäßen  ausüben.  Ihre  Abstoßung  aus  dem  Herde, 
wenn  sie  dem  Verfalle  geweilit  sind,  oder  andernfalls  ibre 
rnöglicbste  Erbaltung  durch  Unterstützung  der  Ernäh¬ 
rung  im  Bandgebiete  —  denn  sie  dürften  ja  doeb  mit  der 
Bildung  des  Granulationsgewebes  oder  der  Abtrennung  des 
Ahgetöteten  in  irgendeiner  Beziehung  stehen  —  scheint  mir 
auch  nicht  so  ganz  belanglos  zu  sein. 

Die  günstige  Ernährung  des  Randgebietes,  welche  die 
Widerstandsfähigkeit  des  Gewebes  erhalten,  vermehren  oder 
zurückgeben  soll,  wird  offenbar  am  leiebtesten  dadurch  er¬ 
reicht,  daß  durch  lehhafte  Bhitzufuhr  und  Blutfülle  die  Er¬ 


nährungsverhältnisse  gebessert  werden.  Daher  die  natür¬ 
liche  Vermehrung  der  Blutmenge  im  Entzündungsiierde,  so¬ 
wohl  des  arteriellen  Zuflusses,  als  auch  des  venösen  Ab¬ 
flusses;  daher  der  in  dem  vermebrten  Gewebe  um  so  nötigere 
Blutzudrang,  dessen  Gefäßbahnen  überdies  gegen  den  auf 
ihnen  erhöht  lastenden  Druck  um  so  lehhafter  gesi)annt  sein 
müssen,  um  der  Zerstörung  durch  Nichtversorgung  im  Kol- 
lateralkreislaufc  und  iler  Beförderung  der  Gerinnung  durch 
Ahfallstoffe  aller  Art,  insbesondere  der  Leukozyten,  be¬ 
gegnen  zu  können,  zu  deren  Erhaltung  vielleicht  zum  größten 
Teile  die  erhöhte  Blutzufuhr  veranlaßt  wurde. 

Die  Trennung  des  unbedingt  der  Zerstörung  anheini- 
gefallenen  Gewebes  wird  auch  dadurch  günstig  beeinflußt, 
daß  die  oft  noch  bestehende,  aber  weitaus  zur  Wieder¬ 
belebung  unzulängliche  N  ah r  u  n  g s z  uf uhr  ab  ge¬ 
sperrt  oder  der  Wert  der  Nabrung  herabgesetzt 
wird. 

Alle  diese  nötigen  iMaßnahmen  des  Organismus  im 
Ablauf  einer  Entzündung  werden  in  verschiedenem  Maße 
tatsächlich  von  selbst  duJ'cTi  den  Organismus  geleistet  und 
zwar  ungefähr  im  Verhältnis  zur  Schnelligkeit  und  Schädlich¬ 
keit  der  Verbreitung  von  Bakterien  und  deren  Schädigungen. 
Meistens  reichen  diese  Maßnahmen  nicht  aus, 
den  Herd  zu  e n t f e r n e n  o d e r  unter  möglichst  gün¬ 
stigen  Bedingungen  in  möglichst  kurzen  Zeit¬ 
räumen  und  mit  Hinterlassung  von  geringsten 
Eolgen  zu  beseitigen. 

Künstliche  Hilfe  kann  diese  nafürlichen 
Maßregeln  äußerst  wirksam  unterstützen,  wie 
es  uns  eben  das  S t a u v e r f a h r e n  Biers  gelehrt  hat. 
Wir  beleben  derart  oft  bereits  leicht  gesdiädigtes  Gewebe, 
erhalten  das  zum  Entzündungsherde  geschickte  lieer  von 
weißen  Blutkörperchen,  die  für  den  günstigen  Ablauf  der 
Entzündung  von  so  großem  W''’erte  sind,  zerfallen  aber  nicht 
nur  diesen  Wert  entbehren  lassen,  sondern  sich  sogar  in 
einen  schädigenden  Bestandteil  verwandeln  können,  um  das 
entsprechend  versorgte  Gebiet  neuerdings  dem  Verfalle  aus¬ 
zuliefern.  Wir  können  durch  künstliche  Stauung  im  Rand¬ 
gebiete  jene  Teile,  die  infolge  Entzündung  und  Gerinnung 
in  den  versorgenden  Gefäßchen  iji  ibrer  Lebensfähigkeit 
soweit  heruntergesetzt  wurden,  daß  an  eine  Wiederherstel¬ 
lung  mit  Anwendung  keinerlei  Mittel  zu  denken  ist,  dadurch, 
daß  wir  auch  den  letzten  Rest  des  iNährsboffes  in  seinem 
Werte  eben  durch  diese  Stauung  weiter  herabsetzen  (venöses 
Blut  mangels  an  genügendem  Kollateralkreislauf  nicht  er¬ 
setzbar  und  daher  minderwertig)  einem  beschleunigteren 
Zerfall  preisgeben  und  so  raschere  Abgrenzung  igegen  das 
gesunde  Gewebe  hervorrufen.  Wir  geben  aber  auch  da¬ 
durch,  daß  wir  das  Randgebiet,  wo  es  noch  kräftig  genug 
ist,  doch  einige  Zeit  günstig  zu  ernähren  vermögen,  dem  Ge¬ 
webe  Gelegenheit,  aus  sich  mit  Hilfe  der  kräftig  erhaltenen 
weißen  Blutkörj)erchen  das  schützende  Gewebe  der  Granu¬ 
lation  zu  erzeugen  und  durch  eine  Unzahl  von  feinsten 
Kapillaren  günstig  und  widerstandsfähig  genug  zu  erhalten 
und  schließlich  zur  Wiederherstellung  des  durch  zerfallendes 
Gewebe  entstandenen  Verlustes  wirksam  zu  verwendeji.  Da- 
ber  behält  auch  das  oben  über  vorbeugende  Wirkung  der 
Stauung  Gesagte,  auch  bei  der  Anwendung  am  Menschen  wie 
beim  Tierversuch  seine  höchstwahrscheiuliche  Wirkimgs- 
gültigkeit. 

Diese  Unterstützung  des  natürlichen  Vorganges  werden 
wir  selbstredend  dann  am  besten  besorgen  können,  wenn 
wir  durch  Eröffnung  des  Eiterherdes  immer  wieder  neuen 
in  der  eben  erörterten  Weise  drohenden  Sebädigungen  von 
seiten  seines  Inhaltes  begegnen. 

Anhangweise  seien  jene  Saug-  und  Staubehandlnngen 
angeführt,  die  sich  auf  Ohr  und  Nase  beziehen.  Da  ich  auf 
diesem  Gebiete  dureb  Versuche  Wirkungsbeobachlungen 
nicht  belegen  kann,  weil  ich  mich  damit  nicht  befaßt  babe, 
will  icb  nur  kurz  meine  Erf'ilirungen  auf  diesem  Beband- 
lungsgebiet  mitteilen. 

Besonders  günstige  kuT'olge  l)ei  der  Saugbehandlung 
an  der  Nase  erziell('  ich  bei  Stinknase  und  chroni- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


seil  (Ml  KalairluMi  st'llisl  iiu’l  hyiK'rlroiihicrUM“  ScIiUmiii- 
Jiiiul.  .\ l)g('S(‘lien  davon,  daß  sich  sciioii  nach  inehiaoa'n 
Silznngen  l'i  rJ  e i  c  h  l  e i' n  n  g  d  (m-  B e s  c ]i  vv  oj'd  (mi  geltend 
niaclde,  kojiiden  dnr(di  Oanerheliandinng  seihst  die  (io- 
wehsvei'änd(M’ungen  zor  Xorin  znriiekgelührt  werden. 

Ich  nu'ichU'  da  auch  zwei(‘r  k'älle  adenoider  W'nclie- 
riiiig(ni  ini  Naseurachenranin  Krwähiuing  tiui,  die  mit  chro¬ 
nischem  Katarrli  hegleilel  waren.  Icli  löste  mit  dem  h'iiiger 
die  athmoiden  Wnehernngen  dnrcli  den  Mnnd  oder  zer¬ 
drückte  si(‘  lind  ließ  dann  die  Sangvorrichlimg  gehrancheii 
n.  zw.  zwei-  bis  dreimal  täglich  je  eine  halbe  Stunde  mit 
kiirzim  Uni  erbrech  im  gen  von  einer  bis  drei  Minuten.  I(‘h 
verwandte  sowohl  die  von  Bier  ange.gehenen  Saugvorricli- 
tungen  als  aucli  die  nach  S  o  n  d  e  r m a  n.n -M  u  ck  ;  beide 
Alien  mit  ziemlich  gleicner  \’erwemlharkeit.  Bei  diesen 
oben  genannten  adenoiden  AVueherungen  merkte  ich  nach 
einigei'  Zeit  Bückgang  und  selbst  Besserung  des  iKatarrlis 
und  auch  Bückbildnng  der  Wucherungen  bis  auf  fast  nor¬ 
male  Besidiaffenheit  der  Aasenrachenraum-Schleimhaut. 

Sehr  von  Wert  war  mir  aucli  dieses  Verfahren  an 
der  Nase  hei  stark  schmerzhaften  Stirnhöhlen¬ 
eiterungen  a  k  Li  t  e  r  o  d  e  r  c  h  r  o  n  i  s  c  h  e  r  A  r  t.  Die  akulen 
Katarrhe  oder  EiteTungen  ließen  schon  nach  wenigen  Sitzun¬ 
gen  eine  Herabminderung  der  Schmerzhaftigkeit  heohacliten 
und  gelangten  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit,  ohne  chro¬ 
nisch  zu  werden  oder  wiederzukehren,  zur  anscheinend 
vollständigen  Keilnng.  , 

Ein  hesonders  günstiger  Eall  eines  (dironischen  Stirn¬ 
höhlenempyems  sei  seiner  auffallenden  Besserung  wegen 
eingehender  mitg(deilt. 

Die  Ijetreffcnde  Kranke  litt  seit  mehr  als  sechs  Jahren 
im  Befolge  einer  hiflnenza  an  heftigen,  der  rechten  Stirnhöhle 
(‘iitsprechenden  S(  Imn'rzen,  die  örtlich  eine  flache,  (leidlich  merk- 
hare  Anfti'eibung  in  diesem  (iebiete ,  liegleitide.  Beim  Liegen  floß 
in  den  Nasenrachenrauni  dicker,  griinlichgelber,  stinkender 
Schleim;  zeitweilig  bestanden  auch  Temperatursteigernngen.  Diese 
Zustände  waixm  zuerst  leicht,  ohne  sich  allzu  häutig  in  stärkerem 
Brade  bemerkbar  zu  nuudien,  verschlimmerten  sicdi  jedoch  in 
den  letzten  .lahren  zu  solcher  Heftigkeit,  daßi  die  Kranke  tage- 
iang  ihr  t'uhig(rs  Lager  luden  mußte,  von  den  heftigsten  Schmerzen 
ge([uäh.  Dalnd  nahm  auch  der  Eiterabgang  immer  nudir  zu. 
Die  .Aidireibnng  sclnvoll  stärker  wie  sonst  und  .ging,  was  frülu'r 
nie  (dntraf,  nicht  melir  vollständig  zurück.  Schon  melirmatigi' 
Anwendung  des  S  a  ii  g  v  e  rf  a  h  r  e  n  s  ließi  eine  Besserung 
(‘i'kennen  insofern,  als  der  Schmei'z  h  e  r  a  b  g  e  m  i  n  d  e  r  1  war, 
der  enlsjjrechemh'  Stirmudeil  nicht  mehr  so  stai'k  sclnvoll 
und  insbesondeo'  aindi  der  S  c  h  1  e  i  m  a  b  g  a  n  g  sich  be- 
schi'änktce  Hartnäckige  1)  a  n  e  rb  e  h  a  n  d  1  u  n  g,  bei  der  ich  die 
Behaniiclikeil  der  Kranken  günstig  beeitdlussen  konnte,  vermochte 
(‘iidlich  eine  fast  vollständige  W  i  e  d  e  r  h  e  r  s  t  e  1 1  u  n  g  zn 
(Mzi(den,  so  daß  alle  g(mannten  hauptsäcldichsten  Erscheinungen 
vollständig  znrückgegangen  sind.  Ein  Vierteljahr  erfolgte  die  l’e- 
handtung  tägticli,.  dann  ließ  allerdings  die  Kranke  selbst  darin 
loidvcrer.  End  min  seil  einem  weiteren  .lahre,  wäliiamdderssen 
die  Behandlung  d(*r  Kranken  kaum  nennenswert  war,  blieb  di(( 
lU'Sserung  anhaltend  und  nur  noch  (dwas  gegen  die  Ahirin  er¬ 
höhte  Schleinia bsonderung  zeugt  von  der  seimmzeitigen  Er¬ 
krankung. 

Audi  Ohrimerki'ankmigeii,  sowohl  akiiti'  als  auch 
chronische  AI  i  1 1  ei oli  r  e  u  l  z  ü  ii  d  u  n  g e  ii,  koimlen  in 
ihrer  Abheilung  durch  die  Saughehaudlimg  u.  zw.  mittels 
Vorrichtimgeu  nach  Aluck  zur  Heilung  oder  iMilzüudmigs- 
freiheil  gehracld  wumdeii. 

Iiishesonders  erfiamlidi  war  die  mir  bisher  nie  ver- 
sagemh'  Ih'sseruiig  der  chroiiisehen  Alittelolireilerimgen,  für 
(leien  ühh'  Ersclnduungen  wir  bisher  olmeliiu  kein  zuver¬ 
lässiges  Mittel  liattmi.  .\uch  hei  dii'sen  Erkrankungmi  sei 
ein  Eall  hi^sonders  erwähnt. 

Ein  Alädchmi  von  28  Jahren  hatte  vor  20  .lahren  nach 
Scharlach  (dne  (dterige  Alittelohrenlzündung  erhallen,  die  in  be- 
sländigimi  We(dis(d  von  Fluß-  und  .Vblieilnngsbest relxm  bisniin 
bestand  und  sie  in  der  letzten  /(dt  durch  neuerlichen  stärkeren 
Eiterfhiß,  Schmerzen  und  ludtiges  Obrmisnusen  belästigte.  Bleich- 
z(dtig  bestand  bei  dii'ser  Patientin  eiiu'  Verdickung  der  Nasen- 
ra(dienrauni-Sclil(dmhaut  und  eine  sohdu'  der  NasenschleimbauL 
Die  Behandlung  mit  Saugaiiparaten  an  Ohr  und  N  ise  brachte 


i  schon  in  kurzer  Zeit  günstige  Besserung,  sowtdd  Kopfschmerz 
als  Atmiingserleichterimg  betreffend,  sowie  Abnahme  der 
räusche.  Ja,  ich  konnte  sogar  eine  W'rkleim'rung  dei'  'rrommel- 
fellöffnungen  dnndi  Vernarlumg  beobachten,  nachdem  sich  'der 
Eiter  veiloreii  und  das  in  der  'l'iefe  sichtbare  Branulalionsgewebe 
lebendiger  gi'Z(dgl  halle.  Diese  Kranke  stand  bis  vor  kurzem, 
im  ganzen  fast  ein  .lahr,  in  obiger  Art  in  Selbstbehandlung  bei 
zeitweiliger  Nachsicht  duiadi  mich  und  ist  .selbst  mit  dem  jetzigen 
Zustand  sehr  zufrieden. 

Die  Saughehamlluiig  am  Obre  koimle  ich  ohne  viele 
Aiühe  auch  hei  kleinen  Kindern  durchführen;  doch  wmr 
es  in  allen  Bällen  von  besonderer  Wichtigkeit,  daß  der 
Kranke  inshesoiidere  lud  chronischen  Fällen  in  der  Be¬ 
handlung  nicht  mnddieß;  sonst  konnte  mau  nienmis  von 
einem  Dauererfolg  sprechen.  Die  Besserung  offen¬ 
harte  sich  stets  diirih  Nachlassen  des  Eiter- 
ah ganges,  der  serös-schleimig  wurde,  ln  diesem 
Zustande  heslanden  dann  meist  keijie  oder  nur  geringe, 
von  den  Destruktionsverltälinissen  im  Mittelohr  herrüh¬ 
rende  Beschwerden,  wie  Sausen  usw.,  was  sich  jedoch  oft 
genug  auch  noch  im  Laufe  weiterer  Behandlung  einschrän¬ 
ken  ließ.  Oh  eine  länger  fortgesetzte  Sauganwendung  über 
den  erreichten  Erfolg  noch  günstigere  Aussichten  bietet, 
muß  wohl  abgewartet  werden.  Desgleichen  ist  die  Erkennt¬ 
nis  der  Notwendigkeit  betreffs  Alaßnahmen  über  das  Nach¬ 
lassen  und  Aufhören  der  Saughehandlung  am  günstigen 
Zeitpunkt  weiterer  Erfahrung  zu  überlassen,  um  so  mehr, 
als  es  gerade  hei  diesen  zumeist  chronischen  Erkrankungen 
den  Anschein  erweckt,  als  würde  die  Behandlung  eher  zu 
kurz,  doch  nie  genug  lang  fortgesetzt. 

Es  mußten  mich  die  Behandlungen  chronischer  Mittel¬ 
ohrentzündungen  mit  hübschem  Erfolge  desto  mehr  freuen, 
als  man  ja  bisher  bei  zuwartender  Behandlung  mit  Ein- 
stauhen  und  Ausspritzen  den  hellsten  Gegensatz  trieb,  der 
kaum  helfen,  wohl  aber  reichlich  schaden  konnte  und  als 
selbst  operatives  Angehen  betreffs  Dauerheilung  zweifel¬ 
haften  Erfolg  in  Aussicht  stellte. 

Diesbezüglich  sei  noch  mitgeteilt,  daß  ich  einen  Ar¬ 
beiter  mit  chronischer  Mittelohrentzündung  behandelte,  der 
noch  jetzt  in  Selhsthehandlung  mit  zeitweiliger  Nachsicht 
steht,  nachdem  er  eine  Badikaloperation  und  Eröffnung 
und  Ausräumung  des  AVarzenfortsatzes  hinter  sich  hatte 
und  doch  nicht  vollends  genesen  konnte.  Die  zwei  Jahre 
lange  Zeit  seit  der  Operation  hedeutele  für  ihn  einen  be¬ 
ständigen  Wechsel  von  Schmerzen  und  banger  Furcht  vor 
ihrer  Wiederkehr,  bis  das  angewandte  Saugverfahren  end¬ 
lich  Nachlaß  der  Eiterung  und  der  Beschwerden  zeitigte. 
Dieser  günstige  Zustand  währt  nun  ein  halbes  Jahr.  Und 
erst  vor  wenigen  Tagen  erklärte  der  Kranke,  er  wolle  lieber 
noch  lange  treulich  und  unverdrossen  Saugbehandlung 
treiben,  als  die  Wiederkehr  der  Schmerzen  und  Unannehm¬ 
lichkeiten  an  die  AVand  zu  malen  und  vmr  ihnen  bangen 
zu  müssen. 

Auch  akute  Ohreutzündungen  waren  günstig  be¬ 
einflußbar,  wenn  auch  mitunter  das  Chronischwerden  nicht 
zu  vermeiden  ging;  doch  begegnete  dieses  dann  eben  auch 
in  der  Behandlung  keinerlei  Bedenken  und  Schwierigkeiten. 

Jedenfalls  hedeutet  auch  diese  Anwendung  des  Saug¬ 
verfahrens  hei  der  großen  Anzahl  in  Betracht  kommender 
Erkrankungen  und  der  nun  in  ihrer  Alinderwertigkeit  oder 
önzweckmäßigkeit  selbst  Bedenklichkeit  erst  recht  offen¬ 
kundiger  alter  Behänd luugsweisen  eine  höchst  erfreuliche 
Neuerung,  die  neben  der  Einfachheit  und  Allgemeindurch- 
führharkeit  auch  logische  Nutzanwendung  und  Heilwirkung 
zu  ihren  Eigenschaften  zählt,  daß  ihr  beiderseitiges  ge- 
reiddes  Vertrauen  von  Arzt  und  Kranken  zufliegen  muß. 

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Lexer,  Zentralbl.  f.  Chir.  1906,  Nr.  18.  —  Lindenstein,  München, 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  38.  —  Lossen,  München,  med.  Wochenschr. 

1905,  Nr.  39.  —  Lossen,  Vortrag,  allgem.  ärztl.  Verein  Köln,  30.  April 

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München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  32,  42.  —  Muck,  München, 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  32.  —  Morawitz,  Deutsches  Arch, 
f.  klin.  Med.  1904,  Bd  79.  —  Nötzel,  Arch.  f.  klin  Chir.  1899, 
Bd.  60,  S.  3  und  25.  —  Pralt,  Arch.  f.  exper.  Path.  Bd.  49. 

—  Petzold,  Deutsche  milit. -ärztl.  Zeitschr.  1906,  Nr.  6.  —  Pfeiffer, 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1906,  Nr.  42.  —  Pirquet  u.  Schick, 
München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  2.  —  Polin!,  Gaz.  intern,  di 
Medic.  1906,  Nr.  84.  (Daselbst  ist  auch  italienische  und  französische 
Literatur  nachlesbar.)  —  P  r  y  m,  München,  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  48. 

—  Ranzi,  Vortrag,  k.  k.  Gesellsch.  d.  Aerzte  in  Wien  1905.  —  Ranzi, 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1906,  Nr.  4.  —  Rausnitz,  Prag.  med. 
Wochenschr.  1906,  N.  34.  —  Renner,  München,  med.  Wochenschr.  1906, 
Rethi,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  23.  —  Rethi,  Wiener 
klin.  Wochenschr.  1906»  Nr.  39.: —  Riehl,  München,  med.  Wochenschr. 
1906,  Nr.  29.  —  Rokitansky,  Lehrb.  d.  path.  Anatomie,  Wien,  1855, 

—  Rubritius,  Beitr.  z.  klin.  Chir.  Bd.  48,  H.  2.  —  Rudolph, 
Zentralbl.  f.  Gynäk.  1905,  S.  1185.  —  Schwartze,  Vortrag,  Verein  d. 
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Wochenschr.  1906,  Nr.  51.  —  Schmieden,  München,  med.  Wochenschr. 
1906,  Nr.  31.  —  Sondermann,  München,  med.  Woi  henschr.  1905,  Nr.  1. 
Sondermann,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  45.  —  Spieß, 
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ein  Hamburg,  7.  März  1905.  —  Stahr,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1906, 
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St  enger,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  6.  —  Steiger,  Berl. 
klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  28.  —  Steiger  Deutsche  mod.  Wochenschr. 
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Strauß,  München,  mrd.  Wochenschr.  1906,  Nr.  14.  —  Tillmauns, 
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Wochenschr.  1906,  Nr.  24.  —  Ullmann,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1906, 
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Wochenschr.  1906,  Nr.  5.  —  W  olf-Eisner,  Münchn.  med.  Wochenschr. 
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berg,  Aerztl.  Reformzig.  1905. 

Aus  der  Grazer  dermatologischen  Klinik.  (Interim.  Vor¬ 
stand:  Priv.-Doz.  Dr.  Leo  v.  Zumbusch.) 

Zur  pathologischen  Histologie  der  inneren 
Organe  beim  Yerbrennungstod. 

Von  Dr.  R.  Polland,  1.  Assistenten. 

Die  kliiiisclieti  und  aiiatoniisclieii  J^h’scheinungeii  bei 
tödlich  verlaufenden  Verbreunungen  sind  bereits  Gegenstand 
einer  stattlichen  Reihe  von  Arbeiten  geworden,  unter  denen 
viele  auch  auf  dein  Wege  des  Tierexperinientes  zur 
Klarlegung  der  einscblägigen  Fragen  zu  kotnmen  trachten. 
Hin  von  den  Autoren,  welche  diesen  Weg  eitigeschlageii 
haben,  nur  einige  zu  nennen,  so  seien  hier  Lustgarten, 
Reiß,  K  i  j  a  n  i  t  z  i  n ,  A  j  e  1 1  o  und  P  a  r  a  scan  d  o  1  o,  W  e  i- 
de  life  Id,  ganz  besonders  aber  Slockis  und  Helsted  her¬ 
vorgehoben,  von  denen  viele  nainenllich  über  tlie  Natur 
der  nacb  schweren  Verbrennungen  iin  Urganisinus  entstehen¬ 
den  Gifte  eingehende  Lnlersuchungen  und  d'ierversuche  an¬ 
stellten.  ln  jüngster  Zeit  hat  sich  besonders  Hermann 
Pfeiffer  (\Gr chows  Archiv  H)Ü5,  Rd.  180,  Zeitschrift 
für  Hygiene  1900,  Rd.  54)  in  eingehender  Weis('  mit  den  Fr- 
sachen  des  Verbrennungstodes  beschäftigt  und  durch  zahl¬ 
reiche  Tierversuche,  sowie  ausgedehnte  chemische  Lnter- 
suchungen  der  hier  in  Betracht  kommenden  giftigen  Stoff- 
wechselprodukle  die  Angaben  früherer  Autoren  teils  richtig 
gestellt,  teils  ergänzt. 

Durch  diese  Arbeiten  Pfeiffers  angeregt,  kotinte  icti 
daran  gehen,  die  histologischen  \’ erände  rungen,  die 
sich  bei  tödlicben  Verbrennungen  an  den  inneren  Or¬ 
ganen  finden,  zu  studieren,  weil  diese  Verhältnisse  in  den 
früheren  Arbeiten  vorwiegend  nebensächliche  Berücksichti¬ 
gung  gefunden  haben  und  meist  nicht  systematisch  bearbeitet 
worden  sind.  Die  früheren  Arbeiten  zum  Ausga,ngsi)md<t 
meiner  Untersuchungen  nehmend,  fand  ich  vor  allem  bei 
Parascandolo  AViener  med.  Wochenschrift  1904,  Nr.  14 
bis  16)  ziemlich  ausführliche  Angaben  über  die  Verände¬ 
rungen  an  inneren  Organen  bei  Verbrannten  und  verweise 
namentlich  bezüglich  der  Literatur  auf  diese  Arbeit. 

Um  ein  brauchbares  Material  für  meine  Uidersuchungen 
zu  gewinnen,  benützte  ich  dazu  Kaninchen,  die  nach  dem 
Vorgang  Pfeiffers  künstlich  verbrüht  wurflen.  Ktollege 
Pfeiffer  hatte  die  besondere  Freundlichkeit,  diesen  vorbe¬ 
reitenden  Teil  der  Arbeit  im  hiesigen  forensischen  Institut 
auszuführen,  wofür  ich  ilnn  an  dieser  Stelle  meinen  besten 
Dank  sage.  Bei  den  meisten  Tieren  kam  es  früher  oder  später 
spontan  zum  Exitus,  nur  wenige  überlebten  die  Prozedur 
und  wurden  später  getötet.  Die  diesen  Tieren  eidnommenen 
Organe  wurden  in  Müller  scher  Flüssigkeit  fixiert,  in  Alko¬ 
hol  gehärtet  und  daun  in  zwei  Teile  geteilt;  die  eine  Hälfte' 
wurde  zur  üntersuebung  auf  Fett  mit  Osmiumsäure  be¬ 
handelt,  die  andere  Hälfte  in  gewölmlicher  WA'ise  eingebettet 
und  mit  Uebersichtsfärbungen  gefärbt. 

Ich  will  nun  zunächst  die  Ergebnisse  dieser  Fntersu- 
ebungen,  so  weit  sie  etwas  Betnerkenswertes  ergaben,  etwas 
eingehender  darlegen.  Die  Vc'rbrühungen  wurden  so  vor¬ 
genommen,  daß  die  mit  Aether  betäubten  Kaninchen  an  der 
Bauchhaut  zirka  eim'  Mimile  lang  mit  siedendem  Wasser 
überrieselt  wurden,  nachdem  die  Haare  an  dieser  Stt'llc 
möglichst  kurz  geschoren  worden  waren  ;  denn  es  hat  sich 
schon  bei  früheren  Versuchen  herausgestellt,  daß  der  dichte 
Pelz  die  W'hrkung  sowohl  der  Verbrühung,  wie  auch  von 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


Flammen  bedeutend  abschwäclil.  Es  pflegen  übrigens  auch 
bei  geschorenen  Tieren  und  bei  letalen  Verbrühungen  die 
L'okalerscheinuiigen  auf  der  flaut  durchaus  nicht  bedeutend 
zu  sein  und  es  heilen  die  gesetzten  Verletzungen  bei  über- 
le])enden  Kaninchen  meist  rasch  und  'ohne  allzugroße  Narben¬ 
bildung.  Auf  die  klinischen  Erscheinungen  bei  diesen  experi¬ 
mentellen  Verbrennungen  an  Kaninchen  brauche  ich  nicht 
näher  einzugehen,  es  ist  dies  nicht  Aufgabe  der  vorliegenden 
Arbeit  und  kann  das  nähere  darüher  in  Pfeiffers  Publi¬ 
kationen  eingesehen  werden. 

Die  nachstehenden  Untersuchungsergebnisse  sind  in 
anfsteigender  Reihenfolge  geordnet  nach  der  Zeit,  die 
zwischen  Verbrühung  und  Tod  verflossen  ist. 

Hase  1.  IV2  Sluiuleu  post  ainbustionem  t.  Pathologiscli- 
analonhscher  Hefnnd  negativ.  Die  Osiniuinsäiirepräparate  ergeben 
keine  fettige  Entartung  der  inneren  Organe.  Sonst  war  an 
der  Niere  und  Leber  l^eginnende,  parenchymatöse  Degene¬ 
ration  und  leichte  Entzündungserscheinungen  festzustellen;  alle 
übrigen  Organe  waren  normal. 

Hase  2.  2V2  Stunden  ])Osl  ambustionem  f.  Sektion  ])e- 
gativ.  Keine  Fettentartung,  an  der  Niere  akute  Entzündung 
mit  starker  Hyi)erämie,  stellenweise  Dlutaustritt.  Blut-  mul  granu¬ 
lierte  Zylinder  in  den  Harnkanälchen.  Das  Epithel  derselben 
in  parenchymatöser  Degeneration.  Alle  anderen  Organe  unver¬ 
ändert.  '  I  i  ’  i  ^  ' 

Hase  3.  6  Stunden  post  ambustionem  f.  Die  Leber 

stark  hypeiämiscb,  die  Kapillaren  stark  gefüllt,  das  Zellpi’olo- 
l)lasma  gekörnt,  Kerne  blaß  gefärbt,  Zellgrenzen  verwischt.  Herz¬ 
muskel:  Ouerstreifung  zum  Teil  geschwunden,  Kerne  meist  noch 
gut  gefärbt.  Niere:  Epithel  der  Tubuli  conlorti  zum  Teil  lioch- 
gradig  köiuig  zerfallen,  Kerne  schwach  gefärbt,  keine  Spur  von 
Zellgrenzen.  Die  Kapillaren  strotzend  gefüllt,  Malpighische 
Körperchen  Avenig  verändert.  Leber  (im  Osmiumpräparat):  In 
den  fiallenkapillaren  und  in  einzelnen  Leberzellen  kleine  Fett- 
tröpfchen.  ; 

Hase  4.  12  Stunden  post  ambustionem  t.  Sektion:  Ekchy- 
mosen  im  Peritoneum,  parenchymatöse  Degeneration  der  Nieren. 
Histologischer  Befund:  Niere:  Reichlich  ausgedehnte  Blutge¬ 
fäße,  Glomeruli  intakt,  zahlreiche  kleine  Blutungen.  Kerne  schwach 
gefärbt,  Zellgrenzen  verwischt,  Protoplasma  gekörnt.  Leber: 
Kerne  schwach,  zum  Teil  gar  nicht  gefärbt,  Zellgrenzen  ver¬ 
wischt;  Protoplasma  gekörnt,  Blutgefäße  erweitert.  Im  Osmium¬ 
präparat  zahlreiche,  verschieden  große  Fettröpfchen.  Gehirn 
(Osminmprä])arat) :  Stellemveise  kleinste  Fettröpfchen,  Marksub- 
stanz  zeigt  hie  und  da  Andeutung  von  Verfettung. 

Hase  5.  16  Stunden  post  amhustionem  f.  Sektion:  Zahl¬ 
reiche  ekcbymotische  Ulzera  im  Magen  und  Darm.  Histologie : 
IMagen  und  Dünndarm:  Stark  gefüllte  Gefäße,  mäßige,  klein¬ 
zellige  Infiltration,  zahlreiche  ausgedehnte  Blutungen  an  der  Ober¬ 
fläche  der  Schleimhaut,  Epitheldefekte.  Herz:  Kerne  blaß,  Quer¬ 
streifung  undeutlich,  zahlreiche  kleine  Blutungen  in  der  Mus¬ 
kulatur.  Niere:  Kerne  deutlich,  Zellgrenzen  unscharf,  Proto¬ 
plasma  körnig,  Kapillaren  stark  ausgedehnt,  kleine  Blutpunkte 
im  Parenchym.  Die  übrigen  Organe,  auch  das  Gehirn  und  Rücken- 
tnark,  ohne  Veränderungen;  nirgends  fettige  Entartung. 

Hase  6.  26  Stunden  post  ambustionem  f.  Leber:  Proto- 
]dasma  stark  gekörnt,  Zellgrenzen  gänzlich  verwischt.  Herz: 
Struklur  verwischt,  Kerne  undeutlich,  keine  Querstreifung.  Niere: 
.\lle  Zelhyi  stark  parenchymatös,  keine  Kerne,  keine  Zellgrenzen, 
überall  Zeichen  einer  starken  Entzündung. 

Hase  7.  72  Stunden  post  ambustionem  f.  Herz:  Quer¬ 
st  l•eifnng  größtenteils  verloren,  Kerne  blaß  gefärbt,  Blutgefäße 
stai’k  gefüllt.  Niere:  Ausgedehnte  Nephritis;  starke,  körnige 
und  teilweise  fettige  Degeneration  des  Epithels  der  Harnkanäl- 
clum ;  Kerne  meist  noch  erhalten,  Zellgrenzen  verwischt;  die 
■M  a  1  ]» i  gh  i  sehen  Körperchen  sind  ])esser  erhalten,  die  Kerne 
deullicdier  gefärbt.  Die  übrigen  Organe,  auch  Gehirn,  ATedulla 
und  Rückenmark,  intakt. 

Hase  8.  8  Tage  post  ambustionem  f.  Sektion:  Geschwüre 
im  Darm.  Histologischer  Befund:  Niere:  Parenchymatöse  Ent¬ 
zündung  mit  ausgedeluder  parenchymatöser  und  fettiger  De- 
g(Mieralion  d('r  Epithelien  der  Harnkanälchen  und  Rundzellen¬ 
infiltration.  Die  Rindenleile  sind  etwas  besser  erhalten.  Herz: 
Wenig  vei'ändert.  Darintrakt:  Hochgradige  Entzündung,  aus¬ 
gedehnte  Gefäße  und  reicldicbe  Rundzelleninfiltration,  slellen- 
AV('is('  Epitbeldefekte.  Osmiumpräparate:  Niere:  Nament- 
li(di  in  d('n  Tnbulis  rectis  zweiter  Ordnung,  weniger  in  den 
Tubnlis  contortis,  in  den  Epithelzellen  zahlreiche  Fettröpfchen, 
in  den  Harnkamälchen  granulierte  und  Rlutzylinder,  hesonders 
croßc'  Fettropfen  am  Hilus.  G  e lii  r  n  :  Stelbmweise  feinste  Fett¬ 


tröpfchen  in  den  Ganglienzellen  und  in  der  Glia.  Leber:  ln 
den  Zellen  und  besonders  in  den  Kapillaren  zahlreiche  Fett- 
tröpfeben.  Herz:  Spärliche  Fettröpfchen,  namentlich  im  Binde¬ 
gewebe.  I  i  1  U 

Hase  [).  10  Tage  post  ambustionem  t.  Im  .Magen  starke 
Blut(u'güsse,  tlie  stellenweise  bis  zur  Oberfläche  der  Schleim¬ 
haut  reichen,  aus  den  submukösen  Gefäßen  bei  geringer  ent¬ 
zündlicher  Veränderung.  Niere:  Kerne  meist  gut  gefärbt  und 
und  ej'halten,  Protoplasma  z.  T.  körnig,  größitenteils  aber  voll 
Vakuolen.  Harnkanälchen  z.  T.  mit  Blut  ausgegossen.  Leber: 
Kerne  eihalten,  Protoplasma  in  beginnender  parenchymatöser  De¬ 
generation.  Dünndarm:  Stark  hyperämiscb,  starke  Rundzellen¬ 
infiltration,  Di'generation  des  Drüsenepithels.  Milz:  Stark  hyper- 
ärnisch.  Gehirn:  wie  bei  8;  an  einer  Stelle  in  der  weißen 
Substanz  eine  frische,  oberflächliche,  ziendich  ausigedehnte  Hämor- 
rhagie.  Osm  iuinprä  parat  e :  Leber:  In  den  Zellen  verein¬ 
zelte  Fettröpfchen.  Niere:  In  der  Hilusgegend  reichliche  Fett- 
anhänfungen.  Die  übrigen  Organe  normal. 

Hase  10.  14  Tage  post  ambustionem  f.  Niere:  Be¬ 

ginnende  parenchymatöse  Degeneration.  Glomeruli  intakt.  Di(i 
übrigen  Organe  ohne  auffallende  Veränderungen.  Im  Getiirn 
etwas  stärker  gefüllte  Gefäße.  Das  Herz  hat  in  einzelnen  Teilen 
etwas  gekörntes  Protoplasma.  Fett  ist  nirgends  in  ausgesproche¬ 
nem  Grade  zu  finden. 

Ha:se  11.  Wurde  in  acht  Tagen  zweimal  über  Brust  und 
Bauch  verbrüht;  er  nalmi  in  der  Folge  von  2700  bis  2050  g 
an  GeAvicht.  ab,  starb  aber  erst  vier  Wochen  nach  der  Ver¬ 
brennung.  Sektion:  SchAvere  Degeneration  der  Nieren,  links 
ein  kleiner  Infarkt;  kleine  Lungenatelektasien,  Degeneration  des 
Herzens.  Histologischer  Befund:  Herz:  Muskelfasern  ge- 
quollen,  Kerne  etAvas  blaß,  aber  ziemlich  reichlich,  Querstreifung 
verwischt,  einzelne  Blutungen.  Gehirn:  Gefäße  stark  gefiillt, 
zahlreiche  Rundzellen.  Ganglienzellkerne  gut  gefärbt.  Niere: 
Glomeruli  ohne  besondere  Veränderung;  in  den  Harnkanälchen 
sind  die  Zellkerne  meist  erhalten  und  gefärbt,  das  Protoplasma 
stark  gekörnt,  die  Zellgrenzen  verwischt.  Leber:  Ganze  Partien 
stark  degeneriert,  die  Kerne  kaum  gefärbt  und  in  Auflösung. 
Keine  Zellgrenzen.  Struktur  AÜelfach  verloren  gegangen.  Die 
Lunge  blutreich  mit  einzelnen  lobulärpneumonisclien  Herden. 
In  den  Leberzellen  ziemlich  zahlreiche  kleinste  Fettkugeln, 
manchmal  in  größeren  Gruppen. 

Hase  12.  Ebenfalls  zweimal  verbrüht.  Tod  nach  AÜer 
Wochen.  Sektion:  Lokaleffekt  fast  ausgeheilt.  Parenchymatöse 
bis  fetlige  Degeneration  der  parenchymatösen  Organe. 

Histologischer  Befund:  Magen:  Epithel  der  Schleim¬ 
haut  streckeiiAveise  verloren  gegangen.  Submuköse  Blutgefäße  stark 
gefüllt.  M  i  1  z :  Sehr  blutreich,  mit  einzelnen  kleinen  Hämor- 
rhagien,  Kerne  und  Zellen  gut  gefärbt.  Herz:  Scheint  normal. 
Niere:  Stark  blutgefüllt,  Blutzylinder,  Adele  Kerne  der  Harn¬ 
kanälchen  schwach  gefärbt,  keine  Zellgrenzen,  die  Zellen  zer¬ 
fallen,  Protoplasma  gekörnt.  Im  Parenchym  vielfach  Rlutaus- 
tritte.  Glomeruli  Avenig  verändert.  Leber:  Kerne  blaß  mit  Va¬ 
kuolen,  Zellen  gekörnt,  Grenzen  verwischt,  sehr  viel  Blut.  Darm¬ 
trakt:  Ohne  besondere  Veränderung.  Großhirn:  Sehr  blutreich, 
Zcltkerne  z.  T.  blaß  mit  Vakuolen,  einzelne  Lücken  im  Rinde- 
geAvebe.  Im  Marklager  finden  sich  nebst  kleinen  Fettkugeln  auch 
einzelne  verfettete  Alarkscheiden. 

Die  Darmdrüsen  enthalten  hesonders  gegen  das’  Lumen 
zu  reichlich  Fett.  Die  übrigen  Organe  zeigen  Avenig  fettige  Ent¬ 
artung,  doch  finden  sich  auch  in  der  Leber  stellemveise  kleine 
Gruppen  von  Fettröpfchen. 

Die  Untersuchung  der  verbrühten  Hautpartien  selbst  hat 
vei'hältnismäßig  .Avenig  bedeutende  Befunde  ergeben.  Es  finden 
sich  die  Zeichen  der  Dermatitis,  reichliche  Gefäßfüllung  und 
Rundzelleninfiltration,  Abhebung  mit  Kolliquation  der  Epidermis, 
eventuell  SubstanzAmrluste.  Die  zahlreichen  Haarfollikel  Avaren 
meist  nur  Avenig  A-erändert ;  die  knapp  unter  der  Haut  liegenden 
Mnskelbündel  zeigten  in  einigen  Fällen  fettige  Entartung,  ebenso 
eiwiesen  si(di  die  Scheiden  der  markhaltigen  Nerven  der  Sub- 
kutis  stellemveise  fettig  degeneriert. 

Bevor  icli  auf  die  Deutung  der  oben  dargelegten  tat¬ 
sächlichen  Befunde  eingehe,  Avill  ich  zunächst  kurz  auf  die 
A'O)!  anderen  Ardoren  darüber  veröffentlicditen  Angalmn  zu 
sprechen  kommen.  Fast  hei  allen,  die  sich  mit  "der  Ver- 
lirennung  beschäftigt  haben,  findem  wir  auch  Berichte  über 
den  Zustand  der  inneren  Organe  hei  Verbrannten.  Die  vdeh- 
tigsten  dieser  Angaben  sind  von  Parascandolo  (Experi¬ 
mentelle  T^ntersuchungon  über  Verbrennung,  Wiener  medi¬ 
zinische  Wochenschrift  1904,  Nr.  14  bis  16)  mit  Angabe 
der  Quellen  entsprechend  gewürdigt  AAmrden,  und  ich  kann 


Nr.  8 


WIENER  KIRN  ISCHE  WOCllENSCIIRIET.  1907. 


duller  hier  auf  die  Wiederholung  von  Eiiizellieileii  und  er- 
sidiöpfendeii  Angalien  der  Literatur  verzichten.  Bezüglich 
tier  histologischen  Veränderungen  an  den  einzelnen  Or¬ 
ganen  kann  man  daraus  folgendes  entnehmen: 

Am  Herzen  findet  sich  parenchymatöse,  manchmal 
auch  fettige  Degeneration;  auch  in  einzelnen  Fällen  stellen¬ 
weise  Andeutung  von  Vakuolenbildung  in  den  Zellen;  die 
Ouerstreifung  ist  oft  undeutlich,  die  Oefäße  stark  mit  Blut 
gefüllt.  i\n  den  Lungen  wurden  wiederholt  lobäre  und 
lobuläre  pnemnonisclie  Herde  mit  fibrinösem  Exsudat  in  den 
Alveolen  beschrieben,  einhergehend  mit  starker  Hyperämie. 
In  der  Milz  zeigten  sich  Schwellungen  einzelner  Malpighi- 
scher  Körperchen  mit  zentralen  Nekrosen,  Zerstörungen  der 
Zellkerne  bei  gleichzeitigem  Auftreten  abnormer  Zellen  von 
ganz  verschiedenem  Aussehen  und  manchmal  endothelialem 
Charakter;  manche  Autoren  gehen  auffallende  Füllung  der 
Oefäße  an.  Die  Leber  zeigt  meist  körnige,  manchmal  auch 
Andeiitmig  von  fettiger  Degeneration,  einzelne  'Zellen  sind 
nekrotisch,  die  Zellgrenzen  verwischt,  die  Kerne  vakuoli- 
siert;  in  allen  Fällen  wird  die  starke  Füllung  der  Venen 
und  Kapillaren  betont.  Geschwüre  wurden  im  Magen, 
Duodenum  und  Ilenm  gefunden  und  von  einzelnen  Auto¬ 
ren,  so  von  Curling,  sehr  genau  studiert.  Sie  reichten 
mehr  oder  weniger  tief,  die  Darmfollikel  waren  mäßig  ge¬ 
schwellt,  stellenweise  im  Zentrum  nekrotisch,  die  subnmkö- 
sen  und  interglandulären  Gefäße  strotzend  mit  Blut  gefüllt, 
stellenweise  punktförmige  Hämorrhagien ;  an  einzelnen 
Stellen  die  Schleimhaut  durch  Hämorrhagien  von  ihrem  sub- 
mukösen  Gewebe  abgehoben. 

Ebenfalls  zahlreiche  Autoren  berichten  über  Verände¬ 
rungen  an  den  Nieren;  sie  fanden  körnige  und  fettige  De¬ 
generation,  auch  Nekrosen  an  den  Epithelien,  besonders 
an  denen  der  Tubuli  contorti;  die  Gefäße  erweitert  und  mit 
dichtgedrängten  Blutkörperchen  gefüllt. 

Ueber  die  Veränderungen  des  Nervensystems  bei 
Tieren,  die  an  Verbrennung  gestorhen  sind,  hat  besonders 
Parascandoli  (Arch,  de  Physiol,  norm,  et  pathol.  1898, 
pag.  714,  und  Arch.  Intern,  di  Med.  et  Chirurg.  1899,  Nr.  G 
größere  Untersuchungen  angestellt  und  dabei  Degenerationen 
in  verscheidenen  Teilen  des  Zentralnervensystemes  finden 
können. 

Zwar  keine  histologischen,  aber  genaue  patholo¬ 
gisch-anatomische  Angaben  über  die  Befunde  an  den 
inneren  Organen  seiner  ex|)erinientell  verbrühten  Kaninchen 
gibt  Pfeiffer  (siehe  ohenV  Er  konnte  feststellen,  daß  die 
degenerativen  Veränderungen  an  den  inneren  Organen 
zunehmen,  je  länger  die  'lie re  nach  der  Verbrennung 
am  Leben  bleiben.  Er  fand  im  großen  und  ganzen  ähn¬ 
liche  Veränderungen,  wie  sie  von  den  früheren  Autoren  be¬ 
schrieben  worden  sind,  also  namentlich  Degeneration 
der  parenchymatösen  Organe  und,  vor  allem  bei 
länger  lebenden  Tieren,  char  akteristische  Geschwüre 
im  Magendarmtrakt.  Hauptsächlich  um  die  Arbeiten  Pfeif¬ 
fers  in  der  Bichtung  der  Untersuchung  der  veränderten 
Organe  experimentell  verbrannter  Tiere  zu  vervollständigen, 
habe  ich  meine  oben  angegebenen  Untersuchungen  an¬ 
gestellt. 

Diese  ergaben  im  wesentlichen  eine  Bestätigung 
der  von  anderer  Seite  gemachten  Beobachtungen,  ferner 
aber  namentlich  im  Hinblick  auf  die  von  Pfeiffer  ge¬ 
fundenen  und  genau  erforschten  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n  i  in 
Serum  der  Tiere  einige  bemerkenswerte  Tatsachen,  auf 
die  ich  später  zurückkommen  werde. 

Die  einzelnen  Organe  betreffend,  ist  folgendes  zu 
bemerken.  In  allen  Fällen  und  fast  stets  am  stärksten  ver¬ 
ändert  erwiesen  sich  hei  nudnen  Kaninchen  die  xNieren. 
Wir  finden  da  Hyperämie  mit  nur  stellenweise  vorhan¬ 
dener,  beginnender  feinkörniger  Degeneration  der 
Epithelien  der  Harnkanälchen  bis  zum  ausgesprochenen 
nekrotischen  Zerfall  des  Parenchyms  großer  Bezirke 
und  Nephritis  mit  granulierenden  und  Blutzylinderu  in  den 
Harnkanälchen.  Am  wenigsten  beteiligt  sind  dabei  die 
Forjiuscula  Malpighi;  in  den  leichleren  Fällen  scheinen 


sie  ganz  intakt,  aber  auch  iu  schwereren  findet  man  außer 
starker  Füllung  der  Kapillaiam  nur  wenig  Veränderungim 
an  einzelnen  Zellen,  die  Keine  sind  stels  noch  gut  färbbar. 
Von  F e 1 1  e  n  t  a  r  1 11  n  g  ist  wenig  zu  merkmi,  nur  in  wenigen 
Fällen,  besonders  hei  sohdien,  wo  es  ersl  längere  Zeit  nach 
der  Verbrennung  zum  Exilus  kam,  haben  sich  in  einzelnen 
Zellen,  besonders  der  Ausführungskanäle,  kleine  Fettröpf- 
chen  gebildet. 

Daß  die  Beteiligung  der  Nieren  so  stark  in  den  Vorder¬ 
grund  tritt  und  auch  schon  heiTieren  sich  findet,  die  wenige 
Stunden  nach  der  Verbrennung  zugrunde  gingen,  kann 
nicht  verwundern,  wenn  man  die  Ergebnisse  von-P  f  e  i  f  f  e  r  s 
Arbeiten  berücksichtigt:  er  fand,  daß  das  beträchtliche  An¬ 
steigen  der  Toxizität  im  Harn  der  Tiere  expm’inienlell 
nachgewiesen  werden  kann;  schou  vier  Stunden  post  am- 
hustionem  kann  der  Harn  giftig  sein,  wenngleiidi  innerhalb 
der  ersten  24  Stunden  in  der  Mehrzahl  der  von  ihm  beob¬ 
achteten  Fälle  eine  liesondere  Giftigkeit  des  Harnes  nicht 
zu  konstatieren  war.  Aber  die  Tiere,  die  eben  so  rasch 
starben  (Hase  1  bis  3),  müssen  doch  liereits  in  dieser  kurzen 
Zeit  beträchtliche  Giftmengen  gebildet  haben,  daher 
man  auch  hei  ihnen  Veränderungen  der  Nieren  nicht  ganz 
vermißt. 

Als  das  am  nächst  häufigsteu  befallene  Organ 
muß  ich  nach  meinen  Untersuchungen  die  Leber  bezeich¬ 
nen,  die  in  acht  Fällen  mehr  oder  weniger  deutliche  Ent¬ 
artung,  meist  im  Sinne  einer  körnigen  Degeneration, 
erkennen  läßt.  Ausgesproidmne  Fettenfartung  war  nicht 
zu  beobachten,  doch  fanden  sich  in  einigen  Fällen  in  den 
Parenchymzellen  feinste  Fettröpfchen.  Bezüglich  der 
Leber  muß  bemerkt  werden,  daß  die  Veränderungen  nicht 
genau  im  Verhältnis  mit  der  Lebensdauer  nach  der 
Verbrennung  zunebmen,  denn  es  erwies  sich  namentlich 
beim  Hasen  3,  der  schon  sechs  Stunden  post  ambust. 
verendete,  die  Leber  ziemlich  stark  parenchymatös  degene¬ 
riert,  sogar  mit  Andeutungen  con  Fett,  während  anderseits 
bei  einem  erst  später  verendeten  Tiere  nennenswerte  Ver¬ 
änderungen  des  Lebergewebes  überhaupt  nicht  zu  konsta¬ 
tieren  waren.  Ebenso  wiesen  bei  den  Hasen  11  und  12, 
die  beide  ungefähr  noch  vier  Wochen  gelebt  hatten,  die 
Leberbefunde  insofern  einen  Unterschied  auf,  als  hei  dem 
letzteren  Tiere  nur  schwache,  bei  dem  ersteren  jedoch  sehr 
starke  Degenerationen  zu  finden  waren. 

Verhältnismäßig  wenig  histologische  Veränderungen 
konnten  am  Herzen  beobachtet  werden;  sie  waren  in  der 
Hegel  stärker  l)ei  den  später  gestorbenen  Tieren  und  be¬ 
stand  en  vorwiegend  in  feiner  K  ö  r  n  ii  n  g  des  Prot  o  p  I  a s- 
mas  mit  stellenweisem  Verlust  der  Querstreifung,  hie  und 
da  Andeutung  von  fettiger  Entartung.  In  einem  Falle  (Hase 5) 
fanden  sich  Zeichen  einer  Myokarditis  mit  kleinen  Hämorrha¬ 
gien  in  der  Herzwand. 

Die  Milz  zeigte  sich  in  den  Fällen,  wo  wir  sie  unter¬ 
suchten,  da  bereits  makroskopische  Veränderungen  zu  sehen 
waren,  analog  den  in  der  Literatur  angegebenen  Befunden 
verändert,  indem  nebst  einer  oft  sehr  starken  Hyperämie 
eine  Schwellung  der  Corpora  Malpighi  und  gelegentlich  Ne¬ 
krose  einzelner  Zellpartien  zu  konstatieren  war. 

Besonders  bemerkenswert  sind  die  Veränderungen  des 
Darmtraktes.  Dabei  läßt  sich  klar  feststellen,  daß  di(‘ 
kurz  nach  der  Verhrennung  verendeten  Tiere  noch  normah' 
Verhältnisse  aufwiesen,  während  die  länger  überlebenden 
Entzündungs-  und  Geschwürsprozesse  im  xMagen  und  Darm 
selbst  bis  zu  höheren  Graden  zeigten.  So  fand  sich  bereits 
beim  Hasen  8  (acht  Tage  post  ambustionem  t)  Geschwiiia* 
im  Darm  und  die  histologische  Untersuchung  ergab  im  Magen 
und  Dünndarm  starke  entzündli(die  Bundzelleninfiltratiou 
mit  maximaler  Füllung  der  submukfisen  Gefäße,  während  es 
in  der  Schleimhaut  seihst  allenthalben  zu  Blutaust.ritten  ge¬ 
kommen  war  und  das  Epithel  stellenweise  Defekte  auf¬ 
wies.  Stärker  waren  alle  diese  Erscheinungen  b(dm  Fla  sen  9 
(10  Tage  post  amhustionem  t)  oiid  sehr  ausgesprochen  hei 
den  Tieren,  die  noch  vier  Wochen  gelebt  hatten,  bei  denen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


sich  Cie  schwüre  im  iVlagen  und  Darm  liehst  starker 
Hyperämie  imd  Entzündung  fanden. 

Die  K  ö  r  p  erm  u  ske  I  n  entfernt  von  der  V'erhrennungs- 
stelle  erwiesen  sich  intakt;  an  den  verhrannten  Teilen 
konnte  man  starke  Degeneration,  namentlicli  fettige, 
heobachten,  was  offenbar  auf  direkt  schädigende  Einwirkung 
des  heißen  Wassers  zurückzutühren  ist. 

In  einem  Falle,  heim  Hasen  11,  fanden  sich  pnen- 
monische  Prozesse  in  einzelnen  Limgenalveolen,  die  mit 
fibrinösem  und  zelligem  Exsudat  ausgegossen  waren.  Bei 
den  anderen  Fällen  hatten  sich  die  Lungen  makroskopisch 
als  unverändert  erwiesen  und  wurden  daher  nicht  weiter 
untersucht.  Eine  wesentliche  Beteiligung  dieses  Organes 
liegt  jedenfalls  nicht  vor. 

Die  Untersuchung  der  Haut  an  den  verbrühten  Stellen 
hat  keine  bemerkenswerten  Resultate  ergehen.  Bei  dem 
außerordentlichen  Reichtum  an  Haaren,  den  die  Kaninchen 
aufweisen,  sind  die  lokalen  Folgen  der  Verbrennung  bei 
diesen  Tieren  durchaus  nicht  so  hochgradig  und  typisch 
wie  etwa  auf  menschlicher  Haut.  Man  sieht  einfach  eine 
starke  Dermatitis  mit  teilweisem  Verlust  des  Epithels,  Hyper¬ 
ämie,  sonst  aber  wenig.  xVufgefallen  ist  mir  nur  die  Fett- 
(3 n  t  a  r t u n  g  d er  Ne r v e n s c beiden  an  den  Nerven  der 
Kutis. 

ln  allen  Fällen  wurde  auch  das  Z  entrain  er  veu- 
system  untersucht,  ii.  zw.  verschiedene  Teile  des  Hirn¬ 
stammes,  der  Oehirnrinde  und  des  Kleinhirns,  sowie 
die  Medulla  oblongata  und  Teile  des  Rückenmarkes,  nach 
verschiedenen  Färbemethoden,  meist  nach  Marchi.  Das 
Ergebnis  dieser  Untersuchungen  kann  man  wohl  dahin  zu¬ 
sammenfassen,  daß  sich  irgendwelche  bemerkenswerte 
Schädigungen  dieser  Organe  in  keinem  Falle  erkennen 
ließen;  hie  und  da  war  vielleicht  die  Füllung  der  Gefäße 
eine  stärkere,  das  läßt  sich  aber  leicht  auf  die  Vorgänge 
beim  Tode  zurückführen,  wodurch  es  sicherlich  zu  einer 
momentanen  Stauung  kommen  kann,  die  dann  postmortal 
persistiert.  Größere  Hämorrhagien  der  Gehirnhäute  in  einem 
Falle  sind  ebenfalls  sicher  erst  bei  der  Entnabme  des  Ge¬ 
hirns  aus  dem  Schädel  entstanden.  Degenerationsvorgänge 
an  den  Nervenzellen  selbst  ließen  sich  nirgends  mit  Sicher¬ 
heit  nachweisen. 


mittelt,  daß  die  Giftigkeit  des  Harnes  nach  einigen 
Stunden  nach  der  Verbrennung  beginnt  und  dann  rasch 
zunimmt  bis  zur  5ß.  Stunde;  von  da  ab  sinkt  die  Toxizität 
des  Urins  in  der  Begel  wieder  beträchtlich  ab,  die  Giftig¬ 
keit  des  B 1  u  t  s  e  r  u  m  s  hingegen  steigt  konstant  an  bis 
zum  Tode,  anfangs  zwar  viel  langsamer  als  die  des  Harnes, 
erreicht  aber  schließlich  einen  höheren  Wert.  Ebenso  hat 
Pfeiffer  experimentell  die  nekrotisierende  Wirkung 
des  Serums  und  Harns  verbrannter  Tiere  nachgewiesen, 
welche  hei  subkutaner  Injektion  dieser  Flüssigkeiten  zu¬ 
tage  tritt. 

Aus  meinen  Enters uchungen  hinwieder  scheint  hervor¬ 
zugehen,  daß  die  histologischen  Veränderungen  an  den 
inneren  Organen  der  verbrannten  Tiere  rocht  gut  zu 
diesen  Befunden  Pfeiffers  passen.  So  macht  sich 
hei  den  bald  nach  der  Verbrennung  verendeten  Tieren  zu¬ 
nächst  die  Wirkung  des  giftigen  Harnes  geltend,  durch 
den  naturgemäß  in  erster  Linie  die  Niere  in  Mitleidenschaft 
gezogen  wird  und  wir  finden  daher  degenerative  Verände¬ 
rungen  dieses  Organes  auch  bei  jenen  Tieren,  bei  denen 
es  sonst  noch  zu  keinen  w(3iteren  Erscheinungen  gekommen 
war.  Daß  sich  die  Intensität  der  Degeneration  steigert,  je 
länger  das  Tier  noch  lebt,  erscheint  leicht  verständlich,  wenn 
man  bedenkt,  daß  es  später  zu  einer  Anreicherung  des 
toxischen  Prinzips  kornnd  und  dann  noch  die  Gift¬ 
wirkung  des  Serums  hinzutritt  und  eine  allgemeine 
Kachexie  hervorruft,  deren  eine  Folge  die  Degeneration 
der  parenchymatösen  Organe  und  des  Herzens  ist. 

Die  sich  mit  dem  längeren  Lehen  stets  steigernde 
Toxizität  des  Serums  führt  schließlich  zu  nekrotisie¬ 
renden  Prozessen  und  Hämorrhagien  im  Darmtrakt,  die  sich 
als  Entzündung  und  Geschwürsbildung  äußern.  Diese  Er¬ 
scheinungen  treten  also  hauptsächlich  bei  Tieren  auf,  die 
längere  Zeit  am  Leben  blieben,  etwa  nach  zehn  bis  vierzebn 
Tagen  und  bei  denen  das  Serum  die  nekrotisierenden  Eigen¬ 
schaften  erlangen  konnte. 

Ebenso  wie  frühere  Autoren,  besonders  Paras  ca  n- 
dolo,  konnte  auch  Pfeiffer  eine  starke  Wirkung  der  Ver¬ 
brennungsgifte  auf  das  Z  e  n  I  ral  n er  ve  ns  y  s  t  e  in  der  Tiere 
konstatieren,  wobei  auf  ein  anfängliches  Reizstadium  Läh¬ 
mung  und  schließlich  der  Tod  erfolgt.  Diese  Beteiligung 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11  ! 

12 

1^2  Stund. 

2^/2  stund. 

6  Stund. 

12  Stund. 

16  Stund. 

26  Stund. 

72  stund. 

8  Tage 

10  Tage 

14  Tage 

4  Wochen 

4  Wochei 

Niere 

beginnende 
parenchym . 
Degener. 

leichte 
Entzündung, 
Hämorrh., 
parenchym . 
Degener. 

parenchym. 

Degener., 

Hyperämie 

Hämorrh., 

parenchym. 

Degener. 

Ekchymosen 

parenchym. 

Degener. 

Nephritis, 
parenchym. 
u.  fett. 
I'egener. 

Nephritis, 
starke 
parenchym. 
u.  etw.  fett. 
Degener. 

Nephritis, 
parenchym. 
und  fett. 
Degener. 

parenchym. 

Degener., 

Hämorrh. 

beginnende 

parenchym. 

Degener. 

parenchym. 

Degener. 

hohen 

Grades 

parenchym. 

Degener. 

hohen 

Grades, 

Nephritis 

Leber 

stellenweise 

parenchym. 

Degener. 

OC 

Hyperämie, 

beginnende 

parenchym. 

Degener. 

Hyperämie, 

leichte 

parenchym. 

Degener. 

oc 

parenchym. 

Degener. 

‘Zx: 

beginnende 

parenchym. 

Degener. 

beginnende 
parenchym . 
Degener. 

OC 

starke 
parenchym . 
Degener., 
Fett 

stai'ke 

parenchym. 

Degener., 

Hyperämie 

Herz 

oc 

cc 

schwache 

parenchym 

Degener. 

OC 

Ekchymosen 
z.  T. 

parenchym. 

Degener. 

parenchym. 

Degener. 

parenchym. 

Degener. 

?c 

OC 

oc 

l)arenchym. 

Degener. 

cc 

Magen,  Darm 

"C 

'V 

OC 

re 

Hämorrh. , 
Ent¬ 
zündungen 

OC 

■\ 

Ent¬ 

zündungen, 

Hämorrh., 

Geschwüre 

Hämorrh., 

Ent¬ 

zündungen, 

Geschwüre 

Ent¬ 

zündungen, 

Hämorrh. 

/ 

Ent¬ 

zündungen, 

Hämorrh. 

Milz 

oc 

/ 

/ 

Hyperämie 

Hyperäm'e 

oc 

'  'X' 

Ent¬ 

zündungen 

Hyperämie 

OC 

/ 

Hyperämie, 

Hämorrh. 

Nervensystem 

oc 

oc 

lOC 

OC 

V 

cc 

CV' 

X' 

evT 

oc 

OC 

oc 

oc 

—  negativer  Hefund. 

nicht  untersucht. 

1 

Aus  den  vorstehenden  Befunden,  die  i(di  in  diu'  bei¬ 
gefügten  Tabelle  übersiiditlich  zusammengestellt  habe,  er- 
g(d)(‘n  sich  im  Hinblick  auf  die  Befunde  PfeiffiM's  einisie 
nicht  uninteressante  Gesichtspunkte.  Pfeiffi'r  hat  auf 
Grund  seiner  zahlreichen  und  genauen  Untersuchungen  er- 


des  Nervensystems  kommt  aber  im  histologischen  Bilde 
nicht  zum  Ausdruck;  die  Veränderungen  dürften  daher 
entweder  nur  funktioneller  Natur  sein  oder  sie  sind  so  ge¬ 
ringfügiger  Art,  daß  sie  mil  unseren  Hilfsmitteln  nicht  zur 
Darstellung  gebracht  werden  können. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


227 


Aus  der  II.  Chirurg.  Abteilung  der  k.  k.  Rudolfstiftung. 

(Vorstand:  Primarius  Priv.-Doz.  Dr.  0.  Föderl.) 

Zur  Kasuistik  der  Pneumokokkenmetastasen. 

Von  Dr.  Aiitou  v.  Kliautz  jun.,  Assistenten  der  Abteilung. 

Die  Lokalisation  des  Diplococcus  lanceolatiis  außer¬ 
halb  der  Lange,  wodnrcli  er  in  den  verschiedensten  Korper- 
gebieten  Entzündung  und  Eiterbildung  anregen  kann,  ist 
schon  von  seinen  Entdeckern  Eraenkel  und  Weicbsel- 
baum  bekantitgegeben  worden.  Wenn  auch  die  Diplokokken¬ 
eiterungen  meist  metapneunionisch  sind,  so  sind  doch  Fälle 
heschrieben,  besonders  Peritonitiden,  wo  ein  pneumonischer 
Herd  nicht  zu  eruieren  war  (Weichselbaum, Banti,”) 
Dalliard^)  u.  a.)  und  die  nachgewiesene  Lokalisalion  an¬ 
scheinend  die  primäre  war.  Daß  aber  auch  der  umgekehrte 
Weg  möglich  ist,  nämlich,  daß  nach  einer  extrapulmonalen 
Diplokokkeneiterung  sich  eine  Pneumonie  entwickelt,  zeigt 
der  Fall  von  Heddaeus,^)  wo  nach  einer  akuten  Strumitis 
wahrscheinlich  auf  embolischem  Wege  eine  Pneumonie  ent¬ 
stand,  aus  deren  Sputum  ebenlalls  Pneumokokken  in  Rein¬ 
kultur  gezüchtet  wurden.  Bevorzugte  Organe  für  die  Meta¬ 
stasierung  dieser  Bakterien  sind  die  Knochen,  Gelenke  und 
das  Peritoneum;  seltener  die  Glandula  tliyreoidea.  Parotis, 
Tonsille  usw.  Auch  rein  intramuskuläre  Abszesse  sind  nicht 
häufig.  Eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  bisherigen 
Puhlikationen,  vermehrt  um  eine  Anzahl  an  der  Straßburger 
chirurgischen  Klinik  beobachteter  Fälle,  brachte  vor  einigen 
Jahren  Ernst  Meyer.^) 

Im  folgenden  sei  mir  gestattet,  über  drei  selbst  beob¬ 
achtete  Fälle  von  metapneumonischer  Eiterung  zu  berichten, 
die  ich  an  der  Abteilung  meines  Chefs,  Herrn  Primarius 
Föderl,  zu  sehen  Gelegenheit  hatte.  Die  beiden  ersten 
Fälle  betrafen  das  Kniegelenk,  während  im  dritten  Falle 
die  Regio  scapularis  beteiligt  war. 

1.  F.  K.,  52  Jahre  alt,  Wäscherin,  aufgenommen  am  20.  Ja¬ 
nuar  1906  sub  J.-Nr.  773. 

Vor  sechs  Jahren  Gelenksrheumatismus  und  linksseitige 
Rippenfellentzündung.  Seit  dieser  Zeit  bei  Anstrengungen  Atem¬ 
not  und  Herzklopfen. 

Seit  fünf  Tagen  Schmerzen  im  rechten  Kniegelenk,  das 
langsam  anschwoll.  Zu  gleicher  Zeit  schwollen  beide  Unter¬ 
schenkel  an,  der  linke  stärker. 

Status  praesens:  Mittelgroß,  mittelkräftig,  gut  genährt. 
Temperatur  37-9,  Puls  100. 

Rechts  hinten  unten  von  der  achten  Rippe  an  Lungen¬ 
schall  und  Atmen  stark  abgeschwächt.  Links  von  der  neunten 
Rippe  an  Dämpfung,  Atmen  normal. 

Vorne  rechts  von  der  sechsten  Rippe,  links  von  der  vierten 
Rippe  an  Dämpfung. 

An  Herz  und  Abdomen  nichts  Besonderes. 

Am  linken  Unterschenkel  ein  kronenstückgroßes,  eiterndes, 
kallüses  Fußgeschwür,  der  Unterschenkel  geschwollen,  ödematös 
gerötet,  schmerzhaft,  desgleichen  der  rechte  Unterschenkel  in  der 
Gegend  des  Sprunggelenkes. 

Das  rechte  Knie  geschwollen,  Konturen  verwischt,  Ballo¬ 
tement  der  Patella.  Druck  und  Bewegungen  schmerzhaft. 

Diagnose:  Pneumonia  dextra,  Thrombophlebitis  cruris 
utriusque.  Gonitis  dextra. 

Therapie:  Bettruhe,  Burow-Umschläge. 

Dekursus:  Fieber  (38  bis  39“)  anhaltend,  rechts  hinten 
deutliches  Bronchialatmen  und  Rasseln.  Die  Unterschenkel  schwel¬ 
len  ah,  das  rechte  Knie  stärker  geschwollen. 

24.  Januar.  Probepunktion  des  rechten  Kniegelenkes  er¬ 
gibt  gelbliche,  seröse  Flüssigkeit,  in  welcher  Diplococcus 
lanceolatus  in  Reinkultur  nachgewiesen  wird  (Priv.-Doz.  Dok¬ 
tor  C.  Sternberg). 

26.  Januar.  Kritischer  Fieberabfall.  Die  Schmerzen  auf  der 
Brust  und  im  Knie  lassen  nach. 

28.  Januar.  Knie  abgeschwollen. 

b  Zenlralblatt  für  Rakt.  und  Parasitenkunde  1889. 

b  Sperimentale  1889,  Febbraio. 

Bullet,  et  m4m.  de  la  soc.  m4d.  des  hop.  de  Paris  1890. 

*)  Münchener  med.  Wochenschrift  1896. 

Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Med.  und  Chir.  1903,  Bd.  11. 


31.  Januar.  Sclmierzen  in  beiden  Hüftgelenken  und  im 
linken  Kni(^gelenk.  Natr.  salicyl.  4X1. 

4.  Februar.  Sclnnerzhafligkeit  in  “allen  Gelenken  geschwun¬ 
den.  Temperatur  dauernd  normal.  Geheilt  entlassen. 

2.  E.  R.,  zwei  Jahre  alt,  Bahnhedienstetensohn,  aufgenom¬ 
men  am  28.  Dezember  1906  sub  J.-Nr.  12.971. 

Vor  einem  Jahre  Lungenentzündung;  seit  dieser  Zeit  Husleii. 
Vor  14  Tagen  an  linksseitiger  Lungenentzündung  erkrankt,  die 
angeblich  sieben  Tage  dauerte  und  nach  deren  Ablauf  am 
23.  Dezember  das  rechte  Knie  unter  Schmerzen  in  wenigen  Stunden 
anschwoll.  Stand  in  privatärztlicher  Behandlung. 

Status  praesens:  Schlecht  genährter,  rhachitischer 
Knabe,  blaß.  An  Kopf,  Oberlippe  und  Nasenflügeln  Ekaemkrusten. 
Ueber  beiden  Lungen  trockene  Rasselgeräusche.  Temperatur  39-1“. 

Das  rechte  Kniegelenk  in  Beugestellung  von  ca.  120“,  kugelig 
angeschwollen,  Konturen  der  Patella  verwischt.  Haut  i)läulich, 
zahlreiche  Venen  durchschimmernd,  glatt,  glänzend,  prall  gespannt. 
Deutliche  Fluktuation  im  Gelenk,  Ballotement  der  Patella. 

Diagnose:  Empyema  genus  dextri  metastaticum. 

Therapie:  Im  Aetherrausch  werden  durch  je  eine  4cm 
lange  Inzision  zu  beiden  Seiten  der  Patella  ca.  100  cm“  dicken, 
grünen  Eiters  enl leert;  zwei'  Gümmidrains  quer  durchgeführt; 
Bur  ow- Verband. 

Bakteriologischer  Befund  (Dr.  Mare  sch):  In  Deck¬ 
glaspräparaten  nur  mit  Kapseln  versehene.  Gram-beständige  Diplo¬ 
kokken.  Auf  Blutagarplatten  Diplococcus  lanceolatus  in 
Reinkultur. 

Dekursus:  Seit  der  Inzision  fieberfrei.  Infolge  vorüber¬ 
gehender  Verschlimmerung  der  Bronchitis  vereinzelte  Temperatur¬ 
steigerungen  bis  38-5“. 

AVundsekretion  anfangs  sehr  stark.  Unter  drei-  bis  vier¬ 
tägigem  Verbandwechsel  mit  Sublimatdurchspülungen  nimmt  die 
Sekretion  rasch  ab,  so  daß  am  17.  Januar  die  Drains  entfernt 
werden  können. 

24.  Januar  1907.  Inzisionswunden  geheilt;  Gelenk  gänz¬ 
lich  abgeschwollen,  zeigt  normale  Konfiguration. 

Aktive  Beugung  und  Streckung  frei.  Passiv  geringe,  abnorme 
Beweglichkeit  im  Sinne  der  Hyperextension  und  Adduktion.  Ge¬ 
heilt  entlassen. 

3.  M.  D.,  44  Jahre  alt,  Hilfsarbeitersgattin,  aufgenommen 

am  24.  Mai  1905  sub  J.-Nr.  5299  auf  die  erste  medizinische 
Abteilung.  i 

Erkrankte  vor  vier  Tagen  plötzlich  mit  Schüttelfrost,  Fieber 
und  Seitenstechen. 

Status  praesens:  Mittelgroß,  schlecht  genährt;  zyano¬ 
tisch,  starke  Dyspnoe  (Atmung  40),  Puls  96,  Temperatur  36-8“. 
Thorax  vorne  entsprechend  dem  Oberlappen  gedämpft  tympani- 
tisch,  sonst  normale  Schallverhältnisse.  Im  Bereiche  der  Däm¬ 
pfung  lautes  Bronchialatmen,  Krepitieren.  Ueber  der  übrigen 
Lunge  spärliche,  feuchte  Rasselgeräusche.  Am  Herzen  an  allen 
Ostien  ein  lautes,  systolisches  Geräusch,  am  lautesten  über  der 
Basis. 

Diagnose:  Pneumonia  dextra  superior. 

Unter  Digitalis-  und  Pyrenohnedikation  sind  nach  einer 
Woche  bei  fast  fieberfreiem  Verlaufe  die  pneumonischen  Er¬ 
scheinungen  geschwunden. 

Mitte  Juni  werden  Zeichen  von  hämorrhagischer  Nephritis 
konstatiert,  die  auf  Milchdiät  allmählich  zurückgehen. 

16.  Juni.  Pat.  klagt  seit  fünf  Tagen  über  Schmerzen  in 
der  linken  Schulter,  ausstrahlend  in  die  linke  obere  Extremität. 
Ueber  der  linken  Skapula  eine  über  faustgroße,  fluktuierende, 
schmerzhafte  Geschwulst,  von  normaler  Haut  bedeckt.  Probe¬ 
punktion  ergibt  dicken,  gelben  Eiter.  Temperatur  38“.  Im  Eiter 
Diplococcus  lanceolatus  in  Reinkultur  (Priv.-Doz.  Doktor 
C.  Sternberg). 

Pat.  wird  am  17.  Juni  auf  die  zweite  chirurgische  Abteilung 
transferiert. 

18.  Juni.  Im  Aetherrausch  Inzision  und  Gegeninzision  am 
oberen  und  unteren  Pol  der  Geschwulst,  wodurch  eine  zwischen 
Latissimus  dorsi  und  den  Skapularmuskeln  gelegene  xVbszeßhöhle 
eröffnet  und  ca.  150  cm“  dicken,  grünen  Eiters  entleert  werden. 
Der  Knochen  nirgends  bloß  zu  tasten.  Gummidrainage. 

Dekursus:  Die  Wundsekretion  nimmt  langsam  ab,  die 
Höhle  granuliert  aus. 

15,  Juli  1905.  Geheilt  entlassen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


Aus  der  Prosektur  der  Landeskrankenanstalt  in  Brünn. 

(Prosektor  Doz.  Dr.  Carl  Sternberg.) 

lieber  eine  Fehlerquelle  bei  der  Ferrocyankaii- 
probe  als  Eiweißreaktion. 

Von  Dr.  Hugo  Scliiniedl,  Marienbad. 

üiitersuchuiigeii  von  Kaniiichenharneii  in  der  Vor¬ 
periode  eines  Sloffwechselversuclies  ergaben  auffälligerweise 
bei  der  Ferrocyankaliprobe  konstant  positive  Eiweißreaktion. 
Eine  Nachprüfung  an  einer  größeren  Zahl  von  Kaninchen 
zeitigte  iinnier  dasselbe  Resultat,  an  dem  auch  Eutterwechsel 
nichts  änderte.  Es  wurden  nun  zur  Kontrolle  die  Sulfo- 
salizylsäure-  und  die  Sublimatreaktion  herangezogen,  die 
außer  einer  intensiven  Nukleoalbumintrübung  auf  Säiire- 
zusatz  oft  —  aber  durchaus  nicht  konstant  -  -  ein  deutliches 
Stärkerwerden  der  Trübung  zeigten. 

Da  es  von  vornherein  unwahrscheinlich  war,  daß  es 
sich  hier  um  einen  Eiweißniederscblag  handle,  habe  ich, 
um  die  Möglichkeit  einer  nachträglichen  Harnverunreinigung 
auszuscliließen,  die  Kaninchen  katheterisiert;  die  so  erhal¬ 
tenen  Harne  zeigten  konstant  negative  Ferrocyankalireaktion, 
während  das  Verhalten  der  anderen  Reaktionen  unverändert 
blieb.  Damit  war  festgestellt,  daß  die  Ferrocyankalireaktion 
durch  eine  außerhalb  des  Körpers  zum  Harn  hinzugetretene 
Substanz  bedingt  war. 

Die  Tiere  wurden  in  Drahtnetzkäfigen  auf  verzinkten 
Eisenblechtassen  gehalten  und  es  war  natürlich  die  nahe¬ 
liegendste  Annahme,  daß  hier  irgendwelche  Substanzen  in 
den  Harn  gelangt  waren  und  den  positiven  Ausfall  der  Re¬ 
aktion  verursachten.  Ich  verdanke  nun  Herrn  Professor 
Obermayer,  bzw.  dessen  Assistenten  Herrn  Dr.  Zak  die 
Kenntnis  der  Tatsache,  daß  nach  den  Erfahrungen  von 
Herrn  Prof.  Mau  timer  eine  positive  Ferrocyanreaktion 
des  Harnes  durch  die  Anwesenheit  von  Zinksalzen  in  dem¬ 
selben  verursacht  sein  kann;  ich  versuchte  daher  zuerst 
den  Nachweis  von  Zink  in  dem  in  den  Tassen  gesammelten 
Kaninchenharn. 

Eine  Probe  des  Harnes  wurde  mit  Salzsäure  versetzt, 
auf  dem  Wasserbad  zur  TTockne  verdampft,  hierauf  durch 
gelindes  Glühen  die  organische  Substanz  zerstört  und  der 
Rückstand  in  verdünnter  Salzsäure  aufgenomrnen.  Die  von 
Kohleteilchen  filtrierte  Lösung  wurde  klar  erhalten  und  neu¬ 
tralisiert.  Ein  Teil  derselben  wurde  mit  Schwefelammonium 
versetzt ;  aus  der  neutralen  oder  schwach  alkalischen  Lösung 
fiel  ein  weißer  Niederschlag  aus,  ebenso  aus  der  essig¬ 
sauren  Lösung.  Dieser  Niederschlag  war  in  Salzsäure  lös¬ 
lich.  Hiermit  war  gezeigt,  daß  es  sich  um  ein  Metall  der 
111.  Grappe  (Fe,  Zn,  Mn,  Cr,  Al,  Ur,  Ni,  Go)  handelte. 
Die  weiße  Farbe  des  Niederschlages  ließ  nur  mehr  das 
Vorhandensein  von  Zink  oder  Aluminium  zu  (Fe,  Ni,  Co 
geben  einen  schwarzen,  Cr  einen  grünlichen,  Mn  einen 
fleischroten,  Ur  einen  schwarzgrünen  Niederschlag).  Es 
wurde  daher  ein  zweiter  Teil  des  Filtrates  tropfenweise  mit 
Ammoniak  versetzt;  es  entstand  zuerst  eine  weiße  Ttü- 
bung,  die  aber  bei  weiterem  Zusatz  verschwand:  eine  Re¬ 
aktion,  welche  das  Vorhandensein  von  Aluminium  aus¬ 
schließt.  Es  enthielt  also  der  Harn  einen  nicht  flüchtigen 
Destandteil,  u.  zw.  ein  Metallsalz,  welches  durch  obige  Re¬ 
aktionen  als  Zinkverbindung  identifiziert  wurde.  Dadurch 
war  nachgewiesen,  daß  der  stark  alkalische  Kaninchenham 
beim  stundenlangen  Stehen  in  den  Tassen  Spuren  des  Metall¬ 
materiales  gelöst  hatte  und  tatsächlich  zeigte  Katlieterharn 
mit  negativer  Ferrocyanreaktion  auf  die  Tassen  ausgegossen 
nach  zwölf  Stunden  prompt  positiven  Ausfall  der  genannten 
Reaktion. 

Die  vorgetäuschte  Eiweißreaktion  kommt  dadurch  zu¬ 
stande,  daß  Zinksalze  in  neutraler,  alkalischer  oder  essig¬ 
saurer  Lösung  mit  dem  Ferrocyankalium  das  Zinksalz  der 
Ferrocyanwasserstoffsäure  bilden,  welches  in  Wasser  un¬ 
löslich  ist  und  in  einer  dem  Eiweißniederschlag  ähnlichen 
Form  als  flockiger  weißer  Niederschlag  ausfällt.  Diese  Re¬ 
aktion  läßt  sich  etwa  so  formulieren : 


Fe  (CN)«  K4  +  Zn  x  K.  x  -f  Fe  (CN),  K2  Zn 
Fe  (CN)ö  K4  -p  2  Zn  X  2  K2  x  +  Fe  (C  N)^  Zn2. 

Je  nachdem  das  Zinksalz  oder  das  Ferrocyankalium 
im  lieberschuß  ist,  geht  die  erste  oder  zweite  Reaktion 
vor  sich,  x  bedeutet  oben  ein  zweiwertiges  oder  zwei  ein¬ 
wertige  Radikale. 

Zur  Erklärung  des  konkreten  Falles  scheint  es  noch 
notwendig,  auf  die  leichte  Löslichkeit  des  Zinkes  und  auf 
die  Empfindlichkeit  der  Ferrocyanzinkreaktion  hinzuweisen. 
Zink  ist  in  sauren  und  alkalischen,  nicht  aber  in  neutralen 
Flüssigkeiten  löslich;  die  Angreifbarkeit  des  Zinkes  war 
in  unserem  Falle  noch  erhöht,  weil  ein  anderes  Metall : 
Eisen,  mit  dem  Zink  der  Flüssigkeit  in  Berührung  stand. 
Es  bildet  dann  Zink-Flüssigkeit-Eisen,  ein  galvanisches  Ele¬ 
ment,  in  welchem  der  stärkere,  elektropositive  Teil,  hier 'also 
das  Zink,  aufgelöst  wird,  rascher  noch,  als  bei  Abwesenheit 
eines  zweiten  Metalles. 

Um  die  Empfindlichkeit  der  Reaktion  zu  konstatieren, 
stellte  ich  mir  eine  Lösung  von  2  g  des  kristallinischen 
Zinksulfates  (sieben  Moleküle  Kristallwasser  enthaltend)  in 
100  criN  Wasser  her.  Einen  Tropfen  dieser  Lösung  fügte 
ich  zu  10  cm^  eines  normalen  Menschenharnes  und  ver¬ 
suchte  die  Ferrocyankalireaktion,  die  einen  deutlichen 
Niederschlag  ergab.  Dieselbe  Zinkmenge  in  20  cni^  des 
gleichen  Harnes  ergab  bei  der  genannten  Reaktion  nunmehr 
eine  kaum  merkliche  Trübung.  Die  Konzentration  des  Zinks 
im  Harn  war  im  ersten  Falle  0  000022  g  pro  cm^  Harn, 
im  zweiten  Falle  0-000011  pro  cm^.  Daraus  folgt,  daß  niini- 
male  Zinkmengen  bei  der  Ferrocyankaliprobe  eine  dem 
Eiweißniederschlag  ähnliche  Fällung  geben. 

Es  erscheint  mir  jetzt  noch  notwendig,  auf  die  anderen 
eingangs  erwähnten  Eiweißreaktionen  zurückzukonnnen, 
deren  positives  Ergebnis  ja  ganz  anders  zu  erklären  ist.  Die 
Biuretreaktion  ließ  sich  an  den  Kaninchenharnen  leider 
nicht  ausführen,  da  sie  sehr  dunkel  gefärbt  sind  und  bei 
Diluierung  des  Harnes  die  Befürchtung  nahelag,  durch  zu¬ 
weitgehende  Verdünnung  die  Reaktion  illusorisch  zu  machen. 
Es  sei  hier  bemerkt,  daß  der  stark  alkalische 'Kaninchenharn 
sehr  trüb  ist,  und  daß  man  erst  durch  mehrfaches  Filtrieren 
mit  Kieselguhr  oder  durch  heißes  Filtrieren  des  erliitzten 
Harnes  ein  klares  Filtrat  erhält.  Dieses  zeigte  auf  Säure¬ 
zusatz  eine  starke  Nukleoalbumintrübung,  eine  Erscheinung, 
die  für  den  Pflanzenfresserharn  gut  bekannt  ist;  diese  Trü¬ 
bung  wurde  häufig  noch  deutlich  stärker,  wenn  dem  mit 
Essigsäure  angesäuerten  Harn  Sulfosalizylsäure  oder  dem 
mit  Salzsäure  versetzten  Harn  konzentrierte  wässerige  Subli¬ 
matlösung  zugesetzt  wurde.  Wie  mir  scheint,  ließe  sich 
als  einzige  Erklärung  hiefür  anführen,  daß  bei  im  Vergleich 
zum  Menschenharn  stark  alkalischen  Kaninchenharn  Reak¬ 
tionen  zwischen  Phosphorsäure  und  Sublimat,  bzw.  zwischen 
Sulfosalizylsäure  und  Magnesium,  Kalzium  eintreten  könn¬ 
ten.  Da  die  Vorschriften  für  die  Ausführung  dieser  Reak¬ 
tionen  für  Menschenharn  gedacht  sind,  erzielt  der  gleiche 
Zusatz  von  Salzsäure,  bzw.  Essigsäure  in  dem  viel  stärker 
alkalischen  Kaninchenharn  eine  nicht  genügende  An¬ 
säuerung,  so  daß  Bildungen  von  basischen  Salzen  oder  doch 
solchen,  welche  in  saurer  Lösung  ausgeschlossen  wären, 
erfolgen  können.  • 

Ich  habe  schließlich  versucht,  die  gewonnenen  Er¬ 
fahrungen  am  Menschenharn  zu  erproben,  und  eiweißfreie 
Harne,  angesäuert  oder  mit  Alkali  versetzt,  auf  dieselben 
Tassen  ausgegossen  und  zwölf  Stunden  stehen  gelassen. 
Die  Harne  zeigten  dann  konstant  eine  sehr  starke  Ferrocyan¬ 
kalireaktion,  alle  anderen  Eiweißreaktionen  waren  selbst¬ 
verständlich  negativ. 

Die  überaus  große  Empfindlichkeit  der  Ferrocyanzink¬ 
reaktion  verleiht  der  Sache  auch  ein  großes  praktisches  In¬ 
teresse.  Wenn  Harne  in  verzinkten  Gefäßen  aufbewahrt 
oder  versendet  werden,  wird  bei  der  leichten  Löslichkeit 
sicher  Zink  gelöst;  auch  können  bei  der  Harnuntersuchung 
chronischer  Gonorrhoiker,  die  mit  Zinkeinspritzungen  behan¬ 
delt  werden,  Spuren  der  Zinklösung,  die  an  der  Schleimhaut 
hafteten  und  durch  den  Harn  ausgespült  wurden,  zur  Täu- 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


229 


schling  Veranlassung  geben.* *)  Es  kann  daraus  ein  für  den 
Patienten  verhcängnisvoller  Irrtum  erwachsen,  und  es  er¬ 
scheint  daher  notwendig,  daß  die  Aerzte  von  dieser  Fehler- 
Riielle  unserer  am  häufigsten  geübten  Eiweißreaktion  Kennt¬ 
nis  haben. 

Leider  läßt  sich  die.  Löslichkeit  des  Zinkniederschlages 
in  konzentrierter  Salzsäure  differentialdiagnostisch  gegen 
einen  Eiweißniederschlag  nicht  verwenden,  da  auch  der 
letztere  bekanntlich  im  Ueberschuß  von  konzentrierter  Salz¬ 
säure  löslich  ist.  Immerhin  wird  der  positive  Ausfall  der 
Ferrocyankalireaktion  bei  negativem  Ausfall  aller  anderen 
Eiweißreaktionen  Verdacht  auf  Zinkbeimengung  zum  Harn 
erwecken;  eine  sichere  Entscheidung  in  derartig  fraglichen 
Fällen  wird  jedenfalls  der  relativ  leichte  Nachweis  des 
Zinkes  zu  erbringen  imstande  sein. 


Aus  dem  Institute  für  allgemeine  Pathologie  in  Graz. 

(Vorstand:  Prof.  R.  Klemensiewicz.) 

Leitfähigkeitsbestimmungen  der  Gleichenberger 

Mineralwässer. 

Von  Dr.  Joliann  v.  Szaböky,  em.  Assistenten  der  kgl.  Universität  in 
Budapest,  dz.  Kurarzt  in  Gleichenberg. 

Die  vorliegende  Mitteilung  bildet  eine  Ergänzung 
meiner  Arbeit:  Osmotische  Versuche  mit  den  Gleichen¬ 
berger  Mineralwässern^)  und  befaßt  sich  mit  der  Bestim¬ 
mung  der  Leitfähigkeit^)  dieser  Mineralwässer. 

Zur  Ausführang  meiner  Versuche  benützte  ich  die 
IMethode  von  Kohl  rausch,  wie  sie  Hamburger^)  be¬ 
schrieben  hat.  Da  ich  aus  äußeren  Gründen^)  verhindert 
war,  die  Resultate  dieser  Versuche  in  unmittelbarem  An¬ 
schluß  an  meine  osmotischen  Versuche  mitzuteilen,  so  be¬ 
schränke  ich  mich  hier  auf  die  Versuchsresultate,  die  ich 
in  möglichst  gedrängter  Form  wiedergebe. 

Ich  bestimmte  die  Leitfähigkeit  sowohl  des  C02-hal- 
ligen  als  auch  der  C02-freien  Mineralwassers.  Die  Be¬ 
freiung  des  Mineralwassers  von  CO2  geschah  durch  Durch¬ 
lüften,  so  wie  ich  das  in  meiner  genannten  Arbeit  be¬ 
schrieben  habe.  Vor  den  Leitfähigkeitsbestimmungen  wurde 
jedesmal  auch  das  A  (Gefrierpunkterniedrigung)  ermittelt. 

Ich  machte  mit  jedem  einzelnen  Wasser  vier  bis  fünf 
Untersuchungen  —  an  Wässern  beliebiger  Füllungszeit  -- 
dann  aber  stets  zwei  Untersuchungen  an  Ouellenwässern 
frischer  Füllung.  Den  Durchschnittswert  der  beiden  letzten 
Bestimmungen  nahm  ich  als  endgültig  an.  Bei  sämtlichen 
Untersuchungen  war  die  Temperatur  auf  17°  C  konstant 
erhalten.  Die  Umrechnung  auf  die  Quellen  geschah  nach 
der  folgenden  Formel:®)  Kt  =  Ko  (1  ct),  wo  Kt  das  Leit¬ 
vermögen  bei  der  Ausgangstemperatur,  Ko  das  Leitvermögen 
bei  der  gesuchten  Temperatur  c°)  den  Temperatur¬ 


*)  Wie  wir  einer  brieflichen  Mitteilung  Prof.  Mauthners  ent¬ 
nehmen,  hat  derselbe  diese  Erfahrung  bereits  mehrfach  gemacht. 

U  Dr.  V.  Szaböky,  Die  osmotische  Konzentration  von  Gleichen¬ 
berger  Mineralwässern.  Wiener  klinische  Wochenschrift,  1906,  Nr.  26 

Die  elektrische  Leitfähigkeit  einer  Substanz  ist  der  reziproke 
Wert  ihres  Leitungswiderstandes.  Hamburger,  Osmotischer  Druck  und 
lonenlehre,  1.  B.,  S.  99. 

Hamburger,  Osmotischer  Druck  und  lonenlehre,  l.B.,S.  98  bis  128. 

*)  Mir  standen  während  der  Ausführung  meiner  osmotischen  Ver¬ 
suche  die  Apparate  zur  Bestimmung  der  Leitfähigkeit  noch  nicht  zur 
Verfügung,  da  das  Institut  für  allgemeine  Pathologie  dieselben  nicht 
besaß.  Erst  später  hat  uns  der  Vorstand  des  physiologischen  Laboratoriums 
Herr  Professor  Oskar  Zoth  dieselben  leihweise  überlassen,  wofür  ich 
ihm  meinen  besten  Dank  auszusprechen  verpflichtet  bin. 

Welche  bei  Hamburger,  Osmotischer  Druck  und  lonenlehre, 
1.  B.,  S.  124,  beschrieben  ist. 

®)  Als  Wert  für  c  habe  ich  0  02,  den  Temperaturkoeffizienten  sehr 
verdünnter  Salzlösungen  angenommen,  der  meiner  Meinung  nach  nicht 
wesentlich  von  dem  für  jedes  Mineralwasser  besonders  zu  bestimmenden 
Werte  abweichen  dürfte.  Solche  besondere  Bestimmungen  von  c  nach  der 


Formel  c 


wovon  K,  und  K„  die  Leitfähigkeiten  bei 


1  Ki-K„ 

Ko  ü-to  ’ 

den  Temperaturen  t,  und  t«  bedeuten,  habe  ich  nicht  ausführen  können, 
da  mir  ein  zweiter  Thermostat  nicht  zur  Verfügung  stand  und  eine 
sukzessive  Bestimmung  mit  ein  und  demselben  Apparate  wegen  des 
Kohlensäuregehaltes  der  Wässer  unbrauchbare  Werte  ergeben  hätte.  Bei 


koeffizienten  und  t  die  Temperaturdifferenz  zwischen  d(U‘ 
Ausgangs-  und  der  gesuchten  Temperatur  hezeichnete. 

Um  den  Gang  der  Bestimmungen  zu  schildern,  will 
ich  das  Verfahren  nur  bei  einem  Quellenwasser  (Conslan- 
lin)  anführen,  hei  den  anderen  aber  fasse  ich  nur  die 
Resultate  tabellarisch  zusammen. 

1.  C'onstantin-Wasser.  Füllung  10.  März  1905; 
Untersuchung  13.  März  1905.  A  des  CO^-haltigen  Wassers 
0-517,  des  C02-freien  Wassers  0-320. 

Zuerst  wurde  die  Kapazität  des  Widerstandsgefäßes 
bestimmt.  Kapazität  des  Widerstandsgefäßes.  Inhalt 
Normalchlorkaliumlösung.  Temperatur  17°  C. 


Widerstand  Ablesung 


R 

auf  dem 

a 

Gesuchter 

im  Rheostat 

Brückendraht 

lOOü-a 

Widerstand 

111 

504 

1-0161 

112-7871 

110 

501 

1-0040 

110-4400 

112 

507 

1-0284 

115-1808 

109 

498 

0-9920 

108-1280 

Sa. : 

446-5369  :  4  ^^  111-6339 

Die 

spezifische 

Leitfähigkeit 

;  der  ^/50-Nürmalchlor- 

kaliumlösung  nach  Ko  hl  rau  sch  hei  17°  C  =  0-002345 -“^K. 

Kapazität  C  =  W  X  F 

=  111-6339  X  0  002345  =  0-26178149. 

Erste  Bestimmung  der  Leitfähigkeit  des  CO->-hal- 

tigen  Constantin-Wassers  bei  17°  C 

Widerstand 

Ablesung 

R 

auf  dem 

a 

Gesuchter 

irn  Rheostat 

Brückendraht 

1000-a 

Widerstand 

17 

501 

1-0040 

17-0680 

17-5 

506 

1-0243 

17-9252 

16-5 

488 

0-9531 

15-7261 

Sa.:  50-7193  :  3  =  16-9064 

T  -.fu-  1  C  0.26178149  nniA/o/o 

Leitfähigkeit  K  —  ™  =  — ,  -  , —  =  0-0154842. 

VV  Io-90d4 


Zweite  Bestimmung  der  Leitfähigkeit  des  C02-hal- 
tigen  Constantin- Wassers  bei  17°  C : 


Widerstand 

R 

Ablesung 
auf  dem 

a 

Gesuchter 

im  Rheostat 

Brückendraht 

1000-a 

Widerstand 

17-5 

506 

1  0243 

17-9252 

18 

511 

1-0450 

18-8100 

17 

499 

0-9966 

16-9422 

Sa. : 

53-6774  :  3  =  17-8924 

Leitfähigkeit  K  •= 

0  2617814 

—  00148308 

17-89248 

Erste  Bestimmung  der  Leitfähigkeit  des  evakuier- 

ten  C'onstantin-Wassers 

hei  17°  C: 

Widerstand 

R 

Ablesung 
auf  dem 

a 

Gesuchter 

im  Rheostat 

Brückendraht 

JOOO-a 

Widerstand 

18 

515 

1-0619 

19-1142 

18-5 

521 

1  0877 

20-1224 

17-5 

510 

1-0-108 

18-2240 

Sa. : 

57-4606  :  3  19-1535 

Leitfähigkeit  K  ■-= 

0  2617814 

r=  0-0136675. 

19-1535 

Zweite  Bestimmung  der  Leitfähigkeit  des  evakuier- 

ten  Gonstantin-Wassers 

hei  17° 

C: 

Widerstand 

R 

Ablesung 
auf  dem 

a 

Gesuchter 

im  Rheostat 

Brückendraht 

1000-a 

Widerstand 

18-5 

523 

1-0964 

20-2834 

19 

527 

1-1 142 

21-1698 

18 

517 

1-0704 

19-2672 

Sa. : 

60-7204  :  3  =  20-2601 

Leitfähigkeit  K  = 

0-2617814 
91  9nni 

=  0  0131210. 

dem  geringen  Gehalte  der  von  mir  untersuchten  Mineralwässer  an  festen 
Bestandteilen  erachtete  ich  den  von  mir  eingeschlagenen  Weg,  trotz  des 
anhaftenden  Fehlers,  dennoch  für  die  Vergleichung  der  Wässer  für 
zulässig. 


230 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


Die  Leitfähigkeit  des  C02-haltigeii  Gonstantin-Wassers 
ist  bei  17°  C  ()■()  151575,  die  des  evakuierten  Coiistantiii- 
Wassers  bei  17°  C  0  0131961. 


Bestimmung  bei  einer  Temperatur 
von  17®  C 

Umrechnung  auf  Brunnen¬ 
temperatur 

CO.;-haltiges  |  Evakuiertes 

Wasser  l  Wasser 

Ouellen- 

Tem- 

peratur 

COj- 

haltiges 

W-asser 

Evaku¬ 

iertes 

Wasser 

A  j  fähig’Lit  j  A 

Leit¬ 

fähigkeit 

Leit¬ 

fähigkeit 

Leit¬ 

fähigkeit 

Constantiii- 

wasser 

0-517 

0-0151575 

0-320 

0-0133942 

Emmawasser 

0432 

0  0135661 

0-266 

0-0125159 

14 C 

0  0129200 

0-0009470 

Johannisbrunnei. 

0-387 

0  0107952 

0-182 

0-0187681 

11-5«  C 

0-0092540 

0-0018262 

Maria  Theresia¬ 
quelle 

0-418 

0  0134334 

0-30i 

0-0126879 

17-4«  C 

0-0133273 

0-0007401 

Römerquclle 

0-389 

0-0112493 

0-235 

0-0103664 

14  6«C 

0-0116882 

0-0026554 

Werlesquelle 

0-350 

0-0108259 

0-245 

0-0102603 

12-6«  C 

0  0099502 

0-c  009072 

Klausenquelle 

0-090 

0-0016314 

0-018 

0-0011059 

9-7«  C 

0-0014186 

0-0004569 

1 

{Referate. 

Schwimmende  Sanatorien. 

Von  slädt.  Oberarzt  i.  P.  D;r.  Karl  Dieni  unter  technischer  Mitarbeit  von 
Ober-Ingenieur  Ernst  Kagerbauer. 

Leipzig  und  Wien  1907,  Franz  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Wer  jemals  Gelegenheit  hatte,  eine  Vergnügungsfahrt  auf 
dem  Meere  zu  machen,  wird  sich  stets  an  diese  Zeit  gerne  er¬ 
innern,  oh  er  nun  im  mittelländischen  Meere,  Europa,  Asien  und 
Afrika  berührend,  gebummelt  hat  oder  an  den  Küsten  Norwegens 
die  Pracht  nordischer  Gletscher  schauen  konnte  oder  auch  nur 
auf  dem  kleinen  Vergnügungsdampfer,  welcher  während  der  Saison 
in  Abbazia  fast  täglich  in  der  Zeit  vom  Diner  bis  zum  Souper 
eine  Anzahl  vergnügter  Kurgäste  an  den  x4bbazia  naheliegenden 
Küsten  spazieren  führt,  sehr  behagliche  Stunden  verlebte. 

Dem  Arzte  sowohl  als  dem  Laien  mußte  dabei  unwillkür¬ 
lich  der  Gedanke  kommen,  daß  eine  solche  Seefahrt,  bei  ruhigem 
Wetter  gemacht,  eines  der  besten  Mittel  sein  müsse,  um  einen 
durch  Krankheit  geschwächten  Körper  in  seinem  Streben,  wieder 
dem  Normalen  nahezukommen,  zu  unterstützen. 

Was  bisher  eine  weitgehende  Verwertung  der  Seereisen  als 
Kurmittel  beeinträchtigte,  war  die  nur  für  Gesunde  gedachte  Bau¬ 
weise  der  Passagierdampfer  und  der  auf  Erreichung  bestnnmter 
Ziele  in  bestimmten  Zeiten  festgesetzte,  also  die  Bewegung  des 
Meeres  und  das  Wetter  nicht  berücksichtigende  Fahrplan  eines 
rasch  fahrenden  Schiffes. 

Das  vorliegende  Buch  Diems  zeigt  uns  eine  sorgfältige 
Bearbeitung  und  vollendete  Lösung  der  Frage,  welche  Kranklieits- 
prozesse  durch  Seefahrt  günstig  beeinflußt  werden  können,  wie 
das  Schiff  gebaut  sein  müsse  und  endlich,  wo  und  in  welcher 
Weise  das  Schiff  kreuzen  soll,  um  das  Maximum  der  durch  Auf¬ 
enthalt  auf  der  See  erreicldjaren  Heilerfolge  zu  erzielen. 

Das  Buch  beweist  auch,  wie  vorteilhaft  es  ist,  wenn  der 
.\rzt  und  der  Techniker,  Hand  in  Hand  gehend,  eine  Frage  in 
Angiiff  nehmen,  deren  Lösung  einerseits  nur  auf  Grund  der 
nalnrwissenschafllichen  Bildung  des  Arztes,  anderseits  nur  dem 
le(  hnischen  Wissen  des  Ingenieurs  möglich  ist.  Arzt  und  Tecli- 
niker  bilden  bei  solchen  Arbeiten  zwei  sich  gegenseitig  ergän¬ 
zende  Kräfte,  deren  Ai'beitsergebnis  infolgedessen  auch  nach  jeder 
Richtung  einwandfrei  und  ohne  weiteres  durchführbar  sein  kann. 

Das  Projekt  eines  schwimmenden  Sanatoriums  ist  wohl  auch 
mit  größter  Wahrscheinlichkeit  sogar  in  finanzieller  Bezielmng 
anssichlsvoll  zu  nennen.  Ein  Sanatoriumscliiff  ist  zwar  gewiß 


etwas  teurer  im  Bau  als  ein  gewöhnlicher  Passagierdampfer.  Es 
hat  auch  höhere  Kosten  beim  Betriebe  insoferne,  als  mehr  Warte¬ 
personal  nötig  ist  und  endlich  und  schließlich  auch  die  Aerzte 
nicht  bloß  gegen  die  Kranken,  sondern  auch  gegen  sich  selbst 
human  sein  müssen  und  für  ihre  Arbeit  bezahlt  sein  wollen. 
Aber  ein  Sanatoriumschiff  braucht  weniger  Kohle  und  leidet 
weniger  als  ein  Schnelldampfer.  Denn  es  will  ja  nicht  die  Fluten 
der  Meere  kilometerfressend  durchrasen,  sondern  es  will  im  Glanze 
der  Sonne,  in  der  reinen,  erfrischenden  Seeluft  schön  langsam 
und  ruhig  seines  Weges  ziehen.  Volldampf  braucht  das  Schiff 
ja  nur  dann,  wenn  es  rasch  einen  Hafen  oder  eine  schützende 
Insel  erreichen  will,  um  bewegter  See  aus  dem  Wege  zu  gehen. 
Den  Faktor  des  IMinderverbrauches  an  Kohle  kann  man  heute 
schon  berechnen,  der  Faktor  der  Minderabnützung  des  Heil¬ 
schiffes  gegenüber  der  des  Schnelldampfers  dürfte  aber  wohl 
kaum  mit  voller  Sicherheit  feststellbar  sein,  denn  es  dürfte  heute 
noch  keine  erstklassig  gebauten,  großen  Dampfer  geben,  welche 
längere  Zeit  wirklich  bummeln  konnten.  Dazu  kommen  noch 
zwei  Gesichtspunkte,  welche  dem  Kapitalisten,  der  daran  denkt, 
diese  neue  Kapitalsanlage  zu  versuchen,  tröstlich  sein  können. 
Erstens  kann  ein  schwimmendes  Sanatorium  von  der  Art,  wie 
es  der  Autor  hier  vorführt,  jederzeit  zu  einem  den  weitestgehendcji 
Anforderungen  entsprechenden  Vergnügungsschiff  gemacht  werden, 
sowie  der  Betrieb  als  Sanatorium  nicht  die  gewünschte  Bente 
abwirft,  zweitens  würde  im  Kriegsfall  —  an  diese  abscheuliche 
Eventualität  muß  man  ja  leider  auch  heute  noch  immer  denken 
• —  das  Schiff  wohl  sofort  als  Lazarettschiff,  als  VerwundeteJi- 
schiff,  gechartert  oder  auch  angekauft  werden,  so  daß  auch 
in  diesem  Falle  keine  Verluste  zu  befürchten  wären.  Wenn  man 
weiters  bedenkt,  was  für  Riesenkapitalien  in  Badeorten  während 
einer  Saison  von  vier  bis  sechs  Wochen  verzinst  und  amortisiert 
worden  müssen  und  auch  tadellos  verzinst  werden,  so  muß  es 
doch  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  ein  schwimmendes  Sana¬ 
torium,  dem  eine  ganzjährige  Saison  zur  Verfügung  steht  (es 
kann  sich  ja  stets  dort  aufhalten,  wo  das  Klima  angenehm  ist), 
ein  rationelles  Unternehmen  sein  muß. 

Soviel  zur  Orientierung  für  unternehmende  Männer  und 
tatkräftige  Gesellschaften. 

Diem  hat  in  seinem  Buche  eine  große  Reihe  von  Indika¬ 
tionen  mitgeteilt,  welche  mit  eingehender  Berücksichtigung  der 
Literatur  und  in  einer,  sogar  dem  eingefleischten  Skeptiker  plau¬ 
siblen  Weise  besprochen  sind  und  hebt  auch  hervor,  weshalb 
gerade  die  Adria,  die  herrlichen  Küsten  Dalmatiens  sich  für  das 
Kreuzen  von  Heilschiffen  eignen.  Er  legt  uns  dar,  daßi  diese 
Küsten  sogar  im  Sommer  diesem  Zwecke  besser  entsprechen  als 
die  heute  allgemein  bekannten,  gegen  bewegte  See  so  geschützten 
Fjorde  Norwegens.  Er  stellt  die  beim  Aufenthalt  auf  der  See 
wirkenden  Heilfaktoren  (reiniste  Luft,  größte  Dichte  der  Luft, 
geringe  Temperaturschwankungen,  direktes  und  reflektiertes  Son¬ 
nenlicht)  zusammen  und  bespricht  diese,  indem  er  darauf  hin¬ 
weist,  inwieweit  sie  bei  Kurorten,  speziell  Höhenkurorten  in 
gleicher  Weise  zu  finden  sind,  wobei  er  auch  Gelegenheit  findet, 
die  Kontraindikationen,  welche  für  Heilschiffe  gelten,  zu  erwähnen. 

Die  Betrachtung  der  von  Kagerbauer  entworfenen  Pläne 
zeigen  uns  ein  genau  durchgearbeitetes  Projekt  eines  Schiffes, 
welches  den  Komfort  einer  Privatjacht  bietet  und  zugleich  den 
Bedürfnissen  eines  Sanatoriums  vollauf  genügt. 

Der  Schiffskonstrukteur  hat  einen  123  m  langen,  15  in 
breiten  Doppelschraubendampfer  (etwa  die  Größe  eines  mittel¬ 
großen  Dampfers  der  Hamburg-Amerika-Liniie)  für  eine  maxi¬ 
male  Schnelligkeit  von  20  km  in  der  Stunde  entworfen.  Das 
Schiff  hal  Raum  für  bedeutende  Kohlenvorräte,  große  Proviant- 
räumo  (aber  rieh ligerw eise  keine  Schlachträume),  selir  große 
Räume  für  Siißwasser  (im  Hinblick  auf  die  Hydrotherapie),  große 
Decks  für  Liegekuren,  Sonnen-,  Luft-  und  Sandbäder,  Räume  für 
operative  Eingriffe,  für  Hydrotherapie,  Zander-Maschinen,  Elektro¬ 
therapie  etc. ;  es  hat  ein  Lazarett,  alle  erdenklichen  Räume  für 
gemeinsame  Benützung  durch  die  Passagiere  und  meist  einbettige, 
doppelt  so  groß  als  gewöhnlich  gehaltene  Kabinen  für  211  Passa¬ 
giere.  Es  würde  zu  weit  führen,  auf  die  zahlreichen  intei'ossanteji 
Details  hier  einzugeheji.  Es  war  gewiß  auCerordeiitlich  schwierig, 
zugleich  allen  Anfordeiungen  der  Kranken,  der  Erholungsbedürf- 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


J. 


ligeii  und  auch  des  Arztes  in  hygienisch  einwandfreier  Weise 
in  dem  engen  Rahmen  eines  Ozeandampfers  genüge  zu  leistet). 

Nur  einige  Kleinigkeiten  seien  hier  bemerkt.  Die  T^azarelt- 
kiihinen  könnten  vielleicht  beide  an  derselben  Seite  des  Schiffes 
liegen  und  durch  Vergrößerung  des  Vorramnes  und  liinschalten 
eine)-  in  das  Fi’eie  führenden,  mit  einem  Tabernakelfenster  ver¬ 
sehenen  AuSgangstür  des  Badezimmers  zu  einwandfreien  Isolier- 
kahinen  für  Influenza,  Pneunionien,  Erysipela  etc.  gemacht  wer¬ 
den,  wobei  es  sich  noch  empfehlen  würde,  an  die  eine  derselben 
den  Desinfektionsraum  unmittelbar  anzulegen  und  einige  xVngeln 
für  in  den  Gängen  einzuhängende  Türen  vorzusehen,  um  eines 
oder  auch  beide  „Hospitäler“  von  dem  übrigen  Schiffe  sofort 
vollkommen  isolieren  zu  können. 

Falls  die  Frage  aufgeworfen  würde,  was  man  an  dem  Schiffe 
weglassen  kann,  um  eventuell  mehr  Kabinen,  also  mehr  Erträgnis 
zu  haben,  so  ist  diese  dahin  zu  beantworten,  daß  der  Saal  für 
Elektrotherapie  und  Massage  und  eventuell  auch  der  Komplex 
des  Operationssaales  durch  eine  geringe  Vergrößerung  der  Or¬ 
dinationszimmer  der  Aerzte  ersetzt  werden  könnten. 

Niemand  wird  das  Buch  aus  der  Hand  legen,  ohne  den 
W'unsch  zu  fühlen,  daß  der  blaue  Spiegel  der  Adria  bald  ein 
solches  Schiff  tragen  möge.  Niemand  wird  sich  dem  Eindruck 
entziehen  können,  daß,  ärztliches  imd  technisches  Wissen  und 
Können  vereint,  hier  eine  interessante  und  Erfolge  versprechende 
Aufgabe  in  der  Wichtigkeit  der  Sache  gebührenderweise  be¬ 
arbeitet  haben.  Dr.  A.  H  i  n  t  e  r  b  e  r  g  e  r. 

« 

Die  Behandlung  von  Kranken  durch  Suggestion  und  die 
wahre  wissenschaftliche  Bedeutung  derselben. 

Dargestellt  v.  San.-Rat  Dr.  W.  Brägelinaiiii. 

Leipzig  1906,  Georg  Thiemo. 

Die  vorliegende  kleine  Schrift  ist  als  Erwiderung  gedacht 
auf  ein  vom  preußischen  Kultusministerium  abverlangtes  Gut¬ 
achten  des  Aerztekammerausschiisses,  welches  sich  über  den 
Hypnotismus  als  Heihidttel  und  als  symptornatisches  Mittel  in 
der  denkbar  abfälligsten  Weise  aussprach.  Br ü  gelmann,  der 
etwa  13.000  hypnotische  Sitzungen  geleitet  zu  haben  behauptet, 
bespricht  zunächst  die  hypnotische  Behandlung  der  Hysterie; 
er  wird  freilich  durch  die  mitgeteilten  günstigen  Fälle  nicht 
widerlegen  können,  daß  es  prinzipiell  verfehlt  ist,  die  Hysterie 
durch  Hypnose  heilen  zu  wollen,  wenngleich  es  in  manchen 
Fällen  kein  prompteres  Mittel  gibt,  um  hysterische  Symptome 
verschwinden  zu  machen,  als  Hypnose.  Brügelmanns  1’ech- 
nik  soll  als  einwandfrei  anerkannt  werden,  ebenso  wie  ihre  Er¬ 
folge  bei  Asthma  und  Neurosen  aller  Art. 

Im  Anhang,  betitelt  ,,Die  Philosophie  in  der  Medizin,  eine 
psychiatrische  Studie“,  kommen  nebst  allgemeinen  Erörterungen 
auch  konkrete,  z.  B.  die  sexuelle  Frage,  zur  Lösung.  Verfasser 
geht  dabei  von  der  freilich  nicht  allgemein  geteilten  Voraus¬ 
setzung  aus,  daß  in  zahlreichen  Fällen  völlige  Abstinenz  die 
Frauen  hochgradig  hystensch  mache,  sie  eventuell  dem  Irren¬ 
hause  zuführe;  er  kommt  also  zur  Gestattung  der  freien  Liebe, 
lief,  erscheint  es  allerdings  fraglich,  ob  je  die  ärztliche  Bewilli¬ 
gung  angesucht  werden  wird. 

* 

Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  des  Zentral¬ 
nervensystems  inklusive  der  allgemeinen  Neurosen. 

Von  Priv.-Doz.  Dr.  H.  Deterinaim. 

Stuttgart  1906.  Ferdinand  Enke. 

Ein  ebenso  modernes  als  gutes  Büchlein.  Die  systema¬ 
tische  Einführung  der  physikalischen  Heilmethoden  in  die  Th('- 
rapie  der  Nervenkrankheiten  hat  eine  gewaltige  Umwälzung  in 
den  Ileilungsbedingungen  derselben  hervorgerufen.  Wie  wichtig 
es  ist,  daß  die  xAerzte  sich  mit  dieser  Therapie  vertraut  machen, 
um  Mißbrauch  zu  verhindern,  ist  von  berufener  Seite  schon  dar¬ 
gelegt  worden.  Der  Neurologe  findet  in  je  einem  Abschnitt  ah- 
gehandelt  die  physikalische  Behandlung  der  Rückenmarks-  und 
der  Gehirnki’ankheiten,  sowie  der  allgemeinen  Neurosen,  ohne 
Uebei'schwang  gepriesen,  vielmehr  in  erfreidicher  Kritik  und  Sach¬ 
lichkeit,  mit  strenger  Berücksichtigung  der  Anzeigen  und  Gegeu- 
anzeigeu.  So  wird  hei  dei'  Hysterie  anerkannt,  daß  sehr  oft 


das  betreffende  physikalische  Heihnittel  auf  den  Wert  des  Zwi¬ 
schen-  oder  Zweckinittels  herabgedrückt  ist,  an  den  die  Vor¬ 
stellung  des  Patienten  zur  Heilung  geknüpft  werden  soll,  daß 
in  gleicher  Stärke  die  Mittel  auch  im  entgegengesetzten  Sinne 
von  den  Patienten  verwertet  werdeir,  also  eine  Verschlimme¬ 
rung  des  Zustandes  oder  eines  Symptoms  herheiführen  können. 
Der  Rahmen  der  physikalischen  Therapie  ist  insoferne  sehr  weit 
gezogen,  als  vereinzelt  auch  interne  Medikationen,  chirurgische 
und  orlhopädische  Maßnahmen  zur  Sprache  gelangen. 

* 

Untersuchungen  über  Muskelzustände. 

Von  Prof.  Rieger. 

Mit  32  Bildern  im  Text. 

Jena  1906,  Gustav  Fischer. 

Eine  dem  zweiten  Kongreß  für  experimentelle  Psychologie 
(Würzburg,  April  1906)  dargebrachte  Begrüßungsschrift. 

In  ausführlicher  Beschreibung,  unterstützt  durch  die  zahl¬ 
reichen  xAhhildungen,  zeigt  Rieger,  wie  man  die  Lagen  eines 
Gliedes  zum  Horizont  auf  einem  berußten  Zylinder  von  fünf 
zu  fünf  Winkelgraden  markieren,  wie  man  dazu  die  Zahlen  an¬ 
schreiben  kann  für  die  Kilogramm,  die  jeweils  als  Belastung 
wirken. 

Vlit  diesem  Apparat  gelangt  Rieger  zu  einem  Gesetz  der 
Wendungen  oder  auch  der  ersten  Schritte:  iVm  lebenden  Gliede 
findet  eine  Bremsung  statt;  immer  dann,  wenn  man  ein  Glied, 
das  man  bisher  in  einer  Richtung  gedreht  hatte,  durch  eine 
Umkehrung  im  Sinne  der  Belastung,  in  der  anderen  Richtmig 
dreht.  Die  anfangs  starke  Bremsung  wird  bei  Fortsetzung  der 
Drehung  in  der  gleichen  Richtung  immer  schwächer.  Vom  Nor¬ 
maldiagramm,  das  der  Majorität  der  Menschen  eignet,  gibt  es 
Ausnahmen,  sogenannte  Bremser,  die,  ohne  es  im  mindesten 
zu  wissen  oder  zu  wollen,  kolossale  Kraft  in  den  Muskeln  ent¬ 
wickeln.  Daran  knüpfen  sich  sofort  weitere  Fragen,  die  der 
Autor  zu  studieren  verspricht. 

* 

Die  psychischen  Störungen  nach  Kopftraumen. 

Von  0.  Kölpiu. 

Nr.  -118  aus  der  Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Volkmaiin, 

neue  Folge. 

Leipzig  1906,  Breitkopf  &  Härtel. 

Anknüpfend  an  die  noch  nicht  sehr  reichhaltige  Literatur, 
bespricht  Kölpin  die  Hirnerschütterung,  die  folgende  Amnesie, 
von  akuten  Psychosen  das  traumatische  Delirium.  Korsakoff- 
Bilder,  wie  sie  Kalberlah  beschreibt,  traumatische  Dämmer¬ 
zustände  werden  erwähnt,  Anfälle  des  manisch-depressiven  Irre¬ 
seins,  die  Dementia  praecox,  die  progressive  Paralyse  als  nicht 
spezifisch  traumatisch  erklärt.  Demgegenüber  repräsentieren  die 
chronisch  traumatischen  Neurosen  und  schließhch  die  traunia- 
tische  Demenz  spezifische  Krankheitsbilder.  Ueher  deren  patho¬ 
logische  Anatomie  ist  erst  wenig  bekannt.  Ein  Resümee,  dem 
vollinhaltlich  zugestimmt  werden  kann,  beschließt  die  sehr  schöne 
klinische  Darstellung. 

* 

Grundriß  der  Psychiatrie  in  klinischen  Vorlesungen. 

Von  Karl  Wernicke. 

Zweite,  revidierte  Auflage. 

Leipzig  1906,  Georg  Thieme. 

Es  ist  noch  in  frischer  Erinnerung,  wie  tragisch  Wernicke 
von  jähem  Tode  ereilt  wurde.  Das  Vorwort  teilt  mit,  daß  er 
eben  in  der  Revision  dieser  zAveiten  Auflage  seines  Lehens¬ 
werkes  begriffen  war.  Nur  unwesentliche  Aendermigen  hat  er 
gegenüber  der  ersten  Auflage  vorgenommen,  der  un revidierte 
dritte  Teil  wurde  unverändert  ahgedruckt.  Die  Ausgabe  besorgte 
11.  Liepniann  in  pietätvoller  Weise;  er  hat  damit  seineni  Lehrer 
das  schönste  Monument  gesetzt. 

Die  originelle  xVnschauungsweise  Wernickes  ist  be¬ 
kannt;  für  jeden,  der  sich  der  Psychiatiäe  widmen,  für  jedon^ 
der  sie  als  Wissenschaft  betreiben  will,  wii'd  das  Studium  des 
Buches  durch  die  Anregungen,  die  daraus  zu  scdiöplen  sind,  nacdi 
wie  vo)'  uiienlhehrlich  sein. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


lieber  Sprachverwirrtheit. 

Beiträge  zur  Kenntnis  derselben  bei  Geisteskranken  und  Geistesgesunden 

Von  Dr.  Erwin  Stransky. 

Halle  a.  d.  S.  1905,  KarlMarhold. 

Eine  dankenswerte,  qualitative  Untersuchung  über  einige 
wicliligere  Formen  der  Sprachverwirrtheit,  worunter  der  Autor 
iin  weiteren  Sinne  jede  nicht  durch  bloß  aphasische  oder  arlikula- 
torische  Störungen  bedingte  Anomalie  der  sprachlichen  Ausdrucks¬ 
form  versteht.  Stransky  hat  eine  große  Anzahl  von  Versuchen 
angestellt,  indem  er  Versuchspersonen  durch  je  eine  Minute,  an 
ein  Stichwort  anknüpfend,  darauf  losreden  ließ',  was  und  wie 
es  ihnen  gerade  einfiel.  Die  Analyse  der  Versuche  an  Geistes- 
gesunden  zeigt  ein  Gemisch  von  Ideenflucht  und  Haftenbleiben; 
die  Kontaminationstendenz  nimmt  unter  dem  Einflüsse  des  Auf¬ 
merksamkeitsmangels  ganz  beträchtliche  Dimensionen  an.  Minder 
Gebildete  produzieren  mehr  innere  Assoziationen,  bewahren  ge¬ 
ordnetere,  schuhnäßige  Diktion  und  neigen  im  allgemeinen  stärker 
zum  Konfabulieren. 

Anschließend  daran  prüft  Stransky  die  Sprachverwirrt¬ 
heit  bei  einer  Reihe  von  Kranken  mit  Dementia  praecox,  berührt 
die  Manie  und  die  Paranoia,  hei  welch  letzterer  Kontamination 
und  paralogisierende  Konstruktionen  überhaupt  fehlen.  Mit  be¬ 
sonderer  Liebe  wird  die  Redeweise  der  Katatoniker  analysiert, 
ein  regelloses  Durcheinander  von  Ideenflucht  und  Perseveration; 
es  fehlen  Ohervorstellung  und  logischer  Aufbau.  Die  Kontamina¬ 
tionen  werden  noch  plastischer  dadurch,  daß  die  gewohnten  und 
stabilisierten  Kopulativwendungen  zwischen  den  einzelnen,  gleich¬ 
sam  nur  mechanisch  aneinander  gereihten  Vorstellungen  eine 
Art  grammatikalischen  Zusammenhanges  schaffen. 

Die  Nervosität,  ihre  Ursachen,  Erscheinungen  und  Be¬ 
handlung. 

Von  A.  Cramer. 

Jena  1906,  Gustav  Fischer. 

Unter  die  Nervosität  reiht  Gramer  die  Neurasthenie,  die 
endogene  Nervosität  und  die  Hysterie.  Er  betrachtet  erstere  als 
eine  rein  durch  exogene  Schädlichkeiten  bedingte,  chronische 
Erschöpfung  der  Neurone,  während  bei  der  Nervosität  von  Haus 
aus  eine  leichte  Erschöpfbarkeit  der  Neurone  besteht.  Die  Hysterie 
faßt  er  als  eine  Krankheit  auf,  welche  auf  dem  Roden  einer  endo¬ 
genen  Disposition  entsteht,  sich  durch  eine  krankhafte  Labilität 
der  Vorstellungen  auszeichnet  und  gewöhnlich  mit  einer  gestei¬ 
gerten  Einbildungskraft  und  einer  gesteigerten  Erregbarkeit  im 
Affekt  und  der  Reflexe  verbunden  ist  —  also  keine  sehr  ein¬ 
fache  Definition.  Gramer  trennt  auch  Hysterie  und  Geistes¬ 
störung. 

Wenngleich  die  Subjektivität  des  ganzen  Ruches  nicht  nur 
hier,  sondern  auch  anderwärts  geradezu  zum  Widerspruch  her¬ 
ausfordert,  kann  man  sich  derselben  doch  nur  freuen.  Zunächst 
für  die  eigenen  Schüler  Gramers  bestimmt,  wirbt  seine  Lehr¬ 
auffassung  neue  Schüler  und  im  Widerstreit  der  Meinungen  wird 
auch  die  Wissenschaft  gefördert,  wiewohl  der  Autor  in  allzugroßer 
Bescheidenheit  nur  von  einem  Nachschlagehuch  für  Studenten 
und  junge  Aerzte  spricht.  Die  Gelegenheiten,  sich  über  nervöse 
Zustände  zu  informieren,  sind  nicht  allzu  zahlreich,  jedenfalls 
noch  immer  nicht  im  Verhältnis  zur  Häufigkeit  dieser  Krank¬ 
heitszustände.  Und  man  muß  dankbar  sein,  wenn  eine  Infor¬ 
mation  in  so  prägnanter  Weise  erfolgt,  wie  dies  hier  geschieht. 
i\Iit  einem  Blicke  erfaßt  man  die  Einteilung  des  Buches;  außer¬ 
dem  ist  ein  ausführliclies  Sachregister  angeschlossen.  Nach  Ab¬ 
sätzen  in  verschiedenem  Druck  gegliedert,  findet  sofort  jede  Frage, 
die  man  au  das  Buch  stellt,  ihre  Antwort.  Fast  100  Seiten  sind 
der  Therapie  gewidmet,  die  von  durchaus  modernem  Geiste  ge¬ 
tragen  wird. 

♦ 

Ueber  Neurasthenie. 

Von  E.  Jendrassik. 

Aus  der  Sammlung  klinischer  Vorträge  von  Richard  Volkmaiiii,  neue 

Folge  Nr.  426/427. 

Leipzig  1906,  Breitkopf  &  Härtel. 

Zwei  Vorlräge,  gehalten  im  Ferialkurs  für  Aerzte  1905. 
ln  ahgerundeler  Darstellung  wird  Aeliologie,  Pathologie,  Diagno- 
slik,  Pia.tgnose  und,  breilei-  ausgesponneu,  die  Tbeiaiiie  der  Neu- 


rastbenie  abgebandelt.  Den  Praktiker  erkennt  man:  „Wir  dürfen 
nicht  vergessen:  der  Kranke  sucht  beim  Arzte  Genesung  und 
nicht  eine  Diagnose,  er  sucht  Beruhigung  und  keine  mit  allen 
Eventualitäten  rechnende,  wissenschaftliche  Prognose.  Der  Kranke 
überläßt  die  Sorge  uns  und  wir  handeln  gegen  das  Interesse 
unseres  Patienten,  wenn  wir,  statt  zu  heilen,'  nur  seine  Befürch¬ 
tungen  vermehren.  Wer  so  handelt,  ist  nicht  zum  Arzte  geboren. 
Bei  der  Behandlung  der  Neurasthenie  manifestiert  sich  evident 
die  Wahrheit,  daß  die  Heilkunde  nicht  bloß  eine  Wissenschaft, 

sondern  zugleich  eine  Kunst  ist.“ 

* 

Die  gemeinnützige  Forschung  und  der  eigennützige 
Forscher.  Antwort  auf  die  von  Wilhelm  Fliesz  gegen 
Otto  Weininger  und  mich  erhobenen  Beschuldigungen. 

Von  Priv.-Doz.  Dr.  Hennanu  Swoboda. 

Wien  und  Leipzig  1906,  Wilhelm  Braumüller. 

Es  scheint  dem  Referenten  über  alle  Diskussion  er  haben, 
die  selbstverständlichste  Sache  von  der  Welt,  daß  das  Referat 
eines  Buches  an  dieser  Stelle  niemals  persönlich  genommen  wer¬ 
den  dürfe;  auch  die  abfälligste  Kritik  richtet  sich  nicht  gegen 
die  Person  des  Autors,  sondern  nur  gegen  die  der  Beurteilung 
unterbreiteten  Thesen,  eventuell  gegen  die  Fassung  derselben. 
Wenn  also  Ref.  vor  kurzem  über  eine  Schrift  von  Pfennig 
den  Ausdruck  einer  peinlichen  Empfindung  nicht  zu  unterdrücken 
vermochte  und  seiner  Entrüstung,  daß  über  ein  Mitglied  des 
Lehrkörpers  unserer  Universität  so  etwas  geschrieben  werden 
konnte,  vielleicht  allzu  impulsiv  Ausdruck  verlieh,  so  sollte  da¬ 
durch  niemand  beleidigt  werden,  auch  Swoboda  nicht,  mit 
dessen  Person  allerdings  Pfennig  sich  in  der  unsanftesten  Weise 
beschäftigt  hatte.  Auch  wenn  jene  Schrift  ein  Pamphlet  genannt 
werden  könnte,  sie  enthielt  doch  tatsächliche  und  detaillierte 
Angaben,  so  daß  dem  Gefertigten  eine  Vogel  Strauß  -  Politik  nicht 
angebracht  erschien.  So  schwer  es  aber  auch  dem  Referenten 
gemacht  wurde,  akademisch  und  unpersönlich  zu  bleiben,  er 
will  angesichts  der  ihm  seither  zugekommenen  Gegenschrift 
Sw  oho  das  sein  Möglichstes  versuchen. 

Swoboda  läßt  Pfennig,  den  ,, Büttel“  beiseite,  eine  viel¬ 
leicht  unzulässige  Vereinfachung  und  richtet  seine  Polemik  aus¬ 
schließlich  gegen  Fliesz.  Man  denkt  an  den  alten  Wahrspruch: 
Womit  man  sündigt,  damit  wird  man  gestraft!  So  sehr  hat 
SAVoboda  die  arme,  wehrlose  Psychiatrie  geschmäht,  nun  Avill 
er  sie  gar  zu  Hilfe  rufen.  ,,.  .  .  Nachdem  sich  bei  Fliesz  einmal 
der  Wahn,  beraubt  zu  sein,  festgenistet  hatte  (S.  14)  .  .  .  immer 
von  dem  Wahne  besessen  (S.  24)  .  .  .  von  dem  Wahne  befangen 
(S.  28)  .  .  .“  Swoboda  möge  dem  Psychiater  verzeihen,  der 
ihm  die  Berechtigung  bestreitet,  diesen  Ausdruck  überhaupt  ge¬ 
brauchen  zu  dürfen.  Selbst  wenn  die  Annahmen  von  Fliesz, 
die  Swoboda  den  Darlegungen  Pfennigs  entnimmt,  sich  mit 
dem  nicht  decken,  was  Swoboda  behauptet,  so  folgt  daraus 
erst,  daß  einer  der  beiden  Streitteile  sich  irrt,  höchstens  daß  er 
voreingenommen  ist. 

Der  Pfennigschen  Darstellung,  welche,  von  der  Form  ab¬ 
gesehen,  ganz  aktenmäßig  gründlich  klang,  wird  eine  andere  ent¬ 
gegengesetzt,  die  an  Präzision  der  Behauptungen  ebenfalls  nichts 
zu  wünschen  übrig  läßt.  Es  Avird  mit  Fliesz  polemisiert,  all¬ 
gemeine  Betrachtungen  angestellt,  Briefe  kommentiert  und  ge¬ 
deutet,  die  Genese  und  selbständige  Bedeutung  der  eigenen  Ge¬ 
danken  ausführlichst  dargelegt.  In  einem  Referat  lassen  sich  der¬ 
artige  Auseinandersetzungen  nicht  Aviedergeben ;  Interessenten 
seien  auf  das  Original  verwiesen.  Wo  Behauptungen  gegen  Be¬ 
hauptungen  stehen,  ist  natürlich  nur  ein  Gefühlsurteil  möglich. 
Recht,  in  eigener  Sache  zu  entscheiden,  kann  der  Autor  nicht 
beanspruchen.  Ref.  muß  mit  Rücksicht  auf  persönliche  Angriffe, 
denen  er  ausgesetzt  war,  ahlehnen,  irgendein  Urteil  abzugeben. 

SAVoboda  ficht  mit  etwas  feinerer  Klinge;  auf  die  Keulen¬ 
schläge  Pfennigs  antAvortet  er  mit  Hieben  und  Stichen,  die 
freilich  den  Getroffenen  nicht  weniger  schmerzen.  Was  der  Un¬ 
beteiligte  schaudernd  genießt,  ist  ein  in  Avissenschaftlichen  Kreisen 
unerhörtes  Schimpfduett.  Et  tant  de  bruit  pour  une  omelette! 
Das  Buch  des  ,, bestohlenen“  Fliesz  müßte  Ref.  so  in  Grund 
und  Boden  krili.sieren,  daß-  Herr  Dr.  SAA'^ohoda  seine  helle 
Freude  daran  haben  konnte.  Und  Avas  ist  es  mit  den  „Periode]i 
des  menschlichen  Organismus“  von  Swoboda?  Der  Gefertigte 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


wild  sich  nicht  aimialk'ii,  zu  würdigen,  welche  Ihnwälzung  der 
l’hilosoiihie  durcli  dieses  Buch  angebahiiL  wurde;  leider  war 
Dl'.  Swolioda  so  unvorsichtig,  auch  in  rein  medizinisclies  Cle- 
hiet  vorzuhrechen  und  seine  Entdeckungen  der  Wiener  klini¬ 
schen  Wocliensclirift  zu  unterhreilen,  worauf  der  Gefertigte  ex 
officio  die  unverstandenen,  aus  medizinischen  Büchern  zusamnien- 
gelesenen  Brocken  registrieren  und  die  daran  geknüpften,  voll- 
koniinen  undiskutablen  Theorien  auf  das  entschiedenste  ahlchnen 
mußte.  Bei  anderen  Referenten  ist  es  ihm  übrigens  nicht  besser 
ergangen.  Nun  haben  sich  durch  die  Indiskretionen  Pfennigs 
die  Grenzen  zwischen  dem,  was  in  Swobodas  Buche  der  philo¬ 
sophischen  und  was  der  medizinischen  Fakultät  angehört,  noch 
bedeutend  zugunsten  der  medizinischen,  also  zu  ungunsten  Swo¬ 
bodas  verschoben.  Es  ist  ein  gewiß  nicht  näher  zu  ciualifizie- 
rendes  Vorgehen,  wenn  Pfennig  Privatbriefe  ohne  Zustimmung 
dos  Schreibers  publizistisch  verwertet.  Aber  was  nun  leider  ein¬ 
mal  öffentlich  bekannt  wurde,  wirft  auf  die  ,,NormaT‘psychologie 
Swobodas  ein  eigenartiges  Licht.  Wenn  der  Autor  S  w  o  b  o  d  a 
sich  selbst  zum  Objekt  macht,  aus  dem  eigenen  Seelenleben 
Gesetze  ableiten,  so  hat  er  die  Pflicht,  uns  über  die  Persön¬ 
lichkeit  des  Objektes  vollkommen  aufzuklären,  sonst  ist  das  eine 
wissenschaftliche  Irreführung.  Nun  erfahren  wir  von  dritter  Seite, 
daß  dieses  Objekt  Patient  war:  ex  juvantibus  läßt  sich  a'ueh 
eine  ungefähre  Diagnose  stellen.  Der  Gefertigte  hätte  in  seinem 
damaligen  Referat  kürzer  sein  können;  Periodizität  und  Suggesti- 
bilität  als  psychopathische  Erscheinungen  brauchen  von  den  Irren¬ 
ärzten  nicht  mehr  entdeckt  zu  werden. 

Ref.  kann  nur  mit  dem  W'unsche  schließen,  es  möge  dieser 
Prioritäts-  und  Plagiatstreit  abgeschlossen  werden,  eine  unpar¬ 
teiische  Autorität  ihr  Urteil  sprechen.  Gewonnen  hat  jedenfalls 
kein  Teil  etwas  und  es  bleibt  tief  bedauerlich,  daß  man  einem 
Mitglied  des  Lehrköri>ers  unserer  Alma  mater  Viennensis  mit 
einem  Schein  von  Begründung  —  ob  zu  Recht  oder  Unrecht, 
bleibt  ja  beiseite  —  Dinge  nachsagen  konnte,  die  in  ihrer  Ver¬ 
allgemeinerung,  wie  sie  leider  nicht  ausblieb,  alle  anderen  Aka¬ 
demiker  persönlich  kränken  müßten.  E.  Raimann. 


Äus  v/ersehicdetien  Zeitsehriften. 

90.  Kinderheilkunde.  Seitdem  es  durch  experimentelle 
und  pathologisch-histologische  Studien  sichergestellt  ist,  daß  die 
nach  Kropfoperationen  bie  und  da  auftretende  Tetanie  durch 
den  Ausfall  der  Epithelkörperchen  bedingt  ist,  lag  die  Frage  sehr 
nahe,  ob  nicht  auch  die  anderen  Formen  der  Tetanie,  so  unter 
anderem  die  Tetanie  der  Kinder,  mit  Funktionsstörungen  der 
Glandulae  parathyreoideae  in  Zusammenhang  zu  bringen  seien. 

Die  bisher  in  der  Literatur  darüber  niedergelegten  Befunde, 
noch  recht  spärlich,  haben  noch  keine  befriedigende  Aufklärung 
bringen  können.  Th ie mich  (Monatsschrift  für  Kinderheilkunde, 
5.  Band,  Nr.  4)  hat  die  Epithelkörperchen  von  drei  Kindern,  die 
an  „latenter“  Tetanie  gelitten  haben,  anatomisch  untersucht  und 
keinerlei  pathologische  Veränderungen  an  denselben  finden 
können.  Auf  Grund  dieser  negativen  Ergebnisse  wendet  sich 
der  Autor  gegen  die  Annahme,  daß  ein  Zusammenhang  zwischen 
Kindertetanie  und  Veränderungen  der  Epithelkörperchen  bestehe 
und  sucht  dem  Einwand,  daß  das  Fehlen  histologischer  Verände¬ 
rungen  noch  nicht  gegen  eine  Funktionsstörung  des  betreffenden 
Organes  zu  verwerten  sei,  mit  der  Bemerkung  zu  begegnen,  daß 
bei  allen  drüsigen  Organen,  deren  Funktionsstörungen  zu  be¬ 
stimmten  Krankheiten  in  Beziehung  gebracht  werden,  z.  B.  der 
Schilddrüse,  der  Hypophysis,  den  Nebennieren  usw.,  anatomische 
Veränderungen  gefunden  werden. 

Demgegenüber  stehen  positive  Befunde  von  Erdheim  (Ge¬ 
sellschaft  für  Kinderheilkunde  in  Wien,  22.  November  1906). 
Derselbe  fand  in  zwei  Fällen  von  tödlich  endender  Tetanie  in 
allen  vier  Epithelkörperchen  alte  Hämorrhagien,  während  König¬ 
stein  (Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  in  Wien,  6.  Dezember 
1906)  die  Epithelkörperchen  eines  tetaniekranken  Kindes  normal 
fand,  dagegen  bei  einem  ,, tetaniefreien“  Säugling  zahlreiche, 
allerdings  frische  Blutungen  in  den  Glandulae  parathyreoideae 
nachweisen  konnte. 

Gegen  den  supponierten  Zusammenhang  von  Kindertetanie 
und  Epithelkörperchen  wendet  sich  auf  Grund  klinischer  Be- 


Irachlungen  StölLz  uer  (Jahrbuch  für  Kinderheilkunde,  64.  Band, 
Nr.  3).  Fürs  erste  behauptet  er,  daß  der  klinische  Symi)lomen- 
kornplex  der  Kindertetanie  (Spasmophilie)  von  dem  der  experi¬ 
mentellen  Tetania  parathyreopriva  erheblich  abweiche  (bei  ersterer 
fehlen  die  fibrillären  Zuckungen,  Tremor,  Tachypnoe  und  Tachy¬ 
kardie,  Apathie,  Albuminurie  etc.),  wobei  er  aber  noch  immer 
die  Möglichkeit  zuläßt,  „daß  ein  rachitischer  Säugling  auf  den 
Ausfall  der  Funktion  der  Epithelkörperchen  anders  reagiert  als 
ein  Hund  oder  eine  Katze,  und  auch  anders  als  ein  erwachsener 
Mensch,  an  dem  eine  Kropfoperation  gemacht  worden  ist“.  .Fürs 
zweite  aber  hält  er  die  beiden  Erkrankungen  ,,ini  Wesen“  für 
verschieden  u.  zw.  aus  dem  Grunde,  weil  sie  durch  die  Art  der 
Ernährung  in  verschiedener  Weise  beeinflußt  werden.  Während 
die  postoperative  Tetanie  durch  Zufuhr  von  Fleischbrühe  ver¬ 
schlimmert,  durch  Zufuhr  von  Milch  gemildert  wird,  „steigen 
und  fallen  die  Symptome  der  Spasmophilie  der  Rachitischen 
bekanntlich  mit  der  Menge  der  von  den  Kindern  getrunkenen 
Kuhmilch“. 

Nun  läßt  sich  aber  die  Frage  des  Nahrungseinflusses  bei 
der  Kindertetanie  gewiß  nicht  in  der  apodiktischen  Weise  halten, 
wie  dies  Stöltzner  tut.  Erfahrungen  der  letzten  Zeit  haben 
den  hoch  veranschlagten  Wert  der  Kulunilclientziehung  (Frauen¬ 
milch,  Mehlnahrung),  wie  sie  namentlich  von  Finkeistein 
propagiert  wurde,  erheblich  herabgemindert. 

Mendelssohn  und  Kuhn  aus  dem  Baginsky sehen 
Krankenhaus  (Archiv  für  Kinderheilkunde,  44.  Band,  Heft  1  bis  3) 
haben  an  der  Hand  eines  größeren  Materials  zeigen  können, 
daß  der  Einfluß  der  kuhmilchfreien  Diät  auf  die  Symptome  der 
(latenten)  Tetanie  erheblich  seltener  festzustellen  war,  als  auf  die 
Laryngospasmen,  in  vielen  Fällen  jedoch  keinerlei  Einflußi  sichtbar 
war.  Auch  v.  Pirquet  (Wiener  ined.  Wochenschrift  1907,  Nr.  1) 
sah  bei  Nachprüfung  der  Angaben  Finkeisteins  ,,die  allzu 
optimistischen  Hoffnungen  auf  diese  Therapie“  herabgesetzt.  (In 
gleichem  Sinne  sprechen  auch  einige,  wenngleich  noch  spärliche 
Erfahrungen  des  Referenten.)  Es  erscheint  daher  kaum  berechtigt, 
daß  Stöltzner  auf  Grund  des  Nahrungseinflusses  die  Kinder¬ 
tetanie  und  die  postoperative  Tetanie  dem  Wesen  nach  prinzipiell 
trennt  und  damit  scheint  auch  der  von  ihm  durchgeführte  Be¬ 
weis,  daß  die  Kindertetanie  mit  der  Funktion  der  Epithelkörper¬ 
chen  nichts  zu  tun  habe,  durchaus  nicht  gelungen. 

In  einem  früheren  Referate  (Wiener  klin.  Wochenschrift 
1906,  Nr.  36)  war  von  Stöltzners  Theorie,  die  Kindertetanie 
sei  als  eine  „Kalziumvergiftung“  aufzufassen,  die  Rede. 

In  Fortsetzung  der  Untersuchungen  von  Quest,  der  be¬ 
kanntermaßen  zu  entgegengesetzten  Resultaten  gelangt  als 
Stöltzner,  hat  Cybulski  aus  der  Breslauer  Kinderklinik 
(Monatsschrift  für  Kinderheilkunde,  5.  Band,  Nr.  8)  den  Kalk¬ 
stoffwechsel  eines  tetaniekranken  Säuglings  untersucht;  seine 
Resultate  sind  nicht  geeignet,  die  Stöltzner  sehe  These  zu 
stützen.  Die  Kalkretention  war  während  der  Eklampsie  am 
kleinsten  und  nahm  mit  eintretender  Besserung  des  Kindes  zu; 
es  war  somit  kein  Grund  vorhanden,  zur  Zeit  der  manifesten 
Tetanie  eine  Kalkstauung  anzunehmen. 

Auch  Pirquet  (Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  in  Wien, 
22.  November  1906)  muß  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  die 
Wahrscheinlichkeit  der  Theorie  Stöltzners  anzweifeln. 

Dem  letztgenannten  Autor  verdanken  wir  übrigens  neue 
Details  in  der  Frage  der  galvanischen  Erregbarkeit  im  Säug¬ 
lingsalter.  Bezüglich  der  Technik  der  Untersuchung  verweise  ich 
auf  das  Original  (Wiener  med.  Wochenschrift  1907,  Nr.  l). 
Pirquet  hat  gefunden,  daß^  zwischen  dem  normalen  elektrischen 
Verhalten  und  der  galvanischen  Uebererregbarkeit,  wie  sie  durch 
das  Auftreten  der  Kathodenöffnungszuckung  bei  Stromstärken  von 
—  5  Milliampere  charakterisiert  ist  (Thiemich),  eine  Mittel¬ 
gruppe  sich  differenzieren  läßt,  welche  durch  das  Auftreten  der 
x\nodenöffnungszuckung  unter  5  Milliampere  gekennzeichnet  ist 
(anodische  Uebererregbarkeit).  Diese  anodische  Uebererregbarkeit 
fand  sich  etwa  zehnm,al  so  häufig  als  die  ,,kathodisohe  ,,  bei 
Flaschenkindern  häufiger  als  bei  Brustkindern,  viel  öfter  im  Winter 
als  im  Sommer. 

Ein  neuer  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Unterschiede  zwischen 
Frauen-  und  Kuhmilchernälirung  ist  von  Ludwig  F.  Meyer 
(Monatsschrift  für  Kinderheilkunde,  5.  Band,  Nr.  7)  geliefert 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


NL  8 


Würden,  lii  d:is  (leljiel  dieser  vieluinstrilleiieu  und  bisher  noch 
ungelüsleii  Frage  isl  eine  neue  Theorie  eingezogen.  Meyer  hat 
(dner  Koinponenle  der  Milch,  die  „nocli  niclil  genügende  Heach- 
lung  g(‘funden  haf‘,  den  in  <ler  Molke  vereinigten  anorganischen 
üeslandteilen  seine  Aufincrksarnkeit  gewidmet.  Der  Verfasser  legte 
sich  die  Frage  vor:  „Liegt  der  Unterschied  der  Wirkung  zwischen 
Frauen-  und  Kiihmüch  in  dem  Fett  und  in  dem  Eiweiß  oder  ist 
der  (irund  der  verschiedenen  Wertigkeit  in  den  Molken  be¬ 
dingt?“  Meyer  bereitete  zur  Verfütterung  an  Säuglinge  zwei 
verschiedene  Nährgemische,  von  denen  das  eine  <lie  Molke  der 
Frauenmilch,  Fett  und  Kasein  der  Ivulunilch  eidhielt,  während 
das  andere  die  Kuhmilchmolke  mit  dem  Frauenmilchfett  und 
-kasein  vereinigte.  Diese  heiden  Präparate  wurden  je  drei  Säug¬ 
lingen  gegeben,  u.  zw.  in  der  Weise,  daß  dieselben  vorerst  mit 
(ler  Frauenmilch-i\lolkennahrung  gefüttert  wurden.  Es  zeigte  sich 
nun  in  der  Entwicklung  der  Kinder  unter  dieser  Ernährung  absolut 
keine  Differenz  gegenüber  dem  Verhalten  bei  reiner  ßrusternäh- 
rung.  Wurden  dieselben  Säuglinge  dann  mit  jenem  Gemisch 
ernährt,  das  die  Kuhmilchmolke  enthielt,  traten  regelmäßig  Ge¬ 
wichtsabnahmen  oder  -Stillstände,  Veränderungen  der  Stuhleid- 
leerungen  (häufigere,  dünnbreiige,  manchmal  zerfahren  schleimige, 
grüne  Stühle),  beträchtlich  größere  Tagesschwankungen  der  Tem¬ 
peratur,  Blässe,  Unruhe,  kurzum  dyspeptische  Zustände  auf,  die 
hei  Rückkehr  zum  Brustmolkengemisch  rasch  wieder  schwanden. 
Der  Verfasser  zieht  aus  dem  Ergebnis  seiner  Ernährungsversuche 
den  Schluß,  daß  das  Kuhmilchfett  und  das  Kuhmilchkasein  bei 
einer  Kombination  mit  Frauenmilchmolke  vom  Säugling  gut  ver¬ 
tragen  wird  und  daß  es  nicht  angeht,  in  der  Schwerverdaulichkeit 
des  Kuhmilchkaseins  den  Kardinalpunkt  der  Minderwertigkeit  der 
künstlichen  Ernährung  zu  erblicken.  (Die  Stühle  in  der  Kuhmilch- 
niolkenperiode  enthielten  fast  regelmäßig  die  „Kaseinbröckel“ 
(Biedert),  die  auch  die  Mill  on  sehe  Reaktion  gaben  und  in 
dem  Nahrungsgemisch  war  überhaupt  kein  Kuhkasein!).  Dagegen 
sieht  Meyer  die  Hauptdifferenz  in  der  Wirkung  beider  Milch¬ 
arten  in  der  Verschiedenheit  der  beiden  Molken.  Was  die  in 
Betracht  kommenden  Komponenten  der  Molke  anbelangt,  sind  dies 
das  Albumin  und  die  anorganischen  Salze;  das  Albumin  als 
Träger  der  Fermente  (Versuche  mit  abgekochtem  Frauenmilcli- 
molkengemisch  zeigten  einen  hemmenden  Einfluß  auf  das  Ge¬ 
deihen  des  Kindes);  aber  außer  dem,  Fehlen  der  Frauenmilch- 
ferniente  muß  nach  j\I  e  y  e  r  noch  in  der  Kuhmilclmiolke  ein  schädi¬ 
gender  Faktor  vorhanden  sein,  der  die  schweren  Störungen  unter 
der  Ernährung  mit  Kuhmilchmolke  erklären  würde,  und  da  kann 
nach  des  Autors  Ansicht  ,,nur  die  qualitativ  und  quantitativ 
verschiedene  Zusammensetzung  beider  Molken  in  bezug  auf  ihre 
anorganischen  Bestandteile  oder  deren  Relation  zu  den  Nähr¬ 
stoffen  in  Frage  kommen“. 

Ueber  die  ,, Grünfärbung  der  Säuglingsfäzes“,  über  deren 
Ursache  bisher  nur  recht  unklare  hypothetische  Vermutungen 
voiiiegen,  hat  Koeppe  (Monatsschrift  für  Kinderheilkunde, 
5.  Band,  Nr.  8)  neue  Studien  unternommen.  Bekanntermaßen  hat 
vor  nicht  langer  Zeit  ernste  dt  ein  oxydierendes  Ferment 
als  Veranlassung  des  Auftretens  grüngefärbter  Säuglingsstühle 
bezeichnet.  Koeppe  hat  nun  weitere  Fermentreaktionen  an 
Säuglingsfäzes  unternommen,  u.  a.  auch  die  Prüfung  der  mit 
Oü^/oiger  NaCT-Lösung  durchgeschüttelten  Fäzesemulsion  auf  Zu¬ 
satz  von  l®/oiger  H202-Lösung.  Dabei  zeigte  sich  in  vielen  Fällen 
eine  grüne  Verfärbung,  anfangs  nur  in  wenigen  Flocken,  mit 
der  Zeit  der  gesamten  Fäzes.  Die  mit  H2O2  sich  grünfärbenden 
Stühle  stammten  von  Kindern,  die  mit  verschiedensten  Nähr¬ 
mitteln  gefüttert  wurden;  diese  H202-Zersetzung  läßt  auf  ein  Fer¬ 
ment  (Katalase)  schließen,  das  in  den  Fäzes  wahrscheinlich 
bakteriellen  Ursprunges  ist;  vielleicht  erfolgt  die  Zersetzung  auch 
durch  die  Bakterien  selbst.  Es  w'äre  denkbar,  daß  auch  die  von 
den  Säuglingen  grün  entleerten  Stühle  auf  ähnliche  Weise  ihre 
grüne  Farbe  erhalten.  Da  zum  Zustandekommen  der  Grün¬ 
färbung  mehrere  Faktoren  notwendig  sind  (1.  ein  Peroxyd,  von 
dem  aktiver  Sauerstoff  abspaltbar  ist,  2.  ein  Ferment,  welches 
die  Abspaltung  bewirkt,  und  3.  der  Farbstoff,  der  in  einen  grünen 
oxydiert  wird),  wird  das  unregelmäßige  Auftreten  der  Grün¬ 
färbung  verständlich. 

In  einer  Arbeit  von  Philips  aus  der  Breslauer  Kinderklinik 
(^Monatsschrift  für  Kinderheilkunde,  ö.  Band,  Nr.  8)  vvmrde  die 


,,Fermc‘ntthej'api('“  beim  Säugling  durcli  wissenschaftliche  Unter¬ 
suchungen  auf  ihren  Wert  geprüft  und,  um  es  gleich  vorweg  zu 
nehmen,  als  völlig  wertlos  hwfunden.  Von  der  Ansicht  ausgehend, 
daß  die  Fermente  beim  neugeborenen  und  jungen  Säugling  quan¬ 
titativ  und  qualitativ  zur  Verarbeitung  der  Nahrung  unzureichend 
seien,  wurden  von  verschiedenen  Pädiatern  teils  vorverdaute 
Milchpräparate  (Backhausmilch  usw.),  teils  Fermentzusätze  zur 
Nahrung  empfohlen  (Pegnin,  Pankreon  usw.).  Die  Indikation  zur 
Einleitung  der  Fermeidtherapie  besteht  (nach  Sie  gort)  nament¬ 
lich  in  Fällen  von  mangelhaftem  Gedeihen  trotz  rationeller  Quali¬ 
tät  und  Quantität  der  Nahrung,  was  auf  ungenügende  Verdauungs¬ 
arbeit  hindeute,  wo  Magen-  und  Darmaffektionen,  sowie  andere 
Krankheiten  fehlen.  Von  dieser  Indikation  geleitet,  ernährte 
Philips  Säuglinge  mit  Zusatz  eines  Gemisches  von  Pepsin,  Pan¬ 
kreon  und  Emulsin  und  untersuchte  den  Stoffwechsel  dieser 
Kinder.  Das  Resultat  seiner  Untersuchungen  ergab  nun,  „daß  die 
Zufuhr  von  Fermenten  liehen  der  Nahrung  weder  auf  die  Re¬ 
sorption  von  Stickstoff,  Fett  und  Kohlehydraten,  noch  auf  die 
Retention  von  Stickstoff,  noch  auf  das  Gedeihen  der  Kinder 
einen  Einfluß  hat.  Weder  Säuglinge,  die  den  Indikationen 
Siegerts  für  eine  erfolgreiche  Fermenttherapie  entsprachen, 
noch  solche  der  ersten  Lebenswochen,  bei  denen  angeblich  die 
Fermentsekretioii  herabgesetzt  ist,  ergaben  eine  Differenz  im 
Stoffwechsel  der -Vorperiode,  gegenüber  dem  der  Fermentperiode. 
Ein  Gedeihen  der  Kinder  hatte  erst  statt,  als  eine  von  rationellen 
Gesichtspunkten  geleitete  qualitative  Aenderung  ihrer  Nahrung 
vorgenommen  wurde.“  Durch  dieses  Urteil  hat  die  so  allgemein 
verbreitete  und  beliebte  ,, Fermenttherapie“  einen  argen  Stoß 
erlitten. 

Ueber  „Buttermilchfieber“  berichtet  Tugendreich  aus 
dem  Ba  gin  s ky  sehen  Kinderkrankenhaus  (Archiv  für  Kinder- 
heilkmide,  44.  Band,  Heft  1  bis  3).  Im  Anschluß  an  die  erstmalige 
Buttermilchdarreichung  tritt  bei  manchen  Säuglingen  (im  übrigen 
ziemlich  .selten)  entweder  sofort  oder  nach  mehreren  Stunden 
Fieber  auf,  welches  wechselnde  Höhen  aufweist,  in  einem  Teil 
der  Fälle  in  ganz  kurzer  Zeit  zur  Norm  abfällt,  um  nicht  wieder 
aufzutreten,  in  einem  anderen  Teile  aber  persistiert  und  zum 
Nahrungswechsel  nötigt.  Dabei  ist  das  Allgemeinbefinden  mehr 
weniger  alteriert  (sogar  kollapsartige  Zustände  wurden  beobachtet), 
die  Stühle  werden  häufig  dünner,  aber  nicht  schleimig  (in  man¬ 
chen  Fällen  hleiben  sie  normal)  und  das  Körpergewicht  bleibt 
stehen  oder  geht  zurück.  Das  Aussetzen  der  Buttermilch  wirkt  in 
allen  Fällen  heilend.  Der  große  Wert  der  Buttermilchernährung 
ist  durch  das  Auftreten  solcher  jedesmal  durch  rationelle  Behand¬ 
lung  reparabler  Komplikationen  durchaus  nicht  herabgesetzt. 
Tugendreich  bringt  diese  Zustände  bei  der  Buttermilchdar¬ 
reichung  in  Analogie  mit  jenen  Erscheinungen,  wie  sie  manchmal 
beim  Uebergang  von  Frauenmilch-  zur  Kuhmilchnahrung  auf  treten 
und  wie  sie  von  Sc  bloß  mann  als  Ueberempfindlichkeit  gegen 
das  artfremde  Eiweiß,  von  Czerny  und  Keller  als  solche  gegen 
das  Milchfett  gedeutet  wurden.  Nun  kann  selbstverständlich  bei 
Uebergang  zur  Buttermilch  das  artfremde  Eiweiß  keine  Rolle 
spielen  und  die  Fettarmut  der  Buttermilch  macht  eine  Fettintole¬ 
ranz  höchst  unwahrscheinlich.  Es  müssen  daher  noch  andere 
Erklärungsmöglichkeiten  für  derartige  Erscheinungen  in  Betracht 
kommen;  der  Hinweis  Finkeiste  ins  auf  eine  Mobilisation 
pathogener  Darmbakterien  habe  viel  für  sich,  zumal  ja  nach  Be¬ 
hauptung  mancher  Autoren  der  therapeutische  Wert  der  Butter¬ 
milch  auf  eine  Umstimmung  der  Darmflora  zurückzuführen  sei. 

Die  von  Much  und  Römer  angegebene  ,,Perhydrasemilch“ 
wurde  von  Böhme  (Deutsche  med.  Wochenschrift,  32.  Jahrgang, 
Nr.  43)  einer  Nachprüfung  unterzogen.  Dieselbe  ist  eine  mit 
30°/o  Wasserstoffsuperoxyd  (3-3  cm®  pro  Liter)  versetzte  Milch; 
durch  diesen  Zusatz  werden  sämtliche  Keime,  auch  Tuberkel¬ 
bazillen,  vernichtet.  Der  Verfasser  kann  diese  Tatsachen  be¬ 
stätigen.  Die  Ernährungsversuche  mit  der  ,,Perhydrasemilch“ 
haben  nach  Ansicht  des  Autors  zu  befriedigenden  Resultaten  ge¬ 
führt.  Die  „Perhydrasemilch“  stellt  eine  für  Säuglinge  über  ein 
Vierteljahr  (ganz  junge  Säuglinge  vertragen  die  Milch  anscheinend 
weniger  gut)  geeignete  Nahrung  dar,  ,,die  einer  gekochten  Milch 
bester  Qualität  mindestens  ebenbürtig  ist“.  „Die  größere  Ge¬ 
wichtszunahme  mancher  Kinder  und  das  Schwinden  der 
Rachitis  (?)  scheinen  sogar  für  eine  direkte  Ueberlegenheit  der 


Nr.  8 


WIENEIl  KLINISCHE  WOCIIENSCIIUIET.  11)07. 


Perhydraseniilcli  zu  spiccheii."  Nuii  isl  aber  aus  deu  Kraidveu- 
goschiclitiMi  ohne  weiteres  oi'sichtlicli,  daß  nur  vier  von  den  oll' 
beobachteten  Säuglingen  eine  befriedigende  Zunahme  zeigten, 
während  alle  anderen  ein  weil  unter  dem  Durch'schnitte  hefind- 
liches  Gedeihen  aufweisen,  so  daß  das  woldwollende  und  auf- 
munleriuh'  l’rleil  des  Verfassers  schier  unbegreiflich  erscheint, 
ganz  ahgesehen  davon,  daßi  <ler  Wert  einer  Milch,  die  doch  als 
Dauernahrung  gedacht  ist,  nicht  nach  so  kurzer  Deohachtungszeit 
(nur  ein  Kind  wurde  drei  Monate,  die  meisten  viel  kürzere  Zeit 
ernährt)  an  so  geringem  Material  aljgeurteill  werden  kann. 

Eine  interessante  Studie  über  die  Aetiologie  der  ,,Dirsc li¬ 
sp  run  gschen  Krankheit“  verdanken  wir  Bing  aus  dem  Ba¬ 
gin  sky  sehen  Kinderkrankenhaus  (Archiv  für  Kinderheilkundi^ 
44.  Band,  Heft  1  bis  3).  Nach  eingehender  Berücksichtigung  der 
his  heute  gellenden  Theorien  und  kritischer  Sichtung  derselben 
kommt  der  Verfasser  auf  Grund  eigener  Beobachtungen  und  Uuler- 
suchungen  zu  dem  Schlüsse,  daß  <lie  für  die  ,,H i  r  sc  h s p  r  ii n  g sehe 
Krankheit“  charakteristische  Dilatation  und  Hypertrophie  des 
Kolon  keine  angehorene  ist;  angeboren  ist  nur  eine  mangelhafte 
Innervation  des  Dickdarmes,  deren  weitere  Folge  ein  schwacher 
'ronus  der  Kolomnuskulatur  und  eine  träge  Peristaltik;  daraus 
resultieren  dann  die  Symptome  des  Meteorismus  uml  der  Obstipa¬ 
tion.  Die  Krankheit  verläuft  entweder  akut,  wobei  sie  schnell 
zum  Tode  führt,  odei'  mehr  chronisch  mit  einer  Dauer  bis  in 
höheres  Alter.  Rudolf  Poll  a  k. 

* 

1)1.  Die  Behandlung  der  G  e f  ä ß( ve  r  1  e  t  z  u  n  ge n  im 
Kriege  1904/1905.  Von  Dr.  W.  Zoege  v.  Man  teuf  fei.  Die 
im  russisch-japanischen  Kriege  vom  Verfasser  gemachten  Be¬ 
obachtungen  bestätigten  ihm  die  von  r.  Bergmann  nach  dem 
Türkenkrieg  schon  vorausgeahnte  Anschauung,  daß'  im  modernen 
Kriege  eine  große  Menge  von  Gefäßverletzungen  und  speziell 
von  Aneurysmen  zu  erwarten  sein  werde.  Ueher  den  Zeitpunkt 
der  operativen  Behandlung  der  Gefäßverletzungen  differieren  der¬ 
zeit  die  Ansichten  führender  Kriegschirurgen  nicht  unbetfächl- 
lich.  Bornhaupt  und  Brentano  forderten,  man  soll  die  Ge¬ 
fäßverletzungen  alle  in  die  Reservehospitäler  sendeii.  Verfasser, 
der  sowohl  in  den  vorderen  Linien,  als  auch  auf  der  langen 
Elappenstraße  und  im  Rücken  der  Armee  als  Kriegschirurg  tätig 
war,  weist  diese  von  einem  ganz  einseitigen  Beobachtungsstand- 
puid'Cl  vertretene  Ansicht  auf  das  energischeste  zuii'ick  und  wand, 
sie  für  einen  zukünftigen  Krieg  als  Richtschnur  zu  akzeptieren, 
weil  dies  \Telen  Alenschen  das  Leben  kosten  würde.  Im  letzten 
Kriege  wurden  viele  Gefäßverletzungen  nicht  als  solche  erkannt, 
weil  <las  japanische  Spitzgeschoß  eine  sein'  kleine  äußere  Wunde 
und  dadurch  eine  geringe  primäre  Blutung  setzte,  so  daß  die 
Verletzten  häufig  als  ,, einfache“  Weichteilschüsse  direkt  vom  \  er- 
handplatz  sofort  einem  fünf-  bis  vierzehtdägigeu  Transport  in 
die  Reservehospitäler  ausgesetzt  wurden.  Keine  gering(‘ 
Anzahl  verblutete  unterwegs;  auf  jeder  Station  sab  man 
eine  beträchtliche  Anzahl,  die  als  Leichen  ausgeladen  wurden. 
Von  den  Ueberlehenden  zeigte  ein  Teil  Fieher,  ein  Teil  große 
HäTnalome  oder  Nachbildungen,  ein  Teil  Gangrän,  die  an  Etappen¬ 
lazarette  abgegeben  werden  mußten.  Nur  die  ohne  auffällige 
Verletzungssymptome  kamen  bis  Gharbin  etc.  weit  biider  den 
Rücken  der  Armee  und  konnten  so  als  „durchgesiebtes  Material“ 
mit  einer  äußerlich  verheilten  Wunde  und  einem  bereits  ausge¬ 
bildeten  Aneurysma,  die  dort  beschäftigten  Cbirurgen  zu  der  cu’- 
wähnten  Forderung  fi'ihren.  Die  Erwägung  der  auf  dem  Heim¬ 
weg  noch  drohenden  Komplikationen  :  Nachbildung,  Infektion  und 
Gangrän  gibt  Aufschluß,  avo  und  wann  die  Geläßverlelzung  zu 
behandeln  ist.  Verf.  berichtet  aus  si'inem  i'eicheii  Dt'obacldungs- 
material  über  32  Gefäßverletzungen  und  tritt,  hic'bei  in  überzeu¬ 
gender  Weise  für  die  Frühoperation  d  e  i'  G  e  f  ä  h  s  c  h  ü  s  s  (* 
ein.  Bedingung  hiefür  ist :  f  r  ü  Ii  e  D  i  a  g  n  o  s  e,  aseptische  E  i  n- 
richtung  und  Zeit.  Die  Fri'didiagnose  ist.  allerdings  ungemein 
häufig  sein’  erschwert;  die  lür  Gefäß'Verletzungen  charakteristi¬ 
schen  Erscheinungen  werden  —  besonders  an  ilei'  Femoralis 
im  Adduktorenschlitz,  der  Fossa  iioplitea,  der  .Axilla  und  der 
Kuhitalis  —  oft  durch  ein  weiches  Hämalom  völlig  versli'ckl. 
,,Einzig  und  all(*in  die  von  Wahl  für  die  Diagnose* 
a  u  c  h  d  e  r  f  r  i  s  c  h  e  n  V  e  r  1  e  I  z  u  n  g  e  n  h  (*  r  a  n  g  e  z  o  g  i*  n  e  A  u  s- 
k  u  1 1  a  I  i  0  n  gibt  sofort  eine  ii  i’  ä  z  i  s  e  und  ras  c  h  e  0  r  i  e  u- 


Lieruug.“  Verf.  hat  diese  üntersuchuugsmethoile  mit  dem  Stetho¬ 
skop  nie,  auch  hei  dem  Höllenlärm  des  .Arlilleiie-  und  Kleingewebr- 
feuers  am  Schacbö  nicht,  im  Stiche  gelassen.  Die  Frühdiagnose 
ist  —  gleichgültig,  wo  der  Verletzte  ojierierl  wird  —  deshalb 
von  so  großer  Bedeutung,  weil  dem  Verwundeten  danach  die 
Direktive  bei  dei'  Evakuation  mitgegeben  wird.  Aus  deu  g(*- 
machten  Erfahrungen  ergaben  sich  für  den  Verfasser  folgende 
Schlüssi*:  ,,1.  Die  Gefäßverletzungen  sind  auf  dem  Haiiplver- 
handplatz,  res]).  dem  ersten,  in  (‘inigen  Stunden  zu  erreichemh'ii 
Etappenlazarett  zu  operieren,  d.  h.  doppelt  zu  unterbinden. 

2.  Wo  das  unmöglich  ist,  wird  man  mit  Komplikationen  reclnn'U 
müssen  u.  zw.  mit  Infektion,  Gangrän  und  Nachblutung.  3.  Es 
sind  drei  Perioden  im  Verlaufe  einer  Gefäßverlelzuug  zu  unter¬ 
scheiden:  1.  Periode:  bis  zu  ein-  bis  zweimal  24  Stunden;  in 
dieser  Periode  isl  die  Unterbindung  einfacb,  das  Hämatom  läßt 
sich  entleeren,  die  Teih*  legen  sich  aneinander.  II.  Periode: 
Derbes  Infiltrat  in  der  Höihle,  die  nach  Entfernung  der  Koagula 
zurückhleibt.  und  Tamponade  fordc'iä ;  ungünstige  Periode  vom 
5.  bis  14.  trage  bis  drei  Wmchen.  Hl.  Periode:  nach  drei  Wochen 
nach  Rückbildung  des  Hämatoms,  günstige  Bedingungen  für  die 
Operation  des  ausgebildelen  Aneurysmas.“  ....  „Drei  W'oehen 
abwarten,  ist  aber  nicht  in  allen  Fällen,  ja  nur  in  einer  b(‘- 
schränkten  Anzahl  möglich;  zudem  ist  es  den  Fällen  nicht  an¬ 
zusehen,  welche  warten  können.“  Von  den  32  berichteten  Fällen 
sind  alle  his  auf  einen,  der  nach  A'erletzung  der  G lutea  an  Osteo¬ 
myelitis  ilei  und  Pyämie  gestorlien  ist,  geheilt  entlassen  worden. 
Zum  Schlüsse  folgt  ein  Bericht  über  acht  perforierende  Herz¬ 
schüsse  mit  gleichzeitiger  Wndetzung  der  Pleura;  die  Vei'- 
letzten  wurden  mit  Ruhe,  Eisheut(‘l,  später  Kompressen  um  deu 
Thorax,  hei  Fieber  oder  Atemnot  mit  Punktion  und  Ent¬ 
fernung  der  Blutergüsse  bis  5üü  cnP  im  Alaximum  behandelt. 
Sämtliche  heobachteten  acht  Fälle  konnten  evmkuiert  werden. 
—  (Langeidjecks  Archiv  für  klinische  Chirurgie  190(5,  Bd.  81, 

I.  Teil,  Festschrift  für  v.  Bergmann.)  l-  H- 

* 

92.  Leber  die  Pathogenese  des  angeborenen 
Ikterus  des  Erwachsenen.  Von  Chauffard.  W'enn  auch 
der  Ikterus  das  objektiv  sicherste  Symplom  der  Leberkraukbeiten 
ist,  so  ist  die  Pathogenese  mancher  Formen  doch  nicht  ge¬ 
nügend  aufgeklärt;  hieher  gehört  auch  der  angeborene  Ikterus 
der  Erwachsenen.  Der  Verfasser  berichtet  über  einen  24jährigen 
Mann,  bei  welchem  der  Ikterus  schon  am  ersten  Tage  nach  der 
Geburt  auftrat  und  seither  mit  Variationen  der  Intensität  forl- 
besteht.  Im  elften  .lahre  stellte,  sich  nach  heftigem  Nasenbluten 
Anämie  und  Milzschwellung  ein.  Vluskelanstrengungen,  längere 
Reisen  führen  eine  Zunahme  des  Ikterus  herbei,  welche  von 
Schmerzen  in  dei'  Lebergegend  begleitet  ist,  dagegen  iiben  Aer- 
änderungen  der  Diät  keinen  Einfluß  auf  das  A  erhalten  des  Ikteius 
aus.  Die  Stühle  des  Patienten  sind  nicht  acholisch,  im  Harn 
findet  sich  reichlich  Uiohilin,  dagegen  kein  Gallenpigmeut,  Haut¬ 
jucken  und  Hämori'ha.gien  sind  niemals  aufgetreten,  die  I  uls- 
freipienz  beträgt  t55  bis  72  Schläge.  Die  Leber  ist  nicht  wesentlich 
vergrößert,  dagegen  die  Milz  hart  und  vergrößert.  Alan  kann 
nach  den  Insherigen  Beobachtungen  drei  Hauptfornien  des  kon¬ 
genitalen  Ikterus  unterscheiden  u.  zw.  l'älle  von  biliärei'  Leber¬ 
zirrhose  mit  xVngiocbolitis,  durch  hochgradigen  Ikterus  acholische 
Stühle,  Gehall  des  Harnes  an  Gallenpigment,  Auftreten  von 
Blutungen,  Alilz-  und  Leberschwellung  gekennzeichnet.  Die  Er¬ 
krankung  steht  oft  im  Zusammenhang  mit  hereditärer  Syphilis. 
Eine  zweite  Gruppe  umfaßt  die  Fälle  von  frühzeitig  auftretender 
Stenose  oder  Gbliteralion  des  Ductus  choledochus.  Die  dritte 
Grupix*  umfaßt  jene  Fälh*,  wo  k(*ine  Stenose  des  Ductus  chole¬ 
dochus  besteht  und  die  als  chronischer  Ikterus  mit  Spleuo- 
megalie,  Urobiliuurie  uml  Siderosis  dei' Nieren  beschrieben  wurden. 
Als  Grundlage  dieses  Krankheitsbildes  wirrl  eine  Zerstörung  von 
Dlutpigment  in  der  Alilz  angesehen.  In  diese  Kategorie  ist  auch 
der  milgeteille  P’all  zu  rechnen,  wofür  die  Zunabme  des  Ikteius 
im  Anschluß  au  die  nach  der  E])isl:ixis  aufgetretene  Anämie  und 
Alilzschwellung  spricht.  Die  Blutunlersuchung  ergab  A^erkh*ineiung 
des  Durchmessers  der  Erytbrozyten  und  heraligeselzte  Resistenz 
gegen  Hämolyse,  währi'iid  sonst  die  Erythrozyten  bei  Ikteius 
das  entgegengi'setzte  \T*rhalt('n  zeigen.  Auch  ilii*  latsachen  dei 
experimentellen  Pathologie  s])rechen  zugunsten  der  nämolyti 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCIIRIFT.  1907. 


Nr,  8 


■r.(\ 


sclitMi  Theorie,  da  jede  stärkere  Zerstörung  von  Blutfaibstol'f 
die  reicldiclie  Sekretion  von  ])leioehromer  (ialle  begünstigt. 
Dtn-  kongenitale  Ikterus  der  Erwachsenen  ist  eine  durch  ge¬ 
steigerte  Fragilität  der  Erythrozyten  hcrvorgeiaifene  Erkrankung. 
Der  Ausgangsi)unkt  der  Ei'krankung  ist  in  der  .Milz  gelegen,  die 
Heteiligung  der  Leher  ist  sekundär  und  es  ist  auch  das  llinzu- 
treten  von  Angiocliolilis  in  diesem  Sinne  aufzufassen.  Es  spricht 
auch  sonst  vieles  dafür,  daß  eine  Anzahl  von  anscheinend  pri¬ 
mären  Leheraffektionen  von  einer  Erkrankung  der  ’\Iilz  ab¬ 
hängig  ist.  —  (Sem.  ined.  1907,  Nr.  3.)  a.  e. 

♦ 

93.  Aus  dem  patholog. - anat.  Institut  (llofrat  Professor 
W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  in)  und  der  Ohrenklinik  (Hofrat  Prof.  Politzer) 
dm-  k.  k.  Eniversität  in  Wien.  Ucber  lymphomatöse  Ohr- 
(‘ r  k  r  a  nku  n  ge  n.  Die  Erkrankungen  des  Gehörorganes 
liei  Leukämie,  Chlorom  und  den  verwandten  Krank¬ 
heiten.  Von  Pri\vDoz.  Ür.  G.  Alexander,  klin.  Assistent., 
\'erf.  bespricht  in  seiner  .Monographie  die  wenigen  einschlägigen 
Fälle  aus  der  Literatur,  sowie  25  eigene  u.  zw.  15  in  klinischer 
und  analomischer  Hinsicht  und  10  lediglich  klinisch  untersuchte 
Fälle.  Die  Untersuchungen  betrafen:  I.  .Vkute  Lymphomatösen: 
1.  akute  lymphoide  Leukämie;  2.  Chlorom;  3.  akute  lymphoide 
Leukämie  und  Lymphosarkom;  4.  akute  myelogene  Leukämie; 
5.  akute  myelogen -lymphoide  Leukämie.  11.  Chronische  Lympho¬ 
matösen:  1.  chronische  lymphoide  Leukämie.  In  klinischer  Hin- 
si(dit  resultiert,  daß  die  lymphomatöse  Ohrerkrankung  (dne  häufige 
und  typische  Komplikationsform  der  Lymi)homatosen  darstelll, 
daß  sie  je  nach  vorliegenden  akuten  oder  chronischen  Lympho¬ 
matösen  klinische  Verschiedenheiten  zeigt,  aber  keine  weitere 
Differenzierung  entsprechend  den  verschiedenen  Formen  der 
Lymphoinatüse  znläßt.  ln  den  meisten  Fällen  zeigen  sich  bi¬ 
laterale  und  gleichartige,  wenn  auch  nicht  gleichgradige  Verän¬ 
derungen.  Die  Prognose  ist  ungünstig;  hochgradige  Schwerhörig¬ 
keit  und  'l'aubheit  die  Folge,  wenn  auch  manchmal  die  Erkrankung 
langsam  (in  den  chronischen  Fällen)  verläuft  oder  gar  stille 
zu  stehen  oder  vorübergehend  sich  zu  bessern  scheint,  ln  ana¬ 
tomischer  Hinsicht  läßt  sich  gleichfalls  eine  Unterscheidung  nach 
den  verschiedenen  Formen  der  Lymphomatösen  nicht  treffen, 
wenn  auch  im  ganzen  und  großen  die  weitergehenden  Verände¬ 
rungen  bei  den  akuten  Fällen  durch  die  Blutungen  repräsen¬ 
tiert  oder  wenigstens  mit  Blutungen  verbunden  waren;  auch 
waren  die  anatomischen  Veränderungen  des  Gehörorganes  desto 
ausgedehnter  und  stärker,  je  ausgedehnter  die  lymphoiden  Verän¬ 
derungen  überhaupt  waren  und  je  länger  sie  bestanden  hatten. 
Nach  dem  vorhandenen  iMaterial  ließen  sich  folgende  lymphoide 
Ohrerkrankungen  unterscheiden:  1.  der  akute,  exsudative  I\littel- 
ohrkatarrh;  2.  der  akute  und  subakute  Tubenkatarrh,  eventuell 
mit  Lymphosarkom  oder  Chlorom;  3.  akute  hämorrhagisch-eitrige 
.Mittelohrentzündung;  4.  akute  hämorrhagifsche  .Mastoiditis;  5. akute 
hämorrhagische  Panotitis;  6.  akute  Labyrinthitis;  7.  akute  Neu¬ 
ritis  acustica  leucaemica;  8.  Gehörgangsblutung;  9.  Mittelohr- 
blntung;  10.  Labyrinthblutung.  Die  Therapie  kann  nur  syinpto- 
matisch  sein.  —  (Zeitschrift  für  Heilkunde  1906,  Bd.  XXVH, 

Heft  Xll.)  K.  S. 

* 

94.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Freiburg  i.  B.  (Pro¬ 

fessor  Hoch e ).  U e b e r  Variationen  im  Verlaufe  de r 
Py  r a  m i  d  e  n  1)  a  h  n.  Von  Dr.  Bumke,  Privatdozenlen  und  Assi¬ 
stenten  der  Klinik.  Variationen  im  Verlaufe  der  menschlichen 
Pyraniidenbahn  sind  nichts  Seltenes  und  haben  häufig  Beschrei¬ 
bung  gefunden.  Der  von  Bumke  mitgeteilfe  Fall  ist  insofern 
von  besonderem  Interesse,  als  er  fast  alle  Haupttypen  der  bisher 
bekannten  .\bweichungen  vom  gewöhnlichen  Verlaufe  der  Pyra¬ 
midenbahn  vereinigt.  —  (.\rchiv  für  Psychialrie  und  .Xerven- 
krankh(.dten,  Bd.  42,  11.  1.)  S. 

♦ 

95.  Ueber  die  Veiwendung  des  rohen  Fleisches 
i  n  d  e  r  P  r  a  x  i  s.  Von  H  i  r  t  z  und  B  e  a  u  f  u  m  e.  Es  sind  drei 
I'leischarten,  welche  in  rohem  Zustande  zur  Verwendung  kommen, 
nämlich  Rind-,  Hammel-  und  PfeiMefleisch,  während  das  Schweine¬ 
fleisch  wegen  Schwerverdaulichkeit  und  der  Gefahr  der  Ueber- 
tragung  von  Trichinen  und  Finnen  nicht  im  rohen  Z\tstande  zur 
.\nwendnng  gelangt.  Das  Hamnudfleisch  hat  den  Vorzug,  daß  es 


in  rohem  Zustand  genossen,  nicht  die  Gefahr  der  Uebertragung 
von  Bandwürmern  mit  sich  bringt,  es  ist  aber  wegen  des  hohen 
Preises  zur  Verwendung  in  Krankenhäusern  wenig  geeignet,  sieht 
auch  wegen  seiner  Irübrötlichen  Färbung  nicht  so  gut  aus,  wie 
rohes  Rindfleisch.  Das  Pfeidefleisch  ist  dunkelrot,  nimmt  aber 
rasch  eine  bräunliche  Färbung  an,  sein  Geschmack  ist  wegen  des 
Reichtums  an  Glykogen  und  Glykose  süßlich  und  weniger  ange¬ 
nehm.  Billigkeit  und  Freisein  von  Parasiten  sprechen  für  die  An¬ 
wendung  des  Pferdefleisches  in  Krankenhäusern,  doch  wird  der 
Nährwert  dadurch  beeinträchtigt,  daß  viele  alte  und  schlecht  ge¬ 
nährte  Pferde  zur  Schlachtung  kommen.  Das  Rindfleisch  ist 
wegen  seines  schönen  .Vussehens  und  angenehmen  Geschmackes 
zum  Genuß  in  rohem  Zustande  besonders  geeignet,  jedoch  darf 
man  nicht  die  zartesten  Stücke  nehmen,  weil  diese  erst  Jiach 
dem  Kochen  durch  guten  Geschmack  ausgezeichnet  sind.  Zum 
Genuß  in  rohem  Zustande  sind  besonders  die  an  der  Innenseite 
des  Schenkels  gelegenen  Muskeln  geeignet,  welche  nicht  von  Fett 
durchw'achsen  sind  und  leicht  geschabt  werden  können.  Die 
Gefahr  der  Uebertragung  von  Tänien  durch  den  Genuß  rohen 
Rindfleisches  wird  überschätzt,  da  vorwiegend  durch  das  Kalb¬ 
fleisch  die  Uebertragung  erfolgt.  Das  zum  Genuß  im  rohen  Zu¬ 
stand  bestimmte  Fleisch  soll  nicht  durch  Zerhacken,  sondern 
durch  Schaben  gewonnen  werden.  Die  Gewinnung  des  Schab¬ 
fleisches  wird  erleichtert,  wenn  man  das  Fleisch  schief  gegen 
die  Richtung  des  Muskelfaserverlaufes  durchschneidet.  Ein  Fleisch¬ 
stück  von  250  g  Gewicht  liefert  ca.  200  g  Schabfleisch.  Bei  dem 
vielfach  gegen  den  Genuß  rohen  Fleisches  bestehenden  Wider¬ 
willen  hat  man  verschiedene  Methoden  der  Einführung,  sowie 
mannigfache  Zusätze,  wie  Salz,  Zucker,  .Xlkohol  empfohlen.  Meist 
genügt  die  Verabreichung  in  Form  von  kleinen  Kugeln,  welche 
in  Oblaten  eingeschlagen  sind.  Sehr  ratsam  ist  die  Darreichung 
des  Schabfleisches  in  lauwarmer,  nicht  zu  fetter  Bouillon.  Man 
gibt  das  Schabfleisch  zu  Beginn  der  beiden  Hauptmahlzeiten 
in  Mengen  von  je  100  g.  Man  kann  bei  bestehendem  Widerwillen 
zunächst  mit  kleinen  Dosen  beginnen  und  diese  in  heißer  Bouillon 
darreichen,  dann  steigt  man  mit  der  Dosis  und  nimmt  immer 
weniger  heiße  Bouillon.  Falls  langdauernde  Ueberernährung  not¬ 
wendig  ist,  empfiehlt  es  sich,  mit  der  Darreichung  des  rohen 
Fleisches  zeitweilig  auszusetzen.  ■ —  (Gaz.  des  hop.  1906,  Nr.  136.) 


96.  Stokes-  A  d  a  m  s  s  c  h  e  K  r  a  n  k  h  e  i  t  u  n  d  11  e  r  z- 
arrhythmie.  Von  John  Hay  und  Stuart  A.  (Moore.  Als 
Stokes- A  dams  sehe  Krankheit  Avird  bekanntlich  ein  Symiito- 
menkomplex  bezeichnet,  Avelcher  ini  Avesentlichen  in  .-Vnfällen 
von  ScliAvindel  und  BcAviißtlosigkeit,  verbunden  mit  extremster 
Bradykardie,  besteht,  Avelche  sich  bis  zum  völligen  Stillstand, 
dem  sogenannten  Herzblock,  steigern  kann.  Nun  ist  man  gegen- 
Avärtig  der  xVnsicht,  daß  speziell  die  Bradykardie  auf  verminderter 
Reizleitung  vom  Vorhof  zum  Ventrikel  beruhe.  Der  Wert  des 
milgeteilten  Falles  liegt  nun  darin,  daß  Verf.  einerseits  in  aus¬ 
gezeichneten  polygraphischen  Kurven  die  verminderte  Reizleitung 
demonstriert,  ferner  durch  den  Obduktionsbefund  zeigt,  daß  das 
Hissche  Atrioventrikularbündel,  dem  die  Reizleitung  vom  Vor¬ 
hof  zum  Ventrikel  zugeschrieben  Avird,  degeneriert  Avar.  —  (Lancet. 

10.  November  1906.)  J.  Sch. 

* 

97.  Die  Entfernung  von  B  r  u  s  Iav  a  n  d  g  e  s  c  h  av  ü  1- 
sten  mit  breiter  E  r  ö  f  f  n  u  n  g  d  e  r  Pleura.  \'on  Dr.  L.  Rehn- 
Frankfurt  a.  M.  Die  breite  Eröffnung  der  Pleura  Avurde  und 
Avird  von  den  meisten  Chirurgen  aus  Furcht  vor  dem  Pneumo¬ 
thorax,  dem  gefährlichen  Kollaps  der  Lungen  und  den  si)äteren 
Folgen,  der  Infektion  des  Pleuraraumes,  nach  Möglichkeit  gemiefhm. 
Unter  dem  Schutze  der  pneumatischen  Operationskammer  von 
Sauer bruch  können  die  Gefahren  eines  Pneumothorax  zwar 
erfolgreich  verhütet  Averden;  avo  aber  Luftdruckapparate  nicht 
zur  Verfügung  stidien,  kann,  Avenn  auch  nicht  mit  derselben 
GeAvißheit,  so  doch  mit  einer  gewissen  Ruhe  und  Sicberheit  den 
üblen,  gefahrbringenden  Zufällen  bei  Lungenoperationen  auch 
in  einfacherer  Weise  begegnet  Averden.  Verf.  empfiehlt  nach  seinen 
Erfahrungen  vor  Einschneiden  der  Pleura,  eine  große,  runde, 
gekrümmte  Nadel  ziemlich  lief  durch  Pleura  und  Lunge  zu  führen, 
um  letztere  durch  Rindenzügel  zu  sichern;  nachdem  man  nun 


Nr  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1007. 


einschneidet,  Wird  gleichzeitig  die  Lunge  mit  einer  feucliten 
Kompresse  zart  gefaßt  und  nacli  außen  gelialten,  ohne  sie  un¬ 
sanft  durch  Pressen  'mit  Fingern  und  Zangen  zu  l)ehandeln. 
Sorgfältigste  Blutstillung  ist  bei  Exstirpation  des  Tumors  von 
großer  Wichtigkeit,  uni  inshesonders  Blutansammlungen  im  Pleura¬ 
raum  zu  veihinderii.  Tm  weiteren  Verlauf  ist  nun  (unter  Orien¬ 
tierung  des  Bindenzügels)  die  Anheftung  der  Lunge 
in  größeren  Abschnitten  und  entsprecliender  natürlicher  Lagerung 
durch  zahlreiche,  exakt  gelegte  Nähte  an  die  Brustwand  von 
größter  Bedeutung.  Drei  Nähte,  wie  Bayer  ursprünglich  vor- 
gi'schlagen,  genügen  nacli  Verf.  nicht  zur  sicheren  und  crfolg;- 
reiclien  Aniieflting  der  Lungen.  Nach  exakter  Naht  der  Weich¬ 
teile  wird  über  die  an  die  Brustwand  angeheftete  Lunge  uml 
Pleura  die  Hautwunde  vollkommen,  eventuell  mit  Hilfe  einer 
Plastik  geschlossen.  Der  luftdichte  Yerschlußi  der  Pleura 
erscheint  Verf.  von  größter  Beden  lang  zur  Verhütung  von  In¬ 
fektion  des  Pleuraraumes.  Er  verzichtet  daher  auf  Drainage  und 
Tampon  grundsätzlich.  Nach  diesen  Gesichtspunkten  operierte 
Hehn  in  letzterer  Zeit  mit  Erfolg  drei  Patienten,  deren  Operations¬ 
geschichten  genau  berichtet  werden.  Einmal  wurde  hei  ciiuu' 
öhjährigen  Frau  ein  Rezidiv  von  Mammakarzinom,  welches 
in  großer  Ausdehnung  die  Rippen  der  rechten  Brustwand  er¬ 
griffen  hatte,  nach  Resektion  der  dritten,  vierten,  fünften  und 
sechsten  Rippe  vom  Sternum  bis  zur  Axillarlinie,  samt  der  mit- 
verwachsenen  erkrankten  Pleura  costalis  entfernt  und  der  große 
Defekt  mit  Haut  vollkommen  gedeckt.  Die  Patientin  üherstand 
den  Eingriff  gut,  war  noch  fast  zwei  Jahre  gesund  und  starb 
erst  2V2  Jahre  post  operationem  an  inneren  Metastasen.  Ebenso 
überstand  ein  48,iähriger  I’atient  die  Exstirpation  eines  großen 
Rippenchondrosarkoms  nach  Resektion  der  vierten  und  füniten 
rechten  Rippe  in  einer  Ausdehnung  von  12  cm  und  eines  ent¬ 
sprechenden  Teiles  des  verwachsenen,  mit  Geschwulstknoten  be¬ 
setzten  Rippenfelles  zunächst  gut.  Nach  abermaliger  Operation 
wegen  Rezidiv  nach  zwei  IMonaten  Exitus.  Bei  einer  dritten 
Patientin  wurde  ein  vom  Periost  ausgehendes  Spindelzellensarkom 
der  zweiten  und  dritten  rechten  Rippe,  das  mit  der  Pleura  fest 
verwachsen  war  und  sich  stark  halbkugelig  gegen  die  Imnge 
vordrängte,  mit  Erfolg  exstirpiert  und  sogar  eine  ideale  Heilung 
in  zehn  Tagen  erzielt.  Die  Patientin  ist  \^U  Jahre  post  operalionem 
noch  ohne  Rezidiv  und  vollkommen  heschwerdefrei.  —  (Langen- 
hecks  Archiv  für  klinische  Chirurgie  1906,  Bd.  81,  I.  Teil,  Fest¬ 
schrift  für  V.  Bergmann.)  F-  H- 

* 

98.  (Aus  der  Erzielmngsanslall  für  Schwachsinnige  „Erne- 
slinuin'“  in  Pi'ag.)  Die  Ohrmuschel  liei  Schwachsinnigen. 
Von  Dr.  R.  Imhof er-Prag.  Verf.  bringt  eine  Studie  über  die 
Degenerationszeicheu  an  der  Ohrmuschel,  deren  diagnostischer 
Wert  ebenso  wie  der  anderer  Degenerationszeichen  (das  sind  nach 
Wildermuth  anatomische  und  funktionelle  Abweiclmngen  von 
der  Norm,  welche  an  und  für  sich  die  Existenz  des  Organismus 
unerheblich,  aber  für  offene  oder  latente  neuropathische  Anlage 
charakteristisch  sind)  durchaus  kein  unbestrittener  ist.  Die  Unter¬ 
suchungen  Imhofers  an  200  Ohren  ergaben  folgende  Resultate: 
1.  Eine  für  Idioten  chaiakteristische  Ohrform  gibt  es  nicht.  2.  Bei 
Idioten  kommt  eine  Anzahl  Abnormitäten,  oder  besser  gesagt, 
Varietäten,  in  größerer  Anzahl  vor  als  hei  Normalen.  3.  1  on 
diesen  sind  einige  Varietäten  als  solche  anzusehen,  die  in  phylo¬ 
genetischer,  resp.  ontogenetischer  Hinsicht  eine  mindere  Fortent¬ 
wicklung  andeuten.  So  ist  der  morphologische  Index  des  Idiolen- 
ohres  gegenülier  dem  Normaler  relativ  niedriger  (morphologischei 
Index  nach  Schwalbe  Ba.l00A\L  Ba  —  Ohrbasis  Llngc 
der  Insertionslinie  der  Ohrmuschel;  WL  =  wahre  Länge 
Entfernung  der  Darwinschen  Spitze  von  der  Incisura  Iragi- 
cohelicina).  Weiters  findet  sich  der  hintere  untere  Winkel  des 
Embryonenohres  heim  Scliwachsiimigen  häufiger  als  beim  Noi- 
malen;  ebenso  findet  sich  beim  Idioten  häufiger  eine  ausgeprägle 
S  a  t y  r  spitze'.  Doppelt  so  oft  endlich  wie  bei  Normalen  findet 
sich  bei  Schwachsinnigen  das  sogenannte  Henkelohr.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  Heilkunde  1906,  Bd.  XXVH,  Heft  XH.)  K.  S. 

* 

99.  Aus  der  bakteriologischen  Anstalt  zu  Straßbiirg  i.  L. 
t  Oberleiter:  Prof.  Dr.  J.  Förster).  B  a  k  t  e  r  i  o  1  o  g  i  s  c  h  e  1  Be¬ 
fund  bei  der  xA  u  t  o  p  s  i  e  eines  T  y  p  h  u  s  b  a  z  i  1 1  e  n  t  r  ä  g  e  1  s. 


Vorläufige  Mitteilung.  Von  I’rof.  Dr.  E.  Levy  und  Dr.  Heinrich 
Kays  er,  Oberarzt  im  Inf. -Reg.  Nr.  172,  kommandiert  zum  In¬ 
stitut.  Die  Verfasser  waren  in  der  Lage,  Leichenmaterial  von 
einem  „Bazillenträger“  untersuchen  zu  können,  den  sie  ein  Jahr 
lang  unter  ihi'or  hakteriologischcn  Kontrolle  hatten.  Es  handelt, 
sich  um  eine  ISjährigc  Frau,  die  seit  13  Jahren  in  der  Irren¬ 
anstalt  Stephairsfeldt -Hördt  wegen  Epilei)sie  sich  befand.  Im 
Jahre  1903  machte  sie  daselbst  Typhus  durch  und  genas.  Gelegent¬ 
lich  gehäufter  Ty])husfälle  auf  der  Hördter  Frauenabteilung  wurde 
genannte  Pat.  als  Bazillenträgerin  erkannt;  ihr  Stuhl  enthielt 
Typhuskeime.  Derselbe  positive  Befund  wurde  noch  zebnmal  er¬ 
hoben  (1905).  Oktober  1906  erkraidUe  diese  Patientin  fieberhaft 
unter  schweren  psychischen  und  nervösen  Erscheinungen.  In 
der  zweiten  Fieberwoche  ging  sie  unter  einer  hypostatischen  Pneu¬ 
monie  und  IlerzscliAväche  am  elften  Tage  zugrunde.  Die  Sektion, 
welcher  die  Verfasser  nicht  beiwohnten,  ergab  hypostatische  Pneu¬ 
monie  des  rechten  Unterlappens,'  ein  schlaffes  Herz  wie  mudi 
septischen  Erkrankungen,  eine  leichte  jMilzVergrößerung.  Hirn¬ 
befund  negativ.  Die  von  den  Verfassern  au  den  iluien  zur  Ver¬ 
fügung  gestellten  Organen,  Milz,  Leber,  mit  Gallenblase  vorge¬ 
nommene  Untersuchung  ergab  zunächst  in  der  Gallenblase  einen 
mehr  als  doppelt  bohnengroßen  Gallenstein.  Die  Züchtnngsl)efiinde 
ergaben  im  Milzinnern,  Leberiiinern,  Galle,  Gallenblasenwaiid  und 
im  Innern  des  Gallensteines  reichliche  Typhushazillen.  Andere 
Mikroorganismen  konnten  weder  direkt  mikroskopisch  noch  kul¬ 
turell,  noch  durch  Tierversuche  nachgewiesen  werden.  Nach  An¬ 
sicht  der  Verfasser  ist  damit  zum  ersten'  IMale  an  eiirem  notori¬ 
schen  Bazillenträger  ein  Beweis  dafür  erbracht,  daß  die  Gallen¬ 
blase  nach  der  von  Forster  und  Kaiser  aufgestellten  Theorie, 
den  Dauersitz,  den  Vegetalionsort  der  Typhuskeime  chronischer 
Bazillenträger  darstellen  kann,  denn  die  Verfasser  haben  die 
E be rth-Gaffky sehen  Bazillen  aus  dem  Innern  des  Gallen¬ 
steines  einer  Bazillenträgerin  kultivieren  können.  Das  Vorkommnis 
demonstriert  aber  auch,  daß  bei  Typhusbazillenträgern  eine  Auto¬ 
infektion  zustande  kommen  kann.  Nach  dean  Leichenbefund  und 
den  klinischen  Notizen  ist  dje  Patientin  einer  Typhussepsis  er¬ 


legen  ;  das  Auftreten  der  Typhushazillen  in  der  Milz  läßt  sich  zu¬ 
sammen  mit  den  Krankheitssymptomen  nicht  anders  erklären,  als 
durch  eine  Allgemeininfektion  mit  diesen  Keimen.  Dieselbe  wäre 
nach  den  Verfassern  als  eine  Auto-Re-Infektion  von  den  Gallen¬ 
wegen  aus  anzusehen,  denn  die  Frau  leble  seit  einem  Jahre 
in  einer  Baracke  der  Irrenanstalt  isoliert.  x\n  eine  Infektion 
von  außen  her  kann  nicht  gedacht  werden,  zumal  in  diesem  Jahre 
zu  Flördt  keine  Typhusfälle  vorgekommen  sind.  —  (Vlünchener 
tnodiy  Wnf bonsehTift  1906.  Nr.  50.) 


* 

100.  D  a  s  Scheue  n  d  e  r  P  f  e  r  de.  St  a  m  p  e  d  e  of  horses; 
Tierpaniken.  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Psy¬ 
chosen  der  Tiere.  Von  Prof.  H.  Dexler,  Deutsche  Universität 
in  Prag.  Das  Durchgehen  von  Pferden  u.  zw.  ebensowohl  ein¬ 
zelner  Individuen  wie  ganzer  Rudeln  ist  eine  häufige  Erschei¬ 
nung,  so  häufig,  daß;  sie  zur  Frage  drängt,  warum  gerade  Pferde 
so  oft  durchgehen.  Das  Scheuen  und  Durchgehen  einzelner  In¬ 
dividuen  findet  leicht  eine  ausreichende  Erklärung  in  den  psy¬ 
chischen  Eigenlümlichkeiten  der  Pferde,  in  ihrer  Furchtsamkeit, 
in  ihrem  Erschrecken  und  Scheuen  vor  neuen,  ungewohnten, 
plötzlichen  Wahrnehmungen,  in  ihrer  geringen  Intelligenz.  Bei 
manchen  leicht  scheuenden  Pferden  sind  Gehirnkrankheiten  mit 
psychotischen  Begleiterscheinungen,  bei  vielen  organische  Augen¬ 
krankheilen  die  Ursache  häufigen  Durchgehens.  Alle  diese  Er¬ 
klärungsversuche  reichen  aber  nicht  aus,  um  die  Masseiia.usbrüche 
von  Pferden  aufzukläaen,  die  mitunter  in  Rudeln,  ja  in  ge¬ 
schlossenen  Herden  durchgehen,  dabei  durch  ihre  verkehrte  Hand¬ 
lungsweise  aufs  deutlichste  den  totalen  oder  partiellen  Verlust 
ihrer  Besonnenheit  dokumentieren  und  dadurch  sich  oft  schwere 
Verletzungen  zuziehen,  ja  seihst  die  V'^ernichtung  ihres  Lehens 
herheiführeu.  Solche  Vlassenaushrüche  von  Pferden  wurden  oft 
beobachtet  und  wiederholt  unter  dem  Titel  Pferdepaniken,  Stam¬ 
pede  of  horses  (Stampede,  wahrscheinlich  von  dem  spanischen 
,,stampedo“  [estampida] )  beschrieben,  aber  nie  genügend  auf¬ 
geklärt.  Dexler  ist  geneigt,  diesen  Massenausbrüchen  wenigei 
ein  gedankliches  Moment,  als  eine  unbewußte  J  riebbandlung  als 
Hauptgrundlage  zuzusprechen  und  die  Vorhernschaft  einer  In- 


WlLNEll  KMNISCIIE  WOCIIKNSCIIIUKT.  l'J07 


Nr.  8 


slinkiroakliDii  aiizuseluMi.  Die  Daiiikeu  der  i\leuscheii  eiuertseits, 
Inn  deiieii  die  Sugg<*sli(xji,  -  die'  lde<*.ldil)erlraglmg,^  di(;  (ie- 
daiikeniilaeiiflan/.ung  die  wiiddigste  UelU;  spielt  and  das 
Massendarehgelu'i)  dei'  Id’erde  and  der  übrigea  IJaasliero 
aadersei(s  lial)ea  also  eine  ganz  verschiedene  ])sychologische 
(Irandlage  and  i^ind  liar '  ähnlich'e,  Picdd  aber  gleicdiarlige 
Drscbeinaagea,  W  iirde  man  —  was  w  old  nicht  anzanelnnen 
isl  —  die  Danik  der  .Menschen  allgemein  als  Dsychose 
gelten  lat+sen,  -so  däi'fl#  -man  amMdmam,  (lall  da.s  Stampede 
of  horses  gleichfalls  eine  l^sychose,  eine  der  ohigen  analoge 
Psychose,  jedoch  in  veränderter  Form,  darstellt.  —  (Archiv  für 
Psychialric'  and  Nervenkrankheilen,  IJd.  42,  H.  1.)  S. 


Vermisehte  flaehriehten. 

t 

Ernannt:  Prof.  Pier  in  Bonn  zam  Rlarinegeneralarzt 
ä  hl  suite  des  Marinesaaitätskorps.  —  Der  a.  o.  Professor  an  der 
l.hiiversität  in  Jena  Dr.  D.  Gerhardt  zam  ordentlichen  Pro¬ 
fessor  der  medizinischen  IVliklinik  der  Kinderheilkunde  and 
Pharmakologie  in  Erlangen.  —  Der  a.  o.  Professor  für  gerichtliche 
Medizin  in  Freiburg  i.  B.  Dr.  ^dolf  Schule  zum  etatsmäßigen  außer¬ 
ordentlichen  Professor.  -  Prof.  Friedr.  .Moritz  in  Gießen  als 
Nachfolger  v.  Krelils  zuni  ordentlichen  Professor  und  Direktor 
der  medizinischen  Klinik  in  Straßburg. 

* 

V  c  r  1  i  e  h  e  11 :  Dem  Polizeibezirksarzt  Dr.  Heinrich  Popper 
in  Wien  der  Titel  eines  kais.  Rates  und  dem  Polizeibezirksarzt 
Dr.  Josef  Schrank  der  Titel  eines,  Polizeioberhezirksarztes.  — 
Dem  Privatdozenten  für  Psychiatrie  in  Göttingen  Dr.  W.  AVeber 
der  Professortitel. 

* 

H  a  b  i  1  i  t  i  e  r  t :  In  Petersburg  am  medizinischen  Institut 
für  Frauen:  Dr.  D  o  b  r  o  w  o  1  s  k  Y  für  Hygiene  und  Dr.  T  a  r  a- 
n  u  k  h  i  11  e  für  gerichtliche  Medizin! 

* 

Gest ,o.  r  b  e  n  :  Dr.  Roland  Stiche  r,  Privatdozent  für 
Frauenheilkunde  in  Breslau. 

Der  internationale  Kongreß  für  Psychiatrie, 
Neurologie,  Psychologie  und  I  r  r  e  n  p  f  1  e  g  e  w'ird  in 
Amsterdam  vom '2.  bis  7.  September  1907  stattfinden.  Das  öster¬ 
reichisch-ungarische  Komitee  besteht  aus  den  Herren:  Professor 
Dr.  G.  Auto  n-Graz,  Prof.  Dr.  L. F.  v.  H  o  c  h  w  a  r  t  h-Wien,  Professor 
Dr.  J.  Wagner  v.  J  a  u  r  e  g  g-Wien,  Prof.  Dr.  C.  Mayer-Inns¬ 
bruck,  Prof.  Dr.  H.  0  b  e  r  s  t  e  i  li  e  r-Wien,  Prof.  Dr.  A.  Pick- 
Prag,  Dr.  E.  R  e  (1 1  i  c  h-Wien,’  Dr.  T.  Saig  o-Badapest,  Doktor 
J.  Stärlinge  r-AIauer-Oehling. 

* 

Die  Frage  der  ■  Z  u  1  a  s  s  u  n  g  der  Oberrealschul- 
a  b  i  t  u  r  i  e  11 1  e  n  zu  den  ärztlichen  Prüfungen  i  m 
Deutschen  Reiche  ist,  wie  die  Münchener  med.  Wochenschrift 
mitteilt,  nunmehr  endgültig  entschieden  und  der  Beschluß  des 
Bundesrates  wird  demnächst  veröffentlicht  wmrden,  der  im  wesent¬ 
lichen  folgendes  bestimmt:  Von  Ostern  1907  an  werden  die  ge¬ 
nannten  Abiturienten  ohne  weiteres  zum  medizinischen  Studium 
zugelassen,  ohne  daß  sie  den  Nachweis  lateinischer  Kenntnisse, 
wie  bisher,  zu  erbringen  brauchen.  Dahingegen  müssen  sie,  wenn 
sie  zur  ärztlichen  Vorprüfung  zugelassen  werden  wellen,  den 
Nachweis  erbringen,  daß  sie  diejenigen  lateinischen  Sprach- 
kenntnisse  besitzen,  welche  für  die  Versetzung  nach  Obersekunda 
eines  Realgymnasiums  erforderlich  sind.  Dabei  genügt  schon  das 
Zeugnis  des  Direktors  einer  Oberrealschule  über  die  erfolgreiche 
Teilnahme  an  dem  in  dieser  Schule^  eingerichteten  wahlfreien 
Eateinunterricht  und  nur  dann,  wenn  ein  solcher  Unterricht  nicht 
eingerichtet  sein  sollte,  ist  der  Nachweis  lateinischer  Sprach- 
kenntnisse  durch  ein  auf  Grund  einer  Prüfung  ausgestelltes 
Zeugnis  der  Leiter  eines  deutschen  Gymnasiums  oder  Real¬ 
gymnasiums  zu  erbringen.  Damit  hat  der  Bundesrat  der  vor  zwei 
Jahren  durch  den  Abgeordneten  Eickhoff  im  Reichstag  ge¬ 
gebenen  Anregung  Folge  geleistet.  Die  Folge  dieses  Beschlusses 
wird  sein,  so  schreibt  die  Voss.  Ztg.,  daß  nun  an  allen  deutschen 
Oberrealschulen  wnihlfreie  Lateinkurse  eingerichtet  werden,  damit 
den  Abiturienten  dieser  Anstalten  das  medizinische  Studium  er¬ 
leichtert  wird.  Auch  ist  anzunehmen,  daß  denjenigen  Studenten 
dei-  Medizin,  die  Abiturienten  von  Oberrealschulen  sind  und  sich 
daher  nur  in  der  philosophischen  Fakultät  einschreiben  lassen 
konnten,  dieses  Studium  nachträglich  angerechnet  werden  wTrd, 
wie  es  seinerzeit  gegenüber  den  Abilnricnten  der  Realgymnasien 
geschah. 


Von  den  t  i  r  e  n  z  f  r  a  g  e  n  d  es  Ne  r  v  e  n-  und  Seelen¬ 
leben  Sy  herausgegeben  im  Verlage  von  J.  F.  B  e  r  g  m  a  n  n  in 
AViesbaden  von  Dr.  Löwenfeld  in  München  und  Dr.  H.  K  li¬ 
re  1 1  a  in  Ahrweiler,  ist  das  47.  Heft  erschienen.  Es  hat  eine 
Arbeit  von  Dr.  Send  AI e y e r  in  Danzig:  Ueber  den  Schmerz, 
zum  Inhalt,  welche  die  Untersuchungsresultate  über  die  psycho¬ 
logischen  und  physiologischen  Bedingungen  des  Schmerzvorganges 

widergibt.  .  . 

♦ 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  5.  Jahreswoche  (vom  27.  Januar  bis 
2.  Februar  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  677,  unehelich  338,  zusammen  1015. 
Totgeboren,  ehelich  50,  unehelich  35,  zusammen  85.  Gesamtzahl  der 
Todesfälle  715  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
19  0  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  14, 
Scharlach  3,  Keuchhusten  4,  Diphtherie  und  Krupp  8,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  5,  Lungentuberkulose  102,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  59,  Wochenbettfieber  1.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  34  (-|-  4),  Wochenbettfieber  5  ( —  3),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  72  ( —  38),  Masern  332  ( —  26),  Scharlach  82  (-j-  7),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  7  (-1-2),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  85  ( —  6),  Keuchhusten  35  ( —  4),  Trachom  1  ( —  3), 
Influenza  1  (-[-  1). 


Freie  Stellen. 

Stadtarztesstelle  für  die  Stadtgemeinde  Kaaden, 
Böhmen.  Mit  dieser  Stelle  ist  ein  jährlicher  Bezug  von  K  1200  ver¬ 
bunden.  Die  Besetzung  erfolgt  auf  ein  Jahr  provisorisch  und  hat  der 
Dienstantritt  womöglich  am  1.  März  1907  zu  erfolgen.  Gesuche  sind  bis 
spätestens  22.  Februar  1.  J.,  mittags  12  Uhr,  beim  Bürgermeisteramt 
Kaaden  einzubringen. 

Stelle  des  V.  Sekundararztos  im  allgemeinen  Kaiser-Franz- 
Joseph-Krankenhause  zu  Mährisch-Ostrau  mit  1.  März  1.  J.  pro¬ 
visorisch  zu  besetzen.  Jahresgehalt  K  1200,  freie  Wohnung,  Beheizung, 
Beleuchtung  und  Verpflegung  nach  der  I.  Gebührenklasse.  Die  Gesuche 
sind  bis  24.  Februar  1.  J.  an  den  Stadtvorstand  in  Mährisch-Ostrau 
einzusenden.  Beigefügt  wird,  daß  neben  der  deutschen  Sprache  die 
Kenntnis  der  böhmischen  oder  polnischen  Sprache  erwünscht  ist.  In 
dem  Kompetenzgesuche  ist  ausdrücklich  zu  erklären,  daß  der  Bewerber 
für  den  Fall  der  Anstellung  auf  jede  Privatpraxis  verzichtet  und  sich 
verpflichtet,  mindestens  ein  Jahr  im  Verbände  des  Krankenhauses  zu 
verbleiben.  Vor  Ablauf  dieses  Dienstjahres  steht  nur  der  Gemeinde  das 
Recht  der  sechswöchentlichen  Kündigung  zu,  nach  Ablauf  desselben 
können  beide  Teile  vierteljährig  kündigen. 

In  der  Kaiser  -  Franz-Joseph-Landesheil-  und  Pflegeanstalt  zu 
Mauer-Oehling  und  in  der  niederöslerreichischen  Landespflege¬ 
anstalt  für  Geisteskranke  zu  Ybbs  gelangt  je  eine  Hilfsarztes¬ 
stelle  zur  Besetzung.  Mit  jeder  dieser  Stellen  ist  ein  Honorar  monat¬ 
licher  K  100,  das  Kostrelutum  von  monatlich  K  50  und  der  Genuß 
einer  Dienstwohnung  samt  Beheizung  und  Beleuchtung  verbunden.  Be¬ 
werber  um  einen  dieser  Posten  haben  die  Erlangung  des  Grades  eiues 
Doktors  der  gesamten  Heilkunde  an  einer  inländischen  Universität,  die 
österreichische  Staatsbürgerschaft,  die  deutsche  Stammesangehörigkeit, 
ferner  die  bisherige  Tätigkeit  im  ärztlichen  Dienste  nachzuweisen  und 
ihre  mit  einer  Stempelmarke  zu  K  1  versehenen  Gesuche  unter  An¬ 
schluß  des  Tauf-  und  Heimatscheines,  sowie  eines  amtsärztlichen  Ge¬ 
sundheitszeugnisses  bis  längstens  15.  März  1907  um  2  Uhr  nach¬ 
mittags  tunlichst  im  Wege  persönlicher  Vorstellung  beim  Landesaus- 
schusse  des  Erzherzogtums  Oesterreich  unter  der  Enns  in  Wien, 
I.,  Herrengasse  Nr.  13,  einzubringen.  Wien  am  9.  Februar  1907.  Der 
Landesausschuß  des  Erzherzogtums  Oesterreich  unter  der  Enns. 

Eingesendet. 

Verehrte  Kollegen!  Die  Summe,  welche  von  den  wohl¬ 
habenden  Vertretern  unseres  Standes  an  die  minder  Begüterten  jährlich 
ausgegeben  wird,  ist  gewiß  eine  nicht  zu  unterschätzende.  Groß  sind 
auch  die  Beträge,  welche  die  Unterslülzungsinstitute  der  Aerztekammern 
und  verschiedene  ärztliche  Vereinigungen  ausgeben. 

Es  erscheint  nun  wünschenswert,  daß  die  Verteilung  dieser  zahl¬ 
reichen  Beträge,  die  von  verschiedenen  Ausgabestellen  erfolgt,  von  einer 
einheitlichen  Stelle  verzeichnet  werden,  damit  einerseits  dort  Erkundigung 
über  die  Würdigkeit  und  Bedürftigkeit  der  Bittsteller  eingeholt  werden 
könne  und  anderseits  vermieden  werde,  daß  einzelne  Hilfesuchende  nur 
infolge  ihrer  genaueren  Kenntnis  der  Hilfsstellen  und  weil  diese  letzteren 
voneinander  ^  unabhängig  austeilen,  auf  Kosten  ebenso  Würdiger  oder 
noch  Bedürftigerer  einen  zu  großen  Anteil  der  Unterstützungsgelder  an 
sich  reißen. 

Die  Aerztekammer  ersucht  auf  Grund  des  Vorstandsbeschlusses 
vom  5.  Februar  1907  alle  Unterstützungsinstitute  und  Kollegen,  welche 
Unterstützungen  an  Aerzte  oder  deren  Hinterbliebene  austeilen,  sie  in 
der  Führung  dieses  Verzeichnisses  zu  unterstützen.  Zu  diesem  Zwecke 
regt  sie  an:  1.  Sich  bei  der  Aerztekammer  über  die  Unterstützungs¬ 
bedürftigkeit  und  Würdigkeit  der  zu  Beteilenden  —  insofern  es  dem 
Geber  nötig  erscheint  —  zu  erkundigen.  2.  Stellt  sie  die  Bitte,  der 
Aerztekammer  mitzuteilen,  wann  und  zu  welcher  Zeit  eine  Unterstützung 
verliehen  wurde.  Wertvoll  wäre  es  natürlich  auch,  die  Höhe  des  Betrages 
verzeichnen  zu  können,  der  ausgegeben  wurde  und  werden  wir  für  eine 
diesbezügliche  genauere  Angabe  sehr  dankbar  sein. 

Der  Präsident  der  Wiener  Aerztekammer:  Dr.  Ewald  m.  p. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Verhandlttiigeii  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INHALT; 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  15.  Februar  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  iii  Wien. 
Sitzung  vom  31.  Januar  1907. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  23.  Januar  1907. 

Aerztlicher  Verein  in  Brünn.  Sitzung  vom  23.  Januar  1907. 


Offizielles  Protokoll  •  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitz'ung  vom  15.  F(*l)ruar  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Ed.  Lang. 

Scliriftführcr:  Dr.  Fritz  Hitschmann. 

Der  Vorsitzende  leill  folgendes  Dankschreiben  der  Familie 
V.  Härtel  mit:  „Sehr  geehrte  Gesellschaft!  Für  die  uns  in 
diesen  schweren  Tagen  erwiesene  herzliche  Teilnahme,  sowie 
für  den  pj'achlvollen  Kranz,  den  die  geehrte  GesellschafI  am 
Sarge  meines  verslorhenen  Vat(n-s  niederlegen  ließ,  sage  ich 
unseren  liefgefühlten,  innigsten  Dank.  Mit  dem  Ausdruck  vor¬ 
züglicher  Hochachtung  verbleibe  i(dilhr  ergebenslei'  Karl  Hartei. 

Der  Vorsitzende  teilt  ferner  mit,  daß  am  9.  Februar  I.  .1. 
das  ordeidliche  Mitglied  Herr  Dr.  Fdiiard  Fischer  im  55.  Lebens¬ 
jahre  gestorben  ist. 

Die  Versammlung  erhebt  sich  zum  Zeiche]i  der  Anteilnahme. 

Dr.  Leischner  stellt  ein  zweijähriges  Mädchen  mH  Polio¬ 
myelitis  acuta  anterior  vor,  hei  dem  nebst  der  rechten  unteren 
Extremität,  der  rechten  Hand  und  der  Rückenmusknialiir  auch 
di(^  linken  (jueren  Bauchmuskeln  partiell  betroffen  waren.  In¬ 
folge  des  letzteren  Umstandes  wurde  eine  Hernia  ventralis  late- 
rahs,  wie  sie  Wyn  als  angeboren  Ireschriehen  hal,  vorgetäuschl. 
Die  Milhcteilignng  dei'  Bauchmnskidatiir  bei  der’  spinalen  Kinder - 
lähmung  ist  liisher  mir  selten  beohaclitel  worden  (Duc  hennr', 
(j  p  p  ß  n  h  e  i  m,  I  b  r  a  h  i  m  und  B  a  u  m  a  n  n.  St  r  a  ß  h  u  t  g  c  i ). 

(Eine  ausfühidiche  Pnlrlikation  des  Ealles  wir'd  später  m'- 
scheinen.) 

Diskussion :  Prof.  Dr.  .M.  S  t  e  r  n  h  c  i'  g  ;  Umschriebene  ITriich- 
muskellähmungen  sind  nicht  so  selten,  wie  es  aus  der  von  dem 
Herrn  Vortragenden  zitierten  Literatur  hervorzugehen  scheint. 
Redner  hat  erst  vor  kurzem  einen  solchen  Fall  bei  tuberkulöser 
Spondylitis  beobachtet  und  durch  die  Obduktion  verifizieren 
können.  Daß  sich  die  benachbarte  Bauchwand  nicht  wie  bei 
einer  Hernie  durch  einen  deutlichen  Rand  von  der  umschriebenen 
Vorwölbung  abgrenzt,  beruht  darauf,  daß  der  gelähmte  Teil  des 
Transversus  oder  eines  schiefen  Rauchmuskels  nicht  scharf  von 
dem  übrigen  Muskel  geschieden  ist,  sondern  trotz  der  segmentalen 
Innervation,  ganz  allmählich  in  den  gesunden  Muskel  übeigeht. 
Das  beruht  wieder  darauf,  daß  jedes  Segment  nicht  von  einer, 
sondern  von  mehreren  Nervenwurzeln  versorgt  wird.  Am  Ka¬ 
daver  fällt  der  Unterschied  zwischen  dem  im  Leben  kontra¬ 
hierten  Muskelanteil  und  dem  passiv  vorgewölbten  gelähmten 
Teile  weg,  man  sieht  daher  am  frei  präparierten  Muskel  nur 
einen  Unterschied  in  der  Dicke  und  Farbe  der  gelähmten  Paitie, 
die  ganz  allmählich  in  den  normal  aussehenden  benachbarten 
Teil  übergeht.  Bei  dem  vom  Redner  lieobachteten,  obduzierten 
Falle,  befand  sich  die  partiale  Bauchmuskellähmung  in  der  rechten 
unteren  Bauchhälfte,  die  Muskelatrophie  war  am  Kadaver, 
insbesondere  am  Transversus  und  Obliquus  internus  der  rechten 
Seite  deutlich. 

Dr.  Leischner:  Auf  den  Einwand  dos  '  Prof.  Dr.  S  I  e  ru¬ 
he  rg,  daß  Sülche  Bauchmuskellähmungen  nicht  gar  so  selten 
sind,’  erlaube,  ich  mir  Folgendes  zu  erwidern:  Icli 
glaube  durch  Aufzählung  der  wenigen  Autoren  bei  der  Demou- 
stralioii  des  Falles  wohl  sämtliche  Puhlikationen  über  Baiicli- 
muskellähimmg  hei  l'ol  iomyelitis  acuta  anterior  eiwamil 
zu  haben.  Daß  derlei  Lähmungen  auch  hei  anderen  Nervenkrank- 
heilen  (Polyneuritis,  Tabes  dorsalis,  imiltipler  Sklerose 
obachtet  wurden,  streifte  ich  kurz  am  Schlüsse  meimu  .\us  u  i 
rung  und  verwies  diesbezüglich  auf  IMinkowski  und  Oppt'U- 
heini. 

Prof.  Ehrmann:  Aleine  Herren!  Vor  kurzem  halte  ich  (.ie- 
tegenheil,  timen  einen  Fall  vorzustellen,  der  zugleich  uut 
F  i-s  ch  e  i  u  u  n  g  e  11  von  Spät  syphilis  auf  der  Haut  ^ 
gedehnte  ha  u  m  förmig  e  u  n  d  n  et  z  f  ö  r  m  i  g  e,  1 1  v_i  de  /  o  i  (  i- 
iLungen  darhot,  die  ich  auf  eine  Erkrankung  der  Ideinsleti  HaiiL 
gefäße  infolge  von  Lues  bezog  und  zugleich  führte  ich  noch  drei 


andere  Fälle  meiner  Beobachtniigen,  von  dmien  zwei  sicher,  d(*r 
eine  mutmaßlich  Syphilis  .  waren. 

Einen  fünf  len  Fall  dieser  Art  erlaube  ich  miT  Ihmm  vor¬ 
zustellen.  Fs  handelt  sich  um  ein  Mädchen  von  23  .iahren, 
das  angihi,  immer  gesundAfeWusöii  zu  sein /.von  den  Geschwislorn 
sind  einige  an  nnbekannteii  Krankheiten  gestorben.  Die  .Mn i lei' 
verlor  Pal.,  als  sie  zwei  .lahre  all  war,  der  Vater  iehl. 

Die  livideu,  haumförmigen  Zeichnungen  findet  man  hei  (1er 
Palienlin  auf  den  Armen,  in  der  Hecken-  und  Schiiltergegend, 
ähnlich,  wie  hei  dem  zuletzt  vorgestelllen  Palienlen,  nur  daß 
sie  hier  ülier  den  ganzen  Körper  ausgedehnl  waren. 

Ich  vermeide  es  deshalb,  auf  Delails  einzugehen. 

Diese  Haiitveränderimg  soll  schon  seit  ihrer  Kindheit  he- 
slehen  uml  sie  war  es  auch  nicht,  welche  Bat.  bewog,  unseri' 
Abteilung  aufznsuchen.  Sie  kam  wegen  akul  aufgetrelener  Haril- 
häinorrhagieii  nnler  Fiebererscheinungen  und  wegen  einer  Ulze¬ 
ralion  iiu  Bachenraum.  Bei  der  Inspektion  des  Isthmus  fand  pch 
am  rechten  Bande  der  Uvula  ein  etwa  linsengroßes,  rnndhehes, 
specki*’'  heleales  Geschwürchen  auf  infiltrierter  Basis,  dem  mau 
es  solMrt  an^sehen  konnte,  daß  es  eine  Fortsetzung  eines  Pro¬ 
zesses  an  der  Hiiiterfläche  der  Uvula  sein  müsse.  Die  auf  meine 
Bitte  vorgenommeiie  Untersuchung  des  Nasenrachenraumes,  durch 
Kollegen  Stabsarzl  Fein  ergab  . gummöses  Infiltrat  des  \ehims, 
teilweise  zerfallen,  die  hintere  Pharynxwand  bis  an  das  Imc.ien- 
dach  infiltriert  und  ulzeriert.  Ulzeriertes  Infiltrat  an  der  rechten 
Seite  des  Septums  im  Uehergang  in  Perforation.  Larynx  iioimal. 
Die  Perforation  war  am  folgenden  Tage  noch  deutlicher. 

Ol)  diese  unzweifelhafte  Lues,  welche  Pat.  zeigt,  eine  in 
frühester  Kindheit  akquirierte  oder  eine  hereciitäre  ist,  kann  mit 
Sicherheit  nicht  entschieden  werden,  da  keine  manifesten  Fr- 
scheinnngen  liereditärer  Lues  vorliegeii.  .ledenfalls  handelt  es 
sich  um  eine  späte  Form.  Von  Interesse  ist  es,  die  Beziehungen 
der  jetzt  aufgelrelenen  febrilen  Purpura  zu.  dem  syphililisclmii 
Prozeß  zu  untersuchen.  In,  den  Gefäßzeiclmungen  konnte  icii 
keine  nähere  topographische  Beziehung  eiiideckeii.  Auffällig  war 
es,  daßi  nach  Avisspülinig  <les  Nasenracheiiraiinies  das  Tieher 
sistierte  und  nein'  Hämorrhagien  nicht  niehi  auf  Halt  n. 

Ich  möchte  dieshezüglich  auf  die  Erfahrung  hinweisen,  daß 
toxische  und  namenilich  hämorrhagische  Erytheme  hei  Fiteiuii- 
geii^und  Sekretionen  iin  Nasenrachenraum  auffällig  hantig  anl- 
H-eten  und  mit  ihnen  sistieren,  was  wohl  auf  Resorption  toxischer 
Körper  oder  vielleicht  auf  die  Aufnahme  von  Mikroben  zu  beziehen 
ist.  Namenilich  scheinl  mir  die  Aufnahme  der  Matena  peccans 
aus  den  verschluckten  Sekreten  durch  den  Darmkaiial  zu  ge¬ 
schehen.  ;  11.  11-  1’.. 

Der  Zusammenhang  zwischen  Lues  und  den  akuten  Li- 

scheinungen  ist  hier  nur  eiii  indirekter. 

Dr.  0.  V.  Frisch  stellt  einen  Fall  von  i  s  o  li  e  r  t  e  r  k  r  a  k  I  ii  i 
eines  Processus  s  p i u  o  s  u  s 


V  e  r  I  e  b  r  a  1  i  s  vor.  ( F rsc  hei  1 1 1 

ausführlich.,)  .... 

Prim  Dr  Latzko:  .Meine  Herren!  Diese  Patientin,  eiim 
ißjährige  Virgo,  trat  am  28.  November  1906  an  meiner  Ah- 
ieilung  ein.  Auf  den  ersten  Blick  war  an  dem  charakteristisdien 
Fntengaiig  eine  Osteomalazie  zu  erkennen.  Die  Symptomentnas 
—  Knocheiidnickempfindlichkeil,  lleopsoasparese  und  Addnktoieu- 
konfraktur  —  stellten  die  Diagnose  sicher,  trotzdem  typische  Ske- 
lettdeformitälen  fehlen.  Die  Kranke  datieil  den  eginu  * 
Leidens  drei  .lahre  zurück;  seit  drei  Monaten  konnte  sie  nicht 
mehr  Tvejipen  steigen.  Unter  Phosphortherapie  Irat  rasche  Besse¬ 
rung  ein,  so  daß  das  Mädchen  heute  fast  als  gesund  hetrachh'l 
werden  kann.  Lin  derartiger  Erfolg  bietet  an  sich  men ts  anßei- 
gewöhnliches  und  hätte  mich  ebensowenig  wie  der  Uinstaml, 
(laß  es  sich  hier  urn  einen  der  nicht  allziihäufigen  Migmellen 
Osteomalaziefälle  handelt,  veranlalM,  Ihre  kostbare  Zeit  in  -Oi- 
spruch  zu  nehmen,  wenn  nicht  Prof.  Rossi  '  7.. 
Universilätsfranenklinik  in  Gemia,  im  Zeniralhlalt  tui  Gynak(^lo„u 
unter  dem  Titel:  Neliennieren  und  Osteomalazie,  uhcT  neue  th.u-a- 
pevitische  und  wissenschaftliche  Versuche  hm'Tchfet  halle,  atil  die 
zurückzukommeii  mir  erlaiiht  sein  möge. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


JJie  Üierai)t‘ii[isclieii  \'c*r«uclie  in  der  lägiielicJi 

subkutanen  Injekliun  von  bis  1  cg  der  l%o  AdrenaUnlösung. 
Das  Ergebnis  seines  ersten  Versuches  an  einer  iin  achten  iMonate 
graviden  üsteoinalazischen,  bewog  Hossi  in  seiner  ersten  \'er- 
öi'tentlichung  vom  19.  Jänner  zu  dem  Ausrufe:  „Stehen  wir 
vor  der  Entdeckung  des  Mittels  gegen  die  Knochenerweiclumg 
und  somit  auf  dem  logischen  Wege  zur  Erforschung  der  Fatho- 
g(Miese  der  Usteonialazie  ?“  Er  spricht  weiter,  wenn  auch  mit 
\  orbehalt  von  „dem  Mittel,  welches  seit  langem  von  der  \\  issen- 
s(diaft,  wie  auch  von  den  Kranken  ersehnt  wird“. 

Heim  Niederschreiben  dieser  Sätze  vergaßi  Hossi  offen¬ 
bar  die  ausgezeichneten  Heilerfolge,  die  bei  Osteomalazie  seit 
Jahrzehnten  mit  Kastration,  ebenso  aber  mit  konsequenter  Phos- 
phorbehandlung  erzielt  wurden.  Ich  kann  auf  weit  mehr  als 
‘dUÜ  Fälle  von  Osteomalazie  zurückblicken,  von  denen  der  größere 
Teil  nur  mit  Hilfe  des  Phosphors  von  seinen  Heschwerden  befreit 
und  dauernd  geheilt  wurde;  darunter  hefinden  sich  Heobachtungen 
von  lojähriger  Dauer  und  mehrere  Sicherstellungen  des  Heil¬ 
erfolges  durch  Sektionsbefunde  nach  Tod  an  interkurrenteti  Er- 
krankungen. 

Demgegenüber  beruhen  die  Mitteilungen  Hossis  in  seiner 
ersten  Veröffentlichung  auf  nur  sechstägiger,  in  seiner  zweiten 
auf  nur  zwölftägiger,  resp.  dreiwöchentlicher  Heohachtung.  Wenn 
man  aber  in  der  Heurteilung  therapeutischer  Erfolge  nicht  vor- 
sichlig  genug  sein  kann,  so  gilt  dies  in  erhöhtem  Maße  für  die 
Osteomalazie.  Ich  erinnere  an  die  Versuche  Petr  ones,  die 
Osteomalazie  mit  Chloralhydrat  zu  heilen,  deren  vorübergehender 
Erfolg  ihn  zu  dem  Schlüsse  führte,  der  Heilfaktor  der  Kastration 
sei  nicht  in  der  Entfernung  der  Eierstöcke,  sondern  in  der  gleich¬ 
zeitigen  Chloroformnarkose  zu  suchen.  Eine  Nachprüfung  der 
Hehauptungen  Petr  on  es  ließ  dieselben  als  falsch  erkennen.  Es 
war  allerdings  des  öfteren  ein  überraschend  günstiger  Einfluß 
der  Chloroforninarkose  auf  die  subjektiven  Heschwerden  der  Osteo¬ 
malazischen  zu  konstatieren;  doch  trat  fast  stets  nach  längerer 
oder  kürzerer  Zeit  ein  Rückfall  ein.  Nur  zwei  Fälle  sind  mir 
ei'innerlich,  in  welchen  sich  an  Chlorofornmarkose  dauernde 
Heilung  anschloß',  oh  post  hoc  —  denn  es  kommen  auch  Spontan¬ 
heilungen  im  Verlaufe  der  Osteomalazie  vor  —  oder  propter  hoc, 
muß  dahingestellt  bleiben.  Wie  schwierig  die  Heurteilung  des 
kausalen  Zusammenhanges  in  diesen  Fällen  ist,  geht  übrigens 
daraus  bervor,  daß  ich  in  einem  Falle  auch  nach  Aethernarkose 
Verschwinden  der  Schmerzen  und  Dauerheilung  sah. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  würde  ich  mit  Rücksicht 
auf  die  kurze  Heobachtungszeit  Hossis  nicht  wagen,  nur  nach 
dem  Inhalte  seiner  Mitteilungen  mir  eine  positive  Ansicht  über 
die  Wirkung  von  Adrenalin  bei  Osteomalazie  zu  bilden,  trotz¬ 
dem,  oder  vielleicht  gerade,  weil  diese  Mitteilungen  dem  Adrenalin 
eitlen  zauberhaften,  jeder  medizinischen  Erfahrung  widersprechen¬ 
den  Einfluß  auf  das  osteomalazische  Skelett  zuschreiben. 

Hossi  beschreibt  das  Becken  seines  ersten  Falles  als  hoch¬ 
gradig  osteomalazisch  verengt,  mit  schnabelförmiger  Symphyse, 
so  daß  er  mit  Rücksicht  auf  die  intra  partum  zu  befürchtende 
Uterusruptur  die  prophylaktische  Sectio  caesarea  ins  Auge  faßte. 
Vom  27.  Novemher  bis  zum  16.  Dezember  beobachtete  er  „eine 
allmähliche  tägliche  Zusammenziehung  des  Beckens“.  An  diesem 
'Page  begann  dit'  Behandlung  und  schon  am  ,21.  Dezember  sind 
die  Knochen  des  Beckens  ,, offenbar  im  Begriffe,  in  ihren  nor¬ 
malen  Zustand  überzugehen“.  Am  7.  Januar  wird  die  Patientin 
spontan  von  Zwillingen  entbunden,  deren  schwererer  3250  g  wog. 
Hossi  glauht,  er  verdanke  diesen  Erfolg  einzig  dem  Extrakt 
der  Nehennieren. 

Meine  Herren  1  So  etwas  gibt  es  nicht.  Das  ist  nach  meiner 
Y\nsicht,  speziell  in  geburtshilflicher  Beziehung,  nicht  vorurteils¬ 
lose  Naturheohachtung,  sondern  freie  Phantasie. 

Allerdings  kann  es  auch  hei  absolut  verengten  osteomala¬ 
zischen  Hecken  unter  Umstämlen  zur  Geburt  eines  reifen,  unver- 
kleinerten  Kindes  aid'  natürlichem  M"ege  kommen,  nämlich  (hum, 
wenn  die  Knochen  weich,  kautschukartig  dehnhar  sind.  Ich  habe 
selbst  einen  derartigen  Fall  beobachtet.  Ein  derartiges  Hecken 
nimnd  aber  nach  dem  ’  Passieren  des  kindlichen  Schädels  seine 
frühere  Form  wieder  an.  Nie  kann  man  eine  Veränderung  eines 
osteomalazischen  Reckens  zum  Besseren  während  der  Heilung 
l)eohachlen.  Im  Gegeideil  1  Trotzdem  gelegentlich  nach  Kastration, 
aber  auch  ohne  jede  Intervention  nach  einer  Geburt  Schmerzen 
und  Bewegungsstörungen  gewissermaßen  unter  unseren  Augen 
in  wenigen  Stunden  mehr  weniger  verschwinden,  sehen  wir  auch 
in  solchen  Fällen  bis  zur  vollständigen  Konsolidierung  des  Skeletts 
(dne  Zunahme  der  Knochenverbiegungen,  si)ezie]l  der  Hecken¬ 
verengerung. 

Das  ist  auch  gaiiz  natürlich.  Die  Osteomalazie  an  sich 
macht  den  Knochen  nicht  krumm,  sondern  weich  und  di(*  Heilung 


macht  ihn  nicht  gerade  sondern  fest.  Bis  dahin  braucht  es  aber 
geraume  Zeit  und  während  dieser  können  Körperlasl  und  Älusktd- 
ZLig  ihre  ’Wirkung  auf  das  Skelett  geltend  machen  wie  vorhej'. 
Immerhin  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  wir  auch  im  Adrenalin 
ein  Heilmittel  gegen  Osteomalazie  zu  begrüßen  haben,  obwohl 
dem  länger  fortgesetzten  Gebrauch  von  Adrenalin  nach  dem  Er¬ 
gebnis  der  Tierversuche  gewisse  Bedenken  anhaften.  Infolge¬ 
dessen  habe  ich  mich  veri)flichtet  gefühlt,  einen  vorsichtigen 
\'ersuch  mit  der  Adrenalintherapie  zu  machen.  An  meiner  Ab¬ 
teilung  liegt  ein  schwerer  Fall  von  Osteomalazie,  mit  absolut  ver¬ 
engtem  Hecken,  hochgradigen  Thoraxverbildungen,  der  seit  lange 
gehunfäbig  ist.  Derselbe  erhält  seit  14  Tagen  Adrenalininjektionen. 
Feber  den  Erfolg  werde  ich  nach  Ablauf  einer  entsprechenden 
Heoliachtungszeit  mir  zu  berichten  erlauben. 

Diskussion:  Hofr.  Dr.  Esch  er  ich:  Die  Vorstellung,  daß 
die  Funktion  der  Nebenniereii  zu  dem  KnochenwachisLum  Be¬ 
ziehung  hat,  ist  auch  in  pädiatrischen  Kreisen  erörtert  wordeji. 
Slöltzner  stellte  vor  mehreren  Jahren  die  Theorie  auf,  daß 
die  Rachitis  durch  eine  Funktionsstörung  der  Nebennieren  v('r- 
ursacht  sei.  Er  hat  damals  auch  Versuche  angestellt,  den  rachiti¬ 
schen  Prozeß  durch  Verabreichung  von  Nehennierenpräparaten 
zu  beeinflussen.  Trofz  der  günstigen  Resultate,  von  denen  er 
berichtet,  ist  schon  seit  mehreren  Jahren  von  dieser  Behandlung 
nicht  mehr  die  Rede  gewesen,  so  daß  man  aiinehmen  muß, 
daß  der  Autor  selbst  dieselbe  aufgegeben  hat. 

Prof.  Riedl:  Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  ver¬ 
säumen,  darauf  hinzu  weisen,  daß  bei  therapeutischen  Versuchen 
mit  Adrenalin  —  vor  allem  bei  der  subkutanen  Applikation 
der  Substanz  —  mit  Rücksicht  auf  die  vorliegenden  Erfahrungen 
im  Tierversuche,  eine  gewisse  Vorsicht  geboten  ist.  Von  der 
Gefahr  einer  gelegentlichen  unbeabsichtigten  intravenösen  In¬ 
jektion  abgesehen,  ist  schon  die  einmalige  Anwendung  des 
Adrenalins  wegen  der  danach  konstant  eintretenden  Glykosurie  — 
dem  von  Blum  entdeckten  sogenannten  Nebennierendiabetes  — 
nicht  ganz  belanglos.  Bei  fortgesetzter  Einverleibung  der  wirk¬ 
samen  Substanz  der  Nebennieren  in  geringen  Dosen  ist  eine  zu¬ 
nehmende  Abmagerung  und  der  Tod  der  Versuchstiere  zu  be¬ 
obachten.  Neben  der  vasokonstriktorischen  Wirkung  ist  nämlich 
auch  eine  in  erster  Reihe  das  Herz  schädigende  giftige  Kom¬ 
ponente  des  Extrakts  der  Nebennieren  oder  allgemeiner  des 
chromaffinen  Gewebes  zu  berücksichtigen,  was  ich  in  einer 
gemeinschaftlich  mit  Dr.  Wiesel  ausgeführten  Arbeit  schon  vor 
einigen  Jahren  hervorgehoben  habe.  Zum  Schlüsse  möchte  ich 
noch  bemerken,  daß  meine  eigenen  Erfahrungen  über  die  Folgen 
der  Nebennierenexstirpation,  sowie  über  die  Wirkung  des  Adre¬ 
nalins  die  von  Primarius  Dr.  Lätzko  vorgebrachte  Kritik  voll¬ 
kommen  berechtigt  erscheinen  lassen. 

Stabsarzt  Dr.  Karl  Franz  demonstriert  zwei  große  Nieren¬ 
steine,  die  von  einem  vor  zwei  Jahren  verstorbenen  General 
herrühren.  Derselbe  stammte  aus  einer  tuberkulösen  Familie. 
Im  28.  Lebensjahre  erlitt  er  eine  Verletzung  am  rechten  Vorder¬ 
arm  mit  Durchtrennung  der  Radialis;  wegen  hochgradigen  Blut¬ 
verlustes  erholte  sich  der  Genannte  sehr  langsam  und  war  ge¬ 
zwungen,  mehrere  Monate  am  Rücken  zu  liegen.  Bald  darauf 
stellten  sich  Schmerzen  in  den  Nierengegenden  ein,  die  anfangs 
unbestimmten  Charakter  hatten  und  erst  später  in  ausgesprochene 
oft  wiederkehrende  Nierenkoliken  ausarteten.  Seit  dem  Jahre  1896 
traten  die  Kolikanfälle  nicht  mehr  auf,  der  Harn  blieb  jedoch 
während  der  ganzen  Zeit  mehr  oder  weniger  trüb,  war  zeitweilig 
mit  Blut  vermischt,  reagierte  alkalisch  und  enthielt  reichliches 
Sediment,  manchmal  auch  kleine  bis  erbsengroße  Steinchen, 
welche  wiederholt  die  Harnröhre  verlegten  und  künstlich  extra¬ 
hiert  wurden.  Die  chemische  Untersuchung  des  Niederschlages 
ergab  vorwiegend  kohlensauren  und  phosphorsauren  Kalk.  Sonst 
fühlte  sich  Pat.  bis  auf  zeitweilige  dyspeptische  Störungen  recht 
wohl  und  konnte  seinem  Berufe  vollkommen  nachkommen.  Die 
Behandlung  bestand  in  Verabreichung  von  Milchsäure  und  Salz¬ 
säure,  die  jahrelang  verhältnismäßig  in  großen  Mengen  genommen 
und  gut  vertragen  wurden.  Im  Jahre  1904  stellten  sich  auf  der 
Heimfahrt  von  Amerika  bei  unruhiger  See  wieder  Nierenschmerzen 
ein,  welchen  urämische  Anfälle  folgten  und  den  Tod  herbei¬ 
führten.  Bei  der  unterwegs  am  Schiffe  vorgenommenen  Obduktion 
wurde  in  der  rechten  Niere  ein  Konkrement  vorgefunden,  welches 
den  reinen  Abguß  des  erweiterten  Nierenbeckens  und  der  Kelche 
darstellt  und  in  dieser  Art  zu  den  schönsten  und  größten  gehört, 
die  überhaupt  in  der  Literatur  verzeichnet  sind.  Das  Gewicht 
beträgt  92g,  die  Länge  dein,  größte  Breite  6cm.  Im  linken 
Nierenbecken  befand  sich  ein  zweiter  Stein  von  der  Form  und 
Größe  eines  Daumens  mit  etwas  zugespitzten  Enden,  22  g  schwer, 
6  cm  lang.  Beide  Steine  sind  mäßig  harter  Konsistenz,  an  der 
Oberfläche  etwas  rauh,  brämdich,  vom  veränderten  Blutfarbstoff 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


2il 


Nr.  8 


verfärbt;  sie  bestehen  aus  kohlensaureni  Kalk,  phorphorsaurej' 
Magnesia  und  phosphorsau  rein  Kalk.  Der  kleinere  der  beiden 
Steine  wurde  durchgesägt  und  es  zeigte  sich,  daß  auch  die 
zentralen  Schichten  dieselbe  chemische  Beschaffenheit  haben. 

Auffallend  war,  daß  die  Steine  in  den  Nieren  während  der 
letzten  acht  Jahre  keine  wesentlicheren  Schmerzen  verursachten, 
um  so  mehr  als  Pat.  fast  täglich  geritten  ist  und  auch  durch 
Ausübung  anderen  Sportes  den  Körper  heftigeren  Erschütterungen 
aussetzte. 

Diskussion:  Priv.-Uoz.  Dr.  Stoerk  weist  im  Anschluß 
an  die  Uemonslration  des  Stabsarztes  Dr.  Franz  darauf  hin, 
daß  das  eine  Konkrement  einem  Nierenbeckenausguß  von  tadel¬ 
loser  Vollkommenheit  entspricht  und  zeigt  zum  Vergleiche  Wachs¬ 
paraffinausgüsse  verschiedener  Nierenbecken  vor.  An  diesem  Kon¬ 
krement  lassen  sich  eine  Reihe  von  charakteristischen  Einzelheiten 
erkennen,  insbesondere  auch  der  Umstand,  daß  es  sich  im  be¬ 
treffenden  Falle  um  eine  ,, Doppelniere“,  resp.  um  eine  Niere 
mit  geteiltem  Becken  gehandelt  haben  müsse.  Der  Befund  des 
geteilten  Beckens  sei  nach  seinen  an  Ausgußpräparaten  gewon¬ 
nenen  Erfahrungen  im  allgemeinen  ein  so  häufiger,  daß  er  — 
wenigstens  andeutungsweise  —  fast  an  .jeder  Niere  nachzuvveisen 
sei.  Der  Befund  des  geteilten  Nierenbeckens  sei  nicht  nur  vom 
entwicklungsgeschichtlich-  und  deskriptiv-anatomischen,  sondern 
auch  vom  klinischen  und  pathologisch-anatomischen  Standpunkt 
aus  von  Interesse;  es  erscheine  nicht  unwichtig,  zu  konstatieren, 
daß  im  Falle  des  Geteiltseins  eine  Reihe  von  Erkrankungsformen 
der  Niere,  insbesondere  iles  Nierenbeckens,  auf  den  einen  Ab¬ 
schnitt  der  Niere,  resp.  des  Nierenbeckens  beschränkt  bleiben 
könne. 

Dr.  Kap’sammer:  Im  allgemeinen  besteht  kein  direkter  Zu¬ 
sammenhang  zwisclien  der  Größe  von  Nierensteinen  und  den 
durch  dieselben  verursachten  Schmerzen.  Es  kommt  im  Gegen¬ 
teil  eher  das  Verhältnis  einer  umgekehrten  Proportion  zum  Aus¬ 
druck  :  große  Steine,  welche,  einen  vollkommenen  Ausguß  des 
Nierenbeckens  darstellend,  fest  eingekeilt  sind,  bestehen  oft  lange 
Zeit  ohne  Beschwerden,  während  ganz  kleine  Konkremente  wegen 
ihrer  freien  Beweglichkeit  häufig  zum  Ureterverschluß  führen 
und  auf  diese  W^eise  die  unerträglichsten  Schinerzanfälle  verur¬ 
sachen. 

Die  von  Kollegen  Stoerk  erwähnte  Zweiteilung  des  Nieren- 
heckens  ist  klinisch  von  großer  Bedeutung.  Wir  waren  wieder¬ 
holt  in  der  Lage,  dieselbe  mittels  des  Uretereukathelerismus 
klinisch  zu  diagnostizieren.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  beiden 
Abschnitte  derselhen  Niere  'manchmal  verschiedene  Krankheits¬ 
prozesse  zeigen  oder  daß  bei  gleichartiger  Erkrankung  auf  dem 
Wege  des  Ureterenkatheterismus  verschiedene  Grade  der  anato¬ 
mischen  wie  der  funktionellen  Läsion  in  den  beiden  Nierenab¬ 
schnitten  festgestellt  werden  konnten.  Ich  erinnere  auch  noch 
an  eine  Beobachtung,  welche  ich  vor  längerer  Zeit  an  flieser  Stelle 
zu  erwähnen  Gelegenheit  hatte :  doppeltes  Nierenbecken  mit 
Y-förmigem  Ureter;  Tuberkulose  des  unteren  Nierenabschnitles 
und  des  unteren  Ureters;  an  der  Gabelung  infolge  der  spezifi- 
seben  Infillration  Stenose  des  oberen  Ureters  und  dadurch  hydro- 
nephrolische  Ei’weiterung  des  oberen  Nierenbeckens. 

Dr.  L.  Hofbauer:  Vortrag  über  Herzmuskelkraft  und 
Kreislauf.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Diskussion:  Prof.  Biedl:  Die  vorgerückte  Zeit  erlaubt  es 
mir  nicht,  die  im  Vortrage  Dr.  Hofbauers  enthaltenen  Behauptungen 
einzeln  zu  besprechen  und  widerlegen,  ich  halte  es  aber  doch  für 
notwendig  eine  wenn  auch  etwas  summarische  Kritik  vorzubringen, 
in  erster  Reihe  um  der  Meinung  entgegenzutreten,  daß  uns  hier 
viele  neue  Tatsachen  und  aus  den  bekannten  Erfahrungen  bisher 
nicht  abgeleitete  neue  Schlußfolgerungen  mitgeteilt  worden  sind. 
Dies  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall.  Den  Grundgedanken  des 
Vortrages,  soweit  ich  ihn  verstehen  konnte,  bildet  der  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Zirkulation  und  Respiration.  Ueber  diese  Frage 
liegt  eine  sehr  ausgedehnte  Literatur  vor,  sie  ist  aber  auch  in 
den  gangbaren  Lehrbüchern  der  Physiologie  zur  Genüge,  im  Lehr¬ 
huch  der  Physiologie  des  Kreislaufes  von  Ti  g  erste  dt  (1893) 
ganz  ausführlich  behandelt.  Wir  wissen  schon  lange,  daß  die 
eigentümliche  Art  und  Weise,  wie  die  Lungen  in  dem  Brustkasten 
eingesetzt  sind,  ein  günstiges  Moment  für  die  Rückströmung  des 
Blutes  in  das  Herz  darstellt,  daß  ein  weiteres,  noch  wichtigeres 
in  der  direkten  Ansaugung  bei  der  Inspiration  hinzukommt. 
C.  Ludwig  hat  schon  1847  gezeigt,  daß  der  Blutdruck  bei  den 
Atembewegungen  wesentliche  Veränderungen  erleidet  und  man 
bezeichnet  diese  großen  Schwankungen,  welchen  die  Herzpulse 
als  kleine  Zacken  aufgesetzt  sind,  als  respiratorische 
Schwankungen  des  Blutdruckes.  Wir  wissen  aber  auch,  daß 
bei  dem  Zustandekommen  dieser  Atemwellen  einerseits  die 
mechanischen  Verhältnisse  der  ln-  und  Exspiration  in  der  mannig¬ 


fachsten  Weise  mitwirken,  andererseits  auch  die  zwischen  Atem- 
und  Gefäßnervenzentren  bestehenden  Korrelationen  modifizierend 
eingreifen.  Es  ist  uns  nicht  neu,  daß  das  Herz  in  gewissen 
Phasen  der  Respiration  sein  Volumen  verändert,  wir  kennen  dies 
aus  der  direkten  Inspektion,  neu  ist  höchstens  die  radiologische 
Feststellung  dieser  bekannten  Tatsache.  Es  ist  keine  neue  Schlu߬ 
folgerung,  wenn  Dr.  Ho  fb  au  er  behauptet,  daß  bei  der  kardialen 
Dyspnoe  die  Vertiefung  der  Respiration  zur  Besserung  der  Zirku¬ 
lation  verhilft.  Die  Frage  ist  nur,  auf  welchem  Wege  kommt  die 
Veränderung  der  Atmung  zustande.  Diesbezüglich  wird  nun  mit 
Recht  gelehrt,  daß  das  dipnoische  Blut  als  Reiz  für  das  Zentral¬ 
nervensystem  wirkt  und  daß  somit  die  veränderte  Respiration  auf 
nervösem  Wege  ausgelöst  wird.  Die  herangezogenen  Untersuchungen 
von  Kraus  haben  auf  die  stärkere  Desoxydation  des  venösen 
Blutes  bei  der  Dyspnoe  direkt  hingewiesen,  die  tiefdunkle 
Färbung  des  Venenblutes  hei  der  Dyspnoe  ist  ja  auch  allgemein 
bekannt. 

Ich  muß  mich  mit  den  wenigen  Bemerkungen  leider  be¬ 
gnügen,  denn  eine  ausführliche  Besprechung  des  Vortrages  würde 
zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen.  Nur  das  eine  möchte  ich  noch 
hinzufügen,  daß  der  von  Dr.  Hofbauer  benützte  Ausdruck: 
„vitale  Retraktionskraft  der  Lungen“  mir  nicht  genügend  klar 
erscheint  und  ich  nicht  einsehe,  warum  er  nichl  einfach  die 
Lungenelastizität,  den  physikalischen  klaren  Begriff  benützt. 

Dr.  Hofbauer:  Herrn  Prof.  Biedl  s  Vorwurf  gegen¬ 
über,  das  von  mir  Vorgebrachte  sei  nicht  neu,  muß  ich  betonen, 
daß  sowohl  die  von  mir  mitgeteilten  Versuchsresultate  als  auch 
die  daraus  gezogenen  Schlüsse  vollkommen  neu  sind. 

Neu  ist  und  bislang  nirgends  beschrieben  die  radiologisch 
nachweisbare  Verbreiterung  des  Herzschattens  bei  der  Inspiration, 
Verkleinerung  bei  der  Exspiration. 

Neu  ist  die  Feststellung,  daß  das  Zwerchfell  bei  Lage¬ 
änderung  des  Patienten  so  wesentliche  Aenderungen  seines 
Standes  aufweist. 

Neu  ist,  daß  eben  dadurch  seine  Exkursionsbreite  so 
wesentlich  verändert  wird. 

Neu  ist  ferner  die  von  mir  gegebene  Erklärung  für  die 
Pathogenese  der  kardialen  Orthopnoe. 

Daß  es  nicht  berechtigt  ist,  wenn  man  behaupten  will,  der 
von  mir  betonte  Einfluß  der  Respirationsorgane  auf  die  Zirkulation 
sei  jedem  aus  der  Physiologie  bekannt,  beweist  der  Umstand, 
daß  selbst  hervorragende  Physiologen,  wie  M  a  r  e  und  Moss  o, 
angeben,  der  Einfluß  der  Atmung  auf  die  Bewegung  des  venösen 
Blutes  mache  sich  in  entgegengesetzter  Weise  für  das  Strom¬ 
gebiet  der  oberen  und  der  unteren  Hohlader  geltend,  ,,es  heben 
sich  daher  die  Wirkungen  gegenseitig  auf“. 

Als  Beweis  dafür,  daß  man  in  der  Klinik  den  Einfluß  der 
Atmung  auf  die  Blutbewegung  ganz  wesentlich  unterschätzt  hat, 
will  ich  eine  von  den  vielen  bislang  offenen  Fragen  anschneiden, 
welche  bei  Würdigung  des  Einflusses  der  Respiration  auf  die 
Zirkulation  sich  leicht  beantworten,  ich  meine  die  Erklärung  der 
lebensrettenden  Wirkung  der  Digitalis  bei  der  Pneumonie.  Daß 
dieselbe  bislange  nicht  genügend  erklärt  wurde,  dafür  gibt  den 
schlagendsten  Beweis  eine  im  53.  Band  des  Archivs  für  experi¬ 
mentelle  Pathologie  und  Pharmakologie,  also  vor  ganz  kurzer  Zeit 
erschienene  Arbeit  von  Herzig,  welche  sich  mit  der  Lösung 
dieser  „Frage“  beschäftigt.  Er  kommt  auf  Grund  einer  langen 
Versuchsreihe  zu  dem  Resultat,  daß  die  Digitalis  bei  der  Pneu¬ 
monie  deshalb  so  günstig  wirke,  weil  die  Digitalis  eine  Leuko¬ 
zytose  hervorrufe. 

Wenn  Herr  Prof.  Biedl  damit,  daß  die  Blutversorgung  des 
Gehirns  beim  Liegen  schlechter  sei  als  beim  Sitzen,  die  kardiale 
Orthopnoe  erklären  zu  können  glaubt,  so  ist  erstlich  diese  seine 
Annahme  von  der  schlechteren  Blutversorgung  nicht  erwiesen 
und  ferner  würde,  selbst  wenn  dies  richtig  ist,  damit  nicht  zu 
erklären  sein,  warum  die  Patienten,  wie  allgemein  bekannt,  ain 
Tage,  trotzdem  sie  im  Bette  liegen,  genug  Luft  haben,  bei 
Nacht  aber  nur  im  Sitzen  Luft  genug  haben.  Wenn  Herr 
Prof.  Biedl  die  vitale  Retraktionskraft  nicht  anerkennen  will, 
so  kann  ich  ihn  lediglich  auf  die  darüber  bestehende,  ziemlich 
umfangreiche  liiteratur  aufmerksam  machen. 

Prof.  Dr.  M.  Groß  mann:  Der  Herr  Vortragende  hat 
darauf  hingewiesen,  daß  vor  ihm  noch  kein  Forscher  die  Ver¬ 
größerung  des  Herzens  im  Momente  der  Inspiration  gesehen  hat. 
Für  das  Röntgenbild  mag  diese  Behauptung  zutreffen.  Es  sind 
aber  mindestens  50  Jahre,  daß  Bonders  den  Nachweis  erbracht 
hat,  daß  mit  jeder  Einatmung  ein  diastolischer  Stillstand 
des  Herzenz  erfolgt.  Und  wenn  ich  nicht  irre,  war  es  C  z  e  r  m  a  k, 
der  hei  seinen  Vorlesungen  dieses  Phänomen  seinen  Schülern  an 
sich  selbst  demonstrieren  konnte.  Die  inspiratorische  \  er- 
größerung  des  Herzens  ist  somit  eine  längst  bekannte  und 


WIKNKU  KLINISCIIK  WOCHKXSCIlllIFT.  1907. 


Nr.  8 


zweifellos  fesIgeslellLe  'I'afsaelie.  Das  Höafgenhild  hat  die  lli(ddig- 
keit  derselben  —  wie  dies  von  vornherein  zu  erwarten  war 
bestätigt,  aber  nichts  Neues  gelehrt. 

Die  Arbeit  der  beiden  in  ihrem  muskulären  Dau  so  diffe¬ 
renten  Herzventrikel  habe  ich  mir  seit  je  folgendermaßen  zurecht¬ 
gelegt  :  Im  rechten  Ventrikel  verhält  sich  der  Druck  zu  jenem 
im  linken  Vorhofe  beiläufig  wie  30  bis  35  zu  1.  Es  besteht 
somit  ein  Stromgefälle,  welches  —  wenn  wir  die  kurze  Strecke 
in  Erwägung  ziehen,  innerhalb  der  es  sich  entwickelt  -  weit 
günstiger  ist  als  jenes  im  großen  Kreislauf.  Der  rechte  V^entrikel 
wird  also  mit  seiner  geringeren  Muskelkraft  die  ihm  zufließende 
Hlutmenge  mit  Leichtigkeit  in  jener  Zeit  dem  linken  Vorhof  zu¬ 
führen,  innerhalb  welcher  Zeit  der  linke  Ventrikel  die  ihm  zu¬ 
fallende,  weit  größere  Arbeit  zu  besorgen  hat.  Die  Erhaltung  eines 
funktionellen  Gleichgewichtes  ist  bei  diesem  Arbeitsverhältnis  der 
lieiden  Ventrikel,  trotz  der  eklatanten  Differenz  ihrer  muskulären 
Kräfte  durchaus  nicht  auffallend  und  bedarf,  wie  ich  glaube, 
keiner  weiteren  Aufklärung. 

Herr  Dr.  Hof  bau  er  sprach  von  Dyspnoe,  Orthopnoe, 
kardialer  Dyspnoe  usw.  und  war  bemüht,  die  verschiedenen 
Formen  der  Atmungsstörung  auf  die  Behinderung  der  elastischen 
Kräfte  der  Lungen,  Thoraxwandungen  etc.  zurückzuführen.  Die 
Beziehungen  der  Blutzirkulation  zur  Atmung  wurden  von  ihm 
überhaupt  nicht  in  Erwägung  gezogen.  Und  doch  haben  die  Er¬ 
gebnisse  einer  20-  bis  25jährigen  experimentellen  Untersuchung  im 
Laboratorium  von  v.  Basch  gezeigt,  daß  die  Blutstauung  in 
den  Lungen,  gleichwie  in  jedem  anderen  Corpus  cavernosum, 
nicht  allein  eine  Vergrößerung,  sondern  auch  eine  Bigidität  des 
Organes  zur  Folge  hat,  welche  dem  Ein-  und  Ausströmen  der 
Luft  ein  Hindernis  entgegensetzt,  welches  in  gleichem  Grade 
durch  andere  Momente  kaum  hervorgerufen  werden  kann. 
Davon  kann  sich  ein  jeder  leicht  überzeugen,  der  das  Verhalten 
der  bloßgelegten  Tmnge  bei  der  künstlichen  Atmung  beobachtet. 
Unter  normalen  Zirkulationsverhältnissen  wird  die  Lunge  bei 
jeder  Einblasung  der  Luft  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  aus¬ 
gedehnt,  um  im  Stadium  der  Exspiration  wieder  zusammenzu¬ 
fallen.  In  dem  Moment,  als  durch  irgendeinen  Eingriff  eine  Stauung 
des  Blutes  im  kleinen  Kreislauf  hervorgerufen  wird,  werden  dieselben 
respiratorischen  Kräfte  die  Lunge  während  der  Inspiration  kaum  mehr 
ausdehnen  und  sie  wird  während  der  Exspiration  nicht  zusammen¬ 
fallen.  —  Dieselbe  Erfahrung  machen  wir  auch  bei  dem  spontan 
atmenden  Tier.  Trotz  der  Dyspnoe,  welche  die  Blutstauung  in 
den  Lungen  zur  Folge  hat  und  trotz  der  größten  Atmungs¬ 
anstrengung,  welche  dieselbe  auslöst,  bleibt  der  Nutzeffekt  der 
Bespiration  ein  ungenügender. 

Herr  Dr.  Hof  bauer  hat  in  Uebereinstimmung  mit  seinem 
Gedankengange,  daß  die  Atmungsstörung  durch  die  Beeinträch¬ 
tigung  der  von  ihm  zweifellos  weit  überschätzten  elastischen 
Kräfte  bedingt  sei,  auf  die  Form  der  e  x  s  p  i  r  a  t  o  r  i  s  c  h  e  n 
D  i  s  p  11  o  e  hingewiesen  und  betont,  daß  hier  die  Exspirations¬ 
störung  durch  die  Herabsetzung  der  elastischen  Kräfte  hervor¬ 
gerufen  werde.  Diese  Distinktion  —  inspiratorische  und  exspira- 
torische  Dyspnoe  —  erscheint  mir  in  vielen  Fällen  durchaus 
unberechtigt.  Bei  einem  bestehenden  Atmungshindernis  werden 
wir  die  bedeutenden  inspiratorischen  Kräfte  in  ihrer  Aktion  ver¬ 
folgen  können,  nicht  aber  die  Aktion  der  minimalen  exspiratori- 
schen  Hilfskräfte.  Dadurch  wird  der  täuschende  Eindruck  hervor¬ 
gerufen,  daß  bloß  die  Ausatmung  behindert  sei,  während  in 
Wirklichkeit  ein  insuffizientes  In-  und  Exspirium  besteht. 

Ich  kann  auch  die  Aufklärung  des  Herrn  Vortragenden, 
daß  einzelne  Kranke  im  Schlaf  oder  in  liegender  Stellung  des¬ 
halb  schlechter  atmen,  weil  die  von  ihm  angenommenen  elasti¬ 
schen  Kräfte  in  diesem  Zustand  sich  weniger  gut  geltend  machen 
können,  nicht  als  richtig  anerkennen.  Abgesehen  davon,  daß 
in  wachem  Zustand  der  Kranke  gleich  bei  beginnender  Ver¬ 
schlechterung  der  Atmung  in  der  Lage  ist,  die  ihm  zur  Verfügung 
stehenden  Hilfskräfte  —  energischere  Inspiration,  forcierte  Ex¬ 
pektoration  etc.  —  in  Anwendung  zu  bringen  und  dadurch  einer 
Steigerung  der  Dyspnoe  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  vorzu¬ 
beugen  sucht,  wird  es  sich  auch  unter  den  in  Rede  stehenden 
Umständen  kaum  um  etwas  anderes  handeln  als  um  eine 
Aenderung  der  funktionellen  Herzaktion. 

Dr.  H  o  f  b  a  u  e  r  ;  Auf  die  Einwürfe  der  beiden  Redner  kann 
ich  ganz  kurz  antworten,  indem  ich  auf  seit  langem  bereits  in 
der  Literatur  niedergelegte  Aussprüche  anerkannter  Kliniker 
hinweise.  Riegel  hat  bereits  vor  mehreren  Dezennien  in 
Volk  m  a  n  n  s  Vorträgen  ausdrücklich  darauf  hingewiesen,  daß 
es  nicht  angeht,  einfach  von  Dyspnoe  zu  sprechen.  Man  muß 
die  inspiratorische  Dyspnoe  und  die  exspiratorische  Dyspnoe  von 
der  gemischten  Dyspnoe  scharf  trennen.  Diese  Aeußerung 
Riegels  dürfte  wohl  genügen. 


Auf  ilie  V.  Basch  sehe  Lehre  in  der  von  Frof.  Gi'oß- 
mann  vorgetragenen  Form  nochmals  einzugehen,  halte  ich  mit 
Rücksicht  darauf,  daß  ich  schon  vor  mehreren  Jahren  an  dieser 
Stelle  mich  darüber  geäußert  habe,  für  unnötig.  Ich  brauche  nur 
kurz  darauf  hinzuweisen,  daß  selbst  bei  Annahme  der  Groß- 
m  a  n  n  sehen  Hypothesen  sich  absolut  nicht  erklären  läßt,  warum 
die  von  ihm  postulierte,  beim  Liegen  auftretende  stärkere  Blut¬ 
stauung  in  den  Lungen  am  Tage  anstandslos  vertragen  wird, 
während  sie  bei  Nacht  die  Erscheinungen  schwerster  Atemnot 
auslöst. 

Im  Rahmen  der  von  mir  gegebenen  Erklärung  läßt  sich 
diese  Erscheinung  überaus  leiebt  verstehen.  Am  Tage  hilft  der 
Patient  durch  die  Aktion  der  auxiliären  Exspiralionsmuskeln  den 
insuffizienten  elastischen  Exspirationskräften  nach.  Es  kommt 
daher  zu  genügenden  respiratorischen  Leistungen.  Bei  Nacht 
hingegen  muß  der  Einfluß  der  Hirnrinde  und  mithin  auch  die 
Aktion  der  unter  der  Herrschaft  der  Hirnrinde  stehenden  Hilfs¬ 
muskel  wegfallen.  Der  Patient  muß  seine  exspiratorischen 
Kräfte  steigern,  durch  eine  Steigerung  von  seiten  automatisch 
wirkender  Kräfte  nachhelfen.  Er  tut  dies  dadurch,  daß  er  sich 
aufsetzt  und  dadurch  eine  Steigerung  der  elastischen,  also  auto¬ 
matisch  wirkenden  Kräfte  hervorruft. 

Und  nun  zum  Schluß  noch  ein  letzter  Beweis  dafür,  daß 
man  den  Einfluß  der  Respiration  auf  die  Zirkulation  nicht  ge¬ 
nügend  hoch  eingeschätzt  hat.  Man  erklärt  die  kardiale  Dyspnoe 
als  eine  Folge  der  Kohlensäureüberladung  des  Blute.s,  resp.  als 
Folge  der  dadurch  ausgelösten  Reizung  des  Atemzentrums.  Nun 
haben  aber  die  früher  erwähnten  chemisch-analytischen  Unter¬ 
suchungen  ergeben,  daß  diese  supponierte  Aenderung  im  Gas¬ 
gehalte  des  Blutes  der  Herzkranken  in  Wirklichkeit  gar  nicht 
konstant  vorhanden  ist.  Es  läßt  sich  durch  Kohlensäureüber¬ 
ladung  des  Blutes  die  Vertiefung  der  Atmung  beim  Herzkranken 
nicht  erklären.  Sie  wird  aber  leicht  verständlich  auf  Grund  der 
Auffassung,  daß  der  Patient  durch  Vertiefung  der  Atmung  die 
Auxiliärkräfte  seines  Herzens  anspannt,  weil  der  Herzmuskel 
den  ihm  gestellten  Anforderungen  nicht  genügen  kann.  Diese 
Erkenntnis,  daß  die  Respiration  eine  wesentliche  Auxiliärkraft 
für  die  Zirkulation  darstellt,  hat  einen  bedeutenden  patho- 
genetiseben  und  therapeutischen  Wert. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  der  p  ä  d  i  a  t  r  i  s  c  h  e  n  Sektion  v  o  m 
31.  Januar  1907. 

0.  Grüner  demonstriert  die  Präparate  eines  Falles  von 
hochgradiger  granulierter,  atrophischer  Leberzirrhose  mit  chro- 
uischem  Milztumor  und  Verblutung  aus  einem  geplatz¬ 
ten  Varix  im  unteren  0  e  s  o  p  h  a  g  u  s  a  b  s  c  h  ni  1 1  bei  einem 
13jährigen  Alädchen.  Das  Kind  war,  scheinbar  aus  voller  Ge¬ 
sundbeit  heiaus  —  nur  bäufiges  Nasenbluten  war  vorausge- 
gangen  ■ — ,  plötzlich  an  unstillbarer  Hämaternesis  erkrankt  und 
nach  30  Stunden  gestorben.  Die  Autopsie  ergab  den  oben  er- 
Avähnten  Befund,  auße]'  minimalem  Aszites  keine  Pfortader¬ 
stauung,  dafür  als  Ausdruck  eines  gut  ausgebildeten  Kollateral- 
kreislaufes  zahlreicbe  Veuenektasien  im  Oesophagus.  Aetiologisch 
kommt  bei  diesem  Falle  ein  allerdings  sehr  mäßiger  Alkoholismus 
(ca.  Vt  1  Bier  täglich  durch  mehrere  Jahre)  in  Betracht.  Ein 
ähnlicher  Fall  Avurde  im  Dezember  1906  von  Bl  eich  r  öder 
in  Berlin  demonstriert  (14jähriges  Mädchen  mit  luetischer  Leber- 
zij'rhose  und  Verblutung  aus  einem  Oesophagusvarix). 

Preleitner  stellt  ein  12jähriges  Mädchen  mit  'isolierter 
Lähmung  des  Serratus  antic  us  vor.  Bei  tier  Patientin 
soll  früher  eine  beiderseitige  Lungensi)itzenaffektion  konstatiert 
Avorden  sein ;  die  Lähmung  soll  vor  zwei  Monaten  aufgetreten 
sein.  Die  linke  Schulter  ei'scheint  länger  und  absch’issiger  als 
die  rechte,  das  linke  Schulteiblatt  steht  höher,  ist  nach  außtm 
gedreht  und  vom  Thorax  abgehoben;  die  Asymmetrie  verschwin¬ 
det,  Avenn  der  Arm  nach  rückwärts  gelialten  wird.  Wird  di(' 
Skapula  fixiert,  sind  die  ArmbeAvegungen  im  vollen  Umfange 
möglich,  Avährend  sonst  die  Aiinhebung  nicht  voll  ausführbar 
ist.  Die  Therapie  Avird  in  der  Ainvendung  eines  Stützapparates 
bestehen,  Avelcher  die  Skapula  gegen  den  Thorax  andrückl,  even¬ 
tuell  käme  (une  Fixation  derselheu  durch  Silberdralilnalil  an  die 
Rippen  in  Betracht. 

W .  K  n  ö  1)  f  e  1  m  a  c  h  e  r  :  Die  Entstehung  des  I  c  t  j’  u  s 
neonatorum.  Vortr.  bekämpft  vorerst  die  bis  au)!'  kurzem  in 
Geltung  gestandenen  Hypothesen,  Avelclie  den  Ikterus  niit  (hmi 
massenhaften  Untergang  von  roten  Blutkörperchen  nach  der  (ie- 
burt  in  Zusammenbang  bringen.  Er  Avendet  sich  ferner  gegen 
Quinckes  Annahme,  daß  der  Icterus  neonatorum  auf  Resorption 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


24. 


von  Gallenbestandteilen  aus  dem  Mekonium  zurückzuführen  sei 
und  führt  eigene  Beobachtungen  und  Versuche  hierüber  an:  Ent¬ 
fernung  des  Mekoniums  aus  dem  Darme  unmittolbar  post  partum 
mittels  wiederholter  Irrigation  hat  keinen  Einflußi  auf  den  Ikterus. 
Dann  nimmt  die  Intensität  dos  Ikterus  noch  zu,  wenn  die  spon¬ 
tane  Entleerung  des  Mekoniums  einen  bis  zwei  Tage  lang  schon 
beendet  war.  Weiter  zitiert  er  Kehrers  Angabe,  daß  Kinder, 
welche  intra  partum  ihr.  Mekonium  a.usstoßen,  doch  ikterisch 
/verden.  Endlich  macht  er  darauf  aufmerksam,  daß  Quinckes 
Hypothese  irrtümlicherweise  voraussetzt,  daßi  die  Resorption  von 
Gallenfarhstoff  aus  dem  Darmkanal  nicht  durch  die  Chylus-,  son¬ 
dern  durch  die  Blutgefäße  erfolgt,  was  gänzlich  unhaltbar  ist. 
Vortr.  hat  an  43  Kindern  Lehersclmitte  nach  Eppinger  gefärbt 
und  den  Nachweis  erbracht,  daß  ein  Stauungsik  terus  aus¬ 
zuschließen  ist,  da  Rißtrichter  niemals  gefunden  werden  konnteii. 
Viskositätsbestimmungen  der  Galle  nach  Ostwald  ergaben  hohe 
Viskosität  der  Galle  bei  totgel)orenen  Kindern,  geringe  Viskosität 
der  Galle  hei  Kindern,  welche  in  den  ersten  Lebenslagen  ge¬ 
storben  waren.  Die  Abnahme  der  Viskosität  der  Galle,  dann 
die  in  histologischen  Bildern  nachweisbare  Ektasie  der  Gallen¬ 
kapillaren  hei  jenen  Kindern,  welche  zwei,  bis  vier  Tage  gelebt 
haben,  lassen  darauf  schließen,  daß  die  Gallenproduktion  un¬ 
mittelbar  post  partum  gesteigert  sein  muß.  Die  Steigerung  der 
Gallenproduktion  führt  Vortr.  vornehmlich  auf  die  Störung  der 
Blutzirkulation  heim  Partus  zurück.  Auf  seine  Befunde  gründet 
Vortr.  folgende  Theorie  der  Entstehung  des  Icterus  neonatorum: 
Derselbe  ist  eine  Sekretionsanomalie  der  Leherzellen,  welche  mit 
der  Steigerung  der  Gallenproduktion  unmittelbar  nach  der  Ge¬ 
burt  zusammenhängt.  Die  neugehildete  Galle  kann  nur  schwer 
abfließen,  da  ziemlich  zähe  Galle  in  den  Gallemvegen  der  Neu¬ 
geborenen  vorhanden  ist.  Die  Lcberzelle  bringt  nicht  den  hiezu 
nötigen,  rein  mechanischen  Druck  auf,  um  die  Galle  in  tlen 
Gallengängen  fortzubcAvegen  und  so  Platz  für  die  neugehildete 
Galle  zu  schaffen;  infolgedessen  kommt  es  zum  LTeberlritt  der 
Galle  aus  der  Leherzelle  in  die  Blut-,  resp.  Lymphhahn  und  so 
zum  Ikterus. 

Th.  Escherich  hält  die  Untersuchungen  des  Vortragenden 
noch  nicht  für  abschließend,  denn  dieselben  kommen  eigent¬ 
lich  auch  auf  die  Annahme  einer  Stauung  der  Galle  hinaus. 
Ob  der  Ikterus  nicht  nebenbei  auch  auf  einem  stärkeren  Zerfall 
der  roten  Blutkörperchen  beruht,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Zur 
definiti\mn  Lösung  der  Frage  sind  noch  weitere  Untersuchungen 
nötig.  Schnitze  nimmt  an,  daß  durch  den  Eintritt  der  Re¬ 
spiration  nach  der  Gehurt  eine  Druckerniedrigung  in  der  Vena 
cava  inferior  eintritt,  wodurch  der  üebertritt  von  Galle  in  das 
Rlut  ermöglicht  wird. 

A.  Hecht  weist  darauf  hin,  daß'  die  Viskosität  der  Galle 
individuell  verschieden  sein  kann. 

.Tos.  Friedjung  bespricht  die  Resorption  der  Galle  aus 
dem  IMekonium. 

Fr.  Hamburger  bemerkt,  daß  es  nach  der  Theorie  des 
Vortragenden  nicht  zu  erklären  ist,  warum  der  Ikterus  nicht 
schon  bei  der  Geburt  vorhanden  ist. 

J.  Fischer  bemerkt,  daß  die  Theorie  nicht  erklärt,  warum 
der  Ikterus  bei  starken  Kindern  schwächer  ist. 

Wh  K  n  ö  p  f  e  1  m  a  c  h  e  r  erwidert,  daß  auch  seine  Theorie 
eine  Stauung  annimmt,  aber  nicht  in  dem  Sinne  der  anderen 
Theorien.  Die  Inspiration  dürfte  scliAveiTich  die  Ursache  des 
Ikterus  sein.  Neugeborene  haben  eine  geringe  Gallensekretion, 
AAÜrd  sic  stärker,  so  tritt  Ikterus  auf. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  am  23.  Januar  1907 . 

Vorsitzender  :  F  i  n  g  e  r. 

Schriftführer  :  B  r  a  n  d  w  e  i  n  e  r. 

N  o  b  I  demonstriert :  1.  Einen  Fall  von  Erythema  in  d  u- 
ratum  Bazin,  der  ein  20 jähriges,  anämisches,  seit  neun 
Jahren  an  D  r  ü  s  e  n  t  u  b  e  r  k  u  1  o  s  e  leidendes  Mädchen  betrifft. 
Die  violettroten,  tief  sitzenden  Unterschenkelknoten  zeigen  vielfach 
zentrale  Erweichung  und  Rarefizierung  des  Integuments.  Toi’i 
einzelnen  Granulomen  sind  nach  der  Tiefe  hinziehende  Stränge 
zu  verfolgen.  Superfizielle  Phlebektasien  sind  nirgends  zu  ge¬ 
wahren.  Der  seit  Monaten  fast  unverändert  persistierenden  Aus¬ 
saat  ist  vor  einem  Jahre  eine  ähnliche  Eruption  vorangegangen. 
Wangen  und  Hals  sind  dicht  von  bis  faustgroßen  Skrofuloderma- 
narben  eingenommen.  In  der  rechten  Submaxillarregion  reiben 


sich  hühnereigroße  erweichte  Drüsenpakete  aneinander.  Verkäste 
Lymphome  der  linken  Halsseite  wurden  vor  drei  Jahren  an  der 
Station  Gersuny  entfernt.  In  den  Lungenspitzen  besteht  spezifischer 
Katarrh.  Die  Vergesellschaftung  mit  manifesten  tuberkulösen 
Läsionen,  der  histologische  Bau  und  die  oft  verzeichnete  positive 
Lokalreaktion  auf  Tuberkulin  lassen  trotz  des  negativen  Bazillen¬ 
befundes  die  spezifische  embolische  Abstammung  des  Prozesses 
mehr  als  wahrscheinlich  erscheinen. 

2.  Ein  Fall  von  Pityriasis  lichenoides  chro¬ 
nica.  Das  zum  Teil  psoriasiforme,  zum  Teil  lichenoide  Exanthem 
betrifft  einen  9jährigen  Knaben.  Die  hirse-  und  hanfkorngroßen, 
von  festhaftenden  Schuppenkegeln  besetzten  disseminierten 
Knötchenschübe  haben  vorzüglich  am  Stamm,  an  den  Lenden, 
Oberarmen  und  Oberschenkeln  den  Standort.  Die  membran¬ 
ähnlich  abkratzbaren  Decken  lassen  intensiv  rote  Papeln  zutage 
treten.  An  allen  Regionen  alternieren  mit  den  Knötchen  bis 
fingernagelgroße,  kaum  schilfernde,  im  Zentrum  unternivellierte, 
blaßrote,  an  den  unregelmäßigen  Rändern  oft  fein  gefelderte  und 
granulierte  makulöse  Herde,  in  zahlreichster  Einstreuung  und  mit 
dem  klinischen  Aussehen  der  Pityriasis  rosea  in  der  Lenden- 
und  inneren  Oberschenkelgegend.  Der  Verlust  der  superfiziellen 
Hornlamelle  im  Zentrum  der  makulösen  Formen  zeitigt  in  Ver¬ 
bindung  mit  der  Saumelevation  den  atrophischen  Eindruck  der¬ 
selben. 

Gleich  allen  anderen  hier  vorgestellten  Beobachtungen 
rangiert  der  Fall  im  Rahmen  der  „P  a  r  a  p  s  o  r  i  a  s  i  s  B  r  o  c  q‘‘ 
auf  derselben  Stufe  als  die  von  Jadassohn  (Derm,  psoriasi¬ 
formis  nodularis),  N  e  i  s  s  e  r,  J  u  1  i  u  s  b  e  r  g,  K  r  e  i  b  i  c  h,  E  h  r- 
mann,  Rille,  Spie  gier,  K  a  1 1  e  n  b  r  u  n  n  e  r,  Ri  ecke  u.  a. 
hervorgehobenen  Typen. 

Weidenfeld  demonstriert  einen  Fall  von  Acne 
cachecticorum.  Mit  7  Jahren  Periostitis  und  Drüsenabszesse  am 
Halse.  Jetzt  findet  man  große  unterminierte  Geschwüre  mit  blau¬ 
roten  Rändern  am  Unterschenkel,  außerdem  an  Brust,  Bauch, 
Rücken,  an  den  Streckseiten  der  Arme  und  Oberschenkel  folli¬ 
kuläre  Knötchen  mit  Pusteln,  einzelne  von  ihnen  mit  Krusten, 
nach  deren  Ablösen  follikuläre  Geschwürchen  ^  Zurückbleiben. 
Außerdem  findet  man  haselnußgroße  Infiltrate,  mit  Krusten  bedeckt, 
nach  deren  Ablösen  runde  unterminierte  Geschwüre  Zurück¬ 
bleiben,  deren  Basis  von  einer  zunderartigen  Nekrose  bedeckt  ist. 
Nirgends  findet  man  aber  jene  blauroten  Knötchen,  die  die  tiefer 
sitzende  Nekrose  durchschimmern  lassen,  so  daß  man  diese 
Affektion  als  Acne  cachecticorum  gegenüber  den  Tuberkuliden 
ansehen  muß. 

U 11  mann:  Der  Fall  zeigt  an  den  Unterschenkeln  auch 
stellenweise  die  Kennzeichen  der  papulonekrotischen  Tuber¬ 
kulide  —  eingesunkene,  braun  pigmentierte,  leicht  narbig  ein- 
gezogene  Flecke  —  gleichzeitig  aber  auch  die  vom  Vortr. 
als  Acne  cachecticorum  im  Sinne  Kaposis  gekennzeichneten 
Pusteln  und  schlappen  Infiltrate,  sowie  zahlreiche  oberflächliche 
Ilautulzerationen  auf  sichtlich  tuberkulöser  Grundlage.  Es 
beweise  dieses  Zusammenvorkommen  nur  die  Zusammengehörig¬ 
keit  dieser  drei  morphologisch-differenten  Formen  auf  dem 
gemeinsamen  Boden  der  tuberkulösen  Dyskrasie,  wobei  teils 
innere  (Tuberkulide),  teils  äußere  Momente  (Mischinfektion  durch 
banale  Eitererreger)  die  Verschiedenheit  der  Effloreszenzen  hervoi- 
rufen.  So  w^erde  gerade  Kaposis  Acne  cachecticorum  durch 
das  Zusammentreffen  mit  anderen  Tuberkuliden  als  besondere 
(Misch-)  Form  verifiziert. 

W  e  i  d  e  n  f  e  1  d  :  Wenn  man  die  Progression  des  Ganzen 
ins  Auge  faßt,  so  habe  er  hervorgehoben,  daß  ein  Knötchen  der 
Anfang  ist,  das  follikullär  gestellt  ist,  dann  werden  daraus  Pustelchen 
und  dann  Geschwüre.  Beim  Tuberkulid  kommt  es  aber  zu 
weißer  Nekrose,  die  erst  langsam  an  die  Oberfläche  ansteigt, 
aber  zu  keinen  Pusteln. 

Löw  demonstriert  einen  Fall  von  Kraurosis  vulvae 
bei  einer  35jährigen  Frau.  Die  Innenfläche  der  großen  Labien  und 
die  kleinen  Labien  sind  von  weißglänzender,  atrophischer  Schleim¬ 
haut  bedeckt,  das  Vestibulum  verengt,  die  Klitoris  hinter  dem 
Präputium  ganz  A’^ersteckt.  In  der  Klitorisgegend  finden  sich  zahl¬ 
reiche  Rhagaden.  Die  Anamnese,  die  genaue  Uriniintersucliung 
und  der  Befund  der  inneren  Organe  ergeben  keinen  Anhaltspunkt 
für  ein  ätiologisches  Moment  der  Erkrankung. 

Müller  stellt  aus  der  Klinik  Finger  vor: 

1.  Zwei  Fälle  von  Dermatitis  herpetiformis 
D  u  h  r  i  n  g.  An  dem  einen  Patienten,  der  vor  vier  Wochen  von 
Dr.  Scherbe  r  der  Gesellschaft  vorgestellt  Aviirde,  sieht  man 
beute  nur  mehr  gelblich-braun  pigmentierte  Stellen  dort,  avo  früher 
Erytheme,  sowie  die  papulösen  und  vesikulösen  Eftloreszenzen 
lokalisiert  waren. 


1' 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


Bei  dem  zweiten  Patienten,  einem  25  jährigen  Schneidergehilfen, 
sieht  man  am  Rücken,  an  beiden  Schultern,  in  der  Mitte  des 
Kreuzheines  und  in  der  Gegend  des  linken  Darmbeinkammes 
mehrere  bis  handtellergroße,  daneben  auch  kleinere,  bis  kronen¬ 
große  landkartenförmige,  scharf  begrenzte,  am  Rande  erythematöse, 
im  zentralen  Teile  deutlich  pigmentierte  Flächen,  deren  Rand 
zum  Teile  oder  ganz  von  kleinen  Knötchen  besetzt  ist.  Manche 
dieser  Knötchen  tragen  an  ihrer  Kuppe  ein  kleinstes,  mit  klarem 
Inhalt  gefülltes  Bläschen.  Der  Patient  klagt  über  heftiges 
Jucken  und  so  kommt  es,  daß  die  meisten  dieser  Bläschen 
durch  Kratzen  zerstört  wurden  und  statt  ihrer  eine  blutige 
Exkoriation  sichtbar  ist. 

Pat.  leidet  seit  mehreren  Wochen  an  dieser  Affektion. 

Unter  unseren  Augen  entstanden  mehrere  kleinere  Herde, 
während  die  alten  zum  Teil  sich  nach  der  Peripherie  aus¬ 
dehnten,  zum  Teil  zurückgingen. 

Bis  auf  das  heftige  Jucken  ist  das  Allgemeinbefinden  des 
Patienten  nicht  gestört. 

In  diagnostischer  Hinsicht  kommt  die  Gruppe  des  Pemphigus 
und  die  der  Erytheme  in  Betracht. 

Multiformes  Erythem  ist  wegen  der  Lokalisation  aus¬ 
zuschließen.  Gegen  ein  toxisches  Erythem  spricht  die  lange 
Dauer,  das  Weiterschreiten  der  Erytheme,  sowie  auch  das  heftige 
Jucken. 

Die  Affektion  wäre  daher  in  die  Gruppe  des  Pemphigus  zu 
reihen  u.  zw.  glauben  wir  sie  wegen  des  Fehlens  schwerer 
Allgenieinerscheinungen,  sowie  wegen  des  auffallend  heftigen 
Juckreizes,  vor  allem  aber  wegen  der  Polymorphie  der  Efflores- 
zenzen  und  des  Freibleibens  der  Mundschleimhaut  als  Dermatitis 
herpetiformis  Duhring  ansehen  zu  müssen. 

Weidenfeld:  Die  Fälle  sind  fast  alle  konform.  Er  er¬ 
innert  an  seinen  Fall,  wo  auch  das  Gesicht  und  wie  bei  diesem 
Patienten  besonders  die  Nates  beteiligt  waren.  Ganz  identische 
Bilder:  Kleine  Kreise  von  Knötchen  oder  Bläschen,  die  progre¬ 
dient  sind  und  Pigmentierungen  zurücklassen.  Entscheidend  für 
die  Frage,  ob  es  sich  um  Pemphigus  oder  Dermatitis  Duhring 
handelt,  wäre,  wenn  andere  Pemphigusformen  hervorgehen 
würden.  Und  dies  ist  der  Fall.  Er  sah  Pemphigus  miliaris  in 
Pemphigus  foliaceus  übergehen. 

E  h  r  m  a  n  n  hält  die  Affektion  für  Dermatitis  herpetiformis 
Duhring.  Die  Quaddelbildung,  die  Polymorphie,  der  chronische 
Verlauf,  die  Attacken  sprechen  dafür.  Er  bezieht  sich  auf  einen 
Fall,  wo  Kollegen  aus  Amerika  Dermatitis  herpetiformis  Duhring 
diagnostizierten,  während  Neumann  Herpes  iris,  Herpes 
circinatus  annahm. 

Weidenfeld:  Kaposi  liielt  Herpes  Iris  nicht  für 
eine  eigene  Krankheit,  sondern  für  eine  Form  des  Erythema 
multiform  e. 

No  bl  erinnert  an  den  von  ihm  vor  mehreren  Wochen 
vorgestellten  Fall  eines  zehnjährigen  Knaben,  der  das  klassische 
Bild  der  Dermatitis  herpetiformis  Duhring  mit 
zyklischen  Ausbrüchen  von  zirzinären  Bläschengruppen  und  den 
ganzen  Körper  (besonders  Brust,  Rücken  und  Arme)  überdeckenden 
geschlängelten  Erythemfiguren  darbot.  Das  seit  drei  Vierteljahren 
bestehende  Leiden  kehrt  nach  Intervallen  stets  in  den  gleichen 
Formen  wieder  und  gestattet  gleich  den  sonstigen,  dem 
Pemphigus  vulgaris  angegliederten  Läsionsformen  jugendlicher 
Individuen,  in  bezug  auf  die  Heilung  die  günstigste  Vorher¬ 
sage.  Im  Gegensatz  zu  dieser  Erfahrung  war  man  im  Sinne 
der  Lehre  Kaposis  früher  bei  der  Begutachtung  eines  jeden 
noch  so  leichten  Pemphigusfalles  zu  düsterster  Färbung  der 
Prognose  verhalten.  Die  besondere Benignität  der  als  Dermatitis 
Duhring  ausgeschiedenen  Gruppe  trägt  mit  dazu  bei,  daß  die 
Annahme  stets  mehr  an  Anhang  gewinnt,  daß  die  Varietät  aus 
dem  Formenkreis  des  Pemphigus  auszuschalten  sei. 

Weide nfeld:  Kaposi  lehrte,  daß  bei  Pemphigus  oft 
jahrzehntelange  Intermission en  Vorkommen,  er  sprach  ja  sogar 
von  Heilung.  Er  kannte  auch  den  Pemphigus  miliaris  bei  Kin¬ 
dern,  nicht  circinatus,  wie  in  diesem  Falle.  Für  die  Diagnose 
entscheidend  wäre :  der  Uebergang  in  Pemphigus  foliaceus,  ferner 
der  Versuch,  durch  Druck  Bläschen  zu  erzeugen. 

Ullmann:  Bekanntlich  hat  Hans  v.  Hehra  seinerzeit  die 
Dermatitis  herpetiformis  als  selbständige  Dermatose  gegenüber  dem 
Pemphigus  verfochten.  Doch  entstand  auch  bei  ihm  eine  ge¬ 
wisse  Unsicherheit,  als  eine  etwa  45jährige  Frau  (R.  K.), 
die  lange  mit  einem  juckenden,  aus  Papeln  und  Erythemen  und 
Pigmentflecken  an  Stamm  und  Extremitäten  durch  Jahre  be¬ 
stehendem  chronischen  Exanthem  behaftet  war,  das  ganz  diesem 


Typus  entsprach,  nach  einiger  Zeit  doch  auch  Blasenbildungen 
an  den  Extremitäten  bekam  und  auf  die  Poliklinik  aufgenommen, 
dort  unter  Erscheinungen  eines  schweren  galoppierenden  Pem¬ 
phigus  und  unter  septischen  Erscheinungen  starb.  Da  wir 
damals  an  die  Möglichkeit  einer  spinalen  Veränderung  dachten, 
wurde  Prof.  K  o  1  i  s  k  o  gebeten,  die  Medulla  spinalis  zu  kon¬ 
servieren  und  untersuchen  zu  lassen.  Ich  weiß  nun  nicht,  ob  er 
dies  ausführte.  Seither  war  auch  v.  Hehra  in  bezug  auf 
Diagnose  sehr  vorsichtig  geworden.  Freilich  beweist  ein  solcher 
Fall  noch  immer  nichts  gegen  die  Existenz  einer  absolut  benignen 
polymorphen  Form,  als  welche  die  Dermatitis  herpetiformis  an¬ 
gesehen  wird.  Dieser  erwähnte  Fall  spricht  natürlich  zugunsten 
der  Auffassung  Kaposi  - Weidenfeld. 

Finger  weist  darauf  hin,  daß  Kaposi  die  Einheitlich¬ 
keit  der  Pemphigusgruppe  immer  durch  die  Angabe  stützte,  daß 
derselbe  Patient  bei  verschiedenen  Rezidiven  die  verschiedenen 
Formen  des  Pemphigus  darbieten  könne,  eine  Behauptung,  die 
Kaposi  nicht  durch  Krankengeschichten  belegt  hat.  Die  Beob¬ 
achtungen  anderer  Autoren  (N  e  i  s  s  e  r,  B  r  o  c  q  etc.)  sprechen 
dafür,  daß  der  einzelne  Fall  innerhalb  der  einmal  angenommenen 
klinischen  Form  rezidiviert,  höchstens  daß  ein  Pemphigus  vulgaris 
schließlich  in  einen  Pemphigus  foliaceus  übergeht.  Was  den  vor¬ 
liegenden  Fall  betrifft,  so  ist  die  Diagnose  Erythema  multiforme 
und  Herpes  iris  schon  mit  Rücksicht  auf  die  Lokalisation  ent¬ 
schieden  abzulehnen.  Wir  haben  nur  die  Wahl  zwischen  Erythema 
toxicum  und  jener  Pemphigusform,  die  gegenwärtig  als  Dermatitis 
herpetiformis  (D  u  h  r  i  n  g)  bezeichnet  wird.  Wir  haben  uns  für 
letztere  Diagnose  entschieden  und  möchte  ich  als  differential¬ 
diagnostisch  wichtig  nur  hervorheben,  daß  das  Erythema  toxicum 
flüchtige  Effloreszenzen  setzt,  während  die  Erytheme  bei 
Duhring  scher  Erkrankung  stabiler  sind  und  sich  nur  langsam 
exzentrisch  ausbreiten. 

Müller  demonstriert :  1.  Einen  Fall  von  Mykosis  fungoides, 
der  gleichfalls  schon  mehrmals  der  Gesellschaft  demonstriert 
wurde.  Die  Erscheinungen  des  ersten  und  zweiten  Stadiums 
haben  sich  teilweise  rückgebildet.  Es  schwand  zum  größten  Teil 
die  Erythrodermie,  sowie  jene  bis  zu  hellergroßen,  scharf  be¬ 
grenzten,  hellrot  gefärbten,  flachen  Infiltrate.  Dagegen  ist  der 
bereits  involviert  gewesene  Tumor  der  Haut  der  rechten  Skapular- 
gegend  wieder  exulzeriert. 

Die  diffuse  braune  Pigmentierung  der  Haut  ist  wohl  eine 
Folge  der  Arsenkur. 

In  den  letzten  Wochen  litt  Pat.  an  heftigen  Diarrhöen  und 
verlor  14  kg  seines  Körpergewichtes,  so  daß  die  Arsenmedikation 
eingestellt  werden  mußte. 

2.  Einen  Fall  von  Periostitis  ossificans  bei  einem  40jährigen 
Selchergetiilfen,  der  im  Jahre  1898  eine  Sklerose  akquiriert, 
seither  zahlreiche  Quecksilberkuren  durchgemacht  hatte. 

Seit  drei  Jahren  leidet  er  an  schmerzhaften  Verdickungen 
der  Stirnbeine,  die  auf  Jodmedikation  stets  prompt  zurückgingen. 
Seit  vier  Monaten  bestehen  die  jetzt  sichtbaren  Auftreibungen 
am  linken  Stirn-  und  Scheitelbein,  die  trotz  Darreichung  von 
Jodkali  und  Enesolinjektionen  bisher  nicht  zurückgingen. 

3.  Einen  Fall  von  frambösiformen  Papeln  der  Ober¬ 
lippe  und 

4.  einen  Fall  von  Syphilis  corymbosa  bei  einem  19jährigen 
Hilfsarbeiter,  der  seit  drei  Vierteljahren  an  Lues  leidet.  An  ver¬ 
schiedenen  Stellen  des  Körpers  sieht  man  um  eine  in  Ausheilung 
begriffene  Papel  einen  scharf  begrenzten,  ungefähr  fingerbreiten 
Kreisring  von  normaler  Hautbeschaffenheit,  an  dessen  äußerer 
Peripherie  sich  zahlreiche  in  Haufen  gruppierte  lentikuläre  Papeln 
anschließen. 

M.  Oppenheim:  Ueber  Phosphaturie  bei 
Gonorrhoe.  Die  Phosphaturie  ist  ein  häufiges  Ereignis  bei 
Gonorrhoe ;  darüber  herrscht  so  ziemlich  Einigkeit  unter  den 
Autoren.  Zwei  Erklärungen  werden  hiefür  gegeben ;  die  eine 
geht  dahin,  daß  die  Phosphaturie  durch  Neurasthenia  sexualis 
bedingt  sei  als  Sekretionsneurose  der  Niere,  die  im  Gefolge 
einer  Urethritis  chronica  posterior  auftritt  (Finge  r),  die  andere 
stellt  die  Phosphaturie  als  den  Effekt  einer  reflektorischen  Reizung 
des  Nierenparenchyms  dar,  durch  die  periphere  Erkrankung  eines 
Anteils  des  zusammengehörigen  Urogenitalsystems  (Duhring). 
Für  manche  Fälle  komme  auch  die  Aziditätsverminderung  des 
Urins  durch  die  Diät  der  Gonorrhoiker  und  durch  den  Genuß 
alkalischer  Wässer  in  Betracht  (Finger).  Für  die  Erklärungen 
fehlen  noch  die  Beweise.  Die  vermehrte  Ausscheidung  von 
Phosphaten  bei  Neurasthenie  wird  von  hervorragenden  Forschern 
wie  z.  B.  Minkowski  geleugnet;  die  zweite  Erklärung,  für 
die  sich  namentlich  Duhring  einsetzt,  könnte  nur  durch  das 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


24; 


Tierexperiment  bewiesen  werden.  Nach  den  Angaben  der  meisten 
Autoren  und  wie  in  vier  eigenen  Fällen  nachgewiesen  werden 
konnte,  ist  die  Phosphorsäure  bei  der  Phosphaturie  nicht  ver¬ 
mehrt.  S  o  e  t  b  e  e  r  und  T  o  b  1  e  r  haben  in  einigen  Fällen  von 
Phosphaturie  bei  Kindern  eine  vermehrte  Kalkausscheidung  ge¬ 
funden.  Das  Sediment  bei  der  Phosphaturie  besteht  aus  basisch 
phosphorsaurem  Kalk  und  Magnesia,  welche  bei  alkalischer  Re¬ 
aktion  des  Urins  ausfallen.  Sie  repräsentieren  nur  einen  kleinen 
Teil  der  Phosphorsäure  im  Harn,  weil  zwei  Drittel  der  Phosphor¬ 
säure  an  Kalium  und  Natrium  gebunden  sind ;  diese  Salze  sind 
im  Urin  immer  löslich.  Gibt  man  zu  saurem  Urin  etwas  Alkali 
dazu,  so  trübt  sich  dieser  durch  Ausfall  der  Kalzium-  und 
Magnesiumsalze.  Der  Ausfall  dieser  gibt  uns  also  nur  über  die 
Reaktion  des  Urins  Aufschluß,  nicht  aber  über  dessen  Gehalt  an 
Phosphorsäure. 

Die  unmittelbare  Veranlassung,  die  Frage  der  Phosphaturie 
anzugehen,  war  die  Beobachtung  von  Differenzen  in  der  Trübung 
des  Urins  und  dessen  Reaktion ;  u.  zw.  findet  man  häufiger 
die  zweite  Portion  mehr  phosphorhaltig  und  stärker  alkalisch 
reagierend  als  die  erste  Portion  und  diese  Fälle  betreffen  chro¬ 
nische  Prostatitiden,  während  das  umgekehrte  seltener  der  Fall 
ist,  bei  Urethritis  acuta  anterior.  Dieses  auffallende  Verhalten 
läßt  sich  mit  den  bisherigen  Theorien  auch  nicht  mit  einer 
Sedimentierung  der  Phosphate  in  der  Blase  erklären.  Auch  noch 
andere  Momente,  die  hier  anzuführen  zu  umständlich  wäre, 
sprechen  dagegen. 

Das  Prostatasekret  reagiert  normaliter  sauer,  wenn 
katarrhalisch  verändert  alkalisch  (P  e  z  z  o  1  i).  Nach  Bering 
bestehen  die  Corpora  amylacea  aus  phosphorsaurem  Kalk;  dann 
gibt  es  Fälle  von  Prostatorrhoe,  wo  am  Schlüsse  des  Miktionsaktes 
krümelige,  kreidige,  stark  alkalische  Massen  entleert  werden. 
Es  wäre  also  a  priori  denkbar,  daß  das  alkalisch  reagierende 
Prostatasekret  bei  neutraler  oder  schwach  saurer  Reaktion  des 
Urins  eine  Aenderung  der  Urinreaktion  bewirken  könnte. 

Um  dies  zu  beweisen,  wurden  folgende  Experimente  an¬ 
gestellt.  Bei  einem  Falle  von  Phosphaturie  bei  Urethritis  chronica 
totalis  und  Prostatitis  catarrhalis,  dessen  Urin  gleichmäßig  diffus 
milchig  trübe  alkalisch  reagierte,  wurde  eine  halbe  Stunde  nach 
einer  phosphaturischen  Miktion  mittels  Katheters  klarer  Urin 
von  neutraler  Reaktion  entleert.  Dann  wurde  die  Prostata  massiert, 
wobei  ein  paar  Tropfen  alkalisch  reagierenden  Prostatasekretes 
gewonnen  wurden.  Diese  wurden  zu  dem  mit  Katheter  entleerten 
Urin  zugesetzt,  wobei  eine  Trübung  entstand,  die  sich  auf  Essig¬ 
säurezusatz  klärte. 

Ein  zweiter  Patient  mit  Phosphaturie,  der  durch  fünf  Stunden 
den  Urin  in  der  Blase  zurückgehalten  hatte,  entleerte  phosphaturischen 
Urin  von  alkalischer  Reaktion.  Dann  wurde  die  Blase  ausgewaschen 
bis  das  Waschwasser  neutral  reagierte.  Nach  einer  halben  Stunde 
urinierte  der  Patient  klaren  Urin  von  schwach  saurer  Reaktion. 
Dann  Massage  der  Prostata  und  Entleerung  eines  alkalisch 
reagierenden  Prostatasekretes.  Die  Miktion  nach  einer  halben 
Stunde  fördert  diffus  milchig  trüben  Urin  zutage,  der  sich  auf 
Zusatz  von  Essigsäure  klärt.  Beide  Versuche  lehren,  daß  das 
alkalisch  reagierende  Prostatasekret  imstande  ist,  eine  Fällung 
von  Phosphaten  herbeizuführen.  Es  wäre  denkbar,  daß  bei  langer 
Urinretention  durch  Kommunikation  der  Prostatadrüsen  mit  dem 
Blaseninnern  (Einbeziehung  der  Pars  prostatica  der  Harnröhre  zur 
Blasenwand),  das  Prostatasekret  in  den  Urin  gelangt. 

Bei  den  Fällen,  in  denen  die  erste  Portion  des  Urins 
stärker  durch  Phosphate  getrübt  ist,  als  die  zweite,  findet  sich 
häufig  eine  stärkere  eitrige  Sekretion  der  pars  anterior  urethrae 
(Fälle  von  Urethritis  acuta  anterior).  Wäscht  man 
die  Pars  anterior  urethrae  in  solchen  Fällen  mit  wenig 
Wasser  aus,  so  reagiert  das  Wasser  alkalisch,  setzt 
man  dieses  zu  Phosphaturin  zu,  so  erhält  man  stärkere 
Trübung,  die  stärker  ist  als  der  Trübung  durch  das  Waschwasser 
allein  entsprechen  würde.  Aus  naheliegenden  Gründen  sind  Ver¬ 
suche,  wie  in  den  ersten  Fällen,  unmöglich.  Es  wurden  zahlreiche 
verschiedene  Versuche  angestellt,  manchmal  auch  mit  negativem 
Resultat.  Das  Gelingen  der  Versuche  ist  natürlich  von  drei 
Faktoren  abhängig;  Alkaleszenzgrad  des  Urins,  Alkaleszenzgrad 
der  durch  die  Gonorrhoe  produzierten  Sekrete  und  die  Menge 
dieser  beiden  Bestandteile. 

Der  verminderte  Säuregrad  des  Urins  ist  die  Folge  der 
Diät  und  des  Genusses  alkalischer  Wässer;  dasselbe  Moment 
käme  bei  Neurasthenie  in  Betracht. 

Es  kommt  aber  noch  ein  Umstand  in  Betracht,  auf  den 
Sendtner,  Panek,  Soetbeer,  Tobler  aufmerksam  ge¬ 
macht  haben  und  das  wäre  eine  vermehrte  Kalkausscheidung. 


Diese  könnte  bei  Gonorrhoe  durch  den  reichlichen  Genuß  der 
Milch  erklärt  werden,  die  ja  das  k  a  1  k  r  e  i  c  h  s  t  e  Nahrungs¬ 
mittel  ist. 

(Schluß  folgt.) 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzung  vom  23.  Januar  1907. 

Vorsitzender:  Kais.  Rat  Dr.  Kroczak. 

Schriftführer:  Dr.  Schweinburg. 

Primarius  Dr.  W.  Bittner  demonstriert  ein  vier  Jahre 
altes  Mädchen,  das  im  Alter  von  VI2  Jahren  mit  ^multiplen 
angeborenen  Gelenksdifformitäten  in  seine  Behand¬ 
lung  kam  u.  zw.  Luxatio  coxae  sin.  Luxatio  genu 
p  r  a  e  f  e  m  o  r  a  1  i  s  bilateralis,  Defectus  totalis 
patellae  utriusque,  Pes  equino  varus  bilateralis. 

Diese  Kombination  von  angeborenen  Luxationen,  bzw.  De¬ 
fekten  und  Mißbildungen  ist  bei  einem  sonst  psychisch  und 
physisch  normal  entwickelten  Kinde  sehr  selten  und  sind  bisher 
bloß  vier  analoge  Fälle  bekannt  u.  zw.  ein  Fall  von  Reiner, 
zwei  Fälle  von  Bacilieri,  zu  denen  kürzlich  ein  Fall  von 
Strauß  in  Breslau  hinzukam. 

Die  Vorstellung  des  Falles  ist  daher  gerechtfertigt,  um  so 
mehr,  als  der  therapeutische  Effekt  in  diesem  Falle  ein  recht  zu¬ 
friedenstellender  ist. 

Das  Kind  wurde  am  Ende  einer  normalen  Gravidität  ge¬ 
boren  u.  zw.  in  Schädellage  mit  an  den  Leib  gezogenen  Beinen. 
In  der  Familie  sind  Mißbildungen  nicht  vorhanden.  Bei  dem 
Kinde,  das  sich  sonst  geistig  und  körperlich  normal  entwickelt 
hatte,  fiel  zunächst  die  Stellung  der  unteren  Extremitäten  auf. 
Dieselben  waren  hyperextendiert  und  beim  Stehen  besonders  war 
ein  hochgradiges  Genu  recurvatum  sichtbar.  Das  Kind  konnte  mit 
hyperextendierten  Knien  und  flektierten  Hüftgelenken  mühsam 
einige  Schritte  machen,  bewegte  sich  daher  vorwiegend  auf  ,, allen 
Vieren“,  wobei  es  eine  ziemliche  Behendigkeit  entwickelte.  Eine 
aktive  Beugung  im  Kniegelenke  war  unmöglich,  dafür  eine 
ziemlich  bedeutende  Ueberstreckung.  Auch  die  passive  Beugung 
war  nur  in  sehr  geringer  Exkursion  möglich.  Die  unteren  Extre¬ 
mitäten  waren  auch  in  Rückenlage  im  Kniegelenke  in  hyperexten¬ 
dierter  Stellung.  Bei  der  Untersuchung  der  Kniegelenke  fehlten 
zunächst  die  normalen  Konturen  derselben.  Vorne  war  eine 
tiefe  quere  Falte  sichtbar,  rückwärts  eine  kugelige  Prominenz, 
gebildet  von  den  Kondylen  des  Femurs.  Die  Patellae  waren  nicht 
tastbar,  auch  am  Röntgenbilde  nicht  sichtbar,  aber  auch  bei  der 
blutigen  Operation  nicht  nachweisbar,  fehlten  also  vollkommen. 
Der  Unterschenkel  war  auf  den  Femur  nach  vorne  vollkommen 
luxiert ;  die  Luxation  ließ  sich  nicht  ganz  reponieren.  Erst  in 
Narkose  war  eine  Reposition  durch  Zug  und  Druck  am  Unter¬ 
schenkel  möglich ;  die  Stabilität  der  Reposition  war  aber  gleich 
Null.  Nach  der  Reposition  war  eine  passive  Flexion  in  etwas 
größerem  Umfange  durchführbar.  Am  rechten  Femur  fiel  noch 
der  Umstand  auf,  daß  das  distale  Ende  mit  den  Kondylen  etwas 
nach  hinten  gebogen  erschien,  so  daß  die  vollkommene  Arti¬ 
kulation  der  Gelenkskörper  erst  in  ziemlich  starker  Beugung 
möglich  war.  An  zwei  demonstrierten  Röntgenplatten  sind  die 
anatomischen  Verhältnisse  deutlich  sichtbar. 

Was  die  übrigen  Gelenke  anbelangt,  so  bot  das  linke  Hüft¬ 
gelenk  eine  kongenitale  Luxation  dar ;  der  Trochanter  stand  3  cm 
über  der  R  o  s  e  r  -  N  e  1  a  t  0  n  sehen  Linie,  der  Kopf  war  etwas 
antevertiert. 

Die  Füße  standen  in  hochgradigster  Klumpfußstellung.  Die 
Gelenke  der  oberen  Extremität  waren  normal,  nur  ist  eine  leichte 
Hyperextendierbarkeit  der  Fingermetakarpalgelenke  auffallend. 

Was  nun  die  Therapie  anbelangt,  so  wurde  mit  Rücksicht 
auf  die  Jugend  des  Kindes  und  den  Umstand,  daß  das  Kind  bei 
der  Aufnahme  noch  nicht  bettrein  war,  von  der  Behandlung  der 
Hüft-  und  Kniegelenke  vorläufig  abgesehen  und  wurden  zunächst  die 
Klumpfüße  in  Angriff  genommen.  Durch  Redressement  und 
Tenotomie  der  Achillessehne  wurde  —  wie  der  Fall  zeigt  be¬ 
sonders  rechts  ein  fast  ideales  Resultat,  links  eine  bedeutende 
Besserung  erzielt.  Der  linke  Klumpfuß  setzte  der  Behandlung 
große  Schwierigkeiten  in  den  Weg.  Doch  ist  das  Kind  imstande, 
auch  auf  den  linken  Fuß  plantigrad  aufzutreten;  nur  eine 
geringe  Verunstaltung  deutet  auf  den  einstigen  schweren  Klump¬ 
fuß  hin. 

Erst  im  zweiten  Lebensjahre  des  Kindes  wurden  die  Knie¬ 
gelenke  in  Behandlung  genommen.  Zunächst  wurde  der 
I  u  11 1)  1  u  t  i  g  e  Weg  versucht:  Reposition  in  Narkose,  Gipsverband 
!  in  Flexion,  jedoch  ohne  Erfolg. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  8 


Üi6 


Hierauf  versuchte  der  Vortragende  dadurch  zum  Ziele  zu 
gelangen,  daß  durch  einen  Schnitt  an  der  lateralen  Seite  des 
Kniegelenkes,  die  Gelenksköiper  bloßgelegt  und  in  reponierter, 
flektierter  Stellung  der  Condylus  externus  femoris  et  tibiae  durch 
Silberdraht  fixiert  wurden.  Auch  dieses  V'erfahren  hatte  keinen 
Erfolg. 

Ausgehend  nun  von  der  Annahme,  daß  die  laixation  haupt¬ 
sächlich  dadurch  ermöglicht  wurde,  daß  die  Q  u  a  d  r  i  z  e  p  s- 
sehne  zu  kurz,  die  hintere  Gelenk  skapsel  da¬ 
gegen  zu  weit  war,  wurde  behufs  Verlängerung  der 
Quadrizepssehne  und  Kürzung  der  hinteren  Gelenkskapsel  am 
10.  November  1905  folgende  Operation  u.  zw.  zunächst  am 
linken  Kniegelenk  ausgeführt:  Ein  leicht  nach  unten  bogen¬ 
förmiger  Schnitt  über  das  Gelenk  legte  die  Gelenkskapsel  und  das 
Ligamentum  patellare  bloß.  Nun  wurde  durch  einen  lateralen 
und  medialen  Schnitt  das  Gelenk  eröffnet,  die  Seitenbänder 
durchschnitten.  Von  dem  medialen  und  lateralen  Ende  dieser 
Schnitte  wurden  parallel  dem  Ligamentum  patellare  zwei  Schnitte 
nach  abwärts  bis  auf  die  Tibia  und  in  weiterer  Fortsetzung  auf 
der  Tibia  bis  fast  2  cm  unter  die  Tuberositas  tibiae  durch  das 
Periost  geführt,  die  Enden  dieser  Schnitte  durch  einen  Querschnitt 
verbunden  und  hierauf  mittels  Meißel  ein  ca.  12  mm  breiter 
Periost  - Knochen  lap  pen  samt  der  Tuberositas  tibiae, 
dem  Ansatzpunkte  der  Quadrizepssehne,  abgemeißelt.  Dadurch 
wollte  der  Vortragende  einerseits  die  Strecksehne  verlängern, 
anderseits  durch  Verschiebung  der  Tuberosität  nach  oben  gleich¬ 
sam  eine  neue  Patella  schaffen. 

Nun  war  das  Gelenk  vollständig  eröffnet.  Die  abnorm 
langen  Ligamenta  cruciata  wurden  verkürzt  und  von  der 
hinteren,  auffallend  weiten  Gelenkskapsel  ein 
über  1  cm  breiter,  quer  verlaufender  Streifen 
reseziert.  Dadurch  sollte  die  abnorm  weite  Kapsel  verkürzt 
werden.  Der  Kapselspalt  wurde  mit  feiner  Seide  genäht  und 
hiebei  schon  konstatiert,  daß  eine  Reluxation  unmöglich  war. 
Hierauf  folgte  die  Naht  der  Ligamenta  cruciata  und  der  vorderen 
Gelenkskapsel  mit  Seide.  Der  untere  Rand  des  Periost  Knochen¬ 
lappens  wurde  mit  Silberdraht  an  den  ebenen  Rand  der  Tibia 
fixiert ;  Hautnaht  mit  Seide,  Gypsverband  in  leichter  Flexion. 
Die  Heilung  erfolgte  per  primam,  ohne  Reaktion;  der  Erfolg  ist 
ein  ausgezeichneter.  Das  Kind  kann  aktiv  bis  zum  rechten 
Winkel  flektieren  und  strecken,  die  Reposition  ist  vollkommen 
und  fest.  Etwas  über  die  Gelenkslinie  tastet 
man  die  rundliche  Tuberosität,  die  sich  als 
neue  Patella  präsentiert. 

Auf  gleiche  Art  wurde  auch  das  rechte  Kniegelenk  am 
21.  November  1906  operiert.  Der  Erfolg  ist  hier  insofern  kein 
solch  ausgezeichneter,  als  hier  ein  geringer  Grad  von  Subluxation 
besteht,  ein  Umstand,  der  aber  hauptsächlich  durch  die  schon 
erwähnte  leichte  Knickung  des  distalen  Endes  des  Femurs  nach 
rückwärts  bedingt  ist,  wodurch  eine  Artikulation  der  Gelenks¬ 
enden  in  Strecksteilung  unmöglich  ist,  vielmehr  dieselbe  erst  in 
Beugung  eintritt.  Das  Kind  kann  aber  aktiv  bis  zum  rechten 
Winkel  beugen  und  strecken;  der  Gang  ist  noch  etwas  steff  und 
schleudernd,  aber  aufrecht  und  bessert  sich  zusehends.  Au  ch  am 
rechten  Kniegelenk  ist  die  Tuberosität  als  neue  Patella  tastbar. 
Vielleicht  ließe  sich  das  Resultat  am  rechten  Kniegelenk  dadurch 
noch  vervollkommnen,  daß  der  distale  Teil  des  Femurs  durch 
eine  Osteotomie  nach  D  r  e  h  m  a  n  n  nach  vorn  geknickt 
würde,  wodurch  die  Gelenksenden  auch  in  Strecksteilung  des 
Kniegelenks  zur  Artikulation  kämen. 

Das  linke  Hüftgelenk  wurde  in  dem  Intervall 
zwischen  den  beiden  Kniegelenksoperationen  am  17.  März  1906 
nach  Lorenz  reponiert  und  zur  funktionell  normalen  Aus¬ 
heilung  gebracht.  In  anatomischer  Hinsicht  ist  zu  bemerken,  daß 
die  schon  anfangs  erwähnte  Anteversion  des  Kopfes  eine  nicht 
ganz  zentrale  Einstellung  des  Kopfes  in  die  Pfanne  veranlaßt  hatte. 

Diese  0  p  e  r  a  t  i  o  n  s  m  e  t  h  o  d  e,  die  im  wesent¬ 
lichen  darin  besteht,  daß  durch  A  b  m  e  i  ß  e  1  u  n  g 
eines  Periost-Knochenlappens  samt  der  Ansatz¬ 
stelle  der  Quadrizepssehne,  der  Tuberositas 
tibiae,  die  Strecksehne  einerseits  verlängert, 
die  Tuberosität  anderseits  als  neue  Patella 
verwendet  wird,  weiters,  daß  durch  quere  Re¬ 
sektion  der  hinteren,  in  solchen  Fällen  natur¬ 
gemäß  weiten  G  e 1 e  n  k  s  k  a  p  s  e 1  letztere  verkürzt 
w' i  r  d,  scheint  noch  in  keinem  analogen  Falle 
i  n  V  e  r  w  e  n  d  u  n  g  gekommen  zu  sein  und  i  s  t  w  o  h  1 
mit  Rücksicht  auf  den  sehr  guten  E.rfolg  in 
analogen  Fällen  empfehlenswert. 


Die  Behandlung  hat  also  in  einer  Heilung  des  linken  Hüft- 
und  Kniegelenkes  und  des  rechten  Klumpfußes,  in  einer  be¬ 
deutenden  Besserung  des  rechten  Kniegelenkes  und  des  linken 
Klumpfußes  ihren  vorläufigen  Abschluß  gefunden,  da  das  Kind 
nun  in  den  Stand  gesetzt  ist,  nach  Menschenart  zu  stehen  und  zu 
gehen.  Der  Vortragende  hofft  auch,  das  rechte  Kniegelenk  und 
den  linken  Fuß  des  Kindes,  das  jetzt  nach  fast  272 jährigem 
Spitalsaufenthalt  entlassen  wird,  zur  Heilung  zu  bringen. 

Pros.  Priv.-Doz.  Dr.  C.  Stern  borg  demonstriert  die  Ab¬ 
bildungen  mehrerer  Hemmungsmißbildungen,  die  er  in  der  letzten 
Zeit  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte  und  die  Dr.  Theodore  w 
(Sophia)  demnächst  in  der  Zeitschrift  für  Heilkunde  publizieren 
wird.  In  diesen  Fällen  kann,  wie  Vortr.  ausführlich  darlegt  und 
begründet,  eine  amniogene  Entstehung  der  Mißbildungen  mit 
Sicherheit  angenommen  werden. 

Dr.  Julius  Stein:  Ueber  neuere  Blutfärbungs- 
m  e  t  h  0  d en.Vortr.  hat  in  derProsektur  des  Brünner Landesspitales 
die  verschiedenen  Blutfärhungsmethoden  an  einem  größeren  Material 
eingehend  erprobt  und  empfiehlt  für  die  Zwecke  des  praktischen 
iVrztes  zur  schnellen  Orientierung  in  fraglichen  Fällen  die 
J  e  n  n  e  r  sehe  Methode  sowie  die  Roman  owsky  sehe  Färbung 
in  den  Methoden  nach  Leishman  oder  Giemsa.  Vortr.  be¬ 
spricht  die  Ausführung  dieser  Färbungen,  das  normale  und 
pathologische  Blutbild  sowie  eine  Reihe  von  Krankheitsbildern, 
die  nicht  die  sogenannten  eigentlichen  Blutkrankheiten  betreffen 
und  in  welchen  die  Blutuntersuchung  nicht  zu  unterschätzende 
diagnostische  oder  prognostische  oder  therapeutische  Fingerzeige 
geben  kann. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Sternberg  weist  auf  den  hohen 
Wert  der  klinischen  Blutuntersuchung  hin  und  führt  einige  be¬ 
sonders  drastische  Fälle  an,  in  welchen  lediglich  das  Unterlassen 
der  Blutuntersuchung,  wie  sich  am  Sektionstisch  zeigte,  eine  voll¬ 
ständig  irrige  Diagnose  zur  Folge  hatte. 

Prim.  Dr.  Mager  schließt  sich  diesen  Ausführungen  an 
und  berichtet  über  einen  sehr  komplizierten  Fall  aus  den  letzten 
Tagen,  in  welchem  er  erst  durch  die  Blutuntersuchung  imstande 
war,  .die  Diagnose  auf  ,, Eigenartige  Tuberkulose  des  lymphatischen 
Apparates“  (==  Lymphogranulomatose)  zu  stellen,  welche  Diagnose 
durch  die  Obduktion  bestätigt  wurde. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  22.  Februar  1907,  7  lllir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  H.  H.  Meyer  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Dr.  C.  V.  Pirquet:  Eine  Theorie  des  Blatternexanthems. 

Bergmeister,  Paltauf, 

Um  die  reclitzeitisre  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  iiocli  am  Sitzuiisfsatoend  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Neusser  Donnerstag 
den  2i.  Februar  1907,  um  7  Ulir  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  v.  Neusser. 

Programm: 

I.  Demonstrationen  angemeldet:  Dr.  Neurath,  Doz.  Dr.  Marburg, 
Prof,  Dr.  Schlesinger,  Doz.  Dr.  A.  Fuchs,  Dr.  Wiesel,  Dr.  S.  Gara. 
II.  Reg. -Arzt  Dr.  Mattauschek:  Zur  Epidemiologie  der  Tetanie. 

Das  Präsidium, 


Wiener  med,  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  25.  Februar  1907,  7  Uhr  abends,  im 
Sitzungssaale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des 
Herrn  Prim.  Doz.  Dr.  Lotheisen  stattfindenden  wissenscliaftlichen 

Versamiulung. 

Dr.  M.  Kahane:  Ueber  Hochfrequenzströme  und  ihre  wichtigsten 
Indikationen. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Programm  der  am  Montag  den  25.  Februar  1907,  6  Uhr  abends 
im  Hörsaal  der  k.  k.  Universitätsohrenklinik  stattfindenden 
wissenschaftlichen  Sitzung. 

1.  Demonstrationen:  Die  Herren  Hofrat  A.  Politzer,  Dr.  H.  Neu¬ 
mann,  G.  Alexander,  F.  Alt,  E.  Rüttln. 

2.  Dr.  E.  Urbantschitsch :  Zur  Behandlung  des  chronischen 
Mittelohrkatarrhs. 

Urbantschitsch.  Alexander.  Frey. 


verantwortlicher  Redakteur:  Adalbert  Karl  Trupp. 


Verlag  Ton  Wilhelm  Rranmttller  in  Wien. 


Druck  von  Bruno  ßartelt,  Wien,  XVIII.,  Theresiengasee  3. 


Die 

„Wiener  kliulsclie 
Woclieuscbrifl“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 

^  ^ 

Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  V.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


fr  -  ~  ^ 

AbouuemeutsprelN 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  werden  von  allen  Buch¬ 
handlungen  und  Postämtern, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlung  übernommen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
als  erneuert. 


lu  s  erat  e 

werden  mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkommen. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  17 .618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  28.  Februar  1907.  _ Nr.  9. 


INH 

I.  Originalartikel :  1.  Aus  dem  pathologisch-anatom.  Institute 
(Vorstand:  Prof.  Weichselbaum)  und  der  II.  chirurgischen  Klinik 
in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Hochenegg).  Durch  Bakteriengifte 
erzeugte  Haut-  und  Schleimhautblutungen.  Vorläufige  Mit¬ 
teilung  von  Dr.  J.  Heyrovsky,  Operateurszögling  der  Klinik. 

2.  lieber  pathologische  Magenschleimabsonderung.  (Ein  Beitrag 
zur  Diagnostik  und  Therapie  des  chronischen  Magenkatarrhs.) 
Von  Privatdozent  Dr.  Emil  Schütz  in  Wien. 

3.  Aus  der  dermatologisch-syphilidologischen  Abteilung  des 
k.  k.  Krankenhauses  Wieden  in  Wien.  (Vorstand:  Professor 
Dr.  S.  Ehrmann.)  Zur  Kenntnis  des  Molluscum  contagiosum. 
Von  Dr.  B.  Lipschütz. 

4.  Aus  der  Universitäts-Klinik  für  Geschlechts-  und  Haut¬ 
krankheiten  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Ernest  Finger.)  üeber 
die  Schicksale  des  intramuskulär  injizierten  Hydrargyrum 
salicylicum.  Von  Privatdozenten  Dr.  Leopold  Freund, 
Assistenten  der  Klinik. 


ALT: 

5.  Aus  der  ersten  chirurgischen  Klinik  in  Wien.  (Vorstand:  Hofrat 
Prof.  Freiherr  V. Eiseisberg.)  Beiträge  zur  Kasuistik  der  Schädel¬ 
stiche.  Von  Dr.  H.  L  e  i  s  c  h  n  e  r,  Assistenten  der  Klinik. 

6.  Bemerkungen  zu  dem  Artikel:  „Ein  Beitrag  zur  Wirkung  der 
Wechselstrombäder  bei  Arteriosklerotikern  mittleren  Grades“  von 
Dr.  L.  Pöhlmann.  Von  Dr.  0.  v.  Aufschnaiter,  Wien-Rohitsch- 
Sauerbrunn. 

II.  Referate:  Experimentelle  und  klinische  Untersuchungen  über 
die  Histogenese  der  myeloiden  Leukämie.  Von  Dr.  Kurt  Ziegler. 
Karl  Weigert  und  seine  Bedeutung  für  die  medizinische 
Wissenschaft  unserer  Zeit.  Von  Prof.  Dr.  Robert  Rieder. 
Methodik  der  klinischen  Blutuntersuchungen.  Von  Prof.  Doktor 
Ernst  Grawitz.  Ref.:  Karl  Sternberg. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßherichte 


Aus  dem  pathologisch-anatom.  Institute  (Vorstand: 
Prof.  Weichselbaum)  und  der  II.  chirurgischen  Klinik 
in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Hochenegg.) 

Durch  Bakteriengifte  erzeugte  Haut-  und 
Schleimhautblutungen. 

Vorläufige  Mitteilung  von  Dr.  J.  Heyrovsky,  Operateurszögling  der  Klinik. 

Meines  Wissens  ist  es  bisher  nicht  gelungen,  mit  Bak¬ 
teriengiften  bei  Versuchstieren  ähnliche  Läsionen  der  Haut 
und  Schleimhäute  zu  erzeugen,  wie  wir  sie  am  Menschen 
hei  hämorrhagischen  Formen  der  Septikopyämie,  verschie¬ 
denen  Pnrpnraformen  und  einigen  sog.  toxisch-infektiösen, 
hämatogenen  Dermatosen  (z.  B.  Erythema  nodosum)^)  zu 
sehen  (xelegenheit  haben,  obwohl  wir  die  Entstehung  sol¬ 
cher  Gewebsveränderungen  auf  die  (lokale  oder  entfernte) 
Wirkung  eines,  von  dem  in  Betracht  kommenden  Erreger 
produzierten  oder  durch  Zerfall  desselben  frei  gewordenen 
Giftes  zu  beziehen  geneigt  sind. 

In  den  folgenden  Versuchen  glaube  ich  den  Nach¬ 
weis  erbracht  zu  haben,  daß  man  durch  die  Einver¬ 
leibung  keimfreier  Bakterienkulturfiltrate  bei 
weißen  Mäusen  hämorrhagische  Dermatosen, 
Schleimhaut-  und  .Gewebsblutungen  erzeugen 
könne. 

Die  zu  meinen  Untersuchungen  benützten  Gifte  stamm¬ 
ten  aus  Glykosebouillonkulturen  typischer  Stämme  des 

^)  Literatur  siehe  Jadassohn,  Ueber  infektiöse  und  toxische 
hämatogene  Dermatosen.  Berliner  klin.  Wochenschr.  1904,  S.  979, 


Diplococcus  pneumoniae  und  Streptococcus  mucosus,  zweier 
Bakterienarteii,  die  einander,  wie  aus  den  Untersuchungen 
mehrerer  Autoren,  sowie  auch  aus  meinen  Beobachtungen 
liervorgeht,  biologisch  sehr  nahe  stehen. 

In  einer  im  Zentralblatt  für  Bakteriologie  und  Para¬ 
sitenkunde,  I.  !Abt.,  Orig.,  Bd.  XXXVIll,  S.  704,  erschie¬ 
nenen  Arbeit:  Ein  Beitrag  zur  Biologie  und  Agglutination 
des  Diplococcus  pneumoniae,  habe  ich  liervorgehoben,  daß 
der  auf  gebräuchlichen  Nährböden  in  der  Regel  mir  küm- 
merlicli  wachsende  Diplococcus  pneumoniae  in  einer  lAoigen 
Glykosehouillon 2)  außerordentlich  üppig  gedeiht,  jedoch  in 
kürzester  Zeit  in  seinen  eigenen  Stoffwechselprodukten  ab¬ 
stirbt  und  zerfällt.  So'  vermag  z.  B.  in  der  Regel  eine  mit 
dem  Herzblut  der  an  Diplokokkensepsis  eingegangenen  Maus 
beimpfte  Glykosebouillon,  nach  24stündigem  Verweilen 
bei  Bruttemperatur,  in  beliebiger  Dosis  eine  Maus  nicht 
mehr  zu  töten,  während  eine  minimale  Menge  desselben 
Blutes  oder  einer  mit  demselben  Blute  beimpften  Bouil¬ 
lonkultur  die  Maus  in  kürzester  Zeit  tötet.  Ebenso  ver¬ 
hält  sich  auch  der  von  Schottmüller  zuerst  genauer 
beschriebene  Streptococcus  mucosus  beim  Wachstum  in 
einer  Glykosebouillon,  während  die  übrigen  Strepto¬ 
kokken  in  der  Regel  resistenter  sind. 

Da  man  nun  annehmen  mußte,  daß  in  solchen  Gly¬ 
kosebouillonkulturen  des  Diplococcus  pneumoniae 
und  des  Streptococcus  mucosus  sicli  eine  beträchtliche 

^)  Zusammensetzung:  Fleisch wasser,  0'5°/o  Kochsalz,  l''/o  Witte- 
Pepton,  l®/o  GUykose.  Alkaleszenz :  Eben  deutliche  Rötung  des  Phenol¬ 
phthaleins. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  9 


24'S 


Menge  von  Stoffwcchselprotliiklen,  sowie  auch  gelöster  Bak- 
terieJileiber  vorfinden  muß,  lag  es  nahe,  die  Fill  rale  dieser 
Knltnren  auf  ihren  evenlnellen  (ielialL  an  Toxinen,  l)e- 
ziehungsweise  Emlotoxineii  zn  i)rnfen. 

Ich  konnte  nun  hei  weißen  Mäusen  durch  Finverlei- 
hung  von  keimfreien  Puka  11- Filtraten  der  Glykosehouil- 
lonkulturen  einzelner  Stämme  der  beiden  Bakterienarten 
ein  Ivrankheitshild  erzeugen,  welches  dem  Bilde  der  ver¬ 
schiedenen  BnriHiraformen  des  Menschen  außerordentlich 
ähnlich  ist. 

Da  durch  Serum-  oder  Blutzusatz  zu  der  Blykose- 
b  0  Li  i  1 1 0  n k  ul  tn  r  das  Wachstum  beider  Bakterienarten  be¬ 
deutend  intensiver  wird  und  da  nach  den  bisherigen  Ver¬ 
suchen  die  Giftwirkung  der  Kidturen  von  der  Virulenz  des 
Stammes  für  Mäuse  al)hängig  zu  sein  scheint,  habe  ich 
in  der  Mehrzahl  der  bisher  ausgeführten  Versuche  die  ur¬ 
sprüngliche  Versuchsanordnung  heihehalten,  indem  ich  ein¬ 
zelne  Ilöhrchen  von  Glykosebouillon  mit  einem  Tropfen 
des  unter  aseptischen  Kautelen  mit  einer  Glaskapillare  ent¬ 
nommenen  Herzblutes  der  eingegangenen  Tiere  beimpft 
habe.  Während  nun  die  so  beimpften  Röhrchen  nach 
z  w  ö  1  f  s  t  ü  n  d  i  g  e  m  Verwei  len  ] )ei  Bruttemperatur  hoch¬ 
virulente  und  auf  geeignete  Nälirböden  abimpfhare  Kokkeji 
der  erwähnten  Art  in  ungeheurer  Zahl  enthielten,  waren 
nach  zirka  24  Stunden  in  der  Regel  die  Kulturen  incht 
mehr  überimpf  bar  und  nicht  infektiös.  Die  mit  solchen  Kul¬ 
turen  oder  deren  Filtraten  geimpften  Mäuse  blieben  fast 
sämtlich  am  Leben  und  boten  das  unten  näher  beschrie¬ 
bene  Krankheitsl)ild ;  die  mit  mehr  als  acht  Tage  alten  (vor¬ 
her  wirksam  gewesenen)  Kulturen  geimpften  Mäuse  blieben 
hingegen  sämtlich  ohne  Erscheinungen. 

In  einigen  Versuchen  habe  ich  mit  dem  gleichen  Er¬ 
folg  von  Agarkultnren  beimpfte  Glykosebouillonkidturen 
verwendet,  um  dem  Einwand,  es  handle  sich  um  die  Wir¬ 
kung  des  eingebrachten  septikämiscben  Blutes,  vorzu¬ 
beugen.  Da  ich  die  unten  näher  beschriehene  Giftwirkung 
keineswegs  bei  allen  meinen  Stämmen  dei’  beiden  Bak¬ 
terienarten  beobachten  konnte  und  da  ich  iiicht  immer  einen 
geeigneten  Stamm  des  Diplococcus  pneumoniae  besaß  (hei 
dieser  Kokkenart  habe  ich  b(U’eits  im  Jahre  1906  wieder¬ 
holt  und  bei  verschiedenen  Stämmen  dieselbe  Giftwirkung 
beobachtet),  benutzte  ich  gegenwärtig  zu  meinen  Versuchen 
einen  aus  eitriger  Otitis  in  Reinkultur  gezüchteten  Stamm 
des  Streptococcus  mucosus,  signiert  mit  ,,Stojan“. 

Die  mit  keimfreien  Filtraten  der  24stündigen  oder 
etwas  älteren  Glykosebouillonkultur  dieses  Stammes  intra¬ 
peritoneal  oder  subkutan  geimpften  Mäuse  zeigten  nach 
zirka  zwölf  Stunden  folgende  Erscheinungen: 

Vorwiegend  an  den  schwach  behaarten  Körperstellen 
(Ohren,  Pfoten,  Schweif,  Schnauze,  Genitale)  lokalisiertes, 
hämorrhagisches  Exanthem  in  der  Form  von  lividroten, 
Hachen  oder  leicht  erhabenen,  runden  oder  unregelmäßig 
begrenzten,  oft  konfluierenden  Effloreszenzen ;  diffuse,  ziem¬ 
lich  hochgradige  Schwellung  und  blaurote  Verfärbung  der 
Pfoten;  in  einigen  Fällen  (jiehen  dem  beschriebenen  Exan¬ 
them  an  anderen  Körperstelleii)  eine  anscheinend  nicht 
hämorrhagiscbe,  rasch  sich  rückhildende  Schwellung  der 
Pfoten  und  des  Genitales.  xVn  den  dicht  hehaarten  Körper¬ 
stellen  konnten  trotz  sorgfältiger  Untersuchung  keine  Hämor- 
i-hagien  gefunden  werden,  mit  Ausnahme  der  Infektions¬ 
stelle  j)ei  subkutaner  Impfung  und  der  Stellen,  die  bei 
der  Impfung  einem  mechanischen  Insulte  ausgesetzt  waren 
(Haut  in  der  Nackengegend  beim  Fassen  der  Maus.) 

Die  meisten  Mäuse  zeigten  schleimige,  einige  Mäuse 
auch  blutige  Diarrböen.  Die  große  Mehrzahl  der  einmal 
mit  der  Menge  von  “/lo  cm^  bis  1  cuF  des  Filtrates  ge^ 
impften  Mäuse  blieb  am  Leben. 

Die  beschriebenen  Haulveränderungen  bildeten  sich 
im  Laufe  von  einigen  Tagen  unter  gelblicher  Verfärbung 
der  betreffenden  Haidpartie  oder  auch  ohne  dieselbe  voll¬ 
kommen  zurück. 

Eine  in  einem  Zeitintervall  von  24  Stunden  zweimal 
geimpfte  Maus  (Dosis  1  Vio  cnP,  Dosis  II  1  cm^)  zeigte  am 


nächsten  Tage  einen  Nachschub  der  Hautblutungen,  blutige 
Stühle,  verklebte  Augen,  verminderte  Freßlust  und  ging 
ein.  Bei  der  Sektion  derselben  fanden  sich  außer  reich¬ 
lichen  Hämorrhagien  der  Ohren  und  Pfoten,  des  Schweifes, 
der  Schnauze  und  des  Skrotums,  Hämorrhagien  des  harten 
Gaumens,  der  Lungen,  des  Darmes  und  der  Harnblase, 
vergrößerte  Milz  und  Flyperämie  der  Nieren.  Mehrere  in 
zwei  nächstfolgenden  Tagen  geimpfte  Mäuse  zeigten  ^uin 
Teil  nach  der  zweiten  Infektion  einen  Nachschub  der  Haut- 
hlutungen,  zum  Teil  blieb  dieser  aus.  Eine  kleine  Zahl  voii 
mit  wirksamen  Filtraten  geimpften  Vläusen  endlich  (drei  von 
sechzig)  blieb  trotz  wiederholter  Impfung  ohne  Er¬ 
scheinungen. 

Bei  den  durch  Aetherinhalation  getöteten,  erkrankt 
gewesenen  Mäusen  fanden  sich  ähnliche  Veränderungen  der 
inneren  Organe  wie  bei  der  spontan,  eingegangenen  Maus, 
allerdings  nicht  so  hochgradig  und  nicht  immer.  Am  häufig¬ 
sten  fand  ich  neben  den  Veränderungen  der  Haut  Blutun¬ 
gen  im  Parenchym'  der  Lungen,  sowie  in  der  Mukosa  des 
Rektums. 

Die  vom  Herzhlute,  von  der  Milz  und  den  Hautblutun¬ 
gen  der  eingegangenen,  sowie  der  getöteten  Mäuse  ange¬ 
legten  Kulturen  blieben  särntlicb  steril.  Ebenso  fand  ich  in 
den  mit  Methylenblau  und  nach  Gram- Weigert  gefärbten 
Sclmitten  der  Organe  keine  Bakterien. 

Die  genaue  bistologische  Beschreibung  der  beobach¬ 
teten  Veränderungen  behalte  ich  mir  vor;  es  sei  nur  kurz 
erwähnt  und  besonders  betont,  daß  sich  in  der  Haut  außer 
den  ausgedehnten,  vorwiegend  im  subkutanen  Gewebe  ge¬ 
legenen  Blutungen  deutliche  entzündliche  Verände¬ 
rungen  mit  serös  zelligem,  zum  Teil  auch  serös  zelligfibri- 
nösem  Exsudate  fanden.  Jm  Darm  konnten  den  makroskopi¬ 
schen  Befunden  entsprecbend  histologisch  Blutungen  der 
Mukosa,  Submukosa,  Muskularis  und  Serosa,  in  den  Lungen 
subpleural  und  im  Parenchym  gelegene  Blutungen  konstatiert 
werden.  Die  anderen  Organe  zeigten  keine  auffällige]i  histo¬ 
logischen  Veränderungen. 

Die  zur  Kontrolle  der  Versuche  mit  steriler .  G ly- , 
kosebouillon  geimpften  Mäuse  blieben  sämtlich  ohne 
pathologische  Erscheinungen;  ebenso  auch  die  Mäuse,  die 
mit  dem  Filtrate  von  Glykosebouillon,  vermischt  mit  dem 
Blute  einer  an  Diplokokkenseptikämie  gefallenen  Maus,  ge¬ 
impft  wurden. 

Die  Versuche  über  die  Eigenschaften  des  in  Betracht 
kommenden  Giftes,  sowie  Versuche  über  die  Immunität,  sind 
noch  nicht  abgeschlossen. 

Wien,  22.  Februar  1907. 


Ueber  pathologische  Magenschleimabsonderung. 
(Ein  Beitrag  zur  Diagnostik  und  Therapie  des 
chronischen  Magenkatarrhs.) 

Von  Privatdozent  I>r.  Emil  Schütz  in  Wien. 

Zur  Zeit,  als  die  Diagnostik  der  Magenkrankheiten 
sich  noch  in  ihren  Anfangsstadien  befand,  bestand  der 
Brauch,  Dyspepsien  der  verschiedensten  Art  als  Folge  einer 
katarrhalischen  Erkrankung  des  Magens  anzusehen  und  dem¬ 
gemäß  zählte  der  Magenkatarrh  zu  den  am  häufigsten  dia¬ 
gnostizierten  Erkrankungen. 

Diese  Anschauung  gründete  sich  zum  Teil  auf  die  alte, 
die  Magenpathologie  lange  Zeit  beherrschende  Lehre 
Broussais’,  sie  fand  später  eine  Stütze  in  der  pathologisch- 
anatomischen  Beobachtung,  welche  auf  das  häufige  Vor¬ 
kommen  eines  katarrhalischen  Zustandes  des  Magens  bei 
anderweitigen  Erkrankungen  hinwies. 

Erst  als  die  Anwendung  des  Magenschlauches  Eingang 
in  die  Diagnostik  fand,  und  hiedurch  die  Kenntnis  der 
Störungen  der  Viagenverdauung  und  ihrer  Ursachen  immer 
mehr  gefördert  wurde,  gelangte  man  zu  der  Erkenntnis,  daß 
ein  primärer  Magenkatarrh  keineswegs  zu  den  häufigen  Vor¬ 
kommnissen  zähle. 


Nr.  9 


249 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Trotzdem  bildet  der  „Magenkatarrh“  noch  immer  einen 
häufigen  Lückenbüßer  in  der  Magenpathologie  und  nicht 
selten  wird  diese  Diagnose  auch  jetzt  noch  ohne  jeden 
weiteren  Anhaltspunkt,  als  auf  Grund  gewisser  ätiologi¬ 
scher  Momente  oder  des  Vorhandenseins  einer  Reihe  von 
Symptomen  gestellt,  die  ohne  Berechtigung  als  bezeichnend 
für  das  Bild  des  chronischen  Magenkatarrhs  angeführt  zu 
werden  pflegen ;  endlich  auch  per  exclusionem  gemäß  einem 
früheren  Vorschläge  Leuhes,^)  dem  später  auch  Riegel“) 
unter  Hinzufügung  einer  Klausel  heipflichtete.  Leu  he 
empfahl  seinerzeit,  sich  erst  dann  mit  der  Diagnose  „Magen¬ 
katarrh“  zu  begnügen,  wenn  andere  mit  Dyspepsie  einher¬ 
gehende  chronische  Erkrank nngen  mit  annähernder  Sicher¬ 
heit  ausgeschlossen  werden  können;  und  Riegel  forderte, 
daß  dieser  Ausschluß  mittels  der  modernen  diagnostischen 
Hilfsmittel,  nicht  aber,  wie  vordem,  bloß  auf  Grund  sub¬ 
jektiver  Symptome  erfolgen  müsse.  Negative  Anhaltspunkte 
sind  aber,  wie  jedermann  weiß ,  namentlich  für  Erkran¬ 
kungen  mit  anatomischer  Grundlage  nicht  hinreichend ;  hiezu 
bedarf  es  —  und  dies  gilt  für  die  Erkrankungen  des  Magens 
ganz  besonders  —  positiver  Merkmale.  Als  ein  solches 
ist  aber  für  den  Magenkatarrh  die  gesteigerte  Schleimabson¬ 
derung  zu  betrachten,  deren  Nachweis  selbstverständlich 
nur  durch  die  Prüfung  des  Mageninhaltes  ermöglicht  wird. 

Im  Hinblick  auf  das  anatomische  Verhalten  der  Magen- 
schleimhauL  wo  das  schleimproduzierende  Oberflächen¬ 
epithel  direkt  in  jenes  der  Drüsen  übergeht,  ist  man  viel¬ 
fach  geneigt,  den  Katarrh  mit  einer  Entzündung  des  Drüsen¬ 
parenchyms  zu  identifizieren  und  von  seiten  einiger  Autoren 
wurde  sogar  der  Vorschlag  gemacht,  die  Bezeichnung 
,, Magenkatarrh“  gänzlich  fallen  zu  lassen  und  überhaupt 
nur  von  ,, Gastritis“  zu  sprechen.  Die  Beteiligung  des  Drüsen¬ 
parenchyms  beim  Magenkatarrh  ist  aber  eine  Voraussetzung, 
die  keineswegs  immer  zu  treffen  muß,  und  tatsächlich  auch 
nicht  immer  zutrifft;  erst  kürzlich  hat  Saito^)  bei  der 
histologischen  Untersuchung  der  Magenschleimhaut  von 
Hunden,  bei  denen  er  experimentell  durch  Aetzung  mit 
Alkohol  und  Argentum  nitricum  einen  chronischen  Magen¬ 
katarrh  mit  vermehrter  Schleimbildung  erzeugt  hatte,  nur 
ganz  oberflächliche  Veränderungen  gefunden.  Es  liegt  also 
vom  anatomischen  Standpunkte  keine  Veranlassung  vor, 
den  Begriff  ,, Magenkatarrh“  zu  eliminieren. 

Die  klinische  Diagnose  ,, Gastritis“  anderseits  gründet 
sich  —  wie  bereits  erwähnt  —  vielfach  auf  das  Vor¬ 
handensein  von  Symptomen,  welche  auch  bei  anderen 
Erkrankungen  des  Magens  beobachtet  werden  und  da 
auch  die  Aziditätsverhältnisse  des  Mageninhaltes  nichts 
Charakteristisches  bieten,  werden  auch  die  Beobach¬ 
tungen  immer  zahlreicher,  bei  welchen  eine  klinisch 
diagnostizierte  ,, Gastritis“  sich  mit  der  Zeit  als  Magen¬ 
geschwür  entpuppte.  Auch  die  Symptome,  welche  der  Alko¬ 
holgastritis  eigen  sind,  können  heute  nicht  mehr  als 
Grundlage  für  die  Diagnose  einer  Gastritis  im  allgemeinen 
gelten,  da  wir  gegenwärtig  wissen,  daß  jene  Erkrankung, 
je  nach  ihren  Stadien,  unter  ganz  verschiedenen  klini¬ 
schen  Erscheinungen  verlaufen  kann,  und  nur  in  ihrer 
schwersten  Form  gewisse  Eigentümlichkeiten  besitzt.  Der 
früher  als  typisch  für  die  Alkoholgastritis  angesehene  Vomi- 
tus  matutinus  ist,  wie  wir  jetzt  wissen,  durchaus  nicht  dieser 
Erkrankung  eigentümlich ;  es  handelt  sich  bei  diesem  Sym¬ 
ptom  bekanntlich  entweder  um  Würgbewegungen,  hervor¬ 
gerufen  durch  den  Reiz  des  über  Nacht  angesammelten 
und  festhaftenden  Sekretes  der  katarrhalisch  erkrankten 
Rachenschleimhaut,  die  mit  reichlicher  Speichelentleerung 
einhergehen,  oder  um  Erbrechen  reichlich  abgesonderten 
und  nachts  verschluckten  Speichels  oder  um  stagnierende 
Speisereste  oder  endlich  urn  Entleerung  reinen  Magensaftes 
als  Folge  einer  „Secretio  continua“ ;  alle  diese  Erscheinun¬ 
gen  können,  wie  wir  gegenwärtig  wissen,  auch  bei  ver¬ 
schiedenen  anderen  Krankheitsprozessen  des  Magens  zur 
Beobachtung  gelangen.  Ebensowenig  gibt  das  chemische 
Verhalten  des  Magensaftes  Aufschluß  nach  dieser  Richtung, 
seitdem  es  bekannt  ist,  daß  selbst  bei  vorgeschrittenen  ana¬ 


tomischen  Veräuderungeii  am  Drüsenapparat,  nicht  —  wie 
man  früher  allgemein  angenommen  hatte  —  eine  Verniin- 
derung  der  Azidität  die  notwendige  Folge  isl,  sondern 
die  verschiedenartigsten  Aziditätsverhältnisse  Vorkommen 
können. 

Auch  die  Untersuchung  von  Scldeimhautstückchen,  die 
bei  der  diagnostischen  Sondierung  oder  bei  Ausspülungen 
gelegentlich  im  Mageninhalt  oder  im  Spülwasser  vorgefunden 
werden,  kann,  wie  begreiflich,  nicht  als  ein  geeignetes  Hilfs¬ 
mittel  für  die  Diagnostik  dieser  Erkrankung  angesehen 
werden,  da  die  Fälle,  bei  denen  man  solche  Objekte  vor¬ 
findet  (mit  Ausnahme  vereinzelter  Fälle  von  Achylie), 
namentlich  bei  vorsichtiger  Manipulation  recht  selten  sind 
und  wohl  niemandem  zuzumuten  ist,  eine  Losreißung  der 
Schleimhaut  durch  ein  brüskes  Vorgehen  oder  irgendein 
anderes  Verfahren  zu  erzwingen;  und  selbst  wenn,  wie  erst 
vor  kurzem  von  verschiedenen  Seiten  angenommen  worden 
ist,  eine  solche  Herausbeförderung  von  Gewebspartikelchen 
häufig  gelänge,  wäre  damit  für  die  Diagnose  der  Gastritis  nur 
wenig  gewonnen,  da  solche.  Objekte  doch  immer  nur  einen 
verschwindend  kleinen  Abschnitt  der  Schleimhautoberfläche 
darstellen,  dessen  Beschaffenheit  keinen  bestimmten  Schluß 
auf  Fehlen  oder  Ausbreitung  einer  pathologischen  Verände¬ 
rung  in  den  übrigen  Schleimhautregionen  zuläßt. 

Als  einzigen  Anhaltspunkt  für  die  Diagnose  ,, Magen¬ 
katarrh“  können  wir  sonach  bloß  den  Nachweis  einer  krank¬ 
haft  gesteigerten  Absonderung  des  Magenschleimes  ansehen ; 
ob  und  in  welchem  Grade  hiebei  das  Drüsenparenchym 
miterkrankt  ist,  dafür  fehlen  uns  sichere  Anhaltspunkte; 
schon  aus  diesem  Grunde  wird  es  vom  klinischen  Stand¬ 
punkt  zweckmäßiger  sein,  sich  auf  die  Bezeichnung  ,, Magen¬ 
katarrh“  für  solche  Fälle  zu  beschränken. 

Bevor  wir  jedoch  eine  gesteigerte  Magenschleimproduk¬ 
tion  als  Kennzeichen  einer  Erkrankung  der  Magenschleim¬ 
haut  ansehen,  wäre  noch  die  Frage  in  Erwägupg  zu  ziehen, 
ob  eine  Schleimvermehrung  nicht  auch  durch  nervöse 
Einflüsse  bedingt  sein  könne.  Während  die  Abhängigkeit 
der  Magensaftsekretion  vom  Nervensystem  außer  Frage 
steht,  wissen  wir  derzeit  über  dessen  Einfluß  auf  die  Magen¬ 
schleimabsonderung  nichts  Bestimmtes  und  es  fehlt  jede 
Berechtigung,  aus  der  ersteren  Tatsache  auf  ein  gleiches 
Verhalten  betreffs  der  Schleimsekretion  zu  schließen.  Sicher 
ist,  daß  die  Absonderung  beider  Sekrete  ganz  unabhängig 
voneinander  vor  sich  gehen  könne.  Daß  aber  der  Nerven¬ 
einfluß  bei  der  Schleimabsonderung  des  Magens  entweder 
gar  keine  oder  nur  eine  untergeordnete  Rolle  spiele,  dafür 
sprechen  nicht  bloß  -klinische  Erfahrungen,  sondern  auch 
experimentelle  Beobachtmigen  an  anderen  Schleimhäuten; 
so  habe  ich^)  schon  vor  längerer  Zeit  bei  Versuchen,  die 
ich  über  die  Wirkung  örtlich  sekretionshemmender  und  be¬ 
fördernder  Stoffe  an  der  Eroschhaut,  deren  Drüsen  zum 
größten  Teile  aus  Schleimdrüsen  bestehen,  anstellte,  weder 
bei  Ausschaltung  der  Nerven  und  Gefäße,  noch  nach  Atropin¬ 
injektion  eine  nennenswerte  Herabsetzung  der  Schleim¬ 
sekretion  beobachten  können;  und  in  allerneuester  Zeit 
sind  Bickel,^)  Kast*^)  undPewsner^)  durch  Experimente 
am  Magen  von  Hunden,  die  nach  der  Pawlow sehen  Me¬ 
thode  operiert  wurden,  gleichfalls  zu  Ergebnissen  gelangt, 
welche  eine  Abhängigkeit  der  Schleimsekretion  des  Magens 
vom  Nervensystem  unwahrscheinlich  machen.  Pewsner 
weist  gleichzeitig  mit  Recht  darauf  hin,  daß  die  bisherigen 
klinischen  Beobachtungen,  welche  als  Steigerung  der  Magen¬ 
schleimsekretion  auf  nervöser  Basis  angeführt  worden  sind, 
ebenso  wie  die  sog.  Colica  mucosa  in  bezug  auf  ihre  Ent¬ 
stehungsursache  auch  eine  andere  Auffassung  zulassen. 

Alle  diese  Umstände  sprechen  dafür,  daß  insbesondere 
eine  dauernd  gesteigerte  Schleimabsonderung  im  Magen  als 
Folge  einer  krankhaften  Beschaffenheit  der  Magenschleim¬ 
haut  anzusehen  ist. 

Von  diesen  Gesichtspunkten  ausgehend,  stellen  wir 
den  Satz  auf,  daß  man  znr  klinischen  Diagnose 
,,Magenkatarrh“  nur  dann  l)erechtigt  ist,  wenn 
es  gelingt,  den  Nachweis  einer  gesteigerten 


WIENER  KLINISCHE 


Ala  ge  ns  c  li  1  ei  m  a  b  so  11  (1  e  ru  11  g  (lurch  die  Unter¬ 
such  u  ii  g  des  AI  a  g  e  11  i  n  li  a  1 1  e  s  zu  er  h  ring  e  n. 

ill  einer  vor  kurzem  erschienenen  Ahliandlung^)  habe 
icli  unter  Berücksichtigung  der  bisher  über  das  Verhalten 
des  Schleimes  im  Alageninhalt  in  der  Literatur  vorhandenen 
Angaben,  sowie  aut  Grund  meiner  eigenen  Erfahrungen 
an  einem  reichen  Beobacht  ungsmaterial  alle  jene  Alomente 
eingehend  besprochen,  deren  Beachtung  uns  in  die  Lage 
versetzt,  diesen  Nachweis  zu  liefern.  Hier  seien  nur  einige 
wesentliche,  diese  Frage  betreffende  Punkte  hervorgehoben. 

Das  wichtigste  makroskopische  Merkmal  des  fremden 
(ektogenen*)  Schleimes,  der  aus  Mundhöhle,  Rachen,  aus 
den  Respirationsorganen  und  Oesophagus  stammt,  ist,  daß 
dieser  nie  mit  dem  festen  Mageninhalt  innig  gemischt,  son¬ 
dern  in  Form  von  Ballen,  Klumpen,  Flocken  oder  einer  nicht 
scharf  begrenzten  schleimigen  Masse  deutlich  von  ihm  ge¬ 
sondert  erscheint,  meist  an  der  Oberfläche  des  flüssigen 
Inhaltes  schwimmt,  zuweilen  findet  er  sich  aber  auch  in 
dem  Speisebrei  und  selbst  auf  dem  Grunde  desselben ;  auch 
in  der  Spülflüssigkeit  des  nüchternen  Alagens  erscheint  er 
meist  in  obiger  Gestalt  und  in*  verschiedener  Färbung  — 
gelblich,  weißlich,  grünlich,  bräunlich,  grau  —  je  nachdem 
es  sich  um  eine  Imprägnierung  desselben  mit  Galle,  Blut¬ 
farbstoff,  Farbstoffen  aus  den  Ingestis,  Reichtum  an  Leuko¬ 
zyten  oder  pigmenthaltigen  Zellen  handelt.  Noch  genauere 
Anhaltspunkte  liefert  der  mikroskopische  Befund,  der  in 
solchen  Objekten  Pflasterepithelien  aus  Alundhöhle  und 
Speiseröhre,  Leukozyten  und  meist  gnippierte  Leukozyten¬ 
kerne,  sowie  spiralige  Gebilde  erkennen  läßt. 

Der  eigentliche  Alagenschleim  (endogener  Schleim)  ist 
dem  Speisebrei  in  der  Regel  innig  beigemischt;  dies  erklärt 
sich  wohl  aus  der  Tatsache,  daß  der  während  yler  Verdauung 
stärker  und  gleichmäßig  abgesonderte  Magenschleim  durch 
den  mechanischen  Akt  der  Verdauung  mit  den  Ingestis 
eine  innige  Vermengung  eingeht;  einen  weiteren  Anhalts¬ 
punkt  dafür,  daß  dieser  Schleim  auch  wirklich  als  Alagen¬ 
schleim  anzusehen  sei,  läßt  sich,  wie  meine  Untersuchungen 
gezeigt  haben,  aus  dessen  chemischem  Verhalten  entnehmen. 
Nach  Fixierung  in  Förrnol  und  Einbettung  in  Paraffin  zeigten 
nämlich  Alikrotomschnitte  aus  dem  ektogenen  Schleim 
nach  deren  Behandlung  mit  sog.  spezifischen  Schleimfarb¬ 
stoffen — ^  Aluzikarmin,  Muchämatin,  Alethylenblau,  Töluidin 
—  deutliche  Färbung,  bei  Anwendung  des  letztgenannten 
Farbstoffes  ausgesprochene  Aletachromasie ;  bei  der  gleichen 
Behandlung  des  innig  mit  dem  Speisebrei  vermengten 
Schleimes,  dessen  Einbettung  eine  möglichst  sorlgfältige: 
Trennung  vom  Speisebrei  und  Sedimentienmg  in  der  Zentri¬ 
fuge  vorausging,  keine  oder  nur  sehr  unvollkommene  Tink- 
tion;  insbesondere  die  metachromatische  Färbung  war  nur 
sehr  schwach  ausgesprochen,  ein  Verhalten,  welches  mit 
jenem  des  schleimigen  Inhaltes  der  schleimbereitenden  Epi- 
thelien  des  menschlichen  Alagens  übereiiistimmt. 

Erwähnt  sei  ferner  noch,  daß  die  Untersuchung  des 
aus  dem  nüchternen  Alagen  gewonnenen  Schleimes,  selbst 
jenes,  der  auf  Grund  seines  sonstigen  Verhaltens  nicht  mit 
Bestimmhteit  als  ,,ektogener“  Schleim  angesehen  werden 
konnte,  in  dieser  Hinsicht  recht  verschiedenartige,  mithin 
unsichere  Ergebnisse  lieferte,  sO'  daß  ich  vermute,  daß  dieses 
Resultat  auf  die  verschieden  starke  Vermengung  des  „nüch¬ 
ternen“  Schleimes  mit  anderen  Schleimarten,  insbesondere 
mit  Speichel  zurückzuführen  sei.  Den  im  nüchternen  Magen 
Vorgefundenen  Schleim  war  ich  somit  nur  dann  in  der 
Lage  als  Alagenschleim  zu  betrachten,  wenn  er  reichlich 
abgestoßene  Alagenepithelien  oder  deren  charakteristische 
Kerne,  auf  die  besonders  Ad.  Schmidt®)  aufmerksam  ge¬ 
macht  hat,  enthielt,  oder  wenn  er  sich  durch  eine  eigen¬ 
tümliche,  glasige,  homogene  Beschaffenheit  auszeichnete  und 
sich  hie(iurch  und  durch  die  in  den  Flocken  enthaltenen 
Formelemente  von  verschlucktem  Speichel  unterscheiden 
ließ.  Diese  letztere  Art  von  Schleim  fand  ich  nur  bei 
schwereren  Erkrankungen  des  Alagens,  insbesondere  bei 

*)  Der  Ausdruck  ekto-  und  endogener  Schleim  stammt  von 
Pewsn  er. 


WOCHENSCHRIFT.  1907.  Nr.  9 


Karzinom,  wo  ich  nicht  selbm  auch,  namentlich  bei  Unter¬ 
suchung  an  gehärteten  Schleimpräparaten,  ausgesprochene 
Karzinonizellen  im  Schleim  eingebettet  nachweisen  konnte. 
(Siehe  meine  zitierte  Abhandlung,  S.  541.)  In  solchen  Fällen, 
wo  im  nüchternen  Alagen  derartige  reichliche  Schleimmassen 
vorgefunden  wurden,  zeigte  in  der  Regel  auch  der  Speise- 
In-ei  reichlichen  Gehalt  an  Alagenschleim,  während  ander¬ 
seits  im  letzteren  Falle  der  nüchterne  Alagen  durchaus  nicht 
regelmäßig  auch  einen  vermehrten  Schleimgehalt  aufwies. 
Diese  Beobachtungen  führen  zu  dem  Schluß,  daß  eine  ge¬ 
steigerte  Ala  ge  ns  chleimab  Sonderung  in  erster 
Linie  durch  das  Verhalten  des  Speise breies  ge¬ 
kennzeichnet  ist,  die  Untersuchung  sonach  vor 
allem  auf  das  Verhalten  des  letzteren  gerichtet 
werden  müsse. 

Die  A'Iethode,  deren  icJi  mich  zum  Nachweise  des 
Schleimes  im  Speisebrei  bediene,  habe  ich  in  der  erwähnten 
Arbeit  ausführlich  beschrieben;  da  ich  seither  weitere  Er¬ 
fahrungen  hierüber  gesammelt  habe,  will  ich  es  nicht  unter¬ 
lassen,  mich  hier  etwas  eingehender  mit  derselben  zu  be¬ 
fassen.  Vorausschicken  will  ich  nur,  daß  sich  meine  Unter¬ 
suchungen  am  speisehaltigen  Alagen  ausscldießlich  auf  jenen 
Mageninhalt  beziehen,  der  eine  Stunde  nach  Einnahme  eines 
Probefrühstückes  (300  cm^  und  eine  Semmel  von  ca.  50  g) 
durch  Expression  gewonnen  wurde. 

Zur  Beurteilung  des  Schleimgehaltes  im  Speisebrei 
eignet  sich  weder  die  bloße  Besichtigung,  noch  das  Ueber- 
gießen  desselben  aus  einem  Gefäß  in  das  andere,  noch 
das  Erheben  des  Breies  mittels  Glasstabes;  letzteres  aus 
dem  Grunde  nicht,  weil  die  schleimige  Masse  von  dem 
glatten  Stabe  rasch  hinabgleitet.  Ich  verfahre  deshalb  fol¬ 
gendermaßen  :  Zunächst  wird  der  in  ein  zylindrisches  Ge¬ 
fäß  entleerte  Alageninhalt  von  den  oben  schwimmenden 
fremden  Schleimbeimengungen  sorgfältig  befreit,  dann  eine 
Weile  stehen  gelassen,  bis  sich  der  feste  Anteil  abgesetzt 
hat ;  hierauf  gießt  man  möglichst  viel  von  der  oben  stehenden 
Flüssigkeit  ab  und  untersucht  nun  den  Speisebrei  mittels 
des  Schleimfängers,  der  aus  einem  20  cm  langen  und  2mm  ' 
dicken  Draht  aus  Neusilber  besteht,  dessen  unteres  Ende 
in  Form  eines  Halbkreises  von  2  cm  Durchmesser  abge¬ 
bogen  und  an  der  inneren  Fläche  mit  Einkerbungen  ver¬ 
sehen  ist,  welche  den  Zweck  haben,  das  allzu  rasche  Ab¬ 
gleiten  des  Schleimes  zu  verhindern.  Durch  Eintauchen 
dieses  Endes  in  den  Brei  versucht  man  nun  diesen  an  ver¬ 
schiedenen  Stellen  emporzuheben;  da  es  notwendig  ist, 
den  Schleimfänger  möglichst  tief  in  den  Brei  einzutauchen, 
muß  bei  nicht  genügend  reichlicher  Menge  des  Breies  ent¬ 
weder  ein  kleineres  Gefäß  (eventuell  auch  ein  kleinerer 
Draht)  gewählt  oder  das  Glas  geneigt  werden.  Unter  nor¬ 
malen  Verhältnissen  oder  bei  geringem  oder  mäßigem 
Schleimgehalt  bleiben  bei  dieser  Alanipulation  neben  einigen 
Speisepartikelchen  nur  spärliche  Schleimflocken  am  Drahte 
haften;  bei  gesteigertem  Schleimgehalt  läßt  sich  die  schlei¬ 
mige  Masse  in  großen  Konvoluten  aus  dem  Niveau  des 
Breies  erheben;  eine  Verwechslung  zwischen  Schleim  und 
einfacher  Quellung  des  festen  Inhaltes  (z.  B.  bei  amylazeen- 
reicher  Nahrung),  wie  dies  bei  bloßer  Besichtigung,  beim 
Neigen  des  Glases  oder  Uebergießen  wohl  Vorkommen  kann, 
ist  bei  dieser  Art  der  Untersuchung  ausgeschlossen. 

Wichtig  ist  es,  darauf  zu  achten,  daß  nicht  fremde 
Schleimbeimengungen,  die  sich  zuweilen  nicht  vollständig 
entfernen  lassen,  bei  der  Untersuchung  störend  einwirken; 
der  mit  reichlichem  Schleim  innig  vermengte  Brei  läßt 
sich  als  eine  zusammenhängende  Alasse  aus  dem  Brei 
hinausheben ;  zuweilen  wird  auch  ein  wiederholtes  Ein¬ 
tauchen  und  Erheben  des  Schleimfängers  jeden  Zweifel 
beseitigen.  Zu  betonen  ist  ferner  noch,  daß  es  notwendig 
erscheint,  die  Untersuchung  möglichst  bald  nach  der  Ent¬ 
nahme  des  Alageninhaltes  vorzunehmen;  denn  schon  nach 
einigem  Amrweilen  (oft  schon  nach  15  Alinuten)  kann  es 
namentlich  bei  starkem  Säuregehalt  Vorkommen,  daß  sich 
der  Schleim  vom  Brei  teilweise  absondert  und  die  hie- 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


251 


durch  entstehende  Ungleichmäßigkeit  der  Schleimbei¬ 
mischung  die  Deutlichkeil;  des  Ergebnisses  beeinflußt.*) 

Wenn  es  nun  auch  keinem  Zweifel  unterliegt,  daß 
es  sich  bei  den  geschilderten  Beobachtungen  um  Magen¬ 
schleim  u.  zw.  um  eine  gesteigerte  Absonderung:  desselben 
handelt,  könnte  dennoch  der  Einwand  erhoben  werden,  daß 
diese  nicht  als  die  Folge  eines  pathologischen  Zustandes 
angesehen  werden  müsse,  sondern  wohl  auch  als  eine  wäh¬ 
rend  der  Expression  des  Mageninhaltes  eintretende  und 
vielleicht  durch  die  Sondierung,  also  auf  mechanischem 
Wege  hervorgerufene  Steigerung  der  Schleimproduktion  zu 
betrachten  sei. 

Gegen  einen  derartigen  Einwand  läßt  sich  folgendes 
anführen : 

1.  Die  innige  Mischung  des  Schleimes  mit  dem 
Speisebrei. 

2.  Der  Umstand,  daß  bei  Gesunden  eine  reichliche 
Schleimbeimengung  in  der  Regel  nicht  beobachtet  wird. 

3.  Ist  ein  reichlicher  Schleimgehalt  häufig  auch  dort 
vorhanden,  wo  die  Prozedur  der  Mageninhaltsentnahme  nur 
wenige  Sekunden  in  Anspruch  nimmt,  während  anderseits 
bei  längerer  Dauer  derselben  und  bei  starkem  Würgen 
durchaus  nicht  immer  reichlicher  Schleim  vorhanden  ist; 
im  letzteren  Falle  scheint  es  wohl  zuweilen  zu  einer  etwas 
gesteigerten  Magenschleimabsonderung  zu  kommen,  die 
sich  aber  in  jenen  Grenzen  hält,  die  als  normale  anzu¬ 
sehen  sind.  Nur  eine  reichliche  Schleimbeimengung  ist 
pathologisch  und  bildet  das  Substrat  für  die  Diagnose 
„Älagenkatarrh“. 

4.  Die  sauere  Reaktion,  die  der  Magenschleim  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  besitzt,  spricht  gleichfalls  für  dessen 
längeres  Verweilen  im  sauren  Mageninhalt.  Untersucht 
man  einen  schleimreichen  Mageninhalt  im  nicht  filtrierten 
Zustand,  sowie  das  Filtrat  (wobei  ein  großer  Teil  des 
Schleimes  auf  dem  Filter  zurückbleibt)  in  bezug  auf  die 
Azidität,  so  findet  man  nur  geringe  Unterschiede^  die  kaum 
von  denen  eines  schleimfreien,  in  derselben  Weise  geprüf¬ 
ten  Mageninhaltes  abweichen;  dieses  Verhalten  ist  nur  auf 
die  Weise  zu  erklären,  daß  der  Schleim  bereits  seit  längerer 
Zeit  mit  dem  sauren  Mageninhalt  in  Berührung  ist  und 
mit  ihm  eine  innige  Mischung  eingegangen  ist;  übrigens 
vermag  das  Muzin  zweifellos  ebenso  wie  das  Albumin  die 
Salzsäure  zu  binden.  (Diese  Tatsachen  sprechen  allerdings 
auch  gegen  die  Anschauung  Pa w lows,  der  den  Magen¬ 
schleim  als  einen  die  Azidität  des  Magensaftes  wesentlich 
beeinflußenden  Faktor  betrachtet;  anderseits  hat  es  den 
Anschein,  als  ob  der  reichlich  sezernierte  Magenschleim 
auch  die  Magensaftproduktion  stärker  anrege,  wie  man  aus 
den  so  oft  zu  beobachtenden  hohen  Aziditätsgraden  bei 
schleimhaltigem  Mageninhalt  entnehmen  könnte.) 

Auch  die  häufig  zu  beobachtende  Zähigkeit  des  Schlei¬ 
mes  im  Mageninhalt  spricht  nicht  für  ein  kurzes  Verweilen 
desselben  im  Magen,  da,  wie  schon  A.  Schmidt**)  gezeigt 
hat,  die  Verdauung  des  Schleimes  viel  langsamer  vor  sich 
geht  als  jene  des  Eiweißes. 

Alle  diese  Umstände  berechtigen  uns,  einen 
reichlichen  Gehalt  des  Speisebreies  an  Magen¬ 
schleim  als  Folge  einer  pathologisch  gesteiger¬ 
ten  Magenschleimabsonderung  an  zu  sehen. 

In  meiner  früheren  Arbeit  habe  ich  im  ganzen 
110  Fälle  angeführt,  bei  deiiv^n  die  Untersuchung  auf  Magen¬ 
schleim  im  Mageninhalt  in  der  beschriebenen  Weise  vor¬ 
genommen  wurde ;  ich  habe  nebstdem  in  allen  diesen 
Fällen  auch  den  Schleimgehalt  des  nüchternen  Magens 

*)  In  einem  mehrere  Monate  nach  dem  Erscheinen  meiner  oben 
zitierten  Abhandlung  verötfentlichten  Artikel,  betitelt  »Die  Diagnose  des 
chronischen  Magenkatarrhs«  empfiehlt  Schilling^“)  für  den  gleichen 
Zweck  die  Verwendung  einer  gekrümmten  Präpariernadel.  Er  sagt  dies¬ 
bezüglich;  »Schütz  verfährt,  ähnlich  wie  ich,  doch  halte  ich  mein 
Verfahren  für  evidenter.«  Ich  bemerke  hiezu  nur  noch,  daß  ich  gelegent¬ 
lich  mannigfacher  Vorversuche,  auch  solche  mit  der  Präpariernadel  vor¬ 
nahm;  sie  erwies  sich  für  den  genannten  Zweck  nicht  geeignet. 

**)  a.  a.  0. 


untersucht,  sowie  auch  das  Spülwasser,  welches  nach  Rein- 
waschung  des  speisehaltigen  Magens  abfloß.  Unter  diesen 
110  Fällen  konnte  ich  bei  36  einen  reichlichen  Gehalt  an 
JRagenschleim  im  Mageninhalt  nachweisen;  28  davon  sind 
unter  der  Rubrik  „chronischer  Magenkatarrh“  angeführt. 
Bei  diesen  waren  keinerlei  Anhaltspunkte  für  eine  ander¬ 
weitige  anatomische  Läsion  des  Magens  vorhanden.  Die 
übrigen  acht  Fälle  verteilen  sich  auf  Magenkarzinom  (sechs 
Fälle),  ein  Fall  auf  Ulcus  ventriculi  und  ein  Fall  auf 
Carcinoma  hepatis  (primäres  Magenkarzinom?).  In  den 
übrigen  74  Fällen  waren  keine  nennenswerten  Schleimbei¬ 
mengungen  im  Mageninhalt  vorhanden. 

Im  Laufe  der  letzten  zwei  Jahre  (1905/1906)  habe 
ich  bei  der  Untersuchung  des  Mageninhaltes  regelmäßig 
die  Prüfung  auf  Magenschleim  in  der  obengenannten  Weise 
vorgenommen;*)  hiedurch  gelang  es  mir,  eine  größere  An¬ 
zahl  von  Fällen  zu  beoliachten,  bei  denen  ich  auf  Grund 
des  Mageninhaltbefundes  die  Diagnose  „Magenkatarrh“ 
stellen  konnte.  Die  im  folgenden  näher  besprochenen  Be¬ 
obachtungen  betrafen  ausschließlich  chronische,  primäre  Er¬ 
krankungen;  die  sekundären  Erkrankungen  habe  ich  hier 
nicht  einbezogen. 

Sie  erstrecken  sich  auf  87  Fälle,  die  sich  unter  694 
Patienten  (meines  Ambulatoriums  für  Magen-  und  Darm- 
kranke  im  Wiener  allgemeinen  Krankenhause)  fanden,  bei 
denen  während  des  obigen  Zeitraumes  Mageninhaltsunter¬ 
suchungen  vor  genommen  worden  sind. 

Da  nur  an  einem  Bruchteil  der  während  dieser  Zeit 
daselbst  behandelten  Fälle  Mageninhaltsuntersuchungen  ge¬ 
macht  worden  sind,  läßt  sich  aus  obiger  Zahl  kein  be¬ 
stimmter  Schluß  betreffs  der  Häufigkeit  dieser  Erkrankung 
bei  obigem  Krankenmaterial  ziehen;  nur  soviel  läßt  sich 
hieraus  entnehmen,  daß  solche  Fälle  keineswegs  zu  den 
häufigen  gehören,  denn  sie  bilden  bei  meiner  Beobachtung 
bloß  12-5  To  aller  auf  obige  Art  untersuchten  Fälle.  (Daß 
in  meiner  letzten  Arbeit,  allerdings  unter  einer  viel  klei¬ 
neren  Zahl  von  Untersuchungen,  diese  Ziffer  fast  doppelt 
so  groß  war,  liegt  sicherlich  zum  Teil  auch  darin,  daß 
seither  meine  Erfahrungen  betreffs  dieser  Untersuchungs¬ 
methode  immer  mehr  zugenommen  haben  und  ich  daher 
auch  in  der  Beurteilung  der  Schleimbefunde  vorsichtiger 
geworden  bin.) 

Die  87  Fälle  verteilen  sich  auf  67  Männer  und 
20  Frauen;  da  unter  den  694  untersuchten  Patienten  sich 
482  Männer  und  212  Frauen  befanden,  so  entsprechen  die 
obigen  Zahlen  einem  Verhältnis  von  13-5 To  der  Männer 
und  9-4 To  der  Frauen.  Die  Häufigkeit  des  chronischen 
Magenkatarrh  ist  also  bei  Männern  um  ein  Erhebliches 
größer  als  bei  Frauen,  welcher  Umstand  wohl  auf  den 
bei  ersteren  vorkommendeu  Mißbrauch  des  Alkohols  und 
Tabaks  zu  beziehen  sein  dürfte ;  allerdings  konnte  nur  bei 
19  Fällen  ein  solcher  Abnsus  mit  Sicherheit  ermittelt  wer¬ 
den.  Dagegen  sind  fünf  Fälle  von  Bleiintoxikation  unter¬ 
sucht  worden,  von  denen  jeder  eine  katarrhalische  Magen¬ 
erkrankung  aufwies.  Von  anderen  ätiologischen  Momenten 
wären  zu  bemerken :  Zweimal  vorausgegangene  Lues,  drei¬ 
mal  Lungentuberkulose,  drei  Fälle,  bei  denen  die  Beschwer¬ 
den  ihren  Ausgangspunkt  von  einem  Diätfehler  und:  ein 
Fall  von  einem  Trauma  in  der  Magengegend!  nahmen.  In 
den  übrigen  Fällen  fehlte  jeder  ätiologische  Anhaltspunkt. 

Betreffs  des  Alters  standen  zwei  im  Alter  von  10  bis 
20,  je  25  im  Alter  zwischen  20  bis  30  und  30  bis'  40, 
23  zwischen  40  bis  50,  11  zwischen  50  und  60  Jahren; 
ein  Fall  war  über  60  Jahre  alt. 

Was  die  Krankheitsdauer  anbelangt,  sei  hier  er¬ 
wähnt,  daß  wir  nur  solche  Erkrankungen  zu  den  chroni¬ 
schen  rechneten,  bei  denen  eine  mindestens  sechswöchent¬ 
liche  Dauer  der  Beschwerden  vorhanden  war;  recht  häufig 

*)  Die  Reinwaschung  des  speisehaltigen  Magens  zum  Behufe  der 
Untersuchung  des  Spülwassersauf  Schleim,  auf  die  besonders  A.  Schmidt 
und  seine  Schüler  Gewicht  legen,  habe  ich  bei  den  nachfolgenden  Unter¬ 
suchungen  unterlassen,  da  sie  sich,  wie  meine  früheren  Untersuchungen 
ergeben  haben,  für  die  vorliegende  Frage  bedeutungslos  erwies. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


fanden  sich  Fälle,  bei  denen  die  Erkrankung  seit  mehreren 
Jahren  datierte. 

Symptome;  Von  subjektiven  Beschwerden  wurden 
am  häufigsten  Magensclmierzen  und  Magenkrämpfe  ange¬ 
geben  (43mal),  28mal  Magendrücken,  welches  meist  kurz 
nach  der  Mahlzeit  auftral,  40mal  Brechreiz,  mit  oder  ohne 
Erbrechen,  nach  der  Mahlzeit  oder  in  nüchternem  Zustand; 
völlige  Appetitlosigkeit  17mal.  Aufstoßen  von  Gasen  oder 
Speisen  ohne  Geschmack  2inial,  Sodhrennen  und  gaures 
Aufstoßen  20mal  (darunter  achtmal  bei  Hyperazidität,  zwei¬ 
mal  bei  Subazidität,  achtmal  hei  normaler  Azidität  des 
Mageninhaltes),  Uehelkeit  viermal,  allgemein  nicht  näher 
zu  definierende,  subjektive  Magenbeschwerden  dreimal.  In 
sechs  Fällen  bestanden  anhaltende  Diarrhöen;  bei  der 
überwiegenden  Mehrzahl  war  hartnäckige  Obstipation  vor¬ 
handen. 

Objektiv  ließ  sich  ferner  in  den  meisten  Fällen  ver¬ 
schieden  starke  Druckempfindlichkeit,  meist  im  Epigastrium 
und  in  der  Gegend  des  Pylorusteiles,  nachweisen. 

Wie  aus  dieser  Zusammenstellung  hervorgeht,  zeigten 
die  Fälle  keinerlei  typische  Symptome;  Magen¬ 
schmerz  oder  Magendrücken,  Druckempfindlich¬ 
keit  des  Magens,  sowie  Obstipation  bildeten  eine 
nahezu  r  e  g  e  1  m  ä  ß i  g  e  E  r  s  c, h  e  i  n  u  n  g. 

Verhalten  des  Mageninhaltes;  Betreffs  des 
Schleimgehaltes  des  speisehaltigen  Magens  sei  hier 
auf  das  früher  Gesagte  verwiesen;  ich  füge  hinzu,  daß 
überall  dort,  wo  die  Untersuchung  nach  kurzer  Zeit  wieder¬ 
holt  wurde,  der  Schleimgehalt  nahezu  der  gleiche  geblieben 
war.  ln  der  Mehrzahl  der  Fälle  wurde  auch  der  nüchterne 
]\Iagen  auf  seinen  Gehalt  an  Schleim  untersucht,  wobei 
es  sich,  wie  bei  den  früheren  Versuchen,  zeigte,  daß  der 
nüchterne  Magen  durchaus  nicht  regelmäßig  einen  ver¬ 
mehrten  Schleimgehalt  erkennen  ließ;  in  einer  Anzahl  von 
Fällen  war  nur  spärlicher  Schleimgehalt  beobachtet  worden 
oder  es  fehlte  jede  Schleimheimengung.  Es  konnte  sich 
in  diesen  Fällen  wohl  kaum  um  ein  Uehersehen  des  Schlei¬ 
mes  durch  mangelhafte  Beimischung  zum  Spülwasser  in¬ 
folge  Festhaften  desselben  an  der  Wand  des  leeren  Vlagens 
gehandelt  haben,  da  ich  in  jedem  Falle  während  der  Spü¬ 
lung  durch  Erschüttenmg  des  Magens  mittels  der  außen 
aufgelegten  Hand  etwaigen  anhaftenden  Schleim  loszulösen 
trachtete. 

Was  das  sonstige  Verhalten  des  Mageninhaltes  in  den 
angeführten  Fällen  betrifft,  zeigte  eine  Anzahl  (16  Fälle) 
eine  Vermehrung  des  Mageninhaltes  (120  bis  700  cm^); 
wie  die  Untersuchung  lehrte,  handelt  es  sich  in  diesen 
Fällen  fast  ebenso  häufig  um  eine  Vermehrung  des  festen 
Inhaltes  (motorische  Insuffizienz),  als  um  eine  solche  des 
flüssigen  Anteiles  tHypersekretion').  35mal  war  gute  Chy- 
mifikation,  31mal  schlechte  Verteilung  des  Semmelbreies 
(einmal  wechseludes  Verhalten)  zu  beobachten.  (In  den 
übrigen  Fällen  fehle:u  diesbezügliche  Angaben.)  Dreimal 
waren  im  nüchternen  IMageji  Verdauungsrückstände,  vier¬ 
mal  Magensekret  in  größerer  Menge  vorhanden. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Mageninhaltes 
ergab  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  keine  wesentliche  Ab¬ 
weichung  vom  nonnalen  Verhalten,  doch  war  recht  häufig 
ein  größerer  Reichtum  von  Hefezelleii  in  Sprossung  und 
in  Verbänden  nachzuweiseii ;  in  vereinzelten  Fällen  waren 
Sarzine  in  größerer  Menge,  ferner  reichliche  kurze  Stäb¬ 
chen  vorhanden.  Das  mikroskopische  Verhalten  des  Schlei¬ 
mes  ist  bereits  früher  besprochen  worden. 

In  zwei  Fällen  fanden  sich  kleine  Schleimhaulslück- 
clieii  im  Mageninhalt. 

A  z  i  d  i  t  ä  t  s  ve  rh  ä  1  t  n i s s  e  ;  In  den  folgenden  zwei 
Rubriken  findet  si(di  eine  übersichtliche  Zusammenfassung 
der  in  den  Fällen  der  ohenstehenden  Tabelle  gefundenen 
Aziditätswerle  für  .\zidität  und  für  freie  Salzsäure,  nach 
beslimmlen  Aziditälslufen  gruppiert;  die  den  entsprechen¬ 
den  Prozentzahlen  in  Klammern  beigefügten  Ziffern  be¬ 
ziehen  sich  auf  die  in  meiner  jüngst  publizierten  Arbeit; 


Ueber  Hyperazidität, ^^)  in  Prozenten  ausgedrücklen  Häufig¬ 
keitsziffern  der  in  830  Fällen  erhaltenen  Aziditäten;  sie 
dienen  als  Normalwerte  zum  Vergleich  mit  den  neben¬ 
stehenden  Zahlen. 

Es  fand  sich  unter  den  87  Fällen; 


für  A: 


eine  Azidität  unter  20  in  1  Fall  =  U17o 

>»  »  von  20—40  »  11  Fällen  =:=  13-77o  (13-37o) 

»  »  40—60  »29  »  =  33-3Vo  (33-37o) 

.  ,  60—80  *  33  »  =  37-97„  (28-97o) 

>  »  »  80—100  »  13  »  =  14-97o  (lO-lO'Vo) 

»  »  über  100  »  —  »  =  —  %  (3-37o) 

Summe  87  Fälle 


für  freie  Salzsäure: 


:cÖ 

‘n 

a> 

.S 

’S 


unter  20  =  unter  0'077o  in  15  Fällen  =  167o  (177o) 


von  20—40  =  0-07— 0-1 5'’/, 
von  40— 60  =  015— 0-227( 
von  60-80  =  0'22— 0-297( 
.  über  80  =  über  0’297( 


38  »  437o  (357o) 

25  »  =28-77o(33-67o) 

5  »  =  5-67o  (10-47o) 

4  »  =  4-57o  (3’17o) 


Summe  87  Fälle. 

Vergleicht  man  die  gefundenen  Aziditätswerte  mit 
den  in  Klammern  befindlichen,  sO'  ergibt  sich  für  A  eine 
Verringerung  der  Zahl  der  niedrigen  und  eine  Zunahme 
der  höheren  Aziditätswerte,  während  in  der  Rubrik  für 
freie  Salzsäure  gerade  das  gegenteilige  Verhalten  (Zunahme 
der  niedrigeren,  Abnahme  der  höheren  Werte)  zu  beobach¬ 
ten  ist.  Dieser  Gegensatz  in  dem  Verhalten  der  freien 
Salzsäure  zu  jenem  der  Gesamtazidität  beruht  darauf,  daß 
die  Differenz  zwischen  den  W'erten  für  freie  Salzsäure  und 
für  Azidität  in  den  einzelnen  Fällen  recht  häufig  eine  un¬ 
gewöhnlich  große  ist;  während  sie  hekaimtlich  normaler¬ 
weise  15  bis  20  lieträgt,  finden  sich  hier  nicht  selten 
Ditferenzen  von  30  und  darüber.  Solche  erhebliche  Unter¬ 
schiede  beobachtet  man  (wenn  man  von  den  Fällen,  wo 
organische  Säuren  vorhanden  sind,  absieht)  bekaimter- 
inaßen  häufig  bei  motorischer  Insuffizienz,  wo  das  längere 
Verweilen  der  Speisen  im  Magen  eine  umfangreichere  Bin-' 
dung  der  eiweißhaltigen  Stoffe  und  somit  ein  .reichlicheres 
Auftreten  von  gebundener  Salzsäure  zur  Folge  hat;  viel¬ 
leicht  erklärt  sich  das  häufigere  Vorkommen  einer  solchen 
Differenz  heim  schleimreichen  Mageninhalt  auch  dadurch, 
daß  der  reichliche  Schleim  die  Salzsäure  in  erhöhtem  Maße 
zu  binden  vermag. 

In  einer  größeren  Anzahl  von  Fällen  haben  wir  auch 
Pepsinhestimmungen  (nach  der  Methode  von  Hammer¬ 
schi  a  g)  gemacht ;  es  zeigte  sich  hiebei  keinerlei  Abwei¬ 
chung  von  der  Nonn,  meist  war  Pepsin  reichlich  vorhanden. 
Das  spezifische  Gewicht  des  Filtrates  war  in  den  meisten 
Fällen  recht  hoch,  meist  über  1020.  Endlich  ergab  die 
Prüfung  des  Filtrates  auf  Amylolyse  mittels  der  Jodjod¬ 
kaliprobe  gewöhnlich  eineji  roten  oder  violetten  Färben¬ 
ton,  nur  ausnahmsweise  blieb  jede  Färbung  aus. 

Der  Mageninhalt  zeigt  somit  beim  chroni¬ 
schen  Vlagenkatarrh  mit  Ausnahme  des  reich¬ 
lichen  Schleimgeha  Ites  im  Speisebrei  keinerlei 
typische  .Merkmale. 

Die  A z i  d  i  t ä  t V e r h ä  1 1  n i  s  s e  sind  im  ganzen 
ä  h  n  1  i  c  h  wie  hei  d  e  r  AI  e  h  r  z  a  h  1  der  i’i  h  r  i  g  e  n  AI  a  g  e  n- 
erkrankungen;  doch  sind  höhere  Aziditätswerte 
für  Azidität  zahlreich  vertreten.  Suhazidität 
findet  sich  nur  selten. 

Aus  den  geschilderten  Befunden  geht  hervor,  daß 
beim  chronischen  Ala  genkatarrh  nicht,  wie  man 
bisher  ziemlich  allgemein  a  n  g  e  nom  m  e  n  h  a  t,  eine 
Tendenz  zur  Ahnahme  der  Azidität  besteht; 

(1  a  r  a  u  s  1  ä  ß  t  s  i  c  h  s  c  h  ließen,  d  a  ß  d  i  e  s  e  Erk  r  a  n  k  u  n  g 
keineswegs  häufig,  sondern  nur  ausnahms¬ 
weise  mit  einer  tiefgreifenden  Destruktion  des 
D  r  ü  se  n  appa  ra  t  es  einhergeht.  Das  häufige  Vorkom¬ 
men  hoher  Aziditätsgrade  spricht  eher  dafür,  daß  beim 
chronischen  Magenkatarrh  ein  andauernder  Reizzustand  be- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


2o6 


slehl,  der  eine  Steigej'img  der  JSekredüiisUUigkeil  zur 
Folge  hat. 

Daß,  wie  niaiiche  aiiiielniieii,  die  Hyi)erazidi(äl  einen 
Magenkatarrli  zur  Folge  Jiaben  könne,  (iahe  icli  nicht  für 
wahrscheinlich;  die  Tatsache,  daß  unter  den  von  mir  in 
meiner  erwähnten  Arbeit:  Ueher  Hyperazidität,  angeführ¬ 
ten  164  Fällen  von  Hyperazidität  des  Mageniidialtes  sich 
nur  zwölf  Fälle  (7-9^/o)  von  Magenkatarrh  fanden,  also 
relativ  weniger  als  unter  sonstigen  Verhältnissen,  spricht 
an  und  für  sich  gegen  diese  Annalime.  Auch  der  Ein¬ 
wand,  daß  der  hohe  Säuregehalt  die  Vertlauung  des 
Schleimes  befördern  könne,  wodurch  sich  dieser  leicht  dem 
Nachweis  entziehe,  winl  durch  jene  zahlreichen,  bereits 
oben  erwähnten  ßcohachtungen  entkräftet,  bei  denen  höhere 
Säurewerte  mit  reichlichem  Schleimgehalt  eiiüiergehen. 

Wir  gellen  nun  zur  Besprechung  der  Therapie  über. 
Voi'her  seien  mir  jedoch  einige  Bemerkungen  über  die  Be¬ 
handlung  der  Magenerkranknngen  im  allgemeinen  gestattet. 

Die  Aufstellung  von  Behandlnngsschemen  ist  nirgends 
weniger  angezeigt,  als  gerade  bei  Erkrankungen  des  Magens, 
da  bekanntlich  auch  dort,  wo  es  sich  inn  pathologische 
Zustände  hanidelt,  die  auf  der  gleichen  anatomischen  oder 
funktionellen  Grundlage  beruhen,  kaum  jemals  ein  Fall  dem 
anderen  gleicht,  sondern  jeder  einzelne  seine  Besonderheiten 
darbietet,  und  individuelle  Eigentümlichkeiten  und  Bedürf- 
nfsse  zeigt,  denen  bei  der  Behandlung  Rechnung  getragen 
werden  muß.  Ganz  besonders  gilt  dies  für  die  bei  der  Be- 
liandlung  Viagenkranker  in  erster  Linie  in  Betracht  kom¬ 
mende  diätetische  Behandlung;  aus  diesem  Grunde  ist  die 
noch  immer  in  den  Lehrbüchern  so  beliebte  Aufstellung  von 
Diätschemen  für  jede  einzelne  Erkrankungsform  keineswegs 
angebracht.  Allgemeine  diätetische  Verordnungen  sind 
selbstverständlich  für  jede  spezielle  Erkrankung  erforderlich, 
aber  jede  einzelne  Kranke  bedarf  eines  besonderen  Speise¬ 
zettels.  Eine  Ausnahme  machen  die  akuten  Erkrankungen 
des  VTagens,  sowie  das  Auftreten  gewisser,  das  Krankheits¬ 
bild  beherrschender  Komplikationen,  z.  B.  VTagenhlntungen ; 
hier  ist  das  Schema  am  Platze. 

Das  Gesagte  gilt  natürlich  in  noch  höherem  Vlaße  für 
eine  Erkrankung,  welche,  wie  die  vorliegende,  keinerlei 
Typus  im  Krankheitsbilde  erkennen  läßt.  Die  Aetiologie, 
die  Symptome,  das  individuelle  Verhalten  im  einzelnen  Fall, 
sowie  auch  insbesondere  dus  Ergebnis  der  Vlageninhalts- 
untersnchimg  werden  uns  zur  Richtschnur  für  unser  thera¬ 
peutisches  Vorgehen  dienen. 

Die  ätiologische  Therapie  (für  welche  die  angeführten 
Fälle  allerdings  nur  dürftige  Anhaltspunkte  lieferten)  wird 
sich  auf  Hintanhaltung  jener  Schädlichkeiten  ersi recken 
müssen,  die  in  den  gegebenen  Fällen  oder  erfahmngsgemäß 
einen  chronischen  Reizzustand  der  V'fagenschleimhaut  unter¬ 
halten  können  (Alkohol,  Tabak,  starke  Gewürze,  mangel¬ 
haftes  Kauen  und  alle  in  Betracht  kommenden  Nachteile  der 
gewohnten  Ernährungsweise).  Bei  der  diätetischen  Therapie 
wird  die  Art  der  vorhandenen  Beschwerden,  ihre  Abhängig¬ 
keit  von  der  Mahlzeit,  sowie  die  Beschaffenheit  des  Magen¬ 
inhaltes,  sein  Chemismus,  seine  Menge,  die  Art  der  Chymi- 
fikation  des  Speisebreies  usw.,  ins  Auge  gefaßt  werden 
müssen.  Von  diesen  Faktoren  wird  auch  die  Anwendung 
der  Alkalien,  der  Stomachika  und  Narkotika  abhängig  zu 
machen  sein;  vom  Gebrauche  der  letzteren  konnte  in  vielen 
Fällen  Umgang  genommen  werden,  da  durch  eine  geeignete 
Diät,  soAvie  auch  durch  Zuhilfenahme  der  Applikation 
feuchter  oder  trockener  Wärme  auf  die  VTagengegend  (even¬ 
tuell  auch  durch  Anwendung  von  Alkalien)  eine  baldige 
Linderung  oder  Beseitigung  der  Schmerzsymptome  in  der 
VTehrzahl  der  Fälle  erziel!  werden  konnte. 

Ausspülung  des  Magens  wurlden  nur  dort  vorgenom¬ 
men,  wo  Gärungserscheinungen  oder  Verd:nnmgsrück- 
slände  im  nüchternen  VTagen  nachzuweisen  Avaren. 

Vlit  Vorliebe  Amrordne  ich  bei  der  genannten  Er¬ 
krankung  den  Gebrancli  von  Vlinerahvässern.  Ich  habe 
dabei  keinesAvegs  die  übrigens  Amrschieden  beurteilte 
MTrkung  dieser  Wässer  auf  die  Magensaftabsonderung 


im  Auge;  diese  Frage,  welche  neuerdings  von  meh¬ 
reren  Seilen  auf  experimentellem  Wege  zu  lösen 
versiiciit  AAurden  ist,  hat  für  die*  geschilderle  Erkrau- 
kungsform  Aveniger  Bedeutung;  in  Betracht  kommt  hier 
vielmehr  die  schleimlösende  Wirkung  des  warmen  alkali¬ 
schen  AVassers  (ich  vei’Avende  ausschließlich  warmes  Karls¬ 
bader  Wasser)  für  jene  wohl  die  Vlehrzahl  bildenden  Fälle, 
bei  denen  die  Schleimhaut  des  nüchternen  Magens  mit  einer 
zähen  Schleimschicht  bedeckt  ist  die  ohne  Zweifel  auf  jene 
einen  schädlicheji  Reiz  ausübt,  und  Aurmutlich  ebenso  eine 
Quelle  des  morgendlichen  Brechreizes  oder  Erbrechens 
bildet,  Avie  die  so  häufig  den  Viagenkatarrh  begleitende 
Pharyngitis  ;  auch  bei  dieser  befördert  das  nüchtern  getrunkeiu' 
Avaiane  alkalische  AVasser  eine  Wegschaffung  des  über  Nacht 
angesammelten  zähen  Rachenschleimes.  Die  Behandlung  der 
Pharyngitis  betrachte  ich  überhaupt  als  ein  Avesentliches 
Frfordernis  der  Therapie  des  chronischen  Viagenkatarrhs, 
da  anhaltender  Brechreiz  und  Erbrecheji,  Avelche  Symptome 
durch  eine  solche  Komplikation  häufig  hervorgerufen 
Averden,  an  und  für  sich  einen  chronischen  Reizziistand 
der  ohnehin  schon  erkrankteji  VlageiiAvand  erzeugen  können, 
Avelcher  für  den  Verlauf  der  Erkrankung  nicht  gleichgültig 
sein  kann.  Ich  stehe  deshalb  auch  nicht  an,  in  solchen  Fällen, 
selbst  dort,  avo  eine  Vlineralwasserkur  aus  anderen  Grün¬ 
den  kontraindiziert  ist,  Avie  z.  B.  bei  Stauungs- und  Gärungs¬ 
prozessen,  ein  Quantum  bis  200  enU  (bei  häuslicher  Trink¬ 
kur)  einnehnien  zu  lassen. 

Fndlich  bedarf  es  Avohl  keiner  speziellen  Betonung, 
daß  die  fast  regelmäßige  Obstipation  eine  besondere  thera- 
l)eutische  Berücksichtigung  erfordert . 

Ueher  den  unter  Einhaltung  dieser  Behandlungsprin¬ 
zipien  beobachteten  Krankheitsverlauf  kann  ich  nur  soviel 
sagen,  daß  ich  in  einer  größeren  Anzahl  von  Fällen  nicht 
selten  ein  rasches  ScliAvinden  der  meisten  BescliAverden 
feststellen  komite.  Die  Beschränkungen,  Avelche  ambula- 
torisclie  Beobachtungen  in  dieser  Hinsicht  auferlegen,  ge¬ 
statteten  es  nur  in  Avenigen  Fällen  ,  nach  A  blauf  einer  ge- 
Avissen  Zeit  eine  neuerliche  Kontrolle  des  Vlageninhalts- 
befundes  A^orzunehmen.  Ein  abschließendes  Urteil  über 
das  Ergebnis  einer  solchen  muß  künftigen  ITntersuchungen 
Vorbehalten  bleiben. 

Literatur: 

0  Leu  be,  Krankheiten  des  Magens.  Ziemssens  Handbuch  der 
speziellen  Pathologie  und  Therapie  1878,  Bd.  7,  2.  —  Riegel,  Die 
Erkrankungen  des  Magens.  Nothnagels  Handbuch  1897,  Bd.  16,  2.  Teil. 
—  0  Saito,  Zur  pathologischen  Physiologie  der  durch  Aetzung  erzeugten 
S(  hleimhanterkrankung  des  Magens.  VirchoAVS  Archiv  1906,  Bd.  185.  — 
0  E.  Schütz,  Heber  örtlich  sekretionshemmende  und  sekretionserregende 
Wirkung.  Arch.  f.  exp.  Path.,  Bd.  27.  —  ®)  Bickel,  Zur  pathologischen 
Physiologie  des  Magenkatarrhs.  Arch.  f.  klin.  MeV  1906,  Bd.  89.  — 
Käst,  Experimentelle  Beiträge  zur  Wirkung  des  Alkohols  auf  den 
Magen.  Arch.  f.  Verdauungskrankh.  1906,  Bd.  12,  6.  —  Pewsner, 
Zur  Frage  der  Schleimabsonderung  im  Magen.  Berliner  klin.  Wochen¬ 
schrift  1907,  2  und  3.  —  ®)  E.  Schütz,  Untersuchungen  über  den  Magen- 
schleitn.  Arch.  f.  Verdauungskrankh.  1905/06,  Bd.  11,  Heft  5  und  6.  — 
®)  A.  Schmidt,  Heber  die  Schleimabsonderung  im  Magen.  Arcb.  f.  klin. 
Medizin,  Bd  57.  —  Schilling,  Die  Diagnose  des  chronischen 
Magenkatarriis.  Wiener  klin.  Rundschau  1906,  Nr.  24.  —  E.  Schütz, 
Heber  Hyperazidität.  Wiener  med.  Wochenschr.  1906,  46  bis  49. 


Aus  der  dermatologisch-syphilidologischen  Abteilung 
des  k.  k.  Krankenhauses  Wieden  in  Wien.  (Vorstand : 

Prof.  Dr.  S.  Ehrmann.) 

Zur  Kenntnis  des  Molluscum  contagiosum. 

Von  Dr.  B.  LipscliUtz. 

In  den  folgenden  Zeilen  erlaube  ich  mir  in  Form  einer 
vorläufigen  Vlitteihmg  über  mikrosko])is(die  Unfersnclnmgen 
zu  berichten,  die  ich  bei  Vlollusca  contagiosa  des  Vlensclien 
seit  September  1906  vorgeiiomimm  habe,  um  bei  dem  axu’- 
bältnismäßig  seltenen  Vorkommen  dieser  Affekt ion  in  unse¬ 
rem  ambulatorischen  und  Krankeidiausmaterial  die  von  mir 
beol)a(dd(‘ten  Tatsaclien  schon  j(‘tzt  zu  fixiei’en. 

Von  der  AMraussetziiug  ausgehend,  daß  • —  Avie  dies  auch 
Remlinger  vor  kurzer  Zeit  in  einem  interessauten  Aufsatz 
ausgefülirt  hat  —  filtriei'hare  und  imsichtbare  Vlikroorgauis- 


254 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


men  durchaus  nicht  identischer  Natur  sein  müssen,  hatte  ich 
mir  vorgenommen,  trotz  aller  bis  heute  vorliegenden  nega¬ 
tiven  Resultate,  nochmals  eine  Reihe  von  Mollusca  conta¬ 
giosa  einer  genauen  mikroskopischen  Untersuchung  zu  unter¬ 
werfen,  dabei  aber  mich  nicht  histologischer  Untersuchungs¬ 
methoden,  sondern  der  für  die  Erforschung  von  Infektions¬ 
krankheiten  klassischen  Methode  der  Untersuchung  im  nati¬ 
ven  Präparat  und  im  gefärbten  Deckglasausstrich  zu  be¬ 
dienen.  Meine  Voraussetzung  hat  durch  das  Auffinden 
kleinster,  morphologisch  und  tinktoriell  wohl  charakteri¬ 
sierter  Gebilde  im  Inhalt  von  bisher  verarbeiteten  sieben 
einzelnen  Molluska,  die  ich  von  drei  verschiedenen  Personen 
gewonnen  hatte,  Restätigung  gefunden. 

Was  die  Technik  der  Untersuchung  betrifft,  so  wurde 
folgendermaßen  vorgegangen :  Es  wurde  entweder  das  in  toto 
flach  exzidierte  Molluskum  oder  nur  der  ausgedrückte  Inhalt 
in  einer  sterilen  Reibschale  mit  einigen  Ti''opfen  destillierten 
Wassers  oder  physiologischer  steriler  Kochsalzlösung  fein 
verrieben  und  mit  der  Emulsion  einerseits  Untersuchungen 
im  nativen  Präparat  ausgeführt,  anderseits  in  Alcohol  ab- 
solutus  oder  in  Alcohol  absolutus  und  Aether  ana  fixierte 
dünnste  Deckglasausstriche  verschiedenen  Färbungsmethö- 
den  unterworfen. 

Die  nach  gewissen,  weiter  unten  in  Kürze  zu  erwäh¬ 
nenden  Färbungen  hergestellten  Präparate  zeigten  überein¬ 
stimmend  folgenden  Befund ;  Bei  der  Untersuchung  mit 
Zeißscher  Apochromatlinse  2  mm,  Apertur  1-30  und  Kom¬ 
pensationsokular  4  findet  man  im  ganzen  Gesichtsfeld 
kleinste,  punktförmig  erscheinende,  gleich  große,  gut  ge¬ 
färbte  und  —  bei  gelungener  Färbung  —  von  dem  hellen 
Untergrund  sehr  scharf  sich  abhebende  Elemente.  Bei  Ver¬ 
wendung  stärkerer  Okulare  (8,  12  und  18)  und  Lampenlicht 
lassen  sich  dieselben  näher  ins  Auge  fassen :  Man  erkennt 
am  mikroskopischen  Bilde  rundliche  oder  auch  vollkommen 
kreisrunde,  homogen  gefärbte,  de  facto  kugelige  Gebilde,  die 
keinerlei  Fortsätze  oder  Geißeln  aufweisen.  In  der  Regel 
sind  sie  einzeln  gelegen,  ihre  Zahl  ist  in  gut  gefärbten 
Präparaten  eine  außerordentlich  reichliche.  An  einzelnen 
Stellen  des  Gesichtsfeldes  sieht  man  ferner  je  zwei  dieser 
Gebilde  dicht  nebeneinander  nach  Art  eines  Diplokokkus 
gelegen,  wobei  manchmal  nur  bei  schärfster  Einstellung 
und  genauester  mikroskopischer  Betrachtung  die  Auflösung 
in  zwei  gleich  große  Einzelgebilde  wahrnehmbar  ist;  endlich 
sieht  man,  jedoch  selten,  auch  drei  Individuen  reihenförmig 
angeordnet.  Von  etwaigen  Verunreinigungen  des  Präparates 
oder  Niederschlägen,  die  durch  die  gleich  zu  besprechende 
Färbungsart  oft  bedingt  sein  können,  sind  die  beschriebenen 
Elemente  sehr  leicht  von  jedem  mikroskopisch  Geübten  zu 
differenzieren. 

Die  Größe  eines  jeden  dieser  gleich  großen  Elemente 
beträgt  nach  genauen  Messungen  an  gefärbten  Präparaten 
ca.  0-25  P  im  Durchmesser,  also  etwa  mit  dem  Breitendurch¬ 
messer  des  kleinsten  Bakteriums,  des  Influenzabazillus,  über¬ 
einstimmend. 

Tinktoriell  sind  die  beschriebenen  Elemente  da¬ 
durch  gekennzeichnet,  daß  sie  durch  gewöhnliche  Färbun¬ 
gen  entweder  überhaupt  nicht  oder  ungemein  blaß,  schatten¬ 
haft  und  in  geringer  Zahl,  hingegen  vorzüglich  durch  die 
für  die  Darstellung  von  Geißeln  verwendeten  Methoden  zur 
Anschauung  gebracht  werden  können.  Negative  Resultate 
ergaben  daher  des  öfteren,  beispielsweise  10  Sekunden 
langes  Färben  in  Karbolfuchsin,  20  Minuten  in  Löf  fl  er¬ 
schein  Methylenblau,  drei  Stunden  in  Kresylechtviolett  oder 
Färben  in  Karbolfuchsin  durch  Erwärmen  über  dem  Bunsen¬ 
brenner.  ln  solchen  Präparaten  sieht  man  zwar,  wie  dies 
eben  bei  der  Verarlieitung  eines  jeden  zelligen  Materiales 
der  Fall  ist,  hie  und  da  im  Gesichtsfeld  ein  oder  mehrere 
Granula,  die  jedoch  bei  einiger  Uebung  mit  den  von  mir 
gefundenen  kleinsten  Gebilden  nicht  verwechselt  werden 
können.  Ausgezeichnete  Resultate  ergab  die  Geißelfärbungs¬ 
methode  nach  Löffler,  ferner  zweistündiges  Färben  in 
v'erdünnter  G  iemsa-Lösung  bei  56®  und  schließlich  als 
die  allerschnellste  Methode  das  von  B  e  n  i  g  n  e  1 1 i  und  G i  n  o 


zur  Darstellung  von  Geißeln  empfohlene  Färbungsverfahren 
(alkoholische  Gentianaviolettlösung  mit  Zusatz  beizender 
Substanzen :  Tannin,  Alaun  und  Zinksulfat).  Die  kleinen 
Elemente  sind  Lei  dem  ersterwähnten  Verfahren  deutlich 
bis  leuchtend  rot,  bei  dem  zweiten  rosarot,  bei  dem  letzten 
bläulichviolett  gefärbt. 

Dieselben  Elemente,  die  im  gefärbten  Deckglasaus¬ 
strich  klar  und  deutlich  hervorgetreten,  konnte  ich  bei  in¬ 
tensiver  Beleuchtung  und  genauester  Untersuchung  auch  im 
nativen  Präparat  auffinden,  wo  sie,  bei  halb  geschlossener 
Blende,  als  kleinste,  dunkle  Pünktchen  erscheinen.  Endlich 
hatte  ich  Gelegenheit  in  einem  vor  kurzer  Zeit  untersuchten 
Falle,  nachdem  mir  die  Gebilde  im  gefärbten  Präparat  schon 
genauestens  bekannt  waren,  dieselben  auch  im  Ultramikro¬ 
skop  (Reichert)  nachzuweisen.  Sie  erscheinen  dabei  als 
helle,  nicht  glitzernde,  sondern  rein  weiße,  rundlich  kugelige, 
von  dem  dunklen  Gesichtsfeld  sehr  scharf  sich  abhebende, 
in  der  Regel  einzeln  gelegene,  hie  und  da  auch  zu  Diplo- 
fomien  zusammentretende  feinste  Körperchen,  die,  was  ich 
besonders  betonen  will  —  und  dasselbe  gilt  auch  für  das 
gewöhnliche  native  Präparat  —  keine  Spur  von  Beweg¬ 
lichkeit  zeigen.  Außer  diesen  Elementen,  deren  Zahl  eine 
überaus  große  ist,  ließen  sich  keine  weiteren  Gebilde  bei 
der  ultramikroskopischen  Untersuchung  wahrnehmen.  Auch 
möchte  ich  hier  hinzufügen,  daß  sie  keinerlei  Aehnlichkeit 
mit  den  lebhaft  tanzenden  und  leicht  glitzernden  Körperchen 
aufweisen,  die  wir  bei  der  ultramikroskopischen  Betrachtung 
des  Blutes  Luetischer  und  Nichtluetischer  häufig  zu  beob¬ 
achten  Gelegenheit  haben. 

Diese  hier  beschriebenen  Gebilde  konnte  ich  bisher  nur 
in  den  Mollusca  contagiosa  nachweisen,  während  Kontroll- 
untersuchungen,  die  ich  mit  Vakzine,  mit  Condylomata  acu¬ 
minata  und  Portiokarzinomen  ausführte,  durchaus  negativ 
ausfielen.  Die  Zahl  der  Kon  troll  versuche  ist  aber  bisher 
noch  keine  sehr  große  und  müssen  daher  dieselben  weiter 
fortgesetzt  werden. 

Ich  habe  die  beschriebenen  Elemente  mit  keiner  be¬ 
sonderen  Bezeichnung  belegt  und  enthalte  mich  auch  vor¬ 
läufig  jeder  Aeußerung  bezüglich  ihrer  eventuellen  Bedeu¬ 
tung,  da  wir  uns  damit  begnügen  wollen,  das  von  uns  tat¬ 
sächlich  Beobachtete  mitzuteilen;  weitere  Schlüsse  werden 
aus  Untersuchungen  abzuleiten  sein,  mit  deren  Ausführung 
wir  uns  demnächst  beschäftigen  werden. 

Schließlich  erachte  ich  es  für  notwendig,  um  jedem 
Mißverständnis  vorzubeugen,  hier  noch  anzuführen,  daß  nach 
einem  im  Jänner  1907  im  Bulletin  de  Einst.  Pasteur  erschie¬ 
nenen  Referat  Casagrandi  bereits  im  Juli  1906  in  einer 
Arbeit  (erschienen  in  den  Boll.  d.  soc.  tra  i  cultori  d.  Soc. 
med.  e  inat.  in  Cagliari),  die  bisher  weder  in  die  deutsche, 
noch  in  die  französische  Literatur  Eingang  gefunden  hatte, 
mitteilt,  in  dem  durch  Berkefeld-Filter,  Marke  W,  ge¬ 
wonnenen  Filtrat  von  zerriebenen  Mollusca  contagiosa  kleine 
bewegliche  Körperchen  nachgewiesen  zu  haben,  die  mit 
gewöhnlichen  Farbstoffen  (Löfflers  Methylenblau, 
Karbolfuchsin  etc.)  leicht  darstellbar  sind  und  längliche 
oder  bimförmige  Gestalt  aufweisen. 

Aus  dieser  Beschreibung  C  a  s  a  g  r  a  n  d  i  s  ergibt  sich  klar, 
daß  zwischen  den  von  mir  gefundenen  Elementen  und  den 
von  diesem  Autor  beschriebenen  nicht  der  geringste  Zu¬ 
sammenhang  bestehen  kann.*) 

Aus  der  Universitäts-Klinik  für  Geschlechts-  und  Haut¬ 
krankheiten  in  Wien.  (Vorstand;  Prof.  Ernest  Finger.) 

lieber  die  Schicksale  des  intramuskulär 
injizierten  Hydrargyrum  salicylicum. 

Von  Privatdozenten  Dr.  Leopold  Freund,  Assistenten  der  Klinik. 

lieber  den  Wert  und  die  Vorteile,  welche  die  Behand¬ 
lung  der  Syphilis  mittels  Injektionen  unlöslicher  Qneck- 

*)  In  einer  späteren  Arbeit,  der  ich  auch  Abbildungen  beigeben 
werde,  wird  die  gesamte  auf  die  Aetiologie  des  Molluscum  contagiosum 
bezugnehmende  Literatur  berücksichtigt  werden. 


Nr.  9 


25o 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


silberijräparate  bietet,  ist  man  schon  seit  langem  einig.  ; 
Die  Ansichten  der  meisten  Syphilidologen  hierüber  spiegeln  | 
sich  in  den  Worten  Fingers;  ,,Die  Methode  der  Injektion  I 
unlöslicher  Salze  beruht  auf  dem  Prinzip,  größere  Mengen  { 
unlöslicher  Quecksilberverbindungen  an  gewissen  Stellen  ! 
im  Organismus  subkutan  zu  deponieren  und  nun  durch 
die  Zirkulation  die  allmähliche  Resorption  derselben  be¬ 
sorgen  zu  lassen.  Die  Möglichkeit,  jeweils  größere  Mengen 
des  Präparates  zu  injizieren,  von  dem  also  auch  größere, 
Quantitäten  zur  Resorption  kommen,  der  Umstand,  daß  von 
dem  durch  die  einmalige  Injektion  gesetzten  Depot  allmäh¬ 
lich  durch  längere  Zeit  Quecksilber  aufgenommen  wurde, 
ermöglicht  eine  energischere  (in  vielen  Fällen  überraschend 
schnelle,  ja  nach  Le  loir  sogar  brutale)  Merkurialisierung 
mit  gleichzeitiger  protrahierter  Resorption,  also  auch  größere 
Remanenz  des  Quecksilbers  in  der  Zirkulation.  Die  Mög¬ 
lichkeit,  ein  größeres  Quantum  auf  einmal  zu  injizieren, 
bedingt  aber  auch  weiters  die  Möglichkeit,  die  Injektion 
nicht  täglich,  sondern  in  größeren  Intervallen,  wöchentlich 
einmal,  vorzunehmen,  also  eine  wesentliche  Bequemlich¬ 
keit  für  Patient  und  Arzt.“ 

Man  hält  die  Methode  für  wissenschaftlicher  als  die 
Inimktions-  und  die  interne  Behandlung  der  Syphilis  mit 
Quecksilber,  da  sie  eine  genauere  Dosierung  des  Medika¬ 
mentes  gestattet;  man  hält  sie  aber  auch  für  ener¬ 
gischer,  weil  man  bei  den  Injektionen  mit  wenig  viel 
leistet,  das  heißt  wegen  des  relativ  hohen  Quecksilber¬ 
gehaltes  der  unlöslichen  Salze  schon  mit  kleipen  Dosen  des 
Mittels  ausgesprochene  kurative  Effekte  erzielt.  Die  Me¬ 
thode  ist  praktisch,  weil  man  der  chronischen  syphilitischen 
Vergiftung  des  Körpers  in  dem  Quecksilberdepot  ein  chro¬ 
nisch  wirksames  Mittel,  eine  medikamentöse  Reserve  gegen¬ 
überstellt,  deren  gradatim  erfolgende  Absorption  den  Kör¬ 
per  unter  den  Einfluß  einer  kontinuierlichen  Merkuriali- 
sation  bringt. 

Unentbehrlich  wird  die  Injektionsbehandlung  in  jenen 
Fällen,  in  denen  die  Atrien  der  Haut  (Haarbälge,  Schwei߬ 
drüsen)  teils  angeboren,  teils  erworben  pathologische  Ver¬ 
änderungen  aufweisen  und  daher  das  Eindringen  der  Queck- 
silberkügelcheii  verhindert  ist.  Solches  ist  der  Fall  bei 
Variolanarben,,  Prurigo,  Ichthyosis,  Psoriasis.  Hiezu  kom¬ 
men  noch  die  Vorteile,  daß  die  Methode  den  Spitalsaufent¬ 
halt  der  Patienten  abkürzt,  daß  sie  nur  wenige  Interven¬ 
tionen  des  Arztes  nötig  macht,  daß  sie  die  Kur  verbilligt, 
daß  sie  bloß  in  die  Hände  des  Arztes  gelegt,  ihn  vom  Pa¬ 
tienten  und  Wartepersonal  unabhängig  macht,  jede  List 
derselben  ausschließt  und  reinlich  und  unauffällig  ist. 

Gegenüber  diesen  bekannten,  außerordentlichen  Vor¬ 
zügen  der  Syphilistherapie  mittels  Injektionen  unlöslicher 
Quecksilberpräparate,  in  deren  Anerkennung  die  meisten 
Autoren  übereinstimmen,  haben  sich  auch  mancherlei  Be¬ 
denken  gegen  diese  Methode  geltend  gemacht.  Die  Gefahr, 
daß  man  ein  unkontrollierbares  Depot  von  Quecksilber  in 
den  Körper  bringt,  welches  sich  unter  Umständen  abkapselt, 
um  nach  langer  Zeit  durch  irgendwelche  Ursachen  resorbiert 
zu  werden  und  zu  schweren  Intoxikationserscheinungen 
Veranlassung  zu  geben,  ist  nicht  wegzuleugnen.  Die  An¬ 
nahme,  daß  bei  der  Injektion  unlöslicher  Verbindungen  dem 
Organismus  ganz  allmählich  das  Quecksilber  zugeRihrt  und 
man  dadurch  vor  einer  unvermutet 'auf tretenden  Intoxika¬ 
tion  geschützt  ist,  ist  durchaus  nicht  stichhaltig,  da  gerade 
gegenteilige  Beobachtungen  vorliegen,  welche  den  Beweis 
liefern,  daß  in  Fällen,  die  im  vorhinein  ganz  unberechen¬ 
bar  sind,  schon  wenige  Injektionen  die  schwersten  Intoxi¬ 
kationserscheinungen  hervorzurufen  vermögen.  E.  Finger 
hat  wiederholt,  wenn  auch  selten,  Fälle  beobachtet,  bei 
denen  regelmäßig  nach  jeder  Injektion,  die  am  Nachmittag 
vorgenommen  wurde,  am  Abend  etwas  Fieber  und  in  der 
Nacht  ein  Anfall  von  Enteritis  mit  kolikartigen  Schmerzen 
und  zahlreichen  wässerigen,  ja  selbst  blutigen  Stuhlent¬ 
leerungen  vorkamen,  welche  Anfälle  am  nächsten  Tage 
vollständig  abgelaufen  waren,  sich  aber  bei  der  nächsten 
Injektion  wiederholen  konnten.  Es  spricht  dies  dafür,  daß 


bei  manchen  Fällen  und  unter  unbekannten  Verhältnissen 
eine  raschere  und  reichlichere  Aufnahme  von  Quecksilber 
stattfinden  muß.  Auch  M.  v.  Zeißl  erwälint  einen  Fall, 
bei  dem  bei  vorsichtiger  Injektion  einer  Kalomelemulsion 
(er  spritzte  jedesmal  010  Kaloniel  in  der  ursprünglichen 
Formel  Scarenzios  ein)  hach  jeder  Injektion  Schwindel, 
Uebelkeit,  Brechreiz  und  Di  aalioe  auftraten  und  während 
des  Verlaufes  der  Behandlung  der  Kranke  wesentlich  ab¬ 
magerte.  Der  betreffende  Mann  hatte  im  Verlaufe  von  sechs 
Wochen  vier  Injektionen,  im  ganzen  0-40  Kalomel,  erhalten. 
Die  Injektionen  waren  am  ersten  und  siebenten  Tage  der 
ersten  Woche,  am  ersten  Tage  der  vierten  und*  am  ersten 
Tage  der  sechsten  Woche  unter  antiseptischen  Kautelen 
mit  frisch  bereiteter  Emulsion,  in  die  Glutäalmuskulatur 
gemacht  worden.  Da  die  oberi  geschilderten  Symptome  nach 
jeder  der  vier  Injektionen  auftraten,  so  ist  man  doch  sicher 
berechtigt,  zu  sagen,  daß  dieselben  durch  die  Injektionen 
veranlaßt  wurden.  Bei  dem  Kranken  wurde  wegen  einer 
14  Tage  nach  Abschluß  der  Injektionen  aufgetretenen  Iritis 
eine  Schmierkur  ausgeführt,  welche  er  anstandslos  ver¬ 
trug.  Aehnliche  Beobachtungen  wurden  auch  von  anderen 
Autoren  gemacht.  Wenngleich  derartige  nachteilige  Folgen 
der  Injektionen  unlöslicher  Quecksilberpräparate  selten  und 
da  zumeist  auf  eine  unrichtige  Technik  der  Injektion  oder 
unzweckmäßige  Wahl  des  Medikamentes  zurückgeführt 
werden  können,  so  ist  doch  in  Anbetracht  der  Tatsache,  daß 
die  verschiedenen  Individuen  gegen  Quecksilber  verschieden 
empfindlich  sind,  die  theoretische  und  praktische  Möglich¬ 
keit  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  bei  dem  einen 
oder  anderen  Individuum  von  einem  Tage  zum  anderen 
größere  Mengen  des  Quecksilberdepots  in  seinem  Körper 
resorbiert  würden,  als  zweckmäßig  wäre,  als  der  Arzt  in 
seinem  therapeutischen  Plane  beabsichtigen  würde. 

Wir  wissen  nicht,  i]i  welchem  Zeitraum  das  ganze 
zur  Injektion  gelangte  Quantum,  wir  wissen  nicht,  wieviel 
am  ersten,  wieviel  an  den  folgenden  Tagen  davon  zur  Re¬ 
sorption  kommt.  Es  ist  uns  unbekannt,  ob  die  Absorption 
des  Quecksilbers  allmählich,  methodisch  oder  ungleichmäßig, 
rapid,  mit  einem  Schlage  erfolgt;  wir  können  nicht  kon¬ 
trollieren,  ob  sich  das  injizierte  Quecksilber  mit  einem  ent¬ 
zündlichen  Infiltrat  umgibt,  sich  einscheidet  und  in  diesem 
Falle  vollständig  nutzlos  bleibt.  Ohne  all  das  zu  wissen, 
vertrauen  wir,  wie  Fournier  bemerkt,  mit  dem  frommen 
Wunsche,  er  möge  damit  keinen  Mißbrauch  treiben,  dem 
Körper  eine  tüchtige  Portion  Quecksilber  an  und  überlassen 
es  ihm  selbst,  die  allmähliche  oder  abrupte  Entnahme  ein¬ 
zelner  Rationen  von  diesem  Depot  zu  regeln.  Ganz  unbe¬ 
rechenbare  Zufälle  können  den  Modus  der  Absorption  be¬ 
einflussen,  beschleunigen  oder  verlangsamen,  ohne  daß  der 
Arzt  bisher  davon  Kenntnis  gehabt  hätte,  ohne  daß  er  im¬ 
stande  gewesen  wäre,  die  Absorption  nötigen  Falles  zu 
unterbrechen. 

Es  hat  allerdings  nicht  an  Männern  gefehlt,  welche 
sich  alle  diese  Fragen  vorgelegt  hatten  und  an  die  Lösung 
derselben  heran  getreten  sind.  Diese  ist  aber  nur  zum  kleinen 
Teile  gelungen.  Die  betreffenden  Arbeiten  Jadassohns 
und  Zei sings,  Wolters,  Julliens,  Allgeyers,  Audry  s 
und  Pezzolis  befaßten  sich  zumeist  mit  der  histologischen 
Untersuchung  menschlicher  IMuskelteile,  in  welche  16  Tage 
bis  zu  drei  Jahren  vorher  die  Quecksilberinjektion  gemacht 
worden  war.  Nach  so  langen  Zeiträumen,  clie  seit  den 
Injektionen  verstrichen  waren,  konnte  selbstverständlich 
über  die  allmählichen  Wandlungen,  welche  die  injizierten 
Präparate  in  den  Geweben  erfahren  hatten,  wenig  ermittelt 
werden.  Hingegen  sind  die  anatomischen  Veränderungen, 
welche  die  injizierten  unlöslichen  Quecksilberpräparate  im 
subkutanen  und  im  Muskelgewebe  hiebei  erzeugt  hatten, 
recht  genau  studiert  worden  und  haben  wir  namentlich 
aus  der  gründlichen  Arbeit  Pezzolis  aus  dem  Finger 
sehen  Ambulatorium  ein  klares  Bild  hierüber  bekommen 
Aus  derselben  ist  zu  entnehmen,  daß  die  injizierten  Queck¬ 
silberpräparate  in  zweifachem  Sinne  örtlich  wirkten ;  Erstens 
mechanisch,  nämlich  durch  das  gewaltsame  Eindringen  der 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


liijekti'onsmasse  nicht  nur  in  sclion  vorlumdene  Spalträumc 
und  J^yniplibahnen,  sondern  auch  in  die  Gewebe,  durch 
deren  Auseinanderdrängung  Hohlräume  entstehen;  zweitejis 
chemisch,  indem  die  Gewebe,  welche  mit  der  Injektions¬ 
masse  in  Berührung  kamen,  teils  der  Nekrose  (wachsigen 
Degeneration)  anheimfielen,  teils  entzündliche  Veränderun¬ 
gen  (fibrinöse  Exsudalion,  zelliges  Infiltrat,  Granulations¬ 
gewebe)  durchmachen.  Von  der  Injektionsstelle  wird  die 
Injektionsmasse  durch  Muskelkontraktionen  nach  rechts  und 
links  durch  die  Lymphspalten  getrieben  und  so  entstehen 
an  Lokalisation,  weit  entfernt  von  der  ersten  Injektions¬ 
stelle,  Hohlräume,  welche  mit  der  Injektionsmasse  gefüllt 
sind.  Diese  erzeugt  als  Fremdkörper  wieder  Entzündung 
und  an  Stelle  der  zugrunde  gegangenen  Muskulatur  ent¬ 
stehen  Narben. 


Fig.  1. 

Chotzen  fand  bei  der  Untersuchung  einer  walnuf3r 
großen  Glutäalgeschwulst,  welche  nach  einer  vor  sechs 
Jahren  gemachten  subkutanen  Injektion  von  Hydrargyrum- 
thymolikum  zurückgeblieben  war,  innerhalb  einer  mächtigen, 
bindegewebigen  Kapsel,  welche  als  Endprodukt  hochgradi¬ 
ger  Entzündung  zurückgeblieben  war,  zahlreiche  einzelne 
und  noch  in  Gruppen  geordnete  Quecksilberthymolkristall¬ 
reste  jener  vor  sechs  Jahren  injizierten  Quecksilbermenge. 
Bei  Injektionsversuchen  ergab  sich  dasselbe  Bild  zwischen 
dem  achten  und  vierzehnten  Tage.  Chotzen  nimmt  nach 
dem  mikroskopischen  Bilde  an,  daß  diese  Resorptionshem- 
niung  in  der  mechanischen  Kompression,  sowie  in  der  endo- 
arteriellen  Veränderung  der  subkutanen  Gefäße  liege. 

Einige  Aufschlüsse  über  die  Schicksale  injizierter  un¬ 
löslicher  Quecksilberpräparate  in  den  Geweben  geben  die 
Injektionsversuche  Harttungs  und  S.  Grosz’.  Harttun g 
gibt  an,  daß  bei  Hunden  und  Kaninchen,  denen  er  intra¬ 
muskuläre  Injektionen  mit  Kalomel  machte,  zwei  bis  drei 
Stunden  nach  Einspritzung  des  Kalomels  dieses  in  mehrere, 
allerdings  wenig  räumlich  getrennte  Haufen,  deren  jeder  an 
seinem  Platze  erhebliche  traumatische  Verändenmgen  ge¬ 
schaffen  hatte,  verteilt  war.  Diese  Fortbewegung  des  In- 
jektums  führt  Harttung  auf  die  aktive  Tätigkeit  des  Mus¬ 
kels  zurück.  S.  Grosz  hat  aber  bei  seinen  interessanten 
Experimenten  an  der  Leiche  über  die  Wahl  der  richtigen 
lnj(‘ktionsstelle  festgestellt,  daß  nicht  nur  die  aktive  Muskel¬ 


tätigkeit  den  Transport  des  Depots  besorgt,  sondern  auch 
die  lokale  Beschaffenheit  der  Gewebe,  die  Schwere  und 
der  bei  der  Einspritzung  wirkende  Druck  eine  Fort¬ 
bewegung  des  Injektums  veranlassen  können.  Einen 
Einblick  in  die  Art  und  Weise  der  Resorption,  ob 
sie  allmählich  oder  nur  schubweise  fortschreitet,  gaben 
aber  alle  diese  Untersuchungen  nicht;  die  Ergebnisse 
derselben  sind  ferner  auch  noch  durch  den  Umstand 
unklarer,  weil  sie  zumeist  Gewebe  betreffen,  in  welche  zu 
verschiedenen  Zeiten  mehrere  Injektionen  gemacht  wurden. 
Da  sich  überdies  die  beim  Tiere  und  an  der  Leiche  er¬ 
haltenen  Befunde  wegen  der  geringeren  Widerstandsfähig¬ 
keit,  welche  die  zarte,  resp,  tote  Muskulatur  den  mechani¬ 
schen  und  chemischen  Einwirkungen  des  injizierten  Präpa¬ 
rates  darbietet,  nur  mit  Vorsicht  für  den  lebenden  Menschen 

I 

1, 


Fig.  2. 

anwenden  lassen,  ergab  sich  die  Anregung  zu  weiteren 
Untersuchungen,  welche  eine  bessere  Einsicht  in  diese  nicht 
ganz  klaren  Vorgänge  verschaffen  sollten. 

Das  Mittel,  mit  dem  ein  Einblick,  wenigstens  in  den 
Modus  normal  und  gewöhnlich  verlaufender  Resorptionen 
zu  erreichen  möglich  wäre,  schien  mir  das  Röntgenverfahren 
zu  bieten. 

Da  das  Quecksilber  ein  bedeutend  höheres  Atom¬ 
gewicht  hat  als  die  Haut,  die  Muskulatur  und  das  sub¬ 
kutane  Zellgewebe,  sO'  läßt  es  Röntgenstrahlen  viel  schlechter 
durch  als  jene,  es  wirkt  demnach  schattenbildend  und  wir 
besitzen  in  den  Röntgenstrahlen  ein  Mittel,  um  Quecksilber 
in  den  Geweben  nachzuweisen. 

Mit  Hilfe  dieses  Verfahrens  versuchte  ich  die  Beant¬ 
wortung  folgender  Fragen : 

1.  Welche  Form,  Größe  und  sonstige  Beschaffenheit 
hat  das  injizierte  Depot  des  unlöslichen  Quecksilber- 
präparates  ? 

2.  Auf  welchen  Wegen  und  mit  welcher  Schnelligkeit 
findet  die  Resorption  des  Quecksilbers  statt? 

3.  Nach  welcher  Zeit  ist  die  Resorption  des  Queck¬ 
silbers  vollständig  beendet? 

4.  Läßt  sich  etwas  über  den  Chemismus  der  Reson^- 
tion  des  unlöslichen  Quecksilberpräparates  ermitteln? 

Das  Mittel,  um  über  diese  Fragen  Aufklärung  zu  be¬ 
kommen,  boten  mir  Röntgenaufnahmen  der  injizierten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Körperstellen,  welche  unmittelbar  nach  der  Injektion,  dann 
mehrere  Male  aufeinander  folgend  in  kleineren  und  grö¬ 
ßeren  Zeitabschnitten  vorgenommen  wurden,  um  den  Ver¬ 
lauf  der  Resorption  verfolgen  zu  können.  Die  Untersuchun¬ 
gen  wurden  an  Patienten  der  Klinik,  welche  wegen  Lues 


latur,  sondern  in  den  Muskelwulst  der  lateralen  Fläche  des 
Oberschenkels  gemacht.  Hier,  in  der  Muskulatur  des  Vastus 
niedius  des  Musculus  extensor  cruris  quadriceps  bestand 
die  Gefahr  nicht,  bei  der  Injektion  ein  größeres  Blutgefäß 
oder  einen  wichtigen  Nerven  zu  verletzen ;  an  dieser  Lokali- 


q-  J 


WwMgmm 


wM&m 

fSÄSti 


Fig  3. 


Fig.  4. 


Quecksilberinjektionen  erhielten,  vorgenommen.  Das  in¬ 
jizierte  Präparat,  war  immer  das  Hydrargyrum  salicylicum, 
suspendiert  in  Paraffinum  liquidum  im  Verhältnis  1 : 10. 
Aus  praktischen  Gründen,  weil  eine  Röntgenaufnahme  der 
Olutäalmuskulatur  bloß  einer  Seite  Schwierigkeiten  bietet, 
wurden  bei  den  Fällen,  die  zur  Röntgenphotographie  be¬ 
stimmt  waren,  die  Injektionen  nicht  in  die  Glutäalmusku- 


tät  konnte  aber  auch  das  injizierte  Quecksilberdepot  mittels 
Röntgenstrahlen  (Blendenaufnahmen)  leicht  siclitbar  ge¬ 
macht  werden.  Die  Injektionen  an  dieser  Stelle  wurden 
anstandslos  vertragen  und  hatten  genau  dieselben  thera¬ 
peutischen  Effekte,  wie  entsprechende  Injektionen  in  die 
Glutäalmuskulatur.  Die  Untersuchungen  wurden  an  meh¬ 
reren  Patienten  vorgenommen  und  gaben  übereinstimmend 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Ü,jS 


gleiche  Resultate.  Als  Typus  derselben  möge  folgendes  Bei¬ 
spiel  angeführt  werden : 

Am  30.  April  erfolgle  die  Injektion  von  1  cni^  der 
Salizylquecksilberemulsion  in  den  rechten  Oberschenkel, 
selbstverständlich  unter  strengen  aseptischen  Kautelen. 
Die  unmittelbar  nach  der  ii.ijektion  vorgenommene  ventrodor- 
sale  Röntgenaufnahme*)  (Fig.  l)  zeigt  uns  einen  von  der  Ober¬ 
fläche  des  Muskels  schief  nach  innen  und  unten  zu  ziehen¬ 
den,  dichten,  an  der  breitesten  Stelle  6  mm,  im  ganzen 
schmalen,  60  mm  langen,  streifenförmigen  Schatten,  der 
gegen  das  proximale  Ende  (der  Einstichstelle  zu)  in  eine 
schiliale,  lange  Spitze  ausläuft,  gegen  das  distale  Ende  zu 
sich  aber  verbreitet.  Die  seitlichen  Begrenzungen  dieser 
Schattenfigur  sind  keine  geraden  Linien,  sondern  wir  sehen 
an  der  dem  Knochen  zugewendeten  Profillinie,  annähernd 
in  der  Mitte,  eine  Stufe,  an  welcher  das  spitz  auslaufende, 
Ende  scharf  absetzt  und  der  breitere  Teil  der  Schatten¬ 
figur  beginnt.  An  der  der  Muskeloberfläche  zugekehrten 
Seite  zieht  parallel  zu  der  sanft  geschwungenen  Profillinie, 
von  ihr  durch  einen  1  mm  breiten  normalen  Zwischenspalt 
getrennt,  ein  zweiter,  30  mm  langer  und  2  bis  3  mm  breiter 
Schattenstreifen.  Das  distale  Ende  der  ganzen  Schattenfigur 
ist  nicht  so  scharf  umschrieben  und  dichten  Schatten  werfend 
wie  die  anderen  Teile  derselben. 

Das  am  nächsten  Tage,  am  1.  Mai,  unter  gleicher  An¬ 
ordnung  aufgenommene  Radiogramm  (Fig.  2)  ergibt  schon 
wesentliche  Veränderungen  im  Schattenbilde.  Im  großen 
und  ganzen  sind  die  Umrisse  der  Figur  vom  vorigen  Tage 
noch  erhalten,  doch  erscheint  der  ganze  Schatten  nicht 
mehr  gleichmäßig  dicht,  sondern  rarefiziert.  Dies  ist  nicht 
nur  an  dem  schmalen  Parallelstreifen,  der  jetzt  eine  große 
und  mehrere  kleinere  Unterbrechungen  zeigt,  sowie  an  der 
Spitze  und  am  distalen  Ende  der  Schattenfigur,  welches 
ausgefasert  erscheint,  besonders  auffallend  ausgeprägt,  son¬ 
dern  auch  die  Hauptmasse  der  ganzen  Schattenfigur  ist  ver¬ 
schmälert,  innerhalb  derselben  sind  zahlreiche  lichtdurch¬ 
lässige  Lückchen  und  Streifchen  zu  erkennen.  Hingegen 
bemerkt  man  in  der  Umgehung  der  Schattenfigur,  sowohl 
in  der  Fortsetzung  der  Injektionsachse,  als  auch  seitlich  in 
der  Umgehung,  bis  auf  eine  Entfernung  von  1  cm  von  den 
Rändern  der  Schattenfigur,  kleine  punkt-  und  fleckenförmige 
Schattengehilde,  welche  früher  nicht  vorhanden  waren. 

Dieses  Bild  der  fortschreitenden  Rarefaktion  des  In- 
jektums  von  innen  und  von  außen  ist  in  den,  an  späteren 
Tagen  aufgenommenen  Radiogrammen  in  noch  höherem 
Grade  ausgeprägt.  So  zeigt  das  Bild  vom  vierten  Tage  nach 
der  Injektion  eine  beträchtliche  Intensität  und  Dichte 
des  Schattens  nur  mehr  im  untersten  Dritteile  und  auch 
hier  hat  die  an  der  Masse  des  Injektums  nagende  Resorp¬ 
tion  schon  manche  Defekte  erzeugt;  die  übrigen  Teile  des 
Injektums  liefern  aber  außerordentlich,  dünne,  stellenweise 
ganz  imterhrochene  Silhouetten.  Das  seitliche  Nehendepot 
erscheint  an  diesem  Tage  hei  der  ventrodorsalen  Aufnahme 
nur  mehr  als  ganz  schwach  angedeutete  Linie. 

Am  neunten  Tage  nach  der  Injektion  ist  von  der  ur¬ 
sprünglichen  Schattenfigur  bis  auf  einen  ganz  undeutlichen 
Fleck,  entsprechend  ihrem  früheren  distalen  Ende,  nichts 
mehr  wahrzunehmen. 

Eine  ganz  klare  Vorstellung  über  die  Ausdehnung  und 
Form  des  Quecksilherdepots  in  der  Muskulatur  gab  die 
radiographische  Aufnahme  in  ventrodorsaler  Richtung  allein 
nicht.  Denn  hiebei  gewann  man  nur  Aufschlüsse  über  Aus¬ 
dehnung  und  Formation  des  Depots  im  frontalen  Querschnitt. 
Wollte  ich  diese  Qualitäten  des  Injektums  in  bezug  auf 
seinen  sagittalen  Durchmesser  kennen  lernen,  dann  mußte 
ich  weitere  radiographische  Aufnahmen  in  einer  auf  der 
früheren  senkrechten  Richtung  vornehmen.  Diese  wurden 
auch  an  verschiedenen  Tagen  in  mediolateraler  Richtung 
gemacht,  ln  denselben  zeigte  sich  die  Schattenfigur  als 

*)  Behufs  besserer  Reproduktion  ließ  ich  die  Originalpiatten  ab¬ 
pausieren  und  erst  die  Pausen  im  verkleinerten  Zustande  reproduzieren. 
Herr  Prof.  Brandlmayer  hatte  die  Freundlichkeit,  sich  dieser  Mühe 
zu  unterziehen,  wofür  ich  ihm  bestens  danke. 


ein  dichtes,  annähernd  dreieckiges,  aber  nicht  von  geraden, 
sondern  von  konvexen  Linien  begrenztes  Gebilde,  dessen 
Scheitel  an  der  Einstichs  teile  einen  bald  größeren,  bald 
kleineren,  zumeist  30®  großen,  spitzen  Winkel  bildete.  Die 
Höhe  des  Dreieckes  betrug  gegen  60  nnn,  seine  Basis  (das 
distale  Ende  des  Quecksilberdepots)  bildete  keine  scharf 
gezeichnete  gerade  Linie,  sondern  in  dieser  Gegend  löste 
sich  die  Sdiattenfigur  in  blässere,  unregelmäßig  in  das  Ge¬ 
webe  hineinragende  und  sich  daselbst  auflösende  Schatten- 
hildungen  auf  (Fig.  3).  Auch  bei  der  Aufnahme  in  dieser 
Richtung  ließ  sich  schon  nach  24  Stunden  eine  bedeutende 
Rarefaktion  des  Schattenbildes  erkennen ;  in  seinem  Innern 
zeigten  sich  große  Lücken,  wo  die  Röntgenstrahlen  mangels 
eines  absorhierenden  Mediums  leicht  hindurchgedrungen 
waren.  Diesen  Aufnahmen  zufolge  war  die  Größe  des 
Depots  am  zweiten  Tage  sicherlich  auf  zirka  die  Hälfte 
der  ursprünglichen  Menge  reduziert.  Einen  noch  viel 
weiteren  Fortschritt  in  der  Resorption  zeigte  die  radio- 
graphische  Aufnahme  des  Injektums  am  vierten  Tage. 
An  Stelle  der  ursprünglichen,  homogen  dichten  Schatten¬ 
figur  waren  nur  einzelne  größere  oder  kleinere  Konkremente 
zu  erblicken,  die  in  ihrer  Gesamtheit  die  Konturen  der 
ursprünglichen  Schattenfigur  andeuteten.  Am  siebenten 
Tage  war  auch  letztere,  aus  den  wenigen  kleinen,  an  Stelle 
des  ursprünglichen  Depots  vorhandenen  Schattenflecken  nicht 
mehr  zu  erschließen  (Fig.  4).  Vom  zweiten  Tage  an  sah  man 
in  der  Umgebung  des  Depots  kleine  bis  hanfkorngroße 
Flecken.  Jedoch  die  Menge  derselben  zusammengehalten, 
entsprach  nicht  der  Größe  der  Defekte  in  dem  Schattenbild 
des  Depots.  Auch  bei  diesen  Aufnahmen  erschien  die  Re¬ 
sorption  des  Depots  am  neunten  bis  zehnten  Tage  abge¬ 
schlossen,  weil  die  radiographischen  Aufnahmen  an  diesen 
Tagen  nur  mehr  negative  Resultate  gaben. 

Die  bisherigen  Befunde  ergaben  demnach,  daß  das 
Injektionsdepot  keinen  ausgesprochen  spindeligen  Bau, 
sondern,  entsprechend  der  Nachgiebigkeit  der  auseinander 
weichenden  Muskelhündel,  eher  die  Form  einer  ovalen,  vom 
Rande  gegen  die  Mitte  zu  sich  verdickenden  Scheibe  hat. 
Diese  Form  bleibt  aber  an  der  von  der  Einstichstelle  ab¬ 
gewendeten  Seite  der  Schattenfigur  nicht  erhalten,  sondern 
letztere  löst  sich  dort,  wo  der  abnehmende  Injektionsdruck 
die  Kohärenz  der  Gewebe  nicht  mehr  vollständig  zu  über¬ 
winden  und  diese  zum  Klaffen  zu  bringen  vermag,  in  weniger 
opake  Bestandteile  auf,  welche  sich  allmählich  in  die  um¬ 
gebenden  Gewebe  auflösen.  Schon  bei  der  Injektion  kann 
es  Vorkommen,  daß  ein  Teil  des  Injektums  sich  von  der 
Hauptmasse  loslöst,  in  irgendeinen  leicht  zugänglichen 
Muskelspalt  in  der  Umgebung  gelangt  und  dort  ein  kleineres 
Nebendepot  bildet.  Die  Resorption  der  Injektionsdepots  er¬ 
scheint  unter  normalen  Verhältnissen  am  neunten  bis 
zehnten  Tage  nach  der  Injektion  beendet. 

Aus  der  Beschaffenheit  der  verschiedenen  Schatten¬ 
figuren  ließ  sich  auch  einiges  auf  die  Art  und  Weise,  wie 
die  Resorption  des  Quecksilbers  stattfindet,  schließen. 

Die  Defekte  in  dem  Depot  können  nur  au?  zweierlei 
Weise  entstehen:  1.  Indem  das  unlösliche,  schattenwerfende 
Präparat  noch  im  Depot  selbst  in  eine  die  Röntgenstrahlen 
durchlassende  Form  überführt  wird,  und  2.,  indem  sich 
einzelne  Partikelchen  des  noch  unveränderten  Präparates 
loslösen,  vom  Blute,  Gewebssäften  oder  dem  Lymphstrome 
in  die  Umgebung  geschwemmt  werden  und  erst  dort  der 
Umwandlung  in  eine  für  Röntgenstrahlen  durchlässige  Sub¬ 
stanz  anheimfallen.  Daß  letzteres  tatsächlich  der  Fall,  ist 
aus  dem  radiographischen  Nachweise  einzelner  Partikel¬ 
chen  in  der  Umgebung  des  ursprüngliclien  Depots  zu  ent¬ 
nehmen.  Es  fragt  sich  nur,  ob  dies  der  einzige  Modus  der 
Resorption  isL  Berücksichtigt  man  die  Tatsache,  daß  schon 
nach  kurzer  Zeit  große  Defekte  im  ursprünglichen  Depot 
sichtbar  und  daß  die  einzelnen  vom  Hauptdepot  ausgewan- 
derten  Partikelchen  sehr  klein  sind,  so  müßte  man,  um  die 
Entstehung  so  großer  Lücken  erklären  zu  können,  annehmeti, 
daß  sich  ununterbrochen  derartige  Partikelchen  vom  Haupt¬ 
depot  loslösen  und  in  rascher  Aufeinanderfolge  in  das  um- 


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209 


liegende  Gewehe  answandern.  Es  müßte  demnach  eine  um 
diesen  Zeitpunkt  vorgenommene  radiographische  Aufnahme 
eine  große  Anzahl  von  losgelösten  Partikelchen  in  ver¬ 
schiedenen  Größen,  d.  h.  in  verschiedenen  Stadien  der 
Auflösung  zeigen.  Dies  ist  aber  nicht  der  Fall.  Die  Zahl 
der  ausgewanderten  Partikelchen  in  der  Umgebung,  welche 
auf  der  Röntgenplatte  sichtbar  sind,  ist  im  Vergleich  mit 
den  vorhandenen  Defekten  auffallend  klein.  Berücksichtigt 
man  nebenbei,  daß  auch  die  Dimensionen  des  Injektions- 
depots  schnell  kleiner  werden,  so  können  wir  wohl  mit 
Berechtigung  annehmen,  daß  neben  der  Ablösung  von  klei¬ 
neren  Teilen  des  Depots  und  Auswanderung  in  die  um¬ 
gebenden  Gewebe  auch  die  umfangreiche  chemische  Um¬ 
wandlung  der  Injektionsmasse  im  Hauptdepot  selbst  und  ins¬ 
besondere  an  seinen  Rändern  an  der  Verkleinerung  des¬ 
selben  beteiligt  ist.  Wohl  ist  es  möglich  und  wahrscheinlich, 
daß  hei  ausreichender  Muskeltätigkeit  die  Loslösung  der 
Partikelchen  vom  Hauptdepot  in  größerem  Maße  stattfindet; 
in  unseren  Fällen  fand  diese  äußere  Beeinflussung  der  Re¬ 
sorptionsschnelligkeit  nur  in  außerordentlich  geringem  Grade 
statt,  da  die  betreffenden  Kranken  nach  der  Injektion  ver¬ 
halten  wurden,  das  Bett  zu  hüten. 

Es  war  verlockend,  dem  interessanten  Problem  von 
dem  Chemismus  der  Resorption  der  Quecksilbersalze  auch 
auf  radiographischem  Wege  näher  zu  treten.  Nach  Mer  get 
dringen  die  bei  Einreibung  mit  grauer  Salbe  sich  entwickeln¬ 
den  Quecksilberdämpfe  mechanisch  durch  das  Lungenepithel 
in  das  Blut  und  mit  diesem  in  alle  Teile  des  Körpers,  ohne 
daß  sie  ihren  ,, metallischen  Zustand“  verlieren,  ln  dieser 
Form,  ,,en  nature“,  wirkt  das  Quecksilber  auch  auf  die 
Syphilis.  Die  Quecksilberpräparate,  welche  per  os  oder  sub¬ 
kutan  in  großen  Dosen  eingeführt  werden,  wirken  alle 
dadurch,  daß  sie  in  Quecksilber  reduziert  werden.  Die 
lokalen  Reizwirkungen  der  Quecksilberpräparate  führt 
Mer  get  auf  die  Säuren  zurück,  welche  mit  ihnen  verbunden 
sind  oder  welche  durch  ihre  Reduktion  frei  werden ;  ihre 
Allgemeinwirkungen  beruhen  auf  der  Absorption  der  Chlor- 
albuminate  oder  der  des  ,.Oxyalbuminates  hydrargyro- 
alcalins“,  welche  das  Hämoglobin  frei  machen. 

Bekanntlich  hat  mau  aber  auch  vielfach  die  Darstel¬ 
lungen  Voits  akzeptiert,  denen  zufolge  das  Endschicksal 
aller  Quecksilberverbindungen,  auch  das  des  reinen  Metalls, 
nach  dessen  Resorption  im  lebenden  Organismus  dasselbe 
ist.  Alle  Quecksilberverbindungen  bilden  in  Berührung  mit 
den  eiweißhaltigen  Sekreten  im  Körper  Quecksilberchlorid, 
bzw.  Quecksilberchlorid-Chlornatrium.  Diese  Verbindung 
verhält  sich  dem  Eiweiß  gegenüber  anders  wie  das  reine 
Quecksilberchlorid  oder  Aetzsuhlimat.  Versetzt  man  eine 
Eiweißlösung  mit  Aetzsuhlimat,  so  entsteht  sofort  eine  Fäl¬ 
lung;  dieselbe  tritt  aber  nicht  ein,  wenn  man  der  Eiwei߬ 
lösung  Kochsalzlösung  zugesetzt  hatte.  Auch  löst  sich  der 
einmal  gebildete  Niederschlag  hei  nachheriger  Versetzung 
mit  Kochsalz  oder  auch  mit  überschüssigem  Eiweiß.  Es 
bildet  sich  dabei  ein  lösliches  Quecksilberalbuminat.  Das 
Quecksilberchloridalbuminat  ist  jedoch  noch  nicht  als  das 
Endprodukt  anzusehen;  es  ist  nachgewiesen  worden,  daß 
das  Quecksilber  in  dem  Albuminat  als  eine  Sauerstoffver¬ 
bindung  u.  zw.  als  Oxyd  vorhanden  ist. 

In  der  Voraussetzung,  daß  die  erste  Umwandlungsstufe 
des  unlöslichen  Quecksilbers  Quecksilberchloridnatrium  sei, 
machte  ich  folgenden  Versuch,  um  zu  ermitteln,  ob  sich  das 
Injektionspräparat  in  diesem  Umwandlungsprodukte  etwa 
nachweisen  ließe,  oh  die  ermittelten  Schattenfiguren 
nicht  etwa  schon  auf  gebildete  Umwandlungsprodukte  zu 
beziehen  seien,  ln  die  Wadenmuskulatur  einer  Leiche 
wurde  nebeneinander  je  1  cnU  folgender  Flüssigkeiten  in¬ 
jiziert:  1.  01.  Paraffini,  2.  Sublimatlösung  0-2:100,  3.  Subli- 
imatlösung  0-5:100,  4.  Sublimatlösung  1:100,  5.  lOToige 
Salizykiuecksi Iberemulsion,  0.  Wasser.  Der  Unterschenkel 
wurde  dann  radiographiert.  Die  entwickelte  Platte  zeigte 
nur  einen  hellen  Spalt  in  der  Muskulatur,  entsprechend 
dem  01.  Paraffini  und  eine  Injektionsfigur  vorn  Salizylqueck- 
sillrer,  welche  den  oben  geschilderten  Bildern  entsprach. 


Von  den  übrigen  Injektionen  war  auf  der  Platte  nichts  zu 
sehen.  Aus  diesem  Befunde  läßt  sich  der  Schluß  ziehen, 
daß  die  Injektionsmasse  jedenfalls  nicht  in  eine  der  hier  in¬ 
jizierten  Sublimatlösungen  umgewandelt  zur  radiographi¬ 
schen  Aufnahme  gelangte,  oder  falls  das  Uniwandlungs- 
produkt  eine  höher  konzentrierte  Sublimatlösung  ist,  diese 
sich  in  äußerst  dünner  Schichte  im  Gewebe  befand.  Auch 
bei  eventueller  Umwandlung  des  metallischen  Quecksilbers 
in  Dampfform  ließen  sich  die  minimalen  Spuren  des  letzteren 
wohl  nicht  radiographisch  darstellen. 

Wie  aus  unseren  Bildern  zu  entnehmen  ist,  findet 
normaliter  in  den  ersten  vier  Tagen  nach  der  rnjektion 
die  Resorption  des  Quecksilbers  in  größerem  Umfange  statt 
als  in  den  folgenden  fünf  bis  sechs  Tagen.  Daraus  ergibt 
sich  die  praktische  Schlußfolgerung,  daß  durch  Injektionen, 
welche  wie  gewöhnlich  in  Zwischenräumen  von  acht  Tagen 
gemacht  werden,  eine  kontinuierlich  anhaltende,  annähernd 
gleichmäßige  Resorption  von  Quecksilber  erzielt  wird.  Wollte 
man  jedoch  aus  irgendwelchen  Gründen  eine  zweite  Injek¬ 
tion  erst  dann  verabfolgen,  bis  das  erste  Injektum  vollständig 
resorbiert  ist,  dann  müßte  man  den  Ergebnissen  obiger 
Untersuchungen  zufolge  mindestens  zehn  Tage  nach  der 
ersten  Injektion  abwarten.  Die  Kontrolle,  ob  das  hiebei 
gesetzte  Depot  tatsächlich  verschwunden  ist,  bietet  unschwer 
die  radiographische  Untersuchung.  Durch  eine  solche  ließen 
sich  eventuell  auch  jene  seltenen  Fälle  kontrollieren,  wo  die 
Resorption  des  Quecksilbers  durch  eine  bindegewebige 
Kapsel  um  das  Depot  herum  oder  durch  Gefäßkompression 
aufgehalten  wird.  Die  radiographische  Untersuchung  wäre 
aucli  in  jenen  seltenen  Fällen  anzuwenden,  wo-  die 
einmalige  Injektion  sehr  heftige  Reaktionserscheinungen  zur 
Folge  hat. 

Eine  Erklärung  des  Umstandes,  warum  in  solchen 
Fällen  die  ungewöhnliche  Reaktion  eintritt,  ob  infolge  einer 
rascheren  und  reichlicheren  Aufnahme  des  Quecksilbers  oder 
ob  dieselbe  etwa,  wie  angegeben  wird,  dadurch  zustande 
kommt,  daß  infolge  einer  besonderen  Idiosynkrasie  des  In¬ 
dividuums  die  Quecksilberinjektion  Fieber  und  die  höhere 
Temperatur  hinwiederum  eine  raschere  Verdampfung  des 
Quecksilbers  bewirkt;  eine  Erklärung  solcher  Ereignisse 
haben  meine  Untersuchungen  nicht  ergeben,  weil  in  den  zur 
Untersuchung  gelangten  Fällen  die  Aufnahme  von  Queck¬ 
silber  normal  vonstatten  ging. 

Aus  der  ersten  chirurgischen  Klinik  in  Wien. 

(Vorstand :  Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiselsherg.) 

Beiträge  zur  Kasuistik  der  Schädelstiche. 

Von  Dr.  H.  Leisclmer,  Assistenten  der  Klinik. 

Von  den  Verletzungen  des  Schädels  haben  Stichwunden 
für  den  Chirurgen  namentlich  dann  besonderes  Interesse, 
wenn  es  sich  um  Mitverletzung  des  Inhaltes  der  knöchernen 
Kapsel  handelt.  Schon  die  Diagnose,  ob  eine  intrakranielle 
Schädigung  besteht  oder  nicht,  ist  unmittelbar  nach  dem 
Trauma  oft  schwer  mit  Sicherheit  zu  stellen,  da  die  äußer¬ 
lich  sichtbare  kleine  Wunde  keine  Schlüsse  auf  den  Grad 
der  Verletzung  zuläßt  und  die  Folgen  sich  erst  später  mit 
dem  Heranwachsen  des  Blutextravasates  manifestieren. 
Anderseits  kommt  es  vor,  daß  durch  den  penetrierenden 
Stich  keine  wichtigen  Zentren  des  Gehirns  oder  deren  Lei¬ 
tungsbahnen  getroffen  wurden  und  auch  größere  Gefäße 
intakt  geblieben  sind,  wobei  sich  eine  derartige  Verletzung 
klinisch  überhaupt  nicht  kundtut  und  die  Diagnose  auf  eine 
solche  intra  vitam  gar  nicht  gestellt  werden  kann. 

Beweisend,  wie  geringe  Folgen  hie  und  da  gewisse  zirkum¬ 
skripte  Verletzungen  des  Gehirnes  nach  sich  ziehen,  ist  der  von 
Carpenter  (Virchows  Jahrh.  1876,  II,  S.  71,  zitiert  nach 
Koliskos  Lehrh.  der  gerichtl.  Medizin)  beschriebene  Fall,  bei 
dem  im  Gehirn  eines  Geisteskranken,  der  sich  mit  Morphium 
vergiftet  hatte,  verschiedene  Gegenstände,  wie  Drahtstücke,  ein 
Nagel  und  eine  eingefädelte  Nadel  vorgefunden  wurden,  die  er 
sich  früher  selbst  ohne  Folgeerscheinungen  in  den  Schädel  ein¬ 
gestochen  hatte. 


261) 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


Bestehen  aber  bei  einer  Scbädelstichverletzung  Herd- 
symptome  oder  Zeichen  einer  intrakraniellen  Blutung  oder 
findet  man  Anhaltspunkte  für  eine  sich  entwickelnde  Menin¬ 
gitis,  dann  wird  die  Ausdehnung  der  Verletzung  wohl  nie¬ 
mandem  mehr  unklar  sein. 

Eine  andere  Frage,  die  an  den  Chirurgen  bei  einem 
derartigen  Falle  heran  tritt,  ist  die,  zu  entscheiden,  ob  sich 
ein  Stück  des  gebrauchten  Instrumentes  oder  ein  Knochen¬ 
splitter  in  der  Wunde  befindet  oder  nicht.  Ersteres  kommt 
dann  meist  vor,  wenn  das  als  Waffe  gebrauchte  Werkzeug 
in  einer  anderen  Richtung  zurückgezogen  wird,  als  es  ein¬ 
gestochen  wurde.  Die  bestimmte  Beantwortung  dieser  Frage 
ist  von  großer  Wichtigkeit,  einerseits  bei  der  Beurteilung 
der  Infektionsgefahr,  anderseits  bringen  im  Schädelinnerii 
oder  im  Knochen  gebliebene  Fremdkörper  oft  unangenehme 
krankhafte  Zustände  im  weiteren  Leben  des  Patienten  her¬ 
vor,  wie  die  Literatur  genügend  beweist.  Doch  auch  Aus¬ 
nahmen  in  diesen  beiden  Punkten  sind  bekannt. 

So  stellte  Nicolai  am  XXII.  Chirurgenkongreß  einen  Mann 
vor,  bei  dem  eine  ins  Gehirn  eingedrungene  Dunggabel  keinerlei 
Infektion  verursachte  und  S  c  h  m  i  d  t  b  berichtet  beispielsweise 
über  das  Verbleiben  einer  Messerklinge  durch  41  Jahre  im  Kopfe 
eines  Verletzten. 

Und  welche  Mittel  stehen  uns  bei  dieser  Entscheidung 
zur  Verfügung?  Leicht  ist  sie  in  den  Fällen,  wo  ein  Stück 
des  Fremdkörpers  in  der  Wunde  zu  sehen  oder  palpabel 
ist,  ein  weiteres  Hilfsmittel.bietet  die  Röntgenuntersuchung. 
Auch  aus  der  Intaktheit  des  Instrumentes  können  mit  Vor¬ 
sicht  Schlüsse  gezogen  werden.  Oft  wird  man  aber  voll¬ 
kommen  machtlos  sein,  sich  Sicherheit  über  diese  Komplika¬ 
tion  zu  verschaffen. 

Folgender  Fall,  der  bei  der  ersten  Untersuchung  un¬ 
bedeutend  erschien  und  sich  später  als  eine  schwere  Ver¬ 
letzung  erwies,  kam  an  der  1.  chirurgischen  Klinik  zur 
Beobachtung  und  Behandlung. 

Der  22jährige  Student  W.  P.  geriet  am  26.  Februar  1906, 
um  2  Uhr  nachts,  im  berauschten  Zustande  mit  einem  ihm  Un¬ 
bekannten  in  Streit  und  erhielt  mit  einem  kleinen  Taschenmesser 
einen  Stich  in  die  rechte  Schläfegegend.  Er  lief  dem  Täter  un¬ 
gefähr  50  Schritte  nach  und  streckte  ihn  mit  einem  Faustschlag 
in  den  Nacken  zu  Boden.  Um  6  Uhr  früh  brachten  ihn  zwei 
Kollegen  in  die  Klinik,  wo  die  kleine,  nicht  blutende  Wunde  ver¬ 
bunden  wurde  und  man  dem  Patienten  vorschlug,  sich  daselbst 
aufnehmen  zu  lassen,  obwohl  keinerlei  Erscheinungen  von  seiten 
des  Gehirns  zu  bemerken  waren.  Die  leichte  Benommenheit  schien 
vom  Alkoholgenuß  herzurühren.  Er  verweigerte  aber  die  Aufnahme 
und  man  trug  seinen  Begleitern,  die  Mediziner  waren,  auf,  den 
Kollegen  strenge  zu  bewachen  und  ihn  sofort  in  die  Klinik  zu 
bringen,  sobald  Symptome,  die  auf  eine  Hirnverletzung  hindeuten, 
auftreten.  Um  8  Uhr  stellten  sich  bereits  heftige  Kopfschmerzen 
ein,  die  Benommenheit  nahm  zu,  einigemal  sollen  kurzdauernde 
Krämpfe  in  der  linken  oberen  Extremität  aufgetreten  sein,  weshalb 
Pat.  schon  nachmittags  wiederum  in  die  Klinik  eingeliefert  wurde. 

Die  Untersuchung  des  mittelgroßen,  kräftigen,  sonst  gesunden 
Mannes  ergab  eine  ungefähr  4  cm  oberhalb  und  etwas  nach  vorne 
vom  oberen  Ansatz  der  rechten  Ohrmuschel  gelegene,  kaum  1  cm 
lange,  lineare  Wunde,  deren  Ränder  verklebt  waren.  Die  Um¬ 
gebung  derselben  erwies  sich  als  normal,  nirgends  bestand  Druck¬ 
empfindlichkeit.  Die  linke  Nasolahialfalte  war  verstrichen  und  der 
Mundwinkel  derselben  Seite  stand  etwas  tiefer  als  der  rechte. 
Die  Zunge  wich  beim  Hervorstrecken  nach  links  ab.  Die  Sehnen¬ 
reflexe,  namentlich  links,  waren  gesteigert,  sonst  normaler  Nerven- 
befund.  Die  Augenuntersuchung  ergab  außer  geringgradiger 
Myopie  nichts  Abnormes.  Auch  im  Ohr  konnten  keine  patho¬ 
logischen  Veränderungen  vorgefunden  werden.  Erst  auf  wiederholt 
gestellte  Fragen  wurde  undeutlich  geantwortet.  Das  Röntgenbild 
vom  Schädel  zeigte  normale  Beschaffenheit  desselben.  Puls  88, 
Körpertemperatur  37‘6  ;  letztere  stieg  bis  Älitternacht  auf  38‘4  und 
die  Pulszahl  sank  auf  68.  Die  Benommenheit  war  im  Vergleich 
zur  Zeit  der  Einlieferung  bedeutend  vorgeschritten.  Durch  Lumbal¬ 
punktion  gewinnt  man  5  cm^  rosarot  gefärbte  Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit,  deren  mikroskopische  Untersuchung  rote  Blutkörperchen, 
wenig  Leukozyten  und  Gram-positive,  lanzettförmige  Diplokokken 
in  geringer  Anzahl  ergibt. '•fi Ein  zweiter  Befund  lautete  auf  Blut¬ 
bestandteile  im  Sediment,  ohne  Mikroorganismen. 

')  S  c  h  mfl  d  t,  Med.  Korrespondenzbl.  d.  Württemberg,  ärztlichen 
Vereines  1900,  70.  Bd.,  Nr.  3. 


Am  27.  Februar  1906  früh  Trepanation  (Dr.  Leischner). 
In  leichter  Narkose  mit  Billroth-Mischung  wird  die  Stichwunde 
ovalär  Umschnitten  und  nach  oben  und  rückwärts  bogenförmig 
verlängert,  so  daß  nach  Zurückschieben  des  M.  temporalis  und 
des  Periostes  ein  Teil  des  rechten  Schläfebeines  frei  zutage  liegt. 
Man  sieht  nun  daselbst,  entsprechend  der  Hautwunde,  im  Knochen 
einen  ebenso  langen,  linearen  Stich  ohne  jede  Infraktion  oder 
Fissur.  Mit  dem  Meißel  wird  dann  ein  ungefähr  4  cm  im  Durch¬ 
messer  betragendes  Stück  des  Schläfebeines,  in  dessen  Mitte  sich 
die  Verletzung  befindet,  entfernt.  Auch  an  der  Tabula  interna 
war  von  einer  Splitterung  nichts  nachzuweisen.  Nach  sternförmiger 
Erweiterung  des  in  der  Dura  befindlichen  Schlitzes  lag  die  ent¬ 
sprechende,  mit  Blutkoagiila  bedeckte  Hirnpartie  frei  zutage.  Man 
entfernte  die  Gerinnsel,  wobei  es  aus  der  etwas  klaffenden,  keil¬ 
förmigen  Stirnwunde  zu  einer  stärkeren  Blutung  kommt,  die  durch 
Tamponade  mit  einem  Gazestreifchen  zum  Stillstand  gebracht 
wird.  Die  sichtbaren  Partien  der  Pia  zeigten  lebhafte  Rötung. 
Anlegen  eines  aseptischen  Kompressionsverbandes.  Kaum  war  der 
Patient  aufs  Zimmer  gebracht,  kommt  es  zu  einer  stärkeren  Nach- 
hlutung.  Beim  Verhandwechsel  findet  man  einige  der  Pia  an¬ 
gehörende  blutende  Gefäße,  die  gefaßt  und  ligiert  werden.  Neuer¬ 
liche  Tamponade  der  Wunde,  Kompressionsverhand. 


28.  Februar.  Höchste  Temperatur  38‘2,  Puls  kräftig,  88. 
Pat.  ist  sehr  apathisch,  spricht  spontan  gar  nicht,  reagiert  nur 
langsam  auf  Anrufen. 

3.  März.  Tägliche  Temperatur  his  38.  Puls  stets  zwischen 
80  und  90.  Fazialis-  und  Hypoglossusparese  wie  ante  operationeni. 
Sensorium  etwas  freier. 

6.  März.  Temperatur  unter  37,  Paresen  wie  früher,  Wunde 
granulierend. 

8.  März.  Sensorium  frei,  nußgroße  Vorwölbung  in  der  Mitte 
der  granulierenden  AVundfläche.  Paresen  wie  früher. 

12.  März.  Kompressionsverband  mit  eingelegtem  Schwamm. 

19.  März.  Paresen  geringgradiger. 

28.  März.  Der  Prolaps  erscheint  behoben,  die  pulsierende 
Fläche  liegt  im  Niveau  der  granulierenden  Wunde.  Epidermisierung 
von  den  Rändern  her. 

31.  März.  Wundfläche  auf  die  Hälfte  verkleinert.  Geistige 
Funktionen  vollständig  normal.  Fazialisparese  eben  noch  '  an¬ 
gedeutet. 

6.  April.  Wundfläche  gänzlich  mit  Epithellbedeckt.  Paresen 
vollständig  geschwunden. 

13.  April.  Deckung  des  Knochendefektes  mit 
einer  Zelluloidplatte  nach  Alex.  Fraenkel.  In 
Narkose  mit  Billroth  scher  Mischung  wird  durch  Umschneiden 
und  Abtragen  der  Weichteile  der  4  cm  im  Durchmesser  betragende 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Knochendefekt  freigelegt.  Einmeißeln  eines  Falzes  in  den  den  Defekt 
hinten  umgehenden  Knochenrand.  Vorne  ist  dies  undurchführbar, 
da  der  Knochen  zu  dünn  ist.  Während  nun  ein  Assistent  die 
Blutstillung  durch  Kompression  besorgt,  wird  eine  Zelluloidplatte 
passend  gekrümmt  und  deren  Ränder  zugeschärft.  Einige  die 
Platte  durchsetzende  Löcher  sollen  eine  Sekret-,  resp.  Blut¬ 
ansammlung  hinter  derselben  verhüten.  Da  wegen  Fehlens  des 
Falzes  an  der  vorderen  Umrandung  des  Defektes  die  Platte  nicht 
fest  eingepaßt  werden  kann,  wird  sie  noch  durch  gitterförmig  ge¬ 
legte  Catgutnähte  an  dem  umgebenden  Periost  befestigt.  Be¬ 
deckung  derselben  mit  einem  der  benachbarten  Kopfhaut  ent¬ 
nommenen  gestielten  Hautlappen.  Der  neuerliche  Substanzverlust 
kann  durch  Zusammenziehen  der  Wundränder  fast  völlig  ge¬ 
schlossen  werden.  Aseptischer  Verband. 

Der  weitere  Wundverlauf  war  vollständig  reaktionslos. 

Am  1.  Mai  wurde  Patient  entlassen.  Der  Knochendefekt  war 
fest  verschlossen.  Keinerlei  Beschwerden.  Im  Juli  stellte  sich  Pat. 
vollständig  gesund  wieder  vor.  Die  Zelluloidplatto  war  un¬ 
beweglich  in  der  rechten  Schläfegegend  zu  tasten. 

Vier  Stunden  nach  dem  erlittenen  Trauma  waren  also 
in  diesem  Falle  noch  keinerlei  Erscheinungen  von  seiten 
der  penetrierenden  Schädelverletzung  bemerkbar.  Die  leichte 
Benommenheit  allein  konnte  für  eine  sichere  Mitverletzung 
des  Schädelinhaltes  wohl  nicht  in  Betracht  kommen,  zumal 
dieselbe  ebensogut  auf  den  Alkoholgenuß  oder  eine  gering¬ 
gradige  Commotio  cerebri  zurückzuführen  war.  Weiters 
mußte  auch  der  Umstand  in  Erwägung  gezogen  werden,  daß 
der  Patient  der  deutschen  Sprache  nicht  vollkommen  mächtig 
war  und  vielleicht  aus  diesem  Grunde  die  gestellten  Fragen 
nicht  geläufig  beantworten  konnte.  Erst  sechs  Stunden  nach 
dem  erhaltenen  Stich  manifestierte  sich  die  kortikale  Läsion 
durch  Krämpfe  in  der  kojitralateralen  oberen  Extremität, 
Fazialis-  und  Hypoglossusparese.  Von  jetzt  an  war  die  Dia¬ 
gnose  auf  eine  penetrierende  Wunde  sicher.  Der  Sitz  uud 
die  Art  der  V^erletzung  ließ  sich  leicht  feststellen.  Eine 
primäre  Schädigung  einer  motorischen  Region  oder  deren 
Leitungsbahnen  konnte  ausgeschlossen  werden,  da  die  Sym¬ 
ptome  erst  spät  nach  dem  Trauma  auftraten,  eine  Impression 
des  Knochens  war  nach  dem  Palpationshefund  kaum  an¬ 
zunehmen  und  an  eine  Verletzung  eines  größeren  Gefäßes 
oder  gar  der  Arteria  meningea  media  war  nicht  zu  denken, 
es  wäre  dann  gewiß  zu  stürmischeren  und  ausgebreiteteren 
Drucksymptomen  gekommen.  Die  allmählich  auftretenden  Er¬ 
scheinungen  konnten  nur  durch  einen  langsam  sich  ver¬ 
stärkenden  Druck  auf  eine  bestimmte  Hirnpartie  oder  durch 
eine  geringgradige,  länger  dauernde  Blutung  ausgelöst  wer¬ 
den,  die  die  Funktion  derselben  immer  mehr  und  mehr 
beeinträchtigte.  Nach  den  bereits  erwähnten  Symptomen, 
Beschränkung  der  Lähmung  auf  die  Mund-  und  Wangen¬ 
äste  des  linken  Fazialis,  Parese  des  linken  Hyppoglossus  und 
kurzdauernde  Spasmen  der  linken  oberen  Extremität,  zu 
schließen,  befand  sich  die  in  Mitleidenschaft  gezogene  Hirn¬ 
partie  zweifelsohne  im  unteren  Teil  der  rechten  vorderen 
Zentralwindung,  wo  ja  bekanntlich  die  motorischen  Zentren 
für  die  genannten  Körpergegenden  einander  benachbart 
liegen.  Uebereinstimmend  damit  war  auch  die  Lokalisation 
der  Hautwunde  am  Schädel.^) 

Es  lautete  daher  die  Diagnose  auf  zirkumskripte 
intermeningeale  Blutuu  g  in  der  vorderen  rechten 
Zentral  Windung  mit  fazio-lingual  er  Monoplegie 
und  vorübergehendem  brachialen  Monospasmus. 

Da  keine  Anhaltspunkte  für  einen  zurückgebliebenen 
Fremdkörper  vorhanden  waren,  sah  man  von  einem  so¬ 
fortigen  Eingriff  ab.  Erst  das  Ansteigen  der  Temperatur 
und  die  immer  mehr  und  mehr  zunehmende  Benommen¬ 
heit  ließen  den  Gedanken  an  eine  beginnende  Meningitis 
oder  weitere  Blutung  aufkommen  und  ergaben  die  Indi¬ 
kation  zur  Operation.  Dieselbe  bestand  im  Debridement  und 
Tamponade  der  Hirnwunde.  Die  starke  Gefäßinjektion  der 
Pia  in  der  Umgebung  der  Verletzung  ließ  auch  an  eine  In¬ 
fektion  in  den  allerersten  Stadien  denken. 


2)  Vgl.  T  i  1 1  m  a  II  n  s  Lehrbuch  der  speziellen  Chirurgie,  1.  Bd., 
Figur  96,  S.  155. 


Was  den  weiteren  Wundverlauf  anbelangt,  so  bot  der¬ 
selbe  nicht  viel  Bemerkenswertes.  Das  Sensorium  war  nach 
acht  Tagen  vollständig  frei,  die  Paresen  schwanden  inner¬ 
halb  37  Tagen  und  der  drohende  Hirnprolaps  wurde  erfolg¬ 
reich  mit  Schwammkompression  verhindert,  so  daß  nach 
44  Tagen  die  Wunde  vollständig  verheilt  war  und  der 
Knochendefekt  mittels  Zelluloid  platte  geschlossen  werden 
konnte.  Die  Deckung  sofort  an  die  erste  Operation  anzu¬ 
schließen  war  ja  wegen  der  geschilderten  Verhältnisse  un¬ 
möglich. 

Aus  der  Lumbalpunktion  konnten  in  diesem  Fall,  wo 
ein  größerer  Bluterguß  und  eine  ausgebreitete  Meningitis 
ausgeschlossen  waren,  natürlicherweise  keinerlei  Schlüsse 
gezogen  werden.  Die  Zerebrospinalflüssigkeit  war  gewiß  nur 
durch  Blutheimengung  vom  Einstich  rötlich  gefärbt  und  die 
in  der  ersten  Portion  gefundenen  Mikroorganismen  stammten 
entweder  von  der  Haut  der  Einstichstelle  oder  waren  zu¬ 
fällige  Verunreinigungen  der  bei  der  Untersuchung  ge¬ 
brauchten  Gegenstände. 


Fig.  2. 

Ein  ähnlicher  Fall  kam  vor  mehreren  Jahren  im  Wiener 
gerichtlich-medizinischen  Institut^)  zur  Obduktion. 

Der  22jährige  Schlossergehilfe  J.  H.  geriet  im  trunkenen 
Zustande  am  17.  März  1901,  um  2  Uhr  nachts,  mit  einem  Fremden 
in  Streit,  wobei  ihm  derselbe  das  Taschenmesser  in  die  rechte 
Schläfe  stieß  und  davonlief.  Der  Begleiter  des  Verletzten  zog  das 
Messer  aus  dem  Schädel  seines  Freundes  heraus  und  führte  ihn 
in  ein  Spital,  wo  man  der  kleinen,  nicht  blutenden  Wunde  wenig 
Beachtung  schenkte,  eine  Naht  anlegte  und  verband.  Zur  Aus¬ 
nüchterung  wurde  er  dann  auf  das  Polizeikommissariat  gebracht 
und  morgens  nach  Hause  geschafft.  Um  10  Uhr  vormittags  starb 
er,  ohne  das  Bewußtsein  wieder  erlangt  zu  haben.  (Nähere  Daten 
über  die  klinischen  Erscheinungen  konnte  ich|  nicht  ermitteln.) 
Bei  der  Obduktion  fand  man  in  der  rechten  Schläfegegend  an  der 
Haargrenze  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  oberem  Ohransatz 
und  äußerem  Augenwinkel  eine  14  mm  lange  und  h  bis  1  mm 
breite,  mit  einer  schwarzen  Blutkruste  bedeckte,  scharfrandige 
Wunde.  Entsprechend  derselben  erschien  das  Unterhautzellgewebe 
und  der  M.  temporalis  in  etwa  fünfkronenstückgroßem  Umfang 
durch  Blutaustritt  schwärzlich  gefärbt  und  im  letzteren  ein  14  mm 

Für  die  Ueberlassung  der  Protokolle  und  des  Präparats  bin  ich 
Herrn  Prof.  K  o  1  i  s  k  o  zu  großem  Dank  verpflichtet. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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■* *T 


langer,  klaffender  Spalt.  In  der  rechten  Schläfebeinschuppe 
fand  sich  eine  keilförmig  gestaltete  Lücke,  die  den  Knochen 
scharf  ohne  jede  Splitterung  durchsetzte  und  in  die  das  Messer, 
mit  dem  der  Stich  geführt  wurde,  vollständig  einpaßte  (Fig.  1  und  2). 
Durch  diesen  Knochenspalt  gelangte  man  in  eine  ungefähr  hühnerei¬ 
große,  mit  Blutgerinnseln  ausgefüllte  Höhle  des  rechten  Schläfe¬ 
lappens,  die  teils  von  zertrümmerter,  dicht  von  kleinen  Blutungen 
durchsetzter  Hirnsubstanz,  teils  von  den  Windungen  der  Fossa 
Sylvii  begrenzt  war.  Dieselbe  reichte  bis  an  das  rechte  Seiten¬ 
horn,  wo  sich  eine  Kommunikation  mit  der  Hirnkammer  knapp 
hinter  dem  Sehhügel  fand.  Der  vierte  Ventrikel  und  der  Aquae¬ 
ductus  Sylvii  waren  mit  geronnenem  Blut  erfüllt. 

Es  war  hier  ein  als  Waffe  gebrauchtes  Taschenmesser 
diircli  die  rechte  Schläfe  lief  in  das  Gehirn  eingedrungen, 
der  Grad  der  Verletzung  nicht  erkannt  worden  und  infolge 
Gefäßverletzung  an  den  Hirnhäuten  und  in  der  Hirnsuhstanz 
kam  es  zu  einer  umfangreichen  Blutung,  die  Bewußtseins¬ 
verlust  und  den  Tod  nach  acht  Stunden  herbeiführte. 

Man  ersieht  also  aus  diesen  Fällen,  wie  schwer  es 
oft  ist,  eine  sichere  Diagnose  auf  penetrierende  Schädel¬ 
verletzung  zu  stellen.  Im  ersten  Fall  wurde  bei  der  ersten 
Untersuchung  eine  solche  nur  vermutet  und  erst  nach  einigen 
Stunden  bestätigte  sich  der  Verdacht,  bei  dem  zweiten 
Patienten  wurde  die  Bewußtseinsstörung  ausschließlich  auf 
den  Alkohol genuß  zurückgeführt  und  der  Verletzung  gar 
keine  Bedeutung  beigelegt.  Aus  alledem  geht  hervor, 
daß  gerade  jene  Schädelstiche  mit  hesonderer 
Vorsicht  zu  heur teilen  sind,  hei  denen  anfäng¬ 
lich  jedwede  Symptome  fehlen  und  erst  die  nach¬ 
trägliche  Blutung  im  Bereiche  des  Stich  kan  als 
gefahrbringend  wird  und  daß  der  heutzutage  zu¬ 
meist  schon  übliche  Standpunkt  gerechtfertigt 
erscheint,  man  solle  prinzipiell  jede  Schädel¬ 
verletzung  unter  ständiger  ärztlicher  Kontrolle 
belassen,  um  sofort  chirurgisch  ein  greifen  zu 
können,  sobald  bedrohliche  Hirnerscheinungen 
au  f  tr  e  te  11. 

Bei  beiden  Verletzten  handelte  es  sich  um  Stiche  in 
die  Schläfegegend.  Es  ist  ja  dies  eine  Prädilektionsstelle 
für  Verwundungen,  die  im  Streit  beigebracht  werden,  denn 
sie  liegt  erstens  in  der  Führungsrichtung  einer  mit  der 
vollen  Faust  geführten  Waffe,  zweitens  ist  es  in  der  Laien¬ 
welt  allgemein  bekannt,  daß  durch  ein  Trauma  dieser  Gegend 
am  leichtesten  ein  Individuum  kampfunfähig  gemacht  werden 
kann.  Ich  möchte  daher  diese  beiden  Fälle  den  typischen 
Bauferverletzungen  zuzählen. 

Ferner  sei  noch  über  einen  an  der  Klinik  beobachteten 
Fall  von  Stichverletzung  berichtet,  deren  Folgen  erst 
während  der  Wundversorgung  klar  wurden:^) 

F.  M.,  ööjähriger  Pfründner,  wurde  am  5.  März  1904  über¬ 
fallen  und  von  rückwärts  in  den  Kopf  und  rechten  Oberarm  ge¬ 
stochen.  Er  lief  dem  Täter  nach,  ohne  ihn  zu  erreichen.  Von  der 
Hetlungsgesellschaft  wurde  der  stark  blutende  Patient  provisorisch 
verbunden  und  in  die  Klinik  gebracht. 

Das  Sensorium  des  mittelgroßen,  mit  Bronchitis  und  Em¬ 
physem  behafteten  Mannes  war  bei  der  Aufnahme  etwas  be¬ 
einträchtigt,  so  zwar,  daß  man  ihn  für  leicht  berauscht  halten 
konnte.  Puls  kräftig,  nicht  verlangsamt.  Keinerlei  Störungen  von 
seiten  des  Gehirns.  Die  Untersuchung  des  rechten  Armes  ergab 
eine  Stichwunde  lateral  vom  Ansatz  des  M.  deltoideus,  4  cm  lang, 
wenig  blutend. 

Am  Schädel  blutete  er  stark  aus  einer  links  und  etwas 
oberhalb  der  Protuberantia  occipitalis  gelegenen  sagittalen  ca.  3V2  cm 
langen  Wunde.  Ligierung  der  verletzten  Arter.  occipital.  In  der 
Tiefe  der  Verletzung  erkennt  man  ein  kreuzergroßes  Knochenstück, 
das  so  aus  der  Kontinuität  herausgelagert  ist,  daß  man  durch 
einen  schmalen  Spalt  bis  an  die  Dura  sieht.  Die  Blutung  daraus 
war  sehr  gering.  Im  Umkreis  eines  Handtellers  ist  die  Kopfhaut 
durch  ein  Hämatom  mächtig  vorgewölbt.  Während  der  Versorgung 
der  Weichteilwunde  kommt  es  plötzlich  zu  epileptiformen  An¬ 
fällen.  Sofortige  Operation  in  Narkose  mit  B  i  1 1  r  0 1  h  scher 
Mischung  (Dr.  v.  Haberer).  Ein  kreuzförmiger  Schnitt  erweitert 
hinreichend  die  Hautwunde,  das  türflügelförmig  eingedrückte 


*)  Der  Fall  wurde  am  10,  Juni  1904  von  Dr.  v.  Haberer  in  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  vorgestellt.  Wiener  klin.  Wochenschr 
1904,  S  688. 


Knochenstück  wird  gelockert  und  dann  mit  der  Zange  entfernt. 
Die  darunter  befindliche  Dura  zeigt  einen  1  cm  langen  Riß,  aus 
dem  dunkles  Blut  in  furibunder  Weise  quillt.  Mit  einer  Knochen- 
kneipzange  wird  der  bestehende  Schädeldefekt  nach  allen  Seiten 
erweitert,  wobei  die  venöse  Blutung  immer  mehr  zunimmt.  Die 
Umstechung  des  nahe  der  Einmündung  des  Sinus  medialis  in  den 
Sinus  transversus  verletzten  Sinus  transversus  gelingt  nicht. 
Kräftige  Tamponade  mit  Vioformgaze  bringt  die  lebensgefährliche 
Blutung  endlich  zum  Stillstand. 

Obgleich  die  Operation  nur  wenige  Minuten  in  Anspruch 
nahm,  war  Pat.  hernach  sehr  anämisch,  erholte  sich  aber  rasch. 

Im  weiteren  Wundverlauf  traten  durch  mehrere  Tage 
Temperatursteigerungen  bis  38®  auf,  niemals  machten  sich  Er¬ 
scheinungen  von  seiten  der  Hirnnerven  bemerkbar.  Am  achten 
Tage  wurde  der  tamponierende  Streifen  entfernt ;  die  Wundhöhle 
verkleinerte  sich  rasch  durch  reichlich  wuchernde  Granulationen, 
so  daß  Pat.  nach  einmonatlichem  Aufenthalt  vollständig  geheilt 
entlassen  werden  konnte. 

Durch  einen  gegen  das  Hinterhaupt  mit  großer  Kraft 
geführten  Stich  kam  es  also  hier  zu  einer  Verletzung  der 
Arteria  occipitalis  mit  konsekutivem  Hämatom  unter  der 
Kopfschwarte.  Weiters  war  durch  das  als  Waffe  gebrauchte 
stark  gebaute  Messer  (wie  sich  später  feststellen  ließ)  ein 
Stichbruch  in  der  Schädelkapsel  entstanden,  wobei  ein  ein¬ 
gedrücktes  Knochenstück  den  verletzten  Sinus  transversus 
komprimierte  und  auf  diese  Weise  den  Blutaustritt  ver¬ 
hinderte.  Die  Diagnose  auf  penetrierende,  Schädelverletzung 
war  schon  aus  dem  lokalen  Befunde  zu  stellen,  man  sah  ja 
durch  den  Knochenspalt  bis  an  die  Dura  mater.  Eine  Mit¬ 
verletzung  des  Sinus  jedoch  konnte  nach  der  Lokalisation 
der  Wunde  höchstens  vermutet  werden.  Symptome  dafür 
waren  keine  vorhanden.  Als  Erklärung  für  die  plötzlich 
auftretenden  epileptiformen  Anfälle  könnte  man  ein  extra¬ 
durales  Hämatom  annehmen,  das  sich  erst  während  der 
Manipulation  an  der  Weichteilwunde  durch  Lockerung  des 
den  Sinusriß  komprimierenden  Knochenstückes  entwickelte. 
Daß  in  diesem  Fall  ein  chirurgisches  Eingreifen  indiziert 
war,  kann  wohl  genügend  begründet  werden.  Es  handelte 
sich  ja  um  eine  sicher  penetrierende  Kopfverletzung  mit 
Infektionsgefahr,  weiters  hatte  die  Untersuchung  ein  als 
Fremdkörper  anzusprechendes,  deprimiertes  Knochenstück 
ergeben  und  dazu  kamen  noch  Symptome  von  Hirnreizung. 
Erst  nach  Entfernung  des  Knochenfragmentes  zeigte  sich 
die  Sinusverletzung,  deren  starke  Blutung  mittels  Tampo¬ 
nade  beherrscht  wurde.  ' 

Da  die  Aetiologie,  die  Gefahren  und  Therapie  von  Ver¬ 
letzungen  des  Sinus  der  harten  Hirnhaut  erst  vor  einigen 
Jahren  von  Wharton®)  und  Luys®)  auf  Grund  der  in 
der  Literatur  verzeichneten  Fälle  (WMiarton  berichtet  über 
70,  Luys  über  58  derartige  Verletzungen)  in  ausführlicher 
Weise  besprochen  wurden,  erachtete  ich  es  für  unnötig, 
näher  auf  diese  Punkte  einzugehen.  Allgemein  will  ich  nur 
bemerken,  daß  hei  den  bisher  bekannten  Sinusvsrletzungen 
am  häufigsten  der  Sinus  longitudinalis  betroffen  wurde, 
selten  der  Sinus  transversus,  wie  bei  unserem  Patienten. 
Die  Prognose  ist  meist  eine  ungünstige. 

Nach  Wharton  kamen  nur  38-7Fo  zur  Heilung,  dar¬ 
unter  sind  mehrere  Patienten,  bei  denen  kein  operativer 
Eingriff  vorgenommen  wurde.  Daß  Knochensplitter  in  der 
Stichöffnung  des  verletzten  Sinus  stecken  blieben  und  da¬ 
durch  die  gefahrbringende  Blutung  bis  zu  ihrer  Extraktion 
verhinderten,  scheint  nicht  so  selten  vorzukommen  (ich  ver¬ 
weise  auf  die  Fälle  von  Abel,  Reid,  Scholtz,'^)  Rein¬ 
hold.®)  Was  die  Therapie  anbelangt,  so  kommt  es  vor 
allem  darauf  an,  der  Blutung  Herr  zu  werden.  Zu  diesem 
Zweck  wurden  bisher  Tamponade,  Kompression  durch 
Fingerdruck,  Einlegen  von  Catguthündeln,  Klemmpinzetten, 
die  Ligatur  des  Sinus,  seitliche  Ligatur  und  randständige 
Naht  mit  Seide  oder  Catgut  (Schwartz®)  angewandt.  Letz- 

*)  Wharton,  Annals  of  surgery  1901,  July;  Phil  acad.  of  sur¬ 
gery  1901. 

Luys,  Zentralbl.  f.  Chir.  1901,  S.  496  u.  842. 

U  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie,  1.  Bd.,  S.  220. 

*)  R  e  i  n  h  0  1  d,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Ghir.,  19.  Bd.,  S.  522. 

®)  Schwartz,  Revue  de  Chirurgie,  Nr.  11,  10.  Nov.  1896. 


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tere  beide  Verfahren  sind  wohl  als  die  idealsten  zu  be¬ 
zeichnen,  indem  dabei  eine  Obliteration  des  Sinus  vermieden 
werden  kann.  Leider  scheitert  oft  ihre  Anwendung  an  der 
technischen  Undurchführbarkeit.  Der  Tamponade  dagegen 
gelingt  die  Blutstillung  rasch,  fast  immer  (nach  Luys  soll 
sie  bei  Verletzungen  des  Längssiuus  nicht  stets  wirksam 
sein)  und  sie  kann  auch  von  ungeübter  Hand  vollzogen 
werden.  Ihre  Schattenseite,  hie  und  da  durch  Mitkom¬ 
pression  des  Gehirns  lokale  Drucksymptome  hervorzu rufen, 
wird  bei  ihrer  momentan  lebensrettenden  Wirkung  kaum 
imstande  sein,  sie  aus  der  Reihe  der  Behandlungsmethoden 
zu  verdrängen. 

Was  die  Knochenverletzung  bei  Schädelstichen  an¬ 
belangt,  so  ist  dieselbe  bekanntlich  von  der  Form  des  ge¬ 
brauchten  Werkzeuges  abhängig.  Nimmt  das  spitze  Instru¬ 
ment  bei  tieferem  Eindringen  wenig  an  Umfang  zu,  wie 
es  bei  den  gewöhnlichen  Taschenmessern  der  Fall  ist,  dann 
erfolgt  eine  glatte  Durchtrennung  des  Knochens ;  wird  es 
aber  rasch  massiger,  dann  ist  die  Wirkung  jener  stumpfer 
Körper  ähnlich.  Es  kam  daher  bei  unseren  Verletzten  zwei¬ 
mal  zu  einer  Durchstechung  des  Knochens  ohne  jede  Splitte¬ 
rung  und  einmal  zu  einem  Stichbruch. 


Bemerkungen  zu  dem  Artikel:  ,,Ein  Beitrag 
zur  Wirkung  der  Wechselstrombäder  bei 
Arteriosklerotikern  mittleren  Grades^^  von 

Dr.  L  Pöhlmann. 

Von  Dr.  0.  v.  Aufscliiiaiter,  Wien-Rohitsch-Sauerbrunn. 

tu  Nummer  52  vom'  27.  Dezember  1906  erschien  obig 
zitierter  Aufsatz,  in  welchem  betont  wird,  daß  die  Wechselstrom¬ 
bäder  bei  erhöhtem  Blutdruck  blutdruckerniedrigend  wirken  und 
deren  Gebrauch  daher  bei  Arteriosklerosis  mittleren  Grades  in¬ 
diziert  erscheint.  Ich  habe  diese  Erscheinung  bereits  wiederholt 
beobachtet  und  auch  schriftlich  niedergelegt*)  und  habe  oft  genug 
Gelegenheit  gehabt,  Arteriosklerotiker  gegen  meine  Ueberzeugung, 
auf  ausdrücklichen  Wunsch  des  Hausarztes  mit  Wechselstrom¬ 
bädern  zu  behandeln. 

Ich  habe  mich  dabei  nach  wiederholten  Versuchen  unter 
genauer  Kontrolle  der  Herzarbeit  darauf  beschränkt,  die  Wechsel¬ 
strombäder  möglichst  schwach  zu  geben  und  dann,  fast  immer 
gute  subjektive  Resultate  bei  Herabsetzung  des  Blutdruckes  er¬ 
zielt.  Ich  habe  mich  bei  der  Erklärung  dieser  Tatsache  nicht 
von  der  Erwägung  eines  gefäßtonisierenden  Einflusses  leiten 
lassen,  sondern  einfach  angenommen,  daß  bei  schwachen  Strömen 
nur  die  Körpermuskeln  in  Tätigkeit  versetzt  werden  und  das 
Herz  nicht  direkt  so  stark  beeinflußt  wird. 

Diese  ,, passive  Muskelarbeit“  bewirkt  im  Verein  mit  der 
gefäßerweiternden  Wirkung  des  warmen  Bades  Herabsetzung  des 
Blutdruckes.  Wie  bei  der  Massage  werden  die  peripheren  Wider¬ 
stände  in  der  Haut  (infolge  der  Hyperämie)  und  im  Muskel  (in¬ 
folge  der  stärkeren  und  leichteren  Durchblutung  des  arbeitenden 
Muskels)  gemindert,  das  Herz  kann  unter  günstigeren  Bedingungen 
arbeiten  und  paßt  sich  diesen  Verhältnissen  sofort  in  seiner 
Arbeitsleistung  an.  Darüber  hat  F  ranze  in  seiner  zitierten 
Arbeit  ausführlich  geschrieben  und  ist  diese  Wirkung  des  Bades 
und  der  Massage  schon  bekannt. 

Trotzdem  halte  ich  dafür,  daß  Wechselstrombäder  bei  ge¬ 
steigertem  Blutdruck  zum  mindestens  überflüssig,  eventuell  sogar 
gefährlich  und  daher  zu  meiden  sind,  sowie  daß  man  bei  diesen 
Zuständen  mit  CO2  -  Bädern  viel  günstigere  Resultate  erzielt  und 
bei  Anwendung  derselben  keinerlei  Gefahr  zu  schaden  läuft. 
Ausgenommen  sind  Arteriosklerotiker  mit  stark  erniedrigtem 
Blutdruck,  wenn  derselbe  ein  Sinken  der  Herztätigkeit  anzeigt, 
wobei  Wechselstrombäder  indiziert  erscheinen. 

Wenn  aber  Dr.  Pöhlmann  schreibt,  daß  ein  Arterio¬ 
sklerotiker  mit  hohem  Blutdruck  sich  beim  Gebrauche  von  CO2- 
Bädern  nicht  wohl  fühlte,  dürfte  dies  in  äußeren  Umständen, 
vielleicht  in  der  Anwendungsart  liegen  und  müßte  erst  unter¬ 
sucht  werden,  ob  da  kein  Fehler  geschehen  ist  (eventuell  zu 
starke,  zu  lang  dauernde  Bäder  oder  Mangel  von  absoluter  Ruhe 
nach  dem  Bade.) 

*)  lieber  physikalische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  Wiener 
klin.  Rundschau  1906,  Nr.  31/32. 


Muß  ich  aus  irgendwelchen  Gründen  Wechselstrombäder 
bei  höherem  Blutdruck  anwenden,  so  kontrolliere  icb  bei  jedem 
Bade  vor  und  nach  demselben  den  Blutdruck  und  bleibe  bei  einer 
Intensität  des  Stromes,  die  so  gering  ist,  daß  der  Patient  den 
Strom  kaum  spürt  und  wobei  keinesfalls  der  Blutdruck  erhöht 
wird  (eventuell  kann  man  den  Strom  auch  in  Form  der  drei  oder 
vier  Zellenbäder  anwenden.) 

Derartige  Bäder  sind  aber  sicher  von  den  gewöhnlichen 
Wechselstrombädern  different  und  ich  möchte  die  Wirkung  der¬ 
selben  mit  der  der  COg-Bäder  vergleichen  (welch  letztere  jedoch 
vorzuziehen  sind).  Ueber  die  günstige  Wirkung  derartiger  schwacher 
Bäder  hat  Dr.  Till  is  in  der  Deutschen  medizinischen  Wochen¬ 
schrift  1906,  Nr.  41,  geschrieben.  Praktisch  hat  er  dabei  die 
Erfahrung  gemacht,  daß  so  behandelte  Patienten  nach  dem  Bad 
längere  Zeit  liegen  müssen,  was  ja  auch  bei  dem  Gebrauch  der 
COg-Bäder  notwendig  ist. 


t^eferate. 


Experimentelle  und  klinische  Untersuchungen  über  die 
Histogenese  der  myeloiden  Leukämie. 

Von  Dr.  Kurt  Ziegler. 

Jena  1906,  Gustav  Fischer. 

Verf.  bericldet  zunächst  über  den  Ausfall  von  Tierversuchen, 
durch  welche  die  Frage  entschieden  werden  sollte,  wie  sich  das 
Knochenmark  verhält,  wenn  die  Funktion  des  Milzgewebes  aus¬ 
fällt,  ohne  daß  aber  das  Organ  selbst  aus  dem  Körper  ausgeschaltet 
wird.  Zur  Lösung  dieser  Frage  wurden  an  Mäusen,  Meer¬ 
schweinchen  und  Kaninchen  Röntgenbestrahlungen  der  Milz,  in 
einem  Teile  der  Mäuseversuche  auch  der  Lymphdrüsen,  bzw.  des 
Knochenmarkes  ausgeführt.  Alle  diese  Versuche  ergaben  im  we¬ 
sentlichen  übereinstimmende  Resiiltate.  Sie  zeigten,  daß  die  Be¬ 
strahlung  der  Milz  je  nach  der  Dauer  zu  partieller  oder  totaler 
Zerstörung  der  Follikel  führt,  woran  sich  eine  Verödung  der 
Pulpastränge  und  eines  Teiles  der  Pulpagefäße  schließt.  Da  gleich¬ 
zeitig  eine  starke  Abnahme  der  Lymphozyten  im  strömenden  Blul 
nachweisbar  ist,  so  schließt  Verf.,  daß  die  Milz  offenbar  die 
Hauptbildungsstätte  der  Lymphozyten  darstellt.  Mit  der  Abnahme 
der  Lymphozyten  geht  eine  Verminderung  der  Gesamtzahl  der 
Leukozyten  einher.  Gleichzeitig  kommt  es  infolge  der  Störung 
in  der  Milz  zu  einer  Hyperplasie  des  Knochenmarkes  und  als 
Folge  derselben  zu  einer  Ausschwemmung  myelogener  Elemente 
in  das  erhalten  gebliebene  Milzstroma,  zu  einer  sekundären  An¬ 
siedlung  und  Vermehrung  dieser  Zellen  daselbst,  also  zu  einer 
myeloiden  Umwandlung  der  Milz  und  in  weiterer  Folge  zu  einem 
Uebertritt  der  Myelozyten  in  das  Blut.  An  die  iMitteilung  dieser 
Versuchsergebnisse  schließt  Verf.  den  Bericht  über  die  ,, klinisch- 
histologische  Untersuchung  dreier  Fälle  myeloider  Leukämie“  an. 
Der  erste  dieser  Fälle  zeigte  akuten  Verlauf,  doch  erscheint  es 
mehr  als  fraglich,  oh  dieser  Fall  als  akute  myeloide  Leukämie 
aufgefaßt  werden  darf;  ebenso  ist  die  Identität  der  in  diesem 
Falle  im  Blute  nachgewiesenen  Zellen  mit  den  sogenannten  großen 
Lymphozyten  Ehrlichs  nichts  weniger  als  erwiesen  und  sind 
daher  die  auf  Grund  dieses  einen  Falles  ausgesprochenen  An¬ 
sichten,  sowie  die  kritischen  Bemerkungen  zu  der  vorliegenden 
Literatur  vollständig  unberechtigt. 

Indem  Verf.  seine  experimentell  an  Mäusen,  Meer¬ 
schweinchen  und  Kaninchen  gewonnenen  Erfahrungen  mit  den 
Ergebnissen  der  Untersuchung  der  drei  Fälle  von  Leukämie  zu- 
sannnenhält,  glaubt  er  die  Ansicht  vertreten  zu  können,  daß  zur 
Entstehung  der  myeloiden  Leukämie  eine  Schädigung  der 
Milz  notwendig  ist,  die  zu  einem  Verlust  oder  funktionellen  Ver¬ 
sagen  des  Follikelapparateis  führt,  ohne  daß  das  Stroma  und  die  Ge¬ 
fäßanordnung  eine  Veränderung  erleiden.  Infolge  ,, eigenartiger,  be¬ 
stimmter  Korr<dationen“  zwischen  Milz  und  Knochenmark  kommt 
es  nun  in  letzterem  zu  einer  vermehrten  Produktion  und  Aus¬ 
schwemmung  von  Myelozyten,  ferner  zu  einer  Einlagerung  dieser 
Elemente  in  das  verödete  Milzgewebe  und  zu  ungehemmtem  Wachs¬ 
lum  daselbst,  zu  einer  Ueberschwemmung  des  Blutes  mit  myelo¬ 
iden  Zellen  aus  Milz  und  Knochenmark  und  schließlich  zu  sekun¬ 
dären  Organverändorungen.  Verf.  stellt  weitere  Untersuchungen 
über  das  Wesen  der  lymphatischen  Leukämie  in  Aussicht,  indem 
er  einstweilen  amiimmi,  daß  es  sich  bei  dieser  Erkrankung  in 


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analoger  Weise  mn  eine  primäre  Schädigung  des  Mark¬ 
gewebes  und  als  Folge  derselben  um  hyperplastische  Veränderun¬ 
gen  des  lymphatischen  Apparates  der  Milz  handelt.  Allerdings  mu& 
schon  hzgl.  der  Ausführungen  über  die  myeloide  Leukämie  gesagt 
werden,  daß  sie  mit  den  anatomischen  Erfahrungen  nicht  in  Ein¬ 
klang  zu  bringen  sind,  da  die  vorausgesetzte  schwere  Veränderung 
der  Milzfollikel  gewiß  nicht  den  regelmäßigen  Befund,  viel  eher 
nur  eine  Ausnahme  bei  der  myeloiden  Leukämie  des  Menschen 
darstellt  und  daher  die  durch  Röntgenbestrahlung  bei  Tieren 
erzeugten  Veränderungen  eben  der  menschlichen  Leukämie  nicht 
gleichgestellt  werden  dürfen. 

Auf  Grund  der  im  vorstehenden  referierten  Anschauungen 
empfiehlt  der  Verfasser  als  Therapie  der  myeloiden  Leukämie 
die  Exstirpation  der  Milz  und  glaubt,  daß  dieselbe  in  manchen 
Fällen  nahezu  vollständige  Heilung  zur  Folge  haben  dürfte.  Im 
Gegensatz  hiezu  kann  nach  Ansicht  des  Verfassers  bei  der  lym¬ 
phatischen  Leukämie  weder  die  Exstirpation  der  Milz  noch  die 
Röntgenbestrahlung  eine  sichere  Besserung  oder  Heilung  bringen. 

* 

Karl  Weigert  und  seine  Bedeutung  für  die  medizinische 
Wissenschaft  unserer  Zeit. 

Eine  biographische  Skizze  von  Prof.  Dr.  Robert  Rieder. 
Berlin  1906,  Julius  Springer. 

Die  Broschüre  Rieders  ist  mehr  als  eine  biographische 
Skizze,  sie  beschränkt  sich  nicht  auf  eine  trockene  Schilderung 
des  Lebenslaufes  und  Werdeganges,  Forschens  und  Wirkens  eines 
der  Meister  der  pathologischen  Anatomie,  sie  zeigt  vielmehr,  wie 
die  zahlreichen  Arbeiten  Weigerts  entstanden  sind  und  nament¬ 
lich,  in  welchem  Verhältnis  sie  zueinander  und  zu  den  damals  herr¬ 
schenden  Anschauungen  und  Lehren  der  patliologischen  Anatomie 
standen,  wie  sie  läuternd  und  befruchtend  auf  dieselben  wirkten. 
Dementsprechend  zerfällt  die  anregend  geschriebene  Schrift  in 
mehrere  Kapitel,  die  sich  mit  der  pathologischen  Histologie,  <ler 
allgemeinen  Pathologie  und  Biologie,  der  Bakteriologie,  der  Neuro¬ 
logie  und  Älikrotechnik  und  der  pathologischen  Anatomie  beschäf- 
ligen.  Im  letzten  Kapitel:  ,,Weigert  als  Forscher,  Lehrer  und 
Mensch“,  widerlegt  Verf.  in  überzeugender  Weise  jene  Vorwürfe, 
die  gegen  die  Arbeits-  und  Lehrmethode  Weigerts  ungerecht  er¬ 
hoben  wurden  und  schildert  mit  Wärme  und  mit  der  treuen  Liebe 
des  dankbaren  Schülers  den  Menschen  W  e  i  g  e  r  t,  wie  er  gelebt  und 
gearbeitet  und  —  gelitten,  indem  er  20  Jahre  hindurch  aus  äußeren, 
mit  seinem  Beruf  und  seinem  Wirken  als  Forscher  und  Lehrer  in 
keinerlei  Zusammenhang  stehenden  Gründen  systematisch  ül)er- 
gangen  wurde,  indem  er,  obwohl  einer  der  größten  in  seinem 
Fache,  doch  niemals  das  angestrebte  Ziel,  eine  Lehrkanzel  für 
pathologische  Anatomie  an  einer  deutschen  Hochschule  erreichen 
konnte. 

An  diese  ergreifende  Schilderung  schließt  sich  ein  Ver¬ 
zeichnis  von  Weigerts  Arbeiten  (97  an  Zahl)  und  der  unter 
seiner  Leitung  von  seinen  Schülern  angefertigten  Publikationen, 
wie  ein  Artikel  von  E dinger:  „Karl  Weigerts  Verdienste  um 
die  Neurologie“  und  ein  Aufsatz  von  Ehrlich:  „Weigerts 
Verdienste  um  die  lustologische  Wissenschaft. 

* 

Methodik  der  klinischen  Blutuntersuchungen. 

Von  Prof.  Dr.  Ernst  Grawitz. 

Dritte,  vollständig  neu  bearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 
Leipzig  1906,  Georg  T  h  i  e  m  e. 

Das  bereits  in  dritter  Auflage  erschienene  Büchlein  von 
Grawitz  gibt  eine  kurz  gefaßte,  dabei  aber  ziemlich  vollständige 
Darstellung  der  Methoden,  die  bei  der  Ausführung  von  Blut¬ 
untersuchungen  am  Krankenbette  Verwendung  finden.  Neben  der 
Art  der  Blutentnahme,  der  Untersuchung  im  nativen  und  gefärbten 
Präparat  Mnd  einigen  kurzen  Angaben  über  die  bakteriologische 
Blutuntersuchung)  werden  auch  die  physikalisch-chemischen  IJnter- 
suchungsmethoden  des  Blutes  dargestellt.  Am  Schlüsse  sind  die 
der  neuesten  Auflage  des  Lehrbuches  des  Verfassers  entnommenen 
sechs  farbigen  Tafeln  angefügt,  die  in  zahlreichen,  zum  Teil  sehr 
gelungenen  Abbildungen  die  verschiedenen  Formen  von  roten 
und  weißen  Rlutkör]>erchen  wiedergeben.  Carl  Sternberg. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehnften. 

101.  (Aus  der  experimentell -pathologischen  Abteilung  des 
Pathologischen  Institutes  der  Universität  in  Berlin.)  Ueber  die 
Aenderung  des  Magenchemis-mus  nach  der  Gastro¬ 
enterostomie  und  den  E  i  n  f  1  u  ßi  dieser  0  p  e  r  a  t  i o  n  auf 
d  a  s  U 1  k  u  s  u  n  d  C  a  r  c  i  n  o  m  a  v  e  n  t  r  i  c  u  1  i.  Von  Dr.  M.  Katze  n- 
stein,  Chirurg  in  Berlin.  An  sieben  Hunden  wurde  eine  Gastro¬ 
enterostomie  ausgeführt  und  sodann  zahlreiche  Beobachtungen 
gemacht  und  Vereuche  angestellt.  Bei  zwei  Tieren  wurde  experi¬ 
mentell  ein  Ulcus  jejuni  erzeugt  und  die  Salzsäurewirkung  auf 
diese  Geschwüre  studiert.  Die  Ergebnisse  seiner  Studien  und 
Beobachtungen  faßt  Verf.  in  folgenden  Grundsätzen  zusammen: 
1.  Bei  jeder  Form  der  Gastroenterostomie  fließt  Galle  und  Pan¬ 
kreassaft  in  den  Magen  ein.  In  der  ersten  Zeit  nach  der  Operation 
dauernd,  später  periodisch  u.  zw.  sind  bei  fettloser  Nahrung 
Galle  und  Pankreassaft  IV2  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme 
im  Magen  nachweisbar;  bei  fettreicher  NMu’ung  infolge  reflek¬ 
torischer  Erregung  der  Absonderung  dieser  Säfte  (wahrscheinlich 
vom  Magen  aus)  schon  nach  einer  halben  Stunde.  2.  Folgen 
dieses  Einfließens  alkalischen  Darmsaftes  in  den  sauren  Mageii- 
iiihali  sind :  Herabsetzung  der  Azidität  infolge  einer  chemischen 
Reaktion  und  außerdem  einer  reflektorischen  Herabsetzung  der 
Salzsäureproduktion.  Pepsin  wird  durch  eine,  wenn  auch  vor¬ 
übergehende  alkalische  Reaktion  wirkungslos,  während  das  Trypsin 
durch  eine  vorübergehende  saure  Reaktion  nur  in  geringer  Weise 
geschwächt  wird.  Salzsäurepepsinverdauung  scheidet  demnach 
nach  der  Gastroenterostomie  in  höherem  Grade  aus.  3.  Einfluß 
der  Gastroenterostomie  auf  das  Ulcus  ventriculi.  Zur  Entstehung 
des  Ulkus  ist  unter  anderen  Bedingungen  die  Salzsär;re  erforder¬ 
lich  ;  sie  ist  der  Hauptfaktor  für  das  Bestehenbleiben  des  Ge¬ 
schwürs.  Wir  sind  imstande,  durch  eine  bestimmte  Diät  nach 
der  Gastroenterostomie  die  Salzsäure  ganz  auszuschalten  (fett¬ 
reiche  Kost,  häufige  Nahrungsaufnahme,  Wasser  verursachen  re¬ 
flektorisch  eine  stärkere  Sekretion  der  Galle  und  des  Pankreas¬ 
saftes  und  einen  vermehrten  Zufluß  dieser  Säfte  zum  Magen) 
und  sind  daher  in  der  Lage,  das  Ulkus  zur  Heilung  zu  bringen 
und  die  Entwicklung  des  auf  gleicher  Grundlage  entstehenden 
Ulcus  jejuni  zu  verhüten.  Wenn  auch  der  Chirarg  mit  der  Gastro¬ 
enterostomie  kausale  Therapie  treibt,  so  sollen  trotzdem  nur 
solche  Fälle  der  Operation  unterworfen  werden,  die  nach  langer, 
sorgfältiger  innerer  Behandlung  nicht  zur  Heilung  gelangen.  4.  Der 
Einfluß  der  Gastroenterostomie  auf  das  Carcinoma  ventriculi  ist 
in  erster  Linie  auf  die  Bessemng  der  Motilität  zurückzuführen. 
Die  oft  mehrere  Jahre  anhaltenden  Besserungen  inoperabler  Kar¬ 
zinome  sind  vielleicht  auf  die  Wirkung  des  in  den  Magen  eiii- 
fließenden  Trypsins  zurückzuführen,  das  vielleicht  die  Innen¬ 
oberfläche  des  Karzinoms  verdaut  und  ein  Stehenbleihen  im 
Wachstum  auf  einige  Zeit  verursacht.  Versuchsweise  soll  daher 
die  Gastroenterostomie,  außer  beim  Pyloruskarzinom,  auch  bei 
jedem  nicht  melir  resezierbaren  Karzinom  ausgeführt  werden. 
—  (Deutsche  medizin.  Wochenschrift  1907,  Nr.  3  und  4.)  E.  F. 

102.  Ein  Fall  von  tödlichem  Milzbrand.  Patho¬ 
logisch-anatomische  und  experimentelle  Untersu¬ 
chungen  über  die  Pustula  maligna.  Von  Menetrier 
und  Clunet.  Der  Patient,  ein  36jähriger  Kupferdreher,  wurde 
in  der  Nähe  des  Schlachthauses  von  einem  fliegenartigen  Insekt, 
vielleicht  Stomoxys  calcitrans,  gestochen.  Es  trat  an  der  Stich¬ 
stelle  in  der  rechten  mittleren  Halsgegend  zunächst  ein  schmerz¬ 
hafter,  furunkelartiger  Knoten  auf,  am  folgenden  Tage  entwickelte 
sich  ein  schmerzhafles  Oedem  in  der  Umgebung  des  Knotens. 
Bei  der  Aufnahme  fand  sich  an  der  Stelle  des  Stiches  eine  ty¬ 
pische  Milzbrandpustel  mit  schwärzlich-violettem  Zentrum,  von 
mehreren  erbsengroßen,  unregelmäßig  geformten  Blasen  umgeben. 
Die  Pustel  bildete  den  Mittelpunkt  eines  harten,  schmerzhaften, 
vom  Unterkiefer  zum  rechten  Schlüsselbein  reichenden  Oedems. 
Der  Patient  zeigte  große  Aengstlichkeit  und  Unrulie,  der  Puls 
war  sehr  schwach  und  enorm  beschleunigt,  die  Mastdarmtem¬ 
peralu  r  betrug  38“.  Unter  Fortschreiten  des  Oedems  entwickelte 
sich  hochgradige  Dyspnoe  und  Oligurie,  der  Exitus  erfolgte  unter 
suhnormaler  Temperatur  im  Kollaps.  Die  Behandlung  bestand 
in  tiefen  Kauterisationen  in  der  Umgebung  der  Pustel,  subkutanen 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


Injektionen  von  Jodtinktur,  wiederholte  Injektionen  von  künst¬ 
lichem  Serum  und  einer  einmaligen  Injektion  von  20  cm®  Milz¬ 
brandserum.  Die  Züchtung  von  Milzbrandbazillen  gelang  nur 
aus  den  um  die  Milzbrandpustel  sitzenden  Blasen  und  aus  der 
mediastinalen  Oedemflüssigkeit.  Die  Milz  war  nicht  vergrößert 
und  zeigte  den  bei  kardialer  Stauungsmilz  beobachteten  Reichtum 
an  Blut.  Die  Untersuchung  der  Milzbrandpustel  ergab  eine  unter 
der  Epidermis  und  eine  unter  der  Kutis  sitzende  Hämorrhagie, 
welche  sich  sonst  bei  Milzbrandpusteln  nicht  erwähnt  findet. 
Tatsächlich  scheint  jedoch  die  Blutung  infolge  der  enormen  Ge¬ 
fäßerweiterung  die  hauptsächliche  Läsion  darzustellen,  an  welche 
sich  erst  später  Nekrose  und  Oedem  anschließen.  Auch  sonst 
bilden  Oedeme  und  Hämorrhagien  der  inneren  Organe  den  wicb- 
tigsten  Befund  bei  generalisierter  Milzbrandinfektion.  Es  gelang 
experimentell,  eine  lokale  Infektion  bei  Meerschweineben  und 
Mäusen,  welche  an  der  Rückenhaut  epiliert  wurden,  hervorzu¬ 
rufen,  wenn  ein  Stückchen  der  Gelatinekultur  auf  eine  der  durch 
einen  roten  Punkt  gekennzeichneten  Hautstellen  appliziert  wurde. 
In  einigen  Fällen  entwickelte  sich  peripheres  Oedem  und  die 
Tiere  gingen  nach  fünf  bis  sieben  Tagen  an  Septikämie  zugrunde, 
während  nach  der  gewöhnlichen  Methode  subkutan  geimpfte  Tiere 
innerhalb  48  Stunden  zugrunde  gehen.  Die  histologische  Unter¬ 
suchung  der  experimentellen  Pusteln  ergab  hinsichtlich  des  Sitzes 
der  Hämorrhagien,  der  Verteilung  der  Bakterien  und  Leukozyten, 
sowie  der  parzellenweise  auftretenden  Nekrose  den  gleichen 
Befund  wie  die  Pustula  maligna  beim  Menschen.  —  (Bull,  et 
Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1907,  Nr.  1.)  a.  e. 

* 

103.  Zur  Kenntnis  der  Psychosen  der  Morphium¬ 

abstinenz.  Zugleich  ein  Beitrag  zur  Aetiologie  der 
A  m  e  11 1  i  a.  V on  Dr.  E.  C  h  o  t  z  e  n.  Die  beiden  von  C  b  o  t  z  e  n 
geschilderten  Fälle  haben  das  gemeinsame,  daß  der  akute  Beginn 
bei  körperlichem  Verfall  und  der  Verlauf,  wohl  auch  die  Dauer 
der  Psychose  und  der  Ausgang  in  Heilung  alle  Charakteristika 
jener  Psychosen  bieten,  die  Kraepelin  als  Erseböpfungspsy- 
chosen  bezeichnet  u.  zw.  fielen  die  beiden  vorliegend  geschil¬ 
derten  Fälle,  bei  zwei  chronischen  Morphinisten  beobachtet,  unter 
die  spezielle  Bezeichnung  Amentia.  Diese  Beobachtung  scheint 
darauf  zu  verweisen,  daß  die  Analogie  für  die  Psychosen  der 
Morphiumabstinenz  \delfacb  weniger  beim  Delirium  tremens  der 
Alkoholisten,  als  vielmehr  bei  der  Gruppe  der  Erschöpfungs¬ 
und  der  verwandten  Psychosen  zu  suchen  wäre.  Wenn  ange¬ 
nommen  wurde,  daß  die  Amentia  besonders  durch  ilie  indirekte 
Wirkung  der  organisierten  Gifte  bedingt  sei,  so  sind  die  hier 
mitgeteilten  Fälle  ein  Beweis  dafür,  daß  die  chemischen  Gifte 
dieselbe  Wirkung  haben.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie 
und  psychisch  -  gerichtliche  Medizin,  Bd.  63,  H.  6.)  S. 

* 

104.  Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  Altonaer  städti¬ 
schen  Krankenhauses  (Oberarzt  Prof.  Dr.  F.  König).  Beiträge 
zur  pathologischen  Anatomie  der  Appendizitis.  Von 
Dr.  E.  Franke,  gewes.  Assistenten.  Verf.  legte  von  zwanzig 
per  Operationen!  und  sechs  per  sectionem  gewonnenen  Wurm¬ 
fortsätzen  (letztere  stammen  von  Leichen,  die  im  Leben  niemals 
Symptome  von  Appendizitis  gehabt  haben)  Serienschnitte  an, 
um  ein  genaues  pathologisch-anatomisches  Bild  zu  erhalten  über 
die  Entstehung,  die  ersten  Anfänge,  den  Verlauf  und  das  Ver¬ 
halten  der  Wandschichten  bei  WMrmfortsatzentzündung.  An¬ 
schließend  an  die  detaillierten  Schilderungen  der  pathologisch- 
anatomischen  Befunde  faßt  Verf.  seine  Ergebnisse  in  ein  paar 
kurze,  bemerkenswerte  Leitsätze  zusammen :  Die  von  vielen 
Autoren  vorgeschlagenen  komplizierten  Einteilungen  der  Appen¬ 
dizitis  scheinen  nicht  zweckmäßig  zu  sein.  Pathologisch-anato¬ 
misch  ist  die  Appendizitis  in  eine  solche,  die  nur  mit  Erkran¬ 
kung  der  Mukosa  einhergeht  und  in  eine  solche,  bei  der  die 
Wandungen  mitergriffen  sind,  einzuteilen.  Erstere  Fornr  ist  meist 
die  Folge  der  Mitbeteiligung  der  Appendix  an  Darmkatarrhen, 
wobei  es  infolge  der  für  die  Appendix  obwaltenden  Besonder¬ 
heiten  zu  einem  chronischen  Katarrh  der  Appendixmukosa  kommt, 
der  entweder  zur  völligen  Atrophie  der  Schleimhaut  und  zur 
Obliteration  oder  anderseits  durch  Sekretretention  oder  Fremd¬ 
körper  zur  Usur  und  Geschwürsbildung  führen  kann.  Unter¬ 


bleibt  die  glatte  Ausheilung  des  Geschwüres,  so  kann  es  zu 
Verengerungen  oder  zum  Verschluß  des  Lumens  an  der  be¬ 
treffenden  Stelle  kommen,  mit  langsam  weiterschreitender  Atrophie 
der  distal  gelegenen  Schleimhaut  im  Gefolge,  oder  es  entwickelt 
sich  bei  fortbestehender  Drüsenfunktion  ein  Hydrops  proc.  vermi¬ 
formis.  Das  Geschwür  kann  aber  auch  —  begünstigt  wird  dies 
durch  Fi'emdkörper,  insbesondere  durch  Kotsteine  —  zur  Ein¬ 
trittspforte  der  Bakterien  werden  und  so  zur  Erkrankung  der 
Submukosa  und  der  angrenzenden  Gewebschichten  führen;  diese 
Wendung  führt  dann  zu  der  klinisch  schweren  Attacke,  die  uns 
in  der  Regel  als  appendizitischer  Anfall  imponie.rt;  man  findet 
aber  bei  jeder  Appendizitis,  auch  bei  dem  im  ersten  Anfall, 
am  ersten  Tage  exslirpierten  Wurmfortsatz,  ältere,  auf  chroni¬ 
scher  Erkrankung  der  Mukosa  beruhende  Veränderungen.  Wichtig 
erscheint  ferner  die  wiederholt  gemachte  Beobachtung,  daß  Eite¬ 
rungen  gerne,  den  submukosen  Gefäßen  folgend,  ins  Mesenterio- 
lum  durchbrechen  und  daselbst  relativ  häufig  zur  Bildung  kleiner 
Abszesse  führen;  es  empfiehlt  sich  daher,  stets  möglichst 
das  ganze  Mesen  teriolum  zu  entfernen,  um  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  postoperativen  Peritonitis  auszuschalten,  deren  Ent- 
•  stehen  aus  dem  infektiöses  Material  enthaltenden  Stumpf  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen  ist.  Die  auch  bei  akuter  Appendizitis 
vorkommende  Endarteriitis  obliterans,  die  ebenso  wie  bei  chro¬ 
nischer  Appendizitis  auch  bei  im  ersten  Anfall  exslirpierten 
Wurmfortsätzen  wiederholt  beobachtet  wurde,  hat  ätiologisch  für 
die  Appendizitis  keine  Bedeutung.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie  1906,  Bd.  84,  H.  4  bis  6.)  F.  H. 

* 

105.  Aus  dem  medizinisch-poliklinischen  Institut  der  Uni¬ 

versität  Berlin  (Direktor:  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Senator). 
Wirken  weiße  Blutkörperchen  heterolytisch?  Von 
M.  Mo;sse.  Zur  Beantwortung  der  Frage,  ob  Leukozyten  und 
Lymp'hozyten  bei  der  Eiweißispaltung  der  Organe  sich  gleich  oder 
verschieden  verhalten,  hat  Verf.  Versuche  in  Anlehnung  an  die 
Jakobyische  Anordnung  so  angestellt,  daß  einerseits  die  Wir¬ 
kung  von  Knochenmarksaft,  anderseits  die  von  Lymphdrüsen- 
saft  auf  die  Spaltung  von  Lungengewebe  untersucht  wurde.  Für 
jeden  Versuch  wurden  jedesmal  zwei  junge  Hunde  verwandt,  die 
in  Morphiumcbloroformnarko'se  durch  Aderlaß  getötet  wurden. 
Das  Knochenmark  der  langen  Röhrenknochen,  soAvie  die  Lymph- 
drüsen  wurden  mit  0-9%iger  Kochsalzlösung  verrieben,  das  Filtrat 
zu  einer  bestimmten  Menge  auf  gefüllt,  bestimmte  Teile  dieser 
Knochenmark-  und  Lymphdrüsensäfte  wurden  dann  zum  ].,ungen- 
brei  hinzugefügt  und  nach  Zusatz  von  Chloroform  und  Toluol 
der  Heterolyse  im  Brutschrank  bei  38°  überlassen.  Außerdem 
wurden  die  gleichen  Mengen  Lungenbrei,  sowie  der  Knochen¬ 
mark-  und  Lymphdrüsensäfte  getrennt  autolysiert.  Nach  40  bis 
42  Stunden  wurde  der  Prozeß  unterbrochen,  die  vorher  ge¬ 
trennten  Mengen  von  Knochenmarksaft  und  Lungenbrei,  sowie 
von  Lymphdrüsensaft  und  Lungenbrei  vereinigt,  diese,  soAvie  die 
vor  der  Autolyse  vereinigten  Mengen  mit  Mononatriumphosphat 
enteiweißt  und  die  Menge  des  nicht  koagulablen  Stickstoffes  be¬ 
stimmt.  Aus  diesen  vom  Verf.  genau  und  detailliert  geschilderten 
Versuchen  folgt,  daß  Aveder  Knochenmarks-,  noch  Lymphdrüsen¬ 
saft,  d.  h.  also  weder  Leukozyten-  noch  Lymphozytensaft  den 
bei  der  Autolyse  der  Lunge  entstehenden,  nicht  koagulablen  Stick¬ 
stoff  vermehrt.  Weder  Leukozyten  noch  Lymphozyten  des  ge¬ 
sunden  Hundes  AAurken  heterolytisch.  In  pathologischen  Fällen 
mögen  die  Verhältnisse  anders  liegen.  Zum  Schlüsse  erklärt  der 
Verfasser,  daß  seine  Versuche  nicht  gegen  die  Ehrlichsche 
Scheidung  der  Aveißen  Blutkörperchen  sprechen.  —  (Münchener 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  5.)  G. 

* 

106.  Chirurgische  Behandlung  der  chronischen 
Kolitis.  Von  Ingersoll  Olmsted.  Verf.  beschreibt  AÜer  Fälle 
von  chronischem  Dickdarmkatandi  verschiedener  Aetiologie, 
Avelche  sämtlich  durch  Operation  geheilt,  bzAv.  erheblich  gebessert 
Avurden.  Beim  ersten  Falle  wurde  der  Erfolg  durch  Exzision  Amn 
hohen  Hämorrhoidalknoten  und  Behandlung  einer  Fissur  herbei¬ 
geführt.  Im  zweiten  Falle  Avurde  durch  Kolostomie  und  wieder¬ 
holte  Darmausspülungen  erhebliche  Besserung  erzielt.  Im  dritten 
Falle  führten  Kolostomie  und  Darmirrigationen  mit  Salzlösungen, 


266 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


sowie  schwachen  Borax-  und  Lapislöisungon  nur  teilweise  Besse¬ 
rung  insofern  herbei,  als  Eiter,  Blut  und  Schleimhautfetzen  aus 
dem  Stuhle  verschwanden,  die  Absonderung  von  Schleim  da¬ 
gegen  beharrlich  persistierte.  Erst  die  Entfernung  des  entzün¬ 
deten  Wurmfortsatzes  führte  die  völlige  Heilung  herbei,  indem 
danach  die  starke  Schleimabsonderung  des  Dickd;u’mes  fast  mit 
einem  Schlage  auf  hörte.  Auch  der  vierte  Fall  kam  durch  Appendek¬ 
tomie  zur  völligen  Heilung.  Verf.  gedenkt  in  Zukunft  bei  chroni¬ 
schen  Dickdarmkatarrhen  immer  den  Wunnfortsatz  und  seine 
eventuelle  operative  Entfernung  in  den  Kreis  seiner  Erwägungen 
zu  ziehen.  —  (British  medical  Journal,  10.  November  1906.) 

J.  Sch. 

* 

107.  Aus  der  Chirurg.  Klinik  der  Charite  Berlin  (Prof.  Hilde¬ 
brand).  Heber  die  trau m  a  t i  s c h  e  Ruptur  (1  e s  D' u c  t ii s 
hepaticus.  Von  Dr.  Hildebrandt,  Assistenzarzt  tier  Klinik. 
Verf.  berichtet  über  ein  fünfjähriges  Mädchen,  welches  von  einem 
Karren  überfahren  worden  war.  Auftreten  von  Erbrechen,  Flatus 
und  Stuhlgang  vorhanden,  Anschwellen  des  Leibes.  In  die  Klinik 
gebracht,  konnte  anfänglich  keine  genaue  topische  Diagnose  ge¬ 
stellt  werden.  Nach  mehrtägiger  Beobachtung  wurde,  nachdem 
der  Bauchumfang  bei  vorhandenem  Stuhlgang  und  ohne  daß 
peritonitische  Symptome  bestanden,  rascli  immer  größer  wurde, 
das  Kind  dabei  rapid  abmagerte  und  die  Anwesenheit 
von  Gallenfarbstoff  im  Urin  festgestellt  wurde,  eine 
Ruptur  eines  größeren  Gallenganges  oder  der  Gallenblase 
angenommen  (Puls  140,  Temperatur  38°,  kein  Ikterus)  und  fünf¬ 
zehn  Tage  post  trauma  zur  Laparotomie  geschritten.  Man  fand 
klare  Galle  im  Abdomen,  sämtliche  Darmschlingen  mit  gelb¬ 
lichen  Fibrinbeschlägen  bedeckt,  keine  Ruptur  der  Leber,  am 
Duct u s  h e p a  t i c u s  jedoch  einen  1  cm  langen  Ri  ß.  Da 
dessen  Naht  nicht  gelang,  wurde  ein  Gummirohr  in  den  Ductus 
hepaticus  eingeführt  (Drainage  nach  Poppert),  die  Bauchdecken 
größtenteils  durch  Naht  geschlossen.  Vier  Wochen  nach  der  Ope¬ 
ration  wurde  das  Kind  geheilt  entlassen.  Aus  dieser  Beobach¬ 
tung  und  den  spärlichen  diesbezüglichen  kasuistischen  Mitteilun¬ 
gen  (fünf  Zerreißungen  des  Hepatikus  von  Sewerrenz  1903, 
elf  Verletzungen  des  Ductus  choledochus  von  Stierli)i  1904 
gesammelt)  versucht  Verf.  ein  genaues  Krankheitsbild  dieser 
seltenen  Verletzung  zusammenzustellen.  Sie  kommen  in  der 
Regel  bei  jugendlichen  Individuen  durch  Ueberdehnungen  der 
Gallenwege  vor,  indem  deren  zarte  Wände,  während  die  Leber 
durch  eine  breite  Gewalt  nach  oben,  die  Därme  nach  unten 
gepreßt  werden,  an  Stellen,  wo  die  Gänge  fester  fixiert  sind 
und  nicht  ausweichen  können,  quer  platzen.  Das  Symptomen- 
bild,  anfangs  dunkel,  klärt  sich  bald,  wenn  der  Shock  geschwundeji 
ist.  Die  langsame  Anschwellung  des  Leibes,  durch  Ausfluß  der 
Galle  in  die  freie  Bauchhöhle  bedingt  —  Acholie  der  Stühle  bei 
vollständigem  Querriß  —  häufig,  jedoch  nicht  immer,  Ikterus, 
Auftreten  von  Gallenfarbstoff  im  Urin  und  das  baldige  Einsetzen 
einer  starken  Abmagerung  des  Verletzten  sichern  bei  in  der 
Regel  fehlenden,  akut  peritonitischen  Symptomen  die  Diagnose 
einer  Gallenwegverletzung.  Die  starke  Abmagerung  scheint  durch 
den  beständigen  Verlust  der  Galle,  noch  mehr  aber  durch  die 
Resorption  der  gallensauren  Salze  bedingt  zu  sein;  die  allzu 
rasche  Resorption  der  toxischen  Substanzen  wird  zwar,  aber 
nicht  in  ausreichender  Weise,  durch  das  frühzeitige  Auftreten 
einer  fibrinösen  Peritonitis  erschwert;  ob  letztere  nur  durch 
chemische  Reize  bedingt  ist  oder  dabei  auch  die  Invasion  von 
Bakterien  eine  Rolle  spielt,  isl  nicht  sicher  zu  entscheiden. 
Septische  Peritonitis  durch  Anwesenheit  von  Galle  ist  bisher 
eine  große  Seltenheit.  Die  Prognose  gilt  trotzdem  als  sehr  ernst. 
Außer  dem  niitgeteilten  geheilten  Fall  starben  alle  mit  Hepalikus- 
rupturen  (danmler  zwei  operierte).  Von  den  elf  Choledochus- 
verletzungen  Stier  lins  (zehn  operierte)  starben  acht.  Die  Ur¬ 
sache  dieser  schlechten  Resultate  sieht  Verf.  in  dem  zu  späten 
operativen  Eingreifen ;  und  ohne  Operation  gehen  die  Verletzten 
an  Inanition  zugrunde.  Verf.  tritt  daher  nach  gesicherter  Dia¬ 
gnose  für  eine  frühzeitige  Operation  ein.  Durch  das  lauge  Zu¬ 
warten  werden  einerseits  die  Patienten  immer  schwächer,  ander¬ 
seits  die  Verhältnisse  im  Bauche  immer  unklarer,  die  Oiauaition 
dadurch  schwieliger,  dadurch  auch  die  Aussicht,  ilie  Bißstelle 
zu  finden,  eine  unsichere  und  die  Prognose  imjiier  schlechter. 


Mit  dei’  Punktion,  die  vielfach  geübt  wurde,  ist  keiner  gerettet 

worden.  Da  die  Naht  selten  gelingt,  erscheint  die  Hepatikus- 

drainage  oder  die  Einpflanzung  des  zentralen  Stumpfes  in  eine 

Dünndarmschlinge  als  das  Rationellste.  —  (Langenbecks  Archiv 

für  klinische  Chirurgie  1906,  Bd.  81,  I.  Teil,  Festschrift  für 

V.  Bergmann.)  F.  H. 

* 

108.  Weitere  Untersuchungen  zur  Anatomie  der 

menschlichen  Gehirnoberfläche.  Von  Dr.  Richard  Wein¬ 
berg  in  Dorpat.  Weinberg  versuchte  im  Anschluß  an  frühere 
Mitteilungen  über  den  gleichen  Gegenstand  und  in  weiterer  Be¬ 
ziehung  zu  Darstellungen  anderer  Autoren  an  50  Gehirnhemi¬ 
sphären  polnischer  Herkunft  —  wobei  darauf  geachtet  wurde, 
den  etwaigen  Einfluß  pathologischer  und  degenerativer  Faktoren 
auf  die  Gehirnform  möglichst  auszuschließen  . —  die  Windungs¬ 
verhältnisse  zu  studieren.  An  jedem  einzelnen  Objekt  wurden 
die  allgemeine  Gestaltsentwicklung,  die  Ausbildung  der  größeren 
Regionen  und  Lagen  der  Rinde  und  ihr  Verhältnis  zu  einander, 
der  allgemeine  Typus  der  Rindenfaltungen  und  die  Variationen  der 
Furchen  und  Windungen  unmittelbar  am  Präparat  studiert  und 
mittels  geometrischer  und  photographischer  Aufnahmen  zur  An¬ 
schauung  gebracht.  Weinberg  befürwortet  für  vergleichende  Unter¬ 
suchungen  der  Gehirnoberfläche  jeder  Furche  und  Windung  ein 
besonderes  Beobachlungsblatt  zu  widmen.  —  (Archiv  für  Psy¬ 
chiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  1.)  S. 

109.  lieber  digestiven  Magensaftzufluß.  Von 
Dr.  J.  Boas  in  Berlin.  Abnorme  Magensaftmengen  finden  sich, 
wie  allgemein  anerkannt  wird,  in  Verbindung  mit  Ulcus  ventriculi, 
bei  Störungen  am  motorischen  Apparat  (Pylorüsstenose  und  -spas¬ 
mus)  und  man  spricht  dann  von  einem  kontinuierlichen  oder  per¬ 
manenten  Magensaftzu f hiß.  Sodann  gibt  es  eine  zweite  Form, 
die  bei  gewissen  Neurosen  des  Magens  (Erkrankungen  des  Rücken¬ 
marks,  in  erster  Linie  Tabes  dorsalis)  anfallsweise  Auftritt, 
wobei  die  Magenfunktion  in  der  Zwischenzeit  sich  völlig  normal 
verhält.  Hiezu  kommt  eine  dritte  Form,  die  sogenannte  alimentäre, 
welche  Verf.  als  digestive  bezeichnen  möchte,  weil  die  ver¬ 
mehrte  IMagensaftausscheidung  hier  ausschließilich  an  den 
Digestionsakt  geknüpft  ist.  Verf.  berichtet  über  die  bisherigen 
Untersuchungsresultate  anderer  Forscher  (Straus,  Zweig  und 
Calvo,  Hans  Elsner  u.  a.),  erwähnt,  daß  die  digestive  Hyper¬ 
sekretion  fast  ausschließlich  bei  Männern  vorkomme  (seine  zwölf 
Fälle  betrafen  nur  Männer)  und  bespricht  sodann  die  Symptomato¬ 
logie  dieses  Leidens.  Ein  höchst  auffallendes  Symptom  ist  die 
sehr  erhebliche  Abmagerung  des  Kranken,  Gewichtsab¬ 
nahmen  von  10  bis  15  kg  sind  nichts  Seltenes.  Da  der  Appetit 
und  die  Nahrungsaufnahme  der  Kranken  normal  sein  können 
(ab  und  zu  sind  beide  gestört),  so  ist  an  dem  Gewichtsverluste 
der  große  Verlust  von  Magensaft,  die  Magensaftvergeudung,  schuld. 
Nach  einem  Probefrühstücke  fand  Verf.  eine  reine  Magensaftmenge 
von  200  bis  300  g,  bei  vier  bis  fünf  Mahlzeiten  tagsüber  beträgt 
die  unnütz  vergeudete  Magensaftmenge  sicherlich  mehr  als  zwei 
Liter  und  der  Verlust  einer  so  großen  Menge  eines  eiweißhaltigen 
Sekretes  schädigt  den  Organismus.  Hiezu  kommt,  daß  beim  dige¬ 
stiven  Magensaftzufluß  die  Amylolyse  nachweislich  geschädigt  wird. 
Dann  besteht  erhebliche  Obstipation,  die  Kranken  klagen  über 
Druck,  Völle,  Aufstoßen,  bisweilen  über  heftige  Schmerzen  im 
Magen,  wodurch  das  Symptomenbild  dem  der  nervösen  Dyspepsie 
sehr  ähnlich  wird.  Objektiv  nachweisbar  ist  fast  immer  das 
Plätschern  in  mehr  oder  weniger  großem  Umfange,  sodann  Druck¬ 
empfindlichkeit  und  zuweilen  ein  leichter  Meteorismus.  Der  Urin 
zeigt  zuweilen  Verminderung  der  Chloride,  vielfach  auch  eine 
Steigerung  des  Indikangehaltes.  Da  das  Krankheitsbild  dem  bei 
der  nervösen  Dyspepsie  und  der  sog.  Magenatonie  sehr  ähn¬ 
lich  ist,  so  muß  behufs  Differentialdiagnose  die  sekretorische 
und  motorische  Funktion  des  IMagens  geprüft  werden.  Verfasser 
schlägt  vor,  den  Kranken  ein  trockenes  Probefrühstück 
in  Form  \mn5Alber  t-Kakes  zu  verabreichen.  Unter  normalen 
Verhältnissen  wird  man,  wenn  mau  diese  Kakes  mit  oder  ohne 
Wasser  reicht,  eine  Stunde  post  coenam  entweder  gar  keine 
oder  nur  kleinere  oder  größere  Residuen  erhalten,  bei  denen 
aber  Wasser  und  Kakes  zu  innig  vermischtem  Brei  verliunden 
sind.  In  ausgesprocheneren  Fällen  digestivem  Magonsaftflusses 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


findet  man  nach  Üaiieiclmng  von  fünf  Kakes  dnrcli  Expression 
oder  Aspiration  100  bis  200  eines  Gemisches,  das  eine  kleine 
(iruiulschicht  und  eine  diese  um  das  Drei-  bis  Fünffache  über¬ 
steigende,  klare  oder  leicht  gelrühle,  üherslehende  Flüssigkeils¬ 
schicht  zeigt,  die  im  Avesentlichen  als  überschüssiger  Magensafl 
betrachtet  werden  lüuß.  Bei  dieser  Vermehrung  der  Sekretmengen 
braucht  nicht  immer  eine  Vermehrung  der  Aziditätswerle  zu  (U'folgen. 
in  mehreren  Fällen  wurde  eine  Gesamtaziditäl  von  40  bis  50 
und  eine  Salzsäureazidität  von  35  bis  45  konstatiert.  Das  spe¬ 
zifische  Gewicht  des  abgeschiedenen  Magensaftes  betrug  im  Durch¬ 
schnitte  1012.  Das  Filtrat  des.  Magensaftes  ergab  eine  mehr 
oder  minder  starke  Biuret-  und  Zuckerreaktion,  kein  durch  Kochen 
fällbares  Eiweiß,  mit  Jod  eine  verschieden  starke  Erythroftexlrin-, 
in  vielen  Fällen  eine  deutliche  Amiludinreaktion ;  in  allen  Fällen 
färbte  sich  das  fein  verteilte  Sediment  auf  Jod  blau,  ein  Beweis 
für  die  stark  behinderte  xAmylumverdauung.  Zur  Erprobung  der 
motorischen  Funktion  des  Magens  wurde  in  allen  Fällen  einmal 
oder  mehrere  Male  die  Leubesche  Probeniahlzeit  angewendet, 
schließlich  wurde  in  allen  Fällen  auch  eine  Untersuchung  des 
nüchternen  IMagens  vorgenommen.  Die  motorisclie  Funktion  des 
Magens  erwies  sich  hiebei  entweder  als  völlig  normal,  der  Magen 
war  auch  morgens  nüchtern  stets  frei  von  Magensaft  (die  reine 
Form  des  digestiven  Magensaftflusses),  oder  der  Magen  enthielt 
schon  morgens  nüchtern  salzsäurehaltiges  Sekret  (permanenter 
Magensaftzufluß),  oder  die  motorische  Funktion  des  Magens  war 
ebenfalls  gestört.  Der  Verfasser  hält  dafür,  daß  eine  chronische 
Hypersekretion  rein  primär  als  Sekretionsanomalie  bestehen  könne. 
Mit  Zweig  und  Calvo  neigt  er  der  Ansicht  zu,  daß  dieser 
digestive  Magensaftzufluß'  als  eine  Abart  der  nervösen  Dyspepsie 
anzusehen  sei,  ohne  jedoch  ein  abschließendes  Urteil  zu  fällen. 
Auch  ohne  Funktionsprüfung  wird  man  an  digestive  Hyper¬ 
sekretion  denken  müssen,  wenn  man  chronisch-dyspeptische  Zu¬ 
stände  von  dem  Charakter  der  nervösen  Dyspepsie,  verbunden 
mit  starker  Abmagerung  und  gleichzeitigem  Plätschergeräusch, 
namentlich  auch  längere  Zeit  nach  kleineren  Mahlzeiten,  vor  sich 
hat.  Sicherheit  verschafft  erst  die  kombinierte,  von  Zeit  zu  Zeit 
wiederholte  Untersuchung  des  Mageninhaltes  u.  zw. :  einmal  bei 
leerem  Magen,  sodann  nach  trockenem  Probefrühstück,;  endlich 
nach  einer  Pi’obemahlzeit.  Die  therapeutischen  Indikationen 
seien  dahin  gerichtet,  das  gesunkene  Körpergewicht  zu  heben, 
alle  sekretionserregenden  Substanzen  zu  vermeiden,  die  iVinylinn- 
verdauung  besser  zu  gestalten,  eventuell  auch  die  Obstipation 
zu  beseitigen.  Verf.  empfiehlt  eine  Eiweißi-Fett-Z  uckerdiät. 
Statt  Zucker  auch  Dextrin  in  Form  verschiedener  Kindermehle. 
Als  Brot  die  Weißbrotrinde  (pain  sans  mie).  Man  entziehe  solchen 
Kranken  nicht  die  Flüssigkeiten,  vielmehr  ist  der  Genuß  alka¬ 
lischer  Getränke  zu  den  Mahlzeiten  auf  das  wärmste  zu  empfehlen. 
Ferner  sollen  diese  Kranken  viermal  täglich  einen  Teelöffel  des 
Natrium  citricum  nehmen,  das  entweder  allein  oder  in  Ver¬ 
bindung  mit  Magn.  ust.  gereicht  werden  möge.  Von  dieser  fort¬ 
gesetzten  Alkalidarreichung  hat  Verf.  zwar  nur  einmal  einen 
eklatanten  Erfolg,  aber  auch  niemals  eineiL  Schaden,  vor  allmn 
keine  Steigerung  der  Salzsäurewerte  konstatieren  können. 

(Deutsche  medizin.  Wochenschr.  1907,  Nr.  4.)  E.  F. 

* 

110.  Aus  der  kgl.  Universitätsohrenklinik  zu  Halle  a.  S. 
(Direktor:  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  H.  Schwartze).  Zwei 
Fälle  von  Ohr  sch  windel,  durch  Operation  geheilt. 
Von  Stabsarzt  Dr.  1  seiner,  Assistent  der  Klinik.  Verf.  teilt 
zwei  Fälle  von  hochgradigem  Schwindel  bei  chronischer  Mittel¬ 
ohreiterung  mit,  die  in  der  Hallenser  Ohrenklinik  operieit  und 
ganz  von  dem  Schwindel  geheilt  wurden.  In  beiden  Fällen  hatte 
nur  das  Schwindelgefühl  die  Kranken  veranlaßt,  die  Klinik  auf¬ 
zusuchen.  Im  ersten  Falle,  einer  18jährigen  Fabriksaibeiteiin, 
war  erst  wenige  Tage  vor  der  Aufnahme  das  Schwindelgefühl  auf¬ 
getreten  u.  zw.  ganz  plötzlich,  in  apoplexieähnlichen  iVnfällen, 
später  anhaltend  und  bis  zur  Unerträglichkeit  sich  steigernd. 
Im  zweiten  Falle,  einer  36jährigen  Krankenwärterin,  klagte  die 
Patientin  schon  seit  Wochen  über  leichtes  Schwindelgefühl,  konnte 
jedoch  ihre  Arbeit  weiter  verrichten.  Plötzlich  trat  auch  bei 
ihr  während  der  Arbeit  so  hochgradiger  Drehschwindel  auf,  daß 
sie  sich  zu  Bett  legen  mußte  und  nach  der  ihr  vorgeschlagenen 
Operation  yjerlangte.  Bei  der  Operation  (Totalaufmeißelung)  wurde 


in  beiden  Fällen  neben  ausgedehnter  Karies  in  allen  Mittelohr¬ 
räumen  dickes  Granulalionspolster  um  den  kariösen  Amboß  ge¬ 
funden,  das  bis  nach  der  Steigbügelgegend  hinüberzog.  Im  zweiten 
Falle  war  auch  bereits  die  Schleimhaut  um  die  Steigbügelgegend 
miterkrankt  und  zeigte  granuläres  Aussehen.  Eine  Zerstörung' 
der  Labyrinthwand,  namentlich  der  Flalbzirkelkanäle,  war  nicht 
nachzuweisen.  Der  Erfolg  der  Operation  war  in  beiden  Fällen  ein 
äußerst  günstiger;  schon  am  nächsten  Tage  war  der  lästige  Dreh- 
schwindel  bei  Bettlage  geschwunden.  Der  weitere  Heilungsverlauf 
war  ein  normaler.  Verf.  hebt  hervor,  daß  es  durchaus  nicht  so 
selten  ist,  daß  Fälle  von  Schwindel  bei  Mittelohreiterungen  durch 
Operation  geheilt  werden.  Das  Ungewöhnliche  hier  jedoch  waren 
das  plötzliche  apoplexieälmliche  Eintreten  des  Schwindels,  die 
rapide  Zunahme  desselben  und  der  prompte  Heilerfolg  unmittel¬ 
bar  nach  der  Operation.  Die  Ursache  des  Schwindels  kann  nur 
Drucksteigerung  gewesen  sein.  Beide  Patienten  können  jetzt  ohne 
Beschwerden  die  schwersten  Arbeiten  verrichten.  —  (Münchener 
mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  1.)  G. 

* 

111.  U e  b e r  einen  Fall  von  L i  1  h  o  t  o  m i  a  s  u p  r  a- 
pubica  mit  Enukleation  der  Prostata  bei  einem  hoch¬ 
betagten  Patienten  mit  Ausgang  in  Genesung.  Von 
H.  Little  wood,  Leeds.  Es  handelte  sich  um  einen  90jährigen 
Patienten  mit  hochgradiger  Prostatahypertrophie  und  einem  mäch¬ 
tigen  Blasenstein.  Der  Urin  war  seit  einiger  Zeit  in  stark  zer¬ 
setztem  Zustand  entleert  worden.  Pat.  bestand  auf  der  Operation, 
obgleich  Little  wood  ihm  die  Chancen  derselben  auf  5‘yo  an¬ 
gab.  Die  Operation  wurde  in  typischer  Weise  vollzogen  und  der 
Patient  erholte  sich  vollkommen.  Er  starb  zwei  Jahre  darauf 
nach  einer  Periode  völliger  körperlicher  und  geistiger  Gesund¬ 
heit,  Avährend  welcher  er  sich  intensiv  mit  der  Uebersetzung 
klassischer  iVutoren  beschäftigte,  innerhalb  weniger  Tage  an  urämi¬ 
schem  Koma.  —  (British  medical  Journal,  17.  November  1906.) 

J.  Sch. 

* 

112.  lieber  a  b  ge  s  c  h  w  äc  h  t  e  Pyämien.  Von  F.  Le  jars. 
Bei  einem  25jährigen  anämischen  Manne  trat  im  Anschluß  an 
eine  kleine  Veiletzung  am  Rücken  des  Zeigefingers,  unter 
schweren  septischen  Symptomen,  speziell  Schüttelfrösten,  eine 
sehr  harte,  druckempfindliche  Schwellung  der  Schultergegend, 
ohne  Lymphangoitis  und  Achseldrüsenschwellung  auf,  bei  deren 
Spaltung  sich  reichlich  Eiter  entleerte.  Das  Schultergelenk  erwies 
sich  als  vollkommen  intakt.  Das  Allgemeinbefinden  besserte  sich 
allmählich  und  der  Abszeß  verheilte.  Nach  einigen  Wochen  ver¬ 
schlimmerte  das  Allgemeinbefinden  sicli  wieder,  es  trat  ein  links¬ 
seitiges  Pleuraempyem  auf,  welches  zur  Heilung  durch  Operation 
gelangte.  Sowohl  im  Abszeß,  als  im  Empyemeiter  wurde  aus¬ 
schließlich  der  Staphylococcus  aureus  nachgewiesen.  Im  wei¬ 
teren  Verlauf  entwickelte  sich  eine  akute  Appendizitis,  welche 
gleichfalls  mit  Erfolg  operiert  wurde.  Der  Patient  hatte  im  Ver¬ 
laufe  von  fünf  Monaten  drei  schwere  lokale  Eiterungsprozesse 
im  Gefolge  der  von  der  unbedeutenden  Verletzung  am  Zeigefinger 
ausgegangenen  Staphylokokkeninfektion  durchgemacht.  Solche  ab- 
geschwächte  Formen  der  Pyämie  im  Anschluß  an  ganz  unbe¬ 
deutende  Verletzungen,  werden  sowohl  bei  Staphylokokken-  als 
auch  bei  Streptokokkeninfektion  beobachtet.  Aehnliche  Krank¬ 
heitsformen  können  sich  auch  im  xVnschluß  an  Furunkulose  ent¬ 
wickeln.  Es  gibt  auch  Fälle,  wo  nur  allgemeine  Symptome  der 
septischen  Infektion  auftreten  und  unter  progressiver  Verschlim¬ 
merung  der  Exitus  erfolgt,  ohne  daß  es  zum  Auftreten  von  lokalen 
Eiterungen  kommt.  iManchmal  treten  in  voller  Gesundheit 
Schüttelfröste,  Fieber,  Schweiße  und  Adynamie  auf,  ohne  daß 
die  Untersuchung  einen  positiven  Anhaltspunkt  ergibt  und  es 
entwickelt  sich  erst  während  des  Krankheitsverlaufes  eine  an 
sich  nicht  bedeutende  lokale  Eiterung.  In  anderen  Fällen  beob¬ 
achtet  man  Entwicklung  multipler  Abszesse  in  kurzen  Inter¬ 
vallen,  bis  schließlich  die  pyämische  Infektion  zum  Stillstand 
kommt.  Es  gibt  auch  Fälle  mit  mehr  schleppendem  Verlauf, 
wo  die  verschiedenen  lokalen  Eiterungen  in  größeren  Inter¬ 
vallen  auftreten  und  jedesmal  von  einer  Exazerbation  der  pyä¬ 
mischen  Allgemeinsymptome  begleitet  sind.  Die  abgeschwächten 
Pyämien  sind  zwar  heilbar,  doch  muß  die  Prognose  immer  mit 
Vorsicht  gestellt  werden,  weil  man  nicht  Voraussagen  kann,  wann 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  9 


(lie  Entwicklung  der  inetastatischen  EiLerungen  zum  endgültigen 
Abschluß  kommt.  Es  können  auch  ganz  kleine  Abszesse  durch 
die  Lokalisation  gefährlich  werden,  wie  in  einem  Fall,  wo  sich 
im  xAnschluß  an  ein  Panaritium  ein  mandelgroßer  metastatischer 
Abszeß  im  verlängerten  Mark  entwickelte,  der  den  tödlichen 
xAusgang  herheiführte.  Auch  kann  eine  große  Anzahl  gewöhn- 
lichei',  nicht  durch  ihre  Lokalisation  gefährlicher  Abszesse  all¬ 
mählich  vollständige  Erschöpfung  herbeiführen.  Die  ahge- 
schwächte  Pyämie  ist  dadurch  charakterisiert,  daß  meist  multiple 
disseminierte  Abszesse  ohne  anatomischen  Zusammenhang  mit 
dem  primären  Infektionsherd  auftreten.  Es  wäre  gerade  für  diese 
Fälle  das  Vorhandensein  eines  wirksamen  Serums  erwünscht, 
doch  gelingt  es  auch  durch  frühzeitige  Inzision  der  einzelnen 
x4bszesse,  öfter  Heilung  herbeizuführen.  —  (Sem.  med.  1907, 
Nr.  2.)  a.  e. 

113.  Zur  Kritik  der  aszendierenden  Tuberkulose 

im  weiblichen  Genitaltrakt.  Von  Prof.  Dr.  P.  v.  Baum¬ 
garten  in  Tübingen.  Vom  Verfasser  und  seinen  Mitarbeitern 
(Kraemer,  Basso,  M.  Käppis)  wurde  früher  experimentell  der 
Nachweis  erbracht,  daß  die  Tuberkulose  sich  innerhalb  des  Uro¬ 
genitaltraktes  in  der  Richtung  der  normalen  Sekretströme,  also 
deszendierend,  ausbreite,  es  sei  denn,  daß  der  Sekretabfluß 
gehemmt  sei,  in  welchem  Falle  eine  aszendierende  Ausbreitung 
erfolgen  könne.  Nun  haben  kürzlich  Jung  und  Ben  necke  auf 
Grund  von  ,, experimentellen  Untersuchungen  über  den  Infekiions- 
weg  bei  der  weiblichen  Genitaltuberkulose“  behauptet,  da-ß,  ihre 
Versuchsergebnisse  sich  in  einem  ,, diametralen  Gegensatz“  zu 
des  Verfassers  Versuchsresultaten  ständen.  Dem  ist  nicht  so, 
wie  Baum  gar  ten  in  vorstehender  Arbeit  eingehend  erörtert. 
Der  fast  konstanten  Deszension  des  Infektionsprozesses  stehen 
bei  Jung  und  Ben  necke  unter  82  Experimenten  nur  12,  also 
nur  ca.  V?  der  Gesamtzahl,  in  welchen  es  neben  der  Deszension 
auch  noch,  nach  ihrer  Auffassung,  zu  einer  Aszension  des  Pro¬ 
zesses  gekommen  war,  gegenüber  und  auch  bei  diesen  12  Fällen 
von  wirklicher  oder  vermeintlicher  Aszension  wurde  in  der  Hälfte 
der  Fälle  ein  vozi  Basso  und  Baumgarten  absichtlich  ver¬ 
miedener  Infektionsmodus  angewendet,  welcher  mit  einer  Hem¬ 
mung  des  normalen  Sekretahflusses  verbunden  ist.  Dann  kann  ja, 
wie  Verf.  schon  früher  betont  hat,  ausnahmsweise  der  tuber¬ 
kulöse  Prozeß  auch  aszendieren.  Die  Versuclisergebnisse,  von 
Jung  und  Ben  necke  bestätigen  nach  den  Ausführungen 
Baum  gar  tens  die  von  ihm  und  seinen  Mitarbeitern  erbrachten 
Nachweise  der  aszendierenden  Richtung  in  der  Ausbreitung  einer 
Genital  tuberkulöse  und  er  kann  den  behaupteten  ,, diametralen 
Gegensatz“  absolut  nicht  zugestehen.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  3.)  E.  F. 

114.  Ueher  die  Heredität  heim  Ulcus  ventriculi 
nebst  eiziigen  kritischen  Bemerkungen  zu  dessen 
Pathogenese.  Von  Dr.  Armin  Huber,  Privatdozenten  in  Zürich. 
Der  Verfasser  hat  in  den  letzten  zwei  Jahren  unter  den  ätiolo¬ 
gischen  Momenten  des  Magengeschwürs  seine  besondere  Aufmerk¬ 
samkeit  der  Heredität  zugewendet,  einem  xMoment,  das  er  in  der 
Literatur  bisher  nicht  envähnt  findet.  Zur  Illustrierung  dieser 
Beobachtung  publiziert  Verf.  elf  eigene  Fälle  und  aus  dem  ihm 
zur  Verfügung  gestellten  iMaterial  des  Dr.  Bernhard  Samadeii- 
St.  Moriz  19  Fälle,  worunter  sich  ganz  manifeste  ,, Ulkusfamilien“ 
befinden.  Nun  kritisiert  Verf.  die  bisherige  Auffassung  über  die 
Pathogenese:  Nekrose  der  Magenschleimhaut  infolge  von  Zirku¬ 
lationsstörungen,  Selbstverdauung  des  Magens  und  langsame  Hei¬ 
lung  infolge  von  Uebersäuerung  des  Ulkusmageiis.  Schon  die 
Zirkulationsstörungen  sind  in  relativ  wenigen  Fällen  auffindbar. 
Verf.  beruft  sich  auf  die  Statistik  Rütimeyers,  der  in  176  Sek¬ 
tionsprotokollen  von  Basel  und  Bern  in  16%  der  Fälle  in  Basel 
und  in  37%  der  Fälle  in  Bern  solche  angibt.  Auch  Robin  gibt 
an,  daß  nur  in  einzelnen  Ausnahmsfällen  die  Theorie  der  Zir¬ 
kulationsstörungen  stimme,  während  gerade  mehrere  .Autoren 
Thrombose  und  Embolie  bei  Abwesenheit  von  Geschwür  fest¬ 
gestellt  haben.  Auch  der  Umstand,  daß  die  Magenarterien  keine 
Endarterien  seien,  spreche  nicht  für  die  Wahrscheinliclikeit  der 
Theorie.  Aehnlich  steht  es  mit  der  Theorie  der  venösen  Stase. 
Erstens  verringert  die  venöse  Stase  die  Magensekretion  und 


macht  die  freie  Salzsäure  verschwinden  und  zweitens  sieht  man, 
daß  die  aus  Stauung  entstehenden  Magenerosionen  der  Herz-, 
Leber-  und  Lungenkranken  sich  nicht  in  Geschwüre  umbilden. 
Die  Theorie  des  Salzsäureexzesses  wirkt  auf  den  Verfasser  eben¬ 
falls  nicht  überzeugend,  denn  es  werden  auch  Viagengeschwüre 
konstatiert  bei  hypo-  und  achlorhydrischen  Magensäften  und  dies 
nach  vielen  Autoren  in  derselben  Häufigkeit  wie  bei  Hyper- 
chlorhydrie.  Verf.  betrachtet  die  Hyperchlorhydrie  als  eine  Folge¬ 
erscheinung,  als  eine  Reizwirkung  des  Ulkus.  Daher  kann  er 
auch  nicht  dem  von  Rohin  verlangten  saueren  Magenkatarrh 
zustimmen.  Eine  weitere  ätiologische  Bedeutung  soll  der  Anämie 
und  den  Motilitätsstörungen  zukommen.  Aber  bei  einer  großen 
Zahl  von  Ulkuskranken  findet  man  weder  Anämie,  noch  Chlorose, 
noch  Vlotilitätsstörungen.  Dann  erwähnt  Verf.  die  toxisch-infek¬ 
tiöse  Theorie.  Deutsche  und  französische  Autoren  haben  Avohl 
bewiesen,  daß  Infektionskrankheiten,  wie  Typhus,  Puerperal¬ 
fieber  etc.  Viagengeschwüre  erzeugen ;  diese  Ulzerationen  scheinen 
aber  nicht  dem  klassischen  Ulcus  ventriculi  zu  entsprechen.  In 
der  letzten  Zeit  erschien  auch  eine  ,, nervöse“  Theorie,  v.  Yzeren 
hat  experimentell  bei  Kaninchen  durch  Vagotomie  unterhalb  des 
Zwerchfelles  ein  Ulcus  ventriculi  erzeugt.  Er  schreibt  wohl  dem 
Auftreten  eines  Viagenkrampfes  die  Hauptbedeutung  für  das  Ent¬ 
stehen  des  Magengeschwürs  zu,  meint  aber,  daß  dasselbe  auch 
durch  einen  trophischen  Einfluß  des  Nervus’  vagus  auf  die  Mukosa 
der  Pars  pyloricä  entstehen  könnte.  Endlich  hat  Dalla  Vedova 
gezeigt,  daß  man  infolge  von  Reizung  und  Durchschneidung  des 
Plexus  coeliacus  Viagengeschwüre  erzeugen  kann,  welche  alle 
Zeichen  des  Ulcus  ventriculi  rotundum  aufweisen.  Der  Autor 
möchte  das  Viagengeschwür  gleichsam  als  ein  Pendant  zum  Vlal 
perforant  du  pied  —  als  eine  Trophoneurose  aufgefaßt  Avissen. 
Die  „nervöse“  Theorie  Avürde  sich  nach  Ansicht  des  Verfassers 
mit  der  Tatsache  der  V^ererbung  sehr  leicht  abfinden.  Es  handelt 
sich  um  eine  Vererbung  der  Anlage  zu  einer  bestimmten  Inner¬ 
vationsstörung  des  Viagens,  welche  speziell  die  trophischen  Bahnen 
befällt  und  bei  dieser  oder  jener  Gelegenheitsursache  das  Ge- 
schAvür  erzeugt.  Vielleicht  gehört  hieher  das  äußere  Trauma  oder 
innere  mechanische  oder  chemische  und  tberinische  Reize,  psy¬ 
chische  Erregungen,  akute  Dyspepsien  etc.,  Adelleicht  sind  aber 
die  Gelegenheitsursachen  noch  ganz  unbekannt.  —  (Münchener 

medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  5.)  G. 

* 

115.  (Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  zu  Kiel 
(Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Siemerling).  Eine  seltene  Er¬ 
krankung  der  Pyramiden  bahn  mit  spastischer  Spi¬ 
nalparalyse  und  Bulbärsymptomen.  Von  Dr.  Kinicki 
Naka.  Die  von  Erb  und  Charcot  zuerst  beschriebene  spastische 
Spinalparalyse  besteht  in  einer  langsam  eintretenden  spasti¬ 
schen  Lähmung  der  unteren  und  später  auch  der  oberen  Extremi¬ 
täten  ohne  Atrophie  der  Vluskeln  und  ohne  Aenderung  der  elektri¬ 
schen  Erregbarkeit.  Dieses  klinische  Bild  entspricht,  wie  sich 
gezeigt  hat,  verschiedenen  anatomischen  Befunden,  so  daß  es 
fraglich  ist,  ob  die  spastische  Spinalparalyse  als  eine  eigene 
Erkrankung  oder  als  ein  Symptomenkomplex  anzusehen  ist.  Im 
vorliegenden  Falle  handelte  es  sich  um  eine  68jährige  Frau, 
die  nach  einem  Falle  auf  das  linke  Knie  an  Schmerzen  in  diesem, 
dann  auch  in  den  anderen  Extremitäten  erkrankte;  gleichzeitig  ent- 
Avickelte  sich  eine  fortschreitende  Lähmung  in  den  Beinen,  wozu 
sich  später  Parese  der  Arme  gesellte.  Endlich  traten  Sprach¬ 
störung  und  Schluckbeschwerden  auf.  Die  Lähmung  hatte  spasti¬ 
schen  Charakter.  Atrophie,  Sensibilitätsstörung,  Veränderungen 
der  elektrischen  Erregbarkeit,  fibrilläre  Zuckungen  fehlten,  ebenso 
Störungen  der  Blasen-  und  Vlastdarmfunktionen.  Im  weiteren 
Verlaufe  unmotiviertes  Lachen  und  Weinen.  Einige  Tage  vor 
dem  Tode  zeitAveilige  Dyspnoeanfälle.  Plötzlicher  Tod  nach 
C  h e  y  11  e  -  S  t  o  ke  s schein  Atmen.  Die  anatomische  Untersuchung 
ließ  eine  Degeneration  des  kortikospinalen  Neurons  der  motori¬ 
schen  Bahn  nacliAA’eisen.  Das  Besondere  des  Falles  liegt  in  dem 
Auftreten  von  Bulbärsymptomen  bei  der  spastischen  Spinalpara¬ 
lyse.  Auch  sind  die  Fälle  selten,  Avelche  die  reinen  klinischen 
Symptome  der  spastischen  Spinalparalyse  zeigen  und  in  wel¬ 
chen  anatomisch  alleinige  Veränderung  der  Pyramidenbahn  nach¬ 
gewiesen  wurde.  —  (Archiv  für  Psychiati’ie  und  Nenmnkrank- 
heiten,  Bd.  42,  H.  1.)  ^  S. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


269 


Vermisehte  ISiaehriehten. 

Ernannt;  Priv.-Doz.  Dr.  J.oopokl  Rütiineyer  in  Basel 
zum  außerordenlliclien  Professor. 

Verliehen:  Dem  Stadlarzte  Dr.  Johann  Benkendorf 
in  Serelh  der  Titel  eines  kaiserlichen  Rates.  —  Dem  Privatdozenten 
für  Physiologie  in  Berlin,  Dr.  Karl  Schaefer,  der  Professortitel. 

Habililiert:  Der  Priv.-Doz.  Dr.  Hermanti  Schridde  in 
^larbnrg  für  pathologische  Anatomie  in  Freiburg  i.  B.  —  Privat¬ 
dozent  \V.  Specht  in  Tübingen  für  Psychiatrie  in  München. 
—  Dr.  Alfred  Sommer  für  Histologie  und  Embryologie  in 
Würzhurg. 

* 

G  e  'S  t  o  r  b  e  n  :  Regie rungsra t  Dr .  Adalbert  T  i  1  k  o  w  s  k  y , 
Direktor  der  niederösterreichischen  Landesirrenanstalt  in  Wien. 
Ein  erfahrener,  auf  der  Höhe  seiner  Aufgabe  stehender,  um  das 
heimische  Irrenwesen  hochverdienter  Arzt,  mit  hervorragenden 
administrativen  Fähigkeiten,  festen  und  lautersten  Charakters, 
humanster  Gesinnung,  gerechter  Denkungsart,  fein  gelhldet,  nicht 
gewöhnlich  künstlerisch,  zumal  musikalisch  veranlagt,  betrauert 
die  Aerzteschaft  in  Tilkowsky  den  Verlust  eines  allseits  ver¬ 
ehrten  und  beliebten  Kollegen,  eineis  würdigen  Vertreters 
des  Standes  und  bewahrt  ihm  dauernd  ein  ehrenvolles  Andenken. 

* 

In  der  am  16.  Februar  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des 
Obersten  Sanitätsrates  wurde  die  Wahl  von  Delegierten 
zu  den  im  Laufe  des  Jahres  stattfindenden  Kongressen  vorge¬ 
nommen  und  zwar  wurden  als  Delegierte  für  den  in  Berlin 
tagenden  Internationalen  Kongreß  für  Hygiene  und  Demographie 
Prof.  Dr.  Hue  pp  e,  für  den  Kongreß  für  Kinderschutz  Obersani¬ 
tätsrat  Direktor  Dr.  Dvorak  nominiert.  Als  Vertreter  des  Obersten 
Sanitätsrates  im  k.  k.  Ärbeitsstatis tischen  Amte  des  Handelsmini- 
sterimns  wurde  Obersanitätsrat  Ministerialrat  Dr.  Ferdinand 
Illing  gewählt.  Hierauf  wurde  zur  Tagesordnung  geschritten 
und  gelangten  nachstehende  Referate  zur  Beratung  und  Schlu߬ 
fassung;  1.  Gutachten  über  die  Ableitung  der  Abwässer  aus  einer 
Pergamentfabrik  in  offene  Gewässer.  (Referent:  Holrat  Ludwig.) 

2.  Gutachten  über  ein  Gesuch  um  Bewilligung  zur  Vornahme 
mikroskopischer  Untersuchungen  von  Ex-  und  Sekreten  in  einer 
Privatuntersuchungsanstalt.  (Referent :  Hofrat  W  e i c  h  s  e  1  b  au  m.) 

3.  Gutachtliche  Aeußerung  über  die  sanitäre  Zulässigkeit  der 
Verwendung  von  Fornialdehyd  als  Konservierungsmittel  von 
Fruchtsäften  und  Nahrungsmitteln.  (Referent:  Prof.  Hueppc.) 

4.  Gutachten  über  einen  Formalindesinfektionsapparat.  (Referent; 
Derselbe.)  5.  Vorschläge  zur  Besetzung  mehrerer  im  öffentlichen 
Sanitätsdienste  erledigter  Stellen  (zwei  Landessanitätsreferenten-, 
zwei  Landessanitätsinspektoren-  und  mehi’ere  Oberbezirksarztes¬ 
stellen).  (Referent:  Ministerialrat  Daijnei>)  6.  Gutachten  über 
Maßnahmen  zum  Zwecke  der  Verhütung  von  Unglücksfällen  durch 
den  elektrischen  Strom  bei  elektrischen  Anlagen.  (Referent:  Hofrat 
Exner.)  7.  Gutachten  über  einen  im  Handel  vorkommenden 
Gehörapparat  zur  Heilung  der  Schwerhörigkeit.  (Referent:  Der¬ 
selbe.)  Zum  Schlüsse  der  Sitzung  wurde  ein  Initiativantrag  des 
Hofrates  Weichselbaum,  dahin  gehend,  daß  von  seiten  des 
Ministeriums  des  Innern  über  das  örtliche  Vorkommen  und  die 
Art  der  Ausbreitung  der  Skleromkrankheit  Erhebungen  unter  Mit¬ 
wirkung  der  Amtsärzte  veranlaßt  werden  mögen,  einstimmig  an¬ 
genommen.  Ueber  Iniativantrag  des  Obersanitälsrates  Professoi 
V.  Jak  sch,  betreffend  die  Regelung  der  Standesverhältnisse  der 
Aerzte,  wurde  ein  Spezialkomitee  zum  Studium  dieser  btage 
und  seinerzeitigen  Berichterstattung  eingesetzt. 

♦ 

Der  Minister  des  Innern  hat  von  Medizinern  den  General¬ 
stabsarzt  in  Wien  Dr.  Florian  Kratsch'iner,  Hofrat  v.  Vogl, 
Hofrat  Ernst  Ludwig,  die  Vorstände  der  allgemeinen  Lebens¬ 
mitteluntersuchungsanstalten  und  Universitätsprofessoren  Doktor 
Ferdinand  Hueppe  und  Dr.  Gustav  Kabrhel  in  Prag,  Doktor 
Wilhelm  Prausnitz  in  Graz,  Odon  Bu,iwid  in  Krakau,  Doktor 
Artur  Schattenfroh  in  Wien,  Dr.  Cäsar  Po  me  ranz  in  Czer- 
nowitz,  zu  ordentlichen  Mitgliedern  des  ständigen  Bei¬ 
rates  für  Angelegenheiten  des  Verkehres  m  i  t  L  e  b  e  n  s- 
mitteln  und  Gebrauchsgegenständen,  mit  der  Funktions¬ 
dauer  für  das  Triennium  1907  bis  1909  ernannt. 

* 

Die  Münchener  medizinische  Wochenschrift  schreibt  in  ihrem 
letzten  Heft;  Wem  gehört  ein  durch  Operation  gewon¬ 
nener  Blasen  stein,  dem  Arzt  oder  dem  Patienten?  Diese 
Frage  wird  im  Briefkasten  des  Sächs.  Korr.-Bl.  aufgeworfen,  an¬ 


läßlich  des  Vorkommnisses,  daß  ein  wogen  Blasenstein  Operierter 
erklärte,  die  ihm  übersandte  Liquidation  nur  unter  der  Bedin¬ 
gung  zahlen  zu  wollen,  daß  ihm  ,,sein“  Stein  ausgeliefert  werde. 
Der  um  eine  abgebrochene  Katheterspitze  gebildete  Stein  ist  aber 
von  dem  iVrzt  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  bereits  verarbeitet 
worden.  Vielleicht  winl  der  Fall  zu  einei'  gerichtlichen  Ent¬ 
scheidung  der  Frage  führen.  Jedenfalls  scheint  es  ratsam  zu 
sein,  daß  Aerzte  ihren  Anspruch  auf  Operationstrophäen  vor¬ 
der  Operation  geltend  machen.  Der  Patient  wird,  so  lange  er  ihn 
noch  besitzt,  weit  eher  geneigt  sein,  sich  von  „seinem  Stein“ 
zu  trermen,  als  nachher. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Mitteilung:  Im  -Kaiserin- 
Friedrich-Hause  wird  fortan  eine  ärztliche  Auskunftei 
ins  Leben  treten.  Die  Einrichtung  ist  dazu  bestimmt,'  insbesondere 
den  fremden  Aerzten  behilflich  zu  sein,'  die  zu  Studienzwecken 
nach  Berlin  kornnren.  Es  soll  hier  Auskunft  erteilt  werden  über 
sämtliche  unentgeltliche  und  honorierte  Kurse,  die  jeweilig  in 
Berlin  stattfinden;  ferner  über  alle  ärztlichen  Einrichtungen, 
Krankenhäuser,  Sammlungen  usw.  hinsichtlich  der  Zeit  und  der 
Voraussetzungen  ihrer  Besichtigung;  endlich  über  die  Möglichkeit 
der  Teilnahme  an  klinischen  Vorlesungen,'  Vortragsabenden  der 
ärztlichen  Gesellschaften,  sowie  an  Operationen  in  Kliniken  und 
Krankenhäusern.  Alle  Auskünfte  werden  unentgeltlich  erteilt. 
Die  Auskunftei  beginnt  ihre  Tätigkeit  am  25.  Februar. 

Aus  dem  S a n  i  t  ä  t  s b e r i c h t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  6.  Jahreswoche  (vom  3.  bis 
9.  Februar  1907).  Lebendgeboren,  ehelich  601, unehelich  241,  zusammen  842. 
Totgeboren,  ehelich  60,  unehelich  39,  zusammen  99.  Gesamtzahl  dei 
Todesfälle  726  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden 
19-3  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  10, 
Scharlach  5,  Keuchhusten  3,  Diphtherie  und  Krupp  7,  Influenza  0, 
Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  5,  Lungentuberkulose  125,  bösartige  Neu¬ 
bildungen  44,  Wochenbettfieber  7.  Angezeigte  Infektionskrankheiten: 
An  Rotlauf  37  (d-  3),  Wochenbettfieber  6  (-(-  1),  Blattern  0  (0),  Vari¬ 
zellen  114  (-f  42),  Masern  386  (-F  54),  Scharlach  92  (-f  10),  Fleck¬ 
typhus  0  (0),  Bauchtyphus  1  ( —  6),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie 
und  Krupp  96  (-f-  11),  Keuchhusten  46  (-f  11),  Trachom  0  (—  1), 
Influenza  1  (=). 


Freie  Stellen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Schön- 
wald-Böhm.-Liebau,  politischer  Bezirk  Liltau,  mit  dem  Wohnsitz 
in  Böhm.-Liebau  (Mähren).  Der  Distrikt  umfaßt  fünf  Gemeinden  mit  einem 
Gesamtflächeninhalt  von  39-90  km''  und  4248  Einwohnern.  Mit  dieser 
Stelle  ist  der  Bezug  eines  jährlichen  Gehalts  von  629  K  und  eines  Fahr¬ 
pauschales  von  299  K  50  h  nebst  des  Wohnungsbeitrages  der  Gemeinde 
Böhm.-Liebau  per  100  K,  im  ganzen  1028  K  50  h  (bievon  300  K  jährlich 
außerordentliche  Landessubvention)  verbunden.  Außerdem  gewähren  die 
bestehenden  Krankenkassen  ein  namhaftes  Nebeneinkommen.  Kennteis 
der  deutschen  und  böhmischen  Sprache  unbedingt  erforderlich.  Der 
Distriktsarzt  ist  verpflichtet,  eine  Hausapotheke  zu  führen.  Die  Stelle  wird 
eventuell  zuerst  provisorisch  auf  ein  Jahr  besetzt.  Die  im  Sinne  des 
§  11  des  Gesetzes  vom  10.  Februar  1884,  L.-G.-Bl.  Nr.  28,  gehörig  doku¬ 
mentierten  Gesuche  sind  bis  28.  Februar  1.  J.  an  den  Obmann  der 
Sanitätsdelegierten  Gemeinderat  Josef  Schenk  in  Böhm.-Liebau,  Post 
Deutsch-Liebau,  einzusenden. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Maria- 
Neustift  (Bezirkshauptmannschaft  Pettau,  Steiermark)  mit  dem  Sitze 
in  Maria-Neustift  (Wallfahrtsort).  Der  Distrikt  umfaßt  die  Gemeinden 
Dolona,  St.  Lorenzen  und  Draunfeld,  St.  Wolfgang,  Monsberg,  Maria- 
Neustift,  Stoperzen  und  Zirkovitz  mit  8652  Einwohnern  und  148  km 
Flächeninhalt.  Fixe  Bezüge;  vom  steiermärkischen  Landesausschusse 
eine  Subvention  von  1000  K,  von  seiten  des  Bezirkes  Pettau  eine  Sub¬ 
vention  von  400  K,  wofür  der  zu  bestellende  Arzt  die  unentgeltliche 
Armenbehandlung  zu  besorgen  hat,  wobei  ihm  jedoch  die  von  ihm  ver¬ 
abreichten  Medikamente  aus  der  Bezirkskasse  vergütet  werden;  von  den 
Gemeinden  der  gesetzliche  Beitrag  (etwa  500  K).  Bewerber  um  diese 
Stelle  haben  nach  §  15  des  Gesetzes  vom  23.  Juni  1892,  L.-G,  u.  V.-B  . 
Nr.  35,  außer  der  physischen  Eignung  1.  die  österreichische  Staatsbürger¬ 
schaft,  2.  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  in  Oester¬ 
reich,  3.  die  moralische  Unbescholtenheit  und  4.  die  Kenntnis  beider 
Landessprachen  nachzuweisen.  Gesuche  sind  bis  31.  März  1.  J.  an  die 
k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  in  Pettau  zu  richten. 


Eingesendet. 

Aufruf!  Der  medizinische  Unterstützungs  v  e  rein 
an  der  k.  k.  U  n  i  v  e  r  s  i  t  ä  t  W  i  e  n  verfolgt  den  Zweck,  Not  und 
Elend  in  den  Kreisen  jener  zu  bannen,  die  sich  das  Ziel  gesteckt,  einst 
selbst  im  Dienste  der  Humanität  menschliches  Elend  zu  lindern. 

Leider  ist  die  Zahl  der  Bedürftigen  unter  den  Studierenden  im 
Verhältnis  zu  den  Spenden,  die  dem  Vereine  aus  mildtätigen  Hän  en 
zufließen,  zu  groß  und  die  geringen,  dem  Vereine  zur  Verfügung 
stehenden  Mittel  erweisen  sich  als  unzureichend,  so  daß  vielen  selbst 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  9 


die  allernötigste  Unterstützung,  wie  freier  Mittagstisch,  Lehrbücher  etc., 
verweigert  werden  muß. 

Wiewohl  von  unseren  hochverehrten  Lehrern  aufs  tatkräftigste 
unterstützt,  sehen  wir  uns  dennoch  genötigt,  an  die  Mildherzigkeit  des 
großen  Publikums  zu  appellieren  und  dasselbe  zu  bitten,  der  dem  Elend 
preisgegebenen  Studenten  zu  gedenken  und  durch  edle  Spenden  zur 
Linderung  ihrer  Not,  zur  Besserung  ihrer  traurigen  Lage  ein  Scherflein 
beizutragen. 

Jede,  auch  die  geringste  Gabe  ist  willkommen  und  wird  vom  Aus¬ 
schuß  in  seinem  Vereinslokale  (IX.,  Währingerstraße  13,  Physiologisches 
Institut)  sowie  von  der  Redaktion  dieses  Blattes  dankend  entgegen¬ 
genommen. 

Wien,  im  Februar  1907. 

Im  Namen  des  medizinischen  Unterstützungsvereines: 

Dr.  Ernst  Ludwig,  Dr.  Friedrich  S  c  h  a  u  t  a, 

k.  k.  o.  ö.  Professor,  k.  k.  Hofrat,  k.  k.  o.  ö.  Professor,  k.  k.  Hofrat. 

Herrenhausmitglied  etc. 

Als  Protektoren: 

med.  F.  Schweinburg,  med.  Wolfg.  Frh.  v.  Wies  er, 

Dr.  M.  Loewenstein, 

dz.  Präses. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  17.  Jänner  1907 
(siehe  Nr.  3  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  1907) 
für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
in  Empfang  genommen.  Nr.  5. 

A.  Verschiedene  Geschenke. 

Buiu  Anton,  Handbuch  der  Massage  und  Heilgymnastik.  Vierte  ver¬ 
mehrte  Auflage.  Berlin  und  Wien  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Clubbe  Ch.  P.  B.,  The  Diagnose  and  Treatment  of  Intussusception. 

Edinburgh  und  London  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Federn  Karl,  Die  Wahrheit  über  den  Prozeß  gegen  die  Gräfin  Linda 
Bonmartini-Murri.  München  und  Leipzig  1907.  8®.  Von  Herrn 
Prof.  Pal. 

Hecke  W.,  Die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  und  Krebs  in  Wien  im 
Jahre  1904.  8®.  Von  der  statistischen  Abteilung  des  Wiener 
Magistrates. 

Karplus  J.  P.,  Zur  Kenntnis  der  Variabilität  und  Vererbung  am  Zentral¬ 
nervensystem  des  Menschen  und  einiger  Säugetiere.  Leipzig  und 
Wien  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Pauli  W.,  Physical  chemistry.  New-York  und  London  1907.  8®.  Vom  Autor. 
Schürer  v.  Waldheim  F.,  Ignatz  Philipp  Semmelweis.  Sein  Leben  und 
Wirken.  Wien  und  Leipzig  1905.  8®.  Vom  Autor. 

Ziegler  K.,  Experimentelle  und  klinische  Untersuchungen  über  die 
Histogenese  der  myeloiden  Leukämie.  Jena  1906.  8®.  Von  Herrn 
Doz.  Dr.  C.  Sternberg. 

Zweig  W.,  Die  Therapie  der  Magen-  und  Darmkrankheiten.  Berlin  und 
Wien  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Arbeiten  aus  dem  Neurologischen  Institute  an  der  Wiener  Univer¬ 
sität.  Herausgegeben  von  Prof.  H.  Obersteiner.  Bd.  XIL,  XIII. 
Leipzig  und  Wien  1905 — 1906.  Vom  Herausgeber. 

Ännales  de  Medicine  et  Chirurgie  infantiles.  Paris  1906.  Von  Herrn 
Dr.  G  a  1  a  1 1  i. 

Aerztliche  Zentral-Zeitung.  Wien  1906.  Von  der  Redaktion.  (Doktor 
Lederer.) 

Allgemeine  Wiener  medizinische  Zeitung,  Wien  1906.  Von  der  Re¬ 
daktion.  (Dr.  Ed.  Kraus.) 

Bellevue  and  Allied  Hospitals.  City  of  New-York.  Fourth  Annual- 
Report  1905.  New-York  1906.  8®.  Von  Herrn  Dr.  Armstrong. 
Bidrag  tili  Sveriges  offizieller  Statistik,  a)  Befolkningsstatistik. 

N.  F.  XLH/3.  Vom  königlichen  Zentralbureau. 

Compte-Rendu  du  Congres  international  poiir  l’enfance  tenu  ä 
Budapest  1899.  Budapest  1901.  8®.  Von  Herrn  Dr.  G  a  1  a  1 1  i. 
Comptes  rendus  hebdomadaires  des  seances  de  l’Academie  des 
sciences.  Paris  1906.  Von  der  Acad^mie  des  sciences. 

Das  österreichische  Sanitätswesen.  Wien  1906.  8®.  Von  Herrn 
Dr.  A.  L  0  e  w. 

Jahrbuch  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Wien  1906.  Bd.  56/1—4. 

Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt. 

Mediziniscli-Klinik.  Berlin  und  Wien  1906.  Von  der  Verlagshandlung 
Urban  &  Schwarzenberg. 

Medlco-technologisches  Journal.  Wien  1906.  Vom  Herausgeber 
Ingenieur  J.  He  11  mann. 

Mitteiluugen  der  Anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.  Wien  1906. 

Bd.  36.  Von  der  Anthropologischen  Gesellschaft. 

Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinder¬ 
heilkunde.  Wien  1906.  8®.  Von  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
und  Kinderheilkunde. 

Mitteilungen  desWiener  medizinischen  Doktorenkollegiums.Wien  1906. 

8®.  Vom  Wiener  medizinischen  Doktorenkollegium. 

Mitteilungen  der  statistischen  Abteilung  des  Wiener  Magistrates. 
Wien  1906.  Monatsberichte.  Wochenberichte.  Von  der  statistischen 
Abteilung  des  Wiener  Magistrates. 

Norges  offizielle  Statistik  V.  28.  Sindssygeasylernes  Virksomhed  1905. 
(Statistique  des  hospices  d’ali^nös  pour  l’annöe  1905.)  Kristiania  1907. 
8®.  Von  der  norwegischen  Medizinaldirektion. 


Oesterreichiscli-iingarische  Vierteljahrschrift  für  Zahnheilkunde. 
Wien  1906.  Von  Herrn  J.  Weiß. 

Oesterreichisches  Aerzte-Kammer-Blatt.  Wien  1906.  Von  der  Ver- 
lagshandluug  Wilhelm  Braumüller. 

Oesterreichische  Cliemiker-Zeituiig.  Wien  1906.  Von  den  Heraus¬ 
gebern  Dr.  Hans  Heger  und  Dr.  Eduard  S  t  i  a  ß  n  y. 

Pester  Medizinisch-chirurgische  Presse.  Budapest  1906.  Vom  Heraus¬ 
geber  Doz.  Dr.  T  ö  r  ö  k. 

Proceedings  of  the  Society  for  experimental  Biology  and  Medicine. 
Vol.  I— III,  IV/1.  New-York  1903—1906.  Von  Herrn  Dr.  William 
J.  Gies  in  New-York. 

Revue  mensuelle  des  maladies  de  l’enfance.  Tome  VH.  Paris  1889. 

(Ergänzung.)  Von  Herrn  Dr.  Galatti. 

St.  Louis  Courier  of  Medicine.  St.  Louis  1906.  Vom  Herausgeber 
Dr.  John  Zahorsky. 

Transactions  of  the  Association  of  Hospital  Superintendents. 
Sevent  Annual  Conference  Boston  M.  1905.  8®.  Von  Herrn  Doktor 
Armstrong  in  New-York. 

Verhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Wien  1906. 

Nr.  1—13.  Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt. 

Wiener  klinische  Rundschau.  Wien  1906.  Von  der  Redaktion. 

(Doz.  K  u  n  n,  Prof.  Obermeyer.) 

Wiener  klinisch-therapeutische  Wochenschrift.  Wien  1906.  Von  der 
Redaktion.  (Dr.  M.  T.  S  c  h  n  i  r  e  r.) 

AViener  medizinische  Presse.  Wien  1906.  Von  der  Redaktion.  (Dozent 
Dr.  A  B  u  m.) 

Wiener  medizinische  Wochenschrift.  Wien  1906.  Von  der  Redaktion. 
(Dr.  H.  Adler.) 

Zeitschrift  des  Allgem.  österr.  Apotheker-Vereioes.  Wien  1906. 

Vom  Allgem.  österr.  Apotheker-Verein. 

Zeitschrift  für  Heilkunde.  Wien  und  Leipzig  1906.  Von  der  Verlags¬ 
handlung  Wilhelm  Braumüller. 

Zeitschrift  für  Eisenbahnhygieiie.  Wien  und  Leipzig  1906.  8®.  Von 
Herrn  Hans  Becker. 

Zeutralblatt  für  die  gesamte  Therapie.  Wien  1906.  Von  der  Ver¬ 
lagshandlung  M.  P  e  r  1  e  s. 

Telegraphischer  Wetterbericht  der  k.  k.  Zentral  anstalt  für 
Meteorologie  Jahrgang  XXX.  Wien  1906.  Von  der  k.  k.  Zentral¬ 
anstalt  für  Meteorologie. 

■  i'  * 

B.  Von  der  Redaktion  der  Wiener  klinischen 
Wochenschrift. 

Allgemeine  Medizinische  Zentral-Zeitung.  Berlin  1906.  4®. 
Zeutralblatt  für  die  Medizinischen  Wissenschaften.  Berlin  1906.  8®. 
Zentralblatt  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie.  Leipzig  1906.  8®. 
Die  Heilkunde.  Wien  1906.  4®. 

Die  Medizinische  Woche.  Leipzig  1906.  4®. 

Deutsche  Aerzte-Zeitung.  Berlin  1906.  4”. 

Russische  medizinische  Rundschau.  Berlin  1906.  8®. 

Albany  Medical  Annals.  Albany  New-York  1906.  8®. 

The  American  Journal  of  the  medical  sciences.  New-York  1906.  I. 
und  II. 

The  Journal  of  the  Americ.  Medical  Association.  Chicago  1906 
Vol.  I  und  H. 

The  Journal  of  Pathology  and  Bacteriology.  Vol.  London  1906.  8®. 
The  Monthly  Cyclopaedia  of  practical  Medicine.  Philadelphia.  1906.  8®. 
Treatment.  A  monthly  Journal  of  practical  Medicin.  London  1906. 
Bulletins  et  Memoires  de  la  societe  medicale  des  Hopitaux  de 
Paris.  Paris  1906.  8®. 

Bulletins  et  Memoires  de  la  societe  Anatomique  de  Paris.  1906 
Nr.  1-8. 

Bulletin  de  l’Academie  de  medecine.  Paris  1906  8®. 

Societe  royale  des  sciences  medicales  et  naturelles  de  Bruxelles. 

A  n  n  a  1  e  s  1906.  Bulletin  1906.  8®. 

Journal  Medical  de  Bruxelles.  Bruxelles.  1906.  4®. 

Journal  de  Medecine  de  Bordeaux.  Bordeaux  1906.  4®. 

Journal  des  Praticiens.  Paris  1906.  4®. 

Gazette  des  Hopitaux.  Paris  1906.  4®- 
Le  Progres  Medicale.  Paris  1906.  4®. 

Archivio  di  Ortopedia.  Milano  1906.  Vol.  XXHI. 

Archivlo  italiano  di  Otologia.  Torino  1906.  Vol.  XVH. 

Giornale  interiiazionale  delle  scienze  mediche.  Napoli  1906.  8®. 
Giornale  della  R.  Accademia  di  Medicina  di  Torino.  Torino  1906. 
Fasc.  1—10. 

Gazzetta  degli  Ospedali  e  delle  cliniche.  Milano  1906.  Vol.  I. 

La  Riforma  Medica.  Napoli  1906.  4®. 

Fiuska  Läkaresallskapets  Haudliiigar.  Helsingfors  1906.  8®. 
Nei-derlands  Tydschrift  voor  Geneesknnde.  Amsterdam  1906.  8“. 
Tidsskrift  for  den  Norske  Laegeforeuing.  Kristiania  1906.  8®. 
Przijglad  Lekarski.  Krakow  1906.  4". 

Orvosi  Hetilap.  Budapest  1906.  4®. 

A  n  g  e  k  a  u  f  t  w  u  r  d  e  n: 

Virchow  Rudolf.  Briefe  an  seine  Eltern  1839—1864.  Leipzig  1907.  8®. 
Klinisches  Jahrbuch.  Im  Aufträge  des  königl.  preuß.  Ministers  d.  geistl. 
Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  .  .  .  herausgegeben. 
Jena  1906— ff  (Bd.  XVI-ff  1.) 

Verhandlungen  der  Deutschen  dermatologischen  Gesellschaft. 
IX  Kongreß  Bern  1906.  Berlin  1907.  8®. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


271 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


INHALT: 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Oesellscliaft  der  Aerzte  in  Wien.  Verliandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellscliaft.  Sitzung 
Sitzung  vom  22.  Februar  1907.  vom  23.  Januar  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien.  _ 

Sitzung  vom  7.  Februar  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  22.  Februar  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  H.  H.  Meyer. 

Schriftführer:  Dr.  Fritz  Hitschmann. 

Der  Vorsitzende  begrüßt  das  anwesende  Ehrenmitglied  Ge¬ 
heimen  Med.-Rat  Prof.  Dr.  B.  Naunyn. 

Dr.  C.  v.  Pirquet:  Eine  Theorie  des  Blatternexan- 
thcms.  Bei  der  vakzinalen  Frühreaktion  entstehen  innerhalb 
24  Stunden  die  Symptome  der  Entzündung  durch  das  Zusam¬ 
mentreffen  der  Lymphe  mit  Antikörpern  bakteriolytischer  Natur, 
die  im  vorgeimpften  Organismus  vorhanden  sind.  Die  Entzün¬ 
dungssymptome  bei  der  ersten  Vakzination,  die  nach  acht  bis 
zehn  Tagen  in  Erscheinung  treten,  Areola  und  Fieber,  sind  eben¬ 
falls  durch  toxische  Produkte  zu  erklären,  welche  durch  die 
Einwirkung  neugebildeter  Antikörper  auf  die  Mikroorganismen 
sich  bilden. 

Bei  der  Variola  inoculata  läßt  es  sich  berechnen,  daß  zur 
selben  Zeit,  wo  die  Antikörperreaktion  auftritt,  auch  die  Aus¬ 
saat  des  Exanthems  erfolgt.  Ein  Zusammenhang  zwischen  Exan¬ 
thembildung  und  Antikörpereintritt  ist  als  sicher  anzunehmen. 

Die  Antikörper,  welche  zur  Bildung  des  Exanthems  führen, 
könnten  Agglutinine  sein,  vermöge  welcher  die  in  der  Blutbabn 
kreisenden  Blatternerreger  in  den  Kapillaren  aneinander  hängen 
bleiben  und  Haufen  bilden.  Diese  können  die  Kapillaren  nicbt 
mehr  passieren;  sie  enthalten  noch  lebensfähige  Erreger,  welche 
an  jenen  Orten,  wo  die  Bedingungen  zu  ihrer  Weiterentwicklung 
gegeben  sind,  also  im  Epithel,  zu  neuen  Kolonien  anwacbsen, 
während  sie  im  Innern  des  Körpers  zugrunde  gehen.  Dafür 
sprechen  die  histologischen  Befunde  Weigerts,  der  in  Blut¬ 
gefäßen  unterhalb  frischen  Hauteffloreszenzen  und  in  inneren 
Organen  schlaucbförmig  angeordnete  ,,Zoogloeamassen“  be¬ 
schrieben  hat. 

Zu  anderen  Exanthemen,  speziell  den  IMasern,  führt  von  der 
Variola  eine  Brücke  in  Form  abgeschwäcliter  Varioloiden  und  des 
Kuhpockenexanthems  nach  Vakzination ;  hier  kommt  es  zu  keiner 
Weiterentwicklung  der  agglutinierten  Bakterien,  sondern  zu  toxi¬ 
schen  Frähreaktionen  von  makulo-papulösem  Charakter.  Die 
jMasern  haben  neben  Inkubationszeit,  prodromalem  Fieber  und 
Leukozytenkurve  noch  die  Aehnlichkeit  mit  dem  Blatternprozeß!, 
die  für  die  Antikörperexantheme  charakteristisch  sein  dürfte,  daß 
das  Exanthem  hei  kacbektischen  Individuen  abgeschwächt  ist 
und  um  so  stärker  auftritt,  je  kräftiger  und  gesünder  der  Or¬ 
ganismus  ist. 

(Die  ausführliche  Publikation  erfolgt  in  einer  Arbeit:  Kli¬ 
nische  Studien  über  Vakzination  und  vakzinale  Allergie,  Wien, 
Deutike,  1907.) 

Diskussion:  Prof.  R.  Kraus:  Kollege  v.  Pirquet  hat  es 
versucht,  für  die  Erscheinung  der  Frühreaktion  bei  der  Re- 
vakzination,  speziell  für  die  von  ihm  nachgewiesene  Frühreaktion 
nach  einigen  Stunden  (die  allerflings  nicht  konstant  zu  finden 
ist  und  auch  experimentell  an  Affen  nicht  nachweisbar)  und 
für  das  Auftreten  des  Variolaexanthems  nacb  einem  bestimmten 
Inkubationsstadium  Erklärungen  zu  geben,  ohne  dafür  irgend¬ 
welche  Beweise  erbracht  zu  haben.  Ich  will  in  Kürze  zeigen, 
daß  uns  diese  sogenannte  Theorie  v.  Pirquets  nicbt ^  be¬ 
friedigen  kann  und  auch  mit  den  gegenwärtigen  Kenntnissen 
über  Immunität  bei  Variolavakzine  nicht  in  Einklang  gebracht 
werden  dürfte. 

Zunächst  beginne  ich  mit  dem  schwächsten  Teile  seiner 
Theorie,  mit  der  Eiklärung  des  Inkubationsstadiums  bei  der 
Variola. 

V.  Pirquet  hat  die  Vorstellung,  daß-  das  Variolaexantbem 
abhängig  sei  von  der  Bildung  spezifischer  Agglutinine.  Diese 


sollen  vor  der  Allgemeininfektion  vielleicht  am  13.  und  14.  Tage 
entstehen,  zur  Agglutination  des  in  den  Hautgefäßen  vorhan¬ 
denen  Virus  führen  und  das  Exanthem  bedingen.  Für  diese  Be¬ 
hauptung  hat  V.  Pirquet  meiner  Meinung  nach  nicht  den  min¬ 
desten  Anhaltspunkt.  Das  Exanthem  erklären  wir  aus  der  Ge¬ 
neralisation  des  Virus.  So  wie  bei  allen  anderen  Infektions¬ 
krankheiten  bei  natürlicher  Infektion  das  eingedrungene  Virus 
sich  vermehren  muß.  um  durch  seine  Gifte  Krankheitserschei¬ 
nungen  auszulösen,  so  ist  es  auch  hier.  Das  Variolavirus  ist 
zur  Zeit  des  Exanthems  in  allen  Organen  generalisiert,  so  auch 
in  der  Haut,  wo  es  vermöge  der  supponierten  spezifischen  Gifte 
nekrotisierend  und  entzündlich  wirkt.  Das  zeitliche  Moment  häng! 
mit  der  Vermehrung  und  Generalisation  zusammen.  Die  Bildung 
des  Exanthems  in  der  Haut  gehört  zur  Spezifität  des  Variola¬ 
virus,  die  wir  als  gegeben  betrachten,  so  wie  die  anderer  patho¬ 
gener  Mikroorganismen.  Ich  glaube  nicbt,i  daß  es  v.  Pirquet 
gelingen  dürfte,  einen  tatsächlichen  Nachweis  des  agglutinierten 
Variolavirus  in  den  Hautkapillaren  zu  erbringen.  Außerdem  muß 
aber  entgegengehalten  werden,  daßi  wir  bei  anderen  Infektions¬ 
krankheiten  die  Exantheme  durch  die  kapillare  Ansiedlung  des 
Virus  beweisen  können,  so  beim  Typhus  und  bei  Syphilis.  Es 
genügt  eben  die  Lokalisation  des  Virus  in  der  Haut  allein,  die 
Erscheinungen  zu  erklären.  Prinzipiell  ist  aber  noch  einzuwen¬ 
den,  daß  im  Organismus,  wie  experimentelle  Versuche  verschie¬ 
dener  Autoren  und  auch  eigene  (Kraus  und  S tern b erg)  ge¬ 
zeigt  haben,  bei  Vorhandensein  von  Agglutininen  eine  Ausflockung 
überhaupt  nicbt  zustande  kommen  kann,  nur  extra  vaskulär  in 
vitro.  Dazu  kommt  noch,  daß  Agglutinine  und  Präzipitine  bei 
der  Variola  nicht  gekannt  sind,  so  daß  die  Theorie  v.  Pirquets 
ohne  jede  Begründung  dasteht. 

Auch  die  Erkläiaing  der  Frühreaktion  scheint  mir  verfrüht 
zu  sein. 

Im  vorigen  Jahre  habe  ich  hier  an  dieser  Stelle  die 
nach  einigen  Stunden  auftretende  Pustel  (Frübreaktion)  bei  der 
Revakzination  nicht  als  Vakzinepustel,'  als  was  sie  von  v.  Pir¬ 
quet  aufgefaßt  wurde,  gelten  lassen.  Ich  habe  gemeint,  daß  die 
Infektiösität  und  der  Nachweis  der  Guarnierischen  Körperchen  ent¬ 
scheiden  läßt,  ob  wir  es  liier  mit  einer  Vakzinepustel  zu  tun 
haben.  Wie  wir  beute  gehört  haben  und  auch  das  Experiment, 
welches  ich  mit  v.  Pirc[uet  am  Makakus  angestellt  habe,  zeigt, 
ist  der  Inhalt  der  Pustel  nicht  infektiös.  W’^ir  können  also  diese 
nach  einigen  Stunden  nacb  der  Revakzination  auftretenden  Blasen 
nicht  mit  der  Vakzinepustel  analogisieren.  Das  sieht  jetzt  v.  Pir¬ 
quet  auch  ein  und  bringt  für  die  Nicbtinfektiö-sität  eine  Er¬ 
klärung,  die  ihm  auch  die  Frühreaktion  klar  zu  machen  scheint. 
V.  Pirquet  stellt  sich  vor,  daß  das  eingebrachte  Virus  von 
lytischen  Antikörpern  aufgelöst  wird,  sogenannte  Endotoxine  sollen 
dabei  frei  werden  und  die  Blasenbildung  hervorrufen.  Ich  finde, 
daß  wiederum  für  diese  Auffassung  weder  der  Versuch  einer 
experimentellen  Begründung  vorliegt,  noch  irgendwelche  iVnhalts- 
punkte  gegeben  sind.  Pie  Analogie,  die  Herr  Koll.  v.  Pirquet  her¬ 
anzieht,  daß  bakteriolytrsche  Antikörper  Choleravibrionen  auflösen, 
kann  ich  nicht  gelten  lassen.  Erstens  müßte  der  Beweis  vorliegen, 
daß-  bei  den  vakzinierten  Menschen  lytische  Antikörper  nach¬ 
gewiesen  worden  sind,  was  bis  jetzt  nicht  bekannt  ist.  Zweitens 
müßte  V.  Pirquet  nachweisen,  daß  ein  derartiger  Antikörper, 
mit  Virus  zusammengebracht,  bei  ungeimpften  die  toxische  brüh- 
reaktion  auslöst.  Müßte  nicht  nach  der  Annahme  v.  Pirquets 
der  Inhalt  von  Vakzinepusteln  und  Variolapusteln  steril  sein, 
da  ja  die  lytischen  Antikörper  vorhanden  sein  müssen  ?  Ich  be¬ 
streite  nicht,  daß  Antikörper  irgendwelcher  Art  nach  IJeberstehen 
der  Variola  oder  bei  vakzinierten  Individuen  vorhanden  sind. 
Die  Versuche,  welche  darauf  hinausgingen,  solche  Antikörper  nacb- 
zuweisen,  sind  meiner  Meinung  nach  nicht  so  ausgefallen,  daß 
man  sagen,  könnte,  im  Serum  Vakzinierter  zirkulieren  Antikörper. 
Ich  erinnere  nur  daran,  daß'  trotz  längerer  Immunisierung  von 
Tieren  das  Serum  nur  in  sehr  großen  Mengen  wirksam  war,  so 
daß  ich  mich  bei  Durchsicht  der  älteren  Literatur  nicht  des 


WlEiN'ER  KLINISCHE  WUCIIENSClIllIFT.  1907. 


Nr.  9 


Eiiichuckes  yiwehreii  kaiiu,  als  ob  es  sich  uiii  Wirkungen  iior- 
inalen  S<‘nnn  liandeln  würde.  Dali  der  über  allen  Zweifel  vor¬ 
handenen  Ininuinität  iiach  Vakzination  irgendwelche  Antikörper 
zugrunde  liegen,  isl  sicher  anzunehinen ;  Avelcher  Natur  diese 
aber  sind,  das  hülle  v.  Pirciuet  früher,  ehe  er  an  die  Lösung 
des  sich  gestellten  Problems  gegangen  ist,  lösen  müssen.  Erst 
w(mn  es  ihm  gelungen  ist,  solche  Antikörper,  lösende  und  aggluti¬ 
nierende,  bei  vakzineinnnunisierten  ürganismen  nachzmveisen, 
itanii  ei'sl  können  Avir  über  die  Theorie  v.  Pirquets  diskutieren. 

llofr.  Es  eher  ich:  Die  EinAvendungen  des  geehrten  Vor¬ 
redners  sind  nicht  imstande,  mir  die  Freude  an  den  geistreichen 
Ausführungen  des  Vortragenden  zu  verderben.  Es  ist  ja  richtig,  daß 
soAvohl  das  Virus  Avie  die  Antikörper  der  Variola  unbekannt  sind. 
Das  schließt  aber,  Avie  das  Beispiel  des  Antitoxins  zeigt,  nicht 
aus,  daß  wir  mit  denselben  experimentieren  und  ihre  Wirkungen 
erforschen.  Allerdings  sind  nicht  alle  Thesen  v.  P  i  r  q  u  e  t  s  in 
gleichem  Maße  überzeugend.  Der  schAvächste  Punkt  ist  —  und 
darin  stimme  ich  mit  Prof.  Kraus  überein  —  seine  Theorie  des 
Blatternexanthems.  Wenn  man  auch  zugibt,  daß  dasselbe  als 
Metastase  in  der  Haut  zu  betrachten  sei,  so  kann  man  sich  doch 
schAver  vorstellen,  daß  gerade  in  der  Zeit  vor  dem  Ausbruch 
desselben  eine  solche  UeberschAvernmung  des  Blutes  mit  Bakterien 
statthat,  daß  durch  die  Agglutination  derselben  die  Thrombo¬ 
sierung  der  Gefäße  herbeigeführt  wird.  Auch  sind  die  Befunde 
von  W^  e  i  g  e  r  t  nicht  ohne  Aveiteres  mit  dem  noch  unbekannten 
und  mit  keiner  der  bekannten  Färbmethoden  darstellbaren  Virus 
zu  identifizieren. 

Der  Kern  der  Ausführungen  v.  Pirquets  ist  aber  nicht 
dies,  sondern  seine  Theorie,  daß  der  Eintritt  der  Krankheits¬ 
erscheinungen  durch  das  Auftreten  der  Antikörper  hervorgerufen 
Avird.  Es  ist  dies  gewiß  eine  auf  den  ersten  Blick  überraschende 
Vorstellung.  Sie  ist  Avohl  auch  nicht  aus  dem  Studium  der 
Variola  entstanden,  sondern  es  sind  hier  Analogien  und  Schlüsse 
verAvertet  aus  dem  Bilde  der  von  v.  Pirquet  und  Schick 
studierten  Serumkrankheit.  Man  kann  Avohl  sagen,  daß,  dank 
dieser  Studien,  die  Serumkrankheit,  d.  h.  die  mannigfaltigen  durch 
die  parkuterale  Einverleibung  artfremden  Eiweißes  entstandenen 
Störungen  heute  einer  der  in  bezug  auf  die  Pathogenese  best¬ 
gekannten  Krankheitsprozesse  sind.  Freilich  handelt  es  sich  hier 
um  ein  nicht  organisiertes  Virus;  allein  abgesehen  von  diesem 
Unterschiede  fanden  Avir  bei  derselben  alles  dasjenige,  Avas  man 
bei  echten  infektiösen  Prozessen  ei’Avartet:  Fieber,  Ausschlag, 
Gelenksschmerzen,  Störungen  des  Allgemeinbefindens  und  schlie߬ 
lich  sogar  eine  Avohl  charakterisierte  Inkubationsperiode. 

Gerade  für  das  Verständnis  der  letzteren  liefert  die  Anti¬ 
körpertheorie  eine  ansprechende  Erklärung.  Ich  habe  stets  in 
meinen  Vorlesungen  hervorgehoben,  daß,  Avenn  auch  alle  Infek¬ 
tionskrankheiten  eine  Inkubationsperiode  haben,  dieselbe  doch  nur 
bei  einigen  Avenigen  eine  absolute  und  unabänderliche  Größe  dar¬ 
stellt.  Legen  Avir  die  landläufige  Vorstellung  zugrunde,  daß  die 
Inkubationsperiode  der  Vermehrung  der  eingeführten  Keime  bis 
zur  Erreichung  der  Reizsclnvelle  entspricht,  so  gilt  dies  gewiß 
für  die  Mehrzahl  der  Infekten.  Damit  stimmt  auch  der  Um¬ 
stand  überein,  daß  diese  Inkubationszeit  bei  sehr  massiger  In¬ 
fektion  und  bei  Gelegenheit  zu  rascher  Vermehrung  eine  kürzere, 
bei  spärlicher  Infektion  und  ungünstigem  Vegetationsverhältnis 
eine  längere  ist,  Avie  dies  bezüglich  des  Scharlachs,  der  Diphtherie, 
des  Typhus  u.  a.  m.  genugsam  bekannt  ist.  In  scharfem  Gegensatz 
dazu  steht  die  Inkubationszeit  der  vom  Vortragenden  berührten 
Infektionskrankheiten:  der  Masern  und  der  Variola.  Hier  ist  es 
ganz  gleichgültig,  ob  die  Ansteckung  eine  intensive  oder  eine 
spärliche  ist;  die  Patienten  Averden,  Avenn  sie  empfänglich  sind, 
am  11.  oder  12.  Tage  nach  der  Infektion  die  ersten  Krankheits¬ 
erscheinungen  aufweisen.  AbAveichungen  von  dieser  Regel 
kommen  nur  in  ganz  geringem  Ausmaße  vor.  Diese  Krankheiten 
stehen  somit  in  scharfem  Gegensatz  zu  den  anderen  Infektionen 
und  ich  hatte  mir  deshalb  von  jeher  die  Vorstellung  gebildet,  daß 
hier  ein  von  dem  Gewöhnlichen  abAveichender  Vorgang  vorliegen 
muß.  Zu  einer  befriedigenden  Erklärung  war  ich  aber  nicht 
gelangt.  Dieselbe  bietet  sich  in  der  v.  Pirquet  sehen  Hypothese. 

Nehmen  Avir  an,  daß  die  Dauer  der  Inkubation,  resp.  der 
Beginn  der  Krankheitserscheinungen  nicht  nur  durch  die  Menge 
des  eingeführten  und  sich  vermehrenden  Infektionsstoffes,  son¬ 
dern  durch  das  Erscheinen  der  vom  Organismus  gebildeten  Anti¬ 
körper  bedingt  ist,  so  erklärt  sich  die  gleichmäßige  von  der 
Stärke  des  Primäraffektes  unabhängige  Dauer  der  Inkubation  von 
selbst.  Der  Organismus  bedarf  eben  einer  geAvissen  Zeit  zum 
Ablaufen  dieser  Reaktion  und  Avir  sehen  auch  bei  anderen  In¬ 
fekten  die  .Vntikörperbildung  um  diese  Zeit  in  die  Erscheinung 
treten ;  am  besten  studiert  ist  dies  bei  der  Serumkrankheit.  Auf 
Grund  dieser  Betrachtung  kann  dieses  unter  den  verschiedensten 


Umständen  Aviederkehrende  Intervall  von  zAvölf  Tagen  auf  ein 
allgemeines  biologisches  Gesetz  zurückgeführt  werden. 

Eine  Bestätigung  findet  dieser  Gedanke  durch  das  ebenfalls 
von  V.  Pirquet  aufgedeckte  Gesetz  von  der  beschleunigten  Re¬ 
aktion  der  Immunisierten,  WHe  bei  Aviederholten  Seruminjektionen, 
so  sehen  Avir  auch  mutatis  mutandis  bei  der  Vakzination  mit  dem 
AnAvachsen  der  Immunität  die  Reaktionszeit  sich  mehr  und  mehr 
verkürzen.  Es  ist  dies  von  v.  Pirquet  durch  so  zahlreiche  und 
mannigfach  variierte  Versuche  gestützt,  daß  man  hier  Avohl  von 
einem  Gesetz  und  nicht  von  einer  einfachen  Konstatierung  von 
Tatsachen  sprechen  kann.  Das  eleganteste  BeAveisstück  für  seine 
Theorie  erbringt  er  in  der  Tafel  über  den  Erfolg  der  sukzessiv 
Aviederholten  Impfungen.  Man  sieht  hier  in  klassischer  Weise, 
wie  die  zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  verschiedenen  Orten 
gesetzten  Impfungen  alle  an  demselben  Tage,  an  Avelchem  eben 
das  erste  Auftreten  der  Antikörper  anzunehmen  ist,  gleichsam 
in  Brand  geraten.  Man  kann  kaum  einen  schlagenderen  BeAveis 
liefern  dafür,  daß  die  örtliche  Reaktion  nicht  von  der  Menge 
und  der  Entwicklung  des  örtlichen  Krankheitsherdes,  sondern 
von  einer  allgemeinen,  im  ganzen  Körper  vorhandenen  Ursache 
erregt  wird. 

Schließlich  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  die  theoreti¬ 
schen  Ausführungen  v.  Pirquets  uns  das  Verständnis  eröffnen 
für  manche  im  Volke  verbreiteten  und  auch  ärztlich  angenom¬ 
menen  Vorstellungen.  Von  jeher  hat  man  angenommen,  daß 
kräftige  Personen  ein  besonders  intensives  Masernexanthem  auf- 
Aveisen  und  in  dem  Zurücktreten  eines  Exanthemes  oder  der  un¬ 
vollständigen  Entwicklung  desselben  ein  signum  mali  ominis 
erblickt.  Wenn  wir  mit  v.  P  i  r  q  u  e  t  annehmen,  daß  das  Exanthem 
einen  Maßstab  liefert  für  die  Produktion  der  Antikörper,  also  die 
Widerstandsfähigkeit  des  Organismus,  ist  dies  ohneAveiters  ver¬ 
ständlich.  Freilich  sind  diese  Antikörper  noch  nicht  nachgeAviesen, 
sie  sind  vorläufig  ebenso  Avie  die  E  h  r  1  i  c  h’schen  Seitenketten 
eine  Arbeitshypothese.  Es  wird  die  nächste  Aufgabe  des  Vor¬ 
tragenden  sein,  objektive  Beweise  beizubringen.  Zu  diesem  ZAvecke 
empfehle  ich  ihm  das  Studium  der  Varizellen,  »die  dem  von  ihm 
gewählten  Krankheitstypus  angehören  und  ein  bequemes  Studium 
der  örtlichen  Effloreszenzen  gestatten. 

Prim.  Dr.  Knöpf  eimache  r:  Ob  die  Annahme  v.  Pir¬ 
quets,  daß  das  Exanthem  mit  Agglulinincn  Zusammenhänge, 
berechtigt  ist,  darauf  will  ich  nicht  eingehen;  daß  aber  der  Aus¬ 
bruch  eines  Exanthems  bei  Immunen  und  Nichtinnnunen  sich 
verschieden  verhält,  das  läßt  sich  auch  durch  Injektionsversuche 
am  Meuschen  zeigen.  Wenn  man  einem  noch  nicht  A^akzinierten 
Menschen  eine  subkulane  Injektion  von  verdünnter  Kuhpocken¬ 
vakzine  macht,  dann  bekommt  der  Injizierte  nach  ZAVÖIf  Tagen 
eine  lokale  Reaktion,  Avelche  aus  Rötung  und  Infiltrat  j)osteht; 
Avenn  man  aber  einem  vorher  vakzinierten  IMenschen  eine  solche 
Injektion  mit  verdünnter  Lymphe  macht,  dann  tritt  die  lokale 
Reaktion  schon  in  den  ersten  24  Stunden  ein  und  selbst  dann, 
Avenn  die  Lymphe  vorher  durch  Erhitzen  abgetötet  ist. 

V.  Pirquet  (SchlußAvort) :  Prof.  Kraus  spricht  meiner 
Theorie,  kurz  gesagt,  jede  wissenschaftliche  Berechtigung  ab. 
Ich  freue  mich  eigentlich  über  diesen  energischen  Widerspruch, 
Aveil  er  beweist,  wie  verschieden  meine  Auffassung  von  der  bisher 
geltenden  ist  und  er  mich  vor  der  Gefahr  schützt,  daß  man 
mir  später,  Avenn  meine  Ideen  durchgedrungen  sind,  sagen 
Averde :  das  haben  Avir  längst  geAvußt. 

Wenn  mir  Kraus  das  Recht  abspricht,  überhaupt  über 
die  Genese  eines  Exanthems  Gedanken  zu  äußern,  Aveil  jedes 
Exanthem  seine  Eigentümlichkeiten  habe,  die  Avir  nicht  erklären 
könnten,  so  negiert  er  damit  die  Berechtigung  jeder  Theorie :  ich 
stelle  doch  meine  Ueberlegungen  nicht  als  Fakta  hin,  sondern 
betone  ausdrücklich  den  hypothetischen  Charakter. 

In  bezug  auf  die  Tatsachen  hat  Kraus  schon  zugeben 
müssen,  daß  die  Frühreaktionen  bei  der  Serumkrankheit  und 
Impfung  tatsächlich  existierten,  was  er  früher  angezAveifelt  hat. 
In  der  Frage  der  Ueberimpfbarkeit  der  Frühreaktion  hat  er  mich 
anscheinend  im  vorigen  Jahre  falsch  verstanden :  ich  erAvartete, 
daß  die  Blase  meiner  Frühreaktion  nicht  überimpfbar  sein  Averde, 
Avie  es  auch  tatsächlich  der  Fall  Avar.  Daß  die  kleinen  vakzinalen 
Reaktionen  nicht  überimpfbar  sind,  ist  eine  Tatsache,  die  allen 
Impfärzten  AVohl  bekannt  ist  und  zur  Zeit  der  animalischen  Impfung 
hundertfältig  erprobt  Avurde.  Daß  die  Frühreaktion  auch  bei  der 
Variola  vorkommt,  dafür  fand  ich  einen  interessanten  Beleg  bei 
Reiter,  der  erzählt,  daß  einer  der  alten  Inokulatoren  vor 
100  Jahren  den  Blatternimpfstoff  an  seiner  Hand  zu  erproben 
pflegte.  Zeigte  sich  daselbst  eine  Finne  (also  eine  Quaddel  oder 
Papel),  so  AAmr  der  Stoff  Avirksam  und  konnte  verAvendet  Averden. 

Kraus  irrt,  Avenn  er  behauptet,  daß  im  variolo-vakzinalen 
Prozeß  noch  gar  keine  Antikörperreaktionen  nachgeAviesen  Avurden  : 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


die  Befunde  von  B  e  c  1  i  r  e,  C  h  a  m  b  o  n  und  Menard  sind 
in  ganz  tadelloser  Weise  erhoben  und  zeigen,  daß  eine  anti¬ 
virulente,  wahrscheinlich  bakterizide  Substanz  im  Serum  der 
Vakzinierten  zu  derselben  Zeit  auftritt,  wo  die  Virulenz  des  Pustel- 
inbaltes  erlischt.  Der  Eintritt  der  Hüllenantikörper,  den  ich 
supponiere,  liegt  um  einige  Tage  früher  und  ich  erkläre  mir  die 
Differenz  durch  quantitative  Absättigungsverhältnisse. 

Ob  man  berechtigt  ist,  aus  vitalen  Vorgängen  auf  Anti¬ 
körperreaktionen  zu  schließen,  diese  Frage  muß  ich  auf  Grund 
der  Frühreaktion  hei  der  Serumkrankheit  und  der  Impfung 
prinzipiell  bejahen.  Hier  haben  wir  ebenso  spezifische  Vorgänge, 
wie  die  bisherigen  Antikörperreaktionen  in  vitro.  Die  Pathologen, 
die  uns  auf  diesen  Weg  geführt  haben  und  dahin  gehört  ja 
Prof.  Kraus  als  Entdecker  der  Präzipitation  in  erster  Linie, 
wollen  diesen  Schritt  von  der  theoretischen  zur  praktischen  Er¬ 
kenntnis  noch  nicht  machen ;  ich  bin  aber  überzeugt,  daß  der 
klinische  Ausbau  der  Antikörperlehre  seine  Stellung  behaupten  wird. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  7.  Februar  1907. 

K.  V.  Slejskal  stellt  einen  Fall  von  offenem  Onctiis 
Bo  tall  i  vor.  Die  jetzt  32jährige  Patientin  hatte  seit  der  Kind¬ 
heit  Anfälle  von  Herzklopfen,  in  der  letzten  Zeit  auch  Schwindel- 
anfällc  und  zeitweise  das  Gefühl,  daß  ihr  Herz  stillstehe.  Seil 
elf  Jahren  Husten,  dreimal  Hämoptoe.  Die  Untersuchung  ergibt: 
Geringe  Zyanose,  leichte  Dystopie  beider  Pupillen,  Infiltration 
der  rechten  Lungenspitze,  epigastrische  Pulsation,  Schwirren  über 
dem  Herzen,  am  stärksten  in  der  Gegend  der  dritten  Rippe, 
Verbreiterung  der  Herzdämpfung,  an  der  Spitze  ein  rauhes  systo¬ 
lisches  Geräusch,  ebenso  an  der  Puhnonalis,  Akzentuation  des 
zweiten  Puhnonaltonsi  Bei  maximalem  Inspirium  verschwindet 
das  systolische  Geräusch.  Der  Herzdäinpfung  ist  am  linken  Sternal- 
rand  eine  schmale,  bandförmige  Dämpfung  aufgesetzt.  Die 
Röntgenuntei'suchung  ergibt  in  der  Gegend  des  Ductus  Botalli 
eine  kindsfaustgroße,  pulsierende  Vorwölbung.  Die  Radialis  und 
Karotis  zeigen  rechts  eine  geringere  Pulsation  als  links,  die  Gefäße 
an  den  unteren  Extremitäten  pulsieren  stärker  als  an  ilen  oberen. 
Vortr.  nimmt  das  Bestehen  eines  offenen  Ductus  Botalli  mit 
Stenose  der  absteigenden  Aorta  an,  Avobei  durch  Kollateralen  eine 
bessere  Füllung  der  Arterien  der  unteren  Körperhälfte  bewirkt 
wird;  vielleicht  liegt  auch  eine  abnorme  Differenz  in  der  Weite 
der  Gefäße  der  unteren  und  oberen  Extremitäten  voi'. 

L.  V.  Schrötter  bemerkt,  daß  der  erwähnte  Unterschied 
in  der  Pulsstärke  an  den  oberoTi  und  unteren  Extremitäen,  durch 
Unterschiede  in  der  Gefäßweite  bedingt  sein  dürfte. 

J.  G  r  ü  b  e  1  führt  einen  iMann  mit  angeborenem  11  erz¬ 
fehler  vor.  Pat.  hatte  schon  im  sechsten  Lebensjahre  Herz¬ 
beschwerden,  im  Jahre  1905  erkrankte  er  an  einer  Infiltration 
der  linken  Lungenspitze  mit  Hämoptoe  und  klagt  seither  über 
Kurzatmigkeit,  hat  aber  nur  hei  angestrengter  Arbeit  Herzklopfen. 
Die  Untersuchung  ergibt:  geringe  Zyanose,  Dämpfung  uiul  Rassel¬ 
geräusche  über  der  linken  Lungenspitze,  Vorwölhung  der  ganzen 
Herzgegend  und  sichtbare  Pulsation  daselbst,  Spitzenstoß  hebend, 
im  vierten  Interkostalraum  in  der  iVIamillarlinie,  geringe  Ver¬ 
größerung  der  Herzdämpfung,  eine  der  Herzdätnpfung  aufgesetzte, 
kappenförmige  Dämpfung  bis  zur  ersten  Rippe,  daselbst  Schwirren 
zu  fühlen.  Bei  der  Auskultation  hört  man  an  der  Herzbasis  ein 
Geräusch,  Avelches  sich  in  beide  Karotiden  fortpflanzt.  Vor¬ 
tragender  möchte  hier  einen  offenen  Ductus  Botalli  und  geringe 
Hyiiertrophie  beider  Ventrikel,  vielleicht  infolge  einer  geringen 
Stenose  der  Aorta,  annehmen.  Der  Röntgenbefund  gil)t  keinen 
Aufschluß,  da.  die  ganze  linke  Lungenspitze  infolge  den-  Ver¬ 
dichtung  einen  Schatten  zeigt.  Merkwürdig  ist  ein  haudfönniger 
Schatten,  welcher  vom  Herzschatten  aus  in  die  laingeiispitze  zieht. 

K.  V.  Stejskal  bemerkt,  daßi  diesem  Schatten  vielleicht 
eine  sklerotische  Lungenaiderie  zugrunde  liegen  dürfte. 

R .  K  r e  t  z  :  U e b  e  r  p  o s  t  a  n  g  i  n  ö s e  Ly  ni p  h d  r  ii  sen  e ti  U 
Zündungen.  Anläßlich  dei'  Kontrolle  der  Befunde  über  die 
Beziehungen  zwischen  Angina  und  A])pendizitis  ergab  sich,  daß 
die  Häufigkeit  und  Wichtigkeit  der  Rolle  der  Angina  in  der 
Aeliologie  der  inlernen  pyogenen  Affektionen,  trotz  einer  Reihe 
guter  Arbeiten  in  diesem  Kapitel  noch  immer  nicht  hinreichend 
geAvürdigt  Avird.  Zum  Teile  liegt  di('s  daran,  daß  viele  Fälle 
erst  nach  Ablauf  der  klinischen  Symptome  dm-  Jlalsentzündung, 
soweit  sie  durch  Inspektion  des  Rachens  zu  erkennen  ist,  zur 
ärztlichen  Beobachtung  kommen;  in  solchen  Fällen  bietet  nun 


die  länger  dauernde  Lymphadenitis  am  Halse  ein  Avichtiges  und 
nach  den  anatomischen  Erfahrungen  auch  verläßliches  diagnosti¬ 
sches  Merkmal.  Sie  ist  histologisch  bedingt  durch  eine  Lymph- 
angoitis  der  Markhahnen  und  enlzündliche  Schwellung  der  Fol¬ 
likel;  am  leichtesten  sind  diese  Veränderungen  durch  die 
Weigertsche  Fihrinfärhung  der  Schnitte  von  den  niakrosko- 
])isch  hyper])lastischen,  blassen,  feuchten  und  saftreichen  Lymph- 
(h'üsen  des  Halses  zu  erkennen.  Solche  Drüsen  findet  man  typisch 
hei  rezenten  Endokarditiden,  hei  den  nicht  tuberkulösen  Empy- 
(Muen,  hei  frisclum  Nephritiden,  hei  Osteomyelitis,  l'hlegmone 
des  Wurmfortsatzes,  heim  sogenaunten  ,, rheumatischen  Erysipel“. 
Vortr.  demonstriert  solche  Drüsen  von  Fällen  mit  einer  frisclien 
Endokarditis,  von  einm-  eitrigen  Cholezystitis,  von  einer  iVppen- 
dizitis  uiul  von  einem  ganz  rezenten  Morbus  Brighti.  Diese 
Fälle  heAveisen  durch  die  manifeste  Lokalisation  der  pyogenen 
Kokken  in  einem  inneren  Organ,  daß'  diese  Formen  der  Lymph¬ 
adenitis  am  Halse  eine  Bakteriämie,  einen  Uehertritt  der  Mikroben 
in  das  Blut  vermitteln.  Dieselbe  se])t.ische  Bakteiiämie  kann  aber 
geAviß  auch  ohne  metastalische  x\nsiedlung  der  .Mikroben  :ds 
Folgezustand  einer  postanginösen  Lyniphadenitis  colli  Vorkommen. 
Prof.  Or  Ln  er  hat  Vortr.  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  Avahr- 
scheinlich  das  „Drüsenfieber“  von  FilatoAv  und  von  Pfeiffer 
der  klinische  Ausdruck  solcher  abortiver  septischer  Bakteriämien 
sei.  Es  scheint  in  der  Tat  in  jenen  Fällen  ein  derartiger  Prozeß 
Vorgelegen  zu  sein  und  auch  die  Mitleilungen  ^späterer  Autoren 
stimmen  mit  dieser  Auffassung;  unter  ihnen  möchte  Vortr.  C  oni  by 
und  Korsakoff  speziell  hier  hervorheben,  da  sie  in  den  Drüsen 
solcher  Kinder  Streptokokken  fanden;  Korsakoff  hebt  auch 
ganz  i'ichtig  hervor,  daß  Drüsenschwellung  und  Fieber  sowohl 
anscheinend  selbständige,  familiäre  Hausgenossenkrankheit,  Avie 
auch  als  Nachkrankheit  zu  den  akuten  Exanthemen  auftreten 
können;  Avie  Vortr.  glaubt,  kann  die  Mitteilung  Schicks  über 
postska]latinöse  Drüsenaffektionen  in  der  Amrletzten  Sitzung  dieser 
Gesellschaft  als  Beispiel  für  alle  Fälle  der  letzteren  Kategorie 
gelten.  Die  von  Pfeiffer  betonte,  aber  nicht  Amn  allen  Autoren 
gleichmäßig  gefundene  SchAvelhmg  der  präaurikulären  und  zer¬ 
vikalen  Lymphdrüsen  hängt  Avohl  Aveniger  von  der  Nalur  des 
Prozesses,  als  von  der  indiAnduellen  Verteilung  des  lymphatischen 
GeAvebes  (stärkere  EntAvicklung  der  sogenannten  Pharynxtonsille) 
ab.  Aetiologisch  kommen  am  häufigsten  Streptokokken,  seltener 
Diplo-  und  Staphylokokken  in  Betracht;  hei  Staphylomy kosen 
scheint  verhältnismäßig  am  leichtesten  Vereiterung  des  GeAvebes 
der  Drüsen  einzutreten.  Da  die  anatomischen  Befunde  ein  recht 
häufiges  Voikommen  der  postangiösen  LymphdrüsenschAvellungen 
bcAveisen  und  klinisch  die  sehr  große  Häufigkeit  der  Halsaffek¬ 
tionen  durch  die  pyogenen  Kokken  außer  Frage  steht,  stellen  die 
bakteriämischen  Invasionen  derselben  und  ihr  klinischer  Aus¬ 
druck,  die  Drüsenfieher,  offenbar  ein  häufiges  Ereignis  dar.  W^ahr- 
scheinlich  sind  die  ephemeren  Fieber  der  Kinder  nicht  selten  so 
aufzufassen  und  Averden  bei  Beachtung  der  Drüsen  am  Halse 
sicher  diagnostizieihar  werden. 

K.  Hoch  singer  ist  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  zu 
dei-  Ansicht  gekommen,  daß  das  ,,, Drüsenfieber“  Pfeiffers  auf 
einer  pyogenen  Infektion  der  Halsdrüsen  beruht,  welche  Amm 
Wurzelgebiete  der  Drüsen  im  Rachen  ausgeht.  Dieses  „Drüsen- 
fieber“  zeigt  zAvei  Formen,  indem  die  Drüsen  entweder  im  An¬ 
schlüsse  an  eine  Angina  anschwellen  und  nach  einiger  Zeit  zurück¬ 
gehen,  oder  indem  zAAÜschen  der  Angina  und  der  DrüsenscluA-ellung 
ein  längerer  ZAA'ischenraum  liegt.  Diese  ZAveite  Form  AAUirde  Amu 
Pfeiffer  für  eine  selbständige  Krankheit  angesehen.  Die 
SchAvellung  der  Drüsen  hat  dabei  die  Eigentümlichkeit,  daß'  sie 
schmerzhaft  isl,  aber  niemals  zur  Vereiterung  führt.  iManchmal 
schAvellen  auch  zuerst  die  oberflächlichen  Halsdrüsen  an  und 
erst  läJigere  Zeit  nach  dem  Zurückgehen  derselben  die  tiefem 
Drüsen.  Der  Ausdruck  ,, Drüsenfieber“  Aväre  zu  \wrlassen. 

Fri  sch  a  uer  Aveist  dai'auf  hin,  daßl  ein  deutscher  Autor 
angibt,  es  sei  ihm  gelungen;  das  Wiederauftreten  des  Gelenks- 
rheumalismus  durch  Heilung  der  cln-onischen  Erkrankung  der 
Tonsillen  zu  verhüten. 

K.  \'.  Stejskal  beinej'kt  zu  dem  von  Grübel  vorgeslelllen 
Falle,  Avelchen  er  unterdessen  unlcu-sucht  hat/  daß  er  der  An- 
nah'ine  eines  offenen  Ductus  Botalli  nicht  zuslimmen  könne.  Es 
finden  sich  nur  eine  geringe  Hyi)erti'Oi)hie  des  rechten  Ventrikels 
und  ein  schAvaches  Schwirren,  die  Herzdämpfung  .geht  unmittel¬ 
bar  in  di(‘  Lungendämpfung  über.  .Man  könnte  an  (Une  Pulmonal¬ 
stenose  denken,  Avelche  vi(dleichl  durch  SchrUinpfung  der  Lungen¬ 
spitze  hervorgerufen  ist. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  9 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  am  23.  Januar  1907.  (Schluß.) 

Vorsitzender :  Finger. 

Schriftführer  :  B  r  a  n  d  w  e  i  n  e  r. 

Ullmanii;  Ich  hatte  mir  vorgenommen,  im  Anschlüsse  an 
den  Vortrag  des  Herrn  Kollegen  Oppenheim,  meine  ziemlich  weil 
zurückgehenden  Aufzeichnungen  und  Erfahmngen  in  hezug  auf 
die  Phosphalurie  heute  zusammenzufassen,  doch  beschränke  ich 
mich  mit  Rücksicht  auf  die  Zeit  nur  auf  einige  vom  Herrn  A’or- 
redner  behandelte  Gesichtspunkte. 

Zunächst  glaube  ich  nicht,  daß  die  Phosphalurie  für 
uns  mehr  sein  kann  als  ein  Symptom  des  gestörten  Stoff¬ 
wechsels,  natürlich  abgesehen  von  der  künstlichen  Plios- 
phalurie  durch  reichliche  Zufuhr  von  Alkalien.  Es  ist 
mir  scdir  unwahrscheinlich,  daß  die  Phosphalurie  bei 
Tripper  etwas  anderes  ist  als  die  Phosphalurie  bei  Neur¬ 
asthenikern  und  Nervenkranken,  die  ja  auch  ohne  Tripper  oft 
u.  zw.  noch  häufiger  vorkommt.  Ich  glaube,  daß  die  Phosphaturie 
beim  Tripper  erst  im  Wege  einer  erworbenen  Neurasthenie  in 
Erscheinung  tritt  und  nicht  durch  eine  chemische  Beimengung 
von  alkalischem  Eiter  oder  Prostatasekret  in  der  Blase  erst  aus¬ 
gelöst  wird.  Denn  wir  sehen  oft  die  Phosphaturie  dort  noch  lange 
bleiben,  wo  kaum  mehr  Eiter,  höchstens  einige  Filamente  produ¬ 
ziert  wei'den  und  umgekehrt  sehr  oft  wieder  auch  dort  nicht,  wo 
dem  Urin  sehr  viel  alkalischer  Eiter  beigemengt  wird,  wie  bei 
Cystitis  gonorrhoica.  Immerhin  sind  die  von  Oppenheim  er- 
bi'achten  Tatsachen  neu  und  könnten  eine  besondere  Entstehungs¬ 
weise  latenter  Phosphaturie  repräsentieren,  die  man  übersehen 
liat.  Das  aber  hat  mit  der  Gesamtfrage  der  Phosphaturie 
bei  Gonorrhoikern  nichts  zu  tun.  Zunächst  glaube  ich 
nicht,  daß  akute  Gonorrhoe  eine  Phosphaturie  hervorruft,  wenn 
dieselbe  nicht  schon  früher  vorhanden  war  —  ich  meine  hier 
die  ersten  akuten  Phasen  der  Gonorrhoe,  die  Urethritis  anterior 
und  Urethritis  ac.  post.  Dort  sah  ich  Phosphaturie  keineswegs 
besondei’s  häufig.  Erst  die  Störung  in  der  nervösen  Sphäre  der 
Geschlechtsdi'üsen,  durch  Abstinenz  und  Pollution  bedingt,  und 
deren  Reflex  auf  die  Nierensekretion,  vielleicht  auf  den  ganzen 
Stoffwechsel  bewirken  bei  dazu  Disponierten  die  Phosphaturie. 
Die  Dis])Osilion  ist  unbedingt  nötig,  sonst  würden  wir  die  Phos¬ 
phaturie  noch  häufiger  sehen.  Ich  habe  mich  gerade  vor  zwanzig 
Jahren  an  Kranken  der  Klinik  Nfeumann  zuerst  syste¬ 
matisch  mit  der  Frage  beschäftigt  und  nicht  nur  das 
häufige  Vorkommen  bei  chronischer  Gonorrhoe,  Prostatitis 
und  so  weiter  der  hinteren  Harnröhrenpartie,  sondern  auch  die 
Tatsache  zu  finden  geglaubt,  daß  schwere,  d.  i.  bleibende  Fälle 
solcher  Art  hei  ausgesprochen  nervendefekten  Individuen  Vor¬ 
kommen.  Meh7’fache  Harnanalysen  mit  Bestimmung  der  Gesaint- 
phosphorsäure  im  Verhältnis  zum  Gesamtstickstoff  schienen  mir 
damals  im  Sinne  Zülzers  bei  solchen  Individuen  eine 
wenigstens  temporäre  Vermehrung  der  Phosphorsäureaus¬ 
scheidung  wahrscheinlich  zu  machen.  Die  Bestimmungen  wurden 
zu  keinem  Abschluß  geführt;  ja,  ich  glaubte  im  Sinne  der  Che¬ 
miker,  bei  denen  ich  arbeitete,  daß  liier  eher  fehlerhafte  Analysen 
oder  Zufälligkeiten  schuld  Avären,  da  auch  diesen  Chemikern 
eine  Vermehrung  der  Phosphorsäureausscheidung  damals  nicht 
plausibel  war  und  sie  den  Zustand  nur  als  qualitative  Sekretions¬ 
anomalie  des  Urins  ansahen.  Als  ich  später  als  Seknndararzt 
in  Schrötters  Abteilung  den  Urin  vieler  interner  Kranken 
systenialisch  untersuchte,  wai'  der  Befund  der  Phosphaturie  relativ 
sehr  selten.  Erst  als  ich  Avieder  an  Hofrat  IMeynerts  Abteilung 
kam,  sah  ich  sehr  viele  Phosphaturien  Und  dabei  ein  ganz  anderes 
Harnbild  in  bezug  auf  Phosphatausscheidung.  Dort  fand  ich  oft 
auffallend  vermehrte  Phosiihatausscheidung,  wenigstens  temporär, 
z.  B.  nach  manischen  Anfällen,  Krampfformen  und  auch  bei 
schweren  vasomotorischen  Neurosen.  Der  mir  von  den  Erfah¬ 
rungen  an  der  Nervenklinik  zurückgebliebene  Eindruck,  daß  es 
sich  um  \'ermelirung  der  Phosphorsäure  handle,  wurde  mir  später 
dui'cli  zaldreiche  Untersuchungen  von  französischen  Aerzten,  Avie 
Gilles  de  la  To7i  rette,  Gau  tier,  Yoon,  IMairet  u.  a.  ver- 
stäi'kt,  die  in  solchen  Fällen  von  essentieller  Phosphaturie  ge¬ 
radezu  von  einem  Phosi)hordiabetes  sprechen.  Möglich,  daß  es 
sich  auch  hier  nur  Aun  Vennehiung  des  Kalkes,  bedingt  durcdi 
Auftreten  von  Milchsäure  in  den  GeAveben,  handelt,  Avohei  aber 
immer  der  Kalk  und  die  Magnesia  an  Phosphorsäure  gebunden 
ist  oder  auch,  daß  es  je  nach  der  .Vrt  der  Stoffwecdiselanomalie 
verschiedene  Fornum  von  Pliosphaluri('  gibt,  die  nur  bis  jetzt 
chemisch  und  klinis(di  schwer  zu  trennen  siml  und  daß  demnach, 


Avie  der  Vortragende  meint,  die  Phosphaturie  bei  sehr  verein¬ 
zelten  Fällen  von  Tripper  auch  eine  selbständige,  erst  in  der 
Blase  oder  im  Uringlas  entstehende  sei.  Mir  scheint  aber,  Avie 
gesagt,  diese  Beimengungshypothese  als  Ursache  der  phosphati- 
schen  Trübung  keinesfalls  ausreichend,  um  die  große  Zahl  der 
Phosphaturien  zu  erklären. 

Salomon:  Der  Begriff  der  Phosphaturie  ist  jedenfalls  kein 
einheitlicher.  Der  Ausfall  der  phosphorsauren  Salze  im  Urin 
Avird  an  sich  schon  durch  die  verschiedensten  Faktoren  bedingt. 
Er  kann  abhängen  von  Konzentration  des  Urins,  von  seinem 
Kohlen  Säuregehalt,  von  seiner  Azidität  und  Avohl  noch  von  anderen 
Faktoren.  Daher  genügt  bei  manchen  Leuten  schon  eine  staxke 
Fleischmaidzeit,  bei  der  reichlich  Salzsäure  in  den  Magen  abge¬ 
schieden  Avird  oder  der  Genuß  alkalischer  Wässer,  um  die  Alka- 
leszenz  der  Körpersäfte  und  damit  des  Urins  soAveit  zu  steigern, 
daß  Phosphaturie  auftritt.  Diese  Verhältnisse  spielen  natürlich 
auch  bei  Nervösen  mit.  Und  die  Hypazidität  des  Magens  ist 
Avohl  meist  das  Bindeglied.  Die  einzige  greifbare  Störung 
des  StoffAvechsels,  die  in  einem  der  Fälle  hat  nachgewiesen 
AAmrden  können,  ist  die  Amn  Soetbeer  zuerst  beobachtete  Älehr- 
ausscheidung  von  Kalk  im  Urin.  Man  Avird  nach  diesen  Erfah¬ 
rungen  bei  neuen  Studien  über  Phosphaturie  an  der  Berücksich¬ 
tigung  der  Kalkbilanz  nicht  vorbei  können.  Hinsichtlich  der  inter¬ 
essanten  Ausführungen  des  Vortragenden  erlaubt  er  sich  die 
Frage,  ob  wirklich  eine  so  große  Menge  Prostatasekret  bei  der 
Harnentleerung  ejakuliert  werden  kann. 

R.  Grünfeld  bemerkt  in  Erinnerung  an  drei  selbstbeob¬ 
achtete  Fälle,  daß  persistierende  Phosphaturie  oft  ein  Symptom 
von  Phospliatkonkrementen  in  Urethra  oder  Blase  sein  könne, 
was  durch  Urethi-oskopie  oder  Zystoskopie  leicht  nachgewiesen 
Averden  kann.  Die  Konkremente  stecken  meist  in  Divertikeln; 
die  betreffenden  Fälle  manifestieren  sich  vorzüglich  durch  Ab¬ 
gehen  eines  milchigen  Sekretes  am  Beginne  und  Ende  der  Miktion, 
oft  auch  in  Unterbrechung  des  Harnstrahles'  durch  ein  derartiges 
Sekret.  Jedenfalls  sollte  bei  permanenter  Phosphaturie  an  diese 
Möglichkeit  gedacht  Averden. 

Ehrmann:  Bei  gewissen  Prostatitisformen  Averden  krüme¬ 
lige,  kreidige  Massen  entleert,  Sekret  und  Flüssigkeit.  Es  be¬ 
stehen  kleine  KaAmrnen  in  der  Prostata,  dieselben  sezernieren  nicht 
in  den  Harn,  sondern  in  die  Prostataalveolen.  In  keinem  dieser 
Fälle  Avar  eine  Avirkliche  Phosphaturie,  die  man  hätte  erwarten 
müssen,  Avenn  dies  Phosphaturie  machen  soll.  Wie  stellt  sich 
Oppenheim  die  Fälle  von  Karbonaturie  vor? 

Oppenheim  betont,  nur  von  Phosphaturie  bei  Gonorrhoe 
gesprochen  zu  haben.  Für  die  Differenz  in  der  Trübung  beider 
Portionen  Avisse  er  keine  andere  Erklärung,  als  daß  alkalisch 
reagierender  Eiter  und  Prostatasekret  bei  einem:  in  der  Azidität 
herabgesetzten  Urin  diesen  Ausschlag  geben. 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  x.  März  1907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Chrobak  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

A.  Administrative  Vorversammluiig. 

1.  Aufstellung  der  Wahlliste. 

2.  Wahl  zweier  Skrutatoren. 

B.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

1.  Prof.  Dr.  E.  Redlich;  Mitteilung  über  Epilepsie  und  Links¬ 
händigkeit. 

2.  Demonstrationen.  Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  4.  März  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat 
Prof.  Obersteiner  stattfindenden  wissenschaftlichen  Versammlung. 
Dr.  S.  Grosz ;  Der  Kampf  gegen  die  Geschlechtskrankheiten. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

(Laryngologische  Klinik.) 

Nächste  Sitzung  .ilittwoch  am  6.  März  1907,  Anfang  7  Uhr. 

Programm: 

1.  Demonstrationen  angemeldet:  Doz.  Dr.  Hajek,  Doz.  Dr.  Fein, 
Dr.  0.  Hirsch.  —  2.  Diskussion  über  den  vorgestellten  Fall  von  Dr.  Glas. : 
Koordinationsstörungen  im  Kehlkopf  bei  Tabes.  Zur  Diskussion  ge¬ 
meldet:  Doz.  Dr.  L.  Rethi. 

7^/^  Uhr:  Gemeinschaftliche  Sitzung  der  laryngologischen  und 
oplithnlmologischeu  Gesellschaft. 

(Klinik  Hofrat  Prof.  F  u  c  h  s.) 

Doz.  Dr.  M.  Hajek:  Ueber  die  Railikaloperationen  bei  den  ent¬ 
zündlichen  Stirnhöhlenaffektionen. 


Vtrantwortlichtr  R*d»kt«ur:  Adalbert  Karl  Trupp.  V#rl»g  ron  WUhelm  Braumflller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII. .  Theresiengasse  3. 


^  - -  -- 

Die 

,, Wiener  kliulsclie 
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Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


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XX.  Jahrgang.  Wien,  7.  März  1907. _ Nr.  10. 

INHALT: 


I.  Original artikel :  Aus  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen 

Universität  in  Prag.  (Vorstand;  Prof.  Hueppe.)  Giftvvirkungen 
des  Typhysbazillus.  Von  Prof.  Dr.  Oskar  Bail,  Assistenten 
des  Institutes. 

2.  Zur  Epidemiologie  des  Abdominaltyphys.  Von  k.  u.  k.  Re¬ 
gimentsarzt  Dr.  Gustav  Pollak. 

3.  Aus  der  II.  medizinischen  Universitätsklinik  in  Wien  (Vor¬ 
stand:  Hofrat  Prof.  Dr.  E.  v.  Neusser.)  Ueber  die  Tryptophan¬ 
reaktion  besonders  im  Stuhl  und  in  Bakterienkulturen.  Von 
Dr.  Guiscardu  Germonig,  Aspiranten  der  Klinik. 

4.  Färbung  der  Zellen  des  Liquor  cerebrospinalis  mit  und  ohne 
Zusatz  von  Eiweiß.  Von  Dr.  M.  Pappenheim,  Assistenten 
der  deutschen  psychiatrischen  Klinik  (Prof.  A.  Pick)  in  Prag. 

II.  Referate:  Die  Infektionskrankheiten  rücksichtlich  ihrer  Ver¬ 
breitung,  Verhütung  und  Bekämpfung.  Von  Oberstabsarzt 


Dr.  Ludwig  Kamen.  Das  Spiel  des  Zwerchfells  über  den 
Pleurasinus  und  seine  Verwertung  in  der  Praxis.  Von  Doktor 
Erich  Zabel.  Ueber  Ursache  und  Bedeutung  der  Herzaffektion 
Nierenkranker.  Von  H.  Päßler  Physikalische  Therapie  in 
Einzeldarstellungen.  Von  J.  Marcuse  und  A.  Strasse r. 
Ref.:  M.  Sternberg-Wien.  —  Ueber  ein  sehr  junges 
menschliches  Ei  in  situ.  Von  Leopld.  Ref.:  S  t  o  1  p  e  r- Wien. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kougreßbericlite. 


Aus  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen  Uni¬ 
versität  in  Prag.  (Vorstand:  Prof.  Hueppe.) 

Giftwirkungen  des  Typhusbazillus. 

Von  Professor  Dr.  Oskar  Bail,  Assistenten  des  Institutes. 

Die  Versuche,  über  welche  hier  berichtet  werden  soll, 
wurden  hei  Gelegenheit  des  Studiums  der  Bakterienaggressi¬ 
vität  angeslellt.  Mit  diesem  Ausdrucke  wird  eine  bei  der 
Infektion  wirksame  Bakterieueigeiischaft  bezeichnet,  deren 
Bedeutung  in  der  Ueberwindung,..der  natürlichen,  insbeson¬ 
dere  zelligen  Schutzkräfte  des  Organismus  besteht.  Gegen 
diese  Annahme  der  Aggressivität,  als  einer  bisher  bei  der 
Infektion  nicht  genügend  beachteten  Bakterienwirkung,  sind 
von  verschiedenen  Seiten  Einwände  erhoben,  deren  Re¬ 
sümee  meist  dahin  geht,  daß  Bakterien  durchaus  keine 
eigenen  Stoffe,  die  Aggressine  bilden.  Dieser  Punkt  muß  zu 
allererst  berichtigt  werden.  IMit  aller  nur  möglichen  Deutlich¬ 
keit  ist  bei  Aufstellung  der  sog.  Aggressintheorie  darauf  hin¬ 
gewiesen  worden,  daß  die  Aggressivität  eine  Eigenschaft 
sei,  die  gewissen  Bakterienprodukten  anhafte  und  vom  Bak¬ 
terienleben  herrühren  müsse.  Die  Materialisierung  der  Eigen¬ 
schaft  zu  einem  Stoffe,  dem  Aggressin,  wurde  der  Kürze 
halber  und  der  herrschenden  Mode  entsprechend  gewählt, 
aber  ,,ob  das  wirkliche  Stoffe  sind“  wurde  stets  nur  als 
hypothetisch  hingestellt.  Gleichwohl  richtet  sich  die  Polemik 
hauptsächlich  gegen  die  Stoffnatur  der  Bakterienaggressi¬ 
vität,  deren  Neuheit  bestritten  wird. 

Zwei  Gruppen  von  Widersachern  kann  man  unter¬ 
scheiden.  Die  erste  wird  vorwiegend  durch  Wassermann 


und  Citron  repräsentiert.  Sie  leugnen  das  Bestehen  der 
Aggressivität  nicht,  und  ihre  Versuche  stimmen  mit  denen, 
die  für  die  Aggressinlehre  angestellt  wurden,  in  allen  wesent¬ 
lichen  Punkten  überein.  Aber  die  Aggressivität  wurde 
nicht  als  neue  Eigenschaft  anerkannt,  sondern  auf  gelöste 
Bakteriensubstanz  zurückgeführt  und  durch  Bindung  natür¬ 
licher,  zunächst  wohl  als  bakterizid  betrachteter  Schutz¬ 
kräfte  erklärt.  Die  Diskussion  darüber  hat  einen  ziemlichen 
Umfang  angenommen;  ein  näheres  Eingehen  darauf  ist  an 
dieser  Stelle  um  so  weniger  notwendig,  als  Wassermann 
und  Citron  neuestens die  Diskussion  ihrerseits  als  be¬ 
endet  erklärt  haben.  Mit  Recht:  denn  nachdem  in  ihrem 
Verlaufe  beiderseits  anerkannt  war,  daß  der  Streitpunkt 
nach  der  Natur  der  Aggressivität  (als  Schlagwort  für  die 
materialisierten  Aggressine  dienten  die  Ausdrücke :  Sekre¬ 
tionsprodukt  und  Bakteriensubstanz)  bedeutungslos,  weil  zum 
Teil  unlösbar  sei,  blieb  nur  noch  die  Frage  nach  der  Art 
und  Weise  ihrer  Wirkung  übrig  (als  Schlagworte  dienten : 
Abhaltung  zelliger  Schutzvorrichtungen  und  Bindung  bak¬ 
terizider  Säftewirkungen).  Indem  Wassermann  und 
Citron  die , Gleichberechtigung  beider  Schutzvorrichtungen 
jetzt  als  etwas  gewissermaßen  Selbstverständliches  hin¬ 
stellen,  entfällt  auch  hier  jede  weitere  Auseinandersetzung. 
Hätten.  Wassermann  und  Citron  diesen  Standpunkt 
früher  eingenommen  oder  deutlich  erkennen  lassen,  so  wäre 
schon  zeitiger  erkannt  worden,  daß  hier  ein  imentscheid¬ 
barer  Streitpunkt  vorliegt,  der  nur  durch  die  Lösung  des 
Problems  der  natürlichen  Schutzkräfte  vielleicht  beendet 


Zenlralblatt  für  Batt.,  Bd.  53,  Heft  4. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  10 


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werden  kann.  Daß  wir  Uel'  in  dieses  Droblein  Jiaeli  ver¬ 
schiedenen  ilicJilnngen  Jiin  eindringen  niußlen,  isl  ein  J'ir- 
gebiiis  der  Diskussion  mit  Wassermann,  das  wir  dank¬ 
bar  anerkennen  und  da  aneli  unsere  Ciegner  in  diesem 
Streite  Judolge  zu  verzeiciinen  batten,“)  so  isl  die  Dis¬ 
kussion  nicht  ergebnislos  verlaulen.  Unsere  Kesuliate  sollen 
jiumnelir  olme  polemisclicn  jXebenzweck  in  rascher  Uolge 
veröllentlicliL  werden. 

\’on  anderen  Seilen  wurde  das  Destelien  der  Aggres¬ 
sivität,  als  einer  Ijesondercm,  bei  der'  Infektion  auftretendeii 
DakterieneigeiiscbafL,  übeibaupl  verneint.  Danach  ist  im 
wesentlichen  die  Aggressivjläl  der  bei  der  Infektion  ge¬ 
bildeten  Körpertlüssigkeilen  mil  ihrer  Toxizität  ideidiscli, 
die  Aggressinwirkung  ist  nichts  anderes  als  eine  \’ergif- 
tung,  nicht  stark  genug,  um  den  Tod  lierbeizufüliren,  aber 
binreicliend,  um  die  WTderstandsfähigkeit  des  Körpers  lier- 
abzusetzen  und  dadurch  die  Infektion  zu  erleiclitern.  i\a- 
mentlicb  Doerr  vertritt  in  mehreren  Arbeiten^)  diese  Auf¬ 
fassung.  Ung  damit  zusammen  bängt  die  Krage  nach  der 
Spezifität  aggressiver  Wirkungen,  ivelche  Doerr  folgerich¬ 
tig  leugnet.  Die  Immunisierung  mittels  aggressiver  Ex¬ 
sudate  wird  ähnlich  wie  von  Wasserjuann  und  Udtron 
durch  aufgelöste  liaklerienteilchen  erklärt. 

Ein  näheres  Eingehen  auf  diese  Anschauungsweise 
mußte  bisher  unterbleiben,  da  man  nur  schwer  nacli  zwei 
Uichtungen  hin  Eroid  machen  kann.  Jetzt  kann  die  Dis¬ 
kussion  hierüber  aufgenouimen  werden.  Soll  sie,  so  wie 
die  frühere,  zu  wertvolleji  Resultaten  in  dieser  oder  jener 
Hinsicht  führen,  so  ist  es  vor  allem  notwendig,  die  strittigen 
Punkte  genau  feslzuslellen  und  die  Möglichkeit  ihrer  Ver¬ 
folgung  durch  den  \'ersuch  zu  untersuchen. 

Vorher  nur  einige,  mehr  nebensächliche  Demerkungen 
gegen  die  Arbeiten  Doerrs.  Er  vermutet,  daß  ein  Teil 
der  Aggressinversuche  deshalb  positiv  ausfällt,  weil  dabei 
die  wechselnde  Empfänglichkeit  der  Versuchstiere  gegen 
die  Cintraperiloneale)  Infektion  mit  Halbparasilen  nicht  be¬ 
rücksichtigt  wurde.  Diese  sei  aber  so  groß,  daß  manch(' 
Tiere  das  Jlundmdfacbe  der  Raklerienmengo  überstellen, 
welche  andere  lötet.  Wir  bemerken  dazu,  .daß  wir  von  dieser 
wechselnden  Emiifänglichkeit  bei  Meersclnveinchen  weder 
frühen',  noch  bei  vergleichenden  \'ersuchen  später  etwas 
Ixnnerkt  haben.  Es  soll  ohne  weilei'es  zugestanden  werden, 
daß  von  einem  Cholerastaimn,  dessen  tödliche  Dosis  an 
einem  J’iere  z.  B.  mit  t)ese  fesigeslelll  wmrde,  gelegent¬ 
lich  schon  Vio  oder  V12  Dese  löten  kann,  wälirend  andere 
Tiere  \  (3  Oese  vertragen.  Ja,  es  möge  sogar,  da.  Doerr 
darauf  WenJ  zu  legen  scheint,  zugi'geben  sein,  daß  Schwan¬ 
kungen  um  das  Sechsfache  der  tödlichen  Dosis,  wie  bei 
Toxinen,  Vorkommen.  Innerhalb  solcher,  ziemlich  enger 
Orenzen  kann  man  aber  mit  Bakterien  ebenso  gut  arbeiten 
wie  mit  Toxinen.  Jedenfalls  können  positive  Aggressinver¬ 
suche,  wie  andere  Autoren  und  wir  selbst  sie  zu  verzeichnen 
batleii,  nicht  auf  diese  WAuse  erklärt  werden. 

Doch  berührt,  wie  gesagt,  dieser  Punkt  den  Kern  der 
Krage  nicht,  welche  zu  lauten  hätte:  Ist  die  Aggressivität 
von  Exsudaten,  Oedenien  etc.  infizierter  Tiere  durch  Ciift- 
wirkung  derselben  zu  erklären?  Schreibt  man  der  Aggres¬ 
sivität  eiiK'  Bedeutung  für  den  Erfolg  und  Verlauf  einer 
Infektion  zu,  so  wäre  sie  zu  formulieren:  Ermöglicht  sich 
der  Bazillus  seine  Verbreitung  und  V'erniehrung  im  Tier¬ 
körper  nur  dadurch,  daß  er  das  Tier  vergiftet? 

Schon  diese  einfache,  aber  klare  Kragestellung  lehrt 
dem  in  solche  Versuche  Eingeweihten,  daß  ein  absoluter, 
prinzipieller  Gegensatz  zwischen  aggressiver  und  toxischer 
WTrkung  nicht  notwendig  bestehen  muß  und  daß  es  auf 
die  Alethode  ankomml,  mit  der  man  der  Beantwortung  jiäher 
zu  treten  sucht.  Dies  zeigen  die  zu  diesem  Zwecke  unter¬ 
nommenen  Versuche  sofort  klar.  VVAnn  es,  wie  uns  und 

In  bezug  auf  Hühnercholeraimmunisierung  mit  Baklerien- 
extrakten  können  wir  allerdings  diese  Erfolge  nicht  anerkennen,  wie 
noch  weiter  ausgeführt  werden  muß.  Sonst  ist  auch  unsererseits  die 
Diskussion  beendet  und  was  darüber  noch  gedruckt  wird,  ist  vor  Ab¬ 
fassung  dieses  Artikels  fertig  gewesen. 

Ausführlich  in  Zentralblatt  für  Bakteriologie,  Bd.  51. 


auch  Wassermann  und  Citron,  vorwiegend  auf  das 
Studium  der  aggressiven  Wirkung  ankomml,  der  vvdrd  ver¬ 
suchen,  mit  möglichst  kleinen  Mengen  der  Körperflüssig- 
keiteii  infizierter  Tiere  zum  Ziele  zu  kommen,  z.  B.  Infek¬ 
tionserleichterung  zu  bewirken,  um  damit  von  vornherein 
jede,  etwa  giftige  Nebenwirkung  nach  Alöglichkeit  auszu¬ 
schließen.  Wer  aber  Aggressivität  durch  Vergiftung  erklären 
will,  wird  zunächst  festzustellen  trachten,  daß  man  mit 
der  betreffeiidcn  Klüssigkeit  bei  großen  Mengen  derselben 
ein  Tier  krank  machen  oder  töten  kann  und  dann  scliließen, 
daß  auch  bei  Anwendung  geringerer  Quantitäten  die  Ver¬ 
giftung  schon  da  ist  und  das  Tier  widerstandslos  macht. 
An  sich  betrachtet,  haben  zweifellos  beide  Methoden  ihre 
Berechtigung;  wenn  man  aber  das  zugibt,  so'vörliert  die 
ganze  Streitfrage  sofort  einen  großen  Teil  ihrer  Bedeutung, 
weil  sie  unlösbar  wird.  Denn  während  der  eine  sagt,  daß 
er  mit  1  cm^  Klüssigkeit  aggressive  Wirkung,  aber  keinerlei 
Vergiftung  sehen  könne,  weist  der  andere  darauf  hin,  daß 
8  oder  10  ciiK  Tiere  sogar  töten  können,  1  cm^  also  doch 
eine  Einverleibung  von  Gift  bedeuten  müsse.  Diesem  Ein¬ 
wand  gegenüber  aber  ist  der  erste  wehrlos,  da  er  bestehen 
bleibt,  selbst  wenn  er  mit  Vioo  aggressive  Wirkung 
erzielen,  aber  erst  mit  50  cnK  töten  könnte. 

Eine  direkte  Entscheidung  ist  nur  in  besonderen 
Källen,  die  noch  erwähnt  werden  sollen,  möglich.  Eine  in¬ 
direkte  ist  z.  B.  von  Doerr  versucht  worden,  der  zeigte, 
daß  man  Infektionsbeförderung  auch  durch  untertödliche 
jVIengen  von  fremden  Toxinen  herbeiführen  könne.  Der  Ver¬ 
such  ist  zweifellos  richtig,  aber  Beweiskraft  hat  er  nicht. 
Die  Infektionserleichterung  ist,  wie  wir  uns  durch  sehr  ge¬ 
naue  Studien  überzeugt  haben,  eine  sehr  vieldeutige  Er¬ 
scheinung  und  kann  ebenso  gut  durch  Abkühlung  oder  Er¬ 
müdung  u.  dgl.  herbeigeführt  werden,  wie  ältere  Versuche 
von  Lode  und  neuere  von  Tromms d or f  zeigen.  Kann 
aber  die  dabei  erfolgende  Körperschädigung  noch  mit  der 
durch  Vergiftung  verglichen  werden,  so  wird  eine  solche 
Annahme  fast  unmöglich,  wenn  man  die  Infektion  durch 
gleichzeitige  Einspritzung  von  0-05  enr^  präzipitierendem 
Serum  und  0  01  euK  des  Antigens  i.z.  B.  Menschenserum) 
erleichtert,  eine  von  Pfeiffer  und  Kriedberger  ange¬ 
gebene  Methode,  die  ausgezeichnete  Dienste  leistet. 

Und  doch,  wenn  man  es  gerade  will,  kann  man  auch 
hier  von  Vergiftung  reden.  Wenn  wirklich  durch  die  Pfeif¬ 
fersche  Methode  Komplement  gebunden  wird  und  dieses, 
wie  man  wohl  annehmen  darf,  eine  wichtige  Kunktion  im 
Körper  zu  erfüllen  hat,  so  bedeutet  seine  Bindung  oder 
Ablenkung  eben  eineji  Kunktionsausfall  und  wo  will  man 
da  die  Grenze  für  eine  Vergiftung  ziehen?  Bringt  aber  ein 
aggressives  Exsudat  nur  eine  Verzögerung  des  Leukozyten¬ 
zuflusses  hervor,  so  ist  dies  auch  ein  Ausbleiben  einer 
normalen  Körperreaktion,  in  letzter  Linie  auch  eine  unter- 
tödliche  Körperschädigung. 

Es  wird  bei  dieser  tiefer  gehenden  Betrachtung  so¬ 
fort  klar,  daß  die  erwähnte  Streitfrage  leicht  zu  einem 
bloßen  Streite  um  Wortdefinitionen  führen  und  damit  wert¬ 
los  werden  kann.  Eine  andere  indirekte  Entscheidungs¬ 
möglichkeit  ist  von  Doerr  und  neuestens  auch  von  Sauer¬ 
beck  versucht  worden,  die  Spezifität  der  Aggressinwirkung. 
Aber  auch  hier  entscheidet  die  Methodik  über  den  Erfolg 
und  wie  vorsichtig  man  mit  der  Spezifität  umgehen  muß, 
das  haben  die  jahrelangen  Versuche  mit  Immunseren  deut¬ 
lich  genug  bewiesen.  Wer  ein  gutes,  agglutinierendes 
Typhusserum  nur  bis  zur  Verdünnung  1 : 100  mit  Typhus 
und  Koli  prüft,  wird  die  Spezifität  leugnen,  die  ein  anderer 
bei  der  Konzentration  1:1000  findet.  Ahcht  anders  liegt 
es  bei  der  Aggressivität.  Sucht  man,  wie  wir  es  stets  getan 
haben,  mit  den  kleinsten  Aleiigen  aggressive  Wirkungen 
zu  erzielen,  so  tritt  sie,  wo  überhaupt  möglich,  hervor, 
vermehrt  man  die  Menge,  sO'  erfolgt,  wie  Sauerbeck‘S) 

*)  Die  Versuche  von  Sauerbeck  (Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  56, 
Nr.  1)  enthalten  viele  und  grobe  Fehler,  die  dem  Geübten  gar  nicht 
entgehen  können.  Gleichwohl  bringt  die  fleißige  Arbeit,  die  olTenbar  unter 
schwierigen  äußeren  Umständen  durchgeführt  wurde,  mehrere  Fortschritte. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  27 


zeigte,  eine?  uiclil  spezitisclie  Aggressiiiwirkuiig.  Dabei  aber 
darf  man  nicht  vergessen,  daß  der  in  Detraclit  konimende 
Effekt,,  der  InfektionseiieicliterLing  wieder  vieldeutig  ist. 
Es  ist  ein,  alter  Laboratoriumskniff,  eine  sonst  schwierige 
Infektion  dadurch  zu  sichern,  daß  man  gleichzeitig  mit  den 
Bakterien  viel  Flüssigkeit  intrapleural  oder  intraperitoneai 
einführt.  Dazu  kann  schon  gewöhnliche  Bouillon  dienen, 
noch  sicherer  aber  viel  inaktives  Serum  und  als  solches 
kann  man  ja  ein  sterilisiertes  Aggressin  hetrachten. 

Unter  solchen  Umständen  bleibt  nur  übrig,  konkrete 
Fälle  in  möglichster  Ausdehnung  zu  untersuchen  und  bereits 
jetzt  liegt  einiges  Material  vor.  Eines  darf  man  aber  bei 
der  Beurteilung  der  Aggressivität  nie  außer  Augen  lassen: 
Das,  was  von  uns  als  Aggressine  beschrieben  wurde,  ist 
eine  Körperflüssigkeit,  die  während  der  Infektion  im  Tiere 
sich  bildet  und  dabei  ihre  aggressiven  Eigenschaften  an- 
nimnit.  Nichts  ist  natürlicher,  als  zu  schließen,  daß  diese 
Eigentümlichkeiten,  die  auch  nach  der  Gewinnung  aus  dem 
toten  Tiere  nachzuweisen  sind,  während  der  Infektion  des 
lebenden  Tieres  eine  Rolle  gespielt  haben.  Üb  das  völlig 
ungiftiges  Aggressin  oder  nicht  aggressives  Toxin  ist,  es 
muß  gewirkt  haben,  so  wie  niemand  zweifelt,  daß  das 
Diphtheriegift,  das  sich  im  Pleuratransudat  auffinden  läßt, 
dasselbe  ist,  welches  das  Tier  getötet  hat.  Eine  solche 
aggressive  oder  toxische  Flüssigkeit  muß  eine  ungleich 
höhere  Bedeutung  haben  als  künstlich  im  Glase  hergestellte 
Flüssigkeiten  von  ähnlicher  Wirkung.  Wemi  man  das  im 
Auge  behält,  so-  ist  ein  wertvoller  Erfolg  der  Untersuchung 
gewährleistet,  selbst  wenn  die  Frage,  ob  Toxin  und  Ag¬ 
gressin  im  gegebenen  Falle  sich  trennen  läßt,  unlösbar  wäre. 

Prüft  man  verschiedene  Exsudate  auf  ihre  aggressive 
und  toxische  Wirkung,  so  findet  man  zunächst  zwei  Ex¬ 
treme.  Körperflüssigkeiten  von  milzbrandigen  und  hühner¬ 
cholerakranken  Tieren  (ihre  richtige  Gewinnung,  die  manch¬ 
mal  nicht  ganz  einfach  ist,  als  selhstverständlich  voraus¬ 
gesetzt)  sind  SO'  gut  wie  absolut  ungiftig.  Weil  hat  Kanin¬ 
chen  bis  40  und  60  cm^  homologes  Kaiiinchenaggressin, 
ich  selbst  Schafen  l)is  250  cnP  homologes  und  heterologes 
Milzbrandaggressin  auf  einmal  injiziert,  ohne  andere  Er¬ 
scheinungen  zu  beobachten,  als  die  mit  der  erschwerten 
Resorption  solcher  Flüssigkeitsmengen  notwendig  verbun¬ 
denen  Infiltrationen.  Das  andere  Extrem  bildet  der  Diph¬ 
theriebazillus,  welcher  nach  den  umfänglichen  Untersuchun¬ 
gen  von  Salus  Exsudate  bildet,  die  zwar  toxisch,  aber 
nicht  imstande  sind,  ein  Wachstum  des  Bazillus  im  Tiere, 
also  eine  wirkliche  Infektion  herbeizuführen. 

Diesen  reinen  Fällen,  welche  zeigen,  daß  toxische  und 
aggressive  Wirkung  unabhängig  nebeneinander  bestehen 
können,  stehen  viele  andere  gegenüber,  bei  denen  aggres¬ 
sive  Exsudate  unter  besonderen  Bedingungen  unzweifel¬ 
haft  giftig  sind.  Ein  solches  Beispiel,  den  Dysenteriebazillus 
betreffend,  hat  Kikuchi  bereits  in  den  allerersten  Ag- 
gressinarbeiten^)  genauer  untersucht.  Bei  Meerschweinchen 
kann  man  mit  Mengen  eines  Exsudates,  die  an  sich  ohne 
Schaden  vertragen  werden,  aggressive  Wirkungen  erzielen, 
während  das  gleiche  Exsudat  in  kleinen  Bruchteilen  eines 
Kubikzentimeters  Kaninchen  unter  Erscheinungen  vergifte! , 
welche  Kikuchi  genau  beschrieben  hat,  eine  Beobach¬ 
tung,  welche  Doerr  bei  seiner  Zusammenfassung  der  Ar¬ 
beiten  über  Dysenterietoxin  merkwürdigerweise  gar  nicht 
erwähnt.  Aehnliches  gilt  für  den  Staphylokokkus,  der  von 
Bail  und  Weil  in  dieser  Hinsicht  genauer,  wenn  auch 
noch  nicht  abschließend,  studiert  wurde.  Unter  solchen  Um¬ 
ständen  haben  wir  erklärt,  daß  Kaninchen  für  das  Studium 
der  Aggressivität  solcher  Bazillen  ungeeignete,  Tiere  seien, 
während  man  bei  Verwendung  von  Meerschweinchen  die 
Giftigkeit  der  Exsudate  ausschalten  kann.  Die  Gegenseite 
kann  darauf  antworten,  daß  eine  solche  Flüssigkeit  für  ver¬ 
schiedene  Tiere  nur  quantitative  Giftigkeitsunterschiede  auf¬ 
weisen  könne  und  daß  daher  auch  die  aggressive  Wirkung 
bei  Meerschweinchen  auf  Schädigung  durch  das  an  sich 

Archiv  für  Hygiene,  Bd.  52. 


freilich  nicht  tödliche  Gift  zurückzuführeii  sei.  Da  indirekte 
Beweise,  wie  oben  gezeigt  wurde,  ebenfalls  keine  einwand¬ 
freie  Versuchsanordnung  zidassen  können,  so  ist  der  SU’eil 
mit  den  gegenwärtigen  Behelfen  überhaupt  Itaum  zu  ent¬ 
scheiden  und  es  ist  besser,  solche  Fälle  zunächst  allseitig 
zu  untersuchen. 

Dabei  stellt  sich  nun  heraus,  daß  das  von  Kikuchi 
beim  Dysenteriebazillus  entdeckte  Verhalten  der  Exsudate 
infizierter  Tiere  weiter  verhreitet  ist  und  vermutlich  allen 
Halbparasiten  ziikonmil.  Das  Objekt,  von  dem  hier  die  Rede 
sein  soll,  ist  der  Typhusbazillus.  Dieser  ist  in  bt'zug  auf 
seine  Aggressivität  eingehend  am  Aleerschweinchen  studiert 
worden  und  es  hat  sich  herausgestellt,  daß  er  mit  großer 
Regelmäßigkeit,  wie  sie  bei  Cholera  oder  Dysenterie  nicht 
entfernt  zu  finden  ist,  Exsudate  liefert,  die  schon  in  relativ 
sehr  kleinen  Mengen  (l  cm^  und  selbst  etwas  darunter) 
ausgesprochen  infektionsbefördernd  wirken.  Solche  und 
noch  viel  größere  Mengen  (bis  6  cm^)  wurden  an  sich  von 
Meerschweinchen  intraperitoneal,  selbst  bei  wiederholter 
Einspritzung,  schadlos  verl ragen.  Erst  bei  Einspritzung  noch 
größerer  Mengen  (8  cm^)  traten  deutliche  Krankheitserschei- 
nimgen  mit  folgender  Abmagerung  auf,  doch  ist  bisher  noch 
kein  Tier  an  Typhusaggressin  allein  gestorben.  Wie  solche 
Exsudate  von  geringster  Toxizität  und  größter  Aggressivität 
gewonnen  werden,  kann  hier  noch  nicht  auseinanderge¬ 
setzt  werden,  weil  es  andere  AiT)eitsthemen  herülirt,  doch 
dürfte  es  schließlich  wohl  gelingen,  hei  einer  Steigerung 
der  Injektion  des  recht  kostbaren  Materiales  auf  10  oder 
.12  cm'^  auch  jV'Ieerschweinchen  zu  löten.  Jedenfalls  aber 
ist  das  Meerschweinchen  ein  für  das  betreffende  Gift  sehr 
widerstandsfähiges,  für  Aggressinwirkung  sehr  zugängliches 
Tier  und  die  Giftigkeit  der  natüiTichen  Aggre^ssiue  ist  mit 
der  der  künstlichen  Wasserextrakte,  die  Wassermann 
und  Citron  auwendeten,  gar  ni(dit  zu  vergleichen. 

'  Es  schien  nun  von  großem  Interesse,  die  Bildung  und 
Wirkungsweise  der  Typhusaggressivilät  bei  einem  Tiere  zu 
untersuchen,  das  gegen  Typhusinfektion  sehr  widerstands¬ 
fähig  ist,  in  der,  wie  sich  zeigte,  ganz  uiib(U‘-echtigten  lloff- 
nimg,  eine  noch  größere  Giftunempfiudlichkeit  zu  finden. 
Di(i.  erhaltenen  Resultate  haben  über  die  erwähnte  Streit¬ 
frage  hinaus  eine  große  Bedeutung. 

Zur  Verwendung  gelangte  bisher  nur  ein  iiii  Instil uL  viel¬ 
gebrauchter  Typbusstainin  ,,Dobscban“  von  einer  zur  Zeit  diesen' 
Versuche  Ijeträchtlichen  Meer.schweinchenpathogeniiät  (zirka 
Vi5-Üese).  l.)ie  Kaninchenhnpfung  erfolgte  serienweise  niit  dein 
Exsudat  von  Tier  zu  Tier.  Wieden-gegeben  sind  Beispiele  von 
Serien  mit  den  dazu  gehörigen  Giftversuchen. 

Kaninchen  51,  500  g,  erhält  am  6.  Mai  1906,  1  Agarkultur 
Typhus  (aus  dem  Herzen  des  vorangehenden  Kaninchens  50  ge¬ 
züchtet)  intrapleural.  Zeigt  keine  besonderen  Krankheitserschei¬ 
nungen,  namentlich  keine  Oiarrhoe  und  stirbt  nach  9  Stunden,  ln 
der  rechten  Pleura  4,  in  der  linken  2-5  cm^  trübes,  nicht  blutiges 
Exsudat  mit  mäßigem  Zellgehalt  (Phagozytose)  und  zahllosen  Ba¬ 
zillen.  Milz  nichl  auffällig  vergrößert,  im  Darme  nichts  Be¬ 
sonderes. 

Kaninchen  52,  500  g,  erhält  am  7.  Mai  früh  eine  xMisctiung 
von  V2  cm^  rechten  Exsudates  von  Nr.  51  und  3  cnP  Spiilwassei 
der  gleichen  Pleura,  zu  gleichen  Teilen  beiderseits  intrapleural. 
Nach  IV2  Stunden  wird  eine  profuse  Entleerung  hellgelber  Stuhl¬ 
massen  bemerkt,  die  bis  zum  Tode  des  sehr  rasch  entkräfteten 
Tieres  nach  6V2  Stunden  anhält,  ln  der  rechten  und  linken 
Brusthöhle  zusammen  1-5  enp  trübes,  zellarmes,  enorm  bazillen¬ 
reiches  Exsudat.  Bauchhöhle  frei.  Vlesenteriuni  stark  injizieil, 
ebenso  Duodenum,  Jejunum  und  Anfang  des  Ileums  rot  und 
intensiv  injiziert,  vielfache  kleine  Schleimhautblutungen.  I  ankreas 
Aselli  wahrscheinlich,  Milz  deutlich  geschwollen. 

Kaninchen  53,  1160  g,  erhält  am  7.  Vlai  1906  abends  die 
vereinte  Spülflüssigkeit  der  rechten  und  linken  Pleura  von  Ni.  52 
intrapleural.  Der  Tod  erfolgt  in  der  Nacht,  ln  beiden  1  leinen 
zusammen  höchstens  1-5  cm^  trübes,  ziemlich  zelheiches  Ex¬ 
sudat  mit  starker  Phagozytose.  Bazillen  in  enormen  Mengen, 
oft  mit  schwacher  Häufchenbildung.  Milz  und  IMukreas  Aselli 
vergrößert,  mit  sehr  zahlreichen  Bazillen.  Starke  Injektion  des 

Darmes,  besonders  im  Jejunum. 

Kaninchen  54,  700  g,  erhält  am  8.  Mai  1906  fnili  lectds- 
seitiges  Spidwasser  von  Nr.  53  intraperitoneai.  Sehi  staike  Diai- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  10 


riioe  und  Entkräflung,  Tod  nach  drei  bis  vier  Stunden.  In  der 
Bauchhöhle  ca.  0  cm^  trübe,  dünne  Flüssigkeit,  ohne  Zellen, 
mit  zahlreichen  Bazillen.  Milz  nicht  vergrößert,  Leber  und  Niere 
außerordentlich  zerreißlich.  Darni  überall  gerötet  und  injiziert, 
Plaques  auffallend  groß.  Pankreas  Aselli  stark  öderaatös. 

Kaninchen  55,  800  g,  erhält  am  8.  Mai  1906  mittags  4  cm® 
der  Spülflüssigkeit  des  Peritoneums  von  Nr.  54  und  stirbt  nach 
11  bis  17  Stunden.  In  der  Bauchhöhle  finden  sich  ca.  6  cm® 
sehr  trüber,  zellreicher  Flüssigkeit  mit  starker  Phagozytose.  Ba¬ 
zillen  in  großer  Menge,  meist  in  kleinen  Häufchen  liegend.  Darm 
gerötet  und  injiziert,  aber  ohne  Blutungen.  Mehrere  solcher  finden 
sich  in  den  geschwollenen  Nieren.  Leber  mit  starker  parenchy¬ 
matöser  Degeneration.  Milz  vergrößert.  Ueberall  im  Körper 
Bazillen. 

Kaninchen  56,  920  g,  erhält  am  9.  Mai  1906  früh  Spülwasser 
des  Peritoneums  von  Nr.  55  beiderseits  intrapleural  und  stirbt 
nach  acht  Stunden,  ohne  daß  Diarrhöe  beobachtet  worden  wäre, 
ln  der  rechten  Pleura  5  cm®  trübes,  blutiges,  in  der  linken  eben¬ 
soviel  nichtblutiges  Exsudat,  das  sich  in  der  Menge  von  3  cm® 
auch  in  der  Bauchhöhle  findet.  Alle  Exsudate  fast  zellfrei,  mit 
Massen  von  Bazillen,  die  meist  in  Häufchen  liegen.  Darm  injiziert, 
Duodenum  besonders  stark  gerötet,  Blutungen  im  Mesenterium 
und  Netz,  Pankreas  Aselli  stark  ödematös. 

Das  nächste  Kaninchen  57  stirbt  schon  nach  einer  halhen 
Stunde  nach  der  intrapleuralen  Injektion  an  innerer  Verblu¬ 
tung,  womit  die  Serie  abbricht. 

Kaninchen  IV-A,  425  g,  erhält  am  8.  Mai  1906  1-5  cm®  des 
völlig  klar  (durch  iy2  Tage)  zentrifugierten  Exsudates  von 
Nr.  51  intravenös.  Nach  zirka  einer  halben  Stunde  zeigt 
sich  Mattigkeit  des  Tieres,  es  bleibt  mit  angedrücktem  Bauche 
auf  der  Erde  sitzen  und  dreht  sich  nach  Umlegen  auf  die  Seite 
lange  nicht  freiwillig  um.  Bald  folgen  gehäufte  normal  aussehend e 
Stuhlentleerungen  (1.  Stadium),  dann  werden  die  Kotbröckelchen 
feucht  und  schleimig  (11.  StadiuniJ  und  nach  einer  Stunde  be¬ 
steht  als  111.  Stadium  profuse,  übelriechende  Diarrhoe.  Dabei 
hochgradige  Prostration,  das  Tier  ist  kühl.  Nach  zwei  Stunden 
bessert  sich  die  Mattigkeit  etwas,  die  Diarrhoe  dauert  an.  Nach 
fünf  Stunden  weitere  Besserung,  doch  tritt  der  Tod  nach  11^2 
Stunden  ein.  ln  der  Bauchhöhle  kein  Exsudat,  alle  Serosa-  mid 
Mesenterialgefäße  stark  injiziert,  aber  ohne  Blutungen.  Darm 
überall,  besonders  in  den  oberen  Partien,  gerötet,  Schleim¬ 
haut  rot,  ohne  Blutungen.  Pankreas  Aselli  ödematös  und 
geschwollen.  Niere  stark  geschwollen,  bluHeich.  Milz  und 
Nebennieren  jedenfalls  nicht  auffallend  verändert,  Leber  sehr 
zerreißlich,  eigentümlich  hellfarbig.  BrusLorgane  frei.  Mikro¬ 
skopisch  sind  nirgends  Bazillen  zu  finden.  Ausstriche  von  Herz, 
Niere,  Drüsen  und  Leber  bleiben  steril. 

Meerschweinchen  IV-A,  160  g,  erhält  die  gleiche  Injektion 
wie  Kaninchen  IV^-A  intraperitoneal.  Es  zeigte  sich  weder  Diar¬ 
rhoe,  noch  sonst  etwas  Ahnormes.  Das  Tier  starb  nach  zirka 
18  Stunden  mit  viel  Typhusbazillen  in  der  Bauchhöhle  und  dem 
Befunde  einer  relativ  leichten  Infektion. 

Kaninchen  IV-B,  400  g,  erhält  am  9.  Mai  1906  1-5  cm® 
des  vereinigten,  klar  zentrifugierten  Exsudates  von  Nr.  52  und  53 
intravenös.  Eine  halbe  Stunde  nach  der  Injektion  setzt  der¬ 
selbe  Symptonienkomplex  wie  bei  IV-A  ein,  verläuft  aber  milder 
und  am  Nachmittage  erfolgt  anscheinend  völlige  Erholung,  die 
zwei  Tage  anhält.  Am  13.  Mai  erscheint  das  Tier  wieder  matt 
und  stirbt  am  14.  Mai,  stark  abgemagert. 

Im  ganzen  Tiere  ist  nichts  Abnormes  zu  finden;  der  Dick¬ 
darm  ist  mit  ganz  dünnen,  gelben,  übelriechenden  Massen  ge¬ 
füllt,  einige  Mesenterialdrüsen  scheinen  frisch  geschwollen  zu 
sein.  Steril. 

Kaninchen  IV-C,  330  g,  erhält  am  10.  Mai  1906  1-5  cm® 

klar  zentrifugierten  Exsudates  von  Nr.  55  intravenös.  Die 
Prostration  ist  wenig  entwickelt,  enorme  Diarrhoe,  die  aber  nach 
sechs  Stunden  aufhört.  Das  Tier  erholt  sich  vollständig  und 
wächst  heran. 

Kaninchen  IV-D,  395  g,  erhält  am  10.  Mai  1906  1-5  cm® 

klar  zentrifugierten  Exsudates  von  Nr.  56  intravenös.  Nach 
einer  halben  Stunde  tritt  schwerste  Prostration  ein,  so  daß  sich 
das  Tier  freiwillig  auf  die  Seite  legt.  Dabei  geht  die  Diarrhoe 
aber  nicht  über  das  H.  Stadium  hinaus.  Nach  ein  bis  zwei 
Stunden  geht  die  Prostration  vorüber,  während  weiche  Diarrhoe 
einsetzt.  Das  Tier  bleibt  strappig  und  krank,  bei  fortdauernder, 
aber  mäßiger  werdender  Diarrhoe.  Der  Tod  erfolgt  in  der  Nacht. 
Bauchhöhle  ohne  Exsudat.  Das  Mesenterium  und  der  ganze  Darm 
ist  intensiv  injiziert,  diffus  rot  ist  ein  ca.  8  cm  langes  Ileumstück, 
in  dem  zahlreiche  dichte  Schleimhautblutungen  sind;  ferner  finden 
sich  mehrere,  stark  geschwollene,  hervorragende,  blutie 
destruierte  Plaques.  Blutungen  im  Netz,  Drüsen  und  Nieren 


ödematös.  Milz  wenig  vergrößert,  Leber  stark  parenchymatös 
degeneriert.  Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt  keine  Ba¬ 
zillen.  Auf  Platten  gehen  aus  der  Milz  150,  dem  Pankreas  Aselli 
22,  der  Leber  29,  dem  Herzen  8  Typhuskolonien  auf. 

Kaninchen  125,  380  g,  erhält  am  7.  Juli  1906  eine  Agar¬ 
kultur  Typhus  beiderseits  intrapleural.  Nach  etwa  vier  Stunden 
wird  Prostration  und  eine  nicht  übermäßige  Diarrhoe  beobachtet. 
Tod  nach  sieben  Stunden.  In  der  rechten  Pleura  1-5,  in  der 
linken  1,  im  Peritoneum  2-5  cm®  trüben  Exsudates,  mit  massen¬ 
haften,  regellos  liegenden  Bazillen,  fast  ohne  Zellen.  Pankreas 
Aselli  gmiz  von  Blutungen  durchsetzt,  wie  die  Milz  stark  ge-, 
schwollen.  Blutungen  im  Netz,  sehr  starke  Injektion  des  Mesen¬ 
teriums.  Oberer  Teil  des  Rektums  ganz  blutig  infiltriert,  im 
Dünndarm  zerstreute  Blutungen  und  von  außen  sichtbare,  sehr 
stark  geschwollene,  von  Blutpunkten  ganz  durchsetzte  Plaques, 
Leber  und  Nieren  eigentümlich  blaß  und  trübe. 

Kaninchen  126,  400  g,  erhält  am  7.  Juli  1906  abends  1-2  cm® 
des  rechten  Exsudates  von  Nr.  125  beiderseits  intrapleural 
und  stirbt  in  der  Nacht.  Rechts  3,  links  2  cm®  trüben  Exsudates 
mit  einer  mäßigen  Anzahl  meist  polynukle,ärer  Zellen  und  sein- 
schwacher  Phagozytose.  Bazillen  sehr  zahlreich,  regellos  ge¬ 
lagert.  Im  Peritoneum  einige  Tropfen  sehr  bazillenreicher  Flüssig¬ 
keit.  Milz  und  Pankreas  Aselli  geschwollen,  letzteres  mit  kleinen 
Blutungen.  Sehr  viele  kleine  Blutungen  im  Netz  und  Mesen¬ 
terium.  Sehr  vereinzelte  Blutpunkte  in  der  lleumschleimhaut, 
daselbst  auch  zwei  geschwollene,  'aber  nicht  blutige  Plaques. 

Kaninchen  127,  830  g,  erhält  am  8.  Juli  1906  0-75  cm®  rechtes 
Exsudat  von  Nr.  126  intrapleural.  Das  Tier  zeigt  nach  sechs 
Stunden  hochgradige  Prostration  und  Diarrhoe  des  H.  Stadiums. 
Tod  nach  7V2  Stunden.  In  der  rechten  Pleura  2  cm®,  in  der 
linken  ebensoviel  Exsudat  mit  wenig  Zellen  und  schwacher 
Phagozytose,  massenhaft  Bazillen.  In  der  Bauchhöhle  kein  Ex¬ 
sudat.  Milz  und  Pankreas  Aselli  stark  geschwollen,  letz¬ 
teres  blutig  infiltriert,  im  Darm  von  außen  sichtbare,  ganz  blutige 
Plaques,  neben  zahlreichen,  zerstreuten,  punktförmigen  Schleim¬ 
hautblutungen,  die  sich  im  unteren  Teile  des  Dünndarmes  häufen 
und  meist  streifenförmig  die  Höhe  der  Falten  infiltrieren.  Im 
Blinddarm  zerstreute  Blutungen.  Der  Inhalt  des  Dünndarmes  be¬ 
steht  aus  einem  glasigen,  fast  farblosen  Schleim,  im  Dickdarm 
dünnbreiige,  gelbe  Massen.  Die  sonst  blassen,  zerreißlichen  Nieren 
und  die  Leber  zeigen  Blutungen. 

Das  folgende  Tier  der  Serie  erweckt  Verdacht  auf  eine  \^er- 
unreinigung  des  Exsudates,  weshalb  die  Serie  abgebrochen  wird. 

Kaninchen  125-A,  440  g,  erhält  am  8.  Juli  1906  1-5  cm® 
klar  zentrifugiertes  Exsudat  von  Nr.  125  intravenös.  Nach  drei¬ 
viertelstündiger  Inkubation  tritt  Prostration  und  Diarrhoe  aller 
Stadien  ein,  die  aber  nicht  auffällig  hochgradig  wird.  Nach  drei 
Stunden  legt  sich  das  Tier  freiwillig  auf  die  Seite  und  stirbt 
bald  darauf.  Kein  auffällig  abnormaler  Befund ;  der  Darm  bei 
starker  Injektion  der  Mesenterialgefäße  sehr  blaß.  Milz,  Drüsen, 
Niere  und  Herz  erweisen  sich  als  steril,  die  Leber  liefert  neun¬ 
zehn  Kolonien. 

Kaninchen  126-A,  410  g,  erhält  am  8.  Juli  1-5  cm®  zentri¬ 
fugierten  Exsudates  von  Nr.  126  inti’avenös.  Nach  einer  halben 
Stunde  tritt  schwere  Prostration  ein,  das  Tier  legt  sich  auf  die 
Seite  und  stirbt  nach  einigen  Zuckungen  etwa  eine  Stunde  nach 
der  lujeklion.  Außer  starker  Injektion  der  Darmserosa  nichts 
Auffälliges.  Da  dieses  Tier  Symptome  von  Seuche  zeigt  (Aus¬ 
fluß  aus  der  Nase)  wird  die  gleiche  Injektion  bei 

Kaninchen  126-B,  500  g,  wiederholt.  Nach  einer  halben 
Stunde  Mattigkeit  und  plötzlich  ausbrechende  schwerste  Diarrhoe, 
bei  der  unglaubliche  Mengen  erhsengelher,  weicher  Massen  he 
ständig  abfließen.  Nach  drei  Stunden  läßt  das  nach,  das  Tier 
bleibt  aber  matt  und  stirbt  nach  etwas  mehr  als  fünf  Stunden. 
Im  Bauchraum  wenige  Tropfen  ganz  klarer  Flüssigkeit  ohne  Be¬ 
fund.  Milz  deutlich  vergrößert,  Leber  und  Nieren  blaß  und  trübe. 
Pankreas  Aselli  stark  ödematös.  Mesenterium  injiziert.  Im  Darm 
von  außen  sichtbar  drei  typische,  geschwellte  Plaques,  diffus 
gerötet,  mit  vereinzelten  winzigen  Blutpunkten.  Sowohl  im  Dünn- 
wie  Dickdarm  nur  Schleim,  in  ersteren  fast  farblos,  im  Dickdarm 
gelb  gefärbt.  Drüse,  Niere  und  Milz  ergeben  keine,  die  Leber 
16  Kolonien.. 

Kaninchen  127-A,  430  g,  erhält  am  9.  Juli  1906  1-4  cm® 
klar  zentrifugiertes  Exsudat  von  Nr.  127  intravenös.  Die  Inku¬ 
bation  dauert  drei  Viertelstunden.  Danach  Prostration  und  nasch 
aufeinanderfolgend  die  Stadien  der  Diarrhoe,  bei  der  diesmal 
ganz  dunkle,  übelriechende  Massen  entleert  werden.  Nach  vier 
Stunden  hört  die  Diarrhoe  auf  und  es  erfolgt  Erholung.  Abends 
tritt  neuerliche  Ermattung  mit  schwacher  Diarrhoe  auf.  In  der 
Nacht  stirbt  das  Tier.  In  der  Bauchhöhle  1-5  cm®  schwach  trüher 
Flüssigkeit,  die  nur  abgestoßene  Endothelien  enthält.  Pankreas 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Aselli  sehr  stark  ödematös,  aber  ohne  Blutungen.  Darm  im  ganzen 
blaßi,  mitÖan  der  starken  Injektion  von  außen  erkennbaren  Plaques, 
die  aber  keine  Blutungen  zeigen.  Im  Dünndarm  glasig  schleimiger, 
im  Dickdarm  gelber,  dünnbreiiger  Inhalt.  Milz  etwas  geschwollen, 
Leber  und  Nieren  blaß  und  trübe.  Nirgends  Bazillen. 

Kaninchen  131,  660  g,  erhält  am  11.  Juli  1906  eine  Agar¬ 
kultur  beiderseits  intrapleural.  Stirbt  in  der  Nacht,  ln  der 
rechten  Brusthälfte  3,  links  2  cm^  blutig  trübes  Exsudat,  mit 
massenhaften  Bazillen  und  einer  mäßigen  Zahl  polynukleärer 
Leukozyten.  Blutungen  im  Netz,  starke  Injektion  der  Mesenterial¬ 
gefäße.  Dai’m  ohne  Blutungen,  al)er  mit  drei  deutlichen,  von 
außen  sichtbaren,  geschwollenen  und  roten  Plaques.  Milz  und 
Pankreas  Aselli  geschwollen. 

Kaninchen  132,  680  g,  erhält  am  12.  Juli  1906  l  o  cm® 
Exsudat  von  Nr.  131  beiderseits  intrapleural.  Schon  nach 
einer  Stunde  tritt  starke  Prostration  ein,  doch  wtirde  eine  stärkere 
Diarrhoe  nicht  beobachtet.  Der  Tod  tritt  nach  sechs  bis  sieben 
Stunden  ein.  Rechts  3,  links  1-5,  im  Peritoneum  4  cm®  stark 
trüben  Exs{idates,  das  fast  zellfrei  ist  und  enorme  Bazillenmengen 
enthält.  Im  ganzen  Dünndarm  zerstreut,  besonders  im  unteren 
Teile  desselben  gehäuft,  zahlreiche  Scbleimbautblutungen.  Viel¬ 
fach  große,  geschwollene  Plaques  ganz  von  Blutungen  durchsetzt. 
Pankreas  Aselli  geschwollen  und  blutig,  Milz  groß. 

Kaninchen  133,  1000  g,  erhält  am  12.  Juli  1906  t-2  cm® 
Exsudat  von  Nr.  132  beiderseits  intrapleural  und  stirbt  in 
der  Nacht.  Rechts  und  links  zusammen  wenig  über  2  cm®,  im 
Peritoneum  1  cm®  trüben,  etwas  blutigen  Exsudates,  mit  massen¬ 
haften  Bazille]].  DaianVeränderungen  fast  nur  im  Jejunum  und 
oberen  Ileum,  bestehend  aus  zahlreichen,  subserösen  und  sub- 
]nukösen  Blutungen.  Zahlreiche  Plaques,  z.  T.  nur  geschwollen, 
z.  T.  mit  Blutpunkten.  Pankreas  Aselli  hochgradig  ödematös,  mit 
kleinen  Blutungen.  Solche  auch  in  beiden  Nieren.  Milz  vergrößert. 

Das  folgende  Kaninchen  134,  intrapleural  injiziert  mit 
1  cm®  Exsudat  vo]i  Nr.  133,  stir])t  ]iach  6V2  Stunden  mit  schwerer 
Diarrhoe  und  Darmveränderungen,  liefert  aber  kein  reines  Exsu¬ 
dat.  (Verunreinigung  durch  plumpe  Stäbchen.) 

Kaninchen  131-A,  420  g,  erhält  am  12.  Juli  1906  T5  cm® 
Exsudat  von  Nr.  131  intravenös.  Nach  einer  Inkubation  von 
einer  Stunde  tritt  Prostration  und  rasch  folgend  die  Stadien  der 
Diarrhoe  auf,  die  aber  nicht  übermäßig  stark  wird.  Am  Nach¬ 
mittage  erholt  sich  das  Tier  etwas,  stirbt  aber  in  der  Nacht. 
Milz  geschwollen,  Leber  und  Niere  sehr  zerreißlich.  Pankreas 
Aselli  sehr  stark  ödematös.  Darm  im  oberen  Teile  diffus  rot, 
aber  ohne  Blutungen,  Plaques  geschwollen,  rot,  ohne  Blutungen. 
Külturen  aus  Leber  und  Niere  bleiben  steril,  die  Milz  liefert  19, 
das  Herzblut  3  Kolonien. 

Das  klar  zentrifugierte  Exsudat  von  Nr.  131  wurde  gleich¬ 
zeitig  mit  einem  Extrakte,  der  aus  den  abzentrifugierten  Bazillen 
dieses  Exsudates  mit  soviel  Wasser  alsi  Exsudat  vorhanden  war, 
durch  eine  Stunde  Erhitzen  bei  60®  hergestellt  war,  auf  seinen 
Gehalt  an  präzipitabler  Bakterieiisubstanz  untersucht.  Als  Kon¬ 
trolle  diente  ein  Extrakt  aus  einer  Agarkultur  in  3  cm®  Wasser, 
eine  Stunde  60®. 

1)  0‘25  Exsudat  131  +  0‘75  NaCJ-Lösung'^ 

2)  0-1  „  +  0-9 

3)  0-25  Extrakt  131  +  075 

4) 0-1  „  +0-9 

5)  0-25  Kontrollextr.d-  O'Tö  ,, 

6)  O’l  „  +  0-9 

Nach  drei  Stunden  Aufenthalt  bei  37®  ist  Nr.  1  deutlich, 
Nr.  2  schwach  trüb,  ohne  Flocken,  die  Trübung  besteht  zum 
großen  Teil  jedenfalls  aus  Bakterien  in  kleinen  Häufchen,  Nr.  3 
bis  6  starke,  zum  große]]  Teil  abgesetzte  Präzipitalflocken. 
Nach  24  Stunden  überall  Sätze,  die  aber  bei  Nr.  1  und  2. 
]iach  dem  ]nikroskopiscben  Bilde,  größtenteils  jedenfalls  aus  agglu- 
tinierten  Typhusbazillen  bestehen. 

Kani]]chen  132-A,  600  g,  erhält  am  13.  Juli  1906  1-6  cm® 
zentrifugiertes  Exsudat  von  Nr.  132  intravenös.  Nach  einer  Inku¬ 
bation  vo]i  drei  Viertelstunden  tritt  große  Prostration  ein,  mit 
I.  und  H.,  nach  fü]]f  Viertelstunden  IH.  Stadium  der  Diarrhoe. 
Dann  folgt  etwas  Erholung  bei  beständiger  Diarrhoe  leichten 
Grades.  Diese  hält  am  14.  Juli  an,  das  Tier  macht  am  15.  Juli 
einen  ganz  elenden  Ei]idruck,  erholt  sich  aber  schließlich  doch. 

Kaninchen  132-B,  610  g,  erhält  am  13.  Juli  2-2  cm®  zentri¬ 
fugierten  Exsudates  von  Nr.  132,  das  eine  halbe  Stunde  auf 
56®  erhitzt  war.  Das  Tier  zeigte  weder  Prostration  ]iocb  Diar¬ 
rhoe  und  blieb  münter. 

Präzipitationsversuch  mit  Exsudat  vo]]  Nr.  132  mid  einem 
Wasserextrakt,  der  aus  den  Bazillen  dieses  Exsudates  in  der  oben 
angegebenen  Weise  hergestellt  war. 


+  0-2  Typhusimmun¬ 
serum 


+  je  0‘1  Typhus¬ 
immunserum 


1)  0-25  Exsudat  132  +  0'75  NaCl-Lösung 

2) 0-1  „  +0-9 

3)  0-25  Extrakt  132  +  0-75 

4)  0-1  „  +  0-9 

Schon  nach  einer  halben  Stunde  bei  37®  ist  Nr.  3  voll 
grober,  Nr.  4  voll  feiner  Flocken,  Nr.  1  und  2  sind  klar.  Nach 
zwei  Stunden  ist  in  Nr.  3  und  4  die  Präzipitation  beendet,  die 
Proben  Nr.  1  und  2  sind  geronnen.  Durch  Zerschütteln  scheiden 
sich  Fibrinfäden  ab,  die  in  der  klaren  Flüssigkeit  zu  Boden  si])k('n. 
Nach  acht  Stunaen  Aufenthalt  bei  37®  sind  Nr.  1  und  2  völlig 
klar,  am  Boden  der  Röhrchen  liegen  Fibrinfäden,  die  auch  beim 
stärksten  Schütteln  nicht  auseinandergehen  und  keine  Trübung 
veranlassen.  | 

Kaninchen  133-A,  310  g,  erhält  am  13.  Juli  1906  1-2  cm® 
zentrifugiertes  Exsudat  von  Nr.  133  intravenös.  Nach  einer  halben 
Stunde  tritt  Prostration  und  Diarrhoe  1.  und  H.  Stadiums  auf, 
die  erst  nach  zwei  Stunden  in  eine  solche  des  IH.  Stadiums 
übergeht,  aber  keine  hohen  Grade  erreicht.  Am  nächsten  Tage 
ist  das  Tier  munter. 

Die  Versuche,  von  denen  hier  einige  charakteristisclie 
Serien  mitgeteilt  sind,  umfassen  zurzeit  über  150  Kanin¬ 
chen.  Es  ist  heabsichtigt,  sie  ausführlich  mitzuteilen,®)  so¬ 
bald  Zeit  und  Tiermaterial  zu  Gebote  stehen,  um  sie,  was 
dringend  notwendig  ist,  auch  auf  andere  Typhusstämme 
auszudehnen.  Aber  bereits  in  ihrem  gegenwärtigen  Zustand 
sind  sie  geeignet,  Interesse  zu  erwecken,  wobei  allerdings 
die  größte  Kritik  geboten  ist.  Das  auffälligste  ist,  daß  das 
Kaninchen,  ein  gegen  den  Typhushazillus  sehr  widerstands¬ 
fähiges  Tier,  unter  Umständen,  besonders  bei  Verwendung 
vo]i  Serienimpfungen,  ein  Krankheitshild  aufweisen  kann, 
das  zum  menschlichen  Typhus  zweifellose  Analogien  dar- 
hietet.  Der  Hauptsitz  der  Veränderungen  ist  der  Darm  und 
auch  die  Krankheitserscheinungen  weisen  auf  diesen  hin. 
Entzündungen  der  Schleimhaut,  Injektion  der  Gefäße,  Blu¬ 
tungen,  Schwellungen  des  Drüsenapparates  wurden  über¬ 
aus  häufig  beobachtet.  Namentlich  die  Vergrößerung  der 
Plaques  ist  wichtig.  Diese  sind  schon  im  normalen  Kanin¬ 
chendarm  groß  und  sichtbar,  weshalb  Vorsicht  hei  der  Be¬ 
obachtung  einer  einfachen  Schwellung  nötig  ist.  In  vielen 
Fällen  ließ  aber  das  starke  Hervortreten  derselben  in  das 
Darmlumen,  die  Rötung  und  insbesondere  die  Blutungen 
keinen  Zweifel  über  ihr  starkes  Befallensein.  Vorsicht  ist 
auch  hei  Beurteilung  der  Drüsenschwellungen,  namentlich 
der  des  Pankreas  Aselli,  geboten :  stark  ödematöse  Be¬ 
schaffenheit,  Rötung  und  namentlich  wieder  Blutungen 
stellen  erst  schwere  Veränderungen  sicher. 

Nicht  minder  wichtig  ist  die  Beobachtung,  daß  es  bei 
Injektion  des  klar  zentrifugierten  Exsudates  zu  Krankheits¬ 
erscheinungen  wieder  von  seiten  des  Darmes  mit  großer, 
wenn  auch  nicht  absoluter  Regelmäßigkeit  kommt,  die  oben 
beschrieben  sind.  Eine  Menge  von  1-5  cm®  Exsudat  reicht 
dazu  aus,  weniger  wirkte  nur  in  einzelnen  Fällen  sicher, 
über  dieses  Maß  hinauszngehen,  verhinderte  meist  die 
geringfügige  Ausbeute.  Die  krankhaften  Darmerscheinungen 
waren  dabei  fast  immer,  nicht  immer  Tod  oder  längere 
Krankheit  zu  beobachten.  Nur  in  etwa  lV2®/o  bis  2%  der 
bisher  untersuchten  Exsudate  war  keine  Giftwirkung  zu 
beobachten;  oft  erfolgte  noch  am  Tage  der  Injektion  nach 
Vorübergang  der  Prostration  und  der  Diarrhoe  Erholung, 
manchmal  waren  die  Tiere  tagelang  krank.  Wenn  Tod  ein¬ 
trat,  so  geschah  dies  meist  nach  zehn  bis  zwölf  Stunden, 
selten  früher,  manchmal  später,  und  dann  meist  mit  ein¬ 
fachem  Marasmus.  Der  Sektionsbefund  wies  in  den  akuten 
Fällen  unleugbar  eine  gewisse  Aelmlichkeit  mit  dem  auf, 
der  bei  Anwendung  bazillenhaltigen  Exsudates  eintrat,  er¬ 
reichte  aber  nie  dessen  starke  Ausbildung  und  insbesondere 
Blutungen,  die  erst  das  Gefühl  der  Sicherheit  in  der  Be¬ 
urteilung  der  Befunde  geben,  waren  recht  spärlich.  Da  diese 
im  Gegensätze  dazu,  nach  Anwendung  des  hazillenhaltigen, 
wenn  auch  verdünnten  Exsudates  auftraten,  so^  ergibt  sich, 
daß  die  Darm  Veränderungen  durch  von  den  Bakterien  aus¬ 
gehende  Gifte  vorbereitet,  in  ihrer  ganzen  Schwere  aber  erst 

®)  Unter  genauerem  Eingehen  auf  die  Literatur,  als  es  hier  mög¬ 
lich  ist. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  10 


durch  .\iisicdhmg  der  Bazillen  an  den  betreffenden  Stellen 
veranlaßt  werden.  Daher  keniint  es,  daß  gerade  bei  Serien- 
inipfnngen,  wo  also  Gift  und  Bazillen  übertragen  werden, 
die  typischesten  Darmveränderungen^)  aiiftreten;  doch 
wurden  sie  auch  bei  großer  Bazilleninjektion  mehrfach  ge¬ 
funden. 

Die  auf  ihre  Giftwirkung  geprüften  Exsudate  waren 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zwar  auf  das  sorgfältigste  zentri¬ 
fugiert  und  dadurch  außerordentlich  bakterienarm,  aber  nicht 
durch  Sterilisation  hakterienfrei  gemacht  worden,  was  durch 
die  geringe,  zur  Verfügung  stehende  IMenge  der  wirksamen 
Flüssigkeiten  und  durch  deren  Labilität  bedingt  war.  Wie 
der  Sektionshefund  zeigte,  hatten  die  mit  eingespritzten 
Bazillen  sich  während  des  Ablaufes  der  Vergiftung  in  der 
Begel  nur  halten  können  und  ergaben  nur  aus  einzelnen  Or¬ 
ganen  noch  wenige  Kolonien  in  der  Kultur,  so  daß  die  Er¬ 
gebnisse  sicher  auf  Giftwirkung  bezogen  werden  können. 

Die  wichtigste  Frage  ist  aber  die  nach  der  Spezifität 
der  gefundenen  Verändenmgen.  Bekanntlich  war  gerade 
das  Kaninchen  das  Hauptversuchsohjekt  für  jene  älteren 
Versuche  von  E.  Fraenkel  und  Simmons  und  von 
A.  Fränkel,  welche  ganz  ähnliche  Ergebnisse  hatten,  Avie 
di(‘  oben  angeführten,  aber  von  Beumer  und  Peiper  mit 
dem  Hinweis  auf  die  Nichtspezifität  derselben  bekämpft 
wurden.  Um  diesen  Punkt  genauer  studieren  zu  können, 
wurde  die  Veröffentlichung  der  eigenen  Resultate  aufge- 
schohen.  Denn  es  genügt  offejibar  nicht  mehr,  ein  einzelnes 
'Pier  mit  einem  Bazillus  zu  injizieren,  sondern  es  müssen 
Serienübeiiragungen  durchgeführt  werden.  Solche  stehen 
jetzt,  aus  Anlaß  anderer  Versuche  angesteltl,  für  Milzbrand, 
Staphylokokkus  und  den  Bazillus  Friedländer  zur  Ver¬ 
fügung  und  es  muß  gesagt  werden,  daß  tatsächlich  nach 
intrapleuraler  Injektion  dieser  Bazillen  gelegentlich  Darm¬ 
veränderungen  zu  beobachten  sind,  selbst  Schwellungen  der 
Plaques,  namentlich  bei  Friedländer,  daß  sie  aber  niemals 
die  Regelmäßigkeit  und  insbesondere  die  ScliAvere  der 
Typhusbefunde  aufwiesen.  Was  die  Wirkung  intravenös 
gegebener  zentrifugierter  Exsudate  betrifft,®)  so  wirken  diese 
bei  Staphylokokken  ganz  anders,  bei  Vlilzbrand  gar  nicht, 
bei  Friedlärnh'r  kann  eine  solche  Untersuchung  wegen  der 
dicken  Beschaffenheit  der  Flüssigkeit  nicht  gut  durchgeführt 
werden.  Es  fehlen  noch  Versuche  mit  näheren  Verwandten 
des  Typhushazillus,  deren  Resultate  natürlich  andei’!^  be¬ 
urteilt  werden  müßten.  Bis  auf  Aveiteres  kann  daher  die 
Wirkung  von  Typhusbazillen  und  Kaninchenexsndat,  besser 
die  A^ereinte  Wirkung  beider,  als  sehr  bezeichnend,  Avenn 
auch  noch  nicht  als  spezifisch  angesehen  werden.  Sie  be¬ 
deutet  jedenfalls  einen  Fortschritt  gegenüber  der  Feststellung 
der  Bakterien  Pathogenität  in  der  MeerschAveinchenbauch- 
höhle,  AAm  die  entstandene  Peritonitis,  ob  durch  Vibrionen 
oder  Kokken  oder  Stäbchen  erzeugt,  absolut  nichts  Charak¬ 
teristisches  hat. 

Was  die  Beständigkeit  der  Giftwirkung  des  Exsudat('s  . 
betrifft,  so  ist  dieselbe  jedenfalls  nicht  groß.  Erliitzung  auf 
htU  bis  ßO®  genügt  bereits,  um  die  verderbliche  AVirkung 
für  den  Tierkörper  bedeutend  zu  A^ermindern;  ganz  aufge¬ 
hoben  scheint  sie  (hei  AnAvendung  größerer  Mengen)  nicht 
zu  sein. 

MeerscliAveinchen  zeigen  bei  Injektion  Amn  "Mengen, 
Avelche  Kaninchen  töten,  keinerlei  Krankheiiserscheinungen ; 
hingegen  tritt  die  aggressive  Wirkung  ausnahmslos  so  stark 
herA’or,  daß  die  ladativ  sehr  Avenigen,  im  zentrifugierten  Ex¬ 
sudate  enthaltenen  Bakterien,  dereji  Zahl  auch  nicht  ent¬ 
fernt  an  die  tödliche  Dosis  heranreicht,  erfolgreich  in¬ 
fizieren  können.  Sterilisiertes  Exsudat  A^ertragen  sie  bis 
zur  Alenge  Amu  8  enU  ohne  jeden  Schaden,  soAvohl  sub¬ 
kutan,  als  intraptn'iloneal.  ATehr  stand  für  diese  Versuche 
ni(dit  ZU]-  A'erfügnng.  .Auch  Aläuse  scheinen  sich  nach  A'^er- 
einzelteii  Experimenten  Avie  MeerscliAveinchen  zu  verhalten. 

T  Dieselben  wurden  in  der  Juni-Sitzung  der  biologischen  Sektion 
des  Vereines  »Lotos«  in  Prag  demonstriert. 

®)  Es  handelt  sich  nur  um  relativ  kleine  Dosen  bis  höchstens? 
B  cm®,  Einspritzung  größerer  Flüßigkeitsmengen  gibt  vieldeutige  Resultate. 


Es  erschien  von  einigem  Interesse  zu  untersuchen, 
ob  sich  auch  sonst  die  eigentümliche  GiftAvirkung,  z.  B,  bei 
Kultur  des  Typhusbazillus,  auffinden  lasse.  Die  Resultate 
Avaren  bisher  äußerst  scliAvaiikend,  da  größere  Mengen  nicht 
injiziert  Averden  können.  Immerhin  sind  qinige  unzAveifel- 
haft  positive  Resultate  zu  verzeichnen,  die  besonders  dann 
eintraten,  Avenn  die  angelegten  Kulturen  mit  größeren  Mengen 
von  frischem  Kaninchenexsudat  beimpft  Avurden. 

Am  13.  Mai  1906  Avurden  15  cm®  Bouillon  und  ebensoviel 
eines  ganz  frischen  (vier  Stunden),  etwas  blutkörperchenhaltigen 
Kaninchenserums  mit  je  0-5  cm®  des  Exsudates  eines  eben  der 
intrapleuralen  Typhusinfektion  erlegenen ,  typischen  Serien¬ 
tieres  (Kaninchen  Nr.  65)  geimpft  und  gleichzeitig  mit  einer 
Probe  des  steril  belassenen  Serums  und  Bouillon  in  den’  Brut¬ 
schrank  gestellt.  Am  17.  Mai  und  18.  Mai  1906  Avurden  je  2  cm® 
dieser  Kultur  sorgfältig  zentrifugiert  (a  und  b),  am  23.  Mai  der 
Rest  verarbeitet  (c).  Er  enllii'dl  nur  TypliUshazillen  in  Rein¬ 
kultur.  1  ,  ' 

Kaninchen  F-V,  210  g,  erhält  1-5  cm®  Bouillongift  a  intra¬ 
venös.  Nach  drei  Viertelstunden  tritt  Diarrhoe  auf,  aber  keine 
besonders  auffällige  Prosti-ation.  Die  Diarrhoe  Avird  nach  zwei 
Stunden  besser,  hört  dann  ganz  auf,  um  am  nächsten  Tage, 
Avo  das  Tier  schon  elend  ist,  wdederzukehren.  Die  Sektion  er¬ 
gibt  schwere  Dannstörungen  mit  viel  Blutungen  in  der  Schleim¬ 
haut.  Die  Nieren  sind  geschwollen  und  sehen  ganz  fleckig,  mit 
roten  und  grauen  Stellen  aus.  Die  Pyramiden  sind  auf  dem  Durch¬ 
schnitt  teilweise  ganz  blutig  destmiert.®)  Ueherall  fanden  sich 
zahlreiche  Typhusbazillen. 

Kaninche]]  G-V,  230  g,  erhält  1-5  cm®  Serumgift  a  intra¬ 
venös.  Nach  drei  Viertelstunden  tritt  hochgradige  Prostration  ein. 
Dahei  hochgradige  Diarrhoe,  deren  dunkelflüssige  Entleerungen 
unAvillküiiich  beständig  abfließen.  Nacli  2V2  Stunden  tritt  Er¬ 
holung  ein,  die  Diarrhoe  hört  auf,  doch  bleibt  das  Tier  Avährend 
seines  übrigen  Lebens  matt  und  stirbt  in  der  Nacht  vom  20. 
bis  21.  Mai,  nach  ca.  3V4  Tagen.  Im  Peritoneum  fand  sich  etwas 
klare  Flüssigkeit  ohne  Befund.  Die  Milz  Avar  nicht  vergrößert, 
das  Pankreas  Aselli  schien  ödematös  zu  sein.  Im  Darm  außer 
Gefäßinjektion  nichts  Auffälliges.  Kulturen  aus  der  Peritoneal¬ 
flüssigkeit,  der  Leber  und  dem  Herzblut  blieben  steril. 

Kaninchen  H-V,  250  g,  erhält  1-5  cm®  Bouillongift  b  intra¬ 
venös.  Es  trat  Diarrhoe,  aber  keine  besondere  Prostration  auf. 
Erholung  folgte  bald,  das  Tier  schien  mUnter,  starb  aber  nach 
ca.  3V2  Tagen.  Der  Befund  Avar  wie  bei  G-V.  Kulturen  ergaben 
aus  Pankreas  Aselli  19,  Leber  7,  Herz  22  Kolonien.  Die  Peri- 
tonealflüssigkeit  Avar  steril. 

Kaninchen  I-V,  255  g,  erhält  1-5  cm®  Serumgift  b  intra¬ 
venös.  Sehr  staj'ke  Prostration  und  Diarrhoe,  viel  stärker  als 
bei  H-V.  Es  tiitt  Erhohmg  ein,  doch  stirbt  auch  dieses  Tier 
am  vie)-t(m  Tage  mit  dem  gleichen  Befunde  Avie  H-V.  Nur  das 
Duodenum  schien  diffus  gerötet.  Kultur  aus  allen  Organen  steril. 

Kanineben  K-V,  380  g,  erhält  1-5  cm®  Bouillongift  c  intra¬ 
venös.  Zeigt  keine  Krankheit  und  bleibt  munter. 

Kaninchen  L-V,  420  g,  erhält  1-5  cm®  Serum vift  c  intra¬ 
venös.  Zeigt  keim'  Krankheit  und  bleibt  munter. 

Den  scliließliclien  Tod  der  Tiere  F-V  bis  1-V  darf  man 
(außer  bei  F-V)  nicht  allzu  hodi  beAverten;  denn  so  kleine 
Kaninchen  sterben  oft  genug  auch  ohne  besonderen  Anlaß. 
Die  Krankheitserscheinungen  stürmischer  Art  scheinen  aber 
doch  für  das  Auftreten  einer  GiftAvirkung,  nach  Art  der  des 
Exsudates  zu  sprechen,  die  in  den  Kulturen  nach'  einigen 
Tagen  verscliAvindet.  Allerdings  darf  man  dabei  nicht  ver¬ 
gessen,  daß  die  Kulturen  Amn  vornherein  giftiges  Exsudat 
enthielten  und  namentlich,  daß  das  Resultat  dieses  Versuches 
in  späteren  siMi  nicht  als  konstant  envies.  Immerhin  wäre 
das  Ergebnis  einer  eingetienden  Verfolgung  Avert,  Avoran 
Tiermangel  bisher  immer  hinderte. 

Aus  dem  gleichen  Grunde  mußten  Versuche  unAmll- 
ständig  bleiben,  das  fragliche  Gift  in  den  Exsudateii  typhus- 
infizierter  VleerscliAveinchen  nach'zuAveisen.  Auch  hier  ver¬ 
liefen  die  Versuche  zunächst  inkonstant.  Drei  in  geAvöhn- 
licher  Weise  intraperitoneal  vielfach  tödlich  infizierte  Meer- 
scliAA-einchen  vermochten  mit  1-5  his  2  cm®  ihres  Exsudates 
Kaninchen  nicht  krank  zu  maclu'n.  Ebenso  verhielten  sich 

®)  Diese  eigentümliche  Form  von  Nierenveränderungen,  eine  Art 
Nephrotyphus,  fand  sich  auch  bei  den  Serientieren  mehrfach  vor. 
Schwellungen  der  Nieren,  abnorme  Brüchigkeit  waren  ganz  gewöhnlich, 
Blutungen  nicht  selten. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


281 


die  Exsudate  einer  Meerschweincheiiserie  (c,  e,  f  und  g, 
li  nnd  i,  k  und  1),  wo  das  Exsudat,  des  ersten  Tieres  c 
auf  e,  dann  auf  die  Tiere  f  und  g,  dieses  auf  die'  Tiere 
li  und  i  usf.  übertragen  wurde.  Alle  Aleerschweinclien 
waren  unter  dein  Bilde  schwerer  Tnfektion,  die  neben¬ 
einander  mit  demselben  Exsudate  geimpften,  fast  auf  die 
Stunde  zu  gleicher  Zeit  gestorben.  Hingegen  hatte  eine 
andere  Meerschweinchenserie  zum  Teil  ein  unzweifelhaft 
positives  Resultat. 

Die  zum  Versuche  verwendeten  klar  zentrifugierten  Exsu¬ 
date  stammen  von  den  Meerschweinchen  I  bis  IV,  von  dem 
Nr.  1  eine  Agarkultur  intrapleural  erhalten  hatte,  Avährend  die 
folgenden  mit  0-7,5,  0-5  und  0-4  cnE  des  Exsudates  des  vorher¬ 
gehenden  Tieres  intraperitoneal  infiziert  waren. 

Kaninchen  310  g,  erhält  am  2.  .Tuli  1906  1-5  cm^  Ex¬ 
sudat  von  Vreerschweinchen  I  intravenös.  Zeigt  nichts  von  Pro- 
sl ration,  aber  nach  einer  halben  Stunde  einsetzende  Diarrhoe,  die 
vier  Stunden  andauert.  Daun  erfolgt  vollständige  Erholung.  Ein 
anderes  Kaninchen,  120-A,  310  g,  das  zur  Kontrolle  mit  1-4  cm^ 
Exsudat  des  Serienkaninchens  Nr.  120  intravenös  geimpft  war, 
starb  unter  typischen  Symptomen  nach  ö'A  Stunden,  mit  kleinen 
Blutungen  im  Blinddarm  und  sterilem  Befund. 

Kaninchen  i\I-Il,  430  g,  erhält  am  3.  Juli  1906  1-5  enr’’  Exsu¬ 
dat  von  IMeerschweincheu  Nr.  II  intravenös.  Prostration  zeigte 
sich  nicht,  Diarrhoe  aber  trat  nach  einer  Stunde  typisch  ein 
und  dauert  2V2  Stunden  an.  Nach  drei  Stunden  wird  das  Tier 
malt,  legt  sich  auf  die  Seite,  jeder  Husten  löst  heftiges  Zittern 
aus.  Das  Tier  stirbt  nach  zirka  vier  Stunden  mit  vergrößerte!' 
Milz.  Nur  diese  lieferte  vier  Kolonien  auf  Agar. 

Bei  Kaninchen  M-lll,  425  g,  das  1-5  cuE  Exsudat  von  ^lecr 
schweinchen  Nr.  Ill  erhalten  hatte,  war  Verlauf  und  Befund 
analog.  Di'üse  und  Herz  Avaren  steril,  die  Milz  ergab  62  Typhus¬ 
kolonien.  Ebenso  \mrlief  der  Versuch  mit  dem  MeerscliAA’eiuchen- 
exsudate  Amu  Nr.  IV,  au  Kaniucheu  M-IV,  das  776  g  Avog. 

Worauf  es  zurückzuführen  ist,  daß'  dieser  Versuch  positiv 
im  Vergleiche  zu  den  negativen  anderen  Avar,  ist  nicht  zu  ent¬ 
scheiden. 

Die  Mitteilung  der  Versuche  dürfte  auch  in  ihrem 
gegenwärtigen  Zustande  von  Interesse  sein.  Denn  trotz  der 
Berechtigung,  ja  NotAvendigkeit  strenger  Kritik  kann  auch 
der  ärgste  Skeptizismus  nicht  übersehen,  daß  in  denselben 
eine  Annäherung  des  experimentell  erzeugten  Krankheits¬ 
bildes  an  das  des  Menschen  erzielt  worden  ist  und  daß 
dieselbe  durch  Bildung  eines  Giftes  mindestens  unterstützt 
wird.  Weitere  Untersuchungen  mit  anderen  Stämmen  sind 
freilich  not.Avendig,  ehe  Inndende  Schlüsse  abgeleitet  Averden 
können,  die  dann  z.  B.  für  die  Immunisierung  bedeutungs- 
Amll  Avären.  Gerade  gegenwärtig,  wo  ein  anscheinend  ätiolo¬ 
gisch  fest  begründeter  Verwandter  des  Typhushazillus,  der 
Schweinepestbazillus,  in  seiner  Bedeutung  scliAver  erschüt¬ 
tert  ist,  erscheint  es  iiotAvendig,  die  Aetiologie  möglichst 
einwandfrei  zu  begründen,  was  natürlich  durch  die  Erzeu¬ 
gung  eines,  dem  menschlichen  analogen  Krankheitsbildes 
beim  Tiere  durch  Reinkultureu  am  sichersten  erfolgen  kann. 
Vermögen  nun  die  erwähnten  Versuche  über  die  eingangs 
aufgeworfene  Frap,  ob  Aggressivität  und  Toxizität  ^  im 
wesentlichen  identisch  oder  Amneinander  unabhängig  seien, 
Aufschluß  zu  geben  ?  Zunächst  gibt  die  festgestellte,  wenn 
auch  gewiß  nicht  notwendige  Inkonstanz  mancher  Befunde' 
einen  Grund  für  die  leichte  Möglichkeit  verschiedener  Re¬ 
sultate  verschiedener  Autoren:  die  Untersuchung  ist  keines- 
Avegs  eine  leichte  und  einfache.  Dennoch  steht  fest,  daß 
auch  für  den  Typhushazillus  ähnliche  Verhältnisse  bestehen, 
wie  sie  Kikuchi  beim  Dysenteriebazillus  entdeckt  hal : 
hohe  Giftigkeit  Amn  Exsudaten,  die  Avährend  der  Infektion 
gebildet  sind,  für  Kaninchen,  fehlende,  in  den  gleichen 
und  auch  größeren  Mengen  für  Meerschweinchen.  Bei  letz¬ 
teren  tritt  eine  Begünstigung  der  Infektion  durch  Aggressi¬ 
vität  sehr  deutlich,  hei  ersteren  fast  gar  nicht  hervor:  denn 
nur  ganz  selten  kam  es  vor,  daß  die  nur  zentrifugierten  und 
dadurch  bakterienarmen,  aber  nicht  sterilisierten  Flüssig¬ 
keiten  eine  irgend  erhehliche  Vermehrung  der  Bazillen  im 
Kaninchen  ])ewirkten.  Das  scheint  his  auf  weiteres  sehr 
für  eine  Unabhängigkeit  der  aggressiven  und  toxischen  Wir¬ 
kung  zu  sprechen;  doch  darf  man  dahei  nicht  vergessen, 


daß  die  Injektion  bei  Kaninchen  eine  intravenöse,  bei  IMeer- 
schAveinchen  eine  intraperitoneale  Avar,  was  niöglicbei’Avc'ise 
einen  Unterschied  auch  in  der  Wirkung  bedingt.  Jedenfalls 
ist  damit  die  Richtung  für  weitere  Versuche  \mrgezeichnet. 

Es  kann  aber  nicht  unbeachtet  bleil)en,  daß  di(' 
schwersten  und  am  meisten  charakteristischen  Organ-  und 
Darm  Veränderungen,  verbunden  mit  einer  Verbreitung  der 
Bazillen  über  den  ganzen  Körper,  bei  Kaninchen  dann  ein¬ 
traten,  Avenn  Exsudat  und  Bazillen  gleichzeitig  injiziert 
wurden.  Die  Unmöglichkeit,  diese  Verhältnisse  bei  dem 
großen  dazu  erforderlichen  Tierverbrauch  eingehend  zu  stu¬ 
dieren,  macht  sich  hier  besonders  unangenehm  fühll)ar. 
Denn  da  Darmerscheinungen  durch  bloße  Giftwirkung  min¬ 
destens  \mrbereitet  werch'n,  könnte  diese  Vmrbereitung  not¬ 
wendig  sein,  damit  die  sich  später  ansiedelnden  Bazillen 
die  oft  sehr  hochgradigen  Darmveränderungen  bcAvirken. 
Sichergestellt  ist,  daß  Muerschweinchen  durch  Kaninchen¬ 
exsudate  nicht  merkbar  krank  Averden;  eine  Steigerung  der 
injizierten  Menge  ist  schon  durch  die  Herkunft  der  Versuchs¬ 
flüssigkeit  über  ein  geAvisses  Maß  hinaus  unzulässig,  min¬ 
destens  bedenklich.  Stellt  nun  auch  für  diese  Tiere  das 
Kaninchenexsudat  ein  Gift  dar,  Avelches,  obAAmhl  untertödlich, 
dadurch  die  Infektion  erleichtert  und  Aggressivität  vor¬ 
täuscht?  Wäre  dies  der  Fall,  so  müßte  man  auch  vermuten, 
daß  der  Tod  an  Typhusinfektion  bei  diesen  Tieren  ein  Gift¬ 
tod  sei  und  man  müßte  die  Wirkungen  des  Giftes  auffinden 
können.  Nach  Analogie  mit  den  Kaninchenbefunden  Avären 
die  GiftAvirkungen  am  ehesten  in  Darmveränderungen  zu  er¬ 
kennen  und  tatsächlich  Aviirde  bei  Serienversuchen  eine 
enorme  ScliAA^ellung  und  v'ollständige  blutige  Destruktion  Amn 
Plaques  häufig  beobachtet,  ein  Befund  übrigens,  der  schon 
in  der  älteren  Literatur  mehrfach  (z.  B.  bei  Beumer  und 
Peiper)  verzeichnet  ist. 

Es  dürfte  somit  Avohl  auch  bei  der  MeerscliAveinchen- 
infektion  Vergiftung  eine  Rolle  spielen,  aber  es  sei  noch¬ 
mals  auf  den  trotz  der  Verschiedenheit  der  Versuchsbedin¬ 
gungen  auffallenden  Gegensatz  hin  gewiesen:  hohe  Gift-  und 
geringe  AggressiiiAAurkung  A'on  Typlnisexsudaten  beim  Kanin¬ 
chen,  das  gegenteilige  Verhalten  beim  Meerschweinchen. 
Ganz  offenbar  muß  hier  die  Forschung  tiefer  ein  dringen  und 
erst  ermitteln,  AAmrauf  die  leichtere  Vermehrungsfähigkeit 
des  Typhushazillus  im  Meerschvveinchen  als  im  Kaninchen 
beruht. 

Was  nun  die  Natur  der  GiltAAurkung  (tes  Tyi)husbazitlus 
betrifft,  so  pflegt  man  heute  zu  fragen,  ob  Toxin  oder  Endo¬ 
toxin  Amrliegt,  d.  b.  ob  es  sich  um  Sekretionsprodukte  oder 
aufgelöste  Leibesteilchen  der  Bakterien  handle.  Der  \  er¬ 
fasse)’  hat  mehrfach  darauf  liingeAviesen,  daß  das  eine  ziem¬ 
lich  unnütze  ErscliAverung  der  Untersuchung  sei,  solatige  es 
sich  um  Wirkung  lebender  Bakterien  handelt.  IaIii  Sekret 
und  ein  Leibesanteil,  der  ohne  Schaden  der  \italit;U  abge¬ 
geben  Averden  kann,  sind  nur  zAvei  Ausdriieke  für  eine  im 
Avesentlichen  gleiche  Sache.  Und  Avenn  etAvas,  Avas  im  leben¬ 
den  Bazillus  als  giftig  zur  Abgabe  bereit  liegt,  nach  dem 
Tode  des  Bakteriums  noch  als  Gift  wirkt,  so  ist  das  auch 
nichts  Auffallendes.  Der  Gehalt  der  Exsudate  an  durch 
Immunserum  fällharen  Bakteriensubstanzen  ist,  AAue  einige 
oben  angeführte  Versuche  zeigen,  jedenfalls  gering  und  iiicht 
entfernt  so  groß,  Avie  der,  den  man  in  Extrakten  der  Bazillen 
des  Exsudates  mit  leichter  Mühe  erhalten  kann.  Das  (Tleiche 
gilt  auch  für  entsprechend  geAA’onnene  VleerschAveinchen- 
exsudate. 


Zur  Epidemiologie  des  Abdominaltyphus.*) 

Von  k.  und  k.  Regimentsarzt  Dr.  GustaA'  Pollal». 

Es  ist  bisher  nicht  ;illzu  häufig  gelungen,  die  Ent¬ 
stehung  A"on  Typhusepidemien  durch  den  NacliAveis  Amn 
Typhusbazillen  am  Orte  der  Infektio)),  iltiologisch  sichei 
und  unzAveifelbaft  aufzukläreu.  Hingegen  o'inöglicht  in 

*)  Nach  einem]lim  Avissenschaftlichen  Verein  der  Militärärzte  der 
Garnison  Wien  gehaltenen  Vor  trage. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  10 


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vielen  Fällen  die  genaue  Zusammenstellung  und  Erwägung 
aller  auf  das  Auftreten  einer  Epidemie  bezughabenden  Mo¬ 
mente  unter  Heranziehung  der  Grundsätze  der  modernen 
Typliusepidemiologie  das  Auf  finden  des  Herdes  und  der 
Verbreitungsart  der  Infektion. 

Wenn  auch  über  derartige  Beobachtungen  in  der  Lite¬ 
ratur  bereits  ein  überreiches  Material  vorhanden  ist,  dürfte 
die  Schilderung  zweier,  im  Bereiche  des  2.  (Wiener)  Korps 
vorgekommener  Typhusepidemien  schon  mit  Rücksicht  auf 
die  liesonderen,  die  Ermittlung  des  Ursprunges  erschweren¬ 
den,  militärischen  Verhältnisse  einiges  Interesse  zu  bean- 
sprachen  geeignet  sein. 

Die  erste  Epidemie  betrifft  ein  Pionierbataillon,  welches 
für  die  Zeit  vom  26.  Juli  bis  Anfang  September  1905  aus 
seiner  in  Ungarn  gelegenen  Garnison  zu  Uebungszwecken 
nach  H.  an  der  Donau  verlegt  und  dort  in  einer  sonst 
leerstehenden  Kaserne  untergebracht  wurde.  In  der  Zeit 


daß  der  erwähnte,  in  das  Zivilspital  in  H.  abgegebene  Mann 
tatsächlich  an  Typhus  erkrankt  war  und  als  Rekonvaleszent 
mit  dem  Stuhl  und  Urin  reichlich  Bazillen  ausschied,  mit 
welchen  sich  die  anderen  Leute  der  Kompagnie  infizierten. 
Eine  Uehertragung  vom  Abort  aus  war  bei  der  Bauart  des¬ 
selben  leicht  möglich. 

In  diesem  Falle  hätte  die  serodiagnostische  Unter¬ 
suchung  des  ManneSj  bzw.  der  Nachweis  von  Typhusbazillen 
in  seinen  Ausscheidungen  die  Richtigkeit  der  geschilderten 
Art  der  Uehertragung  sicherlich  bewiesen;  doch  wurde  der 
Beweis  auch  dadurch  erbracht,  daß  die  auf  Grund  dieser 
Annahme  gegen  die  Ausbreitung  der  Epidemie  eingeleiteten 
Maßregeln  von  vollem  Erfolge  begleitet  waren. 

Die  Ermittlung  der  Ursache  der  zweiten  Epidemie  war, 
abgesehen  von  dem  größeren  Umfange  derselben  und  von 
der  Beteiligung  zahlreicher  Truppenkörper,  auch  aus  dem 
Grunde  viel  schwieriger,  weil  es  sich  um  eine  Manöver- 


Fig.  1, 


vom  20.  August  bis  zum  6.  September  erkrankten  20  Mann 
an  Typhus  abdominalis  u.  zw.  sämtliche  von  der  ersten 
Kompagnie,  während  die  übrigen  vier  Kompagnien  frei 
bliel)en.  Schon  durch  diesen  Umstand  konnte  zunächst  die 
Entstehung  durch  das  Trinkwasser,  an  welches  ja  immer 
zuerst  gedacht  wird,  ausgeschlossen  werden,  weil  die  ganze 
Kaserne  von  der  städtischen  Leitung  mit  Wasser  versorgt 
wird  und  in  der  Stadt,  weder  zur  gleichen  Zeit,  noch  vorher 
Typhusfälle  vorgekommen  waren.  Ferner  diente  die  Kaserne 
kurz  vorher  durch  drei  xMonate  einer  Ahteilung  von  Militär¬ 
akademikern  als  Unterkunft,  ohne  daJ3  jemand  erkrankt  wäre. 
Auch  für  eine  andere  Art  der  Infektion,  z.  B.  durch 
Milch  oder  andere  Nahrungsjnittel,  durch  das  Baden  in  der 
Donau  u.  dgl.,  fehlte  jeder  Anhaltspunkt. 

Hingegen  ergab  es  sich,  daß  beim  Bataillon  l)ereits 
trüber  einige  Fälle  von  Typhus  vorgekommen  waren;  zwei 
Mann,  darunter  einer  der  ersten  Kompagnie,  erkrankten 
unmittelbar  vor  dem  Abgehen  nach  H. ;  als  Ursache  wurde 
der  Genuß  von  Flußwasser  angenommen.  In  H.  wurde  ein 
.Mann  der  ersten  Kompagnie  am  26.  Juli  in  Spitalsbehand¬ 
lung  abgegehen  und  rückte  am  7.  August  mit  der  Diagnose 
.Magenkatarrh  als  genesen  zur  Kompagnie  ein.  Später  wurde 
lestgestellt,  daß  nach  den  Symptomen  ein  leichter  Fall  von 
'ryphus  nicht  auszuschließen  war.  Da  nun  die  erste  Koni- 
liaguie  in  der  Kaserne  einen  Abort  für  sich  allein  benützte, 
der  von  der  Mannschaft  der  übrigen  Kompagnien  wegen 
der  Entfernung  sicher  niebt  betreten  wurde,  so  kann  die 
Entstehung  der  Epidemie  nur  auf  die  Weise  erklärt  werden. 


epidemie  handelte,  bei  welcher  die  Erkrankungen  nicht  am 
Orte  der  Infektion  zum  Ausbruch  kamen.  Bemerkenswert 
ist,  daß  die  eingeleiteten  Erhebungen  erst  längere  Zeit  nach 
dem  Erlöschen  der  Epidemie  abgeschlossen  wurden  und  daß 
es  in  einem  verhältnismäßig  späten  Zeitpunkt  noch'  immer 
möglich  war,  durch  Zusammenfassung  aller  iMomente,  die 
Infektionsquelle  u.  zw.  eine  einzige  für  alle  Fälle,  mit  der 
größten  Wahrscheinlichkeit  zu  ermitteln. 

Das  2.  Korps  nahm  an  den  Kaisermanövern  in 
Schlesien  im  Spätsommer  1906  in  der  Stärke  von 
drei  Infanterie-  und  einer  Kavallerietruppendivision  teil. 
Die  Truppen  hatten  ihre  Garnisonen  in  der  Zeit  zwischen 
Mitte  Juli  und  Anfang  August  verlassen.  Die  Divdsionen  he- 
wegten  sich  auf  gänzlich  verschiedenen  Marschlinien  in 
dem  Raum  um  Teschen  iii  Ostschlesien,  in  welchem  sich 
die  Manöver  in  der  Zeit  vom  30.  August  bis  zum  4.  Sep¬ 
tember  abspielten.  Am  4.  und  5.  September  wurden  die 
Fußtruppen  mittels  Eisenbahntransportes  in  ihre  Garnisonen 
befördert,  während  die  Kavallerie  und  Artillerie  unmittel¬ 
bar  nach  dem  Abschlüsse  der  Manöver  den  Rückmarsch 
antraten  und  Mitte  September  in  den  Friedensgariiisonen 
eintrafen. 

Die  Gesundheitsverhältuisse  bei  den  Truppen  waren 
während  der  ganzen  Zeit  der  Uebungen  im  allgemeinen 
günstig.  \on  Infektionskrankheiten  kamen  nebst  drei  Mumps¬ 
fällen  zwei  Erkrankungen  au  Typhus  al)dominalis  vor,  von 
welchen  ein  Mann  eines  Infanterieregimentes  am  14.  August 
aus  einer  Kantonierungsstation  ini  südlichen  Mähren  und  ein 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Mann  eines  Kavalleriereginienies  am  1.  September  aus  einer 
Station  an  der  mähriscti-schlesisclien  Grenze  zur  Spitals¬ 
abgabe  gelangten. 

Auch  nach  dem  Einrücken  der  Truppen  in  ihre 
Garnisonen  blieben  die  Gesundheitsverhältnisse  günstig. 
Am  19.  September  kamen  die  ersten  Anzeigen  über  typbus¬ 
verdächtige  Erkrankungen,  welchen  bald  die  Bestätigung  der 
Diagnose  und  zahlreiche  weitere  Fälle  fast  aus  allen  Garni¬ 
sonen  des  Korpsbereiches  (Niederösterreich  und  Schlesien) 
folgten.  Lokale  Infektionsherde  in  den  Garnisonen  anzu- 
nehmen,  war  von  vornherein  nebst  anderen  Gründen  des¬ 
wegen  unwahrscheinlich,  weil  die  Erkrankten  — •  im  ganzen 
153  —  nur  solchen  Truppenkörpern  angehörten,  welche  an 
den  Manövern  teilgenommen  hatten.  Enter  den  Truppen, 
welche,  wie  z.  B.  die  aus  Ungarn  sich  ergänzenden  Regi¬ 
menter,  die  Garnisonen  nicht  verlassen  hatten,  kam,  obwohl 
sie  vielfach  mit  von  Typhus  betroffenen  Abteilungen  in 
denselben  Kasernen,  unter  ganz  gleichen  Verhältnissen 
untergebracht  waren,  kein  einziger  Fall  von  Typhus  vor. 
Die  einzige  während  dieser  Zeit  im  Korpsbereiche  sonst  noch 
zugegangene  Typhuserkrankung  betraf  einen  Mann,  der  in 
einer  dienstlichen  Verwendung  außerhalb  der  Garnisonen 
gestanden  war. 

Es  wurde  festgestellt,  daß  sämtliche  153  Erkrankte  bei 
den  Manövern  gewesen  waren ;  auch  unter  der  nach  Schluß 
der  Manöver,  nach  beendeter  Waffenübung  und  Präsenz¬ 
dienstzeit  beurlaubten  Mannschaft  kamen,  wie  später  be¬ 
kannt  wurde,  viele  Typhuserkrankungen  vor. 

Die  in  den  Sanitätsatistalten  des  2.  Korps  Ijehandelten 
Fälle  sind  in  der  oberen  Hälfte  der  Tabelle  (Fig.  l)  in 
der  Weise  dargestellt,  daß  der  mit  Hilfe  der  Anamnese  und 
Temperaturkurve  ermittelte  erste  Krankheitstag  als  Zugangs¬ 
tag  angenommen  ist.  Die  Zugänge  der  einzelnen  auf  der 
Abszisse  verzeichneten  Tage  sind  als  Ordinalen  aufgetragen. 
Selbstverständlich  ist  diese  graphische  Darstellung  zum  Teil 
ein  künstliches  und  willkürliches  Gebilde,  weil  der  Beginn 
der  Krankheit  auf  Grund  subjektiver  Angaben  bestimmt 
wurde  und  auch  die  Temperaturkurven  keinen  sicheren 
Aufschluß  geben.  Es  sind  fast  alle  Kranken  mit  erhöhter 
Temperatur  in  die  Spitalsbehandlnng  gekommen,  einzelne 
wurden  bei  den  systematischen  Temperaturniessungen  der 
ganzen  Mannschaft  nur  auf  Grund  der  erhöhten  Temperatur 
in  das  Spital  abgegeben,  wo  später  Typtius  festgestellt 
wurde,  so  z.  B.  bei  einem  Infanterieregiment  in  Wien  allein 
in  sieben  Fällen.  Immerhin  ist  diese  Art  der  Darstellung 
zur  Bestimmung  der  Inkubationsdauer  besser  zu  verwerten 
als  etwa  die  Zugrundelegung  des  Tages  der  Krankmeldung 
oder  der  Spitalsabgabe.  Wenn  die  graphische  Darstellung 
nicht  das  Bild  des  ,, explosiven“  Auftretens  der  Erkran¬ 
kungen  bietet,  so  ist  zu  bemerken,  daß  ein  solches  mehr  in 
den  Konstatierungen  und  Anzeigen  zum  Ausdruck  kommt. 

Die  Verteilung  der  Fälle  auf  die  einzelnen  Truppen¬ 
körper  ist  in  Fig.  2  dargestellt;  jedes  Quadrat  bedeutet 
einen  Truppenkörper,  die  Zahl  in  demselben  die  dort  vor¬ 
gekommenen  Typhusfälle.  Bezüglich  des  Zuganges  verteilen 
sich  die  Fälle  in  den  einzelnen  Truppenktiriiern  gleichmäßig 
auf  den  ganzen  Zeitraum. 

Wie  schon  erwähnt,  sind  die  Divisionen  auf  verschie¬ 
denen,  weit  auseinander  liegenden  Marschlinien  in  den 
Manöverraum  gelangt.  Daß  sich  die  Truppen  auf  dem  Marsch 
durch  Gegenden,  wo  .  gewiß  Typhus  endemisch  vorkommt, 
infizieren  konnten,  beweisen  die  zwei  oben  angeführten 
Fälle,  welche  jedoch  mit  den  späteren  Erkrankungen  in 
keinen  Zusammenhang  gebracht  werden  können,  der  eine 
wegen  des  frühen  Zeitpunktes,  der  andere,  weil  er  nicht 
nur  im  Regimente,  sondern  auch  in  der  ganzen  Kavallerie¬ 
truppendivision  vereinzelt  geblieben  ist.  Dagegen  spricht 
der  Umstand,  daß  die  Erkrankungen  erst  nach  den  Manövern 
auftraten,  daß  drei  Divisionen  betroffen  sind  und  die  Fälle 
sich  in  den  Truppenkörpern  gleichmäßig  verteilen,  dafür, 
daß  die  Infektion  dort  erfolgte,  wo  die  Truppen  räumlich 
vereint  waren,  also  im  Manövergebiete.  Auch  die  Inkuba¬ 
tionsdauer  spricht  nicht  dagegen.  Nach  unseren  heutigen 


Kenntnissen  über  dieselbe  kann  sowohl  der  erste,  als  auch 
der  letzte  Fall  auf  eine  Ende  August  oder  anfangs  Sep¬ 
tember  erfolgte  Infektion  zurückgeführt  werden.  Es  läßt 
nichts  darauf  schließen,  daß  etwa  die  letzten  Fälle  durch 
Kontaktinfektion  zustande  gekommen  sind.  Die  Epidemie 
fand  mit  dem  am  7.  Oktober  1906  zugegangenen  Fall  ibreii 
Abscbluß,  im  Bereiche  des  zweiten  Korps  kam  bis  Mitte 
Januar  1907  kein  weiterer  Typhusfall  vor. 


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Fig.  2. 


Was  die  Typhusverhältnisse  der  Manövergegend  an¬ 
belangt,  so  kommen  dort  stets  zeitlich  und  örtlich  spora¬ 
dische  Falle  und  ab  und  zu  Epidemien  vor.  Im  Jahre  1906 
kamen  bis  Ende  August  im  politischen  Bezirke  Teschen 
(ca.  91.000  Einwohner)  59  Fälle  zur  amtlicJien  Anzeige,  von 
welchen  24  auf  eine  Epidemie  während  der 'Monate  ]\Iai 
und  Juni  in  einem  Häuserkomplex  in  einem  Orte  bei  Teschen 
entfallen.  Die  übrigen  35  Fälle  verteilen  sich  auf  zehn 
verschiedene,  zum  Teil  weit  auseinander  gelegene  Ort¬ 
schaften.  Im  Juli  und  August  herrschte  Typhus  nur  in  einem 
einzigen  Orte  K.,  welcher  allerdings  in  der  Nähe  der  Marsch¬ 
linie  einer  Division  gelegeii  war,  jedoch  auf  Grund  der 
Anzeige  der  politischen  Behörde  von  den  Truppen  nicht 
betreten  wurde. 

Wenn  es  nun  auch  sicher  ist,  daß  besonders  am  Lande 
die  Zahl  der  wirklichen  Typhusfälle  höher  ist  als  die  der 
gemeldeten,  so  ist  zu  bemerken,  daß  der  politischen  Behörde 
schon  im  Frühjahre  von  'len  bevorstehenden  Manövern  Mit¬ 
teilung  gemacht  und  daß  seitens  des  ärztlichen  Organes 
derselben  den  Infektionskrankheiten  durch  Nachforschung 
nach  allen  verdächtigen  Krankheits-  und  Todesfällen  ein 
besonderes  Augenmerk  ziigewendet  wurde,  so  daß  zum  min¬ 
desten  ein  gehäuftes  Vorkommen  von  Typhus  der  Behörde 
kaum  entgangen  wäre. 

Aus  diesem  Grunde  wurde  dort  die  Ansicht,  daß  die 
Infektion  aus  der  Umgebung  von  Tescben  stamme,  anfangs 
zurückgewiesen.  Der  Beweis  hiefür  w'äre  wohl  mit  Rücksicht 
auf  die  große  Zahl  der  Truppen,  die  zahlreichen,  täglich 
wechselnden  Kantonierungsstationeii  und  Rastplätze  kaum 
zu  führen  gewesen. 

Dieser  Beweis  wurde  nun  erl)racht  durch  das  gleich¬ 
zeitige  Auftreten  einer  Typhusepidemie  im  Manövergebiete 
selbst.  In  dem  Industrierorte  T.  und  einigen  benachbarten 
Ortschaften  kamen  31  Fälle  von  Typhus  vor,  welche  in  der 
unteren  Hälfte  der  Fig.  1  in  gleicher  Weise  wie  jene  der 
Truppen  dargestellt  sind.  Die  zeitliche  Uebereinstimmung 
ist  augenfällig. 

Die  Herkunft  dieser  Fälle  war  anfangs  unklar,  da 
im  Orte  jahrelang  kein  Typhus  vorgekommen  war,  obwohl 
in  den  dortigen  Werken  ca.  3000  Ar])eiter  beschäftigt  sind. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  10 


von  denen  tüe  Hälfte  auswäids  wolinl.  Die  Triiikwasserver- 
sorgiing  ist  gut.  Nähere  ErJiebnngen  lenkten  den  Verdacht 
auf  einen  ßrunnen,  als  in  einem  unmittelbar  benachbarten 
Hause  von  neun  Insassen  zwei,  ferner  einige  in  der  Nähe 
beschäftigt  gewesene  Arbeiter  erkrankten.  Weitere  Nach- 
forschimgen  ergaben,  daß  beinahe  alle  Erkrankten  in  den 
ersten  Eeptembertagen  aus  dem  Brunnen  getrunken  batten 
oder  diese  Möglichkeit  wenigstens  nicht  in  Abrede  stellten. 

Die  bei  den  Truppen  des  2.  Korps  in  dieser  Biebtung 
gepflogenen  Erhebungen  batten  nun  das  überrasebende  Re¬ 
sultat,  daß  alle  Abteibmgen,  bei  welchen  Typbuserkran¬ 
kungen  vorgekommen  waren,  zwischen  dem  1.  und  4.  Sep¬ 
tember  in  der  Nähe  des  Brunnens  kantoniert  oder  gerastet 
batten  oder  wenigstens  dort  vorbeirnarsebiert  waren.  Das 
Wetter  war  beiß,  die  ausgiebige  Inanspruchnahme  einer 
knapp  an  der  Straße  gelegenen  Wasserspende  seitens  der 
Mannschaft  brauclit  wohl  nicht  betont  zu  werden.  Sowohl 
der  Ort  mit  seinen  ausgedehnten  Fabriksanlagen,  als  auch 
die  Lage  des  Brunnens  an  einer  mehrfachen  Straßenkreu¬ 
zung,  in  der  Nähe  markanter  Gebäude,  war  so  gut  in  der 
Erinnerung  geblieben,  daß  die  meisten  Angaben  ganz  dezi¬ 
diert  lauteten. 

Es  würde  zu  weit  führen,  alle  Angaben  einzeln  anzu- 
fübren,  es  sei  nur  erwähnt,  daß  bei  vielen  Truppen  nur 
kleinere  Teile  derselben  Gelegenheit  hatten,  Wasser  aus 
dem  Brunnen  zu  trinken,  und  nur  bei  diesen  Typhusfälle 
vorkamen.  Als  interessante  Einzelheit  sei  hervorgeboben, 
daß  ein  Offizier  ganz  bestimmt  aussagte,  er  hätte  seit  dem 
19.  August  bis  zum  Ende  der  Manöver  nur  einmal  und  gerade 
aus  diesem  Brunnen  Wasser  getrunken;  er  erkrankte  ebenso 
wie  der  Soldat,  der  ihm  das  Wasser  brachte  und  den  im 
Gefäß  zurückgebliebenen  Rest  austrank. 

Der  ßrunnen,  welcher  stets  gutes  Trinkwasser  lieferte, 
liegt  am  Fuße  eines  mit  Bäumen  bepflanzten  Abhanges. 
Er  bestellt  aus  einem  mit  Zement  hergestellten  Schacht, 
in  welchen  sich  das  Wasser  aus  einem  horizontal  in  den 
Bergabhang  ,  geführten  Stollen  ergießt  und  sodann  mittels 
einer  Pumpe  berausbefördert  wird.  Der  Schacht  ist 
mit  einem  Bretterhäuseben  überdeckt,  aus  welchem  der 
Pumphebel  und  das  Ausflußrohr  herausragt.  Obwohl  die 
ganze  Anlage  und  Oertlichkeit  auf  den  ersten  Blick  ein¬ 
wandfrei  erscheint,  hat  die  nähere  Besichtigung  dennoch 
die  Möglichkeit  einer  Verunreinigung  des  Wassers  ergeben. 
Der  nur  mit  Steinen  ausgelegte  Stollen  hegt  dort,  wo  er  in 
den  Schacht  einmündet,  ganz  nahe  unter  der  Oberfläche. 
An  der  Rückseite  des  Bretterhäuschens  konnte  sowohl  durch 
die  dünne  Erdschichte  hindurch  in  den  Stollen,  als  auch 
auf  der  abschüssigen  Fläche  unter  dem  Rand  der  Bretter 
vorbei  in  den  Schadit  Flüssigkeit  hineingelangen.  In  diesem 
Winkel  hinter  dem  Häuschen  wurden  bei  der  Besichtigung 
des  Brunnens  menschliche  Fäzes  gefunden. 

Da  nun  aus  Anlaß  der  jManöver  wie  in  allen  Orten,  wO' 
Truppen  bequartiert  waren  oder  durchmarschierten,  auch  in 
T.  eine  Menge  von  Leuten  aus  der  Umgebung  zusammen¬ 
strömte,  ist  es  möglich,  daß  ein  Typhusrekonvaleszent  oder 
Bazillenträger  —  vielleicht  aus  dem  früher  erwähnten,  nur 
einige  Kilometer  entfernten  Orte  K.  —  darunter  war,  der 
hinter  dem  Brunnen  seine  Notdurft  verrichtete,  wobei  der 
bazillenhältige  Harn  in  das  Wasser  gelangen  konnte.  Es 
wäre  da  besonders  an  Kinder  zu  denken,  welche,  die  Rück¬ 
sichten  Erwachsener  auf  die  Oertlichkeit  ohnehin  nicht  be¬ 
achtend,  hinter  dem  Brunnenhänschen  auch  ein  willkom¬ 
menes  Versteck  fanden. 

Wenn  es  sich  hier  auch  nur  um  einen  Wahrschein- 
lichkeitsheweis  handelt,  so  sprechen  doch  zahlreiche  posi¬ 
tive  ^Momente  zugunsten  der  Annahme,  daß  die  Infektion 
auf  die  geschilderte  Art  zustande  gekommen  ist.  Nun  ist 
noch  ein  negatives  IMoment  von  großem  Gewicht  anzuführen. 
Die  Truppen  des  gegnerischen  1.  (Krakauer)  Korps  hatten 
schon  im  August  im  Bereiche  der  späteren  Marschlinien 
einzelner  Divisionen  des  2.  Korps  Uebungen  abgehalten; 
während  der  ^Manöver  selbst  bezogen  dieselben  bei  der 
wechselnden  (Jefechtslage  der  einzelnen  Tage  vielfach  die 


gleichen  Kantoiiierungen  und  rasteten  auf  denselben  Plätzen, 
wie  an  anderen  Tagen  die  des  2.  Korps  —  in  die  Gegend 
von  T.  war  Jedoch  keine  Truppe  des  1.  Korps  gekommen. 
Nun  ist  im  ganzen  1.  Korps  innerhall)  der  möglichen  In- 
kuhationsdauer  nur  ein  einziger  Fall  von  Typhus  abdo¬ 
minalis  vorgekommen,  was  gewiß  nicht  der  Fall  gewesen 
wäre,  wenn  auch  andere  Infektionsherde  im  Manövergebiet 
oder  im  Bereiche  der  Anmarschlinien  die  Erkrankungen  im 
2.  Korps  verursacht  hätten. 

Die  bakteriologische  und  chemische  Untersuchung  des 
Wassers  wurde  erst  anfangs  Oktober  vorgenommen.  Das 
negative  Ergebnis  derselben  schließt  nach  so  langer  Zeit 
eine  früher  stattgefundene  Verunreinigung  keineswegs  aus; 
die  mikroskopische  Untersuchung,  welche  vielleicht  noch 
Anhaltspunkte  dafür  hätte  liefern  können,  wurde  nicht 
durchgeführt. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir  Herrn  k.  u.  k.  Ober¬ 
stabsarzt  ].  Kl.  Dr.  PT’anz  Jäggle,  Sanitätschef  des H. Korps, 
für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und  Zuweisung  des 
Materiales,  sowie  Herrn  k.  k.  Bezirksarzt  Dr.  Johann 
Pustöwka  in  Teschen  für  die  Ueberlassung  der  amtlichen 
Daten  den  ergebensten  Dank  auszusprechen. 


Aus  der  II.  medizinischen  Universitätsklinik  in  Wien 
(Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  E.  v.  Neusser). 

Ueber  die  T ryptophanreaktion  besonders  im  Stuhl 
und  in  Bakterienkulturen. 

Von  Dr.  Guiscardo  Gerinonig-,  Aspiranten  der  Klinik. 

Das  Tryptophan,  auch  Proteinochromogen  oder  Pro¬ 
teinochrom  genannt,  ein  Spaltungsprodukt  des  Eiweißes, 
das  sowohl  bei  der  Pankreasverdauung,  als  auch  bei  der 
Eiweißfäulnis  entsteht,  ist  schon  seit  längerer  Zeit  bekannt, 
wie  aus  den  zahlreichen  Arbeiten  von  Gmelin,  Nencki, 
N  e  u  m  e  i  s  t  e  r,  S  t  a  d  e  1  m  a  n  n  und  anderen  Autoren  ersicht¬ 
lich  ist.  Von  Cole  und  Hopkins  wurde  das  Tryptophan  mit 
der  Skatolaniidoessigsäure  identifiziert  und  ihm  folgende 
Formel  gegeben : 

C— CH3 

C,H^<^^G .  GH  .  NH, .  GOOH 
NH 

Es  scheint  aber,  daß  diese  Formel  nicht  richtig  ist 
und  in  neuerer  Zeit  wurde  folgende  angenommen: 

CH, -NH, 

I 

G-GH.COOH 

NE 

Die  Tryptophanreaktion  beruht  bekanntlich  auf  dem 
Auftreten  einer  rosa-  bis  rotvioletten  Farbe  nach  Zusatz  von 
frisch  bereitetem  Chlorwasser  oder  Bromwasser. 

Obwohl  über  die  Tryptophanreaktion,  wie  gesagt,  von 
mehreren  Autoren  chemische  Untersuchungen  gemacht 
wurden,  haben  erst  im  Jahre  1903  Erdmann  und  Winter¬ 
nitz  die  erste  Arbeit  über  die  praktische  Anwendung  der 
Tryptophanreaktion  veröffentlicht.^) 

Die  genannten  Autoren  fanden  im  Mageninhalt  von 
Patienten  mit  Magenkarzinom,  besonders  beim  Sitze  des¬ 
selben  am  Pylorus,  mehrmals  die  Tryptophanreaklion ;  diese 
wurde  aber  auch  bei  gutartiger  Pylorusstenose  mit  hoch¬ 
gradiger  Stauung  gefunden ;  im  normalen  Magensaft  war 
die  Reaktion  immer  negativ. 

Gläßner^)  fand  ebenfalls  bei  Gesunden  keine  Re¬ 
aktion  im  JMagensaft,  wohl  aber  einmal  bei  Karzinom  und 


9  J.  Ph.  St  aal,  Zeitschr.  für  physiol.  Chemie  1905.  XLVI,  Heft  3. 
9  München,  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  23.  Ueber  das  Proteinochrom, 
eine  klinisch  und  bakteriologisch  bisher  nicht  verwertete  Farbenreaktion. 
9  Berliner  kliii.  Wochenschr.  1903,  Nr.  26. 


Nr.  10 


285 


WIENER  KLINISCHE  _  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


zweimal  bei  Ulkus.  JJerseJbe  i\utor  ratid  eine  posilive  Trypto- 
pliaiireaktioii  im  iMageiisalt  eines  normalen  Individuums,  zu 
welchem  ein  Stück  Krebsgewebes  Jiinzugefügt  wurde  und 
zwar  nachdem  der  Magensai't  einige  SUinden  bei  Brutteni- 
peratur  gestanden  war,  dagegen  trat  die  Reaktion  niemals 
ein,  wenn  zum  Vergleich  normale  Magendarmschleimhaui 
oder  Lebergewebe  mit  normalem  Magensalt  digeriert,  wurde. 

Volhard,“^)  der  Magensäfte  mit  Pepton  digerieren  ließ, 
fand  die  Tryptophanreaktion  bei  normalem  Magensaft, 
ebenso  bei  gutartigen  Achylien  und  bei  Magenkarzinom, 
bei  welchem  die  Reaktion  inan chniaf  stark  ausfie!,  manchmal 
aber  auch  fehlte.  Nach  demselben  Autor  rufen  auch  Milz  und 
Milzextrakt,  sogar  ein  Stück  Tonsille  mit  Pepton  in  salz¬ 
saurer  Lösung  die  Reaktion  hervor. 

Sigel,^)  der  bei  15  Magenkarzinoinfällen  nur  zweimal 
und  unter  20  UTkusfällen  nur  einmal  eine  positive  Trypto- 
phanreaktion  fand,  sagt:  „Es  ergibt  sich  daraus,  daß  der 
Tryptophanreaktion  eine  charakteristische  Bedeutung  nicht 
zuzusclireiben  ist.“ 

Ich  schließe  mich  vollkommen  der  Meinung  Sigels 
an,  indem  ich  in  den  Magensäften,  die  ich  zu  untersuchen 
Gelegenheit  hatte,  nur  einmal  das  Glück  hatte,  eine  ange- 
deutete  Reaktion  bei  einem  Magenkarzinom  zu  finden,  bei 
anderen  sicheren  Karzinomfällen  und  bei  anderen  Erkran¬ 
kungen  war  die  Reaktion  vollkommen  negativ. 

Die  Behauptung,  daß  die  Tryptophafireaktion  ein  wert¬ 
volles  diagnostisches  Mittel  zur  Erkennung  des  Magenkarzi¬ 
noms  sei,  ist,  wie  man  sieht,  leider  nicht  mehr  haltbar. 

Von  Erdmann  und  VVinternitz  wurde  die  Trypto- 
idianreaktion  auch  iji  diarrhoischen  Stühlen  bei  Tuberkulose, 
Typhus  und  Dünndarmkatarrh  gefunden,  im  normalen  Stuhl 
wurde  das  Tryptophair  immer  vermißt.^) 

Im  Speichel  fiel  mir  die  Reaktion  immer  negativ  aus. 

Das  Tryptophan  wurde  auch  als  Produkt  verschiedener 
Bakterien  gefunden.  E  r  d  m  a n  n  und  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  wiesen 
die  Reaktion  in  zahlreichen  Bakterienkuituren  nach,  wie 
bei  Cholera  asiatica,  Typhus,  Paratyphus  (Straß bürg  und 
Schottmüller),  Diphtherie,  Staphylococcus  pyogenes 
aureus,  Streptococcus  pyogenes,  Bacillus  pyocyaneus, 
Bacillus  prodigiosus,  Heubazillus  und  anderen  Bakterien. 
Die  Reaktion  fehlte  dagegen  bei :  Bacterium  coli,  Bacillus 
pneumoniae  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r,  Bacillu s  acidi  lactici  e  tc. ; 
die  Reaktion  wurde  als  negativ  betrachtet,  wenn  sie  inner¬ 
halb  zwölf  Tagen  nicht  aufgetreten  war.  Die  genannten 
Autoren  geben  an,  daß  die  Tryptophanreaktion  ein  sehr 
zuverlässiges  und  praktisch  leicht  durchführbares,  differen¬ 
zialdiagnostisches  Mittel  sei,  um  Typhusbazillen  vom  Bacte¬ 
rium  coli  zu  unterscheiden,  indem  die  ersteren  eine  schöne 
Reaktion  schon  am  zweiten  Tage  geben,  während  bei  letz¬ 
teren  das  Tryptophan  erst  nach  15  Tagen  in  Spuren  nach¬ 
weisbar  ist.  Soweit  ich  weiß,  wurde  die  Arbeit  von  Erd¬ 
mann  und  Winternitz  nicht  nachgeprüft,  so  daß  ich 
mich  entschloß,  die  Untersuchungen  zu  wiederholen. 

Mich  interessierte  hauptsächlich  die  Tryptophanreak¬ 
tion  in  Kulturen  von  Typhus  und  Bacterium  coli,  nur  bei 
diesen  ist  die  Reaktion  praktisch  wichtig,  während  sie  bei 
den  andere.!!  Kulturen  nur  theoretisches  Interesse  hat. 

Meine  Versuche  wurden  an  zahlreichen  und  verschie¬ 
denen  Stämmen  beider  Bakterienarien  angestellt.  Als  Nähr¬ 
boden  bediente  ich  mich  sowohl  der  einfachen  Bouillon 
als  auch  der  Bouillon,  die  5*^/0  Pepton  enthält.  Ich  kam 
zu  folgenden  Resultaten:  Bei  Typhusbazillen  in  Nähr¬ 
bouillon  mit  50/0  Pepton  bekam  ich  schon  nach  24  Stunden 
eine  sehr  schöne,  intensive  Tryptophanreaktion,  während 
beim  Bacterium  coli  dieselbe  nach  derselben  Zeit  absolut 
negativ  ausfiel ;  auch  in  den  nächsten  Tagen  wurde  sie 
vermißt  und  erst  nach  zwei  Wochen  fand  ich  eine  ange¬ 
deutete  Reaktion  und  nach  einem  Monat  endlich  wurde 
das  Tryptophan  deutlich  nachgewiesen. 

Es  ist  nicht  ratsam,  die  einfache  Bouillon  zu  gebrau¬ 
chen,  weil  mit  dieser  die  Reaktion  bei  Typhuskulturen  wohl 

*)  München,  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  49. 

Berliner  klin.  Wochenschr.  1904,  Nr.  12. 


schon  nach  24  "Stunden  positiv  und  lieini  Bacterium  coli 
immer  negativ,  aber  stets  schwacli  und  nicht  so  schön 
wie  bei  Bouillon  mit  Peploii  ausfiel. 

Die  Behauptung  von  Erdmann  und  Winternitz, 
(laß  die  Tryptophanreaktion  ein  differeiizialdiagiiostisches 
Mittel  zur  Unterscheidung  der  Typhusbazillen  vom  Bac¬ 
terium  coli  sei,  scheint  somit  bestätigt  zu  sein. 

Ich  möchte  noch  raten,  bevmr  das  Chlorwasser  zur 
Kultur  hinzugegeben  Avird,  diese  mit  etwas  fissigsäure  zu 
versetzen;  in  saurer  Lösung  tritt  die  charakteristische  Fär- 
Ining  deutlicher  hervor. 

Endlich  wurde  die  Tryptophanreaktion  von  mir  auch 
im  Stuhle  geprüft  und  darauf  möchte  ich  etwas  ausführ¬ 
licher  eingehen,  weil  darüber  noch  keine  Arbeit  bis  jetzt 
erschienen  ist,  wenn  man  von  den  wenigen  Zeilen  absieht, 
die  darüber  von  Erdmann  und  Winternitz  geschrie- 
Ijen  wurden,  wie  ich  schon  früher  erwähnt  habe. 

Die  TTyptophanreaktion  im  Stuhle  wurde  von  mir  in 
folgender  Weise  angestellt:  Eine  kleine  Portion  Stuhl  wurde 
mit  einem  bestimmten  Quantum  Wasser  innig  gemischt  (es 
wurde  immer  ein  Teil  Fäzes  auf  fünf  Teile  Wasser  ge¬ 
nommen;  es  ist  besser,  eine  dünnere  Lösung  für  die  Fil¬ 
trierung  zu  nehmen),  das  Filtrat  mit  einigen  Tropfen  Essig¬ 
säure  versetzt  (ohne  Essigsäure  ist  die  Reaktion  nicht  so 
schön)  und  dann  wurde  tropfenweise  Chlorwasser  bis  zum 
Eintreten  der  Reaktion  hinzugesetzt. 

Ich  füllte  zwei  Eprouvelten  mit  gleichen  Teilen  vom 
Filtrat  und  stellte  die  Reaktion  nur  in  einer  Ejn'orivette 
an,  um  beim  Vergleichen  eine  Veränderung  der  Farbe,  wenn 
auch  gering,  sofort  zu  erkennen.  Nach  dem  Eintreten  der 
Reaktion  fügte  ich  tropfenweise  das  Chlorwasser  noch  so¬ 
lange  hinzu,  bis  die  Intensität  der  Farbe  nicht  mehr  zunahm. 

Man  muß  darauf  achten,  nicht  zu  viel  Chlorwasser 
hinzuzufügen,  weil  beim  Ueberschuß  desselben  die  rosa¬ 
rote  Farbe  verschwindet,  um  einem  weißlichen  Nieder¬ 
schlag  Platz  zu  machen.  Da  aber  das  FilRat  der  Fäzes 
immer  eine  ziemlich  starke  Eigenfarbe  besitzt  und  so  die 
Farbe  des  Tryptophans  teilweise  gedeckt  wird,  so  extra¬ 
hierte  ich  das  Tryptophan  mit  etwas  Chloroform,  das  den 
Tryptophankörper  aufnimmt  und  beim  Absetzen  sich  rosa 
färbt. 

Eine  Extraktion  mit  Alkohol  oder  Aether  ist  nicht 
ratsam,  teils  wegen  der  starken  Eigenfarbe  der  Extrakte,  die 
die  des  Tryptophans  zum  größten  Teil  deckt,  teils  wegen 
der  mangelhaften  Aufnahme  des  Tryptophans  durch  die 
obengenannten  Körper. 

.Je  nach  der  Intensität  der  vom  Chloroform  aufge- 
nommenen  Farbe  kann  man  eine  starke,  kirschrote,  eine 
schwache,  rosagefärbte  und  eine  angedeutete  Tryptophan¬ 
reaktion  unterscheiden;  die  letzte  hat  nur  einen  Stich  in 
das  Rosa. 

Von  mir  wurden  folgende  Fälle  untersucht  (s.  Täb.C 

Wie  aus  der  nachfolgenden  Tabelle  ersichtlich  'ist,  fand 
ich  bei  den  meisten  Stühlen,  die  von  den  verschiedensten 
Krankheiten  stammten,  eine  schwach  positive  oder  nur  an¬ 
gedeutete  Tryptophanreaktion;  nur  bei  zwei  Stühlen,  die 
acholisch  waren,  fiel  die  Reaktion  negativ  aus  und  fünf¬ 
mal  w^ar  sie  stark  positiv.  Die  Konsistenz  des  Stuhles  hatte 
keinen  wesentlichen  Einfluß  auf  den  Ausfall  der  Reaktion. 

Von  den  fünf  Stühlen,  bei  welchen  die  Reaktion  sehr 
intensiv  war,  stannnten  vier  von  Typhuspatienten,  die  sich 
auf  der  Höhe  der  Erkrankung  befanden. 

Bei  zwei  von  diesen  Fällen  hatte  ich  Gelegenheit, 
die  Fäzes  auch  in  der  Rekonvaleszenz  zu  untersuchen, 
wobei  die  Reaktion  schwach  gefunden  wurde.  •  , 

Ein  Typhusfall  im  Anfangsstadium  der  Krankheit  bot 
nur  eine  schwache  positive  Tryptophanreaklion,  die  später 
sehr  intensiv  wurde.  Zwei  andere  Typhusfälle,  die  leider 
auf  der  Höhe  der  Krankheit  nicht  untersucht  wurden,  hatten 
in  der  Rekonvaleszenz  nur  eine  schwache  Reaktion  und 
einer  von  diesen  bot  eine  immer  schwächere  Reaktion  mit 
der  Besserung  seines  Zustandes.  Der  fünfte  Fall,  bei  wel¬ 
chem  die  Tryptophanreaktion  stark  ausfiel,  war  ein  Abszeß 


Nr.  10 


286  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


) 

Zahl 

der  Fälle  ! 

1 

stark  i 
positive  j 
Reaktion 

1 

schwach 
pos.od.  an¬ 
gedeutete 
Reaktion 

negative 

Reaktion 

t 

Abdominaltyphus  auf  der 
Höhe  der  Erkrankung  . 

4 

4 

• 

' 

_ 

Abdominaltyphus  nach  Ab¬ 
lauf  des  Fiebers  .  .  . 

2 

_ 

2 

Lungentuberkulose  .  .  . 

6 

— 

6 

— 

Pneumonia  caseosa  .  .  . 

2 

— 

2 

— 

Tuberculosis  serosarum  . 

2 

— 

2 

— 

Tuberkulose  der  Lungen 
und  des  Darmes  .  .  . 

5 

• _ _ 

5 

Pulmonalstenose  mit  Lun¬ 
gentuberkulose  .... 

1 

— 

1 

Ulcus  ventriculi  .... 

5 

— 

5 

■ - 

Magenkarzinom  .... 

6 

— 

6 

— 

Achylia  gastrica  .... 

1 

— 

1 

— 

Appendicitis  acuta  .  .  . 

2 

— 

2 

— 

Appendicitis  chronica  .  . 

1 

— 

1 

— 

Abszeß  der  Ileocökalgend 

1 

1 

— 

— 

Chronischer  Dickdarm¬ 
katarrh  . 

2 

_ 

2 

_  j 

Karzinom  der  Flexura 
sigmoidea . 

2 

— 

2 

Habituelle  Obstipation  .  . 

1 

— 

1 

— 

Darmneurose . 

1 

— 

1 

Neubildung  des  Bauchfelles 

1 

— 

1 

Icterus  catarrhalis  .  .  . 

2 

— 

1 

1 

Biliäre  Zirrhose  .... 

1 

— 

1 

— 

Cholelithiasis . 

7 

— 

6 

1 

Lues  hepatis . 

1 

— 

1 

Nephritis  chronica  .  .  . 

4 

— 

4 

Angeborene  Zystenniere  . 

1 

— 

1 

— 

Nierentumor . 

1 

— 

1 

~  i'HA 

Pyelitis . 

2 

— 

2 

Perniziöse  Anämie  .  .  . 

1 

— 

1 

— 

Akut.Gelenksrheumatismus 

1 

— 

1 

— 

Arthritis  deformans  .  .  . 

1 

— 

1 

— 

Osteomalazie . 

2 

— 

2 

— 

Bleiintoxikation  .... 

1 

— 

1 

— 

Morbus  Basedowii  .  .  . 

1 

— 

1 

Syringomyelie . 

1 

— 

1 

— 

Gehirnblutung . 

1 

— 

1 

- 

Summe 

73 

5 

66 

2 

ill  der  lleocökalgegend ;  die  Patientin  wurde  operiert,  aber 
trotzdem  konnte  man  den  Ausgangspunkt  des  Abszesses 
nicht  eruieren. 

Wie  kann  man  sich  das  Auftreten  von  einer  starken 
Tryptophanreaktion  in  Stühlen  von  Typhösen  erklären? 

Wie  ich  früher  erörtert  habe,  spielen  die  Bakterien 
bei  der  Bildung  des  Tryptophans  eine  große  Rolle. 

Es  liegt  der  Gedanke  nahe,  daß  die  Typhusbazillen, 
die  in  Kulturen  eine  sehr  intensive  und  prompte  Trypto¬ 
phanreaktion  geben,  auch  in  den  Stühlen  aus  dem  Eiweiß 
das  Tryptophan  bilden  können.  Daß  in  anderen  Stühlen 
die  Reaktion  nur  schwach  ausgefallen  ist,  dürfte  davon 
abhängig  sein,  daß  die  Bakterienflora  meistens  aus  Bac¬ 
terium  coli  oder  anderen  Gattungen  besteht,  die  auch  in 
Kulturen  das  Tryptophan  entweder  in  geringer  Menge  oder 
sehr  spät  zu  bilden  imstande  sind. 

Es  wäre  noch  der  Grund  zu  erldären,  warum  beim 
Falle  von  Abszeß  der  lleocökalgegend  die  Tryptophanreak¬ 
tion  so  stark  gefunden  wurde.  In  diesem  Falle  bestand 
eine  sehr  starke  Obstipation,  die  mehrere  Tage  dauerte, 
der  Stuhl  erfolgte  auf  Glyzerinklysma;  so  ist  es  vielleicht 
möglich,  daß  das  Tryptophan  nach  längerer  Einwirkung 
vom  Bacterium  coli  oder  von  Kokken,  die  ziemlich  ver¬ 
mehrt  gefunden  wurden,  gehildet  wurde. 

Die  Fälle  sind  leider  nicht  so  zahlreich,  daß  man 
daraus  absolute  Schlüsse-  ziehen  kömite ;  es  ist  aber  immer¬ 
hin  auffallend,  daß  von  73  Stühlen  fast  nur  die  Typhus¬ 
stühle  auf  der  Höhe  der  Erkrankung  eine  starke  Tryptophan- 


reaklion  zeigten.  Ich  hoffe,  daß  weitere  Untersuchungen 
von  Typhuställen  dies  bestätigen  werden  und  daß  dieTYypto- 
phanreaktion  einen  kleinen  Fortschritt  in  der  Diagnose  des 
Typhus  bringen  wird. 

Es  scheint  also  jedenfalls,  daß  der  starke  Ausfall  der 
Tryptophanreaktion  zur  Diagnose  des  Typhus  beitragen 
kann.  Da  wir  jedoch  gesehen  haben,  daß  die  Tryptophan¬ 
reaktion  auch  bei  anderen  Erkrankungen  Vorkommen  kann, 
so  wird  man  mindestens  aus  dem  negativen  oder  schwachen 
Ausfall  der  Beaktion  einen  Typhus  ausschließen  können. 


Färbung  der  Zellen  des  Liquor  cerebrospinalis 
mit  und  ohne  Zusatz  von  Eiweiß. 

Von  Dr.  M,  Pappeulieim,  Assistenten  der  deutschen  psychiatrischen  Klinik 

(Prof.  A.  Pick)  in  Prag. 

Daß  sich  die  Zellen  des  Liquor  in  ihrem  färberischen 
Verhalten  von  den  entsprechenden  Zellen  im  Blute  unter¬ 
scheiden,  ist  wohl  jedermami  aufgefallen,  der  sich  mit  Unter¬ 
suchungen  der  Zerebrospinalflüssigkeit  beschäftigt  hat. 
Plasma,  ebenso  wie  die  Kerne  nehmen  Farbstoffe  viel  inten¬ 
siver  auf,  so  daß  man  bei  Anwendung  von  Färbemethoden 
für  das  Blut  genötigt  ist,  die  Farblösungen  zu  verdünnen 
oder  die  Färbezeit  abzukürzen. 

So  hat  sich  -mir  für  die  Hämatoxylin-Eosinfärbung 
folgendes  Vorgehen  am  praktischsten  erwiesen:  Nach 
Formolzusatz  vor  dem  Zentiifugieren  (0.  Fischer^)  werden 
die  dünn  verstrichenen  und  lufttrockenen  Präparate  mit 
Methylalkohol  durch  einige  Minuten  fixiert.  (Dieses  Fixie- 
rungsmittel,  auf  welches,  glaube  ich,  Türk“)  aufmerksam 
gemacht  hat,  hat  sich  mir  bei  allen  Färbungen,  mit  Aus¬ 
nahme  der  Triazidfärbung,  als  sehr  bequem  und  gut  er¬ 
wiesen.)  Danach  Färben  durch  drei  bis  vier  Minuten  mit 
einer  V4%igen  alkoholischen  Lösung  von  Eosin  rein,  fran¬ 
zösisch,  gut  abtrocknen  und  Färben  durch  drei  bis  vier 
Minuten  mit  einer  etwa  zur  Hälfte  verdünnten  Delafield- 
schen  Hämatoxylinlösung. 

Diese  Affinität  zu  Farbstoffen  ändert  sich  aber  im 
Liquor  für  verschiedene  Farben  in  verschiedener  Weise,  so 
daß  man  bei  Farbmischungen  das  Verhältnis  der  einzelnen 
Farben  gegenüber  den  für  Blutfärbungen  üblichen  variieren 
muß.  So  muß  man  bei  Anwendung  der  von  A.  Pappen- 
heim^)  angegebenen  Methylgrün -Pyroninmethode  das 
übliche  Verhältnis  von  2:1  zugunsten  des  Pyronin  in  3:2 
(in  diesem  Verhältnisse  mischte  ich  004o/oi,ge  Lösungen 
der  beiden  Farbstoffe  und  färbte  drei  bis  fünf  Minuten) 
ändern,  um  entsprechende  Resultate  zu  erzielen. 

Möglich  wäre  es,  daß  es  durch  derartige  Variationen 
auch  gelänge,  Liquorpräparate  der  Triazidfärbung  zugäng¬ 
lich  zu  machen.  Jedenfalls  aber  ist  mit  der  ursprünglichen 
Ehrlich  sehen  Lösung  eine  Darstellung  der  neutrophilen 
Granula  der  Liquorleukozyten  unmöglich,  eine  Tatsache,  die 
ich  immer  sehr  unangenehm  empfunden  habe. 

leb  habe  mich  daher  bemüht,^)  der  Ursache  dieser 
Aenderung  im  färberischen  Verhalten  nachzugehen,  und 
kam  zu  folgenden  Resultaten:  Setzte  ich  dem  Liquor 
vor  dem  Trocknen  etwas  Ochsenserum  oder  eine  Spur 
einer  Hühnereiweißlösung  zu,  so  bekam  ich  nach 
Fixierung  durch  Hitze  charakteristische  Triazid- 
körnelung  der  Leukozyten  und  auch  bei  allen  anderen 
Färbungen  ganz  ähnliche  Resultate,  wie  an  Blutpräparaten. 
Anderseits  fand  ich,  daß  in  mit  Hayemscher  Flüssig¬ 
keit  stark  verdünntem  Blute,  in  dem  also  das  Plasma 
größtenteils  entfernt  war,  sich  die  Zellen  ähnlich 
färbten  wie  im  Liquor,  während  sich  nach  Zusatz  von 
Hühnereiweiß  das  verdünnte  Blut  ganz  ähnlich  dem  unver¬ 
dünnten  verhielt. 

b  Jahrb.  für  Psych,  und  Neurol.,  Bd.  27. 

Vorlesungen  über  klin.  Hämatologie. 

b  Virchows  Archiv,  Bd.  166. 

b  lieber  diese  Versuche,  sowie  über  die  Ergebnisse  meiner  Zell- 
studien  auf  Grund  der  erörterten  Methoden  werde  ich  an  anderem 
Orte  berichten. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


287 


Es  ist  also  die  geänderte  Färbbarkeit  der 
Zellen  des  Liquor  bedingt  durch  einen  relativen 
Mangel  von  Substanzen,  die  dem  Blutplasma,  dem 
üchsenseram,  der  Hühnereiweißlösung  (und  auch  dem  Eiter, 
da  die  Zellen  desselben  Triazidfärbung  geben)  gemeinsam, 
wahrscheinlich  wohl  irgendwelche  Eiweißkörper 
sind,  und  man  kann,  was  für  das  Studium  der  Liquor¬ 
zellen  von  Bedeutung  ist,  durch  Zusatz  von  Hühner- 
eiweißlösung  die  Färbbarkeit  der  Zellen  viel 
günstiger  gestalten. 

Auch  theoretisch  erscheint  diese  Tatsache  von  In¬ 
teresse  im  Sinne  der  von  Alfred  Fischer^)  gemachten 
Versuche,  durch  Zusatz  verschiedener  Stoffe  das  Färbe¬ 
vermögen  von  Eiweißkörpern  umzustimmen. 

Es  müßte  auch  versucht  werden,  ob  dieser  Einfluß 
von  Eiweiß  auf  die  Färbung  von  Blutzellen  nicht  auch  in 
Schnittpräparaten  —  für  das  Studium  der  Entzündung  wäre 
das  sehr  wichtig  —  verwertet  werden  könnte. 

Zum  Schluß  einige  Worte  über  die  Zellzählung  im 
Liquor.  Rosenthal®)  hat  bereits  1904  auf  die  Mängel 
der  französischen  Zentrifugiermethode  aufmerksam  gemacht 
und  eine  sehr  verwendbare  Methode  zur  Zählung  in  der 
Zählkammer  angegeben.  (Ich  würde  statt  Methylviolett  Gen- 
tianaviolett  empfehlen,  etwa  in  einer  Lösung  von:  Gentiana- 
violett  0-01,  Aqu.  dest.  10,  Ac.  acet.  glac.  l).  Nur  möchte 
ich  es  nicht  unterlassen,  auf  eine  gemeinsame  Fehlerquelle 
aller  Methoden  aufmerksam  zu  machen.  Ich  habe  nämlich 
wiederholt,  auch  in  nicht  sehr  zellreichen  Zerebrospinal¬ 
flüssigkeiten,  Gerinnsel  gefunden,  die  manchmal  größere 
Mengen  von  Zellen  enthielten,  ein  Umstand,  der  natürlich 
eine  genaue  Zählung  unmöglich  macht. 

Es  wäre  daher  notwendig,  diese  Gerinnselbildung  zu 
verhindern.  Meine  eigenen  Versuche  in  dieser  Richtung 
haben  mich  allerdings  bis  nun  zu  keinem  befriedigenden 
Ergebnisse  geführt.  Man  kann  zwar  durch  Schütteln  mit 
Porzellankugeln  die  Gerinnung  verhindern,  doch  kann  dann 
durch  ein  ungleichmäßiges  Haftenbleiben  von  Flüssigkeit 
und  Zellen  das  Resultat  verfälscht  werden.  Auch  durch 
Zusatz  von  Natrium  oxalicum  konnte  ich  die  Gerinnsel¬ 
bildung  wenigstens  zum  größt en  Teile  verhüten,  doch  stör¬ 
ten  die  hiebei  auftretenden  Niederschläge  die  Uebersicht- 
lichkeit  des  Zählpräparates.  Jedenfalls  wären  weitere  Unter¬ 
suchungen  in  dieser  Richtung  erwünscht. 


t^eferate. 


Militärärztliche  Pnblikation  Nr.  83. 

Die  Infektionskrankheiten  rücksichtlich  ihrer  Ver¬ 
breitung,  Verhütung  und  Bekämpfung. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  Ludwig  Kamen. 

8®.  380  Seiten. 

Wien  19(i6,  Josef  Ö  a  f  ä  f. 

Der  Verf.  des  vorliegenden  Buches  ist  während  des  Erscheinens 
desselben  gestorhen.  Regimentsarzt  R.  Doerr  hat  nach  dem 
letzten  Willen  des  Verblichenen  das  Buch  vollendet.  Es  ist  ein 
kurzgefaßtes  Lehrbuch  der  Seuchenprophylaxe  und  Desinfektions¬ 
technik,  wie  es  für  den  im  praktischen  Leben  stehenden  Militär¬ 
arzt  und  Sanitätsbeamten  erforderlich  ist.  Ueberall  ist  die  neueste 
Literatur  berücksichtigt  und  der  jetzige  Stand  unseres  Wissens 
dargestellt.  Der  allgemeine  Teil  enthält  zahlreiche  instruktive  Ab¬ 
bildungen.  Das  Buch  wird  gewiß  einen  großen  Leserkreis  finden. 

♦ 

Das  Spiel  des  Zwerchfells  über  den  Pleurasinus  und 
seine  Verwertung  in  der  Praxis. 

Von  Dr.  Erich  Zabel,  Berlin. 

8“.  178  Seiten. 

Berlin  und  Wien  1906,  Urban  &  Schwarzenberg. 

Verf.  hat  an  der  Universitätspolikliniik  in  Rostock,  in  Lungen¬ 
heilstätten,  in  WTener  Ambulatorien  und  iim  hiesigen  Röntgen¬ 
institute  Freunds  Studien  über  das  sogenannte  Littensche 
Zwerchfellphänomen  angestellt  und  teilt  seine  Resultate  in  vor- 

Fixierung,  Färbung  und  Bau  des  Protoplasmas  (Jena  1899). 

*’’)  76.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Breslau. 


liegender  Monogjuphie  ausfübrlich  mit.  Bei  richtiger  Lagerung 
und  Beleuchtung  der  zu  untersuchenden  Person  ist  das  Schatten¬ 
spiel  in  den  Interkostalräumen  bei  Gesunden  deutlich  zu  sehen. 
Veränderungen  der  Ablaufs-,  der  Verlaufsrichtung,  hoher  oder 
tiefer  Stand  desselben,  Einschränkung  seiner  Exkursionsbreile, 
endlich  Fehlen  desselben,  haben  eine  große  Bedeutung  für  die 
Diagnose  der  Erkrankungen  der  Atmungsorgane  und  die  Differenlial- 
diagnose  derselben  von  denen  der  benachbarten  Bauchorgane 
(Pneumothorax  und  Zwercbfellshernie,  Hydronephrose  und  pbui- 
ritische  Exsudate  u.  a.).  Auch  für  die  Beurteilung  abgelaufener 
Erkrankungen  (Adhäsionen  der  Pleura),  die  Begutachtung 
Unfallverletzter,  die  Kontrolle  von  Atemübungen  bei  Phthisikern 
und  bei  Stotterern  erweist  sich  das  Studium  dieser  Erscheinung 
als  wertvoll.  Zahlreiche  Abbildungen  unterstützen  das  Verständ¬ 
nis  der  Darstellung. 

♦ 

Volkinaiiiis  Sammlung  klinischer  Vorträge,  Nr.  408. 

Ueber  Ursache  und  Bedeutung  der  Herzaffektion  Nieren¬ 
kranker. 

Von  H.  Päßler,  Dresden. 

Leipzig  1906,  Breitkopf  &  Härtel. 

Die  Herzhypertropbie  Nierenkranker  beruht  wahrscheinlich 
auf  gesteigerter  Erregbarkeit  des  gefäßverengernden  Apparates, 
die  zu  Arterienkra:mpf,  zur  Erhöhung  der  Widerstände  im  großen 
Kreislauf  und  damit  zu  Herzhypertropbie  führt.  Die  Polyurie  be¬ 
ruht  nicht  auf  erhöhtem  FiltralioUsdruck,  wir  müssen  vielmehr 
annehmen,  daß  der  erhöhte  Blutdruck  in  den  Nierenkapillaren 
nicht  mehr  zur  Geltung  kommt,  weil  er  schon  in  den  kleinen 
Arterien  zurUeherwindung  des  erhöhten  Widerstandes  aufgebraucht 
wird.  Die  therapeutischen  Maßregeln  haben  die  Herabsetzung  der 
Widerstände  (Nitroglyzerin,  Jod,  Bewegungstherapie)  und  die 
Kräftigung  des  Herzmuskels  zu  berücksichtigen.  Die  Flüssigkeits¬ 
beschränkung  empfiehlt  Verf.  nur  mit  großer  Vorsicht,  unter  Be¬ 
achtung  des  spezifischen  Gewichts  und  der  Gefrierpunktserniedri¬ 
gung,  durchzuführen. 

* 

Physikalische  Therapie  in  Einzeldarstellungen. 

Herausgegeben  von  J.  Marcuse  und  A.  Slrasser. 

Stuttgart  1906,  F.  E  n  k  e. 

Heft  1. 

Physiologische  Grundlage  der  Hydro-  und  Thermotherapie. 

Von  W.  Winternitz. 

Heft  2. 

Physiologie  und  Technik  der  Massage. 

Von  A.  Bnm. 

Heft  12. 

Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  der  Verdauuiigsorgaue 

Von  B.  Buxbanm. 

Heft  13. 

Physikalische  und  diätetische  Therapie  der  Gicht. 

Von  S.  Munter. 

Von  dem  auf  25  Lieferungen  berechneten  W'^erke  sind  die 
oben  verzeichneten  Hefte  erschienen.  Der  Altmeister  W'^inter- 
nitz  revidiert  kritisch  die  Grundlagen  der  Hydrotherapie  und 
rechnet  dabei  mit  der  Kritik  ab,  die  Math  es  an  seinem  Lehr¬ 
gebäude  geübt  hat.  Bum  schildert  mit  gewohnter  Meisterschaft 
der  sprachlichen  Darstellung  die  physiologischen  Grundlagen  und 
die  allgemeine  Technik  der  Massage.  Munter  gibt  eine  eingehende 
Darstellung  der  Chemie  der  Purinderivate,  erörtert  dann  an¬ 
schließend  die  Theorie  der  Gicht  und  bespricht  Ernährung,  Wärme¬ 
therapie  (wobei  er  namentlicih  Solbäder  empfiehlt),  Hydrotherapie, 
Mineralwässer  nsw.  mit  vielen  Zitaten  aus  den  Arbeiten  von 
Voit,  Pflüger,  Zuntz,  Rubner  und  anderer  Stoffwechsel¬ 
physiologen.  Eine  vorzügliche,  sehr  belehrende  Darstellung,  mit 
vielen  praktischen  Ratschlägen,  ist  die  von  Buxbanm;  besonders 
lesenswert  sind  die  Abschnitte  über  nervöse  Dyspepsie,  Obsti¬ 
pation  und  Diarrhoe.  IH-  S  t  e r n b  er g -  W  ien. 

* 

Ueber  ein  sehr  junges  menschliches  Ei  in  situ. 

Von  Leopold. 

IV.  Band  der  Arbeiten  aus  der  königlichen  Frauenklinik  in  Dresden. 

Leipzig  1906,  S.  Hirzel. 

Man  hätte  envarten  sollen,  daß  nach  der  Publikation  von 
Peters  über  die  Einbettung  des  menschlichen  Eies  bei  gestei- 


1 


i 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  10 


gerter  Aufmerksamkeit  sich  würden  Objekte  finden  lassen,  die 
geeignet  wären,  unsere  Kenntnis  von  der  Eieinbettung  und  Plazen¬ 
ta  lion  beim  Alenscben  zu  vervollständigen.  Diese  Erwartung  bat 
sieb,  trotzdem  nun  mebrere  Jahre  seitdem  verflossen  sind,  nicht 
erfüllt;  ein  Beweis,  wie  schwer  das  zu  solchen  Studien  not¬ 
wendige  Jlaterial  zu  beschaffen  ist. 

iMan  sab  daher  in  den  beteiligten  Kreisen  mit  Spannung  der 
Arbeit  Leopolds,  der  sein  junges  Eichen  schon  beim  Kongreß 
in  Kiel  demonstriert  hat,  entgegen. 

Die  uns  vorliegende  Aibeit  gibt  uns  durch  den  ausführ¬ 
lichen  Text  und  gute  bildliche  Darstellung  eine  klare  Vorstel¬ 
lung  von  dem  Objekte  und  bringt  entschieden  eine  Bereicherung 
unsere!'  Kenntnisse,  vor  allem  aber  eine  Festigung  unserer  An¬ 
sichten  auf  diesem  in  vielen  Punkten  noch  hypothetisciien  Gebiete. 
Das  Objekt  stammt,  wie  das  Peter  sehe,  von  einer  Selbstmör¬ 
derin,  die  durch  Phosphorvergiftung  zugrunde  gegangen  ist  und 
wenn  auch  nicht  auszuschließen  ist,  daß  die  Giftwirkung  auf 
das  Genitale  von  Einfluß  war,  so  scheinen  die  Gewebe  doch  so 
gut  erhalten  zu  sein,  daß  die  Veränderungen  das  wesentliche 
im  Bible  kaum  gestört  haben ;  zumindest  dürfte  dies  für  die 
Eikapsel  gelten.  Im  Falle  von  Peters  liegen  die  Verhältnissb 
insofern  etwas  günstiger,  als  es  sich  um  eine  Vergiftung  mit 
Cali  causticuni  handelte,  das  doch  mehr  lokale  Wirkung  aus- 
ül)t.  Das  Eichen  saß  makroskopisich  nicht  wahrnehmbar,  wie 
durch  Lupenbesichtigung  festgestellt  wurde,  unterhalb  der  Vlitte 
der  liinteren  Korpuswand  in  einer  Erhebung  dicht  oberhalb  einer 
tiefen  Furche  und  wurde  in  160  Schnitte  in  lückenloser  Beihen- 
folge  zerlegt.  Die  Durchmesser  betragen  14: 0-9: 0-8  mm.  Anamne¬ 
stische  Angaben  über  die  letzte  Menstruation  fehlen. 

Nachdem  der  Verfasser  in  einer  kurzen  Einleitung  im  wesent¬ 
lichen  die  erwähnten  Daten  mitgeteilt,  gibt  er  in  einer  übersicht¬ 
lichen,  ausführlichen  Tabelle  einen  Ueherblick  über  den  Aufbau 
des  Eichens  von  Schnitt  1  bis  160,  wobei  er  den  Schleimhaut¬ 
hügel,  in  dem  das  Ei  sich  befindet,  das  Verhalten  der  Blutgefäße 
und  Drüsen  und  die  Eianlage  kurz  skizziert,  mit  jedesmaligem 
Hinweis  auf  die  heigegehenen  Zeichnungen.  Es  folgen  dann  fünf 
Kapitel,  in  denen:  1.  die  Decidua  vera,  2.  die  Einbettung  des 
Eies,  3.  die  Eianlage  und  die  Eikammer,  4.  der  Trophoblast  und 
die  umgebenden  Bluträume  und  5.  das  Synzytium  besprochen 
werden.  Es  ist  nur  natüj'lich,  daß  Leopold  in  erster  Linie 
das  Peter  sehe  Objekt  zum  Vergleich  heranzieht  und  den  Ver¬ 
gleich  in  allen  Punkten  durchführt.  Es  stellt  sich  dabei  eine 
weitgehende  Aelmlichkcit  heraus. 

Dies  gilt  gleich  für  die  Dezidua,  die  schon  gebildet  ist, 
doch  fehlt  wie  hei  Peters  noch  die  Scheidung  in  Kompakta 
und  Spongiosa.  Die  Dezidua  umgibt  das  Eichen  allenthalben. 
Im  Gegensatz  zmn  Peters  sehen  Objekt,  das  an  der  Kuppe 
durch  den  sogenannten  Gewehspitz  geschlossen,  ist,  zieht  über 
die  Eikuppe  eine  schmale  Lage  von  Dezidua,  oberhalb  welcher 
sich  aber  auch  hier  eine  Fihrindecke  befindet.  Die  Entstehung 
der  Deziduazelle  aus  der  Bindegewebszelle  findet  durch  das  Ob¬ 
jekt  eine  neuerliche  Bestätigung.  In  der  Umgebung  der  Eikammer 
ist  die  Schleimhaut  ödematös  durchlränkt,  zeigt  zahlreiche  Hämor- 
rhagien,  die  Drüsen  sind  verdrängt  und  charakteristisch  ver¬ 
ändert,  die  Gefäße,  vorwdegend  die  Kapillaren,  mächtig  erweitert 
und  oft  zu  großen  konfluierenden  Bluträumen  vereinigt.  Gefäße 
und  Bluträunu'  stehen  auch  mit  der  Eikanmier  in  Verbindung, 
bo  daß  die  ganze  Peripherie  des  Eies  von  mütterlichem  Blut 
mnspült  wird.  Wählend  aber  im  Petersschen  Falle  der  Tropho¬ 
blast  der  Innenwand  dei'  Eikammer  ringsum  anliegt,  ist  dies 
hier  nur  teilweise  der  Fall,  so  daß  die  Eianlage  an  den  meisten 
Stellen  weit  entfernt  von  dei'  Innenwand  mir  durch  zarte  Tropho¬ 
blastfäden  mit  dieser  zusainmenhängt.  Aus  diesem  Befunde  und 
aus  dem  Fehlen  jeglicher  Emhryonalanlage  zieht  Leopold  den 
Schluß,  daß  sein  Objekt  um  einige  Stunden  jünger  sei  als  das 
Pcterssche.  Allerdings  macht  er  selbst  (hm  Einwand,  oh  diese 
Differenz  nicht  auf  {'iiiem  pathologischen  Bluteinbruch  zwischen 
Ektoldast  und  Mesodei'in  beruhe.  Dieser  Einwand  ist  nur  zu 
berechtigt.  Denn  wenn  man  auch  zugeben  kann,  daß  die  Eianlage, 
die  nach  Leopold  nach  dem  Eintritt  in  die  üterusschleimhaut 
in  einem  Bluterguß  liegt,  erst  hei  einer  bestiimmten  Größe  die 
Innenwand  erreicht,  so  erregt  das  Fehlen  einer  Enihryonalanlage 
einiges  Bedenken,  oh  das  Objekt  ganz  intakt  ist.  Selbst  in  einem 


so  jungen  Stadium,  wie  Leopold  es  annimnit,  müßte  dieselbe 
durch  einige  Zellen  markiert  sein,  zumal  hier,  wo  schon  eine 
Mesodermanlage  vorhanden  ist.  Die  Erfahrung  lehrt  uns,  daß 
die  Zellen,  welche  die  Embryonalanlage  zusammensetzen,  außer¬ 
ordentlich  vulnerabel  sind,  daß  sie  bei  Läsion  der  Eianlage  zuerst 
zugrunde  gehen  und  so  müssen  wir  auch  beim  Objekt  Leopolds 
annehmen,  daß  —  vielleicht  unter  dem  Einflüsse  der  Phosphor¬ 
vergiftung  —  die  Embryonalanlage  untergegangen  ist.  Es  wäre 
auch  die  weitgehende  Differenz  gegenüber  dem  Eichen  von 
Peters,  wo  die  Embryonalanlage  schon  so  weit  ausgehildet 
ist,  unerklärlich.  Ein  Schluß  auf  das  Alter  des  Eichens  ist  also 
sclion  aus  diesem  Grunde  nicht  möglich,  auch  kann  eine  Ent¬ 
scheidung,  ob  es  jünger  sei  als  das  Peter  sehe  nicht  ge¬ 
troffen  werden.  Die  Differenz  von  0-2  min  in  dem  einen  Durch¬ 
messer  kann  hier  auch  nicht  maßgebend  sein. 

Was  die  Einbettung  des  Eichens  anlangt,  so  liegt  dasselbe, 
wie  schon  erwähnt,  tief  in  der  Schleimhaut  gegen  die  Uterus¬ 
höhle  überdies  durch  eine  „Fihrindecke“,  wie  Leopold  statt 
,,Gewebspilz“  sagt,  eingeschlossen.  Dieser  Befund  bestätigt  neuer¬ 
dings  die  Lehre  von  der  suhepithelialen  Einbettung. 

Bemerkenswert  ist  ein  mit  Epithel  ausgekleideter  Trichter 
unterhalb  der  Mitte  der  Fihrindecke,  welchen  Leopold  als  Ein¬ 
trittsstelle  des  Eichens  betrachtet.  Derselbe  enthält  stellenweise 
rote  Blutkörperchen,  welche  sich  bis  zur  Fihrindecke  hinziehen, 
so  daß  es  naheliegt,  anzunelünen,  es  habe  die  Fibrindecke  von 
hier  ihren  Ursprung  genommen.  Diese  xVnnalune  Leopolds  hat 
viel  für  sich  und  erklärt  vielleicht  auch,  warum  das  Eichen, 
das  aus  dem  Grunde  der  epithelialen  Einsenkung  in  die  Schleim¬ 
haut  eingedrungen  sein  dürfte,  schon  in  diesem  Stadium  allseitig 
von  Dezidua  umschlossen  ist.  Den  eigentlichen  Verschluß  der 
Eikanimer  bildet  auch  hier  die  Fihrindecke,  doch  kommt  ihr  in 
diesem  Falle  eine  geringere  Bedeutung  zu,  weil  der  Verschluß 
durch  die  Implantation  in  einer  Furche  von  vornherein  in  größerem 
Umfange  durch  die  Dezidua  erreicht  wird.  Die  Eianlage  liegt  nach 
der  Eikuppo  mit  breitei'  Fläche  der  Innenwand  der  Kammer  an, 
das  Eichen  hat  sich  ,, gleichsam  wie  ein  Blutegel  mit  seinem 
Kopf  an  der  Innenseite  festgesaugt“.  Es  ist  allseitig  von  mächtigen 
in  den  Trophoblast  erfolgten  Blutergüssen  umgeben  und  stellt 
ein  durch  diese  zentralwärts  komprimiertes,  unregelmäßiges  Ge¬ 
bilde  dar,  welches  aus  einem  Ektoblastmantel  und  einer  xVlesoderm- 
schicht  besteht.  Der  Ektohlast  läßt  eine  doppelte  Zellenreihe 
erkennen,  eine  innere,  dem  Mesodenn  anliegende,  als  Langhans- 
sche  Zellschicht  'zu  bezeichnende  und  eine  äußere  Schicht,  die 
dem  Synzytium  entspricht.  Längere  Trophohlastfäden  ziehen  zur 
Eikammerwand  und  zwischen  diesen  findet  man  kurze  Knospen. 
Das  mesodermale  Gewebe  ist  in  diese  noch  nicht  eingedrungen,  so 
daß  noch  jede  Zottenhildung  fehlt.  In  der  Eianlage  sieht  man  außer 
einer  fein  geronnenen  JMasse  rote  Blutkörperchen,  ebenso  an 
einer  Stelle  zwischen  Meso-  und  Ektoderm.  Auf  das  Pathologische 
dieses  Befundes  wurde  schon  hingewiesen. 

Die  Zwischenräume  zwischen  den  Trophoblastfäden  sind, 
wie  erwähnt,  abnorm  stark  vlon  Blut  erfüllt  und  bilden  eia  Lakunen- 
system,  das  untereinander,  anderseits  aber  auch  mit  den  um¬ 
gehenden  mült(M'lichen  Bluträumen  in  Kommunikation  steht.  Wir 
sehen  in  dieser  Bildung  die  erste  Anlage  der  intervillösen  Räume. 
Bimierkenswert  ist,  daß  die  Lakimen  fast  allenthalben  mit  Syn- 
zytium  austapeziert  sind  und  daß  auch  die  erwähnten  kurzen 
Trophohlastknospen  mit  Synzytium  bekleidet  sind  zu  einer  Zeit, 
wo  sie  noch  lange  nicht  mit  mütterlichem  Gewebe  in  Berührung 
gekommen  sind.  Daraus  folgt  wohl  ohne  weiters  der  fötale  Ur¬ 
sprung  des  Synzytium,  ganz  abgesehen  davon,  daß  Leopold 
ebenso  wie  lUrters  ,,von  den  einfachen  kubischen  Zellen  der 
zentralen  Schiclil  des  Tropholdast  gegen  die  Oberfläche  rlesselben 
fortschreitend,  alle  Uehergänge  von  diesen  bis  zu  den  riesigen 
Synzytialgebilden  verfolgen  konnte“. 

Wenn  es  eines  Beweises  für  die  fötale  Genese  dos  Synzytium 
noch  bedarf,  so  ist  er  durch  dieses  Objekt  wieder  ('rbracht. 
Leopold  zeigt  auch,  ,,wie  die  Synzytiumzellen  die  Kammerwand¬ 
gefäße  anfressen,  auffasern  und  einschmelzen“  und  er  sieht  darin, 
wenn  ihm  auch  leider  aus  seinem  Objekte  keine  so  überzeugenden 
Bilder  zur  Verfügung  standen,  wie  solche  Peters  ahbildete  und 
neuerlich  wieder  in  Kiel  demonstrieren  ließ,  eine  weitere  Stütze 
für  die  Auffassung,  daß  diese  Gebilde  vom  Fötus  herstammen. 


Nr.  lü 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


28!) 


Somit  erfährt  auch  die  Annahme  vom  endothelialen  Ursprung 
des  Synzytiums  eine  Widerlegnng.  Ein  so  strikter  Beweis  für 
die  fötale  Synzytiogenese,  wie  ihn  Herrmann  und  Stolper 
durch  ihre  Untersuchungen  am  Meerschweinchen  erbracht  haben, 
wo  sie  die  Entstehung  der  ersten  Synzyllumknospe  aus  der 
Eianlage  zeigen  konnten,  wird  beim  Menschen  erst  erbracht  werden 
können,  wenn  ein  noch  jüngeres  Ei  gefunden  werden  wird,  als 
das  von  Peters  und  Leopold. 

Dies  in  Kürze  der  Inhalt  des  Leopoldschen  Buches.  Es 
kann  als  eine  glänzende  Bestätigung  der  von  Peters  begründeten 
Lehre  über  die  Einbettung  des  Eies  und  seiner  Verbindung  mit 
dem  Mutterboden,  über  die  Synzytiogenese  und  den  primären, 
intervillösen  Baum  gelten. 

Der  Verfasser  hat  sich  durch  die  Bearbeitung  seines  Ob¬ 
jektes  ein  großes  Verdienst  erworben  und  kann  des  Dankes  all’ 
derer,  die  dieses  Forschungsgebiet  betreten,  oder  schon  betreten 
haben,  sicher  sein.  Wie  er  in  mancher  Hinsicht  auf  Grund  seiner 
Befunde  seine  Ansichten  modifiziert  hat,  so  werden  nun  auch 
andere  Autoren  sicli  vielleicht  bekehren  lassen,  so  daß'  wir  einer 
Einigung  in  den  wesentlichen  Punkten  entgegensehen  können. 

Stolpe  r- Wien. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

116.  (Mitteilungen  aus  dem  Kantonspital  Baselland.)  Be¬ 
obachtungen  über  tuberkulöse  Peritonitis  an  der 
Hand  von  64  teils  operativ,  t  e  i  1  s  i  n  t  e  r  n  behandelten 
Fällen.  Von  Oberarzt  Dr.  Gelpke,  Liestal  (Baselland).  Nach 
einem  kurzen  Rückblick  über  Geschichte,  Klinik  und  patholo¬ 
gische  Anatomie  der  tuberkulösen  Peritonitis  befaßt  sich  Ver¬ 
fasser  in  eingehender  Weise  mit  der  von  König  1884  einge¬ 
führten  chirurgischen  Therapie,  deren  Berechtigung  und  Indikation. 
Für  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  das  Exsudat  ein  über¬ 
flüssiges  Gebilde  des  Zufalles  und  als  solches  immer  zu  ent¬ 
fernen  sei,  führt  Verf.  neben  den  eigenen  Erfahrungen  und  ex¬ 
perimentellen  Studien  sorgfältig  verwertete,  statistische  Zusam¬ 
menstellungen  aus  der  Literatur  an,  welche  ergeben,  daß  das 
Exsudat  bei  tuberkulöser  Peritonitis  nicht  ohne  weiteres  als 
schädlich  betrachtet  und  demgemäß  ä  tout  prix  chirurgisch  ent¬ 
fernt  werden  müsse.  Hiefür  spricht,  daßi  die  trockenen  Formen 
der  tuberkulösen  Peritonitis  einstimmig  von  allen  iVutoren  als 
prognostisch  schlecht  bezeichnet  werden,  daß  hingegen  die  Aus¬ 
sicht  auf  Dauerheilung  um  so  größer  ist,  je  mehr  Aszites 
vorhanden  ist;  dafür  spreche  auch  die  in  der  Regel  vorüber¬ 
gehende,  für  die  Heilung  nützliche  Neubildung  des  Exsudates 
nach  der  rechtzeitig  gemachten  Laparotomie  (Punktion).  Auch 
bei  kalten  Abszessen  u.  a.  treten  Dauerheilungen  meist  erst,  nach 
einer,  auf  gründliche  Entleerung  folgenden  vorübergehenden  Neu¬ 
bildung  des  Ergusses  ein;  der  Heilungsvorgang  wäre  so  zu  ver¬ 
stehen:  Das  Exsudat  ist  ursprünglich  ein  nützliches  und  enthält 
ein  Tuberkelantitoxin  (Antimdkrobine) ;  in  leichteren  Fällen  genügt 
dieses  Agens  ohne  Kunsthilfe  den  Prozeß  rückgängig  zu  machen 
(spontane  Heilung  der  leichteren  Fälle).  In  schwereren 
Fällen  reicht  das  erste  Exsudat  nicht  aus,  wird  'aber  auch  nicht 
resorbiert,  teils  wegen  Ueherschwemmung  der  Gewebe  mit  den 
im  Exsudat  enthaltenen  Stoffen  (Isotonie),  teils  weil  die  in  enl- 
zündlichem  Zustande  sich  befindlichen  Gefäße  nur  zur  Exsu¬ 
dation,  nicht  aber  zur  Resorption  neigen.  Nach  Ablassung  des 
verbrauchten  Exsudates  füllen  sich  die  Gefäße  und  es  bildet 
sich  ein  neues  wirksames  Exsudat,  das  den  Prozeß  bewältigt. 
Die  Laparotomie  wirkt  nur  indirekt  und  mechanisch  durch  Ent¬ 
fernung  einer  verbrauchten  Ausschwitzung,  welche  die  Entfallung 
der  natürlichen  Heilkräfte  des  Organismus  (Antimikrobine)  be¬ 
hinderte.  Es  erklärt  sich  dadurch  auch  leicht,  warum  hei  Tierver¬ 
suchen  die  Laparotomie  im  frischen  Stadium,  d.  h.  die  Entfernung 
des  frischen,  noch  aktiven  Exsudates  schädlich  wirkt  (diese  Hunde 
starben  früher  als  die  nichtoperierten)  und  warum  auch  beim 
Menschen  die  Frühoperation,  d.  i.  die  Entfernung  des  As¬ 
zites  in  den  ersten  (sechs  bis  sieben)  Wochen  schädlicn  zu 
wirken  scheint.  Als  Belege  hiefür  sprechen  die  in  der  Literatur 
niedergelegten  Resultate:  Nach  Lindner  sind  unter  seinen  Ge¬ 
heilten  91T°/o  Spätoperationen;  von  14  letal  verlaufenden  lallen 
sind  vier  ausgesprochene  Frühoperationen,  vier  sind  in  der  mitt¬ 


leren  Zeit  (von  zwei  bis  drei  IMonat)  operiert.  Unter  zehn  Heilungen 
der  Berner  Klinik  (Kocher)  ist  nur  eine  Frühoperation.  Unter 
acht  Todesfällen  der  Göttinger  Klinik  (Runge)  sind  sieben 
Frühoperationen.  Unter  zehn  Heilungen  der  Tübinger  Frauen¬ 
klinik  befindet  sich  eine  relative  Frühoperation;  hingegen  sind 
unter  15  Todesfällen  12  =  80%  Frühoperationen  (bis ‘und  mit 
dem  zweiten  Monat  seit  dem  Bestehen  des  Aszites);  in  der  Zu¬ 
sammenstellung  der  Göttinger  chirur giseben  Klinik  be¬ 
treffen  sämtliche  Todesfälle  und  Rezidive  Frühoperationen,  sämt¬ 
liche  Dauerheilungen  Spätoperationen.  Trotzdem  bestehen  unter 
den  Autoren  Meinungsverschiedenheiten,  ob  das  Exsudat  als  ein 
nützliches  oder  giftiges  Produkt  zu  behandeln  sei,  ebenso  ob  die 
chirurgische  oder  interne  Behandlung  am  Platze  sei.  Verf.  führt 
aus  der  Literatur  nach  zwölf  Autoren  33  bis  85%  Heilungen  bei 
chirurgischer  und  17  bis  41  To  Heilungen  bei  interner  Behandlung 
(nach  fünf  Autoren)  an.  Verf.  faßt  zum  Schlüsse  seine  Beob¬ 
achtungen  folgendermaßen  zusammen :  Das  Exsudat  bei  der  tuber¬ 
kulösen  Peritonitis  ist  nicht  ein  giftiges,  schädliches  Produkt, 
welches  der  Arzt  je  eher,  je  besser  entfernen  muß,  sondern  es 
ist  ein  nützliches  Mittel  des  Organismus  im  Dienste  der  Selbst¬ 
heilung;  daher  ist  die  sofortige  operative  Entfernung  jedes 
Exsudates  nicht  ohne  weiteres  angezeigt,  sondern  man  soll 
warten,  bis  dasselbe  seinen  Dienst  getan  und  nach  wochenlanger 
Beobachtung  stationär  geblieben  ist.  In  sehr  vielen  Fällen  ver¬ 
schwindet  das  Exsudat  spontan  ohne  chirurgisches  Zutun.  Bleibt 
das  Exsudat  aber  nach  einer  gewissen  Dauer  —  etwa  drei  bis 
vier  Monaten  —  stationär,  so  kann  man  annehmen,  daß  cs 
wirkungslos,  verbraucht  ist;  dann  soll  es  abgelassen  werden,  uni 
einem  neuen,  wirkungisvollen  Platz  zu  machen.  Betreffs  der  Technik 
hält  Verf.  die  Drainage  post  laparotionem  für  nicht  angezeigt; 
ebenso  sind  Kochsalzspülungen,  sowie  Jodoformstäubungen  in  die 
Bauchhöhle  als  überflüssig,  wenn  nicht  schädlich,  zu  unterlassen. 
Die  Frage  der  Behandlung  der  tuberkulös  erkrankten  Tuben  steht 
noch  offen,  sie  dürfen  jedenfalls  nur  dann  entfernt  werden,  wenn 
sie  leicht  zugänglich  und  hochgradig  erkrankt  sind.  Die  trockenen 
Formen  sind  mit  Vorsicht,  d.  h.  in  der  Regel  exspektativ  zu 
behandeln.  Bezüglich  des  Keimgehaltes  des  tuberkulösen  Aszites 
scheinen  die  in  der  Literatur  verzeiclmeten  exakten  diesbezüglichen 
Daten  zu  bestätigen,  daß  die  frische  Ausschwitzung  keimfrei 
ist  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chir.  1906,  Bd.  84,  H.  4  bis  6.) 

F.  H. 

117.  Ueher  die  IVirkung  der  Entziehung  der 
Chloride  auf  die  permanente  Bradykardie  und  deren 
Erklärung  auf  Grund  der  myogenen  Theorie.  Von 
E.  Enriquez  und  L.  Ambard.  Die  länger  fortgesetzte  Koch¬ 
salzentziehung  ist  in  bestimmten  Fällen  von  andauernder  Puls¬ 
verlangsamung  imstande,  eine  normale  Pulsfrequenz  herbeizu¬ 
führen,  doch  wird  dieses  Verfahren  vorläufig  nur  selten  an¬ 
gewendet,  weil  die  dem  Symptomenkomplex  meist  zugrunde 
liegende  chronische  Nephritis  oft  keine  Symptome  macht,  welche 
Anlaß  zur  Durchführung  des  kochsalzarmen  Regimes  geben  und 
die  auf  Störung  der  Herzinnervation  oder  auf  Myokarditis  zurück¬ 
geführten  Formen  gleichfalls  in  anderer  Weise  behandelt  werden. 
Die  Verfasser  berichten  über  einen  Fall  von  permanenter  Brady¬ 
kardie  durch  bloßes  kochsalzarmes  Regime,  wo  die  ursprünglich 
32  bis  39  betragende  Pulsfrecjuenz  im  Verlaufe  von  sieben  Wochen 
auf  72  Schläge  in  der  Minute  gesteigert  wurde,  während  gleich¬ 
zeitig  eine  beträchtliche  Körpergewichtszunahme  erfolgte.  Es  fragt 
sich,  ob  die  Beeinflussung  der  permanenten  Bradykardie  durch 
kochsalzarmes  Regime  für  die  neurogene  oder  myogene  Theorie 
der  Bradykardie  spricht.  Die  neurogene  Theorie  erklärt  die  per¬ 
manente  Bradykardie  durch  eine  Störung  der  Herzinnervation. 
Gegen  diese  Theorie  spricht  aber  der  Umstand,  daß  bei  dei 
Bradykardie  nur  die  Kontraktionen  der  Ventrikel  spärlicher  sind, 
während  die  Vorhofskontraktionen  eine  normale  Frequenz  auf¬ 
weisen.  Es  besteht  demnach  eine  Dissoziation  zwischen  Vorhofs¬ 
und  Venlrikelrhylhmus  und  man  beobachtet  nach  Atropininjek- 
tion  oder  Muskelanstrengung  nur  eine  Beschleunigung  der  Vor- 
hofskonlraklionen.  Die  myogene  Theorie  besteht  in  der  An¬ 
wendung  der  myogenen  Auffassung  der  physiologischen  Herz¬ 
kontraktion  auf  pathologische  Verhältnisse.  Diese  Iheorie  nimmt 
an,  daß'  die  Ilerzmuskelfaser  imstande  ist,  den  motorischen  Impuls 


WIENER  KLINISCHE  WüCHENSClllUET.  1907. 


Nt  10 


auf  dus  ganze  Organ  ohne  VerinitUung  intrakardialer  Nerven 
zu  übertragen.  Von  Wichtigkeit  ist  der  von  His  erbrachte  Nach¬ 
weis  eines  IMuskelbündels,  welches  vom  rechten  Vorhof  aus¬ 
gehend,  durch  das  Septum  in  die  Papillarniuskeln  der  Ventrikel 
übergeht  und  die  von  der  myogenen  Tlieorie  postulierte  Ver¬ 
bindung 'zwischen  Vorhof  und  Ventrikel  herstellt.  Experimentelle 
Durchschneidung  dieses  Bündels  führt  am  Tierherzen  sofort  zn 
einer  Störung  des  Synchronismus  zwisclien  Vorhof-  und  Ven- 
Irikelkontraktion.  ln  acht  Fällen  von  permanenter  Bradykardie 
wurde  eine  Erkrankung  —  Sklerose,  Fettdegeneration,  gummöse 
Infiltration  —  des  Bisschen  Bündels  konstatiert,  so  daß  die 
myogene  Theorie  dei'  Bradykardie  von  verschiedenen  Seiten  ge¬ 
stützt  erscheint.  Auch  die  Wirkung  des  kochsalzarmeu  Regimes 
auf  die  Bradykardie  läßt  sich  mit  der  myogenen  Theorie  ver- 
(unbaren.  Man  muß  zur  Erklärung  die  schädliche  Wirkung  stärker 
konzentrierter  Kochsalzlösung  auf  die  Muskulatur  heranziehen. 
Bei  der  chronischen  Nephritis,  der  häufigsten  Ursache  der  Brady¬ 
kardie,  besteht  öfter  Kochsalzretention,  so  daß  das  erkrankte 
Myokard  von  einer  hypertonischen  Kochsalzlösung  umspült  wird. 
Daraus  erklärt  sich  die  günstige  Wirkung  des  kochsalzarmen 
Regimes,  welche  allerdings  erst  nach  einiger  Zeit  zutage  tritt. 
Es  scheint,  daß  die  hypertonischen  Kochsalzlösungen  ihre  schäd¬ 
liche  Wirkung  auf  die  Gewebe  nicht  nur  durch  Osmose,  sondern 
auch  durch  toxische  Aktion  ausühen.  —  (Sem.  med.  1907,  Nr.  4.) 

a.  e. 

* 

118.  Ueber  Hi  I  zepsychosen.  Von  Priv.-Doz.  Doktor 
.1.  Finkh,  erster  Assistenzarzt  an  der  psychiatrischen  Klinik 
in  Tübingen  (FTof.  Dr.  Wollen  borg).  Unter  Berücksichtigung 
des  in  der  Literatur  gesammelten  kasuistischen  Materiales,  sowie 
eigener  Beobachtungen  konnte  Finkh  den  Nachweis  erbringen, 
daß  unter  dem  Einfluß  intensiver  und  akuter  Wärmewirkungen, 
zumal  bei  durch  erbliche  Belastung,  Alkoholgenuß,  körperliche 
l'eberanstrengung,  Schwäche,  gemütliche  Erschütterungen  prädis¬ 
ponierten  Persönlichkeiten  akute,  nach  Art  der  Fieberdelirieii 
verlaufende  Psychosen  beobachtet  werden,  ln  unseren  gemäßigten 
Klimaten  sind  solche  Psychosen  selten,  nehmen  aber  zu  mit 
Steigerung  der  natüidichen  oder  künstlichen  Wärme.  Spezifische 
Hitzepsychosen  von  längerer  Dauer  ließen  sich  nicht  nachweisen. 
Wohl  aber  kann  Hitze  eine  Psychose  auslösen  oder  zu  einer 
solchen  die  Prädisposition  schaffen,  endlich  einer  durch  andere 
Ursachen  ausgelöslen  T’sycho.-e  charakteristisclie  Züge  aufprägen: 
Neigung  zu  schweren  Erregungen  und  impulsiven  Gewaltakten, 
ferner  vasomotorische  Störungen.  Nach  Einwirkung  hoher  künst¬ 
licher  oder  natürlicher  äVärmegrade  wurden  allerlei  Lähmungs¬ 
erscheinungen  und  Defektzuslände  beobachtet:  Herabsetzung  der 
Widerstandskraft  l)ei  körperlicher  Arbeit  und  Krankheit  und  gegen 
gemütliche  Einflüsse,  Intoleranz  gegen  Alkohol,  Abnahme  der 
geistigen  Leistungsfähigkeit,  der  Gedäcbtniskraft  und  des  sitt¬ 
lichen  Niveaus,  Reizbarkeit  und  Willensschwäche,  ln  vereinzelten 
Fällen  beobachtete  man  Epilepsie  als  direkte  Folge  der  Hitze¬ 
wirkung.  Häufiger  sind  Fälle,  in  welchen  die  Wärmestrahlung 
den  ersten  epileptischen  Kra.tnpfanfall  auslöst.  —  (Allgemeine 
Zeitschrift  für  Psychiatrie  und  psychisch- gerichtlicdie  Medizin, 

Bd.  63,  H.  6.)  S. 

* 

119.  Die  Beeinflussung  der  Herztätigkeit  und 
des  B 1  li  t  d  r  u  c  k  e  s  von  s  c  h  merz  h  a  f  t  e  n  D  r  u  c  k  p  u  n  k  t  e  n 
aus.  Von  Prof.  Dr.  Rumpf  in  Bonn.  Mannkopff  konsta- 
lierle  1885  bei  Unfallverletzten,  daß  bei  langdauernden  Schmerzen 
der  rechten  Bauchseite  (nach  Trauma)  ein  Druck  auf  die  schmerz¬ 
hafte  Stelle  eine  Steigerung  der  Pulsfrequenz  von  84  bis  92 
auf  120  Schläge  hervorrief,  welche  mit  dem  Aufhören  des  Druckes 
wiedei'  schwand.  Daraufhin  prüfte  der  Verfasser  damals  die 
Beeinflussung  der  Herztätigkeit  von  schmerzhaften  Druckpunkten 
aus  bei  vielen  Fälleji  von  Neuralgie  und  schmerzhaften  Druck¬ 
punkten  überhaupt.  Die  positiven  Resultate  wurden  1890  ver- 
öffentlichl.  Aus  späteren  Mitteilungen  über  das  ,,Mannkopff- 
.Rumpfsche  Symptom“  und  aus  den  darüber  laut  gewordenen 
Zweifeln  schließt  der  Verfasser,  daß  die  Prüfung  nicht  mit  allen 
notwendigen  Kautelen  erfolgt  ist.  So  scheinen  einzelne  Autoren 
das  Symptom  in  der  Sprechstunde  geprüft  zu  haben.  Verf.  hält 
es  daher  für  erwünscht,  diese  Versuchsanordnung  eingehend  zu 


schildern  und  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  es  Fälle  gibt, 
welche  für  die  Prüfung  völlig  ungeeignet  sind.  Die  Bedingungen 
der  Versuchsanordnung  sind  folgende :  1.  Der  Versuch  muß  im 
Krankenhause  vorgenommen  werden.  Der  Kranke  liegt  im  Bett 
und  soll  von  der  Bedeutung  des  Versuches  keine  Ahnung  haben. 
2.  Die  Herztätigkeit  muß  eine  gleichmäßig  ruhige  sein  und  darf 
durch  die  Untersuchung  an  und  für  sich  nicht  wesentlich  be¬ 
schleunigt  werden.  3.  Der  Patient  muß  während  fler  Untersuchung 
ruhig  und  gleichmäßig  atmen.  Er  darf  nicht  exspiratorisch  pressen 
oder  sich  umherwerfen.  4.  Außer  der  angeblich  schmerzhaften 
Stelle  muß  auch  der  Einfluß  geprüft  werden,  welchen  Druck 
oder  Reiben  entsprechender  Punkte  der  anderen  Körperseite  auf 
die  Herztätigkeit  ausübt.  5.  Der  Befund  einer  Beeinflussung  der 
Herztätigkeit  oder  des  Pulses  von  einem  Punkt  oder  einer  um¬ 
schriebenen  Stelle  aus  erlaubt  nur  den  Schluß  einer  größeren 
Empfindlichkeit  dieser  Stelle  und  einer  leichten  Erregbarkeit  des 
Herzens,  ein  Schluß  auf  die  traumatische  Entstehung  kann  nur 
auf  Grund  anderweitiger  Untersuchungsergebnisse  gezogen 
werden.  G.  Es  ist  dringend  erwünscht,  sich  mit  einem  einmaligen 
Untersuchungsergebnis  nicht  zu  begnügen,  damit  unübersehbare 
Zufälligkeiten  ausgeschaltet  werden.  Der  Verfasser  bringt  nun 
mehrere  Beispiele,  in  welchen  diese  Untersuchungsmethode  von 
großer  Bedeutung  sich  erwies  und  resümiert  zum  Schlüsse  seine 
Ergebnisse  wie  folgt:  ln  manchen  Fällen  allgemeiner  Neurose, 
welche  mit  Neuralgien  oder  schmerzhaften  Druckpunkten  oin- 
hergehen,  läßt  sich  durch  stärkere  Reizung  und  während  dieser 
eine  Veränderung  der  Herztätigkeit  und  der  Zirkulation  hervor- 
rufen,  welche  sich  charakterisiert:  1.  als  einfache  Beschleunigung 
der  Herztätigkeit;  2.  als  anfängliche  kurzdauernde  Verlangsamung 
mit  nachfolgender  Beschleunigung;  3.  als  Abnahme  der  Puls¬ 
größe;  4.  vereinzelt  als  Irregularität  des  Pulses,  resp.  Ausfallen 
einzelner  Wellen  in  der  Arteria  radialis;  5.  als  deutliche  Zyanose 
des  Gesiclites ;  6.  als  Senkring  des  Blutdruckes ;  7.  als  Erhöhung 
des  Blutdruckes.  Alle  diese  Veränderungen  der  Herz-  und  Gefä߬ 
tätigkeit  haben  das  gemeinsame,  daß  mit  dem  Aufhören  des 
schmerzhaften  Reizes  die  Aenderung  innerhalb  kurzer  Zeit 
schwindet.  Am  schnellsten  erfolgt  die  Rückkehr  bezüglich  der 
Pulsfrequenz,  während  die  Veränderungen  des  Blutdruckes  meist 
langsamer  zur  Norm  zurückkehrt.  Zu  dem  sicheren  Nachweis 
dieser  Erscheinungen  sind  jedoch  die  vom  Verfasser  geschilderten 
Vorsichtsmaßregeln  unbedingt  notwendig.  —  (Münchener  mcdiz. 
Wochenscbrifl  1907,  Nr.  4.)  G. 

♦ 

120.  Ueljer  die  neuesten  Heilmittel  gegen  Ery¬ 

sipel.  Von  Dr.  A.  Hecht  in  Beuthen  (Oberschlesien).  Der  Ver¬ 
fasser  empfiehlt :  1.  Den  absoluten  Alkohol.  Der  Okklusivverband 
soll  vom  Arzte  möglichst  exakt  angelegt  werden.  Bei  Erysipel  der 
Kopfhaut  verdient  der  Alkohol,  wmil  er  letztere  am  leichtesten 
erreicht,  vor  allen  anderen  Mitteln  den  Vorzug.  2.  Salokreol, 
von  Gnezda  auf  der  1.  mediz.  Klinik  zu  Berlin  erprobt  und 
Mesotan,  von  Pautz  auf  Grund  von  sechs  nacheinander  beol)- 
achteten,  günstig  veidaufenen  Fällen  sehr  gerühmt.  3.  Den  Phenol¬ 
kampfer,  von  Dr.  Chlumsky  in  Krakau  warm  empfohlen.  Er 
besteht  aus:  Acidi  carbolici  liquefacti  300,  Camphorae  tritae  60-0, 
Spirit,  vini  10-0.  Eine  wasserklare,  nicht  ätzende  Flüssigkeit,  bei 
frischen  Fällen  mehrmals  täglich  auf  die  Haut  aufzupinselh,  in 
älteren  Fällen  damit  getränkte  Watte  aufzulegen  und  mit  Bill- 
roth- Battist  zu  bedecken.  Verf.  selbst  hat  einen  Fall  von  doppel¬ 
seitigem  Gesichtserysipel,  das  schon  vier  Tage  bestand,  nach 
24stündiger  Applikation  des  Mittels  abheilen  gesehen.  4.  Eine 
Mischung  von  Ichthyol  und  Guajakol  nach  der  Vorschrift:  Ichthy- 
oli,  Guajakoli,  Ol.  Terebiuthinae  ana  100,  Spir.  vini  200.  Diese 
Mixtur  wirkt  nicht  nur  antiphlogistisch  und  antipyretisch,  sondern 
auch  in  hohem  Grade  schmerzstillend.  Auch  bei  begin nendeji 
Panaritien  und  Phlegmonen,'  bei  Lymphadenitis,  Lymphangitis, 
Furunkeln  etc.,  dann  —  nach  Verf.  —  gegen  akuten  Gelenks¬ 
rheumatismus,  sowie  gichtigen  Anschwellungen,  zu  empfehlen. 
5.  Prof.  Grawitz  rühmt  bei  Erysipel  die  (diininbehandlung  und 
nach  ihm  haben  sie  .Josef  und  Cr  oner  empfohlen.  —  (Thera¬ 
peutische  Monatshefte  1907,  H.  1.''  E.  F 

♦ 

121.  Aus  der  Münchener  chirurgischeu  Klinik  (Geh.  Rat 
V.  An  ger er).  Ueber  Nierenchirurgie.  Von  Priv.-Doz.  Doktor 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


29 


H.  Geb  eie.  Verf.  läßt  einem  Bericht  über  50  von  1896  bis 
1906  ausgeführte  Nephrektomien  und  Nephrotomien  eine  Dar¬ 
stellung  der  heute  bestehenden  ^Meinungsverschiedenheiten  über 
den  Wert  des  Ureterenkatheterismus  und  der  funktionellen  Nieren- 
diagnostik  vorangehen.  Allgemein  gültig  sind  die  alten  Methoden, 
wie  Adspektion,  Palpation  der  Nierengegend,  namentlich  in  Seiten¬ 
lage,  eventuell  in  Narkose,  die  Perkussion  nach  Gerhardt, 
die  Feststellung  des  Verhältnisses  der  Niere  zum  Kolon  durch 
Aufblähung  des  Dickdarnies,  die  cliemische,  mikroskopische  und 
bakteriologische  Untei’suclumg  des  Nierensekretes,  nngeteilt  sind 
auch  die  jMeimingen  über  die  große  Bedeutung  der  Rötitgen- 
strahlen,  vor  allem  bei  Steinnieren  und  Nierenlumorett.  Die 
Untersuchungsmetlioden  mit  dem  Zystoskop  teingeführt 
von  Max  Nitze  1876)  und  dem  U r e  t e r e  n z y  s  t  o s  k o p 
(von  Brenner  1887  erfunden)  sind  das  Allgemeingut  fast 
aller  geworden,  die  sich  überhaupt  mit  chirurgischen  Nieren¬ 
krankheiten  beschäftigen.  Nur  Israel  hält  den  Katheteris- 
iiius  für  entbehrlich:  Der  Ureterenkatheterismus  habe  nur 
in  beschränktem  Maße  den  Fortschritt  in  der  Nierenchirin'- 
gie  gefördert,  denn  eine  Herabsetzung  der  Mortalität  finde 
sich  auch  bei  denen,  die  den  Ureterenkatheterismus  bei  der  Tuber¬ 
kulose  überhaupt  nicht  anwenden,  lieber  die  besonders  in  Frank¬ 
reich  (L  u  y  s,  C  a  t  h  e  1  i  n)  geübten  S  e  p  a  r  a  t  i  o  n  s  in  e  t  h  o  d  e  n  der 
Harnblase  sind  die  Ansichten  sehr  geteilt.  K  ü  m  m  e  1,  R  o  v  s i  n  g, 
Kaps  a  mm  er  u.  a.  verwerfen  sie,  weil  die  exakte  Scheidung  der 
Blase  durch  die  Instrumente  oft  nicht  möglich,  ungenau  ist  und 
weil  der  Nierenurin  die  Blase  berühren  müsse.  Kocher,  Frank 
und  andere  verteidigen  die  Methode  als  leichter  (für  den  Unter¬ 
sucher)  und  angenehmer  (für  den  Patienten)  und  halten  sie  für 
hinreichend  in  Fällen  mit  posilivem  Resultat.  Bei  ihrer  An¬ 
wendung  werde  auch  die  Nierenarbeit  durch  Erregung  der  Nerven- 
zenlren  viel  weniger  im  Sinne  der  Anurie  und  Polyurie  beein¬ 
flußt  wie  beim  Kathelerisinus.  Ueber  die  Kryoskopie  ( Messung 
der  molekularen,  Konzentration  des  Harnes  und  Blutes  durch  dieBe- 
slimnmng  des  Gefrierpunktes),  nach  Dresers  Untersuchungen 
über  die  osmotische  Nierenarbei I  von  Korany  (Ende  der  Neun¬ 
zigerjahre)  in  die  Praxis  eingeführt,  wogt  ein  heftiger  Meinungs¬ 
kampf.  Nach  Kümmel  betrage  bei  normaler  oder  genügender 
Nierenfunktion  der  Gefrierpunkt  des  Blutes  (b)  konstant  — 56”, 
eine  Erniedrigung  von  b  von  —  0-6”  und  darüber  deute  auf  un¬ 
genügende  Nierenfunktion  hin  und  schließe  eine  erfolgreiche 
Nephreklomie  aus.  Rovsing,  der  in  zwölf  Fällen  ein  ganz 
irreleitendes  Resultat  mit  der  Blutkryoskopie  bekommen  haben 
will,  hält  die  Methode  für  wertlos.  Aehnlich  urteilt  Israel,  der 
zweimal  bei  Gefrierpunkten  von  — 0-60”  und  — ^0-69”  erfolgreich 
Nieren  exstirpierte.  Ebenso  verhält  sich  Casper  ablehnend, 
weil  Gefrierpunktserniedrigungen  bei  vielen  anderen  Zuständen 
(Kachexie,  Abdominaltumoren,  inkompensierte  Vitien,  Eklampsie, 
Diabetes,  akute  Gicht)  Vorkommen.  Kapsammer  verwirft  sie, 
weil  er  mehrfach  normalen  Gefrierpunkt  bei  schwerer  Funktions¬ 
störung  beobachtete.  Cohn  ist  wegen  noch  mangelhafter  Technik 
der  Gefrierpunktsbestiinmung  Gegner  der  Methode.  Kümmel  und 
Rumpel,  die  sich  bei  ihren  Schlußfolgerungen  auf  tausend 
ausgeführte  Kryoskopien  stützen  konnten,  wenden  ein,  der  nor¬ 
male  Gefrierpunkt  gebe  uns  nur  an,  oI)  genügend  funktionsfähiges 
Nierengewebe  vorhanden  sei,  um  alle  stickstoffhaltigen  Moleküle 
aus  dem  Blute  zu  eliminieren,  und  zeigt  uns  nicht  an,  ob  beide 
Nieren  gesund  sind  oder  nur  eine.  Die  Nierenerkrankung  müsse 
der  Ureterenkatheterismus  feststellen.  Sei  bei  Gefrierpunktsernie¬ 
drigung  bis  — 0-6”  und  darüber  eine  Operation  nötig,  so  sei  die 
Nephrektomie,  aber  nicht  die  Nephrotomie  kontraindiziert.  Erstere 
könne  hei  Erhöliung  von  b  sekundär  ausgeführt  werden.  Nach 
Kümmel  lägen  die  unrichtigen  Resultate  vielfach  in  der  un¬ 
richtigen  Ausführung  dei'Methode.  Für  die  H  a  r  n k  r  y  o  s  k  o pie  (Be 
Stimmung  des  Gefiierpunktes  des  Urins)  treten  Casper,  Richter, 
Kümmel  ein.  Nach  Casper  bleiben  die  Ausscheidungswerte 
der  kranken  Niere  gegen  die  der  gesunden  zurück  und  nehmen 
die  Werte  proportional  der  gestörten  Funktion  ab.  .ledoch  haben 
nur  die  Vergleichswerte,  nicht  die  absoluten  Zahlen  eine  Be¬ 
deutung.  Nach  Israel  und  Rovsing  bedeute  der  Uringefrier¬ 
punkt  ohne  Kennlnisse  der  Harnniengen  nichts;  erst  die  Produkte 
aus  Menge  und  Gefrierpunkt  bringen  das  Verhältnis  der  Arbeits¬ 
größen  zum  Ausdiuck.  C as p e r  verwechselt  Nierenarbeitsleistung 


während  einer  kurzen  Tätigkeitspause  mit  der  Funktionsfähigkeit. 
Israel,  K  a  p  s  a  m  m  e  r  und  Alba  r  r  a n  betonen  ferner,  daß  die 
Zusammensetzung  des  zu  gleicher  Zeit  aufgefangenen  Urins  aus 
gesunden  Nieren  schon  nicht  gleich  sei;  ferner  bleibe  in  ein  und 
demselben  Falle  das  Verhältnis  der  Stoffinengen,  kurz  nach¬ 
einander  gemessen,  nicht  gleich;  daher  könne  A  kein  genauer 
Maßstab  für  die  Nierenarbeit  sein.  Nach  Kapsammer  leistet 
im  großen  und  ganzen  die  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes 
ebensoviel  wie  die  Harnkryoskopie.  Casper  hinwieder  belont, 
daß  nur  beträchtliche  Unterschiede,  nicht  geringe  Differenzen, 
der  funktionellen  Werte  von  Belang  seien;  es  ist  nur  notwendig, 
daß  unter  gleichen  äußeren  Bedingungen  A  (gesunde*  Seite)  immer 
größer  sei  wie  A,  (kranke  Seite)  und  die  Kurven  von  A  zu 
A|  zu  verschiedenen  Zeiten  nach  derselben  Richtung  gehen.  Das 
spezifische  Gewicht  gehe  nicht  immer  mit  dem  Gefrierpunkt 
parallel.  Casper  ist  auch  der  Hauptvorkämpfer  der  ebensoviel 
umstrittenen  P  h  1  o  r  i  d  zi  n  p  r  o  b  e,  nach  welcher  jede  gesunde 
Niere  nach  Phloridzininjektion  (0-01  pro  dos.)  Zucker  ausscheidet, 
die  kranke  weniger  als  die  gesunde.  Albarran  Ijoobachtete 
jedoch  auch  das  umgekehrte  Verhalten,  Israel  und  Rovsing 
sahen  wiederholt,  trotz  gesunder  Nieren,  die  Zuckerreaktion  aus- 
bleiben.  Auch  scheitere  die  Probe  manchmal  an  dem  Vorbei¬ 
fließen  unkonlrollierbarer  Harnmengen  neben  dem  Ureteren- 
katheter.  Casper  weist  diesen  Einwänden  gegenüber  darauf 
hin,  daß  das  Phloridzin  als  Diuretikum  bisweilen  eine  Viertel- 
bis  eine  halbe  Stunde  nach  der  Injektion  bei  schon  bestehender 
reflektorischer  Polyurie  zu  einer  Harnflut  und  Herabsetzung  der 
Zuckerausscheidung  in  dem  verdünnten  Harn  führe.  Ueber  den 
Wert  der  Harnstof fbestimmung  nach  Tuffier  (1889)  be¬ 
stehen  ebenfalls  Differenzen.  Casper  hält  sie  für  zwecklos. 
Rovsing  empfiehlt  sie;  nach  ihm  ist  die  Niere  bei  normaler 
Harnsloffmenge  funktionsfähig,  jedoch  läßt  umgekehrt  herab¬ 
gesetzte  Harnstoffmenge  nicht  immer  auf  funktionsunfähige  Niere 
schließen.  Von  den  Farbstof fprüf ungen  (Chromozystoskopie) 
ist  die  von  Ae  hard  eingeführte  Me  t  hy  1  e  n  b  1  a  u  p  r  o  b  e  heute 
so  ziemlich  verlassen.  Die  I  n  d  i  g  o  k  a  r  m  i n  p  r  o  b  e  nach  V  ö  1- 
ker  und  Joseph  läßt  eher  ein  Urteil  gewinnen,  ob  die  Niere 
eine  gewisse  Arbeit  leisten  kann.  Kapsainm.er  empfiehlt  sie 
im  Vereine  mit  dem  Uretei'enkatheterismus  als  sehr  wertvoll. 
Nach  Rovsing  und  Casper  leistet  die  Chromozystoskopie 
nichts.  Zur  Klärung  der  Frage  berichtet  Verf.  aus  der  Mün¬ 
chener  chirurgischen  Klinik,  wo  seit  1899  der  Ureterenkatheteris¬ 
mus  und  seit  1902  die  fuidvtionellen  Methoden  geübt  werden, 
über  die  Resultate  von  50  seif  1896  bis  1906  ausgeführte  Nephro¬ 
tomien  (11)  und  Nephrektomien  (39).  Sieben  Patienten  kamen 
post  operationem  ad  exitum.  Die  Mortalität  stellt  sich  auf  16”/0 
auf  die  Periode  vor  Einführung  der  funktionellen  Methode  und 
12Co  auf  die  zweite  Periode.  Die  Operalionsstatistik  hat  sich 
im  Laufe  der  Jahre  etwas  gebessert.  Nach  den  Erfahrungen  des 
Verfassers  ist  der  Ureterenkatheterismus  mit  der  exakten  Unter¬ 
suchung  des  gelrennt  anfgefangenen  Urins  das  wertvollste  und 
souveräne  diagnostische  Hilfsmittel.  Die  Separation  kann  ersteren 
gewiß  nicht  ersetzen,  kann  aber  des  öfteren  gute  Aufschlüsse 
ergeben.  Die  Blutkryoskopie  hat  vor  allem  einen  ergänzenden, 
keinen  selbständigen  Wert ;  sie  erscheint  rationeller  als  die  Harn¬ 
kryoskopie,  Phloridzinprobe  und  Harnstoffljestimmung  und  ge¬ 
winnt  vor  allem  an  Bedeutung,  wenn  der  Ureterenkathelerisnms 
nicht  ausführbar  ist.  Bezüglich  der  Blutgefrierpunktsbestinmnmg 
ergab  sich,  daß  derselbe  keine  Konstante  sei,  wie  Küm¬ 
mel  sagt;  er  schwankt  zwischen  — 0-52  bis  — 0-58”.  \er- 
fasser  empfiehlt  ferner  mit  Casper  den  Vorschlag  Goebels, 
bei  allen  Untersuchungen  chirurgischer  Nierenkrankheiten  die  vor¬ 
ausgehende  Nahrungszufuhr  zu  herücksichtigen  und  das  viele 
Trinken  vor  der  Untersuchung  zu  vermeiden.  Die  gänzliche  Ver¬ 
werfung  der  funktionellen  Vlethoden  durch  Rovsing  und 
Israel  ist  nicht  gerechtfertigt,  so  wenig,  als  es  gerechtfertigt 
wäre,  die  funktionelle  Magendiagnostik  zu  verwerfen,  wiewohl 
sie  uns  oft  im  Stiche  läßt.  —  (Langenbecks  Archiv  für  klinische 

Chirurgie  1906,  Bd.  81,  Teil  1,  Festschrift  v.  Bergmann.)  F.  H. 

* 

122.  U  e  1)  e  r  (1  e  n  G  ('  b  r  a  n  c  h  von  V  e  r  o  n  a  1  hei  V'  o  m  i  t  u  s 
gravidarum.  Von  F.  M.  Rowland  (Lichfield).  Es  handelte 
sich  um  eine  22jährige  Primipara,  deren  Herz  und  Nieren  völlig 


WIEWEll  KLINISCHE  WOCIIENSCIIllIET.  1907. 


Nr.  10 


gesund  waren.  Am  Ende  des  zweiten  Monats  trat  bei  ihr  ein 
derart  heftiges,  unstillbares  Erbrechen  auf,  daß,  sie  kaum  einige 
Älinuten  Schlaf  finden  konnte.  Die  therapeutischen  Maßnahmen, 
wie  eingekühlter  Champagner,  Brausemixturen,  Vinum  Ipecacu- 
anhae,  Ceriumoxalat,  absolute  Ruhelage,  subkutane  Morphinin¬ 
jektionen,  Nährklysmen  mit  und  ohne  Bromzusatz,  blieben  ohne 
Erfolg.  Endlich  wurde  am  Ende  des  dritten  Tages  eine  große  Dosis 
Veronal,  ca.  f  -5  g  einer  Nährinjektion  zugefügt.  Pat.  verfiel  eine 
halbe  Stunde  darauf  in  einen  liy2stündigen  Schlaf  und  erwachte 
aus  demselben  frisch  und  neugestärkt.  Das  Erbrechen  sistierte 
für  25  Stunden  und  kehrte  dann  in  schwächerer  Form  wieder. 
Nach  einiger  Zeit  wurde  die  Injektion  wiederholt.  Pat.  schlief 
wieder  IOV2  Stunden  ohne  nachteilige  Wirkung,  mit  Ausnahme 
eines  Exanthems  der  Arme,  welches  nach  24  Stunden  abblaßte. 
Die  Frau  erholte  sich  dann  allmählich,  die  Intervalle  zwischen 
den  einzelnen  Anfällen  von  Erbrechen  verlängerten  sich  und 
einen  Monat  nach  Beginn  der  Krankheit  konnte  sie  wieder  die 
gewöhnliche  Nahrung  nehmen  und  täglich  ausgehen.  —  (British 

medical  Journal  1906,  24.  November.)  J.  Sch. 

♦ 

123.  lieber  die  Behandlung  der  Pr  äs  kl  er  ose.  Von 
II.  Hue  hard.  Die  arterielle  Flypertension  geht  der  Arterio¬ 
sklerose  voraus,  bereitet  sie  vor  und  erzeugt  die  Veränderungen 
der  Gefäßwand.  Für  die  Bedeutung  der  Blutdrucksteigerung  spricht 
auch  die  experimentelle  Erzeugung  von  Arteriosklerose  durch 
Adrenalininjektionen.  Die  Behandlung  der  Blirtdrucksteigerung, 
welche  der  Arteriosklerose  vorangeht,  besteht  in  Verordnung 
einer  bestimmten  Diät,  Massage  des  Abdomens  und  der  Herz¬ 
gegend,  Kohlensäurebädern,  Anwendung  der  Hochfrequenzströme, 
Darreichung  von  Medikamenten,  welche  den  Blutdruck  herab¬ 
setzen,  vor  allem  von  Nitriten  und  Theobromin.  Das  Vor¬ 
stadium  der  xArteriosklerose  ist  nicht  nur  durch  Steigerung  des 
Blutdruckes,  sondern  auch  durch  relative  Niereninsuffizienz  ge¬ 
kennzeichnet.  Die  gegen  die  Hypertension  angewendeten  medi¬ 
kamentösen  und  physikalischen  Agenzien  setzen  den  Blutdruck 
wohl  zeitweilig  herab,  doch  ist  es  für  die  Erzielung  einer 
dauernden  Herahsetzung  des  Blutdruckes  notwendig,  eine  be¬ 
stimmte  Diät  einzuhalten  und  die  Eliminationsfunktion  der 
Nieren  zu  fördern.  Eine  an  Ptomainen  und  Extraktivstoffen  reiche 
Nahrung  begünstigt  das  Auftreten  von  Gefäßspasmen  mit  kon¬ 
sekutiver  Blutdrucksteigerung,  auch  sind  die  Nieren  nicht  im¬ 
stande,  die  gebildeten  Toxine  vollständig  auszuscheiden.  Durch 
eine  kochsalzarme,  vorwiegend  aus  klilch  und  Vegetabilien  be¬ 
stehende  Diät  wird  die  Bildung  von  Toxinen  wesentlich  redu¬ 
ziert,  durch  gleichzeitige  Anregung  der  Diurese  wird  die  Eli¬ 
mination  der  Toxine  gefördert.  Die  gleichzeitige  Darreichung 
vasodilatorisch  und  hypotensiv  wirkender  Aledikamente  ergänzt 
den  Heilplan.  Die  Jodpräparate,  deren  Wert  bei  Arteriosklerose 
gewöhnlich  überschätzt  wird,  sind  im  Stadium  der  Präsklerose 
direkt  kontraindiziert.  Von  Wichtigkeit  ist  die  frühzeitige  Diagnose 
der  Hypertension.  Die  Ergebnisse  der  sphygmomanometrischen 
Untersuchungen  sind  an  Fehlerquellen  reich,  man  muß  daher 
auch  auf  die  Verstärkung  des  zweiten  Aortentones,  auf  das 
stabile  Verhalten  des  Pulses  und  das  Auftreten  lokaler  Gefä߬ 
spasmen  achten.  — ■  (Bull,  de  l’Acad.  de  Med.  1907,  Nr.  3.) 

'a.  e. 

* 

124.  Heilung  narbiger  Pylorusstenosen  durch 
subkutane  Thiosinamininj  ektionen.  Von  Dr.  Ernst 
Sachs,  Assistenzarzt  des  städtischen  Krankenhauses  Moabit  in 
Berlin.  In  Fällen  von  Pleuraschwarten,  chronischer  Perigastritis, 
ürethralstrikturen,  würden  vom  Verfasser  mit  diesen  Injektionen 
schöne  Erfolge  beobachtet.  Er  berichtet  sodann  eingehend  über 
einen  von  ihm  behandelten  Fall  von  narbiger  Pylorusstriktur, 
dessen  Heilung  durch  Thiosinamininjektionen  nicht  bezweifelt 
werden  kann.  Die  mechanische  Dehnung  des  Narbengewebes 
wird,  nach  seiner  Ansicht,  in  solchen  Fällen  durch  die  Bewegung 
des  Mageninhaltes  veranlaßt,  welcher  durch  die  rhythmischen  Kon¬ 
traktionen  der  hypertrophischen  Muskulatur  immer  wieder  durch 
den  Pylorus  gepreßt  wird.  Bei  der  38jährigen  Kranken,  die  seit 
dem  Jahre  1903  über  Magenschmerzen,  Brechneigung  etc.  klagte, 
wurde  rechts  vom  Nabel  in  der  Tiefe  eine  etwa  walnußgroße,  auf 
Druck  sehr  empfindliche  Resistenz,  erhöhte  Vorwölbung  der 


Magengegend,  starke  Peristaltik  über  dem  Magen  und  Dilatation 
desselben  konstatiert.  Die  funktionelle  Prüfung  führte  zur  sicheren 
Diagnose  einer  motorischen  Insuffizienz  des  Magens  durch  narbige 
Verschließung  des  Pylorus  aus  altem  Magengeschwür.  Bei  Bett¬ 
ruhe,  Darreichung  kleiner,  gemischter  Mahlzeiten  in  kurzen  Zwi¬ 
schenräumen,  heißen  Umschlägen,  regelmäßigen  Magenwaschun¬ 
gen  am  späten  Abend  fühlte  sich  die  Kranke  wohl  erleichtert, 
das  geringe  Körpergewicht  von  90  Pfund  hob  sich  jedoch  nicht. 
Es  folgten  subkutane  Injektionen  von  je  10  cm^  sterilen  Oeles 
und  von  Fibrolysin  (salizylsaures  Thiosimunin,  in  sterilisierten 
Tuben),  je  1  euU  täglich,  sodann  seltener.  Das  Körpergewicht 
stieg  an,  betrug  am  Schlüsse  110  Pfund,  keine  Schmerzen,  die 
früher  fühlbare  Härte  des  stenosierten  Pylorus  war  iiicht  melu’, 
zu  tasten,  Pat.  war  geheilt.  Der  Verfasser  teilt  einen  zweiten 
Fall  von  narbiger  Pylorusstriktur  mit,  der  in  gleicher  Weise 
von  Prof.  Klemperer  durch  20  Injektionen  von  je  1  enU  einer 
lOhoigen  glyzerinwässerigen  Lösung  vön  Thiosinarain,  in  48stün- 
digen  Zwischenräumen  subkutan  verabreicht,  vollkommen  geheilt 
wurde.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart  1907,  H.  1.)  E.  F. 

125.  Ueber  die  Spirillen  des  Zeckenfiebers.  Von 
Prof.  Karl  Fraenkel.  Als  Ursache  des  afrikanischen  ,, Tick- 
fever“,  ,, Zeckenfiebers“,  ist  ein  Spirillum  gefunden  worden,  wel¬ 
ches  nach  dem  der  Krankheit  erlegenen  englischen  Forscher 
Dutton  als  Spirillum  Duttoni  bezeichnet  wurde.  Dem  Verfasser 
wurde  aus  dem  Institut  Pasteur  in  Paris'  eine  mit  den  Spirillen 
des  Zeckenfiebers  infizierte  Maus  übersandt,  wodurch  er  durch 
vorgenommene  weitere  Impfungen  eigene  Untersuchungen  anzu¬ 
stellen  Gelegenheit  hatte.  Sein  Bericht  ergibt  folgendes :  Im 
bängenden  Blutstropfen  erscheinen  die  Spirillen  als  Schrauben 
von  wechselnder  Länge,  meist  fünf  bis  sechs,  nicht  selten  zehn 
bis  zwölf  einzelne  Windungen  aufweisend.  Der  ganze  Leib  zeigt 
eine  drehende,  rotierende  Bewegung,  in  den  ersten  Stunden  nach 
dem  Auftreten  der  Infektion  oft  eine  mit  ziemlicher  Schnellig¬ 
keit  erfolgende  Bewegung  der  ganzen  Schraube.  Den  Vorgang 
der  Pbagozytose,  d.  h.  die  Aufnahme  der  Schrauben  durch  weiße 
Blutscheibeii  konnte  Verf.  nicht  beobachten.  Was  die  Färbung 
anhelangt,  liefert  sowohl  die  Behandlung  mit  Fuchsin  oder  Gen- 
tianaviolett,  wie  auch  das  Gi  eins  a  sehe  Verfahren  gute  Ergeb¬ 
nisse.  Nach  der  Gram  sehen  Doppelfärbung  können  die  Spi¬ 
rillen  nicht  nachgewiesen  werden.  Die  Uebertragung  gelingt  ohne 
Schwierigkeiten  auf  weiße  Mäuse,  Feldmäuse,  auf  Ratten,  Hamster 
und  Affen.  Bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen  sieht  man  manch¬ 
mal  12  bis  16  Stunden  nach  der  Impfung  in  die  Bauchhöhle 
wenige  Spirillen  auftauchen,  die  aber  bald  wieder  verschwinden. 
Bei  Schafen,  Ziegen,  Hühnern  und  Tauben  bleibt  jede  Reaktion 
des  Körpers  aus.  Einen  tödlichen  Ausgang  pflegt  die  Ansteckung 
sowohl  bei  den  weißen  Mäusen  als  auch  bei  den  grauen  Feld¬ 
mäusen  zu  nehmen.  Von  den  vielen  hundert  geimpften  Tieren 
sind  nur  einige  wenige  am  Leben  geblieben.  Weiße  Ratten  er¬ 
liegen  nur  ausnahmsweise  der  Ansteckung.  Ebenso  verhalten 
sich  Hamster.  Affen  (von  der  Art  Macacus  Rhesus)  erkrankten 
sämtlich  am  zweiten  Tage  nach  der  Impfung  und  zeigten  dann 
in  ihrem  Blute  drei  bis  vier  Tage  hindurch  die  Spirillen.  Kein 
Tier  erlag  der  Infektion,  während  nach  den  Berichten  anderer 
Untersucher  regelmäßig  mehr  oder  weniger  geimpfte  Affen  zu¬ 
grunde  gingen.  Nach  den  Berichten  der  Autoren,  die  in  Afrika 
selbst  ihre  Forschungen  angestellt  haben,  wird  die  Krankheit  in 
der  Regel  durch  den  Biß:  von  Zecken  auf  den  Alenschen  über¬ 
tragen.  Diejenigen  Tiere,  die  den  ersten  Angriff  der  Spirillen 
überstanden  hatten,  die  von  den  verschiedenen  Anfällen  geheilt 
waren,  waren  immun.  Dies  konnte  man  im  Blute  nachweisen. 
Brachte  man  in  ein  Tröpfchen  Blut  von  einem  so  immunisierten 
Geschöpf  unter  dem  Alikroskop  frische  Spirillen,  so  wurden  die 
letzteren  bald  Unbeweglich,  ballten  sich  zu  großen  Klumpen  und 
Haufen  zusammen  und  gingen  nach  kurzer  Zeit  zugrunde.  An 
den  immun  gewordenen  Affen,  Ratten,  Hamstern  und  Mäusen 
ließ  sich,  wie  Verf.  weiter  berichtet,  ohne  jede  Schwierigkeit 
zeigen,  daß  die  Spirillen  des  Zeckenfiebers  sicherlich  von  denen 
des  Bekurrens  durchaus  verschieden  sind.  Demnächst  wird  sich 
der  Verfasser  mit  Untersuchungen  über  die  noch  ungelöste  Frage 
der  Züchtung  der  Spirillen  beschäftigen.  —  (Müncheuer  medi¬ 
zinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  5.)  G. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOClIENSCimiFT.  1907. 


12(5.  Behandlung  der  Rön  l  genderniatitis.  V^on 
II.  (1  über  t-Nich  olson  (Victoria-Park).  Verf.  sah  in  einem 
Falle  von  schwerster  Röntgendermatitis  Heilung  durch  den  Ge¬ 
brauch  von  Jodolpulver.  Dieses  ist  ein  Derivat  des  .todoforms  imd 
in  der  Phannakopöe  der  Vereinigten  Staaten  offizinell.  Es  stellt 
ein  geschinack-  und  geruchloses,  mehr  oder  minder  kristallinisches 
Pulver  dar,  ist  in  Wasser  unlöslich,  dagegen  in  öligen  SubstanzeU 
löslich.  —  (British  medical  Journal  1906,  3.  November.) 

J.  Sch. 

* 

127.  Bericht  über  die  Tcätigkeit  der  deutschen 
Expedition  zur  Erforschung  der  Schlafkrankheit. 
Von  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Koch.  Dem  ersten  Bericht  (siehe 
auch  Nr.  3,  1907,  dieser  Wochenschrift)  läßf.  Koch  einen  wei¬ 
teren  aus  Britisch-Ostafrika  folgen.  Nahezu  1000  an  Trypano¬ 
somiasis,  resp.  Schlafkrankheit  Leidende  wurden  von  der  Ex¬ 
pedition  mit  Atoxyl  behandelt.  Die  Drüsenpunktionen  wurden 
fortgesetzt,  bei  356  Punktionen  würden  347mal  Trypanosomen 
gefunden;  die  Drüsenschwellung  ist  also  als  konstantes  Sym¬ 
ptom  der  Krankheit  anzusehen.  Die  L  e  i  c  h  t  k  r  a  n  k  e  n  klagen 
über  eine  gewisse  Schwäche  bei  Bewegungen,  namentlich  der 
unteren  Extremitäten  und  über  Kopf-,  Brust-  und  Gliederschmer¬ 
zen;  ob.iektiv  ist  Schwellung  der  Lymphdrüsen  und  in  diesen 
der  Befund  von  Trypanosomen  zu  konstatieren.  Die  Krankheit 
dauert  gewöhnlich  einige  Monate,  aber  auch  schon  ein  bis  zwei 
Jahre  lang.  Bei  den  Schwerkranken  zeigen  sich  sichtbare 
Störungen  der  Muskeltätigkeit:  Zittern  der  Glieder,  schleppender 
oder  taumelnder  Gang,  die  Kranken  werden  geführt,  gestützt, 
schließlich  können  sie  nicht  mehr  sitzen,  sie  liegen  hilflos  da. 
Auch  deren  psychische  Funktionen  sind  gestört:  Aufregung  mil 
Bewegungstrieb,  Schreckhaftigkeit,  bis  zu  Tobsuchtsanfälien ; 
anderseits  wieder  Schwächezustände,  Apatliie,  Schläfrigkeit,  in 
höheren  Graden  Stumpfsinn  und  Somnolenz,  Störung  oder  Er¬ 
löschen  des  Bewußtseins,  mit  Enuresis  (ein  regelmäßiges  Sym¬ 
ptom)  und  auch  unwillkürlicher  Abfluß  des  Speichels.  Eine  Kom¬ 
bination  der  motorischen  und  psychischen  Störungen  stellt  das 
typische  Bild  der  Trypanosomiasis  bei  Schwerkranken  vor.  Kocli 
beschreibt  eingehend,  unter  Zitierung  kurzer  Krankengeschichten,, 
das  Schwinden  der  Symptome  nach  Atoxylinjektionen,  selbst  bei 
Schwerkranken.  Die  Trypanosomen  schwinden  aus  den  Drüsen 
auf  mindestens  30  Tage  (in  zwölf  Fällen  nach  einer  einzigen 
Dosis  von  Atoxyl,  in  140  Fällen  iiach  'einer  Doppelinjektion  in 
zwei  Tagen).  Einzelne  Schwerkranke  wurden  nicht  gebesserl. 
Vielleicht  stellt  sich  die  Besserung  noch  später  ein  oder  es  ist 
deren  Zentralnervensystem  schon  so  sehr  geschädigt,  daßi  die 
Restitution  nicht  mehr  eintreten  kann.  Wenn  nach  der  Behand¬ 
lung  in  den  punktierten  Drüsen  in  einzelnen  Fällen  Trypanosomen 
gefunden  werden,  so  sind  es  stets  nur  vereinzelte  Exemplare,  die 
auch  ein  defektes  Aussehen  haben,  als  ob  sie  abgestorben  wären. 
Diese  so  wirksame  Atoxylbehandlung  hat  noch  das  gute,  daß 
sie  sich  ohne  Schwierigkeit  für  große  Massen  von  Menschen 
eignet.  —  (Dimtsche  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  2.) 

E.  F. 

* 

128.  lieber  die  elektrolytische  Peritomie.  Von 
:\.v.  Lint.  Beim  lymphatischen  und  trachoma  töseir  Pannus  werden 
durch  die  Peritomie  sehr  günstige  Resultate  erzielt.  Nach  dem 
Verschwinden  der  Blutgefäße  hellt  sich  die  Kornea  auf  und  das 
Sehvermögen  bessert  sich.  Die  mit  der  Schere  vorgenommene 
Peritomie  gibt  bei  Beschränkung  auf  die  der  Kornea  unmittelbar 
benachbarte  Bindehaut  unvollständige  Resultate,  auch  dann,  wenn 
ein  Bindehautstreifen  entfernt  wird.  Es  ist  auch  notwendig,  juit 
dem  Bistouri  die  episkleralen  Blutgefäße  zu  durchschneiden,  wo 
l)ei  unvorsichtigerem  Vorgehen  die  Gefahr  einer  Perforation  der 
Sklera  gegeben  ist.  Auch  die  mit  dem  Thermokauter  oder  Galvano¬ 
kauter  vorgenommene  Peritomie  erfordert  sehr  große  Vorsicht. 
Die  Erfahrungen  des  Verfassers  mit  der  elektrolytischen  Peritomie 
haben  günstige  Besultate  ergeben.  Das  Verfahren  ist  einfach 
und  gefahrlos,  es  werden  auch  die  kleinsten  Gefäße  zum  Schwin¬ 
den  gebracht  und  die  Kornea  hellt  sich  rasch  auf.  Zur  eleklro- 
lytischen  Peritomie  verwendet  man  eine  Elektrode,  welche  keine 
Verletzung  des  Auges  erzeugen  kann  ;  sie  l)esteht  aus  einer  Kugel 
von  zwei  Millimeter  Durchmesser,  welclie  auf  einem  leicht  ge¬ 


krümmten  Stiel  sitzt.  Das  Auge  wird  mit  Kokain  anästhesiert, 
eine  Fixation  des  Bulbus  mit  der  Pinzette  ist  nicht  erforderlich. 
Bei  <ier  Peritomie  an  der  oberen  Hornhautfläclie  läßt  man  den 
Kranken  nach  abwärts  blicken.  Man  führt  die  kugelförmige  Elek¬ 
trode  über  die  Hornhaut,  dem  Sitze  des  Pannus  enlsprecheud, 
sowie  über  die  Bindehaut,  namentlich  in  der  Region  des  Limhus 
der  Hornhaut.  Man  verbindet  die  Elektrode  mit  dem  negativen 
Pol,  die  positive  Elektrode  wird  auf  die  Wange  derselben  Seite 
appliziert.  Die  Stromstärke  beträgt  2  Millicunpere.  Der  Strom 
wird  nach  Aufsetzen  der  Elektrode  auf  den  Bulbus  allmäldich 
eingeleitet.  Ebenso  empfiehlt  es  sich,  den  Strom  langsam  auszu¬ 
schalten.  Die  Elektrode  wird  auf  dem  Bulbus  hin  und  her  geführt, 
ohne  den  Kontakt  zu  unterbrechen.  Die  Operation  erfordert  je 
nach  der  Größe  des  Pannus  10  bis  15  Minuten.  Durch  die  Elek¬ 
trolyse  werden  die  Gefäße  eröffnet  und  es  ergießt  sich  das  Blut 
über  die  Kornea,  sowie  in  die  Maschen  des  Gewebes  der  Binde¬ 
haut  und  in  das  episklerale  Bindegewebe.  Die  Aidegung  eines 
Verbandes  nach  der  Operation  ist  nicht  notwendig.  Beim  Pannus 
lymphaticus  führt  die  elektrolytische  Peritomie  zur  vollständigen 
Heilung,  bei  trachomatösen  Pannus  wird  wesentliche  Besserung 
erreicht.  Mit  einer  kugelförmigen  Elektrode  von  1  mm  Durch¬ 
messer  und  unter  Anwendung  einer  Stromstärke  von  1  bis 
2  IMilliampere  lassen  sich  Geschwüre  und  Flecke  der  Hornhaut 
erfolgreich  behandeln.  Die  Elektrode  wird  hier  gleichfalls  mil. 
dem  negativen  Pol  veißunden.  —  (Journ.  med.  de  Bruxelles 

1907,  Nr.  3.)  a.  e. 

** 

129.  Transitorische  Aphasie  bei  A 1  k  o  h  o  1  d  e  1  i  r  i  e  n. 
Von  Dr.  C.  F.  v.  Vleuten,  Assistenzarzt  der  städtischen  Anstalt 
zu  Dalldorf.  Im  Verlaufe  gewisser  atypischer  Alkoholdelirien, 
die  mehr  chronisch  verlaufen,  mit  geringerer  Heftigkeit  und  Ver¬ 
worrenheit  der  Sinnestäuschungen,  ohne  kritischen  Abschluß,  be¬ 
sonders  aber  mit  verhältnismäßig  geringen  motorischen  Erschei¬ 
nungen  einhergeheu,  fand  v.  Vleuten  Sprachstörungen,  die  mit 
dem  Abschluß  des  Deliriums  wieder  schwanden  und  die  sich 
als  unvollständige  transkortikale  motorische  Aphasie  Wernickes 
(amnestische  Aphasie  Kußmauls,  Sprachbildvergessenheit 
Ballets)  erwiesen:  Spontansprechen  gestörp  indem  Worte 
fehlen,  während  die  Kranken  genau  wissen,  was  sie  sagen 
wollen  und  die  Bedeutung  eines  Gegenstandes  durch  Gesten 
deutlich  machen  können,  Schrift  paragraphisch.  Nachsprechen, 
Nachschreiben  intakt,  Lesen,  von  gelegentlichem  Versprechen  ab¬ 
gesehen,  gut,  ebenso  das  Verständnis  für  Gelesenes,  v.  Vleuten 
hält  dafür,  daß  diese  Delirien  als  epileptisch -  alkoholische  Delirien 
aufzufassen  sind.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie  und 
psychisch  -  gerichtliche  Medizin,  Bd.  63,  H.  6.)  S. 

\/ermiseht0  flaehriehten. 

E  r  n  a  n  n  ( :  Dr.  V  a  n  d  e  r  s  t  r  a  e  t e  n  zum  Professor  der 
Augenheilkunde  in  Löwen. 

♦ 

Verliehen:  Dem  Privatdozenten  für  Chirurgie  Doktor 
de  Quervain  in  Bern  der  Professortitel. 

* 

Hahilitiert:  Dr.  Rossi  in  Genua  für  interne  Patho¬ 
logie.  —  Dr.  Fr  at  tin  in  Padua  für  externe  Pathologie. 

Gestorheu:  Hofrat  Dr.  Friedrich  Gauster,  Obersanitäls- 
rat  a.  1).  im  Eiseubahnministerium  in  Wien. 

* 

In  der  Sil zung  des  n  i  e  d  e  r  ö  s  t  e  i'  r  e  i  c  h  i  s  c  h  e  n  L  a  n  d  e  s- 
sanitätsrates  vom  25.  Februar  1907  hielt  der  Vorsitzende 
dem  verstorbenen  Mitgliede  und  Vorsitzendenstellvertreter  des 
niederösterreichischen  Landessanitätsrates,  Regierungsrat  Doktor 
Adalbert  Tilkowsky  einen  Nachruf.  Sodann  wurden  folgende 
Referate  erstattet :  1.  Heber  die  b('i  der  Errichtung  von  Milch¬ 
sammelstellen  (Milchhäusern)  einzuhaltenden  sanitären  Forde¬ 
rungen.  2.  Heber  das  Vorgehen  einer  privaten  Desinfektions¬ 
firma  in  Wien.  3.  Heber  Maßnahmen  zur  Hintauhaltung  der 
Verhreitiing  übertragbarer,  nicht  anzeigepflichtiger  Krankheiten  im 
W^ege  der  Schule.  Schließlich  wurile  ein  Initiativantrag  hetreffend 
einige  in  der  letzten  Zeit  in.  \Vien  vorgekomniene  Milzbrand¬ 
erkrankungen  unter  IMenschen  eingebracht  mul  einem  Komitee 
zu  gewiesen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  10 


-'4 


Bezüglich  der  Hundertjahrfeier  des  Operate  u  r 
institutes  erhalten  wir  folgende  Zuschrift:  Die  Vorstände  der 
beiden  clhnirgischen  Universitätskliniken  werden  am  15.  IMärz 
dieses  Jahres  das  hundertjährige  Bestehen  des  Operateurinstitutes 
feieiTi.  Am  Vormittage  finden  an  den  Kliniken,  u.  zw.  an  der 
I.  chirurgischen  Klinik  (v.  Eiseisberg)  von  V2IO  bis  11  Uhr 
und  an  der  11.  chii'urgischen  Klinik  (Hochenegg)  von  11  bis 
V2I  Uhr,  Krankendemonslrationen  und  Besichtigung  der  klinischen 
Einrichtungen  slatl.  —  Am  Abend  l)egeht  die  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  ihrer  diesjährigen  Jahresversammlung  die  Feier 
des  80.  Geburtstages  Lord  Listers,  des  Begründers  der 
modernen  Chirurgie,  zu  welcher  die  ehemaligen  Zöglinge  des 
( Ipeiateurinstitutes  eingeladen  sind.  Prof.  Alexander  Fraenkel 
wird  die  Festrede  halten.  Nachher  findet  eine  gesellige  Zu¬ 
sammenkunft  statt.  Teilnehmer  wollen  sich  bei  einem  der  Vor¬ 
stände  der  chirurgischen  Kliniken  melden. 

* 

G  {'  setz  über  die  Kegel  u  n  g  de  r  B  e  z  ü  g  e  der  Hoc  h- 
s  c  h  u  1  p  r  0  f  e  s  s  o  r  en  vom  24.  Februar  1907.*)  I.  Univer¬ 
sitäten  und  denselben  g  1  e  i  c  h  g  e  li  a  1 1  e  n  e  Hochschulen 
u  n  d  L  e  h  r  a  n  stallen.  §  1.  Die  ordentlichen  P  r  o  f  e  s  s  0  r  e  n 
an  allen  Fakultäten  der  Universitäten,  an  den  Technischen  Hoch¬ 
schulen,  dann  an  der  Hochschule  für  Bodenkultur  und  der  evan¬ 
gelisch-theologischen  Fakultät  in  Wien  stehen  in  der  VI.  Raugs- 
klasse  der  Staatsbeamten  und  beziehen  nebst  der  systemmäßigen 
Aktivitätszulage  einen  Gehalt  von  6400  Kronen,  welcher  sich 
nach  dem  5.  und  10.  Jahre  um  je  800  Kronen,  nach  dem  15. 
und  20.  Jahre  um  je  1000  Kronen  und  nach  dem  25.  Jahre  um 
1200  Kronen  (Quincjuennalzidagen)  erhöht.  Sämtliche  ordent¬ 
lichen  Professoren  beziehen  in  Wien  außerdem  eine  in  die  Pension 
nicht  einrechenbare  Zulage  von  800  Kronen  jährlich.  §  2.  Der 
Gehalt  der  außerordentlichen  Professoren  an  den  ihn 
§  1  bezeichneten  Hochschulen  wird  nach  dem  5.  und  10.  Jahre 
um  je  800  Kronen,  sodann  nach  dem  15.  und  20.  Jahre  um  je 
600  Kronen  (Quinciuennalzulagen)  erhöht.  §  6.  Die  Bestimmungen 
des  Gesetzes  vom  15.  April  1896,  R.-G.-Bl.  Nr.  63,  betreffs  der 
Bezüge  der  Professoren  an  den  vom  Staate  erhaltenen  Hebammen¬ 
lehranstalten  werden  in  folgender  Weise  abgeändert:  Die  Pro¬ 
fessoren  an  den  vom  Staate  erhaltenen  Hebammenlehranstaltien 
stehen  in  der  VH.  Rangsklasse  der  Staatsbeamten  und  beziehen 
jiebst  der  systemmäßigen  Aktivilätszulage  einen  Gehalt  von 
3600  Kronen  jährlich,  welcher  sich  nach  dem  5.  und  10.  Jahre 
um  je  800  Kronen,  sodann  nach  dem  15.  und  20.  Jahre  um  je 
600  Kronen  (Oninquennalzulagen)  erhöht.  Die  vor  der  Rechts¬ 
wirksamkeit  dieses  Gesetzes  in  der  Eigenschaft  als  Professor 
einer  staatlichen  Hehammenlehranstalt  zurückgelegten  Dienstjahre 
sind  hiebei  in  Anrechnung  zu  bringen.  VI.  Schl  u  hbestimi- 
mungen.  §  21.  Die  Bestimmungen  dieses  Gesetzes  finden  auch 
auf  jene  Lehrpersonen  Anwendung,  deren  Ernennung  vor  Beginn 
der  Wirksamkeit  dieses  Gesetzes  erfolgt  ist.  Personalzulagen, 
welche  einzelnen  Lehrpersonen  bewilligt  wurden,  sind  nach  Ma߬ 
gabe  der  Erlangung  höherer  Bezüge  einzuziehen.  §  22.  Dieses 
Gesetz  tritt  mit  dem  1.  April  1907  in  Kraft.  §  23.  Mit  der  Durch¬ 
führung  dieses  Gesetzes  ist  Mein  Minister  für  Kultus  und  Unter¬ 
richt  betraut.  Wien,  am  24.  Februar  1907.  Franz  Joseph  m.  p. 
Beck  m.  p.  IMarchet  m.  p. 

* 

Am  26.  Februar  1907  fand  in  der  Wiener  Aerzte- 
kammor  eine  Kammerhauptversammlung  statt,  die  folgenden 
Verlauf  nahm:  Nach  Verlesung  der  Einläufe  erinnert  der  Kammer¬ 
präsident  Dr.  Ewald  an  den  bereits  gefaßten  Beschluß  hin¬ 
sichtlich  der  Bemühungen  zur  Erlangung  einer  entsprechenden 
Vertretung  im  neu  zu  wählenden  Reichsrat.  Ferner  berichtet 
er,  daß  die  Eingabe  der  Aerztekammer  an  das  Handelsministerium 
um  Herabsetzung  der  T  e  1  e  p  h  0  n  a  b  o  n  n  e  m  e  n  t  s  g  e  b  ü  h  r  e  n  in¬ 
sofern  Berücksichtigung  fand,  als  die  Telephone  der  Aerzte  in 
die  Kategorie  der  Wohnungstelephone  eingereiht  werden  mit  der 
Begünstigung,  daß  sie  3000  Gespräche  im  Jahre  haben  dürfen. 
In  einem  Bericht  wird  unter  anderem  hervorgehoben,  daß  die 
Kammer  in  Avichtigen  Fragen  mir  deshalb  keinen  vollen  Erfolg 
erzielen  konnte,  weil  ihr  hei  Erfüllung  ihri'r  gesetzlichen  Pflich¬ 
ten  die  Thiterstützung  der  Behörden  nicht  zuteil  wurde.  Nach  einem 
Referat  des  Dr.  (irün  wird  beschlossen,  in  Anbetracht  der  all¬ 
gemeinen  Teuerung  den  Aerzten  eine  öO^/idge  Erhöhung  der 
bisherigen  Honorare  zu  empfehlen  und  nach  einem  Referat 
des  Dr.  Keller,  auch  die  gleiche  Honorarerhöhung  rlen  Pro¬ 
fessoren  und  Privatdozenten  zu  empfehlen,  da  eine  solche  I\Iaß- 

'*)  Soweit  abgedruckt,  als  das  Gesetz  für  die  Bezüge  der  Professoren 
an  den  med.  Fakultäten  in  Anwendung  kommt. 


regel  für  die  ührigen  Aerzte  praktisch  nicht  durchzuführen  wäre. 
Anschließend  wird  auch  die  Erhöhung  des  Honorars  für  Abend- 
und  Nachtvisiten,  sowie  für  Besuche  heschlossen,  die  „sofort“ 
bei  Berufung  und  für  solche,  die  für  eine  bestimmte  Stunde 
gewünscht  werden.  Abendbesuche  sind  jene,  die  zwischen  7  Uhr 
und  10  Uhr  abends  mid  Nachtbesuche  solche,  die  zwischen  10  Uhr 
abends  und  7  Uhr  früh  gemacht  werden.  Dr.  Grün  beantrag!!, 
von  nun  ab  statt  der  üblichen  Jahresrechnungen  Quartals¬ 
rechnungen  auszuschicken.  Dieser  Vorgang,  der  sich  in 
Deutschland  bewährt  hat,  wird  den  Aerzten  von  der  Kammer 
beschlossen.  Das  Publikum  wird  auf  diese  Aenderung  von  der 
Kammer  aufmerksam  gemacht  cverden  und  die  Aerzte  können 
Abdrücke  dieses  Beschlusses  von  der  Kammer  erhalten,  um  diese 
Abdrücke  auf  den  Quartalshonorarnoten  aufzukleben. 

* 

Die  Gesellschaft  Deutscher  Nervenärzte  wird 
ihre  erste  Jahresversannnlung  im  September  d.  .1.  in  Dresden 
abhalten.  Die  Eröffnungssitzung  fällt  voraussichtlich  auf  den 
14.  September.  Die  Referate  (Kr  aus -Berlin,  Bruns-Han¬ 
nover,  Ne  is  se  r- Stettin,  L.  R.  Müller- Augsburg)  beziehen  sich 
in  erster  Linie  auf  die  chirurgische  Therapie  der  Nervenkrank¬ 
heiten.  Vorträge  haben  übernommen:  A.  Pick -Prag,  Nonne- 
Hamburg,  A.  S  c h  ü  1 1  e  r- Wien  u.  a.  Weitere  Vorträge  sijid  recht¬ 
zeitig  anzumelden  bei  Prof.  H.  Oppenheim-Berlin. 

* 

Den  Tagesnachrichten  zufolge  hat  Bankier  Osiris  in  Paris 
das  dortige  Institut  Pasteur  zum  Universalerben  seines 
30  Millionen  Franken  betragenden  Vermögens  eingesetzt. 

* 

Die  im  Sinne  des  Gesetzes  vom  16.  Januar  1896,  R.-G.-Bl. 
N r.  89  ex  1897  zunächst  für  A  s  p  i  r  a  n  ten  auf  M  a  r  k  t  k  o  m- 
m  i  s  s  ä  r  s  t  e  1 1  e  n  jährlich  abzuhaltenden  Kurse:  a)  Ueber  mikro¬ 
skopische  Fleischbeschau ;  b)  über  vegetabilische  Nahrungs-  und 
Genußmittel  und  c)  über  chemische  Technologie  der  Nahrungs¬ 
und  Genußmittel  Averden  11.  zw.  der  erste  im  k.  u.  k.  Alilitär- 
tierarzneiinstitut  in  Wien  in  der  Zeit  vom  22.  April  bis  4.  Mai 
laufenden  Jahres  an  Wochentagen  vormittags,  der  zAveite  und 
dritte  Kurs  vom  15.  April  bis  21.  Juni  Montag,  MittAvoch  und 
Freitag  von  3  bis  5  Uhr  nachmittags  im  Hörsaal  des  hygieni¬ 
schen  Institutes  in  Wien  stattfindeii.  Die  Prüfungen  Averden  nach 
Schluß  der  Kurse  abgehalten.  Aerzte,  Tierärzte  und  Aspiranten 
auf  Vieh-  und  Fleischbeschauer-,  soAvie  auf  Marklkommissär- 
stellen  u.  a.,  AAmlche  an  diesen  unentgeltlich  abzuhaltenden  Kursen 
teilnehmen  Avollen,  haben  sich  Amr  Beginn  derselben  im  Rektorat 
der  k.  u.  k.  tierärztlichen  Hochschule  in  Wien,  bzw.  in  der 
k.  k.  allgemeinen  Untersuchungsanstalt  für  Lebensmittel  in 
IVien  IX.,  SchAvarzspanierstraße  Nr.  17,  zu  melden.  Wien,  am 
23.  Februar  1907.  Von  der  k.  k.  niederösterr.  Statthalterei. 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  t  ä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  7.  Jahreswoche  (vom  10.  bis 
16.  Februar  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  637,  unehelich  303,  zu¬ 
sammen  940.  Tot  geboren  ehelich  55,  unehelich  34,  zusammen  89. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  797  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  21'2  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  15,  Scharlach  4,  Keuchhusten  2, 
Diphtherie  und  Krupp  10,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  1,  Rotlauf  4, 
Lungentuberkulose  137,  bösartige  Neubildungen  52,  Wochenbett¬ 
fieber  5.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  38  (H-  1),  Wochen¬ 
bettfieber  6  (=),  Blattern  0  (0),  Varizellen  88  ( —  26),  Masern  330 
( — •  56),  Scharlach  107  (-f-  15),  Flecktyphus  0  (0),  Bauch  typhus  2  (4-  1), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  77  ( —  19),  Keuch¬ 
husten  56  (4-  10),  Trachom  1  (-f  1),  Influenza  3  (4-  2). 


Freie  Stellen. 

Distriktsarztesstelle  in  St.  Stefan  im  Gailtal  (Kärnten). 
Mit  dieser  Stelle  ist  eine  Jahresremuneration  von  K  1400,  u.  zw.  K  600 
aus  dem  Landesfonds  und  K  800  von  den  betreffenden  Gemeinden,  ver¬ 
bunden.  Außerdem  stellt  die  Gemeinde  St.  Stefan  eine  passende  freie 
Wohnung  bei  und  hat  der  Distriktsarzt  für  Dienstreisen,  Durchführung 
der  öffentlichen  Impfung  und  Vornahme  der  Totenbeschau  Anspruch  auf 
die  normierten  Gebühren.  Die  gegenseitige  Kündigungsfrist  beträgt  zwei 
Monate.  Der  Distriktsarzt  ist  verpflichtet,  eine  Hausapotheke  zu  führen 
und  Gemeindearme  im  Wohnort  und  bis  zu  inklusive  1  km  Entfernung 
unentgeltlich  zu  behandeln.  Die  Bewerber  umi  diese  Stelle  wollen  ihre 
vorschriftsmäßig  belegten  und  gestempelten  (K  1)  Gesuche  entweder  direkt 
oder  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  bis  längstens  31.  März  d.  J. 
an  die  Bezirkshauptmannschaft  He  rmagor  einsenden. 

An  der  Gebäranstalt  des  Kaiserin-Elisabeth-Wöchnerinnenheims 
»Lucina«  in  Wien  ist  die  Stelle  eines  Sekundär arztes  sofort  zu 
besetzen.  Bewerbungen  sind  zu  richten  an  den  dirig.  Primararzt 
Dr.  Bosse,  Wien  IX.,  Günthergasse  3. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


295 


Verhandlungen  ärztlicher  d^esellschaften  und  Eongreßberichte. 

INHALT: 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  Sitzung  vom  1.  März  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  1.  März  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  R.  Chrobak. 

Schriftführer:  Prof.  R.  Paltauf. 

A.  Administrative  Sitzung. 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  von  dem  Verluste,  den 
die  Gesellschaft  durch  den  Tod  ihres  Mitgliedes  Herrn  Regierungs¬ 
rat  Dr.  A.  Tilkowsky,  Direktor  der  niederösterreichischen 
Landesirrenanstalt  in  Wien,  erlitten  hat,  wobei  sich  die  Mitglieder 
zum  Zeichen  der  Trauer  von  den  Sitzen  erheben. 

Der  Präsident  bringt  zur  Kenntnis,  daß  die  diesjährige 
feierliche  Jahressitzung  Lord  Lister  gewidmet  sein  wird,  welcher 
am  5.  April  seinen  80.  Geburtstag  begeht.  Mit  dieser  Feier, 
welche  einen  Rückblick  auf  die  Entwicklung  der  modernen 
Chirurgie  gestattet,  wird  sich  gleichzeitig  die  Erinnerung  an  die 
vor  100  Jahren  erfolgte  Gründung  des  Operateurinstituts  an  der 
Wiener  Fakultät  verknüpfen;  aus  diesem  Anlasse  hat  das  Prä¬ 
sidium  auch  jene  ehemaligen  Operateure  und  Assistenten,  welche 
nicht  Mitglieder  der  k.  k.  Gesellschaft  sind,  durch  die  Herren 
Vorstände  der  chirurgischen  Kliniken  Hofräte  v.  Eiseisberg 
und  Hochenegg  zu  dieser  Versammlung  geladen.  Die  Festrede 
auf  Lister  wird  Herr  Prof.  A.  Fraenkel  halten. 

Um  nun  der  feierlichen  Jahressitzung  einen  größeren  Zeit¬ 
raum  zu  ermöglichen,  wurde  die  Erstattung  des  Ribliotheksberichtes 
in  die  heutige  Vorversammlung  verlegt,  was  nach  den  Statuten 
zulässig  ist. 

Bibliotheksbericht. 

Herr  Prof.  Unger:  Hochgeehrte  Herren!  Der  Zuwachs,  den 
die  Bibliothek  im  abgelaufenen  Jahre  erfahren  hat,  war  ein 
besonders  reicher.  Geschenke  und  Spenden  sind  uns  in  großer 
Anzahl  zugekommen  und  auch  die  neuen  Erwerbungen  durch 
Ankauf  haben  in  weiteren  Grenzen  stattgefunden,  als  dies  in 
früheren  Jahren  geschehen  ist.  Und  dabei  ist,  wie  Ihnen  der  Herr 
Vermögensverwalter  zu  Beginn  dieses  Jahres  auseinandergesetzt 
hat,  das  ordentliche  Bibliotheksbudget  nicht  nur  nicht  über¬ 
schritten,  sondern  auch  nicht  einmal  vollständig  erschöpft  worden. 
Indem  ich  Ihnen  nun  den  Jahresbericht  über  die  Bibliotheks¬ 
verwaltung  erstatte,  will  ich  zunächst  der  zahlreichen  Spenden 
gedenken,  von  den  einzelnen  Geschenken  jedoch  —  um  Ihre  Zeit 
nicht  zu  sehr  in  Anspruch  zu  nehmen  —  bloß  die  wichtigeren 
namentlich  anführen. 

An  größeren  und  wertvollen  Spenden  hat  die  Bibliothek 
erhalten : 

1.  Von  unserem  Präsidenten  Hofrat  Chrobak:  Die  Ver¬ 
handlungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie.  XL  Ver¬ 
sammlung  in  Kiel  1905.  Leipzig  1906.  —  Die  Verhandlungen  der 
Gesellschaft  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte;  77.  Versammlung 
zu  Meran  1905.  Leipzig  1906.  —  Da  Costa  A.,  L’orientation 
foetale  et  la  loi  de  pajot.  Lisboa  1906.  4“.  —  D  a  C  o  s  t  a  A., 
Quelques  renseignements  statistiques  sur  la  maternite  provisoire 
de  Lisbonne.  Lisboa  1906.  4'^. 

2.  Von  unseren  ordentlichen  Mitgliedern:  Prof.  P  as  c  hk  i  s  : 
6  Einzelwerke  und  das  The  Pharmaceutical  Journal  1906.  Real¬ 
enzyklopädie  der  gesamten  Pharmazie.  Bd.  VH.  Dr.  Galatti: 
L’ Anjou  medical.  Angers.  Annee  X,  XI,  XH.  Lavori  dei  Congress! 
di  medicina  interna  1890,  1892.  XHI.  Congres  internet,  de 
medecine.  Paris  1900.  Section  Medecine  de  l’enfance.  Revue 
rnensuelle  des  maladies  de  l’enfance.  Tome  VH  (Ergänzung). 
Annales  de  medecine  et  de  Chirurgie  infantiles.  Paris  1906. 
Comptes  rendus  du  Congres  internet,  pour  Tenfance  tenu  ä 
Budapest  1899.  Budapest  1901.  —  Prof.  Kassowitz:  Trans¬ 
actions  of  the  internet.  Medical  Congress,  VH.  Session.  London 
1881.  Vol.  I — IV.  —  Dr.  Oskar  Frankl:  3  Einzelwerke. 

Dr.  R.  P  a  s  c  h  k  i  s  :  1  Einzelwerk,  6  Dissertationen.  —  Doktor 
K.  U 1 1  m  a  n  n  :  Vierteljahresschrift  für  Dermatologie  und  Syphilis 
1886  (Ergänzung).  Mitteilungen  der  k.  k.  geographischen  Gesell¬ 
schaft,  35  Hefte  (Ergänzung).  —  Dr.  Albert  Spie  gier:  La 


Semaine  medicale  1890  (Ergänzung).  —  Dr.  Winkler:  Annales 
d’electrobiologie  et  de  Radiologie.  Lille  1905.  —  Dr.  Joan  n  o- 
vicz:  Medizinalbericht  von  Württemberg  für  da&  Jahr  19 J4. 
Stuttgart  1906.  Thompson  Yates  &  Johnston  Laboratoris  Report. 
Vol.  VI,  2.  Liverpool  1904.  —  Doz.  Dr.  K  u  n  n  :  Jahrbücher  für 
folkloristische  Erhebungen  und  Forschungen  zur  Entwicklungs¬ 
geschichte  der  geschlechtlichen  Moral.  Herausgegeben  von  Doktor 
F.  S.  K  r  a  u  s.  Bd.  HI.  —  Dr.  A.  L  o  e  w  :  Das  österreichische 
Sanitätswesen  1906.  -  Priv.-Doz.  W.  Pauli:  1  Einzelwerk  und  die 
Berichte  der  Deutschen  chemischen  Gesellschaft  (Jahrgänge  1904, 
1905  und  1906).  —  Priv.-Doz.  C.  Sternberg:  1  Einzelwerk.  — 
Priv.-Doz.  Rothberger:  2  Einzelwerke.  —  Prof.  Pal:  1  Einzel¬ 
werk.  —  Dr.  Glaessner:  Zeitschrift  für  experimentelle  Patho¬ 
logie  und  Therapie.  Bd.  II,  Heft  1  (Ergänzung).  —  Prof.  Lang: 
Clinica  dermosifilopatica  della  R.  Universitä  di  Roma.  Anno 
XXIV,  1,  2  ;  XXV,  1. 

3.  Von  unseren  Ehren-  und  korrespondierenden  Mitgliedern 
haben  gespendet :  Herr  Prof.  Dr.  Paul  v.  B  a  u  m  g  a  r  t  e  n  in 
Tübingen  seinen  Jahresbericht  über  die  pathogenen  Mikro¬ 
organismen.  Jahrgang  XX,  1904.  Leipzig  1906.  Die  Arbeiten  auf 
dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie  und  Bakteriologie. 
Leipzig  1905.  1906,  Bd.  V,  Heft  2  und  3.  —  Herr  Geh.  Medizinal¬ 
rat  Prof.  Dr.  Johann  Orth:  Arbeiten  aus  dem  pathologischen 
Institut  zu  Berlin.  Zur  Feier  der  Vollendung  der  Institutsneubauten 
herausgegeben  von  J.  Ort  h.  Berlin  1906.  8“.  Herr  Geheimer 
Medizinalrat  Prof.  Dr.  0.  Heubner  sein  Lehrbuch  der  Kinder¬ 
heilkunde.  Zweite  Auflage  1906.  -  -  Herr  Geh.  xMedizinalrat  Pro¬ 
fessor  Dr.  H.  He  If  rieh:  Atlas  und  Grundriß  der  traumatischen 
Frakturen  und  Luxationen.  München  1906.  8”.  —  Herr  Professor 
Dr.  L.  Aschoff:  Aschoff  und  Taw  a  r  a.  Die  heutige  Lehre 
von  den  pathologisch-anatomischen  Grundlagen  der  Herzschwäche. 
Jena  1906.  Tawara,  Das  Reizleitungssystem,  des  Säugetier¬ 
herzens,  Jena  1906,  und  einige  andere  kleinere  Arbeiten.  Herr 
Prof.  E.  Steinach  (aus  dem  Nachlasse  des  Herrn  Doktor 
S.  Steinach):  28  Einzelwerke,  1  Sammelwerk  (und  Ergänzungen), 
zusammen  43  Bände.  —  Herr  Dr.  A.  Pollatschek  sein  Jahr¬ 
buch  :  Die  therapeutischen  Leistungen.  Jahrgang  1905.  Wies¬ 
baden  1906.  Herr  Prof.  Dr.  G.  Pommer:  Ein  anatomischer 
Beitrag  zur  Kenntnis  des  Wachstums  im  Bereiche  angeborener 
Defekte.  Leipzig  1906. 

4.  Ihre  eigenen  Werke  und  Zeitschriften  haben  gespendet 
die  Herren  ordentlichen  Mitglieder:  F.  Kornfeld  (Lepin,  Die 
Zuckerkrankheit,  Deutsch  von  F.  Kornfeld);  A.  Bum  (l.  Phy¬ 
siologie  und  Technik  der  Massage,  2.  Handbuch  der  Massage  und 
Heilgymnastik,  vierte  Auflage);  Bär  any  und  Kraft  (La  Symp¬ 
tomatologie  de  la  Narcose  par  le  melange  de  Billroth) ;  Frankl- 
Hoch  w  a  r  t  und  0.  Zuckerkandl  (Die  nervösen  Erkrankungen 
der  Harnblase,  zweite  Auflage);  0.  Frankl  (l.  Die  physikali¬ 
schen  Heilmethoden  in  der  Gynäkologie,  2.  Gynäkologische  Rund¬ 
schau,  Wien  und  Berlin  1906  ff.) ;  A.  F  o  g  e  s  und  0.  Fellner 
(Physikalische  Therapie  der  Erkrankungen  der  weiblichen  Sexual¬ 
organe) ;  V.  Gschmeidler  (Der  ärztliche  Versuch  am  lebenden 
Menschen,  Vortrag) ;  J.  Hochenegg  (Lehrbuch  der  speziellen 
Chirurgie,  auf  Grundlage  E.  Alberts  Lehrbuch  der  Chirurgie, 
neubearbeitet  von  dessen  Schülern,  herausgegeben  von  H  o  c  h  e  li¬ 
eg  g,  Wien  1906);  J.  P.  Kar  plus  (Variabilität  und  Vererbung 
am  Zentralnervensystem  des  Menschen  etc.) ;  M.  N  e  u  b  u  r  g  e  r 
(Geschichte  der  Medizin,  Bd.  I);  H.  Ob  er  st  einer  (Arbeiten 
aus  dem  Neurologischen  Institute,  Bd.  XH,  XHI)  ;  W.  Pauli 
physikal  Chemistry) ;  A.  Schüller  (Die  Schädelbasis  im  Röntgen¬ 
bilde)  ;  L.  T  e  1  e  k  y  (1.  Die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  in  Oester¬ 
reich  1873—1904,  2.  Der  erste  internationale  Kongreß  für  Ge¬ 
werbekrankheiten,  3.  Literatur  von  1905  über  öffentliche  Gesund¬ 
heitspflege) ;  L.  Unger  (Untersuchungen  über  die  Morphologie 
und  Faserung  des  Reptiliengehirns,  I.  Das  Vorderhirn  des  Gecko) ; 
W.  W  i  nte  r  n  i  tz  (Blätter  für  klinische  Hydrotherapie);  J.  Zapp  er  t 
(Die  physikalische  Therapie  im  Kindesalter);  W.  Zweig  (Thera¬ 
pie  der  Magen-  und  Darmkrankheiten). 

5.  Eine  dankenswerte  Spende  erhielt  die  Bibliothek  auch 
in  diesem  Jahre  von  den  Redaktionen  der  in  Wien  er¬ 
sehe  i  n  e  n  d  e  n  m  e  d  i  z  i  n  i  s  c  h  e  n  W  o  c  h  e  n  s  c  hr  i  f  t  e  n,  die 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  10 


296 

je  ein  Freiexemplar  für  das  Lesezimmer  spendeten,  n.  zw.  ;  Die 
Wiener  medizinische  Wochenschrift  (Redakteur  Dr.  H.  Adler); 
Wiener  medizinische  Presse  (Redakteur  Dr.  A.  Rum);  Wiener 
klinische  Rundschau  (Redakteur  Dr.  K.  K  u  n  n  und  Prof.  Obe  r- 
m  e  y  e  r) ;  Wiener  klinisch-therapeutische  Wochenschrift  (Redakteur 
Dr.  M.  T.  S  c  h  n  i  r  e  r) ;  Wiener  allgemeine  medizinische  Leitung  (Re¬ 
dakteur  Dr.  E.  Kraus);  Aerztliche  Zentral-Zeitung  (Redakteur 
Dr.  Ledere  r). 

Eine  weitere  Spende  hat  die  Bibliothek  erhalten  von  der 
Redaktion  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift 
(Prof.  Dr.  A.  F  r  a  e  n  k  e  1),  u.  zw. :  24  Einzelwerke,  28  französische 
und  portugiesische  Inauguraldissertationen  und  38  verschiedene 
(komplette)  .Tahrgänge  von  medizinischen  Zeitschriften  und  ebenso 
haben  die  Verlagshandlungen  Wilhelm  Rraumüller  &  Sohn 
in  Wien  (Zeitschrift  für  Heilkunde  und  das  Oesterreichische 
Aerzte-Kammer-Blatt,  Stricker  S.,  Studien  über  Sprachvor- 
stellungen,  Wien  1880,  8“) ;  Moritz  P  e  r  1  e  s  in  Wien  (Zentralblatt 
für  die  gesamte  Therapie) ;  U  r  b  a  n  &  S  c  h  w  a  r  z  e  n  b  e  r  g,  Berlin 
und  Wien  (Medizinische  Klinik);  Zitter  in  Wien,  Manz  in 
Wien,  Carlo  Clausen  in  Turin,  H  i  r  z  e  1  in  Leipzig,  B  e  r  g- 
rn  a  n  n  in  Wiesbaden  u.  a.  der  Bibliothek  namhafte  Spenden 
zugeführt. 

6.  Eine  größere  Anzahl  von  Spenden  hat  die  Bibliothek 
ferner  erhalten  von  den  hohen  staatlichen  und  Landesbehörden, 
den  kommunalen  Verwaltungen,  den  wissenschaftlichen  Instituten 
und  Vereinen  des  In-  und  Auslandes,  u.  zw.:  Vom  k.  k.  arbeits¬ 
statistischen  Amt  im  Handelsministerium  (Bleivergiftungen 
in  hüttenmännischen  und  gewerblichen  Betrieben,  Ursachen  und 
Bekämpfung,  Teil  HI,  IV.  Wien  1906.  4'’) ;  von  der  k.  k.  s  t  a  t  i- 
stischen  Zentralkommission  (Statistik  des  Sanitäts¬ 
wesens  in  den  im  Reichsrat  vertretenen  Königreichen  und  Ländern 
für  das  Jahr  1902,  Wien  1906);  von  der  kais.  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien  (Anzeiger,  Jahrgang  XVHI 
bis  XXI,  XXXVH,  XXXVHI  und  XL,  zusammen  17  Jahrgänge  als 
Ergänzung) ;  von  der  statistischen  Abteilung  des  Wiener  M  a- 
gistrats  (Statistisches  Jahrbuch  der  Stadt  Wien  für  das  Jahr 
1904,  Wien  1906,  Mitteilungen  der  statistischen  Abteilung  des 
Wiener  Magistrats,  Monatsberichte,  Wochenberichte,  AVien  1906, 
Hecke  W.,  Die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  und  Krebs  in  Wien 
im  Jahre  1904,  Wien  1906);  von  der  k.  k.  geologischen 
R  e  i  c  h  s  a  n  s  t  a  1 1  in  Wien  (Jahrbuch,  Bd.  LVI,  Verhandlungen 
1906) ;  von  der  Universite  Libre  de  Bruxelles  (An- 
nuaire  pour  l’annee  academique  1905/06) ;  von  der  deutschen 
Karl  F  e  r  d  i  n  a  n  d  s  -  U  n  i  V  e  r  s  i  t  ä  t  in  Prag  (Die  feierliche 
Inauguration  des  Rektors  für  das  Studienjahr  1906/07) ;  von  der 
American  otological  Society  (Thirtyninth  annual 
Meeting  New-York  1906,  New-Bedford  1906) ;  von  der  A  s  s  o- 
ciazione  medica  Triestina  (Bollettino  annala  VHI) ;  vom 
34.  schlesischen  Bädertag  in  Reinerz  (Verhandlungen 
1906);  vom  Zentralverband  der  Balneologen  Oesterreichs 
(Veröffentlichungen,  AVien  1906) ;  vom  Wiener  medizini¬ 
schen  Doktoren  kollegium  (Mitteilungen  1906) ;  von  der 
Anthropologischen  Gesellschaft  in  AVien  (Mitteilungen 
Bd.  XXVI,  AATen  1906);  vom  kön  igl.  schwedischen  sta¬ 
tistischen  Zentralbureau  (Sveriges  officiella  Statistik, 
A.  Bevolkningsstatistik  N.  F.  XLH/3) ;  von  der  Norwegischen 
M  e  d  i  z  i  n  a  1  d  i  r  e  k  t  i  o  n  (Norges  officiella  Statistik,  V/28  [Sta- 
tistique  des  hospices  des  alienes  pour  l’annee  1905]);  von  der 
Academie  des  sciences,  Paris  (Comptes  rendus  1906) ; 
von  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und 
Kinderheilkunde  in  AVien  (Mitteilungen  1906);  vom  All¬ 
gemeinen  österreichischen  Apotheker-Verein 
(Zeitschrift,  1906) ;  von  der  British  medical  Association 
(The  British  medical  Journal  1906);  von  der  k.  k.  Zentral¬ 
anstalt  für  Ptleteorologie  (telegraphische  AVetterberichte 
1906) ;  vom  Rockefeller  Institut  for  Medical  Re- 
s  ear  che  (Studies,  A'^ol.  11,  HI,  New-York  1904 — 1905). 

Endlich  haben  noch  gespendet  eine  Anzahl  größerer  und 
kleinerer  Einzelwerke  und  Zeitschriften  die  Herren  :  Bürgermeister 
Dr.  L  u  e  g  e  r  (die  Gemeindeverwaltung  der  k.  k.  Reichshaupt- 
und  Residenzstadt  Wien  im  Jahre  1904,  AATen  1906);  Ingenieur 
H  e  1 1  m  a  n  n  (Mediko-technologisches  Journal  1906) ;  Dr.  Heger 
und  Dr.  Ed.  S  t  i  a  s  s  n  y  (Oesterr.  Chemiker-Zeitung) ;  Doktor 
Ed.  Kraus  (The  Post  Graduate,  New-York,  1906) ;  Dr.  Schürer 
V.  AA'  a  1  d  h  e  i  m  (Ignaz  Philipp  Semmelweis,  Leipzig  1905) ; 
Prof.  S.  Stern  (Allgemeine  analytisch-synthetische  Psychognosie, 
AAfien  1906) ;  Ch.  B.  C 1  u  b  b  e  in  London  (The  Diagnose  and 
Treatment  of  Intussusception.  Edinburgh  and  London  1907) ;  Doktor 
Armstrong  in]  New-York  (Bellevue  and  Allied  Hospitals, 
Annual  Report,  New-York,  1905,  Transactions  of  the  Association 


of  Hospital  Superintendents  VH.  Annual  Conference,  Boston  M., 
1905);  Dr.  AATll.  J.  Gies  in  New-York  (Proceedings  of  the  Society 
for  experimental  Biology  and  Medicine,  Vol.  I  HI,  IV/ 1,  New- 
York  1905—1906);  Dr.  Jul.  AV  e  i  ß  (Oesterr.-ung.  Vierteljahrs¬ 
schrift  für  Zahnheilkunde  1906);  Dr.  John  Z  ah  or  sky  in 
St.  Louis  (St.  Louis  Courier  of  Medicine  1906) ;  Doz.  Dr.  L.  Török 
in  Budapest  (Pester  med. -Chirurg.  Presse  1906) ;  H.  Becker 
(Zeitschrift  für  Eisenbahnhygiene  1906). 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  allen  den  genannten 
Korporationen,  Vereinen,  wissenschaftlichen  Instituten  und  Per¬ 
sonen  für  die  wertvolle  Bereicherung  und  wohlwollende  Förderung 
der  Bibliothek  auch  an  dieser  Stelle  den  ergebensten  Dank  aus¬ 
zusprechen. 

AALas  die  neuen  Erwerbungen  durch  Ankauf  anbelangt,  so 
sind  dieselben  infolge  der  dankenswerten  Spende  der  AATener 
dermatologischen  Gesellschaft  im  Betrage  von  K  500,  sowie  infolge 
der  Einnahmen,  die  wir  durch  die  Ausgabe  von  Gastkarten  an 
Nichtinitglieder  für  die  Benützung  der  Bibliothek  erzielt  haben 
und  auf  die  ich  gleich  zu  sprechen  kommen  werde,  im  abgelaufenen 
Vereinsjahre  viel  reichlicher  wie  sonst  ausgefallen.  AVir  konnten 
nicht  allein  eine  Anzahl  neuer  Zeitschriften,  neuer  Handbücher 
und  Einzelwerke  ankaufen,  sondern  auch  manche  fühlbare  Lücke 
in  unserer  Zeitschriftensammlung  ausfüllen. 

Es  wurden  an  gekauft:  a)  an  Zeitschriften: 

I.  Annales  de  dermatologie  et  de  syphilographie.  Paris,  Masson 
&  Cie.  Tom.  1—6.  1869—1876.  (Ergänzung.)  —  2.  Archiv  für 
Protistenkunde.  Herausgegeben  von  F.  S  c  h  a  u  d  i  n  n.  (Bd.  VH  ff.) 
Jena  1906.  8^  —  3.  Third  international  Congress  of  Dermato¬ 
logy  1896.  London  1898.  8''?  —  4.  IVe  Congres  international 
de  Dermatologie  et  de  Syphilographie.  Publies  par  Dr.  M.  G. 
T  h  i  b  i  e  r  g  e.  Paris  1900.  8®.  —  5.  V.  internationaler  Dermato¬ 
logenkongreß  Berlin  1904.  Berlin  1905.  8'.  —  6.  Verhandlungen 
der  Deutschen  dermatologischen  Gesellschaft.  Kongreß  IV,  VI, 
VII  und  VHI.  AVien  und  Leipzig  1894—1904.  8®  und  4®.  — 
7.  Biochemische  Zeitschrift.  Herausgegeben  von  C.  Buchner, 

J.  Ehrlich,  C.  v.  N  o  o  r  d  e  n,  M.  E.  Salkowski  etc.  Berlin 

1906  ff.-  8®.  —  8.  Zentralblatt  für  praktische  Augenheilkunde. 
Herausgegeben  von  Dr.  J.  H  i  r  s  c  h  b  e  r  g.  Leipzig  1877 — 1898. 
8®.  Bd.  I — XXI  und  alle  Supplemente  (Ergänzung).  —  9.  Malys 
Jahresbericht  für  Tierchemie.  Autoren-  und  Sachregister  zu  den 
Bänden  I— X,  XI— XX.  AViesbaden  1881—1892  (Ergänzung). 
—  10.  Klinisches  Jahrbuch.  Herausgegeben  von  Prof.  Doktor 
Freiherr  v.  Eiseisberg,  Professor  Dr.  Flügge,  Prof.  Doktor 
Kraus,  Prof.  Dr.  Freiherr  v.  Mering  und  Prof.  Dr.  AVerth. 
Jena  1906  ff.  8®.  (Bd.  XVI.)  —  9.  Verhandlungen  der  Deutschen 
dermatologischen  Gesellschaft.  IX.  Kongreß  Berlin  1906.  Berlin 

1907  ff. 

b)  an  E  i  n  z  e  1  w  e  r  k  e  n  :  1.  E.  Besnier,  L.  Brocq  & 
L.  J  a  c  q  u  e  t :  La  pratique  dermatologique  Paris.  Masson  &  Co., 
1900 — 1904.  4®  Tome  I — IV.  —  2.  Ergänzunghefte  (Derma¬ 
tologische  Studien)  zu  Monatshefte  für  praktische  Dermatologie. 
Hamburg  und  Leipzig  1885 — 1906.  8®.  21  Hefte  (Ergänzung).  — 
3.  Lay  et  A.,  Tratte  pratique  de  la  Vaccination  animale.  Paris, 
1889.  8®.  —  4.  Nonne  M.,  Syphilis  und  Nervensystem.  Berlin 
1902.  8®.  —  5.  C  r  o  o  k  s  h  a  n  k  E.  M.,  Hystory  and  Pathology  of 
Vaccination.  London  1889.  8®.  2  Vol.  —  6.  Mackenzie  J.,  Die 
Lehre  vom  Puls.  Aus  dem  Englischen  von  Dr.  A.  Deutsch. 
Frankfurt  a.  M.  1904.  8°.  —  7.  B  ar  t  h  e  1  e  m  y  T.,  Syphilis  et 
sante  publique.  Paris  1890.  8®. —  8-  Prinz  ing  Friedrich,  Hand¬ 
buch  der  medizinischen  Statistik.  Jena  1906.  8®.  —  Berger  Emil 
und  Robert  Loe  wy.  Ueber  Augenerkrankungen  sexuellen  Ursprunges 
bei  Frauen.  Deutsche  zum  Teile  neubearbeitete  Ausgabe  übersetzt 
von  Dr.  Beatrice  Roßbach.  AViesbaden  1906.  8®.  —  10.  A  b  d  e  r- 
halden,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  Berlin  und 
Wien  1906.  8”.  —  11.  Beiträge  zur  wissenschaftlichen 
Medizin  und  Chemie.  Festschrift  zu  Ehren  des  60.  Geburts¬ 
tages  von  Ernst  Salkowski.  Berlin  1904.  8®.  —  12.  Ha n  d- 
buch  der  Physiologie  des  Menschen  in  vier  Bänden. 
Bearbeitet  von  Chr.  B  o  h  r,  R.  du  B  o  i  s  -  R  ey  m  o  n  d,  B  o  r  u  1 1  a  u, 
Cohn  he  im  etc.,  herausgegeben  von  AV.  Nagel.  Braunschweig 
1905  ff.  —  13.  H  u  c  h  a  r  d  H.,  Traite  clinique  des  maladies  du 
coeur  et  de  Taorte.  Troisieme  edition.  Paris  1899 — 1905.  8®. 
Tome  I — HI.  —  14.  Romberg,  Lehrbuch  der  Herzkrankheiten. 
Stuttgart  1906.  8®.  —  15.  Bier  A.,  Hyperämie  als  Heilmittel. 
Vierte  Auflage.  Leipzig  1906.  8®.  —  16.  Festschrift,  gewidmet 
Herrn  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Emil  Ponfick  zum  25jährigem 
Jubiläum  als  Professor  -  Ordinarius  von  seinen  Schülern. 
Breslau  1899.  8®.  —  17.  Bors  t.  Die  Lehre  von  den  Geschwülsten. 
2  Bde.  Wiesbaden  1902.  —  18.  Virchow  Rudolf,  Briefe  an  seine 
Eltern  1839—1864.  Herausg.  v.  Marie  Rabl,  geb.  AM  r  c  h  o  w, 
Leipzig  1907.  8®. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


297 


Im  ganzen  wurden  in  der  abgelaufenen  dreijährigen  Funktions¬ 
periode  18  neue  Zeitschriften  und  28  größere  Werke,  Handbücher, 
Monographien,  Festschriften  etc.  angekauft. 

Ich  gehe  nunmehr  über  zur  Besprechung  des  gegen¬ 
wärtigen  Standes  der  Bibliothek,  wie  sich  derselbe  am 
Schlüsse  des  abgelaufenen  Vereinsjahres  gestaltet  und  berichte 
die  folgenden  Daten  : 

Der  vorjährige  Stand  an  E  i  n  z  e  1  w  e  r  k  e  n  betrug 

14.999  Nummern,  der  gegenwärtige  Stand  beträgt  15.261  Nummern; 
Vermehrung  ;  262  Nummern. 

Der  vorjährige  Stand  an  Zeitschriften  betrug 

727  Nummern,  der  gegenwärtige  Stand  beträgt  746  Nummern ; 
Vermehrung:  19  Nummern. 

Unter  den  Zeitschriften  befinden  sich  392  abgeschlossene 
Nummern  und  354  fortlaufende  Nummern.  Diese  354  fortlaufenden 
Zeitschriften  bilden  unseren  gegenwärtigen,  resp.  diesjährigen 
Einlauf  und  dieser  Einlauf  selbst  besteht  aus  36  Tausch¬ 
exemplaren,  aus  129  gespendeten  und  aus  189  abonnierten  Zeit¬ 
schriften. 

Gebunden  wurden  im  abgelaufenen  Jahre  1059  Einzelbände. 

In  unserer  Duplikatensammlung  hat  sich  seit  der 
Entlastung  derselben  durch  Abgabe  zahlreicher  Werke  und  in¬ 
kompletter  Journale  an  ärztliche  Vereine  und  für  gemeinnützige 
Zwecke  im  abgelaufenen  Vereinsjahre  fast  gar  nichts  geändert. 

Einige  Worte  will  ich  noch  dem  kleinen  Bibliotheksfonds 
und  dessen  Gebarung  widmen,  über  welchen  ich  Ihnen  nunmehr 
zum  dritten  Male  berichte  und  der  aus  den  Einnahmen  für  aus¬ 
gegebene  Gastkarten  an  Nichtmitglieder  zur  Benützung  der 
Bibliothek  entstanden  ist.  Wie  Ihnen  unser  Herr  Vermögens¬ 
verwalter  in  seinem  Expose  ausgeführt  hat,  sind  seit  dem  Jahre 
1903  —  in  welchem  Jahre  zum  erstenmal  mit  der  Ausgabe  solcher 
Gastkarten  begonnen  wurde  —  bis  zum  Ende  des  Jahres  1906 
rund  K  1800  eingenommen  worden.  Von  dieser  Summe  sind  nicht 
allein  sämtliche  Kanzleiauslagen  und  Drucksorten  der  Gesellschaft 
bestritten,  kleine  und  größere  Zeitschriftenlücken  ausgefüllt, 
Abonnements,  Bücher  und  Werke  angekauft  worden,  ohne  das 
Bibliotheksbudget  in  Anspruch  zu  nehmen,  sondern  es  wurde 
auch  ein  Barbetrag  von  K  650  an  die  Vermögensverwaltung  ab¬ 
geführt  und  in  einem  Einlagebuch  der  Postsparkassa  frucht¬ 
bringend  angelegt  und  überdies  noch  etwa  K  80  bis  K  100  er¬ 
übrigt  und  in  das  neue  Vereinsjahr  mit  hinüber  genommen.  Ich 
bin  gerne  bereit,  denjenigen  Herren  Mitgliedern  unserer  Gesell¬ 
schaft,  welche  Einsicht  nehmen  wollen  in  die  Manipulation  dieser 
kleinen  Bibliothekshandkassa,  die  ich  im  eigenen  AVirkungskreise 
verwalte,  die  Belege  und  Rechnungen  vorzulegen  und  jede  ge¬ 
wünschte  Aufklärung  zu  geben.  Im  Jahre  1906  sind  65  Monats¬ 
und  Halbjahrskarten  ausgegeben  worden  und  im  Jahre  1907  bis 
heute  schon  10  und  voraussichtlich  wird  die  Anzahl  der  Bibliotheks¬ 
gäste  im  Laufe  des  Jahres  weiter  anwachsen  und  unserem  kleinen 
Fonds  neue  Zuschüsse  zuführen. 

Ich  bin  hiemit,  meine  Herren,  am  Ende  meines  Berichtes, 
danke  nochmals  allen,  welche  die  Bibliothek  im  abgelaufenen 
Jahre  wohlwollend  gefördert  und  unterstützt  haben  und  bitte  Sie, 
meinen  Bericht  zur  Kenntnis  nehmen  zu  wollen. 

* 

Der  Präsident  dankt  Prof.  Unger  für  den  erstatteten  ein¬ 
gehenden  Bericht  und  spricht  ihm,  sowie  Herrn  Prof.  P as  ch  k i  s 
den  Dank  der  k.  k.  Gesellschaft  für  ihre  ersprießliche  und  auf¬ 
opfernde  Tätigkeit  in  der  Bibliotheksverwaltung  aus. 

Rieh.  Pal  tauf  trägt  die  vom  Verwaltungsrat  angenommene 
Liste  der  für  die  Wahl  vorgeschlagenen  Ehrenmitglieder  (2),  kor¬ 
respondierenden  Mitglieder  (4)  und  ordentlichen  Mitglieder  (37)  vor. 

Es  wird  keine  Einwendung  erhoben. 

Ferner  teilt  der  Herr  Präsident  mit,  daß  der  Verwaltungs¬ 
rat  die  Herren  Prof.  C  h  i  a  r  i,  Prof.  P  a  s  c  h  k  i  s  und  Dr.  K  h  a  u  t  z 
V.  E  u  1  e  n  t  h  a  1  zu  Skrutatoren  nominiert  hat  und  dem  Plenum 
die  Herren  Dr.  Teleky  sen.  und  Hofrat  Zuckerkandl  als 
solche  vorschlägt.  Wird  zugestimmt. 

Eingelangt  ist  eine  Einladung  des  Vereines  für  Wohnungs¬ 
reform  zum  Beitritte. 

B.  Wisseiiscliartliche  Sitzung. 

Dr.  Artur  Goldreich:  Ich  gestatte  mir,  aus  dem  I.  öffent¬ 
lichen  Kinderkrankeninstitut  (Abteilung  des  Priv.-Doz.  Dr.  Hoch¬ 
singer)  den  interessanten  und  seltenen  Fall  einer  multiplen 
fnngösen  Zerstörung  mehrerer  Gelenke,  bei  einem 
siebenwöchentlichen  Säugling  zu  demonstrieren. 

Das  Kind  ist  hereditär  schwer  belastet.  Der  Großvater  väter¬ 
licherseits  ist  angeblich  an  einem  Lnngenleiden  gestorben,  die 
Großmulter  vähulichcrseils  lebt  und  ist  gesund.  Der  Großvater 


mütterlicherseits  ist  angeblich  an  einer  Hämoptoe  zngrunde- 
gegangen,  die  Großmutter  mütterlicherseits  lebt. 

Die  Eltern  des  Säuglings  wurden  von  mir  untersucht.  Der 
Vater  des  Kindes  ist  sehr  blaß  und  mager,  bustet  seit  längerer 
Zeit;  die  Unterstichung  ergibt  in  der  linken  P’ossa  supraspinala 
eine  Dämpfung,  entsprechend  der  Dämpfung  sind  zeitweilig  ver¬ 
einzelte,  konsonierende  Rasselgeräusche  hörbar.  Die  Mutter  des 
Kindes  ist  derzeit  vollkommen  gesund.  Die  Wohnungsverhältnisse 
sind  außerordenilich  ungünstig,  die  Wohnung  ist  dunkel  und 
feucht.  Die  Geschwulst  am  Rücken  des  Kindes  besteht  nach 
Angabe  der  Mutter  seit  14  Tagen,  die  Fistel  am  Fußrücken 
schon  seit  vier  Wochen. 

Das  Kind  wird  künstlich  genährt.  Die  Haut  ist- trocken,  der 
Panniculus  adiposus  außerordentlich  dürftig;  das  Körpergewicht 
beträgt  3200  g. 

Der  Lungenbefund  ergibt  die  Zeichen  eines  diffusen  Katarrhs, 
der  Herzbefund  ist  normal.  Der  abdominelle  Befund  zeigt  nichts 
B  eme  r  ken  s  we  r  t  e  s . 

An  der  Wirbelsäule  konstatiert  man  entsprechend  den  unteren 
Brustwirbeln  eine  livid  verfärbte,  ungefähr  fünfkronenstückgroße, 
deutlich  fluktuierende  Geschwulst. 

Der  rechte  Unterschenkel  ist  ödematös,  der  rechte  Fu߬ 
rücken  zeigt  eine  teigige  Schwellung  und  eine  Fistel,  aus  der 
man  serösen  Eiter  entleeren  kann.  Entsprechend  dem  rechten 
Malleolus  medialis  sieht  man  eine  ungefähr  walnußgroße,  livid 
verfärbte,  deutlich  fluktuierende  Geschwulst.  Auch  die  dritte  linke 
Zehe  ist  livid  verfärbt  und  zeigt  deutliche  Fluktuation. 

Es  besteht  also  klinisch  ein  kalter  Abszeß  an  der  Wirbel¬ 
säule,  eine  fungöse  Erkrankung  des  rechten  Fußes  und  der  dritten 
linken  Zehe. 

Herr  Priv.-Doz.  Dr.  Kienböck  hatte  die  Freundlichkeit, 
die  Röntgenaufnahmen  zu  besorgen.  Er  konnte  an  den  Knochen 
nichts  Pathologisches  wmhrnehmen,  worüber  man  sieb  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  Kleinheit  der  Knochenkerne  in  diesem  Alter  nicht 
wumdern  darf.  Bekanntlich  gehört  die  sicher  nachgewüesene  Tuber¬ 
kulose  der  ersten  drei  Lebensmonate  zu  den  größten  Seltenheiten. 
Wenn  man  so  vorgeschrittene  tuberkulöse  Prozesse  bei  einem 
zur  Zeit  der  ersten  Beobachtung  erst  sechswmchentlichen  Säug¬ 
ling  sieht,  drängt  sich  umvillkürlich  die  Vermutung  auf,  ob  hier 
nicht  ein  Fall  von  angeborener  Tuberkulose  vorliegt. 

Baum  gar  ten  kann  das  große  Verdienst  für  sich  in  An¬ 
spruch  nehmen,  als  erster  auf  die  Häufigkeit  der  angeborenen 
Tuberkulose,  d.  h.  der  intrauterinen  bazillären  Infektion,  hinge- 
wüesen  zu  haben.  Die  Lehre  von  der  angeborenen  Tuberkulose 
ist  heutzutage  sowmhl  durch  einwandfreie  uutopsische  Befunde, 
als  auch  durch  experimentelle  Ergebnisse  eine  feststehende  Tat¬ 
sache.  Dem  berechtigten  Einwande,  daß  die  Fälle  von  ange- 
horener  Tuberkulose  außerordentlich  selten  sind,  begegnet  Baum¬ 
garten  mit  der  Annahme  des  Latenzstadiums  der  Tuberkulose. 
Auch  diese  Annahme  wurde  von  ihm  und  anderen  genügend 
gestützt.  Ich  will  mich  heute  in  diese  interessante  F'rage  nicht 
weiter  einlassen.  Es  wird  sich  ja  Gelegenheit  finden,  den  hier 
demonstrierten  Fall  zur  Autopsie  zu  bringen  und  später  über 
ihn  ausführlich  zu  berichten. 

Auf  Anregung  des  Herrn  Kollegen  Dr.  Bartel  habe  ich  mich 
bezüglich  dieses  Falles  auch  an  den,  um  die  Erforschung  der 
Tuberkulose  so  hochverdienten  Herrn  Prof.  Baumgarten  in 
Tübingen  gewundet.  Herr  Prof.  Baum  garten  schreibt:  ,, Indem 
ich  Ihnen  freundlichst  für  Ihre  mich,  sehr  interessierende  Mitteilung 
danke,  beeile  ich  mich,  diesem  Danke  hinzuzufügen,  daß  ich 
mich  durchaus  Ihrer,  vom  Herrn  Kollegen  Bartel  unterstützten 
Auffassung  anschließe.  Daß  derartige  chronisch -ulzeröse  Prozesse 
sich  nicht  in  der  kurzen  Zeitspanne  von  sechs  Wochen  aushilden 
können,  halte  ich  für  sicher.  Hiezu  kommt  noch  der  Sitz  der 
Veränderungen  in  den  Knochen,  Organen,  die  weit  abseits  von 
den  Pforten  der  äußeren  (extrauterinen)  Infektion  gelegen  sind, 
während  sie  der  intrauterinen  Infektion  mittels  des  bazillär  be¬ 
lasteten  kindlichen  Blutes  leicht  zugänglich  sind.“ 

Dr.  Oskar  Rie:  Das  Kind,  welches  ich  Ihnen  heute  hier 
vorzustellen  die  Ehre  habe,  ein  neunjähriges  Mädchen,  wurde 
vor  etwa  vier  W^ochen  wegen  Chorea  in  meine  Ambulatoriums- 
ahteilung  am  I.  öffentlichen  Kinderkrankeninstitut  gebracht.  Im 
Verlaufe  der  Chorea  trat  Vitiligo  auf;  die  ungewöhnlich  starke 
und  ausgebreitete  Pigmentation  ist  wmhl  auf  Arsenmelanose  mit 
zurückzuführen. 

Ich  stelle  das  Kind  wegen  der  auffallenden  Gesichtsasym¬ 
metrie  vor,  die  bei  oberflächlicher  Beohachtung  an  Hemiatrophia 
facialis  progressiva  denken  läßt.  Indes  fehlt  das  wichtigste  und 
charakteristische  Symptom  dieser  Krankheit,  die  Hautatrophie. 

Es  handelt  sich  hier  um  die  sehr  seltene  Form  der  kon¬ 
genitalen  Atrophie,  um  das  Kleinerh leiben,  nicht  Kleiner- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Z':8 

J  III 

werden  einer  Cxesichlsliälfle.  De  in  nie,  der  einen  ganz  analogen 
Fall  beschreib!,  erklärt  (iin  Jahre  1884),  keinen  weiteren  in  der 
Literatur  gefunden  zu  haben;  seither  sind  zwei  oder  drei  Fälle 
publiziert  worden. 

Es  besteht  eine  Gesichtsasynnnetrie  in  der  Weise,  dah  die 
das  Gesicht  teilende  iMedianlinie  nach  rechts  konvex  ist.  Diese 
Konvexität  spricht  sich  in  der  rechten  Wange,  in  der  Jochbein¬ 
gegend,  sowie  in  der  rechten  Ohrinuschel  aus.  Leichte  Atrophie 
der  Lippen  und  der  Zunge  auf  der  linken  Seite ;  Zahnstellungi. 
Die  Asynunetrie  betrifft  auch  den  Hirnschädel.  Sensibilität  und 
Beweglichkeit  anscheinend  ungestört. 

Der  sehr  interessante  Augenbefund  wurde  von  Herrn  Frivat- 
dozenten  Sachs  aufgenonnnen.  Es  besteht;  1.  ein  Tieferstehen 
der  kleineren,  linken  Lidspalte;  2.  ein  nicht  ganz  entwickelter 
Lpikanthus;  3.  Strabisnius  divergens;  4.  beiderseits  Hornhaut- 
astigniatisnius,  Luxation  der  Linse  nach  oben,  rechts  ülierdies 
Irisschlotlern.  Die  Extremitäten  sind  in  keiner  Weise  an  der 
Atrophie  beteiligt. 

Bezüglich  der  Aetiologie  derartiger  Fälle  wurde  von  einer 
Seite  primäre  Hirnagenesie  herangezogen,  von  anderer  intrauterine 
mechanische  Einwirkung  durch  Amnionstränge  angenommen.  Die 
letztere  Ansicht  wird  unter  anderem  auch  dadurch  gestützt,  daß 
wir  ganz  analoge,  wenn  auch  weniger  hochgradige  Schädel-  und 
Gesichtsskoliosen  unter  dem  Einfluß  des  Caput  obstipum  ent¬ 
stehen  sehen,  also  ein  exquisit  mechanisches  Moment. 

Schließlich  sei  noch  ei’wmhnt,  daß  die  Eltern  des  hier  vor¬ 
gestellten  Kindes  den  Zustand  auf  „Versehen  in  der  Schwanger¬ 
schaft“  zurückführen.  (Begegnen  einer  Frau  mit  Gesichtsschief¬ 
heit  und  Erschrecken  dabei.) 

Diskussion;  Dr.  R.  Neurath:  Es  ist  eigentlich  keine 
Atrophie,  keine  Entwicklungsstörung  normal  angelegter  Gewebe, 
die  nach  der  Auffassung  des  Kollegen  Dr.  Rie  der  Differenz  der 
Gesichtshälften  im  vorgestellten  Falle  zugrunde  läge,  sondern 
eine  abnorme  Anlage,  eine  Dysplasie.  Was  die  hervorgehobene 
Differenz  beider  Seiten  anbelangt,  so  fragt  es  sich,  ob  wir  nicht 
ebenso  gut,  wie  vom  Vortragenden  die  kleinere  Gesichtshälfte  als 
pathologisch  und  die  größere  als  normal  angenommen  wird,  die 
größere  Seite  als  die  pathologische  auffassen  könnten,  wofür  das 
Irisschlottern  auf  dieser  spräche.  Wir  hätten  es  dann  mit  einer 
liartiellen  Hypertrophie,  einem  partiellen,  halbseitigen  Riesen¬ 
wachstum  zu  tun,  wie  wir  es  an  den  Extremitäten  oder  auch 
streng  halbseitig  öfters  in  der  Literatur  finden. 

Dr.  Oskar  Rie:  Ad  1.  Ich  habe  den  Namen  ,, kongenitale 
Hemiatrophie  des  Gesichts“  nicht  gewählt,  sondern  in  der  Litera¬ 
tur  für  diese  Fälle  bereits  vorgefunden. 

Ad.  2.  Eine  Hypertrophie  der  rechten  Kopfseite  liegt  gewiß 
nicht  vor. 

1.  ist  die  linke  Wange  und  die  linke  Zungenhälfte  auffallend 
mager  —  nicht  die  rechte  Seite  auffallend  dick  ;  die  Schneidezähne 
der  linken  Unterkieferhälfte  im  rechten  Winkel  gegen  die  Back¬ 
zähne  statt  im  stumpfen,  wie  normal  und  wie  rechterseits. 

2.  entspricht  kein  einziger  der  (gesammelten)  Hypertrophie¬ 
fälle  aus  der  Literatur  dem  hier  vorgestellten,  während  die  beiden 
in  der  Detailbeschreibung  mir  zugänglichen  Hemiatrophiefälle  in 
der  Schädel-  und  Gesichtsformation  völlig  mit  dem  meinen 
übereinstimmen. 

Für  diese  ist  aber  eine  Hypertrophie  um  so  weniger  anzu¬ 
nehmen,  als  bei  ihnen  apiastische  Erscheinungen  an  den  gleich¬ 
seitigen  Extremitäten  mitvorhanden  sind. 

Dr.  Siegfried  Weiß  stellt  einen  dreijährigen  Knaben  mit 
angeborener  Dilatation  des  Kolon  (Hirschsprung 
sehe  Krankheit)  vor.  Schon  die  Anamnese  war  charakteristisch. 
Unmittelbar  nach  der  Geburt  litt  das  Kind  an  Stuhlverstopfung, 
beträchtlicher  Vergrößerung  des  Bauches  und  unstillbarem  Er¬ 
brechen.  Trotz  Ammennährung  kam  das  Kind  herunter  und 
damals  wurde  die  Diagnose  angeborene  Rachitis  gestellt.  Nach 
einem  Ammenwechsel  und  einer  Periode  guten  Gedeihens  vom 
zweiten  bis  siebenten  Monate,  in  welcher  Zeit  die  Beschwerden 
geringer  waren,  erreichte  das  Körpergewicht  des  Kindes  7000  g. 
Von  da  an  traten  die  oben  erwähnten  Erscheinungen  in  ver¬ 
stärktem  Grade  wieder  auf.  Es  stellte  sich  ein  Zustand  von  hoch¬ 
gradiger  Verstopfung  mit  Blähung  und  Ausdehnung  des  Bauches 
bis  zu  solchen  Dimensionen  ein,  daß  die  Haut  gespannt  und 
glänzend  war.  Erst  auf  Anwendung  zahlreicher  Klysmen  und 
Abführmitteln  erfolgten  Entleerungen  stinkender  Kotmassen, 
welche  mit  Kotsteinen  und  beträchtlichen  Mengen  von  Gasen 
vermengt  waren.  Der  vorher  ballonartig  aufgetriebene  Bauch  fiel 
dann  zusammen  und  hatte  eine  nur  mehr  wenig  auffällige  Größe. 
Das  Körpergewicht  des  Kindes  nahm  ab  und  blieb  bis  zum 
20.  IMonate  auf  6000  g.  Erst  zu  Beginn  des  dritten  Lebensjahres 
begann  das  Kind  sich  besser  zu  entwickeln,  obwohl  die  be¬ 


schriebenen  Zustände  nicht  verschwanden.  In  einem  solchem  An¬ 
falle  von  viertägiger  Verstopfung  nach  vergeblichen  Versuchen 
dieselbe  zu  beseitigen,  bot  das  dem  Obgenanntem  zum  ersten- 
male  vorgestellte  Kind  folgenden  Befund.  Das  Abdomen  war 
gleichmäßig  und  stark  aufgetrieben,  meteoristisch.  Umfang  in  der 
Nabelhöhle  59  cm,  sichtbare  Peristaltik  des  gesamten  Kolon.  Die 
peristaltische  Welle  lief  entsprechend  dem  Colon  ascendens  und 
transversum,  erfuhr  an  der  Uebergangsstelle  in  das  Colon 
descendens  eine  Unterbrechung  und  setzte  sich  dann  dem  Ver¬ 
laufe  des  letzteren  folgend  beckenwärts  fort,  so  daß  eine  schräg 
von  links  oben  nach  rechts  unten  verlaufende  Furche  entstand. 
Der  Umfang  des  geblähten  Kolon  könnte  auf  20  cm  geschätzt 
werden.  lieber  dem  ganzen  Bauche  waren  plätschernde  und 
gurrende  Geräusche  zu  hören.  Die  dünnen  und  zugleich  fett¬ 
armen  Bauchdecken  gestatteten  die  genaue  Beobachtung  dieser 
Erscheinungen.  Die  rektale  Untersuchung  ergab  ein  Fehlen 
jeglicher  Verengerung  oder  eines  sonstigen  Hindernisses,  im 
Gegenteile  eine  derartige  Erweiterung  des  vollkommen  leeren 
Mastdarmes  und  der  Flexur,  daß  deren  Umrandungen  gar  nicht 
ausgetastet  werden  konnten.  Hoch  oben  war  ein  zirka  hühnerei¬ 
großer  Kotstein  als  zufälliger  Befund  tastbar,  welcher  bei  dem 
bimanuell  unternommenen  Versuche  ihn  zu  entfernen  in  die 
höheren  geblähten  Darmabschnitte  entschlüpfte.  Bei  der  prokto- 
skopischen  Untersuchung  (Dr.  F  o  g  e  s)  zeigte  sich  die  Schleim¬ 
haut  der  Ampulle  von  katarrhalischen  Geschwüren  dicht  besetzt. 
Der  mit  der  Kornzange  vorher  zerkleinerte  Stein  wurde  entfernt 
und  nun  erfolgte  ein  Kollabieren  des  Bauches  unter  Ausströmen 
der  stinkenden  Gase.  Der  .Bauchumfang  verkleinerte  sich  um 
2  cm.  Die  Behandlung  in  diesem  Falle  wäre  nach  der  Indikation 
des  Herrn  Primarius  Schnitzler  die  Resektion  des  dilatierten 
Kolon. 

Dr.  0.  V.  Frisch  stellt  einen  Fall  von  angeborener  Sko¬ 
liose  vor,  bedingt  durch  einen  Schaltwirbel.  (Erscheint  aus¬ 
führlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Primarius  Dr.  Bakes:  Die  Patientin,  welche  ich  die  Ehre 
habe,  heute  vorzustellen,  wurde  mir  aus  der  inneren  Abteilung 
der  Brünner  Landeski-ankenanstalt  behufs  operativer  Therapie  zu¬ 
geschickt.  Die  Kranken, geschichte  ist  kurz  folgende : 

Anamnese:  Pat.  will  nie  ernstlich  krank  gewesen  sein. 
Vor  zirka  drei  Monaten  trat  anscheinend  ohne  besondere  Veran¬ 
lassung  und  ohne  bestimmte  Beschwerden  Ikterus  ein,  welcher 
trotz  aller  angewandten  Mittel  derart  an  Intensität  zunahm', 
daß  die  Haut  der  Kranken  tief  braungelb  wurde  (Melanikterus). 
Die  gleichzeitig  durch  diesen  Zustand  hervorgerufene  Appetit¬ 
losigkeit  und  Obstipation,  das  lästige  Hautjucken  konsumierten 
rasch  die  Kräfte  der  Kranken,  so  daß  sich  selbe  zu  einem 
operativen  Eingriff  entschloß. 

Status  praesens:  Bei  der  Untersuchung  fand  man  außer 
einer  diffusen  Schmerzhaftigkeit  unter  dem  rechten  Rippenbogen 
nichts  Pathologisches  vor.  Den  Leberrand  fühlte  man  nur  beim 
Eindrücken  der  Bauchdecken  unter  die  Rippen.  Stuhl  gänzlich 
acholisch,  weiß,  Harn  viel  Gallenfarbstoffe  enthaltend.  Gar  keine 
Anhaltspunkte  für  Gallensteine.  Der  Kranken  wurden  einige  Tage 
vor  der  Operation  täglich  mehrere  Gramm  Calcium  chloratum 
per  OS  verabreicht,  den  Abend  und  früh  vor  der  Operation  je 
eine  Tube  Merck'scher  Gelatine  subkutan  injiziert. 

Operation:  Nach  schräger  Inzision  in  Aethernarkose  prä¬ 
sentiert  sich  zAvischen  Magen  und  Leber  eine  runde,  glatte,  kinds¬ 
kopfgroße,  zystische  Geschwulst,  an  deren  oberem  Pole  die  voll¬ 
ständig  leere,  gefaltete  Gallenblase  emporragte,  über  deren  untere 
Peripherie  das  nacli  vorne  dislozierte  Duodenum  zog.  Im  ersten 
Momente  dachte  ich  an  eine  vom  Pankreaskopfe  ausgehende 
Zyste,  dann  an  eine  Mesenterialzyste,  später  an  eine  Retentions¬ 
geschwulst  der  Niere,  jedoch  bald  konnte  ich  mich  überzeugen, 
daß  keine  von  diesen  Annahinen  richtig  war.  Der  Pankreaskopf 
war  zart  und  absolut  normal,  das  Mesenterium  des  Duodenums 
bot  gar  keine  Anhaltspunkte,  welche  die  Existenz  eines  Alesenterial- 
tumors  rechtfertigen  könnten  und  die  Niere  habe  ich  mit  einem 
Griff  unter  die  Geschwulst  wohl  abgetastet.  Nach  Spaltung  der 
bedeckenden  Serosa  ließ  sich  der  Tumor  teilweise  umgreifen ; 
an  seiner  medialen  Seite  wurden  die  Gebilde  des  Ligament,  hepat. 
duod.,  Vena  portae  und  Arteria  hepat.  vorgefuuden.  Mithin  er¬ 
kannten  wir,  daß  diese  zystische  Geschwulst  nichts  anderes  sein 
kann,  als  der  kolossal  dilatierte  Ductus  choledochus.  Nun  lag 
es  am  nächsten,  sich  über  die  Beschaffenheit  der  Papille  zu 
orientieren.  In  der  Erwartung,  ein  eingekeiltes  Konkrement  oder 
irgendeinen  obstruierenden  Tumor  vorzufiuden,  mobilisierte  ich 
das  Duodenum  nach  Lorenz,  konnte  aber  zu  meiner  größten 
Ueberraschung  konstatieren,  daß  sich  die  Papille  ganz  normal 
anfühlt.  Die  Probepunktion  der  Zyste,  welche  dünne,  blaßgelbe 
Galle  ergab,  bestätigte  uns  abermals,  daß  wir  es  mit  dem  Ductus 


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choledochus  zu  tun  haben.  Um  den  Inhalt  der  Zyste  zu  entleeren, 
wurde  eine  dorsale  Inzision  gemacht  und  der  Sack  gründlicli 
ausgetupft.  Sein  Inneres  war  durch  eine  schwarz  pigmentierte 
Mukosa  ausgekleidet  und  das  abermalige  Absuchen  der  Zysten¬ 
wände  und  der  Papille  ergab  gar  keine  Anhaltspunkte,  welche  uns 
das  Entstehen  dieser  merkwürdigen  Geschwulst  erklärt  hätten. 
Die  versuchte  Sondierung  der  Papille  vom  Zysteninnern  gelang 
nicht.  Wie  die  Papille,  so  auch  der  Zystikus  —  nach  der  Be¬ 
schaffenheit  der  Gallenblase  zu  schließien  —  schienen  durch  Vor¬ 
gänge  obliteriert  zu  sein,  die  wir  uns  vorläufig  nicht  erklären 
konnten.  Entzündliche  Erscheinungen  fehlten  nahezu  vollständig. 
Die  Leber  erschien  zwar  nicht  vergrößert,  hatte  jedoch  eine  fein 
granulierte  Oberfläche,  gezackten  Rand  und  derbe  Konsistenz, 
ihre  Farbe  war  schwarzbraun.  Die  Inzision  der  Zyste  wurde  bis 
auf  eine  ganz  kleine  Oeffnung  in  unmittelbarer  Nähe  des  Duo¬ 
denum  vernäht  und  diese  Oeffnung  benützten  wir  zur  Etablierung 
einer  Choledochoduodenostomie  mit  dreietagiger  Naht  nach 
Wölfl  er.  Darüber  wurden  die  Serosablätter  vereinigt,  die  Bauch¬ 
höhle  mit  heißer  physiologischer  Kochsalzlösung  ausgespült  und 
mittels  dreietagiger  Naht  geschlossen.  Die  Patientin  hat  den  Ein¬ 
griff  ohne  jede  Reaktion  überstanden,  bereits  am  zweiten  Tagte 
fand  man  Gallenfarbstoff  im  Stuhl,  welcher  von  Tag  zu  Tag 
sich  dunkler  färbte.  Auch  der  Ikterus  verlor  sich  so  rasch,  daß 
man  heute  nur  noch  seine  Spuren  an  den  Skleren  nachweisen 
kann  und  der  Zustand  der  Patientin  ist  ein  denkbarst  günstiger. 

Z  u  r  E  r  w  e  i  t e  r  u  n  g  des  C  h  o  1  e  d  o  c  h  u  s.  Die  Erweiterung 
des  Choledochus  ist  im  allgemeinen  eine  bei  den  Gallenstein¬ 
operationen  recht  häufige  Erscheinung.  Sobald  sich  ein  Kon¬ 
krement  im  gemeinschaftlichen  Gallengange  befindet,  erweitert 
sich  derselbe  sehr  rasch,  so  daß  die  Galle  an  dem  Konkremente 
vorbeifließen  kann.  Wenn  die  Konkremente  im  Gange  sich  ver¬ 
größern,  oder  ihre  Zahl  wächst,  dann  nimmt  das  Kaliber  desselben 
stetig  zu  und  nicht  selten  stößt  der  Gallensteinoperateur  auf 
('holedochi  vom  Volumen  eines  gefüllten  Darmes  und  darüber. 
Mit  dieser  Erweiterung  geht  auch  eine  Verdickung  seiner  Wände 
Band  in  Hand  und  ein  IMächtigwerden  seines  sonst  dünnen 
Venennetzes.  Auch  die  ampullenartige  Erweiterung  des  Ganges 
ist  von  mehreren  Gallensteinoperateuren  erwähnt  worden.  Sie 
befällt  am  häufigsten  den  retroduodenalen  Teil  u.  zw.  dann, 
wenn  die  Papille  durch  ein  eingekeiltes  Konkrement  oder  durch 
stark  zusammengepreßten  Gallenschlamm  verlegt  ist.  Ich  habe 
zweimal  Gelegenheit  gehabt,  eine  solche  Retentionszyste  des 
Choledochus  zu  beobachten.  Auch  vor  Strikturen  —  einem  sehr 
seltenen  Befunde  am  Choledochus,  wurden  zystische  Erweiterungen 
desselben  beschrieben. 

So  hat  Moynihau  einen  Fall  operiert,  wo  oberhalb  einer 
harten,  narbigen  Choledochusstriklur  der  Gan'g  zystisch  erweitert 
war.  Auch  Erweiterungen  des  Hepatikus  finden  sich  in  der 
Literatur  verzeichnet. 

Guenu  operierte  einen  Fall  von  Choledochusstenose  an 
der  Mündung  des  Zystikus,  wo  ein  Hepatikus  als  zystisches  Ge¬ 
bilde  an  der  Leberpforte  sich  hervorwölbte.  Eine  Anastomose  der 
Zyste  mit  dem  Magen  war  vom  letalen  Ausgang  begleitet. 

Dela geniere  berichtet  über  einen  Fall,  wo  er  den  He¬ 
patikus  hoch  oben  an  der  Leber  verstopft  und  nierenbeckenartig 
enveitert  fand.  Durch  Inzision  extrahierte  er  zwei  Steine. 

Alle  diese  erwähnten  Erweiterungen  des  Choledochus,  welche 
im  Gefolge  von  Strikturen  und  Cholelithen  zustande  kommen, 
haben  mit  unserem  Krankheitsbilde  nichts  Gemeinschaftliches. 
Vielmehr  handelte  es  sich  um  eine  sehr  seltene,  höchstwahr¬ 
scheinlich  auf  kongenitalen  Ursprung  zurückzuführende  Anomalie, 
welche  in  einer  abnormen  Klappenbildung  an  der  Papille  und 
der  Zystikusmündung  zu  wurzeln  scheint.  Bei  der  Operation 
dachte  ich,  einen  bisher  unbeobachteten  pathologischen  Prozeß 
vor  mir'  zu  haben,  jedoch  nach  genauer  Durchsicht  der  Literatur 
fand  ich  fünf  ähnliche  Fälle  publiziert,  welche  sämtlich  mit 
letalem  Ausgang  operiert  wurden  und  zur  Autopsie  kamen. 

Die  Sektionshefunde  stimmen  vollkommen  mit  dem  Befunde 
bei  dieser  Patientin  überein.  Nirgends  fand  man  ein  Konkrement, 
nirgends  ein  greifbares  Hindernis,  welches  die  enorme  Erweiterung 
des  Ganges  gerechtfertigt  hätte;  deshalh  sind  alle  fünf  Autoren 
der  Meinung,  daß  es  sich  um  eine  kongenitale  Anomalie,  etwa 
ähnlich  dem  Befunde  hei  kongenitaler  Hydronephrose  handeln 
müsse. 

Die  näheren  Details  dieser  sehr  seltenen  Krankheit  will 
ich  nicht  weiter  hier  erörtern  und  behalte  mir  die  genaue  Be¬ 
sprechung  derselben  für  eine  ausführliche  Puhlikation  vor. 

Resümee:  Es  handelt  sich  in  diesem  Falle  um  eine 
idiopathische  Retentionszys  te  des  Choledochus, 
wahrscheinlich  infolge  von  kongenitalen  Anomalien  der  Klappen¬ 
bildung  in  den  Gallengängen.  Dieser  Fall  ist  insoferne  ein  Unikum, 


als  er  der  erste  ist,  bei  dem  es  gelang,  durch  operative  Therapie 
Heilung  zu  erzielen. 

Die  Therapie  besteht  in  einer  exakt  angelegten  Chole¬ 
dochoduodenostomie  mit  möglichst,  engem  Lumen. 

Primarius  Dr.  Bakes :  Die  S  e  1  b  s  t  z  e  r  t  r  ü  m  m  e  r  u  n  g  der 
Gallensteine.  Gestatten  Sie  mir,  folgende  vorläufige  Mit¬ 
teilung  zu  machen :  Ich  habe  des  öfteren  auf  frisch  durch 
Operation  gewonnenen  Gallensteinen  Gelegenheit  gehabt,  einen 
Vorgang  zu  beobachten,  den  ich  als  Selbstzertrümmerung  der 
Gallensteine,  analog  der  Selbstzertrümmerung  der  Harnblasen¬ 
steine  bezeichnen  möchte.  Auch  in  dem  gestern  operierten  Falle 
läßt  sich  etwas  Aehnliches  beobachten.  Man  sieht  einen  in  die 
Hälfte  geteilten  Stein,  dessen  Bruchflächen  sich  mit  einer  frischen 
Deckschichte  bereits  überzogen  haben.  Die  Hälften  passen  gut 
aneinander.  Die  übrigen  Gallensteine  in  dieser,  exstirpierten  Gallen¬ 
blase  zeigen  eine  abnorme  Brüchigkeit,  da  bei  der  zart  ans¬ 
geführten  Exstirpation  die  Blase  kaum  gedrückt  und  trotzdem 
viele  Steine  beim  Aufschneiden  derselben  zertrümmert  vorgefunden 
wurden.  In  einem  anderen  Falle  beobachtete  ich  außer  den  schon 
zerteilten,  andere  polyedrische  Konkremente,  welche  deutlich  einen 
Sprung  aufwiesen,  in  welchem  die  spätere  Teilung  sich  höchst¬ 
wahrscheinlich  vollzogen  hätte.  Bei  einem  Stoppelstein  im  Chole¬ 
dochus,  welcher  gewöhnlich  als  Solitär  auftritt,  fand  ich  nach 
seiner  Extraktion  sieben  ganz  kleine,  flache  Steinchen,  Avelche 
als  Tochtersteine  des  großen  Cholelithen  anzusprechen  wären.  Es 
haben  sich  nämlich  vom  plumpen  Rande  des  weichen  Konkre¬ 
mentes  bei  seinem  Hin-  und  Henvandern  im  Gange  kleine  Partien 
abgelöst,  welche  vor  der  Papille  liegen  geblieben  sind.  Die  nahe¬ 
zu  gleiche  Größe  und  gleiche  Form  dieser  Steinchen,  sprach 
für  ihren  gemeinschaftlichen  Ursprung.  Ob  und  welche  chemische 
oder  mechanische  Vorgänge  bei  der  Selbstzertrümmerung  der 
Cholelithen  sich  ereignen,  läßt  sich  vor  der  Hand  nicht  bestimmen. 

Echtes  Gallensteinrezidiv.  Unter  meinen  zirka 
70  Gallensteinoperationen  habe  ich  diese  Woche  das  erstemal 
Gelegenheit  gehabt,  ein  Gallensteinrezidiv  zu  operieren,  welches 
ich  als  ein  echtes  ansprechen  möchte. 

Es  handelt  sich  um  eine  38jährige  Frau,  welche  am 
25.  Januar  1906  wegen  kalkulöser,  hämorrhagischer  Cholezystitis 
ektomiert  wurde.  Der  Choledochus  war  bei  der  Operation  von 
normalem  Kaliber,  wurde  eingeschnitten  und  sehr  exakt  sondiert 
und  abgetastet,  da  viele  kleine  Konkremente  in  der  Gallenblase 
sich  befanden  und  leicht  durch  den  etwas  erweiterten  Zystikus 
ein  Gallenstein  in  den  Choledochus  hineingelangen  konnte. 

Die  Hepatikusdrainage  wurde,  um  die  infizierte  Galle  ab¬ 
zuleiten,  hinzugefügt.  Pat.  genas  vollständig  und  hatte  ein 
volles  Jahr  Rulie.  Im  Jänner  d.  J.  erkrankte  sie  unter  typischen 
Symptomen  einer  Choledocholithiasis  und  ihre  unausgesetzten 
Schmerzen  bestimmten  sie  zur  neuerlichen  Operation,  welche 
vorgestern  in  Aethernarkose  ausgeführt  wurde. 

Nach  schräger  Inzision,  Bloßlegung  des  daumendicken  Chole¬ 
dochus,  supraduodenale  Choledochotomie  und  Ausräumung  dos 
Ganges.  Wir  extrahierten  zuerst  einen  weichen,  bröckeligen,  etwa 
haselnußgroßen  Stoppelstein,  dann  mit  den  Löffeln  noch  vier 
Konkremente  aus  dem  retroduodenalen  Abschnitt  des  Ganges. 
Drainage  des  Hepatikus  und  Choledochus,  Tamponade,  Naht. 

Ich  bezeichne  diesen  Fall  deshalb  als  ein  sogenanntes  echtes 
Rezidiv,  weil  ich  mit  größter  Wahrscheinlichkeit  loehaupten  kann, 
daß  der  Choledochus  bei  der  ersten  Operation  sicher  keine  Kon¬ 
kremente  enthielt. 

Dr.  Jehle :  Ueber  Desinfektionsversuche  des 
Nasenrachenraumes  mit  P  y  o  z  y  a  n  a  s  e  bei  Meningitis 
cerebrospinalis. 

Meine  Herren!  Ich  erlaube  mir,  in  Kürze  über  die  Resultate 
neuerlicher  Desinfektionsversüche  mit  Pyozyanase  zu  berichten. 
Ich  habe  vor  einiger  Zeit  über  ähnliche  Versuche,  welche  ich 
auf  Anregung  meines  hochverehrten  Chefs,  des  Herrn  Hofrates 
E  scher  ich,  vorgenounnen  habe,  bereits  berichtet.  Es  handelte 
sich  damals  um  eine  Grippeepidemie,  bei  welcher  der  Micrococcus 
catarrhalis  mit  Sicherheit  als  Erreger  nachgewiesen  werden  konnte. 

Nach  kurzer  Behandlung  des  Nasenrachenraumes  schwanden 
die  genannten  Bakterien  aus  der  Nase  und  zur  selben  Zeit  sistierten 
die  Erkrankungen,  von  welchen  die  Kinder  bisher  durch  mehrere 
Monate  immer  wieder  befallen  wurden. 

Es  war  naheliegend,  ähnliche  Versuche  bei  den  so  nahe 
verwandten  Meningokokken  vorzunehmen.  Dazu  bot  sich  mir 
j'eichlich  Gelegenheit  sowohl  an  der  Klinik  als  auch  während 
meines  Aufenthaltes  in  den  Epidemiegebieten  in  Oesterreichisch- 
Schlesien,  sowie  im  Rheinland. 

Ich  habe  bisher  in  etwa  55  Fällen  u.  zw.  teils  bei  kranken, 
teils  bei  gesunden  Kokkenträgern  die  Desinfektionsversuche  des 
Nasenrachenraumes  mit  Pyozyanase  vornehmen  können.  Fast 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


koiinic  icli  ein  rasches  Seilwinden  der  .Meningokokken 
konstatieren,  so  daß'  dieselben  sowohl  inikroskopisch  als  auch 
durch  die  Kultur  nicht  mein'  luudiweishar  waren.  Auch  über 
di(‘se  Versuche  habe  ich  hereits  in  Kürze  berichtet . 

Ich  will  nunmehr  über  neuerliche  Versiudie  in  zwei  Fällen 
berichten  und  die  entsiirechcnden  Präparate  vorzeigen.  VnW  I 
betrifft  ein  fünfjähriges  .Mädchen,  das  am  !(!.  Februar  mit  Ohreii- 
stechen,  Erbrechen  und  Fieber  erkrankte.  Es  wurde  am  18.  Fidiruar 
auf  die  Klinik  aufgenommen  und  bot  außerordeiiLlich  scinvere 
.Mlgemeiiierscheimmgen.  Die  Lumbalpunktion,  sowie  die  Kultur 
ans  derselben,  welche  am  19.  Fehruar  voi’genonnnen  wurden, 
Iiid.km  die  Diagnose  auf  .Meningitis  cerebrospinalis  mit  Sicherheit 
stellen. 

Der  zweite  Fall  betrifft  ein  achtjähriges  .M.ädchen,  das  am 
1().  Februar  unter  Ej'brechen,  hohem  Fieber  und  Delirien  plötz¬ 
lich  erkrankte.  .4uch  in  diesem  Falle  konnten  wir  am  19.  Februar 
di(!  Diagnose  durch  Lumbalpunktion  und  die  Kultur  feststellen. 

Die  Lhitersuchungen  des  Nasenrachenraumes  Avurden  bei 
beiden  Kindern  am  20.  Februar  zuerst  vorgenommen.  Es  fanden 
si(di  schon  'mikroskopisch  ganz  ausnehmend  zahlreiche  Meningo¬ 
kokken  im  Sekret  vor,  wie  Sie  dies  auf  dem  Diapositiv  ersehen 
können.  Durch  die  Kultur  wurden  dieselhen  in  außerordentlichen 
.Mengen  und  fast  in  Reinkidtur  nachgewiesen.  Am  selben  Tage 
wurde  beiden  Kindern  je  1  cnF  Pyozyanase  eingeträufelt.  Die 
mikrosko])ische  und  kulturelle  Untersuchung  ergal)  am  nächsten 
Tage- noch  unvei'ändert  zahlreiche  iMeningokokkeii.  Am  21.  Februar 
neuerdings  Einträufeln  \mn  Pyozyanase.  Bakterioskopischer  ße- 
fuiul  fast  unverändert. 

.\m  22.  Februar  Tamponade  und  Pyozyanase.  Auch  dies¬ 
mal  (du  Erfolg  nicht  nachAveisbar. 

.\m  28.  Februar  Avurde  beiden  Kindern  Pyozyanase 

mittels  Spray  appliziert.  Die  Untersuchung  des  Nasenrachen¬ 
raumes  Aviirde  erst  48  Stunden  später  vorgenommen.  Diesmal 
waren  in  einem  Falle  nur  mehr  Staphylokokken  nachweisbar; 
dic^  ^Meningokokken  Avaren  vollständig  geschAvunden.  ln  dem 
zAveiten  Falle  Avaren  ZAvar  noch  iMeningokokken,  aber  in  weitaus 
geringerer  Menge  nacliAveisbar.  DesAvegen  wurde  bei  diesem  Kinde 
neuerdings  Pyozyanase  mittels  Spray  angewendet.  Schon  am 
.Abend  desselben  Tages  Avar  der  Nasenrachenraum  fast  vollständig 
steril.  Die  vorgezeigten  Plattenkulturen  demonstrieren  Ihnen  dies 
auf  das  deutlichste.  Täglich  ein-  bis  ZAveimal  Amrgenommene  Unter¬ 
suchungen  zeigen  seither  regelmäßig  denselben  Befund.  Pyo¬ 
zyanase  Avurde  seit  dem  24.,  resp.  25.  Februar  nicht  mehr  an- 
gcAvendet.  Im  Sekret  des  zweiten  Kindes  fand  ich  zwar  mikro¬ 
skopisch  gestern  ziemlich  reichlich  Meningokokken,  jedoch  Avar 
die  Kultur  vollständig  negativ. 

Es  zeigte  sich  demnach  neuerdings,  daß  das  Schwinden  der 
.Meningokokken  auf  AiiAvendung  Amn  Pyozyanase  rasch  eiutritt, 
selbst  in  Fällen,  in  denen  sie  in  so  kolossalen  Mengen  Vorkommen 
wi('  in  den  eben  besprochenen.  Ich  glaube,  daßi  diese  Tatsache 
bei  eventuellen  Maßregeln  zur  Bekänihfung  der  Genickstarre¬ 
epidemien  eine  Rolle  spielen  kann.  Sie  Avissen,  meine  Herren, 
daß  die  AAu*schleppung  dieser  Erkrankung  zum  größfi.m  Teile 
durch  ZAvischenträger  geschieht,  d.  h.  Personen,  die  selbst  gesund 
bhdben,  aber  den  Erreger  in  ihrem  Nasenrachenraum  hergen. 
■Auf  diese  Avichtige  Tatsache  haben  zuerst  Hofrat  AA^eichsol- 
bauni  und  Prof.  Ghon  aufmerksam  gemacht.  Neuerliche  Unter- 
smdmngen  bestätigen  immer  mehr  diese  Annahme  und  dieAAhchtig- 
keit  dieser  Beobachtung. 

AATr  müssen  demnach  den  Kampf  hauptsächlich  in  dieser 
Bi(  htung  führen  und  da  ist  zweifellos  ein  rasch  Avirksames  und 
vollständig  ungefährliches  IMittel  von  großem  AAmrte. 

Die  besprochenen  Fälle  und  daran  anschließend  Aveitere 
bjikteriologische  Untersuchungen  bestätigen  aber  auch  meine 
wiederholt  geäußerte  Meinung,  daß  die  genickstarrekranken  Kinder 
bei  dei'  AVeiterverbreitung  dei'  Erkrankungen  fast  gar  keine  Rolle 
spiiden.  Die  bakteriologische  Thitersuchung  bei  einer  großen  An¬ 
zahl  von  Kindern  ergab  diesmal  ebenso  Avie  bei  früheren  Gelegen¬ 
heiten  (‘in  vollständig  negatives  Resultat,  d.  h.  es  kam  nicht 
nur  zu  keiner  Neuerkrankung  im  Siütal,  sondern  auch  zu  keiner 
nacliAveisharen  Infektion,  trotzdem  die  kranken  Kimhu-  nicht  ge- 
tnmnt  von  (h'ii  anderen  lagen.  Die  eminente  Gefahr  der  A'cr- 
schleppung  liegt  fast  ausschließlicdi  in  den  gesumh'n,  eiAvachseuen 
Zwischenträgern.  ■  '  '  !  [ 

Diskussion:  Prof.  Escherich:  Die  Aleningitis  cereliro- 
spinalis  ist  soAvohl  nach  der  Zahl  der  Todesfälle  als  nach  der  ScliAvere 
der  Folgezustände  (Hydrocephalus,  Taubheit  etc.)  eine  der  gefähr¬ 
lichsten  Erkrankungen  und  tritt  in  den  letzten  Jahren  in  zunehmender 
Häufigkeit  und  eiiidemischer  .Ausbreitung  auf.  Auch  in  Wien 


Avächst  die  Zahl  der  Fälle,  so  daß  derzeit  drei  Meningitiskranke 
auf  unserer  Abteilung  liegen.  Die  seitens  der  SanitätsverAvaltung 
dagegen  ergriffenen  Maßnahmen  lassen  keine  durchgreifende 
Wirkung  erkennen.  Sie  bestehen  darin,  daß  durch  Untersuchung 
der  eingesendeten  Lumbalpunktionsflüssigkeiten  die  Diagnose 
sichergestellt,  daß  die  Erkrankten  womöglich  in  Isolierspitäler 
überführt,  die  GeschAvister  vom  Schulbesuch  ferngehalten  und 
die  Wohnungen  desinfiziert  Averden. 

Diese  Maßnahmen  entsprechen  nicht  den  Vorstellungen, 
die  Avir  durch  die  bakteriologischen  Untersuchungen  der  letzten 
Jahre  über  die  A'^erbreitungSAveise  der  Krankheit  geAvonnen  haben. 
Demzufolge  kann  es  Avohl  als  feststehende  Tatsache  bezeichnet 
Averden,  daß  die  primäre  Lokalisation  der  Meningokokken  nicht 
in  den  Meningen,  sondern  auf  den  Schleimhäuten  des  Respirations¬ 
traktes,  insbesondere  im  Nasenrachenraum  stattfindet,  daß  also 
dem  Ausbruch  der  Meningitis  ein  durch  die  Aleningokokken  hervor¬ 
gerufener  Schleimhautkatarrh  vorausgeht.  Dieser  Katarrh  kann 
durch  längere  Zeit  bestehen  und  braucht  insbesondere  bei  Er- 
Avachsenen  keinerlei.  Aveitere  Krankheitserscheinungen  hervor¬ 
zurufen.  Die  mit  demselben  behafteten,  anscheinend  gesunden 
ZAvischenträger  sind  es,  die  durch  Ausstreuung  ihres  meningo¬ 
kokkenhaltigen  Rachensekretes  —  somit  als  echte  Schmier¬ 
infektion  —  die  Krankheit  verbreiten ;  nur  ausnahmsweise  kommt, 
wie  dies  Je  hie  für  die  Kohlengruben  nachgewiesen,  eine  be¬ 
stimmte  Oertlichkeit  als  Infektionsherd  in  Betracht.  Der  Kranke 
selbst,  der  durch  die  Schwere  des  Zustandes  ans  Bett  gefesselt 
ist,  spielt  bei  der  Ausbreitung  der  Epidemie  nur  eine  untergeord¬ 
nete  Rolle.  Eine  wirksame  Prophylaxe  der  Krankheit  muß  sich  dem¬ 
nach  in  erster  Linie  gegen  die  Zwischenträger  richten.  Die  Auf¬ 
findung  derselben  in  exakter  AVeise  ist  nur  durch  bakteriologische 
Untersuchung  möglich.  AVir  können  aber  ohne  weiteres  annehmen, 
daß  da,  avo  ein  Fall  von  Meningitis  cerebrospinalis  zur  Beobachtung 
kommt,  auch  die  in  demselben  Hausstand  lebenden  Personen 
gleichfalls  der  Infektion  ausgesetzt  Avaren.  Auch  dies  geht  aus 
den  Untersuchungen  Jehles  in  überzeugender  Weise  hervor. 

Es  ist  also  schon  vom  Standpunkt  der  individuellen  Prophy¬ 
laxe  aus  angezeigt,  daß  bei  diesen  Personen  durch  die  von  mir 
empfohlene  Desinfektion  des  Nasenrachenraumes  mittels  Pyozyanase 
die  im  Nasenrachenraum  befindlichen  Meningokokken  getötet  und 
dadurch  die  Gefahr  eines  weiteren  Vordringens  derselben  nach 
den  Meningen  beseitigt  Averde.  Insbesondere  gilt  dies  für  Kinder, 
die,  je  jünger  sie  sind,  um  so  mehr  zur  Erkrankung  an  Meningitis 
disponieren.  Die  Durchführung  dieser  Desinfektion  des  Nasen¬ 
rachenraumes  ist  aber  in  noch  höherem  Maße  angezeigt  vom 
epidemiologischen  Standpunkte  aus,  insofern  man  darin  jeden¬ 
falls  das  Avirksamste  Mittel  zur  Verhinderung  einer  Ausstreuung 
des  Ansteckungsstoffes  erblickt  werden  muß.  Es  Aväre  dringend 
zu  Avünschen,  daß  unsere  Sanitätsbehörden  neben  den  bisherigen 
unzureichenden,  zum  Teil  allerdings  noch  zu  Aveit  gehenden 
Maßnahmen  dieses  einfache  und  leicht  durchführbare  A^er  fahren 
in  Verwendung  ziehen  würden. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  C.  S  t  e  r  n  b  e  r  g  bemerkt,  daß  nach 
seinen  Erfahrungen  in  Mähren  man  nicht  von  einem  epidemischen 
Auftreten  der  Zerebrospinalmeningitis  sprechen  kann,  trotzdem 
vielleicht  ein  häufigeres  Vorkommen  besteht;  Sternberg  hat 
einigen  geAvissen  Einblick,  da  ihm  amtlich  von  allen  in  Mähren 
zur  Kenntnis  gebrachten  Fällen  Punktionsllüssigkeit,  resp.  Leichen¬ 
material  zugeschickt  Avird.  A^on  den  Kohlenbezirken  abgesehen, 
kommen  nun  in  den  verschiedensten  Bezirken  Fälle  vor,  aber 
immer  isoliert,  niemals  gehäuft;  selbst  in  Orten,  Dörfern,  avo 
kaum  von  günstigen  oder  irgendwie  guten  hygienischen  Verhält¬ 
nissen  gesprochen  Averden  kann,  sind  es  immer  nur  Einzelfälle 
die  keine  Beziehung  zu  einander  haben. 

Prof.  Dr.  Emil  Redlich:  Epilepsie  und  Linkshändig¬ 
keit.  A^örlr.  bespricht  an  der  Hand  seiner  Untersuchungen  die 
Häufigkeit  der  Linkshändigkeit  bei  Epilepsie,  ln  der  Literatur 
finden  sich,  speziell  bei  den  Italienern,  ausführliche  Angaben 
darüber,  zuerst  bei  liombroso,  der  gleichwie  bei  A'erbrechern 
auch  bei  Epileptikern  die  Linkshändigkeit  ungemein  häufig  fand, 
dann  bei  Tonnini;  die  von  diesen  Autoren  geAvonnemm  Zahlen 
—  28  bis  80’’, 1»  und  darüber  —  sind  auffällig  hoch,  \ielleicht 
zum  Teile  desAvegeii,  AV(‘il  sie  vor  allem  das  Ueber\A’iegen  gewisser 
Maße  auf  der  linken  S(fil(',  nicht  die  eigentliche  Linkshändigkeil; 
in  Betracht  zogen.  Das  häufige  ATirkommen  von  Linkshändigkeil 
bei  Epilejisie  sehen  diese  Autoren  in  erster  Linie  als  Degeneralions- 
zeichenan.  .AuchFerf'  und  in  allerletzterZadt  B e s  t  a  beschäfligleu 
sich  eingehender  mit  der  Linkshändigkeit  Ix'i  Epilepsie,  sonst 
aber  finden  sich  nur  in  der  Kasuistik  einzelne  .Angaben. 
Die  Avirkliche  funktionelle  Linkshändigkeit  gibt  sich  vor  allem 
in  größerer  GeschickFadd'Ceit  der  linken  Hand  bei  geAvissen  nicht 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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crlenileii  oder  berufsmäßig  ausgeüblen  Tätigkeiten  kund.  Meist 
ist  auch  der  Dynainonieterdruck  links  grölfer,  auch  die  Maße 
der  linken  oberen  Extreinität  sind  größer,  auch  am  anatomischen 
Präparate,  z.  P.  am  Knoclien,  findet  sich  beim  Rechtshänder 
ein  IJeberwiegen  der  Maße  rechts,  heim  Linkshänder  links.  Diese 
anatoniische  Linkshändigkeit  ist  häufiger  als  die  wirkliche, 
es  gibt  Zahlangahen  bis  zu  12‘’/o.  Zweifelhaft  sind  die  Vei'hältnisse 
für  das  Bein.  Lomhroso,  Fe  re,  vor  allem  aber  Bieroliet 
konnten  zeigen,  daß  auch  die  Sensibilität,  die  Schärfe  der  Sinnes¬ 
organe,  wie  überhaupt  alle  FUnklionen  beim  Linkshämler  links 
besser  ausgebildet  sind,  als  rechts,  beim  Rechtshänder  leclds. 
Ks  gibt  also  gleichsam  zwei  Variationen  des  Menschengeschlechtes, 
(dnen  lionimc  droit  und  homme  gauclie. 

Die  Angaben  über  die  Häufigkeit  der  Linkshändigkeit  beim' 
norjualen  Menschen  schwanken  zwischen  1  bis  4*^/«,  durch¬ 
schnittlich  weiMen  2o,'o  angegehen,  bei  Frauen  soll  die  Links¬ 
händigkeit  häufiger  sein.  Vortr.  hat  außerdem  als  Vergleichs¬ 
material  Nerven-  und  Geisteskranke  herangezogen  und  bei  diesen 
8®/o  Linkshändigkeit  konstatiert,  Männer  und  Frauen  im  gleichen 
Maße.  Dazu  kommen  noch  drei  Fälle,  die  seihst  nicht  Links¬ 
händer  sind,  in  deren  Familie  aber  Linkshändigkeit  vorkommt. 
Bei  125  Epileptikern,  meist  juveniler  Art,  aber  auch  Alkohol- 
ejnlepsie,  fi'auniatischer  Epilepsie  ohne  grobe  Hirnerkrankung, 
fanden  sich  dagegen  22  Linkshänder  =  17-5'Vo,  81  Männer  mit 
14  Fällen  —  17-2°/o  und  44  Frauen  mit  8  Fällen  =  IS^/o. 
Dazu  kommen  noch  vier  Fälle  (zwei  Männer,  zwei  Frauen),  die 
selbst  nicht  Linkshänder  sind,  in  deren  Familie  aber  ].,inks- 
liändigkeit  besteht,  ein  Ambidexter  zweifelhafter  Art  und  zwei 
Fälle  mit  Linkshändigkeit,  die  nicht  gerechnet  sind,  weil  bei 
einem  Falle  vielleicht  eine  große  Hirnläsion  vorliegt,  bei  dem 
anderen  die  Epilepsie  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist. 

Man  kann  die  Linkshändigkeit  sondern  in  eine  familiäre 
und  eine  singuläre.  Bei  den  Geisteskranken  sind  abzüglich 
vier  Fälle,  bei  denen  es  unhekannt  blieb,  ob  familiär  oder  singulär, 
elf  familiäre  Fälle,  d.  i.  S-ß^'o  und  neun  singulär  =  3®/o.  Bei 
den  Epileptikern  blieben  wieder  drei  Fälle  unbestimmt,  vier  Fälle 
sind  familiär  —  3-2o/o  und  15  singulär  =  120/0.  Der  Prozentsatz 
der  familiären  Linkshändigkeit  ist  also  in  beiden  Fällen  nahezu 
der  gleiche.  Vortr.  erörtert  kurz  die  verschiedenen  Theorien  zur 
Erklärung  der  normalen  Rechts-,  resp.  Linkshändigkeit,  von  denen 
keine  ganz  befriedigt.  Die  familiäre  Linkshändigkeit  hei  der 
Epilepsie  hat  keine  pathologische  Bedeutung,  sie  kann  vielleicht 
im  Sinne  der  italienischen  Autoren  als  Degenerationszeichen  ge¬ 
nommen  werden. 

Das  Llehenviegen  der  Linkshändigkeit  kommt  hei  der 
Epilepsie  beinahe  ausschließlich  auf  Rechnung  der  singulären 
länkshändigkeit,  120,0  gegen  30,0.  Dies  weist  schon  darauf  hin, 
daß  diese  Steigerung  der  Häufigkeit  der  Linkshändigkeit  bei  Epi¬ 
lepsie  nicht  allein  einer  gesteigerten  Degeneration  entspricht, 
sondern  andere  Ursachen  haben  muß.  Eine  Zahl  von  Fällen,  die 
Vortragender  imtersüchte,  boten  klinisch  eine  Reihe  von  Merk¬ 
malen,  Kleinersein  der  linken  Schädel-  und  der  rechten  Gesichts¬ 
hälfte,  deutliche  rechtsseitige  Halhseitenerscheinungen,  die  es  nahe¬ 
legen,  diese  Linkshändigkeit  im  Gegensätze  zur  oben  envähnten, 
normalen,  als  pathologische  Linkshändigkeit  aufzufassen,  das 
heißt,  als  dureb  pathologische  Veränderungen  der  linken  Hemi¬ 
sphäre  bedingt,  als  Ausdruck  einer  leichtesten  rechtsseitigen  zere¬ 
bralen  Lähmung  aufzufassen. 

Als  sekundäre'  Linkshändigkeit  wäre  die  durch  Ver¬ 
letzungen  der  rechten  oberen  Extremität  ausgelöste  zu  bezeichnen. 
Schon  Freud  und  Rie  haben  auf  eine  solche  Genese  der  Links¬ 
händigkeit  hingewiesen.  Es  lassen  sich  in  der  Tat,  wie  Vor¬ 
tragender  an  Fällen  von  Rosenberg,  Bischoff,  Infeld  und 
anderer,  soAvie  eigenen  dartut,  fließende  ITehergänge  von  der 
durch  eAudenle  rechtsseitige  zerebrale  Kinderlähmung  bedingten 
Linkshändigkeit,  zu  dei'  A'om  Vortragenden  ins  Auge  gefaßten 
Linkshändigkeit  hersteilen.  Diese  Läsionen  der  linken  Hemi¬ 
sphäre  müssen  sehr  früh  einsetzen,  in  der  Fötalzeit  oder  Avdihrend, 
respektive  bald  nach  der  Geburt  und,  so  geringfügiger  Art  sein, 
daß  sie  niemals  Avirkliche  Lähmungen  setzen.  Aetiologisch  Aväre 
an  die  ziikumskripte  Form  (h'r  V  i  rc  h  o  av  sehen  fötalen  Enze¬ 
phalitis,  an  Meningitis  usw.  zu  detdeeu.  Aetiologisch  kommen 
in  Betracht  :  septisclie  Erkiankungeu  des  Fötus,  Gehurlstraumen, 
Infektionskrankheiten,  aber  auch  Avahrscheinlich  hereditäre  Lues. 
Dieser  linksseitigen  Hiridäsion  mußi  aber  auch  eiiu',  Avahrscheiu- 
lich  kleinere'  Zahl  von  Fällen  mit  rechtsseitigen  Läsionen  enl- 
sprecheji,  die'  aber  dem  klinischen  Naclnveise  meist  entgehen 
Aveu'den,  da  solche'  Individuen  eo  ipso  Rechtshänd('r  Averden, 
es  sei  elenn,  daß  ausgesprochene  linksseitige  Erscheinungen 
ve)rhaude'it  siiiel.  .\uf  elie'se'  Weise  ist  für  eine  Zahl  von  Fällen 


von  gemeiner  Epilepsie  elie  Prädisteosition  zur  Fjeilepsie  in  eiju' 
andere  Beleuchtung  gerückt,  sie  hat  eine  anatomische  Form  ge¬ 
wonnen.  Auf  der  Basis  dieser  Prädisposition,  deren  Stellung  zur 
hereditären  Disposition  noch  klarzustellen  Aväre,  lösen  dann 
andere  Schädlichkeiten  die  Ei)ilepsie  aus. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  Pauli:  Zu  den  interessanleu 
Ausführungen  des  Vortragenden  möchte  ich  bemerken,  daß  es  fraglich 
sein  dürfte,  ob  die  Rechts-  oder  Linkshändigkeit  eine  in  der  Tierreihe 
erst  beim  Menschen  auftretende  Eigentümlichkeit  ist.  Ich  erinnere 
nur  an  die  schönen  und  sorgfältigen  Beobachtungen  eines  nordischen 
Forschers  bei  Menschen  und  Tieren,  Avelche  tagelang  ohne  Orien¬ 
tierung  herumirrten.  Solche  Wesen  bewegen  sich,  wie  die  Regi¬ 
strierung  ihrer  Spuren  im  Schnee  zeigt,  stets  in  großen  Kreisen, 
die  annähernd  wieder  zum  Ausgangspunkte  zurückführen.  Diese 
gesetzmäßige  Erscheinung  wird  mit  Recht  auf  die  asymmetrische 
Tätigkeit  der  Gliedmaßen  bezogen.  Ueberhaupt  gibt  es  in  keiner 
Hinsicht  strenge  Symmetrie  in  der  Tierreihe.  Ein  bekanntes  Bei¬ 
spiel  dieser  Art  findet  sich  bei  Schnecken,  von  denen  manche 
Arten  vorAviegend  rechtsgewundene,  andere  linksgeAvundene  Ge¬ 
häuse  produzieren.  Namhafte  Forscher  haben  die  Ursache  dieser 
Differenzen  in  stereochemischen  Verschiedenheiten  gewisser  Sub¬ 
stanzen  dieser  Schnecken  vermutet  und  Avenn  man  die  Unvoll¬ 
kommenheit  der  Symmetrie  als  eine  allgemeine  Erscheinung  bei  den 
LebeAvesen  betrachtet,  dann  liegt  es  auch  nicht  allzufern,  an  die 
asymmetrische  Struktur  der  Eirveißkörper,  diese  elementaren  Bau¬ 
steine  der  lebenden  Substanz,  zu  denken. 

Priv.-Doz.  Dr.  H  i  r  s  c  h  1  bringt  die  Auffassung  M  e  y  n  e  r  t  s 
über  die  Linkshändigkeit  in  Erinnerung,  die  er  in  seinen  Vor¬ 
lesungen  aussprach.  Nach  M  e  y  n  e  r  t  bestünde  heim  Kinde  noch 
keine  Differenzierung  nach  rechts  und  links ;  die  Rechtshändigkeit 
werde  erst  anerzogen,  namentlich  durch  den  Schulmeister.  Da¬ 
durch  erkläre  sich  die  große  Zahl  von  Linkshändern  unter  den 
Verbrechern  Lombrosos,  Aveil  unter  denselben  die  Zahl  der  An¬ 
alphabeten  sehr  beträchtlich  ist. 

Prof.  Redlich  (SchlußAA'ort) :  Priv.-Doz.  Dr.  Pauli  möclik' 
ich  antAvorten,  daß  mir  die  Angaben  Goldbergs  Avohl bekannt 
sind;  ich  Aveiß,  daß  auch  speziell  für  die  Affen  behauptet  Avurde, 
daß  bei  ihnen  eine  Andeutung  von  Rechtshändigkeit  voikonunt. 
Aber  von  genauen  Kemierii  der  Tiere  ist  eine  ständige  Be\mr- 
zugung  der  einen  Körperseito  in  Abrede  gestellt  Avorden.  Asym¬ 
metrien  im  Baue  der  Tiere  Aviederum  lassen  sich  mit  der  Rechts¬ 
oder  Linkshändigkeit  des  Menschen  nicht  in  Parallele  stellen. 

Die  Ansicht  Meynerts,  die  Kollege  Hirschl  envähnt  hat. 
ist  mir  nicht  bekannt;  auch  Weber  hat  die  Häufigkeit  der 
Linkshändigkeit  bei  Verbrechern  mit  der  mangelnden  Erziehung 
in  Zusammenhang  bringen  Avollen.  Obwohl  mir  eigene  Erfah¬ 
rungen  in  dieser  Richtung  fehlen,  glaube  ich  nicht,  daß*  durch 
die  Erziehung  die  Linkshändigkeit  so  regelmäßig  unterdrückt 
Averden  kann.  Diese  zeigt  sich  gerade  bei  den  ßetätigungen, 
die  nicht  erlernt  Averden.  GeAviß  sind  die  Zahlen  von  Lotnbroso 
zu  hoch;  er  hat  eben  meist  nicht  die  Avirkliche  Linkshändigkeit 
gezählt.  ' 

Priv.-Doz.  Dr.  Leopold  Freund  macht  Mitteilung  über 
einige  therapeutische  Versuche  ni  it  flüssige  r  L  u  f  t  und 
über  einige  Arbeiten  aus  Alem  Gebiete  der  Phototherapie.  Die 
Bestrebungen,  die  Fi  n  sen  sehe  Lichtheluuidlung'  größe'ren  Kreisen 
zugänglich  zu  machen,  verfolgen  zwei  Wege:  1.  Die  Konstruktion 
von  lichtstarken  elektrischen  Lampen,  Avelche,  ohne  besondere 
kostspielige  Transformatoren  in  Anspruch  zu  nehmen,  mit  jenen 
Strömen  betrieben  AA'erden,  die  ohne  Umstände  den  Elektrizitäts¬ 
netzen  der  Städte  entnommen  Averden  können.  2.  Strebt  man  durch 
geeignete  Mittel  die  Reaktionsfähigkeit  der  GeAvebe  gegenüber 
der  Belichtung  zu  erhöhen.  Gelingt  dies,  so  bedarf  man  selbst¬ 
verständlich  nicht  so  intensiAmr  Lichtstrahlung,  um  mit  ihr  das¬ 
selbe  zu  ei'reicheu,  Avas  mit  den  großen  Einsen  sehen  Apparaten 
erreicht  Avird. 

Freund  hat  bei  der  Firma  L.  Sebuhneister  in  MTen 
eine  Lampe  konstruieren  lassen,  AV('lche  infolge  besserer  Aus¬ 
nutzung  der  Lichtstrahlung  in  kleineren  Dimensionen  ausgeführt 
und  mit  scliAvächeren  Strömen  (18  bis  20  Ampere)  Ix'triehen 
werih'ii  kann,  als  die  Original  - F in  s  (' n  sehen  A})|)arate.  Der  Appa¬ 
rat  steht  seit  mehr  als  drei  .lahren  an  der  Klinik  des  Herrn 
Prof.  FingA'i'  in  VerAvendung.  An  dieser  Klinik  Avurden  auch 
die  später  mitgeteilten  Versuche  von  mir  kurz  dui'chgetübrt.  Die 
Kohlen  dei'  Lampen  sind  im  rechten  Winkel  zueinander  angeordnet 
und  Avei'd('n  durch  Handbetrieb  oder  automatisch  reguliert.  Um 
die  Stellung  des  durch  die  erwärmte  Luft  nach  aufwärts  ge¬ 
zogenen  Lichtbogens  dem  beabsichtigten  ZAVt'cke  ('iitsprechend 
genau  fixieren  zu  können,  ist  ein  kleiner  Elektromagnet  A’or 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  10 


gesehen,  welcher  auf  den  Lichtbogen  (als  einen  beweglichen  Strom¬ 
leiter)  ablenkend  einwirkt.  Der  magnetisierende  Strom  kann  durch 
einen  am  Boden  des  Lampengehäuses  angebrachten  Schieber- 
rheostaten  leicht  variiert  werden  und  man  kann  so  den  Licht¬ 
bogen  leicht  mehr  oder  weniger  ablenken.  Durch  einen  para¬ 
bolischen  Reflektor  aus  eanailliertem  Kupferblech,  in  dessen  Brenn¬ 
punkt  der  Lichtbogen  eingestellt  wird,  wird  auch  ein  großer  Teil 
der  sonst  nach  rückwärts  gerichteten  unbenutzten  Strahlung  nach 
vorn  reflektiert  und  so  nutzbar  verwertet;  ein  Vorgesetzter  email¬ 
lierter  Kegelstutz  vereinigt  alle  Strahlen  auf  eine  kleinere  Fläche 
und  durch  eine  kolbenförmige  Küvette  aus  Quarz,  welche  mit 
destilliertem  Wasser  gefüllt  ist,  werden  alle  Strahlen  in  einem 
Brennpunkt  vereinigt.  Das  ganze  Gehäuse  ist  auf  einem  beweg¬ 
lichen  Stativ  angebracht  und  kann  durch  entsprechende  Trieb- 
vorrichlungen  gehoben  und  gesenkt  und  nach  jeder  Richtung 
gedreht  werden.  Als  Kondensor  wurde  der  Quarzkolben  gewählt, 
weil  Quarz  die  stärker  brechbaren  Strahlen  gut  durchläßt  und 
überdies  der  Quarzkolhen  in  bedeutend  größeren  Dimensionen 
herstellbar  ist  als  eine  Quarzlinse  und  somit  mehr  Lichtstrahlen 
konzentrieren  kann.  Das  Kompressorium  von  Finsen  vervoll¬ 
ständigt  das  Instrumentarium. 

Als  Kohlen  kommen  in  Betracht :  a)  .gewöhnliche  Kohlen, 
h)  sogenannte  Effektkohlen,  das  sind  Kohlen,  die  mit  Ca-,  Ba-, 
Sr-  und  Al  -  Salzen,  insbesondere  mit  deren  Fluoriden  ver¬ 
setzt  sind.  t 

Untersuchen  wir  an  der  Hand  der  Spektrumphotographie 
die  Qualität  des  Lichtes  der  Effektkohlen  und  halten  wir  an 
der  von  mir  festgesetzten  Tatsache  fest,  daß  für  therapeutische 
Zwecke  nur  Licht  bis  ungefähr  X  <C  3260  in  Betracht  kommt, 
so  ergibt  sich,  daß  die  Spektren  des  weißen  (Ba-)  u  n  d 
1j  laue  n  ( A1-)  E  f  f  e  k  1 1  i  c  h  t  e  s  1  i  n  i  e  n  r  e  i  c  h  e  r  sind  als  das 
Spektrum  des  gelben  Effektlichtes  (Ca).  Bei  diesem 
sind  die  Linien  weniger  zahlreich,  aber  intensiver, 
n a ni entlieh  in  der  Gegend  von  X  =  3360,  3644 — 24  u n d 
3933  und  3968.  Als  optische  Helligkeit  der  verschiedenen  Licht¬ 
sorten  ergeben  photometrische  Messungen  an  meinem  Apparate 
für  gelbe  Kohlen  über  7300  Normalkerzen,  für  blaue  ca.  6000  Nor¬ 
malkerzen  und  für  gewöhnliche  Kohlen  ca.  6400  Normalkerzen. 

Zur  Beurteilung  der  Tiefenwirkung  der  von  diesen  ver¬ 
schiedenen  Kohlen  ausgesandten  Strahlungen  wurde  geprüft,  nach 
welchen  Zeiträumen  die  mittels  des  Kondensors  konzentrierten 
Strahlen,  nachdem  sie  ein  bis  vier  Kaninchenohren  passiert  hatten, 
zuerst  auf  einem  hinter  das  letzte  Ohr  gelegten  photographischen 
Papiere  Spuren  von  Schwärzung  hervorriefen.  Das  Licht  der 
gelben  (Ca-)  Kohle  zeigte  hiebei  unter  sonst  gleichen  Umständen 
die  intensivste  Tiefenwirkung.  Auch  in  der  phototherapeutischen 
Praxis  schien  das  Licht  der  Ca -Kohle  bezüglich  der  Intensität 
der  Wirkung,  als  auch,  was  die  Schnelligkeit,  mit  welcher  die 
Reaktion  ein  trat,  dem  Lichte  der  blauen,  etwas  weniger  dem 
Lichte  der  weißen  Effektkolile  überlegen  zu  sein. 

Diese  Beobachtungen,  z  u  s  a  m  m  e  n  g  e  h  a  1 1  e  n  m  i  t 
der  spektralen  Zusammensetzung  des  emittierten 
Lichtes  lassen  a n n e h m e n,  daß  es  n i c h t  so  sehr  a u f 
zahlreiche  Linien  im  wirksameren  ultraviolette n 
Teile  ankommt,  sondern  auf  die  große  Intensität 
einige r,  w e n n  auch  in  geringer  Anzahl  vorhandener 
Linien  des  in  Betracht  kommenden  Spektrums.  (Hin¬ 
weis  auf  Quecksilberdampflampe.) 

Bei  dem  von  mir  als  besonders  wirksam  g  e  f  u  n- 
denen  Lichte  der  Ca-Effektkohlen  dürfte  den  er¬ 
wähnten  sehr  intensiven  L  i  n  i  e  n  g  r  u  p  p  e  n,  n  e  b  e  n  d  e  m 
stets  vorhandenen  kräftigen  Lichte  der  ultraviolet¬ 
ten  (tyanhande  X—  3883,  der  hauptsächlichste  Anteil 
an  der  physiologischen  Lichtwirkung  zakommen. 
.\uch  die  reinen  Kohlen  der  Firma  Siemens,  bei  denen  die  Licht¬ 
intensität  des  Lichtes  kürzerer  Wellenlänge  schon  von  der  Wellen¬ 
länge  X  <<  ungefähr  3450  eine  sehr  geringe  ist,  eignen  sich  recht 
gut  zur  Lichttherapie. 

Die  Annahme  von  dem  erwähnten  wirksamen  Strahlungs¬ 
bereich  wird  durch  Filterversuche,  die  ich  mit  gelben,  blauen 
und  violetten  Gläsern  machte,  gleichfalls  gerechtfertigt. 

Als  Mittel,  die  Reaktionsfähigkeit  der  bestrahlten  Gewebe 
zu  erhöhen,  Amrwendete  ich  die  flüssige  Luft.  Das  Material 
zu  diesem  Versuche  wurde  von  der  Firma  Lenoir  &  Forster 
bezogen  und  hiebei  fand  ich  von  Herrn  Kommissionsrat  Hla- 
vacek  die  liebenswürdigste  Unterstützung.  Die  Anwendung  der 


flüssigen  Luft  zur  Sensibilisierung  der  GeAvebe  erfolgte  aus  dem 
Grunde,  weil  organische  Körper  bei  starker  Abkühlung  fluores¬ 
zenzfähig  Averden  und  diese  Abkühlung  durch  flüssige  Luft  in 
energischester  XVeise  erreicht  Avird.  Hiebei  entsteht  vollkommene 
Anästhesie  (Avichtig  für  Operationen!),  dann  eine  mehrere 
Minuten  anhaltende  Anämie,  Avelcher  später  eine  (vielleicht  auch 
therapeutisch  wirksanie)  Hyperämie  folgt.  Freund  weist  auf 
die  Eignung  der  flüssigen  Luft  zur  Herstellung  von 
mikroskopischen  G e f  r i e r s c h n i  1 1 e n  hin.  Um  die  flüssige 
Luft  mit  der  Haut  in  innigere  Berührung  zu  bringen,  presse  ich 
auf  letztere  ein  dickes  Brettchen,  in  welches  ein  der  Größe  der 
kranken  Stelle  entsprechendes  Loch  gebohrt  ist;  in  dieses  Avird 
die  flüssige  Luft  gegossen.  Infolge  der  enormen  Abkühlung  erfolgt 
eine  Erfrierung  und  eine  bis  zu  sechs  Minuten  andauernde  Anämie, 
Avährend  welcher  Zeit  das  konzentrierte  Licht  einwirken  gelassen 
Avird.  Der  Vorgang  Avird  nun  wiederholt.  Durch  dieses  kombinierte 
Verfahren  Avird  die  Reaktion  viel  rascher  und  intensiver  herbei¬ 
geführt.  Je  nach  der  Dauer  der  notAvendigen  EinAvirkung  der 
flüssigen  Luft  kannrfnan  Avillkürlich  Erytheme,  Exkoriationen  und 
selbst  Ulzerationen,  Avelche  aber  glatt  verheilen,  erzeugen.  Kon- 
trollversuche  zeigten,  daß  das  kombinierte  Licht- Luftverfahren 
bedeutend  energischer  Avirkt  als  einer  dieser  beiden  Faktoren  für 
sich  allein. 

Eine  mehr  als  dreijährige  Erfahrung  an  der  Klinik  des 
Herrn  Prof.  Finger  an  mehreren  Patienten  zeigt,  daß  der 
von  mir  heute  demonstrierte  Apparat  brauchbar  ist  und  dem 
gewöbnlichen  klinischen  Bedürfnisse  genügt.  Weitere  Versuche, 
Avelche  die  VerAvendung  der  flüssigen  Luft  als  Sensibilisierungs¬ 
mittel  für  Röntgenstrahlen  zum  Gegenstände  haben,  sind  im 
Gange.  Priv.-Doz.  Dr.  Oppenheim  und  ich  werden  demnächst 
über  unsere  Versuche,  die  Röntgenstrahlenwirkung  durch  Amr- 
schiedene  physikalische  und  chemische  Agenzien  zu  beeinflussen, 
berichten. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  bemerkt,  daß  in  absehbarer  Zeit 
das  jetzt  noch  umständliche  und  kostspielige  Arbeiten  mit  flüssiger 
Luft  bedeutend  vereinfaebt  Averden  dürfte,  Aveil  eine  Fabrik  zur 
Erzeugung  flüssiger  Luft  auf  österreichischem  Boden  in  Errichtung 
begriffen  ist. 


Programm 

der  am 

FreltasT  den  8.  März  1907^  7  Flir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Professor  Dr.  A.  Kolisko  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Dr.  Ed.  Lang:  Krankenvorstellung. 

2.  Dr.  Emil  Heim  (Budweis):  I.  Zwei  Fälle  von  Pseudoherm¬ 
aphroditismus  (Demonstration).  II.  Maligner  Oberkiefertumor  und  Morbus 
Basedowii  (Demonstration). 

3.  Doz.  Dr.  Job.  Fein :  Demonstration. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  reclitzeitige  A^eröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  iiocli  am  SitzuuKsatoeud  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Noordeu  Donnerstag 
den  7.  März  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Professor  v.  Noordeu. 

Programm: 

I.  Demonstrationen. 

H.  Dr.  Wiesel:  Renale  Herzhypertrophie  und  chromaffines  System. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  11.  März  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Dr.  Heinrich  Adler  slattfindenden 

wissenschaftlichen  Versammlung. 

Prim.  Doz.  Dr.  W.  Knöpfelmacher :  Nabelinfektionen  beim 
Neugeborenen. 


V*rinlworlIich*r  Rfdakteur:  Adalbert  Karl  Trupp. 


Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  ThereaiengasBe  3. 


Verlag  ron  Wilhelm  Rraumäller  in  Wien. 


rr 


Die 

„Wiener  kllulscbe 
Wochensclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 

zwei  Bogen  Großquart. 

^  *  ;• 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/(,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


Redaktion; 

Telephon  Nr.  16.282 


.'tr  T  >< 

V^--i 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G,,Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbaut'a,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
i  ;  ^  vA.  V.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

\  Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  t.  Bamberger, 

.  "  Herausgegeben  von  ' 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuch8,.^  Julius^fl, 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Sohrötter  und  '|j^ 

Anton  Weichselbaum.  "  ^ 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


'tr 


Abouuenxebtsprels 

jährlich'^20  K;  ?=  '20  Mark. 
Aboüheinoiits-Bnd  Insertions- 
Aufträge  für  dae  In.-  und  Aus¬ 
land  Verden,  Toh  allen  Buch¬ 
handlungen  Und  Postämtern, 
sowie  .auch  vpiv  .der  Verlags- 
(handlung  übernnnimen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  let,  gelten 


als  erneuert. 


i'lM  se  räfte 

werden  rillt  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkommen. 


Verlagshandlung ; 

Telephon  Nr.  17 .618. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hot-  und  Univorsitäts-Buohhändler,  VIII/i,  Wiokenburggaseo  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  14.  März  1907. 


Nr.  11 


Zentenarfeier  des  k.  k.  Operateur- Institutes  in  Wien. 


Der  Begründer  des  Institutes:  Prof.  Vincenz  v.  Kern. 


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Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


INHALT: 


1.  Origiualartikel:  1.  Begrüßung. 

2.  Da.s  k.  k.  chirurgische  Operations-Institut  in  Wien.  (Ein 
Beitrag  zu  seiner  Geschichte.)  Von  den  derzeitigen  Vorständen 
der  Wiener  chirurgischen  Universitätsklinik  Freiherr  v.  E  i  s  e  1  s- 
berg  und  Hochenegg. 

3.  Vor  sechsunddreißig  Jahren.  Erinnerungen  von  Professor 
A.  V.  Winiwarter,  Lüttich. 

4.  Aus  der  1.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien.  (Vorstand: 
Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.)  Ueber  den  Wurmfortsatz  und 
die  Harnblase  als  Bruchinhalt.  Von  Dr.  Paul  Clairmont; ‘ 
Assistenten  der  Klinik. 

5.  Aus  der  H.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien.  (Vorstand: 
Hofrat  Prof  Dr.  Julius  Hochenegg.)  Ein  Fall  von  Stieltorsion 
eines  sarkomatös  degenerierten  Bauchhodens.  Von  Doktor 
Julius  Boese,  Operationszögling. 

6.  Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  Spitals  der  Wiener 
Allgemeinen  Poliklinik.  (Vorstand:  Professor  Dr.  Alexander 
Fraenkel.)  Beiträge  zur  Behandlung  der  Laugenverätzungen 
der  Speiseröhre.  Von  Dr.  Alfred  B  aß,  Assistenten  der  Abteilung.* 

II.  Referate:  Studie  über  die  rituale  Beschneidung,  vornehmlich  im 
osmanischen  Reiche.  Von  R  i  s  a.  Akute  infektiöse  Osteomyelitis 
des  Unterkiefers.  Von  Th.  Dependorf.  Die  Lehre  von  den 
ischämischen  Muskellähmungen  und  Kontrakturen.  Von^. 
0.  Hildebrand.  Die  Operation  der  Nasenrachentumoreri 


mittels  peroraler  Intubation.  Von  Dr.  Franz  K  u  h  n.  Erfahrungen 
über  Cholezystektomie  und  Cholezystenterostomie  nach  286 
Gallenstein- Laparotomien.  Von  Dr.  A.  v.  B  a  r  d  e  1  eb  e  n. 
Stereoskopbilder  zur  Lehre  von  den  Hernien.  Von  Professor 
E.  Enderlen  und  Prof.  E.  Glaser.  Akute  infektiöse 
Osteomyelitis  des  Oberkiefers.  Von  Th.  D  e  p  e  n  d  o  r  f.  Die 
Technik  der  Extensionsverbände  bei  der  Behandlung  der 
Frakturen  und  Luxationen  der  Extremitäten.  Von  Geh.  Medi¬ 
zinalrat  Dr.  B.  Bardenheuer  und  Stabsarzt  Dr,  G.  Graeßner. 
Beitrag  zum  Studium  der  Behandlung  der  Hüftgelenkstuber¬ 
kulose  im  Kindesalter.  Von  Chr.  M.  F.  S  i n  d  i  n  g  -  L  ar  s  e  n. 
Nierenchirurgie,  ein  Handbuch  für  Praktiker.  Von  Prof.  Doktor 
C,  Garre  und  Dr.  0.  Ehrhardt.  Die  allgemeine  Lehre  von 
den  Frakturen  und  Luxationen  mit  besonderer  Berücksichtigung 
des  Extensionsverfahrens.  Von  Geh.  Medizinalrat  Doktor 
B.  B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r.  Die  Chirurgie  des  praktischen  Arztes 
mit  Einschluß  der  Augen-,  Ohren-  und  Zahnkrankheiten. 
Ref. :  P  u  p  o  V  a  c. 

III.  Aus  verscliiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongrefiberichte. 


Liebe  Kollegen ! 


100  Jahre  sind  vergangen,  seit  auf  Anregung  vor  Vinzenz  v.  Kern  das  Operateur-Institut  an  der  Wiener  Uni¬ 
versität  gegründet  wurde.  Es  ist  merkwürdig  genug,  daß  darnals  in  der  kriegsbewegten  Zeit,  welche  dem  Vaterlande  schwere 
Prüfung  brachte,  diese  Schöpfung  auf  weitere  Kreise  keinen  ^Eindruck  gemacht  hat.  Im  Laufe  der  Jahre  aber  hat  sich  diese 
Institution  mächtig  entwickelt  und  Früchte  gezeitigt,  so  daß  sie  vielfach  an  anderen  Orten  Nachahmung  gefunden,  bisher  aber 
in  ihren  Erfolgen  nirgends  annähernd  erreicht  wurde.  Unser  Vaterland  Oesterreich  hat  alle  Ursache,  auf  die  Kern  sehe 
Schöpfung  stolz  zu  sein  und  wir  gedenken  dankbar  am  heutigen  Tage  dieses  Mannes,  des  Begründers  und  ersten  Vorstandes 
des  Operateur-Institutes. 

Seit  100  Jahren  versorgt  das  Operateur-Institut  nicht  nur  Oesterreichs  Hochschulen  und  manche  Lehrkanzel  des 
Auslandes  mit  Professoren  der  Chirurgie  und  versieht  die  ,  chirurgischen  Primararztesstellen  mit  tüchtigen  Fachmännern; 
Jahr  für  Jahr  ziehen  aus  demselben  in  kleine  Städte  und  ins  Land  hinaus  trefflich  geschulte  Chirurgen,  welche  oft 
unter  den  schwierigsten  Verhältnissen,  ohne  Spitalseinrichtungen,  ihres  verantwortlichen  Amtes  zum  Heile  ihrer  erkrankten 
Mitmenschen  walten.  Und  ist  da  draußen  die  Behandlung  oft  eine  ganz  andere,  als  sie  der  junge  Arzt  in  der  Klinik  gelernt 
hat,  die  Prinzipien  sind  ihm  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen  und  sind  für  ihn  die  Fahne,  zu  der  er  im  Kampfe  mit  äußeren 
Schwierigkeiten  aufblickt. 

Leisteten  die  aus  dem  Operateur-Institute  hervorgegangenen  Aerzte  seit  dessen  Gründung  Vortreffliches  für 
die  kranke  Menschheit,  so  verzehnfachten  sich.  Dank  der  unvergänglichen  Beform  Josef  Listers,  die  Erfolge  im  Laufe  der 
letzten  20  Jahre.  Wüpde  all  das,  was  von  den  ehemaligen  Zöglingen  des  Operateur-Institutes  für  die  Wissenschaft,  für  die 
praktische  Chirurgie  gewonnen  und  dauernd  in  deren  Besitzstand  übergegangen  ist,  aufgezählt  werden,  selbst  eine  lange 
Abhandlung  würde  hiezu  nicht  genügen.  Ein  Blick  auf  das  Namensverzeichnis  der  ehemaligen  Operateure,  bringt  uns  in 
Erinnerung,  was  an  wissenschaftlichen  Leistungen  vollbracht  wurde. 

Aber  nicht  nur  die  leidende  Menscheit  und  die  Wissenschaft  hat  von  dem  Institute  viel  gewonnen.  Nichts 
schließt  die  Menschen  schneller  und  fester  aneinander  als  gemeinsame,  ernste  Arbeit  und  das  Gefühl  einer  großen  Ver¬ 
antwortlichkeit.  Sowie  der  Soldat  im  Felde  seiner  Waffenbrüder  nicht  vergißt,  so  vereint  die  klinische  Arbeit  und  läßt 
Freundschaft  schließen  fürs  Leben.  Ist  nicht  die  Schulung,  die  heutzutage  ein  junger  Chirurg  als  Zögling  des  Operateur- 
Institutes  durchzumachen  hat,  mit  all  den  oft  kleinlich  erscheinenden  Details  der  Asepsis  dazu  angetan,  die  für  die  Praxis 
so  unerläßliche  Gewissenhaftigkeit  fürs  Leben  einzuprägen?  Und  an  der  Genauigkeit,  diese  kleinen  Details  treu  zu  befolgen, 
hängt  oft  nicht  weniger  als  ein  Menschenleben  ab! 

Ihnen  allen,  verehrte  Kollegen,  wird  es  am  heutigen  Tage  so  ergehen  wie  uns,  die  wir  voll  dankbarer  Erinnerung 
an  die  Zeit  zurückdenken,  als  wir  noch  selbst  .  als  Operateure  und  Assistenten  bei  unseren  unvergeßlichen  Meistern  tätig 
waren.  Freuen  wir  uns  des  Wiedersehens  mit  so  manchem  Freund  und  Kollegen,  dem  wir  seit  Jahr  und  Tag  nicht  die 
Hand  gedrückt!  Allen  denen,  die  zum  heutigen  Tage  aus  weiter  Ferne  herbeigeeilt,  wie  nicht  weniger  jenen,  die  die  Pflicht 
abhält  unser  Einladung  Folge  zu  leisten,  gilt  unser  herzlicher  Gruß.  Sie  betreten  die  allen  bekannten,  altehrwürdigen  Bäume 
—  ist  auch  manches  verbessert,  so  ist  es  immer  noch  das  nur  zu  alte  Spital,  in  dem  wir  Sie  begrüßen.  Hoffen  wir,  daß 
es  uns  vergönnt  sein  möge,  in  wenigen  Jahren  Sie  zu  einem  Besuche  der  neuen  Wiener  Kliniken  einzuladen.  In  diese 
wollen  wir  dann  die  Tradition  des  alten  Hauses  mitnehmen  und  immer  der  alten,  aber  ewig  jungen  Lehren  unserer  Meister 
eingedenk  bleiben,  vor  allem  der  über  dem  Tore  des  Allgemeinen  Krankenhauses  prangenden  Devise: 

SALUTI  ET  SOLATIO  AEGROBUM. 


Herzlichen  akademischen  Gruß  den  Fachgenossen! 


Die  Vorstände  der  chirurgischen  Kliniken: 

V.  Eiseisberg.  Hochenegg. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Das  k.  k.  chirurgische  Operations  -  Institut 

in  Wien. 

Ein  Beitrag  zu  seiner  Geschichte. 

Von  den  derzeitigen  Vorständen  der  Wiener  chirurgischen  Universitäts¬ 
kliniken  Freiherr  v.  Eiseisberg  und  Hoclienegg. 

Lieber  Graf  U garte! 

Ich  habe  mich  bewogen  gefunden,  einige  junge  Wund¬ 
ärzte,  die  mittellos,  fleißig  und  von  guter  Aufführung  sind, 
durch  Privatunterricht  des  hiesigen  Prof.  Kern  zu  guten 
Operateuren  ausbilden  zu  lassen  und  für  jeden  derselben, 
die  der  Direktor  des  medizinischen  Studiums,  Hofrat  Stifft, 
auswählen  und  der  Kanzlei  namhaft  machen  wird,  für 
die  Dauer  des  Unterrichtes  zum  Unterhalte  einen  jährlichen 
Betrag  von  300  Gulden  in  den  gewöhnlichen  vierteljährigen 
Raten  gegen  vidimierte  Quittungen  des  Prof.  Kern  gnädigst 
ex  Camerali  gegen  dem  zu  verwilligen,  daß  sie  sich  an¬ 
heischig  machen,  für  die  auf  Unkosten  des  Staats  erhaltene 
Ausbildung  in  Hinkunft  Meinen  Erbstaaten  zu  verbleiben 
und  daselbst  ihre  Kunst  auszuüben.  Die  Kanzellei  wird 
diese  Meine  Entschließung  der  Hofkammer  zur  Nachachtung 
mitteilen. 

Wien,  den  9.  Hornung  1807. 

Franz. 

Mit  diesem  Allerhöchsten  Kabinettsclireiben  wurde  das 
k.  k.  Operateurzöglingsinstitut,  dessen  lOOjähriger  Bestand 
heute  festlich  begangen  wird,  geschaffen  und  dasselbe 
krönte  die  unermüdlichen  Bestrebungen  und  Anregungen 
Vinzenz  Ritter  v.  Kerns,  des  damaligen  Professors  der 
Chirurgie  an  der  Wiener  Universität. 

Um  diese  Tat  Vinzenz  v.  Kerns  richtig  würdigen 
zu  können,  bedarf  es  nur  eines  Hinweises  auf  die  ungemein 
traurigen  Verhältnisse,  die  damals,  also  vor  Kern  und  in 
der  ersten  Zeit  seines  Wirkens,  die  Chirurgie  in  Oester¬ 
reich  bot. 

Nicht  nur,  um  sich  tüchtige  Mitarbeiter  zu  sichern, 
sondern  auch  die  Sorge  um  die  Zukunft  der  Chirurgie  in 
Oesterreich  mußte  Kern  dazu  bringen,  bestrebt  zu  sein, 
Einrichtungen  zu  schaffen,  die  ihm ,  ermöglichten,  einen 
engeren  Schülerkreis  heranzubilden  und  im  innigen  Verkehr 
durch  Lehre  und  Beispiel  diese  zu  tüchtigen  Chirurgen 
heranzubilden.  Der  Mangel  an  Chirurgen  machte  sich  in 
jenen  kriegsreichen  Tagen  besonders  empfindlich  geltend 
und  hatte  schon  20  Jahre  früher  zur  Schaffung  der  Josef- 
Akademie  geführt,  an  der  auch  ein  ähnliches  Institut  für 
Militärärzte  bestand,  das  wohl  für  Vinzenz  v.  Kern  in 
vielen  Punkten  vorbildlich  gewesen  sein  mag. 

So  ist  es  zu  begreifen,  daß  die  Anregungen  und  Vor¬ 
schläge  Vinzenz  v.  Kerns  solche  Bereitwilligkeit  bei  dem 
,,das  Ruder  sämtlicher  Medizinalangelegenheiten  des  Kaiser¬ 
staates  führenden  Freiherrn  v.  Stifft“  fanden  und  daß 
dieser  bei  seinem  Kaiser  für  die  Durchführung  der  Kern- 
schen  Idee,  eintrat  und  nicht  nur  die  Kreierung  durch  das 
oben  wiedergegebene  Allerhöchste  Kabinettschreiben  er¬ 
wirkte,  sondern  auch  fortan  und  weiter  bestrebt  war,  dem 
jungen  Institute  die  kaiserliche  Gnade  und  Förderung  zu 
erhalten,  die  im  weiteren  Verlaufe  der  Jahre  den  Zöglingen 
des  Institutes  weitgehendste  Privilegien  vor  allen  ander¬ 
wärts  ausgebildeten  Aerzten  fürs  Leben  sicherte. 

Kein  Wunder,  daß  sich  um  den  mit  Begeisterung  sein 
Lehramt  ausübenden  Meister  fortan  eine  Reihe  von  streb¬ 
samen  Schülern  sammelte,  so  daß  schon  der  Erfolg  des  ersten 
Kurses  hinlänglich  bewies,  daß  das  neukreierte  Operations¬ 
institut  einem  dringenden  Bedürfnis  entsprach,  daß  seine 
Organisation  eine  zweckentsprechende  war  und  daß  durch 
dieses  der  Chirurgie  in  Oesterreich  fortan  tüchtige  Ver¬ 
treter  gesichert  wurden.  Ein  Blick  auf  das  Verzeichnis  der 


h  Aloys  Graf  U  g  a  r  t  e  bekleidete  damals  die  Stelle  des  ersten 
Kanzlers  der  vereinigten  k.  k.  Hofkanzlei  und  später  die  eines  Präses 
der  k.  k.  Studienkommission. 


Frequentanten  der  ersten  Kurse,  erbrachte  den  Beweis  für 
die  vorzügliche  Organisation  des  Institutes. 

Die  ursprüngliche  Organisation  des  Institutes  war  eine 
sehr  strenge.  Schon  das  kaiserliche  Handschreiben  be¬ 
sagt,  daß  nur  Wundärzte,  die  jung,  mittellos,  fleißig  und 
von  guter  Auffübrung  sind,  aufgenommen  werden  dürfen, 
dieselben  hatten  sich  außerdem  einer  strengen  Konkurs¬ 
prüfung  in  der  topographischen  Anatomie  vor  einer  großen, 
aus  den  für  die  Medizinalangelegenheit  gewaltigsten  Per¬ 
sönlichkeiten  zusammengesetzten  Kommission,  zu  unter¬ 
ziehen.  Dabei  war  es  unter  den  damaligen  Verhältnissen 
klar,  daß  nicht  nur  Doktoren  der  Chirurgie,  sondern  auch 
Doktoren  der  Medizin  und  geprüfte  Wundärzte,  Patrone  der 
Chirurgie,  sich  um  die  Aufnahme  in  das  Zöglingsinstitut 
bewerben  konnten  und  Aufnahme  fanden,  wenn  ßie  den 
strengen  Anforderungen  voll  entsprachen.  Die  Doktoren  der 
Medizin  hatten  am  Schlüsse  des  Lehrkurses  die  strengen 
chirurgischen  Prüfungen  abzulegen  und  das  Doktorat  der 
Chirurgie  zu  erwerben,  die  Patroni  der  Chirurgie  rückten 
nach  einer  öffentlichen  strengen  Prüfung  zu  Magistern  der 
Chirurgie  vor  und  und  absolvierten  als  solche  den  Kurs, 
um  am  Schlüsse  desselben  wie  die  anderen  das  Operateurs¬ 
diplom  zu  erreichen. 

Als  Tag  des  Eintrittes  in  das  Institut  war  bis  zum 
Jahre  1849  der  Gründungstag,  der  8.  Febraar,  festgesetzt 
und  wurde  meist  festlich  begangen,  an  demselben  Unter¬ 
zeichneten  die  Zöglinge  den  Revers,  durch  welchen  sie  sich 
verpflichteten,  nach  dem  beendeten  Lehrkurse  in  den  öster¬ 
reichischen  Staaten  zu  verbleiben  und  treu  der  empfangenen 
Lehre  ihre  Kunst  zum  Heile  ihrer  Mitbürger  auszuüben. 

Jeder  Lehrkurs  dauerte  zwei  Jahre.  Während  dieser 
Zeit  hatten  die  Zöglinge  im  Krankeuhause  zu  wohnen,  damit 
sie  ,,zu  jeder  Zeit  des  Tages  und  der  Nacht  an  der  Klinik 
gegenwärtig  seyn  können“.  Jeder  Zögling,  bis  zum  Jahre 
1850  wurden  nur  Stipendisten  aufgenommen,  bezog 
300  Gulden  Unterhaltsbeitrag. 

Den  unter  diesen  Bedingungen  aufgenommenen  Zög¬ 
lingen  erteilte  der  jeweilige  Professor  der  Chirurgie,  der 
zugleich  Direktor  des  Institutes  war,  einen  vollkommen  syste¬ 
matischen  und  praktischen  Unterricht  in  der  Chirurgie  und 
zwar  zunächst,  indem  er  namentlich  am  Leichnam  die  ver¬ 
schiedenen  Operationen  demonstrierte,  ihre  Anzeigen  be¬ 
sprach,  Winke  für  die  Nachbehandlung  gab  und  dann  mit 
jedem  Zögling  einzeln  die  Ausführung  dieser  Operationen 
einübte.  Es  ist  begreiflich,  daß  auf  diese  Weise  ein  inniger 
Kontakt  zwischen  Lehrer  und  Lernendem  sich  herausbildete 
und  daß  gerade  dieser  Umstand  einen  fürs  Leben  anhalten¬ 
den  Freundschafts  bund  der  Zöglinge  für  ihren  Lehrer 
zeitigte,  der  uns  mit  begeisterten  Worten  von  den  damaligen 
Zöglingen  geschildert  wird. 

Nach  diesem  ersten  Jahre  des  Operationslehrkurses 
hatten  die  Zöglinge  eine  zweite  öffentliche  Prüfung  ab¬ 
zulegen,  bei  welcher  jeder  Zögling  eine  an  ihn  gerichtete 
theoretische  Frage  zu  beantworten  und  dann  eine  auf  ge¬ 
gebene  Operation  umständlich  zu  erörtern,  sowie  schlie߬ 
lich  am  Leichnam  zu  vollziehen  hatte.  Durch  diese  Prüfung 
bewiesen  die  Zöglinge  ihre  Tüchtigkeit,  fortan  auch  am 
Lebenden  operieren  zu  können,  was  ihnen  nach  gelungener 
Prüfung  in  genauer  Reihenfolge  auch  gestattet  wurde. 

Jeder  Operation  mußte  der  Zögling  vorerst  einen 
Vortrag  über  Anamnese  der  Krankheit,  die  Begriffsbestim¬ 
mung  und  der  Zweck  und  das  Geschichtliche  der  Operation, 
die  Anzeigen  dafür  und  deren  Beschränkung,  den  Instru¬ 
mentenapparat,  die  Vorbereitung  und  Lagerung  des  Kranken 
vorausschicken  und  durfte  erst  dann  unter  der  Assistenz 
seiner  Kollegen  und  überwacht  vom  leitenden  Auge  des 
Professors,  dieselbe  ausführen. 

Es  ist  klar,  daß  sO'  eine  gründliche,  auch  theoretische 
Schulung  der  Zöglinge  in  der  Chirurgie  erreicht  wurde  und 
so  Frequentanten  des  Institutes  tatsächlich  von  schüch¬ 
ternen  Anfängern  im  Operieren,  durch  das  ruhige,  Mut  ein¬ 
flößende  Benehmen  des  Lehrers,  allmählich  zu  ge¬ 
wandten  Operateuren  ausgebildet  wurden,  denen  mit  vollem 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


oUG 


Recht  in  dem  am  Ende  des  Kurses  verabfolgten  Diploni  die 
Befähigung  zum  Operateur  zugesprochen  werden  durfte.^) 

Am  Schlüsse  des  zweiten  Jahres  wurde  den  Zöglingen 
in  feierlicher  Ansprache  ihr  Operateursdiplom  überreicht 
und  sie  hatten  fortan  das  Recht,  sich  Operateure  zu  nennen. 

Den  Text  und  die  Ausstattung  eines  solchen  Diplomes 
geben  wir  in  genauer  Kopie  wieder:^) 


Wunsch  und  Bitte  der  Kronländer  von  Sr.  Majestät  die 
Erlaubnis  erteilt  wurde,  die  Anzahl  der  Zöglinge  zu  ver¬ 
mehren  und  auch  Stellen  für  Aerzte  der  Kronländer  zu 
schaffen.  So  wurden  im  Jahre  1815  vom  Herzogtum  Steier¬ 
mark  ein  steirisches,  im  Jahre  1821  vier  italienische,  im  Jahre 
1833  ein  siebenbürgisches,  im  Jahre  1839  ein  tiroler,  im  Jahre 
1848  ein  Öberösterreichisches  Stipendium  kreiert  und  um 


a 


,  SlNCiLl^ARl  MLINI  nCFNTlA 

^  auoullissimi  liiiperdloris  ac  Roitis  llwiiasci  r  sex  luvembiis ,  qui,  quo 

um^crc'  c/irmjuK  m  ((/upcrJilalc,  amli^ju^ötrmju.  ac  a  fJa  Tuna  1  umletw^  o^jftum  nma^ictü  ^^di/ijcräia'  er^ULonc  ,  ac  maram/  aifUcra' 

uilcr  rclc^uad  rtntmunfi^ .  ,  pctimuX'  annwlf^ cd nala.-  cot  ul.  iutmil'  dpalicy  ar  orifula  i'ilru'tytac'  liraclucty  arcac  ca^^  ^uct  c/ururr^ 

t,  ccnW^fil^ci/cn'  /iLaifid  hau/rtrcnl^^octrinam  ac^^ctrlen/alcfny^eJila/m  Ji.SC  camljara-rcnl- .  cOdrum  num&ro  ~^i3crifilU'nh' 

<,r^uad  t^Hapuitrumy' ^  ccimyuc-'  in/  ctidLäulo  cfimce  cfuncr^M'  vccricuS  at^J^i^ici/cd  m.  it^rid 


^la/my  manuaUttc  ccmcnmm. 
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ccnui^da/rti'  niadU  haurirml^lioctrinam  ac^^calentlalcm/^e-iila/m  di-SC  cam/jarancnl' .  cGdrum  numero 

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l  IHOlUiUTiy  L/ iirTld  cnmcr^uay  c  '/Lapidlrudny' ^  cccnyuc-'  in/  ctidLUiMd  rümce  c/uni>t^M‘ 

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Die  großen  Vorteile,  die  das  Institut  brachte,  die  durch 
gediegenen  Unterricht  erzielte  gründliche  Ausbildung  in  der 
Chirurgie  wurde  bald  allgemein  anerkannt  und  es  ist  so 
erklärlich,  daß  schon  im  Laufe  der  nächsten  Jalire  über 

Es  soll  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  den  altern  Zöglingen  auch 
praktischer  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  erteilt,  und  sie  in  augen¬ 
ärztliche  Operationen  auch  praktisch  eingeübt  wurden. 

3)  Beifolgend  abgedrucktes  Operateur-Diplom  verdanken  wir  der 
Freundlichkeit  des  Herrn  Prim.  Dr.  K  a  t  h  o  1  i  c  k  y;  da  auf  demselben 
Kern  und  Stifft  eigenhändig  unterschrieben  sind,  dürfte  dessen  Publi¬ 
kation  in  der  heutigen  Nummer  von  Interesse  sein. 


diesem  Andrange  gerecht  werden  zu  köimen,  die  Anzahl 
der  Zöglinge  auf  8  vermehrt,  so  daß,  da  seit  dem  Jahre  1841 
auch  an  der  II.  chirurgischen  Klinik  Zögliirge  ausgebildet 
mirden,  nun  im  ganzen  16  Zöglinge  Unterricht  erhielten. 

Die  Huld  des  Kaisers,  der  mit  wohlwollendem 
Blicke  die  weitere  Entwicklung  und  die  erzielten  Re¬ 
sultate  des  von  ihm’  geschaffenen  Institutes  verfolgte, 
blieb  dem  Institute  erhalten  und  äußerte  sich  vor 
allem  auch  darin,  daß  über  ausdrücklichen  Befehl  des 
hohen  Gründers  gewisse  Stellen  den  absolvierten  Fre- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


quentaiiteii  des  Institutes  Vorbehalten  blieben,  so 'die  Kreis¬ 
wund  a  r  z  te  s  s  t  e  1 1  e  n  (Allerhöchstes  Kabine!  tschreiben 
vom  23.  Dezember  1810:  „Audi  will  ich,  daß  in  jedem 
solchen  Falle  [einer  erledigten  Kreiswimdarztesstelle]  ein 
solch  gebildeter  Operateur  allen  Andern  vorgezogen  werde“), 
Sekundarwund  arztess  teilen  (Hofkanzleidekret  vom 
3.  Dezember  1812,  Z.  18.088:  „Se.  Majestät  haben  zu  be¬ 
fehlen  geruht,  daß  bei  Besetzung  der  erledigten  Sekundar- 
wundarztesstellen  den  Zöglingen  des  chirurg.  Operations- 
Institutes  immer  der  Vorzug  .vor  Andern  gegeben  werden 
solle“),  Kameralwundarztesstellen  (durch  das  Hof¬ 
kammerdekret  vom  21.  Jänner  1813)  und  die  Stadt  Wund¬ 
arztes  st  eilen  (Hofkanzleidekret  vom  23.  Februar  1815) 
endlich,  was  besonders  wichtig  und  für  die  hohe  An¬ 
erkennung,  die  die  Operateure  genossen,  besonders  be¬ 
zeichnend  ist,  ordnet  in  einem  aus  Paris,  den  3.  Sep¬ 
tember  1815,  eigenhändigen  Brief  der  Kaiser  an,  ^,daß,  wenn 
chirurgisohe  Operateure,  welche  in  dem  Institute  der  Wiener 
Universität  ausgebildet  wurden,  aerztliche  Militärdienste 
nehmen,  dieselben  durch  3  Älonate  als  Oberärzte,  damit 
sie  den  Dienst  sich  eigen  machen,  angestellt,  nach  deren 
Verlauf  aber  zu  Regimentsaerzten  befördert  werden“. 

Es  konnte  mit  vollem  Recht  gesagt  werden,  daß  mit 
dem  Eintritt  in  das  Operateurzöglingsinstitut  die  Karriere 
eines  jungen  Mannes  begann,  aber  auch  gemacht  war, 
und  wir  ersehen  aus  den  Listen  der  ersten  vierzehn 
Lehrkurse,  die  wir  einer  Zusammenstellung  Sigmunds 
verdanken,  daß  sämtliche  Frequentanten  zu  ansehn¬ 
lichen  Stellen  gelangten  und  in  diesen  dem ,  Institute 
Ehre  machten.  Mit  Stolz  kann  dieser  Bericht  auf  seiner 
letzten  Seite  betonen,  daß  aus  den  Frequentanten  der  bis¬ 
herigen  Kurse  29  Universitätsprofessoren,  19  Primarärzte, 
44  Kreiswundärzte  und  35  angesehene  praktische  Aerzte 
ohne  öffentliche  Anstellung  hervorgegangen  sind,  und  daß 
auf  diese  und  alle  anderen  das  Institut  stolz  sein  dürfe. 

Der  Lauf  der  Zeiten  änderte  natürlich  auch  viel  an 
diesem  Institute.  Der  ungemein  intensive  theoretische  Unter¬ 
richt,  den  die  Zöglinge  damals  genossen,  war  nur  möglich, 
solange  das  Krankenmaterial  der  Klinik  ein  spärliches  war; 
es  ist  klar,  daß  nur  dann  zum  Beispiel  jeder  Opera¬ 
tion  eine  mehrstündige  öffentliche  Besprechung  voraus- 
geschickt  werden  konnte,  wenn  selten  operiert  wurde ; 
daß  der  Vorstand  der  Klinik  sich  nur  seinen  Zög¬ 
lingen  widmen  konnte,  solange  e-r  nicht  durch  andere 
Berufspflichten  anderwärts  zu  stark  in  Anspruch  genommen 
war.  Es  ist  ferner  klar,  daß  die  Frequentanten  des  Wiener 
Operationsinstitutes  die  dominierende  Stellung,  die  ihnen 
mit  Recht  durch  kaiserliche  Gnade  und  allgemeines  Ansehen 
zugesprochen  war,  nur  insolange  beherrschten,  als  das 
Operationsinstitut  die  einzige  Stätte  war,  wo  wahrhaft  reelle 
chirurgische  Ausbildung  erlangt  werden  konnte,  daß  man 
nur  operative  Chirurgie  an  den  Kliniken  allein  erlernen 
konnte,  solange  nur  an  diesen  operiert  wurde  und  andere 
chirurgische  Stationen  entweder  nicht  bestanden  oder  sich 
nur  auf  unblutige  Behandlung  ihres  Krankenmateriales 
beschränkten  und  dasselbe,  sobald  eine  Operation  überhaupt 
indiziert  erschien,  an  die  Klinik  abzugeben  hatten. 

Allmählich  nahm  das  operativ  zu  behandelnde  Kranken¬ 
material  an  den  Kliniken  dermaßen  zu,  daß  es  opportun 
erschien,  größeres  Gewicht  auf  die  Operationen  und  Nach¬ 
behandlung  am  Lebenden  zu  legen,  wodurch  der  Unter¬ 
richt  der  Frequentanten  auf  Kosten  der  früher  üblichen 
strengen  theoretischen  Ausbildung  am  Kadaver  allmählich 
mehr  ein  kliniscJier  wurde. 

Die  Aufnahmsprüfungen  wurden  nun  zusammen¬ 
gezogen,  der  eintretende  Zögling  hatte  vor  seiner  Aufnahme 
eine  Prüfung  zu  bestehen,  die  gewissermaßen  die  bisher 
üblichen  zwei  Prüfungen  (die  topographisch  anatomische 
imd  die  rein  chirargische  am  Schlüsse  des  ersten  Jahres) 
in  eine  vereinigte,  wofür  aber  der  Zögling  schon  im  ersten 
Jahre  die  Berechtigung  erhielt,  auch  am  Lebenden  zu 
operieren. 


Auch  an  der  Organisalion  des  Institutes  erwiesen  sich 
Aenderungen  als  erAvünscht.  So  wurde  mit  einem  Erlasse 
des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht  vom  23.  Januar 
1849,  Z.  663,  der  Beginn  des  Kurses  vom  8.  Februar  auf 
den  Anfang  des  Schuljahres  verlegt;  weiters  wurde  in 
einem  Erlasse  des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht 
vom  11.  Juni  1850,  Z.  4697,  angeordnet,  daß  auch  außer¬ 
ordentliche  Operateurzöglinge,  das  sind  solche  die  keine 
Stipendien  beziehen,  autgenommen  werden  dürfen.  Wegen 
Raummangel  im  Allgemeinen  Krankenhause  wird  mit 
Erlaß  vom  27.  Juni  1850  angeordnet,  daß  die  Zög¬ 
linge  außerhalb  des  Krankenhauses  wohnen  dürfen,  wofür 
jeder  Zögling  einen  Beitrag  von  fl.  24-35  als  Quartiergeld 
zu  erhalten  hat,  nur  wird  gewünscht,  daß  diese  Wohnungen 
in  der  Nähe  des  Allgemeinen  Krankenhauses  gelegen  sein 
sollen.  Der  Erlaß  des  Ministeriums  fürj^ultus  und  Unterricht 
vom  29.  Dezember  1853  ordnet  ferner  an,  daß  fortan  nur 
mehr  Doktoren  der  Medizin  in  das  Institut  aufgenommen 
werden  sollen.  Eine  Allerhöchste  Entschließung  vom 
31.  März  1856  erteilt  die  Nachsicht  des  verehelichten  Standes 
bei  der  Aufnahme  von  Zöglingen  in  das  Wiener  chirur¬ 
gische  Operationsinstitut. 

Die  weitgehendsten  Veränderungen  an  der  Organisa¬ 
tion  unseres  Institutes,  die  einer  vollkommenen  Neuorganisa¬ 
tion  gleichkommen,  wurden  über  Antrag  Billroths  im 
Jahre  1870  durchgeführt. 

Der  in  der  Sitzung  des  Wiener  Professorenkollegiums 
vom  13.  März  1869,  also  schon  zwei  Jahre  nach  dem 
Amtsantritte  Billroths,  eingebrachte  diesbezügliche  Vor¬ 
schlag  ersclieint  uns  für  das  organisatorische  Bestreben 
Billroths  so  charakteristisch  und  für  die  geschichtliche 
Entwicklung  des  Institutes  dermaßen  wichtig,  daß  wir  aus 
dem  uns  vorliegenden,  von  Billroth  eigenhändig  geschrie¬ 
benen  Motivenberichte  einige  Stellen  in  extenso  wiederzu¬ 
geben  für  notwendig  finden : 

„Die  Unterzeichneten  Vorstände  (Billroth,  v.  D um¬ 
reich  er)  der  mit  den  beiden  k.  k.  chirurgischen  Uni¬ 
versitätskliniken  verbundenen  Operationsinstitute  haben 
nach  vorausgegangener  Besprechung  gefunden,  daß  dieses 
Institut  einer  Reorganisation  bedarf,  welche  den 
veränderten  Zeitumständen  entspricht,  und  daß 
Verhältnisse,  welche  bisher  nur  durch  den  Usus 
begründet  sind,  eine  festere  Regelung  erfahren 
sollten. 

Da  der  Vorschlag  des  Professorenkollegiums  zu  einer 
neuen  Rigorosenordnung  in  erster  Linie  dahin  geht,  daß 
fortan  alle  Separatdiplome  entfallen  sollen  und  nur  ein 
Diplom  für  einen  Doctor  medicinae  universalis  erteilt  werden 
soll,  so  wird  konsequenterweise  auch  das  Operationsdiplom 
und  der  Operateurtitel  fortan  aufhören  müssen.  Die  Praxis 
hat  gelehrt,  daß  diese  Titel  für  seine  Träger  jetzt,  wo  jeder 
Arzt  zugleich  Chirurg  sein  muß,  von  keinem  besonderen 
Nutzen  ist.  Die  früher  mit  diesem  Diplom  verbundenen 
Rechtsansprüclie  der  nur  Chirurgie  Studierenden  können, 
weil  sie  antiquierte  Privilegien  sind,  fernerhin  nicht  mehr 
aufrecht  erhalten  werden.  Es  liegt  außerdem  nach  unseren 
modernen  Begriffen  von  Gleichheit  der  die  ärztliche  Kunst 
ausübenden  Kollegen  eine  Ungerechtigkeit  darin,  daß  Aerzte 
mit  einem  besonderen  Diplom  vom  Staate  ausgestattet 
werden,  weil  sie  unter  Tausenden  das  Glück  hatten,  sich 
praktisch  an  einer  chirurgischen  Klinik  auszubilden.  Die 
Konkurrenz  kann  in  diesem  Falle  den  Umständen  nach 
eine  äußerst  geringe  sein:  die  zufällig  Begünstigten  von 
Staats  wegen  vor  vielen,  vielleicht  ebenso  talentvollen  Mit¬ 
studierenden  durch  ein  besonderes  Diplom  auszuzeichnen, 
scheint  in  der  Tat  unbillig  gegen  diejenigen,  welche  sich 
in  anderen  Stellungen  an  Krankenhäusern  oder  sonst  wo 
vielleicht  dieselbe,  möglicherweise  einen  höheren  Grad  von 
chirurgisclier  Ausbildung  und  Fertigkeit  erworben  haben. 
Es  geht  also  der  erste  Antrag  der  Unterzeichneten  dahin, 
den  Operateurzöglingen  von  den  nächsten  Anstellungen  an 
kein  besonderes  Diplom  und  keinen  besonderen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Titel  von  Staats  wegen  zu  verleihen.  Dagegen  halten 
sich  die  Vorstände  der  Institute  für  verpflichtet,  ihren  Zög¬ 
lingen  auf  geäußerten  Wunsch  ein  privates  schriftliches 
Zeugnis  zu  geben. 

Die  große  Anzahl  von  Zuhörern  in  den  chirurgischen 
Kliniken  in  Wien  macht  es  oft  schwer,  die  sich  zum  Ein¬ 
tritt  in  ein  üperationsinstitut  meldenden  Kandidaten  vorher 
genau  genug  kennen  zu  lernen,  um  mit  Sicherheit  voraus- 
bestimmen  zu  können,  oh  sie  für  operative  Chirargie  eine 
besondere  Begabung  haben.  Manch  junge  Leute  erfassen 
die  Sache  auch  wohl  mit  enthusiastischem  Eifer  und  zeigen 
sich  energielos,  wenn  es  sich  darum  handelt,  Schwierig¬ 
keiten  und  Unbequemlichkeiten  zu  überwinden.  Es  ist  in 
solchen  Fällen  für  Lehrer  und  Schüler  peinlich,  ein  Ver¬ 
hältnis  durch  zwei  Jahre  zu  Ende  führen  zu  müssen,  welches 
vielleicht  schon  nach  einigen  Monaten  als  ein  resultatJoses 
von  beiden  Seiten  erkannt  ist,  ja  es  erscheint  geradezu 
als  ein  Unrecht  gegen  die  jungen  Leute,  sie  durch  Bei¬ 
behaltung  in  der  Stellung  als  Operateurzögling  zur  Ver¬ 
folgung  einer  Laufbahn  zu  verhalten,  zu  der  sie  nach  ge¬ 
nauerer  Einsicht  doch  keine  dauernde  Neigung  haben,  oder 
in  ihnen  die  Hoffnung  auf  die  erfolgreiche  Ausübung  einer 
Kunst  zu  nähren,  zu  welcher  sie  vielleicht  kein  genügendes 
Talent  haben. 

Ein  zweiter  Antrag  der  Unterzeichneten  lautet  hienäch 
dahin,  daß  die  Operateurzöglinge  in  der  Folge  nur 
auf  ein  Jahr  für  ilire  Stellung  verpflichtet 
werden  und  ihnen  auch  nur  je  auf  ein  Jahr  die 
Stipendien  verliehen  werden  sollen,  daß  es  den 
Vorständen  der  0  p  e  ra  ti  o  n  s  i  ns  t  i  t  u  te  aber  frei¬ 
steht,  diese  Zeit  auf  zwei  bis  drei  Jahre  im  ganzen 
bei  denjenigen  zu  verlängern,  welche  ein  beson¬ 
der  s  h  e  r  vo  r  r  a  g  e  n  d  e  s  T  a  1  e  n  t  f  ü  r  C  h  i  r  u  r  g  i  e  zeigen. 

Dies  steht  in  keinem  Widerspruch  mit  der  Absicht 
des  Allerhöchsten  Stifters  dieses  Institutes,  der  operativen 
Technik  kundige  und  gewandte  Chirurgen  für  die  verschie¬ 
denen  Landesteile  des  Kaiserstaates  zu  bilden,  denn,  was 
vor  Dezennien  von  Chirurgen  ohne  alle  Schulbildung  in 
zwei  Jahren  geleistet  wurde,  wird  ohne  Zweifel  bedeutend 
übertroffen  von  demjenigen,  was  von  den  jetzigen  jungen 
gebildeten  Doktoren  bei  den  erweiterten  Kliniken  und  bei 
dem  vergrößerten  Material  in  einem  .fahre  erlernt  werden 
kann.  Die  kürzere  Anstellungsdauer  hat  endlich  noch  den 
V^orteil,  daß  mehr  junge  Aerzte  den  Vorteil  dieser  Stellung 
genießen  können,  als  dies  bei  zweijähriger  Anstellung  der 
Fall  ist.“ 

Auf  Grund  dieses  Motivenberichtes  wurde  das  von 
Billroth  ausgearbeitete,  jetzt  noch  gültige  neue  Reglement 
mit  Erlaß  des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht  vom 
23.  August  1870,  Z.  7844,  genehmigt.  Dasselbe  lautet: 

Erlaß  des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht 
vom  23.  August  1870,  Z.  7844,  an  das  Wiener  medizi¬ 
nische  Professorenkollegium,  betreffend  den  Erlaß 
eines  neuen  Regle  in e n t s  für  den  c h i r u  r g i s c Ii e n 
0  p  e  r  a  t  i  o  11  s  k  u  r  s  in  Wie  n. 

Seine  k.  u.  k.  Apostolische  Majestät  haben  mit  Allerhöchstem 
Erlaß  vom  7.  x4ugust  1.  J.  für  die  an  den  beiden  chirurgischen 
Kliniken  der  medizinischen  Fakultät  in  Wien  bestehenden,  von 
den  beiden  Professoren  der  Chirurgie  als  Vorständen  geleiteten 
Operationsinstitut  das  im  Anschluß  mitfolgende  Reglement  aller¬ 
gnädigst  zu  genehmigen  geruht.  Hievon  wird  das  Professoren¬ 
kollegium  mit  dem  Bemerken  in  Kenntnis  gesetzt,  daß  die  hiedurch 
getroffenen  Bestimmungen,  insofern  die  gegenwärtig  mit  Stipendien 
heteilten  Zöglinge  nicht  in  ihren  hei  Verleihung  derselben  zu¬ 
gesicherten  Rechten  beeinträchtigt  werden,  sofort  in  das  Leben 
zu  treten  haben. 

R  e  g  1  e  m  e  n  t. 

§  1.  Jeder  Angehörige  eines  der  im  Reiclisrat  vertretenen 
Länder,  welcher  sich  mit  dem  an  einer  Universität  erlangten 
Diplom  eines  Doctors  Medicinae  et  Chirurgiae  und  die  bei  den 
beiden  chirurgischen  Rigorosen  erhaltenen  Kalküli  ,,gut“,  „sehr 
gut“  oder  „ausgezeichnet“  ausweisen  kann,  ist  berechtigt,  sich 
für  die  Stelle  eines  Operateurzöglings  zu  melden. 


§  2.  Diese  Meldung  hat  bei  dem  Dekanat  des  medizinischen 
Professorenkollegiums  in  der  Zeit  vom  1.  bis  15.  Juni  schrift¬ 
lich  unter  Beilegung  des  Diploms  und  der  Zeugnisse  über  die 
obengedachten  Kalkuli  zu  geschehen.  Diejenigen,  welche  auf  eines 
der  kaiserlichen  Stipendien  reflektieren,  haben  dies  in  ihrem 
Gesuche  ausdrücklich  auszusprechen.  Diejenigen,  welche  eines 
der  Landesstipendisten  erhalten  wollen,  haben  sich  nach  deji 
in  den  betreffenden  Kronländern  diesfalls  bestehenden  Ver¬ 
ordnungen  bei  den  Landesausschüssen  zu  melden,  welche  alle 
belegten  Gesuche  dem  Dekanat  des  medizinischen  Professoren¬ 
kollegiums  in  der  Zeit  vom  1.  bis  15.  Juni  übermitteln  werden. 

§  3.  Alle  Kandidaten  haben  in  Gegenwart  der  beiden  Vor¬ 
stände  innerhalb  der  Zeit  vom  15.  Juni  bis  1.  Juli  ein  Examen 
aus  der  topographischen  Anatomie  abzulegen  und  eine  Operation 
an  der  Leiche  auszuführen.  Das  Resultat  dieser  Prüfung  hat 
einen  bestimmenden  Einfluß  auf  den  Vorschlag  der  Vorstände. 
Haben  sich  diese  darüber  geeinigt,  welche  von  den  Kandidaten 
mit  Stipendien  beteilt  werden  sollen  und  welche  zum  Eintritt  in 
den  Kursus  ans  eigenen  Mitteln  geeignet  sind,  so  erstatten  sie 
den  Vorschlag  an  das  Professorenkollegium.  Dieses  verleiht  die 
Stellen  und  legt  die  Verhandlung  durch  seinen  Dekan  dem 
Ministerium  des  Unterrichtes  und  bezüglich  der  Landesstipendier- 
ten  den  Landesausschüssen  zur  Bestätigung  vor. 

§  4.  Die  Stellen  werden  auf  ein  Jahr  verliehen,  sie  können 
aber  und  mit  ihnen  der  Genuß  des  Stipendiums  auf  ein  zweites 
und  seihst  auf  ein  drittes  Jahr  auf  den  Antrag  des  Vorstandes 
verlängert  werden.  Dieser  Antrag  ist  für  Stipendisten  zwei 
Monate  vor  Ablauf  des  Jahreskursus  heim  Professorenkollegium 
einzubringen,  damit  der  Dekan  in  den  Stand  gesetzt  werde,  die 
Anzeige  hievon  rechtzeitig  der  Statthalterei  und  den  Landes¬ 
ausschüssen  behufs  der  Anweisung  der  Kasse  zu  erstatten. 

§  5.  Der  Antrag  auf  die  Verlängerung  auf  ein  drittes  Jahr 
ist  dem  Ministerium  des  Unterrichtes  und  bezüglich  der  Landes- 
stipendierten  den  Landesausschüssen  zur  Genehmigung  vorzulegen. 

§  6.  Ist  der  Vorstand  nicht  in  der  Lage,  in  das  Ansuchen 
um  eine  Verlängerung  einzugehen,  so  hat  er  beim  Professoren¬ 
kollegium  den  Antrag  auf  Abweisung  zu  stellen,  welches  hier¬ 
über  entscheidet  und  seine  Entscheidung  durch  den  Dekan  dem 
Ministerium  des  Unterrichtes  oder  bei  Landesstipendierten  dem 
Landesausschuß  zur  Bestätigung  vorlegt. 

§  7.  Die  Zöglinge  haben  mit  dem  1.  Oktober  ihre  Funk¬ 
tionen  anzutreten  und  sich  dem  Direktor  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  vorzustellen. 

§  8.  Dieselben  haben  allen  Anordnungen  des  Vorstandes 
Folge  zu  leisten  und  können  wegen  wiederholter  Nachlässigkeit 
in  ihrem  Dienste,  sowie  wegen  Widersetzlichkeit  und  ungebühr¬ 
lichen  Betragens  auf  Antrag  des  Vorstandes  vom  Professoren¬ 
kollegium  sofort  aus  ihrer  Stellung  entfernt  werden.  Hievon  ist, 
falls  es  Stipendisten  betrifft,  den  bezüglichen  Behörden  unter 
Angabe  der  Motive  die  Anzeige  zu  machen. 

§  9.  Dieselben  sind  den  Assistenzärzten  der  Klinik,  an 
welcher  sie  funktionieren,  in  dienstlichen  Angelegenheiten  unter¬ 
geordnet. 

§  10.  Um  es  den  Vorständen  der  Institute  zu  ermöglichen, 
ihrer  VeiiDflichtung  gemäß  die  Zöglinge  zu  tüchtigen  Chirurgen 
heranzubilden  und  namentlich,  um  die  Stipendisten  nicht  durch 
eine  zu  große  Anzahl  von  Zöglingen  ex  propriis  am  Operations- 
niaterial  zu  beeinträchtigen,  soll  die  Zahl  der  zu  gleicher  Zeit 
auf  einem  der  Institute  fungierenden  Operateure  und  Zöglinge 
die  Zahl  acht  in  der  Regel  nicht  überschreiten. 

§  11.  Die  stipendierten  Zöglinge  sind  ohne  Rücksicht  auf 
die  Ferien  zu  ihrem  Dienste  verpflichtet  und  sind  angewiesen, 
um  einen  Urlaub  bei  ihrem  Vorstand  anzusuchen. 

§  12.  Die  kaiserlichen  Stipendien  werden  in  monatlichen 
Raten  gegen  eine  von  einem  der  Vorstände  der  Institute  kontra¬ 
signierte  Quittung  ausbezahlt. 

§13.  Die  bisher  übliclie  Diplomierung  der  Opera¬ 
teurszöglinge  hat  zu  unterlileihen,  es  ist  jedoch  den  Vorständen 
der  Institute  nicht  benommen,  ihren  Zöglingen  auf  deren  Wunsch 
ein  privates  schriftliches  Zeugnis  über  ihre  Verwendung  am  In¬ 
stitut  auszustellen. 

Die  von  Billroth  angeregte  Neuorganisation  des  alt¬ 
bewährten  Institutes  fand  anfangs  eine  sehr  geteilte  Auf¬ 
nahme  :  die  Zöglinge  des  Institutes  beklagten  es,  daß  ihnen 
der  so  guten  Klang  und  solch  Ansehen  führende  Titel 

■‘i  Solche  Landesstipendien  bestanden  zur  Zeit  der  Veröffentlichung 
dieses  Reglements  zwei  aus  Steiermark  und  je  eines  aus  Oberösterreich 
und  Tirol.  Sie  beliefen  sich  auf  315  fl.  ö.  W,  p.  a.,  mit  Ausnahme  des 
oberösterreichischen,  welches  378  fl.  betrug.  Vergl.  Ministerialerlaß  vom 
10.  Januar  1871,  Z.  12.517  ex  1870. 


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Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


30! 


eines  „Operateurs“  fortan  genommen  sei,  es  wurde  auch 
Billroth,  der  damals  noch  nicht  festen  Boden  in  Wien 
gefaßt  hatte,  .verübelt,  daß  er  nach  so  kurzer  Zeit  seiner 
Amtstätigkeit  mit  dem  übernommenen  Usus  brach  und  nadi 
seinem  Ermessen  sich  das  Operationsinstitut  zumodelte.  Da 
er  der  erste  Professor  der  Cdiirurgie  in  Wien  war,  der  nicht 
aus  dem  Institute  hervorgegangen  war,  so  wurden  seine 
Bestrebungen  auch  vielfach  so  gedeutet,  daß  er  überhaupt 
dem  Institute  nicht  wohl  gesinnt  sei. 

Wie  in  so  vielem  gab  die  Zukunft  auch  in  diesem 
Schritte  Billroth  vollkommen  recht  und  wenn  nicht  schon 
Billroth  im  Jahre  1869  die  Umgestaltung  . des  Institutes 
durchgesetzt  hätte,  so  hätte  die  Reform  in  den  allernächsten 
Jahren  eintreten  müssen,  um  das  Institut  wieder  lebens¬ 
fähig  zu  machen  und  zu  verjüngen. 

Der  rege,  bis  heute  anhaltende  Zufluß  von  Aerzten, 
welche  sich  in  der  Chirurgie  ausbilden  wollen,  die 
große  Zahl  vortrefflicher  Chirurgen,  deren  Namen  für 
ewige  Zeiten  mit  der  Geschichte  unserer  Kunst  ver¬ 
bunden  bleiben  werden,  gibt  wohl  dafür  das  beste 
Zeugnis,  daß  auch  in  seiner  neuen  Form  das  Institut  seinen 
Aufgaben  gewachsen  erscheint.  Wenn  es  eines  weiteren 
Beweises  hiefür  überhaupt  noch  bedarf,  so  kann  auch  der 
Umstand  angeführt  werden,  daß'  auf  sämtlichen  öster¬ 
reichischen  Universitäten  die  chirurgischen  Kliniken  nach 
dem  Muster  der  Wiener  Operationsinstitute  ähnliche  In¬ 
stitute  gründeten.  Hieraus  ist  zu  erklären,  daß  die  von  den 
Erblanden  gegründeten  Stipendien  allmählich  dem  Wiener 
Institute  wieder  entzogen  und  den  eigenen  Kliniken  zu¬ 
geschrieben  wurden.  Schon  im  Jahre  1871  wurde  die  Ueber- 
tragung  des  für  die  Landesangehörigen  aus  Steiermark  be¬ 
stimmten  Stipendiums  an  die  Grazer  Hochschule  angeordnet, 
diesem  Beispiele  folgten  die  anderen  Kronländer,  so  daß 
derzeit  nur  mehr  das  oberösterreichische  Stipendium  an  das 
Wiener  Zöglingsinstitut  gebunden  erscheint.  Daß  auch  seit 
dem  Jahre  1886  von  den  Leitern  des  Kriegsministeriums 
Militärärzte  zu  ihrer  weiteren  chirurgischen  Ausbildung  an 
die  Kliniken  kommandiert  werden,  beweist,  daß  auch  von 
dieser  Behörde  die  Vorzüge  des  Institutes  anerkannt  und 
geschätzt  werden. 

Mit  Freude  und  Genugtuung  kann  es  begrüßt  werden, 
daß  auch  derzeit  noch  das  altbewährte  Operationsinstitut 
sich  der  Förderung  der  Behörden  erfreut.  Ueber  Ansuchen 
der  Vorstände  werden  den  Zöglingen  allmählich  wieder 
Wohnungen  im  Krankenhaiise  zugewiesen  und  es  hat  die 
bloße  Anregung  durch  uns  genügt,  um  das  k.  k.  Unterrichts¬ 
ministerium  zur  Bewilligung  eines  Reisestipendiums  für  jede 
der  beiden  Kliniken  anläßlich  des  Jubiläums  zu  veranlassen 
(Erlaß  des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht  vom 
7.  Februar  1907,  Z.  1668). 

So  können  wir  beruhigt  in  die  Zukunft  schauen  und 
mit  dem  Wunsche  schließen,  daß  es  dem  Institute  gelingen 
möge,  weiter  zu  gedeihen  und  zu  blühen  und  Früchte  zu 
tragen. 

Quellen: 

Dr.  Carl  v.  Sigmund:  Das  chirurgische  Operationsinstitut  in 
Wien.  Wien  1841,  Braumüller  und  Seidel.  —  Geschichte  der  Wiener 
Universität  von  1848  bis  1898.  In  Kommission  bei  Alfred  Holder,  S.  223. 
—  Friedrich  Freiherr  v.  Schweickhardl,  Sammlung  der  Universitäts¬ 
gesetze.  —  Puschmann,  Die  Medizin  in  Wien  während  der  letzten 
100  Jahre. 

Vor  sechsunddreißig  Jahren. 

Erinnerungen  von  Prof.  A.  v.  Winiwarter,  Lüttich. 

Im  Oktober  1871  wurde  ich  zum  Operationszögliug 
au  der  H.  chirurgischen  Klinik  der  Wiener  Universität,  der 
Klinik  Billroth,  ernannt  und  blieb  in  dieser  Stellung 
drei  .lahre  lang,  bis  zum  Oktober  1874.  Meine  Lehrlings¬ 
zeit  bei  Billroth  fällt  in  die  erste  Periode  seines  Wirkens 
in  Wien ;  er  war  im  Jahre  1868  als  Nachfolger  Finanz  Schuh  s 
berufen  worden  und  begann  seine  Vorlesungen  in  dem¬ 
selben  Semester,  welches  für  mich  den  Eintritt  in  das  dritte 
Jahr  der  medizinischen  Studien  bezeichnete.  So  kam  ich, 


ausgerüstet  mit  der  ganzen  Unwissenheit  in  allen  praktischen 
Fächern,  welche  den  Mediziner  nach  zwei  Jahren  theo¬ 
retischen  Unterrichts  charakterisiert,  aber  gleichzeitig  als 
vollkommen  unbefangener  Neuling  dazu,  durch  Billroth 
in  die  Chirurgie  eingeführt  zu  werden.  Und  zwar  geschah 
dies  dadurch,  daß  ich  der  ersten  Operation  beiwohnte,  die 
er  überhaüpt  an  seiner  Klinik  ausführte.  Die  Einzelheiten 
dieses  Ereignisses  sind  mir  unvergeßlich  geblieben,  um  so 
mehr,  als  ich  mir  eigentlich  per  nefas  Zutritt  zu  dem 
Schauspiel  verschafft  hatte.  Es  war  zu  Beginn  des  Schul¬ 
jahres,  die  Umgestaltung  der  klinischen  Räume  war  nicht 
beendet,  der  Hörsaal  unbenützbar,  sogar  ein  jOperations- 
tisch  fehlte  noch.  Die  Kranke,  eine  Frau  mit  Mamma¬ 
karzinom,  mußte  daher  in  einem  der  Krankenzimmer  und 
zwar  in  ihrem  Bette  öperieft  werden.  Nur  die  Assistenten, 
die  Wärterinnen  und  ein  paar  auserwählte  Gäste  waren  zu¬ 
gegen  und  warteten  auf  Billroths  Erscheinen.  Raschen 
Schrittes  trat  er  ein  und  schien  einigermaßien  erstaunt,  als 
er  die  Patientin,  statt  auf  dem  Operationstische,  in  einem 
feett  ausgestreckt  fand ;  offenbar  war  er  an  diese,  unter 
seinen  Vorgängern  übliche  Weise  des  Operierens  nicht  ge¬ 
wöhnt.  Ich  hörte  nur  die  Worte :  ,, Beginnen  Sie  indessen 
I  zu  narkotisieren“,  dann  sah  ich,  wie  Billroth  ein  langes 
'  Amputationsmesser  ergriff,  wie  er  die  voluminöse  IMamma 
mit  der  linken  Hand  faßte,  sie  Umschnitt  und  mit  raschen 
Messerzügen  vom  Thorax  abtrennte.  Während  der  Assistent 
die  blutende  Wundfläche  zu  komprimieren  suchte,  hatte 
Billroth  bereits  die  Schieber  in  den  Händen  und  legte 
sie  an  die  spritzenden  Arterien  mit  einer  eigentümlich 
■präzisen  Bewegung,  wie  ein  Maler,  der  seinem  Gemälde 
die  höchsten  Lichter  mittels  eines  Pinselstriches  aufsetzt. 
Ich  will  nicht  beschwören,  alle  diese  Beobachtungen  wirk¬ 
lich  im  Momente  selbst  gemacht  zu  haben.  Soviel  ist  sicher : 
der  Eindruck,  den  ich  von  dieser  gewissermaßen  jedes 
^äußeren  Pompes  entbehrenden  Operation  empfing,  war  ein 
überwältigender.  Seit  meiner  frühesten  Jugend,  soweit  meine 
Erinnerungen  zurückreichen,  hatte  ich  gewünscht,  Chirurg 
zu  werden,  obschon  ich  so  gut  wie  nichts  von  Chirurgie 
wußte  und  gar  keine  Vorstellung  von  dem  hatte,  was  man 
Operieren  heißt.  Nun  hatte  ich  das  erstemal  wirklich  eine 
Operation  mit  angesehen,  die  Idealgestalt  Billroths  war 
mir  entgegengetreten,  in  der  ich  hinfort  das  Prototyp  des 
Chirurgen  und  Operateurs  bewunderte.  Der  geniale,  künst¬ 
lerische  Zug  seines  Wesens  war  es  offenbar,  der  in  mir, 
einem  vollkommen  Unkundigen,  mir  selbst  unbewußt,  die 
Ueberzeugung  hervorrief,  daß  ein  unvergleichlicher  Meister 
seines  Faches  vor  mir  arbeite. 

An  diesem  Tage,  wo  ich  Billroth  zum  ersten  Male 
gesehen  hatte,  faßte  ich  den  Entschluß,  alles  aufzubieten, 
um  seinerzeit  unter  seine  engeren  Schüler  aufgenommen  zu 
werden.  Dazu  wollte  ich  mich  vorbereiten,  indem  ich  mich 
sofort  an  seiner  Klinik  inskribieren  ließ,  obschon  die  Stu¬ 
denten  in  der  Regel  nach  der  Tradition  während  des  dritten 
Jahres  die  chirurgische  Klinik  v.  Dumreichers  besuchten, 
deren  Unterricht  mehr  für  Anfänger  eingerichtet  war.  Ich 
hoffte,  dadurch  schon  jetzt  in  ein  gewisses  persönliches 
Verhältnis  zur  Billrothschen  Klinik  zu  gelangen  und  mich 
als  besonders  eifriger  Hörer  zeigen  zu  können. 

Freilich  blieb  meine  Begeisterung  für  die  Chirurgie 
und  für  Billroth  vorderhand  eine  ziemlich  platonische. 
Als  Student,  verloren  in  der  Masse,  welche  das  riesige 
Auditorium  bis  zum  Erdrücken  füllte,  mußte  ich  froh  sein, 
Billroths  Worte  zu  hören  —  von  den  Operationen 
etwas  zu  sehen,  war  nur  wenigen  möglich  und  von  einem 
wirklichen  praktischen  Unterricht  in  Chirurgie  konnte,  trotz 
aller  Bemühungen  Billroths,  keine  Bede  sein,  weil  die 
Zahl  der  Hörer  zur  damaligen  Zeit  eine  zu  kolossale  war. 
Soviel  Billroth  auch  demonstrierte,  an  Patienten,  Prä¬ 
paraten,  Zeichnungen,  usw.,  das  Lernen  blieb  trotz  alledem 
ein  theoretisches,  weil  der  körperliche  Kontakt  zwischen 
dem  Schüler  und  dem  Kranken  unmöglich  war  ■ —  mit 
anderen  Worten,  weil  der  Schüler  den  Kranken  nicht  selbst 
untersuchen  konnte. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  11 


Unter  diesen  Umständen  erlosch  allmählich  mein  Lern¬ 
eifer,  so  daß  ich  als  Mediziner  weit  mehr  Zeit  auf  Histo¬ 
logie  und  pathologische  Anatomie  verwendet  habe,  als  auf 
Chirurgie.  Bei  Brücke  mikroskopierte  ich  jahrelang  und 
im  pathologischen  Institute  wohnte  ich  den  Sektionen  bei, 
assistierte  Rokitansky  als  Volontär  bei  den  saiiitätspoli- 
zeilichen  und  den  gerichtlichen  Obduktionen  und  habe  mit 
seiner  Erlaubnis  selbst  so  manche  klinische  Sektion  aus¬ 
geführt,  was  damals  als  ein  außerordentliches  Privilegium 
galt  und  worauf  ich  noch  heute  stolz  bin.  Allerdings  war 
eine  derartige  willkürliche  Verwendung  der  Zeit,  bei  welcher 
die  systematisch^obligaten  Vorlesungen  zu  kurz  kamen,  nur 
möglich  unter  der  alten  Studienordnung,  Die  Rigorosen 
durften  nämlich  zu  meiner  Zeit  erst  nach  Beendigung  der 
zehn  Semester  Medizin  abgelegt  werden,  so  daß  der  Student 
Muße  hatte,  sich  irgendeinem  Spezialstudium  hinzugeben. 
Ich  will  nicht  behaupten,  daß  das  moderne  Regime  nicht 
zweckmäßiger  ist :  jedenfalls  studieren  die  Mediziner  heut¬ 
zutage  vor  allem  für  die  nächste  Prüfung  und  haben  weder 
Lust  noch  Zeit,  andere  Dinge  zu  betreiben.  Was  meine 
Beschäftigung  mit  normaler  und  pathologischer  Histologie 
und  mit  pathologischer  Anatomie  betrifft,  so  abseits  von 
meinem  erhofften  Ziele  diese  selbstgewählte  Tätigkeit  zu 
liegen  schien,  ich  habe  sie  nicht  bereut  und  bin  heute, 
nach  so  langer  Zeit,  der  festen  Ueberzeugung,  daß  sie  die 
beste  Vorbereitung  für  meine  spätere  Laufbahn  war,  die 
ich  hätte  wählen  können.  Ich  hatte  in  der  strengen  Schule 
Brückes  und  Rokitanskys  gelernt,  selbständig  zu  ar¬ 
beiten  und  vorurteilslose  Selbstkritik  an  meiner  Arbeit  zu 
üben.  Uebrigens  legte  Billroth  großen  Wert  darauf,  daß 
seine  Assistenten  mit  dem  Mikroskope  vertraut  waren  und 
diesem  Umstande  hatte  ich,  der  ihm  persönlich  unbekannt 
war,  es  offenbar  zu  verdanken,  als  Operationszögling  an 
seiner  Klinik  aufgenommen  zu  werden. 

Jede  der  beiden  chirurgischen  Kliniken  hatte  damals 
zwei  Assistenten  und  acht  Operationszöglinge.  Ein  Assistent 
hatte  die  Männer-,  der  zweite  die  Frauenabteilung  zu  be¬ 
sorgen.  Die  Operationszöglinge  waren  nach  Bedarf  auf  die 
einzelnen  Krankensäle  verteilt  und  jedem  eine  bestimmte 
Reihe  von  Betten  zugewiesen.  Ihre  Stellung  war  ungefähr 
die  von  Unterassistenten,  ihr  Dienst  insofern  auf  die  Tages¬ 
stunden  beschränkt,  als  sie  nicht  im  Spitale  wohnten,  mit 
.\usnahme  eines  einzigen,  welcher  denn  auch  regelmäßig 
den  Nachtdienst  (etwa  von  8  Uhr  abends  bis  8  Uhr  morgens) 
versah.  Unsere  offizielle  Tätigkeit  als  Operationszöglinge 
möge  hier  in  Kürze  geschildert  werden.  Zunächst  besorgten 
wir  den  ärztlichen  Dienst  in  den  uns  zugeteilten  Sälen, 
unter  der  Kontrolle  des  Assistenten ;  mit  ihm  zusammen 
absolvierten  wir  die  Morgenvisite,  untersuchten  die  Neu- 
aufgenommenen,  machten  die  Verbände  usw.  Unsere  wich¬ 
tigste  Aufgabe  bestand  in  dem  Verfassen  und  Führen  der 
Krankengeschichten,  welche  ausschließlich  dem  wissen¬ 
schaftlichen  Interesse  zu  dienen  hatten.  Wir  wetteiferten 
in  dem  Bestreben,  uns  in  dieser  Hinsicht  als  vollkommen 
verläßlich  zu  erweisen  und  namentlich  die  Anamnese  und 
den  Status  praesens  sorgfältig  aufzunehmen  und  präzis 
wiederzugeben,  denn  dieser  Teil  der  Krankengeschichten 
wurde  bei  der  klinischen  Vorstellung  des  betreffenden  Falles 
im  Auditorium  von  dem  Verfasser  laut  vorgelesen  und  so 
der  öffentlichen  Kritik  zugeführt.  Jeder  von  uns  setzte  einen 
gewissen  Stolz  darein,  möglichst  genaue  und  statistisch 
brauclibare  Darstellungen  zu  geben  und  sie  durch  Zeich¬ 
nungen,  mitunter  sogar  durch  Pastellskizzen,  oder  Aquarelle 
zu  illustrieren.  Die  Photographie  war  damals  noch  nicht 
so  allgemein  in  Amateurkreisen  verbreitet,  daß  sie  uns  zu 
diesem  Zwecke  hätte  dienen  können.  Zu  den  Kranken¬ 
geschichten  beigefügt  wurden  die  Temperaturkim^en,  die 
Ergebnisse  der  mikroskopischen  Untersuchung  von  Tumoren 
eventuell  die  Kopie  des  Sektionsprotokolles  usw.  In  diesen 
Dokumenten  ist  das  Material  aufgespeichert  für  jene  um¬ 
fangreichen,  eine  Fülle  Amn  Belehrung  enthaltenden  und 
durch  ihre  unerbittliche  Wahrheitsliebe  und  Aufrichtigkeit 
ausgezeichneten  klinischen  Jahresberichte,  welche  Billroth 


von  Zeit  zu  Zeit  veröffentlichte.  Außerdem  enthalten  sie 
die  Belege  für  eine  ganze  Reihe  von  chirurgischen  Mono¬ 
graphien,  deren  Bearbeitung  er  seinen  Schülern  überlassen 
hatte. 

Neben  der  fast  literarisch  zu  nennenden  Tätigkeit, 
welche  die  Verfassung  der  Krankengeschichten  erforderte, 
üblag  uns  Operationszöglingen  noch  eine  andere,  viel  be¬ 
scheidenere,  aber  ebenso'  notAvendige  Redaktionsarbeit :  wir 
mußten  täglich  die  administrativen  Schreibereien  erledigen : 
Krankenstandtabelle,  Speisebogen,  Medikamentenliste,  Auf- 
nahms-  und  Entlassungszettel,  Anweisungen  aller  Art,  Parere 
über  Verletzungen  usw.  —  kurz  eine  Unsumme  von  For¬ 
mularen  war  auszufüllen,  um  rechtzeitig  an  die  Direktions¬ 
kanzlei  abgeliefert  zu  werden.  Ich  weiß  nicht,  Avie  heutzu¬ 
tage  diese  Dinge  organisiert  sind  —  zu  meiner  Zeit  hätte 
jeder  Registratursbeamte  an  der  Komplikation  der  schrift¬ 
lichen  Agenden  seine  Freude  gehabt. 

Die  Dienstleistungen  der  Operationszöglinge  im  Hör¬ 
saale,  während  der  klinischen  Stunden,  waren  so  verteilt, 
daß  jeder  von  uns  abwechselnd  einen  Monat  lang  dieselben 
Funktionen  zu  erfüllen  hatte  u.  zw.  Avurden  für  Narkose  und 
Puls,  Instrumente  und  Verband,  Ambulanz  je  zwei,  für 
Nähte  und  Schwämme  je  ein  Operationszögling  verwendet. 

Während  die  beiden  klinischen  Assistenzärzte  dem 
Operateur  direkt  assistierten,  befaßten  sich  die  Operations¬ 
zöglinge  mit  jenen  Handreichungen,  welche  man  sonst  wohl 
den  Krankenschwestern  oder  dem  Wartepersonal  überlassen 
hätte.  Um  uns  als  Hilfskräfte  bei  den  Operationen  wirklich 
nützlich  zu  machen,  suchten  wir,  ein  jeder  in  seiner 
speziellen  Funktion,  so  rasch  und  so  exakt  zu  arbeiten, 
daß  der  Operateur  unser  Eingreifen  gar  nicht  zu  bemerken 
brauchte. 

Billroth  Avar  geAVohnt,  Avährend  er  operierte,  zu 
seinen  Hörern  zu  sprechen  und  auf  diese  Weise  ihre  Auf¬ 
merksamkeit  fortwährend  rege  zu  erhalten.  Die  sämtlichen 
Assistenten  verrichteten  ihre  Aufgaben  schweigend  und 
trachteten,  jeden  Wunsch  des  Operateurs  im  vorhinein  zu 
erraten,  so  daß  er  ihn  nicht  einmal  durch  Zeichen  anzu¬ 
deuten  brauchte.  Wir  hatten  es  in  dieser  Beziehung  wirklich 
zu  einer  gewissen  Vollkommenheit  gebracht,  die  weiter  nicht 
auffiel,  weil  es  schien,  als  müsse  alles  von  selbst  gehen. 
Erst  wenn  aus  irgendeinem  Grande  einmal  die  Sache  ver¬ 
sagte,  Avurde  man  aufmerksam  auf  den  Schuldigen,  der 
seinen  Fehler  für  so  wichtig  ansah,  als  ob  die  ganze 
Operation  seinetwegen  mißlungen  Aväre.  Der  Narkotiseur 
empfand  es  als  eine  peinliche  Beschämung,  wenn  der 
Patient,  statt  ruhig  zu  schlafen,  auf  den  ersten  Schnitt 
mit  Stöhnen  oder  Umsichschlagen  reagierte,  so  daß  Bill¬ 
roth  mit  einem  leichten  Achselzucken  das  Messer  wieder 
absetzen  mußte.  Nicht  minder  deprimiert  war  der  Instra- 
mentarius,  Avenn  er  unglücklicherweise  einen  Gegenstand 
dargereicht,  den  Billroth  allerdings  gefordert,  wobei  er 
sich  jedoch  im  Wort  versprochen  hatte.  Sagte  Billroth  in 
humoristischem  Tone  daraufhin  etwa:  ,,Das  sollten  Sie  doch 
Avissen,  daß  ich  eine  Pinzette  haben  will,  wenn  ich  ein 
Messer  Amrlange“  —  dann  Avar  es  für  diesen  Tag  mit  der 
guten  Laune  des  ge\Adssenhaften  Instramentarius  Awbei  und 
er  mußte  sich  von  seinen  Kollegen  einige  mehr  oder  minder 
schlechte  Witze  gefallen  lassen. 

Niemals  hörte  man  an  der  Billroth  sehen  Klinik  die 
im  schreienden  Töne  gegebenen  Befehle  und  hie  nicht  immer 
schmeichelhaften  Bemerkungen  des  Operateurs  über  das 
Ungeschick  seiner  Assistenten,  die  gegenseitigen  Vorwürfe 
der  letzteren,  die  Schimpfworte  an  das  Wartepersonal,  die 
hrutalen  Aufforderangen  an  den  Kranken,  sich  rahig  zu 
verhalten,  kurz  den  ganzen  wüsten  Lärm,  welcher  in 
vergangenen  Zeiten  so  manchem  Chirurgen  der  alten 
Scliule  als  absolut  notwendiges  Erfordernis  bei  jeder 
größeren  Operation  zu  gelten  pflegte.  Grobsein  war  eben 
jene  Qualität,  die  am  leichtesten  anerkannt  Avurde,  weil 
ein  jeder  sie  verstand. 

Den  mühsamsten  und  gleichzeitig  uninteressantesten 
Dienst  hatten  die  beiden  Operationszöglinge,  welche  die 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 

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Ambulanz  —  wie  man  heute  sagen  würde,  die  Poliklinik 
vorbereiteten.  Sie  mußten  vnr  der  klinischen  Vorlesung  die 
zahlreichen,  in  einem  gänzlich  unzureichenden  Raume  zu- 
sannneiigepterchten  Patienten  —  die  Klinik  besaß  damals 
kein  eigenes  Lokal  für  die  Ambulanz  —  in  Evidenz  halten 
und  untersuchen,  um  .diejenigen  Fälle  auszuwählen,  die  für 
die  Vorlesung  Interesse  boten.  Dabei  gab  es  allerlei  Schwierig¬ 
keiten.  Viele  Patienten  verstanden  kein  Wort  deutsch,  da¬ 
gegen  konnte  man  gelegentlich  alle  Idiome  der  österreichi- 
sclien  Monarchie  und  Sprachen  ans  aller  Herren  J^änder 
vertreten  finden,  sO'  daß  diejenigen  von  uns,  die  keine  Poly 
glotten  waren,  sich  mittels  einer  Art  Neger-Esperanto  aus 
der  Affäre  ziehen  mußten.  Dann  hieß  es,  die  vorzustellenden 
Patienten,  inmitten  des  Gedränges  ihrer  oft  von  Schmutz 
starrenden  Kleider  und  Verbände  entledigen,  sie  in  den 
Hörsaal  führen,  Billroth  über  den  Fall  Bericht  er¬ 
statten,  seine  Fragen  verdolmetschen  usw.  Schließlich 
war  man  noch  gezwungen,  durch  gute  Worte  jene  armen 
Teufel  zu  trösten,  die  nach  stundenlangem  Warten,  ohne 
Billroth  gesehen  zu  haben,  abziehen  sollten.  Daß  es  dabei 
unangenehme  Auseinandersetzungen  gab,  ist  begreiflich. 

Man  mußte  eben  auch  diese  Dinge  lernen.  Whr  lernteji 
sie,  wie  wir  die  Manipulationen  bei  den  Operationen,  die 
Instandhaltung  der  Instrumente,  die  Präparation  der 
Schwämme  und  so  vieles  lernten :  einer  vom  andern,  durch 
die  Tradition.  Vermöge  der  guten  Tradition  an  der  Klinik 
waren  wir  damals  abgerichtet  auf  unseren  Chef  und  auf 
einander  eingespielt,  wie  die  Clowns  in  einer  Pantomime 
mid  das  höchste  Lob  wurde  uns  eines  Tages  von  einem 
französischen  Chirurgen  —  ich  glaube  es  war  Le  Fort 
—  gespendet,  welcher  sich  Billroth  gegenüber  äußerte, 
er  habe  bei  den  Operationen  den  Eindruck  gehabt,  als  ob 
er  die  Vorstellung  eines  Taschenspielers  mit  ansehe.  AVir 
Operationszöglinge  wenigstens  faßten  diese  Bemerkung  als 
eine  schmeiclielhafte  Anerkennung  unserer  Schnelligkeit  und 
Präzision  auf. 

Nebst  den  laufenden  ärztlichen  Obliegenheiten  hatten 
die  Operationszöglinge  abwechselnd  während  24  Stunden 
Inspektionsdienst  an  der  Klinik.  Der  diensthabende  Arzt 
mußte  sich  während  dieser  Zeit  in  nächster  Nähe  der  Klinik 
aufhalten,  um  jeden  Augenblick  durch  das  Wartepersonal 
gerufen  werden  zu  können,  wenn  seine  Gegenwart  in  einem 
Krankensaale  notwendig  war.  Nun  gal)  es  aber  kein  eigenes 
Wachzimmer,  wo-  der  Inspektionsarzt  hätte  bleiben  können, 
wenn  er  nicht  gerade  an  der  Klinik  beschäftigt  war.  Er 
war  daher  gezwungen,  seine  Zeit  entweder  im  Lesezimmer 
oder  in  irgendeinem  anderen  ihm  zugänglichen  Lokale  des 
Krankenhauses  zuzubringen  und  mußte  jedesmal,  so  oft 
er  diesen  Platz  wechselte,  den  Wärterinnen  in  den  Kranken¬ 
sälen  angeben,  wo  , er  zu  finden  sei.  Das  Telephon  kannte 
man  damals  noch  nicht  und  infolge  der  großen  räumlichen 
Ausdehnung  des  Allgemeinen  Krankenhauses  verging  nicht 
selten  längere  Zeit,  bevor  eine  Botschaft  von  der  Klinik 
dem  diensttuenden  Arzte  übermittelt  werden  und  derselbe 
sich  dorthin  begeben  konnte,  wo  man  ihn  brauchte.  Wie 
schon  erwähnt,  wurde  der  Nachtdienst  ein  für  allemal  von 
dem  einzigen  im  Krankenhause  wohnenden  Operations¬ 
zögling  versehen.  Doch  durfte  der  Inspektionsarzt  des 
Abends  sich  nicht  früher  aus  dem  Spitale  entfernen,  ehe 
er  nicht  durch  seinen  Kollegen  oder  durch  einen  der  stets 
bereitwilligen  Assistenten  ersetzt  worden  war. 

Dem  diensthabenden  Operationszögling  oblag  übrigens 
noch  eine  sehr  wichtige  Aufgabe :  er  hatte  dafür  zu  sorgen, 
daß  aus  der  großen  Zahl  der  Aufnahme  suchenden  Patienten 
die  für  den  Unterricht  geeigneten  direkt  in  die  Klinik  kamen. 
Durch  seinen  Eifer  und  seine  Findigkeit  konnte  er  ihr 
besonders  interessante  Fälle  zuführen.  Das  Krankenmaterial 
der  beiden  chirurgischen  Kliniken  rekrutierte  sich  nämlich 
nur  zum  Teil  aus  dem  klinischen  Ambulatorium,  d.  h.  aus 
dem  Kreise  jener  Patienten,  welche  aus  eigenem  Antrieb 
sich  einstellten,  um  zu  konsultieren,  und  die  man  eveii- 
tuell  sofort  da  behielt.  Außerdem  hatten  die  beiden  Klini¬ 
ken  das  Recht,  abwechselnd  jeden  zweiten  Tag  Kranke 


auszu wählen,  welche  von  außerhalb  ins  Spital  kamen,  um 
Aufnahme  zu  finden.  Diese  Auswahl  mußte  in  der  Auf¬ 
nahmskanzlei  vollzogen  werden  u.  zw.  von  einem  Opera¬ 
tionszögling  der  l)etreffenden  Klinik,  der  nach  Dntersuchung 
des  Kranken  erklärte,  daß  er  ihn  für  seine  Klinik  in  An¬ 
spruch  nehme.  War  der  Ctoerationszögling  bei  der  Aiif- 
nahnic  nicht  zugegen,  so  wurden  die  Kranken  überhaupt 
nicht  an  dift  Kliniken  gewiesen,  sondern  sofort,  den  ciii rur¬ 
gischen  Abteilungen  zugeteill.  Unter  solchen  Umständen  wur 
es  für  die  Kliniken  sehr  wdehtig,  daß  ihre  Veifreter  wo¬ 
möglich  den  ganzen  Tag  über  orler  wenigstens  wilhreiid  der 
Stunden  des  stärksten  Andranges  der  Patienten  in  der  xVuf- 
nahmskanzlei,  dem  ,,.lournal“,  verweilten,  um  ihre  Rechte 
zur  Geltung  zu  bringeii.  Der  diensthabende  Operations- 
zügling  hatte  oft  einen  schweren  Stand,  um  diese  Aufgabe 
richtig  zu  lösen.  Es  handelte  sich  für  ihn  darum,  unter  den 
zahlreichen  Patienten  aller  xVrt,  wmlche  vor  dem  Journal¬ 
arzte  defilierten,  um  nach  kurzer  Prüfung  in  die  verschie¬ 
denen  Abteilungen  des  Krankenhauses  aufgenommen  zu 
werden,  die  für  die  Klinik  geeigneten  Fälle  rasch  zu  er¬ 
kennen  und  in  bezug  auf  ihre  Prognose  und  auf  die  mögliche 
Therapie  entsprechend  zu  beurteilen,  denn  zu  einer  einiger¬ 
maßen  genauen  Untersuchung  fehlte  die  Zeit.  Bei  dieser 
Auswahl  der  Kranken  kam  es  trotz  aller  unserer  Bemühungen 
häufig  genug  vor,  daß  gerade  akute  Fälle,  namentlich  Ver¬ 
letzungen,  den  Kliniken  entgingen,  weil  sie  außerhalb  der 
gewöhnlichen  Aufnahmsstunden  ins  Krankenhaus  trans¬ 
portiert  wurden,  und  der  Opei’ationszögling  unmöglich  Tag 
und  Nacht  zur  Stelle  sein  konnte,  um  sie  in  Empfang  zu 
nehmen.  Diese  Fälle  kamen  daher  in  der  Regel  auf  die 
chirurgischen  Abteilungen.  Anderseits  umfaßte  das  Kranken¬ 
material  des  Ambulatoriums,  aus  welchem  viele  Patienten 
direkt  in  die  Klinik  eintraten,  hauptsächlich  chronische  oder 
solche  akute  Affektionen,  welche  die  Leute  nicht  am  Oelien 
hinderten.  Daraus  ergab  sich  das  abnorme  Faktum,  daß 
an  den  chirurgischen  Kliniken  trotz  ihrer  großen  Kranken¬ 
bewegung  Verletzungen  und  akute  Erkrankungen,  nament¬ 
lich  der  unteren  Extremitäten  und  des  Stammes,  nur  ver¬ 
einzelt  zur  Aufnahme  gelangten.  So  waren  z.  B.  komplizierte 
Frakturen,  Schußwunden,  eingeklemmte  Hernien,  akute  Harn¬ 
retentionen  u.  ä.  zu  meiner  Zeit  wahre  Raritäten  an  der 
Klinik.  Dafür  drängten  sich  an  unserer  Klinik  die  Leute  mil 
Geschwülsten,  mit  chronischen  Knochen-  und  Gelenksleiden, 
mit  Mißbildungen  aller  Art,  ferner  alle  außerordentlichen 
sensationellen  Fälle  aus  nah  und  fern  und  jene  Unglück¬ 
lichen,  die  umsonst  alle  Aerzte  konsultiert  hatten  und  ihre 
letzte  Hoffnung  auf  Billroth  setzten. 

Das  Ueberwiegen  dieses  besonderen  Krankenmateriales 
über  das  sog.  ,, alltägliche  Einerlei“  bildete  eine  Haupt¬ 
anziehungskraft  der  Billroth  sehen  Klinik  für  die  fremden 
Aerzte.  Im  Interesse  des  Unterrichtes  war  es  jedoch  zu  be¬ 
dauern,  daß  Studenten  und  Operationszöglinge  eine  Reihe 
der  häufig  in  der  Praxis  vorkommenden  Verletzungen  und 
Erkrankungen  gar  nicht  oder  nur  ungenügend  kennen  lernten. 

Zu  meiner  Zeit  gab  es  noch  weder  Antisepsis, -noch 
Asepsis.  Billroth  war  ein  überzeugter  Anhänger  der 
offenen  Wundbehandlung  und  blieb  es,  bis  er  sich  durch 
eigene  Forschungen  von  dem  Wert  der  Lister  sehen  Me¬ 
thode  überzeugt  hatte.  Zweifellos  erfordert  die  Antisepsis 
und  die  Asepsis  eine  sorgfältige  Schulung  des  Anfängers, 
bis  sie  ihm  in  Fleisch  und  Blut  übergehen,  bis  er,  wie 
König  in  Beziehung  auf  die  Antisepsis  zu  sagen  pflegte, 
,,in  der  Wolle  gefärbt  ist“.  Ist  dieses  Ziel  aber  einmal  er¬ 
reicht,  dann  bietet  die  Durchführung  der  erlernten  Prinzipien 
keine  allzu  großen  Schwierigkeiten.  Die  offene  Wundbehand¬ 
lung  hingegen,  wie  sie  an  der  Billrothschen  Klinik  geübt 
wurde,  war  durchaus  nicht  so  einfach,  als  man  heutzutage 
glaubt;  vor  allem  bestand  sie  nicht  darin,  daß  die  Wunden 
überhaupt  gar  nicht  verbunden  wurden.  Ich  würde  die 
Grenzen  meines  Themas  überschreiten,  wenn  ich  die  ver¬ 
schiedenen  Applikationsweisen  der  offenen  Wundbehandlung 
beschreiben  wollte,  die  ja  doch  nur  mehr  historisches  In¬ 
teresse  haben.  Nur  soviel  sei  betont,  daß  sowohl  der  erste 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


\  erbaiid,  als  die  Xacdibehaiidlung  große  Sachkenntnis  und 
Uebung  voraussetzten  und  weitaus  mehr  Zeit  und  Mühe  er¬ 
forderten  als  die  modernen  Methoden.  .Jedenfalls  hingen- 
die  PrQgnose  und  der  Verlauf  in  jener  präantiseptischen 
Zeit  in  höherem  Maße  vo)i  der  persönlichen  Tüchtigkeit 
des  Chirurgen  ab,  als  es  gegenwärtig  der  Fall  ist. 

Das  war  vielleicht  der  Grund,  warum  die  üperations- 
zöglinge  nicht  häufig  zu  cliirurgischen  Eingriffen  heran¬ 
gezogen  wurden.  Wir  hießen  im  gewöhnlichen  Leben  ,, Opera¬ 
teure“,  nach  dem  Satze :  Lucus  a  non  lucendo,  —  weil 
wir  nicht  operierten.  Nicht  ist  übertrieben,  aber  wir  ope¬ 
rierten  w-enig  und  stets  nur  typische  jVmputationen,  Ten-o- 
tomien,  Hydrokelepunktionen,  liöchstens  eine  Mammaexstir¬ 
pation  ohne  Achseldrüsen.  Diese  Operationen  wurden 
während  der  Klinik  vor  den  Studenten  unter  ßillroths 
Augen  ausgeführt. 

Da  die  Anzahl  dieser  typischen  Eingriffe  an  und  für 
sich  nicht  sehr  groß  war  und  wir  sie  mit  den  Assistenz¬ 
ärzten  teilen  mußten,  sO'  kam  die  Reihe  höchstens  zwei- 
his  dreimal  im  Semester  an  einen.  Während  der  Ferien 
standen  die  Dinge  etwas  besser,  ich  hatte  als  Operations¬ 
zögling  niemals  die  Gelegenheit,  eine  jener  Operationen  aus¬ 
zuführen,  welche  nur  am  Lebenden  gelernt  werden  können 
(wie  die  Tracheotomie  oder  die  Herniotomie),  die  man  doch 
in  der  Praxis  jeden  Moment  gezwungen  sein  kann,  zu  unter¬ 
nehmen,  weil  sie  unvermeidlich  und  unaufschiebbar  sind 
(die  sog.  ,, Operations  d’urgence“  der  Franzosen).  Eingriffe 
dieser  Art,  welche  in  der  Regel  außer  die  klinischen  Stunden 
fielen,  gehörten  zu  den  Prärogativen  der  beiden  Assi¬ 
stenzärzte. 

Rillroths  Einfluß  auf  seine  engeren  Schüler  war  es 
zu  danken,  daß  wir  nehen  unserer  praktischen  Tätigkeit  als 
Aerzte  auch  Lust  und  Liebe  zu  wissenschaftlicher  Arbeit 
empfanden.  Wie  er  selbst  eine  staunenswerte  Arbeitskraft 
entwickelte,  stellte  er  auch  an  seine  Leute  hohe  Anforde¬ 
rungen.  Er  interessierte  sie  für  gewisse  Fragen  aus  der  ex¬ 
perimentellen  Pathologie,  ließ  sie  Reobachtungen  am  ge¬ 
sunden  und  kranken  Menschen  machen,  Temperaturmessun¬ 
gen,  chemische  Analysen  ausführen,  Tierexperimente  an¬ 
stellen  oder  mikroskopische  Untersuchungen  von  Tumoren 
unternehmen  usw.  Einige  von  uns  bearbeiteten  selbst¬ 
gewählte  Themata  chirurgischen  Inhaltes  und  Billroth  ver¬ 
folgte  mit  aufmerksamer  Teilnahme  diese  Tätigkeit,  stets 
bereit,  uns  durch  Rat  und  durch  materielle  Beihilfe  zu ' 
fördern.  Es  herrschte  wdrklich  ein  reges  wissenschaftliches 
Leben  an  unserer  Klinik;  den  besten  Beweis  dafür  liefern 
die  zahlreichen  Publikationen  größtenteils  im  Archiv  für 
klinische  Chirurgie,  aber  auch  in  anderen  Zeitschriften,  die 
damals  aus  Billroths  Schule  hervorgingen.  Auf  diese 
Arbeiten  legte  er  selbst  einen  besonderen  Wert :  wenn  es  sich 
darum  handelte,  aus  seinen  Operationszöglingen  einen  zum 
klinischen  Assistenten  zu  wählen,  dann  ,  gaben  die  wissen¬ 
schaftlichen  Veröffentlichungen  den  Ausschlag.  So'  sorgte 
er  dafür,  daß  stets  der  Würdigste  auf  den  von  vielen  er¬ 
sehnten  Posten  gestellt  wurde  und  seine  Entscheidung  war 
derartig,  daß  auch  diejenigen  sie  als  gerechtfertigt  betrach¬ 
teten,  deren  Hoffnungen  vielleicht  getäuscht  worden  waren. 

Eine  solche  neidlose  Anerkennung  der  einem  einzigen 
zufallenden  Belohnung  von  seiten  seiner  minder  glücklichen 
Rivalen  war  nur  denkbar,  bei  der  zu  meiner  Zeit  unter  den 
Operationszöglingen  herrschenden  Einigkeit  und  Kollegia¬ 
lität.  So  heterogen  nach  Abstammung,  Herkunft  und  Sprache, 
so  verschieden  in  ihrem  Wesen  und  in  ihren  Fähigkeiten 
die  einzelnen  waren,  sie  schlossen  sich  in  gemeinsamer 
Tätigkeit  bald  aneinander  und  während  jener  an  der  Bill¬ 
roth  sehen  Klinik  zugebrachten  Jahre  knüpften  sich  Freund¬ 
schaften  für  das  ganze  Lehen.  Während  ich  dies  schreibe, 
lenkt  mein  Blick  sich  auf  eine  vergilbte  Photographie,  welche 
Billroth  darstellt,  in  vollster  Manneskraft  und  Gesundheit, 
inmitten  seiner  Assistenzärzte  und  der  Operationszöglinge 
aus  meiner  Zeit;  Menzel,  Steiner,  Gussenbauer,  Ger- 
suny,  Barbieri,  Kämmerer,  Dos  za,  Weil,  v.  Frisch. 


Von  ihnen,  die  im  Bilde  unseren  unvergeßlichen 
Lehrer  umgeben,  sind  die  meisten  bereits  zur  Ruhe  gegangen. 
Allein  mit  den  Eindrücken  aus  längst  vergangenen  Tagen 
sind  auch  ihre  Gestalten  wieder  aufgetaucht  vor  mir  und 
die  Erinnerungen,  die  ich  heraufbeschworen,  wollen  mich 
nicht  mehr  verlassen.  So  sei  es  denn!  Mögen  sie  dem  An¬ 
denken  der  Dahingeschiedenen  geweiht  sein.  Den  Freunden 
aber,  die,  „noch  im  heiteren  Leben  weilend“,  diese  Zeilen 
lesen,  sende  ich  den  herzlichen  Gruß: 

Ad  multos  annos ! 

Lüttich  (Belgien),  im  März  1907. 


Aus  der  I.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien. 

(Vorstand:  Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.) 

lieber  den  Wurmfortsatz  und  die  Harnblase 

als  Bruchinhalt. 

Von  Dr.  Paul  Clairmout,  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Ansicht  älterer  Chirurgen,  daß  Wurmfortsatz 
und  Harnblase  nur  ausnahmsweise  als  Bruchinhalt  Vor¬ 
kommen,  wurde  durch  die  zahlreichen  Bruchoperationen 
widerlegt,  welche  nach  modernen  Methoden,  vor  allem 
nach  dem  ausgezeichneten  Verfahren  Bassinis  ausgeführt 
wurden.  Die  an  einem  großen  Material  gesammelten  Erfah¬ 
rungen  zeigten  auch  bald,  daß  gerade  diese  beiden  Organe, 
wenn  sie  in  Brüchen  Vorkommen,  dem  Chirurgen  besondere 
Schwierigkeiten  bereiten  können.  In  diagnostischer  Hinsicht, 
weil  nur  ausnahmsweise  der  Bruchinhalt  vor  der  Operation 
richtig  erkannt  wird;  therapeutisch,  weil  Komplikationen 
—  das  gilt  vor  allem  für  die  Blasenhernie  —  den  post¬ 
operativen  Verlauf  gefährden  können. 

Für  den  Processus  vermiformis  hat  die  Frage,  ob  es 
eine  Entzündung  oder  Einklemmung  desselben  ist,  welche 
das  akute  Krankheitsbild  bedingt  und  die  sofortige  Opera¬ 
tion  indiziert,  vor  allem  die  Literatur  beschäftigt.  Von 
manchen  Autoren  wurde  die  Möglichkeit  der  Inkarzeration 
einer  normalen  Appendix  nicht  zugegeben,  so  namentlich 
von  Sonnen  bürg.  Heute  aber  dürfen  wir  das  Vorkommen 
der  primären  Inkarzeration  als  sicher  bewiesen  ansehen. 
Vor  vier  Jahren  hat  Honsell  bei  Zusammenstellung  von 
79  Fällen  ,, isolierter  Wurmfortsatzinkarzeration“  aus  der 
Literatur  nur  17  als  echte  Einklemmuiigen  eines  normalen 
Proc.  vermiformis  angesprochen,  während  die  übrigen  Fälle 
teils  zu  ungenau  mitgeteilt  waren,  teils  als  primäre  Appen¬ 
dizitiden  gelten  müßten.  Hon  sells  Zahl  steht  also  weit 
hinter  der  Bajardis  zurück,  der  schon  im  Jahre  1895 
unter  98  beschriehenen  Fällen  von  reinen  Wurmfortsatz¬ 
brüchen  47  als  inkarzerierte  Brüche  gefunden  hatte.  Wenn  es 
die  Absicht  Hon  sells  war,  auf  Grund  eines  möglichst  genau 
beschriehenen  Krankheitsbildes  die  sicheren  Fälle  aus  der 
Literatur  herauszuheben,  so  bleibt  er  wohl  hinter  der  tat¬ 
sächlichen  Zahl  hieher  gehöriger  Beobachtungen  zurück. 
So  möchte  ich  nicht  zweifeln,  daß  es  sich  bei  den  von 
Körte  im  Anschluß  an  die  Demonstration  von  Wulff  er¬ 
wähnten  zwei  Patienten  um  typische  Inkarzerationen  der 
Appendix  gehandelt  hat.  Vor  die  Arbeit  Honseils  fallen 
auch  die  Mitteilungen  von  Tailhefer,  Berger,  Bougie 
und  Dartigues,  Lindström  und  Rake,  in  denen 
echte  Einklemmungen  besprochen  werden.  Seither 
stammen  weitere  Publikationen  oder  gelegentliche  Diskus¬ 
sionsbemerkungen  von  Quenu,  Neuhaus,  Ricon,  Dui- 
gon,  Barb  at,  Ta  pie,  Sprengel,  Levy^)  und  Staats¬ 
mann. 

Die  nunmehr  schon  zahlreichen  Beobachtungen  haben 
gezeigt,  daß  die  Inkarzeration  des  Processus  vermiformis 
mit  keinem  typischen  Krankheitsbild  einhergeht.  Die  Diffe¬ 
rentialdiagnose  gegenüber  der  Appendizitis  im  Bruchsack 
wird  von  den  meisten  Autoren  als  unmöglich  angesehen, 

*)  Levy  scheint,  so  weit  einem  Referat  in  Hildebrands  Jahres¬ 
berichten  zu  entnehmen  ist,  keine  scharfe  Trennung  zwischen  Einklemmung 
und  Entzündung  des  Wurmfortsatzes  zu  machen.  Das  von  ihm  be¬ 
schriebene  Krankheitsbild  stimmt  auch  mit  dem  anderer  Autoren  und 
dem  unseres  Falles  nicht  überein. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCIIRIET.  1907. 


,313 


(lie  Differeiilialdiagii'Oise  gegenüber  der  eingeklemmten  Netz¬ 
oder  Littrescdien  Hernie  kann  große  Schwierigkeiten  be¬ 
reiten.  In  der  1.  chiinrg.  Klinik  kam  im  Dezember  v.  .1. 
ein  Fall  zur  Operation,  der  zwar  anch  ante  operationem 
nicht  erkannt  wurde,  aber  keinem  geläufigen  Bild  entspracli 
und  deshalb  diagnostisch  in  suspenso  gelassen  wurde.  Wie 
wichtig  es  ist,  in  allen  diesen  Fällen  zweifelhafter  Inguinal¬ 
tumoren  die  Operation  vorzuschlagen  und  möglichst  bald 
auszuführen,  zeigte  auch  dieser  Fall  wieder. 

Es  handelte  sich  um  eine  61jährige,  früher  gesunde  Frau, 
die  am  6.  Dezember  1906  mittags  stechende  Schmerzen  in  der 
rechten  Leistenbeuge  verspürte.  Dieselben  steigerten  sich  bis  zu 
itirer  Aufnahme  am  10.  Dezember  kontinuierlich.  Am  7.  Dezember 
hatte  Pat.  den  letzten  Stuhl,  am  8.  Dezember  erbrach  sie 
schleimige  Massen.  An  diesem  Tage  bemerkte  sie  zum  ersten¬ 
mal  eine  ungefähr  nußigroße  Geschwulst  in  der  rechten  Leiste. 
Seit  9.  Dezember  morgens  sollen  auch  Winde  nicht  mehr  abgehen. 

Bei  der  Untersuchung'  der  Patientin  fand  sich  in  der  rechten 
Inguinalgegend  eine  zirka  nußgroße  bewegliche  Vorwölbung,  über 
welcher  die  Haut  leicht  gerötet  und  etwas  schmerzhaft  war, 
welche  sich  in  den  Kiuralkanal  fortzusetzen  schien.  Der  Tumor 
zeigte  Fluktuation,  keinen  Anprall  bei  Hustenstoß  und  ließ  sich 
auf  Druck  nicht  verkleinern.  Das  Abdomen  war  nicht  aufgetrieben, 
zeigte  keine  Peristaltik,  keine  freie  Flüssigkeit,  keine  Druck- 
sclunerzhaftigkeit.  Der  Allglemeinzustand  der  Palientin  war  (iiii 
guter,  die  Zunge  feucht,  der  Puls  nicht  beschleunigt,  normale  Tem¬ 
peratur. 

Bei  der  sofort  vorgenommenen  Operation  in  allgemeiner 
Anästhesie  wurde  zunächst  nur  ein  kleiner,  probatorischer 
Schnitt  über  der  Kuppe  der  Geschwulst  gemacht;  nach  Durch- 
Irennung  des  ödematösen  Unterhautzellgewebes  wurde  der  Tumor 
freigelegt,  der  bläulichschwarz  durchschimmerte.  Nunmehr  wurde 
der  Schnitt  verlängert,  die  Geschwulst,  welche  in  den  Canal  is 
cruralis  hineinzog,  gestielt  und  die  erste,  als  Bruchsack  anzu¬ 
sprechende  Schichte  durchtrennt.  Es  entleerte  sich  ein  Kaffee¬ 
löffel  voll  blutig  tingierter,  übelriechender  Flüssigkeit  und  als 
Bruchinhalt  fand  sich  der  in  der  peripheren  Hälfte  rückläutig 
abgeknickte,  schwarzrot  bis  blauschwarz  verfärbte  und  ge¬ 
schwollene  Processus  vermiformis,  der  sich  nicht  weiter  vor¬ 
ziehen  ließ.  Auch  nach  Debridement  des  inkarzerierenden  Bruch¬ 
ringes  nach  oben  gelang  dies  nicht.  Erst  nach  Verlängerung 
des  Hautschnittes  nach  außen  oben  und  Durchtrennung  der 
Bauchdecken,  sowie  des  Peiätoneuras  konnte  das  Cökuni  liervor- 
gezogen  werden.  Ungefähr  in  der  Mitte  der  Appendix,  ent¬ 
sprechend  dem  Bruchring,  fand  sich  nun  eine  ca.  2  mm  breite, 
grau  verfärbte,  zirkuläre  Schnürfurche,  das  Mesenteriolum  bis 
nahe  an  die  Appendix  hämorrhagisch  infarziert,  das  distale  Stück 
des  Prozessus  in  der  früher  beschriebenen  Weise  verändert,  der 
proximale  Anteil  aber  normal  aussehend,  d.  h.  nicht  injiziert, 
Idaß  graurot,  nicht  verdickt;  ebenso  dessen  Mesenteriolum  normal. 
Der  Processus  vermiformis  wurde  in  der  üblichen  Weise  ent¬ 
fernt,  sein  Stumpf  versorgt  ünd  die  Radikaloperation  nach  der 
Methode  von  Billroth-Bassini  (Naht  des  Ligamentum 
Pouparti  an  den  Musculus  pectineus)  angeschlossen.  Der  post¬ 
operative  Verlauf  bot  keine  Komplikation,  die  Darmtätigkeit  stellte 
sich  am  zweiten  Tage  nach  der  Operation  wieder  ein. 

Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  daß  in  diesem  Falle 
eine  echte  Inkarzeration  des  Wurmfortsatzes  vorlag.  Das 
seröse,  blutig  fingierte,  nicht  eitrige  Bruchwasser,  die  An¬ 
schwellung  und  Verfärbung  der  Appendix,  die  scharf  an 
einer  gut  ausgeprägten  Schnürfurche  abschnitten,  die  hämor¬ 
rhagische  Infarzierung  des  Mesenteriolums,  soweit  es  ein¬ 
geklemmt  war,  das  normale  Aussehen  des  cökalen,  nicht  im 
Bruchsack  gelegenen  Abschnittes,  anatomische  Befunde,  die 
Hon  seil  als  charakteristisch  beschreibt  und  die  sich  in 
den  hieher  gehörigen  Fällen  immer  wiederholen,  beweisen 
dies  zur  Genüge. 

Um  zu  zeigen,  daß  unserem  Falle  mehrere  Symptome 
anhafteten,  die  in  ihrer  Gesamtheit  auffallen  mußten  und, 
wie  schon  früher  erwähnt,  sich  zu  einem  gewohnten  Bild 
nicht  recht  zusammenfassen  ließen,  möchte  ich  folgendes 
aus  der  Krankengeschichte  hervorheben. 

Es  bestanden  hier  subjektive  Angaben  über  Undurch¬ 
gängigkeit  des  Darmes,  für  die  objektive  Beweise  fehlten. 
Trotz  dreitägiger  Stuhlverhaltung  war  das  Abdomen  weich, 
nicht  aufgetrieben,  nicht  druckschmerzhaft  und  zeigte  keine 
abnorme  Peristaltik.  Der  Allgemeinzustand  war  ein  guter, 
der  Puls  nicht  beschleunigt,  Fieber  fehlte.  Lokal  war  eine 


G(?schwulst  zu  finden,  deren  Spannung  und  Schmerzhaftig¬ 
keit  für  einen  inkarzerierten  Darmbruch  zu  gering  war. 
Der  prall  elastische  Leistenlumor,  über  welchem  die  Haut 
entzündliche  Erscheinungen  darbot,  war  aulfallend  gut  be¬ 
weglich,  aber  nicht  gut  begrenzbar  und  gab  tympanitischeu 
Schall. 

Das  klinische  Bild  entsprach  bei  unserer  Patientin  in 
vielen  Punkten  dem  einer  inkarzerierten  Netzhernie.  Der 
deutliche  Tympanismus  über  der  Geschwulst  war  jedoch  da¬ 
mit  nicht  zu  erklären.  Für  eine  dreitägige  Inkarzeration  einer 
Litt  re  sehen  Hernie  war  das  Allgemeinbefindeil  ein  zu 
gutes.  Mit  einer  Lymphadenitis  acuta,  die  differentialdia¬ 
gnostisch  in  Betracht  kam  oder  gar  einem  entzündeten 
Varixknoten  der  Inguinalgegend  waren  die  abdominalen  Be¬ 
schwerden  nicht  vereinbar. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Therapie  scheint  es  im  prak¬ 
tischen  Fall  müssig,  der  klinischen  Entscheidung,  oh  eine 
Inkarzeration  der  Appendix  oder  eine  Appendizitis  im  Bruch¬ 
sack  vorliegt,  zuviel  Zeit  zu  widmen.  Gefährlich  kann  aber 
für  den  Patienten  die  Verwechslung  mit  dem  irreponibleii 
Netzhruch  werden.  Wie  Ho  ns  eil  gezeigt  hat,  geht  nur  ein 
kleiner  Teil  der  Fälle  (^/s)  mit  dem  vollen  Symptomenhild 
der  schweren  Inkarzeration  einher;  für  die  übrigen  Vö  der 
Patienten  ist  der  Typus,  wie  wir  ihn  bei  unserer  Patientin 
gesehen  haben,  die  Regel.  Bei  der  genauen  Untersuchung 
wird  der  Widerspruch  zwischen  lokalem  Befund,  der  an 
und  für  sich  mehr  für  Darm  als  Bruchinhalt  spricht  und  dem 
negativen  Abdominalstatus  bei  subjektiven  Klagen  über 
Darmlähmung  nicht  in  das  bekannte  Bild  des  Darm-,  Darni- 
wand-  oder  Netzbruches  passen  und  vielleicht  so  auf  die 
richtige  Spur  leiten.  Dazu  kommt,  daß  es  sich  in  der  Regel, 
wie  auch  in  unserem  Falle,  um  länger  dauernde  Inkarzera¬ 
tionen  von  Schenkelbrüchen  hei  älteren  Frauen  handelt 
(Honsell,  Sprengel).  Die  Symptome  von  Köllicker  — 
Flexionsstellung  der  Hüfte  —  oder  Sprengel  —  umschrie¬ 
benes  Exsudat  ober  dem  Poupartschen  Band  entsprechend 
dem  Kruralkanal  —  werden  nur  unter  bestimmten  Bedin¬ 
gungen  zutreffen. 

Ueber  die  Therapie  ist  eine  Diskussion  nicht  zulässig. 
Sie  kann  nur  in  der  sofortigen  Herniotomie  und  Amputa¬ 
tion  des  Processus  vermiformis  knapp  am  Cökum  bestehen. 

Dieser  Krankengeschichte  reihen  sich  zwei  Fälle  an, 
welche  die  Harnblase  als  Bruchinhalt  betreffen,  die  beide 
seltene  Beobachtungen  sind.  Das  bis  zum  Jahre  1901  publi¬ 
zierte  Material  über  Blasenhernien  hat  Alessandri  in  einer 
vorzüglichen  monographischen  Arbeit  behandelt.  Aus  der¬ 
selben  geht  hervor,  daß  die  Blase  in  Inguinalbrüchen  hei 
Männern  zwar  keine  chirurgische  Rarität,  aber  doch  nicht 
allzu  häufig  ist.  Hingegen  konnte  Alessandri  aus  der 
Literatur  nur  21  Schenkelblasenbrüche  zusammenstellen,  die 
vorwiegend  Frauen  betrafen. 

Die  isolierte  Inkarzeration  der  Blase  kam  nach  Martin 
(l.)is  1899)  17mal  zur  Beobachtung.  Hiezu  kommen  seither 
die  Mitteilungen  über  je  einen  Fall  von  Tailhefer,  Becker, 
Lücke  und  Abadie,  so  daß  im  ganzen  nunmehr  21  ein¬ 
schlägige  Fälle  vorliegen.  Dieselben  betreffen  achtmal 
rechts-,  zweimal  linksseitige  Inguinalhernien,“)  achtmal 
rechts-,  zweimal  linksseitige  Kruralhernien.  Bei  dem 
Patienten  von  Lucas -Championniere  handelte  es 
sich  um  einen  linksseitigen  Bruch;  eine  Angabe,  ob 
Inguinal-  oder  Kruralbruch,  fehlt.  Es  zeigt  sich  also, 
daß  die  eingeklemmten  Blasenbrüche  nur  selten,  in  einem 
Fünftel  der  Fälle,  die  linke  Seite  betreffen. 

Wie  bei  der  Appendixinkarzeration  hat  auch  bei  der 
Blasenbrucheinklemmung  die  Frage  nach  spezifischen  Ein¬ 
klemmungssymptomen  die  Literatur  beschäftigt.  Martin 
geht  auf  Grund  seiner  Zusammenstellung  besonders 
auf  dieses  Kapitel  ein  und  glaubt  es  dahin  beant¬ 
worten  zu  können,  im  Gegensatz  zu  Brunner,  Loth¬ 
eissen  und  anderen  mehr,  daß  das  Vorkommen  von 

9  Die  Fälle  vonMonod  und  Delagöniöre,  Revue  de  Chirurgie  1889, 
S.  701  und  Monlegnacco,  Atti  della  associazione  medic,  lombarda  (zitiert 
nach  Brunner,  S.  177)  1896,  S.  90. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Li 


BlaseiisyiiiiRinneii  bei  der  iiikarzerierleii  ß'aseiiheriiio 
durcliaiis  iiicJiis  Selieiies,  wälirend  das  Yorkoniineii  des 
ausgesprueJieiieii  JJildes  der  DariuiiikarzeraLioJi  J)ei  reiiiea 
ßlaseiilieniieii  zum  miiidesteiL  selir  zweifelliafL  isl.  Denselben 
Standpunkt  iiinmil  J^üeke  ein. 

Der  in  der  I.  cliirurgisclieii  Klinik  beobaebiete  Fall  ist  der 
folgende ; 

Am  8.  Feinaiar  11)07,  8  ülir  abends,  Avurde  der  G8jäbrige 
F.  (i.  von  seinem  llausarzL  mit  foigemlen  Angaben  eingelieferl. 
Am  \'ormillag  des  8.  Febiaiai’  bemcrkle  der  Fatieid  plötzlich  beim 
Cleben  auf  der  SIraße,  naebdem  er  Avälirend  eines  Ciesclulfts- 
ganges  Aviederlioll  Tj’eppen  auf  und  ab  gegangen  war,  einen 
sebneidenden  Sclrmerz  in  der  linken  Leistengegend.  Die  Schmerzen 
wurden  immer  stärker  und  l’al.  fand  an  der  bezeiebneten  (legend 
eine  Clescliwulsl,  die  er  friUier  nie  beobachtet  hatte  und  die 
er  nicht  zuiaickscbiel)en  konnte.  Der  berbeige'holte  Arzt  kon¬ 
statierte  einen  irrcponiblen,  linksseiligeji  Leislenbrucli,  der  juicli 
<10111  Erbrechen  und  der  liestebenden  Windverhaltung  als  in- 
karzeriert  anzusprechen  Avar.  Ein  Kepositionsversuch  gelang  inso- 
ferne,  als  sich  der  Bruch  bei  Druck  alimälilicti  verkleinerte,  ohne 
aller  vollsländig  zu  veiscbwiridon.  Hiebei  Avar  kein  gurrendes  (ie- 
räusch  zu  hören.  Die  Verkleinerung  gelang  ohne  wesentliche 
Anstrengung  und  ohne  Schmerzen.  Pat.  fühlte  sich  danach 
leicliter.  Der  Arzt  Avar  jedoch  durch  ilas  Resultat  der  Taxis  nicht 
befriedigt,  Avenn  auch  typische  Darmeinklemmungssym])tonie  .nicht 
mehr  bestanden  und  brachte  den  Patienten  in  die  Klinik.  Nach- 
niillags  klagte  Pat.  darüber,  daß  er  Besclnverden  bei  der  Urin¬ 
entleerung  und  tagsüber  nur  spärliche  Urimiiengen  entleert 
habe.  Auch  früher  halte  Pat.,  wie  er  jetzt  auf  Befragen  angiab, 
hin  und  Avieder  an  'schneidenden  Blasenschimerzen  gelitten. 

Bei  der  Untersuchung  des  l’atienten  fand  sich  der  rechte 
Leistenkanal  für  das  erste  Fingerglied  durchgängig,  in  der  linken 
Leistengegend  ein  hühnereigroßer  Tumor,  der  Avenig  schmerz¬ 
haft,  aber  iiTcponibel  Avar  und  eine  derbe,  an  Netz  erinnermle 
Konsistenz  darbot.  Das  x\bdomen  war  nicht  aufgetrieben  und 
zeigte  keine  Peristaltik,  die  Zunge  Avar  feuebt,  die  Pulsfrequenz 
normal.  In  dem  spontan  e.ntleerten,  hellgelben  Urin  Aveder  Eiweiß, 
noch  Zucker. 

ObAvobl  beängstigende  Syjnptome  nicht  beslanden,  Avurde 
vorsichtshalber  die  sofortige  Herniotomje  in  lokader  Anästhesie 
ausgefülirl.  Entsprechend  deni  Fanalis  iiiguinalis  fanden  sich 
ZAvei  zwerchsackarlig  nebeneinander  liegende,  haselnußigroße, 
glatte  Liiiome.  Eine  Ausstülpung  des  Peritoneums  Avar  hintei' 
denselben  nicht  Amidianden.  Nach  Art  einer  direkten  Hernie 
stülpte  sich  aber  von  hinten  ein  hühnereigroßes  Gebilde  vor, 
das  von  kleinlappigem  Feltgewebe  überzogen  war.  Hinter 
diesem  Avm'de  ein  Bruchsack  vermutet.  Bei  der  Durchfaserung 
des  FettgeAvebes  fiel  der  Reichtum  an  Amnösen  Gefäßen  aut. 
Danach  kani  man  auf  ein  sackartiges  Gebilde,  das  an  der  Kuppe 
und  an  der  lateralen  Fläche  von  einer  glatten,  serosaähnlichen 
Fläche  überkleidet  Avar  und  sich  auffallend  derb  anlühlte,  ohne 
einen  Inhalt  erkennen  zu  lassen.  Bei  der  Auffaserung-  der  ober¬ 
flächlichsten  Schichten  Avar  deutlich  ein  trabekulärer  Aufbau  zu 
erkennen.  Die  Reposition  dieses  Gebildes  durch  die  Bruchpforte 
in  der  Fascia  transversa  gelang  nicht,  erst  nach  Spaltung  der 
lelztereu  nach  oben.  Das  Gebilde,  Avelches  mit  Rücksicht  auf 
die  Ananmese  und  den  anato.mischen  Befund  als  Harnblase  an- 
gespi'üchen  Avurde,  komile  nunmehr  in  der  Richtung  zur  Sym- 
])hyse  hin  eingestülpt  werden.  Darüber  Avurde  die  Bassinische 
Radikalo])eration  mit  sechs  Nähten  ausgeführt.  Der  postoperative 
\Arlauf  Avurde  durch  eine  am  sechsten  Tage  auftrotende  Throm¬ 
bose  der  Vena  femoralis  (bei  reaktionslos  heilender  0])erations,- 
Avunde)  verzögert,  der  Patient  Aviirde  am  1).  IMärz  aus  der  Klinik 
entlassen. 

ln  diesem  Falle  haiidelle  es  sich  also  um  eine  para- 
peritoneale  J31asenlieniie,  Avelche  als  direkter  linksseitiger 
Leistenlnaicli  eingeklemmt  Aviirde.  Schon  Amr  der  Opera¬ 
tion  Avnrde  die  AA'rmuiungsdiagnose  auf  Mitbeleiligung  der 
Blase  gestellt,  Aveil  die  Taxis  in  auffallender  Weise  zu  einer 
Verkleinerung  des  Bruches  geführt  hatte  und  der  Patient 
nachträglich  über  Harnbeschvverden  klagte.  Die  sichere  Dia¬ 
gnose  auf  isolierte  Blaseninkarzeration  Avar  aber  nicht  zu 
stellen,  vielmehr  ijnponierte  auch  hier  Aviedej-  das  Bild  als 
das  einer  akut  irreponihel  gewordenen  Netzhernie.  Die  Sym¬ 
ptome  von  seiten  der  Blase  Avaren  zuerst  verdeckt  geAvesen 
durch  Erscheinungen,  Avie  sie  auch  die  Darminkarzeration 
begleiten.  Erst  nachdem  offenbar  die  Blase  ausgedrückt 
und  dadurch  die  Strangulation  lockerer  geworden  vyar, 


ließen  (liose  Erscheinungen  nach  und  Irat  der  spezifische 
(’liarakter  der  BescliAA^erden  her\x)i‘. 

In  der  Lileratur  konnte  ich  eine  ähnliche  Beobachtung 
gelegeidlich  der  Taxis  nicht  finden,  ln  der  jHehrzatd  derFälle 
ist  vermerki,  daß  ein  Repositionsversuch  vergeblich  Avar; 
nur  in  zwei  Fällen  —  in  der  Beobachtung  ymn  Brunner 
und  in  dem  A'on  Zondek  mitgeteilten  Fall  —  ist  eine  spon¬ 
tane  Verkleinerung  der  Bruchgeschwulst  notierl.  Unser  Fall 
zeigt,  daß  auf  dieses  Symptom  zu  achten  ist,  die  allmäh¬ 
liche  Verkleinerung  der  inkarzerierten  Hernie  durch  Aus¬ 
drücken  ohne  Auftreten  von  Darmgeräuschen  und  ohne 
eine  Amllständige  Reposition  zu  erzielen.  Vielleicht  kann 
auch  in  anderen  Fällen  aus  den  danach  zuhige  tretenden 
spezifischen  Einklemmungssymptomen,  Avelche  mit  Recht 
für  die  Diagnose  immer  gefordert  Averden  müssen,  die  richtige 
Annahme  einer  ßlaseninkarzeration  gemacht  Averden. 

ln  diesem  Falle  Avar  das  als  direkte  Hernie  austretende 
Gebilde  leicht  als  Harnblase  zu  erkennen.  Das  prävesikale 
Fettgewebe  unterschied  sich  sehr  deutlich  von  den  daneben 
im  Leistenkaiial  liegenden  präperitonealen  Lipomen.  Ein 
ßruchsack  AAmr  neben  der  ausgestülpten  Blase  nicht  vor¬ 
handen,  obwohl  ^es  sich  um  eine  paraperitoneale  Zystokele 
handelte. 

Leider  ist  es  nicht  immer  so  leicht,  die  Harnblase  zu 
erkennen.  Es  ist  ja  aus  der  Literatur  bekannt,  daß  nur 
in  einer  ganz  geringen  Minorität  der  beobachteten  Fälle 
die  Blasenhernie  aus  den  klinischen  Zeichen  allein  als 
solche  diagnostiziert  Avurde  (0.  Z  uckerkandl).  Während 
der  Operation  Avurde  die  Amrlagerte  Blase  nach  Alessandri 
unter  218  Fällen  147mal  richtig  ,ei'^kannt.  ln  vielen  Fällen 
aber  ließen  alle  Merkmale  im  Stich :  die  Blase  Avurde  ver¬ 
letzt,  indem  sie  für  den  Bruchsack  angesprochen  und 
inzidiert  wurde  oder  indem  sie  der  Beobachtung  ganz  ent¬ 
ging,  in  die  Ligatur  des  Bruchsackes  mitgefaßt,  abgeschnürt 
und  mit  der  Schere  gekappt  wurde.  Daß  daraus  lebens¬ 
gefährliche  Komplikationen  resultieren  können,  ist  begreif¬ 
lich  und  zeigt  sich  deutlich  in  der  Statistik  von  Hermes, 
der  für  die  mit  Blasenveiietzung  einhergehenden  Bruch¬ 
operationen  eine  Mortalität  von  2G-5To  berechnet,  Amn 
Brunner,  der  bei  81  Fällen  21  Todesfälle  findet. 

Der  dritte  Fall,  den  ich  mitteilen  möchte,  gehört  hieher: 

Die  lljäbrige  Frau  A.  B.  Avurde  am  15.  Januar  1907  in 
die  1.  chinirgische  Klinik  niit  dem  typischen  Befund  einer  Avaltinlh 
großen,  reponiblen,  rechtsseitigen  Herpia  cruralis  aufgenonnnen. 
Die  Patienlin  gab  an,  vor  zAvei  Jahren  eine  Blinddarmontzündungi 
durchgemaebt  zu  haben.  Vor  vier  Jahren  bemerkte  sie  iu  der 
rechten  Leistengegend  eine  haselnußigroße  GescliAAmlst,  die  beim 
Liegen  Amu  selbst  AmrscliAvand,  seit  neun  Monaten  rascher  an 
Größe  zunalihi  und  außer  ziehenden  Sclnnerzen  in  tier  Gegend 
der  GescliAvulst,  namentlich  bei  raschem  Gehen,  nie  ßeschAverden 
verursacht  hatte.  Ein  verordnetes  Bruchhaiid  konnte  sie  nicht 
tragen.  Als  Rruchinhalt  Avurde  nach  dem  tympanitischen  Schall 
und  dem  gurrenden  Geräusch  bei  der  Reposition  eine  Darm¬ 
schlinge  angenommen. 

Bei  der  am  19.  Januar  vorgenommenen  Radikaloperation 
in  reiner  Chloroformnarkose  (Avegen  suspekter  Lungenspitzen) 
fand  sich  ein  aus  dem  Kruralkanal  tretendes,  als  präperitoneales 
Lipom  imponierendes  FettgeAAmbe;  dasselbe  Avurde  mit  zwei  anato¬ 
mischen  Pinzetten  durchfasert  und  liiehei  ein  ganz  zartes,  sack¬ 
förmiges  Gebilde  eröffnet,  Avelches  an  der  Innenfläche  von  Serosa 
ausgekleidct  zu  sein  seihen,  das  an  seiner  Basis  derber  Avar 
und  in  Avelches  eine  Steinsonde  ohne  irgendein  Hindernis  schein¬ 
bar  in  die  freie  Bauchhöhle  AAmit  eingescholien  Averden  konnte. 
Schon  Avurde  dieses  als  Bruchsack  angesprochene  Gebilde  mit 
Mikulicz  scfien  Klemmen  hochgehohen  und  torquiert,  als  lateral- 
und  ahdonrinalAvärts  in  demselben  ein  Gebilde  auffiel,  Avelches 
sich  bei  der  Palpation  derb  anfühlte  und  zur  nochmaligen  Re¬ 
vision  ZAvang.  Es  Avurde  nunmehr  an  der  xViißeriAvand  des  Amr- 
meinllichen  Bruchsackes  ein  Amn  demselben  getrenntes  zAveites, 
4  bis  5  cm  langes,  sackähnliches  Gebilde  auspräpariert,  das  derber 
als  das  erste,  aber  noch  immer  zarlAvandig  Avar  und  den  Ein¬ 
druck  eines  zav eiten  Bruchsackes  machte.  In  dem  ArgAvohn,  daß 
es  sich  A'ielleicht  um  eine  Ausstülpung  des  (hkums  oder  der 
Blase  handeln  könnte,  Avurde  dieses  Gelhlde  sehr  vorsichtig  in¬ 
zidiert.  Die  Wand  Avar  zart  und  schien  ebenfalls  an  der  Innen¬ 
fläche  von  Serosa  bekleidet.  Jedenfalls  bestand  kein  Anhalts- 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


HL. 


iniiikt  fill’  ('itio  Sclih'iiiihaul  in  dec  Bekleidung  und  wariui  in  der 
Wand  keine  Trabekeln,  Muskelfasern  oder  Venen  /.u  erkennen. 
Dieses  Oehilde  ^v’nrde  koi’kzielierarlig  zugedreht  und  an  der  Basis 
ligierl.  Din  bei  dem  reiclilicdien  Fettgewebe,  das  sieli  aus  der 
Krui'alid'ui'le  vordrängte,  durch  eine  Massen  ligatu  r  nicht  ein  in 
der  Tiefe  liegendes  und  verborgenes  Organ  (Cökinn  oder  Blase) 
zu  ligieren,  wurde  dasselbe  reponiert  und  sofort  darüber  die 
Radikaloperalion  nach  Billi’oth-Ba'ssin  i  vorgenonnnen.  Einige 
subkulane  Nähte  und  Haulnabl. 

Am  Abend  nach  der  Opeialion  klagte  Bai.  über  Schmerzen 
iin  Bauche  und  ei'bracli  gallige  Massen.  Da  eine  spontane  Drin- 
entleorung  nicht  erfolgte,  wurde  katheleiisiert.  Es  entleerle  sich 
wenig  Haiai,  dessen  letzte  Tropfen  leicht  rot  gefärbt  waren.  Am 
Jiächsten  Tage  (20.  .Taniiar)  dauerte  das  Erbrechen  an.  Auf 
Blyzerinklys'ina  erfolgte  Stuhl.  Urin  wurde  auch  an  diesem  Tage 
dundi  Katheterismns  entleert,  doch  nur  in  geringer  Menge,  ln 
der  Nacht  vom  20.  auf  den  21.  .Tanuar  stellten  sich  i)lützlich 
sehr  heflige  Sclnnerzen  im  Banche  ein;  das  Erbrechen  wurde 
häufiger.  Am  IMorgeii  des  21.  .Tamiar  Avar  das  Abdomen  auf- 
gel riehen,  überall  dnickempfindlich,  namentlich  aber  rechts  unten, 
in  beiden  Flanken  Dämpfung  sicher  nachweisbar  mit  Aufhellung 
hei  LageAvechsel.  Zunge  feucht.  Puls  104,  Temperatur  864°,  Zahl 
der  Leukozyten  40.000.  iVm  Nachlnittag  Avar  das  subjektive  Be¬ 
finden  besser,  Pat.  hatte  geschlafen,  der  objektive  Befund  aber 
wai’  unverändert,  das  Ahdo-men  schien  mehr  aufgetriehen,  Puls- 
freiiuenz  132,  das  Erbrechen  hielt  an.  Aus  dem  Magen  Avurde 
iniltels  iMagenschlauches  zirka  ein  halber  Liier  bräunlicher,  aber 
nicht  fäkulent  liechender  Flüssigkeit  entleert.  In  der  lleocökal- 
gegend  bestand  Druckeinpfindlichkeit. 

Am  Abend  des  21.  Januar  AAUirde  deshalb  unler  der  An- 
nalnne  einer  intraperitonealen  Komplikation  die  Laparotomie 
lateral  Amm  rechten  iMusculus  rectus  ausgeführt.  Nach  Eröffnung 
des  Abdomens  entströmte  eine  klare,  Avie  seröse  Flüssigkeit  in 
reichlicher  Menge.  Die  Darmschlingen  Avaren  allenthalben,  ebenso 
Avie  das  Peritoneum  parietale,  gerötet  und  injiziert,  kontrahiert 
und  nicht  paralytisch.  Dei-  Wurmfortsatz  Avurcle  auffallend  kurz, 
an  der  Spitze  narbig  geschrumpft,  im  übrigen  normal  gefunden, 
ln  der  Gegend  des  Kruralkanales  lag  ein  dunkel  \mr- 
färbtes  Gebilde,  das  zunächst  für  den  abgebundenen  Bruchsack 
gehalten  Avurde.  Da  nirgends  eine  Ursache  der  frischen  Peritonitis 
zu  finden  Avar,  Avuixle  dieses  Gebilde  nochmals  revidiert.  Erst 
jetzt  zeigte  sich,  daß  dasselbe  einen  rechts'  Amm  Blasenscheitel 
gelegenen  Blasenzipfel  darstellte,  dessen  Ränder  zunderäimlich 
morsch  waren.  Durch  ein  hellergroßes  Loch  bestand  eine  freie 
Kommunikation  zAvischen  Harnblase  und  Peritonealhöhle.  An  der 
linken  hinteren  Zirkumferenz  dieser  Perforation  war  eine  Seiden¬ 
ligatur  zu  sehen.  Die  Blasenperforation  Avurde  in  zwei  Etagen 
durch  CatgUtnähte  ohne  Mitfassen  der  Mukosa  geschlossen  und 
nach  gründlicher  Ausspülung  der  Bauchhöhle  in  die  Gegend  dej' 
Blasenperioration  ein  gj-oßer  IMikulicztampon  eingelegt.  Lockere 
Naht  in  Etagen. 

Der  Aveitere  Verlauf  bot  nichts  Besonderes  mehr.  Schon 
eine  Viertelstunde  nach  der  Operation  urinierte  die  Patientin 
spontan.  Am  24.  Februar  Amrließ  sie  geheilt  die  Klinik. 

Hier  kam  ps  alsO'  im  Anschluß  an  die  Badikaloperation 
einer  freien  Kniralhernie  zu  einer  intraperitonealen  Blasen- 
perforatinn.  Bei  der  Auslosung  des  Bruchsackes  waren  die 
anatomischen  Verhältnisse  unklare,  so  daß  an  die  Kompli¬ 
kation  mit  der  paraperitonealen  Ausstülpung  eines  henacdi- 
harten  Organes  gedacht  Avurde.  Trotzdem  aber  war  die  Blase 
als  solche  nicht  zu  erkennen. 

Nachdem  eine  Ligatur  am  Rande  der  Perforations- 
öffimng  gefunden  wurde,  Avar  die  Blase  wohl  das  zweit¬ 
gefundene  sackartige  Gebilde,  Avelches  tortxuiert  und  ligiert 
AAmrden  war.  Besonders  bemerkenswert  war  die  Lage  intra- 
peritoneal  und  an  der  lateralen  Fläche  des  Bruchsackes. 

Unter  den  Zystokelen  ist  die  iniraperitoneale  Blasen¬ 
hernie  Aveitaus  die  seltenste.  Alessandri  meint,  aus  der 
Literatur  nur  sechs  Fälle  dieser  Art  zusamuuuistellen  zu 
können.  Daß  es  sich  in  unserem  Falle  um  eine  intraperito- 
neale  Blasenhernie  gehandell  hat,  geht  wohl  daraus  heiwor, 
daß  die  Perforationsöffnung  in  ganzer  Ausdehnung  intra- 
peritoneal  geleg(ui  war. 

Es  muß  wohl  als  sehr  Avahrscheinlich  bezeichnet 
Averden,  daß  diese  Blasenhernie  und  namentlich  ihre  Lage 
an  der  lateralem  Bruchsack vvand  in  Beziehung  zu  bringen 
ist  mit  der  vor  zwei  .rahren  überslandenen  Skolikoiditis, 
Duredi  den  entzündlichen  Prozeß  scheint  der  Blasenzipfel 


i  an  das  parietale  Peritoneum  fixiert  und  mit  deniselhen  in 
den  Bruch  hineingezogen  worden  zu  sein.  Durch  die  Ad- 
häsi'on  Avar  die  Blase  verhindert,  sicli  Avituler  zu  retrahieren, 
sondern  Avurde  immer  mehr  und  mehr  ausgezogen,  wobei 
es  zu  einem  Amllsländigen  Verlust  der  Blascmwandstruktur 
kam.  Hermes  macht,  im  Gegenteil  zu  Güter  bock, 
darauf  aufmerksam,  daß  die  Bedeutung  und  der  Einfluß 
von  VerAvachsungen  der  Harnblase  mit  dem  Bauchfell  füi- 
die  Blasenbruchbildung  nicht  unterschätzt  Averden  dürfe. 

Das  einzige  Symptoiri,  Avelches  neben  dei'  doppelten 
Sackbildung  für  das  Vorhandensein  einer  Blasenhernie  zu 
verwerten  geAvesen  Aväre,  war  wieder  der  auffallende  Fett- 
reichtum. 

Bei  unserer  Patientin  scheinen  (tie  ersten  Ersch(dnungen 
durch  die  Abhindung  der  Blase  bedingt  worden  zu  sein.  Zur 
Perforation  des  abgelamdeneiL  Blasenzipfels  kam  es  an¬ 
scheinend  40  Stunden  nach  der  lladikaloperation.  Ganz 
plötzlich  setzte  um  diese  Zeit  ein  viel  schwereres  Bild  ein, 
vor  allem  sehr  heftige  Schmerzen. 

Bis  kann  niclit  geleugnet  werden,  daß  unter  Bcaachtung 
aller  Symptome  unserer  Patientin  die  iniraperitoneale  Blasen¬ 
perforation  hätte  erkannt  werden  können.  Die  nach  der 
Operati'on  entleerten  geringen  Urijunengen,  die  Tatsache, 
daß  der  Harn  am  ersten  Tagn  ein  AAmnig  blutig  I ingiert  war, 
die  rasch  auftretende  freie  Flüssigkeit  im  Abdomen  neben 
deii  lokalen  peritonealen  Beizerscheinungen,  sind  wohl 
(diarakteristische  Vlomente.  Wenn  auch  an  eine  Komplikation 
von  seiten  der  Harnblase  gedacht  wurde,  so  schien  dieselbe 
nicht  AAmhrscheinlich,  Aveil  Avir  den  Eindruck  hatten,  daß 
eine  Blasenverletzung  gelegentlich  der  Bruchoperation  nicht 
erfolgt  sei.  Genaue  Messungen  über  die  entleerten  Harn- 
niengen  fehlten  außerdem.  Für  die  peritonealen  Erschei¬ 
nungen  Avurde  deshalb  entsprechend  der  Anamnese,  welche 
von  einer  schweren  Blinddarmentzündung  erzählte,  nach 
der  intensiven  Druckschmerzhaftigkeit  in  der  rechten  unteren 
Bauchseite  ein  akuter  appendizitischer  Anfall  verant\A^ortlich 
gemacht  und  die  freie  Blüssigkeit  als  begleitender  seröser 
Erguß  angesprochen. 

Eine  Fehldiagnose  wird  dem,  der  einen  analogen  Fall 
beobachtet  hat,  kaum  Avieder  Vorkommen ;  aber  auch  der, 
der  diese  Komplikation  nie  zu  sehen  Gelegenheit  gehabt 
hat,  wird  sie  richtig  vermuten,  Avenn  er  folgendes  beachtet: 
unmittelbar  nach  der  Bruchoperation,  bei  der  sich  vielleicht 
schon  Bedenken  ergeben  haben,  ahnorm  starke  Schmerzen 
und  anhaltendes  BA’hrechen,  später  plötzlich  einsetzende  Per¬ 
forationserscheinungen,  Amr  allem  intensive  Schmerzen,  ohne 
lleuserscheinungen,  mit  nur  lokalen  peritonitischen  Sym¬ 
ptomen  (aseptischen  Harn  Amrau sgesefzO,  d.  h.  relatW  Avenig 
gestörtem  Allgemeinbefinden,  feuchter  Zunge,  ohne  Fieber 
mit  reichlicher  freier  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle 
bei  erscliAverter  Harnentleerung,  geringen  täglichen  Harn¬ 
mengen  und  Blutbeimengung  zur  ersten  Urinportion  nach 
dem  Eingriff.  Daß  in  vielen  Fällen  die  Diagnose  der  Blasen¬ 
verletzung  durch  das  Aufirelen  einer  Urinfistel  eine  ganz 
leichte  ist,  braucht  hier  nicht  erAvähnt  zu  Averden. 

Der  sekundäre  Eingriff,  60  Stunden  nach  der  Radikal¬ 
operation,  20  Stunden  nach  der  Perforation  in  die  freie 
Bauchhöhle  in  Form  der  Lajiarotomie  entfernt  vom  ersten 
Schnitt  hat  sich  in  unserem  I'kilb^  gut  bewährt.  Er  ist  unter 
den  AAmnigen  analogen  Beobachtungen  der  einzige,  der  ge¬ 
rettet  wurde,  hdi  möchte  Brunner  nicht  beistimmen,  der 
meint,  daß  unter  allen  Umständen  die  Wunde  zu  öffnen 
sei.  Sieht  dieselbe  nicht  Amrdächlig  aus  und  sind  im  übrigen 
die  Zeichen  der  intraperitonealen  Verletzung  Amrhanden,  so 
führt  die  Laparotomie  zum  Ziel,  ohne  daß  die  Radikalheilung 
des  Bruches  gestört  wird.  Bei  unserer  Patientin  kam  es  zur 
vollständigen  Heilung  per  primam  an  Ort  und  Stelle  der 
1 1  adikaloperation. 

Der  rechtzeitige  Verschluß  der  inlraperitojiealen  Blasen- 
perforaiion  gibt  eiiu'  gute  Prognose,  da  Serosaflächen  aum-- 
wendet  werden  köiimm.  Hervorbeben  möchten  ich  noch 
die  in  unserem  Falle  beobachlete  beträchtliche  Blyperleuko- 
zytose,  die  durch  mehrfache  Zählungen  bestätigt  Avurde. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Literatur: 

Bezüglich  der  Literatur  über  Brucheinklemmung  des  Pro¬ 
cessus  vermiformis  verweise  ich  auf  die  zusammenfassenden  Arbeiten 
von:  Brieger,  Die  Hernien  des  Processus  vermiformis.  Archiv  für  klin. 
Chirurgie,  Bd.  45,  S.  892.  —  Barth,  Heber  Brucheinklemmung  des 

Processus  vermiformis.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  63, 
S.  149.  —  Ho  ns  eil,  Heber  die  isolierten  Brucheinklemmungen  des 

Wurmfortsatzes.  Bruns  Beiträge,  Bd.  37,  S.  208.  —  Wassiljew,  Heber 
Appendizitis  in  Inguinalhernien  bei  Männern.  Archiv  für  klin.  Chirurgie, 
Bd.  73,  S.  179  —  0.  Sprenge],  Appendizitis.  Deutsche  Chirurgie, 

Bd.  46  d,  Enke  1906,  S.  69  und  458.  —  Ferner  auf  die  zitierten  neueren  Mit¬ 
teilungen  von:  Körte,  Freie  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins.  Sitzung 
vom  11.  März  1901.  Deutsche  med.  Wochenschrift  1901,  V.-B.,  Nr.  23,  S.  176. 

—  Tailhefer,  Elranglement  de  Pappendice  dans  le  canal  crurale.  Congres 
fran^.  de  chir.  1901.  Rev.  de  chir.  1901,  p,  567.  —  Berger,  Bull,  et 
mem.  de  la  soc.  de  chir.  Paris.  Sitzung  vom  28.  November  1900,  p.  1066. 

—  Bougie  et  Dartigues,  Hernie  crurale  droile  4tranglee  renferment 
Pappendice  etc.  Bull,  et  mem.  de  la  soc.  anat.  Paris.  Jänner  1900.  — 
E.  Lindström,  Hernia  crur.  gangr.  proc.  vermif.  Hygiea,  Bd.  42,  p.l76; 
ref.  Hildebrands  Jahresb.  1900,  S.  677.  Bake,  Strangulation  of  veimiforme 
appendix  in  right  femoral  ring.  Annals  of  surg.  1902.  —  Quenu,  Hernie 
crurale  de  Pappendice  ötranglöe.  Exam,  histologique.  Bull,  et  mem.  de  lasoc.  de 
chir.  Paris  1903.  Sitzung  vom  15.  Juli,  S.  801.  —  Neu  haus.  Zur 
Kenntnis  der  Perityphlitis.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  69,  S.  1. 

—  Ricon,  Hernie  crur.  droite  appendice  etrangl^e.  Bull,  et  möm.  de 
la  soc.  anat.  1905,  p.  96.  —  Duigon,  Etranglement  de  Pappendice  etc. 
Journ.  de  med.  et  de  chir.  prat.  1905,  Nr.  23.  —  Bar  bat,  Strangulated 
femoral  hernie  containing  appendix.  The  journal  of  the  Am.  med.  Ass. 
27.  Februar  1904.  —  T  apie,  De  Pelranglement  dans  la  hernie  de  Pappendice. 
Arch.  prov.  de  chir.  1904,  Nr.  8;  ref.  Hildebrands  Jahresb.  1904,  S.  741. 

—  Sprengel,  Zur  Diagnose  der  Wurmfortsatz-Einklemmung.  Deutsche 
Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  72,  Heft  1/2.  —  Levy,  Complicalion  des 
hernies  de  Pappendice.  Arch.  prov.  de  chir.  1903,  Nr.  7 — 9;  ref. 
Hildebrands  Jahresb.  1903,  S.  733.  —  Staatsmann,  Drei  Fälle  von 
primärer  Einklemmung  des  Wurmfortsatzes.  Münchener  med.  Wochen¬ 
schrift  1904,  Nr.  14.  Heber  Einklemmung  des  Wurmfortsatzes.  Diss. 
Heidelberg,  April  1904. —  Eine  erschöpfende  Literaturangabe  über  Blasen¬ 
brüche  bis  1901  findet  sich  bei:  Alessandri,  La  hernie  de  la  vessie. 
Annales  des  mal  des  org.  gen.-ur.  1901,  p.  25. —  Ferner:  Tailhefer, 
Cystocele.  Congres  fran^.  de  chir.  1901.  Rev.  de  chir.  1901,  Nr.  11. —  Becker, 
Heber  inguinale  Blasenbrüche.  Bruns  Beiträge,  Bd.  23,  S.  167.  —  Lücke, 
Heber  die  extraperitoneale  Blasenhernie.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie, 
Bd.  80,  S.  574.  —  Abadie,  Cystocele  crur.  ötranglee.  Bull,  et  mem. 
de  la  soc.  anat.  de  Paris.  Sitzung  vom  7.  Juli  1905,  S.  617.  —  0.  Zucker- 
kandl.  Die  Hernien  der  Blase.  In  Handbuch  der  Hrologie,  Bd.  2,  S.  589. 

Aus  der  II.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien. 

(Vorstand:  Hof  rat  Professor  Dr.  Julius  Hochenegg.) 

Ein  Fall  von  Stieltorsion  eines  sarkomatös 
degenerierten  Bauchhodens. 

Von  Dr.  Jalius  Boese,  Operationszögling. 

Der  nachstcliend  Ijeschriebeiie  Fall  bietet  in  mehrfacher 
Hinsicht  großes  chirurgisches  Interesse. 

A.  Z.,  38jähriger  Lehrer,  Vater  von  sechs  lebenden 
Kindern,  wurde  am  22.  FeJjruar  d.  J.  auf  die  Klinik  auf¬ 
genommen.  Er  war  bis  vor  sieben  Monaten  vollständig  ge¬ 
sund.  Zu  dieser  Zeit  traten  spontan  starke,  kolikarlige 
Schmerzen  in  der  litdeen  Unterbauchgegend  auf,  welche  mit 
wechselnder  Intensität  vier  Tage  anhielten  und  ihn  ans 
Bett  fesselten.  Die  Schmerzen  gingen  auf  symptomatische 
Behandlung  zurück.  Irn  Anschlüsse  hieran  bemerkte  Patient 
eine  Uesclnvidst  in  der  linken  Unterbauchgegend,  welche 
bestehen  blieb.  Gleiche  kolikartige  Schmerzanfälle  wieder¬ 
holten  sich  in  der  Folge  noch  zweimal,  das  letztemal  vor 
sieben  Wochen  und  nach  jedem  derartigen  Anfälle  bemerkte 
der  Kranke  eine  Größenzunahme  der  beim  ersten  Anfall 
konstatierten  'Geschwulst. 

Beschwerden  von  seiten  des  Harnapparates  sowie  des 
Darmtraktes  bestanden  auch  während  der  Anfälle  nicht. 
A'ur  das  Bewußtsein,  eine  Geschwulst  zu  haben  und  die 
Angst  vor  Wiederholung  der  geschilderten  Schmerzanfälle 
veranlaßten  den  Patienten,  unsere  Klinik  aufzusuchen. 

Bei  der  Aufnahme  des  kräftigen,  den  Eindiaick  eines 
gesunden  Älannes  machenden  Kranken  bot  sich  folgender 
Befund : 

Herz  und  Lunge  normal.  Bei  der  Inspektion  des  im 
großen  ganzen  uider  dem  ''l’horaxniveaii  liegenden  Bauches 
fiel  im  Unter  bauch  eine  deutlich  sichtbare,  respiratorisch 
sich  nicht  verschiebende  Vorwölbung  auf.  Dieser  ent¬ 
sprechend  lastete  man  hinter  den  Bauchdecken  einen  gut 
abgrenzbaren,  kindskopfgrüßen,  glatten,  kugeligen  Tumor 


von  derber  Konsistenz,  der  nach  rechts  bis  zwei  Querfinger 
über  die  Mittellinie,  nach  links  bis  an  die  Spina  anterior 
superior  ossis  ilei,  nach  oben  bis  knapp  an  die  Nabelhori¬ 
zontale  reichte.  Der  untere  Pol  der  Geschwulst  ragte  ins 
kleine  Becken  und  war  mit  dem  ins  Rektum  eingeführten 
Finger  hoch  oben  zu  erreichen.  Der  Tumor  ließ  sich  nach 
allen  Richtungen  hin  verschieben.  Der  Perkussionsschall 
über  der  Geschwulst  war  gedämpft  tympani tisch,  so  daß 
angenommen  werden  konnte,  daß  der  Tümor  größtenteils 
von  lufthaltigen  Darmschlingen  überlagert  sei. 

Der  klinische  Befund  entsprach  also  annähernd  dem 
eines  Nierentumors,  da  aber  die  Untersuchung  des  Skrotums 
ergab,  daß  dasselbe  nur  den  rechten  Testikel  enthielt  und 
der  linke  nirgends  sonst  nachzuweisen  war,^)  so  mußte 
die  vorhandene  Geschwulst  als  maligner  Tumor  des  im 
Bauch  retinierten  Hodens  angesprochen  werden. 

Die  am  27.  Februar  durch  Hofrat  Hochenegg  vor¬ 
genommene  Operation  bestätigte  die  Richtigkeit  dieser  An¬ 
nahme,  lieferte  aber  überdies  einen  überraschenden  Befund : 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  ließ  sich  der  Tumor, 
der  mit  keinem  einzigen  der  Nachbarorgane  verwachsen 
war,  ungemein  leicht  vorwälzen,  da  er  nur  rückwärts  an 
einem  kurzen  Stiel  hing.  Das  S-Romanum  war  durch  die 
Geschwulst  medialwärts  verdrängt  worden.  Der  Stiel  der 
Geschwulst  entsprang  an  der  hinteren  Baucliwand  in  der 
Höhe  der  Linea  terminalis  lateral  vom  Sigma  und  war  um 
180°  entgegen  dem  Sinne  des  Uhrzeigers  gedreht.  Dieser 
Stiel  hatte  einen  Durchmesser  von  iVr  cm  und  in  detor- 
quiertem  Zustande  eine  Länge  von  6  cm.  Tumor  und  Stiel 
waren  allenthalben  mit  glatter  Serosa  bekleidet. 

Nach  Unterbindung  des  Stieles  an  seiner  Basis  in 
mehreren  Partien  wurde  die  1100  g  schwere  Geschwulst 
abgetragen.  Die  Bauchdeckennaht  beschloß  den  Eingriff, 
der  sich  recht  einfach  gestaltet  hatte  und  von  einem 
reaktionislosen  AVundverlauf  gefolgt  war. 

Die  histologische  Untersuchung  des  Tumors  zeigt  viele 
kleine,  unregelmäßig  verteilte,  nekrotische  Partien,  zwischen 
welchen,  sehr  häufig  um  kleine  Gefäße  gruppiert,  dieTümor- 
zellen  in  rundlichen  Flaufen  liegen.  Die  Anordnung  der¬ 
selben  ist  bald  mehr,  bald  weniger  alveolär,  indem  bald 
dickere,  bald  dünnere  ßindegewebsbalken  die  einzelnen 
Tumorzellhaufen  trennen.  Die  Zellen  selbst  sind  meist  von 
rundlicher  Form  und  haben  einen  den  größten  Teil  der 
Zelle  ausfüllenden  Kern.  In  vielen  Zellen  typische  und 
atypische  Kernteilungsfiguren. 

Allenthalben  sieht  man  zwischen  den  Zellen  feinste 
Bindegewebsfasern  hineinziehen.  Normales  Hoden-  und 
Nebenhodengewebe  ist  nirgends  nachweisbar. 

D  i  a  g  11  o  s  e :  Alveoläres  Rundzellensarkom. 

Im  Stiele  des  Tumors  zellarmes,  teilweise  von  Feit 
durchsetztes  Bindegewebe,  viele  weite,  zum  Teil  mit  Blut 
gefüllte,  venöse  und  arterielle  Räume. 

Ein  normales  Vas  deferens  läßt  sich  nicht  nachweisen, 
dagegen  sieht  man  glatte  Muskulatur,  die  ihrer  Anordnung 
nach  der  Muskulatur  des  Samenstranges  entspricht,  mit 
einem  Lumen,  das  jedoch  keine  Epithelauskleidung  zeigt. 

Die  histologische  Untersuchung  ergab  also  eine  Be¬ 
stätigung  der  klinischen  Diagnose,  daß  eine  maligne  De¬ 
generation  eines  Bauchhodens  vorliege. 

Insofern  wäre  an  dem  Fall  nichts  Besonderes,  wissen 
wir  ja,  daß  der  retinierte  Hoden  mit  Vorliebe  maligne  ent¬ 
artet.  Das,  was  den  Fall  bemerkenswert  macht,  ist  die 
Stielnng  des  aus  dem  Bauchtestikel  hervorgegangenen 
Tumors  und  die  Slieltorsion  desselben.  Der  Fall  erleichtert 
das  Verständnis  eines  von  Hofrat  Hochenegg  vor  Jahren 
beobachteten  und  mitgeteilten,  damals  angezweifellen  Be¬ 
fundes. 

Es  hajidelle  sich  um  einen  41jährigen  Kaufmann,  i'echts- 
seitigen  Kryptorchen,  der  am  25.  Oktoher  1897  wegen  Uarm- 
verschlusses  von  Hochenegg  operier!  wurde.  Nacli  Er¬ 
öffnung  der  Bauchhöhle  oherhalh  des  Leistenkanales  fand  sich 
der  atrophische  Testikel  im  Winkel  zwischen  Ileum  und  Cökum 

b  Der  Kranke  wußte  von  frühester  Jugend,  daß  nur  der  eine 
Hode  vorhanden  war. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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vorgelrcien.  Er  war,  das  Periioiiemn  nach  sich  ziehend,  nacli 
abwärts  gerückt,  so  daß  ein  Stiel,  der  drehninde  Sanienslrang, 
das  Ileuin  kreuzte  und  J'ünnlich  abschnürte.  Das  höher  gelegene 
lleuni  war  mächtig  gebläht,  das  unterste  lleuin  und  Cökum  hin¬ 


gegen  leer.  Hochenegg  exstirpierte  unter  Abbinden  und 
Durchlrennung  des  Samenstranges  den  Testikel.  Es  lag  aber  ein 
Kombinationsileus  vor,  bedingt  durch  ein  Karzinom  am  Ende 
des  Querkolons,  das  eine  Woche  später  zweizeitig  reseziert  wurde. 
Der  Kranke  ist  geheilt  geblieben  und  befindet  sich  andauernd  wohl. 

Nicoladoni  hat  darauf  hingewiesen,  daß  Leisten- 
testikel,  wie  überhaupt  Testikel,  die  in  einem  angeborenen 
Bruchsack  liegen,  wie  ,,eine  Frucht  am  Stiele“  hängen 
können. 

Das  gleiche  Verhalten  können  aber  auch,  wie  die 
beiden  Ho  diene  ggschen  Fälle  und  ein  Fäll  von  Holl 
beweisen,  im  Bauchraum  retinierte  Hoden  zeigen.  Dieser 
Autor  fand  nämlich  an  einer  Leiche  deu  linken  Hoden,  topo¬ 
graphisch  wie  im  Ovarium  gelegen,  auf  einer  Peritoneal¬ 
falte,  welche  vom  Mesenterium  der  Flexura  sigmoidea  zur 
hinteren  Blasenwand  zog,  liegen.  Den  medialen  freien 
Blasenrand  überragte  er  zur  Hälfte,  so  daß  diese  Partie 
frei  in  die  Beckenhöhle  hinabhing.  Diese  Stielung  kann, 
wie  die  drei  Fälle  zeigen,  zu  folgeschweren  Ereignissen 
führen,  zur  Strangulation  des  Darmes  und  zar  Stiel¬ 
torsion. 

Der  Stiel  kann,  wie  jeder  intraabdominal  gelegene 
Strang,  zur  Strangulation  des  Darmes  führen,  die  noch 
leichter  eintreten  könnte,  wenn  vielleicht  der  Testikel  sekun¬ 
där  irgendwo  anwächst  und  so  zwischen  ihm  und  der 
hinteren  Bauchwand  ein  mehr  oder  minder  gespanntes  Band 
verläuft.  Auch,  daß  sich  aus  dem  Samenstrang,  an  dessen 
Ende  der  Testikel  frei  pendelt,  eine  Schlinge  bi’den  kann, 
erscheint  gut  denkbar,  so  wie  man  es  analog  bei  frei  pen¬ 
delnden  Me  ekel  sehen  Divertikeln  beohachtet  hat. 

In  unserem  Falle  war  es  zur  Stieltorsion  des  aus 
dem  Bauchhoden  entstandenen  Tümors  gekommen,  ebenso¬ 
gut  könnte  auch  ein  frei  im  Bauchraiun  pendelnder  Testikel 
eine  Stieltorsion  erleiden  und  ein  ähnlich  stürmisches  Krank¬ 
heitsbild  hervorrufen,  wie  die  Stieltorsion  eines  außerhalb 
der  Bauchhöhle  liegenden  Hodens  oder  etwa  einer  Ovarial- 
zyste,  einer  Wandermilz. 

Die  Torsion  in  unserem  Falle  mag  —  wie  Payr  dies 
für  Stieltorsionen  überhaupt  annimmt  —  durch  Druck¬ 
differenzen  in  den  Gefäßen  des  Stieles,  stärkere  Füllung 
und  dadurch  bedingte  Schlängelung  der  Venen  eingeleitet, 
durch  Bewegungen  des  Kranken,  Bewegungen  der  Nach¬ 
barorgane,  Blase  und  Darm,  gesteigert  worden  sein. 

Die  durch  Stieltorsion  eines  Bauchbodens  ausgelösten 
Erscheinungen  werden  natürlich,  je  nach  dem  Grade  der 
Torsion,  verschieden  sein  und  bei  plötzlicher  und  hoch¬ 
gradiger  Torsion  gewiß  ungemein  stürmisch  verlaufen.  In 
unserem  Falle  betrug  die  Torsion  nur  180°,  deshalb  blieben 
sowohl  besonders  stürmische  Erscheinungen  als  auch 
schwere  Ernährungsstörungen  aus.  Als  Ausdruck  der  letz¬ 


teren  fanden  sich  am  Tumor  bloß  starke  ötlematöse  Durch¬ 
tränkung  und  Nekrosen  vor. 

Immerhin  dürften  die  kolikaiiigen  S(dimerzen,  von 
denen  die  Anamnese  berichtet,  und  das  danach  beobachtete 
Wachstum  der  Geschwulst  als  Symptome  der  eingelretenen 
Stieltorsion  aufzufassen  sein. 

Die  Fälle,  in  denen  ein  ektopischer  Hoden  maligne 
degeneriert,  gehören  nicht  zu  den  Seltenheiten.  Die  Stie!- 
iorsion  eines  sarkomatös  degenerierten  Bauchhodens  ge¬ 
hört  aber  zu  den  größten  Raritäten,  in  der  Literatur  ist 
nur  ein  einziger  derartiger  Fall  beschrieben  und  verdient 
gewiß  wegen  der  sich  aus  einem  solchen  Falle  ergebenden 
Komplikationen  großes  Interesse. 

Literatur. 

Gers  t  er,  Sarcoma  of  retaired  testicle  with  twisted  pedicle 
Ann.  of  surg.  1898.  —  Hochenegg,  Wiener  klin.  Woclienschr.  1897, 
Nr.  51.  —  H  0  1 1,  Wiener  med.  Jahrbücher  1880.  —  Nicoladoni,  Archiv 
f.  klin.  Chir.  B.  31.  —  P  a  y  r,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.  1906,  B.  85 

Aus  der  Chirurg.  Abteilung  des  Spitals  der  Wiener 
Allgem.  Poliklinik.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  Alex.  Fraenkel.) 

Beiträge  zur  Behandlung  der  Laugenver¬ 
ätzungen  der  Speiseröhre. 

Von  Dr.  Alfred  Baß,  Assistenten  der  Abteilung. 

Die  Laugenverätzung  der  Speiseröhre  gehört  leider 
zu  den  häufigsten  Verletzungen  dieses  Organs  und  jedes 
größere  chirurgische  Ambulatorium  verfügt  über  eine  mehr 
oder  minder  stattliche  Zahl  beobachteter  Fälle.  Die  Auf¬ 
stellung  einer  Statistik  kann  ich  um  so  eher  unterlassen, 
als  gerade  aus  unserer  Abteilung  eine  ausführliche  Publi¬ 
kation  Ludwig  Telekys  hervorgegangen  ist,  in  welcher 
die  wichtigsten  statistischen  Daten  der  Literatur  verarbeitet 
erscheinen. 

Ich  kann  mich  also  hier  begnügen,  als  Unterbau  für 
die  späteren  Ausführungen  über  die  Therapie,  das  WTch- 
tigste  über  Klinik  und  Anatomie  dieser,  in  ihren  Anfangs-, 
wie  in  ihren  Folgeerscheinungen  gleich  schrecklichen  Ver¬ 
letzung,  kurz  zu  rekapitulieren. 

Aetzlauge  —  u.  zw.  vorwiegend  N^atronlauge  —  ist 
allgemein  verkäuflich  und  wird  insbesondere  in  den  Haus¬ 
haltungen  der  ärmeren  Klassen  zum  Scheuern  der  Dielen 
und  zur  Wäschereiniguug  benützt.  Bei  der  großen  Acht¬ 
losigkeit  in  der  Hanlierung  —  Stehenlassen  in  offenen 
Flaschen,  selbst  in  Wassergläsern  —  bilden  das  Haupt¬ 
kontingent  der  Verätzungen  die  zufälligen  und  hier  sind 
es  meist  Kinder,  welche  der  Fahrlässigkeit  zum  Opfer  fallen. 

Seltener  sind  schon  Selbstmorde  und  vollends 
Morde  mit  Lauge  gehören  zu  den  allergrößten  Raritäten. 
Kolisko  und  Hofmann  wissen  bei  dem  großen  ge¬ 
richtlichen  Obduktionsmaterial  AViens  nur  von  zwei  Morden 
dieser  Art  zu  berichten.  Die  klinischen  Erscheinungen  sind 
äußerst  stürmische:  heftiges  Würgen,  Erbrechen  stark  alka¬ 
lischer,  erst  später  blutiger  (braun  bis  schwarzbraun  ge¬ 
färbter  Massen),  quälendster  Durst  bei  vollkommener  Un¬ 
möglichkeit  des  Schluckens,  Anurie,  blutige  Stühle,  Tod 
im  Kollaps,  hei  Kindern  oft  unter  rapid  einsetzenden  pneu¬ 
monischen  Erscheinungen.  Bei  der  Obduktion  rasch  ab¬ 
gelaufener  Fälle  findet  man  das  Epithel  der  Mundhöhle, 
des  Rachens  und  des  Oesophagus  grau  verfärbt,  getrübt, 
gequollen,  die  oberen  SchichteJi  der  Schleimhaut  ebenfalls 
mißfarbig  und  mehr  oder  weniger  gequollen.  Die  Intensität 
der  Veränderungen  nach  Ausdehnung  und  Tiefe  variiert  je 
nach  der  Konzentration  der  Lauge,  der  Dauer  der  Anwen¬ 
dung,  der  Art  der  Einverleibung  und  —  bis  zu  einem  ge¬ 
wissen  Grad  —  nach  der  individuellen  Eanpfindlichkeit.  Die 
schwersten  Veränderunge]i  findet  man  beim  Selbstmord; 
hier  ist  auch  der  Magen  am  stärksten  beteiligt,  wälirend 
bei  zufälliger  Einverleibung  ausschließlich  Mund,  Pharynx, 
Oesophaguseingang  und  die  oberen  Luftwege  in  Mitleiden¬ 
schaft  gezogen  werden.  i 

Uebersteht  der  Verletzte  die  ersten  schweren  Tage 
und  war  die  Verätzung  keine  allzu  intensive,  dann  wird, 
bei  ganz  oberflächlich  gebliebener  Verschorfung,  die  Epithel¬ 
decke  in  Fetzen-  oder  auch  in  Röhrenform  abgestoßen,  ohne 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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daß  sonstige  Folgen  einträten  (sehr  selten).  Gewöhnlich 
aber  geht  die  Aetzung  an  einzelnen  umschriebenen  Stellen, 
oder  auch  ausgedehnt,  durch  die  ganze  Tiefe  der  Mukosa, 
manchmal  selbst  durch  die  ]\fuskularis.  An  der  Grenze  des 
Xekrotischcn  tritt  eitrige,  demarkierende  Entzündung  auf, 
welche  seihst  als  korrodierende  Ulzeration  wiederum  die 
Grenze  des  Organs  überschreiten,  zu  periösophagealer 
Iviterung  nach  dem  ]\Iediaslinum  zu  und  mit  oder  ohne 
Perforation  zu  Pleuritis,  Perikarditis,  oder  zur  Bildung  öso- 
phagolracdiealer  oder  ösophagobronchialer  Fisteln  führen 
kann.  In  den  leichtesten  Fällen  kommt  es  endlich  nach 
Abstoßung  des  A^ekrotischen  zur  Heilung  durch  Vernarbung 
mit  Bildung  von  Strikturen. 

Die  Prognose  ist  eine  sehr  traurige,  v.  Hacker  be¬ 
rechnet,  daß  an  den  direkten  Folgen  der  Laugenverätzung 
ein  Viertel  der  Kranken  stirbt,  von  den  überlebenden  behält 
die  Hälfte  schwere,  die  übrigen  leichte,  nur  sehr  wenige 
gar  keine  Strikturen.  Von  den  mit  Striktur  Ueberlebenden 
aber  erliegt  noch  mindestens  der  dritte  Teil  den  Folgen 
derselben. 

Die  Therapie  besieht  im  Anfang,  abgesehen  von 
der  ziemlich  illusorischen  Darreichung  schwacher  Säuren 
(Zitronensaft,  Essig)  in  rein  symptomatischen  Hilfe¬ 
leistungen:  Darreichung,  bzw.  Applikation  von  Eis,  Nar- 
kolizis,  Ifxzitantien,  Rektalernährung,  später  Darreichung 
flüssiger  Nahrung. 

Erst  nach  dem  Abklingen  der  stürmischen  Erschei¬ 
nungen,  wenn  kein  Blut,  kein  Eiter  im  Erbrochenen  oder 
im  Sputum  nachweisbar  ist,  also  kaum  vor  Ablauf  der  dritten 
bis  vierten  Woche  nach  der  Verätzung,  tritt  an  uns  die 
Sorge  um  die  fernere  Gestaltung  des  Schicksals  des 
Patienten  heran. 

In  diesem  Sinne  hat  Vlaydl  angeraten,  schon  früher 
aktiv  einzugreifen  und  durch  primäre  Gastrostomie  einerseits 
den  Oesophagus  vollkommen  ruhig  zu  stellen,  anderseits  eine 
reichliche  Ernährung  des  Kranken  zu  gewährleisten.  Allein 
dazu  wird  man  sich  bei  den  ganz  schweren,  von  vorneherein 
verloren  scheinenden  Fällen  kaum  entschließen  und  bei 
den  leichteren  wird  uns  die  Hoffnung  auf  einen  auch  ohne 
Operation  möglichen  günstigen  Ausgang  zum  Zuwarten  ver¬ 
anlassen.  So  beschränkt  denn  auch  v.  Hacker  die  Anzeige 
für  primäre  oder  frühzeitige  Gastrostomie  auf  Fälle  von 
beträchtliclier  Abstoßung  mortifizierter Teile  des  Oesophagus, 
von  komplettem,  entzündlichen  Verschluß  desselben  und 
auf  jene  Fälle,  wo  man  aus  dem  wiederholten  Hervorwürgen 
Idutigeitriger  Massen  den  Durchbruch  eines  periösophage- ' 
alen  Abszesses  erschließen  muß. 

Welche  Direktiven  aber  bestimmen  unser  therapeuti¬ 
sches  Handeln,  wenn  wir  nicht  zur  Frühgastrostomie  ge¬ 
zwungen  waren  ? 

Für  die  wichtigste  Indikation  halten  wir  die  Ver¬ 
hütung  der  Strikturbildung. 

Dem  Vorschlag  Gersunys,  bald. nach  der  Verätzung 
ein  weiches  Schlundrohr  einzuführen,  steht  eine  Reihe  von 
Bedenken  entgegen.  Erstlich  müßte  das  Rohr  ja  viele  Wochen 
li(^gen  bleiben.  Damit  aber  ist  vor  allem  jene  Gefahr  ver¬ 
bunden,  welche  jeder  langandauernde,,  elastische  Druck  mit 
sich  bringt:  Dekubitus  sowohl  im  Oesophagus  als  auch 
insbesondere  am  Kehlkopfeingang,  infolge  des  Dekuhitus 
Blutungen,  Verschwärungen,  dahei  die  permanente  Sekret- 
retcMition  mit  all  ihren  Gefahren  (periösophageale  Phleg- 
mune  etc.)  und  der  unausbleibliche  Schmerz.  So  bleibt 
denn  nur  die  methodisch  geül)l(‘  intermittierende  Bou- 
gi(U'ung. 

Sowohl  der  Internist  Kraus  als  auch  der  Chirurg 
V.  Hacker  stiminen  darin  überein,  daß  man  vorAblaufvon 
dr(M  bis  vier  AVochen  Sondierungen  unterlasscni  soll.  Freilich 
gibt  ('S  auch  leichtere  Fälle  —  und  einige*  uns(‘ier  Kranken- 
gi*schichl(‘n  werden  dies  erweisen  —  wo  auch  ohne  Schaden 
füi‘  den  Kranken  früher  mit  der  Bougierung  hegonnen 
werden  kann. 

Das  frühzeitige  Einsetzen  der  Bougierungshehandlung 
hat  den  großen  Vorteil,  daß  man  mit  dicken,  weichen 


Sonden  arheiten  kann,  mit  denen  kaum  jemals  ein  Unheil 
angerichtet  zu  werden  vermag  und  daß  man  —  genügend 
lange  Fortsetzung  und  konsequente  Durchfühianig  der 
Sondenkur  vorausgesetzt  —  nicht  nur  in  der  Lage  ist,  die 
Spätstriktur  mit  allen  ihren  Gefahren  zu  vermeiden,  sondern 
auch  den  Patienten  in  sehr  günstigen  Ernährungs Verhält¬ 
nissen  zu  erhalten,  da  ja  durch  den  gedehnten  Oesophagus, 
nach  Abklingen  des  übrigens  nicht  immer  argen  Sondierungs¬ 
reizes,  ausreichend  Nahrung  passieren  kann. 

Kommen  also  die  Patienten  —  es  sind  fast  durch¬ 
wegs  Kinder  —  sehr  früh  nach  geschehenem  Unfall  in 
unsere  Beobachtung,  so  beginnen  wir  oft  schon  zu  Anfang 
der  dritten  Woche  mit  der  Sondierung,  jedenfalls  aber  vor 
Eintritt  der  Erecheinungen  der  Striktur.  Wir  bedienen  uns 
hiezu  bei  Kindern  einer  Art  von  Sonden,  welche  in  einem 
Mantel  aus  gefirnißtem  Geweihe  einen  Kern  von  ineinander 
verflochtenen  Bleidrähten  besitzen.  Diese  Sonden  sind  sehr 
weich,  vollkommen  biegsam  und  wirken  dabei  durch  ihr 
hohes  Gewicht  stärker  dilatierend,  ähnlich  wie  die  seinerzeit 
von  Billroth  angewandten,  quecksilbergefüllten  Sonden. 

Die  Sondie^-ung  wird  anfangs  täglich  und  für  kürzere 
Zeit,  si)äter  in  zwei-,  drei-  bis  siebentägigen  Intervallen 
und  in  der  Dauer  von  einer  halben  Stunde  und  darüber 
vorgenommen.  Die  Reizerscheinungen,  namentlich  aber  die 
Nachschnierzen  scheinen  hiebei  äußerst  geringe  zu  sein; 
kaum  daß  jemals  eine  Klage  geäußert  wird,  meistens  aber 
essen  die  kleinen  Patienten  kurz  nach  der  Sondierung  ohne 
Klage.  Unsere  bisherigen  Erfahrungen  sprechen  ganz  ent¬ 
schieden  für  die  von  uns  geübte  Frühbehandlung,  welche 
jedoch  regelmäßig  und  lange  genug  durchgeführt  werden  muß. 

Fall  1.  A.  Sch.,  3V2  Jahre  alt,  am  14.  Oktober  1906  Ver¬ 
ätzung  mit  Lauge.  16.  bis  21.  Oktober  Spitalsaufentlialt.  Gewicht 
12-3  kg.  Am  2.  November  1906  Bleibougie  Nr.  6;  am  3.  November 
1906  Bleibougie  Nr.  10;  am  7.  November  1906  Bleibougie  Nr.  20. 
Die  Bougies  passieren  ohne  jeden  Widerstand.  Bougierung  anfangs 
dreimal,  dann  zweimal,  seit  Mitte  Februgr  nur  einmal  wöchentlich. 

2.  März,  fßt  ohne  Wahl  alles  ohne  die  geringsten  Schluck- 
scluvierigkeiten.  Gewicht  13-02  kg. 

Fall  2.  F.  P.,  2V2  Jahre  alt,  verätzt  mit  Lauge  am  17.  No¬ 
vember  1906.  In  Behandlung  gekommen  4.  Dezember  1906. 
Schluckt  nur  Flüssigkeiten;  hei  großen  Bissen  äußert  er  Schmerzen, 
welche  in  den  Bauch  verlegt  werden,  schluckt  aber  gut.  Wiegt 
12-27  kg.  Bleibougie  Nr.  20  passiert  leicht. 

Bis  zum  28.  Dezember  ausgeblieben.  Die  erstgebrauchte 
Bougie  bleibt  in  der  Höhe  der  Bifurkation  stecken.  Dünnere 
Bougie  (16)  passiert  leicht.  3.  Januar  1907 :  Nr.  23  passiert 
leicht;  zweimal  wöchentlich  bougiert. 

2.  März.  Ißt  alles  ohne  Anstand;  wiegt  12-95  kg. 

Fall  3.  V.  T.,  3  Jahre  alt,  am  30.  November  1906  Lauge 
getrunken.  '  ; 

28.  Dezember.  Schluckt  nur  Suppe,  Milch  und  in  Milch 
erweichte  Semmel ;  Bleibougie  Nr.  20  passiert,  zweimal  wöchent¬ 
lich  bougiert. 

8.  Februar.  Ißt  Semmel,  Fleisch  etc. 

3.  März.  In  letzter  Zeit  unregelmäßig  erschienen.  Nr.  20 
nicht  durchzubringen,  Nr.  15  passiert. 

In  Fall  1  hatte  also  die  Bougierung  am  18.,  in  Fäll  2 
am  17.  Tage  nach  der  Verätzung  eingesetzt,  bei  beiden 
ohne  jede  Unzukömmlichkeit ;  Fall  3,  bei  welchem  die  Bou¬ 
gierung  erst  in  der  vierten  IVoche  begonnen  hatte,  scheint 
im  allgemeinen  weniger  günstig  zu  Amrlaufen  und  stärkere 
Neigung  zur  Narbensebrumpfung  zu  besitzen. 

Nicht  immer  jedoch  glückt  es,  die  Fälle  so  zeitig  in 
Behandlung  zu  bekommen,  dann  stehen  wir  eben  vor  aus¬ 
gebildeten  Strikturen  aller  Grade,  bis  zu  Verengerangen, 
welche  kaum  die  alh'rfeinslen  Sonden  passieren  lassen; 
selhstverständlich,  daß  dann  auch  der  Patient  alle  .Ab- 
slufungen  der  Inanition  aufweist. 

Die  Aetzstriktnren  sind  nicht  immer  ringförmig,  mit- 
unler  nehmen  sie  nur  einen  Teil  der  Zirkumferenz  ein, 
förmliche  Klappen  hildend,  auch  sind  sie  in  ihrer  Längen- 
ausdehnimg  recht  verschieden.  Ueherdies  Ireten  sie  —  ent¬ 
sprechend  den  physiologisch(*n  Engen  (Bifurkalion,  Kardia) 
des  Oesophagus  meist  nmltipel  auf,  was  natürlich  die 
Verhältnisse  für  den  Patienh'ii,  wie  für  die  Behandlung 
noch  ungünstiger  geslaltel. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Demi  ill  erster  Reihe  besieht  die  Gefahr  häufigen 
Steckenbleibens  von  Fremdkörpern,  welche  teils  direkt,  teils 
durch  die  zu  ihrer  Entfernung  nötigen  Eingriffe,  schwere 
Schädigungen  zu  setzen  vermögen.  Sodann  bildet  die  Bou¬ 
gierung  eine  hervorragende  Gefahr  für  den  Patienten,  da 
man  ja  in  diesem  Stadium  oft  gezwungen  ist,  mit  den 
feinsten  und  darum  gefährlichsten  Sonden  zu  beginnen.  Da 
fordern  denn  Perforationen,  sei  es  direkt  durch  die  Sonde, 
sei  es  durch  Fremdkörperulzerationen  veranlaßt,  falsche 
Wege,  infizierte  Schleimhautrisse  mit  ihren  Folgen,  den 
Periösophagealplilegmonen,  reichliche  Opfer.  Die  Per- 
toratioiien  führen  je  nach  der  Richtung,  in  welcher  sie  er¬ 
folgten,  zu  Pleuritis,  Mediastinitis,  Perikarditis,  purulenter 
Bronchitis,  Lungengangrän.  Aber  selbst  ohne  Perforation 
können  schon  oherflächliche,  durch  forcierte  Dilatation  er¬ 
zeugte  Sclileimhautrisse  und  Epithelahschürfungen,  zu  töd¬ 
lichen  Phlegmonen  führen. 

Und  ist  man  all  diesen  Gefahren  entronnen,  hat  man 
den  Patienten  ohne  Unfall,  ohne  Fieberbewegungen  nach 
langer  mühsamer  Behandlung  so  weit  gebracht,  daß  eine 
dicke  Bougie  die  Kardia  passiert  und  jede  Sorte  Nahrung 
genommen  werden  kann,  dann  droht  erst  noch  relativ  häufig 
nach  Aussetzen  der  Behandlung  die  Gefahr  eines  Rezidives. 

Relativ  günstiger  ist  die  Prognose  der  Behandlung  hei 
Kindern;  erstens,  weil  ja  doch  nur  die  leichteren  Fälle  mit 
dem  Lehen  davonkommen  und  zweitens,  weil  die  Sonden¬ 
dilatation  durch  das  natürlicJie  Wachstum  unterstützt  wird. 

So  sehen  wir  uns  denn  oft  genug  gezwungen,  sei  es 
wegen  vorgeschrittener  Aushungerung  des  Kranken,  sei  es 
wegen  der  Unpassierbarkeit  der  Striktur  die  Gastrostomie 
zu  machen,  um  vorerst  den  Patienten  aufzufüttern  und  dann 
unter  günstigeren  Verhältnissen,  ohne  zu  Eilfertigkeit  ge¬ 
zwungen  zu  sein,  die  retrograde  Bougierung  ,,ohne  Ende“, 
sei  es  mit  Drains,  sei  es  mit  dem  Eiseis  he  rgschen  koni¬ 
schen  Schlauch,  durchzuführen.  Hier  sind  die  Gefahren 
geringer,  die  Resultate  günstiger;  die  Magenfistel  wird  nicht 
früher  geschlossen,  als  bis  der  Oesophagus  dauernd  für  die 
dicksten  Sonden  durchgängig  ist.  Darüber  kann  aber  auch 
ein  Jahr  vergehen,  wie  einige  auch  unserer  Fälle  gelehrt 
haben. 

Angesichts  dieser  düsteren  Perspektiven  ist  es  nicht 
zu  verwundern,  wenn  man  mit  allen  Mitteln  danach  trachtet, 
der  Spätbougierung  mit  dünnen  Sonden  auszuweichen. 

Ein  solches  Mittel  scheint  nun  tatsächlich  für  eine 
Reihe  von  Fällen  in  dem  von  Hebra  in  die  Therapie  ein- 
gefülirten,  zuerst  auf  unserer  Ahteilung.  bei  Oesophagus- 
strikturen  angewandten  Thiosinaniin  gefunden  zu  sein, 
über  dessen  p]rfolge  seinerzeit  Teleky  aus  unserer  Ab¬ 
teilung  berichtete.  Das  Thiosinaniin,  Allylsulfoharnstoff, 


kristallisiert  in  farblosen  Prismen,  welche  bei  74°  C 
schmelzen,  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heißem  AVasser, 
Alkohol  und  Aether  leicht  löslich  sind,  bitter  schmecken  und 
einen  schwach  lauchartigen  Geruch  besitzen.  Es  wirkt 
lymphagog,  chemotaktisch  und  lokal  jiyperämisierend.  Da¬ 
durch  wird  es  bei  direkt  lokaler  Applikation  befähigt,  nar¬ 
biges  Gewebe  zu  erweichen.  Nun  haben  wir  seinerzeit  ver¬ 
sucht,  O'h  diese  narbenerweichende  Aktion  nicht  auch  an 
entfernten  Stellen,  speziell  an  den  Oesophagusnarheu,  durch 
subkutane  Einverleibung  erzielt  werden  kann.  Wir  injizierten 
(siehe  Teleky,  Literaturverzeichnis)  von  zwei  bis  drei  Teil¬ 
strichen  einer  Pravazspritze  ansteigend  bis  zu  einer  halben 
bis  ganzen  Si)ritze  (l  cm'^)  einer  lö'^.^oigen  alkoholischen 
Lösung  (Thiosinamin  1-5,  Alcohol,  dil.  lO)  unter  die  Haut 
des  Interskapularraumes  u.  zw.  nie  öfter,  als  zwei-  bis 
dreimal  wöchentlich.  Bei  dieser  Form  der  Darreichung  sind 
wir  bis  heute  verblieben  und  hatt(m  keinen  Anlaß  zu  Ab¬ 
änderungen. 

Die  Publikation  Teleky s  hatte  eine  Reihe  von  Ver¬ 
suchen  anderer  Autoren  zur  Folg(‘,  welche  mit  wechselndem 
Krfnlgv  d;is  Verfahren  anwandten.  So  bericht('l  Hartz  über 


erfolgreiche  Anwendung  des  Thiosinamins  bei  4ächwer('r 
Narbenstenose  des  Pylorus  nnt  konsekutiver  Magenerweite¬ 
rung.  Es  wurden  im  ganzen  23  Injektionen  gemacht,  Patient 
nahm  an  Gewicht  zu,  die  Verdauung  wurde  vollkommen 
normal.  Allerdings  wurden  zwischendurch  auch  Magen¬ 
spülungen  gemacht.  Dagegen  hatten  Baumstark  und 
Strauß  bei  Pylorusstenosen  keinen  Erfolg. 

Da  uns  jedoch  eine  Durchsicht  der  beträchtlich  ange¬ 
schwollenen  Thiosinaminliteratur  allzu  weit  führen  würde, 
will  ich  im  folgenden  lediglich  die  Oesophagusstrikturen  be¬ 
treffenden  Publikationen  berücksichtigen. 

Kircz  berichtet  über  einen  39jäbrigen  Mann,  wcdcher  vor 
nenn  Jahren  Lange  getrunken  hatte  und  seit  zwei  Jahren  nicht 
mehr  hongiert  worden  war.  Bei  Beginn  der  Behandlnng  hlieh 
die  Sonde  Nr.  3  hei  39  cm,  eine  dickere  schon  hei  36  cm 
stecken.  Bat.  bekam  erst  zwei  Injektionen  von  je  einer  halben 
Spritze  15°/oiger  glyzerin-wässeriger  Tmsnng,  dann  jeden  dritten 
bis  vierten  Tag  eine  ganze  Spritze.  Während  der  26  Injektionen 
umfassenden  Kur  wurde  nicht  hongierl ;  nach  derselben  passierte 
Nr.  6  und  es  konnten  auch  größere  Stücke  geschluckt 
werden.  Nach  den  Injektionen  traten  leicht  hehehharc  Kopf¬ 
schmerzen  auf. 

Schneider  berichtet  ans  dem  Baseler  Kinderspilal :  l)as 
verletzte  Kind  war  regelmäßig  hougiert  worden  und  hei  seiner 
Entlassung  passierte  Sonde  Nh'.  24  den  Oesophagus.  Es  hlieh 
dann  drei  Monate  ans  der  Behandlnng  fort  und  als  es  wieder  kam, 
drang  auch  nicht  die  feinste  Bougie  in  den  Mageji.  Injektion  von 
0-7  cm^  öToiger  glyzei'in-wässeriger  Lösung,  nach  drei  Tagen 
wiederholt.  Am  Tage  nach  dieser  zweiten  Injektion  schluckt  das 
Kind  vor  dem  Bougieren  dicken  Reisbrei,  dann  passiert  Bougie 
Nr.  9  ohne  Forcieren.  Von  da  ah  jedesmal  10  enP.  Nach  der 
siebenten  Injektion  passiert  Nr.  28  (dVs  mm)  ohne  Schwierig¬ 
keit.  Gewöhnliche  Kost.  Am  Endo  der  vierten  Behandlungsvvoche 
passiert  Nr.  30  und  das  Kind  hat  2V2  kg  an  Gewicht  znge- 
nommen.  ’  '  '  L  '  ' 

Weis  sei  borg  hatte  hei  einer  Langenstriklur,  Avelche  auch 
nicht  die  feinste  Sonde  in  den  IMagen  durchließ,  ohne  Erfolg 
20  Thiosinamininjektionen  gemacht  und  setzte  dann  die  Behand¬ 
lung  mit  Fihrolysin  (Doppelsalz  aus  Thiosinamin  und  salizyl- 
saurem  Natron  allylsulfokarhamidorthoxyhenzöesaures  Natron) 
fort.  Auch  hier  gelang  erst  nach  der  39.  Injektion  die  Durch¬ 
führung  einer  feinsten  Sonde;  nach  der  50.  Injektion  konnte 
Bat.  alles  essen.  ; 

Bevor  ich  nach  dieser  wohl  bescheidenen  Literatur¬ 
ausbeute  daraiigehe,  über  unsere  neuen  Fälle  zu  berichten, 
bekenne  ich  offen,  daß  wir  die  in  jüngster  Zeit  von 
L.  P.  Wolf  in  seiner  kritischen.  Würdigung  der  Thiosin- 
amintherapie  erhobenen  theoretischen  Bedenken  auch 
hatten  und  noch  haben,  daß  aber  jede  neue  günstige 
Erfahrung  dazu  leiten  muß,  diese  Bedenken  ihrerseits 
einer  Revision  zu  unterziehen.  Wir  verhehlten '  uns  selbst¬ 
verständlich  ebensowenig  wie  Wolf,  daß  nicht  abzu¬ 
sehen  ist,  warum  das  Thiosinamin  gerade  die  Oesophagus- 
narben  lockern  und  andere  (z.  B.  Herzschwielen,  Bauch¬ 
narben  etc.),  deren  Lockerung  uns  nicht  gelegen  käme,  ver¬ 
schonen  sollte,  wir  anerkennen  auch,  daß  eventuell  in  einer 
Narbe  schon  ein  Karzinom  sitzen  könnte,  welches  so  der 
rechtzeitigen  Operation  entgehen  und  daß  eine  sonst  dring¬ 
liche  Operation  eventuell  über  Gebühr  lang  zum  Schaden 
des  Patienten  hinausgeschoben  werden  könnte.  Wir  lassen 
uns  aber  durch  so  naheliegende  aprioristische  und  rein 
theoretische  Bedenken  nicht  davon  abhalten,  eine  empirisch 
bewährte  Therapie  in  geeigneten  Fällen  auch  weiterhin 
mit  aller  Vorsicht  in  der  Indikationsstelhmg  anzuwenden  und 
mit  aller  Objektivität  deren  Wirkungen  zu  studieren.  Selbst¬ 
verständlich  erwarien  wir  wm  der  Thiosinamininjektion 
keine  aktive  Plrweiterung  einer  bestehenden  Striktur; 
wohl  aber  wissen  wir,  daß  das  Thiosinamin  imstande  ist, 
Narbengewebe  vermöge  der  auch  experimen (eil  festgestellten 
lym{)hagogen  und  hyperämisierenden  Wirkung  zu  erweichen, 
eine  Wirkung,  die  es  nicht  nur  Inn  lokaler  Applikation, 
sondern,  in  den  Kreislauf  eingebracht,  auch  anf  entferntes 
Narbengewebe  ausübt.  Gelingt  es  uns  aber  durch  Injektion 
von  Thiosinamiti  eine  Narbe  in  der  Speiseröhre  zu  er¬ 
weichen,  so  ist  damit  die  wichtigste  anatomische  Vor- 
IxMlingung  zur  Dehnung  einer  bestehenden  Strikt nr. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


sowohl  auf  physiologischem  Wege  durch  den  Diiick  der 
Nahrungsmittel,  des  geschluckten  Bissens,  als  auf  thera¬ 
peutischem  Wege  durch  die  Sonde  gegeben.  Der  Zweck 
der  T h i 0 s i n a ni i n b e h a n d  1  u n g  1  i e g t  a  1  s o  i n  d e r  Vor¬ 
her  e  i  t  u  n  g  des  N  a  r  b  e  n  g  e  w  e  h  e  s  für  die  physiolo¬ 
gische  oder  therapeutische  Dehnung. 

Und  nun  die  Geschichten  unserer  letzten  mit  Thiosin- 
amin  behandelten  Fälle. 

Fall  4.  K.  R.,  fünf  .Jahre  alt,  liat  am  15.  Februar  1906 
Lauge  getrunken;  die  ersten  Stenosenerscheinungen  tralen  be¬ 
reits  nach  drei  Wochen  auf.  Beginn  der  Behandlung  am  12.  No¬ 
vember  1906.  Das  Kind  vermag  nur  flüssige  oder  breiige  Nahrung 
zu  sich  zu  nehmen  und  hat  Angst  vor  dem  Schlucke]!  von 
Bissen.  Bougie  Nr.  16  trifft  ca.  12  cm  hinter  der  Zahnreihe  auf 
ein  Hindernis  und  passiert  dasselbe  unter  leichtem  Druck,  des¬ 
gleichen  ein  zweites  an  der  Kardia. 

Am  Id.,  16.,  19.  und  21.  November  je  0-2  cnr'^  Ih^/oigor 
Alkoholthiosinaminlösung.  Am  21.  November  hat  Fat.  Fleisch¬ 
stücke  („Gulyas“)  und  Brot  gegessen,  die  Angst  vor  dem 
Schlingen  ist  verschwunden,  so  daß  Pat.  den  ganzen  Tag  zu 
essen  verlangt. 

Am  23.,  26.,  28.  und  30.  November  je  2V2  Teilstr.,  am 
2.  und  5.  Dezember  je  drei  Teilstr.  Es  wurde  während 
der  ganzen  Zeit  nicht  hougiert. 

12.  Dezember.  Revision.  Sonde  Nr.  17  bleibt  schon  an  der 
ej'stcn  Stenose  stecken,  Nr.  16  passiert  unter  wesentlich  ge¬ 
ringerem  Widerstand.  Zweite  Serie  von  zehn  Injektionen  voin 
14.  Dezember  1906  bis  4.  Januar  1907  je  fünf  Teilstr 

Am  11.  Januar  1907  passiert  Nr.  18  mit  einiger  Schwierigkeit. 

8.  Februar.  Nr.  18  passiert  leicht. 

22.  Februar.  Kein  Anstand  beim  Schlucken. 

Vom  13.  November  1906  bis  22.  Februar  1907  v/ar. 
außer  hei  der  Revision,  nicht  hougiert  worden. 

Fall  5.  F.  R.,  5V2  Jahre  alt,  Verätzung  (Lauge)  im  Juni 
vorigen  Jahres;  drei  Wochen  später  zum  erstenmal  mit  Bleibougie 
Nr.  5  oder  Nr.  6,  einige  Tage  später  mit  Nr.  10  hougiert.  Seit 
August  englische  Bougie  Nr.  6  bis  Nr.  10.  In  der  Höhe  von 
ca.  15  cm  Widerstand,  der  sich  nach  einiger  Zeit  hei  Brech- 
hewegungen  löst,  einige  Zentimeter  tiefer  ein  zweiter.  Ißt  Suppe, 
Grieshrei  und  weiche  Eier. 

13.,  16.  und  19.  November  je  zwei  Teilstr.  15°/oiger  Thiosin 
aminlösung;  am  19.  November  Strudel  gegessen. 

21.,  23.,  26.,  28.  und  30.  November  je  2V2  Teilstr.  Schluckt 
seit  21.  November  anstandslos  feste  Brocken;  3.  und  5.  Dezember 
je  drei  Teilstr. 

12.  Dezember.  Revision.  Ißt  von  allen  Speisen,  schluckt 
auch  größere  Bissen.  Bougie  Nr.  8  bleibt  stecken,  Nr.  6  passiert 
ganz  leicht.  ' 

Zweite  Serie  (je  fünf  Teilstr.)  vom  14.  Dezember  1906 
bis  4.  Januar  1907.  Am  19.  Dezember  war  ein  größeres  Stück 
Fleisch  stecken  geblieben,  jerloch  mit  Bougie  Nr.  6  leicht  hinab- 
gestoßen  worden. 

11.  Januar  1907.  Revision.  Mit  Ausnahme  von  Fleisch,  vor 
welchem  Pat.  seit  dem  letzten  Unfall  Angst  hatte,  wird  alles, 
auch  in  größeren  Bissen,  anstandslos  gegessen. 

Bougie  Nr.  8  passiert  mit  einiger  Schwierigkeit. 

18.  Januar  1907.  Ißt  alles  anstandslos. 

8.  Februar.  Kein  Anstand;  BoUgie  Nr.  10  engagiert. 

22.  Februar.  Ißt  auch  größere  Stücke  anstandslos. 

23.  Februar.  Beginn  einer  dritten  Serie  von  je  sechs  Teilstr., 
bis  zum  Bei'ichtstag  fünf  Injektionen.  Köipcrge wicht  ca.  1  kg 
zugenommen. 

Von  13.  Dezember  1906  bis  4.  IMärz  1907  nur  ge- 
1(‘ gen  Hieb  d  (m-  Revision  hougiert. 

Fall  6.  F.  W.,  23  Monate  alt.  Zu  Ostern  1905  Laugen- 
verätznng,  acht  Wochen  darauf  Schlinghescdiwerden.  Wurde  ein 
halbes  Jabr  hougiert.  Pat.  nimmt  ausschließlich  Milch.  (Drei 
Liter  täglich.) 

Status  pi'aesons  vom  19.  November  1906:  Körpergewicht 
9600  g,  Sonde  Nr.  11  passiert  eine  Striktur  in  der  Höhe  der 
Bifurkation,  eine  zweite  an  der  Kardia.  21.  November  bis  23.  No- 
v('mher  je  zwei  Teilstr.,  vom  26.  November  ab  2V2  Teilstr. 
28.  November.  Würstel  gegessen.  30.  November.  5  .  7.  Dezember. 
Schluckt  Bi’ot,  Würstel.  10.,  12.  Dezember  drei  'Feilstr.  Ißt  feste 
Speise,  schluckt  Wurst  ganz  leicht.  14.  Dezeniher.  Pertussis.  Wird 
vorläufig  entlassen. 

.'\m  16.  Januar  1907  passitud  Nr.  11  leicht,  Ni‘.  12  mit 
(‘iniger  Schwieiägkeit. 

Zweite  Serie  je  fünf  Teilstr.  18.  Januar,  5.,  7.,  15.  und 
17.  Februar.  Ißt  Brot  in  größeren  Stücken,  desgleichen  Hack¬ 


fleisch.  19.,  21.,  23.,  26.  Februar  und  2.  März.  Körpergewicht 
11.500  g.  (Zunahme  fast  2  kg.)  Bougie  Nr.  13  leicht.  Voni 
19.  November  1906  bis  2.  März  1907  nur  bei  den  Revi¬ 
sionen  hougiert. 

Fall  7.  E.  H.,  49  Jahre  alt,  trank  vor  2V2  Jahren  ver¬ 
sehentlich  zirka  einen  Kaffeelöffel  ,, Gichtfluid“.  Gleich  daraul 
Bluthrechen.  Innerhalb  der  nächsten  zwei  Monate  entwickelten 
sich  Schluckheschwerden,  die  schließlich  so  weit  sich  steigerten, 
daß  Pat.  sich  im  Januar  1904  —  zweimal  —  bougieren  ließ. 
Dann  nicht  mehr  bis  Juli  1906.  Am  19.  November  1906  stößt 
Sonde  Nr.  12  knapp  oberhalb  der  Kardia  auf  eine  Stenose. 

Erste  Serie  2,  2V2,  dann  drei  Teilstr.  vom  21.  November 
bis  12.  Dezember.  Schluckt  bedeutend  besser,  größere  Bissen 
bleiben  jedoch  noch  hie  und  da  stecken. 

16.  Januar  1907.  Nr.  16  passiert  unter  geringer  Schwierig¬ 
keit.  Bougierungen  nur  zur  Revision. 

Betrachten  wir  mm  die  Geschichte  dieser  vier  neuen 
Fälle,  so  ergibt  sich  als  gemeinsames  Charakteristikon,  daß 
die  Besserung  des  Sehlingens  der  objektiv  durch  die  Sonde 
nachweisbaren  weit  vorauseilt,  eine  Beobachtung,  die  auch 
Schneider  gemacht  zu  haben  scheint. 

Was  aber  unseren  Fällen  ihr  ganz  besonderes  Gepräge 
gibt,  ist,  daß  trotzdem  während  der  Thiosinaminbehandlung 
jegliche  Bougierung,  mit  Ausnahme  der  Revisionen,  auf¬ 
gehört  hatte,  die  Strikturen  nicht  nur  nicht  enger  wurden, 
sondern  vielmehr  —  vielleicht  durch  die  Speisebrocken  etwas 
gedehnt  —  sich  bei  den  Revisionen  für  die  letztverwendete 
Bougie  leicht,  oft  aber  auch  schon  für  eine  stärkere  Nummer 
permeabel  erwiesen.  Wir  fühlen  uns  demnach  vollauf  be¬ 
rechtigt,  unter  Festhaltnng  aller  Objektivität  und  bei  fort¬ 
gesetzter  Kontrolle  unserer  Patienten  die  Versuche  mit 
Thiosinaminbehandlung  der  Narbenstrikturen  des  Oeso¬ 
phagus  fortzusetzen. 

Resümieren  wir  unsere  Ausführungen  auf  Grund  des 
Krankenmateriales  kurz,  so  können  wir  für  die  Behandlimg 
der  Laugenverätzungen  der  Speiseröhre  folgende  Leitsätze 
anfstellen : 

1.  Die  Behandlung  der  frischen  Verätzung  soll  mög¬ 
lichst  bald  nach  Abklingen  der  akuten  Erscheinungen  — 
in  leichten  Fällen  also  schon  im  Beginne  der  dritten  Woche 
—  einsetzen.  Zur  Bougierung  empfehlen  sich  die  weichen, 
mit  Bleidraht  gefüllten  Bougien. 

Die  Behandlung  ist  möglichst  lange  fortzuseRen. 

2.  Die  Behandlung  in  späten  Stadien  zur  Beobachtung 
kommender  Strikturen,  insbesondere  solcher  hohen  Grades, 
muß  sich  nach  dem  Ernährungszustand  des  Kranken  richten. 
Bei  stark  ausgehungerten  Patienten  oder  bei  Strikturen, 
die  nicht  einmal  mehr  flüssige  Nahiaing  durchlassen,  ist 
einzig  und  allein  die  rasch  auszuführende  Gastrostomie  zur 
ehebaldigsten  Hebung  des  Ernährungszustandes  angezeigt.  Ist 
es  gelungen,  den  Patienten  aufzufüttern,  dann  beginnt  von 
der  Gastrostomiefistel  her  die  ,, Bougierung  ohne  Ende“.  Die 
Magenfistel  darf  erst  dann  zum  Verschluß  gebracht  werden, 
wenn  die  ungestörte  Passierbarkeit  des  Oesophagus  gesichert 
erscheint. 

HL  Bei  schwer  sondierbaren,  jedoch  mindestens  für 
flüssige  Nahrung  durchgängigen  Strikturen  und  wenigstens 
relativ  gutem  Ernährungszustand  ist  nach  unser?ui  bisherigen 
Erfahrungen  eine  Behandlung  mit  Thiosinamininjektioncn 
(eine  halbe  bis  eine  ganze  Spritze  löToiger  Lösung,  zwei- 
bis  dreimal  wöchentlich)  zu  versuchen;  bleibt  diese  erfolg¬ 
los,  dann  ist  die  Anzeige  für  Gastrostomie  und  Bougierung 
ohne  Ende  eingetreten. 

IV.  Nachdem  durch  die  Thiosinaminbehandlung  er¬ 
fahrungsgemäß  nicht  nur  jüngere  Narben  erweicht,  sondern 
auch  ältere  Entzündungsherde  wieder  mohilisiert  werden 
können,  so  erscheint  sie  kontraindiziert  bei  Vorhandensein 
frischer  Operationsnarben,  bei  Tuberkulösen  usw.  Es  hat 
also  der  Ihnleitung  einer  Thiosinaminbehandlung  stets  eine 
genaue  Untersuchung  des  ganzen  Körpers  vorauszugehen. 

Literatur; 

R.  Baumstark,  Heber  Thiosinaminwirkung  bei  Erkrankungen 
der  Verdauungsorgane.  Berliner  klin,  Wochenschrift  1904,  Nr.  24.  — 
Hartz,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1904,  Nr.  8.  —  v.  Hacker, 
im  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie,  —  Koenig,  Deutsche  Chirurgie, 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Bd.  35.  —  Kolisko-Hofmann,  Gerichtliche  Medizin.  —  F.  Kr  au  s 
Nothnagels  Handhuch,  I3d.  16,  Nr.  1.  — Kircz,  Zoll  an,  Budapest! 
orvosi  ujsäg  1904,  Nr.  24.  —  Karl  Schneider,  Thiosinamininjektionen 
bei  Narbenstriktur  des  Oesophagus.  Korrespondenzblatt  für  Schweizer 
Aerzte  1905,  S.  356.  —  Strauß,  Klinische  Studien  über  den  Magen- 
saflfluß.  Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin  und  Chirurgie  1904 
Nr.  12.  —  Ludwig  Teleky:  1.  Sammelreferat  im  Zentralblatt  für  die 
Grenzgebiete  der  Medizin  und  Chirurgie  1901,  Bd.  4,  Heft  1.  2.  Beiträge 
zur  mechanischen  und  medikamentösen  (Thiosinamin)  Behandlung  der 
narbigen  Speiseröhrenverengungen.  Wiener  klin.  Wochenschrift  1902, 
Nr.  8.  3.  Die  Laugenverätzung  der  Speiseröhre.  Zeitschrift  für  Heil¬ 
kunde  1904,  Heft  3  und  6.  (In  vorgenannten  drei  Quellenangaben  er¬ 
scheint  die  ältere  Literatur  aufgezählt.)  —  Weisseiberg,  Münchener 
med.  Wochenschrift  1906,  S.  1623.  —  L.  P.  W  o  1  f.  Das  Thiosinamin 
als  Heilmittel.  Archiv  für  klin.  Chirurgie,  Bd.  82,  S.  93. 


{Referate. 


Studie  über  die  rituale  Beschneidung  vornehmlich  im 

osmanischen  Reiche. 

Von  Risa. 

Aus:  Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Richard  v.  Yolk- 
inaim.  Nr.  438  (Serie  XV,  Heft  18,  Chirurgie  Nr.  123). 

L  e  i  p  z  i  g  1906,  Breitkopf  und  Härtel. 

In  der  Einleitung  dieser  interessanten  Studie  bespricht  der 
Autor  die  Nachteile,  die  das  Vorhandensein  des  Präputiums  mit 
sich  bringt.  Nach  seinen  Untersuchungen  kam  er  zu  dem  Presultate, 
daß  bei  Unheschnittenen  in  82°/q  die  vom  Präputium  bedeckten 
Teile  Sitz  des  syphilitischen  Schankers  waren,  während  sich  hei 
Beschnittenen  nur  in  48*^/q  die  gleiche  Lokalisation  findet.  Er 
stimmt  somit  dem  Ausspruche  des  französischen  Chirurgen  M  a  r  t  i  n 
hei,  daß  die  Zirkumzision  einen  vorzüglichen  Schutz  gegen  die 
venerischen  Krankheiten  biete.  Jedoch  noch  in  anderer  Hinsicht  sei 
die  Zirkumzision  von  Bedeutung :  durch  den  Mangel  des  Präputiums 
sei  die  Glans  weniger  empfindlich  und  es  sei  deshalb  beim  Koitus 
längere  Dauer  bis  zur  Ejakulation  nötig,  wodurch  auch  die  Frau 
um  so  eher  befriedigt  werde.  Darum  sei  die  Dauer  des  Koitus  und 
dadurch  das  Reizgefühl  beim  Weibe  bei  Beschnittenen  erhöht,  ein 
Umstand,  der  nach  Ansicht  des  Autors  die  Konzeption  begünstigt. 
Der  einzige  Nachteil,  den  die  Zirkumzision  bringe,  sei  der,  daß  sie 
eben  eine  Operation  ist.  Hierauf  folgt  eine  sehr  interessante  Dar¬ 
stellung  der  Geschichte  dieser  Operation,  aus  welcher  hervorgehohen 
werden  möge,  daß  die  Juden  die  Zirkumzision  etwa  uni  2000  v.  Chr. 
von  den  Aegyptern  entlehnt  haben  u.  zw.  unter  Abraham.  Bei  den 
Aegyptern  wurde  sie  mit  einem  Steinmesser  ausgeführt.  Später 
haben  die  .Juden  und  dann  die  Mohammedaner  die  Zirkumzision 
weiter  verbreitet.  Die  einzelnen  Völker,  die  die  Zirkumzision  üben, 
werden  ungeführt.  Von  den  christlichen  Völkern  huldigen  nur  die 
abessinischen  Kopten  der  Zirkumzision. 

Hierauf  wird  die  Zirkumzision  bei  den  Juden  besprochen 
nach  ihrer  Geschichte,  der  Art  der  Instrumente  und  der  Zeit  der 
Operation.  Einige  mohammedanische  Stämme  üben  die  Zirkumzision 
auch  bei  den  Frauen.  —  Nun  schildert  der  Autor  die  bei  den 
Türken  übliche  Art  der  Zirkumzision  und  gibt  interessante  Ab¬ 
bildungen  von  den  hiezu  verwendeten  Instrumenten.  Auch  die 
festlichen  Gebräuche,  die  den  Akt  begleiten,  werden  besprochen. 
Am  Schlüsse  schildert  der  Autor  die  Operation,  wie  sie  nach  den 
heutzutage  bestehenden  Regeln  der  Kunst  auszuführen  ist. 

* 

Akute  infektiöse  Osteomyelitis  des  Unterkiefers. 

Von  Tli.  Depeudorf,  Jona. 

Aus:  Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Ricli.  v.  Volkmnnu. 

Nr.  400  (Seite  15,  Heft  20,  Chirurgie  Nr.  125). 

Der  Autor  stellt  zunächst  den  Begriff  der  Osteomyelitis  des 
Unterkiefers  fest  und  versteht  unter  dieser  Bezeichnung  die  idiopathi¬ 
sche  Osteomyelitis,  die  durch  Infektion  auf  dem  Wege  der  Blutbahn 
hervorgerufen  wird  und  die  von  jenen  Osteomyelitiden,  welche  als 
sekundäre  Erkrankungen  der  Zähne  auftreten,  streng  zu  trennen  ist. 
Die  diesbezüglichen  Ansichten  der  Autoren  werden  einer  Kritik 
unterzogen.  Seine  eigenen  Beohachtungen  betreffen  acht  Fälle  aus 
der  chirurgischen  Klinik  zu  Jena,  die  in  der  Zeit  von  1902  bis  1904 
zur  Behandlung  kamen.  Die  größere  Zahl  der  Erkrankungen  fällt 
in  die  Zeit  nach  dem  15.  Lebensjahre.  Sechs  Fälle  waren  isolierte, 
zwei  metastatische  Erkrankungen.  Das  Krankheitsbild  und  der 
pathologisch-anatomische  Befund,  sowie  die  Folgeerscheinungen  werden 


32  i 


eingehend  besprochen,  wobei  noch  zwei  weitere  Fälle  eigener  Be¬ 
obachtung  von  metastatischer  Osteomyelitis  bei  bestehender  ander¬ 
weitiger  Osteomyelitis  mitgcteilt  werden.  Die  Frage  nach  den  Er¬ 
regern  der  Krankheit  wird  diskutiert,  doch  sind  in  den  einzelnen 
Fällen  bakteriologische  Untersuchungen  nicht  mitgeteilt  und  so 
basieren  die  Schlußfolgerungen  D  ep  en  d  o  r  f  s  nur  auf  theoretischen 
Erwägungen.  —  Die  Disposition  des  Unterkiefers  zur  Erkrankung 
durch  Infektion  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  wird  auf  Grund  der 
anatomischen  und  der  Wachstumsverhältnisse  desselben  erklärt  und 
in  Analogie  mit  der  Osteomyelitis  der  Röhrenknochen  gebracht.  Die 
Ursache,  daß  die  Affektionen  des  Kiefermarkes  im  Kieferkörper  so 
selten  umschrieben  bleiben,  liege  in  der  Eigenart  des  anatomischen 
Baues  des  Unterkiefers,  der  im  Kieferkörper  einen  Röhrenknochen, 
im  Kieferwinkel  und  im  aufsteigenden  Aste  einen  spongiösen  Knochen 
darstellt.  Bei  der  weiteren  Verbreitung  spielt  der  Canalis  mandibularis 
eine  wesentliche  Rolle.  Die  Prognose  war  in  allen  seinen  Fällen 
eine  günstige.  Die  Therapie  besteht  in  einem  rechtzeitigen,  aus¬ 
giebigen  operativen  Eingriff.  Die  Abstoßung  des  Sequesters  ist  ab¬ 
zuwarten.  Im  übrigen  ist  die  Therapie  die  gleiche,  wie  bei  der 
Osteomyelitis  der  langen  Röhrenknochen. 

* 

Die  Lehre  von  den  ischämischen  Muskellähmungen  und 

Kontrakturen. 

Von  0.  Hildebrand,  Berlin. 

Aus:  Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Rieh.  v.  Volbmann. 

Nr.  437  (Serie  XV,  Heft  17,  Chirurgie  122). 

Der  Verfasser  sucht  seine  im  Jahre  1903  und  1905  geäußerte 
Ueberzeugung,  daß  bei  den  sogenannten  ischämischen  Muskel¬ 
lähmungen  und  Kontrakturen  die  Nerven  zweifellos  auch  beteiligt 
seien  und  ein  Teil  des  Krankheitsbildes  durch  deren  Veränderungen 
bedingt  sei,  durch  folgende  Ausführungen  zu  stützen.  Zunächst 
weist  er  nach,  daß  es  sich  vorwiegend  um  zwei  Typen  von  Ver¬ 
letzungen  handle,  die  einerseits  in  der  Gegend  des  Ellbogengelenks, 
anderseits  im  Bereiche  des  Vorderarmes  liegen;  meist  seien  es 
Frakturen.  Es  folgt  nun  die  Kasuistik  aus  der  Literatur.  Die  bei 
derlei  Frakturen  durch  Verletzung  der  Gefäße  oder  durch  Kom¬ 
pression  derselben  bedingte  Zirkulationsstörung  sei  gewiß  auch  von 
Einfluß  auf  die  Nerven  selbst.  Ferner  komme  in  Betracht,  daß  mit 
der  Arterienverletzung  gleichzeitig  eine  Nervenverletzung  stattfinde, 
woraus  sich  auch  die  Tatsache  erkläre,  daß  die  Beugemuskeln  viel 
stärker  beteiligt  sind  als  die  Streckmuskeln.  Für  jene  Fälle,  die 
einfache  Radiusfrakturen  betreffen,  sei  als  Ursache  wohl  der  kom¬ 
primierende  Verband  heranzuziehen,  doch  sei  neben  der  primären 
Muskelveränderung  auch  die  Drucklähmung  der  Nerven  von  Wichtig¬ 
keit.  Die  für  die  Klärung  der  Frage  einschlägigen  Experimente 
werden  mitgeteilt  und  über  die  Resultate  eigener  Versuche  be¬ 
richtet,  wobei  jedoch  keine  der  ischämischen  Kontraktur  ähnlichen 
Zustände  erzielt  wurden.  In  Hinsicht  auf  die  hochgradigen  Ver¬ 
änderungen,  die  sich  in  den  Nerven  bei  ischämischer  Kontraktur 
vorfinden,  versuchte  Autor  durch  Lösung  der  Nerven  und  Ver¬ 
lagerung  derselben  den  Zustand  zu  bessern.  Er  hat  im  ganzen  vier 
Fälle  so  operativ  behandelt,  davon  einen  geheilt  und  zwei  gebessert. 
Von  einem  möglichst  frühzeitigen  Eingriff  erhofft  er  sich  ein  viel 
besseres  Resultat. 

* 

Die  Operation  der  Nasenrachentumoren  mittels  peroraler 

Intubation. 

Von  Dr.  Franz  Kulm,  dirigierendem  Arzt. 

Aus  der  Berliner  Klinik,  begründet  von  Dr.  Richard  Rosen. 

18.  Jahrgang,  November  1906,  Heft  221. 

Die  bei  der  Entfernung  größerer  Geschwülste  des  Nasenrachen¬ 
raumes  geübten  Methoden  werden  eingeteilt  in  nasale,  faziale  und 
bukkale  Methoden.  Alle  drei  Gruppen  werden  in  Kürze  besprochen 
und  sodann  nach  der  Zugänglichkeit,  nach  dem  Grade  der  Ver¬ 
letzung  und  nach  der  Gefährlichkeit  des  Eingriffes  kritisiert.  Nach 
den  Erfahrungen  des  Autors  gebühre  den  bukkalen  Methoden  vor 
allen  anderen  der  Vorzug,  wobei  die  perorale  Intubation  in  ausge¬ 
zeichneter  Weise  unterstütze.  Die  Vorzüge  derselben  werden  nun 
eingehend  erörtert.  Sodann  folgt  eine  Beschreibung  der  Technik  der 
Intubation.  Die  Aufzählung  einer  Reihe  von  Fällen,  die  der  Autor 
teils  allein,  teils  mit  anderen  Chirurgen  operiert  hat,  geben  einen 
praktischen  Beleg  für  die  Vorteile  seines  Verfahrens. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Erfahrungen  über  Cholezystektomie  und  Cholezysten- 
terostomie  nach  286  Gallenstein-Laparotomien. 

Zugleich  ein  Beitrag  zur  normalen  und  pathologischen  Anatomie 

der  Gallenwege. 

Mit  einem  vollständigen  Verzeichnis  der  Literatur  seit  Langenbuch  1897. 
Von  Dr.  A.  von  Bardeleben,  Sanitätsrat,  Chefarzt  des  Augusta-Hospitalcs 

zu  Bochum. 

Mit  einer  Tafel. 

.Ten  a  1906.  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

ln  der  Einleitung  stellt  der  Verlässer  seine  liKÜkaliojien  zum 
oper.diven  Eingriff  bei  der  Cholelithiasis  fest.  Er  verfügt  über 
286  Fälle  von  Operationen  mit  15  Todesfällen.  Seiner  Meinung  nach 
bedingt  die  Anwesenheit  von  Gallensteinen  allein  nicht  deren 
Entfernung. 

Die  Anatomie  und  Physiologie  der  Gallenblas('  und  der  großen 
Gallenwege,  die  pathologische  Anatomie  und  Entwicklungsgeschicble 
wei’den  in  38  Seiten  besprochen.  Ein  ausführliches  Literaturver¬ 
zeichnis  von  4Y2  Seiten  beschließt  diesen  Abschnitt. 

Der  nun  folgende  Teil  (6V2  Seiten)  beschäftigt  sich  mit  der 
Gholezystektomie,  die  der  Autor  in  166  Fällen  u.  zw.  nur  in 
2  Fällen  mit  Hepatikusdrainage  ausführte;  5  Fälle  starben.  Die 
Technik  der  Operation  wird  genau  beschrieben.  Ein  ganz  kurzer, 
historischer  Rückblick  beschließt  dieses  Kapitel.  Der  letzte  Ab¬ 
schnitt  handelt  von  Cholezystenteroslomie,  die  der  Autor  25mal 
ausführte  u.  zw.  mit  3  Todesfällen  ;  in  letzteren  handelt  es  sich  um 
bösartige  Hindernisse  im  Bereiche  der  abführenden  Gallenwege. 
Er  gibt  bei  sein'  schwierigen  Fällen  von  Choledochusstein  der 
Cholezystenterostomie  vor  der  schwieriger  auszuführenden  Chole- 
dochotomie  den  Vorzug.  Aach  seiner  Meinung  bietet  die  Gallen- 
blaseudarmßstel  keine  Gefahr  für  eine  Infektion  der  Gallenwege  oder 
der  Leber. 

Den  Schluß  dieses  Kapitels  und  zugleich  der  ganzen  Arbeit 
bildet  ein  ausführliches  Litera lurvoj'zeichnis,  worin  die  besonders 
interessanten  Abhandlungen  kiu'z  referiert  sind. 

* 

Stereoskopbilder  zur  Lehre  von  den  Hernien. 

Von  Prof.  E.  EiideiTeii  (Basel)  und  Prof.  E.  Glaser  (Marburg). 

Jena  1906,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Die  Autoren  haben  in  dem  vorliegenden  Atlas  den  Versuch 
unternommen,  eine  stereoskopische  Darstellung  der  anatomischen 
Verhältnisse  der  Hernien  zu  geben.  Er  enthält  im  ganzen  72  Stereo¬ 
skopbilder,  die  in  einem  Einschiebealbum  derart  untergebracht  sind, 
daß  jedes  einzelne  Bild  be(iuem  entfernt  und  in  einen  stereoskopi¬ 
schen  Handapparat  bequem  eingeschoben  werden  kann.  Der  Atlas 
gliedert  sich  in  folgende  Kapitel ;  1.  Descensus  testiculorum.  2.  Topo¬ 
graphie  der  Regio  inguinalis.  3.  Aeußere  Leistenbrüche.  4.  Innere 
Leistenbrüche.  5.  Topographie  der  Regio  subinguinalis.  6.  Schenkel¬ 
brüche.  7.  Topographie  der  Regio  obturatoria.  8.  Obturatorenbrüche. 

9.  Topographie  der  Regio  lumbalis  mit  Beziehung  zum  Lumbalbruch. 

10.  Topographie  der  Regio  glutaea.  II.  Einige  interessante  Fälle 
mehrfacher  Hernien  bei  ein  und  demselben  Individuum.  12.  Die 
peritonealen  Recessus.  13.  Einige  Fälle  innerer  Brüche.  —  Die 
einzelnen  Bilder  sind  photographische  Aufnahmen  nach  anatomischen 
Präparaten  und  zum  größten  Teil  im  Photographieton  mit  Hoch¬ 
glanz  gehalten.  Nur  bei  jenen  Bildern,  bei  welchen  wichtige  topo¬ 
graphische  Beziehungen  es  erheischen,  wurde  eine  farbige  Darstellung 
der  Nerven  und  Gefäße  in  der  in  der  Anatomie  üblichen  Weise 
gewählt.  Jedes  Kapitel  enthält  eine  die  Bilder  beschreibende  Ein¬ 
leitung;  außerdem  ist  jedem  Bilde  eine  nebenstehende  Skizze  bei- 
gefügl,  die  eine  rasche  Orientierung  im  Bilde  ermöglicht.  Was  die 
(Qualität  der  einzelnen  Bilder  anbelangt,  so  ist  dieselbe  als  eine 
ganz  vorzügliche  zu  bezeichnen.  Jedoch  erst  die  stereoskopische 
Betrachtung,  welche  die  Bilder  in  getreue,  plastische  Kopien  der 
Natur  umwandelt,  läßt  iliren  ganzen  Wert  erkennen  und  macht  den 
Atlas  zu  einem  hervoi-ragenden  Studienmiltei  für  Lehrer  und  Schüler. 

* 

Akute  infektiöse  Osteomyelitis  des  Oberkiefers. 

Von  Tli.  Bepeiidorf  (Jena). 

Aus:  Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Richard  von  Volk- 
inaiui.  (Nr.  442  Serie  XV,  Heft  22,  Chirurgie  Nr.  126). 

Dieser  Vortrag  ist  eine  Fortsetzung  der  Darstellungen  des 
Autors  über  die  akute  Osteomyelitis  des  Unterkiefers.  Er  bespricht 
zunächst  die  bei  Kindern  auftretende  Form  der  Osteomyelitis  des 


Oberkiefers  nach  Exanthemen  und  trennt  diese  Formen  strenge  von 
der  idiopathischen  Osteomyelitis;  zwei  einschlägige  Fälle  aus  der 
Literatur  werden  mitgeteilt  und  kritisch  besprochen.  Der  Verfasser 
hebt  hervor,  daß  beim  Oberkiefer  die  Gefahr  der  direkten  Infektion 
von  zwei  Seiten  bestehe,  nämlich  vom  Alveolarfortsatz  und  von  der 
Highmorshöhle ;  damit  werde  die  Frequenz  der  Diagnose  der  akuten 
Osteomyelitis  des  Oberkiefers  gegen  die  des  Unterkiefers  um  die 
Hälfte  eingeschränkt.  Beim  Säuglinge  sei  jedoch  noch  ein  dritter 
Weg  der  Infektion  durch  die  große  Reihe  der  Epithelperlen  gegeben. 
Die  Schwierigkeit  der  Differentialdiagnose  zwischen  idiopathischer 
und  fortgeleitetcr  Osteomyelitis  des  Oberkiefers  wird  besprochen  und 
durch  Beispiele  aus  der  Jiteratur  illustriert.  Im  Anschluß  an  die 
anatomische  Betrachtung  des  Baues  des  Oberkiefers  werden  zwei 
Eälle  eigener  Beobachtung  idiopathischer  Osteomyelitis  mitgeteilt, 
deren  einer  ein  zweijähriges  Kind,  der  andere  einen  fünfzigjährigen 
Mann  betraf.  Beide  Fälle  wurden  in  der  chirurgischen  Klinik  in 
Jena  beobachtet. 

* 

Die  Technik  der  Extensionsverbände  bei  der  Behandlung 
der  Frakturen  und  Luxationen  der  Extremitäten. 

Von  Geh.  Medizinalrat  Dr.  B.  Bardculieuer,  Professor  der  Chirurgie 
und  Stabsarzt  Dr.  G.  Graeßner,  Dozent  der  Chirurgie.  Beide  an  der 
Akademie  für  praktische  Medizin  in  Köln. 

Dritte,  vollständig  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  1  Tafel  und  70  Textabbildungen. 

Stuttgart  1907.  Verlag  von  Ferdinand  Enke. 

Der  Umstand,  daß  bereits  nach  Jahresfrist  eine  neue  Auflage 
dieses  Büchleins  notwendig  wurde,  beweist,  welchen  Anklang  es  bei 
den  Aerzten  gefunden.  Die  Autoren  waren  bestrebt,  das  Werk  ent¬ 
sprechend  ihren  auf  diesem  Gebiete  gemachten  Erfahrungen  wesent¬ 
lich  zu  verbessern.  Die  Zahl  der  Zeichnungen  ist  bedeutend  ver¬ 
mehrt  und  viele  Kapitel  in  umgearlieiteter  Form  erschienen. 

* 

Beitrag  zum  Studium  der  Behandlung  der  Hüftgelenks¬ 
tuberkulose  im  Kindesalter. 

Von  Clir.  M.  E.  Siudiiig-Larseii,  Oberarzt  am  Küslenhospital  bei 

Frederikväru. 

Souderabdruck  aus  Nordiskt  Medicinskt  Arkiv. 

Der  Arbeit  liegt  das  Material  von  100  Koxitiskranken,  die 
der  Verfasser  im  Küstenhospital  bei  Frederiksväru  behandelte,  zu¬ 
grunde.  Das  erste  Kapitel  bringt  einen  historischen  Ueberblick  Uber 
die  Koxitisbehandlung  und  bespricht  den .  gegenwärtigen  Standpunkt 
der  Chirurgen  gegenüber  der  operativen  und  der  konservativen  Be¬ 
handlung.  Es  zeigt,  wie  in  dieser  Frage  noch  lange  keine  Einigung 
erzielt  wurde  und  hebt  hervor,  daß  namentlich  auch  das  Röntgen¬ 
verfahren  die  Wandlungen  in  der  Therapie  wesentlich  beeinflußt 
habe.  Das  zweite  Kapitel  handelt  von  den  Aufgaben  und  Aussichten 
der  Koxitistherapie,  indem  es  zunächst  die  Störungen  der  Gelenks¬ 
funktion  und  dann  den  Einfluß  der  Krankheit  auf  den  Allgemein¬ 
zustand  des  Kranken  erwägt.  Im  dritten  Kapitel  werden  die 
pathologisch-anatomische  Diagnose  und  speziell  die  Röntgenunter¬ 
suchung  einer  eingehenden  Besprechung  gewürdigt.  Auf  die  Technik 
der  Aufnahme  und  auf  die  Deutung  des  Röntgenbefundes  wird  in 
extenso  eingegangen.  Sein  eigenes  Material  und  dessen  Therapie 
bespricht  der  Autor  im  vierten  und  fünften  Kapitel.  Die  Symptome 
der  Krankheit  und  die  Behandlungsmethoden  '  werden  ausführlich 
mitgeteilt.  Die  Behandlung  des  Autors  war  zum  Teil  eine  konservative 
(Gipsverband,  nur  das  kranke  Bein  umfassend,  mit  Einbeziehung 
des  Kniegelenks  von  dessen  Fixation  Autor  keinen  Schaden  sah). 
Bei  bestehenden  Abszessen  zieht  er  die  Punktion  und  Injektion  von 
Jodoformglyzerin  allen  anderen  Methoden  vor.  Er  erzielte  bei 
22  Abszessen  unter  44  durch  dieses  Verfahren  Heilung.  Die  kon¬ 
servative  Behandlung  wurde  auf  99  Fälle  angewendet,  von  denen 
später  29  reseziert  wurden.  Beckenresektionen  hat  der  Verfasser 
nicht  aasgeführt.  Bei  der  Resektion  bediente  er  sich  der  gewöhn¬ 
lichen  Resektionsschnitte,  mit  welchen  er  vollständig  auslangte.  Bei 
der  Resektion  verfolgte  er  das  Ziel,  alles  Kraidce  zu  entfernen  und 
alles  übrige  möglichst  zu  erhalten.  In  zwei  Fällen  führte  er  di(s 
Exartikulation  aus.  Das  sechste  Kapitel  teilt  die  Resultate  der 
Behandlung  mit,  im  siebenten  wird  die  Statistik  des  Autors  mit 
anderen  Statistiken  verglichen  und  kritisiert.  Er  erzielte  77'5Yo 
Heilungen.  Obwohl  die  Behandlung  des  Autors  eine  vorwiegend 
konservative  war,  so  spricht  er  sich  doch  in  S(hi<Mi  Konklusionen 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


32B 


im  SchluJikapitel  vielfach  günstig  für  die  operative  Behandlung  aus, 
und  prophezeit  ihr  in  der  Zukunft  allgemeinere  Anwendung,  allei- 
dings  mit  der  Einschränkung,  daß  man  auch  hier  nicht  wieder  ins 
Extreme  geraten  dürfe.  Die  Arbeit  enthält  außerdem  mohrei-e 
Köntgentafeln  und  Skizzen  von  Röntgenaufnalmien ;  im  Anhänge 
werden  die  Krankengeschicliton  gebracht.  —  Die  Arbeit  zeichnet 
sich  durch  Gründlichkeit  und  gute  Darstellung  aus  und  entwickelt 
in  anschaulicher  Weise  ein  Bild  des  gegenwärtigen  Standes  in  der 
Koxitisbehandlung. 

* 

Nierenchirurgie,  ein  Handbuch  für  Praktiker. 

Von  Prof.  Dr.  C.  Gane,  Geh.  Medizinalrat,  Direktor  der  chirurgischen 
Klinik  der  .Universität  in  Breslau,  und  Dr.  0.  Ehrhardt,  Privatdozenl 
für  Chirurgie  an  der  Universität  in  Königsberg  in  Preußen. 

Mit  90  Abbildungen. 

Berlin  1907,  Verlag  von  S.  Karger,  Karlstraße  15. 

Das  hauptsächlich  für  Praktiker  bestimmte  Handbuch  enthält 
eine  möglichst  kurzgefaßte  Darstellung  der  Nierenchirurgie.  Bei  der 
Bearbeitung  des  Stoffes  waren  für  die  Autoren  hauptsächlich 
ihre  eigenen  Erfahrungen  auf  dem  Gebiete  der  Nierenchirurgie  ma߬ 
gebend,  wodurch  das  Buch  ein  mehr  subjektives  Gepräge  erhält. 
Jedem  einzelnen  Kapitel  ist  ein  Literaturverzeichnis  angefügt,  worin 
die  wichtigsten  einschlägigen  Arbeiten  zitiert  sind ;  auf  Vollständigkeit 
der  Angaben  verzichten  die  Autoren  seihst.  ,  Der  didaktische  Wert 
des  Werkes  wird  durch  in  den  Text  eingeschaltete,  sehr  gut  gewählte 
Illustrationen  erhöht,  die  sich  durch  prachtvolle  Plastik  und  feine 
Ausführung  auszeichnen ;  der  geringe  Umfang  des  Buches  und  seine 
präzise  Ausdrucksweise  sind  ein  weiterer  Grund,  es  dem  Praktiker 
bestens  zu  empfehlen. 

* 

Die  allgemeine  Lehre  von  den  Frakturen  und  Luxationen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Extensions¬ 
verfahrens. 

Von  Geh.  Medizinalrat  Dr.  B.  Bardeiiheuer,  Professor  der  Chirurgie  an 
der  Akademie  für  praktische  Medizin  in  Köln. 

Mit  11  Tafeln  und  39  Textabbildungen. 

Stuttgart  1907,  Verlag  von  Ferdinand  Enke. 

Dieses,  v.  Bergmann  zum  70.  Geburtstage  gewidmete  Buch 
basiert  auf  der  25jährigen  Erfahrung  des  auf  dem  Gebiete  der 
Extensionsbehandlung  der  Frakturen  und  Luxationen  äo  verdienst¬ 
vollen  Verfassers.  Es  gibt  eine  ausführliche  Pathologie  und  Klinik 
der  genannten  Verletzungen  mit  Rücksicht  auf  die  Verletzungen 
selbst  und  deren  Folgezustände.  Die  gesamten  Behandlungsmethoden 
werden  genau  besprochen  und  ihre  Resultate  mit  denen  der 
Extensionsbehandlung  in  Vergleich  gezogen.  1 1  Röntgen  tafeln 
demonstrieren  verschiedene  Fälle  von  Frakturen  und  das  durch  die 
Extensionsbehandlung  erzielte  Resultat  quoad  Stellung  der  Fragmente. 
Das  vortreffliche  Buch  wird  bei  der  großen  Bedeutung  der  Extensions¬ 
behandlung  allen  Fachgenossen  eine  erwünschte  Erscheinung  auf 
diesem  Gebiete  sein  und  so  auch  das  Bestreben  des  Autors  erfüllen, 
die  Extensionsbehandlung  zum  Gemeingut  der  praktischen  Aerzte  zu 
machen. 

* 

Die  Chirurgie  des  praktischen  Arztes  mit  Einschluß 
der  Augen-,  Ohren-  und  Zahnkrankheiten 

bearbeitet  von  Prof  Dr.  A.  F  r  ae  n  k  e  1  in  Wien,  Geh.  Med. -Rat  Professor 
Dr.  K.  Garre  in  Breslau,  Prof.  Dr.  H.  H  ä  c  k  e  1  in  Stettin,  Professor 
Dr.  C.  H  e  ß  in  Würzburg,  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  F.  König  (Berlin) 
in  Jena,  Prof.  Dr.  W.  K  ü  m  m  e  1  in  Heidelberg,  I.  Oberarzt  Doktor 
H.  Kümmel  1  in  Hamburg-Eppendorf,  Prof.  Dr.  G.  Ledder  hose  in 
Straßburg  i.  E.  Prof.  Dr.  E.  L  e  s  e  r  in  Halle  a.  S.,  Prof.  Dr.  W.  Müller 
in  Rostock  in  Mecklenburg,  Prof.  Dr.  J.  Sc  he  ff  in  Wien,  Prof.  Doktor 

0.  Ti  11  mann  in  Köln. 

I.  und  II.  Hälfte.  Mit  75  und  96  Abbildungen. 

Bogen  1—24  und  25—59.  Preis  M.  8  und  12. 

Stuttgart.  Verlag  von  Ferdinand  Enke. 

Dieses  als  Ergänzuugsband  zum  Handbuch  der  prak¬ 
tischen  Medizin  gedachte  Werk  liegt  nun  in  Gänze  vor.  Die 
Namen  der  Bearbeiter  der  einzelnen  Kapitel  dürften  genügen, 
das  Werk  zu  empfehlen.  In  möglichst  gedrängter  Kürze  und  da¬ 
bei  doch  umfassend  ist  alles,  was  für  den  praktischen  Arzt  zur 
Beurteilung  und  Behandlung  der  chirurgischen  Krankheiten  er¬ 
forderlich  ist,  zusammenge tragen  und  in  instruktiver  und  leicht 
faßlicher  Weise  dargestellt.  Vorzügliche  Abbildungen  beleben  den 
Inhalt  des  Buches  und  Literaturverzeichnisse  arn  Schlüsse  eines 


jeden  Kapitels  ermöglichen  dem  Leser  in  den  einschlägigen  Werken 
rasche  Orientierung.  Füi'  die  Fachhibliof hek  des  praktischen  Arztes 
kann  dieses  Werk  bestens  empfohlen  vveiihm. 

Pupovac. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

130.  (Aus  der  Innsbrucker  chirurgischen  Klinik.)  l.iokaU', 
subkutane  und  subduralc  S  e  r  um  ap  p  1  i  ka  ti  o  n  h(.>i  Te- 
t a n u  s,  n e  b  s  t  Be m e  r k u n g e n  über  T e  t a n u s p r  o p h y  1  a x e. 
Von  Suter.  Verf.  teilt  drei  Fälle  von  klinisch  einwandfreiem 
und  bakteriologisch  festgestelltem  Tetanus  mit,  die  durch  Serum¬ 
therapie  geheilt  wurden.  Das  Tetanusserum  kann  man  in  drei 
Formen  anwenden;  lokal,  subkutan  und  subdural,  ln  der  Inns¬ 
brucker  Klinik  wurden  alle  drei  Anwendungsformen  gleichzeitig 
zur  Behandlung  der  Kranken  herangezogen  u.  zw.  in  folgeufler 
Form:  Die  Kranken  bekommen  sofort  100  A.-E.  subkutan  und 
durch  Lumbalpunktion  20  A.-E.  subdural  injiziert,  während  in 
die  Wunde  ein  mit  flüssigem  Antitoxiii  imhihiertor  Tampon  ge¬ 
legt  wird.  Damit  das  Serum  möglichst  in  der  Wunde  bleibe,  wird 
über  dem  Tampon  ein  Stückchen  Billroth-Battist  gelegt.  So¬ 
lange  keine  Besserung  des  Tetanus  eintritt,  werden  die  subkutanen 
Injektionen  täglich,  die  subduralen  Injektionen  jeden  zweiten  Tag 
wiederholt,  der  Tampon  täglich  gewechselt.  Tritt  Besserung  ein, 
so  werden  zunächst  die  subduralen  Injektionen  sistiert,  später 
wird  die  Dosis  der  subkutanen  Injektion  auf  60  A.-E.,  dann  auf 
40  und  20  A.-E.  herabgesetzt,  schließlich  auch  diese  jmr  mehr 
jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  gegeben.  Die  lokale  Behandlung 
wird  täglich  solange  fortgesetzt,  bis  entweder  die  Wunde  geheilt 
ist  oder  sämtliche  Tetanussymptome  geschwunden  sind.  Mäßige 
Dosen  von  Narkotika  sind  zur  Unterstützung  der  Therapie  an¬ 
gezeigt.  Was  speziell  die  lokale  Applikation  von  Serum  hei  Te¬ 
tanus  anbelangt,  so  scheint  diese  Suter  in  jedem  Falle  zur  An¬ 
nahme  berechtigt  zu  sein,  damit  dem  in  der  Wunde  vorhandenen 
Antitoxin  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  auf  demselben  Wege  in  den 
Organismus  vorzudringen,  welchen  die  Toxine  eingeschlagen  haben. 
Der  konstanten  Inundalion  kann  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
wohl  die  Wirkung  einer  subkutanen  und  vielleicht  auch  einer 
endoneuralen  Injektion  zugedacht  Averden.  Was  die  xAbtragung 
von  Extremitäten  oder  einzelnen  Gliedern  derselben  anbelangt, 
so  ist  der  Stand])unkt  Suters  folgender:  Sind  es  Finger  oder 
Zehen,  deren  Entfernung  später  keine  wesentlichen  Funktions¬ 
störungen  macht,  so  wird  sofort  radikal  vorgegangen  und  enu- 
kleiert,  sobald  die  ersten  Zeichen  von  Tetanus  auftreten.  Han¬ 
delt  es  sich  um  ganze  Extremitäten,  so  ist  konservativ  vorzu¬ 
gehen,  wenn  Aussicht  vorhanden  ist,  daß  sie  wieder  gebrauchs¬ 
fähig  Averden.  Von  dem  Vierte  prophylaktischer  Seruminjektionen 
hält  Suter  auf  (.Irund  seiner  eigenen  und  der  in  der  Literatur 
niedergelegten  Erfahrung  nicht  viel.  —  (Beiträge  zur  klinischen 

Chirurgie,  Bd.  52,  H.  3.)  E.  V. 

* 

131.  Aus  dem  chirurg.  Stadtlazarett  zu  Danzig.  Ueber 
Niereneiterungen  in  der  Schwangerschaft.  Von  Pro¬ 
fessor  Dr.  Barth,  Oberarzt  des  chirurgischen  Stadllazaretls. 
Verf.  berichtet  über  drei  Fälle  von  Niereneiterungen  in  der 
Schwangerschaft.  Der  erste  Fall  ■ —  der  als  Typus  dieser  Er¬ 
krankung  gelten  kann  —  betraf  eine  24jährige  Frau,  die  im 
sechsten  Monat  gravid,  im  Juli  1901  mit  akut  hohem  Fieber, 
sowie  Schmerzen  in  der  rechten  Nierengegend  (vier  Wochen 
trotz  interner  Behandlung  andauernd)  zur  Beobachtung  kam.  Die 
zystoskopische  Untersuchung  ergab  bei  normaler  Blase  Enveiß, 
Eiterzellen  und  stäbchenförmige  Bakterien  in  dem  sauren  Harn. 
Am  24.  Juli  wird  durch  die  Nephrotomie  das  rechte  Nieren¬ 
becken  eröffnet  und  mehrere  Löffel  voll  eitrig  getrübten  Harnes 
entleert;  NierengeAvehe  normal.  Tamponade.  Die  Schmerzen  hör¬ 
ten  sofort  auf,  die  Temperatur  fiel  ab  und  Pat.  konnte  nach 
drei  Wochen  mit  einer  Harnfiistel,  ansonsten  aber  bescliAverde- 
frei,  entlassen  Averden.  Letztere  schloß  sich  nach  der  rechtzeitig 
im  September  erfolgten  Entbindung  eines  gesunden  Kindes  von 
selbst.  Im  Oktober  1902  erkrankte  Pat.,  im  fünften  Monat  schAAAan- 
ger,  unter  ähnlichen  Erscheinungen.  Abermals  Nephrotomie  (in 
der  alten  Narbe),  wobei  wieder  eitriger  Harn  ans  dem  Nieren¬ 
becken  entleert  wurde.  Nach  drei  Woclien  Entlassung  i.ii  besten 


WlEiXER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Hefiiulen,  wieder  mit  einer  Harnfistel,  die  sich  nach  der  im 
.Tanuar  1903  normal  erfolgten  Geburt  von  selbst  schloß.  Dann 
fortdauernd  klarer  Harn.  Im  Oktober  1903  wurde  bei  abermaliger 
tiravidität  und  älmlicben  Beschwerden  von  gynäkologischer  Seite 
künstlicher  Abortus  eingeleitet.  Seitdem  abortierte  die  Frau  spon¬ 
tan  noch  dreimal,'  ohne  daß  NierenbescliAverden  aufget.reten  waren. 
Eine  Nachuntersiicbung  im  Oktober  1905  ergab  völlig  klaren, 
eiweißfreien  und  bakteriologisch  sterilen  Urin,  ln  einem  zweiten 
Falle  wurde  bei  doppelseitiger  Pyelonephritis  bei  einer  28jährigen 
Frau,  im  sechsten  Monat  gravid,  durch  die  künstliche  Früh¬ 
geburt  (4.  September  1904)  eine  Besserung  erzielt.  Ein  Jahr 
später  mußte  Avegen  ähnlicher  Erscheinungen  —  der  Harn¬ 
leiterkatheterismus  hatte  iin  Harn  beider  Nieren  Kokken  und 
Bacterium  coli  ergehen  —  die  Nephrotomie  ausgeführt  Averden, 
Avobei  100  enU  Eiter  aus  dem  rechten  Nierenbecken  entfernt 
Avurden.  Seitdem  ist  Pät.  bis  jetzt  gesund.  In  einem  dritten 
Falle  —  30jährige  Frau  (vorher  zwei  normale  Graviditäten),  im 
fünften  Monat  schwanger  —  Avurde  bei  bestehender  Pyurie,,  Druck¬ 
empfindlichkeit  in  der  rechten  Niere,'  Fieber  und  endokarditi- 
schen  Symptomen  der  Harnleiterkatheterismus  ausgeführt,  der 
aus  dem  rechten  Nierenbecken  dickeitrigen  Urin  mit  Bacterium 
coli  in  Reinkultur  ergab ;  nachher  setzten  Wehen  ein  und  in 
zAvölf  Stunden  erfolgte  die  Frühgeburt.  Abfall  der  Temperatur; 
das  Geräusch  am  Herzen  sclnvand,  der  Urin  wurde  klarer  und 
Pat.  Avurde  nach  vier  AVochen  geheilt  entlassen.  Es  handelte  sich 
in  allen  Fällen  —  auch  bei  den  meisten  in  der  Literatur  ge¬ 
sammelten  (Opitz  stellte  69  Fälle  zusammen)  —  'um  die 
rechte  Niere.  Ohne  ZAveifel  sind  für  diese  Niereneiterungen 
Abfluß  hind  ernisse  in  den  Harnleitern  hei  Anwesenheit 
von  Bakterien  als  Ursache  anzunehmen.  Hiefür  spricht;  daß 
meist  die  rechte  Niere  der  Sitz  der  Erkrankung  ist.  Der  rechte 
Harnleiter  bildet  an  der  Kreuzungsstelle  der  Iliaka  einen  Winkel, 
der  angeblich  Amm  Avachsenden  Uterus  leichter  gedrückt  und 
mehr  seitlich  verschoben  AAÜrd,  Avodurch  der  Knickungswinkel 
vermehrt  Averde.  Verf.  ist  mit  Opitz  der  Meinung,  daß  schon 
die  SchAvellung  des  Ureters  Avährend  der  Schwangerschaft  ge¬ 
nügt,  um  ein  relatives  Hindernis,  besonders  des  rechten  Ureters 
am  KreuzungsAvinkel  herbeizuführen,  da  ja  die  Harnleiter  an 
der  Hyperämie  der  Beckenorgane  Amm  Beginne  der  Gravidität 
an  teilnehmen;  dies  mache  es  auch  verständlich,  daß,  obgleich 
die  Mehrzahl  dieser  Niereneiterungen  in  die  Mitte  der  SchAvanger- 
schaft  fallen,  auch  zu  Beginn,  im  zAveiten  Monat  die  Erkrankung, 
einsetzen  könne.  Für  das  Abflußhindernis  im  Ureter  spricht  auch 
die  übereinstinnnende  Beobachtung,  daß  nach  der  Entleerung  des 
Uterus  die  Eiterretention  im  Nierenbecken  schnell  aufhört;  be¬ 
sonders  charakteristisch  erscheint  aber  die  zweimalige  Beobach¬ 
tung  (Verf.)  einer  Nierenfistel  nach  der  Nephrotomie  Avährend 
der  SchAvangerschaftsdauer,  die  sich  nach  der  Entbindung  so¬ 
fort  von  selbst  schloß.  Fast  immer  handelt  es  sich  um  eine 
Bacterium  coli -Infektion;  das  erklärt  auch  den  relativ 
gutartigen  Verlauf.  Das  Bacterimn  coli  —  bekanntlich  ein  häu¬ 
figer  Befund  bei  Niereneiterungen  —  schmarotzt  häufig,  ohne 
eine  andere  Erscheinung  als  das  der  Bakteriurie  zu  bieten,  harm¬ 
los  an  der  Oberfläche  der  Schleimhäute  der  HarnAvege;  erst 
Avenn  es  zur  Stauung  des  infizierten  Harnes  kommt,  Toxine  sich 
aufspeichern  rmd  zur  Resorption  gelangen,  tritt  die  Infektion 
klinisch  in  die  Erscheinung.  Für  die  Art  und  Weise  der  In¬ 
fektion  bleibt  A'orläufig  die  Annahme  auf  dem  Wege  der  Blut¬ 
bahn  die  allein  Amrständliche  Erklärung.  Da  das  Bacterium  coli 
—  einmal  in  die  oberen  HarnAvege  gelangt  —  nicht  so  bald  ver¬ 
schwindet,  ist  das  häufige  Rezidiv  bei  Aviederholter  Schwanger¬ 
schaft  leicht  hieraus  zu  erklären.  Mschinfektionen  von  Bac¬ 
terium  coli  und  Eiterkokken  —  Avie  dies  für  den  zAveiten  mit¬ 
geteilten  Fall  nachgeAviesen  Avurde  —  sind  selten  und  zeichnen 
sich  gegen  die  reine  Kolipyelitis  durch  einen  protrahierten,  viel 
schAvereren  Verlauf  aus.  In  therapeutischer  Hinsicht  Averdc, 
Avenn  die  interne  Behandlung,  einschließlich  der  Lagerung  der 
Kranken  auf  die  gesunde  Seite  zur  Entlastung  des  Harnleiters', 
nicht  zum  Ziele  führt.,  von  den  Gynäkologen  die  unblutigen 
iMethoden,  künstliche  Frühgeburt,  neuerdings  der  Harnleiter¬ 
katheterismus,  empfohlen.  Erstere  beseitigt  ZAvar  die  Gefahren 
für  das  Leben  der  Mutter  (in  der  Literatur  ist  unter  elf  künst¬ 
lichen  Frühgeburten  kein  Todesfall  verzeichnet),  nimmt  aber  auf 


das  Leben  des  Kindes  keine  Rücksicht.  Der  Harnleiterkathe- 
terismus  hat  nach  Verf.,  da  das  relative  Hindernis  nicht  im 
Nierenbecken,  sondern  am  KnickungsAvinkel  sitzt,  somit  durch 
die  Sondierung  nur  vorübergehend  beeinflußt  Averden  kann,  ge¬ 
ringe  Aussichten,  eine  Heilung  herbeizuführen.  Außerdem  kajin, 
Avie  dies  für  den  dntten  mitgeteilten  Fall  anzunehmen  ist,  der 
Ureterenkatheterismus  in  dem  Sinne,  daß  krampfhafte  Kontrak¬ 
tionen  des  Harnleiters  reflektorische  Kontraklionen  de,s  Uterus 
auslösen,  zur  Frühgeburt  führen,  Avenn  dies  auch  nicht  immer 
sein  muß.  Da  Nierenoperationen  Avährend  der  ScliAvangerschaft 
ausgezeichnet  vertragen  und  nur  ausnabmsAveise  zum  Abortus 
führen  (in-  der  Literatur  in  17  Fällen  nur  einmal  u.  zav.  zwei 
Monate  nach  der  Nephrotomie),  so  tritt  Verf.  —  selbstverständlich 
nur  in  schAveren,  Gesundheit  und  Leben  bedrohenden  Fällen  — 
in  überzeugender  Weise  für  die  Nephrotomie  bei  ScliAvanger- 
schaftspyelitis  ein,  die  auch  das  kindliche  Leben  am  meisten 
von  allen  Verfahren  berücksichtigt;  sie  ist  bei  der  relativen 
Ungefährlichkeit  für  die  Mutter  um  so  mehr  indiziert,'  als  in 
der  Hälfte  der  Fälle  von  SchAvangerschaftspyelitis  der  Abortus 
eintrat.  Von  53  Fällen  trugen  nach  Opitz  nur  20  aus,  23  abor¬ 
tierten,  bei  10  Avurde  die  künstliche  Frühgeburt  eingeleitet.  — 
(Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1906,  Bd.  85.  —  Festschrift 
für  V.  Bergmann.)  F.  H. 

* 

132.  (Aus  der  Tübinger  Klinik.)  Ueber  die  Behand¬ 
lung  der  a p p e n d i z i ti s ch e n  Abszesse.  Von  v.  Brunn. 
In  einer  sehr  ausführlichen  Arbeit  legt  ac  Brunn  den  Stand¬ 
punkt  klar,  den  die  Tübiixger  Klinik  in  Iler  Behandlung  appen- 
dizitischer  Abszesse  einnimmt.  Jede  Appendizitisoperation,  bei 
Avelcher  der  Appendix  nicht  gefunden  Avurde,  bezeichnet  v.  Brunn 
als  unbefriedigend  und  uiwollkommen.  Zunächst  wird  man  nie 
eher  sicher  sein  können,  keinen  Abszeß  übersehen  zu  haben, 
bis  man  nicht  die  Ursache  für  die  Eiterung,  den  Wurmfortsatz, 
Amr  sich  hat;  ferner  ist  man  in  allen  Fällen  mit  appendizitischem 
Abszeß,  in  Avelchem  der  Appendix  nicht  gefunden  Avurde,  ge¬ 
nötigt,  später  die  Intervalloperation  auszuführen  und  so  seinen 
Kranken  allen  Gefahren  einer  Narkose  und  des  Eingriffes  selbst 
neuerlich  auszusetzen.  Je  frischer  die  Veränderungen,  je  jünger 
der  Abszeß,  um  so  eher  Avird  man  Aussicht  haben,  den  Wurm¬ 
fortsatz  zu  finden,  denn  um  so  leichter  ist  er  zu  entdecken. 
Man  scheue  sich  nicht,  auch  bei  sicher  diagnostiziertem  Abszeß 
durch  die  freie  Bauchhöhle  durchzugehen,  die  Adhäsionen  zu 
lösen,  um  mit  Sicherheit  den  Appendix  zu  finden.  Nach  der 
Operation  schließt  v.  Brunn  die  Bauchwunde  durch  eine  drei¬ 
schichtige  Naht  und  führt  auch  bei  großen  Abszessen  nur  ein 
kleines  Drain  ein.  v.  Brunn  vergleicht  dann  71  offen  und  25 
mit  Naht  behandelte  Fälle  von  appendizitischem  Abszeß),  yvobei 
dann  der  Vergleich  in  jeder  Beziehung  zugunsten  der  mit  Naht 
behandelten  Fälle  ausfällt.  Die  radikale  Behandlungsmethode  hat 
sich  der  anscheinend  schonenderen,  Avelche  sich  auf  Oeffnung 
und  Offenhalten  der  Abszeßhöhle  beschränkt,  nicht  nur  als  eben¬ 
bürtig,  sondern  als  erheblich  überlegen  gezeigt.  Dies  gilt  erstens 
für  die  Gefährlichkeit  der  Operation  an  sich,  die  ^Mortalität  der 
radikal  behandelten  appendizitischen  Abszesse  ist  eine  erheblich 
geringere  als  bei  bloßen  Abszeßinzisionen ;  der  einzige  Todes¬ 
fall  bei  der  radikalen  Behandlungsmethode  betrifft  eine  retro- 
peritoneale  Phlegmone.  Ferner  hat  sich  die  radikale  Behandlungs¬ 
methode  durch  das  seltenere  Vorkommen  Amn  Störungen  Avährend 
der  Nachbehandlung  beAvährt;  letztere  bestanden  lediglich  in 
einigen  Fadeneiterungen  und  in  der  Minderheit  der  Fälle  in  dem 
Offenbleiben  des  Drainkanales  in  Gestalt  einer  Avenig  sezernie- 
renden  Fistel.  Kotfisteln  wurden  bei  der  radikalen  Behandlungs- 
Aveise  nie  beobachtet,  Avährend  sie  bei  inzidierten  und  tampo¬ 
nierten  Abszessen  nicht  selten  auftreten.  Der  dritte  wesentliche 
Vorzug  liegt  in  der  viel  größeren  Sicherheit  Amr  einem  Rezidiv 
der  Appendizitis.  ,,Es  gelingt  auch  im  Abszeßstadium  mit  A^er- 
schAvindenden  Ausnahmen,  den  Wurmfortsatz  ohne  allzugroß.3 
Schwierigkeit  aufzufinden  und  zu  entfernen.  Die  zu  diesem 
Zwecke  erforderliche  Lösung  der  Verklebungen  und  VerAvach- 
sungen  bedingt  keine  größere  Gefahr  für  das  Peritoneum  als  tlie 
einfache  Abszeßspaltung  und  Tamponade.“  —  Beiträge  zur  klini¬ 
schen  Chirurgie,  Bd.  52,  H.  3.)  E,  V. 

* 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1907. 


325 


133.  T  r  a  11  sp  0  r  i  t  o  n  e  a  1  e  Freilegung  der  Wirbel¬ 
säule  bei  tuberkulöser  Spondylitis.  Von  Professor  Dok¬ 
tor  W.  Müller,  Direktor  der  chirurgischen  Klinik  in  Rostock. 
Bei  einer  35jährigen  Frau  wurde  u.  a.  hei  hhnanueller  Unter¬ 
suchung  per  vaginani  und  per  rectum  in  der  Gegend  des  Pro¬ 
montoriums  ein  deutlicher,  flacher,  rundlicher  Tumor  von  Hand- 
tellergröße,  stark  druckempfindlich,  von  elastischer  Konsistenz, 
dem  oherslen  Sakralwirbel  aufsitzend,  scheinbar  unbeweglich, 
gefunden.  Unter  gleichzeitiger  Berücksichtigung  der  Anamnese 
(vorwiegend  Zunehmen  der  Kreuzschmerzen,  geringe  Körperab¬ 
nahme)  wurde  ein  Neoplasma  oder  eine  Zyste  (EcLinokokkus  ?) 
oder  ein  Abszeß-  angenommen.  Das  Röntgenbild  gab  keinen  Auf¬ 
schluß.  Wegen  zunehmender  Schmerzen  willigt  Pal.  in  eine 
Operation  ein.  Laparotomie  in  steiler  Beckenhochlagerung,  wo¬ 
durch  die  Intestina  tief  zui'ücksinken.  Unter  sorgfähigem  Schutze 
der  Bauch-  und  Beckenhöhle  mittels  Gazekompressen  wird  das 
durch  die  bestehende  starke  Lordosenlagerung  leicht  zugängliche 
und  im  Bereiche  des  letzten  Lenden-  und  ersten  Sakral wirhels 
vorgewölhte  hintere  Peritoneum  rechts  von  der  Mittellinie  längs 
inzidiert  und  nach  beiden  Seiten  abgelöst.  Die  Punktion  durch 
die  ziemlich  derbe  Faszienperiost  schiebt  in  der  Höhe  des  ersten 
Lendenwirbels  ergibt  unverkennbar  tuberkulösen  Abszeßeiter. 
Breite  Längsinzision  der  dicken  Abszeßwand  nach  vorherigem 
Schutze  der  Beckenhöhle  durch  provisorische  Vernähung  der 
Peritonealschnittränder  mit  dem  Peritoneum  parietale,  der  Linea 
innominata  entsprechend.  Durch  Auseinanderziehen  der  Absze߬ 
wand  erhält  man  einen  überraschend  guten  Ueberhlick  über  das 
erkrankte  Wirbelgehiet.  In  der  Zwischenwirbelsäule,  zwischen 
dem  ersten  Lenden-  und  dem  ersten  Sakralwirbel,  befinden  sich 
zwei  nach  oben  perforierende  Herde.  Nach  Entfernung  alles 
tuberkulös  erkrankt  Scheinenden  mit  Meißel  und  scharfem  Löffel 
wird  die  Knochenhöhle  mit  Jodoformpulver  eingepudert,'  die  derbe, 
periostale -fasziale,  yordere  Abszeßiwanid  exakt  mit  Catgut  ver¬ 
näht,  darüber  das  hintere  Peritonealhlatt  mR  doppelt  einstülpen¬ 
der  Catgutnaht  geschlossen.  In  der  Nachbehandlung  fehlten 
peritoneale  Symptome  vollkommen.  Heilung  der  Laparotomie¬ 
wunde  p.  p.;  Pat.  konnte  nach  sechs  Wochen  mit  einem  Gips¬ 
korsett  in  häusliche  Pflege  entlassen  werden.  Drei  Monate  post 
Operationen!  ist  Pat.  bei  einer  Nachuntersuchung  vollkommen 
beschwerdefrei.  Ein  scharfes  Röiitgenbild  läßt  erkennen,  daß 
zwischen  dem  fünften  Lenden-  und  dem  ersten  Kreuzwirhel  kein 
Spalt  besteht;  beide  Wirbel  scheinen  einen  Knochen  mit  durch¬ 
gehender  Spongiosastruktur  darzustellen.  Obwohl  Verf.,  da  es 
sich  um  Tuberkulose  handelt,  aus  der  scheinbaren  Ausheilung 
ein  Rezidiv  nicht  ausschließt,  das  ja  auch  bei  viel  zugänglicheren 
Erkrankungsherden  oft  eintritt,  glaubt  er  doch,  in  Anhetracht 
des  weit  klareren  Einblickes  in  das  gesamte  Erkrankungsgebiet 
und  bei  der  häufigen  Unzulänglichkeit  des  seitlichen  und  retro- 
peritonealen  Operationsweges  und  der  hazardierenden,  kon¬ 
servativen  Methoden  das  geschilderte  Verfahren  der  Nachprüfung 
in  ähnlichen  Fällen  empfehlen  zu  können,  insbesoiiiders  im  Früh¬ 
stadium  (bei  geringer  Ausdehnung  des  Abszesses)  und  bei  dem 
Sitze  der  Erkrankung  in  der  unteren  Lendenwirhelsäule.  Als 
besonderen  Vorteil  bezeichnet  Verf.  bei  der  Operation  die  durch 
die  Beckenhochlagerung  bei  überstrecktem  Hüftgelenk  erzielte  Lor¬ 
dosenlagerung  der  Lendenwirbelsäule.  Die  Befürchtung  einer 
tuberkulösen  Peritonitis  bei  Wiederfüllung  des  tuberkulösen  Ab¬ 
szesses  hält  Verf.  bei  exakter,  einstülpender  Naht  des  hinteren 
Peritonealblattes  für  kaum  gerechtfertigt.  —  (Deutsche  Zeitschrift 
für  Chirurgie  1906,  Bd.  85.  —  Festschrift  für  v.  Bergmann.) 

F.  H. 

* 

134.  (Aus  der  Grazer  chirurgischen  Klinik.)  Ueber  die 
Verrenkung  des  Unterkiefers  nach  hinten;  zugleich 
ein  Beitrag  zur  Behandlung  der  habituellen  Kiefer¬ 
verrenkung.  Von  Hacker.  Verf.  berichtet  über  einen  Fall 
von  habitueller  Kiefergelenksluxation  sowohl  nach  vorne  als  auch 
nach  hinten,  den  er  vor  22  Jahren  an  der  Klinik  Billroth' 
beobachtete  und  damals  mit  Alkoholinjektionen  in  und  um  die 
Gelenkskapsel  behandelte.  Der  Fall  kam  damals  zur  Heilung  und 
ist  bis  jetzt  (22  Jahre  später)  rezidivfrei.  Besonderes  Interesse; 
beansprucht  nach  Hacker  der  Fall  aus  folgenden  Gründen: 
1.  Ist  es  der  einzige  Fall,  in  dem  hei  demselben  Individuum 


wechselnd  eine  Luxation  des  Unterkiefers  nach  vorne  und  eine 
solche  tiach  hinten  zustande  kam;  2.  trat  infolge  der  gänzlichen 
Zahnlosigkeit  des  Ober-  und  Unterkiefers  mit  dem  Eintrilt  der 
Verrenkung  nach  hinten  auch  starke  Zyanose  des  Gesichtes  mid 
Dyspnoe  auf,  welche  Symptome  in  keinem  der  bisher  mitgeteilten 
Fälle  beobachtet  worden  waren;  3.  konnte  Hacker  die  Luxation 
nach  hinten  seihst  erzeugen;  4.  ist  Hacker  in  der  Lage,  die 
seinerzeit  im  Moment  der  von  ihm  erzeugten  Luxation  nach 
hinten,  sowie  im  normalen  Zustand  aufgenommenen  Photogra,- 
phien  beizubringen ;  5.  wurde  durch  die  eingeschlagcne  Therapie 
eine  Heilung  der  habituellen  Luxation  erzielt.  Das  Auftreten 
der  Zyanose  des  Gesichtes,  sowie  der  Dyspnoe  führt  Hacker 
darauf  zurück,  daß-  infolge  des  völligen  Zahnmangels  (durch  die 
hintere  Luxation  die  Zunge  vollständig  an  den  herabgedrückten 
Gaumen  angedrückt  wurde  und  so  den  Mund  verschloß,  wäh¬ 
rend  gleichzeitig  die  Nasenöffnung  durch  die  von  der  Unter¬ 
lippe  emporgedrängte  Oberlippe  verschlossen  wmrde.  Ferner  er¬ 
zeugte  die  beiderseitige  Luxation  nach  hinten  eine  noch  nicht 
hervorgehohene  Formveränderung  des  Gesichtes,  indem  vor  allem 
die  Gesichtshöhe  abnahm,  die  Nasolahialfalte  sich  veränderte  und 
die  seitlichen  Wangengegenden  sich  vorwulsteten.  Die  hintere 
Mandibularluxation  ist  nur  unter  bestimmten  anatomischen  V"er- 
hältnissen  des  Kopfskelettes  möglich,  die  zwar  nicht  ausschließ.- 
lich,  aber  doch  weitaus  häufiger  hei  Frauen  als  bei  Männern 
Vorkommen.  Diese  anatomischen  Verhältnisse  werden  von 
Hacker  sehr  genau  besprochen  und  auseinandergesetzt.  Das 
anatomisch -physiologische  und  daher  auch  zweckmäßigste  und 
schonendste  Repositionsverfahren  ist  Zug  nach  vorne  und  ab¬ 
wärts  an  dem  nahe  dem  Winkel  gefaßten  Unterkiefer  mit  folgender 
Drehung  um  seine  Achse,  derart,  daßi  das  Köpfchen  nach  vorne 
und  oben,  das  Kinn  nach  rückwärts  und  abwärts  gedreht  werden. 
Von  der  Symptomatologie  der  beiderseitigen  hinteren  Mandibular¬ 
luxation  sind  am  wichtigsten;  der  plötzliche  Eintritt  des  Zu¬ 
standes  beim  Schließen  des  geöffneten  Mundes,  das  gleichmäßige 
Zurückstehen  der  Zähne  oder  des  Alveolarbogens  des  Unter¬ 
kiefers  gegenüber  dem  Oberkiefer,  die  Unmöglichkeit,  den  Mund 
zu  öffnen  und  der  Nachweis  der  dicht  vor  dem  Processus  mastoi- 
deus  stehenden  Kieferköpfchen.  —  (Beiträge  zur  klinischen 

Chirurgie,  Bd.  52,  H.  3.)  E.  V.’ 

* 

135.  (Aus  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik  des  Geh. 
Hofrat  Prof.  Dr.  Narath.)  Beitrag  zur  operativen  'riiera- 
p  i  e  bei  lebensgefährlichen  profusen  M  a  g  e  n  b  1  u- 
tungen.  Von  Dr.  med.  Georg  Hirschei,  Assistenzarzt  der 
Klinik.  Die  absoluteste  Indikation  zum  operativen  Einschreiten 
bieten  nach  dem  Verfasser  diejenigen  offenen  Magengeschwüre, 
welche  mit  akuten  foudroyanten  Blutungen  einhergehen,  das 
Leben  direkt  bedrohen  und  durch  interne  Behandlung  nicht  mehr 
gerettet  werden  können.  Solche  mit  Erfolg  operierte  Magen¬ 
geschwüre  sind  selten.  Verf.  teilt  einen  solchen  im  September 
vorigen  Jahres  operierten  Fall  mit.  Ein  29jähriger  Zigarren- 
macher  war  seit  zwei  Jahren  magenleidend,  er  hatte  öfters 
Drücken  in  der  Magengegend  und  saures  Aufstoßen.  Seit  sechs 
Wochen  heftige  stechende  Schmerzen  in  der  Magengegend,  häu¬ 
figes  Aufstoßen  und  angehaltener  Stuhl.  Am  26.  September  v.  J. 
zweimaliges  heftiges  Bluthrechen,  das  sich  am  nächsten  Tage 
zweimal  in  profuser  Weise  wiederholte.  Gleichzeitig  reichlicher 
Abgang  schwarzen  Stuhles.  Der  herheigeholte  Arzt  ordnete  den 
sofortigen  Transport  nach  der  chirurgischen  Klinik  an.  Der  Patient 
war  völlig  ausgeblutet  und  befand  sich  in  halb  bewußtlosem 
Zustande,  Puls  war  nicht,  zu  fühlen.  Sofortige  Operation  unter 
leichter  Aethernarkose.  Bei  Eröffnung  der  Bauchhöhle  blutete 
es  nicht.  Die  Ahdominalorgane  waren  völlig  blutleer,  der  Magen 
war  groß  und  aufgebläht;  Pylorus  normal  und  nicht  verdickt. 
In  der  Annahme,  daß  bei  dieser  foudroyanten  Blutung  die  Arrosion 
eines  größeren  Gefäßes  vorliegen  müsse,  sah  Verf.  von  einer 
Gastroenterostomie  ab  und  exzidierte  das  an  der  kleinen  Kurvatur 
sitzende  Geschwür.  Auswaschen  der  Bauchhöhle  mit  einem  Liter 
warmer  Kochsalzlösung,  Versorgung  der  Wunde.  Eine  subku¬ 
tane  Kochsalzinfusion  war  schon  fiäiher  gemacht  worden.  Patient 
erholte  sich  von  der  Operation,  zeigte  am  nächsten  Tage  einen 
kleinen,  undeutlich  fühlbaren  Puls.  Von  da  an  sichtliche  Er¬ 
holung,  Zunahme  an  Gewicht.  Vier  bis  fünf  \Vochen  nach  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  11 


Uperalioii  klagte  l’al.  über  Drücken  in  der  iMagengegend ;  liie 
uiitl  da  Erbrechen.  Verf.  vermutete  eine  narldge  Stenosiernng 
durch  die  Resektion  in  der  Nälie  des  Pylorus  und  beschloß 
die  sekundäre  (laslroenterostoinie  nach  Hacker.  Rei  der 
Operation  fand  sich  eine  Einziehung  des  Magens  an  der  Re- 
sektionsstello  nach  dem  kleinen  Netze  zu  und  eine  feste  Fixation 
daselbst.  Pat.  erholte  sich  auch  von  dieser  Opej'ation  sehr  j'asch. 
Auf  der  Klinik  waren  bisher  sieben  Fälle  von  akuter  Ma,geid)lutung 
operiert  worden.  Dreimal  wurde  die  Exzision  des  Plkus  vorge¬ 
nommen;  zwei  Patienten  starben  an  Nachblutung  aus  dem  nicht 
vollständig  exstiri)ierten  Geschwür,  einer  an  Entkräftung.  Hei 
den  vier  anderen  Fällen  wurde  )iur  die  Gastroenterostomie  aus- 
geführl.  und  Heilung  erzielt.  Seither  wurde  in  der  Klinik  keine 
Exzision  bei  akuter  Rlutuiig  mehr  vorgenommen,  jedoch  durch 
einfache  Gastroenterostomie  vielfach  gute  Erfolge  erreicht.  Nach 
der  Ueberzeugung  des  Verfassers  bei  seinen  eigenen  Erfolgen 
und  nach  den  Angaben  anderer  Autoren,  dürfte  die  Gastro¬ 
enterostomie  die  dominierende  Operation  beim  Ulcus  ventriculi 
bleiben  und  die  Resektion  bei  chronischem  kallösen  Ulkus,  das 
schon  karzinomverdächtig  ist,  sowie  bei  schweren  akuten  fou- 
droyanten  Blutungen,  bei  denen  die  einfache  Gastroenterostomie 
von  vornherein  eine  Rettung  ausschließt,  wie  in  dem  mitgeteilten 
Falle,  angewandt  werden.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift 
1907,  Nr.  4.)  G. 

♦ 

136.  (Aus  der  Grazer  chirurgischen  Klinik.)  Ein  Beitrag 

zu  den  Folgen  des  traumatischen  Abortus.  Vhn 
K.  Fischer.  Nach  einer  näheren  Besprechung  der  verschiedenen 
Arten  der  Einleitung  des  kriminellen  Abortus  berichtet  Fischer 
über  folgenden  Fall;  Bei  einer  31jährigen  Frau  wurde  von  einer 
Hebannne  durch  Einführung  einer  Metallsonde  ohne  Leitung  des 
Fingers  oder  Zuhilfenahme  eines  Spiegels  der  Abortus  einzuleiten 
versucht.  Durch  die  Sonde  wurde  nach  Passieren  des  äußeren 
^Muttermundes  eine  Perforation  der  hinteren  Uteruswandung  ge¬ 
setzt,  worauf  die  Sonde  nach  aufwärts  glitt  und,  unter  dem  Pro¬ 
montorium  auf  Widerstand  stoßend,  ein  Loch  in  dem  parietalen 
Peritoneum  der  hinteren  Wand  erzeugte.  In  dieses  Loch  wurden 
dann  wahrscheinlich  sekundär  durch  die  Peristaltik  Dünndarmr 
schlingen  hineingetrieben,  was  eine  Inkarzeration  von  ungefähr 
3  cm  Ileum  zur  Folge  hatte.  Laparotomie.  Heilung.  (Beiträge 
zur  klinischen  Chirurgie,  Bd.  52,  H.  3.)  E.  V. 

* 

137.  Winke  für  die  Nachbehandlung  der  wegen 
Rektumkarzinom  sakral  Operierten.  Von  Professor 
.1.  Ho  dien  egg.  Verf.,  der  über  257  Fälle  von  Rektumexstir- 
])ationen  verfügt,  gewann  aus  seinen  Erfahrungen  den  Eindruck, 
daß  das  Schicksal  der  sakral  Operierten  mehr  als  bei  anderen 
Operationen  in  der  Nacbbebandlungsperiode  auf  dem  Spiele  steht. 
Auf  Fehler  in  der  Nachbehandlung  bezieht  er  auch  die  so  ungleiche 
Statistik  bei  den  verschiedenen  Operateuren.  Um  die  Vermeidung 
besonders  Avichtiger  Felder  in  der  Nachbehandlung  zu  fordern', 
berichtet  der  Autor  über  eine  Reihe  bemerkensAverter  Beob¬ 
achtungen  aus  seinem  reichen  Materiale.  In  einem  Falle  kam 
(‘S,  nachdem  Pat.  Avegen  mäßiger  Nachblutung  post  operalionem 
zwei  Tage  in  Rückenlage  gelegen  Avar,  zu  ausgebreitetem  subku¬ 
tanen  Hautempbysem,  das  sich  Amm  Skrotum,  Avelcher  kinds¬ 
kopfgroß  angesclnvollen  Avar,  an  der  vorderen  Bauchseite,  nament¬ 
lich  links  bis  über  den  Rippenbogen  hinauf  erstreckte.  Bei  dem 
am  dritten  Tage  Amrgenommenen  VerbandAvechsel  fand  man  Ruptur 
der  Darmnaht  eidsprechend  der  hinteren  Peripherie,  Austriff  von 
Kot  in  die  Höhle;  außerdem  müssen,  da  der  jetzt  eingefallene 
Bauch  tags  zuvor  geblälit  Avar,  massenhaft  Gase  abgegangen  sein. 
Wegen  der  Rückenlage  und  Avegen  des  festen  Abschlusses  der 
Wunde  durch  die  feuchten,  blutdurchtränkten  und  angeklebten 
Verbandstoffe  konnten  die  Gase  nicht  nach  außen  entAveichen  und 
führten  zu  dem  Emphysem.  ObAVohl  sich  keine  nachteiligen  Folgen 
einstellten,  stellt  H o c he n e g g  den  Salz  auf:  Sakral  operierte 
Patienten  sind  in  S e i t e n  1  a g e,'  nicht  in  Rückenlage, 
nachzubehandeln.  Bei  einem  anderen  Falle  mit  anfangs 
glattem  Verlaufe  AAmrde  Avegen  Fieber  ;un  achten  Tage  der  Ver¬ 
band  geAvechselt  und  derselbe,  da  sich  Pat.  kräftig  genug  fühlte, 
in  Knieellenbogenlage  vorgenommen.  Hiebei  kollabiert  der 
Patient  plötzlich  und  starb  unter  dem  Bilde  eimn-  foudroyant  I 


verlaufenden  Perforationsperitonitis  nach  26  Stunden.  Die  Sektion 
ergal),  daß  ein  zwischen  Darm  und  Blase  gelegener  großer  Ab¬ 
szeß  gegen  die  Bauchhöhle  geplatzt  Avar.  Als  Rehre  ergibt  sich 
hieraus:  Bei  saki'al  operierten  Patienten  muß  stets 
darauf  geachtet  Averden,  daß  das  Becken  tiefer  stehe 
als  Bauch  und  Rumpf,  ln  einem  anderen  Falle,  Ijei  Avelchem 
Avegen  stark  vejiöser  Nachblutung  am  ZAveiten  Tage  in  Knie¬ 
ellenbogenlage  der  Verband  geAvechselt  Averden  mußte,  führte  eine 
plötzlich  eintretende  Luftembolie  zum  sofortigen  Tode.  Eine 
Erhölumg  der  Beckenlage  (Schiefstellung  des  Bettes  durch  Er¬ 
höhung  des  Fußendes)  kann  aber  notwendig  und  erlaubt  sein 
bei  venösen  Nachblutungen  und  bei  Prolaps  der  Därme  gegen 
die  Wundh()hlc  durch,  den  rupturierten  Peritonealschlitz.  Urin¬ 
retention,  eine  häufige  Folge  nach  Rektumoperationen,  wird 
leicht  übersehen,  Aveil  sich  die  übervolle  Blase  nicht  nach  Amme 
über  die  Symphyse,  sondern  nach  rückAvärts  und  unten  gegen 
das  operativ  entleerte  Cavum  ischiorectale  ausdehnt.  Wird  das, 
Aveil  die  Patienten  wegen  Wmndschmerzen,  Operations-  und  Nar¬ 
kosewirkung  etc.  über  das  ansonst  lästige  Spannungsgefühl  der 
übervollen  Blase  nicht  klagen,  nicht  beachtet  und  der  KaÜAeter 
schließlich  in  die  überdehnte  Blase,  die  sich  nun  schAver  kon¬ 
trahiert,  eingeführt,  so  kommt  es  häufig  zu  schAveren  Formen 
von  Zystitis,  deren  Entstehen  insbesonders  leicht  durch  direkte 
Fortleitung  der  Entzündung  von  der  Whmde  auf  die  Blase,  deren 
hintere  Wand  einen  Teil  der  Begrenzung  des  Wundkavums  bildet, 
erklärlich  ist.  Diesbezügliche,  auf  Veranlassung  des  Autors  aus¬ 
geführte  systematische  bakteriologische  Untersuchungen-  des  Harns 
von  sakral  Operierten  ergab,  daß  ein  direktes  DurchAvandern 
von  Bakterien  von  dem  Whmdkavuin  gegen  die  Blase  sicher 
vorkomme.  Demgemäß  findet  man  vesikale  Sepsis  oft  als 
Todesursache  nach  sakralen  Operationen  verzeichnet.  Daher  ist 
in  jedem  Falle,  avo  die  Urinentleerung  in  den  ersten 
zAvölf  Stunden  nicht  erfolgt,  zu  katheterisier en.  Die 
größte  Sorgfalt  ist  den  S  tu  hl  verbal  Luissen  zuzuwenden.  Ver¬ 
fasser  eröffnet,  Aveim  Stuhl  ausgetreten  ist,  die  Wandhöhle  sofort 
breit.  Die  Entleerung  Avird  durch  Opium  verzögert,'  oder  wenn 
nach  der  Resektion  die  Nabt  gemacht  Avurde,'  durch  Klysmen 
möglichst  zu  verdünnen  gesucht;  um  die  Sprengung  der  Naht 
durch  die  harte  Kotsäule  zu  verhindern.  Im  allgemeinen  ist 
flüssiger  Kot  infektiöser  Avie  geformter;  daher  verzichtet  Hochen- 
egg  bei  starker  Stenosiernng  von  vornherein  auf  eine  vorbe¬ 
reitende  Entleerungskur.  Ueberaus  AAÜchtig  erscheint  eine  gründ¬ 
liche  D  a  r  m  e  n  1 1  e  e  r  u  n  g  n  a  c  h  e  r  f  o  1  g  t  e  r  H  e  i  1  u  n  g ;  nur  da¬ 
durch  kann  der  meist  vorlier  schon  bestehende  Dickdarmkatarrh 
zur  Heilung  gebracht  und  gleichzeitig  der  permanenten  Beschmutz¬ 
ung  Amrgebeugt  werden;  dann  aber  kommen  die  Operierten  durch 
eine  gründliche  Entleerungskur  auch  wieder  zu  Appetit  und  da¬ 
durch  zu  gutem  Ernährungszustand,  der  die  Patienten  gegen  ein 
Rezidiv  widerstandsfähiger  macht.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie  1906,  Bd.  85.  —  Festschrift  für  a^  Bergmann.) 

F.  H. 

* 

138,  Wann  soll  bei  diabetischer  Gangrän  ope¬ 
riert  Av  e  I-  d  e  n  ?  Von  Prof.  G.  K 1  e  'in  p  e  r  e  r,  Berlin.  Nach  ein¬ 
gehender  Besprechung  an  der  Hand  der  jüngsten  Literatur  beant- 
Avortet  der  Verfasser  die  Frage  in  folgender  Weise:  Diabetiker 
ohne  Azidosis  sind  bei  vorkommender  Gangrän  nicht  chirur¬ 
gisch  zu  behandeln,  sondern  es  ist  unter  strengster  Diät  die 
Demarkation  mit  Geduld  abzuwarten  und  der  Prozeß  durch 
trockene  Pulververbände  und  zeitweise  Bi  er  sehe  Stauung  zu 
beschleunigen.  Bei  Diabetikern  ohne  Azidosis,  welche  starke 
Albuminurie  haben  oder  Zeichen  einer  Granularatrophie  darbieten, 
ist  im  Falle  einer  beginnenden  Gangrän  möglichst  schnell  die 
hohe  Amputation  vorzunehmen.  Diabetiker  mit  Azidosis  sind 
ebenfalls  rasch  zu  operieren,  da  sie  ohne  Operation  oder  bei 
spät  erfolgter  Absetzung  sicher  verloren  sind.  Einerlei,  ob  diese 
Azidosis  schon  bestanden  oder  erst  nach  Einleitung  der  kohle¬ 
hydratfreien  Diät  eintritt,  ist  die  hohe  Amputation  vorzunehmen, 
auch  Avenn  der  lokale  Herd  nur  geringfügig  ist.  Verf.  beobachtete 
15  Fälle  Amn  Diabetes  mit  Zehengangrän.  Zehn  Fälle  ohne  Azet- 
essigsäure,  fünf  mit  Azidose.  In  sieben  Fällen  ersterer  Kategorie 
li'at  Zuckerfreiheit  des  Urins,  spontane  Demarkation  und  Heilung 
ohne  Operation  ein.  \’ou  fünf  Fällen  diabetischer  Gangrän  mit 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Azidosis  wurden  zwei  durch  die  Operation  gerettet,  wälirend  ilie 
drei  anderen  trotz  Operation  erlagen.  —  (Die  Therapie  der  Gegen¬ 
wart,  Januar  1907.)  E. 


Vermisehte  l'laehfiehfcen. 

Es  war  beabsichtigt,  in  der  heutigen,  der  Zentenarfeier  des 
k.  k.  Operateurinstitutes  gewidmeten  Nummer  der  Wiener  kli¬ 
nischen  Wochenschrift,  im  unmittelbaren  Anschlußi  an  die  Dar¬ 
stellung  der  geschichtlichen  Entwicklung  des  Institutes,  das  Ver¬ 
zeichnis  sämtlicher  Zöglinge  zu  bringen,  die  geit  der  Begründung 
dem  Institute  angehört  haben.  Im  Aufträge  der  Herren  Vorstände 
der  beiden  chirurgischen  Kliniken  hatten  sich  die  Herren  Doktoren 
V.  Saar  und  Richter  der  Aufgabe  unterzogen,  diese  Liste  zu¬ 
sammenzustellen,  waren  aber  wegen  der  Unvollständigkeit  der 
notwendigen  Behelfe  außerstande,  jetzt  schon  einen  lückenlosen' 
Ausweis  beizustellen.  Die  Fertigstellung  und  Publikation  der  Arbeit 
mußte  daher  einem  späteren  Zeitpunkte  Vorbehalten  bleiben.  Es 
wäre  im  Interesse  dieser  Arbeit  sehr  erwünscht,  wenn  diejenigen 
Herren,  die  bisher  der  Aufforderung,  die  nötigen  persönlichen 
Daten  zu  liefern  nicht  nachgekommen  sind,  sich  hiezu  noch  nach¬ 
träglich  entschließen  würden. 

* 

Ernannt:  Dr.  Leon  Asher  zum  a.  o.  Professor  der 
Physiologie  in  Bern. 

* 

Verliehen:  Dem  pens.  Stadtphysikus  kais.  Rat  Dr.  Aron 
Luzzatto  in  Görz  das  Ritterkreuz  des  Franz-Joseph-Ordens. 
—  Dem  Universitätsprofessor  Dr.  Norbert  Ortner  in  Wien  das 
Kommandeurkreuz  des  Ordens  „Krone  von  Rumänien“.  —  Dem 
Oberstabsarzt  Dr.  Franz  Ha;as  in  Wiener -Neustadt  das  Ritter¬ 
kreuz  des  Franz- Joseph- Ordens.  —  Dem  Privatdozenten  für 
Augenheilkunde  Claude  du  Bois-Reymond  in  Berlin  der 
Profess'ortitel. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Josef  Latkowski  und  Dr.  Erwin 
Miesowicz  für  innere  Medizin  in  Krakau.  —  In  Straßburg: 
Dr.  Pfersdorff  für  Psychiatrie  und  Generaloberarzt  Doktor 
Sch  um  bürg  für  Hygiene.  —  Dr.  Gavello  für  Nasen-  und 
Ohrenheilkunde  in  Turin. 

* 

Der  Präsident  der  deutschen  Sektion  der  mährischen  Aerzte- 
kammer,  Sanitätsrat  Primarius  Dr.  Franz  Brenner,  der  seit 
längerer  Zeit  erkrankt  ist  und  daher  seine  umfangreichen  Agenden 
einstweilen  seinem  Stellvertreter  übergeben  mußte,  hat  sich  zu 
seiner  Wiederherstellung  am  9.  d.  M.  nach  Abbazia  begeben. 
Die  deutschen  Aerzte  Mährens  und  mit  ihnen  wohl  die  gesamte 
Aerzteschaft  Oesterreichs,  die  Brenner  als  den  unermüdlichen 
und  unersetzlichen  Vorkämpfer  für  die  ärztlichen  Standesinter¬ 
essen  größten  Dank  schulden,  vereinigen  sich  in  dem  innigen 
Wunsche,  er  möge  recht  bald  die  erhoffte  Genesung  finden  und 
mit  der  gewohnten  Schaffenskraft  und  Schaffensfreude  an  die 
Stätte  seines  erfolgreichen  Wirkens,  in  den  Kreis  seiner  ihn 

verehrenden  Kollegen  zurückkehren. 

* 

Gestorben:  Primararzt  Dr.  Alexander  Ritter  von 

Weismayr,  Privatdozent  für  innere  Medizin  in  Wien.  —  Der 
Professor  der  pathologischen  Anatomie  Dr.  Oskai-  Israel  in 
Berlin.  —  Geh.  Hofr.  Prof.  Dr.  Thomas,  Direktor  der  Univer¬ 
sitätspoliklinik  in  Freiburg  i.  B.  —  Der  Direktor  der  Kinder¬ 
klinik  in  Greifswald  a.  o.  Prof.  Dr.  Krähler. 

♦ 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  Der  Beschluß  des  Kura¬ 
toriums,  in  der  Heilanstalt  A 11  and  möglichst  bald  eine 
Heilstätte  für  lungenkranke  Kinder  zu  errichten,  wird 
bereits  Mitte  Mai  zur  Venvirklichung  gelangen.  Durch  die  Güte 
edler  Menschenfreunde  und  durch  das  dankenswerte  Entgegen¬ 
kommen  der  österreichischen  Gesellschaft  vom  Roten  Kreuze, 
welche  dem  Vereine  drei  Baracken  leihweise  überließ,  ist.  es 
möglich  geworden,  die  systematische  Heilstättenbehandlung  auch 
an  Kindern,  was  bisher  in  Oesterreich  noch  nicht  geschehen 
war,  durchzuführen.  Um  die  Segnungen  einer  solchen  Behand¬ 
lung,  welche  besonders  in  Frankreich  glänzende  Erfolge  erzielt, 
recht  bald  den  armen  Kindern  zugute  kommen  zu  lassen,  wird 
diese  Station  bereits  Mitte  Mai  dieses  Jahres  eröffnet  werden. 
Insolange  nämlich  die  Mittel  für  den  Bau  eines  stabilen  Kinder¬ 
krankenpavillons  nicht  gesichert  sind,  werden  die  Kinder  in  vor¬ 
züglich  eingerichteten  Baracken  mit  Freiliegehallen,  welche  in 
urmiittelbarster  Waldesnähe  auf  einem  besonders  gut  geeigneten 
Terrain  der  Heilanstalt  Alland  aufgestellt  sind,  verpflegt  werden 
und  ist  deren  Zahl  vorderhand  auf  dreißig  Kranke  festgesetzt. 
Die  Vormerkungen  werden  unter  den  bisherigen  Bedingungen 


vom  2.  Mai  1907  an  im  Aufnahmsbureau,  Wien  IX.,  Lazarett¬ 
gasse  13,  entgegengenommen  werden. 

♦ 

Kongreß  für  physikalische  Heilmethoden.  Unter 
Vorsitz  Guido  Baccellis  findet  in  der  Zeit  vom  13.  bis  16.  Ok¬ 
tober  d.  J.  der  11.  Internationale  Kongreß  für  Physiotherapie 
in  Rom  statt.  Ueber  Anregung  des  Organisationsausschusses 
hat  sich  das  österreichische  Landeskomitee  dieses  Kon¬ 
gresses  konstituiert.  Es  besteht  aus  den  Herren:  Proff.  v.  Noor¬ 
den  und  Winternitz- Wien,  R.  v.  Jaksch  und  Meixner- 
Prag,  H.  Lorenz- Graz,  Rokitansky- Innsbruck,  Gluzinski- 
Lemberg  und  Jaworski- Krakau  als  Ehrenpräsidenten,  Re¬ 
gierungsrat  Prof.  A.  Lorenz- Wien  als  Präsidenten,  Privat¬ 
dozenten  Dr.  A.  Bum -Wien  als  Sekretär  und  den  Privatdozenten 
Erben,  Freund,  Holzknecht,  Kienböck,  Marburg, 
Strasser,  ferner  den  DDr.  Buchsbaum,  Grünbauer,  v.  Ho- 
vorka,  M.  Kahane,  M.  Weinberger- Wien,  Priv.-Doz.  G.  Pick 
und  Mladejovsky,  ferner  den  DDr.  Slavik  und  Wohrizek- 
Prag,  Priv.-Doz.  Spitzy  und  Wittek-Graz,  endlich  den  Privat¬ 
dozenten  V.  W  u  n s  c  h  h  e  i  m  -  Innsbruck,  Kowalski-  Lemberg 
und  C  h  1  u  m  s  k  y  -  Krakau . 

* 

Soeben  ist  in  der  Verlagsbuchhandlung  von  .1.  .1.  Weber 
in  Leipzig  das  Deutsche  Bäderbuch  erschienen,  das  unter 
Mitwirkung  des  Kaiserlichen  Gesundheitsamtes  in  Berlin  von  an¬ 
erkannten  Fachautoritäten  auf  dem  Gebiete  der  Balneo-  imd 
Klimatotherapie  bearbeitet  worden  ist.  CIV  und  536  Seiten  mil, 
13  Tafeln  graphischer  Darstellungen  von  Quellenanalysen,  einei 
Uebersichtskarte  und  der  He  11  mann  sehen  Regenkarte.  In  Ori¬ 
ginalleinenband  Ml<.  15.  Mit  dem  vorliegenden  Werke  soll 
den  deutschen  Aerzten,  Forschern  und  Laien  in  un¬ 
parteiischer,  nur  von  wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  ge¬ 
tragener  Arbeit  eine  zuverlässige  Nachschlagequelle  über  Deutsch¬ 
lands  Heilquellen,  Seebäder  Und  Luftkurorte  erschlossen  werden,  ln 
zuverlässiger  Weise  gibt  das  Werk  Auskunft  über  Lage  und 
Klima,  Heilquellen  und  sonstige  Kunnittel,  hygienische  und  öffent¬ 
liche  Einrichtungen  und  über  Verkehrsverhältnisse  von  etwa  490 
deutschen  Kurorten.  Bei  der  Sammlung  und  der  kritischen  Prüfung 
des  ungemein  umfangreichen  Materials  ist  es  infolge  der  Mit¬ 
arbeit  des  Kaiserlichen  Gesundheitsamtes  möglich  gewesen,  nicht 
nur  die  Quellen-  und  Kurverwaltungen,  sondern  auch  Behörden, 
meteorologische  Zentralinstitute  und  zahlreiche  geologische  Sach¬ 
verständige  zu  Rate  zu  ziehen,  so  daß  der  erreichbare  Grad  von 
Zuverlässigkeit  der  Angaben  gesichert  erscheint.  Insbesondere 
liegt  hier  zum  erstenmal  ein  rein  wissenschaftliches  Bäderbuch 

vor,  das  von  Empfehlungen  und  Anpreisungen  gänzlich  frei  ist. 

* 

Vorlesungen  über  Balneologie,  gehalten  an  der 
Wiener  Universität  von  Prof.  Dr.  Konrad  Clar.  Bearbeitet  und 
herausgegeben  von  Dr.  E.  Epstein.  Verlag  von  Den  ticke, 
Wien  und  Leipzig.  Clar  selbst  hatte  die  Absicht,  die  Vor¬ 
lesungen,  welche  er  ab  1880  an  der  Wiener  Universität  gehalten, 
im  Druck  erscheinen  zu  lassen.  Der  plötzliche  Tod  Clars  am 
13.  Januar  1904  ließ  diesen  Plan  nicht  zur  Ausführung  kommen. 
E.  Epstein  hat  es  nun  unternommen,  nach  den  im  Stenograinni 
vorhandenen  Vorlesungen  eine  Sichtung  und  Ordnung  des  Stoffes 
vorzunehmen,  die  Lücken  auszufüllen,  dabei  aber  den  Haupt¬ 
gedanken  des  Vortragenden  immer  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

* 

Im  Verlage  von  Fischers  Med. -Buchhandlung  H.  Kornfeld 
in  Berlin  ist  das  bekannte  Kompendium  der  Arznei  Ver¬ 
ordnung  von  0.  Liebreich  und  A.  Langgaard  in  sechster, 
vollständig  umgearbeiteter  Auflage  erschienen.  Preis  Mk.  15—. 
Im  vorliegenden  Werke  ist  außer  der  deutschen  auch  die  neue 
österreichische  Pharmakopöe  berücksichtigt  worden. 

♦ 

Die  Behandlung  der  t  u  1)  e  r  k  u  1  ö  ,s  e  n  Wirbelsäule  n- 
ent Zündung.  (90  Seiten.)  Von  Dr.  F.  Calot.  Uebersetzt  von 
Dr.  Ewald  in  Heidelberg.  Mit  einem  Vorwort  von  Prof.  Vul- 
pius.  Verlag  von  F.  Enke,  Stuttgart.  Bekanntlich  hat  Calot 
vor  etwa  zehn  Jahren  durch  seine  Veröffentlichungen  über  die 
von  ihm  eingeschlagene  Spondylitisbehandlung  ungeheures  Auf¬ 
sehen  erregt.  Den  Hoffnungen,  die  man  auf  diese  Therapie  setzte, 
ist  bald  die  Enttäuschung  gefolgt.  Nun  tritt  Calot  wieder  mit 
einer  Schrift,  welche  denselben  Gegenstand  behandelt,  an  die 
Oeffentlichkeit  u.  zw.  wendet  sich  der  Verfasser  direkt  an  die 
praktischen  Aerzte,  denen  vorgeführt  wird,  was  von  den  seiner¬ 
zeitigen  Prinzipien  sich  bewährt  hat.  Calot  will  die  Behand¬ 
lung  der  Spondylitis  allen  Aerzten  zugänglich  machen,  wobei 
selbslverständlich  die  Benützung  kostspieliger  Apparate  ausge¬ 
schlossen  ist.  Das  Werk  verdient  jedenfalls  das  Interesse  weitester 
ärztlicher  Kreise. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Dieser  Tage  erschien  in  Broschürenform  ein  Bericht,  wel¬ 
chen  Dr.  A.  Hartmann  über  die  Tätigkeit  der  Berliner. 
Schulärzte  im  Jahre  1905/06  erstattet.  (Verlag  Loewmnthal, 
Berlin.)  Danach  w'aren  36  Schulärzte  in  Tätigkeit,  denen  225.237 
Kinder  unterstanden,  d.  i.  jedem  Schularzt  6257  Kinder.  Von  den 
neu  eiulretenden  32.902  Kindern  wmren  3056  (9-3°/o  vom  Hundert) 
wegen  verschiedener  Ursachen,  wie  Blutarmut,  Tuberkulose,  Herz¬ 
fehler,  Nervenleiden,  Hautkrankheiten,  Brüchen  usw^  zurückgestellt 
worden.  In  Ueherwachung  waren  29.622  Kinder  w’egen  Rachitis, 
Skrofulöse,  Herz-  und  Nierenleiden,  Epilepsien  etc.  gestanden. 

Sowohl  bei  Lehrern  als  bei  den  Eltern  findet  sich  noch 
vielfach  eine  falsche  Auffassung  über  die  Aufgaben  des  Schul¬ 
arztes,  indem  angenommen  ward,  daß  der  Schularzt  auch  die 
Behandlung  eines  kranken  Kimles  übernehmen  müsse.  Die  regel¬ 
mäßig  wiederkehrende  Durchmusterung  sämtlicher 
Kinder  und  die  damit  verbundene  Listenführung  ist  äußerst  ?.eit- 
rauhend  und  wird  nach  den  diesbezüglichen  Erkundigungen  von 
den  Aerzten  als  w'enig  wertvoll  empfunden,  so  daß  auf  dieselbe 
verzichtet  w’erden  kann. 

Hinsichtlich  der  Ventilation  wird  in  den  Berichten  er¬ 
wähnt,  daß  in  dem  Bericlitsjahre  in  66  Schulen  keine  Ober¬ 
fensteröffner  angebracht,  in  109  Schulen  nur  an  einem  Fenster 
der  Klasse,  in  101  Schulen  an  mehreren  Fenstern.  Die  ungünstige 
Einwirkung,  welche  durch  den  Aufenthalt  in  schlechter  Luft  auf 
den  Köi'per  ausgeüht  ward,  macht  sich  durch  blasses  Aussehen, 
durch  Blutarmut,  durch  verminderte  Leistungsfähigkeit  geltend. 
In  den  Klassen  mit  ungenügender  Luftzuführung  muß,  bis  die 
Mittel  zur  Ventilationsverbesserung  beschafft  werden  können,  dar¬ 
auf  gehalten  werden,  daß  wenigstens  in  den  Pausen  ilurch  Oefbien 
der  Fenster  Lufterneuerung  stattfindet  und  daß  nach  jeder  Unter¬ 
richtsstunde  die  Kinder  die  Klasse  verlassen.  Eine  Verlängerung 
der  kurzen  Pausen  zu  diesem  Zwmcke  würde  für  den  Gesund¬ 
heitszustand  und  für  die  Leistungen  der  Schüler  vorteilhaft  sein. 

Während  des  Jahres  1905  wurden  die  Brausebäder¬ 
anlagen  von  334.706  Knaben  und  208.928  Mädchen  benutzt, 
zusammen  543.634  gegen  514.268  im  Vorjahre. 

Ausgedehnte  Erhebungen  (über  6551  Kinder)  werden  von 
dem  Schularzt  Dr.  Bernhard  bezüglich  der  Schlaf  zeit 
der  Kinder  gemacht  und  in  einer  Tabelle  zusammengestellt.  Aus 
der  Tabelle  ergibt  sich,  daß  die  Schlaf  zeit  für  alle  Altersklassen' 
ganz  erheblich  hinter  der  als  notwendig  festgestellten  zurück¬ 
bleibt.  Die  Unterschiede  betragen  bis  zu  1-40  Stunden.  Die  Ur¬ 
sache  der  zu  kurzen  Schlafzeit  liegt  einerseits  in  den  sozialen 
Verhältnissen  (Wohnungsverhältriisse,  spätes  Nachhausekommen 
der  Eltern  von  der  Arbeit  etc.),  anderseits  in  der  leidigen  Ge¬ 
wohnheit,  die  Kinder  ohne  Grund  bis  in  die  späte  Nacht  auf¬ 
bleiben  zu  lassen  oder  sie  gar  zu  Vergnügungen  mitzunehmen, 
wmlche  sich  oft  bis  zum  Morgen  ausdehnen.  Nach  einem  Berichte 
gehen  10  v.  H.  der  Schulkinder  erst  nach  10  Uhr  abends  zu  Bett. 

Dr.  Bernhard  beklagt,  daß  außerdem  die  Schlafverhäll- 
nisse  der  Kinder  recht  traurige  wmren.  Der  Prozentsatz  der 
Kinder,  wmlche  allein  in  einem  Belte  schlafen,  sclnvankt  zwischen 
6  und  40  V.  H.  In  6Uo  der  Fälle  schliefen  mehr  als  zwei  Per¬ 
sonen  in  einem  Bett.  In  der  ,8.  Klasse  der  84.  -Gemeindeschule 
schliefen  von  55  Kindern  16  mit  2,  1  mit  3  Personen  in  dem¬ 
selben  Bette.  In  der  8.  Gemeindeschule  gab  ein  Kind  der  Wahr¬ 
heit  entsprechend  an,  daß  es  ein  Bett  mit  drei  Geschwistern 
zu  teilen  hatte.  Dr.  Philippsohn  berichtet,  daß'  von  200 Kindern 
in  einem  Bett  allein  schlafen  80  =  40  v.  H. 

* 

Einer  von  Ronald  Ross  gezeichneten  Zuschrift  der  ,,In 
corporated  Liverpool  school  of  tropical  Medicine“  entnehmen 
war  hinsichtlich  der  Schaffung  eines  Den  km  ales  für  Doktor 
Josef  Everett  Dutton,  den  Erforscher  der  Trypanosomenkrank¬ 
heit,  folgendes:  ,,Dr.  Josef  Everett  Dutton  war  in  Chester  ge¬ 
boren  und  verbrachte  seine  medizinischen  Studienjahre  in  Liver¬ 
pool  und  wmr  später  Assistent  am  Pathologischen  Institut  an  der 
Iniiversität  Liverpool,  ln  der  Folge  beteiligte  er  sich  an  vier 
Expeditionen,  welche  von  der  Liverpool  school  of  tropical  Me¬ 
dicine  nach  Nigeria,  Gambia  und  dem  Kongo-Freistaat  gesendet 
worden  waren.  Während  seines  Aufenthaltes  in  Afrika  entdeckte 
und  beschrieb  er  das  Trypanosoma  gamhiense,  das  seit¬ 
her  als  die  LTrsache  der  Schlafkrankheit  erkannt  wurde.  Dr.  Dut¬ 
ton  starb  in  Kasongo,  29  Jahre  alt,  als  Mitglied  einer  Expedition, 
welche  die  Schlafkrankheit  zu  studieren  hatte.  Während  seiner 
Untersuchungen  über  das  Zeckenfieber  in  Kasongo  wurde  er 
selbst  von  der  Krankheit  befallen  und  starb  an  deren  Folgen. 
In  Erinnerung  an  die  Verdienste  Duttons  soll  nun  ein  Denkmal 
geschaffen  werden,  welches  in  der  Schaffung  einer  Professur 
für  Tropenkrankheiten  bestellen  soll.  Für  die  Dotierung  dieser 
Stelle  soll  eiji  Kapital  von  20Ü.ÜÜU  Mark  aufgebracht  werden. 


Daß  diese  Summe  ihre  Interessen  für  das  Wohl  der  Menschheit 
ahwerfen  würde,  beweisen  die  praktischen  Resultate,  welche 
durch  das  Studium  der  Tropenkrankheiten  in  den  letzten  zehn 
Jahren  erreicht  worden  sind.  Es  wurde  die  Aetiologie  der  'Ma¬ 
laria  und  des  Gelbfiebers  geklärt  und  wirksame  Mittel  zu  deren 
Bekämpfung  angegeben.  Welche  Erfolge  die  Malariabekämpfung 
hatte,  zeigt  das  Beispiel  von  Ismailia.  In  Ismailia  mit  6000 
Einwohnern  waren  im  Jahre  1900  noch  2250  Malariafälle,  im 
Jahre  1905  nur  mehr  37 ;  letztere  waren  lauter  Rezidiven,  ln 
Havanna  wurden  die  Vlaßnahmen  gegen  Stechfliegen  im  Jahre  1901 
begonnen.  Während  hier  1895  noch  552  Gelbfieberfälle  verzeichnet 
sind,  gal)  es  deren  seit  1902  keine  mehr.  Die  Folgen  der  Ent¬ 
deckung  der  Ursache  des  CTelhfiehers  liegen  auf  der  Hand.  Kost¬ 
spielige  und  langwierige  Räuchemng,  von  Post,  Gepäck  und  Fracht 
ist  nicht  länger  'mehr  nötig,  langweilige  Quarantänen  von  Schiffen 
und  Isolierungen  von  infizierten  Städten  sind  überflüssig  ge¬ 
worden.  Jedoch  harren  viele  Fragen  auf  dem  Gebiete  der  Tropen¬ 
medizin  der  Lösung;  diese  Lösung  soll  durch  das  eingangs  er¬ 
wähnte  Du  tton- Denkmal  beschleunigt  werden.“ 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  Der  VAudag  von  Doktor 
Werner  Kl  ink  hard  t  in  Leipzig  hat  die  Vorarbeiten  zur  ller- 
ausgahe  eines  internationalen  Archives  abgeschlossen,  das  unter 
dem  Namen  „Folia  urologica“  erscheinen  wird.  Der  Schrift¬ 
leitung  gehören  an  James  Israel- Berlin,  A.  K oll m a  n  n-Leipzig, 
G.  Kulisch-Halle,  W.  Tamms -Leipzig.  Das  Hauptgewicht  soll 
auf  größere  Originalaufsätze  (mit  Tafeln  und  Abbildungen)  in 
einer  der  vier  Kongreßsprachen  gelegt  werden.  Kurze  Zusammen¬ 
fassungen  des  Inhaltes  in  den  übrigen  drei  Sprachen  schließen 
sich  jedesmal  an  und  zwar  in  Thesenform.  Fenier  gelangen 
zur  Veröffentlichung:  Ergebnisse  der  Urologie,  in  denen  feste 
Mitarbeiter  unter  kritischer  Nachprüfung  über  die  Fortschritte 
periodisch  berichten.  Endlich  dient  das  Organ  als  Sammelstätte 
von  Jahresherichten  über  die  urologische  Tätigkeit  von  Kranken¬ 
häusern,  Kliniken  usw.  Um  eine  möglichst  schnelle  Veröffent¬ 
lichung  aktueller  Arbeiten  zu  gewährleisten,  erscheinen  die  Archiv¬ 
hefte  in  zwangloser  Folge. 

* 

DruckfehlerherichtigUng.  In  dem  Protokoll  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte,  Wiener  klinische  Wochenschrift 
1907,  Nr.  10,  S.  302,  soll  es  Zeile  29  von  oben  statt:  „Licht 
bis  ungefähr  k  <  3260“  richtig  heißen :  „Licht  bis  ungefähr 
k  >  3260.“  —  In  Nr.  10,  S.  283,  linke  Spalte,  neunte  Zeile  von 
oben  soll  es  statt  ,,  .  .  des  Korpsbereiches  (Niederösterreich  und 
Schlesien)  .  .“  richtig  heißen:  ,,  .  .  (Niederösterreich  und 
S  ü  d  m  ä  h  r  e  n)  . 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  t  ä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  8.  Jahreswoche  (vom  17.  bis 
23.  Februar  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  627,  unehelich  313,  zu¬ 
sammen  940.  Tot  geboren  ehelich  66,  unehelich  21,  zusammen  87. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  770  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 

schließlich  der  Ortsfremden  20‘4  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  11,  Scharlach  5,  Keuchhusten  2, 
Diphtherie  und  Krupp  5,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  1, 
Lungentuberkulose  134,  bösartige  Neubildungen  38,  Wochenbett¬ 
lieber  4.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  33  ( —  5),  Wochen- 
betlfieber  5  ( —  1),  Blattern  0  (0),  Varizellen  75  ( —  13),  Masern  419 
(-|-  89),  Scharlach  91  ( —  16),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  8  (-f-  6), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  80  (-}-  3),  Keuch¬ 
husten  43  ( —  13),  Trachom  2  (-f  1),  Influenza  2  ( —  1). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstelle  fürWaldneukirchen-Altwang, 
Bezirk  Kirchdorf,  Oberösterreich,  mit  dem  Sitze  in  Waldneukirchen  mit 
15.  Mai,  eventuell  mit  1.  April  1.  J.  zu  besetzen.  Fixe  Bezüge  von  Land 
und  Gemeinde  K  1200,  außerdem  lohnende  Privat-  und  Kassenpraxis. 
Haltung  einer  Hausapotheke  (welche  abgelöst  werden  kann)  notwendig. 
Schöne  Wohnung  im  Gemeindehause  gegen  billigen  Zins  steht  zur  Ver¬ 
fügung.  Christliche  Bewerber  deutscher  Nationalität  wollen  ihre  mit 
Curriculum  vitae  und  Zeugnissen  belegten  Gesuche  bis  längstens 
15.  M  ä  r  z  d.  J.  an  den  Sanitätsausschuß  in  Waldneukirchen  einsenden. 

Gemeindearztesstelle  in  Söll,  Bezirk  Kufstein,  Tirol. 
Jährliches  Wartgeld  1000  K,  für  Besorgung  des  Armenhauses  300  K,  für 
den  ärztlichen  Dienst  in  der  Gemeinde  Schiffau  300  K.  Außerdem  freie 
Wohnung  in  einem  eigenen  Hause  mit  Gemüse-  und  Obstgarten.  Haltung 
einer  Hausapotheke  erforderlich.  Gesuche  sind  ehetunlichst  an  die 
Gemeindevorstehung  Söll  einzusenden. 

Sekundararztesstelle  an  der  medizinischen  Abteilung  des 
St.  Elisabeth-Spitals,  Wien  III.,  Hauptstraße  4.  Diese  Stelle 
kommt  mit  1.  April  d.  J.  zur  Besetzung.  K  1200  jährlich  und  freie 
Wohnung.  Bewerber  mögen  ihre  Gesuche  an  die  Spitalsleitung  richten 
oder  sich  zwischen  8  und  10  Uhr  vormittags  persönlich  an  den  Primararzt 
der  genannten  Abteilung  Dr.  R.  Freiherr  v.  Sei  Iler  wenden. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


329 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INH 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  8.  März  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 

Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  14.  Februar  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  8.  März  1907. 

Vorsitzender;  Prof.  Alexander  Kolisko. 

Schriftführer:  Dr.  Alfred  Exner. 

Der  Vorsitzende  übermittelt  der  Versammlung  (üne  Ein¬ 
ladung  des  Vereines  zur  Förderung  der  naturwissenschaftlichen 
Erforschung  der  Adria  zu  einem  Vortrag  des  Herrn  Dr.  R.  Pöch 
über  Neu-Guinea  und  die  Papuas. 

Dr.  Emil  Haim  demonstriert  zwei  Fälle  von  Pseudo- 
h  e  r  m  a  p  h  r  o  d  i  t  i  s  m  u  s  m  a  s  c  u  1  i  n  u  s,  welche  dadurch  aus¬ 
gezeichnet  sind,  daß  sie  Geschwister  sind. 

Die  ältere  der  beiden  Patientinnen  suchte  ärztliche  Hilfe  wegen 
einer  Lymphadenitis  ex  pediculosi.  Dabei  bemerkte  sie  auch, 
daß.  sie  trotz  ihres  Alters  von  20  Jahren  noch  keine  Menstruation 
habe.  Bei  näherer  Untersuchung  zeigte  es  sich,  daß  die  Person 
einen  ausgesprochen  männlichen  Habitus  aufwies,  vor  allem  eine 
männliche  Kehlkopf bildung,  ferner  die  Bräste  wenig  entwickelt 
und  eine  starke  Behaarung  des  ganzen  Körpers;  insbesontlere 
sind  Abdomen  und  Mons  Veneris  ganz  nach  männlichem  Typus 
behaart.  Was  die  Genitalien  selbst  betrifft,  so  ist  eine  große 
und  Unperforierte  Klitoris  vorhanden  mit  großem  Präputium,  ferner 
eine  blind  endigende,  kaum  für  den  Zeigefinger  entrierbare  Vagina, 
Uterus  oder  Ovarien  sind  auch  bei  der  Untersuchung  per  rectum 
nicht  nachzuweisen;  auf  der  rechten  Seite  findet  sich  in  der 
großen  Schamlippe  ein  haselnußigroßes,  ovales  Gebilde,  welches 
ich  für  einen  Hoden  halten  möchte.  Die  Person  ist  weiblich 
erzogen,  hat  sich  jedoch  nie  zu  Männern  hingezogen  gefühlt. 

Die  jüngere  Schwester  Anna,  13  Jahre  alt,  besitzt  eben¬ 
falls  ein  mißbildetes  Genitale ;  es  finden  sich  analoge  Verhält¬ 
nisse,  wie  in  dem  erstbeschriebenen  Falle ;  nur  finden  sich 
in  beiden  Schamlefzen  diese  Gebilde,  welche  ich  als  Hoden  an¬ 
sprechen  möchte. 

Der  Großvater  väterlicherseits  und  der  Urgroßvater  mütter¬ 
licherseits  waren  Brüder. 

Nun  berichtet  der  Vater,  daß  die  ältere  Person  in  dem 
hodenähnlichen  Gebilde  insbesondere  bei  Anstrengungen  starke 
Schmerzen  habe;  da  es  ja  bekannt  ist,  wie  u.  a.  auch  von  Neu¬ 
geb  au  er  hervorgehoben  wird,  daß.  solche  retinierte  Gebilde  sehr 
gerne  maligne  entarten,  so  entsteht  die  Frage,  ob  wir  berechtigt 
wären,  dasselbe  zu  exstirpieren. 

Der  Vater  wünscht  die  jüngere  Iverson  als  Mädchen  zu 
erziehen  und  verlangt  auch,  daß  man  bei  derselben  die  beiden 
hodenartigen  Gebilde  entfernen  solle.  Nach  der  Meinung  des 
Vortragenden  ist  man  dazu  nicht  berechtigt,  doch  möchte  er 
sich  die  Frage  erlauben,  ob  hier  vielleicht  eine  andere  Meinung 
darüber  vorherrscht  und  ob  man  nicht  durch  Exstirpation  der¬ 
selben  den  weiblichen  Habitus  erhalten  könnte. 

Schließlich  noch  eine  soziale  Frage.  Der  Vhater,  der  ob 
dieser  Enthüllung  ganz  verzweifelt  ist,  möchte  hier  anlTagen, 
ob  vielleicht  die  Anwesenden  mit  ihrer  reichen  Erfahrung  einen 
Rat  geben  könnten  betreffs  des  Berufes,  welchen  seine  beiden 
Kinder  ergreifen  sollten. 

Ferner  demonstriert  Dr.  Haim  einen  Fall,  bei  dem  ein 
Oberkiefer  Sarkom  und  Morbus  Basedovrii  gleichzeitig' 
vorhanden  waren. 

Es  handelt  sich  um  einen  14  Jahre  alten  Burschen,  bei 
welchem  am  16.  Juli  1906  von  Dr.  Haim  wegen  eines  von  der 
Pulpa  des  noch  nicht  durchgebrochenen  Weisheitszahnes  aus¬ 
gehenden  Fibrosarkoms  nach  vorheriger  Unterbindung  der  Carotis 
externa  mit  Kocher  schein  Schnitte  der  rechte  Oberkiefer  total 
reseziert  wurde. 

Der  Knabe  bemerkte  den  Tumor,  welcher  sehr  rasch  wuchs, 
seit  Oktober  1905;  im  März  vorigen  Jahres  suchte  derselbe  eine 
chirurgische  Klinik  auf,  wo  eine  Probeexzision  gemacht,  die 
Operation  jedoch  angeblich  wegen  eines  Herzfehlers  verweigert 
wurde. 

Der  Grund  der  Vorstellung  des  Knaben  ist  der,  daß  der¬ 
selbe  gleichzeitig  an  Morbus  Basedowii  titt.  Die  Erscheinungen 
dieses  sollen  sich  seit  dem  elften  Lebensjahre  entwickelt  haben. 


ALT: 

Wissenscliaftllche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in  Böhiueii. 

XVIII.  Sitzung  vom  27.  November  1906. 

Aerztliclier  Verein  in  Brünn.  Sitzung  vom  6.  Februar  1907. 


Als  der  Vortragende  den  Knaben  sab,  waren  alle  Symptome  deut¬ 
lich  ausgesprochen,  insbesondere  starker  Exophthalmus,  eine 
Struma  vasculosa,  sowie  ausgeprägte  Tachykardie  (160  Pulse 
in  der  Minute) ;  es  ist  anzunehmen,  daß  wegen  des  letzteren 
Symptoms  auf  der  Klinik  die  Diagnose  „Herzfehler“  gemacht 
Avurde. 

Interessant  und  bemerkenswert  ist  der  Umstand,  daß  nach 
der  Operation  die  Symptome  des  Morbus  Basedowii  vollkommen 
zurückginglen. 

Die  Herztätigkeit  ist  wieder  ganz  normal  (80  Pulse  in  der 
Minute),  der  Exophthalmus  ging  zurück,  ebenso  wurde  der  Hals 
schmäler.  Pat.  trägt  um  3  cm  kleinere  Halskrägen;  er  befindet 
sich  jetzt  völlig  wohl  und  trägt  eine  Prothese. 

Es  muß  Unentschieden  gelassen  Averden,  Avas  die  Ausheilung 
des  Morbus  Basedowii  bewirkt  hat,  ob  die  Resektion  des  Ober¬ 
kiefers  oder  die  Unterbindung  der  Carotis  externa,  welche  jedoch 
schon  nach  dem  Abgang  der  Thyreoideae  unterbunden  Avurde. 

Schließlich  demonstriert  Dr.  Haim  noch  das  Bild  einer 
Gangrän  der  Bauchdecken  bei  einer  26jährigen  Patientin;  der¬ 
selben  Avurde  Avegen  einer  Parametritis  suppurativa  ein  Eis¬ 
beutel  auf  den  Bauch  gelegt.  Schon  nach  drei  Tagen  hatte  sieb 
die  Gangrän  entAAÜckelt. 

Priv.-Doz.  Dr.  Hochsinger  demonstriert  ein  vier  Wochen 
altes  Kind  mit  multipler  Epiphysenlösung:  infolge 
h  e  r  e  d  i  t  ä  r  -  s  y  p  h  i  1  i  t  i  s  c  h  e  r  Osteochondritis. 

Meine  Herren !  An  diesem  vier  Wochen  alten,  ziemlich 
gut  genährten,  aber  auffallend  blassen  Säugling  fällt  zweierlei 
auf,  erstens  eine  eigentümliche  Haltung  der  Gliedmaßen  und 
ZAveitens  eine  Auftreibung,  weicbe  sämtliche  großen  Extremi  täten - 
gelenke  belrifft. 

Die  Mutter  des  Kindes  macht  die  Angabe,  daß  das  Kind 
schon  unmittelbar  nach  der  Geburt  durch  die  Regungslosigkeit 
seiner  Gliedmaßen  auf  fiel  und  daß  es  die  Arme  überhaupt  nicht 
beAAmgen  konnte.  Später  erst  sei  allmählich  eine  Verdickung  an 
den  Gelenkenden  der  Knochen  aufgetreten. 

Aus  der  Anamnese  erfahren  Avir  des  weiteren,  daß  das 
Kind  um  14  Tage  zU  früh  zur  Welt  gekommen  ist  und  gleich 
bei  der  Geburt  mit  je  AÜer  Blasen  an  den  Fußsohlen  behaftet 
war.  Das  Kind  Avurde  künstlich  genährt. 

Die  Mutter  des  Kindes  Avar  zweimal  verheiratet,  hatte  vom 
ersten  Manne  zuerst  zwei  lebende  Kinder,  später  folgten  drei 
Abortus  hintereinander.  Die  beiden  ersten  lebendgeborenen  Kinder 
starben:  das  erste  zwei  Jahre  alt  an  Diphtherie,  das  zAveite  ebenso 
alt  an  tuberkulöser  Hirnhautentzündung.  Der  erste  Mann  starb 
an  Tuberkulose. 

Aus  der  Verbindung  mit  dem  zAveiten  Manne,  welcher  vor 
jetzt  13  Jahren  syiihilitisch  infiziert  Avar,  ging  zunächst  eine 
sechs'monatige  Totgeburt  hervor  und  dann  das  hier  demon¬ 
strierte  Kind.  An  der  Mutter  finden  sich  nicht  die  leisesten 
Zeichen  ehemaliger  Lues. 

Sämtliche  Gelenfcsenden  der  langen  Röhrenknochen  dieses 
Kind  eis  sind  aufgetrieben  und  druckempfindlich.  Am  meisten  das 
Schulterende  des  linken  Olierarmes,  dann  beide  Ellbogen-  und 
Kniegelenke.  Aber  auch  die  Hüftgelenksenden  der  Oberschenkel 
sind  verdickt  und  schmerzhaft.  Die  den  Knochen  anliegenden 
Weichteile  um  die  Gelenke  herum  sind  in  die  Schwellung  mit 
einbezogen,  nur  die  Haut  über  den  Gelenken  ist  frei  und  ver¬ 
schieblich.  Auffallend  ist  am  linken  Oberschenkel  eine  das  obere 
Drittel  desselben  okkupierende,  zirkuläre,  sehr  druckempfindliche 
Auftreibung. 

Interessant  ist  tlie  Haltung  der  Gliedmaßen.  Die  oberen 
Extremitäten  erschieiien  anfäuglich  vollständig  gelähmt,  trotzdem 
konnten  durch  Nadelstiche  reflektorisch  BoAvegUngen  mit  den 
Fingern  ausgelöst  Averden.  Jetzt  ist  Avohl  schon  eine  leichte  Be¬ 
weglichkeit  der  oberen  Extremitäten  Amrhanden,  allein  die  Unter¬ 
arme  und  Hände  sind  noch  immer  sehr  scliAver  beweglich,  die 
Hände  selbst  sind  gebeugt,  proniert  und  abduziert.  PassiAm  Re- 
Avegimgsversucbe  sind  sebmerzhaft  und  Amn  Weinen  begleitet.  Die 
Oberarme  erscheinen  eng  an  die  Seitenteile  des  Thorax  ange- 
scblossen.  An  den  unteren  Extremitäten  besteht  gleichfalls  eine 
BeAvegungsstörung.  Dieselben  Averden  spontan  kaum  bewegt,  je- 


OO'  ' 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


doch  bieten  sie  nicht,  so  wie  die  oberen,  das  Bild  einer  schlaffen 
Lähmung,  vielmehr  das  einer  tonischen  Beuge-  mid  Adduktions¬ 
kontraktur.  Ganz  unförmig  sind  die  oberen  und  unteren  Gelenks¬ 
enden  der  Kniegelenke  aufgetriehen,  auch  die  Sprunggelenke  sind 
verdickt.  Das  Kind  zeigt  im  übrigen  chronischen  Schnupfen, 
welcher  seit  der  zweiten  Lebenswoche  besteht,  an  den  Fersen 
je  eine  diffus  infiltrierte  Hautstelle,  an  den  Fußsohlen  einige 
kleine,  schinkenfarbige  Flecken,  Reste  der  ehemaligen  Pemphigus¬ 
blasen.  Ein  universelles  Luesexanthem  ist  nicht  zum  Vorschein 
gekommen. 

Es  handelt  sich  im  vorliegenden  Falle  zweifellos  um  eine 
durch  angeborene  Syphilis  hervorgerufene,  allgemeine  Knochen¬ 
erkrankung,  in  deren  Vordergrund  die  Wegner  sehe  Osteo¬ 
chondritis  mit  Epiphysenlösung  steht. 

Das  seltene  an  dem  Falle  ist,  daß)  das  Kind  mit  gelähmten 
Gliedmaßen  zur  Welt  kam  (in  der  Regel  entwickelt  sich  die 
Bewegungsstörung  erst  später)  und  daßt  so  hochgradige  Auf- 
Ireibungen  an  den  Knochenenden  sich  eingestellt  haben. 

Die  Auftreibungen  sind  als  Kallusbildungen  zu  be¬ 
trachten,  welche  Folge  der  Epiphysenlösung  sind,  die  an  allen 
größeren  Gelenksenden  stattgefunden  liat.  Am  distalen  Ende  des 
Oberarmes  läßt  sich  noch  eine  deutliche  Verschiebbarkeit  zwischen 
Epiphyse  und  Diaphyse  nachweisen.  Der  lähmungsartige  Zustand 
ist  eine  Folge  der  Knochenerkrankung  und  darauf  zurückzuführen, 
daß  die  Muskel-  und  Sebnenansätze,  welche  an  der  entzündeten 
Bein-  und  Knorpelhaut  entspringen,  in  den  Erkrankungsprozeß 
mit  einhezogen  sind  und  mit  einer  Einstellung  ihrer  Funktion 
antworten. 

Es  sei  noch  bemerkt,  daß  auch  an  den  kurzen  Röhren¬ 
knochen  Verdickungen  bestehen  und  daß,  wie  das  Röntgenbild 
lehrt,  eigentlich  das  ganze  Knochensystem  schwer  erkrankt  ist, 
während  die  Haut  nur  relativ  geringfügige  Veränderungen  zeigt. 
Die  Tatsache  verdient  Hervorhebung,  daß  hei  der  angelmrenen 
Syphilis  generelle  Skeletterkrankungen  viel  häufiger  sind  als  Exan¬ 
theme,  daß  sie  jedoch  häufig  viel  zu  undeutlich  ausgesprochen 
sind,  um  hei  der  Palpation  die  Aufmerksamkeit  des  Untersuchers 
zu  erregen,  ])ei  radiologischer  Untersuchung  jedoch  immer  zum 
Vorschein  kommen.  Von  größtem  Interesse  erweist  sich  die 
R  ö  n  t  g  e  n  u  n  t e  r  s  u  c  h  ü  n  g  des  Knochensystems  bei  dem  vor¬ 
gestellten  Kinde. 

Wäiirend  normalei’weise  der  Diaphysenschatten  eines  langen 
Röhrenknochens  bei  einem  jungen  Säuglinge  mit  einer  haarscharfen 
dunklen  Linie  endigt,  welche  der  Ausdruck  der  Verkalkungszoiie 
seines  Epiphysenknorpels  ist  und  die  knoi’pelige  Epiphyse  selbst 
vollständig  unsichtbar  bleild,  fehlt  hier  die  duidrle,  scharte  Be¬ 
grenzungslinie  überall  vollständig.  An  deren  Stelle  tritt  eine 
massive  Verbreiterung,  Auftreibung  und  Aufhellung  der  Diaphysen- 
schattenenden,  mit  vemaschenen  Grenzkonturen  gegen  die  Epi¬ 
physe.  Die  dunklen  Diaphysenschatten  sind  an  ihren  Epiphyseii- 
ejiden  allenthalben  von  einem  pilzförmigen,  helleren  Schattenbild 
umgeben,  welches  an  Stelle  der  sonst  unsichtbaren  Epiphyse 
hervortritt,  zum  Beweis  dafür,  daß  die  Kalkablagerung  in  un¬ 
regelmäßiger  Form  auch  um  die  Epiphysenknorpel  herum  statt¬ 
gefunden  hat.  Dieses  Bild  ist  besonders  deutlich  an  beiden  Enden 
der  Oberarmknochen,  dann  an  den  Knochenenden  beider  Knie¬ 
gelenke  und  an  dem  proximalen  des  linken  Oberschenkels  fest¬ 
zustellen.  Ueberdies  ist  allenthalben  Um  die  langen  Röhrenknochen 
herum  eine  neue  Zone  von  periostaler  Knochensubstanz  in  Form 
eines  hellen  Schattens  angelagert,  ,so  daß  die  alten  Knochen  sich 
zu  der  periostalen  Auflagerung  im  Röntgenbilde  verhalten,  wie 
eine  Zigarrenspitze  zu  ihrem  Etui.  Die  unförmigen  Auftreibungen 
an  den  Epiphysenenden  der  Röhrenknochen  sind  in  Verkalkung, 
begriffener  Kallus,  welcher  sich  mit  der  syphilitischen  Periostitis 
zu  einer  besonders  üppigen  Wucherung  kombiniert.  Infolge  der 
hochgradigen  syphilitischen  Osteochondritis,  welche  mit  Sub- 
stitulion  der  Verknöcherungszone  durch  syphilitisches  Granu- 
latioiisgewehe  zwischen  Epiphyse  und  Diaphyse  einhergeht,  lockert 
sich  die  Verbindung  zwischen  diesen  beiden  Knochenteilen. 
Traumen,  Muskelzug,  ja  der  Gehurtsakt  können  imstande  sein, 
die  Verbindung  an  einer  oder  der  anderen  Stelle  zu  lösen.  Die 
eigentliche  Epiphysenlösung  ist  soanit  im  wesentlichen  nichts  als 
eine  Fraktur  innerhalb  der  rarefizierlen  oder  gänzlich  zu  Granu- 
lationsgewehe  metamoi’phosierten  subchondralen  Gewebslage.  So¬ 
wie  aber  Epiphyse  und  Diaphyse  schlot  tem,  kommt  es  wie  hei  jeder 
anderen  Fraktur  zur  reaktiven  Kallusbildung,  welche  im  Röntgen- 
bilde  liier  besondei’s  schön  zum  .\usdruck  gekommen  ist. 

Auf  zweierlei  Umslände  soll  noch  hingewiesen  werden. 
Erstens:  daß  es  keiner  besonderen  chirurgischen  Behandlung  be¬ 
darf,  um  diese  Frakturen  zur  Heilung  zu  bringen,  es  genügt 
die  autisyphiiitische  Behandlung,  um  in  kürzester  Zeit,  die  Knochen¬ 
schwellung  und  die  Bew(‘gungsstörung  zu  lieseitigen.  Zweitens 


findet  sich  genau  dasselbe  Lähmungsbild  auch  bei  solchen  syphi¬ 
litischen  Säuglingen,  welche  keine  so  bedeutenden  Auftreibungen 
an  den  Gelenksenden  zeigen  wie  dieser  Fall.  Man  ist  deswegen 
vielfach  in  dem  Irrtum  verfallen,  solche  Lähmungen  als  spinale 
zu  betiachten.  Die  Röntgenuntersuchung  der  Knochen  bei  solchen 
Exlremitätenlähmimgen  isyphilitischer  Kinder  lehrt  jedoch,  daß 
immer  periostale  und  perichondrale  Wucherungen  vorliegen,  welche 
von  einem  entzündlichen  Prozeßi  im  Periost  herrühren,  der  sich 
auf  die  Muskeln  und  Seimen  übeiiMlanzt  und  zur  Lähmung  der 
Gliedmaßen  führt. 

Prof.  Lang  stellt  1.  einen  30  Jahre  alten  Friseurgehilfen 
vor,  einen  geistig  aufgeweckten  Mann  aus  Böhmen,  der  nach 
Südafrika  ausgezogen  war,  um  Diamanten  zu  suchen.  Daselbst 
akquirierte  er  eine  schwere  Malaria  und  schiffte  sich  darum 
wieder  nach  Europa  ein,  blieb  in  Genua  liegen  i —  auf  welcher 
Krankenstation,  konnte  nicht  eruiert  werden  —  wo  man  ihn 
in  der  Milzgegend  mit  Röntgens trahlen  behandelte,  um  auf  diese 
Weise  die  Malaria  zu  bekämpfen.  Die  Bestrahlung  fand  im  Früh¬ 
jahr  l‘90ß  statt.  Am  4.  August  desselben  Jahres  kam  er  auf  eine 
interne  Abteilung  des  Allgemeinen  Krankenhauses,  noch  mit 
schwerer  Malaria  behaftet  und  einem  ungemein  schmerzhaften 
Röntgengesebwür  am  Thorax  links.  Am  7.  September  1906  wurde 
er  wegen  seines  Röntgenulkus  auf  die  Abteilung  des  Vortragenden 
transferiert.  Die  Schmerzen  von  seiten  des  Ulkus,  unter  denen 
der  Patient  gelitten,  waren  so  exzessiv,  daß  er  wortwörtlich, 
weder  bei  Tage  noch  bei  Nacht  ein  Auge  zu  schließen  imstande 
war,  trotz  hoher  Dosen  Morphium.  Der  Vortragende  entschloß 
sich  dämm,  obwohl  ihm  die  Nekrose  noch  nicht  abgeschlossen 
schien,  am  12.  September  1906  die  Exstirpation  des  Ulkus  im 
großen  Umfange  (l0y2X7cm)  auszuführen  und  dabei,  soweit  es 
anging,  auch  in  die  Tiefe  gegen  das  Gesunde  vorzuschreiten;  es 
wurden  Fasern  des  Pectoralis  major,  serratus  und  wohl  auch 
von  den  Musculi  intercost.  mitgenommen,  die  Wunde  nach 
Thiersch  gedeckt.  Nach  der  Operation  waren  wohl  die 
Sclmi erzen  um  einiges  gemildert,  insofern,  als  der  Kranke  doch 
durch  einige  Stunden  unter  Zuhilfenahme  von  Narkotizis  zu 
schlafen  imstande  war.  Beim  nächsten  Verbandwechsel  mußte 
man  leider  erfahren,  daß  die  Nekrotisierung  noch  nicht  abgegrenzt 
war,  sondern  sogar  weitorschritt.  Begreiflicherweise  war  die 
Thierschübeipflanzung  vergeblich  gewesen  und  bei  dem  durch 
Monate  noch  fortdauernden,  wenn  auch  langsamen  Fortschreiten 
der  Neki'otisierung  war  auch  die  Besorgnis  nahe,  es  könne  dieselbe 
auch  die  Pleura  einbeziehen  und  so  das  Lehen  des  durch  die 
Malaria  ohnehin  Geschwächten  bedrohen.  Während  dieser  langen 
Zeit  stießen  sich  auch  noch  von  der  achten  und  neunten  Rippe 
zwei  ca.  5  cm  lange  Stückchen  ab  und  erst  anfangs  Februar 
dieses  Jahres  konnte  man  erwarten,  daß  der  Rest  des  noch 
ungeheilten  Geschwüres  mit  einer  neuerlichen  Thierschdeckung 
zu  rascher  Heilung  Averde  gebracht  werden  können.  Am  12.  Fe¬ 
bruar  d.  J.  wurde  mm  der  Granulationsboden  mit  scharfem  Löffel 
geebnet  und  mit  Thierschlamellen  gedeckt.  Es  haftete  der  größte 
Teil  derselben,  an  einzelnen  Stellen  stießen  sich  Teile  des  Thiersch 
ab;  die  Erklärung  dafür  erfuhren  wir,  als  noch  vor  etlichen  Tagen 
etwa  gerstenkorngroße  Sequester  der  Rippe  zum  Vorschein  kamen. 
Indessen  kann  der  Kranke  jetzt  als  vollkommen  geheilt  bezeichnet 
AVer  den. 

Die  meisten  bisher  beobachteten  Röutgenschäden  sind  nach 
therapeutischer  Bestrahlung  zustande  gekommen,  Avie  aus 
Dutzenden  hieher  gehöriger  Fälle  hekannt  ist.  Seltener  sind 
Röntgenschäden  nach  diagnostischen  Untersuchungen,  doch 
Avurden  auch  nach  solchen  schwere  Ulzera  bekannt.  So  wurde 
dem  Vortragenden  mitgeteilt,  daß  außerhalb  Oesterreichs,  in  einer 
königlichen  Residenzstadt,  einem  jungen  Herrn  eine  Nadel  unter 
die  Rückenhaut  geraten  ist;  um  den  Sitz  derselben  zu  eruieren, 
Avurde  der  junge  Mann  mit  Röntgen  bestrahlt,  darauf  stellte 
sich  eine  scliAvere  Röntgenulzeration  ein,  die  lange  Zeit  zu  ihrer 
Heilung  brauchte.  Hoff  a  berichtet  über  einen  Fall,  avo  nach 
Röntgenographie  eines  Hüftgelenkes  eine  schwere  Ulzeration  ent¬ 
stand;  freilich  hatte  hier  die  Exposition  25  Minuten  in  Anspruch 
genommen.  Ein  Röntge, nsebaden  nach  diagnostischer  Untersuchung 
bestand  auch  in  dem  hierauf  demonstrieiien 

2.  Fall.  Ein  24  Jahre  alter,  psychopathisch  veranlagter 
junger  Mann  Avurde  zu  Beginn  des  Jahres  1905  auf  eine  interne 
Station  aufgenommen,  Aveil  er  etliche  rostige  Nägel  Amrschluckt 
hatte.  Zunächst  erschien  es  ja  notwendig,  bei  der  psycho- 
pathiseben  Veranlagung  des  Kranken  festzustellen,  ob  er  über- 
liaupt  Nägel  Amrscbluckt  habe.  Dazu  Avar  die  Durcbleuchtung 
nolAvendig  und  vielleicht  konnte  es  auch  gelingen,  die  Fremd¬ 
körper  per  OS  zu  exlrabiecen.  Zwölf  Tage  nach  der  Durchleuchtung 
trat  eine  Reaktion  an  dei'  Haut  auf  und  nach  AAmiteren  16  Tagen 
liegann  eine  Ulzeration  der  Stelle.  Als  das  sich  nun  Aveiter 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


ausbilclendc  Röiitgciigescliwüi-  nicht  zur  vollstiiiidigeii  ]{('ilung  ge¬ 
bracht  werden  konnte,  transferierte  nian  den  Kranken  —  etwa 
ein  Jahr  nach  der  Bestrahlung  —  auf  die  Abteilung  des  Vor¬ 
tragenden.  Am  16.  März  1906  wurde  die  etwa  fünfkronenstiick- 
große  Ulzeralion  am  Rücken  im  weiten  Umfange  exzidiert,  so 
(laßt  ein  Defekt  von  fast  80  cm^  zustande  kam,  dabei  wurden 
auch  Fasern  des  Muse,  trapez.  und  Muse,  latiss.  dors,  mitgenommen. 
Nach  Deckung  der  Wunde  mit  Thierschbändern  wurde  voll¬ 
ständige  Vernarbung  erzielt,  der  Kranke  aber  noch  vorsichtshalber 
bis  1.  Mai  1906  auf  der  Abteilung  zurückbehälten.  Heute,  nach 
fast  einem  Jahre,  hat  sich  die  Narbe  auf  über  100  cm^  gedehnt, 
sie  , ist  vollständig  glatt,  über  den  Muskeln  überall  sehr  leicht 
verschieblich,  nirgends  mit  denselben  verwachsen;  inan  ersieht 
daraus,  daß  es  nicht  vorteilhaft  ist,  sich  mit  der  Exstirpation 
und  plastischen  Deckung  eines  Röntgenulkus  zu  übereilen  und 
daß  man  sehr  schone  Resultate  gewinnt,  wenn  solche  Ulzera 
erst  zu  einer  Zeit  exzidiert  und  plastisch  gedeckt  werden,  wenn 
man  vollständigen  Abschluß  der  durch  Röntgen  gesetzten  de- 
generativen  Vorgänge  annehmen  kann. 

Prim.  Dr.  Schnitzler  stellt  einen  Kranken  vor,  der  drei 
Monate,  nachdem  er  eine  Hernienradikaloperation  durchgemacht 
hat,  einen  epiploitischen  Tumor  aufweist.  Man  findet 
unter  dem  rechten  Rippenbogen  einen  doppeltfaustgroßen,  ziemlich 
derben,  etwas  unebenen,  sehr  druckempfindlichen  Tumor, 
der  etwas  respiratorische  Beweglichkeit  und  ein  wenig  quere  Ver¬ 
schieblichkeit  zeigt.  Die  Deutung  dieses  Tumors  wird  (lurch  die 
Anamnese  und  die  in  der  rechten  Leiste  ersichtliche  Narbe 
ermöglicht.  Vor  drei  Monaten  wurde  an  dem  vorgestellten  Kranken 
wegen  einer  rechtsseitigen  Inguinalhernie  die  Radikaloperation 
nach  Bas  sin  i  ausgeführt  und  dabei  Netz  unter  Anlegung 
mehrerer  Ligaturen  reseziert.  Heilung  per  primam. 
Dann  sechs  Wochen  vollkommenes  Wohlbefinden.  Vor  vier  Wochen 
begannen  Beschwerden :  Schmerzen  in  der  Oberbauchgegend  und 
langsames  Entstehen  eines  Tumors  unter  dem  rechten  Rippen¬ 
bogen.  Anamnese  und  Befund  sichern  die  Diagnose :  post¬ 
operative  Epiploitis.  Bei  dieser  Erkrankung  handelt  es 
sich  stets  um  von  Netzligaturen  ausgehende  Entzündungen,  deren 
eitriger  Kern  ein  minimaler  sein  kann.  Zuerst  sind  Seiden¬ 
ligaturen,  mitunter  aber  auch  Catgutligaturen  der  Ausgangs¬ 
punkt  solcher  Entzündungen.  Das  Charakteristische  für  die  post¬ 
operative  Epiploitis  ist  das  zwischen  Operation  und  Auftreten 
der  Erscheinungen  —  Schmerz,  Tumor,  event,  peritoneale  Reiz¬ 
erscheinungen,  selten  Enterostenose  —  liegende  Interwall  voll¬ 
kommener  Gesundheit.  Dieses  Latenzstadium  dauert  Wochen, 
Monate  oder  Jahre;  es  wurde  das  Auftreten  derartiger  epiploi- 
tischer  Tumoren  drei  und  selbst  fünf  Jahre  nach  der  ursäch¬ 
lichen  Operation  beobachtet.  Bis  zum  Jahre  1900  berichteten 
nur  französische  Chirurgen  über  diese  Erkrankung.  In  der 
deutschen  Literatur  hat  zuerst  Schnitzler  (Wiener  klinische 
Rundschau  1900,  Nr.  1,  2,  3)  über  derartige  Beobachtungen 
berichtet,  später  hat  Braun  darüber  geschrieben.  Nur  die 
Kenntnis  von  dem  Vorkommen  derartiger  postoperativer  epiploi- 
tischer  Tumoren  schützt  vor  folgenschweren  diagnostischen  Irr- 
tümern  und  überflüssigen,  durchaus  nicht  harmlosen  Operationen. 
Wurde  doch  schon  ein  epiploitischer  Tumor,  der  vier  Monate 
nach  einer  Hernienoperation  aufgetreten  war,  unter  der  An¬ 
nahme  eines  Sarkoms  unter  Resektion  des  Querkolons  exstirpiert. 
Der  Kranke  erlag  der  Operation.  Die  Untersuchung  der  Präparate 
ergab  den  typischen  Befund  der  Epiploitis:  kleinste  Abszesse 
um  Ligaturen,  entzündliche  Infiltration  ringsherum.  Die  Mehrzahl 
der  epiploitischen  Tumoren  schwindet  bei  Ruhe  und  Anwendung 
von  Wärme.  Kommt  es  zu  größeren  Eiteransammlungen,  so  muß 
natürlich  inzidiert  werden.  In  den  seltenen  Fällen  von  Darm¬ 
stenose  infolge  von  Epiploitis  ist  eventuell  Enteroanatomose 
erforderlich,  wie  in  einem  der  von  Schnitzler  (1.  c.)  publi¬ 
zierten  Fälle. 

Diskussion:  Dr.  H.  Teleky;  Ich  habe  vor  kurzem  einen 
Fall  beobachtet,  wo  bei  einer  alten  Frau  Monate  nach  Operation 
einer  inkarzerierten  Hernie  eine  Geschwulst  von  der  Größe  eines 
Hühnereies  an  der  Flexura  hepatica  zu  fühlen  war  und  die 
Erscheinungen  der  Darmstenose  zu  wiederholten  Malen  in  ge¬ 
fahrdrohender  Weise  sich  einstellten:  Erbrechen,  heftige 
Schmerzen,  stürmische,  peristaltische  Bewegungen,  Darmsteifigkeit, 
Obstipation.  Die  Erscheinungen  beruhigten  sich  für  wenige  Tage, 
nachdem  flüssige  Stuhlentleerungen  eingetreten  waren,  um  aber 
dann  wieder  einzusetzen.  Zu  einer  Operation  wollte  die  80jährige 
Patientin  sich  nicht  entschließen  und  ich  griff  dann  zu  Injek¬ 
tionen  von  Fibrolysin.  Ich  spritzte  subkutan  im  ganzen  zehn 
Phiolen  ein.  Seit  der  letzten  Injektion  sind  nun  über  vier  W ochen, 
vergangen  und  es  trat  seither  keine  Erscheinung  der  Darm¬ 
stenose  ein. 


Ich  habe  mir  das  Wort  erbeten,  um  in  ähulichen  Fällen 
auf  die  \del leicht  günstige  Wirkung  der  subkutanen  Fibrolysia- 
injektioneii  hinzuweisen. 

Hofi’aL  Freiherr  v.  Eisclsbei'g  sah  nach  einer  Heniien- 
operation  nur  einen  einzigen  derartigen  Fall,  hingegen  beobachtete 
er  mehrere  ähnliche  Fälle  nach  Appendixopei'alionen,  die  sich 
alle  ohne  Operation  besserten. 

Hofrat  Hochenegg  sali  ebenfalls  einen  derartigen  Fall  nach 
einer  Hernienoperation.  Anfangs  war  er  geneigt,  den  großen  Tumor 
für  Aklinomykose  zu  halten,  da  hei  der  Beschäftigung  dieses 
Mannes  der  Verdacht  dieser  Erkrankung  nahe  lag.  Eine  Behand¬ 
lung  mit  Jod  innerlich  und  graue  Salbe  lokal  führte  in  14  Tagen 
zur  Heilung. 

Primarius  Di'.  Schnitzler  bemerkt  in  bezug  auf 
den  von  Dr.  Teleky  envähnten  Fall,  daß  es  sich  hier  wohl 
nicht  um  Epiploitis,  sondern  um  Stenose  infolge  von  Schleim- 
hautveränderimgen  in  dem  inkarzeriert  gewesenen  Darm  gehandelt 
haben  dürfte.  Mit  Bezug  auf  die  Bemerkung  Hofrat  v.  Eiseis- 
bergs  erwähnt  Schnitzler,  daß  seine  Arbeit  über  Epiploitis 
der  Brauns  vorausgegangen  ist.  Dem  von  Hofrat  Hochenegg 
geschilderten  Fall  stellt  Schnitzler  ein  Gegenstück  entgegeip 
einen  Fall,  in  welchem  Schnitzler  einen  wenige  Wochen  nach 
Operation  eines  appendizitischen  Ahzesses  aufgetretenen  Tumor 
für  einen  epiploitischen  hielt,  während  es  sich  später  heraus¬ 
stellte,  daß(]^ein  Lymphosarkom  vorlag. 

Hof  rat  Freiherr  v.  Eiseisberg  stellt  einen  Fall  vor,  in 
dem  er  ein  0  e  s  o  p  h  a  g  u  s  d  i  v  e  r  t  i  k  e  1  mit  Erfolg  operiert  hat. 
36jähriger  Schneidergehilfe,  hat  vor  vier  Jahren  eine  Pneumonie 
überstanden,  vor  zwei  Jahren  stellten  sich  Schluckbeschwerden 
ein,  weswegen  er  im  Juli  1904  eine  chirurgische  Abteilung  auf¬ 
suchte.  Daseihst  wurde,  auf  19  cm  hinter  der  Zahnreihe,  ein 
impermeables  Hindernis  konstatiert.  Die  Oesophagoskopie  ergab 
einen  von  rechts  hervorragenden,  nicht  exulzerierten  Tumor,  der 
das  Lumen  obturierte.  Die  dem  Patienten  vorgeschlagene  Gastro¬ 
stomie  wurde  verweigert.  Da  die  Schluckbeschwerden  Zunahmen, 
Avurde  im  März  1905  Pat.  neuerdings  in  dasselbe  Spital  auf¬ 
genommen,  woselbst  wieder  auf  19  cm  hinter  der  Zahnreihe  ein 
exulzerierter  Tumor  konstatiert  werden  konnte.  Es  wurde  in 
der  Annahme,  daß  es  sich  um  ein  Karzinom  handle,  die  Gastro¬ 
stomie  ausgeführl.  Nach  17  Tagen  wurde  der  Patient  in  gutem 
Zustande  entlassen.  Zu  Hause  soll  das  Drain  herausgefallen  sein, 
worauf  die  Fistel  spontan  verheilte.  Als  Pat.  im  Jahre  1906  sich 
wieder  im  selben  Spitale  vorstellte,  war  die  Fistel  vollkommen 
geheilt;  bei  der  Untersuchung:  fand  sich  auf  32  cm  ein  inpermeables 
Hindernis  —  einen  abermaligen  operativen  Eingriff  verweigerte 
der  Patient.  Feste  Speisen  wurden  damals  noch  leidlich  gut 
genommen,  aber  dann  stellten  sich  Schluckbeschwerden  ein,  Aves- 
halb  Pat.  Anfang  Januar  meine  Klinik  aufsuchte. 

Status  praesens:  Schlecht  aussehender  Mann  mit  inten¬ 
siver  Bronchitis.  Am  Halse  ist  nichts  zu  sehen,  noch  zu  fühlen, 
am  Abdomen  ist  die  Narbe  nachziiAveisen,  welche  von  der  da¬ 
maligen  Gastrostomie  herrührt. 

Die  SondenimtersUchung  ergab  das  Vorhandensein  des 
V.  B e r g rn an n sehen  Symptoms:  Manchmal  gelingt  die  Sondierung 
auch  mit  dicken  Sonden,  andere  Male  bleibt  jede  Sonde  bei  23  cm 
hinter  der  Zahnreihe  stecken. 

Bei  der  Oesophagoskopie  gelangt  das  Instrument  in  einen 
Blindsack,  der  von  geröteter  Schleimhaut  ausgekleidet  ist,  beim 
Zurückziehen  gelingt  es  nicht  einAvandsfrei,  die  Lücke  im  Oeso¬ 
phagus  zu  sehen. 

Bei  Verabreichung  von  Wismuth  -  Kartoffelbrei  Avird  im 
Röntgenbild,  in  der  Höhe  der  ersten  Rippe,  ein  fünfkronenstück¬ 
großer  Schatten  sichtbar.  Bei  einfacher  Durchleuchtung  ist  der¬ 
selbe  noch  viel  deutlicher  sichtbar. 

Nachdem  sich  der  Patient  von  seiner  Bronchitis  etwas  er¬ 
holt  hatte,  wurde  am  22.  Januar  1907  in  Narkose  durch  einen 
Schnitt  am  vorderen  Rande  des  linken  Sternokleideus  auf  den  Oeso¬ 
phagus  eingegangen  (Zurückziehen  der  linken  Schilddrüsenhälfte 
und  Ligatur  der  Arteria  thyreoidea  inferior).  In  der  Höhe  der 
Gart,  cricoidea  an  der  linken  Seite,  AVurde  ein  AAvalnußgroßes 
Säckchen,  welches  mit  einem  Stiel  dem  Oesophagus  ansaß,  ent¬ 
deckt.  Nach  vorheriger  Abdichtung  der  Umgebung,  Avurde  der 
Stiel  durchtrennt,  ein  dünnes  Drain  von  der  Wunde  aus  in  deii 
Magen  geführt  und  die  Wunde  im  Oesophagus  im  übrigen  Amr- 
näht.  Lose  Tamponade  der  Wunde,  Anlegen  nur  einzelner 
Knopf  nähte. 

Zunächst  Avieder  Aufflackern  der  Bronchitis,  dann  langsame 
Besserung  und  nach  sechs  Tagen  vollkommene  Entfernung  des 
Ernährungsschlauches.  Der  recht  elende  Patient  A\mrde  täglich 
zweimal  mittels  der  Sonde  per  os  ernährt.  Nach  drei  Wochen 
gelang  das  spontane  Schlucken,  Rasche  Verkleinerung  der  Fistel, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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die  jetzt  geheilt  isl.  Die  inikroskopische  Untersuchung  des  exstir- 
pierten  Sackes  ergibt  Plattenepitliel  und  eine  gut  entwickelte 
^luskulatur. 

Ich  stelle  ferner  den  \’or  vier  Jahren  von  mir  operierten 
Patienten  vor,  der  an  deniiselhen  Leiden  gelitten  hatte  und  welchen 
f)r.  Laub  vor  der  Operation  hier  in  der  Gesellschaft  gezeigt  hatte. 
Lr  ist  dauernd  vollkonunen  geheilt.  Von  beiden  Patienten  sind 
demonstrative  Röntgenbilder  vorhanden.  (Demonstration.)  Ferner 
werden  Röntgenbilder  eines  nicht  operierten  Falles  von  Oeso- 
phagusdivertikel  vorgestellt,  welcher  einen  amerikanischen  Kol¬ 
legen  betraf. 

IMeine  Erfahrungen  beziehen  sich  auf  vier  operierte  Fälle, 
Der  erste  Fall,  noch  von  Billroth  operiert,  ist  von  Schwarzen¬ 
bach  in  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  beschrieben.  Die 
Exstirpation  führte  zur  Heilung.  Der  zweite  B^all,  von  jnir  in 
Königsberg  operiert,  führte  an  einer  akuten  Mediastinitis  zumi 
Exitus.  Dazu  kommen  die  zwei  heute  von  mir  vorgestellten 
Fälle,  Avelche  durch  die  Operation  heilten. 

Die  Exstirpation  ist  hei  allen  Grenzdivertikeln  als  das  Nor¬ 
mal  verfahren  zu  bezeichnen.  Die  stets  vorhandenen,  sich  aber 
vermehrende]!  BeschAverden  geben  eine  absolute  Indikation  dazu 
ab.  lieber  die  Art  und  Weise  der  Versorgung  des  Oesophagus- 
loches,  das  nach  der  Operation  zurückbleibt,  wird  noch  ver¬ 
schieden  geurteilt. 

Das  ideale  Verfahren  —  die  exakte  Nalit  —  dürfte  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  —  da  hier  das  beste  Klebemittel  für  das 
Halten  der  Naht  (das  Peritoneum)  fehlt  —  versagen.  Sie  wurde 
in  keinem  der  Fälle  zur  Anwendung  gebracht.  Nach  dem  guten 
Resultate,  welches  unter  anderem  vor  kurzem  v.  Bergmann 
berichtet  hat  (primäre  Naht  und  Heilung)  ist  dieselbe  jedoch  ent¬ 
schieden  zu  versuchen. 

Priv.-Doz.  Dr.  Fein:  Die  Dame,  welche  ich  hente  hier 
vorstellen  wollte,  mußte  leider  vorzeitig  in  ihre  Heimat  nach  Un¬ 
garn  verreisen,  weshalb  ich  über  den  interessanten  Fall  nur 
berichten  kann.  Am  2.  IMärz  d.  J.  war  die  Dame  mit  dem  Be¬ 
festigen  von  Reißnägeln  beschäftigt  und  hielt  einen  solchen  zwischen 
den  Lippen.  Bei  Gelegenheit  eines  Versuches  zu  sprechen,  geriet 
ihr  dieser  in  den  Hals  und  blieb  daselbst  stecken.  Der  Fremd¬ 
körper  machte  ihr  keine  großen  Beschwerden,  keine  Atemnot  und 
nur  ein  unangenehmes  Gefühl  beim  Teeschlucken.  Sie  konnte 
ohne  die  geringsten  Schmerzen  Speise  und  Getränke  zu  sich 
nehmen.  Der  herbeigerufene  Arzt  stellte  durch  Eingehen  mit  dem 
Finger  und  mit  Instrumenten  vergebliche  Versuche  zur  Entfernung 
des  Nagels  an.  Am  nächsten  Tag  kam  die  Patientin  zu  mir  und 
ich  konnte  bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  den  Nagel 
sofort  entdecken.  Er  saß  merkwürdigerweise  in  die  hintere 
(laryngeal e)  Fläche  der  Epiglottis  fest  wie  mit  dem  Daumen  ein¬ 
gedrückt  am  Uebergang  des  vertikalen  Teiles  des  Kehldeckels  in 
den  horizontalen.  Da  der  Stift  offenbar  im  horizontalen  Teil 
steckte,  konnte  nur  die  horizontal  stehende,  hintere  Hälfte  der 
Platte  des  Nagels  gesehen  werden.  Unter  vorsichtiger  Kokain¬ 
einträufelung  machte  ich  zunächst  den  Versuch,  die  Platte  von 
hinten  her  mit  der  Sehr  öfter  sehen  Pinzette  zu  erfassen,  was 
aus  dem  Grunde  nicht  gelang,  weil  die  Branchen  derselben  nicht 
derart  gekrümmt  werden,  daß  sie  die  horizontal  stehende  Platte 
von  oben  nach  unten  her  erfassen  konnten.  Die  Situation  war  inso- 
ferne  kritisch,  als  der  Nagel  gerade  oberhalb  der  Kehlkopföffnung 
saß  und  unvermeidlich  in  die  Trachea  gefallen  wäre,  wenn  es 
mir  zwar  gelungen  wäre,  ihn  zu  lockern,  jedoch  nicht  zu  er¬ 
greifen;  bei  der  Stellung  der  Branchen  und  der  Form  des  Fremd¬ 
körpers  wäre  ein  Entgleiten  sehr  wahrscheinlich  gewesen.  Ich 
unterließ  daher  jeden  weiteren  Eingriff  mit  der  Pinzette  und 
führte  einen  Schlingenschnürer  derart  ein,  daß  ich  die  Platte  von 
vorne  nach  unten  her  mit  der  Drahtschlinge  umging,  dieselbe  vor¬ 
sichtig  zuzog  und  auf  diese  Weise  den  Stift  zwischen  Platte  und 
Kehldeckel  sicher  gefaßt  hielt.  Mit  einer  verhältnismäßig  kräftigen 
Bewegung  nach  hinten  gelang  nun  die  Extraktion  des  Nagels 
leicht  und  sicher. 

Das  Interesse  des  Falles  liegt  auch  in  der  sonderbaren 
Lokalisation  des  Fremdkörpers.  Das  feste  Eindringen  des  Nagels 
in  die  hintere  Fläche  des  Kehldeckels  kann  nur  so  erklärt  werden, 
daß  der  Nagel  im  Momente  des  Eindringens  derarf  in  den  Aditus 
ad  laryngem  fiel,  daß  der  Stift  nach  vorn,  die  Platte  nach  hinten 
zu  liegen  kam.  Nun  erfolgte  reflektorischer  Verschluß  des  Aditus, 
wobei  der  Stift  in  die  Epiglottis  eingetrieben  wurde  ;  jede  Schluck¬ 
bewegung  drückte  den  Reißnagel  noch  fester  in  seine  Unterlage. 

Andererseits  ist  die  Beobachtung  des  Falles  aus  dem  Grunde 
von  großer  praktischer  Bedeutung,  weil  er  zeigt,  wie  gefährlich 
es  ist,  irgendwelche  Manipulationen  zur  Feststellung  oder  Ex¬ 
traktion  eines  Fremdkörpers  vorzunehmen,  bevor  nicht  die  Spiegel¬ 
untersuchung  vorangeschickt  wurde.  Die  Lage  des  Nagels  macht 


es  in  diesem  Falle  klar,  daß  er,  wenn  er  nicht  so  fest  im  Kehl¬ 
deckel  gesteckt  hätte,  bei  jeder  Manipulation  in  die  Trachea 
gefallen  wäre,  was  begreiflicherweise  unberechenbare  Folgen  nach 
sich  gezogen  hätte.  Endlich  muß  erwähnt  werden,  daß  es  hier, 
wenn  wir  von  der  Röntgendurchleuchtung  absehen,  die  nur  hätte 
zeigen  können,  daß  der  Nagel  im  Kehlkopf  stecke,  durch  keine 
andere  Methode  außer  der  laryngoskopischen  gelungen  wäre, 
den  Fremdkörper  zu  entdecken,  bzw.  zu  entfernen. 

Dr.  H.  Marcus  demonstriert  1.  einen  aseptischen 
T  a  s  c  h  e  n  k  a  t  h  e  t  e  r  i  s  a  t  o  r. 

Der  Apparat  dient  dazu,  den  weichen  Katheter,  ohne  ihn 
mit  den  Händen  zu  berühren,  in  die  Harnröhre  einzuführen  und 
gleichzeitig;  um  den  steril  gehaltenen  Katheter  bequem  zu  ver¬ 
wahren. 

Er  besteht  aus  einer  in  der  Mitte  auseinandernehmbaren, 
flach  gedrückten  Blechkapsel,  die  in  ihrem'  vorderen  Anteil  in 
einen  kurzen  Hals  ausläuft,  in  den  eine  vorne  trichterförmig  auf¬ 
gebogene  Halbrinne  eingeschoben  Avird,  die  als  Oelreservoir  dient. 

Im  Vorderen  Kapselteil  befinden  sich  mehrere  kleinere 
Löcher  zum  ZAvecke  des  raschen  Abfließens  der  Auskochflüssig¬ 
keit;  ferner  sind  vorne  zAvei  Branchen  aufgelötet,  durch  deren 
Zusammendiiicken  der  Schnabel  des  im  Innern  der  Kapsel  spiralig 
aufgerollten  Katheters  fixiert  und  sukzessive,  Avie  sonst  mit  den 
Fingern  vorgeschoben  AAÜrd.  Eine  im  Innenraum  gelagerte,  hohle 
Metall'spule,  auf  welche  der  Katheter  auf  gerollt  ist,  verhindert 
ein  Steckenbleiben  des  Katheters. 

Ueber  den  vorderen  Anteil  wird  nach  dem  Auskochen  zum 
Zwecke  der  Verhinderung  irgendwelcher  Berührung  die  Schutz¬ 
hülse  gestülpt,  Avelche  erst  vor  der  Benützung  des  Instrumentes 
abgenommen  Avird. 

Beim  Abbeben  der  Schutzhülse  ist  der  Unterteil  an  dem 
gerieften  runden  Plättchen  mit  Daumen  und  Zeigefinger  fest- 
zuhalten. 

2.  Einige  Modifikationen  und  Hilfsinstrumente  an 
einem  selbsthaltenden,  zav  eiblätterigen  Vaginal¬ 
spekulum,  die  sich  für  die  Ausführung  kleinerer  Operationen 
ohne  Assistenz,  sowie  für  die  Sprechstunde  als  recht  zweckmäßig 
bewährt  haben. 

Die  untere  Branche  des  Spekulums,  an  die  ein  Abfluß^- 
trichter  arigelötet  ist,  läßt  sich  nämlich  durch  Herausziehen  eines 
schuhlöffelähnlichen  Einsatzes  etAva  im  Sinne  eines  Martin- 
scheu  Spekulums  verkürzen. 

Die  obere  Branche  läßt  sich  nicht  nur  radiär  und  parallel 
gegen  die  untere  verschieben,  sondern  auch  an  einer  am  unteren 
Anteil  befindliclien,  horizontalen  Zalmstange  nach  vorne  diri¬ 
gieren,  so  daß  dem  eventuellen  Vorziehen  des  Uterus  kein  Hinder¬ 
nis  entgegensteht.  Ein  an  der  Unterseite  angebrachtes  Häkchen 
gestattet  die  Befestigung  von  mit  Ringelchen  versehenen  Kugel¬ 
zangen,  bzAv.  Harpunen  am  oberen  Spiegelanteil.  Auf  diese  Weise 
ist  es  ermöglicht,  ohne  Assistenz  sich'  nur  jede  mögliche  Be¬ 
quemlichkeit  beim  Arbeiten  an  der  Portio  oder  Uterusinnenfläche 
zu  schaffen. 

Um  bequem  und  völlig  aseptisch  tamponieren  zu  können, 
läßt  sich  ein  viereckiges  oder  rundes  Tamponadekästchen  an 
der  horizontalen  Zahnstange  hinaufschieben. 

Solche  Kästchen  werden  auf  meine  Veranlassung  auch  zur 
Befestigung  an  gewöhnliche  Martinspekula  von  der  Firma 
H.  Reiner,  die  die  Herstellung  meines  Spiegels  übernommen  hat, 
vorrätig  gehalten  und  ermöglichen  ein  exaktes,  aseptisches  Tam¬ 
ponieren  ohne  Assistenz. 

Endlich  möchte  ich  noch  hemerken,  daß  sich  mein  Spekulum 
nach  Zerlegung  und  Befestigung  an  entsprechende  Handgriffe  auch 
Avie  ein  geAvöhnliches  Spekulumpaar  Amrwenden  läßt,  wobei  der 
untere  hohle  Handgriff  ein  reinliches  Abfließen  der  Spülflüssig¬ 
keit  u.  dgl.  ermöglicht. 

Hof  rat  Hochenegg  berichtet  über  einen  Fall  von  während 
der  Gravidität  entstandenem  Rektumkarzinom  und  durch  das¬ 
selbe  bedingtes  Geburtshindernis.  Es  Avar  nötig,  zunächst  durch 
Sectio  caesarea,  die  Priv.-Doz.  Dr.  Hai  ban  ausführte,  die  am 
Ende  der  Gravidität  stehende  Frau  zu  entbinden  und  dann  in 
zweiter  Opei-ation,  die  16  Tage  später  ausgeführt  wurde,  das 
Rektalneoplasma  durch  Resektion  sakral  zu  entfernen.  (Demon¬ 
stration  des  Präparates.)  Pat.  befindet  sich  auf  dem  Wege  fort¬ 
schreitender  Heilung. 

Anschließend  an  die  Demonstration  betont  Hochenegg? 
die  relative  Häufigkeit  (Hochenegg  verfügt  liereits  über  sechs 
derartige  Beobachtungen)  der  Kombination  von  Schwangerschaft 
und  Rektumkarzinom  und  die  Schwierigkeit  für  Indikationsstellungl 
und  Therapie,  die  hieraus  erwächst,  da  hiebei  das  Leben  des 
Kindes  und  das  der  Alutter  in  Eiwägung  zu  ziehen  sei.  Es  lassen 
sich  in  dieser  Beziehung  folgende  Gesichtspunkte  aufstellen ;  Bei 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


33.'! 


inoperablem  Karzinom  kommt  mir  das  Leb'en  des  Kindes  in 
Betracht. 

Bei  operablem  Rektumkarzinom  ist  in  der  ersten  Zeit  der 
Gravidität  die  Sclnvangerscliaft  zu  untcrlircchen,  das  Puerperium 
abzuwarten  und  die  Exstirpation  vorzunebmen.  Am  Ende  ibu' 
Gravidität  wird  es  sieb  empfehlen,  so  vorzugelien,  wie  in  dem 
geschilderten  Falle,  d.  b.,  die  Entbindung  durch  Sectio  caesarea 
und  dann  in.  z-weiter  Sitzung  die  Exstirpation  des  Rektu'm- 
k  a  r  z  i  noTOiS  v  o  r  zu  ne  hme  n . 

Dr.  Boese  (als  Gast ) :  Ein  Fall  von  S  t i  e  1 1  o  r  s  i  o  u  ein  e  s 
sarkomatös  degenerierten  B  au  c  b  li  ode  n  s.  (Siebe  unter 
den  üriginalien  dieser  Woebensebrift.) 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom 
14.  Februar  1907. 

J.  P’lesch  demonstriert  ein  durch  Operation  gewonnenes 
Präparat  von  Darm  in  vagi  nation.  Ein  Knabe  erkrankte  unter 
den  Symptomen  von  perforativer  Appendizitis.  Bei  der  Operation 
fanden  sich  das  Cökuni  und  der  Appendix  normal,  dagegen  war 
ein  lleumstück  von  Vr  m  Länge  invaginiert  und  gangränös.  Diese 
Darmpartie  wurde  abgetragen  und  der  Darm  genäht.  An  der 
Spitze  des  Intussiiszeptum  saß  ein  haselnußgroßer  Polyp.  Das 
Befinden  des  Knaben  ist  gut. 

Th.  Eschericb  zeigt  ein  achtmonatliches  Kind  mit  gal¬ 
vanischer  Nervenübererre  gbarkeit.  Das  künstlich  ge¬ 
nährte  Kind  bekam  vor  zwei  Alonaten  Verdauungsstörungen,  seit 
einigen  Tagen  hat  es  einen  geringgradigen  Stimmritzenkrampf. 
Es  zeigt  leichte  Kraniotabes  und  Erscheinungen  von  latenter 
Tetanie  (Fazialisphänomen,  mechanische  und  elektrische  Eeber- 
erregbarkeit),  aber  keine  Krämpfe.  Die  galvanische  Erregbarkeit 
ist  hochgradig  gesteigert,  die  Kn.  S.  Z.  tritt  bei  005  Milliampere, 
die  An.  S.  Z.  und  An.  Ö.  Z.  bei  0-2  Milliampere,  die  Kn.  Ö.  Z. 
bei  0-3  Milliampere  ein.  Nach  Aussetzen  der  Milchdiät  stieg  die 
galvanische  Erregbarkeit  noch  an,  während  sie  bei  anderen  Fällen 
und  auch  nach  den  Angaben  Finkei  steins  durch  einen  solchen 
Nahrungswechsel  herabgesetzt  wurde.  Zur  Klärung  der  Frage, 
ob  das  Fazialisphänomen  durch  direkte  und  reflektorische  Reizung 
des  Fazialis  zustandekommt,  wurde  eine  Stelle  der  Wange  durch 
Aufsetzen  der  Anode  anästhetisch  gemacht;  trotzdem  konnte  durch 
Beklopfen  dieser  Stelle  das  Fazialisphänomen  ausgelöst  werden. 
Dies  spricht  dafür,  daß*  es  durch  direkte  Reizung  des  Fazialis 
entsteht.  Bei  den  Untersuchungen  über  die  elektrische  Erreg¬ 
barkeit  hei  Säuglingen  hat  sich  eine  überraschende  Häufigkeit 
von  leichter  anodischer  und  kathodischer  Uebererregbarkeit  er¬ 
geben;  höhere  Grade  von  anodischer  Uebererregbarkeit  sind  selten 
und  sie  sind  gewöhnlich  mit  Krampfzuständen,  namentlich  mit 
Laryngospasmus,  vergesellschaftet. 

Fr.  Spieler  bemerkt,  daß  nach  seinen  Beobachtungen  bei 
Tetanie  und  galvanischer  Uebererregbarkeit  durch  Aenderung  der 
Ernährung  keine  Besserung  herbeigeführt  wurde,  nach  Verab¬ 
reichung  von  Phosphorlebertran  sank  die  Uebererregbarkeit  all¬ 
mählich  ab,  während  Lebertran  und  Parathyreoideatabletten  keinen 
Erfolg  hatten.  Bei  Untersuchungen  am  Nervus  medianus  trat 
die  An.  Ö.  Z.  früher  auf  als  die  An.  S.  Z. 

V.  Pirquet  betont,  daß  sich  die  verschiedenen  Nerven 
in  dieser  Hinsicht  abweichend  verhalten,  beim  Peroneus  zum 
Beispiel  tritt  die  Reaktion  anders  auf  als  beim  Medianus.  Als 
Beweis  für  die  Uebererregbarkeit  soll  nur  das  absolute  Maß  der 
Stromstärke  genommen  werden,  bei  welcher  die  Zuckung  auftritt. 

R.  Neurath  frägt,  ob  das  Fazialisphänomen  einen  Rück¬ 
schluß  auf  die  Nervenübererregbarkeit  gestattet.  Es  zeigt  sich 
eine  saisonweise  Uebererregbarkeit  des  Fazialis;  so  hat  er  es 
in  manchen  Monaten  bei  70%  der  untersuchten  Kinder  gefunden, 
wobei  sich  keine  Abhängigkeit  von  der  Ernährungsweise  zeigte. 

V.  Pirquet  erwidert,  daß  das  Fazialisphänomen  fast 
immer  mit  kathodischer  Uebererregbarkeit  einhergeht.  Bei  einer  im 
November  an  500  Kindern  durchgeführten  Untersuchung  fanden 
sich  ca.  20  mit  Fazialisphänomen,  17  mit  kathodischer  und  200 
mit  anodischer  Uebererregbarkeit. 

Th.  Esc  he  rieh  bemerkt,  die  Ansicht  von  Tbiemich, 
daß  das  Fazialisphänomen  für  Tetanie  beweisend  ist,  sei  nicdit 
richtig,  weil  es  auch  bei  anderen  Erkrankungen  vorkommt.  Beim 
Fazialisphänomen  ist  die  galvanische  Uebererregbarkeit  des  Fa¬ 
zialis  im  Vergleiche  zu  derjenigen  der  anderen  Nerven  nicht 
sehr  groß.  Galvanische  und  mechanische  Uebererregbarkeit  gehen 
nicht  immer  parallel. 

Baumgarten  erstattet  eine  vorläufige  Mitteilung  über 
seine  Untersuchungen  betreffs  des  Vorkommens  von  Milch¬ 


säure  i  m  L  i  q  u  o  r  c  e  r  e  I)  r  o  spinalis.  Der  Liquor  wurde  durch 
Lumbalpunktion  gewonnen  ;  im  ganzen  wurden  30 Fälle  untersucht 
und  zum  Nachweis  der  Milchsäure  die  Uf  fei  maurische  Reaktion 
angewendet,  ln  25  Fällen,  welche  Meningitis,  chronischen  Hydro¬ 
zephalus,  Urämie,  eklamptische  und  Letanische  Zustände  betrafen, 
war  der  Nachweis  der  Milchsäure  positiv,'  in  den  übrigen  Fällen 
(Nabelsepsis,  beginnende  Meningitis)  negativ.  Als  Muttersubstanz 
der  Milchsäure  kommen  Kohlehydrate  und  Eiweiß  in  Betracht. 

c  Dr.  Bianca  Bienenfeld:  Die  Leukozyten  in  der 
Serumkrankheit.  Die  Symptomatologie  der  SerUmkrankheit 
ist  von  V.  Pirquet  und  Schick  beschrieben  worden.  Nach 
Injektion  größerer  Mengen  artfremden  Eiweißes  entw'ickelt  sich 
am  achten  bis  zwölften  Tage  das  Krankheitsbild,  das  sich  in 
klassischen  Fällen  in  einem  Exanthem  von  flüchtigen  Efflores- 
zenzen,  Fieber,  Schwellung  der  Lymphdrüsen,  Oedemen,  Gelenks¬ 
schwellungen,  Störungen  des  Allgemeinbefindens  und  manchmal 
in  Eiweißausscheidung  als  Zeichen  der  Nierenreizung  äußert,  ln 
vier  Fällen  ergaben  tägliche  Leukozytenzählungen  das  Auftreten 
einer  Leukopenie  zur  Zeit  der  Serumerscheinungen.  Zur  Beant¬ 
wortung  der  Frage:  Gibt  es  eine  für  die  Serumkrankheit  charak¬ 
teristische  Leukozytenkurve  und  ist  die  Leukopenie,  die  im  Blute 
der  niit  Serum  behandelten  Individuen  eintritt,  auf  eine  gleich¬ 
mäßige  Verminderung:  sämtlicher  Leukozytenarten  zurückzuführen, 
hat  Vortr.  an  neun  mit  Injektion  von  100  bis  200  cm®  des  Moser- 
schen  polyvalenten  Scharlachserums  behandelten  scharlachkranken 
Kindern  und  an  einem  an  Tetanus  erkrankten  und  mit  Injektioni 
voU'  Behrings  Tetanusantitoxin  (Summe  der  Serummenge 
135  cm®)  behandelten  Patienten  der  Abteilung  Ortner  täglich 
durch  drei  bis  vier  Wochen  fortgesetzte  Leukozytenzählungen 
vorgenommen.  Es  ergaben  sich  hiebei  folgende  Resultate :  Die 
Injektion  großer  Serummengen  vermag  zweierlei  Wirkungen  auf 
die  Leukozytenzahl  auszuüben:  Zu  der  unmittelbar  nach  der 
Injektion  eintretenden  Leukopenie,  der  eine  Leukozytose  folgt, 
eine  Reaktion,  die  sich  längstens  innerhalb  der  ersten  24  Stunden 
abspielt  und  mit  Rücksicht  auf  den  raschen  Ablauf  der  Er¬ 
scheinung  wohl  auf  die  Wirkung  negativer  Chemotaxis  auf  die 
Leukozyten  zu  beziehen  ist,  gesellt  sich  ein  für  die  Serumkrankheit 
charakteristisches  Ansteigen  der  Leukozytenkurve  während  der 
Prodromalerscheinungen  der  Serumkrankheit,  der  dann  frühestens 
am  sechsten  Tage  nach  der  Injektion  ein  jähes  Absinken  der 
Leukozyten  folgt,  das  der  Eruption  der  Serumersebeinungen  vor¬ 
hergeht.  Von  da  an  sinkt  die  Leukozytenzahl  erheblich  ab  und 
zeigt  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  alisolu  e  Leukopenie 
—  Werte  unter  5000  Leukozyten  — ,  die  ein  Pis  vier  Tage 
anhält  und  mit  der  Höhe  der  Serumkrankheit  zusammenfällt. 
Nach  dem  Ablauf  der  Serumerscheinungen  erhebt  sich  die  Kurve 
wieder  zu  normalen  Werten.  Die  differentialdiagnostischen  Zäh¬ 
lungen  haben  ergehen,  daß  der  plötzliche  Leukozytenabfall  durch 
ein  intensives  Ahsinken  der  absoluten  Zahlen  der  neutrophil 
granulierten  Leukozyten  bedingt  ist,  deren  tief  verminderte  Werte 
so  lange  anhalten,  als  die  Leukopenie  währt.  Die  eosinophil 
granulierten  Leukozyten  zeigen  während  der  Serumerscheinungen 
kein  von  der  Norm  abweichendes  Verhalten.  Die  Leukozyten 
verhalten  sich  von  den  Lymphozyten  insoferne  verschieden,  als 
sie  an  der  tiefen  Remission  der  Leukozyten  nicht  entsprechend 
teilnehmen;  während  die  Verminderung  der  granulierten  Zellen 
gegenüber  ihrer  normalen  Menge  sehr  beträchtlich  ist,  sinken 
die  ungranulierten  nur  w^eit  weniger  an  Zahl  ab.  Auffallend 
erschien  das  Auftreten  von  Uebergangsformen  und  großen  mono¬ 
nukleären  Leukozyten  in  vermehrter  Älenge  nach  der  Leukopenie. 
Ausfuhr  unreifer  Knochenniarkseleniente,  wie  kernhaltiger  Ery¬ 
throzyten  und  Myelozyten,  konnte  wälirend  der  Serumkrankheit 
nicht  beobachtet  werden.  Möglicherweise  könnte  die  Hypothese, 
daß  die  Antikörper  direkt  aus  den  neugehildeten  Zellen  des 
Knochenmarkes  gebildet  würden,  daher  weniger  Granulozyten  zur 
Zeit  der  Serunikrankheit  dem  zirkulierenden  Blut  zur  Verfügung 
stehen,  die  eintretende  Leukopenie  erklären.  Vortr.  weist  ferner 
auf  den  Zusammenhang  zwischen  Leukopenie  und  Schwellung 
der  Lymphdrüsen,  sowie  der  Milz  und  der  Präzipitinbildung  hm. 

Herrn.  Schlesinger  hat  bei  einem  schweren  Typhus  mit 
Leukopenie  (3000  Leukozyten)  nach  Seruminjektion  ein  Ansteigen 
der  Leukozytenzahl  bis  24.000  beobachtet,  wobei  das  Maximum 
derselben  zu  einer  Zeit  vorhanden  war,  wo  noch  Zeichen  der 
Serumkrankheit  bestanden.  Ob  ein  solches  abweichendes  \ er¬ 
halten  mit  der  Art  der  Erkrankung  oder  vielleicht  mit  der  Art 
des  Serums,  zusammenhängt,  müssen  weitere  Beobachtungen  lehren. 

Th.  Es  che  rieh  bemerkt,  daß  man  die  eintretende  Leuko¬ 
penie  auch  durch  die  Bildung  eines  Toxins  nach  dei  Serum¬ 
injektion  erklären  könnte,  welches  relativ  die  Granulozyten  vei- 
nichtet;  eine  solche  elektive  Wirkung  haben  z.  B.  die  Rönlgen- 
strahlen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  11 


Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in 

Böhmen. 

XV III.  Sitzung  vom  27.  November  1906. 

Bayer:  Ueber  die  \'ereinfc'ichung  der  Tborako- 

pla'siik; 

Vortr.  empfiehlt  folgeiide  Modifikalion  der  S c he d e sclien 
Thoraxreüektion :  Senkrechter  Schnitt  von  der  Mitte  der  Axilla 
ahwärlh;  er  geht  an  den  Vorderen  Zacken  des  Musculus  serratus 
aiilicus  major  vorbei  und  trifft  gleich  alle  Rippen  von  der  zweiten 
bis  zur  zehnten,  ohne  wichtigere  Gebilde  und  größere  Gefäße 
zu  Verletzen,  ln  dieseju  Schnitt  werden  alle  Rippen  zunächst 
auf  ca.  2  cm  Länge  reseziert  und,  dann  in  der  so  entstandenen 
rippenlosen  Furche  die  weiche  Thoraxwand  von  oben  heruriter 
mit  dem  Thermokauter  gespalten.  : 

Nach  Abfluß  des  Inhaltes  orientiert  man  sich  durch  den 
Spalt  über  die  Ausdehnung  der  Höhle  und  sieht,  wie  viele  und 
wie  weit  die  Rippen  entfernt  werden  müssen.  Die  Ausschälung 
der  Rippen  aus  ihren  Periostbülsen  geht  von  dem  seitlichen  Spalt 
nach  vorne  und  hinten  auffallend  leicht  und  rasch  vor  sich. 

Die  Wunde  wird  bloß  oben  mit  einigen  Suturen  verkleinert, 
der  übrige  Spalt  offen  gelassen  und  die  Weichteile  nur  angelegt. 

Schrägschnitt  unten  entlang  einer  der  Basalrippen  zur  Drai¬ 
nage  nach  hinten. 

Rihl:  Ueber  atrioventrikuläre  Tachykardie  beim 
Menschen.  ,, 

Bei  einem  Patienten,  dessen  Puls  zeitweise  rascher  schlug, 
ließ  sich  an  der  Hand  der  Arterien-  und  Venenpulskurven  zeigen, 
daß  während  der  Zeit  der  rascheren  Pulsfolge  die  Kammer  vor 
dem  Vorhof  schlug. 

Die  Umkehr  der  Sukzession  war  darauf  zurückzuführen,  daß 
die  Herzkontraktion  auslösenden  Reize  während  der  raschei’en 
Pulsfolge  in  der  Atrioventrikulargegend  näher  der  Kammer  sich 
bildeten. 

L  i  p  p  i  c  h :  Ueber  Derivate  von  Aminosäuren. 

Der  Vortragende  erörtert  zunächst  die  Notwendigkeit  ([uanti- 
tativer  Bestimmungen  von  Eiweißspaliungsprodukten,  um  zu  einer 
rationellen  Einteilung  der  Eiweißkörper  zu  gelangen.  Hiezu  ist 
die  Auffindung  analytisch  brauchbarer,  schwer  löslicher  Verbin¬ 
dungen  der  Aminosäuren  notwendig;  in  diesem  Sinne  werden  drei 
Reihen  verwandter  Verbindungen  besprochen,  die,  wie  der  Vor¬ 
tragende  auseinandersetzt,  auch  noch  von  anderweitigem  physio¬ 
logischen  Interesse  sind.  Die  genannten  Verbindungen  sind;  Die 
Karbaminosäuren  (Siegfried,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1905, 
Bd;  44,  46;  1906,  Bd.  39),  die  Hydantoiiisäuren  (Lippich,  Zeit¬ 
schrift  f.  physiol.  Chemie  1906,  Bd.  39)  und  die  Diureide  (Hu¬ 
go  uneng  und  Morel,  Compt.  rend.  1905,  Bd.  140;  1906,  Bd.  143). 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzung  vom  6.  Februar  1907. 

Vorsitzender’:  Physikus  Dr.  Liehinann. 

Schriftführer :  Dr.  S  c  h  w  e  i  n  b  u  r  g. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  C.  Sternberg  demonstriert  eine 
kindskopf große  Geschwulst,  die  von  Prim.  Dr.  Bittner  aus 
der  Orbita  .eines  neunjährigen  Knaben  entfernt  worden  war.  Die 
Untersuchung  des  Tumors  ergab,  daß  es  sich  um  ein  perivas^ 
kuläres  Spindelzellensarkom  handelt,  das  anscheinend  vom 
Knochen  ausgeht.  Die  Geschwulst  hatte  den  Bulbus  bis  auf  die 
Kornea  allseits  umwuchert  und  stark  zusammengedrückt;  der¬ 
selbe  ist  in  den  Tumor  fast  eingemauert,  jedoch  nirgends  durch¬ 
wuchert.  Der  Nervus  opticus  ist  ganz  in  der  Geschwulst  aufge¬ 
gangen  und  nirgends  auffindbar. 

Prim.  Dr.  Bittner  demonstriert  die  photograp bischen  Ab-, 
bildungen  dieses  Falles,  welche  die  ganz  kolossale  Größe  des 
Tumors  vor  Augen  führen.  Die  Geschwulst  soll  seit  sechs  Mo¬ 
naten,  anfangs  langsamer,  schließlich  sehr  schnell  gewachsen  sein, 
war  bei  der  Aufnahme  des  Kindes  (am  7.  Januar  1907)  fast  kinds¬ 
kopfgroß,  von  höckeriger  Oberfläche,  an  den  peripheren  Teilen 
gangränös  zerfallend,  so  daß  den  armen  Knaben  eine  aashafte 
Atmosphäre .  mngab.  Häufige  Blutungen  und  ständige  Fieber¬ 
bewegungen  brachten  den  Kranken  sehr  herab,  so  daß  derselbe 
bei  der  Aufnahme  sehr  anämisch,  kachektisch  und  appetitlos  war. 
Die  Basis  des  Tumors,  dessen  Wurzel  in  der  rechten  Orbita  saßl, 
war  nahezu  kreisrund  in  einer  Linie,  die  von  der  Nasenwurzel 
beginnend,  über  den  Margo  supraorbitalis,  jenseits  des  äußeren 
Augenhöhlenrandes,  über  das  Os  zygomatic'um  herab  zum  Ober¬ 
kiefer  und  hier  quer  bogenförmig  zur  Nase  verlief.  In  den  vor¬ 
dersten  Partien  des  Tumors  war  die  trübe  Kornea  deutlich  sichtbar, 


der  Tumor  hatte  also  den  Bulbus  aus  der  Augenhöhle  heraus¬ 
gehoben,  mithin  war  sein  Ursprung  retrobulbär. 

Nach  kurzer  Beobachtungszeit  entschloß  sich  der  Vor¬ 
tragende,  die  Enlfeiaiung  ties  ungemein  Tasch  wachsenden  Tumors 
zu  versuchen.  Am  14.  Januar  1907  wurde  Iderselbe  in  Narkose 
mittels  Paquelin  zunächst  an  der  Basis  abgetragen,  hierauf  mittels 
Raspatorium  der  Orbitalteil  des  Tumors  samt  dem  Periost  der 
Orbitalknochen  enukleiert.  Dieser  Akt  war  trotz  der  raschen 
Ausführung  sehr  blutig;  der  ohnehin  anämische  Kranke  wurde  fast 
pulslüs.  Die  Opei’ation  wurde  abgebrochen,  nachdem  der  Grund 
der  Orbita,  sowie  der  in  die  Länge  gezogene  Nervus  opticus 
mit  Thermokauther  verschorft  wurden. 

Da  bei  dieser  Operation  konsUitiert  wurde,  daß  der  Tumor 
durch  den  Margo  infraorbitalis  in  die  Oberkieferhöhle  gewuchert 
war,  das  Os  zygomaticum,  die  vordere  Wand  der  Oberkieferhöhle 
vollständig  durchwuchernd,  wurde  nach  zehn  Tagen,  nachdem 
sich  der  Knabe  etwas  erholt  hatte,  am  '24.  Januar,  abermals  in 
leichter  Narkose,  der  Tumor  aus  dem  Antrum  Highmori,  samt 
dem  zerstörten  Os  zygomaticum,  weiters  dem.  vorderen  und  dem 
größten  Teil  der  medialen  Wand  der  Oberkieferhöhle,  dem  Proces¬ 
sus  nasalis  des  Oberkiefers,  weiters  dem  Os  lacrimale  entfernt,  so 
daß  eine  kleine  Kommunikation  mit  der  Nasenhöhle  entstand. 
Hiebei  gab  es  abermals  eine  vehemente  Blutung,  besonders  aus 
der  Arteria  maxillaris  interna.  Die  große  Wundhöhle  wurde  tam¬ 
poniert.  Nach  dieser  zweiten  Operation  erholt  sich  der  arme 
Junge  sichtlich,  das  Fieber  ist  verschwunden,'  der  Appetit  gut, 
das  Auge  frischer;  die  Höhle  granuliert  rein,  ein  Rezidiv  ist  noch 
nicht  sichtbar. 

Wenn  auch  die  Prognose  dieser  Tumoren  eine  schlechte  ist, 
so  ist  doch  die  rechtzeitige  radikale  Operation  in  jedem  Falle 
zu  versuchen  und  es  ist  sonderbar,  daß  in  diesem  Falle  ein  Arzt 
den  Mut  fand,  den  wohlhabenden  Eltern  von  einer  Operation 
des  Knaben  von  allem  Anfang  an  abzuraten,  mit  der  Moti¬ 
vierung,  daß  das  Kind  mit  und  ohne  Operation  unrettbar  ver¬ 
loren  sei.  Dank  diesem  ärztlichen  Rate  erreichte  der  Tumor  diese 
kolossale  Größe. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  C.  Sternberg  hält  den  zweiten 
Vortrag  über  den  heutigen  Stand  der  Immunitätslehre 
und  bespricht  die  Ehrlichsche  Seitenkettentheorie,  die  Agglu- 
tinine,  Präzipitine  und  Zytolysine;  unter  Anführung  zahlreicher 
Beispiele  werden  die  sich  aus  diesen  Erkenntnissen  ergebenden 
Schlußfolgerungen  für  die  Praxis  und  die  theoretischen  Wissen¬ 
schaften  erläutert. 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  15.  März  1907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Chrobak  stattfindenden 

Hauptversammlung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

1.  Wahl  der  Funktionäre  und  neuen  Mitglieder.*) 

2.  Bericht  über  das  abgelaufene  Vereinsjahr. 

3.  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel:  Vinzenz  v.  Kern  —  Josef 
Lister. 

4.  Verkündigung  des  Wahlresultates. 

In  dieser  Sitzung  finden  nach  §  12  der  Geschäftsordnung  keine 
Demonstrationen  statt. 


*)  Die  Stimmzettel  für  die  Wahl  werden  von  6  bis  8  Uhr  im  Verwaltungsrats¬ 
zimmer  entgegengenommen. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  Pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale 
der  Klinik  Escliericli  Donnerstag  den  14.  März  1907,  um  7  Uhr 

abends,  statt. 

Vorsitz:  Professor  Dr.  Unger. 

Programm; 

1.  Demonstrationen  (angemeldet :  Dozent  Dr.  Moser :  Diffuse  Sklerose.) 

2.  Dr.  Friedjung;  Läßt  sich  ein  Einfluß  der  Säuglingsernährung 
auf  die  physische  Leistungsfähigkeit  des  Erwachsenen  erkennen? 

DasPräsidium. 

Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  18.  März  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  L,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Prof.  Englisch  stattfindenden 

wissenscliaftlichen  Versammlung. 

Kais.  Rat  Dr,  H.  Charas:  Ueber  erste  ärztliche  Hilfe. 


V«r»ntwortUch#r  R.daktBur:  Adalbert  Karl  Trupp.  V«rl»g  von  WUholm  Branmfiller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  Tberesiengasse  8. 


rr — - 

Die 

„Wleuer  kllulsclte 
WoclieMsclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 

4 - .  -  . . 

Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0-  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Arthur  Schattenfroh,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel.  ,  vena^shandiung: 

Telephon  Nr.  17.618. 


(r - 

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■  — 6 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  21.  März  1907. 


Nr.  12, 


INH 

1.  Origiualartikel :  1.  Vinzenz  v.  Kern  —  Josef  Lister.  Rede, 
gehalten  am  15.  März  in  der  Hauptversammlung  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  in  Wien,  von  Prof.  Dr.  Alex.  Fraenkel. 

2.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  R.  Paltaiif.)  lieber  Toxine  des  Typhusbazillus. 
Von  Prof.  R.  Kraus  und  Dr.  R.  v.  Stenitzer. 

3.  Erwiderung  auf  L.  Zupniks  Artikel  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift  Nr.  53,  1906).  Von  Prof.  R.  Kraus. 

4.  Aus  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen  Universität  in 
Prag.  (Vorstand:  Obersanitätsrat  Prof.  Hueppe.)  Ueher  Bakterien- 
präzipitalion  durch  normale  Sera.  Von  Privatdozent  Doktor 
Edmund  Hoke,  I.  Assistenten  der  medizinischen  Klinik  Ober¬ 
sanitätsrat  Prof.  R.  V.  Jaksch. 

5.  Aus  der  I.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien.  (Vorstand: 
Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.)  Ein  Fall  von  Abrißfraktur 
eines  Dornfortsatzes.  Von  Dr.  Otto  v.  Frisch,  Assistenten  der 
Klinik. 

II.  Referate:  Ueher  Wesen  und  Ursachen  der  Geschwülste.  Von 
Prof.  Dr.  Max  Borst.  Jahresbericht  über  die  Ergebnisse  der 


ALT: 

Immunitätsforschung.  Von  Dr.  Wolfgang  W  e  i  c  h  a  r  d  t. 
Erkältung  und  Erkältungskrankheiten.  Von  Dr.  Karl 
C  h  o  d  0  u  n  s  k  f.  Einführung  in  das  Studium  der  Malaria¬ 
krankheiten  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Technik. 
Von  Dr.  Reinhold  Rüge.  Lehrbuch  der  allgemeinen  Pathologie 
und  allgemeinen  pathologischen  Anatomie.  Von  Dr.  Richard 
Oestreich.  Die  hämatopoetischen  Organe  in  ihren  Be¬ 
ziehungen  zur  Pathologie  des  Blutes.  Von  Dr.  Konrad  Hel  ly. 
Archives  de  Tinstitut  royal  de  bacteriologie  Camara  Pestana. 
The  Thompson  Yates  and  Johnston  Laboratories  Report. 
Liverpool  School  of  tropical  Medicine.  Ai'chives  de  medecine 
experimentale  et  d’anatomie  pathologique.  Archiv  für  experi¬ 
mentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  Ref. :  Jo  anno  vies. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßherichte. 


Vinzenz  v.  Kern  —  Josef  Lister. 

Rede 

gehalten  am  15,  März  in  der  Hauptversammlung  der  k.  k.  Gesellschaft 
'  '  der  Aerzte  in  Wien 

von  Prof.  Dr.  Alex.  Fraenkel. 

H'ochansehnliche  Versammlung!  Eine  bedeutsame  Er¬ 
innerung  einerseits  und  ein  Ausblick  voll  Genugtuung  in 
die  Gegenwart  anderseits,  das  sind  die  Anlässe,  welche 
die  heurige  Jahresversammlung  unserer  Gesellschaft  zu 
einer  feierlichen  gestalten.  Der  Rückblick,  die  Erinnerung 
gilt  dem  hundertjährigen  Bestehen  des  Operateurinstitutes 
der  Wiener  medizinischen  Schule,  zum  feierlichen  Erfassen 
des  Augenblickes  bewegt  uns  die  Tatsache,  daß  Josef 
Lister,  der  große  Reformator  der  Chirurgie,  demnächst  in 
das  neunte  Jahrzehnt  seines  ruhmvollen  Lebens  tritt. 

Auch  die  Zentenarfeier  ist  untrennbar  mit  der  Er¬ 
innerung  an  eine  Persönlichkeit  verknüpft,  an  jene,  der 
die  Regründung  des  Operateurinstitutes  zu  danken  ist:  Vin¬ 
zenz  V.  Kern. 

Mit  den  Namen  und  dem  Wirken  dieser  beiden  Männer 
sind  zwei  Epochen  in  der  Entwicklung  eines  die  Mensch¬ 
heit  außerordentlich  nahe  berührenden  Problems  innig  ver¬ 
bunden,  dem  Problem  der  Wundbehandlung,  Für  die  Lösung 
dieses  Problems  haben  beide  mit  dem  ganzen  Einsatz  ihrer 
Persönlichkeit,  jeder  in  seiner  Weise,  wie  für  eine  heilige 
Sache  gekämpft;  sie  haben  dafür  gestritten  und  gelitten. 


Kern  war  es  nicht  vergönnt,  den  Sieg  seiner  Ideen  auf 
der  ganzen  Linie  zu  erleben;  erst  nach  und  nach  drangen 
seine  Lehren  durch  und  als  sie  vollends  anerkannt  waren 
und  die  von  Kern  propagierte  Methode  der  Wundbehand¬ 
lung  gleichsam  durch  Wiedergeburt  Gemeingut  der  Chirurgie 
wurde,  da  trat  Lister  auf  den  Plan.  Au  den  großen  Fort¬ 
schritt,  den  Kern  mit  seinem  Verfahren  begründete,  reihte 
sich  der  noch  unvergleichlich  größere  an,  der  Lister  zu 
danken  ist.  Kern  wurde  von  Lister  abgelöst. 

Dieser  aber  hat  das  Glück,  die  Saat,  die  er  gestreut, 
herrlich  in  die  Halme  schießen  und  sein  hohes  Alter  ver¬ 
klärt  zu  sehen  durch  den  Glanz  eines  in  seiner  Art  einzig 
dastehenden  Erfolges  uneutwegten  Bestrebens  nach  Be¬ 
glückung  der  Menschheit.  Wer  rückschauend  dem  Problem 
der  Wimdbehandlimg  in  seiner  allmähligen  Entwicklung 
nachgeht,  muß  achtungsvoll  bei  Vinzenz  v.  Kern  Halt 
machen.  Gelöst  hat  er  das  Problem  nicht;  das  ist  Listers 
unsterblicher  Ruhm.  Aber  das  hohe  Verdienst  müssen  wir 
ihm  zuerkennen,  einen  Ausweg  gefunden  zu  haben,  der 
für  seine  Zeit  einen  erheblichen  Fortschritt  bedeutet  und 
der  leidenden  Mensclilieit  in  hohem  Grade  zustatten  kam. 
Um  den  Gipfel  zu  erreichen,  auf  dem  Lister  angelaiigt  ist, 
mußten  erst  ganz  neue  Wege  gehalmt  und  eingesclilageii 
werden. 

So  sehr  das  unvergleichliche  Verdienst  Josef  Listers 
alles  überstrahlt,  was  je  in  der  praktischen  Heilkunde  ge¬ 
leistet  wurde,  so  bleibt  doch  auch  Vinzenz  v.  Kern  un- 


B36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


vergessen.  Der  auch  duicii  die  Zentenarfeier  wieder  auf- 
gefrisclilen  Erinnerung  an  Vinzenz  v.  Kern  koinmt  es  zu¬ 
gute,  daß  die  Stätte,  in  der  sein  Wirken  sich  vollzog, 
noch  erhalten  ist.  Wie  durch  ein  Wunder  hat  es  allem 
Wandel  der  Zeiten  standgehalten,  dieses  altehrwürdige 
Wiener  Allgemeine  Krankenhaus,  das  Josef  II.  saluti  et 
solatio  aegrorum  vor  nunmehr  zwölf  JaJirzehnten  erbaute. 
Wie  vor  hundert  Jahren  unter  Kerns  Führung,  sitzt  dort 
auch  die  heutige  Chirurgengeneration  zu  ihrer  Meister 
Füßen,  die  ilmen  die  Hand  führen  bei  den  ersten  schüch¬ 
ternen  Versuchen  in  der  Kunst  des  Operierens. . 

Wie  sehr  und  wieviel  hat  sich  seither  in  unserer 
Kunst  und  Wissenschaft  geändert,  wie  ganz  neue  Formen 
hat  seither  unser  ganzes  Dasein,  unsere  ganze  Lebens¬ 
führung  angenommen!  Nichts  kann  der  Zeiten  Wandel 
besser  veranschaulichen  als  ein  Vergleich  schon  der  äußeren 
Verhältnisse,  unter  denen  das  Wiener  Allgemeine  Kranken¬ 
haus  begründet  wurde,  mit  jenen,  die  es  in  der  Gegenwart 
umrahmen.  Grüne  Au,  fernab  vom  Getriebe  des  städtischen 
Lebens,  durch  Feld  und  Wald  mit  den  Abhängen  des  Wiener¬ 
waldes  verbunden,  das  war  einst  der  Grund,  auf  den  das 
Allgemeine  Krankenhaus  Ihngestellt  wurde,  eine  Ansied¬ 
lung  inmitten  idyllischer  Landschaft,  den  Kranken  sO'  recht 
ein  Ort  der  Ruhe  und  Erholung.  Und  heute  steht  es  wie 
ein  vergessener  Ueberrest  längst  vergangener  Zeiten,  ein¬ 
geschlossen  und  bedrängt  von  einem  mächtigen  Stadtteil, 
der  eine  volkreiche  Stadt  für  sich  bildet  und  djarcli  dessen 
weitläufige  Straßen  ein  lärmender  Verkehr  auf  und  ab  wogt 
bis  hinaus  an  die  das  Weichbild  der  Stadt  einrahmenden 
Berge. 

Gleichwie  unter  Ueberwindung  der  alten  künstlichen 
Grenzen  das  Weichbild  der  Stadt  bis  an  die  durch  die 
Natur  gegebenen,  hat  sich  auch  seither  die  Chirurgie  in 
ihrem  Wirkungsbereich  bis  zu  den  äußersten  Möglichkeiten 
geweitet.  Erstünde  Vinzenz  v.  Kern  heute  dem  Grabe, 
kaum  ist  es  zweifelhaft,  worüber  er  mehr  staunen  würde : 
über  das  sö  vom  Grund  aus  umgestaltete  Bild  und  all  die 
neuen  Formen  zeitgenössischen  Daseins,  das  ihm  entgegen- 
träte,  oder  über  den  Stand  der  Chirurgie  unserer  Tage. 
Nun  erst  würde  er  mit  Genugtuung  gewahr,  wie  er  vor¬ 
ahnend  der  Zukunft  vorgearbeitet,  als  er  durch  die  Be¬ 
gründung  des  Operateurinstitutes  für  einen  allzeit  bereiten, 
wohl  ausgerüsteten  Stab  von  Jüngern  ,,des  manuellen  Teiles 
der  Heilkunde“,  wie  er  sich  ausdrückte,  vorzusorgen  bemüht 
war,  nun  erst  würde  ihm  der  ganze  und  große  Wert  seiner 
aus  aufrichtiger  Begeisterung  für  das  von  ihm  so  verdienst¬ 
voll  geförderte  Fach  begründeten  Schöpfung  klar  vor 
Augen  treten. 

Daß  Kern  Begründer  des  Operateurinstitutes  wurde, 
beweist  seinen  felsenfesten  Glauben  in  die  Chirurgie  seiner 
Tage.  Dieser  Glaube  aber  wurde  in  ihm  geweckt  und  ge¬ 
festigt  vor  allem  durch  die  Reform  der  Wundbehandlung, 
die  seinen  Namen  verewigte.  Das  bildete  das  kostbare  Ver¬ 
mächtnis,  für  welches  er  Apostel  suchte.  Sein  geistiger  Be¬ 
sitz,  den  er  in  seinem  Werte  für  die  Allgemeinheit  wohl 
einzuschätzen  wmßte,  sollte  mit  seinen  Erdentagen  nicht 
verloren  gehen.  Nicht  nur  in  seinem  Fache  die  Schüler 
zu  unterweisen,  hielt  er  seines  Amtes,  wie  jeder  berufene 
Lehrer,  hatte  er  zudem  das  höhere  Ziel  vor  Augen,  auch 
eine  Schule  zu  begründen,  d.  h.  das  Ureigene  seines  Geistes 
auf  nachfolgende  Generationen  zu  vererben.  Und  diesen 
Zweck  seines  Wirkens  sollte  er  erfüllt  sehen  und  darin 
fand  er  aller  gehässigen  Anfeindung  gegenüber,  der  er,  wie 
jeder  Reformator,  ausgesetzt  war,  seinen  Trost  und  das  war 
sein  Stolz.  In  höchst  bezeichnender  Art  äußerte  sich  diese 
Auffassung,  die  Kern  von  seiner  Lehrtätigkeit  und  seiner 
iMission  liatte,  schon  darin,  daß  er  sein  im  Jahre  1828  er¬ 
schienenes  Buch:  Beobachtungen  und  Bemerkungen  aus 
dem  Gebiete  der  Chirurgie,  wie  es  ausdrücklich  heißt,  seinen 
„besonderen“  ehemaligen  Zöglingen  des  k.  k.  chirurgischen 
Operateurinstitutes  widmete  und  nicht  weniger  als  72  seiner 
Schüler  mit  Namen,  Titeln  und  Würden  auf  dem  Dedika- 
tionshlall  verzeichnet,  „als  Anerkennung  ihrer  Verdienste 


um  die  Verbreitung  einer  einfacheren  und  schonenderen 
Behandlung  äußerer  Krankheitsformen“. 

Welche  Bedeutung  aber  er  seiner  Wundbehandlungs¬ 
methode  zuschrieb,  erhellt  auch  aus  den  einleitenden  Aus- 
oinandersetzungen  des  Buches,  wo  er  es  ausspricht,  daß 
es  sich  in  dieser  Angelegenheit  nicht  mehr  um  Meinungen 
handle,  nicht  mehr  um  die  individuelle  Ansicht  und  Würdi¬ 
gung  eines  einzelnen,  er  erklärt  sie  unumwunden  für  eine 
Sache  der  Menschheit,  deren  Hintansetzung,  wie  er  sich 
ausdrückt,  zum  Nachteil  des  höchsten  Zweckes  des  Arztes 
geschieht.  Mit  ähnlichen  Worten,  welche  der  tiefinnersten 
Ueberzeugung  entspringen,  eine  neue  Heilslehre  zu  ver¬ 
kündigen,  hat  vierzig  Jahre  später  auch  Josef  Lister  an 
das  ärztliche  Pablikum  appelliert.  Am  Schlüsse  seines  in 
der  British  medical  Association  in  Plymouth  gehaltenen 
Vortrages,  bei  dem  er  nochmals  die  Prinzipien,  Erfolge  und 
wissenschaftlichen  Grundlagen  seines  antiseptischen  Ver¬ 
bandes  mit  der  gewohnten,  durchaus  Wahrheit  atmenden 
Schlichtheit  und  Sachlichkeit  darlegt,  heißt  es:  ,, Nachdem 
also  über  das,  was  heutzutage  als  die  brennendste  medizi¬ 
nische  Frage  betrachtet  wird,  Feststellungen  so  überzeu¬ 
gender  Natur  gemacht  worden  sind,  so  kann  ich  angesichts 
der  Gleichgültigkeit,  mit  welcher  sie  vielerorten  aufgenom¬ 
men  worden  sind,  nicht  umhin,  der  Worte  unseres  großen 
Dichters  zu  gedenken : 

Kann  solch  Wesen 

An  uns  vorübergeh’n  wie  Sommerwolken 

Ohn’  unser  mächtig  Staunen?  (Macbeth,  Hl,  4.)“ 

Man  sieht  aus  diesen  Aeußerungen,  wie  sehr  mit  dem 
Ausspruch  des  Franzosen,  daß  die  großen  Gedanken  aus 
dem  Herzen  stammen,  das  Richtige  getroffen  ist. 

* 

Der  jeweilige  Stand  der  Chirurgie  ist  immer  von  dem 
jeweiligen  Stand  der  Wundbehandlung  abhängig  gewesen. 
Ist  es  nicht  merkwürdig  genug,  daß  es  ungezählter  Jahr¬ 
tausende  bedurfte,  ehe  es  dem  menschlichen  Geiste  gelang, 
ein  das  individuelle,  wie  das  allgemeine  Wohl  so  nahe  be¬ 
rührendes  Problem  zu  lösen,  das  so  alt  ist  als  die  Mensch¬ 
heit  selbst. 

Lange  vor  aller  Ueberlieferung  und  wahrscheinlich 
noch  ehe  Krankheiten  ihn  heimsuchten,  trat  gerade  dieses 
Problem  schon  an  den  Menschen  heran.  Er  löste  es  gewiß, 
wie  der  Naturmensch  es  heute  noch  tut,  in  naiv-instinktirer 
Weise  und  wußte  sich  in  seinen  wechselnden  körperlichen 
Zuständen  mit  jenen  primitiven  Mitteln  zu  helfen,  die  sich 
ihm  aus  der  ihn  umgebenden  Natur  gleichsiam  von  selbst 
darboten.  Aus  der  Summe  solch  ursprünglich  gewonnener 
Erfahrungen  bildete  sich  allmählich  jene  Tradition,  die  im 
Laufe  der  Zeiten  zur  Grundlage  einer  empirisch  gewon¬ 
nenen  Heilkunde  wurde.  Die  Heilkunde  und  besonders  auch 
die  so  einfache  Art  der  Wundbehandlung,  ,die  uns  die  großen 
griechischen  Aerzte  als  kostbares  Vermächtnis  überliefert 
haben,  wurzelte  noch  größtenteils  auf  solchem  ihr  natur¬ 
gemäßen  Boden.  Dieses  Vermächtnis  der  klassischen  Zeit 
verkümmerte  aber  im  Laufe  späterer  Jahrhunderte,  statt 
sich  zu  mehren,  weil  die  Aerzte  glaubten,  durch  Befriedigung 
ihres  metaphysischen  Bedürfnisses  zur  Förderung  .der  Heil¬ 
kunde  mehr  beitragen  zu  können  als  durch  die  Beibehaltung 
der  einfachen  empirischen  Methode  der  Alten.  Statt  die 
Lebensvorgänge  in  ihrem  Ablauf  mit  immer  verfeinerten 
Methoden  zu  beobachten  und  dai'aus  die  Indikationen  für  ihr 
therapeutisches  Handeln  zu  schöpfen,  suchten  sie  für  das 
sinnlich  Wahrnehmbare  der  Vorgänge  ein  unsichtbares 
treibendes  Prinzip  und  machten  dieses  zum  Angriffspunkt 
der  Behandlung.  Sie  gaben  ihren  Abstraktionen  Wesenheit 
und  knüpften  daran  nach  rein  logischen  Gedankengängen 
kluge  Lehrsätze  und  schufen  Theorien  nicht  aus  der  Ana¬ 
lyse  der  Erscheinungen,  in  ihrem  Zusammenhang  und  der 
Art  ihrer  gegenseitigen  Einwirkung,  sondern  aus  einer  Ana¬ 
lyse  der  Begriffe. 

All  diese  Theorien  der  Pathologie  und  Therapie  blieben 
selbstverständlich  auch  auf  die  Chinirgie  und  die  Wund- 


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behandluiig  nicht  ohne  Einfluß.  Uni  den.  verschiedenen  An¬ 
nahmen  im  wechselvollen  Bilde  des  Wundverlaufes  gerecht 
zu  werden,  wurde  eine  geradezu  unheimliche  Polypragmasie 
entivickelt  —  die  chirurgische  Pharmakopöe  war  von  einer 
Mannigfaltigkeit,  die  Qualitäten  der  Mittel  bis  auf  die  sub¬ 
tilsten  Wirkungsarten  differenziert,  die  Wundbehandlung  im 
höchsten  Grade  kompliziert.  Da  gab  es  allerlei  Pflaster  und 
Salben,  Pulver  und  Wundwässer,  Balsame  und  Kräuter. 
Aetzmittel,  auflösende,  austrocknende,  erweichende,  eiter¬ 
erregende,  zusammenziehende,  entzündungswidrige  und  ent¬ 
zündungserregende,  fleischmachende  und  allerlei  andere 
Mittel.  Die  Wunden  wurden  ausgespritzt  oder  mit  Digestiv¬ 
balsam  ausgefüllt,  mit  Scharpie  und  Wieken  ausgestopft. 
Und  zu  all  dem  kamen  noch,  zumal  bei  Schußwunden, 
die  primär  erweiternden  Einschnitte  und,  solange  sie  noch 
für  vergiftete  Wunden  galten,  das  Ausbrennen  mit  dem 
siedenden  Oel  und  schließlich  spielte  in  der  Wundbehand¬ 
lung  eine  besonders  hervorragende  Rolle  der  ganze  Apparat 
der  sog.  Antiphlogose,  mit  Einschränkung  der  Diät,  An¬ 
wendung  von  Laxantien,  Aderlässen  und  lokaler  Blutent¬ 
ziehung  durch  Blutegel  und  allerlei  innere  Mittel. 

Das  war  die  Wundbehandlung,  wie  sie  die  Chirurgen 
übten,  als  Vinzenz  v.  Kern  zum  Lehrer  der  Wundarznei¬ 
kunst  an  der  Wiener  medizinischen  Fakultät  berufen  wurde. 
Man  sieht:  Von  der  einfachen  Behandlung  und  der  empiri¬ 
schen  Methode,  die  uns  die  Alten  überliefert,  war  auch 
nicht  mehr  eine  Spur  vorhanden. 

Mit  allen  spekulativ  gewonnenen  Theorien  seiner 
Zeit  aufgeräumt,  an  die  Stelle  der  komplizierten  Viel¬ 
geschäftigkeit  ein  einfaclies  Verfahren  eingeführt  zu  haben, 
welches  ganz  von  jenen  klinisch  empirischen  Gesichts¬ 
punkten  ausging,  wie  dies  bei  den  Alten  der  Fall  war, 
das  war  Kerns  Verdienst  und  darin  bestand  seine  denk¬ 
würdige  Reform.  „Laßt  uns  vereinfachen,  was  sich  verein¬ 
fachen  läßt!  Laßt  uns  fruchtbarer  an  richtigen  Grundsätzen 
und  weniger  ergiebig  an  Rezepten  sein!“  Das  war  das 
Motto,  das  er  seinem  Büchlein :  Lehrsätze  aus  dem  manuellen 
Teil  der  Heilkunde,  voranstellte,  ein  Büchlein,  das  in  seiner 
ganzen  Anlage  und  Tendenz  lebhaft  an  die  mit  den 
in  gleicher  Absicht  herausgegebenen  neueren  Schriften 
V.  Esmarchs  über  kriegschirurgische  Technik  erinnert. 

Die  Ideen  und  Grundsätze,  welche  Kern  in  der  Wund¬ 
behandlung  vertrat,  gingen  darauf  hinaus,  die  Verwundung 
als  einen  rein  mechanischen  Prozeß  zu  betrachten,  als  eine 
Aufhebung  der  Integrität  des  Gewebszusammenhanges,  die 
auch  wieder  nur  von  rein  mechanischen  Gesichtspunkten 
aus  behandelt  werden  müsse.  Das  Ziel  der  Wundbehandlung 
liegt  vor  allem  in  der  Wiederherstellung  des  gestörten  Zu¬ 
sammenhanges.  Dies  gelingt  durch  Wiedervereinigung,  durch 
Heftpflaster  oder  Naht,  in  Fällen  von  reinen  Wunden,  von 
Wunden,  die  in  ihrer  Entstehungsart  und  Beschaffenheit 
nicht  schon  erkennen  lassen  —  um  mich  seines  Ausdruckes 
zu  bedienen  —  daß  das  ., Wirkungsvermögen“  der  verletzten 
Teile  schon  zu  sehr  gelitten  hat.  Wo  die  Verwundung  des¬ 
organisiertes  Gewebe  erzeugt,  das  naturnotwendig  der  Hei¬ 
lung  Widerstand  leisten  muß,  hat  der  Wundarzt  nur  die 
Indikation  zu  erfüllen,  das  Getrennte  in  möglichst  innige  Be¬ 
rührung  zu  bringen  und  in  diesem  Zustande  zu, erhalten. 
Diesem  Heilplan  entsprechend,  darf  auch  der  Verband  nicht 
ohne  besondere  Veranlassung  gewechselt  werden,  dem  ver¬ 
letzten  Teile  muß  größtmöglichste  Ruhe  bei  entsprechender 
Lagerung  gesichert  werden.  Großen  Wert  legt  er  auch  auf 
Abhaltung  der  atmosphärischen  Luft,  von  deren  schädigen¬ 
den  Wirkungen  auf  die  Wunde  er  überzeugt  ist,  und  die  ihn 
zur  Mahnung  veranlaßten,  etwa  nötigen  Verbandwechsel 
immer  so  rasch  als  möglich  durchzuführen.  Die  Blutung  bei 
der  Verwundung  stillt  er  entweder,  wO'  es  sich  um  Gefäße 
kleinen  Kalibers  handelt,  durch  Uebergießen  mit  kaltem 
Wasser,  für  größere  Gefäße  ist  die  Unterbindung  das  einzig 
entsprechende  Mittel.  Die  Reinigung  der  Wunde  besorgt  er 
durch  Abspülen  der  Wundfläche  mit  lauem  Wasser.  Unter 
diesem  einfachen  Verfahren  sieht  er  die  hiezu  geeignete 
Wunde  oft  unter  einem  bis  zwei  Verbänden  ohne  sichtbare 


Eiterung  heilen.  Handelt  es  sich  aber  um  gerissene,  ge¬ 
quetschte,  Schuß-  und  vergiftete  Wunden,  so  sieht  er  in  der 
Eiterung  einen  bestimmten  Zweck,  das  unumgängliche 
Zwischenstadium  der  schließlichen  Heilung  durch  Vereini¬ 
gung.  Bei  allen  so  gearteten  Wunden  sind  in  ihrem  ganzen 
Umfange  Abnormitäten.  Bei  den  einen  hat  die  meclumischc 
Gewalt,  die  in  einem  größeren  Umfange  wirkte,  bei  vergifteten 
Wunden,  der  giftige  Saft  oder,  wo  es  sich  um  Bißwunden 
handelt,  Speichel  diese  x\bnormität  verursacht.  Bei  den 
ersteren  gründet  sich  die  Abnormität  auf  eine  physisch  ver¬ 
änderte  Lage  der  Grundteile,  bei  den  letzteren  auf  eine 
chemisch  veränderte  Beschaffenheit.  Ueberall  müssen 
daher  diese  abnormen  Teile  hinweggeschafft,  neue  normale 
erzeugt  werden  und  die  Behandlung  geht  darauf  aus,  bei  den 
in  der  Nähe  der  Wunde  gelegenen  Gebilden  das  ihnen  zu¬ 
kommende  Wirkungsvermögen  in  Tätigkeit  zu  setzen.  Der 
Verband,  den  Kern  hiebei  anwandte,  bestand  ursprünglich 
in  locker  aufgelegter  Scharpie,  welche  mit  frischer  Butter 
bestrichen  war,  später  blieb  auch  diese  weg  und  wurde 
nur  ein  Leinwandfleck  mit  Oel  oder  lauem  Wasser  be¬ 
feuchtet  auf  die  Wunde  aufgelegt.  Zum  Verbandwechsel 
veranlaßt  nur  das  Durchschlagen  der  Sekrete  und  übler  Ge¬ 
ruch  der  Wunde.  Der  Verbandwechsel  muß  recht  rasch 
durchgeführt  werden,  um  den  schädlichen  Einfluß  der  atmo¬ 
sphärischen  Luft  möglichst  hintanzuhalten,  der  Eiter  darf 
von  der  Wunde  nicht  weggewischt  werden,  er  wird  höch¬ 
stens  mit  lauem  Wasser  abgespült,  am  besten  ist  es,  dem 
verwundeten  Teile  eine  solche  Lage  zu  geben,  daß  der  Eiter 
von  selbst  ausfließen  könne.  Die  örtlichen  Reizerscheinun¬ 
gen,  auch  wenn  sie  beträchtlich  sind,  machen  —  und  das 
war  eine  besonders  kühne  Neuerung  — •  das  sog.  antiphlogi¬ 
stische  Verfahren  nicht  nötig,  weder  Aderlaß,  noch  An¬ 
setzen  von  Blutwürmern,  Laxiermittel,  noch  eine  schwä¬ 
chende  Diät  sind  notwendig.  Kern  spricht  vielmehr  die 
Ueberzeugung  aus,  daß,  je  mehr  durch  die  mechanisch  be¬ 
wirkte  Schädlichkeit,  das  Wirkungsvermögen  in  den  ver¬ 
wundeten  Gebilden  vermindert  worden,  desto  größer  auch 
die  Entzündung,  Geschwulst  u.  dgl.  sein  muß;  mithin  um  so 
weniger  einen  schwächenden  Heilplan  fordern  könne.  Die  An¬ 
wendung  der  sonst  üblichen  Eiterung  befördernden,  fleisch¬ 
machenden  oder  austrocknenden  Mittel,  sie  heißen  wie  sie 
immer  wollen,  ist  schlechterdings  zwecklos  und  schädlich. 
So  verwirft  er  die  Anwendung  all  der  verschiedenen  dige¬ 
stiven  Salben,  Oxykrat,  Wundwässer,  Balsame,  Pulver  und 
spirituösen  Mittel.  „Vlan  lasse“,  sagt  er  bezüglich  der  letz¬ 
teren,  ,,den  zu  Ueberschlägen  bestimmten  Wein,  Brandwein 
lieber  in  verhältnismäßiger  Menge  den  Verwundeten  trinken, 
besonders  jenen,  deren  Wirkungsvermögen  ohnedies  zu  un¬ 
tätig  ist;  der  Nutzen  hievon  ist  weit  sicherer,  als  wenn  der¬ 
selbe  örtlich  angewendet  wird.“  In  seinen  in  französischer 
Sprache  verfaßten  Anweisungen  zur  Behandlung  von  Schu߬ 
wunden,  die  er  im  Kriegsjahre  1809  herausgab,  schreibt  er 
den  bedeutungsvollen  Satz :  ,,I1  n’y  a  point  d’onguents,  point 
de  baumes  pour  favoriser  la  guerison,  que  la  bäume  que  la 
nature  eile  meine  administre  et  aucune  Pharmacie  ne  peut 
nous  les  dispenser,  c’est  la  plaie  eile  meme  qui  se  le 
procure.“ 

Nahezu  dieselben  Worte  gebrauchte  zwei  Jahr¬ 
hunderte  vor  Kern  schon  Paracelsus.  Es  spricht 
aber  um  so  mehr  für  die  Macht  der  durch  allerlei 
Spekulation  gewonnenen  Vorurteile  seiner  Zeit,  wenn 
man  sieht,  daß  diese  so  einleuchtenden  und  beson¬ 
nenen  Anweisungen  zur  Wundbehandlung  trotz  der  augen¬ 
scheinlich  großen  Erfolge,  die  sowohl  bei  der  Behand¬ 
lung  der  Verletzungen,  als  bei  seinen  Operationen  Kern 
aufzuweisen  hatte,  nicht  nur  keinen  Anklang  und  keine 
Nachahmung  fanden,  sondern  geradezu  als  revolutionäre 
Ideen  betrachtet  und  auf  das  heftigste  bekämpft  wurden. 
Als  Kern  sich  von  seinem  Lehramte  1828  zurückzog,  er¬ 
schien  eine  von  einem  Dr.  Kilian  verfaßte  Schmähschrift, 
in  welcher  unter  den  ärgsten  Beschimpfungen  Kerns  sein 
Rücktritt  als  das  erfreulichste  Ereignis  der  neueren  Zeit 
für  die  Hochschule  gepriesen  und  die  Hoffnung  ausge- 


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sproclieii  wurde,  daß  es  seinem  Schüler  und  Nachfolger 
Wattmann  gelingen  möge,  das  wieder  gut  zu  machen, 
was  Kern  an  der  Chirurgie  gesündigt  habe,  der,  wie  es  in 
der  Schmähschrift  heißt,  den  größten  Fleiß  daran  setzte, 
„das  Gebäude  der  Wundarzneikunst  in  seinen  Grundpfeilern 
zu  untergraben“. 

Es  bliebe  noch  gar  manches  der  Erwähnung  wert,  das 
uns  Kerns  Bestrebungen  und  Anschauungen  im  Lichte 
unseres  heutigen  Wissensstandes  als  eine  für  seine  Zeit 
wirklich  fortschrittliche  Tat  erscheinen  läßt  und  seine  un¬ 
gewöhnlich  schönen  Erfolge  auch  seiner  ausgedehnten  opera¬ 
tiven  Tätigkeit  erklärt.  So  warnt  er  davor  und  stellt  es 
als  ausgesprochene  Schädlichkeit  hin,  frische  Wunden  mit 
der  Sonde  zu  untersuchen.  Was  als  so  besonders  aner¬ 
kennenswert  aber  in  allen  seinen  Lehren  und  Vorschriften 
hervortritt,  das  ist  der  überall  festgehaltene  klinisch-empi¬ 
rische  Standpunkt,  der  es  ganz  im  Gegensatz  zu  der  Vor¬ 
liebe  und  Gepflogenheit  seiner  Zeitgenossen  grundsätzlich 
unterläßt,  aus  abstrakten  Annahmen  Schlüsse  für  die  Praxis 
zu  ziehen.  Er  hält  sich  streng  an  das  durch  die  Sinnej 
Beobachtete,  an  die  grob  wahrnehmbaren  Vorgänge  und 
verzichtet  lieber  ganz  auf  die  Erklärung,  statt  sie  auf  Hypo¬ 
thesen  aufzuhauen  und  durch  rein  logische  Schlüsse  zu 
stützen. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  sein  Wundbehand¬ 
lungsverfahren  mit  seiner  so  einleuchtenden  Einfachheit, 
das  lediglich  darauf  ausgeht,  den  natürlichen  Vorgängen 
freien  Lauf  zu  lassen  und  womöglich  alles  zu  vermeiden, 
was  erfahrungsgemäß  diese  zu  stören  geeignet  wäre,  bei 
allen  Erfolgen,  die  es  für  sich  hatte,  doch  nicht  für  alle 
Eventualitäten  vorhielt  und  ihm  Mißerfolge  nicht  erspart 
blieben.  Er  gibt  sich  darüber  keiner  Täuschung  hin,  daß 
seine  Methode  nicht  imstande  ist,  alle  Fährlichkeiten  von 
den  durch  Operation  oder  V^erletzung  entstandenen  Wun¬ 
den  fernzuhalten.  Ohne  zu  präjudizieren,  spricht  er  von 
traumatischen  Reaktionszuständen,  sowohl  örtlichen  als 
allgemeinen.  Es  entgeht  ihm  auch  nicht,  daß  namentlich  die 
fieberhaften  Allgemeinerscheinungen  oft  genug  durch  die 
geringste  Veranlassung,  oft  aber  auch  ohne  jede  bemerk¬ 
bare  Ursache  sich  einzustellen  pflegen.  ,,Wir  haben“,  so 
schreibt  er,  ,, dieses  Fieber  beobachtet,  wenn  auch  die 
Operation  in  jeder  Beziehung  als  ein  vollendeter  Kunst¬ 
akt  verübt  wurde  und  alle  im  Operationsakt  zu  erreichen 
gewesenen  Zwecke  vollkommen  erreicht  waren;  wir  haben 
es  öfters  bei  übrigens  gesund  scheinenden,  mit  einer  herku¬ 
lischen  Kraft  ausgerüsteten  Individuen  auftreten  sehen  und 
müssen  leider  gestehen,  daß  wir  den  Grund  hievon,  trotz 
einer  nicht  unbedeutenden  Erfahning,  noch  keineswegs 
kennen  und  daher  auch  gestehen  müssen,  daß,  eben  dieser 
Erfahrung  zufolge,  wir  uns  nur  sehr  weniger  Operierter 
erinnern,  wo  diese  erschütternden,  das  Leben  in  seiner 
tiefsten  Tiefe  ergreifenden  Fieberanfälle  nicht  immer  töd¬ 
lichen  Ausgang  gehabt  haben.“  Wie  in  den  lokalen  Re¬ 
aktionserscheinungen,  so  sieht  er  auch  in  diesen  allge¬ 
meinen  Fiebererscheinungen  die  wenn  auch  oft  vergeb¬ 
lichen,  Anstrengungen  der  Naturkräfte,  die  durch  die  Ope¬ 
ration  oder  die  zufällige  Verwundung  gleichsam  an  der 
Wurzel  des  Lebens  gesetzten  Störungen  wieder  auszu¬ 
gleichen;  er  ist  sich  aber  mit  dieser  Meinung  wohl  bewußt, 
daß  darin  noch  keine  Erkenntnis  des  Wesens  dieser  Zu¬ 
fälle  liegt  und  es  bleibt  ibm  nur  der  Wunsch  und  die 
Hoffnung,  daß  es  den  Nachkommen  gelingen  möge,  nähere 
Aufschlüsse  über  das  Wesen  dieser  fürchterlichen  und  ge¬ 
fahrvollen  Fieberkrankheit  zu  erhalten  und  daß  diese  eine 
Behandlung  ausfindig  machen  werden,  durch  welche  seine 
zerstörende  und  traurige  Wirkung  benommen  werden  könnte. 

* 

Mit  voller  Klarheit  sah  Kern  auch  die  Grenzen  der 
Leistungsfähigkeit  der  Chirurgie  seinerzeit  und  die  Aufgaben, 
die  der  wissenschaftlichen  Forschung  der  Zukunft  noch 
zu  lösen  Vorbehalten  waren.  Das  XIX.  Jahrhundert  hat 
keinen  größeren  Kubmestitel  aufzuweisen,  als  die  Er¬ 


rungenschaften,  welche  aus  dem  Bestreben  hervorgingen, 
diese  Ergänzung  beizustellen  und  diese  Lücke,  die  noch 
zu  Kerns  Zeiten  offen  war,  wenigstens  nach  ihrer  prak¬ 
tischen  Seite  hin  auszufüllen.  Ihm  blieb  es  Vorbehalten, 
all  das  vorzuarbeiten,  was  schließlich  nach  dessen  Mitte 
einen  IMann  von  der  Energie  und  dem  weiten  Blicke  Josef 
Listers  befähigte,  in  eine  praktische  Formel  zu  bringen, 
welche  nicht  nur  das  Problem  der  Wundbehandlung  zu 
einem  gewissen  Abschluß  brachte,  sondern  der  ganzen 
modernen  Therapie  und  der  medizinischen  Forschung  neue 
Bahnen  wies. 

Uhl  das,  was  Kern  als  wissenschaftliches  Programm 
der  Zukunft  hinstellte,  durchzuführen,  mußten  noch  gar 
viele  Fragen  der  Lösung  zugeführt  werden  und  es  be¬ 
durfte  des  Zusammenwirkens  aller  Wissenszweige,  sollte 
dies  mit  Erfolg  geschehen. 

In  ihrer  Mannigfaltigkeit  konnten  all  diese  Fragen 
nur  dann  heantwortet  werden,  weim  alle  mitwirkten,  die 
an  der  Lösung  der  Lebensrätsel  sich  zu  beteiligen  berufen 
sind.  Es  war  Naturwissenschaft  im  großen  Stile,  die  ihren 
Einzug  in  die  Heilkunde  halten  mußte,  wenn  aus  dem 
Wirrsal  ein  Ausweg  gefunden  werden  sollte. 

Noch  bis  zu  Listers  Zeiten  zweifelte  kaum  ein 
Chirurg  daran,  daß  bei  einer  bestimmten  Beschaffenheit 
der  Wunde  die  Heilung  nur  unter  Eiterung  erfolgen  könne. 
Ob  eine  Wunde  mit  oder  ohne  Eiterung  ausheile,  war,  wie 
nach  Kerns  Meinung,  lediglich  eine  Frage .  der  anatomi¬ 
schen  Folgen  der  Verwundung  —  ein  notwendiges  Zwischen¬ 
stadium  der  Heilung.  Noch  Stromeyer  spöttelte  über 
die  Versuche  Simons,  welcher  unter  bestimmten  Verhält¬ 
nissen  bei  Schußwunden  die  Möglichkeit  eines  eiterungs¬ 
losen  Verlaufes  annahm.  „Mir  kommen  die  Versuche,  den 
Ruf  der  Schußwunden  zu  verbessern,  ungefähr  sO'  vor“, 
schrieb  Stromeyer  in  seinen  Maximen  der  Kriegsheil¬ 
kunde,  ,,wie  die  Bemühungen  gewisser  Berliner  Kunst¬ 
richter,  aus  der  Lady  Macbeth  einen  edlen  Charakter  zu 
machen.“  Für  ihn  gehörten  sie  zu  den  .unreinen  Wunden 
und  er  selbst  hat  nie  eine  Schußwunde  durch  erste  In¬ 
tention  heilen  sehen.  So  gehörte  die  Eiterung  gleiclisam 
zu  den  naturgemäßen  Folgezuständen;  als  pathologischer 
Prozeß  wurde  sie  erst  dann  betrachtet,  jvenn  sie  exzessiv 
wurde  oder  in  Zersetzung  überging.  Letztere  Erscheinung 
wurde  aber  seit  altersher  namentlich  den  atmosphärischen 
Einflüssen,  daneben  aber  diätetischen  und  konstitutionellen 
Einflüssen  gleichfalls  eine  große  Rolle  ^ugeschrieben.  Schon 
Ambroise  Pare  schrieb  im  Jahre  1564  unter  dem  traurigen 
Eindruck  der  in  den  Kriegslazaretten  gemachten  Erfah¬ 
rungen:  „Demzufolge  ist  es  mehr  als  wahrscheinlich,  daß 
die  Weichteile  des  Körpers  krankhaft  ergriffen  waren  und 
der  ganze  Körper  kakochymisch  war,  da  dessen  Nahrung, 
das  Blut,  faulig  war,  wie  die  Luft.  .  .  .  Man  soll  nur  ja 
nicht  glauben,  daß  dies  von  Unreinlichkeit,  zu  seltenen  Ver¬ 
bänden  oder  Mangel  an  Erforderlichem  gekommen  sei,  die 
üble  Beschaffenheit  kam  ebenso  gut  bei  Prinzen  und  großen 
Herren  wie  bei  gemeinen  Soldaten  vor.  .  .  .  Nach  dem 
Ausspruche  des  alten  göttlichen  Hippokrates,  daß  ge¬ 
quetschte  Wunden  auf  dem  Wege  der  Eiterung  geheilt  wer¬ 
den  müssen,  haben  wir  gehandelt,  aber  es  hat  uns  nichts 
geholfen,  wegen  der  üblen  Zufälle,  die  eine  verdorbene 
Luft  verursachte.“ 

Die  Einflüsse  der  Atmosphäre  auf  den  Verlauf  der 
Wunden,  wie  überhaupt  als  Quelle  epidemischer  Erkran¬ 
kungen  haben  namentlich  die  englischen  Aerzte  immer  be¬ 
sonders  hervorgehoben.  Von  hervorragender  historischer 
Bedeutung  ist  in  dieser  Beziehung  das  Buch  von  John 
Pringle:  Beohachtungen  über  die  Krankheiten  einer 
Armee  sowohl  im  Felde  als  in  der  Garnison,  das  aus  dem 
Jahre  1754  stammt  und  von  J.  E.  Greding  ins  Deutsche 
übersetzt  wurde;  eines  der  vorzüglichsten  Dokumente  der 
Militärhygiene.  Pringle  lenkt  hiebei  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  Gefahren,  die  von  eingeschlossener  und  fauler  Luft 
in  den  Gefängnissen,  Schiffen,  See-  mid  Feldlazaretten  aus- 
goht ;  er  weiß  bereits  den  großen  Wert  der  Ventilation  hoch 


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eilizuscliätzen  und  gibt,  was  vor  allein  bemerkt  zu  werden 
verdient,  einen  auslührlichen  Bericht  über  systematisch 
angestellte  Desinfektionsversuclie  mit  Substanzen,  die  auch 
heute  noch  als  zweckdienlich  anerkannt  und  verwendet 
werden.  Diese  Arbeiten  Pringles  legten  mit  den  Grund 
für  die  gerade  von  England  ausgegangene  Reform  des 
Spitalbaues. 

Wenn  so  auf  der  einen  Seite  fauler  und  schlechter 
Luft  als  Vermittlerin  der  Zersetzungsvorgänge  an  den  Wun¬ 
den  und  als  ätiologischem  Moment  eine  wichtige  Rolle  zu¬ 
geschrieben  und  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  die 
Wichtigkeit  der  Luftreinigung  in  den  Spitalsräumen  hin¬ 
gelenkt  wurde,  so  hat  dies  doch  anderseits  immer  mehr 
dazu  beigetragen,  die  ungünstigen  Zufälte  an  den  Wunden 
als  unvermeidliche  Konsequenz  der  eingeatmeten  Effluvien 
und  Miasmen  zu  betrachten  und  über  der  Sorge  nach  frischer 
Luft  die  direkten  Schädigungen  des  Wundverlaufes  zu  über¬ 
sehen.  Jedem  Lazarett,  ja  jedem  Krankenzimmer  wurde 
seine  eigene  hygienische  Konstitution  zugeschrieben  und 
man  ging  in  dieser  Annahme  so  weit,  daß  man  beispiels¬ 
weise  in  London  das  St.  George -Hospital,  aus  dem  die 
Hospitalgangrän  nicht  auszurotten  war,  einfach  dem  Erd¬ 
boden  gleichmachte.  Auch  die  Erfahrung,  daß  im  Neubau 
wieder  die  Hospitalgangrän  wütete,  schien  zunächst  die  An¬ 
nahme  eines  fatalen  Genius  loci  nur  zu  bestätigen.  Die 
von  bedeutenden  Kriegschiriirgen,  wie  Piro  go  ff,  gemachte 
Erfahrung,  daß  die  Offiziere,  die  nicht  in  den  Lazaretten 
lagen,  sondern  in  Privatquartieren  untergebracht  waren,  oft 
einen  auffallend  günstigeren  Wundverlauf  zeigten,  wurden  nur 
im  Sinne  der  in  der  Hospitalisierung  gelegenen  Schädlich¬ 
keit  gedeutet.  Auch  daß  die  subkutanen  Operationen  nicht 
selten  eiterten,  wurde  als  weiterer  Beweis  dafür  herange¬ 
zogen,  daß  die  inspirierten  Effluvien  die  Eiterung  be¬ 
dingen. 

Und  doch  war  durch  die  epochalen  Arbeiten  Hun¬ 
ters  die  Aufmerksamkeit  der  Aerzte  schon  auf  die  Vorgänge 
in  der  Wunde  selbst  gelenkt  worden.  Hunter  war  es  ja, 
der  die  Eiterung  als  Produkt  der  Entzündung  der  Blut¬ 
gefäße  proklamierte,  wobei  er  eine  glanduläre  Beschaffen¬ 
heit  der  so  veränderten  Gefäße  annahm,  die  sie  befähigte, 
den  Eiter  zu  sezernieren;  und  wieder  war  es  Hunter, 
der,  die  Phlebitis  als  wesentliche  -Veränderung  an  den 
eiternden  Wunden  beobachtend,  die  Pyämie  dadurch  er¬ 
klärte,  daß  die  Phlebitis  bis  zum  Herzen  sich  erstrecke 
oder  bei  der  glandulären  Gsschaffenheit,  welche  die  Venen 
durch  die  Entzündung  annehmen,  die  sezernierte  Materie 
bis  in  das  Herz  dringen  lasse. 

So  wäre  der  direkte  Weg  gegeben  gewesen,  der  von 
der  Wunde  in  die  Zirkulation  und  nicht,  wie  man  bisher 
annahm,  durch  die  Zirkulation  auf  die  Wunde  führte  und 
somit  jene  Anschauung  zu  stützen  geeignet  war,  welche 
seit  der  Entdeckung  des  Blutkreislaufes  immer  wieder  hervor- 
trat  und  der  Auffassung  .der  Pyämie  als  eine  Blutvergiftung 
durch  direkte  Aufnahme  von  Eiter  in  das  Blut  vorarbeitete. 
Die  Forschungen  Morgagnis  und  Cruveilhiers  brachten 
anatomische  und  experimentelle  Belege  hiefür  und  bilden 
die  ersten  Grundlagen  der  später  von  Virchow  ausgearbei¬ 
teten  embolischen  Theorie  der  Pyämie. 

Trotz  alledem  hlieh  die  miasmatische  Hypothese  in 
unbedingter  Vorherrschaft,  um  so  mehr,  als  die  Annahme 
unter  den  Klinikern  noch  sehr  verbreitet  war,  daß  die 
Miasmen  zur  Erzeugung  der  Pyämie  nicht  notwendig  erst 
auf  die  Wunde  und  die  Eiterherde  übertragen  werden 
müssen,  sondern  zunächst  auf  die  Blutmasse  einwirken 
könnten,  so  daß  man  vielfach  von  spontaner  Pyämie  sprach, 
die  man  als  von  jedem  Lokalprozeß  unabhängig  hielt. 

Von  hoher  Bedeutung  wurden  zur  Förderung  der 
Lösung  dieser  Fragen  die  experimentellen  Versuche,  durch 
Injektion  von  faulenden  organischen  Substanzen  das  Sym- 
ptomenbild  der  septischen  Infektion  hervorzurufen,  zu¬ 
nächst  durch  Gaspard,  später  durch  Panum  und  Berg¬ 
mann.  Aus  den  Ergebnissen  dieser  Versuche  wurde  man 
darauf  aufmerksam,  daß  die  mit  Geruch  einhergehendeii 


I  Veränderungen  des  Wimdsekrcles,  die  in  ihrem  Verlauf 
!  den  Fäulnis-  und  Gärungsvorgängen  an  die  Seite  gestellt 
I  wurden,  jene  giftige  Substanzen  enthalten,  welche  ein  dem 
septischen  Symptomenkomplex  ähnliches  Krankheitsbild  zu 
erzeugen  imstande  sind. 

Inzwischen  kamen  die  grundlegenden  experimen¬ 
tellen  Untersuchungen  von  Schwann  und  Cagnard-La- 
tour,  Helmholtz,  Schroeder  und  Dusch  über  Gärung 
und  Fäulnis  und  die  dabei  entdeckte  Rolle,  die  den  in 
den  gärenden  und  faulenden  organischen  Substanzen  sich 
vorfindenden,  schon  vorher  von  Le uwenhook ‘gesehenen 
Pilzen  zugeschrieben  wurde. 

Während  aber  all  diese  Untersuchungen  mit  ihren 
so  außerordentlich  wichtigen  Resultaten  und  namentlich 
jene,  welche  darauf  hindeuteten,  daß  die  Zersetzung  orga¬ 
nischer  Substanzen  durch  belebte  Keime  bewirkt  wird,  auf 
die  Denkweise  der  Aerzte  der  Dreißiger-  und  Vierzigerjahre 
ihren  Eindruck  nicht  verfehlten  und  die  schon  von  den 
Alten  intuitiv  angenommene  Lehre  von  dem  Contagium 
animatum  für  die  epidemischen  Krankheiten  zahlreiche  Ver¬ 
treter  fand,  unter  denen  namentlich  He  nie  durch  die 
Schärfe  der  Argumente,  die  er  für  diese  Theorie  vorbrachte, 
besonders  hervorragte,  hlieh  sie  zunächst  für  die  Chirurgie 
nahezu  ganz  ohne  Einfluß. 

Nicht  SO'  für  das  ihr  so  verwandte  Gebiet  der  Ge¬ 
burtshilfe.  Hier  verzeichnen  wir  die  historisch  bedeut¬ 
samste  Episode,  die  vor  dem  vollen  Anbruch  der  neuen 
Zeit  sich  abspielte.  Aber  ach!  eine  Episode  nur,  die  sich 
an  den  unsterblichen  Namen  Semmel  weis  knüpft. 

Wie  es  im  Leben  der  Individuen  nur  allzu  oft  sich 
ereignet,  daß  mancher  Augenblick  ungenützt  vorüberzieht, 
der,  in  seiner  ganzen  Bedeutung  rechtzeitig  und  richtig 
erfaßt,  zum  Ausgangspunkt  eines  glücklichen  Schicksals 
hätte  werden  können,  so  lehrt  auch  ein  Rückblick  auf  die  Ent¬ 
wicklungsgeschichte  der  Menschheit,  um  wieviel  früher  sie 
von  alledem,  was  sie  jetzt  zu  ihren  kostbarsten,  höchsten  Er¬ 
rungenschaften  zählt,  hätte  Besitz  ergreifen  können,  wenn 
sie  sich  nur  die  geistige  Freiheit  gewahrt  hätte,  die  ver¬ 
schiedenen  Erscheinungen  des  Kulturlebens  auch  immer 
richtig  einzuschätzen.  Wieviel  hohe  und  höchste  Gedanken, 
die  Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende  vor  uns  gedacht  wur¬ 
den  und  für  das  menschliche  Glücksproblem  von  unschätz¬ 
barem  Werte  wären,  mußten  und  müssen  ohne  Einfluß 
bleiben  und  ihre  Wiedergeburt  erst  abwarten,  bis  sie  den 
Geist  der  Zeiten  vorbereitet  treffen  I  Wie  manch  bedeu¬ 
tender  Denker  hat  nach  Goethes  Worten  ,, emsig,  ohne 
Kenner  und  'ohne  Schüler  sich  gequält!“ 

So  blieb  auch  das,  was  Semmel  weis  für  die  Ge¬ 
burtshilfe  seinerzeit  leistete,  zunächst,  wie  erwähnt,  nur 
eine  Episode,  deren  ganze  unermeßliche  Bedeutung  für  die 
gesamte  Chirurgie  erst  der  Nachwelt  voll  zu  würdigen  Vor¬ 
behalten  blieb.  Auch  hier  stehen  wir  wieder  vor  einem 
Gedenktag.  Denn  fast  auf  den  Tag  jährt  es  sich  zum  fünf¬ 
zigsten  Male,  daß  Semmelweis  unter  dem  Eindruck  der 
tödlichen  Infektion,  die  sein  Freund,  Professor  der  gericht¬ 
lichen  Medizin  K'oletschka,  sich  bei  einer  Sektion  zu¬ 
zog,  die  entscheidende  Anregung  empfing,  daß  in  der  Kon- 
taktinfekti’on,  die  durch  die  Aerzte  an  den  Gebärenden  ver¬ 
mittelt  werde,  die  eigentliche  Ursache  der  Puerperalfieber¬ 
epidemien  der  Wiener  Gebärkliniken  liege  und  daß  er  in 
konsequenter  Verfolgung  dieser  Idee  u.  a.  die  Händedes- 
infekti'on  vor  jeder  Exploration  systematisch  durchzuführen 
gedachte.  In  der  Zeitschrift  unserer  Gesellschaft  war  es, 
wo  Hebra,  der  mit  kongenialem  Verständnis  die  ganze 
Tragweite  der  Ideen  von  Semmel  weis  erfaßte,  um  die¬ 
selbe  Zeit  die  erste  Mitteilung  darüber  machte. 

Semmel  weis  stand  auf  dem  Standpunkt,  daß  die 
Wundinfektion  durch  direkte  mechanische  Uebertragung 
eines  Giftes  von  Wunde  zu  Wunde ,  zustande  käme,  ^yar 
mithin  ein  Gegner  der  damaligen  Miasmentheorie  und  ging 
j  von  den  Ideen  aus,  die  durch  die  Ergebnisse  der  Gas  par  d- 
j  sehen  Injektionsversuche  mit  dem  putriden  Gifte  begründet 
wurden.  Der  große  Fortschritt  aber,  den  er  inaugurierte 


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oder  hätte  inaugurieren  können,  hätte  man  seinen  Bestre¬ 
bungen  freien  Lauf  gelassen,  besteht  vor  allem  darin,  daß 
er  klaren  Blickes  die  septische  Infektion  direkt  von  der 
Wunde  ableitete  und  auch  eine  darauf  gerichtete  Prophy¬ 
laxe  aufbaute. 

Es  ist  weit  über  den  Kreis  der  Aerzteschaft  l)ekannt, 
daß  Semmel  weis  zum  Märlyrer  seiner  Ideen  wurde;  sein 
Schicksal  war  tragisch  genug,  um  in  der  Gegenwart  Federn 
zu  inspirieren,  die  sonst  nur  im  Dienste  der  schöngeistigen 
Literatur  stehen.  Nur  Geister,  wie  Hebra,  Skoda  und 
Rokitansky,  die  selbst  Reformatoren  waren,  wußten  es 
zu  würdigen,  was  für  einen  humanitären  Segen  das  Durch¬ 
dringen  der  Semmel  weis  scheu  Ideen  schon  für  die  da¬ 
malige  Zeit  bedeutet  hätte.  Die  Patronanz  selbst  solcher 
Männer  erwies  sich  nicht  stark  genug;  der  Zunftgeist  war 
mächtiger  und  der  Acker  noch  nicht  genügend  gepflügt, 
um  die  Saat  aufzunehmen. 

Es  mußte  tiefer  gegraben,  weiter  geforscht  werden. 
Denn  noch  immer  war  der  exakte  Beweis  ausständig,  daß 
die  Erscheinungen  der  Wundinfektion  und  die  konseku¬ 
tiven  Allgemeinerscheinungen  durch  Selbstinfektion  von 
der  Wunde  aus  entstehen  und  daß  es  die  Vorgänge  an 
den  Wunden  und  nicht  die  eingeatmeten  Effluvien  sind, 
welche  die  schweren  Krankheitszustände  der  Verwundeten 
und  Operierten  hervorriefen.  Hierüber  das  aufklärende  Licht 
zu  verbreiten  und  hiemit  einen  W^'endepunkt  von  entschei¬ 
dender  Bedeutung  herbeigeführt  zu  haben,  ist  vor  allem 
das  Verdienst  Tb.  Billroths  und  Otto  Webers.  Bill¬ 
roth  konnte  den  nicht  nur  für  die  chirurgische  Pathologie 
grundlegenden  Nachweis  führen,  daß  das  Wundfieber  nicht 
nach  der  damals  geltenden  Schönlein -Tr  au  he  sehen  Auf¬ 
fassung  ein  „Reizfieber“  sei,  daß  es  sich  vielmehr  um  ein 
Resorptionsfieber  handle,  für  welches  das  maßgebende  Mo¬ 
ment  die  Selbstinfektion  von  der  Wunde  aus  bildet.  Die 
Pyämie  stellte  sich  als  ein  höherer  Grad  des  Wundfiebers 
dar,  durch  mancherlei  von  der  WAinde  ausgehende  Ent¬ 
zündungsprozesse  kompliziert.  Die  pathologischen,  meist 
entzündlichen  Veränderungen  an  der  verletzten  Stelle  waren 
es,  die  von  jetzt  ah  als  der  Ausgangspunkt  der  fieberhaften 
Prozesse,  der  Allgemeinerkrankung,  eventuell  des  Todes 
sichergestellt  wurden.  Der  normale  Vorgang  der  Wund¬ 
heilung  aber,  wenngleich  histologisch  nicht  wohl  von  der 
Entzündung  trennbar,  erzeugt  an  sich  kein  Fieber. 

Das  war  wohl  das  für  tjie  praktische  Chirurgie  be¬ 
deutendste  Forsebungsergebnis  vor  Lister;  denn  jetzt  war 
erst  die  richtige  Grundlage  gewonnen,  auf  der  die  weitere 
Arbeit  aufgebaut  werden  konnte.  Erst  durch  den  von  Bill¬ 
roth  erbrachten  Nachweis,  daß  die  lokalen  Entzündungs¬ 
prozesse  —  die  akzidentellen  Wundkranklieiten,  wie  er  sie 
nannte  —  wie  das  Fieber  in  der  WAinde  selbst  ihren  Ursprung 
haben  und  erst  durch  Billroths  Entdeckung  der  Bedeutung 
der  pyrogenen  und  phlogogenen  Substanzen  der  Wund¬ 
sekrete,  wurde  die  Wunde  sell)st  als  die  eigentliche  Porta 
malorum  endgültig  anerkannt. 

Nun  galt  es  aber  erst  recht,  den  exogenen  Bedingun¬ 
gen  und  Ursachen  der  Wundinfektion  nachzuforschen.  Der 
Fäulnisgeruch  der  infizierten  Wunden,  die  unter  Gasbil¬ 
dung  fortschreitenden  entzündlichen  Prozesse  forderten 
mehr  als  je  die  Analogie  mit  den  Fäulnis-  und  Gärungs¬ 
prozessen  heraus. 

Die  Mehrzahl  der  Chirurgen  vertrat  trotz  Schwanns 
und  C  a  g  n  a  r  d  -  L  a  t  o  u  r  s  V ersuchen  die  namentlich 
auch  durch  Liehigs  Autorität  gestützte  Anschauung,  daß 
cs  die  Luft,  bzw.  der  Sauerstoff  der  Luft  sei,  der  den  Vor¬ 
gang  der  Zersetzung  einleitet;  niebt  minder  erhielt  sich 
daneben  trotz  Spallanzanis  schon  im  Beginn  des  acht¬ 
zehnten  .lahrhunderts  so  überzeugenden  Experimenten  die 
Anschauung  von  der  Urzeugung,  von  dem  Uebergang  der 
sogenannten  toten  IMasse  in  die  lebensfähige  und  der  Ueber¬ 
gang  dieser  in  die  lebendige.  So  konnte  man  sich  ja  die 
unendliche  Kette  des  Seins  als  geschlossen  vorstellen. 

Erst  Pasteurs  erneuerte  Inangriffnahme  des  ex¬ 
perimentellen  Studiums  dieses  Problems  sollte  die  Theorie 


der  Urzeugung  sowohl  als  die  rein  chemisebe  Theorie  der 
Gärung  und  Fäulnis  endgültig  zu  Fälle  bringen.  Durch  seine 
Lehre  vom  Panspermismus,  durch  unwiderlegliche  Versuche 
über  Fäulnis  und  Gärung  gestützt,  erkämpfte  er  im  Streite 
mit  Liebig  und  Po u dipt  die  AnerkOnnung  .der  Bedeu¬ 
tung  der  Mikroorganismen  für  Gärung  und  Fäulnis.  Es  ist 
sein  Rubm,  mehr  als  dies  durch  die  Lösung  dieser  Fragen 
geleistet  zu  haben,  denn  man  wird  kaum  auf  Widerspruch 
stoßen,  wenn  man  in  ihm  den  Begründer  der  Mikrobiologie 
sieht,  mit  der  zugleich  auch  eine  neue  Epoche  der  Pathologie 
und  Therapie  inauguriert  wurde. 

Hier  sind  wir  aber  gleichzeitig  bei  dem  in  der  Kultur¬ 
geschichte  der  Menschheit  ewig  denkwürdigen  Moment  an¬ 
gelangt,  wo  Josef  Lister  in  den  Gang  der  Ereignisse 
eingreift. 

'  Die  mikroskopische  Forschung  und  speziell  das 
Gärungsproblem  lagen  für  Josef  Lister  förmlich  als  väter¬ 
liches  Erbteil  vor.  Denn  lAsters  Vater  war  ein  Wein¬ 
händler,  der  zugleich  sich  mit  Arbeiten  über  das  achroma¬ 
tische  Mikroskop  beschäftigte,  die  viel  Anklang  fanden.  Josef 
Listers  erste  Arbeiten  galten  histologischen  Fragen.  Dann 
widmete  er  sich  der  Keimlehre,  prüfte  die  Experimente 
Pasteurs  über  die  Fäulnis  organischer  Suhstanzen  in  modi¬ 
fizierter  Anlage  nach  und  kam  zur  vollen  Uebereinstimmung 
mit  den  Feststellungen  Pasteurs.  Hiemit  war  aber  auch 
für  ihn  der  weitere  Schritt  gegeben,  der  in  der  Ueberlragung 
der  Lehre  vom  Panspermismus  auf  die  akzidentellen  Wund¬ 
krankheiten  bestand  und  ihn  zum  Schöpfer  einer  auf  dieser 
Theorie  aufgebauten  Methode  der  Wundbehandlung  werden 
ließ,  die  nicht  nur  für  die  Chirurgie  eine  vollständig  neue 
Aera  begründete. 

Trister  ging  in  seiner  ersten,  vor  nunmehr  gerade 
40  Jahren  veröffentlichten  Mitteilung  :  ,,Ueber  ein  neues  Ver¬ 
fahren,  offene  Knochenbrüche  und  Abszesse  zu  behandeln, 
mit  Beobachtung  über  Eiterung“,  von  dem  Gegensatz  aus, 
der  in  der  fast  unbedingten  Gefahrlosigkeit  einfacher 
Knochenbrüche  liegt,  gegenüber  den  traurigen  Ausgängen, 
die  nach  offenen  zu  beobachten  Gelegenheit  war,  und  deren 
häufiges  Vorkommen  eine  der  auffallendsten,  aber  auch 
betrübendsten  Erscheinungen  in  der  chirurgischen  Praxis 
seiner  Zeit  bildete.  Als  nächste  Ursache,  durch  welche  eine 
mit  der  Bruchstelle  in  Verbindung  stehende  äußere  Wunde 
so  verhängnisvoll  werden  kann,  sah  Lister  die  durch  den 
Luftzutritt  angeregte  Zersetzung  des  Blutes  an,  welches  in 
größerer  oder  geringerer  Menge  rings  um  die  Bruchenden 
und  in  die  Gewebszwischenräume  hinein  ergossen  ist,  seinen 
milden  Charakter  durch  Fäulnis  verliert,  die  Eigenschaft 
eines  scharfen  Reizes  annimmt  und  örtliche  und  allgemeine 
Störungen  zu  veranlassen  imstande  ist.  Er  knüpft  direkt 
an  die  Forschungen  Pasteurs  an,  aus  denen  hervorgehe, 
daß  es  nicht  der  Sauerstoff  der  Luft  oder  irgendein  anderer 
gasiger  Bestandteil  derselben  ist,  der  die  Zersetzung  orga¬ 
nischer  Massen  bewirkt,  sondern  daß  man  als  die  Anreger 
dieses  Vorganges  jene  unendlich  kleinen,  in  der  Luft  schwe¬ 
benden  Teilchen  anzusehen  habe,  die  schon  lange  durch 
das  Mikroskop  hekannt,  als  kleinere  niedere  Lebensformen 
bisher  mehr  als  Begleiter  der  Fäulnis  betrachtet  wurden, 
während  sie  doch  die  wesentlichen  Veranlasser  sind,  zu¬ 
sammengesetztere,  organische  Massen  in  solche  von  einer 
einfacheren  chemischen  Anordnung  aufzulösen,  genau  wie 
Hefepilze  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure  zu  zersetzen 
vermögen. 

Keinem  Beobachter  vor  Lister  ist  trotz  des  schon 
seit  Alters  angeschuldigten  schlechten  Einflusses  der  Imft 
auf  Wunden,  der  Gegensatz  im  Verlaufe  der  subkutanen 
Frakturen  gegenüber  den  offenen  so  aufgefallen  und  von 
niemandem  vor  lAster  ist  er  so  nachdrücJrlich  betont  und 
und  zum  Ausgangspunkt  eines  neuen  Wundbehandlungs- 
prinzipes  gewählt  worden.  Auch  diejenigen  Chirurgen,  die 
die  subkutanen  Operationen  in  die  Chirurgie  eingeführt  und 
sie  besonders  ausgebildet  haben,  wie  Delpech,  Dieffen- 
bach  und  Stromeyer,  sind  nicht  von  dieser  so  funda¬ 
mentalen  und  so  naheliegenden  Beobachtung  ausgegangen. 


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sondern  haben,  mehr  einer  traditionell  gegebenen  Annahme 
folgend,  um  die  Luft  als  sohdie  von  der  Wunde  ahzuhalten, 
innerhalb  eines  beschränkten  Indikationsgehieles  Operatio¬ 
nen  unterhäutig  ausgeführt.  Mit  der  bestimmten  Absicht, 
die  Luft  von  den  Wunden  fernzuhalten,  u.  zw.  deren 
korpuskuläre  Schädlichkeiten,  rechnete  allerdings  der 
Guerin  sehe  Watteverband,  ferner  die  Methoden  der  per¬ 
manenten  Irrigation  der  Wunden  und  die  Behandlung  der 
Wunden  im  Wasserhad.  Aber  keine  von  diesen  Methoden 
vermochte  irgendwie  nennenswerte  Erfolge  zu  erzielen  oder 
gar  die  akzidentellen  Erkrankungen  im  Wundverlaufe  zu 
bannen. 

Lister  sah  also  in  der  direkten  Einwirkung  der  Luft¬ 
mikroben  auf  die  Wunden  die  eigentliche  Ursache  der 
akzidentellen  Zufälle  an  den  Wunden  und  der  von  diesen 
ausgehenden  Allgemeininfektion,  er  befestigte  ferner  die 
schon  von  Hunter  für  Trennungen  des  Zusammenhanges 
ohne  äußere  Verletzung  bewiesene  Möglichkeit,  daß  auf  dem 
Wege  der  Granulation  heilende  Wunden  ohne  Eiterung  ver¬ 
laufen  und  dehnte  diese  Beobachtung  auch  auf  offene,  mit 
Substanzverlust  einhergehende  Wunden  aus  und  stellte 
schließlich  fest,  daß  die  Eiterung  als  splche  als  eine  patholo¬ 
gische  Erscheinung  im  Wundverlaufe  anzusehen  sei. 

Nun  hatten  Billroths  pyrogene  und  phlogogene  Sub¬ 
stanzen  eine  neue  und  greifbare  Gestalt  angenommen  in  der 
Form  der  die  Zersetzungsprozesse  an  den  Wunden  hervor¬ 
rufenden  Mikroben.  Diese  unschädlich  zu  machen,  galt  als 
die  erste  Aufgabe  des  Lister  sehen  Wundbehandlungsver¬ 
fahrens.  Hiezu  schien  ihm  die  Karbolsäure  ein  besonders 
geeignetes  Mittel,  dessen  antiseptische  Eigenschaften 
namentlich  durch  L  e  m  a  i  r  e  bekannt  geworden  waren  und 
auf  die  Lister  durch  Beobachtungen  aufmerksam  wurde, 
die  man  auf  den  Berieselungsfeldern  der  Stadt  Carlisle  ge¬ 
macht  hatte.  Sein  erster  Verband  stand  unter  dem  Einfluß 
der  Hu  nt  er  sehen  Lehre  von  der  Heilung  unter  dem  Schorf 
und  ging  auf  einen  Karholsäureätzschorf  hinaus,  der  die 
Wunde  nach  außen  hin  abschließen  sollte.  Sein  Verband  er¬ 
fuhr  aber  durch  ihn  in  weiterer  Ausbildung  des  antisepti¬ 
schen  Prinzipes  immer  wieder  Modifikationen  nach  der  Dich¬ 
tung  der  immer  konsequenteren  Durchfühmng  des  Grund¬ 
satzes  der  Okklusion  der  Wunde  und  der  Zerstörung  der  in  die 
Wunde  mit  der  Luft,  aber  auch  mit  den  Instrumenten,  Ver¬ 
bandstoffen  und  jeder  Berührung  eindringenden  Keime.  Das 
wichtigste  Desinfektionsmittel  bleibt  die  Karbolsäure,  die 
mit  zunehmender  Erfahrung  von  Lister  in  Lösungen  von 
immer  geringerer  Konzenlration  zur  Ausspülung  der  Wunde 
verwendet  wird  oder  als  Sprühnebel  die  in  der  Luft  der 
Wundumgebung  suspendierten  Keime  zerstören  und  alles 
mit  der  Wunde  in  Berührung  Kommende  keimfrei  machen 
soll.  Sein  Verband  bestand  zunächst  aus  in  Karbolsäure 
getränkten  Schutzlappen  aus  Lint  und  darüber  angebrachter 
Metallplättchen,  später  aus  Pflastern  mit  Zusatz  von  Karbol¬ 
säure,  oder  Kitt  aus  Leinöl,  Schlemmkreide  und  Karbolsäure, 
zuletzt  aus  mehrfachen  Lagen  einer  eigens  präparierten 
Gaze.  Der  ersten  blutigen  Absonderung  wegen  sollte  der 
Verband  innerhalb  der  ersten  24  Stunden  gewechselt  werden, 
später  hielt  er  den  Verbandwechsel  nur  beim  Durchschlagen 
der  Sekrete  für  geboten,  damit  aber  diese  nicht  in  der  Nähe 
der  Wunde  sich  zersetzen,  mußten  die  Verbände  diese  weit 
überragen,  um  die  Wundflüssigkeiten  abzuleiten  und  um  sie 
erst  in  weiter  Entfernung  von  der  Wunde  mit  der  Luft  in 
Berührung  zu  bringen.  Die  Wunde  selbst  wurde  vor  der 
reizenden  und,  wie  Lister  wohl  wußte,  selbst  Eiteiung 
erzeugenden  Wirkung  der  Karbolsäure  des  Verbandes  durch 
Protective  silk  geschützt.  Um  für  den  Abfluß  der  durch  die 
Karbolsäure  bewirkten  stärkeren  Absonderung  der  Wund¬ 
flüssigkeit,  namentlich  in  den  ersten  Tagen  nach  Opera¬ 
tionen  und  Verwundungen,  zu  sorgen,  führte  er  bei  buch- 
tigen  Wunden  Gummiröhren  ein,  die  die  Stagnierung  des 
Sekretes  in  derlei  beschaffenen  Wunden  verhindern  und  den 
Abfluß  der  Sekrete  erleichtern  sollten.  An  die  Spitze  aber 
seines  ganzen  Wundbebandlungsverfahrens  stellte  er  das 
Gesetz  auf,  die  in  dieser  Weise  versorgten  Wunden  soviel 


als  möglich  sich  seihst  zu  überlassen,  ,,da  sie  zu  ihrer 
Heilung  keiner  besonderen  Anregung  und  keiner  geheimnis¬ 
vollen  Eigenmittel  bedürfen“  —  ein  Grundsatz,  der  uns 
Vinzenz  v.  Kern  wieder  in  Erinnerung  bringt. 

Nur  so  weit  es  für  das  Verständnis  unbedingt  nol- 
wendig  war,  entwickelte  Lister  in  seinen  Arbeiten,  durch 
welche  er  sein  neues  Wundbehandlnngsverfahren  hekannl 
machte,  die  diesen  zugrunde  liegenden,  aus  experimenteller 
Nachprüfung  gewonnenen  Theorien;  einen  um  so  breiteren 
Raum  nimmt  der  Bericht  über  die  nach  seinen  Prinzipien 
behandelten  Krankheitsfälle  ein  und  die  genaue  Schilderung 
der  in  jedem  Falle  angewandten  Verhandmethode.  Je 
schlichter  und  sachlicher  sie  dargestellt  wurden,  um  so 
größer,  sollte  man  meinen,  müßte  der  Eindruck  gewesen 
sein,  den  er  damit  erzielte. 

Listers  Bestrebungen  galten  zunächst  den  offenen 
Frakturen  und  den  kalten  Abszessen.  Welch  ein  vernich¬ 
tendes  Gefühl  muß  ein  gewissenhafter  Chirurg  vor  Lister 
mit  sich  herumgelragen  haben,  wenn  er  selbst  einer 
solch  elementaren  Aufgabe  gegenüber,  wie  die  Behandlung 
eines  offenen  Knochenbruches,  die  ja  zunächst  und  natur¬ 
gemäß  den  einfachsten  Prüfstein  an  die  Leistungsfähigkeit 
seiner  Kunst  abgab,  sich  die  Ohnmacht  eingestehen  mußte, 
eine  auch  nur  halbwegs  sichere  Prognose  zu  stellen.  Eine 
Fülle  von  Eventualitäten,  die  ganz  außerhalb  seiner  Macht 
und  Berechnung  zu  liegen  schienen,  gestalteten  sein  ganzes 
Wirken  mehr  weniger  zum  Glücksspiel.  Mancher  glaubte  mit 
aussichtsvollerem  Einsatz  das  Spiel  gewinnen  zu  können, 
wenn  er  von  vornherein  die  verletzte  Gliedmaße  opferte, 
um  nur  das  nackte  Leben  des  Verletzten  zu  retten.  Aber 
auch  dann  noch  hatte  der  ehrliche  Amhroise  Pare  recht, 
wenn  er  mit  frommer  Resignation  darauf  rechnete,  daß  Gott 
die  Heilung  besorgen  würde.  Und  nun  kam  Lister  und 
wies  an  der  Hand  der  von  ihm  erzielten  Erfolge  nach,  daß 
von  nun  ab  das  Schicksal  dieser  Verletzten  ganz  dem 
Chirurgen  in  die  Hand  gegeben  und  die  Heilung  des  offenen 
Knochenbruches  eine  Leistung  geworden  war,  die  man  unter 
bestimmten  Umständen  vom  Arzte  nicht  nur  erwarten,  son¬ 
dern  geradezu  fordern  konnte. 

Eine  ähnliche  Kraftprobe  seines  Wundhehandlungs- 
verfahrens  bildeten  die  kalten  Abszesse.  Wenn  in  einem 
Punkte  die  Wundärzte  der  vorantiseptischen  Aera  einig 
waren,  so  war  es  die  Ueberzeugung,  daß  die  kalten  Abszesse 
ein  Noli  me  tangere  Rir  das  chirurgische  Messer  war.  So  oft 
sie  sich  daran  versuchten,  iinmer  wieder  hatten  sie  es  zu 
bereuen,  die  septische  Infektion  stellte  sich  ein  und  früher 
oder  später  kam  das  traurige  Ende  unter  den  Erscheinungen 
konsumptiver  Hektik.  Lister  aber  konnte  den  Nachweis 
führen,  daß  unter  seinen  Händen  und  bei  Einhaltung  der 
Grundsätze  seines  antiseptischen  Verfahrens  die  einschlä¬ 
gigen  Operationen  nicht  nur  unschädlich  durchgeRihrt 
werden  konnten,  sondern  auch  in  einer  ganzen  Anzahl  von 
Fällen  Heilung  herbei  führten. 

Einen  Erfolg  und  Fortschritt  von  allergrößter  Bedeu¬ 
tung  konnte  Lister  ferner  bei  seinen  Wundbehandlungs¬ 
verfahren  durch  die  aseptische  Ligatur  der  Gefäße  erzielen. 
Von  nun  an,  wo  die  Unterbindung  der  Gefäße  mit  resorbier¬ 
baren  und  aseptisch  einheilenden  Fäden  durch  geführt  vmrde„ 
die  nicht  mehr,  wie  es  bis  dahin  Brauch  war,  aus  der 
eiternden  Wunde  herausgeleitet  wurden,  konnte  man  die 
kurz  ahgeschnittenen  Fäden  ruhig  ihrem  Schicksal  über¬ 
lassen.  Was  das  für  einen  Gewinn  hedeutete,  wenn  von 
jetzt  an  vom  Arzt  und  Patienten  der  Schrecken  der  Nach¬ 
blutung  genommen  war,  wer  diese  Errungenschaft  in  ihrem 
ganzen  Werte  ermessen  will,  der  schlage  Th.  Billroths 
kriegschirurgische  Briefe  aus  den  Kriegslazaretten  von 
Weißenhurg  und  Mannheim  nach.  Mit  der  ihm  eigenen,  un¬ 
vergleichlichen  Kunst  der  Darstellung  hat  Billroth  in 
diesen  Berichten  in  geradezu  erschütternder  \Veise  und  mit 
I  dramatischer  Wirkung  die  ganze  Tragik  der  Situationen  ge- 
j  schildert,  welche  durch  diese  unheilvollen  Nachblutungen, 

I  die  mit  unheimlicher  Vorliebe  gerade  zur  Nachtzeit  sich 
'  einstellten,  über  Arzt  und  Patient  heraufbeschworen  wurden ; 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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geschildert,  wie  da  oft  die  übermenschlichsten  Anstrengun¬ 
gen  vergeblich  waren;  wie  tief  dann  der  Chirurg  die  Ohn¬ 
macht  seiner  Kunst  zu  fühlen  hatte,  wenn  er  mit  dem  un¬ 
aufhaltsam  aus  dem  eitrig  zerfallenen,  morschen  Gewebe 
strömenden  Blute  zugleich  ein  .Menschenleben  unter  seinen 
Händen  erlöschen  sehen  mußte. 

Und  all  diese  Erfolge,  dieses  ganze  erhebende  Schau¬ 
spiel  einer  auf  ganz  neuen  Grundlagen  aufgebauten 
Chirurgie,,  diese  ganze  ans  Wunderbare  grenzende  Meta¬ 
morphose  spielte  sich  in  denselben  Räumen  ab,  in  denen  bis 
dahin  die  Pyämie  und  die  Hospitalgangrän  dauernd  und 
unerbittlich  ihre  Opfer  forderte.  Die  verrufenen  Kranken¬ 
säle  des  Glasgower  und  Edinburger  Krankenhauses  wurden 
nun  mit  einem  Male  segensreiche  Heilstätten. 

Und  dieselbe  wunderbare  Wandlung  hätte  sich  überall 
vollziehen  können,  wo  der  Geist  Listers  die  Chirurgen 
erleuchtet  hätte. 

Hiezu  aber  bedurfte  es  noch  geraume  Zeit.  Auch 
Lister  blieb  von  dem  Schicksal  aller  großen  Reformatoren, 
von  der  Anfeindung,  nicht  verschont.  Harveys  Blutkreis¬ 
lauflehre  stand  auf  dem  Index  der  Pariser  Fakultät,  mit 
Worten  der  Entrüstung  erzählt  Astley  Cooper,  wie 
Hunter  bei  Lebzeiten  verspottet,  verhöhnt  und  ver¬ 
lacht  wurde.  Betrübend  ist  es,  unter  den  eifrigsten 
Gegnern  Listers,  seine  eigenen  Landsleute  zu  sehen  und 
unter  diesen  auch  jenen  Mann,  mit  dessen  Namen  die  Nach¬ 
welt  dieEinführung  der  Chloroformnarkose  in  unvergeßlicher 
Anerkennung  verbindet.  Ihn  müssen  wir  zu  unserem  Be¬ 
dauern  eifrigst  bemüht  sehen,  den  durchaus  neuen  Ideen 
Listers  gegenüber  all  das  Zusammentragen,  was  dessen 
Priorität  schädigen,  zweifelhaft  ersdieinen  lassen  und  den 
Wert  seiner  Reform  herahsetzen  konnte. 

Er  findet,  daß  Listers  Behandlung  frischer  Amputa¬ 
tionswunden  und  anderer  mit  Karbolsäure,  sei  es  in  Form 
einer  flüssigen  Salbe  oder  in  Verbindung  mit  Oet,  an  die 
alte  tadelnswerte  Verband  weise  erinnere,  frische  Wund¬ 
flächen  mit  gewissen  fremden  Stoffen  in  Berührung  zu 
bringen,  ein  vor  zwei  oder  drei  Jahrhunderten  geübtes  Ver¬ 
fahren,  das  von  der  wissenschaftlichen  Chirurgie  für  immer 
verlassen  sei.  Die  Wundljohandlang  mit  Karbolsäure  und 
ihr  Einfluß  auf  die  Mikroorganismen  sei  schon  Lemaire, 
Deel  at,  Küchenmeister  bekannt  gewesen,  ebenso  wie 
schon  vorher  Corne  und  Demeaux  die  Karbolsäure  in 
Form  eines  Pulvers  aus  Kreide  und  Steinkohlenteer  ver¬ 
wendet  hatten. 

Wer  diese  und  ähnliche  Einwürfe  gegen  Lister 
vorbrachte,  der  wollte  Lister  nicht  verstehen;  wollte 
es  nicht  verstehen,  daß  seine  Reform  durchaus  nicht 
darin  bestand,  zu  den  vielen  Wundheilmitteln  ein  neues  hin¬ 
zuzufügen  und  es  so  anzuwenden,  wie  vor  Jahrhunderten 
schon  antiseptische  Mittel  lokal  verwendet  wurden.  In  diesem 
Sinne  müßte  man  auch  Agnostakis  zustimmen,  wenn  dieser 
in  einer  historischen  Studie  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  die  alten 
Griechen  hätten  schon  die  ganze  Antisepsis  gehabt  bis  aufs 
Mikroskop.  IMan  wollte  nicht  verstehen,  daß  hier  ein  durch¬ 
aus  neues  Prinzip  in  die  Wundbehandlung,  in  die  Heilkunde 
eingeführt  wurde,  bei  dem  die  Anwendung  der  Karbolsäure 
nur  eine  relativ  untergeordnete  Rolle  spielte,  denn  Lister 
selbst  hat  ihre  nachteiligen  lokalen,  reizenden,  eilerungs¬ 
erregenden  Qualitäten,  wie  ihre  allgemein  toxischen  Wir¬ 
kungen  genau  gekannt,  immer  wieder  betont,  die  Anwen¬ 
dung  immer  geringerer  Konzentrationen  empfohlen  und  wai 
stets  bemüht,  die  Wunden  vor  der  direkten  Einwirkung 
der  Karbolsäure  zu  schützen.  Nicht  die  Karbolsäure  also 
war  es,  deren  Anwendung  der  Lister  scheu  Wundbehand¬ 
lung  das  Gepräge  eines  prinzipiell  neuen  Verfahrens  gab, 
sondern  die  Gesamtheit  seiner  Anordnungen,  die  einer  der 
direkten  Beobachtung  ahgelauschtcn  Theorie  entsprach. 

Gegner  anderer  Art  waren  jene,  die  zwar  das  Neue 
des  Li  st  ersehen  Verfahrens  anerkannten,  aber  der  Theorie 
opponierten;  andere  wieder  waren  nicht  imstande.  Listers 
Erfolge  zu  bestätigen,  ohne  freilich  dabei  einzubekennen, 
daß  sie  seine  Methode  nicht  nach  seinen  \  orschriften  übten, 


die  dritten  verstanden  weder  seine  Theorie  noch  seine 
Methode  und  erzielten  aus  beiden  Gründen  keine  Erfolge  — 
kurz,  es  gab  Gegner  aller  Art. 

Mehr  aber,  als  den  endlichen  Sieg  von  Listers  Re¬ 
form  um  einige  Jahre  aufzuhalten  und  die  Menschheit  um  den 
Segen,  der  von  ihr  ausging,  um  einige  Zeit  zu  verkürzen, 
vermochten  weder  die  einen,  noch  die  anderen.  Es  verdient 
aber  gerade  aus  dem  doppelten  feierlichen  Anlaß  des 
heutigen  Tages  hervorgehoben  zu  werden,  daß  vielfach 
wegen  der  relativ  günstigen  Erfolge  der  durch  Burrow, 
Vater  und  Sohn,  gerade  in  damaliger  Zeit  wiedererweckten 
Kern  sehen  Methode  der  offenen  Wundbehandlung  manche 
Chirurgen  dem  widerstrebten,  es  mit  neuen  Wundbehand¬ 
lungsmethoden  zu  versuchen.  Doch  auch  diese  konnten 
sich  nach  nicht  allzu  langem  Zögern  der  neuen  Richtung 
mit  ihren  alles  bisher  Dagewesene  übertreffenden  Leistun¬ 
gen  nicht  mehr  verschließen. 

Die  größte  werbende  Kraft  erwuchs  aber  der  anti- 
septischen  Wundbehandlung  in  dem  Umstand,  daß  Listers 
Station  in  Glasgow  und  Edinburg  nach  und  nach  zur  förm¬ 
lichen  chirurgischen  Wallfahrtsstätte  wurde,  aus  der  dann 
die  bekehrten  Jünger  als  begeisterte  Apostel  unter  dem  Ein¬ 
druck  der  dort  geschauten  Wunder  heimgekehrt,  in  aller 
Welt  die  neue  Offenbarung,  die  neue  Heilslehre  verkün¬ 
deten.  Nie  wurden  einem  neuen  Bekenntnisse  überzeugtere 
Anhänger  geworben  als  diejenigen  es  waren,  denen  es  ver¬ 
gönnt  war,  Josef  Lister  persönlich  am  Werke  zu  sehen 
und  unter  dem  Zauber  seiner  schlichten  und  darum  um 
so  verehrungswürdigeren  Persönlichkeit  zu  stehen. 

Es  ist  ein  dauernder  Ruhmestitel  für  viele  gerade 
deutsche  Chirurgen  gehlieben,  daß  sie  früher  als  andere 
Anhänger  Listers  wurden  und  so  durch  den  unter  den 
neuen  Bedingungen  aufgenommenen  Betrieb  ihrer  Kunst 
zu  Erfolgen  gelangten,  die  denen  des  Meisters  nichts  nach¬ 
geben  sollten.  Zumal  den  Namen  Bardeleben,  Volk¬ 
mann,  Nußbaum  bleibt  auch  in  diesem  Zusammenhänge 
ein  Ehrenplatz  in  der  Geschichte  der  Chirurgie  gesichert. 

* 

So  haben  sich  denn  die  guten  Wünsche,  die  Hoff¬ 
nungen  erfüllt,  deren  Realisierung  Vinzenz  v.  Kern  von 
der  wissenschaftlichen  Arbeit  der  nächsten  Zukunft  er¬ 
wartete. 

Es  erübrigt  sich,  des  näheren  das  neue  Leben  zu 
schildern,  das  fortan  die  Chirurgie  seit  Lister  beseelte, 
wie  sie  nach  und  nach  zur  gebräuchlichsten  und  ..verlä߬ 
lichsten  Heilmethode  wurde,  die  immer  neue  Gebiete  einer 
bis  dahin  unfruchtbaren  Therapie  eroberte.  Denn  darin  lag  ja 
der  große  Fortschritt,  den  Lister  herbeiführte,  daß  er  nicht 
nur  die  Chirurgie  seiner  Zeit  reformierte,  sondern  der  Kunst 
des  Chirurgen  für  alle  Zukunft  eine  Sicherheit  verlieh,  die 
sie  befähigte,  auf  den  mannigfachsten  Gebieten  ärztlicher 
Tätigkeit,  die  bis  dahin  dem  Messer  des  Chirurgen  voll¬ 
ständig  unzugänglich  erschienen,  heilbringend  zu  wirken. 

Die  jetzt  erreichbaren  Erfolge  der  Chirurgie,  die  als 
Erfolge  des  antiseptischen,  antibakteriellen  Prinzipes  sich 
darstellten,  rückten  mit  einem  Male  die  Mikroorganismen 
als  ätiologischen  Faktor  von  höchster  Bedeutung  in  den 
Vordergrund  des  ärztlichen  Interesses  und  der  Forschung. 
Die  Begriffe  und  Vorstellungen  klärten  sich  durch  fortge¬ 
setzte  Arbeit  immer  mehr.  Man  kam  zur  Einsicht,  daß  die 
Störungen  im  WMndverlanfe  nur  zum  geringsten  Teile  auf 
Fäulnisorganismen  zurückzuführen  waren,  —  denn  lebendes 
Gewebe  widersteht  der  Fäulnis  —  man  gelangte  allmählich, 
dank  den  ingeniösen  K  o  ch  sehen  Methoden  der  bakteriolo¬ 
gischen  Forschung,  zum  Begriff  der  spezifisch  pathogenen 
Mikroben,  denen  auch  bestimmte  charakteristische  Störun¬ 
gen  des  Wundverlaufes  entsprachen.  Der  Entzündungs¬ 
begriff,  das  Wesen  der  Eiterung  wurden  durch  ausgedehnte 
experimentelle  Prüfung  immer  besser  aufgeklärt,  die  Mikro¬ 
skopie  lebender  Gewebe  lehrte  uns  den  Durchtritt  der 
weißen  Blutkörperchen  durch  die  Gefäßwände  und  nach 
langem  wissenschaftlichen  Streite  die  ausschließliche  Her- 


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kunft  jler  mit  diesen  Leukozyten  identischen  Lit.erkörper-  | 
dien  aus  dem  Blute  kennen.  Wie  dies  zunächst  in  der 
embryonalen  Entwicklung,  u.  zw.  durch  ilemak  lestgeslellt 
wurde,  kam  nun  auch  lür  jedwede  Eorm  physiologischen 
und  pathologischen  Wachstums  das  (iesetz  zur  Geltung, 
daß  die  Zelle  nicht  aus  uugeformten  Blastemen  und  Ex¬ 
sudaten,  sondern  immer  wieder  nur  aus  der  Zelle  hervorgehe 
und  auch,  wo  Gewebe  zerstört  war,  sah  man  die  llegenera- 
tioii  nur  aus  dem  präexistierenden  Gewebe  erfolgen. 

Man  erkannte  es  immer  mehr,  daß,  der  lebende  Orga¬ 
nismus  nicht  als  eine  den  pal hogenen  Keimen  wehrlos  preis¬ 
gegebene  Beute  betrachtet  werden  darf,  sondern  die  Sym¬ 
ptome,  unter  denen  die  Infektionskrankheiten  auftreten,  viel¬ 
fach  vor  allem  vitale  Reaktionserscheinungen  darstellten 
gegen  die  den  Organismus  an  greifenden  Bakterien  und  Bak¬ 
teriengifte.  Zumal  Entzündung  und  Fieber  wurden  —  und 
dadurch  fand  manche  intuitiv  gewonnene  ältere  Anschau¬ 
ung  ihre  Bestätigung  —  als  Typen  solcher  lokaler  und  all¬ 
gemeiner  Reaktionsformen  festgestellt.  Man  lernte  es  ferner 
immer  genauer  kennen,*  wie  gegenüber  den  verschiedenen 
wohl  charakterisierten,  spezifischen  Giftwirkungen  der  Bak¬ 
terien  der  Organismus  verschiedene,  ebenso  si)ezifische 
Gegengifte  aufbringt  oder  die  Mikroben  dadurch  unwirksam 
macht,  daß  die  Zellen  des  Invasionsherdes  sich  der  Eindring¬ 
linge  und  Schädlinge  bemächtigen  und  sie  verdauen.  So 
belehrte  uns  die  Forschung,  daß  der  Organismus  selbst  in 
seinem  Haushalte  wohl  ausgerüstet  ist  mit  Ahwehrkräften 
und  die  Hauptaufgabe  der  Therapie  und  Prophylaxe  der  In¬ 
fektionskrankheiten  'wurde  demgemäß  darauf  gerichtet,  diese 
natürlich  gegebenen  Schutzvorrichtungen  möglichst  zu  unter¬ 
stützen. 

Diese  Autoantiseptik,  diese  Schutzkräfte,  erweisen  sich 
vielfach  als  wirksam  genug,  um  ihnen  den  Kampf  gegen  die 
Bakterien  zu  überlassen  und  entheben  den  Arzt  der  Not-, 
Wendigkeit,  besondere  bakterizide  Mittel  anzuwenden.  Diese 
Erkenntnis  hat  zumal  die  AVundbehandlung  stark  beein¬ 
flußt  und  im  Laufe  der  Zeit  den  Wandel  der  antiseptischen 
zur  aseptischen  Chirurgie  zu  bewirken  vermocht.  Die  heutige 
Wundbehandlung  sieht  davon  ah,  keimtötende  Mittel  in  die 
Wunde  zu  bringen,  und  überläßt  zumeist  den  physiologi¬ 
schen  Reaktionsvorgängen,  die  jeden  Infekt  begleiten,  der 
Autoantiseptik,  die  Unschädlichmachung  der  Bakterien;  sie 
tut  dies  um  so  melir,  als  die  künstlicheil  bakteriziden  Mittel 
■ —  wie  dies  schon  Lister  wohl  wußte  —  zugleich  mit  den 
Bakterien  auch  die  Gewebe  schädigen,  auf  deren  möglichste 
Integrität  ein  großer  Teil  der  organischen  Abwehr  ange¬ 
wiesen  ist.  Freilicli  sehen  wir  diese  Selbsthilfe  dann  er¬ 
lahmen,  wenn  an  sie  unverhältnismäßige  Anforderungen 
gestellt  werden,  wenn  die  ein  dringenden  Bakterien  durch 
Quantität  und  Virulenz  von  vornherein  Uebermacht  erlangen. 

So  hat  sich  denn  die  aseptische  Methode,  namentlich 
im  Bereich  der  operativen  Chirurgie,  zugleich  und  vor  allem 
zu  einer  prophylaktischen  ausgebildet,  die  durch  weit¬ 
gehende,  bis  ins  einzelnste  bedachte  Vorsorge  darauf  aus¬ 
geht,  alle  Voraussetzungen  zu  erfüllen  und  alle  Bedingungen 
zu  schaffen,  um  die  Wunden,  die  wir  selbst  setzen,  vor  der 
Kontamination  schon  von  vornherein  möglichst  zu  sichern. 
In  verständnisvoller  Würdigung  dieser  Bestrehungen  wurden 
überall,  wo  man  auf  Kulturfähigkeit  Anspruch  macht, 
Krankenhäuser  und  Kliniken  erbaut,  die  in  ihrer  ganzen  An¬ 
lage  und  Einrichtung  von  diesem  prophylaktischen  Gedanken 
bis  ins  einzelnste  beherrscht  werden. 

Daneben  gehen  aljer  allerlei  Bemühungen  einher,  um 
bei  trotz  aller  Vorsorge  doch  möglichen  Infektion  schon  vor¬ 
hauend  die  Abwehrvorrichtungen  des  Organismus  zu  unter¬ 
stützen,  ihn  für  den  Kampf  mit  den  Bakterien  gut  gerüstet 
zu  machen.  Die  prophylaktische  künstliche  Erzielung  einer 
Leukozytose,  die  willkürlich  hervorgerufene  Mehrung  der 
weißen  Blutkörperchen,  in  denen  wir  die  Träger  der  Alexin¬ 
wirkungen  und  die  Vermittler  der  Phagozytose  sehen,  hat 
seinerzeit  v.  Mikulicz  durch  vorbereitende  Nukleinsäure¬ 
injektionen  zu  erreichen  gesucht,  zumal  vor  Qperationen, 
welche  erfahrungsgemäß  an  die  Selbsthilfe  des  Organismus 


besonders  große  Anforflermigen  stellen.  In  ähnlichem  Sinne 
handeln  wir,  wenn  wir  hei  durch  Ifrde  verunreinigten 
Wunden  dem  Oi-ganismus  gegen  die  solcherart  von  Ver- 
mireinigung  erfahrungisgemäß  innewohnende  Gefahr  des 
StaJ'rkrampfes,  gleich  vorhanend,  die  Gegengifte  d('r  mög- 
licdien  Infektion  von  voinhereiii  einverleihen. 

Und  schließlich  sei  auf  die  Anwendung  der  Stauungs¬ 
hyperämie  nach  Bier  hiugewiesen,  die  auf  mechanischem 
Wege  bei  verschiedenartigen  Infektionen  durch  Stauung 
von  Blut  und  Lymphe  und  küuslli(di(‘r  Oetlemhüdung 
eine  Anreicherung  der  Gewehe  nnt  antihakteri(dlen  Schutz- 
stotfen  zu  erreiedum  sucht;  ein  geradezu  grüßartiger 
Eortschritt  der  Therapie,  der  in  einej’  großen  Zahl  von 
Fällen,  wo  wir  bisher  nur  durch  blutige  Operation  und  in 
schmerzhafter,  oft  verstümmelnder  Nachhehandlung  die  Pro¬ 
dukte  der  Infektion  zu  beseitigen  vermochten,  uns  in  den 
Stand  setzt,  durch  eine  auf  die  einfachste  Weise  bewirkte 
Stauung  es  schmerzlos  zu  bewirken,  daß  durch  Steigerung 
der  natürlichen  Abwehrvorgänge  das  Gewehe,  bzw.  der 
Organismus  darin  unterstützt  wird,  selbst  mit  der  Infek¬ 
tion  fertig  zu  werden. 

So  wurde  emsig  weitergearbeitet  und  wurden  neue 
Erfolge  erzielt.  Auch  in  die  Zukunft  sehen  wir  mit  Zuver¬ 
sicht;  denn  die  ärztliche  Forschung  hat,  seitdem  sie  in 
Methodik  und  im  Denken  zu  echter  Naturwissenschaft  sich 
durchgearheitet  hat,  in  wenigen  Jahrhunderten,  zumal  im 
letzten,  mehr  geleistet  als  vorher  in  Jahrtausenden.  Ihr 
denkwürdigster  Fortschritt  war  aber  derjenige,  der  sich  an 
den  Namen  Josef  Lister  knüpft,  um  so  mehr  als  er  zum 
entscheidenden  Ausgangs-  und  Wendepunkt  in  der  Erkennt¬ 
nis  der  Krankheitsätiologie  wurde  und  ihr  die  gesamte  Heil¬ 
kunde  die  mächtigste  Anregung  bildete,  die  von  ihm  zuerst 
so  erfolgreich  betretene  Balm  auch  fortan  heizubehalten. 
Sie  führte  im  tetzten  Grunde  zu  den  Iredeutemlen  Emmgeii- 
schaften,  deren  wür  uns  heute  erfreuen,  sie  führte  dazu,  daß 
wir  im  Bereiche  der  Infektionskrankheiten  u.  zw.  gerade 
bezüglich  der  schwersten,  es  aussprechen  können,  daß  sie 
zu  den  vermeidbaren  Krankheiten  gehören  und  die  thera¬ 
peutische  Beherrschung,  beispielsweise  der  Diphtherie,  außer 
Frage  steht. 

Rechnen  wir  hinzu,  was  auf  dem  Gebiete  der  Anästhe¬ 
sierungsmethoden  geleistet  wurde,  wieviel  der  Impfung  zu 
danken  ist,  für  die  auch  v.  Kern  ein  begeisterter  Vor- 
känipfer  war,  und  man  wird  der  ärztlichen  Wissenschaft, 
zumal  des  letzten  Jahrhunderts,  das  Zeugnis  nicht  versagen 
können,  daß  sie  der  Menschheit  große  Dienste  geleistet  hat. 
Sie  hat,  wie  erwähnt,  in  weiterer  Ausbauung  der  Lister- 
schen  Heilslehre  noch  große  Ziele  vor  Augen.  Diese  Ziele, 
einmal  erreicht,  werden  das  Glücksproblem  der  Menschheit 
wieder  um  ein  Beträchtliches  zu  fördern  berufen  sein.  Wir 
können,  auf  das  bisher  Geleistete  uns  berufend,  es  rahig  aiis- 
sprechen,  daß  es  im  Dienste  der  Allgemeinheit  kaum  posi¬ 
tivere  Arbeit  zu  leisten  gibt  und  keine  der  wärmsten  Für¬ 
sorge  durch  Staat  und  Gesellschaft  würdigere,  als  die  För¬ 
derung  dieser  Ziele  der  medizinischen  Forschung.  Denn 
was  sie  zu  erreichen  berufen  ist,  das  bessert  in  seinen 
wesentlichsten  Voraussetzungen  das  Menschenlos  und  ist 
geeignet,  mit  den  Härten  und  Sorgen  des  Daseins  zu  ver¬ 
söhnen,  sie  leichter  zu  tragen. 

Die  Zuversicht  in  die  Leistungsfähigkeit  der  ärztlichen 
Kunst  und  der  Glaube  an  die  ärztliche  Wissenschaft  wäre 
das  wirksamste  Korrektiv  gegen  den  durch  die  moderne 
Philosophie  genährten  Pessimismus  unserer  Zeit.  Die  Krank- 
lieiten  schließlich  ganz  bannen,  ihnen  durch  eine  weit  aus¬ 
gebildete  Prophylaxe  wirksam  vorl)auen  zu  können,  ist  kein 
utopischer  Zukunftsgedanke.  Was  ist  niclit  alles  schon 
davon  zu  erhoffen,  wenn  einmal  Syphilis  und  Alkoholismus 
ausgerottet  sind !  Ein  Forscher  von  der  Bedeutung  und  den 
Verdiensten  eines  Metschnikoff  denkt  nocli  weiter  und 
hält  es  für  eine  mögliche  Zukunftsleistung  der  biologischen 
Forschung,  die  Lebensdauer  des  Menschen  weit  über  seine 
gegenwärtigen  Grenzen  auszudehnen  und  das  Alter,  das 
zumeist  ein  pathologisches  ist,  zu  einem  in  den  Grenzen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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des  Physiologischen  ablanfenden,  euphorischen,  mit  dem 
natürlichen  Tod  endenden  Lehensahschnitt  zu  gestalten. 
Das  ist  wissenschaftlicher  Optimismus ;  er  stützt  sich  auf  das 
schon  Erreichte  und  ist  auf  die  ideale  menschliche  Natur 
gegründet.  Soll  er  aber  reelle  Bedeutung  .erlangen,  dann 
muß  die  gesamte  Menschheit  zur  Solidarität  und  zur  Mit¬ 
arbeit  an  diesem  großen  Problem  erzogen  werden. 

So  liegt  in  den  weitgesteckten  Zielen  und  Bestrebungen 
der  modernen  Heilkunde,  die  uns  von  der  Höhe  aus  sichtbar 
werden,  zu  der  uns  Josef  Lister  geführt,  die  Aussicht  auf 
Verwirklichung -auch  manch  großen  sittlichen  Ideales.  Möge 
es  an  dem  allgemeinen  Verständnis  für  diese  Ziele  nicht 
fehlen  und  möge  der  Weg  zum  Ruhm  künftiger  Tage  vor¬ 
gezeichnet  sein  in  der  Richtung,  auf  die  der  römische  Im¬ 
perator  hinwies,  der  da  meinte : 

Melius  est  unum  servare  civem  quam  mille  occidere  bestes. 

Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 

Wien,  (Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

lieber  Toxine  des  Typhusbazillus. 

Von  Prof.  11.  Kraus  und  Dr.  R.  t.  Stenitzer. 

Die  Frage,  ob  der  Typhusbazillus  spezifische  Gifte 
produziert,  ist  seit  Jahren  eifrig  studiert  worden.  Brieger, 

S  i  r  o  t  i  n  i  11,  B  e  u  m  e  r  und  P  e  i  p  e  r,  sowie  Bitter  haben 
es  versucht,  dieses  Gift  darzustellen;  es  gelang  wohl,  auch 
Gifte  nachzuweisen,  der  Beweis  aber  für  die  Spezifizi  tät  dieses 
Giftes  konnte  nicht  erbracht  werden.  Pfeiffer  hat  eben¬ 
falls  Gifte  aiigenonimeii,  die  analog  den  endozellulären 
Giften  des  Choleravibrio  •  vorhanden  sein  sollen.  Erst 
Chantemeisse  hat  das  von  ihm  beim  Typhusbazillus  ge¬ 
fundene  Gift  durch  den  Nachweis  seiner  antigenen  Eigen¬ 
schaft  als  bakterielles  Toxin  charakterisiert.  Diese  Arbeit  von 
Chanteniesse  scheint  ganz  in  Vergessenheit  geraten  zu 
sein  und  auch  Chante messe  selbst  bat  seit  längerer  Zeit 
in  dieser  vielumstrittenen  Frage  nicht  mehr  das  Wort  er¬ 
griffen.  ln  den  letzten  Jahren  haben  die  Arbeiten  Hahns, 
Besredkas  und  Macfadyens  einen  Fortschritt  ge¬ 
schaffen.  Es  gelang  diesen  Autoren,  durch  Auspressen 
mittels  Buchnerscher  Presse  (Hahn),  durch  Extraktion 
und  Einengen  im  Vakuum  (Besredka  und  mittels  Ge¬ 
frieren  der  Bakterienmasse  und  Verreiben  derselben  (Mac- 
fadyen  und  Rowland)  gelöste,  giftige  Substanzen  aus 
Typhusbazillen  (Agarkultur)  zu  gewinnen.  Diesen  Sub¬ 
stanzen  kommen  nach  den  Untersuchungen  Besredkas  und  . 
Macfad  yens  zweifellos  antigene  Eigenschaften  zu.  Sowohl 
Besredka  als  auch  Macfadyen  gelang  es  nämlich,  gift- 
empfindliche  There  mit  diesen  Giften  aktiv  zu  immunisieren, 
als  auch  spezifisch  giftneutralisierende  Substanzen  (Anti¬ 
toxine)  im  Serum  dieser  Tiere  nachzuweisen.  Deshalb 
nehmen  auch  diese  Autoren  an,  daß  im  Bakterienleib 
der  Typhusbazillen  endozelluläres  Toxin  enthalten  sei. 
Gegenüber  dem  Standpunkte  Pfeiffers  bedeuten  diese 
Arbeiten  einen  sehr  wesentlichen  Schritt  nach  vorne. 
Pfeiffer  nimmt  wohl  mit  Recht  endozelluläre  Gifte 
an,  bezeichnet  sie  aber  insofern  fälschlicherweise  als 
Endotoxin,  als  diese  Gifte  nach  Pfeiffer,  nicht  im¬ 
stande  sind,  den  Organismus  zur  Antitoxinproduktion  an¬ 
zuregen.  Besredka  und  Macfadyen  finden  ebenfalls  im 
Bakterienleib  Gift,  sind  aber  in  der  Lage,  dieses  Gift  als 
Toxin  zu  charakterisieren.  Das  mit  diesem  Gifte  erzeugte 
Serum  besitzt  spezifisch  antitoxische  Eigenschaften.  Da¬ 
durch  sind  diese  Gifte  in  die  Reihe  der  bakteriellen  Toxine 
eingetreten  und  können  im  Sinne  der  ,, Toxine“  sensu 
strictiori  als  Endotoxin  bezeichnet  werden. 

Seit  einem  Jahre  sind  wir  mit  dem  Nachweise  lös¬ 
lichen  Giftes  in  Bouillonkulturen  des  Typhusbazillus  be¬ 
schäftigt.  Wir  sind  durch  unsere  Studien  über  die  Gifte 
des  Dysenteriebazillus,  der  Vibrionen,  Staphylokokken  zu 
der  Auffassung  gelangt,  daß  der  Nachweis  der  löslichen 
Gifte  bei  vielen  Bakterien  deswegen  nicht  gelungen  ist,  weil 
entweder  die  Nährmedien,  die  bei  der  Toxindarstellung  eine 


Rolle  spielen,  nicht  entsprechende  Berücksichtigung  erfahren 
haben  und  weil  die  toxigene  Eigenschaft  der  Bakterien  sehr 
variabel  ist.  Gerade  in  dem  wechselnden  Verhalten  der 
toxigenen  Eigenschaften  der  Bakterien  dürfte  die  Ursache 
für  die  vielen  Mißerfolge  gelegen  sein. 

Ein  ganz  eklatantes  Beispiel  für  das  eben  Gesagte 
bietet  ja  die  Geschichte  der  Choleratoxinforschung.  Wie  viele 
Choleravibrionen  wurden  auf  giftige  Stoffwecliselprodukie 
untersucJit,  bis  es  endlich  gelungen  ist,  hei  sicheren  Cholera- 
vihrionen  Toxine  zu  finden.  Auch  bei  den  Staphylokokken 
sind  wir  äJmliclien  Verhältnissen  begegnet.  Mit  diesen  Er- 
fahnmgen  ausgestattet,  gingen  wir  daran,  die  löslichen  Gifte 
in  Bouillonkulturen  des  Typhushazillus  zu  suchen.  Wir  ver¬ 
suchten  in  derselben  Weise,  wie  wir  es  mit  den  Dysenterie¬ 
bazillen,  Vibrionen,  Staphylokokken  laten,  zunächst  viele 
aus  Typhusleichen  gezüchtete,  biologisch  bestimmte  Stämme 
in  verschiedenartig  präparierter  Bouillon  verschieden  lange 
zu  züchten  und  in  den  Filtraten  dieser  Bouillonkulturen  die 
Gifte  nachzuweisen.  Für  den  Giftnachweis  bedienten  wir 
uns  der  intravenösen  Injektion.  Diese  Art  der  Einver¬ 
leibung  des  Giftes  wählten  wir  deshalb,  weil  uns  die  Studien 
über  die  Toxine  der  Vibrionen  gelehrt  haben,  wieviel  gerade 
diese  Art  der  Einverleibung  des  Giftes  das  Gelingen  des 
Giftnachweises  förderte.  Subkutane  Injektionen  der  El  Tor- 
Gifte  z.  B.  machen  in  Hosen,  in  welchen  nach  intravenöser 
Injektion  Tod  der  Tiere  nach  kurzer  Zeit  erfolgt,  nur  kleine 
Infiltrate.  Auch  für  die  Typhusgifte  gilt,  wie  wir  sehen 
werden,  daß  die  intravenöse  Injektion  besser  den  Giftnach¬ 
weis  gestattet  wie  die  intraperitoneale. 

Tabelle  I. 


Alter  der 
Kultur  nach 
Tagen 

Diphtheric- 

bouillon*) 

Dysenterie¬ 

bouillon**) 

Bouillon  2*4 

Bouillonzusatz 

vom  Phenol¬ 
punkt  5  cm3 
5“/«  NaOH 

9 

VI 3  0  XIII 1-0 

XIII  0-5  XI 0-5 

11 

VI 10 

113  0  VI  3  0 

12 

VI 1-5 

13 

VI  3  0 

VI 3-0 

14 

VI 1-0  XIII 1-0 

Galle  1-5 

16 

XIII  2  XI  3  0 

V  3  0  VI  3  0 
XX  3  0 

18 

XIII  2  0 

XIII  2  XI  3 

XVII  3-0 

XX  3  0  VI  3  0 
III  3  0 

23 

VI  3  0 

XIII  2  0X13  0 
VI 30 

24 

XIII 10 

25 

V30 

o 

1 

i 

[ 

XIII  3  0 

!  *)  Vom  Lackmusneutralpuiikt  10  cm®  Normalsodalösung 

I  auf  1  Liter. 

j  **)  Vom  Lackmusneutralpunkt  3  g  krislall.  Soda. 

1  ***)  Vom  Thenolphthaleinpunkt  2‘4  cm®  mit  5®/o  NaOH. 

j  z.  B.  VI  1’5  bedeutet:  Typhusstamm  VI  tötete  inlra- 

I  venös  in  einer  Dosis  von  l  ö  cm®  ein  Kaninchen  von  7  bis 
I  800  g  binnen  12  bis  24  Stunden. 

Wie  aus  der  obigen  Uebersichtstabelle  I  über  die 
Giftproduktion  verschiedener  Typhusstämme  hervorgeht,  ge¬ 
lingt  es  in  verschiedenaltrigen,  verschieden  alkalisierten 
Bouillonkulturen  einzelner  Stämme  giftige  Substanzen  nach¬ 
zuweisen,  welche  in  Mengen  von  0-5,  1,  2  und  3  cm^ 
bei  intravenöser  Injektion  lOminchen .  vom'  Gewichte  800  g 
bis  1000  g  innerhalb  von  5  bis  24 ,  Stunden  töten. 

Die  Tiere  sind  nach  Injektion  wirksamer  Gifte  bereits 
nach  drei  bis  vier  Stunden  krank  und  so  schwach,  daß 
sie  sich  schwer  aufrichten  können,  hegen  auf  der  Seite, 
bekommen  Durchfälle  und  gehen  innerhalb  5  bis  24  Stunden 
zugrunde.  Bei  der  Obduktion  gelang  es  uns  bisher  nicht, 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


3i-5 


irgendwelche  Veränderangeii  nachzuweisen,  die  wir  als 
spezifische  Wirkungen  des  Typhusgiftes  anzusehen  hatten. 
Ab  und  zu  sahen  wir  Schwellungen  der  Plaques*)  ini  Dünn¬ 
darm  (und  auch.  Airdeutungen  von  Zerfall),  in  der  Regel 
war  außer  Rötung  des  peritonealen  Ueberzuges  des  Darmes 
und  klarer  Flüssigkeit  im  Peritioneum  nichts  Besonderes 
nachweisbar.  Dieses  für  Kanineben  bei  intravenöser  Injek¬ 
tion  wirksame  Gift  hat  bei  peri  tonealer  Injektion  viel  größerer 
Mengen  weder  bei  Kaninchen,  noch  bei  Meerschweinchen 
tödlich  gewirkt. 

Zu  bemerken  wäre  noch,  daß  die  Darstellung  des 
Giftes  nicht  leicht  ist.  Es  gelingt  ein-  oder  zweimal  bei  einem 
bestimmten  Nährboden  in  gewisser  Zeit  die  Gifte  zu  ge¬ 
winnen,  ein  drittes  Mal  sind  die  Filtrate  ungiftig.  Trotz 
vieler  Mühe  ist  es  uns  bisher  nicht  gelungen,  einen  Nähr¬ 
boden  zu  finden,  in  welchem  die  Giftbildung  konstant  opti¬ 
mal  vor  sich  ginge.  Dabei  ist  das  Gift  äußerst  labiler  Natur. 
Es  erinnert  in  seiner  Labilität  an  das  flüssige  Tetanustoxin. 
Gifte,  die  heute  genau  ausgewertet  sind,  haben  morgen  bereits 
einen  geringeren  Titre  und  können  innerhalb  einer  Woche 
ganz  ungiftig  werden.  Weder  die  Konservierung  \im  Dunklen, 
nocli  am  Eis  verhindert  diese  rapide  Abschwächung.  Auch 
ist  es  uns  bisher  nicht  gelungen,  durch  Fällungsmethoden 
zu  einem  resistenteren  -Toxin  zu  kommen. 

Für  unsere  Ffage  wichtig  ist  die  Eigenschaft  dieser 
Gifte,  eine  Antitoxinbildung  im  Tierkörper  zu  veranlassen. 
Die  nachfolgenden  Tabellen  bringen  die  mit  dem  Serum 
immunisierter  Tiere  gewonnenen  Resultate.  Mit  den  gif¬ 
tigen  Filtraten  der  Typhusbazillenbouillonkultur  wurden 
Ziegen  und  Pferde  subkutan  durch  längere  Zeit  behandelt 
und  deren  Serum  auf  seine  giftneutralisierende  Eigenschaft 
geprüft.  Es  ergibt  sich,  daß  dem  Serum  der  vorbehandelten 
Tiere  eine  giftneutralisierende  Wirkung  in  Mengen  zu¬ 
kommt,  in  welchen  weder  Serum  normaler  Tiere,  noch 


Tabelle  II. 


Serum 

A  aj  1  a> 

B  bCco  1  tiCm 

3  C  Ö  =*-  C  C 

«-  O)  g  rK  OJ  g 

S  S 

Tier 

Injek¬ 

tion 

Resultat 

Pferdeserum  Karl  vor  der 
Immunisierung 

10 

30 

Kaninch. 

intrav. 

+  *) 

0-5 

30 

> 

+ 

10 

30 

> 

1.  AGCriaD 

05 

30 

+ 

II.  Aderlaß 

1-0 

30 

» 

— 

05 

30 

— 

0-1 

30 

— 

Kontrollen  : 

Gigant  (Typhus) 

0-5 

20 

» 

+ 

Edgar  (Typhus) 

0-5 

20 

+ 

Jobst  (Dysenterie) 

0-5 

2  0 

+ 

Infant  (Dysenterie) 

0-5 

05 

20 

+ 

Klipp  (Dysenterie) 

20 

» 

+ 

1 

Gomtesse  (Dysenterie) 

0  1 

30 

)» 

+  ; 

Kam6  (Cholera) 

0-1 

30 

» 

> 

•f 

— 

— 

30 

» 

> 

+ 

— 

— 

20 

4- 

Besredka:  Trockenserum  auf¬ 
gelöst  in  physiol.  NaCl 

001g 

20 

—  . 

()-02  g 

20 

7> 

“  i 

01  g 

40 

> 

_ 

0-3  g 

60 

> 

— 

— 

2-0 

> 

> 

+ 

*)  Auch  bei  gesunden  Kaninchen  findet  man  häufig  vergrößerte 
Plaques. 

*)  +  tot. 

**)  —  lebt. 


das  mit  anderen  Toxinen  (Dysenterie,  Cholera)  immunisierter 
Tiere  sien  wirksam  erweist.  Allerdings  sind  die  Werte  des 
Serums  noch  gering.  Es  könnte  sein,  daß  diese  Antitoxine  sich 
ebenso  verhalten  wie  die  Cholera-  und  Dysenterieantitoxine, 
welche  in  ihren  Werten  weit  hinter  den  weiteren  Diphtherie- 
und  Tetanusantitoxinen  stehen.  Im  Prinzip  kommt  es 
aber  hauptsächlich  darauf  an,  zu  zeigen,  daß  ein  mit 
diesen  Giften  gewonnenes  Serum  die  Fähigkeit  hat,  dieses 
Gift  spezifisch  zu  neutralisieren.  Diese  Eigenschaft  kann 
nach  den  vorliegenden  Versuchen  dem  Serum  nicht  ahge- 
sprochen  werden. 


Tabelle  III. 


Serum 

Seruni- 
inenge  cm^ 

Gift- 

mengeem^ 

Tier  Injektion  Resultat 

Ziegenserum  36 
(Agarkullur) 

I.  Aderlaß 

0-5 

30 

Kaninch. 

intrav. 

— 

01 

30 

+ 

III.  Aderlaß 

0-5 

30 

— 

01 

30 

> 

Ziegenserum  25 
(Toxin) 

I.  Aderlaß 

10 

30 

* 

•» 

— 

05 

30 

— 

0  1 

30 

> 

— 

003 

30 

> 

+ 

11.  Aderlaß 

05 

40 

7> 

» 

— 

0  1 

40 

+ 

IV.  Aderlaß 

0-5 

30 

2> 

— 

0-1 

30 

» 

+ 

Normal-Ziegen¬ 

serum 

10 

30 

+ 

— 

20 

> 

2> 

+ 

Zum  Schluß  bleiht  noch  die  Frage  offen,  ob  die  von 
uns  in  Filtraten  der  Bouillonkulturen  .nachgewiesenen  Gifte 
als  identisch  anzusehen  sind  mit  den  Endotoxinen  von 
Besredka  und  Macfadyen. 

Ein  Versuch,  der  in  dieser  Richtung  ausgeführt  wurde, 
dürfte,  wie  aus  dem  vorhergehenden  Protokoll  ersichtlich,  dafür 
sprechen,  daß  unser  Gift  und  das  Endotoxin  Besredkas 
identisch  sein  dürften.  Es  gelang,  mit  dem  uns  von  Kollegen 
Besredka  aus  dem  Institute  Pasteur  freundlichst  über¬ 
lassenen  Antiendotoxin  unser  Toxin  zu  neutralisieren.  Damit 
glauben  wir,  ist  der  Beweis  der  Identität  dieser  beiden  Gifte 
sehr  wahrscheinlich  gemacht. 

Ob  das  in  Filtraten  der  Bouillonkulturen  nachgewiesene 
Typhustoxin  als  Sekretionsprodukt  der  Bakterien  aufzu¬ 
fassen  wäre  oder  als  ein  durch  Zerfall  der  Bakterienleiber 
endozelluläres  Gift,  ist  eine  Frage,  hie  sekundärer  Natur 
ist.  Prinzipiell  wichtig  erscheint  es  uns,  daß  es 
gelingt,  sowohl  im  Bakterienleib  des  Typhus¬ 
bazillus,  als -auch  in  Filtraten  der  Bouillonkul¬ 
turen  Toxine  nachzuweisen.  Daß  dieser  Nachweis 
als  erbracht  anzuseheii  ist,  geht  aus  den  Versuchen  von 
Chantemesse,  Besredka,  Macfadyen  und  jetzt  aus 
unseren  Versuchen  hervor.  — 

Die  von  Bail  in  der  letzten  Nummer  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift  mitgeteilten  Versuche  zeigen  nun 
auch,  daß  in  den  Exsudaten  der  mit  Typhusbazillen  in¬ 
fizierten  Kaninchen  Gifte  enthalten  sind,  die  Kaninchen 
bei  intravenöser  Injektion  töten.  Ob  aber  diese  Gifte  als 
Toxine  charakterisiert  werden  können,  ist  durch  Bail  nicht 
erwiesen  worden.  Es  ist  aber  denkbar,  'daßi  die  in  Exsudaten 
der  infizierten  Kaninchen  nachgewiesenen  giftigen  Körper  *) 
identisch  sein  könnten  mit  den  jetzt  bereits  gekannten  To¬ 
xinen  der  Typhusbazillen.  Jedenfalls  geht  mit  Sicher¬ 
heit  a  u  s  der  B  a  i  1  s  c  h  e  n  Arbeit  hervor,  d  a  ß  e  r  den 

*)  Die  Exsudate  Bails  enthielten  noch  Bakterien,  sind  also  nicht 
gleichzusetzen  den  bakterienfreien  Filtraten. 


346 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


A  ggrt'ssi  11011  der  Ty  pli  ii  sJia  zilloii  jetzt  aucli  gü¬ 
tige  lü  g(' II  s  (“  Ji  a  1 1  e  11  /  u  s  c  li  re  i  1)  i,  dit'  iJiiieii  nacJi 
si'iiieii  I' r  ü  Ji  e  re  II  Arbeiten  I’iir  ge  \v  ö  h  n  1  i  c  ii  iiiclit 
z  II  ko  111111  (' 11.  J)ie  Aggi‘('ssiiie  warini  ja  iiacJi  liail 
Körper,  die  liloß  auf  Leiikozyleii  spezifiseJi  scdiädigend 
eiiigewirkl  liaiieii  solb'ii.  Schon  in  der  Arheil  üix'r  giftige 
l'bxsiidaU“  mit  Slaiiliylokokken  infizierter  Tieri'  findet  Kail 
sidbst  di(‘  von  iliin  Jiesti'ii tmie  (lifligkeit.  d('r  Exsinlale. 
Die  kixsudale  der  mit  TyiiliiisbaziIhMi  infiziertmi  'tiere  sind 
IkmiIi'  nach  Jiail  ('henfalJs  giftig.  Nnninelir  soll  kein  prin¬ 
zipieller  ('Ic'gensatz  mehr  zwischen  aggressiver  und  toxischer 
Wirkling  der  Exsudate  hestehen  und  die  Wirkung  der  Ag- 
gressine  soll  eine  gleichi'  sein  wi(^  die  der  Toxine. 

Weswegen  Kail  die  giftigen  Exsudate  noch  als  Aggres- 
sine  hezeichnet,  ist  nicht  recht  verstimdlich.  Die  Exsudate 
sind  giftig,  was  früher  die  .\ggressine  Kails  nicht  waren, 
si('  wirken  tödlich,  was  die  Aggressine  nicht  taten,  sii' 
können  also  nicht  das  sogenannte  Aggressin  im  Sinne  Kails 
sein,  üh  sie  identisch  mit  dem  in  ^dtro  na.chgewiesenen 
IVixin  der  Tyiihushazillen  sind,  ist  durch  Kail  nicht  er¬ 
wiesen,  jedenfalls  aber  wahrscheinlich. 

Daß  Exsudatx'  von  mit.  Typlmsbazillen  iniizieiten  Tieren 
gütig  würken,  ist  aber  üherhauiit  nicht  neu,  wie  Kail  aiizn- 
nehnien  scheint.  Kereits  vor  zwei  Jaliren  hat  F.  Lange  im - 
Lahoratorium  Metschnikof f s  die  Tatsache  einwandfrei 
festgestellt.  Die  Arbeit  Langes  (Gomptes  rendns  de  la 
Soc.  de  Kiol.  1905,  0.  Mai),  die  Kail  entgangen  zu  sein 
scheint,  zeigt,  daß  hakterienf reie  Exsudate  (Filtrate) 
von  infizierten  Meerschweinchen  in  Dosen  von  0-5  bis  2  cnF 
Aleerschweiiichen  iniierhalh  18  bis  24  Stnmlen  toten.  Lange 
glaubt  auf  (iruiid  dieser  l’ersuche  annehnien  zu  können, 
daß  T’yiihnshazillen  im  . Organismus  Toxin  produzieren  und 
erklärt  damit  die  Giftigkeit  der  Exsudate.  Kails  Arbeit 
bringt  demnach  in  dieser  Richtung  nur  eine  Kestätigung 
der  Arbeit  Langes.  Neu  ist  bloß  die  Verschiebung  des 
Aggressinhegriffes  in  dem  von  Wassermann,  Doerr  und 
Sauerbeck  vertretenen  Sinne,  daß  die  sogeminnte  aggres¬ 
sive  Eigenschaft  der  Exsudate  auf  ihrer  Giftigkeit  lieruhen. 

Erwiderung  auf  L  Zupniks  Artikel  (Berliner 
klinische  Wochenschrift  Nr.  53,  1906). 

Von  Prof.  K.  Kraus. 

ln  meinen  Arbeiten,  sowie  in  den  gemeinschaftlich  mit 
Prihram  und  Prantschoff  aiisgeführten,  über  Toxine 
und  Antitoxine  der  Vibrionen  wurde  eine  Tatsache 
ermittelt,  -welche  wir  als  bisher  nicht  gekannt  hingestellt 
haben.  Es  konnte  nämlich  gezeigt  werden,  daß  das  Anti¬ 
hämotoxin,  gewonnen  mit  dem  Hämotoxin  eines 
\’ibrio,  auch  Hämotoxin  andersartiger,  biolo¬ 
gisch  di f f  ere n  ter  Vi  br  i  onen  z  u  neu  trali sie r en  im¬ 
stande  sei.  G  lei  eil  es  konnten  wir  auch  für  das 
T  0  X  i  n  11  a  c  h  w  eisen.  1)  a  s  A  n  t  i  t  o  x  i  n,  g  e  w  o  n  n  e  n  m i  t 
dem  Toxin  des  \'ihrio  xVasik,  hat  ebenso  das 
Toxin  der  El  To  r- V  i  b r  i one n  neutralisiert,  wie 
das  homologe  Antitoxin.  Trotz  der  sicher  nachgewie¬ 
senen  hiologischen  Verschiedenheikdieser  Vibrionen  kommen 
ihnen  demnach  gemeinschaftliche  Toxine  zu.*)  ,, 'Damit“, 
heißt  es  in  meinem  Vortrag  in  Kerlin,  „war  eine  Tatsache  er¬ 
schlossen,  welche  bisher  in  der  Iimnunitätslehre  nicht  ge¬ 
kannt  ist,  daß  nämlich  Toxine  verschiedener  Hak¬ 
te  rien  arten  eine  Identität  nach  weisen  lassen. 
Hier  sehen  wi  r,  daß  biologisch  differenten  Vibrio¬ 
nen,  die  untereinander  gar  keine  biologischen 
Ke  Ziehungen  auf  weisen,  identische  Toxine  zn- 
k  online  n.“ 

ln  einem  unlängst  erschienenen  Artikel  (Kerliiier 
klinische  Wochenschrift  t90ß,  Nr.  53)  wendet  sich  Zupnik 

*)  Weitere  Untersuchungen  haben  gezeigt,  daß  hier  ein  Analogon 
zu  den  bei  der  Agglutination  gekannten  Tatsachen  vorliegen  dürfte.  Den 
verschiedenartigen  Vibrionen  dürften  neben  dem  artspezifischen  Toxin 
noch  Partial toxine  zukommen. 


gegen  die  Richtigkeit  unserer  eben  angeführten  Rehaup- 
luiigeii. 

Die  von  Zuiniikiiii  selben  Aiiiktd  behaiidelhui  Fragen 
über  Agglutination  und  Präziiiilation  hat  v.  Eisler  in  ob¬ 
jektiver  Weise  in  dem  vorangehenden  Artikel  auf  ihre  8tich- 
hältigkeit  geprüft,  und  die  von  Zupn  ik  für  sich  in  Anspruch 
genoinmiMien  Verdienste  auf  das  Tatsächliche  zurückgeführt. 
Es  erübrigt  mir  demnach,  bloß  auf  diejenigen  Punkte  in 
Zupniks  Artikel  (‘inzugehen,  die  sich ‘mit  der  sogenaniiten 
Gattimgsspezilizität  der  Toxine  liesciiäftigen. 

.Zupnik  behauptet,  daß  die  von  uns  mitge- 
teilt(‘n  Tatsachen  nicht  neu  wären  und  bloß  ein 
A  n  a  1 0  g  o  n  d  e  r  v  o  n  i  h  m  vor  einigen  Jahren  bereits 
g  e  f  u  11  d  e  11  e  n  K  e  f  u  n  d  e  w  ä  r  e  n. 

Ini  Jahre  1902  trat  Zupnik  in  der  Prager  medizini¬ 
schen  Wochenschrift  mit  einer  Arbeit  hervor,  deren  Resultat 
in  dem  Satze  gipfelt,  ,,daß  der  Löffler  sehe  Razillus 
nicht  die  spezifische  Aefiologie  der  Rretoneau- 
schen  Diiihtherie  darstelle“  (S.  419).  Er  ist  bemüht, 
für  die  Diphtherie  verschiedene  Arten  von  Diph- 
t  h  e  r i  e  h  a  z  i  1 1  e  n  als  Erreger  hinzustellen.  Zupniks  Be¬ 
haupt  ungen  sind  hauptsächlich  darauf  gegründet,  daß  er 
morphologische  und  kulturelle  Differenzen  der  gezüchteten, 
als  Diphtheriehazillen  hestimmten  Mikroorganismen  findet 
und  daraus  die  Verschiedenheit  der  Diphtheriebazillen  ab- 
ziileiten  bemüht  ist. 

F  ü  r  diese  m  o  r  p  li  o  1  o  g  i  s  c  h  oder  kulturell  n  u  r 
wmiiig  verschiedenen  und  von  ihm  als  verschie¬ 
denen  Arten  zugehörigen  D  i  p  h  t  h  e  r  i  e  b  a  z  i  1 1  e  n 
vindiziert  Zupnik  identische  gat  tu  n  gs  s  p  e  z  i  fi¬ 
sche  Toxine.  Welche  Kerechtigupg  dieser  mit  großer  Em¬ 
phase  viorgetragenen  Lehre  zukommt,  geht  aus  der  Arbeit  von 
Schick  und  E r s e 1 1 i g,  die  im  hiesigen  Institut  ausgeführt 
wurde,  hervor.  Durch  diese  Arlieit  ist  unzweifelhaft  fest¬ 
gestellt  worden,  daß  Zupniks  Kemühungeii,  die  in  der 
Lehre  von  der  iVetiologie  der  Diphtherie  herrschende  Klar¬ 
heit  zu  verwirren,  sich  als  erfolglos  erwiesen  haben.  Schick 
und  Ersottig  haben  gezeigt,  daß  Zupniks  Angaben,  die 
Diphtheriebazillen  wüchsen  auf  Agar  in  zwei  kulturell 
verschiedenen  (matten  oder  glänzenden)  Kolonien, .  richtig 
ist.  Gleichzeitig  konnte  aber  ermittelt  Averden,  daß  auf 
Glyzerinagar  kulturell  gar  kein  Unterschied  be¬ 
steht  und  daß  die  auf  Agar  verschieden  wach- 
s  e  11  (l  e  11  B  a  z  i  1 1  e  n  (matt  oder  glänzend)  sich  i  n  e  i  n  a  n  d  e  r 
überführen  lassen.  Nachdem  Schick  und  Ersettig 
bei  diesen  matt  oder  glänzend  yvachsenden  Bazillen*)  sonst 
alle  Eigentümlichkeiten  der  Diphtheriebazillen  nachweisen 
konnten,  indem  beiderlei  Diphtheriehazillen  gleich  spezi¬ 
fisch  a  g  g  1  ii  t  i  n  i  e  r  t  w  u  r  d  e  n,  identische  T  o  x  i  n  e  p  r  o- 
diizi erteil,  war,  da  ja  auch  die  Umzüchtung  ge¬ 
lungen  war,  kein  Zweifel  darüber,  daß  das  verschie¬ 
dene  Verhalten  auf  Agar  nicht  als  Merkmal  der 
Verse  hie  de  11  he  it  angeseJien  werden  kann. 

Auf  (iruiid  dieser  Ai'beif,  welche  mit  vollem  Rechte 
für  die  Einheitlichkeit  der  Diphtheriehazillen  eintritt  und 
die  Schlußfolgerungen  Zupniks  zurückw^eist,  waren  wir 
w  o  h  1  berechtig  t,  d  i  e  von  Z  u  p  n  i  k  konstruierte 
Gattungsspezifität  der  Toxine  der  verschieden¬ 
artigen  Diphtheriebazillen  als  unbewiesen  hin¬ 
zu  s  tel  1  e  n. 

Seit  dieser  Zeit  finden  wir  keine  weitere  Arbeit 
Zupniks  vor,  welche  gegen  die  Arbeit  von  Schick  und 
Ersettig  Ein  wände  erhoben  hätte,  und  noch  einmal  die 
Aläre  von  den  verschiedenen  Arten  der  Diphtheriebazillen 
und  deren  identischen  gattungsspezifischen  Toxinen  als 
glaubwürdig  hinzustellen  bemüht  wäre.  Als  wir  die  ein¬ 
leitend  erwälmten  Feststellungen  gemacht  halien,  Avaren  wir 
demnach  berechtigt,  zu  heliaupten,  daß  eine  analoge  Tat¬ 
sache  bisher  nicht  gekannt  sei.  Zupnik  wird  doch  un¬ 
möglich  verlangen  dürfen,  daß  man  den  von  ihm  gehegten 
Wunsch,  eine  Gattungsspezifizität  der  Toxine  zu  kon- 

*)  Alle  waren  aus  klinisch  verlaufenden  Diphtheriefällen  gezüchtet. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


317 


sfruiereii,  als  Beweis  anerketint.  Nacli  wie  vor  müssen 
wir  die  von  uns  erniitfelten  Tatsachen  als  bisher 
u  11 1) e k a  11 11 1  h i  11  s  t e  1 1  e  n  u  ii d  d  i e  F  o r  d e  r  u  n  g  Zn  p- 
11  i  k  s,  d  i  e  s  h  e  z  ü  g  1  i  c  h  e  i  n  e  n  P  r  i  o  r  i  t  ä  t  s  an  s  p  r  n  c  h  zu 
erlieheii,  als  nngehiihrend  zurückweisen. 


Aus  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen  Universität 
in  Prag  (Vorstand:  Ohersanitätsrat  Prof.  Hueppe.) 

Ueber  Bakterienpräzipitation  durch  normale 

Sera. 

Von  Privatdozent  Dr.  Edinuud  Hoke,  I.  Assistenten  der  medizinischen 
Klinik.  (Vorstand:  Ohersanitätsrat  Prof.  R.  v.  Jak  sch.) 

R.  Krans^)  wies  im  Jahre  1897  nach,  daß  in  keim¬ 
freien  Knlturfiltraien  durch  homologes  Serum  Niederschläge 
auftreten.  Wurde  statt  des  homologen  Serums  ein  anderes, 
z.  B.  Typhusimmunserinn  auf  Cholerafiltrate  verwendet,  so 
konnten  derartige  Niederschläge  nicht  lieobachtet  werden, 
woraus  Kraus  auf  die  Spezifität  der  Reaktion  schloß.  Durch 
normale  Seren  konnte  eine  Präzipitation  von  Bakterien¬ 
filtraten  noch  nicht  nachgewiesen  werden,  obwohl  es  nach 
Analogie  mit  anderen  Präzipitatioiiserscheiimiigen  und  an¬ 
deren  Immunitätsreaktionen,  wie  Agglutination,  Hämolyse 
und  so  weiter,  sehr  wahrscheinlich  war,  diese  durch  eine 
geeignete  Versuchsanordnung  demonstrieren  zu  können. 

Bekanntlich  sind  zum  Zustandekommen  eines  Präzi- 
pilates  zweierlei  Dinge  notwendig,  ein  aktives,  in  den  Fil¬ 
traten  enthaltenes  Prinzip,  das  Präzipitine  gen  und  ein 
passives,  im  Serum  vorhandenes,  das  Präzipitin.  Die  Stärke 
der  Präzipitation,  die  Raschheit  der  Reaktion  hängen  demnach 
besonders  vom  (Tehalt  der  verwendeten  Flüssigkeiten 'an  den 
genannten  zwei  Stoffen  ab.  Gelingt  es,  eine  an  Präzipitinogen 
reicdie  Flüssigkeit  zu  erhalten,  so  muß  es  auch  durch  ge¬ 
eignete  normale  Seren  gelingen,  Niederschlagsbildung  her¬ 
vorzurufen.  Durch  Verwendung  von  ,,Bakterienex- 
trakten“,  wie  sie  gerade  jetzt  zu  anderen  Zwecken  aus¬ 
gedehnt  versucht  werden,  gelingt  dies  tatsächlich  überaus 
leicht.  Schon  Bail  und  Weil^)  konnten  in  solchen  „Ex¬ 
trakten“  durch  normales  Rinderserum  Ausflockung  beob¬ 
achten. 

Bei  der  Untersuchnng  des  VIeclianismus  dieser  Er¬ 
scheinung  zeigte  sich  sofort,  daß  nicht  nur  dem  Rinder- 
'  serum,  sondern  auch  dem  Pferdeserum,  dem  Serum  vom 
Schwein  und  Schaf,  nicht  aber  dem  Kaninchen-,  Meer¬ 
schweinchen-  und  Rattenserum  fällende  Eigenschaften  zu¬ 
kommen.  Im  normalen  Alejischenserum  konnten,  soweit  die 
jetzigen  Erfahrungen  reichen,  niemals  Präzipitine  nach¬ 
gewiesen  werden.  Hingegen  gewinnt  das  Menschenserum 
unter  dem  Einflüsse  einer  Infektion  mit  dem  Typhus¬ 
bazillus  sehr  deutliche  präzipitierende  Eigenschaften,  wor- 
ül)er  an  anderer  Stelle  noch  zu  berichten  sein  wird. 


I.  Fällbarkeit  der  Extrakte  durch  normale  Seren. 


a)  Rinde  r  serum. 


Tabelle  I. 


1.  0‘5  cm‘ 

2.  0-5  „ 

3.  0-5  „ 

4.  Oü  „ 

5.  0-5  „ 


Choleraexfrakt 


4-  lÜ 
-+■  l’O 
-t-  0-25 
-!  O'Oö 
-C  1-5 


cm®  Rinderserum 


n 


Kochsalzlösung. 


Drei  Proben  wurden  im  Wasserbade  bei  37“  gehalten.  Schon 
nach  wenigen  Minuten  zeigt  sich  in  Proben  1,  2  und  3  Trübung, 
dann  Ausflockung,  in  drei  Stunden  Absetzen  des  Niederschlages 
Proben  4  und  5  bleiben  klar. 


Tabelle  II. 


1.  0'5  cm®  Typhusextrakt 

-h 

l'O 

cm® 

Rinderserum 

2.  0  o  „ 

-l- 

Oo 

y  y 

y  y 

3.  0-5  ., 

-1- 

0-25 

1  y 

1 1 

4.  0'5  „ 

-P 

OT 

yy 

y  y 

5.  0-5  „ 

-f- 

005 

yy 

yy 

d.  Oo  „ 

ro 

1. 

Kochsalzlösung, 

Nach  einer  halben  Stunde  (wieder  wie  oben  bei  37“  ge¬ 
halten)  zeigen  alle  Serumproben  Trübung,  später  Austloekung; 
Kontrollprobe  Nr.  6  bleibt  Idar. 


b)  Pferde-,  Schaf-,  Schweine-  und  Z  i  e  g  e  n  s  e  r  u  m. 


Tabelle  III. 


1.  0-5 

cm®  Cboleraextrakt 

1-  PO  cm®  Pferdeserum 

2.  0  5 

,, 

h  0-5  „ 

3.  0  5 

^  ^  yy 

-P  0-25  „ 

4.  0-5 

,, 

h  01  „ 

5.  0-5 

yy  yy 

“  0‘05  „ 

6.  0-5 

yy  yy 

r  PO  ,,  Schafserum 

7.  0'5 

yy  yy  _ 

+  0’5  „  ,, 

8.  Oü 

■  yy  yy 

1  0'25  „ 

9.  OÜ 

yy  yy 

+  01  ,,  ,, 

tO.  Oh 

n  yy 

+  0  05  ,,  ,, 

11.  0-5 

yy  yy 

-i-  l’O  ,,  Schweineserum 

12.  OÜ 

yy  yy 

+  0'5 

13.  Oü 

yy  yy 

-r  0-25  „ 

14.  O  o 

yy  ’ ' 

+  01  „ 

15.  0-5 

))  yy 

1  0'05  ,,  ,, 

16.  0-5 

yy  yy 

+  PO  ,,  Ziegenserum 

17.  Oo 

yy  yy 

+  05  ,,  ,, 

18.  0-5 

yy  ’ ' 

+  0-25  „ 

19.  Oo 

yy  yy 

+  01  ,,  ,, 

20.  Oo 

yy  yy 

+  0'05  ,, 

21.  Oo 

yy  yy 

+  l'O  ,,  Kochsalzlösung. 

Nach 

einer  halben  Stunde  zeigten  sich  Trübung  in  Proben 

1,  2,  3,  6, 

7,  11,  12,  13,  16,  17,  die  übrigen  Proben  bleiben  klar. 

T  a  b  e  1 1  e  IV. 

1.  0-5 

cm®  Typhusextrakt 

+  0'5  cm®  Pferdeserum 

2.  0  o 

M  >> 

-1-  0‘5  ,,  Schaf  serum 

3.  OÜ 

yy  yy 

-!■  0'5  ,,  Schweineserum 

4.  Oo 

y  y  yy 

-t  0’5  ,,  Ziegenserum 

5.  Oo  ,,  ,,  f  0'5  ,,  Kochsalzlösung. 

Nach  einer  halben  Stunde  Trübung  in  Proben  1 — 4;  Probe  5 
bleibt  klar. 


Im  ganzen  wurden  sechs  verschiedene  Rinderseren 
untersucht.  Immer  wurde  eine  starke  Wirkung  auf  Typlms- 
und  Choleraextrakte  heohachtet.  Die  Wirkung  ist  so  deut¬ 
lich,  daß  sie  einem  homologen  Immunserum  Jcaum  nachsteht. 
Recht  inkonstant  in  ihrer  Wirkung  zeigten  sich  die  weiter 
untersuchten  Pferde-,  Schaf-,  Schweine-  und  Ziegenseren. 
Gelegentlich  Versagten  sie  vollständig. 

In  den  bisher  mitgeteilten  Tabellen  ist  nun  der  Beweis 
einer  Bakterienpräzipilalion  durch  normale  Seren  erbracht. 
Die  Protokolle  über  die  mit  Kaninchen-,  Aleerschweinchen-, 
Ratten-  und  mit  normalem  TIenschenserum  angestelllen  Ver¬ 
suche  werden  nicht  angeführt. 


11.  Die  Inaktivierharkeit  des  Binderserums. 


Es  mußte  nun  untersucht  werden,  ol)  .derartige  normale 
Seren  Avie  homologe  Immimseren  inaktiviert  werden  können. 
Zu  diesem  Zwecke  werden  die  Seren  im  Wasserbade  einer 
Temperatur  von  60^  eine  halbe  Stunde  ausgesetzt. 


Tabelle  V. 


1. 

0-5 

cm® 

Choleraextrakt 

+ 

1'5  cm®  Rinderserum 

'I2 

stunde  60" 

2. 

Oo 

j  j 

y  y 

+ 

0*5  „ 

■/. 

60“ 

3. 

0-5 

j  y 

+ 

0'25  „ 

V. 

V2 

„  60“ 

4. 

0-5 

1 

01  „ 

„  60“ 

o. 

0-5 

1 

0'05  „ 

V2 

„  60« 

6. 

Oo 

yy 

y  y 

-1- 

15,,  ,, 

V2 

60'^ 

Noch  nach  zwölf  Stunden  ist  in  keiner  Probe  eine  Trübung 
zu  bemerken. 


Tabelle  VI. 

1.  0'5  cm®  Typhusextrakt  -l-  1‘5  cm®  Rinderserum  Stunde  30 

.  ,-,-r  1 


2.  OT)  ,. 

-r  0-5 

1 

2  ,, 

60 

3.  0  5  „ 

+  0-25  „ 

60 

4.  OT)  „ 

+  01  „ 

V2  „ 

60 

5.  OT)  „ 

-i  0-05  „ 

11 

60 

6.  0’5  „ 

,,  +  PS  n 

Kochsalzlösung. 

Alle 

Proben  bleiben  dauernd 

klar. 

0 

ü 

0 

0 

0 


Das  Rinderserum  kann  also  wie  ein  Immimserum  durch 
Erhitzen  inaktiviert  werden.  Durch  halbstündiges  Erhitzen 
auf  50*'  wird  das  Rinderseiami  nur  cpialitativ  beeinflußt,  das 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


lieißt,  Präzipitation  zeigt  sich  nur  in  den  Proben  stärkster 
Seruinkonzentration,  während  sie  in  den  übrigen  ausbleibt. 

Die  Inakti\ierjmrkeit  von  Pferde-,  Schafserum  usw., 
wurde  nicht  untersucht. 

111.  Die  Reaktivierbarkeit  inaktivierten  Rinder¬ 
serums. 

Der  Versuch,  des  durch  Erhitzen  oder  längeres  Stehen 
inaktivierten  Rinderserums,  stößt  auf  große  Schwierigkeiten, 
da  Pferde-,  Schaf-,  Scliweine-  und  Ziegenserum  meist  an 
sich  schon  präzipitieren,  Kaninchen-,  Meerschweinchen-  und 
Rattenserum  erwiesen  sich  wirkungslos.  Nur  einmal  wurde 
ein  frisches  Pferdeserum  und  ein  Schafserum  beobachtet, 
die  an  sich  wirkungslos  waren.  Mit  diesem  wurde  ein  Er¬ 
gänzungsversuch  vorgenommen. 

Tabelle  VII. 


1.  0‘5  cnP  Choleraextrakt  +  0'5  cm’’  frisches  Rinderserum 


2.  O  o 

3.  Oo 

4.  O  Ö 

5.  0-5 

6.  Oo 

7.  O'ö 

8.  O'ö 

9.  OÜ 


+ 

+ 


OÜ 

05 


-f  0-5 
+  0-25 
+  0  25 
+  0-5 
+  0‘5 
+  0’5 


Rinderserum  V2  Stunde  60” 

„  'h  St.  60"  + 0-25 Pferdes. 
„  V2  „  60" +  0-25  Schafs. 
Pferdeserum 
Schafserum 
Pferdeserum 
Schafserum 
Kochsalzlösung. 


Die  Proben  bleiben  12  Stunden  bei 
zeigt  Probe  1  starke  Flockenbildung;  2 

4.  stärker  trüb;  5 — 9  klar. 


37".  Nach  dieser  Zeit 
klar;  3.  etwas  trüb; 


V2 


,  St.  60" 


1/ 


60'’  +  0'25  Pferdes. 
2  „  60" +  0-25  Schafs. 
Pferdeserum 
Schaf  serum 
Kochsalzlösung. 

Probe  1  zeigt  starke  Aus- 


Tabelle  VIII. 

1.  0'5  cm®  Typhusextrakt  +  0’5  cm®  Rinderserum  aktiv 

2.  0'5  ,,  „  +  0'5  ,, 

3.  0‘5  „  „  +  0'5  ,, 

4.  0'5  „  „  +  0‘5  „ 

5.  0'5  „  „  +  0'5  „ 

6.  0  o  ,,  „  +  0’5  ,, 

7.  0'5  „  ,,  +  0‘5  ,, 

12  Stunden  Bruttemperatur, 
flockung;  Probe  2  klar;  Proben  3  und  4  trübe;  5 — 7  sind  klar. 

In  diesem  Versuche  gelang  es  also,  das  durch  Hitze 
inaktivierte  Rinderserum  zu  ergänzen.  Da  nur  ein  Versuch 
vorliegt,  muß  die  Frage  noch  als  nicht  vollkommen  ent¬ 
schieden  angesehen  werden ;  es  besteht  aber  wohl  kaum 
ein  Zweifel,  daß  es  bei  Verwendung  geeigneter  Seren  ge¬ 
lingen  muß,  das  inaktivierte  Rinderserum  zu  reaktivieren. 
Das  Rinderserum  ist  nach  diesem  einen  Versuche  auch 
homologen  Immunseren  analog. 

Da,  wie  gezeigt  wurde,  das  Rinderserum  imstande 
ist,  in  Typhus-  und  Choleraextrakten  (auch  wahrscheinlich 
in  anderen  Extrakten,  wie  Bacterium  coli  usw.)  Nieder¬ 
schläge  zu  erzeugen,  Avurde  nun  weiter  untersucht,  ob  die 
Reaktion  wie  die  eines  Immunserums  spezifisch  ist,  das 
heißt,  ob  ein  durch  Cholera extrakt  erschöpftes  Serum  noch 
imstande  ist,  Typhusextrakt  zu  fällen,  auch  umgekehrt.  Zu 
diesem  ZAvecke  wird  Typhus-  und  Choleraextrakt  mit  der 
doppelten  Serummenge  zusammengehracht  und  der  ent¬ 
standene  Niederschlag  abzentrifugiert,  so  daß  die  Flüssigkeit 
wieder  völlig  klar  ist. 


Tabelle  IX. 

1.  0'5  cnP  Choleraextrakt  +  l'O  Rinderserum 


2.0-5 

>> 

yy 

+  1-0 

3.  0  5 

)) 

yy 

+  1-0 

4.05 

}) 

yy 

+  ro 

5.0-5 

y) 

yy 

+  1-0 

6.0-5 

yy 

Tyi)husextrakt 

+  1-0 

7.0-5 

yy 

yy 

+  ro 

8.  0-5 

yy 

+  10 

9.  0-5 

yy 

yy 

+ 1-0 

10. 0-5 

yy 

yy 

+ 1-0 

11.0-5 

yy 

yy 

+  1-0 

12.  0-5 

yy 

Choleraextrakt 

+  1-0 

,,  nach  Cholerapräzipitat  ab¬ 
zentrifugiert 

,,  nach  Typhuspräzipitat  ab¬ 
zentrifugiert 
,,  '4  Stunde  60" 

,,  nach  Cholerapräzipitat  +  0'5, 
Rinderserum  '4  Stunde  60“ 

)> 

,,  nach  Typhuspräzipitat  zen¬ 
trifugiert 

„  nach  Cholerapräzipitat  zen¬ 
trifugiert 
„  V2  Stunde  60" 

„  n.  Typhuspräzipitat  zentrif. 
+  0'5  Rinders.  ’4  St.  60" 
Kochsalzlösung 


Eine  Stunde  Bruttemperatur.  Probe  1  starke  Ausflockung, 
ebenso  Probe  6.  Alle  übrigen  Proben  sind  klar. 

Der  Versuch  zeigt,  daß  das  durch  die  Fällung  er¬ 
schöpfte  Serum  weder  Typhus-  noch  Choleraextrakt  mehr 
präzipitieren  kann.  Die  Reaktion  ist  demnach  nicht  spe¬ 
zifisch  und  unterscheidet  sich  dadurch  von  einem  Immun¬ 
serum.  Da  das  Rinderserum  immunkörperreich  ist,  auch 
dies  mit  seiner  hohen  präzipitierenden  Kraft  sehr  wahr¬ 
scheinlich  zusammenhängt,  wurde  versucht,  durch  Immun¬ 
körperzufuhr,  die  durch  Extraktfällung  erschöpften  Seren 
gewissermaßen  zu  ergänzen.  Dies  gelang,  wie  die  Proben 
5  und  10  zeigen,  nicht.  Daß  auch  hier,  wie  bei  der  Beein¬ 
flussung  der  Bakteriolyse  durch  Bakterienextrakte  (siehe 
Bail  und  Hoke,  im  Drucke)  ungemein  komplizierte  Ver¬ 
hältnisse  vorliegen,  ist  wohl  sicher.  Dies  näher  zu  ver¬ 
folgen,  war  nicht  mehr  der  Zweck  dieser  Mitteilung. 

Zur  Darstellung  der  Extrakte  wurde  Typhusstamm  „Dobean“ 
und  Cholera  „Pfeiffer“  verwendet. 

Prag,  im  März  1907. 

Literatur: 

*)  R.  Kraus,  Wien,  klin,  Wocbenschr.  1897,  Nr.  32.  —  “)  Bail 
und  Weil,  Zentralblatt  für  Bakteriologie  1906,  40.  Bd.,  Heft  3. 


Aus  der  I.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien 
(Vorstand:  Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg.) 

Ein  Fall  von  Abrißfraktur  eines  Dorn¬ 
fortsatzes. 

Von  Dr.  Otto  v.  Frisch,  Assistenten  der  Klinik. 

Wenn  auch  die  isolierten  Frakturen  der  Dornfort¬ 
sätze  in  der  Lehre  der  Knochenbrüche  eine  untergeordnete 
Rolle  spielen,  so  nötigen  sie  uns  doch  durch  ihre  Selten¬ 
heit  ein  gewisses  Interesse  ab.  Und  wenn  hiemit  ein  ein¬ 
zelner  solcher  Fall  beschrieben  wird,  so  ist  es  nicht  zum 
mindesten  die  Klarheit  und  Einfachheit  desselben,  welche 
mir  ihn  besonders  bemerkenswert  erscheinen  läßt. 

Im  Februar  laufenden  Jahres  kam  an  die  Klinik  ein 
ISjähriger,  hagerer  PatienU^)  mit  der  Angabe,  er  habe  sich  bei 
der  Arbeit  am  Rücken  verletzt  u.  zw.  hatte  er  in  dem  Augen¬ 
blick,  da  er  mit  einer  schwer  mit  Kohlen  beladenen  Schaufel 
eine  vehemente  Drehung  des  Körpers  machte,  um  die  Kohlen 
nach  links  rückAvärts  zu  werfen,  einen  stechenden  Schmerz  im 
Rücken  verspürt.  Er  konnte  darauf  wohl  nach  Hause  gehen, 
doch  verursachte  von  da  ab  jedes  grobe  Manipulieren  mit  den 
Armen,  Bücken,  Neigen  und  Drehen  des  Kopfes,  sowie  die  Rücken¬ 
lage  heftige  Schmerzen  zwischen  den  Schulterblättern.  Die  Unter¬ 
suchung  ergab,  daß  der  sonst  gesunde,  aber  mit  äußerst  grazilem 
Knochenbau  behaftete  Patient  bei  der  Betastung  des  Rückens 
einen  schmerzhaften  Druckpunkt  aufwies :  den  Dornfortsatz  dos 
ersten  Brustwirbels. 

Irgendeine  Rückgratverkrümmung  oder  abnorme  Haltung  der 
Schultern  war  nicht  zu  konstatieren,  desgleichen  fehlte  jedwede 
spontane  oder  Druckempfindlichkeit  an  einer  anderen  als  der 
genannten  Stelle.  Der  erAvähnte  Processus  spinosus  war  von  nor¬ 
maler  Haut  bedeckt,  anscheinend  an  richtiger  Stelle  vollkommen 
median  gelegen,  Avedor  eingesunken,  noch  hervorragend  aus  der 
Frontalebene  der  Dornfortsatzreihe. 

Bei  seitlichem,  kräftigeren  Fingerdruck  auf  denselben  ver¬ 
schob  er  sich  unter  deutlich  wahrnehmbarer  Krepitation,  um 
auf  Nachlassen  des  Druckes  mit  demselben  Geräusch  Avieder  an 
die  alte  Stelle  zu  rücken.  So  konnte  man  das  abgesprengfe  Stück 
nach  links  und  nach  rechts,  weniger  nach  oben  und  unten  ver¬ 
schieben.  Ließ  man  den  Patienten  den  Kopf  drehen,  so  ver¬ 
ursachte  dies  dieselben  Sclvmerzen  Avie  die  Verschiebung  des 
Fragmentes  durch  die  Hand  des  Arztes.  Ebenso  tat,  Avährend 
Pat.  ohne  weiteres  den  Rumpf  rückwärts  neigen  konnte,  das 
Beugen  nach  vorne  Aveh.  (Dieses  Phänomen  ist  zuerst  von  Hippo- 
krates  l)eobachtet  Avorden :  „.  .  .  .  Wenn  die  [derart]  Verwun¬ 
deten  sich  vorwärts  zu  beugen  versuchen,  so  werden  sie  von 
Schmerzen  ergriffen,  Aveil  die  Haut  sich  da  anspannt,  avo  die 
Verletzung  ist  und  die  Knochenfragmente  mehr  in  das  Fleisch 

*)  Vorgestern  in  der  Sitzung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien, 
vom  15.  Februar  1907, 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  3 19 


stechen. ‘‘  Zitiert  nach  Wagner  und  Stolper,  Deutsche 
Chirurgie.) 

Ein  angefertigtes  Röntgenbild  bestätigte  einwandfrei 
die  Annahme,“)  daß  es  sieb  hier  um  eine  Fraktur  der. Spitze 
des  Proc:  spin,  vertebr.  dors.  I.  handle.  Das  Fragment  hat 


sich,  wie  die  beigegebene  Skizze  zeigt,  um  ein  weniges 
nach  abwärts  verschnben,  hat  aber  anscheinend  keine 
Drehung  oder  seitliche  Verschiebung  erlitten. 

Was  nun  den  Mechanismus  der  Verletzung  anbe¬ 
langt,  so  scheint  es  sich  hier,  nachdem  ein  direktes  Trauma 
durch  Schlag  oder  Fall  auszuschließen  ist,  um  eine  reine 
Abrißfraktur  zu  handeln  und  es  kann  wohl  angenommen 
wmrden,  daß  hier  ein  allzugroßer,  einseitiger  Muskelzug, 
wahrscheinlich  des  Rhomboideus  major,  bei  dem  jungen, 
rasch  eniporgewachsenen  M^urne,  dessen  Knochensystem, 
wie  bereits  erwähnt,  auffallend  schwach  entwickelt  ist,  zum 
Bruch  des  Dornfortsatzes  geführt  hat.  Die  Dislokation  des 
Fragmentes  in  der  Aledianlinie  nach  abwärts  dürfte  durch 
den  symmetrischen  Zug  der  Musculi  rhomboidei,  welche 
nach  der  Margo  vertebralis  scap.  verlaufen,  zu  erklären 
sein;  die  mangelhafte  Verschieblichkeit  in  der  vertikalen 
Richtung  spricht  für  die  relative  Intaktheit  des  Ligamen¬ 
tum  apicum,  welches  die  Reihe  der  Dornfortsätze  mitein¬ 
ander  verbindet. 

So  häufig  .Frakturen  der  Domfortsätze  bei  schweren 
Verletzungen  (Fraktur  oder  Luxation)  der  Wirbelsäule  Vor¬ 
kommen,  so  selten  -werden  sie  als  isolierte  Rrüche  be¬ 
obachtet.  Nach  Wagner  und  Stolper  kommen  auf  125 
Wirbelfrakturen  zehn  isolierte  Brüche  des  Processus  spino- 
sus  u.  zw.  sind  damit  ausschließlich  solche  zu  verstehen, 
welche  durch  direkte  (meist  tangentiale)  Gewalteinwir¬ 
kungen  (Schlag,  Fall  mit  gekrümmtem  Rücken  oder  auf 
einen  vorspringenden  harten  Gegenstand)  zustande  kommen. 

Durch  indirekte  Gewalteinwirkung  ,wird  der  Bmch 
eines  Dornfortsatzes  nicht  selten  beobachtet  als  Begleit¬ 
erscheinung  der  Luxation  eines  Halswirbels.  Schuld  daran 
trägt  das  hier  sehr  derbe  und  widerstandsfähige  Ligamen¬ 
tum  apicum,  das  bei  Drehung  oder  seitlicher  Verschiebung 
des  Luxations  Wirbels  eher  die  Fraktur  des  Processus 
spinosus  verursacht,  bevor  es  selbst  zerreißt. 

Der  isolierte  Bruch  eines  Dornfortsatzes  durch  Muskel¬ 
zug,  wie  in  dem  eben  beschriebenen  Fall,  scheint  eine 
äußerst  seltene  Verletzung  zu  sein.  Es  gelang  mir,  nur 
zwei  einschlägige  Fälle  in  der  Literatur  zu  finden.  Be¬ 
treffs  des  Falles  Terrier^)  steht  mir  die  Originalarbeit 
leider  nicht  zur  Verfügung;  es  handelt  sich  um  eine  Ab¬ 
rißfraktur  eines  Brustwirbelfortsatzes  durch  Muskelzug.  Der 
andere  Fall  von  Schulte^)  betrifft  einen  vorher  gesunden 
Soldaten,  der  beim  Bockspringen  ungeschickt  absprang  und 
im  Moment,  als  er  auf  die  Füße  kam,  ohne  zu  fallen, 
einen  heftigen  Schmerz  in  der  Kreuzgegend  verspürte. 
Nach  einigen  Tagen  trat  Fieber  auf  und  es  entstand  in 
der  Gegend  des  dritten  Lendenwirbeldornfm’tsatzes  ein 
Abszeß.  Die  Inzision  entleerte  Eiter  und  ein  Knochen¬ 
fragment.  Die  Sektion  ergab  die  Bmclistelle  an  der  Wurzel 

2)  Pat.  wurde  von  Dr.  Herrn.  Beer  mit  der  Diagnose:  Bruch  des 
ersten  Brustwirbeldornfortsatzes  an  die  Klinik  geschickt. 

zit.  nach  Kirmisson:  Des  d^formitös  de  la  colonne  vertebrale 
ä  la  suite  de  fractures  meconnus.  Revue  d'orthop4die  1896. 

D  Schulte,  Isolierter  Bruch  des  Dornfortsatzes  des  dritten  Lenden¬ 
wirbels  durch  Muskelzug.  Militärärztliche  Zeitschrift  1902,  H.  9,  S.  481'. 


des  Processus  spinosus  des  dritten  Lendenwirbels  und 
Pehlen  des  Dornfortsatzes.  Schulte  nimmt  an,  daß  durch 
Muskclzug  (über  den  vermutlichen  Mechanismus  desselben 
äußert  sich  Verf.  nicht)  der  betreffende  Dornfortsatz  ab¬ 
gebrochen  sei  und  sich  hieran  eine  Osteomyelitis  (Strepto- 
iind  Staphylokokkus)  angeschlossen  habe,  die  zur  Absze¬ 
dierung  und  schließlich  zur  Pyämie  führte. 


Referate. 


Würzburger  Abliaiidluugeii  aus  dem  Gesamtgebiet  der  praktischen 
Medizin.  YI.  Baud,  8/9.  Heft. 

Ueber  Wesen  und  Ursachen  der  Geschwülste. 

Von  Prof.  Dr.  Max  Borst  in  Göltingen. 

Würzburg  1906,  Verlag  von  A.  Stüber. 

Der  Verfasser  gibt,  bevor  er  seine  Hypothese  über  die  Ent¬ 
stehung  der  Geschwülste  entwickelt,  eine  kurze  Darstetlnng  des 
Wesens  der  regenerativen,  hyperplastiscben  und  entzündlichen 
Wachstumsvorgänge,  denn  von  letzteren  vermitteln  die  infek¬ 
tiösen  Granulome  einen  gewissen  Uebergang  zu  den  wirklichen 
Geschwülsten.  Diese,  sowie  jene  besitzen  die  Eigenschaft,  zu 
metastasieren.  Die  Metastase  der  infektiösen  Granulome  kommt 
durch  Verschleppung  des  spezifischen  Erregers  zustande,  wel¬ 
cher,  einmal  angesiedelt,  an  entfernten  Körperstellen  dieselbe 
Gewebsreaktion  hervorruft,  wie  sie  im  primären  Herde  besteh I.. 
Bei  den  Geschwülsten  sind  es  die  Elemente  des  Tumors  selbst, 
welche  verschleppt  werden  und  infolge  ihrer  Autonomie  zu  neuen 
Geschwülsten,  zu  metastatischen  Tumoren  heranwachsen.  Diese 
Selbständigkeit  der  Geschwülste  äußert  sich  auch  darin,  daß  sie 
andere  Gewebe  verdrängen  und  zerstören  und  mit  ihr  hängt  auch 
die  ihnen  eigentümliche  Atypie  des  Wachstums  zusammen.  In 
dieser  erblickt  nun  Borst  ein  Zeichen  von  Minderwertigkeit  Und 
spricht  so  von  einem  degenerativen  Wachstum  der  Geschwülste, 
während  hei  der  Hypertrophie,  der  Regeneration,  der  einfachen 
und  der  entzündlichen  Hyperplasie  und  den  infektiösen  Neu¬ 
bildungen  das  Wachstum  aus  dem  ursprünglichen  Gewebe  einen 
zweckmäßigen  Vorgang  darstellt,  durch  welchen  der  Organismus 
die  eingedmngene  Schädlichkeit  zii  eliminieren  trachtet.  Mehr 
Berührungspunkte  finden  sich  zAvischen  Geschwülsten  und  Äliß- 
hildungen,  so  daß  durch  genaue  Erforschung  der  Alorpho-  und 
Biologie  der  Tümorzellen  Fortschritte  für  die  Erkenntnis  der 
Aetiologie  der  Geschwülste  zu  erwarten  stehen.  Nachdem  Ver¬ 
fasser  die  parasitäre  Theorie  der  Geschwnlstätiologie  zu  wider¬ 
legen  sucht,  geht  er  an  die  Begründung  seiner  Hypothese,  nach 
welcher  die  Anlage  aller  Geschwülste  auf  einer  pathologischen 
Variation  des  Idioplasmas  der  betreffenden  Zellen  beruht.  Sie  ist 
angehore:!,  mitunter  ererbt  und,  wie  Borst  selbst  sagt,  mit  allen 
bisher  bekannten  Tatsachen  der  Geschwulsliehre  in  Einklang  zu 
bringen,  ohne  jedoch  über  die  Aetiologie  viel  mehr  Aufschluß 
zu  geben,  denn  die  Ursache  dieser  angenommenen  pathologischen 

Variation  ist  noch  völlig  dunkel. 

* 

Jahresbericht  über  die  Ergebnisse  der  Immunitäts¬ 
forschung. 

Unter  Mitwirkung  von  Fachgenossen  herausgegeben  von  Dr.  M'olfgaiig’ 
Weicliardt,  Privatdozenten  an  der  Universität  Erlangen. 

1.  Band:  Bericht  über  (las  Jahr  1905. 

Stuttgart  1906,  Verlag  von  Ferdinand  Enke. 

Bei  der  großen  Ausdehnung  und  der  allgemein  medizini¬ 
schen  Bedeutung,  welche  die  Immnnitätslehrc  erlangt  hat,  wird 
der  vorliegende  erste  Band  eines  Jahresberichtes  des  so  wich¬ 
tigen  Forschungsgehietes  in  allen  ärztlichen  Kreisen  willkommen 
begrüßt  werden  mit  dem  MTinsche,  daß  die  denselben  ergänzen¬ 
den  weiteren  Bände  in  gleich  vollkommener  Weise  möglichst 
nach  Abschluß  der  Berichtsperiode  erscheinen  mögen.  Für  die 
sorgfältigste  Redigierung  des  W'^erkes  bürgt  der  Name  des'  Her¬ 
ausgebers,  der  in  seinem  Bestreben  auch  auf  die  Mitwirkung 
von  Fachgenossen  angewiesen  ist,  die  durch  möglichst  zahlreiche 
Beteiligung  in  Beistellung  von  Antoreferaten  W'^eichardt,  wie 
er  es  selbst  für  das  Gedeihen  seines  Werkes  wünscht,  unter¬ 
stützen  sollen.  In  den  Jahresbericht  über  Iminunitdtsforsclmng 
sind  weder  Arbeiten  rein  bakteriologischen  InhaUes,  noch  solche. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


buü 

die  in  das  Gebiel  der  Protozoenkunde  gehören,  anfgenomnien 
worden.  Auch  die  Karzinom-  und  die  Syi^hilisliteratur  sind  nicht 
einhezogen.  Bei  der  modernen  Forschungsrichhmg  wird  es  sich 
aber  vielleicht  bald  empfehlen,  auch  die  Luesabhandlungen,  so¬ 
weit  sie  in  das  Gebiet  einschlagen,  aufzunehmen.  Der  mit  1905 
beginnende  Jahresbericht  fällt  in  eine  Zeit,  der  eine  Reihe  grund¬ 
legender  Arbeiten  auf  dein  Gebiete  der  Immunitätslehre  voran¬ 
gegangen  sind ;  dieselben  sind  in  einer  Anzahl  Monographien 
aus  der  Feder  hervorragender  Forscher  in  ihrem  Zusammenhang 
dargestellt.,  so  daß  dem  Herausgeber  nur  die  Aufgabe  zufällt, 
auf  dieselben  hinzuweisen,  was  auch  W  ei  char  dt  in  der  Ein¬ 
leitung  tut,  die  in  Kürze  den  Stand  der  Immunitätslehre  vor  dem 
Berichtsjahre  skizziert.  Ebenso  ZAveckmäßig  erscheint  der  am 
Schlüsse  des  Bandes  gegebene  Ueberhlick  über  die  in  der  Be¬ 
richtsperiode  gemachten  Fortschritte,  von  denen  die  Bewährung 
der  Ehrl  ich  sehen  Theorie,  die  Erforschung  der  Aggressine  und 
die  Differenzierung  der  Typhus-  und  der  Paratyp hushazil len 
mittels  der  Agglutination  hervorgehoben  werden  sollen.  Die  F’u- 
blikationeu  sind  in  alphabetischer  Reihenfolge  nach  den  Autoren- 
namen  ziisammengestellt  und  einzeln  in  knapper,  aber  möglichst 
erschöpfender  Weise  referiert.  Sehr  zweckmäßig  erscheint  auch 
die  namentliche  Anführung  des  Institutes,  aus  welchen  die  ein¬ 
zelnen  Arbeiten  hervorgegangen  sind,  sowie  die  iVngabe  der 
Seitenzahl,  unter  welcher  die  Originalpublikationen  im  ent¬ 
sprechenden  Archiv  nachzuschlagen  sind.  Die  Ordnung  des  be¬ 
sprochenen  Stoffes  nach  Materie  besorgt  ein  sehr  kompendiöses 
Sachregister  am  Schlüsse. des  Bandes. 

Es  ist  wohl  keine  Frage,  daß  Weichardt  mit  der  Be¬ 
gründung  dieses  Jahresberichtes  eine  schon  lange  empfundene 
Lücke  auszufüllen  im  Begriffe  ist  und  gerade  deshalb  sollen  alle 
Fachgenossen  ihrr  in  seinen  Bestreburrgerr  tatkräftigst  unter- 
stützerr  und  ihm  die  Arireit,  welche  für  die  gesamte  medizinische 
und  biologische  Wissenschaft  vorr  rricht  zu  unterschätzender  Be¬ 
den  turrg  ist,  rrach  Möglichkeit  erieichterrr. 

* 

Erkältung  und  Erkältungskrankheiten. 

Von  Dr.  Karl  Cliodouiisky,  k.  k.  o.  Professor  der  böhmischen  med. 

Fakultät  in  Prag. 

Wien  1907,  Verlag  von  Josef  Safaf. 

Chodourrsky,  einst  ein  Anhänger  der  Lehre,  daß  Er- 
källung  für  das Zrrshmdekonrmen  gewisser  Erkrankungen,  die  urrter 
dem  Namen  der  Erkällungskrankheiterr  zusanrmengefaßt  Averden, 
eine  Avesceitliche  Rolle  spielt,  sah  sich  arrf  Grund  von  Beoh- 
achtuirgen  an  seinem  eigerren  Köirirer  veranlaßt,  seine  ursprüng¬ 
liche  Anschauung,  rrrit  welcher  er  mit  der  weitaus  überwiegenden 
Zahl  von  Gcdehrten  durch  viele  Jahre  im  Einklänge  Avar,  zu 
verlassen  und  in  das  Lager  der  nur  spärlichen  Gegner  der  Er- 
kä](ungstheoi'i(‘  übm'zutrelen.  i\Iit  seltenem  Eifer  tritl  er  für  seine 
jReinung  ein  und  scheut  nicht  vor  Experimenten  am  eigenen 
Leihe  zurück,  Avelche  darfun  sollen,  daß  Erkältungen  ein  unter¬ 
stützendes  Moment  für  das  Zuslandekommen  gcAvisser  Infek- 
liomm  ahgeben  können.  Eine  Reihe  solcher  SelbstversTiche  hatte 
Verf.  schon  vor  sechs  Jahren,  seihst  57  Jahn;  alt,  unternommen 
nnd  ])uhliziert,  doch  blieben  sie  ni(dit  ohne  Widerspnadi,  Avenn 
auch  niemand  den  hei'oischen  Enisedduß  bisher  gefaßt  liat,  Gho- 
dounskys  VersAichsanordnung  an  sich  sedbst  nachzuprüfen.  Fm 
den  genuudden  Eiinvänden  zu  begegnen,  entseddoß  sich  der  nun¬ 
mehr  ß.ßjährige  Vei’fasser,  eine  neue  Seih'  von  Selbstversuchen 
zu  vc'röffentlichen,  Avelclu'  (‘r  in  den  Monah'U  Februar  und  Mürz 
des  verflossenen  Jahn's  vorgenoinmen  hal.  Man  hrauchl  Avahr- 
li<di  nicht  ein  eingc'fleisidifei'  Anhänger  d(‘r  Erkällnngstlieorie  zu 
sein,  um  bei  dm'  1  )u r(disi(dit  d(‘r  Protokolle  niidit  zu  (‘rsclnau'rn, 
AA’elchen  zufolge  der  in  (‘inem  sidion  voi'gerüidvten  .\lt(‘r  befind¬ 
liche  und  überdies  mit  ('in(;ni  (dironischeii  Bronchialkatarrh  he- 
hafh'te  Gelehrte  luudi  (dnem  Baih^  von  -11"  siidi  dur(h  nalu'zu 
eiiK'  Stiiiule  einem  starkmi  Luftzugi;  von  ()-5^  aiissf'lzt.  Mag  die 
IniH'i'vation  der  llautgefäße  (*ine  noidi  so  prom|)te  si'in,  die  Voi'- 
stellung,  daß  solche  Vi'isiudie,  die  CHiodounsky  selbst  ein 
Mai'tyiium  nennt,  unlc'riioinnu'U  Avorden  sind,  wiih  immer  das 
Gid’ühl  des  kalt  ühei’  den  Rücken  Laufens  hei  vorrufen.  Di('S(‘  Auto- 
experinu'iiti'  also,  w(d(die  der  Clou  vorlii'm'iider  .\bhandluno-  sind  i 
w<‘rden  Staunen  (‘laegc'ii;  ob  sie  aber  als  Bcwidsi'  für  die  Nicdil  j 
('xistenz  von  l’rkältnncskiunkhoiten  goAvürdigt  wei-den,  muß  dahin-  I 


gestellt  bleiben.  Was  nun  die  Tierexperimente  anlangt,  Avehdie 
zeigen  sollen,  daß  abgekühlte  und  normale  Tiere  in  gleicher 
Weise  auf  künstliche  Infektionen  reagieren  und  daß  ein  abge- 
schAvächter  Mikroorganismus  im  abgekühlten  Tiere  an  Virulenz 
nicht  zuniraiiit,  so  erscheinen  nicht  alle  eiiiAvandsfrei :  z'.  B.  die 
Versuche  mit  dem  Bacillus  pneumoniae  Fri  ed  1  ände  r  an  Hunden; 
aus  den  Protokollen  ist  nämlich  nicht  ersichtlich,  daß  mit  einem 
Stamme  gearbeitet  Avurde,  der  beim  Hunde  eine  letale  Infektion 
verursacht.  In  den  übrigen,  den  eigenen  Versuchen  vorausge¬ 
schickten  Kapiteln  bespricht  der  Verfasser  recht  eingehend  die 
Literatur  und  die  Forschungsergehnisse  über  Erkältung  und  Er¬ 
kältungskrankheiten  und  bringt  auch  ganz  interessante  statistische 
Zusammenstellungen  über  die  geographische  Verteilung  der  Er¬ 
kältungskrankheiten. 

* 

Einführung  in  das  Studium  der  Malariakrankheiten  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Technik. 

Von  Dr.  Reiuhold  Rüge,  Marine-Generaloberarzt  und  Professor  an  der 

Universität  Kiel. 

Zweite,  gänzlich  umgearbeitete  Auflage. 

Jena  1906,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

In  der  neuen  Auflage  seines  gediegenen  Werkes  gibl  Rüge, 
seihst  ein  genauer  Kenner  und  verdienter  Forscher  um  die  Aetio- 
log^ic  und  die  Pathogenese  der  Malaria,  ein  unserem  dermaligeri, 
umfassenden  Massen  über  das  AVesen  dieser  Krankheit  ent¬ 
sprechendes,  abgeschlossenes  Bild.  Demgemäß  muß  man  rück¬ 
haltlos  dem  Autor  die  gebührende  Anerkennung  zollen,  daß  er 
uns  in  seiner  neuen  Auflage  mit  den  jüngsten  Fortschritten  auf 
dem  einschlägigen  Gebiete  bekannt  macht,  aus  Avelcher  nicht 
nur  Aerzte,  sondern  auch  Fachleute  reichlich  WissensAvertes 
schöpfen  können.  Das  in  jeder  Flinsicht,  soAVohl  Avas  Inhalt, 
als  auch  Darstellung  anbelangt,  gleich  \mllkommene  Werk  zer¬ 
fällt  in  ZAVÖlf  Kapitel,  deren  erstes  einen  Ueberhlick  über  die 
Geschichte  und  die  geographische  Verbreitung  der  Malaria  gibt. 
Hierauf  AAurd  sehr  eingehend  die  Entwicklung  der  Malariaparasiten 
in-  und  außerhalb  des  menschlichen  Köiirers  geschildert,  Avorauf 
die  Anophelinen  vom  Standpunkte  des  Zoologen  beschrieben 
Averden,  Avobei  ganz  besonders  auf  die  Unterscheidung  derselben 
von  den  Kulizinen  Rücksicht  genommen  ist.  Nach  Erörterung 
dieser  Tatsachen  geht  Verf.  auf  die  Epidemiologie  der  Malaria 
über,  Avie  sie  sich  nunmehr  auf  Grund  der  Moskitolehre  ergibt, 
nicht  ohne  die  früher  herrschenden  Ansichten,  denen  ja  ein  nicht 
unbedeutendes  geschichtliches  Interesse  zukommt,'  zu  eiwälmen. 
Eigene  Kapitel  hehandeln  dann  die  Symptomatologie,  die  imtho- 
logische  Anatomie,  die  Pathogenese,  die  Diagnose,  Prognose  nnd 
Therapie  der  Alalaria,  Avorauf  die  Besprechung  der  Prophylaxe 
folgt,  Avelche  nunmehr  in  den  Vordergrund  des  Interesses  gerückt 
erscheint.  Zum  Schlüsse  macht  uns  Rüge  mit  der  Technik  der 
Untersuchung  vertraut,  Avie  sie  zum  NacliAveise  der  Parasiten 
im  Blute  und  in  den  Stechmücken  erfolgreich  geübt  Avird.  Die 
schönen  Ausführungen  des  Vei'fassers  werden  noch  durch  eine 
Reihe  Amn  Abbildungen  erläutert,  die  in  gleich  ausgezeichneter 
M^eise  auf  acht  Tafeln  und  auch  im  Text  untergeb  rächt  sind. 
Besonders  eiwähnt  müssen  die  beiden  farbigen  Tafeln  Averden, 
in  denen  die  Parasiten  im  menschlichen  Blute  und  in  Organen 
wiedergegeben  .sind,  da  dieselben  in  ihrer  naturgetreuen  Dar¬ 
stellung  als  Ersatz  für  'mikroskopische  Präjiarate  bei  episkopi- 
scher  Projekt ion  sich  empfehlen. 

Das  82  Seiten  umfassende  Literaturverzeichnis  gibt  Avohl 
nur  annähernd  einen  Begriff  vmii  der  enormen  Arbeit,  Avelche  das 
Mmrk  in  sich  birgt,  das  Rüge  bescheiden  nur  eine  Einführung 
in  da:s  Studium  der  Malaria  nennt  und  das  geAviß  berechtigt 
ist,  in  d('n  Avi'itesten  ärzlliidien  Kreisen  Eingang  zu  finden. 

♦ 

Lehrbuch  der  allgemeinen  Pathologie  und  allgemeinen 
pathologischen  Anatomie. 

Von  Dr.  Richard  Oestreicli,  Privatdozent  an  der  Universität  und 
Prosektor  des  Königin-Augusta-Hospitals  zu  Berlin. 

Mit  44  Textabbildungen  und  11  Tafeln  in  Farbendruck. 

Leipzig  1906,  Verlag  von  Georg  Thieme. 

Das  vorliegenih'  Buch  gibt  den  Inhalt  dei'  Vorlesungen 
Oestri'ichs  wieder.  Die  Anoi’diiung  d(‘s  behamh'lfmi  Sloffc's 
ist  ziemlich  die  gleiche,  wie  in  anderen  Bü(di(‘rn,  wehdu;  dassclhe 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


351 


Thema  Ix'luiiuleln.  Es  w'crden  ziinächsl  die  eiiizeliieii  kraukhai'leii 
Zustätuh'  und  Verändei'Liiig'eii,  begiimeiul  mit  den  Slömngen  d(>s 
Kreislaufes  und  der  Ernäliruug;  dann  die  Entzündung,  die  Ge- 
s(dnvülsle,  die  Krankheitserreger  aus  dem  Tier-  und  Pflanzen- 
rei(di  und  endlieh  die  Mihljildungen  besprochen,  worauf  der  all- 
genu'iiie  Teil  folgt.  Was  den  Inhalt  seihst  betrifft;  so  wurde  ver¬ 
sucht,  ihn  bei  der  Fülle  des  zu  l)ehandelnden  Malerials  dem 
lledürfnissen  des  Anfängers  anzupassen.  Uni  aber  auch 
Studenten  die  für_  sie  notwendigen  Vorstellungen  beizu- 
hj’ingen,  wäre  es  wohl  angezeigt  geivesen,  wenn  der 
V('rfasser  sich  einer  präziseren  Diktion  befleißt  und  bei  der 
Durchsicht  des  iVIannskriptes,  welches  die  gesprocheneti  AVorte 
des  Lehrers  feslhält,  die  unuingänglich  notwendigen  Korrekturen 
vorgenoniinen  hätte.  Vor  allem  erscheint  es  dringend  gebolen, 
die  Definition  festslehender  Begriffe  möglichst  präzis  zu  geben 
und  sie  nicht,  wie  es  Oestreich  leider  vielfach  tut,  durch 
bloße  Uebersetzungen  des  gebräuchlichen  lateinisclien  Namens 
oder  durch  ganz  nutzlose  Tautologien  zu  ersetzen.  Diesen  berech¬ 
tigten  Anforderungen  zu  genügen,  wäre  bei  einiger  Sorgfalt  leicht 
g('wesen ;  schwieriger  allerdings  wird  es,  ans  dem  großen  For- 
schnngsmateriale  die  richtige  und  zweckmäßige  Auswahl  zu  treffen, 
damit  der  Student  einerseits  nicht  mit  unnötigen  veralteten  An¬ 
schauungen  lind  Theorien  belastet  werde,'  anderseits  ihm  aber  auch 
jene  neueren  Forschungsergebnisse  nicht  unbekannt  bleiben,  deren 
er  in  seinem  künftigen  Berufe  bedarf.  Um  mir  einige  Alängel 
in  dieser  Hinsicht  anzuführen,  sei  erwähnt,  daßi  die  Ehrlichsche 
Seitenketten  theorie  nach  der  Darstellung  des  Autors  vom  Anfänger 
wohl  unverstanden  bleiben  wird;  bei  der  Besprechung  der  paren¬ 
chymatösen  Degeneration  müssen  notwendig  die  jüngsten  IJnter- 
snehungen  berücksichtigt  wei’den,  welche  ja  ein  ganz  neues  Licht 
in  das  Wesen  der  dabei  sich  darbietenden  Veränderungen  werfen. 

Die  voni  Autor  gegebene  Puklärung  des  Ikterus 
neonatoi'um  ivird  dem  künftigen  Arzte  gewiß  keinen  be¬ 
sonderen  Nutzen  bringen.  Derlei  Beispiele  nicht  zweck¬ 
entsprechender  Auslese  des  Stoffes  ließen  sich  viele  geben,  die 
zusammen  das  Werk  als  ein  wenig  gelungenes  bezeichnen  lassen. 
AVenn  also  schon  die  Ausführungen  des  Verfassers  nicht  den  An¬ 
sprüchen  genügen  können,  so  hätten  doch  wenigstens  die  bei¬ 
gegebenen  Abbildungen,  von  denen  einzelne  sogar  in  Farbendruck 
ausgeführt  ivurden,  günstigen  Stellen  von  Präparaten  ('nlnonimen 
werden  sollen,  damit  sie  wenigstens  zum  Teil  das  ersetzen,  was 
im  Texte  vermißt  wird.  Doch  auch  hier  läßt  Oestreich  die 
nötige  Sorgfalt  vermissen,  so  daß  einzelne  Bilder,  z.  B.  4,  26, 
27,  31,  statt  zu  belehren,  nur  geeignet  sind,  falsche  Vorstellungen 
zu  erwecken. 

★ 

Die  hämatopoetischen  Organe  in  ihren  Beziehungen  zur 

Pathologie  des  Blutes. 

Von  Dr.  Konrad  Ilelly,  Prosektursadjunkt  im  k.  k.  Franz-Joseph-Spitale 

in  Wien. 

Mit  1  Abbildung  und  1  Tafel  in  Farbendruck. 

Wien  1906,  Verlag  von  Alfred  Holder. 

Die  in  Vorbereitung  stidiende  Neuauflage  des  müstergültigfm 
AVerkes  von  E  h  r  1  i  c  h  und  L  a  z  a  r  u  s  :  Die  Anämie  in  N  o  I  h- 
nagels  siiezieller  Pathologie  und  Tlierapie  erfährt  durch  die 
vorliegende  Arbeit  Hellys  eim^  willkommene,  dem  dermaligen 
Stande  unsi'res  Wissens  vollkommen  entsprechende  Ergänzung. 
Denn  ivenn  auch  die  Stellung  der  Lymiihdrüsen  und  der  Milz 
hinsi(dilli(di  ihrer  Bedeutung  als  blutlvildenile  Oi-gane  sowohl  rmler 
normahm,  als  auch  unler  pathologischen  AVuhällnissen  in  Zu- 
samnumhang  monographisch  behandelt  winden,  so  fehlt  iloch 
bisher  eine  übersicldliche  Darslidlung  unsenu'  Kenntnisse  über 
das  Knochenmark.  Schon  in  dieser  Hinsicht,  noch  mehr  aber 
in  Verbindung  -mit  (h'r  Besprechung  des  gesamten  Forschungs- 
malmaales  auf  dem  Gebiete  dei'  normalen  und  iiathologischen 
Anatomie,  sowie  der  Histologie  (hu-  Lymphdrüsen  und  der  Alilz 
und  im  Anschlüsse  an  di(‘  aus  der  bewährten  Feder  von  Ehr¬ 
lich  und  Lazarus  stammende  Darstellung  der  Veränderungmi 
des  Blutes  füllt  die  vorlii'gemh',  sowohl  inhaltliidi  als  auch  in 
der  .\rt  d(>r  Wiedmgabe  ghdidi  ausgezeichnete  Abhandlung  (dne 
sidioii  lange  imipfuiidene  Eücki'  in  di‘r  Tateralur  aus.  Hiidiei 
koimmm  Hel  ly  seine  speziellen  Kenntnisse  in  dimi  einschlägi'um 


Wissensgebiete  ganz  besonders  zustatten,  die  er  sich  im  Verlaufe 
jahrelanger,  eingehender  Studien  erworben  hat. 

Die  Fiideilung  des  Stoffes  ist  insoterne  sehr  zweckmäßig 
vorgenommen,  als  zunächst  die  Veihältidsse  dargestellt  werden, 
wie  sie  die  Lymphdrüsen  und  die  Alilz  de  norma  bieten,  worauf 
erst  die  Amränderungen  dieser  Organe  besprochen  wenleu,  wie 
sie  die  pafhologisclu-  Forschung  festgestellt  und  dem  Verständ¬ 
nisse  näher  gerückt  hat.  Afit  Rücksicht  darauf,  daß  schon  aus¬ 
führliche  Bearbidtungen  des  normalen  Baues  und  der  Funktion 
dii'ser  Organe,'  sowie  ihrer  A'eränderungen  im  AVu'laufe  v.on  Krank¬ 
heiten  vorlii'gen,  ist  der  größere  Teil  des  AVerkes  der  Besprechung 
des  Knochenmarkes  geividmet,  wehdie  mit  einem  historischen 
Ueberlilick  unserer  Kenntnisse  beginnt.  Nachdem  dann  Verf.  Uns 
mit  der  Untersuchungskenntnis  vertraut  gemacht  hat,  geht  er 
zur  Schilderung  der  normalen  Anatomie  untl  Physiologie  (h^s 
Knochenmarkes  über.  Sehr  wertvoll  erscheint  das  Kapitel,  in 
welchem  die  bisherige,  keineswegs  einheitliche  Nomenklatur  einer 
Kritik  unterzogen  wird  und  welches  hoffentlich  geeignet  ist,  di(‘ 
zur  Verständigung  notwendige  Klarheit  der  Ausdrucksweise  fest¬ 
zulegen.  Die  krankhaften  Läsionen  des  Knochenmarkes  werden 
in  eigenen  Ka[dl(‘ln  vom  Standpunkte  des  allgemeinen  und  spezi¬ 
ellen,  sowie  von  dem  des  Expeiämentalpathologen  eingehend  be¬ 
leuchtet.  Auf  Einzelheiten  näher  einzugehen,  ist  Ref.  bei  dem 
einer  Bespi'echung  ziigeAviesenen  Raume  nicht  gestattet  und  muß 
auf  das  Originalwerk  verwiesen  iverden.,  welches  bei  der  Fülle 
der  gesammelten  Beobachtungen  jedem  Fachmanne  ein  willkom¬ 
menes  Nachschlagewerk  sein  wird  und  dem  Arzte  reiche  Be- 
lehning  zu  bringen  bestimmt  ist.  Die  klaren  und  übersicbtlichen 
.Ausführungen  des  Autors  werden  noch  durch  eine  tadellos  aus¬ 
geführte  Tafel  in  Farbendruck  ergänzt;  welche  normales,  myelo- 
leukämisches  und  nwelosarkomatöses  Alark  iviedergibt.  Endlich 
muß  noch  des  39  Seiten  umfassenden  Literaturverzeichnisses  ge¬ 
dacht  werden,  in  welchem  sämtliche  Publikationen  über  Knochen- 
inark  und  außerdem  eine  Reihe  ivichtiger  Arbeiten  über  Alilz 
und  Lymphdrüsen  genannt  simi,  Avelche  im  AVu’eine  mit  den 
anderen  bereits  erschienenen  zusammenfassenden  Arbeiten  eine 
Uebersicht  der  gesamten  Literatur  des  hämatopoetischen  Systemes 
geben.  ,  ^ 

* 

Archives  de  l’institut  royal  de  bacteriologie  Camara 

Pestana. 

Tome  I,  Fascicule  I. 

Li 8 b  0 n  n  e  1906. 

Alit  dem  vorliegenden  Hefte  eröffnet  das  Lissaboner  liakterio- 
logische  Institut,  Avelches  bisher  in  verschiedenen  Zeitschriften 
publizierte,  ein  eigenes  Archiv  in  französischer  Sprache,  Avelclu's 
dazu  bestimmt  ist,  alle  Institutsarbeiten  aufzunehmen.  Die  im 
ersten  Hefte  enthaltenen  zAvölf  Publikationen  sind  zum  Teil  schon 
in  anderen  Zeitschriften  veröffentlicht,  bringen  aber  immerhin 
beachtenswerte  Resultate  ernster  Forschung',  Aveshalb  über  sie 
im  folgenden  mit  dem  Himveise  auf  die  entsprechenden  an  an¬ 
derer  Stelle  erschienenen  Artikel  referiert  Averden  soll.  In  fünf 
.Aufsätzen  Averden  die  Ergebnisse  Amrschiedener  Untersuchungen 
über  Trypanosomen  mitgeteilt,  mit  deren  Ei'forschung  sich  nament¬ 
lich  Franca  am  Institute  beschäftigt.  Gemeinsam  mit  Betten¬ 
court  beschreibt  er  ein  Trypanosoma  des  Dachses',  das  die 
beiden  Forscher  zum  Andenken  an  den  früheren  Institutsvorstand 
Trypanosoma  Pestanaia  nennen.  Die  gleichen  Autoren  suchten 
auch  die  Häufigkeit  des  Trypanosoma  cuniculi  in  Portugal  fest¬ 
zustellen,  das  sie  unter  elf  daraufhin  untersuchlen  Tiei'en  dreimal 
fanden.  Letztere  .Vrbedt:  Bettencourt  und  Fran(;'.a:  Note 
sur  1  ’  e  X  i  s  t  a  11  c  (;  du  Trypanosoma  cuniculi  <>  n  Por¬ 
tugal,  ist  im  Original  ersidiimien,  Avährend  über  die  in  der 
Piiblikalion  ;  1!  e  tt(' n  c  o  u  r  t  und  Franca:  Sur  un  Try])auo- 
some  du  Blairi'aii  (Atel  es  I  a  x  ii  s  Sehr.)  veröffentlichten 
Idilei'snchungeii  bereits  in  der  Soc.  biol.  (('.  r.  LIK.,  1905)  und 
aueb  in  porl iigiesiscber  Spraclu'  in  I ’olyU'chnia  1.  1905,  heriebUd 
wurde.  Franca  und  Athias:  Reclu'rches  sur  les  Try- 
lianosomes  des  Am  p  h  i  bi  (' n  s,  bringen  auf  Grund  eigener 
ITitei‘su(dmngen  und  eingebender  BerüidAsichtigung  der  einschlä¬ 
gigen  Lileralur  eine  dankenswerle  Zusammenstellung  der  bisher 
in  Amphibimi  beschriidameii  Blutparasilen  und  siidtlmi  dii*  gerade 
auf  diesem  Gehiide  mannigfache  und  zu  AÜelfacberi  Irrtümeru 


3o2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


führende  Nomenklatur  in  der  Art,  daß',  wie  sie  überzeugend 
dartun,  im  ganzen  nur  drei  Trypanosomenspezies  bei  den  Am¬ 
phibien  konstatiert  wurden,  welche  die  beiden  Autoren  noch  durch, 
zwei  neue,  Trypanosoma  undulans  und  elegans,  ergänzen.  Uehcr 
wenig  erfolgreiche  Behandlung  künstlicher  Infektionen  mit  Try¬ 
panosoma  gamhiense  berichtet  A.  de  Magelhaes:  Sur  le  trai- 
tement  des  rats  infectes  par  le  Trypanosoma  gam¬ 
hiense  au  m 0 y e n  de  1  ’ a c i d e  a r s e n i e u x  et  du  T r y p a n- 
rot.  Wie  Franca  und  Athia's  sich  das  Verdienst  erworben 
haben,  die  Trypanosomen  der  Amphibien  wissenschaftlich 
und  übersichtlich  geordnet  zu  haben,  so  zeigen  auch 
Bettencourt  und  Franca:  Sur  u  n  Trypanosome 
de  la  chauve-souris,  daß  hei  den  verschiedenen 
Fledermausarten  der  verschiedensten  Gegenden  eine  natür¬ 
liche  Trypanosomeninfektion  beobachtet  wird,  deren  Erreger 
allein  das  bisher  unter  verschiedenen  Namen  beschriebene  Try- 
panosoima  vespertilionis,  Battaglia,  ist  (siehe  auch  C.  B.  Soc. 
hiolog.  LIX.,  1905).  lieber  sehr  interessante  Versuche  von  Lyssa¬ 
infektion  hei  verschiedenen  Spezies  und  Variationen  des  Genus 
Mus,  Murinus,  Microtus  und  Arvicola  berichtet  C.  Franca; 
Becherches  sur  la  rage  dans  la  serie  animale.  Der 
je  nach  Spezies  und  Variation  ungleiche  Verlauf  der  Infektion 
wird  ebenso  genau  beschrieben  wie  die'  histologischen  Befunde 
des  Zentralnervensystems  und  der  Ganglien,  während  eine  Anzahl 
gelungener  photographischer  Reproduktionen  die  charakteristischen 
Stellungen  der  Tiere  ini  paralytischen  Stadium  der  Erkrankung 
veranschaulicht.  Als  vorläufige  Mitteilung  bringt  C.  FraiiQa: 
Sur  les  infiltrations  perivasculaires  de  la  rage,  den 
Nachweis  eines  ausschließlich  plasmazellulären,  perivaskulären 
Infiltrates  bei  Lyssa  des  Stachelschweines.  Einen  Bericht  aus 
den  portugiesischen  Lyssainstituten  veröffentlicht  M.  Athias: 
Le  traitement  antirabique  ä  l’institut  royal  de  bac- 
teriologie  Camara  Pestana  en  1905.  Nach  Ausscheidung 
zweier  Todesfälle  in  den  ersten  15  Tagen  der  Behandlung  beträgt 
die  Mortalität  für  Lissabon  0-077°/o,'  während  das  antirabische 
Institut  in  Porto  0®/o  Sterblichkeit  aufweist.  Allerdings  mußdiervor- 
gehoben  werden,  daß  nur  für  20-32  %  der  behandelten  Fälle 
der  sichere  Nachweis  erbracht  ist,  daß  die  Verletzung  von  einem 
lyssakranken  Tiere  stamUite. 

Bettencourt  und  Franga:  Sur  la  meningite  cere- 
b r o s p i n a  1  e  e p i d e m i q u e  et  son  agent  s p e c i f i q u e,  konnten 
während  einer  Meningitisepidemie  in  Portugal  in  271  Fällen 
den  Micrococcus  intracellularis  menigitidis  Weichselbaum 
nachweisen;  nur  in  drei  Fällen  klinischer  Meningitis  fehlte  er, 
doch  ließen  sich  aus  dem  meningealen  Eiter  Streptokokken, 
Staphylokokken  und  Diplokokken  züchten,  niemals  aber  der 
Jaeger-Heubnersche  Kokkus.  (Die  mit  den  aus  den  ver¬ 
schiedenen  Krankheitsfällen  gezüchteten  Stämmen  gemachten 
Untersuchungen  bestätigen  die  seinerzeit  von  Alb  ree  lit  und 
Ghon  erhobenen  Befunde,  so  daß  sichere,  wesentliche 
Unterschiede  gegenüber  dem  Jaeger  sehen  Mikroorganismus  be¬ 
stehen.  Was  die  Versuche  Jaegers  anlangt,  nach  welchen  das 
Serum  eines  mit  Rleningokokken  immunisierten  Kaninchens  auch 
den  Jaeger  sehen  Mikrokokkus  agglutiniert,  so  können  Verf.  auf 
Grund  ihrer  Untersuchungen  zeigen,  daß  normales  Kaninchen¬ 
serum  an  sich  den  Jaeger  sehen  Kokkus  zu  agglutinieren  ver¬ 
mag,  wonach  die  einschlägigen  Befunde  Jaegers  als  irrtümlich 
sich  heraussteilen.  Diese  sehr  ausführliche  und  eingehende  Arbeit, 
welcher  zweckentsprechende  wissenschaftliche  Verwertung  eines 
reichen  Materials  zugrunde  liegt,  berücksichtigt  in  kritischer 
und  fachgemäßer  Weise  die  vorliegende  Literatur  und  ist  in 
deutscher  Sprache  in  der  Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektions¬ 
krankheiten  1904,  Nr.  46,  veröffentlicht.  Aus  seiner  I.  D.  Lissa¬ 
bon  1900  entnimmt  A.  F.  Rocha:  De  1’ action  de  quelques 
agents  c h i m i q u e s  et  physiques  sur  1  e  b a c i  1 1  e  de  1  a 
peste,  die  Versuche  über  die  Widerstandsfähigkeit  der  Pest¬ 
bazillen  gegenüber  Lösungen  von  Karbolsäure,  Lysol,  Trikresolen, 
Forniol,  Kreolinen,  Sublimat  und  Acid,  sulfurosum,  ferner  gegen¬ 
über  Hitze  und  Wasser  von  verschiedenen  Temperaturen.  Eben¬ 
falls  aus  seiner  I.  D.  Lissabon  1903  stammt  der  Aufsatz  von 
C.  de  Lima:  Sur  la  form  ule  hemoleucocy  tair  e  de  la 
Lepre,  nach  welchen  auf  Gmnd  der  Blutuntersuchung  in 
25  Fällen  bei  Lepra  eine  Verminderung  der  polynukleären  Leuko¬ 


zyten,  dagegen  eine  Vermehrung  der  Lymphozyten  erfolgt.  In 
der  Streitfrage  über  Aggressine  stellt  sich  N.  Bettencourt; 
Contribution  ä  l’etude  des  aggressines,  auf  Seite 
Wassermanns,  wenn  er  auch  zugibt,  daß  ihm  )ioch  weitere 
Versuche  nohvendig  erscheinen,  die  GegensUuid  einer  weiteren 
Mitteilung  sein  sollen. 

♦ 

The  Thompson  Yates  and  Johnston  Laboratories  Report. 

Vol.  VH  (New  Series)  Part  1. 

London  1906,  Williams  &  Nor  gate. 

Der  vorliegende  Band  beschäftigt  sich  vorzüglich  mit  zoolo¬ 
gischen  Fragen,  welche  in  gewisser  Beziehung  auch  medizini¬ 
sches  Interesse  haben.  S.  R.  Christophers  und  R.  N  ew'- 
stead  (On  a  new  pathogenic  louse  which  acts  as  the 
intermediary  host  of  a  new  Haemogregarine  in  the 
blood  of  the  Indian  field  rat)  geben  die  zoologische  Be¬ 
schreibung  einer  neuen  Spezies;  Haematopinus  Stephensi;  es  ist 
dies  eine  Laus,  welche  als  Parasit  im  Felle  der  indischen  Feld¬ 
ratte  am  Kopfe  und  zwischen  den  Schultern  lebt.  Bemerkens¬ 
wert  ist,  daß  der  Wirt  dieses  Insektes  ein  Nachttier  und  aus¬ 
gesprochener  Erdbewohner  ist.  Eine  ergänzende  Beschreibung 
von  Gatrodiscus  hominis  gibt  J.  W.  W.  Stephens  in  einer 
Arbeit :  Note  on  the  anatomy  of  G a s t r o d i s c u s  hominis. 
Dieses  Tier  fand  er  in  aufgehobenem:  Obduktionsmaterial  von 
Fällen  von  Kala  Azar  aus  Assan.  K.  Jordan  und  N.  Ch.  Roth¬ 
schild:  A  revision  of  the  S a r c o p s y  1 1  i d a e  a  family 
of  Siphonaptera,  veröffentlichen  ihre  ausgedehnten,  sehr 
exakten  Untersuchungen  über  die  Familie  der  Sarkopsylliden. 
Zunächst  vergleichen  sie  zoologisch  die  bisher  bekannten  sieben 
Spezies  dieser  Familie,  zu  welchen  sie  noch  sieben  neue  hinzu¬ 
fügen  können.  Demnach  sind  14  Flohspezies  bekannt,  welche  zur 
Familie  der  Sarkopsylliden  gehören,  die  selbst  in  drei  Genera 
zerfällt.  Von  der  hieher  gehörenden  Hectopsylla  psittaci  war 
nur  das  AVeibchen  bekannt  und  ist  es  nun  den  beiden  verdienten 
Forschern  gelungen,  auch  das  Männchen  zu  finden.  Endlich  schil¬ 
dern  J.  E.  S.  Moore  und  C.  E.  AValker  in  ihrem  Artikel; 
The  maiotic  process  in  mammalia,  die  Vorgänge  der 
Kernteilung  in  den  DiMsenzellen  des  Meerschweinchenhodens  und 
ihre  Beziehungen  zu  der  Bildung  der  Spermatozoen.  Diese  Pu¬ 
blikation  ist  gleich  allen  anderen  in  dem  vorliegenden  Bande 
mit  einer  Anzahl  ausgezeichneter  Abbildungen  ausgestaltet,  wie 
man  sie  in  ihrer  tadellosen  Ausführung  und  Reproduktion  in 
den  Berichten  dieses  Laboratoriums  zu  sehen  gewohnt  ist. 

* 

Liverpool  School  of  tropical  Medicine. 

Memoir  XXL 

London  1906,  Williams  &  Norgate. 

Zur  Erforschung  der  verschiedenen  Trypanosomenarten, 
welche  die  Vertreter  der  englischen  Schule  von  ihren  Expedi¬ 
tionen  aus  den  Tropen  in  die  Heimat  bringen,  hat  das  Institut 
für  Tropenmedizin  in  Liverpool  ein  neues  Laboratorium  außer¬ 
halb  der  Stadt  geschaffen.  Eine  kurze  Beschreibung  dieser  neuen 
Stätte  Avissenschaftlicher  Arbeit  leitet  das  vorliegende  Heft  ein. 

B r e i n  1  und  K i n g h o r n :  An  experimental  study 
of  the  parasite  of  the  a  f  r  i  c  a  n  t  i  c  k  -  f  e  v  e  r,  bildet  eine  Fort-, 
Setzung  ihrer  Untersuchungen  über  den  Erreger  des  afrikanischen 
Zeckenfiebers,  wonach  die  Spirochaeta  Duttoni  von  der  des  Rück¬ 
fallfiebers  zu  trennen  ist.  Mit  Ausnahme  der  Katze  sind  die 
gebräuchlichen  A^ersuchstiere  mehr  oder  weniger  für  die  Infek¬ 
tion  durch  den  tropischen  Parasiten  empfänglich,  doch  gelang 
es  nicht,  durch  Immunisierung  ein  Serum  zu  gewinnen,  welches 
in  ii'gend  nennensAverter  AVeise  empfängliche  Tiere  vor  der  In¬ 
fektion  schützen  konnte.  Dagegen  weisen  Breinl  und  King¬ 
horn  nach,  daß  die  Spirochaeta  Duttoni  durch  die  Plazenta  in 
das  fötale  Blut  Übertritt  Und  daß  auch  die  Jungen  immuner 
Mütter  eine,  Avenn  auch  nicht  lange  anhaltende,  angeborene  Im¬ 
munität  besitzen. 

Breinl  und  Kinghorn:  Note  on  a  ncAv  Spiro¬ 
chaeta  found  in  a  mouse,  beschreiben  eine  neue  Spiro¬ 
chäte,  Spirochaeta  Laverani,  die  sie  in  einer  Aveißen  Maus  fanden 
und  deren  UebertragUng  Aveder  durch  den  Biß  von  Flöhen,  noch 
durch  Läuse  stattfindet. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


353 


Dutton,  Todd  und  Tobey:  A  comparison  between 
the  Trypanosomes ‘present  by  day  and  by  night  in 
the  peripheral  blood  of  cases  of  human  Trypano¬ 
somiasis,  finden  weder  in  der  Zahl,  noch  im  Aussehen  der 
Trypanosomen  menschlicher  Infektionen  Unterschiede  zwischen 
Tag-  und  Nachtblut. 

H.  Mole:  The  laesions  in  the  lymphatic  glands 
in  human  Trypanosomiasis,  zeigt  an  der  Hand  histologi¬ 
scher  Untersuchungen,  daß  in  den  Anfangsstadien  menschlicher 
Trypanosomeninfektion  die  Vergrößerung  der  Lymphdrüsen  durch 
Zunahme  der  Keimzentren  Und  durch  Vermehrung  der  Lymph- 
zellen  bedingt  ist.  Erst  in  späteren  Stadien  wuchert  das  Binde¬ 
gewebe,  die  Lymphdrüsen,  in  denen  die  Keimzentren  zugruude 
gehen,  sklerosieren. 

Dutton,  Todd  und  Tobey:  Concerning  certain  pa¬ 
rasitic  protozoa  observed  in  Africa,  beschreiben  eine 
Reihe  interessanter  Parasitenbefunde  bei  Mensch  und  Tier.  So 
fanden  sie  bei  einer  eigenartigen  Onychie  der  großen  Zehe  eine 
Spirochäte ;  beim  Affen  sahen  sie  außer  Malariaparasiten  eine 
Spontaninfektion  mit  einer  noch  nicht  beschriebenen  Trypano¬ 
somenart.  Die  Antilope  beherbergt  neben  dem  Trypanosoma 
Theileri  noch  eine  zweite  Spezies,  die  dem  Trypanosoma  dimor- 
phon  am  nächsten  steht.  Bei  Fledermäusen  beschreiben  sie  Spiro¬ 
chäten  und  intrazelluläre  Parasiten  in  Fönn  von  Ringen  und 
Gameten,  welche  dem  Haemosporidium  Dionisi  am  nächsten  zu 
stehen  scheinen. 

L.  A.  Williams  und  R.  S.  Williams:  Attempts  to 
cultivate  Spirochaeta  Dutton i,  fanden  zur  Züchtung  dos 
Parasiten  des  afrikanischen  Zeckenfiebers  defibriniertes  Blut  bei 
Zimmertemperatur  am  geeignetsten. 

B  r  e  i  n  1,  K 1  i  n  g  h  o  r  n  und  Todd:  Attempts  totr  ans  mit 
SpirochaetesbythebitesofCimexlectularius,  können 
sich  nach  eigenen  Untersuchungen  der  Ansicht  nicht  anschließen, 
daß  durch  den  Biß  der  Bettwanze  Spirochäteninfektionen  über¬ 
tragen  werden.  Nach  ihrer  Meinung  spielen  diese  Blutsauger 
sicher  keine  wesentliche  Rolle  bei  der  Ausbreitung  von  Rekurrens- 
epidemien. 

Die  hier  kurz  besprochenen  Arbeiten  liefern  nur  von  neuem 
den  Beweis,  daß  ernste  wissenschaftliche  Forschung  in  den 
Räumen  des  Liverpooler  Tropeninstitutes  betrieben  wird,  welche 
Richtung  auch  die  Mitglieder  der  neu  gegründeten  Runcorn  Re¬ 
search  Laboratories  eingescblagen  haben. 

* 

Archives  de  medecine  experimentale  et  d’anatomie 

pathologique. 

T.  XIX,  Nr.  1. 

1907. 

J  o  s  u  e  und  A 1  e  x  a  n  d  r  e  s  c  u  :  Contribution  ä  1  ’  e  t  u  d  c 
de  l’arterio sclerose  du  rein,  untersuchten  mit  Hilfe  der 
modernen  histologischen  Methoden  23  arteriosklerotische  Nieren 
und  unterscheiden  zwei  Formen,  die  Epyphosklorose  mit  hyper¬ 
trophischer  Wucherung  der  Bindegewebselemente  und  die  An- 
typhosklerose  mit  Narbenbildung.  Den  Gefäßveränderungen  gehen 
die  Epithelläsionen  voraus,  während  die  interslilielle  Nephritis 
als  eine  Folge  der  Sklerose  zu  betrachten  ist. 

Alquier  und  Baudouin:  Meningoencephalie  sub- 
aigue  chez  lin  tuberculeux,  beschreiben  eine  herdförmig 
lokalisierte  Meningitis  mit  Gefäßneubildung  und  ausgesprochenen 
endarteriitischen  Veränderungen  nebst  perivaskulärer,  leuko- 
zytärer  Infiltration.  Da  weder  der  Nachweis  von  Tuberkclbazillen, 
noch  der  von  Spirochäten  gelang,  sprechen  sich  die  Autoren 
nicht  über  die  Aetiologie  der  Erkrankung  aus. 

Laignel-Lavastine  und  Roger  Voisin:  Anatomie 
pathologique  et  p a t h o g e n i e  de  1  ’ e n c e p h a  1  i t c  a i g u e, 
stellen  55  Fälle  akuter  Enzephalitis  aus  der  Literatur  zusammen 
und  lügen  denselben  noch  elf  eigene  Beobachtungen  hinzu.  Nach 
den  Untersuchungen  der  Autoren  wären  drei  Formen  dieser  Fr- 
kraidvung  zu  unterscheiden:  Encephalie  diapedetique.  Encephalic 
purulente  und  Encephalie  haemorrhagique. 

Lapointe  und  Lecene:  Gliome  primitif  de  la  cap¬ 
sule  surren  ale,  beobachteten  bei  einem  19  Monate  alten  Mäd¬ 
chen  ein  primäres  Gliom  der  Nebenniere.  Der  Fall  schließt  sich 
an  den  von  Küster  beschriebenen  an. 


C a r n 0 1  und  II a r v i e r :  Contribution  ä  1  ’ e t u d e  de 
l’apoplexie  biliaire,  fanden  in  zwei  Fällen  die  von  W  i  t- 
tich  beschriebenen  Läsionen  der  Leber.  Es  sind  dies  herd¬ 
förmige  Degenerationen  von  Leberzellen,  Ablageruiiig  von  Gallen¬ 
pigment  in  und  zwischen  den  Leberzellen,  welche  als  Folge 
von  Gallens lauung  anzusehen  ist. 

S  a  b  r  a  z  e  s  :  A  n  k  y  1  o  s  t  o  m  i  a  s  e  maligne,  infection 
polymicrobienne  etphlebites  multiple,  beschreibt  einen 
Fall  sehr  schwerer  Ankylostomiasis,  welche  in  zwei  Monaten 
zum  Tode  führte.  Die  sorgfältige  klinische  Beobachtung,  die  ge¬ 
naue  pathologisch-anatomische  und  histologische  Untersuchung 
liefert  einen  höchst  wertvollen  Beitrag  zur  Kenntnis  dieser  Er¬ 
krankung.  '  !  1  ' 

Mene  trier  und  Ru  be  ns -Duval:  Lesions  histologi- 
ques  du  foie  dans  un  cas  d’ictere  syphilitiquo  du 
nouveau -ne,  weisen  an  einem  Falle  von  luetischem  Ikterus 
eines  Neugeborenen  nach,  daß  die  bis  zu  Nekrose  führenden  Zell¬ 
veränderungen  durch  Ueberladung  der  Leberzellen  mit  Glykogen 
hervorgerufen  sind.  Sie  deuten  diese  Läsion  als  Toxinwirkung 
und  fassen  die  vermehrte  Produktion  von .  Gallenpigment  nur 
als  eine  sekundäre  Erscheinung  auf. 

B.  M  o  r  p  u  r  g  0  :  L  ’  o  s  t  e  o  m  a  1  a  c  i  e  et  1  e  r  a  c  h  i  t  i  s  m  e  c  x- 
perimentaux.  Prioritätsstreit  mit  Basset  (dieses  Archiv  1906, 
Band  18). 

* 

Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 

Bd.  56,  Heft  1  bis  4. 

1907. 

H.  V.  Recklinghausen:  Was  wir  durch  die  Puls¬ 
druckkurve  und  durch  die  Pulsdruckamplitude  über 
den  großen  Kreislauf  erfahren.  Auf  Grund  seiner  im 
55.  Bande  dieses  Archivs  veröffentlichten  Methode  stellt  Verf. 
mathematische  Formeln  auf.  Seine  Berechnungen  stimmen  auch 
mit  den  Ergebnissen  der  experimentellen  Prüfung  derselben; 
V.  Recklinghausen  zeigt  an  Beispielen  die  Anwendung  seiner 
Methode. 

R.  Fleckseder:  Ueber  Hydrops  und  Glykosurie 
bei  Uran  Vergiftung.  Zur  Erzeugung  von  Hydrops  genügen 
Anurie  und  Plethora  allein  nicht,  auch  ist  die  Oedembildung  vom 
nephritischen  Prozeß  unabhängig,  so  daß  die  Uranergüsse  durch 
Wasserretention  bei  bestehenden  spezifischen  Gefäßläsionen  zu 
erklären  ist. 

J.  Baer:  Ueber  die  Wirkung  des  Serums  auf  die 
intrazellulären  Fermente.  Fortsetzung  der  gemeinsam  mit 
Loeb  veröffentlichten  Publikation  im  53.  Bande  dieses  Archivs. 

Baer  und  Blum:  Ue b e r  d e n  A b b au  v on  F e 1 1 s ä u r e n 
beim  Diabetes  mellitus.  Im  diabetischen  Organismus  gehen 
die  verzweigten  Fettsäuren  mit  einer  geraden  Reihe  von  4  G- 
Atomen  in  Oxybuttersäure  über.  Eine  starke  Vermehrung  dieser 
wird  auch  durch  Eiweißspaltungsprodukte  bewirkt. 

E.  B  ü  r  g  i :  Ueber  T  e  t  r  a  in  e  t  h  y  1  a  r  s  o  n  i  u  m  j  o  d  i  d  und 
seine  pharmakologische  Wirkung.  Das  Präparat  wirkt 
zentral  lähmend,  curareartig,  nicht  auf  das  Herz. 

Morawitz  und  Bierich:  Ueber  die  Pathogenese 
der  cholämi sehen  Blutungen.  P’ermentariput  bedingt  die 
langsame  Gerinnung  des  cholämischen  Blutes,  die  hämorrhagische 
Diathese  Ikterischer  wird  durch  Gefäßschädigung  erklärt. 

F.  Schmidt:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Urobilin- 
urie.  Versuchsresultate  der  Verabreichung  von  Kalomel  an  zwei 
Leberzirrhotikern. 

A.  Läwen:  Vergleichende  Untersuchungen  über 
die  örtliche  Wirkung  von  K  o  k  a  i  iq'  Novokain,  A 1  y  p  i  n 
und  Stovain  auf  das  motorische  Nervensystem.  Mil 
den  ersten  drei  Analgetizis  erreicht  man  am  Frosche  in  1  bis  It-' 
Stunden  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  dos  isebiadikus,  doch 
lassen  sich  die  Substanzen  durch  Spülung  mit  indiflerenten  hdüssig- 
keiten  aus  dem  Nerven  wieder  auswaschen,  was  bei  Stovain 
nicht  gelingt,  so  daß  für  diese  Substanz  eine  Schädigung  des 
Nerven  angenommen  werden  muß. 

Wandel:  Zur  Pathologie  der  Lysol-  und  Kresol- 
Vergiftungen.  Schwere  Leberschädigungen,  die  der  akuten 
gelben  Leberatrophie  ähnlich  sehen,  sind  Kresolwirkung.  Erst 
in  späteren  Stadien  findet  man  auch  Läsionen  des  Herzens,  des 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  12 


o5j 


CiPliiniPs  nncl  dor  Nioren.  Herbivore  Tiere  sind  weniger  für  diese 
\'(n-giflnng  enipfängücli  als  karnivore. 

F  o  r  s  c  li  1)  a  c  li  und  W  e  bei':  D  a  s  I)  i  in  e  t  li  y  1  a  m  i  n  o  p  a  r  a- 
xanlhin,  seine  dinrefisclie  Wirkung  und  sein  Abbau 
ini  Organismus  des  Henschen.  Wirk!  sclnväidier  bain- 
Ireibend  als  Theopliylin.  Analyse  der  Abbauprodukle. 

X.  E.  1 1  o  k  e :  TW  b  e  r  d  i  e  Auf  n  a  li  m  e  cl  e s  Kohlenoxyds 
durch  das  N  e  r  v  en  s  y  s  toju.  Das  Cas  .wird  vom  Clebiin  nicht 
aufgenommen,  die  akule  Vergiflung  ist  analog  einer  Asphyxie. 
.\us  dem  Leucblgasi'  liingegcm  werden,  flüchtige  Substanzen  vom 
Cudiii'iie  aufgenommen. 

().  Adler:  AVirkung  der  0  I  y  k  o  x  y  I  s  äiu'e  auf  den 
Fi  erkür  per.  \ergiflung  ähnlich  der  Oxalsäurevergiftung,  mit 
Ausscheidung  von  Oxalsäurekrislallen  in  den  Xieren.  Bei  akutem 
\  erlaufe  Schädigung  des  Herzens,  vorübergehend  auch  der 
Atmung. 

E.  S.  Faust:  Ueher  das  Ophiotoxin  aus  dem  Gifte 
d(‘r  OS  t  indischen  Brillenschlange,  Cobra  di  Ca  pell  o' 
(X^ a i  a  tripudians).  Der  chemisch  rein  dargestellte  Körper  ge¬ 
hört  ]tharmakologisch  in  die  Gruppe  der  Sapotoxine,  unterscheidet 
sich  von  diesen  aber  durch  Unlöslicdikeit  in  Alkohol  und  die 
curaiinähnliche  Wirkung  auf  Kaltblüter.  Er  ist  kein  Glykosid. 

Boekelmann  und  Staat:  Zur  Kenntnis  der  Kalk¬ 
ausscheidung  im  Harn.  Verringerte  Kalkzufnhr  bedingt  Ver- 
imdirung'  der  Kalkausscheidung,  bei  IMilchdiät  besteht  Kalk- 
retenlion.  Hiemit  dürfte  in  Zusammenhang  zu  bringen  sein,  da.ß 
Pbosphoi'säuri'  Resorption  und  Retention  von  Kalk  zu  fördern 
scheint. 

S  c  h  w'  e  n  k  e  n  b  e  c  h  e  r  und  S  p  i  t  a :  Hebe  r  die  A  u  s  s  c  h  e  i- 
dung  von  Kochsalz  und  Stickstoff  durch  die  Haut. 
XaCl-  und  X-Ausscheidung  durch  die  Haut  findet  beim  Gesunden 
in  annähernd  gleichen  IMengen  statt.  Die  Chloridabgabe  durch 
die  Haut  sleigt  bei  Krankheiten,  die  mit  starken  Schweißen  ein¬ 
hergehen,  doch  beti'ägt  das  ausgeschiedene  XaCl  pro  Tag  nie 
mehr  als  lg.  J  o  a  n  n  o  v  i  c  s. 

Aus  v/ersehiedenen  Zeitsehfiften. 

139.  Aus  dem  hygienischen  Institut  der  Universität 
München.  U  e  b  e  r  die  Resistenz  gegen  ]\I  i  1  z  b  r  a  n  d  u  n  d 
ü  her  die  H  e  r  k  u  n  ft  der  m  i  1  z  b  r  a  n  d  f  e  i  d  1  i  c  h  e  n  Stoffe. 
\  Oll  l\lax  Gruber  und  Kenzo  Futaki.  Die  Resistenz  der  Ver¬ 
suchstiere  gegenüber  der  Alilzbrandinfektion  ist  sehr  verschieden: 
das  Meersclnveinchen  und  das  Kaninchen  sind  fast  gar  nicht 
odei-  sehr  wenig  wdderstandsfähig,  Avährend  Hund  'und  Huhn 
fast  immun  dagegen  sind.  Mit  den  Ursachen  dieser  Erscheinungen 
beschäftigten  sich  die  Verfasser  in  ihren  zahlreichen  und  aus¬ 
führlichen  Versuchen,  die  sie  sorvohl  bezügliedi  dör  Phagozytose 
d(‘s  Alilzlirandbazillus  durch  die  Leukozyten  der  empfänglichen 
und  der  unempfänglichen  Tiere  in  vitro,  sowie  üher  das  Blut¬ 
serum  und  Blul])lasma,  über  das  Verhalten  der  dAuikozyten  an- 
geslellt  haben.  In  einer  anderen  Versuchsreihe  prüften  sie  wieder 
das  Verhallen  der  Tiere  gegenüber  der  subkutanen  Infektion  einer¬ 
seits  und  der  iniravenösen  oder  inlra])eritonealen  anderseits.  Dar¬ 
aus  ergeben  sich  folgende  Beobachtungen:  Das  Huhn  besitzt  in 
seiner  hohen,  dem  Milzbrandbazillus  ungünstigen  Körpertenijiera- 
tur  ein  Avertvolles  Schutzmittel  gegen  dieses  Mikrobium.  Kiiu'  sehr 
Avichtige  SchutzAvehr  gegen  die  Allgemeininfeklion  des  Organismus 
der  untersuchten  Tierspezies  sind  die  Phagozyten,  die  sich  auch 
der  virulentesten  IMilzbrandbazillen  alsbald  zu  bemächtigen  suchen, 
sowie  si(‘  ins  Blut  gelangen.  Die  Leukozyten  des  Huhnes  haben 
die  Fäbigkndt,  IMilzbrandbazillen  aufzufressen  und  zu  verdauen, 
in  ganz  liervorragendem  Maße.  EtAvas  wamiger  tauglich  dazu 
sind  die  Phagozyten  des  Humh's.  Die  Pha,gozyten  des  Kaninclums 
und  des  Meiu'schweinchens  bringen  ('s  nur  zui‘  Umklamnu'rung 
und  Koidakthduug  der  ^Milzbrandbazillen ;  daher  ist  eine  viel 
.größere  Zahl  von  ihnen  als  von  dem  Huhuhmkozyten  erfordeiliclg 
um  eine  bestimmte  Zahl  von  IMilzbrandbazillen  zu  Amrnichten. 
Das  verschiedene  V’eidiallen  der  Fdiagozyteu  steht  in  bester  Ueber- 
(‘instinnnung  mit  der  A'orschiedenen  Rmpfänglichkedt  der  unter- 
svuditeu  Tiiuspezies.  Das  wichtigste  Schulzmittid  dnr  Milzbrand- 
bazilh'u  gi'gmi  die  Phagozyten  besteht  in  dei'  Bildung  von  dicken 
Hüllen,  Kajjseln.  Die  Ka])selbildung  eifolgt  in  den  tierischen 


Säften  unter  Verbrauch  eines  bestimmten  in  ihnen  enthaltenen 
Stoffes.  Die  gekapselten  IMilzbrandbazillen  sind  dadurch  gegen 
die  Phagozyten  geschützt,  daß  sie  diese  nicht  nudir  zum  Fräße 
locken.  Eine  schädliche  Wirkung  üben  sie  auf  die  Leukozyten 
nicht  aus.  Für  den  schließüchen  Ausgang  der  Infektion  scheint 
es  entscheidend,  ob  ('s  einem  Teile  der  ins  Blnt  gelangten 
eingekapselten  Milzbrandbazillen  gelingt,  innerhalb  der  Rlutbahn 
Kapseln  zu  bilden,  bevor  sie  von  den  Leukozyten  erreicht  Averden, 
beziehungsAA'eise,  ob  die  IMilzbrandbazillen  von  vorneherein  mit 
Kapseln  versehen  in  die  Blutbahn  kommen  oder  nicht.  In  dieser 
letztenm  Beziehung  ist  bei  subkutaner  Infektion  Avichtig,  Avelche 
Existenzbedingungen  die  Milzbrandbazillen  im  subkutanen  Binde- 
gCAvebe  Amrfinden.  Tn  dem  des  AleerschAveinchens  und  des  Ka¬ 
ninchens  finden  sie  einen  Xährboden,  an  den  sich  ein  guter 
Teil  von  ihnen  —  je  nach  der  ursprünglichen  Virulenz  ein  kleinerer 
oder  größerer  Bruchteil  —  rasch  ohne  Schaden  adaptiert,  so 
daß  binnen  kurzem  die  Wucherung  von  Kapselbazillen  beginnt, 
die  dann  dui'ch  den  Lymph-  und  Blutstrom  überallhin  verschleppt 
Averden  und  sich  in  den  Kapil largebiet.eh  ansiedeln.  Beim  Hunde 
und  Indin  Huhne  gehen  die  Milzbrandbazillen  im  Unterhautzell- 
geAV('be  rasch  zugrunde,  bevor  sie  Zeit  hatten,  Kapseln  zu  bilden. 
Dieses  verschiedene  Schicksal  der  Bazillen  ist  dadurch  bedingt, 
daß  die  Lymphe  im  ünterhautzellgeAvebe  des  IMeerschweinchens 
und  des  Kaninchens  keine  anthrakozide  Substaj\z  (uilhält  und 
nicht  oder  nur  in  geringem  IMaße  die  Fähigkeit  besitzt,  die  Leuko¬ 
zyten  zur  Abgabe  der  in  ihmm  enthaltenen  milzbrandfeindlichen 
Substanz  zu  reizen.  Dagegen  ist  die  Lymphe  im  Untcrhautzell- 
gOAvebo  di.'S  Huhnes  entweder  von  vornherein  anthrakozid  oder 
Avird  e;s  doch  sehr  bald  infolge  des  'Reizes,  ilen  sie  auf  die  ins 
ZellgeAvebe  eiiiAvandernden  Leukozyten  ausübt  und  die  si(f  dadurch 
zu  einer  fast  unerschöpflichen  Ouelle  eines  niilzbrandfeindlichen 
Sekretes  maclit.  Beim  Kaninchen  gewännt  die  Unterhautzollgewmbs- 
lymphe  erst  bei  Stauung  die  Eigenschaft  .eines  solchen  Reiz¬ 
mittels  für  die  Leukozyten  Und  aus  dieser  Tatsache  und  aus  der 
Behinderung  der  AusschAvemmung  der  Milzbrandbazillen  aus  dem 
UnterbautzellgeAvebe  durch  den  Lymphstrom  erklärt  es  sich,  daß 
das  Kaninchen  eine  IMilzbrandinfeklion  in  das  nach  Biers  Ver¬ 
fahren  ödematös  gemachte  Gervebe  übersteht,  der  es  sonst  er¬ 
liegen  Avürde.  Die  lAukozyten  des  Kaninchens  sind  viel  ärmer 
an  sezernierbaren  milzbrandfeindlichen  Stoffen  als  die  des  Huhnes. 
Die  Leukozyten  des  MeerscliAveinchens  scheinen  solche  Stoffe 
überhaupt  nicht  zU  enthalten.  Die  milzbrandfeindlichen  Stoffe  der 
Leukozyten,  die  Leukanthrazidine,  scheinen  Aveder  beim  Huhne 
noch  beim  Kaninchen  jemals  an  das  normale  Blutspasma  abge¬ 
geben  zu  Averden.  Das  Blutsiiasma  des  Kaninchens  ist  überhaupt 
Amllig  Avirkungslos  gegen  IMilzbi’andbazillen  (ebenso  Avie  das  der 
wmißen  Ratte).  Dagegen  enthalten  <lie  Blutplättchen  des  Kanin¬ 
chens  und  der  Ratte  abweichend  auui  denen  des  Meersclnveinchens 
und  des  Huhnes  in  reichlicdier  Menge  eine  Substanz,  welche  Milz¬ 
brandbazillen  energisch  tötet.  Diese  Substanz  A\drd  bei  der  Blut¬ 
gerinnung  Amn  den  Blut]dät1chen  abgegeben  und  macht  das  Serum 
des  Kaninchens  und  der  Ratte  bakterizid.  Es  ist  nicht  unmöglich, 
daß  dieser  Stoff  auch  schon  im  zirkulierenden  'Blute  unter  dem 
Einflüsse  der  IMilzbrandinfektion  in  das  Plasma  ausgeschieden 
wird  und  auf  diese  Weise  eine  erhebliche  Schutzkraft  ausübt. 
—  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  6.)  G. 

* 

140.  Aus  (hun  Grossley-Sanatorium  London.  Vergleich 

der  Häufigkeit  des  VorkommeArs  A^on  behinderter 
Xasenatmung  als  Vorläufer  bei  Lungen-  und  extra¬ 
pul  m  on  ärer  Tubei'kul  ose.  Von  IV.  C.  Rivers.  Von 
50  Fällen  Amn  Lungcmtubcukulose  zeigten  27  (54To)  mangelnde 
Durchgängigkeit  der  Nase.  Ahm  50  Koni  roll  fällen  Aum  anderweitiger 
fexlrapulmonärer)  Tubeikulose  zcdglen  15  (SO”/»)  mangelnde  Durch¬ 
gängigkeit  der  Nase.  Ah.u’f.  schreibt  der  sorgfältigen  Pflege  der 
Nasen-  und  Raclumgebilde  eine  Avichtige  Rolh'  bei  dm-  Projdiy- 
lax('  der  'Fuberkulose  zu.  —  (Biitish  medical  Journal  190ß, 
1.  Dezember.)  .1.  Sch. 

♦ 

141.  ID'lx'r  den  Einfluß  d  (>  r  Schilddrüse  auf  die 
En  Iav  ick  lung  des  Embryos.  Wm  Pi’of.  M.  Bleibtri'u  in 
Greifswmid.  Im  Sommer  1905  hat  Dr.  Josef  Nerking  die  IL'Sul- 
tate  seiner  im  physiologischen  Insliluh'  dei'  GreifsAvalder  Uni- 


Nr.ll2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


355 


versilät  mit.  Schilddrüsensiibsianz  am  sravkkm  Tiere  ajigesiellloti 
Versuche  v(M’ö1f(Mit!i(dil.  Kr  vorersl  s<"f'iiid(Mi,  dal-V '‘<dü(>s 

I\luzin  dinrh  Digeslioii  mil  S(ddlddrüseiis(d)sl.aii/,  eiiK^  Umwand¬ 
lung  unter  AbsitalLnng  des  redu/ierenilen  Anteils  erfahix“.  U(d)(M; 
Bleihtreus  Anregung  uniersuchto  er  sodann,  ob  die  Scldld- 
driisensubslanz  vielleicbt  aucb  aut  die  s(ddei:mäludicbeu  (lewebe 
der  Kmbryonen  und  dadurcb  auf  dercm  \Vacbisiums])edingungen 
eimm  Einlbißi  ausübe.  Es  zeigte  skdi,  daß  Scbilddrüsensubslanz 
auf  Kroscblarven  giftig  einwirke,  daß  al)er  erwaebsene  ]'’rösrbe 
große  Mengen  dieser  Sul)stauz  obne  Scbadeu  vertragen.  Nun 
fütterte  er  gi'avide  Kanineben  mit  Scldbblrüsensubstanz  und  fand, 
daß  eine  frübzeitig  Ijeginneude  Fütterung  mit  dieser  Substanz 
eigenlimilicbe  Störungen  einer  bestebenden  Gj’axTdität  zur  lütlge 
baben  können;  dabei  batte  es  den  Ansebein,  als  ob  diese  Störujig 
niebt  dureb  eine  Abstoßung  des  Embryos,  einen  Al)ortus,  sondern 
dureb  eine  Rückbildung  und  Resorption  desselben  zustande 
gekommen  sei.  Bleib  treu  hat  mm  die  letzterwäbnien  Versuebe 
wieder  aufgenommen  und  sie  an  einem  größeren  Materiale  während 
der  letzten  zwei  Jahre  ausgefübrt.  Es  wurden  an  Mäuse,  jReer- 
schweineben  und  Kauineben  englische  Tabletten  der  Scbilddrüsen- 
sul)stanz  verfüttert,  oder  es  wurde  ein  (Ilyzerinextrakt  derselben 
subkutan  injiziert.  In  keinem  Falle  verlief  bei  solchen  Tieren  die 
Scbwangerscbafl.  normal;  mindestens  war  die  I  ragzeit  v^erlängert, 
oder  es  wurden  tote  Jungen  geworfen,  bei  weitem  die  meisten 
Tiere  aber  waren  steril  geblieben.  Lange  hat  gravide  Frauen 
mit  kleinen  Dosen  Schilddrüse  (drei  Tabletten  täglich)  oder  Jorlo- 
Ihyrin  behandelt,  obne  eine  Abnormität  zu  ]}eobacbten.  Tloennike 
dagegen  fand,  daß  Tiere  unter  der  Schild drüsent)ebandlung  selir 
häufig  —  also  iiictit  immer  —  abortieren.  Verf.  weist  nocli  auf 
die  Bestrahlung  gravider  Tiere  mit  Röntgens tralden,  respektive 
Injektion  vojx  Cholinlösungen  bin,  bei  Avelclien  Versuchen  eben¬ 
falls  merkwürdige  Störungen  der  Gravidität,  die  an  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  Resorption  des  End)ryos  denken  lassen,  beobaclitet 
wurden  und  kommt  zu  folgendem  Gedankengange:  „Substauzen 
schleimiger  oder  schleimäbniicher  Natur  werden  normalerweise 
innerhalb  der  GeAvebe  des  Organismus  beständig  gel)ildet,  abei 
wieder  umgesetzt.  Ihre  Spaltung  erfolgt  unter  dem  Einflüsse 
eines  in  der  Schilddrüse  vorkommenden  Stoffes.  Febbui  <lieses 
Stoffes  führt  zu  einer  vermebrteji  Bildung  schleimiger  Stoffe 
(Myxödem  —  MTrt  der  Scbilddrüsenl)ebandlung).  Scbleimälmlicbe 
Sulistanzen  sind  aber  ein  Erfordernis,  A\mnn  das  Muttertier  den 
Eml)ryo  aufbauen  soll.  Es  ist  also  zwa^ckmäßig,  daß  die  Mirkung 
jenes  Stoffes  AA'ährend  der  Gravidität  gemäßigt  werde.  Daliei 
findet  in  dieser  Zeit  eine  Zurückhaltung  oder  eine  Bindung  der¬ 
selben  in  der  Schilddrüse  statt  (Schwellung  der  Schilddrüse  wäh¬ 
rend  der  Gravidität).  Ueberscbweminung  des  Organismus  init 
Schilddrüsensubslanz  während  der  Gravidität  lührt  zu  einer 
Stöiung  des  Aufbaues,  zu  einem  Abbau  des  Embryos.“  Wenn  jetzt 
bei  Bestrahlung  und  Cholininjektion  dieselben  Erscheinungen  beob¬ 
achtet  Averden,  so  kann  inan  sich  denken,  daß  diese  beiden  Ein- 
Avirkungen  irgendwo  lösend,  aktiAdcrend  oder  stiuiuliciimil  auf 
jene  Schilddrüsensubstanz  einAvirken.  Der  Verfassm'  will  diese 
Versuche  im  Frülijahr  in  größerem  Umfange  Avieder  aufnehmem, 
er  Avill  auch  untersuchen,  ob  vielleicht  Schilddrüsen,  die  gra- 
aM  d  e  n  Tieren  entnommen  sind,  stärker  AAÜrken,'  er  Avill  die  S  c  h  i  1  d- 
drüsen  der  Versuchstiere  bestrahlen  und  sehen,  ob  dann  der 
hemmende  Einfluß  auf  die  GraAddität  noch  stärker  lieiAfOitiiMi, 
als  er  sich  bei  Bestrahlung  der  Ovarien  etc.  zeigte,  er  hofft 
aber  auch,  die  eigentümlichen  Gebilde  Avieder  zu  erhalten,  Avclche 
den  Eindruck  zurückgehildeter  Embryonen  machten  und  AVill  so¬ 
dann  auch  die  Ergebnisse  derselben  mitteilen.  —  (Deutsche  medi¬ 
zinische  W'ochenschrift  1907,  Nr.  1.)  h-  !’• 

142.  lieber  die  Injektion  von  frischem  Blut¬ 
serum  bei  hämorrhagischen  Erkrankungen.  Von 
P.  Emile -Weil.  Bisher  stellte  die  AnAvendung  der  Kalksaize 
die  wirksamste  Therapie  hei  Hämorrhagien  auf  dyskrasischer 
Grundlage  dar.  Die  Beobachtung,  daß  inkoagulables  Blut  in  vitro 
durch  Zusatz  von  frischem  Blutsemm  wieder  gerinnbar  wurde, 
führte  bislier  nicht  zu  Versuchen  am  Lebenden.  Zunächst  konnte 
der  Verfasser  feststellen,  daß  Injektionen  von  frischem  Blut¬ 
serum,  bei  sponlaner  und  familiärer  Hämophilie  eine  präventive 
und  bei  familiärer  Hämophilie  eine  kurative  WTrkung  ausüben; 


eine  Geleg'(mheil,  dii'  kurative  Wirkung  bei  spontaner  Hämo- 
idülie  zu  ('11)100011,  war  bisher  nicht  vorhanden.  In  vilro  konnte 
festgesiellt  Averden,  daß  d('r  Zusatz  von  frischi'in  Blulsei'um 
Gei'inmmgsauomalien  des  frischen  Itlules  hei  Hämophilie  auf- 
heht.  Di('  gleiche  Beobachtung  wurde  auch  hei  akuten  und 
chronischen,  primären  und  sekundären  Blutungen  auf  dyskrasi¬ 
scher  Grundlage  gemacht  und  es  enlfalleleu  die  Injektionen  von 
frischem  Blulserum  in  Fällen  von  akuter  und  chronischer  Pur¬ 
pura,  sowie  hei  progressiver  pei'idziöser  Anämie  teils  iiräven- 
tive,  teils  kurative  Wirkung.  Zur  Anwendung  gelangte  Blulserum 
von  Rindern  und  Kaninchen,  auch  frisch  bereitetes  Diphth(‘rie- 
heilserum.  Das  Serum  Avurde  intravenös  injiziert,  die  Dosis  be¬ 
trug  10  bis  30  cnF.  Das  frische  Blutserum  war  in  seiner  Whrknng 
den  Kalksalzen  überlegen,  Avoboi  der  W-irkungsmechanismus 
seinem  Wmson  nach  nicht  verschieden  ist.  Die  Kalksalze  regen  die 
Bildung  der  koagulierenden  Fermente  au,  Avährend  sie  durch 
die  Injektion  des  frischen  Blutserums  direkt  dem  Organismus 
zugeführt  Averden  und  gleichzeitig  die  xVnregung  zur  Bildung 
koagulierender  Fermente  im  Organismus  gehen.  Bei  akuten  Blut- 
dyskrasien  können  die  Injektionen  von  frischem  Blutserum  eine 
unmittelbare  Heilung  herheiführen,  hei  chronischen  hämorrhagi¬ 
schen  Dyskrasien  ist  die  WTrkung  nicht  immer  zur  Erzielung  einer 
Dauerheilung  ausreichend.  Zur  Bekämpfung  der  iiämorrhagischen 
Dyskrasie  genügt  schon  eine  intravenöse  Injektion  von  15  enU 
oder  eine  subkutane  Injektion  Amn  30  cm^  des  frischen  Blut¬ 
serums.  Die  Injektion  kann  ohne  Schaden  nach  zwei  Tagen 
Aviederholt  Averden;  hei  Kindern  genügt  eine  halb  so  große  Dosis. 
Das  Serum  vom  Menschen,  Kaninchen,  Pferd  und  Rind  zeigt 
hinsichtlich  der  WTTksandveit  gegen  Hämorrhagien  keine  Avesent- 
lichen  rnterschiede.  ITiangenehme  Nehenwirkungen  —  Fieber, 
Frösteln,  Zyanose,  Erbrechen,  Kopf-  und  Rückenschmerzen  — 
Avurden  nur  nach  Injektion  von  Rinderblutserum  beobachtet. 
Dort,  wo  menschliches  Blutserum,  Avelches  in  vitro  die  stärkste 
WTrksamkeit  zeigt,  nicht  zu  beschaffen  ist,  empfiehlt  sich  die  An- 
AAmndung  von  fi'isch  hereitetem,  durch  Aderlaßi  aus  der  Karotis 
gewonnenen  Kaninchenblutserum.  —  (Bull,  et  M('m.  de  la  Soc. 

med.  des  hop.  de  Paris,  1907  Nr.  2.)  a.  e. 

* 

143.  Häufigkeit  und  Ursachen  der  Selbstmord¬ 
neigung  in  der  Marine  im  \  er  gleich  mit  der  Armee. 
Von  IMarinestabsarzt  Dr.  Podestä  in  Berlin.  Podesta  ver¬ 
suchte,  ausgehend  Amn  der  Tatsache,  daß  alle  fiir  die  Selbstmoril- 
häufigkeit  in  der  iVimiee  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse 
auch  bei  der  Marine  eine  Rolle  spielen  müssen,  die  Häufigkeit 
der  Selbstmorde  bei  der  iMarine  zu  derjenigen  in  der  Armee  in 
Parallele  zu  stellen  und  an  der  Hand  gefundener  statistischer 
Resultate  der  Frage  näherzutreten,  ob  und  iiiAviefern  die  Ergeb¬ 
nisse  mit  geAvissen,  l)esonderen  EigentümlichkeiRn  und  Ver¬ 
schiedenheiten  des  Dienstes  hei  beiden  WTiffengattungen  in  einem 
ursächlichen  Zusammenhang  stehen.  Podestäs  Untersuchungen 
förderten  zunächst  das  überraschende  Faktum  zutage,  daß  die 
Frexpienz  der  Selbstmordneigung  in  der  Marine  bedeutend  und 
zAvar  um  fast  die  Hälfte  geringer  ist,  als  in  der  Armee,  andernteils 
aber  doch  um  ein  geringes  höher,  als  bei  der  gleichalterigen  männ¬ 
lichen  Zivilbevölkerung.  Bei  beiden  W'ehrgattungen  zeigt  die  Selbst¬ 
mordneigung  eine  langsame  Tendenz  des  Absinkens.  Merkwdirdig 
ist,  daß  die  Selbslniordneigung  in  der  Armee  a.m  häufigsten  in 
den  ersten  Monaten  der  Dienstzeit,  die  bei  der  Marine  zumeist 
in  den  späteren  Dienstjahren  auftritt.  Sie  betrifft  deswegen  auch 
bei  der  Armee  meist  den  Gemeinen,  in  der  Marine  den  Unter¬ 
offizier.  ln  der  Armee  und  bei  der  Marine  ist  in  der  größten 
Mehrzahl  der  Fälle  seelische  Störung  als  letzte  Ursache  des 
Selbstmordes  zu  betrachten.  Wahrscheinlich  bietet  sich  im  spä¬ 
teren  Verlaufe  des  Marinedienstes  häufiger  ficlegenheit  zur  Lut- 
Avicklung  und  Ausl)ildung  psychischer  Störungen,  die  geeignet 
sind,  einen  Angriff  auf  das  eigene  Leben  herbeizuführen.  Be¬ 
sonders  gefährdet  mögen  Individuen  sein  mit  crerbtei  oder  früh¬ 
zeitig  crAArnrhener  neuropathischer  Disposition  mit  nein  astheni¬ 
scher,  epileptischer  oder  hysterischer  Veranlagung.  (Archiv 

für  Psychiatrie  und  Neiwenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  1.)  S. 

* 

144.  Abortus  nach  d  e  m' G  e  b  ra  u  c  h  von  Diachylon. 
Von  F.  W.  Hope- Robs  Oll  (Southampton).  Eine  Frau,  die  sich 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


Soli 


iin  Januar  1906  schwanger  fühlte,  nahm  auf  den  Rat  einer  Nach¬ 
barin  durch  14  Tage  Diachylonpillen.  Es  erfolgte  ein  Abortus. 
Ende  Juli  desselben  Jahres  hatte  sie  einen  zweiten  Abortus.  Der 
Fötus  war  zwei  Monate  alt.  lin  Oktober  suchte  sie  den  Arzt 
wegen  Pelvioperitonitis  auf.  Sie  erklärte  bestimmt,  seit  Januar 
keine  Diachylonpillen  mehr  genommen  zu  haben,  da  die  Menses 
seit  der  Zeit  regelmäßig  waren  und  sie  keinen  Gmnd  hatte,  sich 
schwanger  zu  fühlen.  Die  Merkwürdigkeit  des  Falles  liegt  darin, 
daß  der  bloß  14  Tage  dauernde  Gebrauch  von  Diachylon  zweimal 
Abortus  im  Zeitraum  von  fünf  Älonaten  im  Gefolge  hatte.  — 
(British  medical  Journal  1906,  17.  November.)  J,  Sch. 

* 

145.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Heidelberg  (Geh.  Rat 
Erb).  Zur  Frühdiagnose  der  Lungentuberkulose.  Von 
Priv.-Doz.  Dr.  Hans  Arnsperger.  Verf.  ist  der  Ansicht,  daß, 
entgegen  der  bisherigen  Annahme,  selbst  in  sehr  frühen  Stadieji 
der  Lungentuberknlose  sich  schon  Veränderungen  mit  Hilfe  der 
Röntgenstrahlen  nachweisen  lassen.  Das  Instrumentarium  ist  das¬ 
selbe,  wie  es  bei  der  Röntgenmethode  in  der  inneren  Medizin 
nötig  ist,  kräftiger  Induktor,  exakter,  rascher  Unterbrecher,  Röhre, 
welche  lange  und  starke  Belastung  erträgt,  guter  Leuchtschirm. 
Das  wichtigste  ist  eine  gute  Blende;  diese  muß  während  der 
Untersuchung  bald  enger,  bald  weiter  gestellt  werden  können, 
was  am  besten  mit  der  Irisblende  zu  erreichen  ist.  Mit  der  Blende 
zusammen  muß  man  auch  die  Röhre  höher  und  tiefer  stellen 
können,  um  sukzessive  bei  jeder  Röhrenstellung  die  Lunge  zu 
durchleuchten.  Was  nun  die  Ergebnisse  der  Röntgendurchleuch¬ 
tung  hei  beginnender  Lungentuberkulose  anlangt,'  so  fand  Ver¬ 
fasser,  daß  das  „Willi  a  ins' sehe  Symptom“,  die  verminderte 
Atmungsexkursionsbreite  des  Zwerchfells  bei  beginnender  Spitzen¬ 
tuberkulose,  Avelches  besonders  von  englischen  Autoren  als  erstes 
Symptom  angegeben  wird,  in  seinen  Fällen  relativ  selten  zu 
seben  war.  Er  fand  es  nur  in  ca.  6%  der  Fälle  beginnender 
Lungentuberkulose.  In  späteren  Stadien  ist  das  Symptom  häufiger. 
Als  Ursache  nimmt  Verf.  pleuritische  Adhäsionen  an.  Bei  fast 
allen  untersuchten  Fällen  fand  Verf.  Veränderungen  der  Hellig¬ 
keit  und  Größe  der  Lungenspitzenfelder  und  Verschiedenheiten 
der  Helligkeitsänderung  bei  der  Atmungsbewegung,  sei  es  ver¬ 
minderte  Aufhellung,  sei  es  stärkere  Verdunkelung  bei  der  In¬ 
spiration.  Bezüglich  der  Größe  der  Lungenspitzenfelder  ist  größte 
Vorsicht  geboten;  denn  jede  Wirbelsäulenverbiegung,  Verdickung 
von  Klavikula  und  der  ersten  Rippe  kann  die  Größe  der  Lungen- 
spitzenfelder  beeinflussen.  Aber  bei  Fällen;  bei  denen  eine  ein¬ 
seitige  Spitzenerkrankung  besteht,  ist  die  Verkleinerung  der  be¬ 
fallenen  Spitze  im  Röntgenbild  meist  außerordentlich  auffallend. 
Bei  frischen  Fällen  besteht  diese  Größendifferenz  öfter  ganz  un¬ 
kompliziert,  während  bei  den  nächsten  Stadien  noch  Helligkeits¬ 
differenzen  zwischen  den  Spitzen  hinzukommen.  Diese  Größen¬ 
differenz  dürfte  ein  Symptom  des  verminderten  Luftgehaltes  und 
der  verminderten  Spannung  des  erkrankten  Lungengewebes  und 
einer  darauf  beruhenden  Retraktion  der  Lungenränder  sein.  Geht 
die  Verjuinderung  des  Luftgehaltes  und’  der  Gewebsspannung  noch 
weiter,  so  wird  eine  gleichmäßige  Trübung  des  hellen  Spitzen¬ 
feldes  auftreten,  ein  weiteres  Zeichen  beginnender  Lungenphtliise. 
Besonders  bei  einseitigen  Prozessen  ist  die  Spitzentrübung  außer¬ 
ordentlich  charakteristisch.  Läßt  man  die  Kranken  tief  inspi¬ 
rieren,  so  sieht  man,  daß  bei  einseitiger  Trübung  diese  sich 
nur  ganz  Avenig  aufhellt,  während  die  gesunde  Spitze  deutlich 
heller  wird.  Manchmal  beobachtet  man,’  daß  eine  erkrankte,  ge¬ 
trübte  Lungenspitze  bei  tiefer  Inspiration  nicht  nur  nicht  heller 
wird,  sondern  sogar  dunkler.  Verf.  nimmt  an,  daßi  infolge  der 
verminderten  Elastizität  die  Spitze  durch  die  sich  stärker  aus- 
tlehnende  übrige  Lunge  noch  komprimiert  wR-d  und  dadurch  noch 
dunkler  erscheint.  Dies  sind  die  Veränderungen  im  Durchleuch¬ 
tungsbilde  bei  ganz  beginnender  Phthise,  welche  den  Untersuoh'er 
auf  die  Diagnose  führen  oder  in  der  vermuteten  Diagnose  bestärken 
können.  In  zweifelhaften  Fällen  kann  die  Röntgendurchleuchtung 
ausschlaggebend  sein  für  die  Frühdiagnose.  Für  die  AusAvahl 
der  Kranken  für  die  Heilstätten  sind  diese  Feststellungen  von 
größtem  Werte  und  Verf.  möchte  gerade  dafür  Rie  Methode  be¬ 
sonders  empfehlen.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschr  1907 
Nr.  2.)  ■  ’ 

♦ 


146.  U  e  b  e  r  d  i  e  A  n  t  i  to  x  i  n  b  e  h  a  n  d  1  u  n  g  d  e  s  T  e  t  a  n  u  s, 
zumal  mit  intraneuralen  Injektionen.  Von  Geheimen 
Med. -Rat  Prof.  Dr.  E.  Küster  in  Marburg.  Bisher  Avurden  nur 
fünf  Fälle  von  Tetanus  mit  intraneuralen  Antitoxininjektionen 
behandelt  u.  zw.  von  Küster  (zAvei  Fälle),  sodann  von  Rogers, 
Her  tie  und  Kocher.  Von  diesen  fünf  Fällen  ist  nur  der 
Her  tie  sehe  Fall  nach  einer  anfänglichen,  sehr  auffallenden 
Besserung  unter  erneuten  Krämpfen  zugrmrde  gegangen.  Den 
ersten  Fall  hat  Verf.  1905  mitgeteilt,  jetzt  berichtet  er  über 
seine  zAveite  Beobachtung.  Ein  28  Jahre  alter,  früher  stets  ge¬ 
sunder  Mann  Avurde  überfahren  und  erlitt  eine  umfangreiche 
RißquetschAAmnde  am  linken  Knie.  Die  Wunde  eiterte.  Zwölf 
Tage  nach  der  Verletzung  Bescheverden  beim  Oeffnen  des  Mundes. 
Zwei  Tage  später  Aufnahme  auf  die  Klinik  Küsters.  Deut¬ 
licher  Trismus.  Die  Wunde  Avurde  zunächst  mit  einem  Schröpf¬ 
glase  behandelt  und  eine  Staubinde  am  Oberschenkel  angelegt. 
Leichte  Zuckungen  im  Beine,  krampfhafte  Schmerzen  durch  das 
Bein  bis.  zum  Gesicht  hinauf.  Injektion  von  100  I.-E.  des  Tetanus¬ 
antitoxinserums  in  den  Oberschenkel  und,  da  tags  danach  deut¬ 
liche  Liefersperre  und  Maskenformnies  Gesichtes  konstatiert  Wurde, 
nochmalige  Injektion  derselben  Menge.  Der  Tetanus  nahm  in  den 
nächsten  zAvei  Tagen  zu;  Morphiuminjektion,  sodann  intraneurale 
Injektion.  Nach  Lumbalanästhesie  mittels  Novokains  wurde  der 
Ischiadikus  unter  der  Gesäßfalte  freigelegt  und  20  T.-E.  durch 
Einstich  ihm  einverleibt.  Die  Wunde  durch  Naht  geschlossen. 
Nach  einigen  Stunden  besserte  sich  der  Trismus,  tags  darauf 
konnte  Pat.  ZAvieback  schlucken.  Starke  Schweißabsonderung.  In 
der  Nacht  viele  Schmerzanfälle  im  kranken  Beine.  In  den  nächsten 
zwei  Tagen  Avieder  je  eine  Injektion  von  100  I.-E.  in  den  gesunden 
Schenkel  und  Morphium.  Allmähliche  Besserung,  nach  sechs 
Wochen  entlassen.  Bei  einer  Nachuntersuchung  nach  weiteren 
sechs  Wochen  ist  die  Wunde  noch  nicht  vollkommen  geheilt,  die 
Funktion  des  Knies  stark  behindert.  Verf.  empfiehlt  die  pro¬ 
phylaktische  Anwendung  der  subkutanen  Antitoxineinspritzungen 
bei  allen  stark  verunreinigten  Riß-  und  Quetschwunden  („ver¬ 
unreinigte,  gerissene  und  gequetschte  Wunden  gehören  von  vorne- 
herein  in  das  Krankenhaus!“)  und  bespricht  sodann  eingehend 
die  Behandlung  nach  Ausbruch  des  Tetanus.  Er  unterscheidet 
den  örtlichen  und  den  allgemeinen  Tetanus,  welche  zwei  Formen 
aber  nicht  streng  auseinander  gehalten  werden  können.  Es  dürfte 
am  zAveckmäßigsten  sein,  die  Wunde  selbst  mit  Antitoxin  nicht 
nur  zu  waschen  und  auszureiben,  sondern  auch  Einreibungen  des 
Heilstoffes  in  die  der  Wunde  benachbarten  Gewebsschichten  zu 
machen.  Die  Aveitere  Einverleibung  des  Antitoxins  erfolgt  in  drei¬ 
facher  Art.  Einmal  als  intraneurale,  dann  als  lumbale  und  schlie߬ 
lich  als  intrazerebrale  Injektion.  Bei  der  intraneuralen  Injektion 
werden  die  dem  Verletzungsgebiet  angehörenden  Nervenstämme 
freigelegt,  man  sticht  eine  feine  Hohlnadel  in  sie  hinein  und 
injiziert  in  schräger,  zentripetaler  Richtung  eine  entsprechende 
Flüssigkeitsmenge.  Das  Verfahren  kann  an  einer  zweiten,  mehr 
zentralwärts  gelegenen  Stelle  wiederholt  werden,  vielfache  Ein¬ 
spritzungen  (Rogers)  sind  nicht  empfehlenswert.  „Es  Avird  ge¬ 
nügend  sein,  wenn  man  alle  Nervenstämme,  welche  Zweige  aus 
dem  Verletzungsgebiet  beziehen,  an  einer  einzigen  Stelle  gründ¬ 
lich  mit  Antitoxin  aufbläht.“  Die  lumbale  Einspritzung  wird  wie 
die  Bi  er  sehe  Anästhesie  ausgeführt.  Es  fehlen  Angaben  über 
die  Zahl  und  Ausgänge  der  so  behandelten  Kranken.  Die  intra- 
zerebrale  Injektion,  nach  Anbohrung  des  Schädels,  Avird  entweder 
intradural  oder  in  die  Seitenventrikel  (Kocher)  ausgeführt.  Die 
Resultate  dieser  Methode  sind  nicht  aufmunternd,  vielmehr  traten 
vorläufig  nur  die  intraneuralen  mit  den  spinalen  Einspritzungen 
in  Wettbewerb.  Verf.  glaubt,  daß  man  die  intraneuralen  Injektionen 
als  das  zuverlässigste  und  ungefährlichste  Mittel  in  allen  Fällen 
machen  solle,  in  Avelchen  die  Erscheinungen  rein  örtlich  auf¬ 
treten  und  zunächst  örtlich  bleiben.  Verallgemeinert  sich  der 
Prozeß  (Trismus),  so  dürfte  eine  gleichzeitige  spinale  Einspritzung, 
eventuell  mehrmals  Aviederholt,  die  größere  Sicherheit  bieten. 
Fehlen  örtliche  Erscheinungen  und  ist  die  Eingangspforte  un¬ 
sicher,  so  ist  die  spinale  Injektion  für  sich  oder  mit  (Avieder- 
holten)  subkutanen  Einspritzungen  angezeigt.  —  (Die  Therapie 
der  Gegemvart,  Februar  1907.)  E.  F. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


357 


147.  lieber  die  entzündlichen  ps  e  n  d  one  o  p  1  a  s  ti¬ 
schen  Tumoren  des  Abdomens.  Von  Le  jars.  Es  gibt  ab¬ 
dominale  Tumoren,  welche  nach  ihrem  physikalischen  Verhalten; 
den  klinischen  Symplomen,  sowie  nach  Verlauf  und  Lokalisation 
Karzinom  vortäuschen,  aber  in  Wirklichkeit  entzündlicher  Natur 
sind.  In  solchen  Fällen  gibt  manchmal  erst  die  histologische 
Untersuchung  Aufschluß  über  die  wahre  Natur  der  Erkrankung. 
Diese  entzündlichen  Tumoren  bieten  namentlich  dann  diagno¬ 
stische  Schwierigkeiten,  wenn  es  sich  nicht  um  Abszeßbildung,, 
sondern  um  chronische,  indurierte  Phlegmonen  handelt.  Solche 
Tumoren  können  in  verschiedenen  Regionen  der  Bauchhöhle  auf- 
treten.  Hieher  gehören  die  Fälle  von  chronischer  Perigastritis, 
welche  vollständig  maligne  Tumoren  vortäuschen  können.  Auch 
entlang  dem  Uickdarm  können  sich  solche  entzündliche  Tumoren 
entwickeln  und  es  ist  die  Kenntnis  des  Vorkoanmens  zirkumskripter 
chronischer  Kojitis  und  Peiikolitis  von  Wichtigkeit,  weil  der 
Nachweis  eines  solchen  Tumors  bei  Personen  in  vorgerückterem 
Lebensalter  in  Verbindung  mit  den  begleitenden  Verdauungs¬ 
störungen  und  Abmagerung  an  ein  Dickdarmkarzinom  denken  läßt, 
ln  der  rechten  Darmbeingrube  sind  es  gewisse  Formen  von  chro¬ 
nischer  Appendizitis,  welche  eine  bösartige  Neubildung  vortäu¬ 
schen  können.  Bei  diesen  Formen  wird  klinisch  wiederholtes 
Auftreten  von  Darmokklusion  beobachtet,  die  lokale  Untersuchung 
ergibt  das  Vorhandensein  eines  harten,  höckerigen  Tumors.  Der 
gleiche  Befund  bei  einem  Individuum  im  jüngeren  Lebensalter 
muß  den  Verdacht  auf  Tuberkulose  erwecken.  Es  gibt  auch  Fälle 
von  chronischer  Epiploitis  und  subhepatischer  Peritonitis,  welche 
zu  diagnostischen  Irrtümern  Veranlassung  geben  können.  Be¬ 
sonderes  Interesse  beanspruchen  .die  großen  entzündlichen  Neo¬ 
plasmen  der  Gegend  unterhalb  des  Nabels,  sowie  des  Beckens, 
welche,  ihrem  Wesen  nach  indurative  Phlegmonen,  das  Bild  eines 
Darm-  oder  Bauchfellkarzinoms  vortäuschen  können.  Es  ist  aber 
auch  zu  berücksichtigen,  daß  sich  chronische  Phlegmonen  mit 
oder  ohne  Abszeßbildung  auch  in  der  Umgebung  von  Neoplasmen 
entwickeln  können.  Von  den  entzündlichen  Neoplasmen  sind  jene 
mit  zentraler  Abszeßbildung  der  richtigen  Diagnose  eher  zugäng¬ 
lich,  weil  gelegentliche  Fieberbewegungen  und  konstante  Schmer¬ 
zen  auf  das  Vorhandensein  einer  Eiterang  hinweisen.  In  gleichem 
Sinne  sprechen  rasche  Größenzunahme,  Auftreten  von  Fluktuation 
an  einzelnen  Stellen  und  Hyperleukozytose.  Wichtig  ist  auch 
plötzlicher  Beginn  der  Erkrankung  mit  Fiebererscheinungen.  Auch 
bei  den  indurativen  Phlegmonen  ist  der  Nachweis  vorangegangener 
Fieberanfälle  von  größter  diagnostischer  Bedeutung,  ferner  rasches 
Wachstum  bei  nicht  ganz  hochgradiger  Kachexie.  Die  indurativen 
Phlegmonen  haben  außerdem  im  Gegensatz  zum  Karzinom  eine 
Tendenz  zur  Rückbildung,  doch  soll  man  bei  schwererer  Ernäh¬ 
rungsstörung  in  solchen  Fällen  mit  der  Operation  nicht  zu  lange 
warten,  da  diese  bei  richtigem  Vorgehen  meist  Heilung  der  ent¬ 
zündlichen  Tumoren  herbeiführt.  —  (Sem.  med.  1906,  Nr.  50.) 

a.  e. 

* 

148.  Aus  der  H.  phychiatrischen  und  Nervenklinik  (Vor¬ 
stand:  Hofrat  Prof.  Dr.  J.  Wagner  v.  Jauregg).  Die  soge¬ 
nannte  ,, akute  multiple  Sklerose“  (Enzephalomye¬ 
litis  periaxialis  skier oticans).  Von  Dr.  Otto  Marburg, 
Privatdozent  für  Neurologie.  Die  als  akute  oder  subakute  multiple 
Sklerosen  beschriebenen  Fälle  nehmen  eine  Sonderstellung  ein. 
Sie  entfernen  sich  in  gewisser  Beziehung  von  dem  gewohnten 
Bilde  der  Myelitis  und  nähern  sich  dafür  dem  der  multiplen 
Sklerose.  An  Oer  Hand  der  Literatur  und  dreier  eigener  Beob¬ 
achtungen  äußert  sich  Marburg  über  Verbreitung  und  Ur¬ 
sachen,  die  pathologischen  Befunde,  Prognose  und  Therapie  der 
sogenannten  akuten  multiplen  Sklerose,  ausgezeichnet  durch 
eine  rasche  Progression  des  Prozesses  und  klinisch  nahe 
verwandt  mit  der  multiplen  Sklerose.  Der  pathologische 
Prozeß  erweist  sich  als  ein  diskontinuierlicher  Markzerfall 
mit  relativer  Intaktheit  des  Achsenzylinders  und  gleich¬ 
zeitiger  oder  folgender  Wucherung  der  Gefäß-  und  (jliazellen 
(analog  wie  bei  der  diskontinuierlichen  oder  periaxialen  Neuritis). 
Der  pathologische  Vorgang  gehört  in  die  Gruppe  der  degenerativen 
Entzündungen.  Er  dürfte  durch  Toxine  bedingt  sein.  Der  End¬ 
ausgang  ist  der  komplette  Ersatz  des  zugrunde  gegangenen  Ge¬ 
webes  durch  ein  kernarmes,  fein  fibrilläres  Gliagewehe.  Die 


Prognose  der  Krankheit  ist  quoad  sanalionem  und  quoad  vitarn 
ungünstig.  Therapie  symptomatisch.  Genetisch  sieht  die  Affektion 
in  der  Reihe  der  degenerativen  Myelitiden.  Sie  ist  richtig  ge¬ 
kennzeichnet  durch  den  Namen  Enzephalitis  pej'iaxialis  scleroli- 
cans.  —  (Jahrbücher  f.  Psychiatrie  u.  Neurologie,  Bd.  27,  H.  3.)  S. 

* 

149.  (Ans  dem  Bürgerhospital  zu  Köln.)  Zur  radikalen 
F  r  ü  h  r  e  s  e  k  t  i  o  n  d  e  s  tuberkulösen  E 1 1 e  n  b  o  g  e  n  g  e 1 c  n  k  e  s 
ü  b  e  r  h  a u  p  t,  sowie  besonders  i  m  kindlichen  Alte  r.  Von 
Prof.  Bardenheuer.  Im  letzten  Dezennium  hatte  Verf.  bei 
Gelenkstubcrkulose  vorwiegend  eine  möglichst  konservative,  ex- 
spektative  Therapie  geübt.  Die  wenig  günstigen  Erfolge,  die  er 
hiebei  erzielte,  sowie  die  bei  anderen  Gelenken,  besonders  Hüft¬ 
gelenks  tuberkulöse,  erreichten  günstigen  Dauererfolge  bei  frühzeitig 
geübter  Resektion  und  die  günstigen  Berichte  anderer  Autoren 
(v.  Mosetig,  Hildebrand  u.  a.)  haben  Bardenheuer  all¬ 
mählich  veranlaßt,  die  frühzeitige  radikale  Resektion  des  tuber¬ 
kulösen  Ellenbogengelenkes  als  die  aussichtsreichste  Therapie  zu 
üben  und  zu  empfehlen  u.  zw.  auch  für  das^  kindliche  yVlter.  Die 
konservative  Therapie  gibt  keine  sicheren,  meist  schlechtere  funk¬ 
tionelle  Resultate,  weil  die  Tuberkulose  doch  meist  nicht  aus¬ 
heilt,  sondern  nur  mehr  oder  weniger  abgekapselt  wird;  cs  tritt 
oft  fistulöse  Ausheilung  ein,  die  die  Aussichten  für  spätere,  even¬ 
tuell  notwendige  Operationen  sehr  trübt;  eine  weitere  Gefahr 
liegt  in  der  Weiterentwicklung  der  Tuberkulose  anderwärts  und 
in  der  Steigerung  des  örtlichen  tuberkulösen  Prozesses  mit  häufig 
eintretender  Versteifung  und  Wachstumsstörung.  Letztere  war 
es  vor  allem,  welche  Verf.  früher  bei  frühzeitiger  Resektion 
fürchtete.  Nach  eigenen  Beobachtungen,  sowie  den  Erfahrungen 
anderer  Autoren  ist  die  Wachstumsstörung  nach  frühzeitiger  Re¬ 
sektion  (besonders  des  Ellenbogengelenkes)  weitaus  nicht  so  hoch 
anzuschlagen  wie  die  Gefahren  der  konservativen  Therapie  oder 
der  Spätoperation.  Am  Oberarm  geht  das  Wachstum  mehr  vom 
oberen  Ende  des  Humerus  und  am  Vorderarm  mehr  vom  unteren 
Radius-  und  Ulnaende  aus;  die  Epiphysen  am  Ellenbogengelenk 
sind  nach  des  Verfassers  Ueberzeugung  am  Wachstum  sein-  wenig 
beteiligt.  Und  tritt  wirklich  eine  Wachstumsstörung  ein,  so  treten 
die  Folgen  dieser  für  die  Funktion  weit  zurück  gegen  die  Un¬ 
sicherheit  des  Erfolges,  welche  eine  Spätresektion  mit  ausge¬ 
dehnter  Entfernung  von  kranken  Knochen  ergibt,  bei  der  in  der 
Regel  durch  die  vorher  bestehende  schwere  Vereiterung  eine 
fiste  11  ose  Heilung  nicht  erzielt  wird,  häufig  aber  ein  Schlotter¬ 
gelenk  und  Rezidive  die  Folge  ist.  Gerade  aber  eine  fistellose 
Heilung  schützt  am  meisten  vor  einem  Rezidiv  oder  Schlotter¬ 
gelenk.  Eine  primäre,  fistellose  Ausheilung  ist  für  Verf.  der  beste 
Gradmesser  für  die  Güte  der  Operationsmethode,  sie  erzielt  fast 
ausnahmslos  eine  gut  stehende,  feste  Verbindung,  oft  selbst  ein 
normal  artikulierendes  Gelenk,  wenn  der  Knochendefekt  nicht 
ein  gar  zu  großer  war.  In  diesen  Erwägungen  tritt  B  a  r  d  e  n  h  e u  e  r 
für  die  frühzeitige,  radikale  Resektion  des  tuberkulösen  Ellen¬ 
bogengelenkes  ein.  Unter  radikaler  Resektion  versteht  er  die 
komplette  Entfernung  von  allem  tuberkulösen  Gewebe  des 
Gelenkes  im  Kindesalter,  ohne  Rücksichtnahme  auf  die  Größe 
des  Knochendefektes,  eventuell  auch'  auf  die  Epiphysenlinie,  inso- 
ferne  Teile  tuberkulös  infiziert  sind;  unter  frühzeitiger  Re¬ 
sektion  versteht  er  die  Vornahme  derselben  sobald,  wie  die  einige 
Zeit  —  ein  bis  drei  Monate  — •  fortgesetzte  konservative  Behand¬ 
lung  keinen  wesentlichen  Erfolg,  sondern  im  Gegenteil  eine  fort¬ 
schreitende  Tendenz  zeigt.  Die  konservative  Therapie  ist 
höchstens  in  den  besseren  Ständen  auch  länger  zu  versuchen, 
wo  bei  vorzüglichen  hygienischen  Verhältnissen  manchmal  nach 
jahrelanger  Behandlung  ein  Dauererfolg  erzielt  wird.  Für  die 
Zeit  des  Zuwartens  mit  konservativer  Methode  empfiehlt  der  Autor 
am  ehesten  die  Bi  ersehe  Stauung.  Barden  heuer  steht  somit 
nahe  dem  Standpunkte  v.  Mose  tigs,  nur  daßi  letzterer  gleich 
operiert,  sobald  die  Diagnose  auf  Tuberkulose  gestellt  ist  und 
auch  auf  kurze  konservative  Therapie  verzichtet.  Als  Operations¬ 
methode  empfiehlt  Bardenheuer  die  extrakapsuläre  Re¬ 
sektion  mit  Quer-  oder  flachem  Bogensclmitt,  mit  welcher  die 
reine  Exstirpation  der  .Th'berkulose,  ohne  daß  der  Inhalt 
des  Gelenkes  über  die  Wundfläche  fließt  und  diese  infiziert,  am 
leichtesten  gelingt.  Durch  diese  wird  am  ehesten  icine  fistellose 
Ausheilung  erreicht,  Schlottergelcnk  und  Rezidive  verhindert.  Vor- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


606 


fasser  ;iibt  gleichzeilig  eine  genaue  'Be^;chi'eibung  seiner  Reseküons- 
jiiethüdc  an.  Im  \'ei]auf('  .seinei'  Aiisfübriingen  legi  <ler  Autor 
jiebe)ib(‘i  auch  seinen  SiaiKipiinkl  bei  der  H  ü  f  Lg  e  1  enk s  1  u  b  e  r^ 
kiilü.se  dar,  als  deren  ricldigsle  Therapie  er  gleichfalls  die  früh¬ 
zeilige  r  a  d  i  k  a  1  e,  e  x  l  r  a  k  a  p  s  11 1  ä  r  e  Resektion  bezeichnet : 
Sie  ist  ej'stens  nicht  gefähiiicb  und  gibt  selbst  bei  Totalresektion 
der  ITanne  gute  funktionelle  Resultate.  Durch  die  frühzeitige 
Optn'ation  aber  kann  vor  allein  die  Resektion  auf  den  Femur¬ 
kopf  bescliränkt  werden,  womit  die  Waebstumsslürung  des  Femurs 
nacb  Resektion  der  Hüfte  umgangen  wird,  was  niclit  der  Fall 
ist  liei  der  gleichzeitigen,  sp.äteren  Resektion  der  Trochanteren ; 
zudem  wird,  wenn  die  ITannenresektion  umgangen  wiril,  die 
(Operation  weniger  eingreifend.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Cbir. 

1906,  Bd.  85.  —  Festschrift  für  v.  Bergmann.)  F.  H. 

4> 

150.  Lieber  Dauererfolge  mit  Tuberkulinbeband- 
lung.  Von  Sanitätsrat  Dr.  W.  Rooniisch  in  Arosa.  Verfasser 
bringt  nach  neueilichen  vierjährigen  Erfahrungen  eine  volle  Be¬ 
stätigung  der  Ausführungen  in  seiner  im  Jahre  1902  erfolgten 
\'eröffentlichung  über  die  unerwarteten  Erfolge  von  Tuberkulin¬ 
kuren  bei  hartnäckig  Erkrankten,  die  sich  einer  jeden  anderen 
Behandlung  viele  Monate  hindurch  als  völlig  unzugänglich  er¬ 
wiesen  hatten.  Das  namentliche  Ergebnis  ist:  Es  gibt  eine 

Kategorie  von  Lungentuherkulösen,  die  sich  durch  Beobachtung 
und  Untersuchung  genau  bestimmen  läßt,  bei  der  mit  einer 

Tuberkulinkur  noch  Erfolg  zu  erzielen  ist,  obwohl  jede  andere 
Behandlungsart  versagt  hat.  Es  sind  dies  jene  chronisch  Kran¬ 
ken,  die  durch  eine  Luftruhekur  alle  Entzündungserscheinungen 
in  der  Umgebung  der  Erkrankungsherde  verloren  haben,  bei 
denen  aber  doch  ein  oder  mehrere  tuberkulöise  Herde  zurück¬ 
geblieben  sind,  die  keine  Neigung  zu  weiterer  Besserung  zeigen 
und  die  sowohl  bei  der  physikalischen  Untersuchung  als  auch 
hei  der  Untersuchung  des  Auswurfes  noch  die  deutlichsten  Kraidv- 
heitszeichen  erkennen  lassen.  Es  ist  hieniit  eine  bestimmte  In¬ 
dikation  für  die  Tuberkulinkuren  gegeben.  Dieser  Auswahl  der 
Fälle,  dieser  bestimmten  Indikationsstellung,  neben  genau  beob¬ 
achtendem  Vorgehen  in  der  Dosierung  glaubt  der  Verfasser  es  zu 
verdanken,  daß  er  Mißerfolge  bei  diesen  Kuren  überhaupt  nicht 
erlebt  hat.  Daß  man  diese  aber  erleben  ward,  wenn  man  wieder 
alle  akuten  Krankheitsfälle,  wie  von  manchen  empfohlen  wird 
und  sogar  boebfiebernde,  sich  noch  ausbreitende  Erkrankungs¬ 
formen  Tuberkulinkuren  unterzieht,  dessen  ist  Verf.  sicher.  Tuber¬ 
kulinkuren  sind  nicht  gefahrlos  und  eignen  sich  Jiicht  für  alle 
Fälle.  Bei  akuten  und  besonders  fiebernden  Fällen  erzielt  man 
mit  der  Ruhebehandhmg  in  guter  Luft  so  ausgezeichnete  Resul¬ 
tate,  daß  man  das  Tuberkulin  nicht  vermißt.  Die  Tuberkulin-- 
behandlung  macht  also  die  bisherige  Behandlungsweise  nicht  un- 
Jiölig,  ist  derselben  auch  keineswegs  gleichwertig,  erzielt  man 
doch  in  allen  heilbaren  und  rechtzeitig  zur  Behandlung  kom¬ 
menden  Fällen  volle  Herstellung  der  Gesundheit.  Dagegen  ist 
das  Tuberkulin  ein  wertvolles  Hilfsmittel,  das  in  manchen  Fällen 
Gutes  zu  leisten  imstande  ist  und  mit  dessen  Hilfe  es  auch  dem 
Verfasser  in  einigen  mitgeteilten  Fällen  gelang,  den  hartnäckigen, 
bazillenhaltigen  Auswmrf  und  die  letzten  Krankheitsreste  noch  zu 
beseitigen,  sowie  wiederholt  hartnäckige  Temperaturerhöhungen 
wieder  zur  Norm  zu  bringen.  Dabei  kann  nach  des  ^Verfassers 
Erfahrungen  mit  einem  jeden  Tuberkulinpräparat  ein  Erfolg  er¬ 
zielt  wmrden,  doch  gibt  es  individuelle  Ausnahmen,  um  ein  Prä¬ 
parat  toxisch  wirkt  und  den  Wechsel  mit  einem  anderen  er¬ 
fordert.  Spengler  hat  als  erster  auf  diesehi  Präparatwechsel 
hingewiesen  und  verwendet  ihn  jetzt  methodisch.  Durch  diesen 
Präpai’atweclrsel  hat  auch  ^'erf.  oft  da  noch  einen  Erfolg  erzielt, 
wo  er  schon  die  Kur  abbrechen  wollte,  weil  störende  toxische 
Wirkungen  mit  der  Anwendung  des  Tuberkulins  sich  verbanden. 
^'erLauschte  Verf.  dann  das  Präparat,  so  z.  B.  das  alle  Koch  sehe 
Tuberkulin  mit  den  Präparaten  von  Denys  oder  von  Spengler, 
so  ließ  sich  die  Kur  mit  vollein  Erfolg  zu  Ende  führen.  Nach 
der  lleberzeugung  des  Verfassers  ist  \veniger  die  Wahl  des  Prä- 
pa>ates,  als  die  Siclierheit  des  Arztes  in  der  Beherrschung  der 
für  den  betreffenden  Fall  noUvendigen  individuellen  Behand¬ 
lungsweise  die  Grundbedingung  für  den  Erfolg  der  Tuberknliu- 
bidiaiidbmg.  —  (Münchener  nuajiz.  Woclumschr.  1907,  Nr.  8.) 

G. 


Vermisehte  l^laehfichten. 

Das  am  15.  d.  M.  abgehaltene  hundertjährige  Stiftungsfest 
des  Operateurinstitutes  der  Wiener  medizinischen  Fakultät  vollzog 
sich  unter  den  würdigen  und  schönen  Formen  einer  von  echt  ^ 
akademisch-kollegialem  Geiste  beseelten  Veranstaltung,  die  allen 
Teilnehmern  eine  bedeutsame  Erinnerung  fürs  Leben  hinterlassen 
dürfte.  Schon  das  war  erhebend  und  erfreulich  zugleich,  daß 
man  aus  diesem  Anlasse  es  so  vielfältig  mitansehen  und  mit-  , 

erleben  konnte,  wie  da  nach  langer  Trennung  in  herzlicher  'I 

W^ärme  manch  Wiedersehen  gefeiert  und  manch  alte  Freundschaft 
erneuert  wurde  und  wie  pietätvoll  die  Stimmung  wurde,  als  ini  '■ 

Beruf  ergraute  Männer  die  Stätte  wieder  betraten,  wo  sie  in  ) 

jungen  Jahren  von  bedeutenden  Meistern  Belehrung  und  Beispiel 
empfingen.  Der  Vormittag  vereinigte  alle  Gäste  zunächst  in  der  ! 
einen  und  hierauf  in  der  Schwesterklinik.  In  wenigen  Stunden 
wurde  hier  dem  großen  Auditorium  ein  äußerst  lehrreiches  Bild 
der  modernen  Chirurgie  in  Lehre  und  Praxis'  vorgeführt.  Wie- 
viel  Weisheit  —  so  mußte  man  sich  sagen  —  liegt  doch  in  der  \ 
baulichen  Anlage  dieses  alten  Krankenhauses,  daß  es  den  so 
wechselnden  Bedürfnissen  der  kommenden  Zeiten  immer  wieder 
angepaßt  werden  konnte,  so  daß  die  moderne  Chirurgie  hier  nicht  •  \ 

nur  in  vollstem  Maße  ihren  Einzug  halten  konnte,  sondern  ihr  } 

auch  gerade  von  hier  aus  mit  die  bedeutendsten  Anregungen  zu-  3 

flössen  und  noch  jetzt  zufließen.  Am  Abend  wohnten  die  ehemaligen  \ 

Zöglinge  der  Hauptversammlung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  bei.  1 

Dem  schloß  sich  ein  Empfang  in  der  Universität  an,  zu  dem  | 

von  den  beiden  Vorständen  der  chirurgischen  Klinik  die  Ein-  A 

ladungen  ausgegangen  waren.  Es  war  ein  vortrefflicher  Gedanke,  1 

auch  diese  gesellige  Veranstaltung  auf  akademischen  Boden  zu  \ 

verlegen  und  so  dem  Feste  von  seinem  ersten  Anbeginn  bis  zum  .  j 
fröhlichen  Schluß  seinen  höheren  Charakter  zu  wahren,  der  auch  •; 
denjenigen,  die  fernab  von  ihr  wirken,  das  Gefühl  der  Zugehörig- 
keit  zur  Alma  mater  lebendig  erhielt.  Dem  Empfange  wohnten  j 

hohe  Staatswürdenträger,  wie  der  Minister  für  Kultus  und  Unter-  .« 

rieht,  der  Landesverteidigungsminister,  hohe  Beamte  der  Mini-  'I 

sterien,  der  Präsident  der  Akademie  der  Wissenschaften,  Eduard  4 

Süß,  der  Rektor  der  Universität  mit  dem  akademischen  Senat,  j 

der  Rektor  der  Technik,  bei  und  an  der  Spitze  des  zahlreich  i 

vertretenen  Offizierskorps  der  Militärärzte  Generaloberstabsarzt  ^ 

V.  Uriel.  In  einem  improvisierten  Konventikel  in  kleinerem  1 

Kreise  und  außerhalb  der  Universität  kam  noch  nachträglich  in  1' 

ernsten  und  heiteren  Reden  die  Befriedigung  über  den  so  harmo-  ) 

nischen  Ablauf  des  schönen  Festes  und  der  Dank  für  dessen  Ij 

Veranstalter  in  herzlichster  Weise  zum  Ausdruck.  \i 

Von  nachstehenden  Herren  sind  anläßlich  der  Zentenarfeier  des  h 
k.  k.  Operateur-Institutes  telegraphische  Glückwünsche  eingelangt :  Doktor 
H.  Dan  sch  er  (Graz),  Prim.  Meyer  (Trautenau),  Prim.  A.  Fabritius 
(Kronstadt),  Dr.  Kamillo  Fürst  (Graz),  Doz.  Lazarus  (ßerhn),  Doktor 
M  i  1 1  e  n  d  0  r  f  e  r  (W eis),  Prim.  K  w  i  a  1  k  0  w  s  k  i  (Czernowitz),  Professor 
Kader  (Krakau),  Prim.  Otto  (Hermannstadt),  Prof.  R e c z ey  (Budapest),  ] 

Prim.  Preindls])erger  (Sarajewo),  Oberstabsarzt  Gents  chits ch  ■ 

(Kragoujevatz),  Prof.  Narath  (Heidelberg),  Dr.  Smital  (Müglitz),  ( 

Dr.  Kladar  Georgevitsch  (Belgrad),  Oberstabsarzt  Dr.  T r n k a 
(Triest),  Prim.  Hairsy  (Semmering),  Oberstabsarzt  Dietl  (t^tceIliny), 

Prof.  Schmit  (Linz),  Dr.  v.  Fischer  (Triest),  Dr.  Vogel  (Klagenfurt), 

Dr.  St  an  gl  (Langau),  Prim.  Sauer  (Krems),  Prof.  v.  Grosz  (Budapest),  I 
Prof.  Payr  (Graz),  Stabsarzt  Okuniewsky  (Pola),  Oberstabsarzt  ■ 
I\Iaurer  (Temesvar),  Dr.  Lungstein  (Teplitz-Schönau),  Hofrat  Röchelt 
(Meran),  Prof.  C  ec  eher  eil  i  (Parma),  Prof.  Chiari  (Straßburg),  Primär. 
Smoley  (Klagenfurt),  Dr.  Pawlicki  (Czernowitz),  Hofrat  Rydygier 
(Lemberg),  Prim.  Klotz  (Steyr),  Prim.  E  r  1 1  (Graz),  Hofrat  v.  Vogl 
(Wien),  Prim.  Obertb  (Sebönburg),  Prof.  Bayer  (Prag),  Direktor 
Dvorak  (Pi’ag),  Scbüssler  (Schwechat),  Hofrat  Doll  in  ger  (Budapest), 

Prof.  Riedin  ger-  (Brümi),  Prim.  Pontoni  (Görz),  Prim.  v.  Karajan 
(Salzburg). 

* 

Ernannt:  Prof.  Hermann  K  ü  1 1  n  e  r  an  Stelle  des  in  den 
Ruhestand  tretenden  Geh.  Medizinalrates  Ernst  Küster  zum 
Direktor  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Marburg.  — 

Dr.  G.  N  u  1 1  a  1 1  zum  Professor  der  Biologie  in  Cambridge. 

* 

Verliehen:  Dem  Privatdozenten  für  innere  Medizin  in 
Breslau  Dr.  W.  E  r  c  k  1  e  n  t  z  das  Prädikat  Professor.  —  In 
Königsberg:  den  Privatdozenten  DDr.  Braatz  (Chirurgie),  Weiß 
(Physiologie)  und  E  1 1  i  n  g  e  r  (Pharmakologie)  der  Professortitel. 

* 

Habilitiert:  Priv.-Doz.  Dr.  Wilhelm  Specht  in  Tü¬ 
bingen  für  Psychiatrie  in  München. 

* 

Gestorben:  Der  Privatdozent  für  Augenheilkunde 

Dr.  Adolf  Gad  in  Kopenhagen.  -  Der  Vorstand  dei-  bakterio- 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


359 


logischen  Abteilung  des  Listerinstituts  in  London,  Allan  Mac-  ! 
f  a  d  y  e  n.  —  Der  Professor  der  Histologie  Dr.  M.  Duval  in 
Paris.  —  F.  Herrgott,  ehern.  Professor  der  Geburtshilfe  in  Nancy. 

In  der  Sitzung  des  niederösterreichischen 
Landessanitätsrates  vom  11.  März  1907  wurden  folgende 
Gutachten  erstattet:  1.  Ueber  den  Besetzungsvorschlag  für  eine 
im  Stande  der  landesfürstlichen  Amtsärzte  in  Niederösterreich 
erledigte  Oberbezirksarztes-,  Bezirksarztes-  und  Sanitätskonzipisten¬ 
stelle.  2.  Ueber  die  Aenderung  des  Statuts  und  der  Instruktion 
für  das  ärztliche  Personal  eines  öffentlichen  Krankenhauses  in 
Niederösterreich.  —  3.  Ueber  ein  Ansuchen  um  Bewilligung  zur 
Errichtung  eines  Privaterziehungsinstituts  für  geistig  zurück¬ 
gebliebene  Kinder  in  Wien.  —  4.  Ueber  ein  Ansuchen  um  Kon- 
zessionierung  eines  chirurgischen  Sanatoriums  in  Wien. 

* 

Der  24.  Kongreß  für  Innere  Medizin  findet  vom 
15.  bis  18.  April  1907  in  Wiesbaden  statt  (Feier  des 
25jährigen  Bestehens  des  Kongresses).  Das  Präsidium  übernimmt 
Geheimrat  v.  L  e  y  d  e  n  -  Berlin.  Folgendes  Thema  soll  zur  Ver¬ 
handlung  kommen :  Am  ersten  Sitzungstage :  Montag  den 
15.  April  1907 :  Neuralgien  und  ihre  Behandlung. 
Referent :  Schnitze-  Bonn.  V  orträge  haben  bis  jetzt  an¬ 
gemeldet  die  Herren:  v.  B  e  r  g  m  a  n  n  -  Berlin  :  1.  Stoffwechsel¬ 
versuche  zur  Frage  der  Schilddrüsentherapie  bei  Fettsucht; 

2.  Ueber  das  Auftreten  von  Antikörpern  bei  Phosphorvergiftung. 
A.  B  i  c  k  el  -  Berlin  :  Ueber  therapeutische  Beeinflussung  der 
Pankreassaftsekretion.  Blum-  Straßburg :  Untersuchungen  über 
Alkaptonurie.  B  r  u  g  s  c  h  und  Schittenhelm  -  Berlin  :  Zur 
Stolfwechselpathologie  der  Gicht.  Determann  -  Freiburg  :  Demon¬ 
stration  eines  einfachen,  sofort  gebrauchsfähigen  Blutviskosi¬ 
meters.  Dietz-  Kissingen :  Eine  Neuerung  an  den  pneumatischen 
Kammern,  welche  es  ermöglicht,  in  verdünnte  Luft  auszuatmen. 
Engländer  -  Wien :  Eine  einfache  Messung  der  Harntemperatur 
und  ihre  physiologische  und  klinische  Bedeutung.  Fritz  F  a  1  k- 
Graz  :  Ueber  Adrenalinveränderungen  an  den  Gefäßen  und  deren 
experimentelle  Beeinflussung.  W.  Falt  a  und  A.  Gigon-Wien: 
Ueber  Empfindlichkeit  des  Diabetikers  gegen  Eiweiß  und  Kohle¬ 
hydrat.  F  r  a  n  z  e  -  Bad  Nauheim :  Demonstration  einer  durch¬ 
sichtigen  Zeichenebene  für  Orthodiagraphie.  Siegmund  G  a  r  d- 
Pistyan :  Ueber  ein  bisher  unbekanntes  pathognomonisches 
Symptom  der  Ischias.  Gräupner  -  Bad  Nauheim  :  1.  Ueber  gesetz¬ 
mäßige  Bildung  von  Blutdruckkurven  bei  dosierter  Arbeitsleistung  ; 
2.  Demonstration  eines  Ergometers  für  dosierte  Arbeitsleistung 
mit  verschiedenen  Muskelgruppen.  Grober-  Jena :  Massen¬ 
verhältnisse  des  Herzens  bei  künstlicher  Arterienstarre.  Franz 
G  r  ö  d  e  1  HI  (Bad  Nauheim) :  Zur  Topographie  des  Magens. 

H.  Gutzmann-  Berlin :  Zur  Behandlung  der  Aphasie.  C.  Hirsch- 
Leipzig  und  W.  Spalteholz  -  Leipzig :  Koronarkreislauf  und 
Herzmuskel,  anatomische  und  experimentelle  Untersuchungen. 
Honigmann  -  Wiesbaden  :  Ueber  Kriegsneurosen.  H  u  i  s  m  a  n  s- 
Köln :  Zur  Nosologie  und  pathologischen  Anatomie  der  Tay- 
Sachs  sehen  familiären  amaurotischen  Idiotie,  v.  J  a  k  s  c  h  -  Prag  : 
Ueber  chronische  Mangantoxikosen.  G.  K 1  e  m  p  e  r  e  r  -  Berlin  : 

I.  Zur  Lehre  von  der  Verfettung ;  2.  Zur  Behandlung  des  akuten 

Gelenksrheumatismus.  Kohnst  amm- Königstein  :  Die  Behandlung 
der  Verstopfung  mit  fleischloser  Ernährung.  F.  Kraus  und 
H.  F  ri  e  d  e  n  t  h  a  1  -  Berlin :  Zur  Physiologie  der  Organe  mit 
innerer  Sekretion.  Paul  Krause-  Breslau :  Zur  Röntgen-  und 
Injektionstherapie  bei  Trigeminusneuralgie  und  Ischias.  Ernst 
Kuhn-  Berlin :  1.  Ueber  Hyperämiebehandlung  der  Lungen 

mittels  der  Lungensaugmaske ;  2.  Demonstration  zum  gleichen 
Thema.  Karl  L  e  w  i  n  -  Berlin  :  Ein  transplantables  Rattenkarzinom 
mit  Demonstrationen.  Felix  Lommel-Jena:  Die  Verwertung 
parenteral  eingeführten  Eiweißes  im  Tierkörper.  Magnus-Als- 
leben-Jena:  Ueber  relative  Insuffizienzen  der  Herzklappen. 
Ed.  Müller-  Breslau  :  Das  proteolytische  Leukozytenferment  und 
sein  Antiferment.  Ed.  Müller- Breslau  und  Jochmann  - Berlin : 
Demonstration  einer  einfachen  Methode  zum  Nachweise  proteo¬ 
lytischer  Fermentwirkungen.  Ortner-Wien:  Zur  Klinik  der 
Herzarythmie,  Bradykardie  und  des  Stokes-Adams  sehen 
Symptomenkomplexes.  Pel-  Amsterdam  :  1.  Paroxysmale  Hämo¬ 
globinurie  und  Hyperglobulose.  2.  Myasthenia  pseudoparalytica 
und  Hyperleukozytose.  R  a  t  n  e  r  -  Wiesbaden  :  Untersuchungen 
zur  pathologischen  Anatomie  der  Paralysen.  R  i  c  h  a  r  t  z  -  Frank¬ 
furt  a.  M. :  Zur  Frage  des  diagnostischen  Wertes  des  Urobulin- 
befundes.  Rimbach-  Berlin  :  Die  Massage  bei  den  Erkrankungen 
des  Blinddarmes  und  Wurmfortsatzes.  S  c  h  1  a  y  e  r  -  Tübingen  : 
Experimentelle  Untersuchungen  über  nephritisches  Oedem. 

S  c  h  1  ö  s  s  e  r  -  München  :  Erfahrungen  über  medikamentöse  In¬ 
jektionen  bei  Neuralgien.  Schloss-  Wiesbaden  :  Experimentelle 


Untersuchungen  über  den  Einfluß  vegetabilischer  Nahrung  auf  die 
Dauer  und  Intensität  der  Magensaftsekretion.  Staehelin- 
Göttingen:  Zum  Energiehaushalte  bei  der  Lungentuberkulose. 
S  t  e  r  n  b  e  r  g  -  Wien :  Dynamometrische  Studien.  Strassburger- 
Bonn :  Ueber  den  Einfluß  der  Aortenelastizität  auf  das  Verhältnis 
zwischen  Blutdruck  und  Schlagvolumen  des  Herzens.  Treupel- 
Frankfurt  a.  M. :  Der  gegenwärtige  Stand  der  Lehre  von  der 
Perkussion  des  Herzens.  W  a  c  h  e  n  f  e  1  d  -  Bad  Nauheim:  Einiges 
über  den  Mechanismus  der  Zirkulationsorgane.  Winternitz 
und  V.  M  e  r  i  n  g  -  Halle  :  Ueber  den  Einfluß  verschiedener  Sub¬ 
stanzen  auf  die  durch  Ueberhitzung  veranlaßte  Temperatur¬ 
steigerung.  Ziegler-  Breslau :  Ueber  die  experimentelle  Er¬ 
zeugung  und  das  Wesen  der  Leukämie.  —  Anmeldungen  von 
Vorträgen  sind  zu  richten  an  Geheimrat  Dr.  Emil  Pfeiffer, 
Wiesbaden,  Parkstraße  13.  —  Mit  dem  Kongresse  ist  eine  Aus¬ 
stellung  von  Präparaten,  Apparaten  und  Instrumenten,  soweit  sie 
für  die  innere  Medizin  von  Interesse  sind,  verbunden.  An¬ 
meldungen  zur  Ausstellung  sind  zu  richten  an  Herrn  Geheimrat 
Dr.  Emil  Pfeiffer,  Wiesbaden,  Parkstraße  13. 

* 

Verband  ärztlicher  Heilanstaltsbesitzer 
und  -Leiter  in  Steiermark.  Die  ärztlichen  Heilanstalts¬ 
besitzer  und  -Leiter  in  Steiermark  haben,  als  erste  in  Oesterreich, 
einen  Verband  ins  Leben  gerufen,  der  neben  der  Förderung 
wirtschaftlicher  Interessen  auch  einen  kollegialen  Zusammenschluß 
in  anderen  Fragen  bezweckt.  In  der  am  6.  Februar  stattgefundenen 
konstituierenden  Versammlung  wurden  in  den  Vorstand  gewählt: 
Dr.  Stiehl  (Maria-Grün)  als  Obmann,  Dr.  v.  S  c  a  r  p  a  t  e  1 1  i 
Krottendorf),  Dr.  Feiler  (Judendorf-Straßengel),  Dr.  W  i  e  s  1  e  r 
(Graz),  Dr.  Mi  glitz  (Lassnitz).  Durch  die  Fülle  gemeinsamer 
Interessen  ist  dem  Verbände  ein  weites  Arbeitsfeld  offen.  Vielleicht 
regt  diese  Neugründung  auch  in  anderen  Kronländern  den 
engeren  Zusammenschluß  dieser  wichtigen  ärztlichen  Fachgruppe 
und  in  weiterer  Zukunft  auch  die  Organisation  sämtlicher  öster¬ 
reichischen  Heilanstaltsbesitzer  und  -Leiter  an. 

♦ 

Der  XHI.  Kongreß  der  Deutschen  Gesellschaft 
für  Gynäkologie  findet  in  diesem  Jahre  vom  21.  bis  25.  Mai 
in  Dresden  statt.  Die  Sitzungen  werden  vormittags  von  8  Uhr 
bis  I2V2  und  nachmittags  von  2  bis  4  Uhr  in  der  Aula  der 
Kgl.  Technischen  Hochschule  abgehalten,  die  Demonstrationen 
am  Donnerstag  vormittags  in  der  neuen  Kgl.  Frauenklinik,  woran 
sich  die  Besichtigung  derselben  schließen  wird.  Als  Gegenstände 
der  Verhandlung  waren  bestimmt:  1.  Indikation,  Technik  und 
Erfolge  der  beckenerweiternden  Operationen.  2.  Die  Asepsis  bei 
gynäkologischen  Operationen.  Kranke,  welche  von  Mitgliedern 
der  Gesellschaft  vorgestellt  werden  sollen,  können  in  der  Kgl.  Frauen¬ 
klinik  nach  vorheriger  Anmeldung  Aufnahme  finden.  Gleichzeitig 
wird  am  Dienstag  den  21.  Mai  nachmittags  4  Uhr  die  ,, Vereinigung 
zur  Förderung  des  Hebammenwesens“  eine  Sitzung  abhalten,  für 
welche  regste  Teilnahme  erwünscht  ist.  Da  wegen  der  gleich¬ 
zeitigen  Tagung  anderer  wissenschaftlicher  Gesellschaften  und 
wegen  allgemeinen  Fremdenandranges  Dresden  in  der  Pfingst- 
woche  sehr  stark  besucht  ist,  so  werden  die  Mitglieder  und  Teil¬ 
nehmer  des  Kongresses  hiemit  dringend  ersucht,  sich  Wohnungen 
in  den  Hotels  rechtzeitig  bestellen  zu  wollen.  Eine  große  Zahl 
von  Hotels,  sowie  die  Kgl.  Technische  Hochschule  liegen  in  un¬ 
mittelbarer  Nähe  des  Hauptbahnhofes.  Auskunft  wird  gern  Herr 
Dr.  W  e  i  n  d  1  e  r,  Sidonienstraße  14,  I.,  erteilen. 

♦ 

Erlaß  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innern  vom  26.  Fe¬ 
bruar  1907,  Z.  6341,  an  alle  politischen  Landesbehörden,  b  e- 
treffend  die  Einleitung  von  Erhebungen  ü bei¬ 
den  Stand  der  Hausapotheken.  Infolge  der  Bestim¬ 
mungen  der  §§  31,  32  und  33  des  Gesetzes  vom  18.  Dezember 
1906,  R.-G.-Bl.  Nr.  5  ex  1907,  betreffend  die  Regelung  des  Apo¬ 
thekenwesens,  ist  eine  neue  Regelung  des  Betriebes  der  ärztlichen 
Hausapotheken  sowie  der  Einrichtung  und  Verwendung  der 

pharmazeutischen  Notapparate  notwendig.  Die  k.  k . 

wird  eingeladen,  in  dieser  Angelegenheit  die  gutächtliche  Aeußerung 
der  Aerztekammer  (Aerztekammern)  einzuholen  und  nach  An¬ 
hörung  des  Landessanitätsrates  geeignete  Vorschläge  für  eine 
zeitgemäße  Revision  der  Vorschriften  der  Ministerialverordnung 
vom  26.  Dezember  1882,  R.-G.-Bl.  Nr.  182,  betreffend  die  Haus¬ 
apotheken  und  Notapparate  der  Aerzte  und  Wundärzte,  bis 
längstens  Ende  April  1.  J.  zu  erstatten.  Zum  Zwecke  der  Orien¬ 
tierung  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  ärztlichen  Haus¬ 
apotheken  ist  dem  Berichte  ein  nach  politischen  Bezirken  zusammen¬ 
gestelltes  Verzeichnis  der  ärztlichen  Hausapotheken  unter  An¬ 
führung  des  Standortes,  des  Namens  des  Arztes,  des  Datums  der 
behördlichen  Bewilligung  und  der  Entfernungen  der  nächsten 


WIEJNER  KLIWISGHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


36».- 


öffentlichen  Apotheken  vom  Standorte  der  Hausapotheke  beizu¬ 
schließen.  Im  Interesse  einer  gleichartigen  Handhabung  der  dies¬ 
bezüglichen  Bestimmungen  des  Apothekengesetzes  wird  der 

k.  k . zur  Darnachachtung  nachstehendes  eröffnet:  Nach 

§  61  des  Apothekengesetzes  bleiben  die  auf  Grund  früherer  Vor¬ 
schriften  erworbenen  Rechte  zum  Betriebe  von  Apotheken  für 
eigene  oder  Hemde  Rechnung  aufrecht.  Dieser  Schutz  der  bereits 
erworbenen  Rechte  erstreckt  sich  daher  auch  auf  die  bereits 
vor  dem  Inkrafttreten  des  neuen  Apothekengesetzes  zu  Recht 
bestehenden  Hausapotheken  der  Aerzte  im  allgemeinen  und  der 
Hausapotheken  der  homöopathischen  Aerzte  insbesondere.  Die 
im  rechtmäßigen  Besitze  einer  ärztlichen  Hausapotheke  bereits 
befindlichen  Aerzte  und  Wundärzte  sind  daher  nicht  gehalten,  um 
eine  neue  Bewilligung  im  Sinne  des  §  29  des  Apothekengesetzes 
einzuschreiten.  Dasselbe  gilt  auch  bezüglich  jener  Aerzte,  welche 
schon  bisher  bei  der  Behandlung  ihrer  Kranken  sich  der  homöo¬ 
pathischen  Heilmethode  bedienen  und  im  Sinne  des  Hofkanzlei¬ 
dekretes  vom  9.  Dezember  1846,  P.-G.  S.  74,  Bd.  Nr.  130,  eine 
homöopathische  Hausapotheke  führten.  Um  so  mehr  ergibt  sich 
die  Notwendigkeit  der  genauen  Evidenz  dieser  schon  jetzt  be¬ 
stehenden  Berechtigungen,  für  welchen  daher  in  entsprechender 
Weise  vorzusorgen  ist.  Bei  der  Errichtung  neuer  derartiger  Haus¬ 
apotheken  haben  selbstverständlich  die  Bestimmungen  der  §§  29 
und  31  des  Apothekengesetzes  voll  zur  Anwendung  zu  kommen. 

* 

'  0  p  u  s  c  u  1  a  s  e  1  e  c  t  a  N  e  e  r  1  a  n  d  i  c  o  r  u  m  de  arte 
medic a.  Verlag  von  F.  v.  Rossen,  Amsterdam  1907.  Im 
Jauuar  vor  50  Jahren  waj’  die  'ei-ste  Nummer  der  „N  e  d  e  r  1  a  n  d  s  c  h 
Tijdschrift  voor  Geneeskunde“  erschienen.  Zur  Feier 
dieses  Jubiläums  hat  ein  Komitee  beschlossen,  eine  Reihe  von 
Dokumenten  zu  reproduzieren,  die  von  alten  Meistern  der  nieder¬ 
ländischen  Medizin  herrühren  und  welche  gleichzeitig  vor  Augen 
führen,  welchen  Einfluß  holländische  Aerzte  auf  die  Entwicklung 
der  Medizin  ausgeübt  haben.  An  erster  Stelle  finden  wir  einen 
Aufsatz  von  Erasmus  (1467  bis  1536):  Declamatio  Erasmi 
Rotersdami  in  laudem  artis  medicae  (auch  in  englischer  Ueber- 
setzung).  Ferner:  Boerhaave  (1668  bis  1738):  De  usu  ratio - 
cinii  mechanici  in  medicina;  Gau  bins  (1705  bis  1780):  Oratio 
inauguraliis,  qua  ostenditur  chemiam  artibus  academicis  jure  esse 
insercndam;  Donders  (1818  bis  1889):  Die  Harmonie  des 
tierischen  Lebens,  die  Offenbarung  von  Gesetzen.  Atißer  diesen 
vier  Meistern  sind  noch  zwei  berühmte  Holländer  zum  Worte 
gekommen:  Leeuwenhoek  (1632  bis  1723),  welcher  unab¬ 
hängig  von  Malpighi,  dem  Entdecker  der  Kapillaren  (1661), 
den  Zusammenhang  von  arteriellem  und  venösem  Kreislauf  fest¬ 
stellte,  mit  seiner  Abhandlung:  The  tme  circulation  of  the  Blood 
and  also  that  the  Arteries  and  Veins  are  continued  Bloodvessels, 
clearly  set  forth;  ferner  Jan  Swammerdam  (1637  bis  1680), 
der  schon  seinerzeit  berühmte  Experimentator,  mit  dem  Aufsatz: 
Versuche,  die  besondere  Bewegung  der  Fleischstränge  am  Frosche 
bei  reff  end,  die  überhaupt  auf  alle  Bewegung  der  Fleischstränge 

am  Menschen  und  Tiere  kann  gedeutet  werden. 

♦ 

Von  Räubers  Lehrbuch  der  Anatomie  des 
Menschen,  neu  bearbeitet  und  in  siebenter  Auflage  von 
Dr.  Fr.  Kopsch  herausgegeben,  ist  die  dritte  Abteilung, 
enthaltend  Muskeln  und  Gefäße,  im  Verlag  von  G.  Thieme  in 
Leipzig  erschienen.  Preis  M.  14.  Auch  die  vorliegende  Abteilung 
verdient  die  Anerkennung,  welche  die  beiden  ersten  Teile  in  der 

Besprechung  (s.  S.  194  dieses  Jahrgangs)  erfahren  haben. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  Sanitätsstatistik  bei 
der  Mannschaf  t  des  k.  und  k.  Heeres  im  Dezember  1906. 

Krankenzugang  16.924  Mann,  entsprechend  64Voo  der  durch¬ 
schnittlichen  Kopfstärke;  an  Heilanstalten  abgegeben  6855  Mann, 
entsprechend  25Voo  der  durchschnittlichen  Kopfstärke;  Todes¬ 
fälle  29  Mann,  entsprechend  011%o  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke. 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  tä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
f’rweiterten  Gemeindegebiet.  9.  Jahres  woche  ( vom  24.  Februar  bis 
2.  März  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  667,  unehelich  303,  zu¬ 
sammen  970.  Tot  geboren  ehelich  56,  unehelich  33,  zusammen  89. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  768  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  204  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  1, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  14,  Scharlach  4,  Keuchhusten  4, 
Diphtherie  und  Krupp  9,  Influenza  2,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  6* 
Lungentuherkulose  115,  bösartige  Neubildungen  35,  Wochenbett¬ 
fieber  6.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  43  (-f  10),  Wochen- 
betlfieber  2  ( —  3),  Blattern  0  (0),  Varizellen  56  ( —  19),  Masern  386 
( —  33),  Scharlach  91  {—),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  6  ( —  2) 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  85  (-f  5),  Keuch¬ 
husten  50  (4-  7),  Trachom  1  ( —  1),  Influenza  0  ( —  2). 


Prele  Stellen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Kr ukanitz 
(politischer  Bezirk  Mies,  Böhmen),  umlassend  acht  politische  Gemeinden 
mit  2411  Einwohnern  und  einem  Flächeninhalte  von  71‘37  km*.  Jahres¬ 
gehalt  K  800  — ,  jährliches  Reisepauschale  K  285‘48.  Diesem  Saniläts- 
distrikte  sind  auch  die  Ortschaften  Skupsch,  Neschowa,  Malkowitz  und 
Nitschowa  mit  einem  Flächeninhalte  von  7  km*  und  443  Einwohnern  aus 
dem  Wcserilzer  Sanilätsdistrikte  zugeteilt,  wofür  ein  jährlicher  Gehalt  pro 
K  76  06  und  ein  jährliches  Reisepauschale  pro  K  28'—  aus  dem  Bezirks¬ 
fonds  zur  Auszahlung  gelangen.  Der  Sitz  des  Distriktsarztes  befindet  sich 
in  Krukanitz.  Bewerber  um  diese  Stelle  müssen  die  im  §5  des  Landesgesetzes 
vom  23.  Februar  1888  angeführte  Eignung  besitzen  und  obliegt  dem 
Distriktsarzte  die  Verpflichtung  zur  Führung  einer  Hausapotheke.  Gesuche 
sind  bis  30.  März  1907  beim  Bezirksausschüsse  Tuschkau  einzu¬ 
bringen.  Das  Prämonstratenserslift  Tepl  vergibt  au  den  Bewerber  obiger 
Stelle  mit  katholischer  Konfession  die  Domänenarztesstelle  in  Krukanitz 
mit  nachstehenden  Emolumenten:  Für  ärztliche  Behandlung  der  bei  der 
Domäne  Bediensteten  K  400' — ,  Medikamentenpauschale  K  60’ — ,20  Raum¬ 
meter  Scheitholz,  freie  Wohnung,  ein  Gemüs^gärtchen  und  Stallung  für 
ein  Pferd. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Gemeinde  Tolmein 
(Küstenland)  mit  einem  Jahresgehalte  von  K  2000'— .  Gesuche  bis 
31.  März  1907  an  die  Gemeindevorstehung  Tolmein,  woselbst  auch 
nähere  Auskünfte  über  die  Dienstesbedingungen  erteilt  werden. 

Zwei  Distriktsarztesstellen  in  Krain:  1.  In  G  r  o  ß- 
1  u  p  p  (Gerichtsbezirk  Laibach)  und  2.  in  T  r  a  t  a  (Gerichtsbezirk  Bischof¬ 
lack)  mit  dem  Jahresgehalte  von  je  K  1600' —  und  einer  Aktivitätszulage 
von  K  200‘ — .  Dem  Arzte  in  Großlupp  ist  außerdem  von  der  Sanitäts¬ 
distriktsvertretung  eine  entsprechende  Subvention  in  Aussicht  gestellt.  Be¬ 
werber  um  diese  Stellen  haben  ihre  Gesuche  bis  1.  April  1907  an  den 
Landesausschuß  in  Laibach  einzusenden  und  in  denselben  das  Alter,  die 
Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  die  österreichische 
Staatsbürgerschaft,  physische  Eignung,  moralische  Unbescholtenheit,  bis¬ 
herige  Verwendung  und  Kenntnis  der  slowenischen  und  deutschen  Sprache 
nachzuweisen.  Beigefügt  wird,  daß  nur  solche  Bewerber  berücksichtigt 
werden,  welche  eine  zweijährige  Spitalspraxis  nachzuweisen  in  der 
Lage  sind. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeindengruppe 
Jagenbach  (politischer  Bezirk  Zwettl,  Niederösterreich),  umfassend 
die  Gemeinden  Jagenbach,  Rieggers,  Dorf  Rosenau  und  Schloß  Rosennu, 
Flächenraum  40  km*,  Einwohnerzahl  1942,  Gemeindebeiträge  K  400' — , 
bisherige  Subvention  aus  dem  Landesfonds  K  800' — ,  freie  Wohnung; 
Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Das  an  den  niederösterreichi¬ 
schen  Landesausschuß  zu  richtende,  mit  den  Nachweisen  der  österreichi¬ 
schen  Staatsbürgerschaft,  der  Praxisherechtigung  in  Oesterreich,  der  physi¬ 
schen  Eignung  und  sittlichen  Unbescholtenheit  belegte  Gesuch  ist  bis 
längstens  15.  April  1907  an  den  Bürgermeister  in  Jagenbach  als  Obmann 
der  Sanitätsgruppe  einzusenden. 

Gemeindearztesstelle  inWeilbach  (Bezirkshauptmann¬ 
schaft  Ried,  Oberösterreich),  ist  mit  1.  Juli  1907  zu  besetzen.  Die  Sanitäts¬ 
gemeinde  besteht  aus  vier  Ortsgemeinden  mit  einer  Einwohnerzahl  von 
3194  Personen  und  bezieht  der  Gemeindearzt  eine  jährliche  Subvention 
von  K  800' — .  Die  Wahl  des  Wohnsitzes  innerhalb  des  Sprengels  der 
Sanitätsgemeinde  ist  dem  Ermessen  des  Bewerbers  überlassen,  Gesuche 
sind  bis  1.  Juni  1907  an  die  Gemeindevorstehung  Weilbach  zu  richten. 

Sanitäts  konzipistensteile  der  X.  Rangsklasse  im  Bereiche 
der  politischen  Verwaltung  Dalmatiens  ist  zu  besetzen.  Bewerber  um 
diese  Stellen  haben  ihre  Gesuche  durch  ihre  politische  Bezirksbehörde 
oder,  wenn  sie  bereits  in  einer  öffentlichen  Anstellung  stehen,  durch 
ihre  Vorgesetzte  Behörde  binnen  vier  Wochen  nach  der  ersten  Einschal¬ 
tung  dieser  Konkursausschreibung  in  der  »Wiener  Zeitung«  bei  dem 
Statthaltereipräsidium  in  Zara  einzubringen  und  mit  folgenden  Doku¬ 
menten  zu  belegen:  1.  Geburtsschein,  2.  Diplom  über  die  Erlangung  des 
Doktorgrades  der  gesamten  Heilkunde,  3.  Nachweis  über  die  mit  Erfolg 
abgelegte  zur  Erlangung  einer  bleibenden  Anstellung  im  öffentlichen 
Sanitätsdienste  bei  den  politischen  Behörden  im  Sinne  der  Ministerial- 
verordnung  vom  21.  März  1873,  R -G.-Bl.  Nr.  37,  erforderliche  Prüfung, 
4.  Nachweis  über  die  bisherige  Verwendung  und  über  die  Sprachkennt- 
nisse.  Zara,  am  7.  März  1907.  Vom  Präsidium  der  k.  k.  dalmatinischen 
Statthalterei. 

Bei  der  k.  k.  Seeverwallung  ist  die  Stelle  eines  Seesanitäts¬ 
arztes  mit  den  Bezügen  der  IX.  Rangsklasse  der  Staatsbeamten  zu 
besetzen.  Bewerber  um  diese  Stellen  haben  innerhalb  vier  Wochen  vom 
Tage  der  ersten  Einschaltung  ins  Amtsblatt  ihre  gehörig  dokumentierten 
Gesuche  an  die  k,  k.  Seebehörde  in  Triest  gelangen  zu  lassen  und 
folgendes  nachzuweisen:  1.  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  2.  den 
auf  einer  inländischen  Universität  erlangten  Grad  eines  Doktors  der 
gesamten  Heilkunde,  3.  die  auf  Grund  der  Ministerialverordnung  vom 
M.  März  1873,  R.-G.-Bl.  Nr.  37,  mit  Erfolg  abgelegte  Physikaisprüfung, 

4.  die  vollkommene  Kenntnis  der  Landessprachen  in  Wort  und  Schrift, 

5.  das  Normalalter  und  6.  die  durch  ein  staatsärztliches  Zeugnis  be¬ 
stätigte  körperliche  Eignung  für  den  Dienst,  welcher  sich  auch  auf  Unter¬ 
suchen  an  Bord  von  Seeschiffen  erstreckt.  Ferner  haben  die  Bewerber 
noch  den  Nachweis  einer  gründlichen  theoretischen  und  in  einem 
Krankenhause  erlangten  praktischen  Ausbildung  als  Arzt  zu  liefern.  Be¬ 
vorzugt  werden  jene  Bewerber,  welche  außerdem  auch  eine  längere 
praktische  Verwendung  in  einem  bakteriologischen  Universilätsinstitute 
nachzuweisen  und  wissenschaftliche  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der 
Hygiene  vorzulegen  in  der  Lage  sind.  Von  der  k.  k.  Seebehörde  Triest, 
am  1.  März  1907. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


361 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INHALT: 


Offlzielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Feierliche  Jahressitzung  vom  15.  März  1907. 

■ 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  21.  Februar  1907. 

Wiener  Dermatologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  6.  Februar  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Feierliche  Jahressitzung  vom  15.  März  1907. 

Vorsitzender:  R.  Chrobak. 

Schriftführer :  Richard  Paltauf. 

Präsident  Hofrat  Chrobak:  Nach  den  Bestimmungen 
unseres  Statuts  soll  der  Gründungstag  unserer  Gesellschaft,  einer 
der  größten  und  ältesten  der  Welt  —  jährt  sich  doch  heute  ihre 
Gründung  zum  70.  Male  —  zu  einer  entsprechenden  Feier  ge¬ 
staltet  werden,  nach  Verlesung  des  Berichtes  über  die  Leistungen 
und  Erlebnisse  derselben. 

Demgemäß  wurde  seit  jeher  an  diesem  Tage  immer  nur  ein 
der  Feier  des  Tages  angemessener  Vortrag  gehalten. 

In  diesem  Jahre  drängen  sich  aber  geradezu  zwei 
Ereignisse  heran,  deren  wir  in  festlicher  Weise  Erwähnung 
tun  müssen  und  weil  speziell  das  eine  dieser  einen 
Markstein  bildet  in  der  Entwicklung  jenes  Gebietes  der 
Medizin,  welches  in  den  letzten  Dezennien  führend  geworden  ist 
und  weil  dasselbe  auch  für  die  Förderung  unserer  Sanitäts¬ 
pflege  von  entscheidender  Bedeutung  geworden  ist,  hat  sich 
die  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  erlaubt,  eine  Reihe  von  hieran 
beteiligten  Faktoren  zu  unserer  heutigen  Sitzung  einzuladen. 

Infolgedessen  erwächst  mir  die  schmeichelhafte  Pflicht  zu 
begrüßen  in  erster  Linie  unser  allverehrtes  Ehrenmitglied,  den 
Präsidenten  der  Akademie  der  Wissenschaften  Eduard  Sueß, 
ferner  die  Herren  Sektionschefs  Exzellenz  Baron  Hein  und 
Dr.  L.  C  w  i  k  1  i  n  s  k  i,  Herrn  Generaloberstabsarzt  Dr.  v.  Uriel, 
die  Herren  Hof-  und  Ministerialräte  Dr.  v.  Kelle,  Dr.  D aimer, 
Dr.  Illing,  die  Herren  Generalstabsärzte  K  r  a  t  s  c  h  m  e  r, 
N  u  s  k  o,  Herrn  Statthaltereirat  Netolitzky  und  die  vielen 
Kollegen  von  nah  und  fern,  welche  der  heutige  Tag  hieher  ge¬ 
führt  hat. 

Wenn  ich  nun  die  beiden  heute  zu  feiernden  Ereignisse 
nennen  soll,  so  ist  dies  erstens  die  vor  genau  100  Jahren  durch  den 
großen  Chirurgen  Vinzenz  v.  Kern  vollzogene  Gründung  des 
chirurgischen  Operateürinstituts,  welches  eine  spezifisch 
österreichische  Institution  darstellte,  der  Pflanzstätte 
einer  langen  Reihe,  ja  fast  aller  österreichischen  hervorragenden 
Chirurgen  und  akademischen  Lehrer  dieses  Faches,  einer  nach 
vielen  Hunderten  zählenden  Reihe  von  tüchtigen,  wissenschaftlich 
hochgebildeten  Operateuren,  welche  sich  seit  damals  über  alle 
Teile  unseres  Vaterlandes  ausbreiteten  und  dieselben  in  aus¬ 
gezeichneter  Weise  mit  Chirurgen  versorgten.  Kaum  gibt  es 
irgendwo  ein  halbwegs  größeres  Krankenhaus,  an  welchem  nicht 
ein  aus  dieser  Schule  hervorgegangener  Chirurg  wirkte. 

Es  mag  immerhin  auffallend  erscheinen,  daß  gerade  die 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  Anlaß  zu  dieser  Feier  nimmt. 
Es  begründet  sich  das  dadurch,  daß  diese  Gesellschaft  seit 
ihrem  Beginn  in  innigem  Konnex  mit  der  Fakultät  und  mit 
der  Entwicklung  der  Medizin  steht,  daß  die  überwiegende  Mehr¬ 
zahl  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  in  dieser  Gesellschaft  und 
durch  dieselbe  mitgeteilt  wurde  und  daß  diese  bis  heute,  ich 
möchte  sagen,  das  Glashaus  bildet,  in  welchem  unsere  reichen 
jungen  Talente  heranwachsen,  in  welchem  sie  die  Rede,  in 
welchem  die  älteren  die  jungen  Kräfte  kennen  lernen.  Seit  jeher 
ist  es  der  Stolz  unserer  Gesellschaft  gewesen,  der 
allzuweit  gehenden  Spezialisierung  und  Zersplitterung  entgegen¬ 
tretend,  den  Vereinigungspunkt  der  verschiedenen  Arbeiter  zu 
bilden,  den  Blick  auf  das  Ganze  richtend.  In  dem  vorzulegenden 
Jahresberichte  werden  Sie  den  Beweis  hiefür  finden. 

Ich  will  es  aber  hier  lobend  und  dankend  hervorheben,  daß 
die  Chirurgie,  ich  möchte  sagen,  das  Hauptfach  unserer  Gesell¬ 
schaft  geworden  ist  und  daß  demgemäß  die  chirurgischen  Demon¬ 
strationen  den  größten  Anziehungspunkt  unserer  Gesellschafts¬ 
verhandlungen  bilden. 

Aber  noch  ein  zweiter  Grund  der  Festesstimmung.  In  den 
nächsten  Tagen  feiert  ein  Heros  seinen  80.  Geburtstag.  Bedarf  es 


der  Erwähnung,  daß  Lord  L  i  s  t  e  r  derjenige  ist,  dem  es  gelang, 
die  reichen  Erfolge  an  unsere  Fahnen  zu  fesseln,  der  durch  die 
praktische  Abwehr  jener  kleinsten  Lebewesen,  welche  in  der  vor¬ 
aseptischen  Zeit  die  technisch  vollendeteste  Leistung  des  Chirurgen 
so  oft  zunichte  machten,  zu  einem  der  größten  Wohltäter  der 
Menschheit  geworden  ist. 

Herr  Prof.  Alex.  F  r  a  e  n  k  e  1  hat  es  übernommen,  uns  einen 
Blick  in  diese  100  Jahre  der  chirurgischen  Entwicklung  werfen 
zu  lassen,  die  ungeheueren,  kaum  glaublichen  Fortschritte  zu 
übersehen,  welche  die  Chirurgie  auf  ihre  heutige  lichte  Höhe 
gebracht  haben. 

Prof.  Dr.  0.  Bergmeister :  Hochansehnliche  Versamm¬ 
lung  !  Ich  erlaube  mir,  Ihnen  den  Bericht  über  die  Leistungen 
der  Gesellschaft  im  abgelaufenen  70.  Vereinsjahre  vorzulegen 
und  Sie  einzuladen,  mit  mir  einen  kurzen,  flüchtigen  Rückblick 
auf  die  wissenschaftliche  Tätigkeit  der  Gesellschaft,  sowie  auf 
die  Vorkommmsise  in  diesem  Jahre,  zu  werfen. 

Was  den  Personalstand  betrifft,  so  zählte  die  Gesellschaft  am 
Schlüsse  des  Vorjahres  673  ordentliche  Mitglieder;  hiezu  kamen 
durch  Neuwahl  31,  während  13  mit  Tod  abgingen,  9  nach  §  5 
der  Statuten  in  den  Stand  der  auswärtigen  ordentlichen  Mitglieder 
über-  und  4  definitiv  auistraten. 

Der  Stand  der  ordentlichen  Mitglieder  beziffert  sich  sohin 
heute  auf  678;  der  der  außerordentlichen  Mitglieder  auf  24;  der 
der  Ehreninitglieder  auf  76  und  der  der  korrespondierenden  Mit¬ 
glieder  auf  145. 

Durch  den  Tod  wurden  der  Gesellschaft  entrissen  folgende 
ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Gustav  Puchberger,  am  29.  Mai  1906; 

Dr.  Leo  Job.  Prochnik,  k.  u.  k.  Konsul  in  Djeddah,  im 
Mai  1906 ; 

Hofrat  Prof.  Dr.  Isidor  v.  Neumann,  am  31.  August  1906; 

Prof.  Dr.  Wilhelm  Czermak,  am  8.  September  1906; 

Hofrat  Prof.  Dr.  Josef  Weinl  ech  ne  r,  am  30.  Sep¬ 
tember  1906; 

Kais.  Rat  Dr.  Moritz  Modry,  am  1.  Oktober  1906; 

Priv.-Doz.  Dr.  illfred  Murmann,  am  3.  Oktober  1906; 

Hofrat  Dr.  Ludwig  Ritter  v.  Karajan,  am  20.  No¬ 
vember  1906 ; 

Primararzt  Dr.  Balth.  Unterholzner,  am  6.  Januar  1907; 

Hofrat  Dr.  Franz  Hektor  Ritter  v.  Arneth,  am 

18.  Januar  1907 ; 

Dr.  Eduarcl  Fischer,  am  '9.  Februai'  1907; 

Reg. -Rat  Dr.  Adalbert  Tilkowsky,  am  22.  Februar  1907; 

Primararzt  Dr.  Alexander  Ritter  v.  Weis  may  r,  am 

10.  März  1907; 

d as  auswärtige  ordentliche  Mitglied: 

Dr.  Josef  Ullrich,  k.  u.  k.  Generalstabsarzt  i.  R.,  am 

19.  Oktober  1906; 

ferner  die  Ehrenmitglieder: 

Prof.  Dr.  M.  Brouardel  in  Paris,  am  23.  Juni  1906; 

Exzellenz  Dr.  Wilhelm  Ritter  v.  H artel  in  Wien,  am 
14.  Januar  1907 ; 

und  die  korrespondierenden  Mitglieder: 

Dr.  J.  H.  Scheiber,  emerit.  Professor  in  Budapest,  am 
6.  Mai  1906; 

Dr.  Franz  Roser,  ehenial.  Reichratsabgeordneter  m 
Braunau,  am  11.  August  1906; 

Prof.  Dr.  Salvatore  Torna  sei li,  Direktor  der  medizinischen 
Klinik  in  Catania,  am  30.  iVugust  1906; 

Hofrat  Prof.  Dr.  Oswald  Vierordtin  Heidelberg,  am  2.  Sep¬ 
tember  1906; 

Geh.  Med.-Bat  Prof.  Dr.  Hermann  Cohn  in  Breslau,  am 

11.  September  1906; 

Dr.  Ch.  F.  Taylor  in  New -York,  am  18.  September  1906. 

Friede  ihrer  Asche,  Ehre  ihrem  Andenken! 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Eine  Reihe  von  Mitgliedern  wurde  im  Laufe  des  Jahres 
im  Namen  der  Gesellschaft  beglückwünscht,  so  vor  allem  unsere 
Ehrenmitglieder  Prof.  Dr.  Sueß  zum  75.  und  Exzellenz 
Geh. -Rat  Prof.  v.  Rergmann  zu  seinem  70.,  ferner  Hofrat 
Prof.  Sigmund  E  x  n  e  r  zu  seinem  60.  und  Hofrat  Prof.  Dr.  Leopold 
V.  Sc  hr  öfter  zu  seinem  70.  Geburtstage;  Hofrat  Prof.  Ptudolf 
Chrobak  zu  seinem  40jährigen  und  Hofrat  Prof.  W.  Wiiiter- 
nitz  zu  seinem  50jährigen  Doktorjubilä.ujm. 

Bei  der  am  30.  Septemher  vorigen  Jahres  stattgcfundeneii 
Enthüllung  des  S e  m  m  e  1  w  e  i  s  -  H  e  n  k  m  a  1  e  s  in  Budapest  sprach 
unser  Präsident  im  Namen  der  Gesellschaft. 

Zur  Erledigung  geschäftlicher  Angelegenheiten  fanden  drei, 
administrative  Sitzungen  statt.  In  einer  derselben  wurden  gxjwisse 
Adaptierungen,  sowie  verschiedene  Renovderungen  im  Hause  be¬ 
schlossen  (so  die  Herriclitung  des  früher  verschütteten  Souterrains 
im  Hintergebäude,  zur  Aufnahme  eines  Teiles  der  Bibliothek, 
die  Tieferlegung  der  Höfe  auf  das  Niveau  der  Nachharhöfe, 
Pflasterung  der  Hauseinfalirt,  Alaler-  und  Anstreicherarbeiten  und 
die  Herstellung  eines  Linoleumbelages  im  großen  Bibliotheks¬ 
saale),  Arbeiten,  die  während  des  Sommers  in  hefriedigeuder 
Weise  fertiggestellt  wurden.  Die  Verbesserunig;  der  Akustik  des 
großen  Sitzungssaales  ist  im  Zuge.  Heber  Ersuchen  der  Redaktion 
von  „Oesterreichs  Illustrierter  Zeitung“  wurde  eine  photographi¬ 
sche  Aufnahme  sowohl  des  leeren  Sitzungssaales,  als  auch  eines 
Versammhmgsahends  für  eine  Spezialnummer  des  genannten 
Blattes  gemacht,  in  Welcher  der  Anteil  der  Wiener  Schule  an 
der  Entwicklung  der  modernen  IMedizin  zur  Darstellung  gelangen 
sollte. 

Was  die  Leistungen  der  Gesellschaft  auf  Avissenschaftlichem 
Gebiete  betrifft,  so  fanden  30  Sitzungen  statt,  in  denen  125 
Demonstrationen  und  27  Vorträge  abgehalteu  und  5  Mitteilungen 
gemacht  wurden. 

Vorträge  hielten  ab:  Bartel  und  v.  Pirquet  je  2; 
Neub  urger,  Silbermark,  S toe r k,  Pauli  - F r  ö  hl i ch,  M o s  z- 
koAvicz,  Kürt,  R.  Kraus,  Erd  heim,  Wertheim,  Urban- 
tsc h i  ts c  h,  Schu  r-Z  a ck,  R  u m,  L o ewi,  S  tern,  W a h e  AI i nas- 
sian,  C.  Reitter,  Engländer,  Doerr,  Semeleder,  Hof- 
bauer^  Jehle,  Redlich  und  L.  Freund  je  1. 

D  e  m  o  n Is  t  r  a  t  i  o  h  e  n  hielten  ab  :  Riehl  und  E  h  r  m  a  n  n 
je  6,  0.  V.  Frilsch  5,  Hochenegg,  v.  Eiseisberg,  v.  Ha¬ 
be  r  e  r,  Hans  L  o  r  e  n  z,  Clair  m  o  n  t,  S  c  h  n  i  t  z  1  e  r,  L  a  n  g,  B  e  n  (V 
dikt  je  3,  Robinsohn,  P.  Albrecht,  R.  Kraus,  v.  Zum- 
buisch,  H.  Königstein,  Hochsinger,  Aloszkowicz,  L.  Te- 
leky,  Escherich,  Pollak,  Leischner  und  Bakes  je  2, 
ferner  v.  Neumann,  Redlich,  Li  elite  ns  tern,  Federn, 
Alarschik,  Blum,  Singer,  Pichler,  Schüller,  Schreiber, 
Erben,  Alt,  G.  S ch w a  r z,  J u n g man n,  L.  K ö n i  g s  t  e i  n,  N  o b  1, 
J.  Weiß,  Holzknecht,  Eindenthal,  Neck  er,  L.  Freund, 
Schiffmann,  Friedjung,  Peham,  Fabricius,  Spiegler, 
Neurath,  A.  Exner,  Hecht,  Porges,  Katholicky,  Fried¬ 
länder,  Kutischka,  Salzer,  Kretz,  v.  Saar,  Jerusalem, 
Kahler,  F.  A.  Schwarz,  v.  Hovorka,  Zack,  Frommer, 
Zirm,  V.  Auffenberg,  Chiar.i,  Grünberger,  J.  Stein, 
Wagner  v.  Jauregg,  Füster,  Horner,  0.  Kraus,  Latz  ko, 
Franz,  Gold  reich,  Rie,  Siegfried  Weiß;  Haim,  Fein, 
AI  arcus  und  Boese  je  1. 

Mitteilungen  machten  0.  Fellner,  M.  Richte  r,  Esch e- 
rich,  H.  Königstein  und  Pal. 

AVenn  auch  die  weitaus  größte  Zahl  von  Demonstrationen 
chirurgische  Und  dermatologische  Fälle  betrafen,  da  diese  zweifel¬ 
los  die  geeignetsten  Demonstrationsobjekte  liefern,  so  zeigt  doch 
der  Gesamtüberblick  über  unsere  Ahrhandtungen,  daß  sich  die¬ 
selben  eben  sowohl  auf  Fragen  der  theoretisch -medizinischen 
Forschung  als  auch  auf  die  verschiedensten  Zweige  der  prak¬ 
tischen  Aledizin  erstrecken. 

Daß  hiebei  aktuelle  Tagesfragen,  wie  z.  B.  die  Frage  nach 
AAhsen  und  Bedeutung  der  Epithelkörper,  über  Kretinismus,  über 
die  Ergebnisse  der  Bakteriologie  und  (1er  damit  zusammenhäiigeu- 
den  Forsebung  nach  Ursache  und  Abwehr  gewisser  Erkrankungen, 
in  den  Ahrdergrund  der  Diskussion  tretien,  erscheint  selhstverständ- 
hch.  Die  Röntgenograp  hie  ist  fast  wie  das  Alikroskop  ein  Be¬ 
rater  und  steter  IJegleiter  des  Arztes  geworden.  Rönigeno-, 
Radio-  und  Lichtlherapie  werden  eifrig  betrieben  und  studiert. 

Dazwischen  kommen  Ahrträge  aus  der  Geschichte  der 
Aledizin,  über  Krankenpflege,  aus  Pharmak(xlyna.mik  und  Pharma¬ 
kologie,  über  Rassenlehre,  aus  Physiologie,  pathologischer  Ana¬ 
tomie  und  experimenteller  Pathologie,  Themata  aus  der  internen 
Aledizin  und  Chirurgie,  soAvie  aus  allen  klinischen  Diszi¬ 
plinen  vor. 

Es  ist  ein  Avechselvolles,  iiileressa.nles  Bild,  welches  in  den 
A'orträgen  unserer  Gesellschaft  im  Laufe  eines  Jahres  vor  uns 


entrollt  Avird,  der  Ausdruck  emsigster  Betätigung  der  AViener 
Aerzteschaft  und  mit  Stolz  sei  es  gesagt,  nicht  zum  geringsten 
Teile  der  jüngeren  Generation,  auf  allen  Gebieten  medizinischen' 
AATssensi  und  Könnens. 

Immer  beschäftigte  sich  die  Gesellschaft  auch  mit  den  großen 
und  scliAvierigen  Fragen  allgemeiner  Volkshygiene. 

So  veranstaltete  sie  im  Amrflossenen  Jahre  eine  Aktion 
in  der  Karzinomfrage  und  veröffentlichte  auf  Grund  eines  ein,- 
gehenden  Komiteeberichtes  die  Broschüre  „Principiis  obsta“,  deren 
mehrfache  Uebersetzung  in  verschiedene  Sprachen  nur  mit  Be¬ 
friedigung  konstatiert  Averden  kann. 

Heuer  wiederum  betraute  die  Gesellschaft  über  Anregung 
der  Herren  Alracek  und  Riehl  ein  Komitee  mit  dem  Studium 
der  Frage  der  Ahrbreitung  der  venerischen  Krankheiten.  Bei  der 
Kürze  der  Zeit  Avar  es  dem  Komitee  bisher  nicht  möglich,  seinen 
Bericht  zu  erstatten.  Die  allgemeine  Direktive,  die  sich  die  Ge¬ 
sellschaft  hiebei  gestellt  hatte,  war  die,  die  Frage  nicht  allein 
nach  ihrer  rein  medizinischen  Seite,  sondern  in  größerem  Stile 
auch  nach  anderer  Richtung  zu  studieren,  so  namentlich  Schule 
und  Haus,  sowie  die  Frage  der  Recht-  und  Schutzlosigkeit  der 
Frauen  gegenüber  der  sexuellen  Infektion  mit  in  Betracht  zu 
ziehen  und  hierin  für  Recht  und  Humanität  einzutieten.  Wir 
dürfen  inil,  Zuversicht  erAvarten,  daß  die  sorgfältigen  und  ein¬ 
gehenden  Studien  des  in  mehrere  Sektionen  geteilten  Komitees, 
soAvie  der  zusammenfassende  Bericht  desselben,  ein  geeignetes 
Substrat  für  eine  AAmitere,  nicht  unfruchtbare  Aktion  in  dieser, 
das  A'^olksAvohl  tief  berührenden  Frage  hieten  werden. 

Ich  kann  den  Bericht  über  die  Avissenschaftliche  Tätigkeit 
der  Gesellschaft  nicht  schließen,  ohne  der  Ahrleihung  des  Gold¬ 
berger-Preises  an  die  Herren  F.  Ober  m  e  y  e  r  und  E.  P.  P i  c  k 
für  ihre  Arbeit:  Heber  die  chemischen  Grundlagen  der 
Arteigenschaften  der  Eiweißkörper,  zu  ei’Avähnen. 

Aföge  es  der  Gesellschaft  auch  fernerhin  gelingen,  gelreu 
ihrer  Devise,  der  Förderung  Und  Ahrvollkominnung  der  gesamten 
Heilkunde  und  der  Befestigung  und  Erweiterung  des  freimdschatt- 
lichen,  kollegialen  Ahrkehres  unter  den  Aerzten,  im  Interesse 
des  wissenschaftlichen  Fortschrittes  zu  dienen. 

Quod  felix  faustum,  fortunatum  que  sit! 

Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel:  Vinzenz  v.  Kern  — 
Josef  Lister.  (Siehe  unter  Originalien  in  dieser  AAWchenschrift.) 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  21.  Februar  1907. 

R.  Neurath  stellt  mehrere  Fälle  von  zerebraler 
Diplegie  vor,  AAmlche  ein  charakteristisches  Symptom,  das  nach 
derselben  dauernd  persistiert,  aufweisen,  nämlich  eine  Neigung 
des  Kopfes  nach  der  gelähmten  Seite.  Diese  Haltungsano¬ 
malie  ist  auf  die  Kontraktur  der  Halsmuskulatur  (Sternokleido- 
niastoideus  Und  Kukullariis)  zu rückzU führen  und  hindert  in  keinem 
Falle  die  BeAvegungsfreiheit  des  Kopfes. 

Herrn .  Schlesinger  führt  einen  26j ährigen  Kranken  vor, 
bei  AAmlchem  ein  Abdominal  typhus  klinisch  eine  Härna- 
temesis  als  erstes  Symptom  darbot.  Pat.  bekam  plötzlich 
aus  voller  Gesundheit  Hämatemesis  und  hohes  Fieber,  erstere 
trat  später  nochmals  auf.  Die  Untersuchung  ergab  eine  Ver¬ 
größerung  der  Alilzdämpfung,  erhebliche  Leukopenie  und  ausge¬ 
sprochene  positive  AAm dal  sehe  Reaktion.  Der  Aveitere  A^erlauf 
lehrte,  daß  Pat.  einen  ambulatorischen  Typhus  durchgemacht  und 
erst  gegen  Schluß  der  Erkrankung  eine  Hämatemesis  bekommen 
hatte.  Vielleicht  kann  die  Hämatemesis  in  Berücksichtigung  des 
Umstandes  erklärt  Averden,  daß  Pat.  Amr  drei  Jahren  Symptome 
von  Ulcus  ventriculi,  darunter  auch  Hämatemesis,  hatte.  Es  Aväre 
denkbar,  daß  ein  ausgeheiltes  Ulkus  infolge  typhöser  Gela߬ 
veränderungen  ]ieuerlich  exulzerierte. 

R.  Kraus  trägt,  ob  das  Blut  auch  hakteriologisch  unter¬ 
sucht  AA’Urde,  da  auch  die  Alöglichkeit  eines  Paratyphus  in  Be¬ 
tracht  zu  ziehen  sei. 

Herrn.  Schlesinger  eiwidert,  daß  die  bakteriologische 
Blutuntersuchung  nicht  vorgenommen  Avurde,  jedoch  s'ei  der  Be¬ 
ginn  auch  für  den  Fall  eines  Paratyphus  ein  ganz  exzeptioneller. 

Heim.  Schlesinger  zeigt  einen  Fall  von  Ostitis  de¬ 
formans,  bei  AA’elchem  die  Erkrankung  nur  auf  die  rechte  Tibia 
beschränkt  ist.  Bei  dem  jetzt  62jähiigen  Palienten  Avurde  vor 
15  Jahren  eine  Verkrümmung  und  A^erdickung  der  rechten  Tihia 
bemerkt,  später  fing  er  zu  hinken  an;  Schmerzen  hat  er  ni(* 
gehabl.  Jetzt  ist  die  Tibia,  namentlich  vorne,  enorm  Amrdickl, 
nach  Amrne  und  außen  gekrümmi,  ihre  Oberfläche  ist  grohhöckerig. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


3G3 


Die  Kortikalis  erweisl  sicli  iui  Röiiigenbild  als  stark  verdickt,  die 
lanenstriiktur  iinregelmäßiig  igrobniascliig,  ein  Sequester  ist  nicht 
vorhanden.  Bemerkenswert  ist  der  Umstand,  daß  die  lU’kran- 
kung  nur  auf  die  Tibia  und  bei  dieser  nur  auf  die  Diaphyse 
beschränkt  ist.  Die  Wadenmuskulatur  ist  etwas  hypertropliiscb. 
Therapeutisch  wird  Röntgenbestrahlung  versucht  werden. 

0.  Marburg:  Zur  Pathologie  der  Myasthenie. 
Während  das  klinische  Bild  der  Myasthenie  in  allen  Details  fest¬ 
gelegt  erscheint,  dank  den  Arbeiten  von  Erb,  Goldfiamm, 
Jolly,  Oppenheim  und  der  Wiener  Schule,  inshesondere  von 
Pineies  und  Levis  aus  dem  Fränkischen  Ambulatorium,  ist 
die  pathologische  Grundlage  dieser  Affektion  bisher  nicht  aus¬ 
reichend  gekannt.  Von  der  Annahme,  daß,  eiu  nervöses  Leiden  zu¬ 
grunde  liege,  mußte  man  infolge  der  fortgesetzt  negativeu  Be¬ 
funde  zurückkommen.  Da  hat  Weigert  seinen  bemerkenswerten 
Befund  erhoben,  der  das  Augenmerk  auf  den  Muskel  selbst  lenkte, 
indem  er  in  demselben  Infiltrate  nachwies,  die  als  Metastasen 
gedeutet  wurden.  Aehnliches  fanden  Hun  und  Buzzard  in 
je  einem  Falle,  während  in  einem  zweiten  Falle  des  letzteren  die 
Thymus  ähnlich  wie  bei  Hödlnioser  und  Link  frei  war  oder 
wie  in  den  drei  weiteren  Fällen  Buzzards  fehlte.  Dagegen 
zeigten  sich  bei  Buzzard  in  Leber,  Nebenniere  und  Thyreoidea 
kleine  Infiltrate,  die  dieser  gleich  den  im  Muskel  gefundenen 
als  Lymphorrhagien  anspricht.  Die  Muskelfasern  sind  bis  auf 
minimale  Veränderungen  in  der  Nähe  den  Herde  stets  inhikj 
gefunden  worden,  nur  B  o  r  g  h  e  r  i  n  i  spricht  von  plasmoidaler 
Umwandlung,  einer  Art  Homogenisation  der  Muskelfaser  selbst, 
bei  der  jedocli  ein  Artefakt  nicht  auszuschließen  ist.  Vortragender 
konnte  an  exzidierten  Muskelstückchen  zweier  schwerer  Fälle 
von  Myasthenie  im  Muskel  selbst  bei  Marchifärbung  eine  fettige 
Umwandlung  des  Sarkoplasmas  finden,  ähnlich  der  bei  schweren 
Autointoxikationen  beschriehenen.  Dieselbe  betrifft  den  Muskel 
nicht  in  to  to  sondern  nur  in  einzelnen  Fibrillen  und  diese  gleich¬ 
falls  nur  streckenweise.  Die  Querstreifmig  ist  dabei  intakt.  Die 
zelligen  Infiltrate  setzen  sich  zusammen  aus  Lymphozyten,  Leuko¬ 
zyten  und  Muskelkernen,  sind  also  typisch  für  entzündliche  Ver¬ 
änderungen,  ISO  daßi  der  ganze  Prozeß  als  Myositis  u.  zw.  als 
degenerative  diskontinuierliche  Form,  aufgefaßt  werden  ^  kann. 
Diese  Myositis  läßt  die  klinischen  Erscheinungen  erklärlich  er¬ 
scheinen;  sie  schließt  sich  ungezwungen  anderen  Muskelaffek¬ 
tionen  an  und  erklärt  die  Uebergänge  zu  anderen  Muskelkrank¬ 
heiten.  Als  Analogien  im  Nervensystem  sind  die  periaxiale  Neuritis 
und  die  multiple  Sklerose  zu  nennen. 

L.  V.  Frankl-Hoch  wart  erwähnt  einen  von  ihm  beob¬ 
achteten  Fall  von  Myastbenie,  welcher  Muskelatrophie  zeigte, 
die  nach  der  Heilung  der  Krankheit  verschwand. 

Artur  Horner  demonstriert  Präparate  von  einem  Falle, 
den  Dr.  Schloßberger  am  24.  Januar  1907  vorgestellt  hat. 
Fs  handelte  sich  um  eine  Erkrankung  des  chromaffinen 
Systems  bei  einem  27jährigen  Manne,  der  neben  den  Erschei¬ 
nungen  einer  Tiiberkulose  eine  ausgedehnte  Pigmentation  der 
Zunge,  sowie  der  Haut  an  Bauch  und  Händen  dargeboten  hatte. 
Der  Mann  starb  am  13.  Februar  1907.  Die  Sektion  ergab  das 
Vorhandensein  der  bereits  hervorgebobenen  Veränderungen,  weiter 
eine  totale  Verkäsung,  Verscbrumpfung  und  teilweise  Verkrei¬ 
dung  der  Nebennieren. 

Jos.  Wiesel  bemerkt,  daß  aus  der  bloßen  Pigmenlierung 
allein  nicht  ohneweiters  auf  Erkrankung  des  chromaffinen  Systems 
geschlossen  werden  dürfe,  da  auch  schwere  Destruktionen  des 
chromaffinen  Systems  ohne  pathologische  Pigmentationen  der 
Haut  und  der  Schleimhäute  Vorkommen. 

G  a  r  a  macht  eine  Mitteilung  über  ein  S  y  m  p  t  o  m  d  o  r 
Ischias,  welches  er  in  zahlreichen  Fällen  konstant  gefunden 
hat.  Die  Untersuchung  der  Fälle  ergab,  daß  der  Dornfortsalz 
des  letzten  Lendenwirbels  bei  Ischias  exquisit  druckempfindlich 
ist;  die  Druckschmerzhaftigkeit  ist  am  nächst  oberen  Dornfort¬ 
satz  nicht  mehr  so  deutlich  vorhanden,  weiter  oben  fehlt  sie 
ganz.  Sind  mehrere  Dornfortsätze  druckempfindlich,  so  liegt  sicher 
ein  anderes  Leiden  vor,  so  z.  B.  in  einem  Falle  des  Vortragenden 
ein  metastatisches  Karzinom.  In  einem  Falle  von  anscheinend 
vorhandener  Ischias  fehlte  das  Symptom,  die  nähere  Untersuchung 
ergab  eine  Schenkelhalsfraktur.  ' 

L.  V.  Frankl-Hoch  wart  hat  bei  seinen  Untersuchungen 
dieses  Symptom  nicht  beobachten  können. 

Herrn.  Schlesinger  hat  das  Symptom  bei  vier  Ischias¬ 
fällen  ausgebildet  gesehen.  Der  Befund  regt  zu  neuen  Unter¬ 
suchungen  an.  _  . 

Emil  Mattauschek:  Zur  Epidemiologie  der  Te¬ 
tanie.  Vortr.  berichtet  über  die  Tetaniefälle  in  der  Armee  in 
den  letzten  zehn  Jahren  (1896  bis  1906  inklusive).  Es  konnten 
auf  eine  Kopfzahl  von  rund  400.000  nur  83  Fälle  erhoben  werden. 


An  der  Hand  einer  Uebersicidstabelle  ergibt  sich  bezüglich  der 
Verteilung  nach  Urten,  .Jahren  und  Monaten  folgendes:  Aus  dem 
Vergleiche  mit  der  neuen  Tabelle  v.  Frankls  für  das  allge¬ 
meine  Krankenhaus  ersieht  man  eine  durchaus  ähnliche  Häufig¬ 
keilskurve  mit  ihrem  Gipfelpunkt  im  Jahre  1896.  Bezüglich  der 
örtlichen  Verteilung  fällt  auf,  daß  die  Tetanie  außer  in  Wien 
auch  in  Mähren  und  Galizien  in  den  bekannten  Wintermonaten 
epidemisch  ist  und  in  gewissen  Jahren  in  besonderer  Häufigkeit 
zur  Beobachtung  gelangt.  Die  befallenen  Berufe:  Schneider, 
Schuster  und  sonstige  Berufe,  verhalten  sich  beim  Militär  wie 
2:3: 10.  Die  Häufigkeit  wiederholter  Erkrankung  eines- Individuums 
ist  in  mehr  als  30%  der  Fälle  festgestellt  worden. 

JJiskussion  über  den  von  Grübel  in  der  .Sitzung  vom 
7.  Februar  vorgestellten  Fall  von  offenem  Ductus  Botalli. 

J.  Grübel  erwidert  gegenüber  v.  Stejskal,  daß  er  die 
Diagnose  nur  als  eine  Wahrscheiidichkeitsdiagnose  aufgestellt 
habe,  die  von  ihm  angeführten  Symptome  seien  aber  absolut 
richtig  (Hypertrophie  des  linken  Ventrikels,  Schwirren  über  der 
bandförmigen  Dämpfung  am  oberen  Sternum,  systolisches  Ge¬ 
räusch),  eine  nochmalige  Röntgenuntersuchung  ergab  eine  Er¬ 
weiterung  der  Arteria  pulmonalis.  Das  Schwirren  ist  im  Liegen 
deutlicher  als  im  Stehen. 

M.  Weinberger  kann  aus  dem  Röntgenbefund  sich  der 
Diagnose  eines  offenen  Ductus  Botalli  nicht  anschließen,  er  möchte 
die  Veränderungen  mit  der  Infiltration  des  Lungengewebes  in 
Beziehung  bringen. 

K.  V.  Stejskal  bemerkt,  daß  die  vorhandenen  Symptome 
noch  nicht  die  Diagnose  eines  offenen  Ductus  Botalli  rechtfertigen. 

J.  Pal  bemerkt,  daß,  der  Fall  gerade  deswegen  vorge¬ 
stellt  wurde,  weil  er  unklar  sei.  Die  von  Grübel  angegebenen 
Symptome  sind  vorhanden  und  auch  von  anderen  Nach¬ 
untersuchern  konstatiert  worden. 

L.  V.  Schrötter  betont,  daß,  der  Fäll  bisher  noch  nicht 
geklärt  sei.  Er  selbst  möchte  glauben,  daß  es  sich  um  Ver¬ 
dichtungen  des  Lungengewebes  infolge  von  Tuberkulose  und  um 
die  Kompression  eines  Astes  der  Pulmonalarterie  handle. 


Wiener  Dermatologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  6.  Februar  1907. 

Vorsitzender :  Finger. 

Schriftführer :  B  r  a  n  d  w  e  i  n  e  r. 

Keiner  stellt  aus  dem  Karolinen  -  Kinderspitale  vor:  1.  Ein 
sechs  Monate  altes  Kind  mit  einer  ausgebreiteten  Psoriasis 
vulgaris,  einei'  im  Säuglingsalter  nur  äußerst  selten  beobach¬ 
teten  Hauterkrankung. 

Nach  Angabe  der  Mutter  war  die  Haut  des  Kindes  bis  vor 
vier  Wochen  noch  ganz  normal.  Heute  sind  bei  dem  sehr 
gut  entwickelten  Brustkinde,  dessen  Gewicht  über  8000  g 
beträgt,  im  Gesichte  und  am  Arme,  besonders  in  der 
Unterbauchgegend,  auch  an  den  unteren  Extremitäten  ver¬ 
schieden  große  und  verschieden  figurierte  Plaques  zu 
sehen,  die  sich  durch  die  ziemlich  lebhafte  rote  Farbe,  durch 
den  eigentümlichen  trockenen  Glanz  von  der  normalen  Haut  ab¬ 
heben.  Die  Infiltration  der  Herde  ist  eine  geringe,  die  Schuppen¬ 
auflagerung  eine  mäßige,  so  daß  die  Oberhautfelderung  auf  den 
Plaques  besonders  deutlich  zutage  tritt.  In  beiden  Leisten,  am 
Perineum  Und  in  der  Analgegend,  ist  ein  ausgebreiteter  Intertrigo 
zu  sehen,  der  psoriatiform  verändert  ist  und  besonders  am 
Rande  einen  deutlichen  Uebergang  in  glänzendrote  Plaques  auf¬ 
weist.  An  der  rechten  Wade  ist  ein  breiter,  streifenförmiger 
Erkrankungsherd  zu  konstatieren,  der  sich  an  eine  feinlinien- 
förraige  Nadelrißverletzung  angeschlossen  hat.  Die  Streckseile  der 
Ellbogen-  und  Kniegelenke  zeigen  keine  Veränderungen.  Neben 
diesen  großen  Plaques  sind  am  Stamme,  an  den  Extremitäten 
und  vereinzelt  an  der  Nackenhaargrenze  punktförmige,  bis  linsen¬ 
große,  rote,  flache  Effloreszenzen,  die  mit  feinen  weißen  bis 
gelblichweißen  Schuppen  bedeckt  sind,  nach  deren  Loslösung 
es  zu  punktförmigen  Blutaustritten  kommt.  Mit  Ausnahme  der 
Nackenhaargrenze  zeigt  die  Kopfhaut  ganz  normale  Beschaffen¬ 
heit.  Interessant  ist  auch  die  Beteiligung  der  Handflächen 
und  Fußsohlen  an  dem  Prozesse.  Diese  Stellen  sind  bedeckt 
mit  bläulichroten  Flecken,  über  welchen  es  häufig  zu  feinlamellöser 
Abschilferung  kommt.  Nach  dem  Abheilen  der  Plaques  am  Stamme 
bleiben  leukodermatische  Flecke  zurück,  die  von  einem  bräun¬ 
lichen  Pdgmentsaum  umgeben  sind. 

Nobl  bemerkt,  daß  er  ähnliche,  im  frühesten  Kindesalter 
nicht  zu  selten  vorkominende  Ausbrüche  nummulärer,  das  Haut¬ 
niveau  kaum  überragender,  mit  minimaler  Infiltration  und  nur 


öv.i; 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


spärlicher  Parakeratose  eiiiliej-gelieiider  El'flureszeiizen  stets  dein 
seborrhoischen  Ekzem  ziizurechnen  pflegt.  Gleichwie  in  dem 
vorgestellten  Falle  muß  nicht  stets  das  Kapillitium  den  Ausganges- 
pimkt  der  Veränderungen  ahgeben.  Auch  die  hier  am  meisten 
alterierten  Geni to -Kruralf alten  bilden  oft  genug  die  erste  Keim¬ 
stätte  der  durch  überschüssige  Fettproduktion  provozierten  Ent¬ 
zündung.  Die  Ausschläge  heilen  prompt  bei  Anwendung  der  Ekzem¬ 
therapie,  ohne  zu  Rezidiven  zu  führen. 

Leiner;  Wenn  auch  bisweilen  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Psoriasis  und  Ekzema  seborrhoicum  Schwierigkeiten  be¬ 
reitet,  so  gehört  der  demonstrierte  Fall  sicher  nicht  zu  diesen 
Ausnahmen.  Schon  das  Aussehen  der  Primäreffloreszenz,  das 
flache,  trocken  glänzende,  mit  feinen  Schüppchen  bedeckte  In¬ 
filtrat,  das  Auftreten  punktförmiger  Blutungen  nach  dem  Ab¬ 
lösen  der  Schuppen,  spricht  gegen  die  Annahme  Nobls  diesen 
Fall  dem  Ekzema  seborrhoicum  beirechnen  zu  wollen.  Auch 
die  großen  Plaques  zeigen  nirgends  die  fettige  Schuppenauflagerung 
oder  den  Knötchenrand  des  Ekzema  seborrhoicum.  Abgeselien 
davon  kommt  es  bei  der  Seborrhoe  im  Säuglingsalter  immer  zu 
Schuppen-  und  Borkenbildung  auf  der  behaarten  Kopfhaut,  von  wo 
der  seborrhoische  Prozeß  auf  die  Augenbrauen  und  das  Gesicht 
übergeht,  während  die  Kopfhaut  und  die  Augenbrauengegend  ganz 
glatt,  normal  ist,  ohne  das  geringste  Zeichen  einer  Seborrhoe. 

Spiegler  «rklärt  den  Fall  gleichfalls  für  Psoriasis.  Ma߬ 
gebend  für  Psoriasis  gegen  Ekzema  seborrhoicum  ist  nicht  nur 
die  Beschaffenheit  der  Eruptionen,  sondern  aüch  der  Um¬ 
stand,  daß  dieselben  keineswegs  die  für  Ekzema  seborrhoicum 
charakteristische  Lokalisation  haben. 

2.  Ein  einjähriges,  hereditär -luetisches  Kind,  mit  Psoriasis 
palmaris  luetica.  An  beiden  Handflächen  zeigt  das  Kind  un¬ 
regelmäßig  figurierte,  derbe,  gelblich  braune  Infiltrate,  die  stellen¬ 
weise  von  oberflächlichen  Rhagaden  durchzogen  sind,  an  anderen 
Stellen  wieder  eine  lamellöse  Abschilferung  erkennen  lassen. 

No  bl  demonstriert:  1.  Eüien  Fall  von  multipler  schan- 
kröser  Lymphangoitis  venerea  bei  einem  20jährigen 
Bäcker.  Durch  frühzeitigen  Einbruch  eines  follikulären  venerischen 
Sulkusgeschwüres  in  das  koronare  Lymphnetz  war  es  zur  For¬ 
mation  eines  kleinfingerdicken,  bis  an  den  Mons  reichenden  dor¬ 
salen  Lyinphstrangs  gekommen,  von  dem  aus  noch  gleich  mäch¬ 
tige,  gabelförmig  verzweigte  Fortsätze  zu  dem  Drüsengebiet  beider 
Leisten  zu  verfolgen  sind,  lin  Verlaufe  des  mit  dem  Integument 
verlöteten  Stranges  ist  es  zur  Bildung  von  vier  nußgroßen,  bereits 
erweichten  und  zum  Teil  schankrös  zerfallenen  Bubonuli  ge¬ 
kommen,  von  welchen  zwei  2  cm  hinter  dem  Sulkus,  respektive 
4  cm  vor  dem  Mons  im  Bereiche  des  Gliedes  eingeschaltet  er¬ 
scheinen,  zwei  an  den  zu  den  Leisten  ziehenden  Strangsegmenten 
aufgetreten  sind.  Die  Inguinaldräsen  selbst  sind  in  keiner  Weise  an 
dem  spezifischen  Entzündungsprozeß  beteiligt.  D  u  c  r  e  y  sehe  Ba¬ 
zillen  sind  in  den  Zerfallsprodukten  aller  Nisbe  thschen  Schanker 
nachzuweisen. 

2.  Einen  20jährigen  Studenten,  bei  welchem  sich  ebenfalls 
ein  schankrös  zerfallender  Bubonulus  in  der  Mitte  des 
Penisschaftes  entwickelt  hat.  Den  Ausgangspünkt  des  knotigen 
Herdes  bildet  ein  am  Präputialsaum  sitzendes  venerisches  Ge¬ 
schwür,  das  zu  einer  retikulierten,  oberflächlichen  und  einer 
strangförmigen,  profunden  Lymphangioitis  geführt  hatte.  Von  dem 
Bubonulus  aufwärts  ist  keine  palpable  Veränderung  der  Lymph- 
bahnen  nachzuweisen. 

3.  Die  entzündlich  atrophischen  und  narbigen 
Endausgänge  eines  chronischen  Hautprozesses,  der  nach  der 
ätiologischen  Seite  hin  nicht  völlig  klar  erscheint.  Die  Verände¬ 
rungen  betreffen  einen  30jährigen  Schuhmacher,  bei  welchem 
sich  zuerst  vor  acht  Jahren  knotige  Schwellungen  des  linken 
Handrückens,  Vorder-  und  Oberarmes  und  späterhin  auch  ähn¬ 
liche,  bis  ganseigroße,  blaurote  Hautaufti-eibumgen  über  der  rechten 
Schulter,  sowie  in  der  Brust-  und  Lendengegend  entwickelt  haben 
sollen.  Bei  allmählichem  Zerfall  wandelten  sich  die  ergriffenen 
Stellen  in  vielfach  konfluierende  Wundflächen  um,  die  dann  erst 
nach  vielen  Monaten  zur  Vernarbung  gelangten.  Der  rechte  Hand¬ 
rücken,  der  Vorder-  und  Oberarm  in  ganzer  Zirkumferenz  werden 
von  einem  papierdünnen,  zerknitterten,  fein  abschilfernden,  glasig 
glänzenden,  violett  durchscheinenden  Integument  überkleidet,  das 
über  der  Beugefläche  des  Ellbogengelenkes  zu  kompakten,  derben, 
schwieligen,  tiefreichenden  Narbenzügen  verdichtet  erscheint,  welch 
letztere  den  Vorderarm  in  spitzwinkliger  Beugung  fixiert  erhalten. 
Ueber  dem  Oleokranon  eine  kreisrunde,  talergroße  Granulations¬ 
fläche.  Handtellergroße,  eingesunkene,  rarefizierte  Narbenflächen 
am'  Abdomen  und  in  der  Lendengegend  sowie  hyperplastische, 
blaurote,  verästelte,  polslerartig  elevierte,  fibröse  Geschwülste  am 


linken  Schultergürtel  ergänzen  den  Befund.  Die  anamnesLischen 
Angaben,  mit  den  residualen  Veränderungen  ziisammengehallen, 
lassen  die  tuberkulöse  Grundlage  des  Prozesses  annehmen. 
Ein  näherer  Aufschluß  dürfte  von  seiten  der  Klinik  Riehl  zu 
erwarten  sein,  woselbst  Pat.  vom  Oktober  1905  bis  März  1906 
gelegen  sein  soll. 

Kren;  Der  Mann  lag  au  der  Klinik  Riehl.  Auch  damals 
wurde  an  einen  tuberkulösen  Prozeß  gedacht. 

E.  Spitzer  demonstriert  einen  Fall  von  papulo-nekrofi- 
scheni  Tuberkulid  an  den  Fußsohlen  und  Fußrücken  eines  15- 
jährigen  Mädchens  ohne  sonstige  tuberkulöse  Erscheinungen. 

Kör  bl  stellt  aus  der  Abteilung  Mracek  eine  27- 
jährige  Patientin  vor,  die  vor  sieben  Jahren  Lues  akquirierte, 
damals  wegen  Erscheinungen  im  Rachen  und  am  Genitale 
Quecksilbereinreibungen  durchmachte  und  seit  jener  Zeit  angeb¬ 
lich  von  luetischen  Erscheinungen  verschont  blieb.  Vor  unge¬ 
fähr  vier  Monaten  bemerkte  die  Patientin  eine  noch  heute  be¬ 
stehende  Anschwellung  am  rechten  Schlüsselbein.  Wir  finden 
am  sternalen  Anteil  der  rechten  Klavikula  einen  harten,  ungefähr 
nußgroßen,  unverschieblichen  Tumor  von  normaler  Umgebung 
und  geringer  Druckempfindlichkeit. 

Vor  zwei  Monaten  soll  eine  Geschwulst  am  Brustbein  be¬ 
standen  haben,  die  aber  seither  größtenteils  zurückgegangen  ist, 
denn  heute  läßt  sich,  bloß  eine  geringe  Erhabenheit  nahe  der 
Ansatzsteile  der  zweiten  linken  Rippe  und  mäßige  Druckschmerz¬ 
haftigkeit  daselbst  konstatieren. 

Vor  einem  Monat  bemerkte  die  Patientin  das  Auftreten  eiruir 
Geschwulst  in  der  linken  Seite  an  einer  Rippe.  Die  Geschwulst 
sitzt  an  der  zehnten  Rippe,  links  in  der  hinteren  Axillarliaie ; 
sie  ist  hart,  ungefähr  haselnußgroß,  unverschieblich,  von 
normaler  Umgebung,  jedoch  bei  leisestem  Druck  schmerz¬ 
haft.  Die  Patientin  erzählt  nun,  sie  habe  vor  zwölf  Tagen  bei 
leichtem  Neigen  auf  die  Seite  plötzlich  einen  intensiven  Schmerz 
in  der  Gegend  der  Geschwulst  verspürt  und  zu  gleicher  Zeit 
ein  knackendes  Geräusch  gehört,  das  sie  mit  dem  Abbrechen 
eines  Miederfischbeines  vergleicht.  Seit  jenem  Moment  empfindet 
sie  lebhafte  Schmerzen  beim  Bücken,  Wenden,  Husten  und 
tieferem  Atmen.  Es  handelt  sich  hier  wohl  um  eine  Spontan¬ 
fraktur  bei  gummöser  Osteomyelitis  und  Periostitis.  Diese  An¬ 
nahme  wird  auch  durch  das  Röntgenbild  bestätigt.  Wir  sehen 
im  Bilde  deutlich  die  Auftreibung  an  der  Rippe,  sowie  eine  Kon¬ 
tinuitätstrennung;  das  zur  Wirbelsäule  gehörige  Fragment  be¬ 
sitzt  zwei  Zacken. 

Fälle  von  Spontanfrakturen  bei  gummöser  Osteomyelitis, 
besonders  an  den  Rippen,  sind  nicht  häufig. 

Reines  demonstriert  einen  Fall  von  Lipomatosis  multiplex 
symmetrica  bei  einem  70jährigen  Patienten.  Die  Geschwülste  be¬ 
stehen  seit  zehn  Jahren,  wuchsen  allmählich  und  persistieren 
in  ihrer  jetzigen  Größe  seit  drei  Jahren.  Sie  befinden  sich  am 
Nacken  und  Hinterhaupt,  an  symmetrischen  Stellen  beider  Ober¬ 
arme  und  beiderseits  der  Lendenwirbelsäule.  Sie  sind  voll¬ 
kommen  schmerzlos.  Pat.  ist  seit  seiner  Jugend  starker  Alko¬ 
holiker.  Angeblich  trug  sein  Vater  die  gleichen  Geschwülste  an 
den  gleichen  Stellen. 

Weidenfeld  stellt  einen  18jährigen  Gürtlergehilfen  vor, 
der  am  Stamme  u.  zw.  an  den  Rippenbögen,  am  Nabel,  in  den 
Lendengegenden,  in  der  Inguinalbeuge,  am  Kreuzbein  und  in  der 
LendenAvirbelsäulegegend  zahlreiche,  teils  in  Gruppen  gestellte, 
teils  isolierte,  flache,  blaurote  bis  braunrote  Knötchen  hat,  die  im 
Zentrum  eine  pergamentartig  schwarzbraune  Kruste  tragen,  nach 
deren  Entfernen  ein  seichtes,  kreisrundes  Grübchen  zurück¬ 
bleibt.  An  denselben  Stellen  finden  sich  gleichgroße  Narben, 
die  im  Zentrum  von  einem  erweiterten  Follikelausführungsgang 
durchbrochen  sind  und  nach  dem  radial  Fältchen  der  Narben  hin¬ 
ziehen.  Die  Narben  sind  gleichfalls  zahlreich  an  den  bezeich- 
neten  Stellen  gehäuft.  Um  die  Narben  ist  die  Haut  pigmentiert. 

Der  Beginn  der  Erkrankung  manifestiert  sich  auf  zwei¬ 
fache  Weise:  1.  in  Form  eines  follikulären  Knötchens,  das  eine 
Pustel  an  der  Spitze  trägt,  oder  2.  als  Knötchen,  das  im  Zentrum 
zuerst  eine  grauweiße  Nekrose  zeigt,  die  später  schwarz¬ 
braun  wird. 

Im  weiteren  Verlaufe  wächst  das  Knötchen  heran,  aber  immer 
nur  nach  der  Fläche,  so  daß  auch  die  Größe  eines  Hellerstückes 
erreicht  wird,  ohne  eine  bedeutende  Zunahme  in  der  Dicke 
zu  zeigen. 

Auch  an  den  Vorderarmen  und  Oberschenkeln  sind  spär¬ 
liche,  in  kleinen  Haufen  vereinigte  Knötchen  und  Narben 
nachweisbar,  von  ganz  gleichem  Aussehen  wie  die  am  Stamme 
beschriebenen.  Weiters  muß  bemerkt  werden,  daß  die  Zervikal- 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


365 


di'üsen  beiderseits  multipel  geschwollen  sind;  Pat.  hatte  im 
Sommer  schon  eine  Eruption,  die  spontan  abgeheilt  ist. 

Man  könnte  danach  an  eine  Form  der  papulo-nekrotischen 
Tuberkulide  denken,  wie  der  Aspekt  tatsächlich  sehr  viele  ähn¬ 
liche  Symptome  aufweist.  Erwägt  man  aber,  daßi  die  Knötchen 
der  Tuberkulide  in  die  Kutis  eingesprengt  erscheinen,  daß 
sie  bei  ihrem  Größerwerden  in  gleicher  Weise  nach 
der  Tiefe  und  Breite  wachsen,  ferner,  daß  die  Extremi¬ 
täten  am  häufigsten  befallen  erscheinen,  dann,  daß  ihre 
Lokalisation  unabhängig  vom  Follikel  ist  und  daß  sehr  häufig 
Polymorphie,  wie  Kombinalion  mit  Erythema  induratum  Bazin, 
Flecken  etc.  besteht,  so  muß  man  diese  Diagnose  abweisen  und 
diesen  Fall  als  zu  der  Gruppe  der  Acne  varioliformis  rechnen. 

Ehrmann  nimmt  keines  von  beiden  an.  Die  Acne  varioli¬ 
formis  ist  eigentlich  keine  Akne,  sie  geht  nicht  vom  Komedo 
aus  und  zeigt  keine  Eiterung.  Die  gelben  Punkte  bei  Acne  varioli¬ 
formis  sind  Nekrosen,  die  Krusten  sind  nicht  Sekret,  soudern 
nekrotisches  Bindegewebe.  Ehrmann  erinnert  an  das  bekamite 
Bild  von  B  o  eck,  daß  man  in  der  nekrotischen  Masse  Reste  des 
Gefäßbaumes  finden  kann.  Acne  varioliformis  bildet  Narben,  die 
vertieft  sind.  Die  meisten  Narben  hier  sind  eleviert,  einzelne 
sind  vertieft.  Die  Lokalisation  der  Acne  varioliformis  ist  meist 
auf  der  Brust  oder  zwischen  den  Schultern.  Es  ist  dies  eine 
Acne  cachecticorum ;  dafür  spricht  das  kongiobierte  Auftreten,  das 
Bild  einer  wirklichen  pustulösen  Akne,  ausgehend  von  Talg¬ 
drüsen,  während  das  für  die  anderen  Drüsen  nicht  stimmt. 

Ullmann:  Auffällig  sind  die  Pigmentationen,  die  ent¬ 
schieden  an  chronischen  Pemphigus  erinnern.  Die  Narben  sind 
gruppiert.  Die  Lokalisation  der  Infiltrate  stimmt  weder  für  Acne 
cachecticorum',  noch  für  Tuberkulid,  die  beide  an  den  Extremitäten 
lokalisiert  zu  sein  pflegen.  Es  dürfte  sich  vielleicht  um.  eine 
Kombinations-  oder  Grenzform  handeln. 

M.  Oppenheim  demonstriert  aus  seinem  Ambulatorium 

1.  eine  45jähr.  Patientin,  bei  der  sich  im  Anschluß  an  eine  doppel¬ 
seitige  Phlegmone  beider  unteren  Extremitäten  ein  eigentüm¬ 
liches  Erythem  entwickelte.  Man  sieht  an  den  Streck-  und  Beuge¬ 
seiten  der  unteren  Extremitäten,  rückwärts  hinauf  bis  über  die 
Nates  reichend,  bis  kindsflachhandgroße,  unregelmäßig  begrenzte, 
blaurote  Effloreszenzen,  die  sich  derb  anfühlen  und  auf  Druck 
schmerzhaft  sind.  Viel  schwächer  ausgebildet  sind  analoge  Efflo¬ 
reszenzen  an  den  oberen  Extremitäten.  An  der  Stelle  der  phleg¬ 
monösen  Erkrankung,  die  durch  Varizen  bedingt  war,  ist  die  Haut 
noch  verdickt  und  unverschieblich.  Es  liegt  nahe,  in  diesem  Falle 
als  Ursache  des  Erythems  die  Resorption  von  toxischen  oder 
infektiösen  Stoffen  aus  den  phlegmonösen  Herden  anzunehmen. 
Vielleicht  handelt  es  sich  um  Phlebitiden  des  subpapillaren  Venen¬ 
netzes,  wofür  die  eigentümliche  netzartige  Zeichnung  einzelner 
Erythemflecke  spricht. 

2.  Einen  40jährigen  Sackträger,  der  über  dem  Kreuz¬ 
bein  einen  doppeltflachhandgroßen,  symmetrisch  liegenden 
Herd  von  folgender  Beschaffenheit  aufweist:  Die  Peri¬ 
pherie  dieses  Herdes  ist  gebildet  von  einem]  3  mm  breiten, 
lebhaft  roten,  erhabenen  und  scharf  begrenzten  Bande, 
welches  als  fast  ununterbrochener  Ring  ein  braun  pigmentiertes, 
ovales  Feld  begrenzt.  Innerhalb  dieses  Feldes  finden  sich  linsen- 
bis  erbsengroße,  zum  Teil  einzeln  stehende,  zum  Teil  zu  un¬ 
regelmäßigen  Effloreszenzen  konfluierte,  derbe,  papulöse  Efflo¬ 
reszenzen  von  lebhaft  roter  Farbe,  zumi  Teil  mit  Schuppen,  zum 
Teil  mit  Krusten  bedeckt.  Auch  das  periphere,  begrenzende  Band 
zeigt  stellenweise  Krustenauflagerung.  Nirgends  eine  Narben¬ 
bildung.  Die  Affektion  besteht  seit  einem  Jahre.  Es  handelt 
sich  offenbar  umi  ein  Ekzema  marginatum. 

Spie  gl  er  ist  hinsichtlich  der  Aetiologie  vollkommen  der 
Meinung  Oppenheims,  indem  es  sich  ganz_  gewiß  um  eine 
durch  Trichophyton  tonsurans  erzeugte  Eruption  handle.  Der 
Nachweis  der  Pilze  wird  auch  gewiß  keine  Schwierigkeiten  machen. 
Hinsichtlich  der  Diagnose  hält  er  jedoch  die  Eruption  für  einen 
Herpes  tonsurans  vesiculosus'.  Maßgebend  hiefür  sind  die  akut 
entzündlichen  Erscheinungen,  die  Bläscheneniptionen  an  der 
Peripherie  und  wenn  der  Patient  von  einer  einjährigen  Krank¬ 
heitsdauer  spricht,  so  folgt  aus  dem  klinischen  Bilde,  daß  diese 
Angaben  unzuverlässig  sind. 

Weidenfeld  demonstriert  einen  F all  von  E k z e m a  s e b o r- 
rhoicum. 

Kren  demonstriert  aus  der  Klinik  Prof.  Riehl:  1.  Einen 
56jährigen  Patienten,  der  an  den  Handrücken,  den  Vorderarmen 
und  über  den  Ellenbogen,  sowie  an  den  Fußrücken  imd  über  den 
Knien  und  schließlich  auch  im  Gesicht  Erytheme  zeigt,  auf  denen 
teils  einzelne,  teils  zirzinär  angeordnete  Blasen  stehen,  die  einen 
serösen  Inhalt  haben.  Die  Lippen  und  Schleimhäute  sind  frei. 


Die  Lokalisation,  wie  die  Erytheme  deuten  darauf  hin. 
daß  es  sich  im  vorliegenden  Fall  um  ein  Erythema  bullös  um 
handelt. 

2.  Einen  54jährigen  Patienten  mit  Atrophia  cutis  idio- 
pathica,  welche  die  ganze  linke  untere  Extremität  ergriffen 
hat  und  nun  schon  seit  einigen  Jahren  stationär  ist;  der  Rand 
an  den  Nates  ist  nirgends  gerötet.  Der  Fall  zeigt  über  dem  Knie 
die  typische,  rotblau  gefältelte  Haut,  die  ihre  Elastizität  fast  voll¬ 
ständig  verloren  hat;  über  dem  Unter-  und  Oberschenkel  sieht 
man  die  Haut  braun  pigmentiert,  ziemlich  straff  gespannt  und 
von  Venen  dicht  durchzogen. 

Ehrmann  hat  den  Fall  vor  Jahren  in  der  Gesellschaft  der 
Aerzte  und  in  der  Dermatologischen  Gesellschaft  vorgestellt; 
das  Bild  hat  sich  geändert.  Der  Prozeß  ist  jetzt  eigent¬ 
lich  abgelaufen,  während  ihn  früher  ein  frisch -roter  Wall 
begrenzte.  Die  Erkrankung  ist  von  Pick  als  Erythromelie  be¬ 
zeichnet. 

Nobl,  der  den  Patienten  gleichfalls  einige  Zeit  zu  beob¬ 
achten  Gelegenheit  hatte,  möchte  darauf  hinweisen,  daß  der  Patient 
an  einem  chronischen  tuberkulösen  Lungenkatarrh  leidet  und 
überdies  tiefreichende  Knochennarben  über  dem  linken  bland¬ 
gelenk  auf  einen  vor  Jahren  durchgemachten  kariösen  Prozeß 
schließen  lassen.  Der  fortgeleitete  Infektionsvorgang  hatte  auch 
zu  einem  verrukösen  Lupus  über  der  Beugefläche  des  Handge¬ 
lenks  Anlaß  geboten.  In  Würdigung  dieser  Grundvorgänge  kann 
die  spezifische  Abstammung  des  zur  Atrophie  führenden  aszen- 
dierenden  Entzündungsprozesses  im  Bereiche  der  linken  unteren 
Extremität  nicht  ohne  weiters  von  der  Hand  gewiesen  werden. 

Ehrmann:  Der  Lupus  wurde  exstirpiert.  Riehl  äußerte 
sich  gelegentlich  einer  Demonstration  bezüglich  der  Aetiologie 
wie  Ehrmann  und  hält  den  Prozeß  für  eine  Lymphangioitis 
chronica  capillaris,  mit  Ausgang  in  Atrophie. 

3.  Ein  vierjähriges  Mädchen  mit  einem  schon  seit 
mehreren  Monaten  bestehenden  Ekthyma  gangraenosum 
um  das  Genitale  und  anschließend  daran  an  den  über-  und  Unter¬ 
schenkeln,  sowie  am  Bauch.  An  einzelnen  Stellen  sieht  man 
noch  frische  Effloreszenzen  in  Blasenform.  Diese  Blasen  werden 
schnell  eitrig,  haben  einen  düster  roten  Hof,  werden  gangränös 
und  geben  schließlich  einen  scharf  umrandeten,  tiefen,  kreisrunden 
Substanzverlust,  der  mit  Hinterlassung  einer  deprimierten  Narbe 
ausheilt.  Erwähnenswert  ist,'  daß  die  Affektion  unter  10°/oigen 
Dermatolsalbenverbänden  sehr  günstig  beeinflußt  wird,'  indem  die 
einzelnen  Substanzverluste  darunter  rasch  zur  Ueberhäutung 
kommen. 

Reit'inann  stellt  aus  der  Klinik  Riehl  vor:  1.  Zwei 
Fälle,  die  neben  tuberkulösen,  bzw.  skrofulösen  Erschei¬ 
nungen  das  typische  Bild  des  Lichen  scophulosorum  Hebra  auf¬ 
weisen.  Bei  dem  einen,  einem  zirka  vierjährigen  Knaben,  findet 
sich  Lupus  vulgaris  im  Gesicht  und  der  linken  Leistenbeuge,  ein 
Skrofuloderma  auf  der  linken  Wange,'  geschwollene,  zum  leil 
an  die  Kutis  fixierte  Drüsen  submental,  in  axilla  et  inguine,  ab¬ 
gelaufene  Knochenprozesse  an  der  linken  Hand,  daneben  Rha¬ 
gaden  an  Mundwinkel-  und  Naseneingang,  Konjunktivitis  ekzema- 
tosa,  sowie  Ekzem  des'  behaarten  Kopfes.  Der  zweite.  Erwachsene, 
stand  schon  früher  mit  Lupus  vulgaris  und  Skrofuloderma  in  Be¬ 
handlung  der  Klinik.  Beide  zeigen  jetzt  hauptsächlich  auf  dem 
Stamm  lokalisiert  bis  stecknadelkopfgroße,  meist  follikulär  ge¬ 
stellte  Knötchen  von  gelblicher  oder  rotgelber  Farbe  und  weicher 
Konsistenz.  Dieselben  stehen  zumeist  gruppiert,  selten  zu  Linien 
oder  Kreisen  angeordnet,  am  dichtesten  an  der  Vorder-  und  Seiten¬ 
fläche  des  Rumpfes. 

2.  Drei  Patienten  —  zwei  davon  sind  Brüder  —  die 
in  verschiedener  Intensität  das  Bild  der  Acne  aggregata  zeigen. 
Vornehmlich  erscheint  der  Stamm,  weniger  das  Gesicht  und  die 
proximalen  Extremitätenabschnitte  befallen.  Neben  Komedonen- 
bildung  in  Gruppen  von  benachbarten  Follikeln,  finden  sich  zahl¬ 
reiche  braune,  blaurote,  mäßig  prominente,  follikulär  gestellte' 
Knoten  bis  zu  Linsengröße,  die  vielfach  mit  benachbarten  zu 
größeren  Infiltratherden  konfluieren.  Diese  lUioten  können 
zwar  auch  zur  völligen  Involution  gelangen,  zumeist  erweichen 
sie  aber  und  die  einzelnen  Erweichungsherde  konfluieren  wieder 
vielfach  in  der  Tiefe,  so  daß  oft  größere  Hautpartien  unterwühlt 
erscheinen.  Als  Endprodukt  dieses  ausgedehnten  Zerfallprozesses 
resultieren  Narben  von  außerordentlicher  Polymorphie.  Oft  findet 
man  nur  dem  einzelnen  vereiterten  Follikel  entsprechende,  runde, 
deprimierte  Narben  von  normaler  Farbe,  daneben  solche,  die 
aus  der  Konfluenz  mehrerer  solcher  hervorgegangen  und  teil¬ 
weise  pigmentiert  erscheinen,  anderseits  wieder  bei  größeren 
Herden  solche,  die  flach  deprimiert,  bis  kronenstückgroß,  im  Zen¬ 
trum  depigmentiert  und  am  Rande  intensiv  pigmentiert  sind. 
An  einzelnen  Stellen  sieht  man  solche  Narben  von  brückenföi- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  12 


8b6 


inigen,  zirkiilär  epidemiisicilcii  Ciewebssträngen  übersiuiniil.  Es 
handelt  sich  da  uni  einzelne,  beim  Zerfall  konfiuierter  Infiltrat¬ 
herde  erhalten  gebliebene  Bindegewebsstränge,  die  resistenter  und 
daher  erhalten  geblieben  und  dann  von  der  Epidermis  überzogen 
worden  sind. 

Finger  demonstriert;  1.  Einen  Fall  von  Lichen  ruber 
acumiiiatus.  Der  Patient  zeigt  neben  den  typischen  Aku- 
minalusknötcben,  disseminiert  an  den  Vorderarmbeugen  und  an 
den  Streckflächen  der  Fingerphalangen,  am  Kopf  Wn-ämleriingen. 
wie  sie  bisher  noch  nicht  beschrieben  worden  sind;  daselbst 
finden  sich  außer  disseminierten,  follikulären,  teilweise  noch  von 
einem  Haar  durchbohrten,  äußerst  derben,  spitzkegelförmigen 
Hyperkeratosen,  an  deren  Basis  ein  Infiltrat  nicht  nachzuvveisen 
ist,  scharf  umschriebene,  bis  talergroße,  rauhe  Scheiben,  die  aus 
dichtgedrängten,  ebensolchen  follikulären  Hyperkeratosen  bestehen, 
die  innerhalb  der  Scheibe  sich  aber  deutlich  differenzieren,  im 
Zentrum  entweder  einen  kleinen  Hornstachel,  oder  nach  Ab¬ 
brechen  desselben  eine  Delle  darbieten. 

2.  Eine  Patientin  mit  einer  Affektion,  die  aus  linsen-  bis 
hellergroßion,  entzündlich  roten,  leicht  kleienförmig  schuppenden, 
disseminierten  Scheiben  besteht.  Finger  bespricht  die  differential¬ 
diagnostisch  in  Frage  kommenden,  von  den  Franzosen  als  Para¬ 
psoriasis  zusammengefaßten  Affektionen:  Pityriasis  lichenoides 
chronica.  Parakeratosis  variegata  und  Erythrodermie  en  plaques 
disseminees,  das  scheibenförmige  Ekzema  anaemicum  und  die 
Psoriasis  vulgaris  und  entscheidet  sich  für  letztere  Diagnose, 
nachdem  an  den  unteren  Extremitäten  Effloreszenzen  vorhanden 
sind,  die  sich  zwanglos  als  echt  psoriatische  auffassen  lassen. 

Brand w einer  demonstriert  aus  der  Klinik  Finger: 

1.  Einen  26jährigen  Mann  mit  Lupus  vulgaris  serpiginosus 
der  rechten  Wange.  Gleichzeitig  besteht  an  der  rechten  Tonsille 
ein  sehr  flaches  Geschwür  mit  feinzackigen  Rändern.  In  den 
Geschwürsgrund  sind  kleinste  graue  Knötchen  eingelagert.  Es 
handelt  sich  um  ein  seichtes,  tuberkulöses  Geschwür. 

2.  Einen  30jährigen  Mann  mit  Alopecia  areolaris  spe- 
cifica,  die  deutliche  Gruppenbildung  der  haarlosen  Stellen  zeigt, 
mithin  ihren  Ursprung  einer  gruppierten  Roseola  verdankt,  von 
der  noch  Reste  auf  der  Haut  des  Staminesi  (nachzuweisen  sind.  Das' 
Alter  der  Lues  beträgt  über  ein  halbes  Jahr. 

Reines  berichtet  über  einen  an  der  Abteilung  Ehr¬ 
mann  beobachteten  Fall  von  Hauttnberkulose,  der  besonders 
in  klinischer  Beziehung  beachtenswert  erscheint.  Es  handelte 
sich  uni  einen  62jährigen  kachektischen  Patienten,  der  in  der 
Unterbauchgegend,  beiden  Leistenbeugen,  dem  oberen  Drittel  der 
Oberschenkel,  sowie  in  der  Analgegend  links  und  auf  der  Skro tal¬ 
haut  disseminierte,  kugelig  elevierte,  manchmal  den  Follikeln  ent¬ 
sprechende  Knötchen  zeigte,  die  z.  T.  fistelartig  eingeschmolzen 
waren,  z.  T.  durch  breiteren  Zerfall  scharfgeschnittene,  flache 
Ulzerationen  mit  elevierten  Rändern  bildeten,  in  inguine  links 
jedoch,  ad  anum,  sowie  im  Laufe  der  Beobachtung  auch  an 
anderen  Steilen  aus  den  bereits  erwähnten  Krankheitselementen 
sich  entwickelnde  und  besonders  an  den  erwähnten  Stellen  durch  | 
Zusammeniließicn  flächenhaft  aiisgebreitete,  frambösiforme  Wuche¬ 
rungen  bildeten,  die  eine  drüsig  papilläre,  zerklüftete  Oberfläche 
aufAviesen;  an-  den  Kuppen  zeigten  diese,'  durch  tiefe,  nässende 
und  eitrig  sezernierende  Furchen  getrennten  Elevationen  manchmal 
lochförmige,  dünnflüssiges,  graues,  eitriges  Sekret  absondernde, 
oder  verkrustete  Perforationsöffnungen. 

Das  gesamte  erkrankte  Hautgebiet  zeigte  chronisch  entzünd¬ 
liche,  ekzematöse  Veränderungen.  Außerdem  fanden  sich  derb 
und  höckerig  gesclnvellte,  indolente  Lymphdrüsen  beiderseits  in 
inguine,  sowie  in  der  linken  Axilla.  (Demonstration  von  Photo¬ 
graphien.)  Nonnaler  Blutbefund.  Diffuse  Bronchitis,  Fiebertem¬ 
peraturen,  Kachexie,  fortschreitender  Kräfteverfall,  zwölf  Tage 
nach  der  Aufnahme  Exitus  unter  den  Symptomen  einer  Pneumonie. 

Obduktionsbefund  (Dr.  Kapfhammer):  Beiderseitige 
Lungentuberkulose  und  Lungenentzündung  rechts,  miliare  Tuber¬ 
kulose  der  Milz,  Tuberkulose  der  Leisten-,  Axillar-  und  Retro- 
peritönealdrüsen. 

Die  jüngeren,  kleineren,  noch  nicht  entwickelten,  sozusagen 
primären  Effloreszenzen  präsentierten  sich  histologisch  ajs  aus  einem 
die  Kulis  erfüllenden,  scharf  umschriebenen  Infiltrat  bestehend, 
das  fistelartig  gegen  die  Oberfläche  zu  eingeschmolzen  war.  Die 
konfluierenden  Zellen  waren  die  eines  gewöhnlichen  entzündlichen 
Infiltrats :  Rundzellen,  spindelige  und  epitheloide  Zellen,  spärliche 
Plasmazellen.  Elastische  Elemente  in  dieser  Partie  größtenteils 


zugrundegegaitgen.  Auffallend  intensive  Gefäßerweiteiung.  Hin¬ 
gegen  ergaben  die  Schnitte,  die  aus  dem  frambösifornien  Wuche¬ 
rungen  samt  darunterliegenden  Drüsen  der  linken  Leiste  ge¬ 
wonnen  wurden,  Tuberkel  in  den  Drüsen,  dem  subkutanen  Gewebe 
und  in  der  Kutis,  nebst  einem  kontinuierlichen  Infiltrat.  Ebenso 
fanden  sich  Tuberkelknötcben  und  typisches  tuberkulöses  Gewebe 
mit  zahlreichen  Riesenzellen  in  allen  Schichten  der  zerklüfteten, 
solitären  Effloreszenzen,  kombiniert  teils  mit  zentraler  Verkäsung 
oder  Kolliqueszenz,  zur  Perforation  führendem  Zerfall.  Tuberkel¬ 
bazillen  mäßig  reichlich  in  den  Drüsen,  den  Hauttuberkeln,  so¬ 
wie  im  diffusen  Infiltrat.  Am  deutlichsten  sind  die  pathologischen 
Veränderungen  in  der  tumorartigen  Frambösie  ad  anum,  von  der 
ein  Präparat,  nach  Ziehl-Neelsen  gefärbt,  demonstriert  wird. 

Es  handelt  sich  demnach  um  eine  frambösiforme  Tuberkulose 
der  Haut,  per  contiguitatem  von  den  Lymphdrüsen  aus  entstanden, 
deren  eigentümliche  Formkompliziertheit  zum  Teil  erklärt  werden 
kann  durch  den  Entwicklungsverlauf  aus  ,,primären‘‘,  kalten,  ein¬ 
fachen,  oft  schon  perforierten  und  fortwährend  sezernierenden 
Haütabszessen  und  die  Lokalisation  derselben  an  Stellen,  die 
einer  intensiveren  Vlazeration  und  Stauung  (infolge  der  erkrankten 
Drüsen)  ausgesetzt  und  chronisch  entzündlich  verändert  Avaren. 

Das  absolute  Fehlen  klinisch  bestimmbarer  Lymphknötchen 
einerseits,  die  Pathogenese  andererseits  differenzieren  die  Er¬ 
krankung  von  einer  der  geAvöhnlichen  Lupusformen,  bzw.  der 
Tuberculosis  verrucosa  cutis,  obzAvar  sie  histologisch  dem  Lupus 
papillaris  (verrucosUs),  oder  der  Tuberculosis  verrucosa  am  ähn¬ 
lichsten  sind. 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  der  frambösiformen,  erweichen¬ 
den,  sekundären  Hanl  tuberkulösen  mit  positivem  Bazillenbefund, 
Avic  ein  solcher,  dem  vorliegenden  teilweise  sehr  ähnlicher  Fall 
von  Spitzer  aus  der  Abteilung  Lang  beschrieben  und  von 
MorroAv  als  Tuberculosis  papillomatosa  cutis  bezeichnet  Avurde. 

Ullmann  erinnert  an  zAveierlei  Fälle  von  Hauttuberkulose, 
eine  Gruppe,  1894  in  Graz  und  an  verschiedenen  Stellen  vor¬ 
gestellt,  wo  aus  kolliqualiven  Drüsentuberkeln  hervorgehend 
Lupusplaques  entstehen,  die  sich  durch  Bakterienarmut  aus¬ 
zeichnen,  so  daß  man  nur  durch  den  klinischen  Befund  Tuber¬ 
kulose,  Lupus  diagnostizieren  kann.  In  die  andere  Gruppe  gehört 
ein  Fall  von  Lupus  verruc.  laryngis,  wo  der  Lupus  von  dem  Larynx 
über  die  Mundschleimhaut  und  andere  Stellen  sich  ausbreitete. 
Auch  die  histologischen  Präparate  entsprechen  vollkommen  den 
bazillenreichen  Bildern  von  Lupus  verruc.  framhoesiformis. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  22.  März  1907,  7  Flir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Professor  Dr.  Ed,  Laug  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Verkündigung  des  Wahlresultates. 

2.  Doz.  Dr.  Emil  Schwarz :  Demonstration. 

3.  Professor  Dr.  Hermann  Schlesinger:  Klinische  Beobachtungen 
über  den  Wiener  Typhus. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  rechtzeitige  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  uoch  am  Sltziiug^sabeud  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Schrötter  Donnerstag 
den  21.  März  1907,  nm  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  v.  Schrötter. 

Programm: 

Prof.  Dr.  Philip  (Edingburgh):  Die  Organisation  und  das  Zu¬ 
sammenwirken  antituberkulöser  Maßnahmen;  die  Fürsorgestelle  als 
Mittelpunkt. 

(In  dieser  Sitzung  Averden  keine  Demonstrationen  abgehalten.) 

Das  Präsidium. 


Vtrantworllichfr  Redakteur:  Adalbert  Karl  Trupp.  Verlag  von  Wilhelm  Drau m filler  in  Wien. 

Drnok  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII..  Theresiengasse  8. 


Die 

„Wiener  kliulscUe 
Woclieusclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0-  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riehl,  Arthur  Schattenfroh,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V,  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


rr  . . . 

Abouuenientsprels 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  werden  von  allen  Buch¬ 
handlungen  und  Postämtern, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlung  übernommen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
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werden  mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille- 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkommen. 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlagshandlnng : 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  28.  März  1907. 


Nr.  13. 


1.  Originalartikel:  1.  Aus  der  I.  k.  k.  psychiatrischen  Klinik  und 
dem  neurologischen  Institute  in  Wien.  Beitrag  zur  Paralyse¬ 
frage  (mit  Bezugnahme  auf  einen  Fall  paralyseähnlicher  Er¬ 
krankung  ohne  adäquaten  histologischen  Befund,  von  relativ 
stationärem  Charakter  und  kombiniert  mit  progressiver 
spinaler  Amyotrophie).  Von  Dr.  Erwin  Stransky,  klinischem 
Assistenten. 

2.  Herzmuskelkraft  und  Kreislauf.  Von  Dr.  Ludwig  Hofbauer. 

3.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.)  Lfeber  die  Spezifität  der  Bakterien¬ 
präzipitine.  Von  Dr.  Michael  v.  Eisler. 

4.  Aus  der  Prosektiir  der  mährischen  Landeskrankenanstalt  in 
Brünn.  (Vorstand:  Prosektor  Dozent  Dr.  Carl  Sternberg.)  Zur 
Kenntnis  der  multiplen  zentralen  Enchondrome.  Von  Doktor 
Emil  S  ch  w  e  i  n  b  u  r  g,  1.  Sekundararzt  der  chirurg.  Abteilung. 

5.  lieber  die  Styriaquelle  in  Rohitsch-Sauerbrunn.  Von  Professor 
E.  Ludwig,  Prof.  Th.  Panzer  und  Dr.  E.  Zdarek. 


Referate:  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  Von  Olaf 
Hammarsten.  Ref.:  Otto  v.  F'ürth.  —  Stimmbildung 
und  Stimmpflege.  Von  Dr.  med.  Hermann  Gutzmann.  Die 
Therapie  der  Kehlkopftuberknlose  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  den  galvanokaustischen  Tiefenstich  und  äußere  Eingriffe. 
Von  Dr.  Ludwig  Grünwald.  Grundriß  der  Kehlkopfkrank¬ 
heiten  und  Atlas  der  Laryngoskopie.  Von  Dr.  L.  Grünwald. 
Klinik  der  Bronchoskopie.  Von  Hermann  v.  Schrötter.  Ref.: 
0.  Kahle  r. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Tlierapeutisclie  Notizen. 

V.  Nekrolog’.  Privatdozent  Dr.  Alexander  Ritter  v.  Weismayf. 
Von  Priv.-Doz.  Dr.  Sorgo. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

YII.  Yerhandinngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongrefiberichte. 


I  N  HALT: 
I  if- 

I 


Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Klinik  und  dem  neuro¬ 
logischen  Institute  in  Wien. 

Beitrag  zur  Paralysefrage 

(mit  Bezugnahme  auf  einen  Fall  paralyseähnlicher  Erkrankung 
ohne  adäquaten  histologischen  Befund,  von  relativ  stationärem 
Charakter  und  kombiniert  mit  progressiver  spinaler  Amyo¬ 
trophie). 

Von  Dr.  Erwin  Sti’ansky,  klinischem  Assistenten. 

Bekanntlich  ist  die  progressive  Paralyse^  die  eine  Zeit¬ 
lang  ein  relativ  sicher  umgrenzter  Besitz  der  Klinik  schien, 
durch  eine  Reihe  neuerer  Arbeiten  gerade  in  ihren  Be¬ 
grenzungen  einigermaßen  ins  Schwanken  gekommen  und 
es  mehren  sich  die  Stimmen  der  Autoren,  die,  vor  allem 
auf  histologische  Rindenuntersuchungen  gestützt,  manchen 
bisher  unter  die  paralytische  Demenz  subsumierten  Fällen 
eine  andere  systematische  Stellung  anweisen  möchten.  Ab¬ 
gesehen  von  Arbeiten  früheren  Datums  (Tiiczek,  Bins- 
wanger  u.  a.)  sind  es  neuerdings  besonders  die  Unter¬ 
suchungen  von  N  i  s  s  1  und  Alzheimer  (.Jena,  ^1904),  welche 
in  diesem  Sinne  klärend  gewirkt  haben,  parallel  mit  den 
klinischen  Bestrebungen  dieser  mid  anderer  Schüler  Kräpe- 
lins  (Gaupp^)  ii.  a.).  Die  nachstehende  Mitteilung  bezweckt 
wesentlich,  einen  kurzen  Beitrag  zu  dem  derart  angeschnit¬ 
tenen  Fragenkomplex  zu  liefern,  rechtfertigt  sich  aber  übri¬ 
gens  nebstbei  auch  durcli  eine  schon  in  der  Titelüberschrift 

h  Deutsche  med.  Wochenschrift  1904. 


angedeutete  klinisclie  und  anatomische  Besonderheit  des  ihr 
zugrunde  hegenden,  im  folgenden  in  aller  gebotenen  Kürze 
mitzn  teilenden  Kranklieitsf alles. 

Der  58jähi'ige  eheiiudige  Kaidnuuni  J.  K.  ward  am 
13.  Juli  1904  auf  das  Beobachtungszimmer  des  Wiener  All¬ 
gemeinen  Krankenbanses  auf  genommen.  Laut  polizeiärztlicliein 
Barere  ist  er  seit  zwei  Jahren  zunehmend  vergeßlicher,  in  der 
letzten  Zeit  bernfsunfähig  geworden,  zeitweilig  aggressiv,  glaubt 
sich  im  Besitze  von  Geld.  Im  Krankenliause  manifestierte  sich 
die  Demenz  in  deutlicher  Weise.  Am  19.  Juli  wuchs  Fat.  unserer 
Klinik  (in  der  Landesirrenanstalt)  zu.  Hier  war  er  bei  der  Auf¬ 
nahme  motivlos  eupJiorisch,  zeigte  kein  Krankheitsgefülil,  erwies 
sich  als  nicht  orientiert,  verharrte  weiter  in  seiner  dementen 
Euphorie,  auch  auf  die  Mitteilung  hin,  daß  er  hier  in  der  Irren-' 
anstatt  sei,  stand  seiner  Lage  ganz  einsichtslos-  gegenüber.  Beim' 
Examen  macht  er  die  typischen  paralytischen  Bedienfetiler.  Soma¬ 
tisch;  mittelgroß,  kräftig,  wohlgenährt;  Pupillen  auf  Licht  reagie¬ 
rend,  keine  ausgesprochene  VII. -Parese;  typisch  paralytische 
Spracliistörung  (Silhenslolpern) ;  I’SB  schien  links  bei  der  ersten 
Untersuchung  fast  zu  fehlen,  rechts  sehr  lebhaft;  indes  war  dies 
wohl  nur  durcli  die  willkürliche  Innervation  des  dementen  Kranken 
bedingt,  denn  sowohl  kurz  vorher  (Krankengeschichte  der  Klinik 
V.  Wagner)  als  auch  nachher  waren  beide  Kniereflexe  lebhaft; 
keine  weiteren  Auffälligkeiten  von  seiten  des  Nervensystems  und 
der  inneren  Organe. 

Zur  Anamnese  erfuhren  wir  noch,  daß  Pat.  schon  in 
der  letzten  Zeit  vor  der  Einbringung  das  Bild  dementer  Euphorie 
dargeboten  haben  soll.  Lues  war  nicht  zii  eruieren.  Die  Gattin 
des  Patienten,  angeblich  gesund,  hat  einmal  abortiert.  Durch 
die  Freundlichkeit  des  Herrn  Direktors  Hellwig  von  der  Irren- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


36ä 


anslalt  in  Brünn  erfuhr  ich,  daß,  vier  Kinder  des  Patienten  in 
Idlege  der  dortigen  Anstalt  standen,  resp.  noch  stehen:  ein 
Solni  mit  Idiotie,  der,  15  Jahre  alt,  an  Tuberkulose  starb;  ein 
zweiter  Solm  mit  „Melancholie“,  der  mit  22  Jahren  gleichfalls 
an  Tuberkulose  starb;  eine  Tochter  mit  Imbezillität  und  men¬ 
struellen  Erregungszuständen,  die,  18  Jahre  alt,  an  llerzlähmung 
starb ;  ein  Sohn  endlich,  ein  Imbeziller,  ist  derzeit  noch  in 
der  Iglauer  Filialajistalt  in  Pflege;  bei  zwei  der  obengenannten 
lag  in  der  Anamnese  Rachitis  vor.  Weisen  diese  Daten  auf 
eine  mögliche  Keims chädigung  der  Nachkommenschaft  von  seiten 
beider  oder  eines  der  Erzeuger  hin,  so  ist  anderseits  auch  in 
der  Blutsvenvandtschaft  aszendierender  Linie  Geisteskrankheit 
nicht  fremd:  ein  Oheim  und  eine  Tante  des  Patienten  werden 
von  der  Gattin  als  charakterologiseh  abnorm,  drei  Vettern  (väter¬ 
licher-  wie  mütterlicherseits)  als  geisteskrank  bezeichnet.  Weitere 
belangreiche  Details  ergab  die  Anamnese  nicht.  Weder  körper¬ 
liche,  noch  psychisclie  Surmenage  ließen  sich  erheben. 

Das  Krankheitsbild  blieb  bei  uns  zunächst  ein  in  jeder 
Hinsicht  stationäres;  nur  eine  Art  „degenerativen“  Zuges  fiel 
bei  dem  Kranken  auf,  insofern  er  mit  einer  gewissen  Vorliebe 
IMitpatienten  zu  necken  und  ihnen  allerhand  Schabernack,  frei¬ 
lich  in  recht  plumper  Manier,  anzUtun  pflegte;  er  erging  sich 
in  recht  schwachsinnigen  Plänen,  äußerte  Heiratsgedanken,  drängte 
sinnlos  fort,  erzählte,  er  habe  ,,eine  Braut  mit  16.000  Gulden“ 
oder  auch  „mit  7000  Gulden“,  versprach  gelegentlich  Aerzten 
und  Pflegern  eine  Belohnung  von  „10  Gulden“,  wenn  man  ihn 
hinauslasse  und  zeigte  sich  in  jeder  Hinsicht  einsichtslos'.  Er 
merkte  sich  einzelne  Namen  der  Umgehung  und  besondere  Vor¬ 
kommnisse  leidlich. 

Im  Oktober  desselben  Jahres  begann  Pat.  mit  der  Klage 
über  Schwäche  in  der  rechten  Oberextremiität  zu  kommen  und 
mit  dem  Bemerken,  daßi  er  sich  ihrer  nicht  mehr  recht  zu  be¬ 
dienen  vermöge.  Die  Inspektion  ergab  eine  beginnende,  aber 
unverkennbare  Atrophie  in  den  kleinen  Handmüskeln,  besonders 
im  Thenar,  doch  auch  schon  im  Supinator  longus,  Bizeps  und 
Deltoideus  wahrnehmbar;  deutliche,  fibrilläre  Zuckungen  in  den 
genannten  Äluskeln.  Im  Laufe  der  Beobachtung  nimmt  die  Atrophie 
immer  mehr  zu  und  war  bald  auch  links  zu  bemerken,  auch 
hier  zunächst  in  den  kleinen  Handmüskeln,  wo  sie  im  Dezember 
bereits  einen  merklichen  Grad  erreicht  hatte.  Ende  1904  ergab 
die  elektrische  Untersuchung  in  den  kleinen  Handmuskeln  und 
imj  Thenar  links  fast  völliges  Fehlen  der  galvanischen  Erregbar¬ 
keit;  im  rechten  Thenar  deutlich  träge  Zuckung  (Mitte  November 
war  in  den  linken  Interossei  noch  deutliche,  aber  träge  Zuckung 
zu  verzeichnen  gewesen) ;  in  den  großen  Muskeln  die  bezüg¬ 
lichen  Störungen  minder  deutlich.  Bei  elektrischer  Reizung  der 
Nervenstämme  zucken  die  kleinen  Handmuskeln  gar  nicht;  bei 
faradischer,  dii’ekter  Reizung  reagieren  die  kleinen  Hand-  und 
Daumenmuskeln  ein  wenig,  doch  etwas  träger  (die  elektiische 
Untersuchung  des  Patienten  bot  nicht  geringe  Schwierigkeiten 
wegen  seines  ungemein  störenden  WidersHebens).  Sensible  Reiz¬ 
erscheinungen,  Diaickschmerzhaftigkeit  und  elektive  Sensibilitäts- 
defekte  (abgesehen  von  einer  gewissen  allgemeinen,  wohl  zum 
großen  Teil  auf  Rechnung  der  psychischen  Verfassung  des  Pa¬ 
tienten  zu  beziehenden  Hypalgesie)  waren  niemals  zu  verzeichnen : 
auch  Fieber  oder  sonstige  Allgemeinerschein'ungen  fehlten.  Eben¬ 
sowenig  kam  es  zur  Entwicklung  von  Kontrakturen.  Die 
Sehnen reflexe  waren  an  beiden  Oberextrehiitäten  eher  herab¬ 
gesetzt,  sicher  nicht  gesteigert. 

Der  weitere  Krankheitsverlauf  kennzeichnet  sich  durch  ein 
relatives  Stationärbleiben,  soweit  das  psychische 
Bild  in  Frage  kommt;  hingegen  machte  der  amyotrophische 
Prozeßi  unaufhaltsam  immer  weitere  Fortschritte  und  parallel  da¬ 
mit  die  schlaffe  Parese  der  Oberextremitäten,  unter  steter  Führung 
der  rechten  hinsichtlich  Intensität  und  Ausbreitung;  nie  waren 
auch  im  weiteren  Verlaufe  Seitenstrangsymptome,  sensible  oder 
trophische  Störungen  zu  vermerken.  Ein  imi  Juli  1905  erhobener 
genauer  Befund  ergab  einen  besonders  hochgradigen  Schwund  im 
rechten  Deltoideus  (links  etwas  geringere  Atrophie) ;  ferner  waren 
beiderseits  der  Pectoralis  major  (rechts  mehr  als  links),  der 
Bizeps  (rechts  war  dieser  Muskel  geradezu  auf  einen  dünnen 
Strang  reduziert),  die  rechte  Trizepsmuskulatur,  die  langen  Supi¬ 
natoren  hochgradig  atrophisch;  die  rechte  Hand  ward  in  Pro¬ 
nationsstellung  gehalten  und  koimte  nur  mühsam  supiniert 
werden,  die  aktiven  Bewegungen  im  Handgelenke  (besonders  die 
Extension)  waren  sehr  erschwert,  desgleichen  die  Bewegungen 
der  Finger ;  Händedruck  rechts  sehr  schwach,  links  etwas  kräftiger ; 
Atropliie  der  kleinen  Handmuskeln,  namentlich  rechts,  hochgradig ; 
auch  der  Serratus  beiderseits  etwas  paretisch.  Die  Parese  und 
Gebrauchsunfähigkeit  der  rechten  Oberextremität  hatte  natürlich 
in  gleicher  Weise  zugenommen.  Pat.  konnte  von  der  rechten 


oberen  Extremität  jetzt  nur  niehr  unter  aktiver  Unterstützung 
seitens  der  weniger  ergriffenen  linken  Gebrauch  ]nachen,  den 
Arm  nicht  mehr  aktiv  zur  Horizontalen  erheben.  Die  unteren 
Extremitäten,  sowie  die  Rumpfmuskeln,  partizipierten  nicht  iui  dem 
atrophisiereuden  Prozeß;  auch  im  Bereiche  der  Hirnnerven 
war  intra  vitam  eine  greifbare  Amyotrophic  nicht  wahrzunehmen. 

Der  weitere  Verlauf  bot  außer  stetiger  Zunahme  der  Muskel- 
atropbien  in  den  bezeichneten  Gebieten  und  alhnäiilicher  allge¬ 
meiner  Gewichtsabnahme  keine  Besonderheiten.  Psychisch 
blieb  Pat.  ziemlich  stationär,  hielt  sich  äußerlich  geordnet. 
Am  25.  Januar  1906  erfolgte  ganz  plötzlich  der  Exitus  letalis. 

Die  Obduktion  (durch  Herrn  Prof.  Ghon  im  pathologischen 
Institute  ausgefübrt)  ergab :  chronische  Leptomeningitis  und 
chronischen  inneren  Hydrozephalus  mit  Ependymgranulationen ; 
Atrophie  des  Gehirns.  Daneben:  Lungenemphysem,  Bronchitis, 
einen  kleinen  tuberkulösen  Herd  in  der  rechten  Lungenspitze. 
Endlich  exzentiische  Hypertrophie  des  rechten  Herzventrikels  und 
Stauung  in  Leber,  Milz  und  Nieren. 

Nach  dem  bisher  Mitgeteilten  (d.  h.  nach  dem  klini¬ 
schen  und  dem  Autopsiebefnnde)  würde  sich  unser  Fall, 
summarisch  besehen,  als  ein  simpler  Kasus  progressiver 
Paralyse  darstellen,  der  —  abgesehen  natürlich  von  der 
Muskelatrophie  —  gar  nichts  besonders  Bemerkenswertes 
darböte,  eine  Fall,  wie  er  dutzendmal  unter  unserem  Anstalts¬ 
material  sich  in  ähnlicher  Ausprägung  findet,  unter  dem 
Bilde  einfacher,  allem  Anschein  nach  paralytischer  Demenz 
(schwachsinnige,  gegenstandslose  Euphorie,  gelegentliche 
schwachsinnige  Projektenmacherei,  Einsichtslosigkeit,  typi- 
scJie  Rechenfehler,  daneben  —  hei  ja  schließlich  nicht  so 
seltenem  Fehlen  der  okulopupillären  Symptome  —  schein¬ 
bar  typische  Sprachstörung  ohne  sogenamite  bulbäre 
Komponenten)  langsam,  ja  —  abgesehen  von  der  Amyo- 
trophie  geradezu  stationär  verläuft,  um  plötzlich  — 
offenbar  durch  Herzlähmung  —  ad  exitum  zu  kommen. 
Zu  irgendwelchen  besonderen  Gedanken  und  Erwägun¬ 
gen  und  damit  zu  einer  über  das  bei  solchen  Fällen 
gebräuchliche  Maß  hinausgehenden  feineren  psychischen 
Zustandsuntersuchung  konnte  dieser  Fall  in  der  Fülle 
des  Materiales  füglich  keinen  Anlaß  bieten,  da  er  sich 
in  den  greifbaren  psychischen  Symptomen,  wie  bereits 
bemerkt,  in  keiner  Weise  von  so  manchen  anderen  Paralyse¬ 
fällen  unterschied.  Und  so  war  es  denn  auch  intra  vitam 
fast  ausschließlich  die  Kombination  mit  dem  neurologischen 
Befund,  die  ein  berechtigtes  Interesse  zu  erheischen  schien. 
Sind  nämlich  zwar  lokalisierte  Muskelatrophien  bei  der 
Paralyse  ebensowenig  wie  bei  der  Tabes  als  eine  Besonder¬ 
heit  anzusprechen:  so  gilt  dieser  Satz  doch  keineswegs 
bezüglich  der  progredienten  Amyofrophien  vom  Typus 
A  ran- Buchen  ne,  resp.  Charcot,  insofern  eine  nur  recht 
beschränkte  Anzahl  solcher  Kombinationen  in  der  Literatur 
figuriert  (Beobachtungen  von  Hoche^)  und  Neisser^)  — 
je  zwei  Fälle  — ,  Tambroni,^)  Westphal,  Zacher®)  — 
amyotrophische  Lateralsklerose  —  und  Schuster.®)  Diesen 
Fällen  schien  sich  auch  der  hier  mitgeteilte  anzureihen. 
Das  Interesse,  welches  er  nach  dieser  Richtung  hin  bot, 
bewog  mich,  ihn  noch  intra  vitam  jm  hiesigen  Wiener  Verein 
für  Psychiatrie  und  Neurologie  vorzustellen  (siehe  diese 
Wochenschrift  1905,  Seite  20;  bezüglich  der  Lokalisations¬ 
angaben  —  rechts,  links  —  haben  sidi  dort  einige  leicht 
zu  ermittelnde  Druckfehler  eingeschlichen).  Dieses  Interesse 
erhöhte  sich  nun  aber  und  begann  sich  nach  einer  ganz 
anderen  Richtung  zu  erstrecken  durch  das  Ergebnis  der 
nach  den  üblichen  Methoden  (Wei ger t-Pal,  Wolters- 
Kaes,  Gliafärbung,  Csokor,  Nissl,  Marchi,  van  Gieson, 
Hämalaun  etc.)  ausgeführten  histologischen  Untersuchung 
der  Hirnrinde  (Stücke  aus  sämtlichen  Rindenpartien, 
namentlich  aus  der  Frontalregion  und  den  Zentral¬ 
windungen  und  des  subkortialen  Marks),  des  Rückenmarks, 
der  Pia,  endlich  einzelner  peripherischer  Nerven  und  Mus¬ 
keln.  Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn  Hofrat  Pro- 

’)  Neurolog.  Zentralblatt  1904. 

Allgem.  Zeitschrift  für  F’sychiatrie,  Bd.  49  und  51. 

9  Siehe  Neurolog.  Zentralblatt  1888. 

Neurolog.  Zentralblatt  1886. 

®)  Neurolog.  Zentralblatt  1896. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


369 


fessor  Dr.  Übersteiner  und  Herrn  Kollegen  Privntdozenlen 
Dr.  Marburg  für  die  mir  bei  der  liistologischen  Verarbeitung 
und  Durchsicht  der  Präparate  in  liebenswürdigster  Weise 
gewährte  wertvolle  Unterstützung  an  dieser  Stelle  meinen 
herzlichsten  Dank  aussprechen  zu  dürfen. 

ln  der  Rinde  zeigten  sich  zunächst  an  Weigertpräparateh 
(Wolters-Kaessche  Modifikation)  die  feinen  Fasern  ein  wenig 
gelichtet,  aber  deutlich  ausgeprägt  und  vorhanden,  die  radiären 
sowohl  wie  die  tangentialen;  das  Gleiche  gilt  bezüglich  der 
Faserung  im  subkortikalen  Marke:  geringe,  doch  keine  geradezu 
auffällige  Abnahme  an  Fasern  und  demigemäßi  auch  keine  auffällige 
Verschmälerung.  An  Marchipräparaten  fanden  sich  diffus  ver¬ 
streut  über  das  Gesichtsfeld  schWarze  Krümmel,  besonders  in 
der  weißen  Substanz,  offenbar  Niederschläge die  charakteristische 
kettenartige  Anordnung  fehlte;  wohl  aber  konnten  in  solitärenl 
Exemplaren  degenerierende,  respektive  zerfallende  Faserstrecken, 
besonders  in  der  Radiärfaserung  der  grauen  Substanz  angetroffen 
werden.  Die  Zentralwindungen  und  die  Frontalregion  unter¬ 
schieden  sich  bezüglich  der  Frequenz  dieser  Befunde  vonein¬ 
ander  nicht.  Auf  Nisslpräparaten  zeigte  die  Hirnrinde  eine  voll¬ 
kommen  elektive  Schichtung  und  Tektonik  und  einen  hinter  der 
Norm'  nur  in  mäßigem  Grade  zurückstehenden  Zellreichtum.  Die 
großen  und  kleinen  Pyramidenzellen  zeigten  wie  die  anderen 
Zellelemente  meist  eine  annähernd  normale  Struktur;  etwas 
atrophische  Zellelemente  fanden  sich  in  allen  Rindenpartien  immer¬ 
hin  in  bemerkbarer  Anzahl,  nur  vereinzelt  jedoch  Zellbilder,  die 
als  degenerative  Formen  angesprochen  werden  konnten.  Daßi  in 
irgendeiner  der  zur  Untersuchung  gelangten  Rindenpartien  beider 
Hemisphären  die  beschriebenen,  an  sich  einer  mäßigen  Atrophie 
entsprechenden  Zellverändermigen  besonders  stark  hervorgetreten 
wären,  läßt  sich  nicht  sagen.  Die  Glia  (Weigertsche  Färbung, 
nach  der  von  BarteU:)  angegebenen  Modifikation)  zeigte  sich 
feinfaserig,  diffus  etwas  vermehrt,  wenn  auch  nicht  in  hohem 
Grade,  die  oberste  subpiale  Schicht,  etwas  verbreitert;  keine  irgend¬ 
wie  auffällige  perivaskuläre  Wucherung.  Die  Gefäße  in  der  Rinde 
zeigten  die  Erscheinungen  mäßiger  Arteriosklerose;  Lymph- 
scheideninfiltration  war  nur  um  vereinzelte  derselben  in  höherem 
Grade,  um  viele  gar  nicht  nachweisbar;  als  Plasmazellen  konnten 
nur  vereinzelte  Infiltratelemente  da  und  dort  angesprochen  werden ; 
zweifellose  Stäbchenelemente  zu  sehen,  glückte  mir  nicht.  Jeden¬ 
falls  konnte  von  einer  ausgebreiteten  Infiltration  nicht  gesprochen 
werden;  auch  von  Gefäßvennehmng  konnte  keine  Rede  sein. 

Die  Pia  zeigte  sich  fibrös  verdickt,  ihre  Gefäße  arterio¬ 
sklerotisch  und  zum  Teil  mäßig  infiltriert. 

Der  Hirnstamm  wurde  an  einer  Serie  untersucht.  Von  den 
untersten  Abschnitten  an  zeigte  sich  die  gliöse  Randschicht 
etwas  verbreitert,  ebenso  die  Gliasepta,  endlich  auch  die  sub¬ 
ependymäre  Glia  am  Boden  des  vierten  Ventrikels  unter  dem 
stellenweise  stark  gewucherten  Ependym;  es  fanden  sich  ziem¬ 
lich  viele  Amyloidkörperchen.  Die  Gefäße  zeigten  wiederum  die 
gewöhnlichen  arteriosklerotischen  Veränderungen,  mehrfach 
hyalinen  Aspekt,  die  Infiltration  um  sie,  wo  solche  vorhanden, 
erreichte  nur  geringe  Grade.  In  der  weißen  Substanz  erschienen 
bloß  die  Pyramidenbahnen  etwas  heller,  doch  ließen  sie  eine 
dislinkte  Degeneration  nicht  erkennen.  Das  dorsale  Längsbündel 
von  Schütz  erwies  sich  vollkommen  intakt;  in  der  Höhe  des 
Hypoglossuskerngebietes,  resp.  entlang  demselben  bildete  das¬ 
selbe  an  mehreren  Stellen  eine  Art  Zwinge,  in  der  dem  sogenannten 
Pop  off  sehen  Kerne  analoge  Bildungen,  resp.  Ganglienzellen¬ 
häufchen  von  rundlicher  Konfiguration  ziemlich  scharf  hervor¬ 
traten  ;  die  diese  Zellhäufchen  Umspielenden  Faserkränze  schienen 
direkte  Beziehungen  zum  dorsalen  Längsbündel  zu  haben.  Von 
den  Hirnnervenkernen  zeigte  sich  im  Bereiche  des  siebenten  und 
des  motorischen  fünften  Kernes  geringe  Zellatrophie  und  Zell- 
pigmentation,  während  dieselbe  im  Hypoglossusgebiet  recht 
beträchtliche  Dimensionen  angenommen  hatte,  so  daß  beide  Kem- 
gebiete  des  XH- Kernes  recht  zellarm  erschienen;  die  atrophi¬ 
schen  Zellelemente  zeigten  vorwiegend  den  Aspekt  der  P  i  g  m  e  n  t- 
atrophie,  doch  fanden  sich  auch  noch  ziemlich  viel  normale 
Zellen;  das  Fasernetz  im  Bereiche  der  genannten  Kemausbrei- 
tung  zeigte  sich  rarefiziert,  die  Fasern  sahen  stellenweise  wie 
zerstäubt  aus.  Die  übrigen  Himnervenkerne  erwiesen  sich  in¬ 
takt.  Allenthalben  erschien  endlich  die  Pia  fibrös  verdickt,  ihre 
Gefäße  vielfach  arteriosklerotisch,  aber  nur  mäßig  und  nur  zum 
Teil  infiltriert,  also  so  ziemlich  der  gleiche  Befund  wie  über  dem 
Großhirn.  Sonst  bot  sich  im  Bereiche  des  Stammhirnes  keine 
Besonderheit. 

Vom  Rückenmark  wurden  die  zervikalen  und  die  oberen 
dorsalen  Segmente  an  zahlreichen  Schnitten  untersucht.  Hier 

D  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Mikroskopie  1904. 


war  vor  allem  die  hochgradige  Zellarmut  der  Vorderhörner, 
namentlich  vom  mittleren  Halsmark  an  nach  abwärts,  auffällig; 
von  den  vorhandenen  Zellelementen  zeigte  nur  ein  kleiner  Teil 
normales  Aussehen;  die  übrigen  zeigten  sich  hochgradig  ge¬ 
schrumpft  oder  vakuolisiert,  die  tigroide  Substanz  zeigte  Ver¬ 
änderungen,  wie  Randstellung,  Dissolutionserscheinungen,  Homo- 
genisienmig;  der  Kern  war  in  manchen  dieser  Zellen  wand- 
sländig,  in  einzelnen  nicht  mehr  zu  sehen.  Manche  Zellen  zeigten 
erheblichen  Pigmentgehalt,  nicht  wenige  schienen  ohne  Fort¬ 
sätze.  Sonstige  Veränderungen  der  nervösen  Elemente  waren 
nicht  zu  sehen;  speziell  wäre  hervorzuheben,  daß  die  weiße 
Substanz  auch  bei  Marchifärbung  frei  erschien  imd  an 
Weigert -Palpräparaten  nicht  einmal  die  anscheinend  leichte 
Aufhellung  der  Pyramiden,  wie  sie  im'  Hirnstamm  an¬ 
gedeutet  seiden,  im  Rückenmark  zu  sehen  war.  Die 
Gefäße  zeigten  mäßige  Arteriosklerose ;  InfilHation  um  sie 
sah  ich  im  Rückenmark  fast  nirgends.  Relativ  gering  war 
die  Zahl  der  Amyloidkörperchen.  Die  Gliasepten  waren  nicht 
gewuchert.  Als  einen  akzessorischen.  Befund  möchte  ich  schlie߬ 
lich  noch  das  Vorkommen  eines  Bündelchens  feiner  Fasern 
in  der  Substantia  gelatinosa  centralis  um  den  Zentral¬ 
kanal  erwähnen,  welches  erst  kürzlich  von  Marburg®)  genauer 
beschrieben  wurde  (unter  Miteinbeziehung  seines  Vorkommens  im 
vorliegenden  Falle);  es  sei  daher  in  diesem'  Punkte  kurz  auf 
dessen  einschlägige  Mitteilung  verwiesen,  ebenso  wie  hinsicht¬ 
lich  der  Frage  der  Beziehungen,  in  denen  anscheinend  diese 
Fasern  zum  dorsalen  Längsbündel  von  Schütz  stehen.  In  den 
untersuchten  peripheren  Nerven  der  Extremitäten  (besonders 
Medianus  und  Peroneus)  zeigte  sich  neben  spärlicherer  Wall  er¬ 
sehen  Degeneration  besonders  diskontinuierlicher  Zerfall  (secundum 
Gombault,®)  me^®)  u.  a.)  in  mäßigem  Grade  und  in  den 
meisten  Fasern  (am  Marchizupfpräparat)  erhebliche  Zunahme 
der  Elzholz'schen  Körperchen  (also  Atrophieerscheinungen);  in 
den  Nerven  der  oberen  Extremitäten  mehr  als  in  jenen  von  den 
unteren.  Endlich  kamen  noch  einzelne  Muskelstückchen  (Bizeps, 
Trizeps ;  leider  nicht  auch  die  Zungenmuskulatur)  zur  Unter¬ 
suchung.  Es  zeigte  sich  in  ihnen  Verschmälerung  zahlreicher 
Fasern,  aber  selbst  in  den  stark  atrophischen  Elementen  noch 
größtenteils  erhaltene  Querstreifung;  auf  Marchipräparaten  sah 
man  stellenweise  ein  abruptes  Absetzen  der  schwarzen  Granula, 
wie  solches  auch  von  anderen  Autoren  (Marburg,  Pilcz’^) 
und  anderen)  erwähnt  wird. 

Rückschauend  darf  ich  also  wohl  dahin  resümieren, 
daß  in  einem  anscheinend  ganz  gewöhnlichen,  nur 
relativ  stationären  Falle  von  progressiver  Paralyse,  der 
klinisch  nur  durch  die  seltene  Kombination  mit  pro¬ 
gressiver  Amyotrophie  von  spinalem  Typus  bemerkens¬ 
wert  erschienen  war,  welche  eben  durch  diese  Kom¬ 
bination  angeregte  histologische  Untersuchung  erkennen  ließ, 
daß  hier  von  progressiver  Paralyse  nicht  gut  gesprochen 
werden  kpnn,  wenn  man  nicht  die  Bedeutung  ^des  anato¬ 
mischen  Befundes  für  die  klinische  Systematik  einfach  außer 
acht  lassen  will. 

Kein  Zweifel,  daß  Fälle  solcher  Art  nicht  zu  den 
Seltenheiten  gehören  und  vielleicht  hätte  man  sich  in 
früherer  Zeit  damit  begnügt,  sie  unter  die  mannigfachen 
Formen  von  sog.  Pseudoparalyse  zu  rubrizieren:  eine  Be¬ 
zeichnung  allerdings,  die  sich  an  sich  schon  als  ein  Ver¬ 
legenheitsausdruck  kennzeichnet  und  daher  wohl  nicht  recht 
befriedigen  kann.  Wir  werden  daher  wenigstens  den  Ver¬ 
such  machen  müssen,  unserem  Falle  eine  präzisere 
Deutung  zu  geben. 

Faßt  man  den  klinischen  Befund  nochmals  ins  Auge, 
so  reiht  sich  derselbe  zwar,  wie  bereits  bemerkt,  am  unge¬ 
zwungensten  den  bekannten  Paralysebildern  ein :  aber 
sicherlich  schließt  er  anderseits  eine  senile  oder  arterio¬ 
sklerotische  Geistesstörung  nicht  absolut  aus ;  wohl  bieten 
die  klassischen  Bilder  bei  diesen  Formen  in  der  Regel  einen 
anderen  Aspekt  dar,  indem  dort  die  psychische  Störung  ein 
mehr  presbyophrenisches  Gepräge  und  Untermischung  mit 
aphasischen  Störungen  zu  zeigen,  hier  eine  mehr  ,,lakunäi’e“ 
zu  sein  pflegt  und  in  beiden  Fällen  gerne  delirante  Züge 
in  ihrem  Symptomenbild  aufweist;  indes,  wie  bei  der  Para- 

®)  Neurolog.  Zentralblatt  1906. 

®)  Archiv,  de  Neurologie,  Bd.  1. 

Journal  für  Neurolog.  und  Psychologie,  Bd.  1. 

“)  Siehe  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906  (Sitzungsbericht). 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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-  VU 


lyse,  so  kennen  wir  auch  bei  den  diffusen  Hirnaffeklionen 
des  vorgerückten  Leliensalters,  deren  genauere  symptomato- 
logische  Kenntnis  bekanntlich  noch  manche  Lücke  aufweist, 
unter  anderem  auch  ,, einfach  demente“  Formen,  die  jeder 
klassischen  Symptomatologie  spotten  und  als  Haupteharak- 
teristikum  nichts  als  eine  einfache,  nicht  näher  bestimm¬ 
bare,  allgemeine  psychische  Abschwächung  darhieten  können, 
deren  besondere  klinische  Steilung  im  Einzelfalle  nicht  selten 
bloß  nach  den  neurologischen  Begleiterscheinungen  er¬ 
schlossen  werden  kann.  Für  Paralyse  entscheiden  in  dubio 
bekanntlich  die  sog.  tabischen  Symptome  (die  allerdings  auch 
da  fehlen  können)  und  mehr  vielleicht  noch  als  diese  die 
bekannte  paralytische  Sprachstörung.  Nun  wissen  wir  ja 
(Befunde  von  ÄI  o  e  1  i,  P  i  1  c  z.  B  a i  m  a  n  n  ti.  a.),  daß  die 
okulopupillären  Symptome  selbst  bei  positivem  Ausfall  der 
Prüfung  kein  unbedingt  verläßliches  Kriterium  abgeben ; 
und  vielleicht  gilt  dies  auch  von  der  Sprachstörung.  Es 
sei  hier  davon  abgesehen,  daß  es  hekanntlich  nicht  immer 
ganz  leicht  ist,  manche  andere  dysarthrische  Sprachstörung 
von  der  paralytischen,  bisher  als  wesentlich  inkoordinatorisch 
aufgefaßten  akustisch  und  optisch  (Mitbewegungen)  zu  unter¬ 
scheiden;  im  Alkoholdehrium  z.  B.  kann  man  zuweilen 
eine  Sprachstörung  beobachten,  die  der  paralytischen  sehr 
ähnlich  ist  und  vielleicht  auch  ähnliche  funktionelle  Bedin¬ 
gungen  (Tremor,  Ataxie)  bezüglich  ihres  Zustandekommens 
hat.  Aber  vielleicht  braucht  in  unserem  Falle  die  Sup¬ 
position  nicht  ganz  von  der  Fland  gewiesen  zu  werden,  daß 
die  infolge  des  Fehlens  einer  elektiven  Zungenatrophie  und 
bulbärer  Störungen  Intra  vitain  nicht  diagnostizierbar  ge¬ 
wesene  Hypoglossuserkrankung  doch  schon  frühzeitig  be¬ 
standen  habe  und  als  Grundlage  der  bestandenen  Sprach¬ 
störung  aufgefaßt  werden  könnte;  freilich  bleibt  die  Frage 
offen,  warum  eine  ausgesprochen  bulbäre  Artikulations¬ 
störung  nicht  zu  konstatieren  gewesen  ist  und  warum  sich 
die  Erkrankung  des  peripheren  Flypoglossusneurons  in  einer 
Form  manifestiert  hat,  wie  sie  sonst  nur  unter  anderen  Um¬ 
ständen  heobachtet  wird;  jedenfalls  waren  ja  übrigens  im 
Kerngebiete  auch  gesunde  Zellelemente  vorzufinden.  Viel¬ 
leicht  aber  erkiä.rt  sich  die  Existenz  der  Sprachstörung  in 
unserem  Falle  aus  der  Kombination  der  Erkrankung  des 
peripheren  Sprachneurons  mit  der  allgemeinen,  diffusen 
Rindenaffektion,  resp.  der  dadurch  bedingten  psychischen 
Abschwächung.  Es  scheint  mir  nicht  unmöglich,  daß  bei 
bestehender,  sei  es  anatomisch,  sei  es  funktionell  (z.  B.  durch 
Ermüdung)  bedingter  Schwäche  des  peripheren  Sprach- 
apparates  eine  Sprachstörung,  die  der  paralytischen  min¬ 
destens  recht  ähnlich  ist,  dann  zustande  kommen  kann, 
wenn  auch  die  psychische  Innervation  in  irgendeiner  Weise 
—  sei  es  dauernd  oder  passager,  sei  es  auf  anatomischer 
oder  funktioneller  Grundlage  —  eine  minderwertige  ist.  Man 
kann  beispielsweise  an  psychisch  normalen  Personen,  die  in 
übermüdetem  Zustand  oder  im  Zustand  der  Schläfrigkeit  — 
also  unter  kombinierter  Minderinnervation  des  peripheren 
und  der  ,,phychischen“  Neurone  —  ohne  Anspannung  der 
Aufmerksamkeit  sprechen,  hei  schwierigen  Wörtern  und 
Phrasen,  zuweilen  Si  Ibers  tolpern  und  eine  Art  Beben 
der  Lippenmuskulatur,  sowie  monotone,  etwas  unsichere 
Phonation  zuweilen  interkurrieren  sehen,  eine  Sprach¬ 
störung,  die  allerdings  sofort  zu  schwinden  pflegt,  wenn 
sich  die  Individuen  zu  angespannterer  Aufmerksamkeit, 
resp.  erhöhterer  Vigilität  mul  damit  zu  entsprechender  Inner¬ 
vation  aufraffen  (namentlich  findet  man  dergleichen  bei 
leicht  erschöpfbaren  Neurasthenikern;  natürlich  sind  damit 
die  hypochondrisch  bedingten  ,, Sprachstörungen“  mancher 
solcher,  besonders  ehemals  syphilitisch  infizierter  und  an 
Paralysefurcht  leidender  Kranker  nicht  zu  vermengen;  sie 
haben  einen  ganz  anderen  Alechanismus,  sind  auch  ganz 
anderer  Art  und  zessiereii  denn  auch  ganz  gewöhnlich 
gerade  mehr  hei  Weglenkung  der  Aufmerksamkeit).  Viel¬ 
leicht  können  wir  nun  in  unserem  Falle  die  auf  der  vorhan¬ 
denen  diffusen  Rindenaffeklion,  resp.  der  dadurch  bedingten 
Demenz  fußende,  dauernde,  organische  Minderwertigkeit  der 
,, psychischen  Inneivation“  im  Vereine  mit  der  organischen 


Affektion  des  peripheren  Neurons  —  das  ja  wieder  nicht 
vollkommen,  sondern  nur  partiell  schwer  geschädigt  erschien 
—  dafür  verantwortlich  machen,  daß  die  Sprachstörung  sich 
gerade  als  eine  Art  Koordinationsstörung  geltend  machte 
und  damit  eine  solche  Aehnlichkeit  mit  der  paralytischen 
annahm,  allerdings  nicht  nur  vorübergehend  auftrat,  wie  in 
dem  oben  angezogenen  Beispiel,  sondern  der  vorhandenen 
anatomischen  Grundlage  wegen  dauernd. 

Von  einer  diffusen  Rindenerkrankung  wird  man  in 
unserem  Falle  zweifellos  zu  sprechen  berechtigt  sein,  freilich 
von  einer  solchen  mäßigen  Grades:  die  Arteriosklerose,  die 
Gliawucherung,  die  Piaverdichtung,  die  diffuse,  wenn  auch 
nur  mäßige  Faser-  und  Zellatrophie  in  den  verschiedenen 
Regionen,  ohne  Beeinträchtigung  der  Rindenarchitektur:  das 
alles  würde  sich  am  ehesten  noch  im  Rahmen  der  so  häufigen, 
senile' und  leicht  arteriosklerotische  Prozesse  in  sich  kom¬ 
binierenden  Rindenbildern  erklären,  wie  sie  im  vorgerückten 
Alter  —  unser  Patient  zählte  zur  Zeit  seines  Todes  fast 
60  Jahre  —  nichts  Seltenes  sind.^^)  Wir  haben  ja  schon 
oben  davon  gesprochen,  daß  das  klinische  Bild  keineswegs 
als  gegen  die  Annahme  eines  derartigen  Prozesses  sprechend 
qualifiziert  werden  kann. 

Man  könnte  an  unseren  Fall  noch  einen  anderen  Kom¬ 
mentar  knüpfen.  Es  ist  bekannt,  daß  die  chronischen  Formen 
der  spinalen  Muskelatrophie  sowohl  untereinander  wie  mit 
den  Dystrophien  einerseits,  der  amyotrophischen  Lateral¬ 
sklerose  anderseits,  in  neuerer  Zeit  immer  mehr  als  Spiel¬ 
arten  einer  in  großen  Umrissen  einheitlichen  oder  doch 
aus  sehr  verwandten  Komponenten  bestehenden  Krankheits¬ 
gruppe  auf  gefaßt  werden. 

Die  ätiologische  Rolle,  die  bei  dieser  Krankheitsgruppe, 
resp.  ihren  Teilgruppen,  der  individuellen,  resp.  familiären 
Anlage  zuzukommen  scheint,  ist  bekannt  (Raymond,^^) 
StrümpelU'^)  und  andere).  Anderseits  ist  wieder  darauf 
hingewiesen  worden  (Erb,  Redlich^^)  und  andere),  daß 
speziell  bei  der  amyotrophischen  Lateralsklerose,  der  unter 
anderem  Kahler  und  Pickd®)  und  eine  Reihe  anderer 
Autoren  eine  besonders  nahe  Verwandtschaft  zu  den  chro¬ 
nischen  spinalen  Amyotrophien  vindizieren,  die  Lues  als  aus¬ 
lösender  Faktor  eine  gewisse  Rolle  spielt  (für  die  Aluskel- 
atrophie  nimmt  dies  Gowej's^’^)  an). 

Bei  unserem  Kranken  verzeichnen  wir  sicherlich  eine 
gewisse  familiäre  Disposition  zu  nervösen  Erkrankungen, 
wenn  auch  nur  in  ganz  allgemeinem  Sinne.  Besonders  auf¬ 
fällig  ist  die  nervöse  und  speziell  psychische  Morbidität  in 
seiner  direkten  Deszendenz.  Wir  sind  freilich  außerstande, 
zu  entscheiden,  ob  jene  auf  familiärer  Disposition  beruht 
oder  auf  Blastophthorie,  etwa  durch  Lues  der  Eltern;  be¬ 
kanntlich  ward  solche  negiert.  Mehr  als  diese  Frage  aber 
noch  wird  uns  die  andere  interessjferen,  ob  etwa  die  nach 
dem  eben  Gesagten  keinesfalls  ganz  ohne  ätiologisches  Sub¬ 
strat  dastehende  amyotrophische  Erkrankung  init  der  psy¬ 
chischen,  resp.  kortikalen  Affektion  in  irgendeinen  Zu¬ 
sammenhang  gebracht  werden  kann  oder  nicht? 

Fälle  von  Kombination  psychischer  Erkrankung  mit 
progressiver  Amyotrophic  finden  sich  in  der  Literatur  mehr¬ 
fach  beschrieben.  Dornblüth-Kleiiiwächter^^)  be¬ 
richten  von  einer  später  verblödeten,  angeblich  zirkulären 
Psychose,  zu  der  sich  später  eine  amyotrophische  Lateral¬ 
sklerose  gesellte;  Pilcz^^)  beschrieb  eine  analoge  Kom¬ 
bination  mit  Paranoia.^®) 

Abgesehen  von  den  bekannten  Arbeiten  von  Alzheimer, 
Buchholz  u.  a.  verweise  ich  auf  die  jüngst  erschienene  Studie 
Miyakes  (Arbeiten  aus  dem  0 b  er s t ei n  e  r  sehen  Institute,  Bd.  13). 

Clinique  des  mal.  d.  syst,  nerv.,  Paris  1887/88. 

'*)  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde,  Bd.  3. 

Siehe  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905  (Sitzungsbericht). 

Kahler  und  Pi  c k,  Prag.  V.-J.-Schrift  für  prakt.  Heilkunde  1879. 

'h  Handbuch,  deutsch  v.  Grube,  Bonn  1892. 

‘®)  Dornblüth,  Neurolog.  Zentralblatt  1889. 

’*)  Jahrbücher  für  Psychiatrie,  Bd.  17. 

’^®)  Vielleicht  darf  hier  auch  auf  den  Fall  Redlichs  (Wiener 
klin.  Rundschau  1900)  hingewiesen  werden  (neurale  Muskelatrophie  bei 
einer  Zirkulären,  die  väterlicherseits  psychisch,  mütterlicherseits  neuro- 
pathisch  in  gleichartigem  Sinn  belastet  war);  Redlich  wies  auf  einige 
ähnliche  Fälle  in  der  Literatur  hin. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


i\ii  einen  vielleicht  höheren  Grad  pathogenetischer  Ver¬ 
wandtschaft  wird  man  in  dem  Falle  von  Sarbo^^)  denken, 
dessen  Patient  als  geistesschwach  und  emotiv  beschrieben 
wird;  ebenso  in  den  Fällen  von  Maas^^)  (erblich  belastetes, 
imbezilles  Geschwisterpaar,  mit  seit  Jugend  bestehender 
amyotrophischer  Lateralsklerose).  Haenels^^)  Kranke 
zeigte  in  den  letzten  Monaten  ihres  Lebens  Aufregungs¬ 
zustände;  freilich  fanden  sich  bei  ihr  auch  erhebliche  ar¬ 
teriosklerotische  Veränderungen.  Besonders  interessant  ist 
aber  für  uns  ein  Fall  amyotrophischer  Lateralsklerose  von 
Mott,“^)  den  der  Autor  intra  vitam  .für  eine  Paralyse  an¬ 
sah  und  der  besonders  Gedächtnisschwäche  und  leichte 
Emotivität,  grob  anatomisch,  bei  der  Obduktion  gleichfalls 
einen  paralyseähnlichen  Gehirnaspekt  darbot  (also  ganz  wie 
der  hier  mitgeteilte  Fall),  während  sich  histologisch  die 
Rinde  bloß  im  Projektionsanteil  der  motorischen  Region 
alteriert,  sonst  aber  intakt  erwiesen  haben  soll.  Prob  st,^^) 
der  dieses  Thema  eingehender  behandelt  und  in  einer  Reihe 
eigener  Fälle  Intelligenzdefekte  und  Stimmungsanomalien 
hervorhebt,  sagt  geradezu,  er  habe  keinen  Fall  von  amyo¬ 
trophischer  Lateralsklerose  beobachtet,  in  dem  die  Psyche 
vollkommen  intakt  geblieben  wäre.  Er  spricht  zusammen¬ 
fassend  von  ,,Intelligenzstörimgen,  Gedächtnisschwäche,  Ur¬ 
teilsschwäche,  erschwerter  Aufmerksamkeit  und  Auffassung, 
Stimmungsanomalien,  Affekten,  Zwangslachen  und  zwangs¬ 
weisen  Erregungszuständen  und  in  seltenen  Fällen  Hallu¬ 
zinationen  und  Wahnideen  und  Hemmungszuständen“  als 
Vorkommnissen  in  seinen  Fällen.  Probst  vermutet  an¬ 
scheinend  (wie  u.  a.  auch  Sarbo),  in  der  Erkrankung  der 
motorischen  Rinde,  resp.  den  sekundären  Faserläsionen  auch 
das  Substrat  eines  Teiles  dieser  psychischen  Störungen. 
Er  glaubt  übrigens,  nahe  verwandtschaftliche  Beziehungen 
der  amyotrophischen  Lateralsklerose  mit  der  progressiven 
Paralyse  auch  in  histologischer  Hinsicht  annehmen  zu  sollen 
(ich  erwähne  hier,  daß  kürzlich  Marburg^*^)  für  eine 
kontinuierliche  histologische  Veiwandtschaftsreihe  zwischen 
den  organischen  Affektionen  im  Zentralnervensysteme  plä¬ 
diert  hat).  An  eine  vaskuläre  Genese  der  Affektion,  wie 
manche  Autoren  sie  annehmeu,  glaubt  Probst  nicht. 

Ich  wage  nicht  so  weit  zu  gehen  wie  Probst  (und 
Marburg).  Aber  gerade  der  hier  mitgeteilte  Fall  gibt 
im  Zusammenhalte  mit  den  Befunden  dieser  und  ein¬ 
zelner  anderer  Autoren  insofern  zu  denken,  als  er  zeigt, 
wie  sehr  die  paralytische  Erkrankung  durch  eine  gewisse 
äußere  —  wohl  nicht  auch  innere!  —  Vei-wandtschaft 
mit  anderen  Affektionen,  wie  es  scheint,  auch  mit  den 
progressiven  Amyotrophien,  verbunden  ist.  In  unserem 
Falle  sind  die  Rindenläsionen  freilich  ganz  anders  als  in 
den  Fällen  von  Probst  und  Sarbo;  aber  die  Möglichkeit 
einer  Entstehung  der  amyotrophischen  und  der  kortikalen 
Erkrankung  aus  der  gleichen  Wurzel  ist  gewiß  nicht  aus¬ 
zuschließen,  mag  auch  erstere  scheinbar  der  letzteren 
zeitlich  erst  nachgefolgt  sein.  Vielleicht  begünstigte  die  Ge¬ 
fäßerkrankung  das  Entstehen  beider  auf  einem  Locus  mino- 
ris  resistentiae  (durch  individuelle  und  familiäre  Defekt¬ 
anlage).  Außerdem  ist  ja  nicht  nur  das  motorische  System 
(Pilcz  [1.  'c.],  Czyhlarz  und  MarburgA^)  u.  a.),  sondern 
gerade  auch  der  Kortex  durch  seine  besondere  Inanspruch¬ 
nahme  gegenüber  Schädlichkeiten  als  besonders  gefährdet 
anzusehen.  Histologisch  aber,  und  das  möchte  ich  be¬ 
tonen,  scheinen  die  beiden  Prozesse  doch  nicht  restlos 
identifizierbar.  Ich  glaube  demnach  nicht,  daß  der  mit¬ 
geteilte  Fall  als  eine  ,, Psychose  bei  Erkrankung  des  motori¬ 
schen  Systems“  anzusehen  wäre,  gleich  jenen,  die  Probst 
und  andere  im  Auge  haben;  dabei  erscheint  es.  mir  —  ich 

Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde,  Bd.  13. 

Neurolog.  Zentralblatt  1904,  S.  666. 

Archiv  ifür  Psychiatrie,  Bd.  37. 

Zit.  nach  Jahresbericht  für  Neurologie  und  Psychiatrie  1899. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Wien,  Bd.  112  (3.  Abteilung.) 

^®)  Die  sogenannte  akute  multiple  Sklerose.  Jahrbuch  für  Psychiatrie, 
Bd.  27. 

’’h  Zeitschrift  für  klin.  Medizin,  Bd.  43. 


371 


verweise  auf  das  oben  Ausgeführtc  —  von  untergeordneter 
Bedeutung,  ob  man  die  Amyotrophie  in  meinem  Falle 
als  eine  rein  spinale  oder  als  lateral  sklerotische  auffassen 
will;  ich  entscheide  mich  aber  für  die  erste  Eventualität, 
denn  für  eine  greifbare  Affektion  der  Pyramiden  liefert  der 
histologische  Befund  keine  Anhaltspunkte. 

Ein  letztes  Interesse  bietet  aber  unser  Kasus  noch 
insofern,  als  es  sich  während  der  freilich  nur  anderthalb¬ 
jährigen  Beobachtuug  intra  vitam  um  eine  relativ 
stationäre  Paralyse  zu  handeln  schien.-  Bekannt¬ 
lich  bedarf  gerade  die  Frage  der  sogenannten  stationären 
Paralyse  noch  einigermaßen  der  Klärung,  klinisch  wie 
anatomisch;  vielleicht  liefert  der  vorliegende  Fall  auch  einen 
kleinen  Beitrag  hiezu. 


Herzmuskelkraft  und  Kreislauf.*) 

Von  Dr.  Ludwig“  TTofbauer. 

Auf  dem  vorjährigen  Balneologenkongreß  rief  Horn¬ 
berger  (Frankfurt)  wohl  nur  deshalb  so  großes  Auf¬ 
sehen  hervor,  als  er  die  Harvey  sehe  Lehre  vom  Blut¬ 
kreislauf  als  unhaltbar  darstellte,  weil  er  diese,  vor  ihm 
ja  schon  von  so  vielen  Autoren  betonte  Unhaltbarkeit  der 
Lehre,  daß  der  Herzmuskel  allein  die  Blutzirkulation  be¬ 
sorge,  mit  so  einfachen  und  klaren  Worten  und  Zahlen  an 
der  Hand  folgenden  Beispieles  darzustellen  vermochte: 

,,Wir  haben  es  bei  dem  Blutkreislauf  mit  einem  geschlossenen 
Röhrensystem  zu  tun,  in  dem  keine  Spur  irgendeines  Gases  in 
freiem  Zustande  vorhanden  ist;  alle  Gase  sind  entweder  im 
Blute  gelöst  oder  chemisch  gebunden,  ja,  Sie  wissen  alle,  wie 
ängstlich  man  vermeidet,  daß  Luft  in  die  Gefäße  eindringt,  weil 
dieselbe  in  größerer  Menge  die  Ursache  des  Todes  sein  kann. 

Nehmen  wir  eine  kreisförmig  gebogene  Glasröhre,  deren 
beide  Enden  durch  einen  Gummiballon  geschlossen  sind,  so  kann 
—  wenn  das  System  vollkommen  mit  Wasser  gefüllt  ist  —  auch 
beim  größten  Druck  keine  Bewegung  erfolgen,  da  Flüssigkeiten 
nicht  kompressibel  sind.  Komprimieren  wir  aber  den  Ballon,  ehe 
die  Röhre  gefüllt  wird,  so  geht  beim  Aufhören  der  Kompression 
der  Ballon  in  seine  Gleichgewichtslage  zurück,  es  bildet  sich 
dadurch  ein  luftleerer  Raum,  die  Flüssigkeit  wird  angesaugt.  Es 
tritt  eine  Bewegung  auf  beiden  Seiten  des  Ballons  in  entgegen¬ 
gesetzter  Richtung  ein.  Ist  der  Gummiballon  auf  der  einen 
Seite  durch  ein  Ventil  geschlossen  und  wiederhole  ich  den  Ver¬ 
such,  .  so  geschieht  die  Bewegung  in  einer  Richtung.  Sind  an 
dem  Ballon  zwei  Klappen,  die  sich  in  demselben  Sinne  schließen, 
so  wird  bei  Kompression  und  Extension  des  Ballons  die  Flüssig¬ 
keit  nur  in  einer  Richtung  strömen  können.  Und  zwar  wirken 
nacheinander  zwei  Kräfte :  zuerst  eine  Druck-,  dann  eine 
Saugkraft. 

Verallgemeinern  wir  diese  Beobachtung,  so  können  wir 
sagen :  In  einem  geschlossenen  Röhrensystem,  in  welchem  sich 
kein  freies  Gas  befindet,  wirken  bei  der  beschriebenen  Versuchs¬ 
anordnung  immer  zwei  Kräfte,  die  Druck-  und  die  Saugkraft. 

Sind  statt  eines  Ballons  zwei  gleich  große  vorhanden,  von 
denen  sich  der  eine  kontrahiert,  während  sich  der  andere ‘aus¬ 
dehnt,  so  wirken  diese  beiden  Kräfte  zu  gleicher  Zeit,  sich  gegen¬ 
seitig  unterstützend.  Im  Herzen  sind  diese  Bedingungen  erfüllt, 
es  wirken  immer  zwei  Kräfte;  mit  anderen  Worten:  das  Herz 
ist  keine  Druckpumpe,  wie  Harvey  gelehrt  und  wie  man  seit 
drei  Jahrhunderten  geglaubt  hat,  sondern  in  gleichem  Maße  eine 
Säugpumpe. 

Es  sind  daher  alle  Berechnungen  über  die  Arbeitslast  des 
Herzens  falsch  ;  sie  sind  auch  von  vornherein  unwahrscheinlich, 
wenn  man  sich  erinnert,  daß  nach  diesen  Berechnungen  das  Herz 
bei  ruhendem  Körper  mit  einem  Siebzehntel  an  der  totalen 
24stündigen  Energielieferung  des  Körpers  beteiligt  ist,  während 
das  Organ  seinem  Gewichte  nach  nur  ein  Zweihundertstel  des 
Körpers  ausmacht.“ 

Der  Nachweis  nun,  daß  die  Herzmuskelkraft  als  Quelle 
der  zur  Zirkulation  des  Blutes  notwendigen  Kräfte  nicht 
ausreiche,  ist,  wie  gesagt,  keineswegs  neu  zu  nennen.  Schon 
vor  einem  halben  Jahrhundert  hat  beispielsweise  Diester¬ 
weg  nachgewiesen,  daß  es  nicht  angehe,  die  Blutzirkulation 
als  durch  die  Kraft  des  Herzmuskels  allein  zustande  ge- 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
am  15,  Februar  1907. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


kommen  zu  betrachten.  Damals  gab  Niemeyer  letztge¬ 
nanntem  Autor  Recht  und  setzte  sich  mithin  eine  wohl 
genügend  akkreditierte,  klinische  Autorität  für  die  Richtigkeit 
der  Diesterweg  sehen  Auseinandersetzungen  ein. 

Wenn  trotzdem  Diesterwegs  Bemühungen  nahezu 
nutzlos  waren,  Hornberger  hingegen  sofort  einen  durch¬ 
schlagenden  Effekt  erzielen  konnte,  so  hängt  dies,  wie  ge¬ 
sagt,  zum  großen  Teile  damit  zusammen,  daß  er  mit  so 
wenigen  Worten,  einem  so  klaren  Beispiel  die  Zuhörer  von 
der  Richtigkeit  seiner  Behauptungen  zu  überzeugen  ver¬ 
mochte,  um  so  mehr,  weil  er  als  Hilfskraft  für  die  Zirkulation 
die  Saugkraft  des  Herzens  ansprach,  die  Lehre  von  der 
Saugkraft  des  Herzens  aber  auf  vielen,  von  wohlbekannten 
Autoren  stammenden  Versuchen  aufbaut. 

Goltz  und  Gaule  kamen  bekanntlich  auf  Grund  ein¬ 
gehender  Untersuchungen  zu  dem  Resultate,  daß  sich  wäh¬ 
rend  der  Diastole  des  Herzens  in  dem  Ventrikel  eine  nega¬ 
tive  Druckschwankung  nachweisen  lasse,  welche  als  Saug¬ 
kraft,  die  Bewegung  des  venösen  Blutes  unterstützend,  ein- 
tritt.  Die  Versuche  wurden  seither  oftmals  wiederholt  und 
ist  kaum  m'ehr  ein  Zweifel  darüber  möglich',  daß  in  derTat 
sich  diastolisch  negative  Druckwerte  im  Herzen  finden.  Ihre 
Arbeit  beantwortet  gleichzeitig  auch  die  offene  Frage,  welche 
Diesterweg  seinerzeit  als  Waffe  gegen  die  Richtigkeit 
der  Harvey  sehen  Lehre  ins  Feld  geführt  hatte.  Dieser 
Autor  wies  darauf  hin,  daß  schon  deshalb  Harveys  An¬ 
nahme  unhaltbar  sei,  weil  man  dann  nicht  erklären  könne, 
wie  der  rechte  Ventrikel  mit  seiner  dreimal  schwächeren 
Muskelschichte  ebenso  große  Widerstände  überwinden  könne 
als  der  linke  Ventrikel. 

Dieses  Argument  nun  haben  Goltz  und  Gaule  an¬ 
scheinend  widerlegt.  Sie  zeigten  nämlich,  daß  auf  dem  Wege 
der  Ansaugung  sich  ein  Ausgleich  zwischen  diesen  Kraft¬ 
unterschieden  des  rechten  und  linken  Ventrikels  finden  lasse. 

,,Die  Ansaugung  der  linken  Herzkammer  während  der 
Diastole  kommt  natürlich  dem  Lungenkreislauf  zustatten.  Die  Er¬ 
klärungen,  welche  man  bisher  für  die  geringe  Dicke  der  Muskulatur 
der  rechten  Herzkammer  gegeben  hat,  haben  uns  nie  genügt. 
Jetzt  glauben  wir  eine  wesentliche  Ergänzung  dieser  Erklärungen 
gefunden  zu  haben.  Die  Kraft,  welche  zur  Besiegung  der  Wider¬ 
stände  im  Lungenkreislauf  notwendig  ist,  wird  nicht  ausschließlich 
von  der  rechten  Herzkammer  geliefert.  Die  linke  Herzkammer 
beteiligt  sich  an  dieser  Arbeit;  das  Quantum  von  Kraft,  welches 
bei  der  Systole  der  linken  Kammer  aufgewendet  werden,  muß, 
um  die  elastischen  Widerstände  der  Herzwand  zu  besiegen,  wird 
bei  der  nächsten  Diastole  als  Saugkraft  zugunsten  des  Lungen¬ 
kreislaufes  verfügbar.“ 

Damit  wäre  die  Diesterwegsche  Argumentation  zum 
großen  Teile  gestürzt,  denn  nunmehr  steht  die  Wanddicken¬ 
differenz  des  rechten  und  linken  Ventrikels  der  Harvey- 
schen  Lehre  nicht  weiter  im  Wege.  Hombergers  Ein¬ 
würfe  allerdings  könnten  damit  nicht  erklärt  werden;  denn 
die  diastolische  Saugung,  welche  Goltz  und  Gaule  fanden, 
ist  mach  der  Erklärung  dieser  Autoren  auch  nur  als  Resultat 
der  Herzmuskelkraft  aufzufassen.  Es  bleibt  mithin  nach 
wie  vor  die  Frage  offen,  wie  dieser  schwache  Muskel  die 
so  große  Arbeit  leisten  könne. 

Gegen  die  Einführung  der  Saugkraft  des  Herzens  als 
Hilfskraft  für  die  Blutzirkulation  sprechen  fernerhin  auch 
die  von  Gerhardt  jun.  auf  dem  vorjährigen  Kongreß  für 
innere  Medizin  mitgeteilten  Versuche.  Letztere  wurden 
veranlaßt  durch  die  Frage,  ob  eine  kompensatorisclie  Mehr¬ 
leistung  der  Saugkraft,  die  bei  Zunahme  des  Schlagvolumens, 
bei  Stenose  der  venösen  Ostien  und  bei  Erschwerung  der 
Herzfüllung  durch  Vermehrung  des  perikardialen  Druckes 
zweckdienlich  wäre,  sich  nachweisen  lasse  und  führten  zu 
dem  Resultat:  ,,Daß  der  Saugkraft  des  Herzens  eine  Rolle 
für  die  Pathologie  zukäme  in  dem  Sinne,  daß  sie  einer 
kompensatorischen  Mehrleistung  fähig  wäre,  hat  sich  bis 
jetzt  nicht  erweisen  lassen,  auch  nicht  für  diejenigen  drei 
Fälle,  unter  denen  eine  solche  Kompensation  dem  Kreis¬ 
lauf  sicherlich  wesentlich  zugute  kommen  würde.“ 

Krehl  allerdings,  der  sich  näher  mit  der  Natur  der 
elastischen,  die  Saugung  veranlassenden  Kräfte  bescliäf- 


tigte,  schreibt  den  elastischen  Fasern  der  Herzwand  die 
aktive  Rolle  bei  der  Diastole  des  Herzens  zu.  Er  präzisiert 
dieselbe  näher,  indem  er  (Beiträge  zur  Kenntnis  der  Fül¬ 
lung  und  Entleerung  des  Herzens,  Leipzig  1891)  sagt; 

,, Ferner  scheinen  elastische  Kräfte  im  Spiele  zu  sein.  Unter 
dem  Endokard  liegen  äußerst  zahlreiche  elastische  Fasern,  um¬ 
ziehen  mit  dem  Endokard  alle  Muskelbündel  der  inneren  Längs¬ 
schichten  und  gehen  mit  ihm  in  alle  Vertiefungen  hinein.  Wenn 
bei  der  Kammersystole  diese  einzelnen  Bündel  aneinandergepreßt 
werden,  so  müssen  die  elastischen  Fasern  mit  derselben  nach 
vielen  Richtungen  hin  gedrückt  und  gezogen  werden.  Ihre  ela¬ 
stischen  Kräfte  werden  in  Anspruch  genommen  und  müssen  sich 
geltend  machen,  sobald  die  pressende  Kraft  nachläßt  und  das 
Herz  im  Anfang  der  Diastole  öffnen.  Ebenso  können  die  ela¬ 
stischen  Platten  wirken,  welche  von  den  Semilunarklappen  aus¬ 
gehen,  sich  in  das  Innere  der  Muskulatur  unterhalb  der  Aorten¬ 
wurzel  erstrecken.  Sie  werden  in  der  Systole  ebenfalls  gepreßt 
werden  und  im  Beginne  der  Erschlaffung  einen  Druck  auf  die 
weiche  Muskulatur  ausüben.“ 

Durch  die  Einführung  der  elastischen  Fasern  als  einer 
neuen,  von  der  Herzmuskelleistung  unabhängigen  Kraft¬ 
quelle  für  die  Saugkfaft  des  Herzens  ist  aber  die  Frage 
nach  den  Hilfskräften  der  Herzmuskulatur  wohl  nur  schein¬ 
bar  ihrer  Lösung  nähergerückt.  Die  elastischen  Fasern 
stellen  ja  an  und  für  sich  keine  Kraftquelle  dar;  sie  können 
nur  die  zu  ihrer  Formveränderung  im  vorausgehenden  Mo¬ 
ment  aufgebrachte  Kraft  im  nächsten  Moment  wieder  be¬ 
tätigen.  Es  handelt  sich  bei  der  von  ihnen  manifestierten 
Kraft  wieder  nur  um  die  der  Herzmuskulatur,  welche  eben 
nur  zu  einem  anderen  Zeitmoment  in  Tätigkeit  treten 
könnte.  Ueberdies  hat  von  den  Velden  allen  solchen  Be¬ 
strebungen,  durch  Einführung  der  Saugkraft  als  unter¬ 
stützender  Kraftquelle  die  Disharmonie  zwischen  der  ge¬ 
ringen  Herzmuskelkraft  und  der  großen  Arbeit  der  Blut¬ 
bewegung  zum  Verschwinden  zu  bringen,  endgültig  ein 
Ende  bereitet.  Auf  dem  letzten  Kongreß  für  innere  Medizin¬ 
konnte  dieser  Autor  in  einer  an  Deutlichkeit  nichts  zu 
wünschen  übrig  lassenden  ’Weise  dartun,  daß  es  sich  hier 
in  Wirklichkeit  gar  nicht  um  eine  Saugkraft  handle.  Das 
Herz  wirkt,  wie  er  ad  oculos  demonstrieren  konnte,  nicht 
als  Saug-,  sondern  nur  als  Druckpumpe  im!  Kreislauf. 

Hiedurch  wurde  der  I.ehre  von  der  Saugkraft  des 
Herzens  als  Supplementärkraft  jedweder  tatsächlicher  Boden 
entzogen,  hat  Hombergers  Versuch  einer  Beantwortung 
der  von  ihm  neuerdings  aufgerollten  Frage  jedwede  Be¬ 
rechtigung  verloren.  Welche  Kräfte  zur  Unterstützung  der 
für  die  Bewerkstelligung  des  Blutkreislaufes  zu  schwachen 
Herzmuskelkraft  in  Aktion  treten,  diese  Frage  hat  seit  Horn¬ 
berger  keine  Beantwortung  erfahren,  es  bleibt  nach  wie 
vor  die  Frage  offen:  Welche  Kräfte  sind  es  außer  der 
Herzmuskelkraft,  welche  den  Kreislauf  bewerkstelligen? 

Nun  habe  ich  bei  meinen  Untersuchungen,  welche 
ich  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  Priv.-Doz.  Holzknecht  seit 
längerer  Zeit  schon  in  seinem  Institut  ausführe  —  der 
erste  Teil  der  Resultate  wurde  in  dem  soeben  erscheinenden 
Hefte  der  Hol zknecht sehen  ,,Mitteilungen“  *)  publiziert 
—  eine  Erscheinung  oftmals  und  immer  wieder  im  gleichen 
Sinne  auftretend  konstatieren  können,  welche  berufen  er¬ 
scheint,  die  Frage  nach  den  Auxiliärkräften  des  Herz¬ 
muskels  einer  Lösung. näher  zu  bringen. 

Wir  beschäftigten  uns  im  Verlaufe  unserer  Unter¬ 
suchungen  eine  Zeitlang  mit  der  Frage  nach  dem  Mecha¬ 
nismus  der  Atemvertiefung  und  stellten  die  Modi  der  hie¬ 
bei  statthabenden  Alterationen  der  Zwerchfellbewegun¬ 
gen  fest. 

Trotzdem  unsere  Aufmerksamkeit  dementsprechend 
auf  die  am  Zwerchfell  sichtbaren  Bewegungsvorgänge  ge¬ 
richtet  war,  fiel  uns  ein  eigentümliches  Phänomen  am  Herz¬ 
schatten  auf,  welches  späterhin  jedesmal  konstatiert  wer¬ 
den  konnte.  W  ä  h  r  e  n  d  d  e r  t i  e  f  e  n  E  i  n  a  t m  u n  g  s  c h  w  i  1 1 1 
nämlich  der  Herzschatten  in  beträchtlichem 
Maße  an,  während  der  Ausatmun  g  kehrt  er  wieder 
auf  das  Volumen  zurück,  welches  er  vor  Beginn 

*)  G.  Fischer,  Jena. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


373 


der  Einatmung  innegehabt  hat.  Als  Beispiel  diene 
Fig.  1,  die  Kopie  einer  Skizze,  welche  auf  einer  vor  dem 
Fluoreszenzschirm  fixierten  Glasplatte  die  bei  einem 


exspiratorische 

inspiratorische 


Fig.  1.  (Verkleinert.) 

Schreiendes  Kind.  (Fall  22.  November  1905.  10.) 


schreienden  Kinde  sichtbaren  respiratorischen  Größenver¬ 
änderungen  des  Herzschattens  fixierte.  Dieses  stetig  wieder¬ 
kehrende  Spiel  vollzieht  sich  nicht  etwa  in  bescheidenen 
Grenzen,  es  wird  im  Gegenteil  die  Größe  des  Herzschat¬ 
tens  bei  jeder  einzelnen  Inspiration  wesentlich  größer, 
bei  der  darauf  folgenden  Exspiration  wesentlich  kleiner. 
Dabei  läßt  sich  leicht  konstatieren,  daß  die  Größe  des 
Herzschattens  durch  die  tiefe  Atmung  in  weit¬ 
aus  höherem  Maße  beeinflußt  wird  als  durch  die 
Aktion  des  Herzmuskels.  Wenn  also  beispielsweise 
während  der  Systole  des  Herzens  die  inspiratorische  Atem- 


Fig.  2. 

Blutdruckkurve  des  Hundes,  an  der  Carotis  erhalten. 

(Nach  V.  Bunge,  Physiologie  II,  S.  305.) 

phase  statthat,  so  wird  durch  die  inspiratorische  Anschwel¬ 
lung  nicht  nur  die  der  Systole  entsprechende  Verkleine¬ 
rung  des  Herzschattens  vollständig  kompensiert,  sondern 
um  ein  Vielfaches  überholt.  Die  Schwankungen  der  Herz¬ 
größe,  welche  von  den  Atemphasen  abhängig  sind,  über¬ 
wiegen  eben  in  sO'  ausgiebigem  Maße  die  diirch  die  Kon¬ 
traktion  des  Herzmuskels  bedingten,  daß  letztere  nur  als 


geringfügige  Schwankungen,  den  respiratorischen  aufge¬ 
setzt,  in  Erscheinung  treten.  Es  erinnert  das  Verhältnis 
zwischen  den  durch  die  Respiration  bedingten  Größen¬ 
schwankungen  des  Herzschattens  und  den  durch  die 
Herzmuskeltätigkeit  bedingten  an  das  Verhältnis,  welches 
die  Pulskurve  zeigt,  wenn  man  dieselbe  mit  einem  Mano¬ 
meter  aufnimmt.  Ich  gestatte  mir,  eine  diesbezügliche  Re¬ 
produktion  aus  V.  Bunges  Lehrbuch  der  Physiologie 
herumzureichen,  die  Ihnen  gewiß  noch  von  den  physiologi¬ 
schen  Stunden  her  in  Erinnerung  ist.  SO'  wie  an  dieser 
Kurve  weitaus  größere  Schwankungen  entsprechend  den 
Atemzügen  ersichtlich  sind  und  diesen  großen  Schwankun¬ 
gen  kleine,  den  Herzkontraktionen  entsprechende  aufge¬ 
setzt  sind,  so  zeigt  der  Herzschatten  Größenveränderungen, 
welche  in  großem  Ausmaße  statthäben  und  der  Respiration 
synchron  sind.  Mit  diesen  großen  Schwankungen^  inter¬ 
ferieren  weitaus  kleinere,  durch'  die  Herzmuskelaktion  ge¬ 
bildete  (siehe  Fig.  2). 

So  zeigt  sich  denn  ein  mächtiger  Faktor  in  Funktion, 
welcher  in  der  Klinik  bislang  viel  zu  wenig  Berücksichti¬ 
gung  fand,  trotzdem,  wie  die  eben  herumgezeigte  Kurve 
zeigt,  man  schon  vorher  Anhaltspunkte  dafür  gehabt  hätte, 
der  Atmung  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Förderung  des 
Blutkreislaufes  eine  entsprechende  Rolle  zu  vindizieren. 
Wenn  dies  bislang  nicht  geschehen  ist,  so  mag  ja  dafür 
vielleicht  die  Erfahrung  verantwortlich  gemacht  werden,  daß 
man  einerseits  am  Herzen  direkt  Beobachtungen  nicht  an¬ 
stellen  konnte  und  die  an  den  peripheren  Blutgefäßen  an- 
gestellten  Beobachtungen,  resp.  gesammelten  Erfahrungen 
nicht  eindeutig  waren.  So'  hat  Ledderhose  in  einer  aus¬ 
gezeichneten  Arbeit,  welche  vor  kurzer  Zeit  in  den  „Mit- 
teilmigen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin  und  Chirurgie“ 
erschien,  darauf  hingewiesen,  daß  sich  an  den  peripheren 
Venen  in  die  Augen  springende  Unterschiede  der  Füllung 
mit  Blut  entsprechend  den  verschiedenen  Respirationsphasen 
nach  weisen  lassen. 

Unverständlich  aber  schien  es,  daß  da  nicht  an  allen 
Venen  des  Körpers  gleichsinnige  Bewegungen  statthaben. 
Während  das  eine  Gefäßgebiet  inspiratorisch  abschwillt,  so 
daß  man  sich  also  leicht  denken  kann,  daß  durch 
negativen  Druck  im  Brustraum  das  Blut  in  der  Peripherie 
angesogen  wird,  zeigen  gleichzeitig  andere  Teile  des  Gefä߬ 
systems  bei  ganz  normalen  Menschen  in  immer  gleich¬ 
mäßig  wiederkehrender  Weise,  zur  Zeit  der  Inspiration  im 
Gegenteil:  Anschwellung  und  yergrößerung  des  Blutgehaltes. 

Nun  scheint  es  auf  den  ersten  Blick  nicht  verständlich, 
warum  die  Einatmung  auf  das  eine  Venengebiet  zirkula¬ 
tionsbefördernd  und  auf  das  andere  bluüaufhemmend  wir¬ 
ken  sollte  (und  ebenso  die  Ausatmung).  Dementsprechend 
scheint  der  Einfluß  der  Atmung  auf  die  Zirkulation  infolge 
dieser  Gegensätzlichkeit  in  seinem  Endeffekt  zu  verschwin¬ 
den,  indem  auf  der  einen  Seite  soviel  genützt,  als  auf  der 
anderen  Seite  geschadet  würde. 

Letzterem  Gedanken  geben  bedeutende  Physiologen 
selbst,  wie  Mos  so  und.Marey  Ausdruck.  Nach  ersterem 
,, heben  sich,  da  die  verschiedenartigen  respiratorischen  Be¬ 
einflussungen  des  venösen  Blutlaufes  in  den  oberen  unteren 
Extremitäten  in  entgegengesetzter  Richtung  sich  abspielen, 
ihre  Wirkungen  auf“  und  nach  Maray  „neutralisieren  sich 
die  durch  ln-  und  Exspiration  iih  entgegengesetzten  Sinne 
innerhalb  des  Thorax  und  des  Abdomens  erzeugten  Druck¬ 
änderungen“. 

Diese  unklaren  Verhältnisse  aber  sind  dürcli  eine  von 
dem  bekannten  Anatomen  Hasse  veröffentlichte  Arbeit  in 
letzter  Zeit  eindeutig  geklärt  worden.  Er  beschreibt  m 
seiner  Arbeit:  Die  Atmung  und  der  venöse  Blutstrom 
(Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie,  physiologische  Ab¬ 
teilung,  1906),  die  Einwirkung  der  Atmung  auf  den  venösen 
Blutstrom  in  so  klassischer,  eindeutiger  Form,  daß  man 
versucht  wäre,  die  ganze  Arbeit  hier  einrücken  zu  lassen. 
Ich  will  jedoch  der  Kürze  halber  bloß  die  markantesten 
Stellen  in  Form  folgender  Exzerpte  und  Stichworte  wieder- 
gebem  I  I  '  1  .  '  ^ 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


Nr.  13 


Seite  291 :  „Die  Einatmung  bewirkt  ein  erhöhtes  Zuströmen 
des  Blutes  aus  dem  Gebiete  der  oberen  Hohlader  in  das  Herz 
und  ein  erhöhtes  Abströmen  des  Blutes  aus  den  Lebervenen  in 
den  hyperpbrenischen  Abschnitt  der  unteren  Hohlader.  Sie  be¬ 
wirkt  aber  zugleich  eine  Rückstauung  des  Blutes  in  dem  Gebiete 
des  peripheren  hypophrenischen  Abschnittes  der  Vena  cava 
inferior,  sowie  im  Gebiete  der  Pfortader. 

Die  Ausatmung  bewirkt  ein  vermindertes  Zuströmen,  eine 
Rückstauung  in  dem  Gebiete  der  unteren  Hohlader  und  der 
Lebervenen,  dagegen  ein  vermehrtes  Zuströmen  aus  dem  Gebiete 
der  hypophrenischen  Körpervenen  und  aus  dem  Gebiete  der 
Pfortader  in  die  Leber  hinein. 

Das  Maß  des  Zuströmens  und  der  Rückstauüng  richtet 
sich  in  den  verschiedenen  Gebieten  nach  der  Art  der  Atmung, 
ob  Brust-,  Bauch-  oder  gemischte  Atmung. 

Die  Stauungsstelle  liegt  bei  allen  Arten  der  Atmung  an  der 
Vorderseite  der  in  den  Herzbeutelraum  ragenden  oberen  Hohlader. 
Die  Stauungsstelle  der  unteren  Hohlader  liegt  bei  der  gemischten 
Atmung  vor  allem  unterhalb  des  Zwerchfellsloches  an  der  Hinter¬ 
wand  der  Leber  und  besonders  im  oberen  Teile  der  Hohlader- 
furcbe.  Bei  der  reinen  Bauch-  und  der  reinen  Brustatmung  liegt 
sie  dagegen  vor  allem  unterhalb  der  Leber  an  der  Vorderwand 
des  peripheren  Abschnittes  der  Vena  cava  inferior.  Die  Stauungs¬ 
stelle  an  der  Pfortader  liegt  über  dem  Pankreas  unterbalb  der 
Leberpforte,  gleichgültig,  wie  geatmet  wird. 

Die  Lage  der  Stauungsstelle  der  unteren  Hohlader  unter¬ 
halb  des  Foramen  venae  cavae  erklärt  es,  wie  beim  Beginn  der 
Einatmung  zuerst  ein  verstärkter  Zufluß  aus  derselben  in  das 
Herz,  dann  erst  eine  Stauung  stattfmdet.  Bei  der  Einatmung 
erfolgt  zuerst  infolge  der  Spannung  des  Zwerchfelles  eine  Er¬ 
weiterung  des  Hohladerloches  und  damit  eine  Erweiterung  des  in 
seinem  Bereiche  liegenden  Gefäßabschnittes.  Dann  erst  tritt  eine 
Verengerung  ein  u.  zw.  durch  den  Druck  des  Zwerchfelles  auf 
eine  tiefer  gelegene  Stelle  der  Vena  cava  inferior. 

Die  Richtigkeit  dieser  Sätze  ergibt  sich  aus  dem  ana¬ 
tomischen  Verhalten  der  in  Frage  kommenden  Gefäße  zu  den 
bei  der  Atmung  tätigen  Teilen  der  Brust,  der  Bauchwand  und 
des  Zwerchfelles,  sowie  der  Eingeweide. 

Die  obere  Hohlader. 

Interessant  ist  die  Form  der  oberen  Hohlader.  Außerhalb 
des  Perikardiums  zylindrisch  mit  kreisförmigem  Querschnitt 
zeigt  sie  nach  meinen  Untersuchungen  dieselbe  Form  beim  Neu¬ 
geborenen  und  Kindern  .  .  .  anders  dagegen  beim  Erwachsenen.  .  .  . 
Ihr  Querschnitt  ist  dort  elliptisch,  die  Spitze  der  Ellipse  gegen 
die  Aorta  nach  links  und  hinten  gewendet,  so  daß  die  längste 
Achse  von  rechts  vorne  nach  links  und  hinten  steht.  Dabei  ist 
die  hintere  Fläche  abgeplattet,  die  vordere  Wand  dagegen  nach 
vorne  ausgebuchtet.  Diese  Form  und  diese  Formveränderungen 
sind  meiner  Ansicht  nach  die  Folge  der  durch  lange  Jahre  fort¬ 
gesetzten  Atembewegung  des  Brustkorbes.  Ich  wies  bereits  früher 
nach,  daß  die  Atmung  einen  formbedingenden  Einfluß  auf  die 
Lunge  ausgeübt  hat.  .  .  .  Warum  sollte  sich  nicht  ein  gleicher 
Einfluß  auf  die  Gefäße  geltend  machen  können  ?  Ich  glaube  diese 
Frage  für  die  obere  Hohlader  bejahen  zu  müssen,  denn  es  ist 
auffällig,  daß  die  Ausbuchtung  der  Vorderaußenwand  durchaus 
der  Vor-,  Aufwärts-  und  Seitenbewegung  des  Brustkorbes  bei  der 
thorakalen  Atmung  entspricht. 

Die  untere  H  o  h  1  a  d  e  r. 

Seite  2i)4  :  „H  enle  erwähnt  eine  Kaliberzunahme  der  Vene 
zwischen  der  Einmündung  der  Lebervenen  und  dem  Zwerchfell, 
einen  Lacus  venae  cavae.  .  .  .  Tatsächlich  besteht  die  Erweiterung 
des  Lakus ;  allein  sie  besteht  nicht  für  sich  allein,  sie  ist  nur 
ein  Teil  einer  Erweiterung  des  intraperikardialen  Abschnittes  der 
unteren  Hohlader,  eines  Bulbus  venae  cavae  inferioris  und 
zwar  der  untere  Abschnitt  desselben.  Heule  deutet  ihn  nur 
an  .  .  .  und  nur  in  einer  von  R  ü  d  i  n  g  e  r  s  Figuren  finde  ich 
diesen  Bulbus  gezeichnet.  .  .  . 

Dieser  Bulbus  venae  cavae  inferioris  .  .  .  erstreckt  sich 
von  der  Einmündung  der  Lebervenen  als  Lakus  (Heule)  bis  zu 
der  Ausmündung  in  den  rechten  Vorhof.  Dabei  ist  seine  Aus¬ 
dehnung  —  entsprechend  der  Stellung  des  Foramen  venae  cavae  — 
eine  durchaus  verschiedene.  Hinten  und  links  reicht  er  tiefer  als 
rechts  und  vorne.  Dies  ist  wichtig  mit  Rücksicht  auf  die  Ein¬ 
mündung  der  Lebervenen,  zu  denen  ich  mich  jetzt  wende.  In 
Betracht  kommen  hiebei  vor  allem  die  beiden  Hauptvenen  des 
rechten  und  des  linken  Leberlappens.  Die  eine  mündet  von  rechtb, 
die  andere  von  links  her  in  die  untere  Hohlader.  Die  Ein¬ 
mündung  der  ersteren  liegt  höher,  die  der  letzteren  tiefer. 

Die  Einströmungsverhältnisse  liegen  somit  für  die  rechte,  dem 
mächtigen  rechten  Leberlappen  entstammende  Ader  viel  günstiger 


als  für  die  dem  schwächeren  und  dünneren  linken  Leberlappen 
angehörige  Vene.  Wichtig  ist,  daß  die  Einmündung  unmittelbar 
unter  dem  Foramen  venae  cavae  und  daß  die  rechte  Lebervene 
sogar  zum  Teil  oberhalb  im  Bereiche  des  sich  an  der  Hohlader 
aufwärts  schlagenden  Teiles  des  Perikardiums,  also  nicht  hypo- 
phrenisch,  sondern  hyperphrenisch  liegt.  Die  Mündungsstelle 
liegt  auch  nicht  —  wie  man  es  oft  dargestellt  findet  —  innerhalb 
der  Hohladerfurche  der  Leber,  sondern  zum  Teil  über  derselben 
an  der  Leberfurche.“ 

Seite  296 :  ,,Die  Hebung  der  Brustwand  nach  oben  vorne 
und  seitlich  .  .  .  hat  nun  eine  Hebung  und  Erweiterung  des  Herz¬ 
beutels  zur  Folge,  welche  wiederum  einen  gleichen  Einfluß  auf 
die  im  Cavum  pericardii  gelegene  Vorderwand  der  oberen  Hohl¬ 
ader  in  steigendem  Maße  von  oben  nach  unten  ausüben  muß. 
Dies  hat  dann  die  Ansaugung  des  Venenblutes  aus  den  über  dem 
Zwerchfell  gelegenen  Körperteilen  zur  Folge.  Die  nach  unten 
zunehmende  Erweiterung  der  Vena  cava  superior  ergibt  sich  aus 
den  Verhältnissen  des  Herzbeutels  zur  vorderen  Brustwand.  Er 
liegt  ja  abwärts  von  der  vierten  Rippe  linkerseits  —  unbedeckt 
von  den  Brustfellen  und  den  Lungen  —  dem  Brustbein  und  den 
Rippenknorpeln  unnjittelbar  an  und  ist  mit  ihnen  durch  Binde¬ 
gewebe  verbunden,  während  sich  oben  Lungen  und  Pleura 
dazwischenschieben. 

Sinkt  nun  bei  der  Ausatmung  der  Brustkasten,  dann  muß 
die  obere  Hohlader  sich  um  dasselbe  Maß  verengern.  Ein  Teil 
des  Venenblutes  der  oberen  Körperhälfte  muß  rückgestaut 
werden  und  das  wird  sich  in  den  entfernten  Venengebieten 
besonders  an  den  Hautvenen  geltend  machen,  namentlich  aber 
auch  in  dem  in  die  obere  Hohlader  absteigenden  Jugularsystem, 
vor  allem  in  der  Jugularis  interna.“ 

Seite  297  :  „Zur  Erweiterung  der  oberen  Hohlader,  welche 
das  stärkere  Abströmen  des  Blutes  aus  der  oberen  Körperhälfte 
bedingt,  gesellt  sich  nun  aber  ein  erhöhtes  Zuströmen  des 
Blutes  der  Lebervenen  in  die  Vena  cava  inferior  u.  zw.  in  den 
über  dem  Zwerchfell  gelegenen  Abschnitt  und  dieser  bei  der 
Einatmung  verstärkte  Strom  trägt  dann  zur  bulbären  Erweiterung 
desselben  bei.  Bei  der  Hebung  des  Brustkorbes  hebt  sich  der 
vordere,  der  sternokostale  Teil  des  Zwerchfelles  nicht  allein, 
sondern  es  muß  das  Zwerchfell  auch  gespannt  werden.  Damit 
ist  aber  .  .  .  vor  allem  eine  Erweiterung  des  Foramen  venae 
cavae  verbunden,  welche  —  wie  die  Abflachung  —  eine  Er¬ 
weiterung  des  unteren  Herzbeutelraumes  und  damit  eine  Er¬ 
weiterung  das  Bulbus  venae  cavae  inferioris  und  des  dazu¬ 
gehörigen  Lakus  zur  Folge  hat.  Damit  erklärt  sich  die  Ent¬ 
leerung  des  Lebervenenblutes  in  steigendem  Maße  in  diesem 
Gefäßabschnitt.  .  .  .  Bei  der  Ausatmung  findet  dann  eine  Rück¬ 
stauung  des  Blutes  im  Bulbus  durch  die  wieder  eintretende  Ver¬ 
engerung  des  unteren  Herzbeutelraumes  und  des  Foramen  venae 
cavae  .  .  .  statt.  Damit  ist  dann  auch  das  Auftreten  des  Bulbus 
und  des  Lakus  erklärt,  der  sich  bis  unter  das  Foramen  venae 
cavae  und  bis  zur  Leberoberfläche  erstreckt.  .  .  . 

Die  Ansaugung  des  Lebervenenblutes  bei  der  Einatmung 
wird  auch  noch  weiter  unterstützt  durch  die  Pressung,  welche 
die  untere  Hohlader  und  ihr  hypophrenischer  Abschnitt  erleiden. . .  . 
Diese  Pressung  .  .  .  erfolgt  entsprechend  der  Baucheinziehung 
nach  oben  und  hinten.  .  .  .“ 

Seite  298 :  „Bei  der  reinen  Zwerchfellatmung  wird  .  .  .  die 
Leber  gepreßt  und  gedehnt,  das  Foramen  venae  cavae  er¬ 
weitert  .  .  .  durch  das  starke  Abwärtsgehen  des  Zwerchfelles 
wird  ferner  der  untere  Perdikardialraum  in  hohem  Maße  wie  bei 
der  Brustatmung  erweitert  und  dies  erklärt  das  größere  Volumen 
des  Bulbus  venae  cavae  und  bedingt  neben  der  Erweiterung  des 
Hohlvenenloches  und  der  starken  Leberpressung  ein  erhöhtes 
Abströmen  des  Blutes  der  Lebervenen.“ 

Die  Berücksiclitigung  dieser  von  anatomischer  Seite 
geltend  gemachten  Faktoren  gibt  im  Zusammenhalt  mit  den 
durch  die  klinische  und  physiologische  Forschung  bekannt 
gewordenen  Daten  Aufschluß  darüber,  welcher  Art  die  Wir¬ 
kungsweise  der  Respiration  auf  die  ßeförderung  der  Zir¬ 
kulation  sei.  Es  kommen  hauptsächlich  zwei  Faktoren  in 
Betracht :  1 .  Ein  mechanischer,  welcher  im  Sinne  der 
Hasseschen  Auseinandersetzungen  dadurch  wirkt,  daß  die 
Atembewegung  das  anatomische  Verhalten  des  Herz¬ 
beutels  und  des  Lakus  der  Vena  cava  inferior  einerseits, 
sowie  das  der  Bauchorgane  anderseits  ändert  und  dadurch 
die  Bewegung  des  Blutes  fördert. 

Als  zweiter  Faktor  kommt  der  in  der  Brusthöhle  in¬ 
folge  der  Wirksamkeit  der  Piespirationsorgane  herrschende 
negative  Druck  in  JJetracht.  Er  wird  gewöhnlich  in  seiner 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


375 


Ciröße  wesentlich  iiiilerscliälzt,  weil  man  glaubt,  er  sei  ledig¬ 
lich  von  so  geringem  Ausmaße  als  dies  die  Donders- 
schen  Untersucliimgen  zu  zeigen  schienen. 

Dieser  Autor  band  in  die  Luftröhre  eines  mensch¬ 
lichen  Leichnams  ein  Manometer  ein,  eröffnete  dann  beider¬ 
seits  den  Thorax  und  bestimmte  mittels  Manometers  den 
Druck,  welcher  durch  die  elastische  Kraft  der  Lungen  er¬ 
zeugt  wird.  Diese  tritt,  sobald  der  Brustkasten  eröffnet  ist, 
in  Erscheinung  und  trachtet  die  Lungen  zu  verkleinern'. 
Die  so  gewonnene  Druckgröße  aber  gibt  viel  zu  geringe 
Werte  für  den  der  Lunge  innewohnenden  elastischen  Zug 
an,  welcher  während  des  Lebens  in  der  Lunge  herrscht 
und  erst  dann  erschöpft  wird,  wenn  der  Lunge  Gelegen¬ 
heit  gegeben  wurde,  auf  ihren  fötalen,  atelektatischen  Zu¬ 
stand  zurückzukehren.  Die  Lunge  kann  nämlich  beim  Le¬ 
benden  selbst  dann,  wenn  man  die  Brusthöhle  eröffnet, 
nicht  sofort  so  stark  sich  retrahieren,  als  dies  die  ihr 
innewohnende  elastische  lletraktionskraft  erzielen  wollte. 
Sie  kann  dies  nach  Lichtheims  und  Bartels’  An¬ 
schauungen  deshalb  nicht,  weil,  sobald  aus  den  Alveolen 
etwas  Luft  entwichen  ist,  die  Bronchiolenwände  sich  an¬ 
einanderlegen  und  dem  Besiduum  von  Luft,  welches  in 
der  Alveole  sich  noch  befindet,  den  Austritt  verwehrt.  Daß 
aber  trotz  dieses  Aufhörens  von  Luftaustritt  die  elastische 
Kraft  der  Lunge  noch  nicht  erschöpft  ist,  erweisen  die 
Versuche  von  Traube  und  Lichtheim  zur  Genüge.  Sie 
konnten  zeigen,  daß  beim  Versuchstier  die  Lunge,  wenn 
ein  Pneumothorax  erzeugt  wird,  nach  mehreren  Stunden 
in  der  Tat  auf  den  völlig  luftleeren  Zustand  zurück¬ 
kehrt.  Dieses  Verhalten  kann,  wie  Lichtheim  nachge¬ 
wiesen  hat,  nur  so  erklärt  werden,  daß  das  kreisende  Blut 
aus  der  Alveole  die  unter  Druck  stehende  Luft  vollständig 
resorbiert.  Zu  einer  vollständigen  Resorption  der  Luft  kann 
es  aber  nur  deshalb  kominen,  weil  die  in  der  Alveole  be¬ 
findliche  Luft  unter  Druck  steht  (der  Wirkung  der  durch 
das  Eindringen  der  Luft  in  die  Lunge  geweckten,  elastischen 
Retraktionskraft) . 

Schon  daraus  erhellt,  daß  die  elastische  Retraktions¬ 
kraft  der  Lunge  einen  ganz  wesentlichen  und  mächtigen 
Faktor  darstellt.  Während  der  Inspiration  wird  die  elastische 
Retraktionskraft  noch  weiterhin  gesteigert,  während  der 
Exspiration  sinkt  sie  auf  einen  Minimalpunkt  herab.  Schon 
diese  (relativ  geringe)  inspiratorische  Steigerung  des  nega¬ 
tiven  Druckes  hat  auf  die  Blutbewegung  einen  in  der  Druck¬ 
kurve  so  deutlich  ausgeprägten  Einfluß.  Daraus  erhellt, 
einen  um  wieviel  größeren  Einfluß  die  elastische,  Retrak¬ 
tionskraft  (die  stabile  Größe,  welche  im  Thorax  herrscht.) 
auf  die  Blutbewegung  ausüben  muß.  Zeigen  doch  die  Druck¬ 
messungen,  welche  in  so  großer  Anzahl  am  Versuchstier 
und  am  Menschen  angestellt  wurden,  daß  durch  die  In¬ 
spirationsbewegung  der  negative  Druck  im  Thorax  ledig¬ 
lich  um  zirka  die  Hälfte  seiner  Größe  steigt.  Es  ist  daher 
der  Schluß  zulässig,  daß  die  vitale  Retraktionskraft  zirka 
zweimal  soviel  leistet  als  die  durch  die  Inspiration  hervor¬ 
gerufene  Verstärkung  des  negativen  Druckes  im  Thorax. 

Bei  Berücksichtigung  dieses  so  mächtigen  Einflusses 
der  Respirationsbewegung  auf  den  Blutkreislauf  wird  eine 
ganze  Menge  von  bislang  offenen  Fragen  in  der  klinischen 
Medizin  seiner  Lösung  näher  gebracht,  für  welche  man 
bisher  nur  Aushilfstheorien  hatte.  Es  reicht  die  Zeit,  die 
mir  zur  Verfügung  steht,  keineswegs  hin,  um;  alle  die  vielen 
offenen  Fragen  näher  zu  beleuchten  und  auf  ihre  Lösung 
mit  Hilfe  der  respiratorischen  Einwirkung  auf  die  Zirku¬ 
lation  näher  einzugehen.  Ich  will  mich  darauf  beschränken, 
eine  einzige  von  den  vielen  Fragen  etwas  näher  zu  be¬ 
leuchten.  Es  ist  das  die  Frage  von  der  Arbeitsdyspnoe, 
resp.  kardialen  Dyspnoe.  Auch  hier  kann  ich  nicht  auf 
alle  strittigen  Punkte  (welche  trotz  der  in  letzter  Zeit  zu¬ 
tage  geförderten  Aufklärimg  [siehe  diesbezüglich  den  dan¬ 
kenswerten  Vortrag  von  R.  Beck  in  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  vom  12.  Januar  1906,  Wiener  mediz.  Wochen¬ 
schrift  1906,  Nr.  6  und  7j  noch  immer  existieren)  und  ihre 
Lösung  unter  Berücksichtigung  des  angegebenen  Faktors 


eiiigehen  und  greife  ein  Teilkapitel  beraus,  die  kardiale 
Grthopnoe. 

Mit  dem  Namen  der  kardialen  Örthopnoe  bezeichnet 
man  die  in  der  Klinik  ,so  oft  wahrnehmbare  Erscheinung, 
daß  Patienten,  welche  an  Erkrankungen  des  Herzens  oder 
der  großen  Gefäße  leiden,  nachts  plötzlich  aus  dem  Schlafe 
mit  dem  Gefühl  der  Atemnot  erwachen  und  erst  dann 
wieder  einschlafen  können,  wenn  sie  sich  sitzend  im  Bette 
befinden.  Diese  allgemein  bekannte  Erscheinung  hat  bis¬ 
her  fast  keine  pathogenetische  Erklärung  gefunden.  Man 
fand  sich  gewöhnlich  mit  der  Erklärung  ab,  daß  im  Liegen 
die  Atemmuskulatur  den  Thorax  schlechter  bewegen  könne, 
die  Atmung  behindert  sei  und  das  Zwerchfell  weniger  respi¬ 
ratorisch  tätig  sei,  weil  die  großen  Unterleibsdrüsen,  Leber 
und  Milz,  es  an  den  Atemexkursionen  mehr  behindern  als 
beim  Sitzen,  wO'  diese  Organe  vom  Zwerchfell  mehr  hin¬ 
wegrücken. 

Daß  diese  Erscheinung  hauptsächlich  nachts  auftrete, 
dafür  finde  ich  lediglich  bei  Bouchard  den  Versuch  einer 
Erklärung.  Er  glaubt  sie  darin  gefunden  zu  haben,  daß 
bei  Nacht  mehr  harnfähige  Substanzen  im  Körper  re  liniert 
bleiben  als  bei  Tage  und  als  Folge  der  Einwirkung .  dieser 
Substanz  sei  die  nächtliche  Steigerung  der  Atemnot  zu 
erklären.  Das  erklärt  allerdings  Bouchards  Hypothese 
nicht,  was  denn  im  Sitzen  besser  sei  als  im  Liegen.  Man 
muß  also  selbst  unter  Annahme  seiner  Hypothese  die  haupt¬ 
sächlich  von  deutschen  Autoren  verfochtene,  oben  ange¬ 
führte  Annahme  einer  Verbesserung  der  mechanischen  Ver¬ 
hältnisse  für  den  Respirationsakt  annehmen,  welche  im 
Sitzen  erfolge. 

Nun  war  es  zunächst  nötig,  zu  erweisen,  ob  denn  in 
der  Tat  das  Zwerchfell  im  Sitzen  ausgiebigere  Atembewe¬ 
gungen  vollführe  als  im  Liegen.  Ich  wandte  mich  daher 
an  Herrn  Dozenten  Holzknecht  mit  der  Bitte,  radiologisch 

Fig.  3. 

Zwerchfellbewegungen  bei 


‘•«i 

s; 

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uc  en  age  _  ^^xspiratorischer  | 

—  Stehen  j  Stand 

.........  Qifypn  i  ^  “  inspiratorischer  ) 


die  Richtigkeit  dieser  Supposition  prüfen  zu  wollen.  Da 
ergab  aber  die  Untersuchung,  welche  an  einer  großen  Ver¬ 
suchsreihe  durchgeführt  wurde,  daß  ganz  im  Gegensatz  zu 
der  allgemein  angenoinmenen,  oben  erwähnten  Prämisse 
die  Atembewegungen  des  Zwerchfelles  im  Liegen  weitaus 
mächtiger,  ausgiebiger  sich  darstellen  als  beim  Sitzen. 
(Siehe  Fig.  3.) 

Außerdem  ergab  eine  an  anderer  Stelle  bereits  vor¬ 
getragene  Reihe  von  Tatsachen,  daß  es  nicht  angehe,  die 
Vorliebe  für  die  sitzende  Stellung  damit  zu  erklären,  daß 


Nr.  13 


3<si 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


dadurch  die  llebiiiig  des  Tirorax  bei  der  Kiiialiiiiuig  ge¬ 
fördert  werde.  Ich  konnte  in  einem  einwandfrei  aufgenom¬ 
menen  Vorträge  in  der  Geseilschaft  für  innere  Medizin  und 
Kinderheilkunde  vor  kurzer  Zeit  zeigen,  daß  dies  unmöglich 
die  Ursache  für  die  Orthopnoe  darstellen  könne. 

So  sind  demi  die  gewöhnlich  angegebenen  Ursachen 
für  die  kardiale  Orthopnoe  zu  verwerfen.  Es  mangelt  bis¬ 
her  an  einer  Erklärung  dafür,  warum  die  Patienten  im 
Sitzen  weniger  Atemnot  verspüren,  ,,mehr  Luft  haben“,  als 
in  Rückenlage. 

IMan  köimte  noch  an  die  Möglichkeit  denken,  daß 
eventuell  die  von  Moritz  vor  zirka  einerh  Jahre  beschrie¬ 
benen  Aenderungen  der  Herzkonfiguration  und  -größe,  die 
er  manchmal  bei  Lageänderung  beobachten  konnte,  hier 
verantwortlich  zu  machen  seien.  Eine  näliere  ßetrachtung 
aber  erweist  alsbald,  daß  ein  solcher  Versuch  vollkommen 
fruchtlos  zu  nennen  wäre.  Warum  Patienten  mit  Erkran¬ 
kungen  der  Zirkulationsorgane  sitzend  schlafen  können,  Luft 
genug  haben,  während  sie  bei  jedem  Versuch,  liegend  zu 
schlafen,  alsbald  mit  dem  Gefühle  intensivsten  Lufthungers 
aufschrecken,  ist  bislang  unaufgeklärt  geblieben,  sowie  die 
kardiale  Orthopnoe  überhaupt.  Die  Erscheinung  wird  dem 
Verständnis  aber  näher  gerückt,  wenn  man  den  früher  skiz¬ 
zierten  Einfluß  der  Respirationsorgane  auf  die  Blutbewegung 
in  die  Rechnung  einbezieht. 

In  dem  früher  erwähnten  Vortrage  in  der  Gesellschaft 
für  innere  Medizin  zeigte  ich,  daß  beim  Sitzen,  sowie  beim 
Stehen,  die  vitale  Retraktionskraft  der  Lunge  gegenüber 


Tabelle  I  (nach  A  r  o  ii :  Virchows  Arch.,  Bd.  126). 


Größe  des  negativen  Druckes  in  cm  Glyzerin  beim 


Liegen 

Sitzen  im  Bette 

Sitzen  auf  dem 
Stuhl 

Sitzen  auf  dem  Stuhl 
bei  möglichst 
entfalteter  Lunge 

Inspir. 

Exspir. 

Inspir. 

Exspir. 

Inspir. 

Exspir. 

Inspir. 

Exspir. 

4G2 

2-10 

5-20 

2-80 

5  16 

3  20 

9-40 

*4-10 

4-64 

2-16 

4-81 

2  60 

5-80 

3  20 

7-12 

3-34 

4-62 

2-14 

5-40 

280 

6-12 

3-24 

7-50 

4-28 

4-40 

2-12 

4-80 

2-70 

5-23 

3-20 

8-14 

4-34 

4  30 

2-06 

4-80 

2-80 

5-50 

3-30 

7-16 

4-40 

4'60 

2-12 

5-40 

2  50 

5-50 

3-32 

8-32 

4-40 

4  60  ■ 

2  10 

4-90 

2-80 

6-44 

3  30 

740 

4-26 

4-50 

2  20 

4-80 

3-00 

5-20 

336 

8  20 

4  30 

4-60 

2  16 

4-52 

2-90 

5-10 

314 

7-00 

4-30 

4-46 

2-10 

510 

3-00 

6-30 

3-30 

6-88 

4-36 

5-44 

2  20 

524 

2-84 

6-10 

3-36 

6-96 

434 

4-61 

2  24 

5-22 

290 

5-80 

3-20 

7-24 

4-52 

Mittelwerte  in  cm  Glyzerin 

4-616 

2-14 

5-018 

280 

5-70 

3-42 

761 

433 

Mittelwerte,  umgerechnet  in  mm  Hg 

4 

1-9 

4-52 

2-5 

5-1 

3 

6  85 

39 

der  in  Rückenlage  innegehabten  Höhe  überaus  gesteigert 
wird  u.  zw.  dadurch,  daß  das  Zwerchfell  beim  Uebergang 
aus  dem  Liegen  ins  Stehen  oder  Sitzen  um  ein  ganz  Be¬ 
trächtliches  tiefer  tritt  (siehe  Fig.  4).  Dadurch  werden  die 
Lungen  passiv  gedehnt.  Es  steigt  die  Größe  ihres  elastischen 
Zuges  und  infolgedessen  die  Größe  des  im  Thorax  lierrschen- 
den  negativen  Dnickes.  Der  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser 
Supposition  wird  schon  erbracht  durch  die  Resultate  der 
intralhorakalen  Druckmessungen,  welche  am  Menschen  vor- 
genonmien  wurden.  Sie  zeigen,  daß  in  der  Tat  der  intrar 
thorakale  negative  Druck,  mit  anderen  Worten  die  Saug¬ 
wirkung  der  Lungen  sich  steigert  beim  Uebergang  aus  der 
liegenden  in  die  stehende  Körperlage  (siehe  Tabelle). 


Ein  weiterer  Beweis  liegt  in  den  von  Gerhard  sen. 
mitgeteilten  und  entsprechend  erklärten  Veränderungen  des 
Perkussionsschalles,  welche  auftreten,  wenn  der  Patient  aus 
der  liegenden  in  die  aufrechte  Körperstellung  ubergeht. 
Weiterhin  konnte  Gerhard  zeigen,  daß  das  Höherwerden 
des  Perkussionsschalles  bedingt  sei  durch  eine  Steigerung 
des  negativen  Druckes,  welcher  infolge  dieser  Lageverände¬ 
rung  im  Brustkasten  auftritt. 

Dadurch  wird  aber  auch  die  kardiale  Orthopnoe  dem 
Verständnisse  näher  gerückt.  Wie  eben  gezeigt,  steigt  mit 
der  Lageveränderung  des  Zwerchfelles,  welche  das  Aufsetzen 
bedingt,  die  Größe  der  Zugkraft  in  den  Lungen,  die  Größe 
der  Saugkraft,  welche  die  elastischen,  in  der  Lunge  woh- 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


377 


iieiuleii  Kräfte  ausübeii.  Es  wird  dadurch  die  Süpplemciilär- 
kraft,  welche  der  Herzkraft  so  sehr  zugute  kommt,  gestei- 
gerl.  Es  kann  daher  der  Blutkreislauf  trotz  Schädigung 
des  Herzens  leichter  im  Gange  erhalten  bleiben.  Es  erklärt 
sich  aber  auch  sehr  gut,  warum  die  Orthopnoe  in  vielen 
Fällen  nur  im  Schlafe  auf  tritt,  warum  die  Kurzatmigkeit 
den  Patienten,  der  ja  auch  tagsüber  denselben  Herzfehler 
hat,  nur  aus  dem  Schlafe  aufschreckt,  während  er  tagsüber 
im  Bette  liegen  kann. 

Während  des  Tages  kann  er  die  durch  die  Atmungs¬ 
organe  beigestellte  Saugkraft  als  Auxiliärkraft  seiner  Herz- 
niuskelkräfte  dadurch  steigern,  daß  er  stärkere  Atenibewe- 
gungen  vollführt,  daß  er,  mit  anderen  Worten,  an  die  Re¬ 
spirationsmuskel  mehr  Impulse  abgibt.  Im  Schlafe  aber 
muß  diese  Vermehrung  der  Atemimpulse  unterbleiben,  weil 
ja  die  Tätigkeit  der  Hirnrinde  wegfällt;  daher  schreckt  der 
Patient  aus  dem  Schlafe  mit  dem  Gefühle  des  Lufthungers 
auf.  Den  durch  den  Wegfall  der  vermehrten  Respirations¬ 
impulse  veranlaßten  Wegfall  an  Saugkräften  korrigiert  der 
Patient  dadurch,  daß  er  automatisch  wirkende,  weil  elasti¬ 
sche  Kräfte  die  Nacht  über  wirken  läßt.  Es  sind  das  die¬ 
jenigen  elastischen  Kräfte,  welche  durch  das  Aufsetzen  in 
der  Lunge  geweckt  werden,  der  Zuwachs  an  elastischer 
Retraktionskraft.  Diese  besorgen  automatisch,  also  ohne 
Zuhilfenahme  der  Hirnrinde,  die  Vermehrung  der  Hilfskräfte 
des  Herzens  durch  Vermehrung  der  Saugkräfte  im  Thorax. 
Es  erklärt  sich  so  die  kardiale  Orthopnoe  wohl  einwandfrei. 

Wie  gesagt,  wird  sich  bei  Berücksichtigung  der 
Auxiliärkraft,  welche  die  Tätigkeit  der  Respirationsorgane 
für  die  Bluthewegung  darstellt,  eine  ganze  Unmenge  von 
bisher  offenen  klinischen  Fragen,  die  bisher  wegen  Ver¬ 
nachlässigung  dieses  Faktors  nichts  weniger  als  eindeutig 
erklärt  wurden,  wesentlich  leichter  erklären  und  verstehen 
lassen. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 
Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

Lieber  die  Spezifität  der  Bakterienpräzipitine. 

Von  Dr.  Michael  v.  Eisler. 

Im  Verlaufe  von  Untersuchungen  über  die  Agglutina¬ 
tion  und  Präzipitation  hat  sich  neuerdings  die  zwischen 
diesen  beiden  Reaktionen  bestehende  Analogie  und  die  ihnen 
im  gleichen  Maße  zukommende  Spezifität  gezeigt. 

Diese  Spezifität  ist  eine  solche,  daß  es,  bei  Einhalten 
aller  notwendigen  Versuchsbedingungen,  wozu  namentlich 
Beobachtung  der  quantitativen  Verhältnisse  und  der 
Agglutinations-,  resp.  Präzipitationseigentümlichkeiten  der 
betreffenden  Spezies  gehört,  gelingt,  selbst  nahe  verwandte 
Arten,  wie  z.  B.  Typhus  und  Paratyphus  oder  die  einzelnen 
Arten  der  Kapselbakterien,  zu  unterscheiden.  Selbstverständ¬ 
lich  bedarf  man  zu  solchen  differentialdiagnostischen  Unter¬ 
suchungen  ein  hochwertiges  Immunserum,  Kranken¬ 
seren  sind  für  diesen  Zweck  nicht  geeignet.  Daher  geht  es 
auch  nicht  an,  die  Agglutination  durch  ein  Pätientenserum 
ohne  weiteres  mit  der  durch  ein  hochwertiges  tierisches 
Immunserum  zu  vergleichen.  Die  Nichtbeachtung  dieses  Um¬ 
standes  hat  oft  zu  irrtümlichen  Auffassungen  bezüglich  der 
Spezifizität  der  Agglutination  geführt.  Auf  diese  Verhältnisse 
wurde  auch  von  Paltauf^)  in  seiner  Abhandlung  über 
die  Agglutination  wieder  aufmerksam  gemacht.  Ferner  muß 
das  Immunserum  bis  zur  Grenze  seines  Agglutinations-PTä- 
zipitaitonsvermögens  austitriert  werden,  da  in  niederen  Ver¬ 
dünnungen  auch  mit  Bakterien,  die  der  zur  Immunisierung 
gebrauchten  Art  verwandt  ßind,  ein  positiver  Ausfall  der 
Reaktion  erhalten  wird. 

Dieses  schon  von  Gruber^)  in  seiner  .ersten  Mitteilung 
über  Agglutinine  ausdrücklich  betonte  Verhalten  wurde 
später  durch  die  Bezeichnung  Partial-  oder  Mitagglutinine 

*)  KoIIe-Wassermann,  Handbuch  der  palbolog.  Mikro¬ 
organismen,  Rd.  4. 

Münchener  mod.  Wochenschrift  1896,  S.  206. 


zum  Ausdruck  gebracht.  Gruljer  schreibt  in  der  eben  er¬ 
wähnten  Arbeil,  daß  die  Wirkung  der  Agglutinine  keine 
spezifisch  abgegrenzte,  sondern  nur  eine  graduell  abgestufte 
ist,  so  daß  jedes  Agglutinin  gegen  die  eigene  Art  am  stärksten 
wirkt.  Auf  andere  Arten  ist  die  Wirkung  um  so  stärker, 
je.,näher  verwandt  die  betreffende  Bakterienart  ist.  Dur- 
hanG)  versuchte  eine  Erklärung  für  dieses  Verhalten  zu 
geben,  indem  er  sich  die  Agglutinine  nicht  einheitlicb, 
sondern  aus  zahlreichen  einzelnen  Komponenten  zusamnion- 
gesetzt  vorstellt;  diese  Eiiizelagglutinine  .entsprechen 
wiedernm  den  Komponenten  des  ebenfalls  komplex  ^gebauten 
Agglutinogens  der  Bakterien.  Die  von  ihm  beobachtete 
Mitagglutination  des  Gärtner  sehen  Bazillus  durch  ein 
Typhusimmunserum  erklärt  daher  Durham  so,  daß  unter 
den  den  Typhus-  und  Gärtner  sehen  Bazillus  konstituieren¬ 
den  Elementen  einige  gemeinsame  vorhanden  seien,  auf  die 
dann  das  Agglutinin  des  Typhusserunis  wirken  könne. 

Auf  Grund  derartiger  Befunde,  welche  außer  der  Agglu¬ 
tination  der  homologen  Art  auch  die  anderer  mehr  oder 
weniger  nahestehender  zeigten,  kam  man  zu  der  Vorstellung, 
daß  während  einer  Infektion  oder  durch  die  Immunisierung 
außer  den  für  das .  betreffende  Bakterium  entstehenden 
Agglutininen  auch  solche  für  emdere,  namentlich  verwandte 
Bakterien  erzeugt  würden.  Pfaundler^)  gebrauchte  für 
dieses  Verhalten  die  Bezeichnung  der  „Gruppen aggluti¬ 
nation“  und  gab  der  Anschauung  Ausdruck,  daß  der  Ag¬ 
glutinationswert  eines  Immunserums  für  die  zur  Erzeugung 
verwendete  Art  am  höchsten  sei  und  in  dem  Maße  sinke, 
als  sich  die  betreffende  Bakterienart  von  der  immuni¬ 
sierenden  entfernt. 

Durch  die  Untersuchungen  der  folgenden  Jahre  wurden 
manche  Ausnahmen  von  diesem  Verhalten  aufgedeckt;  es 
zeigte  sich  auch,  daß  für  die  Entstehung  der  Mitagglutinine 
der  die  Immunkörper  produzierende  Organismus  von  hoher 
Bedeutung  sei,  so  daßi  das  früher  angeführte  Gesetz,  nach 
welchem  sich  die  Höhe  der  Agglutinafion  genau  nach  dem 
Grade  der  Verwandtschaft  richte,  nicht  mehr  in  dieser  Form 
aufrechtzuerhalten  ist.  So  wurde  häufig  nur  recht  ge¬ 
ringe  Mitagglutination  der  so  nahe  verwandten  Typhus- 
und  Paratyphusbakterien  durch  ein  Typhusserum  beobachtet 
und  umgekehrt;  ebenso  lassen  sich  die  innerhalb  der 
Vibrionengruppe  bestehenden  Agglutinationsverhältnisse  da¬ 
mit  nicht  in  Einklang  bringen.  Anderseits  wurden  Agglutinine 
für  die  von  der  immunisierenden,  resp.  krankmachenden  Art 
recht  weit  entfernte  Bakterien  beobachtet.  So  z.  B.  fanden 
L  u  b  o  w  s  k  i  und  Steinberg^)  bei  einem  sehr  hochwertigen 
Proteus  Kaninchenimmunserum-Mitagglutination  für  Typhus¬ 
bazillen  bis  1 : 1280.  Selbstverständlich  haben  solche  Mit¬ 
agglutinine  für  die  diagnostische  Verwendung  eines  künst¬ 
lich  erzeugten  Immunserums  keine  Schwierigkeit,  da  sie  sich 
doch  in  bedeutendem  Abstande  von  den  Hauptagglutininen 
halten.  Nur  unter  Berücksichtigung  aller  dieser  Verhältnisse 
ist  man  berechtigt,  von  einer  Artspezifizität  der  Agglutina¬ 
tion  zu  sprechen. 

Es  war  notwendig,  auf  dieses  Verhalten  etwas  näher 
einzugehen,  weil  L.  Zupnik  auf  Grund  seiner  zahlreichen 
diesbezüglichen  Untersuchungen,  die  doch  eigentlich  nur 
eine  Bestätigung  der  auch  von  anderen  Untersuchern  er¬ 
haltenen  Resultate  bringen,  eine  neue  Auffassung  der  in 
Frage  stehenden  Reaktionen  (Agglutination  und  Präzipita¬ 
tion)  für  nötig  hält,  indem:  er  auf  das  Vorhandensein  der 
Partialagglutinine  (Präzipitine)  hinweisend,  diese  Reaktionen 
als  gattungsspezifisch  und  nicht  mehr  als  artspezi¬ 
fisch  bezeichnet.®)  Zupnik  hat  also  dadurch  ein  längst 
bekanntes  Verhalten  mit  einem  neuen  Namen  be¬ 
legt,  nicht  aber,  wie  er  behauptet,  Untersuchungen  geliefert, 
die  eine  prinzipielle  Bedeutung  für  die  gesamte  Bakteriologie 
erlangt  haben.  Warum  sich  Zupnik  so  sehr  gegen  die 
Artspezifizität  der  Agglutination  und  Präzipitation  sträubl, 

Journal  of  exp.  Medicine  1901,  ßd.  5. 

Münchener  med.  Wochenschrift  1899,  Nr.  15. 

'')  Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin  1904,  ßd.  69. 

0  Zeitschrift  für  Hygiene  1905,  ßd.  49. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


ist.  Ulli  so  weniger  eiiizuseheii,  als  er  in  seiner  mit  Posner 
veröffentlicliten  Aiiieit’')  zu  dem  Resultate  gelangt,  daß  die 
Erniittlung  des  obersten  Agglutinationstiters  eine  unbedingte 
äliologisclie  Diagnose  gestattet,  welche  Behauptung  er 
später^)  dahin  modifizierte,  daß  außer  der  Ermittlung  der 
obersten  Agglutinationstiters  noch  die  Berücksichtigung  der 
Agglutinationseigentümlichkeiten  einzelner  Serumarten  nötig 
sei.  Wenn  nun  Zupnik  verlangt,  daß  zur  Diagnosestellung 
die  Ermittlung  des  höchsten  Agglutination, swertes  nötig  sei, 
so  hat  er  damit  vollkommen  recht,  hat  aber  wieder  nur  eine 
schon  von  Drüber,^)  sowie  A  chard  und  Bensaude 
aufgestellte  Forderung  wiederholt. 

Zupnik^®)  behauptet  zwar,  daß  die  von  Gruber  und 
Durham,“)  sowie  von  A  chard  und  Bensaude^^)  ge¬ 
machten  Beobachtungen  über  die  Agglutination  nahestehen¬ 
der  Arten  durch  ein  Immunserum  nichts  für  die  von  ihm 
,,entdeckfe“  Gattungsspezifizität  beweisen,  da  damals  noch 
nicht  die  normalen  Blutseren  innewohnende  Agglutinations¬ 
kraft  bekannt  war;  nach  meiner  Meinung  geht  aber  aus  der 
G  ruberscheu  Publikafion  ganz  klar  hervor,  daß  dieser 
Autor  bereits  den  spezifischen  Einfluß  eines  Immunserums 
auf  nahestehende  Arten,  der  sich  von  der  durch  Normalseren 
ausgeübten  Agglutination  unterscheidet,  erkannt  hat,  da  er 
unter  Punkt  16  seiner  Arbeit  schreibt:  ,, Jedoch  ist  die 
Wirkung  derselben  (nämlich  Agglutinine)  keine  spezifisch 
abgegrenzte  usw.  Auf  andere  Bakterien  ist  die  Wir¬ 
kung  u  m  s  o  stärke  r,  ]  e  n  ä  her  v  e  r  w  ,a  n  d  t  die  1)  e  t  r  e  f- 
fende  Bakterienart  ist.“ 

Ferner  findet  sich  in  der  Arbeit  von  Gruber  und 
Durham^'^)  eine  Anmerkung:  ,, Vielleicht  läßt  sich  die 
Serumprobe  zu  einem  verläßlichen  Unterscheidungsver¬ 
fahren  ausbilden,  wenn  man  die  Quantitäten  genauer  be¬ 
rücksichtigt.“  I 

Auch  Achard^^)  sagte  schon  im  Jahre  1896,  daß 
nicht  die  Agglutinatipn  als  solche,  sondern  der  Grad,  in 
dem  sie  stattfinde,  spezifisch  sei.“ 

Außerdem  sei  noch  auf  die  in  letzter  Zeil  erschienenen 
umfassenden  Untersnchungen  über  die  Agglutination 
von  Typhus,  Paratyphus  und  Fleischvergiftungen  durch 
Kutscher  und  Meinicke^*')  und  die  Ausführungen  von 
Kolle^^)  über  diesen  Gegenstand  verwiesen,  der  auch  den 
Standpunkt  Zupniks  und  dessen  Versuchstechnik  einer 
ausführlichen  Kritik  unterzieht.  Diese  Untersuchungen  haben 
ferner  gezeigt,  daß  der  Mäusetyphus  und  eine  Reihe  von 
Fleischvergiftungsbakterien  mit  den  uns  derzeit  zu  Gebote 
stehenden  Hilfsmitteln  nicht  mit  Sicherheit  zu  differenzieren 
sind,  daß  dagegen  eine  Gruppe  von  Fleischvergiftungsbak¬ 
terien  (Bacterium  enterides  Gärtner)  von  dieser  Gruppe  ab- 
zrdrennen  sei,  da  sie  trotz  gleichen  kulturellen  Verhaltens 
nur  in  geringem  Grade  von  einem  mit  einer  der  früher  er¬ 
wähnten  Arten  hergestellten  Immunserum  agglutiniert 
werden. 

Zu  einem  ähnlichen  Besultate  haben  auch  Unter¬ 
suchungen  von  De  No  b  eie,  Tr  aut  mann,  Tromms  dort, 
ühlenhutb,  Boehme  u.  a.  geführt.  VWn  diesen  Unter¬ 
suchern  wurde  übereinstimmend  festgestellt,  daß  die  der  so- 
genamden  Hogcholeragruppe  angehörigen  Bakterien,  näm¬ 
lich  Schweinepest,  der  No  card  sehe  Psittakosebazillus,  der 
Mäusetyphus  und  eine  Anzahl  von  Fleischvergiftungsbak¬ 
terien  (Typus  Aertryk-De  Nobele)  nicht  mit  Sicherheit 
rudereinander  und  vom  ParatYphusbazillus  mittels  der  Ag¬ 
glutination  zu  trennen  seien,  wohl  aber  von  der  Gruppe  der 
Meischbakterien  vom  Typus  Gärtner. 

d  Prager  med.  Wochenschrift  1903. 

»)  !.  c. 

h  Soc.  de  biol.  1896,  11. 

"P  Deutsche  med.  Wochensclirift  1905. 

")  Gruber  und  Durham,  Münchener  med.  Wochenschrift  1896. 

'h  I.  c. 

I.  c. 

'9  1.  c. 

1.  c. 

'*)  Zeitschrift  für  Hyg.,  Bd.  52. 

Zeitschrift  für  Hyg.,  Bd.  52. 


lu  seiner  letzten  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  hat 
Zupnik^®)  mittels  der  Agglutination  eine  Differenzieiamg 
einzelner  Arten  der  Hogcholeragruppe  versucht  und  kommt 
zu  derp  Scdilusse,  daß  es  unter  Berücksichtigung  der  Aggluti¬ 
nationseigentümlichkeiten  jedes  der  betreffenden 
Immun  seren  tatsächlich  möglich  ist,  die  ein¬ 
zelnen  Arten  dieser  Gruppe  zu  differenzieren. 
Zupnik  ist  also  in  seiner  letzten  Arbeit  zu  Resultaten  ge¬ 
kommen,  die  ibm  der  Agglutination  sogar  eine  noch  höhere 
Spezifizität  zuschreiben  lassen,  als  dies  selbst  Kutscher 
und  Mein  icke  und  die  anderen  früher  zitierten  Autoren 
tun.  Wenn  es  also  nach  Zupnik  möglich  ist,  —  freilich 
nur  unter  Beachtung  der  Amn  ihm  erwähnten  Bedingungen 
—  sogar  die  einzelnen  Arten  der  Hogcholeragruppe  durch 
tlie  Agglutination  zu  miterscheiden,  so  steht  diese  Behaup¬ 
tung  doch  einigermaßen  im  Gegensatz  zu  seiner  so  oft  ge¬ 
äußerten  Anschauung,  nach  welcher  der  Agglutination  jede 
Artspezifizität  ahgeht.  Es  ist  ja  ohne  weiteres  nach  dem 
bereits  Gesagten  klar,  daß  diese  Artspezifizität  der  Agglutina¬ 
tion  nur  unter  gewissen  bereits  näher  präzisierten  Bedin¬ 
gungen  zum  Ausdrucke  gelangt,  da  es  doch,  wie  auch  aus 
den  von  Zupnik  selbst  zitierten  Stellen  der  Arbeiten  von 
Gruber,  Durham  u.  a.  hervorgeht,  auch  damals  schon 
klar  war,  daß  aus  der  bloßen  Tatsache  der  Agglutination  eines 
Bakteriums  durch  ein  Immunserum  eine  Diagnose  noch  nicht 
möglich  sei.  Bei  genauer  Durchsicht  der  Arbeiten  Zupniks 
über  die  Agglutination  kann  man  nur  die  Ueberzeugung 
gewinnen,  daß  Zupnik  durch  seine  Untersuchungen  wie 
so  viele  andere  dazu  beigetragen  hat,  die  bereits  von  den 
ersten  Untersuchern  der  Agglutination  erkannten  Verhält¬ 
nisse  zu  bestätigen  und  unsere  Kenntnisse  über  diese  Re¬ 
aktion,  namentlich  ihre  diagnostische  Verwertbarkeit  zu  er¬ 
weitern  und  es  muß  einigermaßen  verwundern,  wenn 
Zupnik  selbst  behauptet,  ganz  neue  Tatsachen  bezüglich 
der  Agglutination  durch  seine  Arbeiten  geliefert  zu  haben. 

Zu  einer  besonderen  Auffassung  ist  Zupnik^^)  neuer¬ 
dings  bezüglich  der  Präzipitation  gelangt.  In  früheren  Ar¬ 
beiten^®)  erklärte  dieser  Autor  die  Präzipitation  ebenso  wie 
die  Agglutination  für  gattungsspezifisch;  in  seiner  letzten 
Mitteilung  aber  behauptet  Zupnik,  daßi  der  Präzipitation 
auch  keine  Gattungsspezifizität,  sondern  nur 
eine  Familienspezifizi  tät  zu  kommt.  Gegenüber 
dieser  Behauptung  muß  an  der  durch  zahlreiche  Unter¬ 
suchungen  (Pal tauf.  Kraus.  Wassermann  u.  a.)  nach¬ 
gewiesenen  Analogie  zwischen  Agglutination  und  Präzipita¬ 
tion  hingewiesen  werden.  Namentlich  die  Versuche  von 
Kraus^^)  über  diagnostische  Verwertbarkeit  der 
spezifischen  Niederschläge  zeigen  deutlich  den  voll¬ 
kommenen  Parallelismus  zwischen  Agglutination  und  Prä¬ 
zipitation.  Ein  Typhusimmunserum,  welches  die  zur  Ver¬ 
fügung  stehenden  Typhusstämme  ebenso  hoch  a.gglutinierte 
wie  den  zur  Immunisierung  verwendeten,  erzeugte  auch  in 
den  Filtraten  der  betreffenden  Stämme  spezifische  Nieder¬ 
schläge.  Ganz  anders  waren  die  Verhältnisse  für  Bac¬ 
terium  coli.  Entsprechend  den  eigentümlichen  Agglutina- 
lionsverhältnissen  des  Bacterium  coli  zeigte  auch  die  Präzipi¬ 
tation  genau  dieselbe  diesem  Bakterium  zukommende  Eigen¬ 
tümlichkeit.  Von  einer  größeren  Anzahl  Kolistämme  werden 
von  einem  Koliimmunserurn  bekanntlich  die  einen  —  beson¬ 
ders  natürlich  der  zur  Immunisierung  yerwendete  —  aggluti¬ 
niert,  die  anderen  nicht.  Genau  dasselbe  Verhalten  wies 
Kraus  auch  für  die  Präzii)itatiou  nach.  Nur  im  Filtrate 
des  Stanimes,  der  auch  in  hohen  Verdünnungen 
(1:20.000)  agglutiniert  wurde,  erzeugte  auch  das 
Immunserum  kräftige  Niederschläge,  ln  den  Fil¬ 
traten  derjenigen  Kolistämme,  die  nicht  odennur  in  niederen 
Verdünnungen  aggluliniert  wurdep,  trat  auch  keine  oder 
nur  ganz  spärliche  Niederschlagsbildung  auf  u.  zw.  nur 
bei  Zusatz  großer  Berenmengeii  (2  cm^  Serum  auf  5  enU 

ip  Zeitschrift  für  Hyg.,  Bd.  52. 

Berliner  klin.  Wochenschrift  1906. 

2h  1.  c. 

2*)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1901. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


379 


Filtrat);  bei  Zusatz  von  1  cin^  zu  5  cm^  Filtrat  entstand 
auch  nicht  die  Spur  eines  Niederschlages  mehr,  während 
im  Filtrate  des  zur  Immunisierung  verwendeten  Stammes 
(5  cm^)  selbst  noch  0-1  cnr^  einen  Niederschlag  erzeugte. 
Falls  die  Präzipitation  wirklich  familienspezifisch  wäre,  wäre 
dieses  Resultat  ganz  unverständlich.  Weiters  wurden  in 
derselben  Arbeit  auch  Filtrale  der  von'Sternberg^^)  unter¬ 
suchten  Pa  r  a  ko  li  Stämme  mit  demselben  Koliimmunserum 
geprüft.  Auch  in  diesen  Filtraten  erzeugte  das  Serum  im 
Verhältnisse  1:5  keine  Niederschläge.  Auch  die  Agglutina¬ 
tion  fehlte  oder  hatte  nur  ganz  niedere  Werte.  Die  bekannte 
strenge  Spezifizität  der  Agglutination  für  die  Vibrionen 
wurde  von  Kraus  auch  für  die  Präzipitation  nachgewiesen. 
Choleraserum,  das  den  Vibr.  cholerae  1 : 20.000  'agglutinierte, 
erzeugte  in  Choleraifiltraten  auch  noch  im  Verhältnis  1:40 
typische  Niederschläge.  Andere  Vibrionen,  die  vom  Cholera¬ 
serum  nicht  oder  nur  in  viel  niedrigeren  Verdünnungen 
agglutiniert  wurden,  verhielten  sich  genau  ebenso  bei  der 
Präzipitation. 

Zu  denselben  Ergebnissen  wie  die  Versuche  von 
Kraus  haben  auch  eine  Reihe  eigener  Untersuchungen 
zum  Teile  auch  mit  anderen  Rakterienarten  geführt.  Von 
diesen  seien  einige  zur  Ergänzung  der  oben  aufgestellten 
Behauptung  von  der  zwischen  Agglutination  und  Präzipita¬ 
tion  bestehenden  Analogie  und  der  beiden  Reaktionen  im 
gleichen  Maße  zukommenden  Spezifizität  angeführt.  Ein 
Typhus-Pferdeimmunserum,  welches  Typhus  bis  1:5000 
agglutinierte,  und  ein  Typhus-Mäuseimmunserum,  gewonnen 
von  Kaninchen,  welches  Mäusetyphus  bis  1 : 8000  aggluti¬ 
nierte,  wurden  in  den  Mengen  von  je  0-3  und  0-1  zu  je 
2  cm^  Filtrat  vier  bis  sechs  Wochen  alter  Bouillonkulturen 
von  Typhus,  Paratyphus,  sowie  Mäusetyphus  zugesetzt. 
Nach  24stündigem  Aufenthalt  im  Brutschrank  erfolgte 
die  Ablesung  des  Resultates,  das  in  der  Tabelle  1  wieder¬ 
gegeben  ist. 

Tabelle  I. 


Resxjltat 


Tabelle  H. 


Stamm 

Verdünnung 

Resultat 

Typhus  XI 

1 : 1600 

komplett 

1:3200 

komplett 

1:6400 

teilweise 

1:12800 

— 

Typhus  XHI 

1:1600 

komplett 

T> 

1:3200 

komplett 

1 : 6400 

Spur 

» 

1:12800 

— 

Paratyphus  Burri 

1:50 

komplett 

1:100 

komplett 

1:200 

teilweise 

» 

1:400 

- - 

» 

1:800 

— 

Paratyphus  Golio 

1:50 

komplett 

'f> 

1:100 

komplett 

1:200 

Spur 

1:400 

— 

1:800 

— 

Paratyphus  Svvoboda 

1:50 

komplett 

1:100 

komplett 

» 

1 : 200 

fast  komplett 

1:400 

— 

1:800 

— 

Paratyphus  Seemann 

1:50 

komplett 

> 

1:100 

komplett 

1:200 

komplett 

1:400 

komplett 

» 

1:800 

Spur 

Mäusetyphus 

1:50 

komplett 

1:100 

komplett 

1:200 

teilweise 

y> 

1:400 

Spur 

1:800 

— 

2  cm^  Typh .-Filtrat. 
2  »  » 


.  -|-0'3  cm®  Typh. -Serum 
-p  O’l  »  » 


2  »  Mäusetyph. -Filtrat -p  0  3  » 

2  »  »  p  0'  l  » 

2  »  Paratyph.  A.-Filtr.  +  0  3  » 

2  »  »  -j-  0  1  » 

2  »  Paratyph.  B.-Filtr.  +  0  3  » 

2  >  »  +0T  » 

2  »  Typh. -Filtrat  .  .  .  +  0  3  » 

2  »  »  4  OT  » 

2  »  Mäusetyph.-Filtratp  0'3  » 

2  »  »  -|-  O'l  » 

2  »  Paratyph.  A.-Filtr.  +  03  » 

2  »  »  +  OT  » 

2  »  Paratyph.  B.-Filtr.  +03  » 
2  »  »  +01» 


Mäusetyph-Ser. 


starker  Niederschlag 
Niederschlag 
Trübung  u.  spärliche 
Flocken 

Spur  Trübung 

Trübung 

Trübung, 

Spur  Niederschlag 
leichte  Trübung 
sehr  starker  Nieder¬ 
schlag 

deutlicherNiederschl 

Trübung 

Niederschlag 

Trübung 


Im  Filtrate  des  zur  Innnunisierung  verwendeten 
Stammes  war  die  Reaktion  noch  mit  geringen  Serummengen 
positiv,  wo  in  den  Filtraten  der  verwandten  Arten  kein 
Niederschlag  mehr  erzeugt  wurde. 

Das  Pferde-Typhusimmunserum  wurde  an  zwei  gut 
agglutinablen  Typhusstämmen,  sowie  an  einer  Reihe  von 
Paratyphusstämmen  und  dem  früher  verwendeten  Mäuse¬ 
typhus  auf  sein  Agglutinationsvermögen  ausgewerlet.  Mit 
den  Filtraten  derselben  Stämme  und  demselben  Typhus¬ 
immunserum  wurden  denn  auch  Präzipitationsversuche  ge¬ 
macht.  Die  Agglutinat  ion  verlief  folgendermaßen  : 


Zu  den  Präzipitationsversuchen  wurden  vier  bis  sechs 
Wochen  alte  Bouillonkulturen,  die  durch  neue  Reichelfilter 
geschickt  wurden,  benützt,  ln  jedes  Röhrchen  wurden  je 
2  cm^  Filtrat  gegeben.  Selbstverständlich  wurden  immer 
Kontrollproben  mit  Filtrat  und  Serum  allein  angestellt.  Die 
Ablesung  erfolgte  nach  24stündigem  Aufenthalt  im  Brut¬ 
schrank. 

Tabelle  HI. 


Stamm 

Menge  des 
Serums 

Resultat 

Typhus  XI 

0'2  cm® 

starker  Niederschlag 

0 1  » 

mäßiger  Niederschlag 

0  05  » 

— 

Typhus  XHI 

0-2  » 

reichlicher  Niederschlag 

OT  » 

deutlicher  Niederschlag 

» 

0  05  » 

— 

Paratyphus  Burri 

0'4  » 

Flocken 

0-2  » 

— 

01  » 

— 

Paratyphus  Swoboda 

0-4  » 

reichlicher  Niederschlag 

02  » 

Flocken  ! 

OT  » 

— 

Paratyphus  Golio 

04  » 

deutlicher  Niederschlag 

02  » 

schwacher  Niederschlag 

OT  » 

— 

Paratyphus  Seemann 

0'4  » 

reichlicher  Niederschlag 

0-2  » 

spärliche  Flocken 

> 

OT  » 

— 

Mäusetyphus 

0'4  » 

Niederschlag 

02  » 

spärliche  Flocken 

» 

OT  » 

— 

Zeitschrift  für  Hyg.  1900. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


Aus  den  beiden  angeführten  Verisuclien  (Tab.  11  xi.  III) 
gellt  die  spezifische  Wirlaing  des  Typbusimmunserinnfe 
sowohl  bei  der  Agglutination,  als  bei  der  Präzipitation  deut¬ 
lich  hervor.  Ganz  ähnliche  Resultate  ergeben  Versuche, 
die  in  derselben  Weise  mit  einem  anderen  Typhussennn, 
das  durch  Immunisierung  einer  Ziege  gewonnen  wurde, 
angestellt  wurden. 

Von  besonderem  Interesse  war  es,  die  El  Tor-Vibrio- 
nen,  die  von  einem  Choleraserum  ebenso  hoch  agglutiniert 
werden  wie  echte  Cholerastämme,  auf  ihr  Verhalten  bei  der 
Präzipitation  zu  untersuchen.  Es  wurden  Filtrate  von  editer 
Cholera,  von  El  Tor-Stämmen  und  von  leicht  spezifischen 
Vibrionen  geprüft.  Das  entsprechende  Choleraimmunserum 
stammte  vom  Pferde,  die  übrigen  Immunseren  von  Kanin¬ 
chen.  Auch  bei  diesen  Versuchen  war  die  vollständige  Ana¬ 
logie  mit  der  Agglutination  zu  konstatieren.  Die  El  Tor- 
Filtrate  geben  mit  Cholerasernm  ebenso  Nieder¬ 
schläge  wie  mit  El  Tor-Serum  und  umgekehrt.  Das 
Immunserum,  hergestellt  mit  deml  nicht  spezifischen  Vibrio  21, 
war  in  den  angegebenen  Mengen  ohne  Einflaßi  auf  Cholera- 
und  El  Tor-Filtrate.  Also  ganz  dasselbe  Verhalten  wie  bei 
der  Agglutination.  Tabelle  IV  gibt  einen  derartigen  Versuch 
wieder.  Die  Menge  des  Filtrates  in  jedem  Röhrchen  betrug 
wieder  2  cm^. 


Tabelle  IV. 


Stamm 

Menge  des  Serums 

Resultat 

El  Tor  IV 

0-3 

cm^ 

Cholera-Serum 

starker  Niederschlag 

0-1 

> 

deutlicher  Niederschlag 

X» 

0-3 

El  Tor-Serum 

starker  Niederschlag 

» 

OT 

» 

Spur  Niederschlag 

■» 

0-3 

Vibrio  21-Si'rum 

—  '! 

OT 

— 

El  Tor  V 

0-3 

Cholera-Serum 

starker  Niederschlag 

OT 

mäßiger  Niederschlag 

0-3 

El  Tor-Serum 

sehr  starker  Niederschlag  i 

3e> 

OT 

5> 

starker  Niederschlag 

0-3 

» 

Vibrio  21-Serum 

— 

» 

OT 

3> 

— 

Cholera 

03 

Cholera-Serum 

starker  Niederschlag 

OT 

deutlicher  Niederschlag 

» 

03 

» 

El  Tor-Serum 

starker  Niederschlag 

OT 

» 

» 

Niederschlag 

1  ^ 

03 

Vibrio  2I-Serum 

j 

01 

y> 

Vibrio 

03 

Cholera-Serum 

-  1 

» 

OT 

_ 

03 

El  Tor-Serum 

_  ! 

r> 

OT 

_  1 

■» 

03 

Vibrio  21-Serum 

starker  Niederschlag 

OT 

> 

> 

deutlicher  Niederschlag 

Nicht  ohne  Redeulung  für  die  vorliegende  Frage  dürften 
auch  Versuche  von  v.  Eisler  und  Porges^^)  über  die 
Agglutination  und  Präzipitation  der  Kapsel  bakterien 
sein.  Mit  Hilfe  dieser  Reaktionen  ist  es  uns  ge¬ 
lungen,  einzelne  Arten  der  Kapselbakterien  mit 
Sicherheit  zu  unterscheiden,  so  daß  als  o  auch  in 
diesem  Falle  die  Präzipitation  für  ebenso  spezi¬ 
fisch  angesehen  werden  darf,  als  die  Aggdutina- 
tion.  Der  in  Tabelle  V  wiedergegebene  Versuch  wird  das 
Gesagte  zur  Genüge  erklären. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  auf  die  Agglutination  und  Prä¬ 
zipitation  der  Dysenteriebazillen  verwiesen.  Sowohl 
Versuche  von  Kraus  und  Doerr,“^)als  auch  eigene  ünter- 
suchimgen  ergaben  eine  gute  Uebereinstimmung  der  Aggluti¬ 
nations-  und  Präzii)itationsresultate.  Schon  norimVes  Pferde- 

Zentralblatt  für  Bakteriolog.  1906,  Ril.  i2. 

■ß  Zeitschrift  für  Hyg.  1906,  Bd.  55. 


Tabelle  V. 


Resultat 

2  cm^  Friedl. -Filtrat  .  -j-O  3  cm^  Friedl.-Serum 

starker  Niederschlag 

2»  »  .“FOT»  » 

spärliche  Flocken 

2  »  Rbinoskl. -Filtrat 0’3  »  » 

leichte  Trübung 

2  »  »  -j-  0  1  »  » 

— 

2  »  Oziina  -  Filtrat  .  -f-  0'3  »  » 

2  >  »  -p  OT  »  » 

j 

2  »  »  -[-0  3  »  Ozäna- Serum 

mäßig.  Niederschlag  , 

2  »  »  -|- OT  »  » 

cleutl.  Niederschlag  I 

2  >  Rhinoskl. -Filtrat -F  0  3  »  » 

Spur  Trübung 

2  »  »  “F  O  T  »  » 

— 

2  »  Friedl.-Filtrat  .  -F0  3  »  » 

— 

2  »  »  -p  0 1  »  »  . 

— 

2  »  Rhinoskl. -Filtrat -F  0-3  »  Rhinoskl. -Serum 

deutl.  Niederschlag 

2»  »  -pOl»  » 

spärl.  Niederschlag 

2  »  Friedl.-Filtrat  .  -FO'3  »  » 

Trübung 

2  »  »  -p  OT  »  » 

— 

2  »  Ozäna- Filtrat  .  -FO‘3  »  » 

— 

2  »  »  -p  OT  »  » 

— 

serum  enthält  ziemlich  wirksame  Agglutinine  für  Flexner- 
bazillen.  Durch  die  Immunisierung  mit  Shiga-Krusebazillen 
steigt  auch  der  Agglutinationstitre  für  Flexner  und  erreicht 
gewöhnlich  ebenso  hohe  Werte  wie  für  Kruse  selbst.  Ein 
Flexnerinmiunserum  dagegen  agglutiniert  Flexner  bedeutend 
stärker  als  Kruse.  Aehnliche  Verhältnisse  ergaben  sich  auch 
bei  der  Präzipitation.  Der  in  Tabelle  VI  wiedergegebene  Ver¬ 
such  wurde  mit  dem  Pferdeserum  Jobst  (Krusekulturen), 
Ignaz  (Flexnerkulturen)  und  Infant  (Kruse+Flexner)  ge¬ 
macht.  Die  Menge  der  Filtrate  betrug  immer  2  cm^  in  jedem 
Röhrchen. 


Tabelle  VI. 


Stamm 

Menge  des  Serums 

Resultat 

Flexner 

0'3  cm^  Ignaz 

Niederschlag 

OT  »  » 

Spur  Niederschlag 

T> 

0'3  »  Jobst 

Niederschlag 

» 

OT  »  » 

Trübung? 

» 

ü'3  »  Infant 

deutlicher  Niederschlag 

OT  »  » 

— 

Kruse 

03  »  Jobst 

starker  Niederschlag 

OT  »  » 

mäßiger  Niederschlag 

0  3  »  Ignaz 

— 

OT  »  » 

— 

0’3  K  Infant 

Trübung 

1 

1 

i 

01  »  ■» 

— 

Die  hier  angeführten  Versuche,  welche  sich  auf  die 
verschiedensten  Bakterien  erstrecken,  zeigen  wohl  deutlich 
die  durch  zahlreiche  Untersuchungen  gestützte  Analogie 
zwischen  Agglutination  und  Präzipitation,  die  sich  natürlich 
auch  auf  die  Spezifizität  dieser  beiden  Reaktionen  bezieht,  und 
dürften  genügen,  um  die  Behauptung  Zupniks  von 
der  Familienspezifizität  der  Präzipitinreaktion 
als  unbegründet  zurückzuweisen.  Beiden  Reak¬ 
tionen  kommt  ohne  Zweifel  der  gleiche  Grad  von 
Spezifizität  zu,  natürlich  unter  Berücksichti¬ 
gung  der  j  e  d  e  r  id  e  r  b  e  i  d  e  n  Reaktionen  z  u  k  o  in  m  e  n- 
den  Eigentümlichkeiten.  Denn  bei  der  Agglutination 
haben  wir  es  mit  den  ganzen  Bakterienleibern,  bei  der  Prä¬ 
zipitation  mit  gelösten  Bestandteilen  derselben  zu  tun. 

Diese  im  vorausgehendon  näher  charakterisierte  Spezi- 
fizität  der  Bakterienpräzipiline  wird  auch  durch  die  in 
Nummer  12  dieser  Zeitschrift  mitgeteilteri  Versuche  von 
Hoke  über  die  Erzeugung  von  Niederschlägen  in  Bakterieji- 
filtraten  durch  nonnale  Sera  nicht  berührt.  Auf  das  mögliche 


Kr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


381 


Vorliandeiiseiii  von  Bakterienpräzipitinen  in  normalen  Seren 
wurde  bereits  von  Kraus“^)  liingewiesen.  Ferner  zeigten 
Kraus  nnd  Doerr,^®)  daß  in  Pdltraten  von  Flexnerstäminen 
Streptokokken-Pferdeserum  Niederschläge  erzeugt,  wohl  auf 
(irund  des  schon  dem  normalen  Pferdeseriim  zu  kommenden 
relativ  hohen  Agglntinationsvermögens  für  Flexnerbakterien. 
Solche  Reaktionen  kommen  aber  nur  durch  verhältnismäßig 
große  Mengen  des  präzipitierenden  fremden  Immun-  oder 
des  Normalserums  zustande.  Für  die  Beurteilung  der  Spezi- 
fizität  der  Bakterienpräzipitine  in  Immunseren  sind,  wie  ja 
im  vorhergehenden  betont  wurde  und  worauf  schon  von 
Kraus^'^)  aufmerksam  gemacht  wurde,  die  quantitativen 
Verhältnisse  von  aussclilaggebender  Bedeutung. 


Aus  der  Prosektur  der  mährischen  Landeskranken¬ 
anstalt  in  Brünn.  (Vorstand:  Prosektor  Dozent  Dr.  Carl 

Sternberg.) 

Zur  Kenntnis  der  multiplen  zentralen 
Enchondrome. 

Von  Dr.  Emil  Schweinburg,  T.  Sekundararzt  der  Chirurg.  Abteilung. 

Wiewohl  in  der  Literatur  bereits  mehrere  Fälle  von 
multiplen  Enchondromen  beschrieben  sind,  berechtigt  uns 
ein  besonderer  Nebenbefund  bei  einem  vor  kurzem  beob¬ 
achteten  Falle  zur  Veröffenthchung  desselben,  zumal  diesem 
Befunde  einige  .Bedeutung  iür  die  Auffassung  der  Fälle 
von  multiplen-  zentralen  Enchondromen  zuzuschreiben 
sein  dürfte. 

Unser  Fall  reiht  sich  in  dieser  Hinsicht  der  bekannten 
Beobachtung  von  Kast^)  und  v.  Recklinghausen  an, 
welche  daher  in  Kürze  wiedergegeben  werden  soll. 

Dieselbe  betraf  einen  34jährigen  Bauernsohn  aus  gesunder 
Familie,  in  der  niemand  eine  ähnliche  Erkrankung  anhvies.  Seit 
seinem  sechsten  Lebensjahre  sollen  sich  an  den  Fingern  der 
rechten  Hand  knotige  Anschwellungen  entwickelt  haben,  die  von 
den  Angehörigen  mit  einer,  einige  Zeit  vorher  stattgefundeneii 
Quetschung  in  Verbindung  igehracht  wurden;  doch  auch  schon 
vor  dem  sechsten  Lebensjahre  —  im  Alter  von  drei  bis  vier 
Jahren  —  sollen  Verdickungen  an  den  Fingern  bestanden  haben. 
Aelmliche  Schwellungen  traten  in  der  Folgezeit  auch  an  anderen 
Knochen  auf,  so  am  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand, 
an  den  Zehen  beider  Füße,  sowde  an  den  Rippen  und  der  Wirbel¬ 
säule. 

Sämtliche  Geschwülste  wuchsen  langsam  weiter,  bis  un¬ 
gefähr  im  Alter  von  15  bis  16  Jahren  eine  Beschleunigung  ihi'es 
Wachstums  eintrat,  die  bis  zum  21.  oder  22.  Lebensjahre  anhielt. 
Seit  dieser  Zeit  sollen  die  Verdickungen  im  Wachstum  still- 
gestanden  und  keine  Veränderungen  gezeigt  haben. 

An  verschiedenen  Körperstellen  bestanden  Angiome. 

Diesem  Falle  sei  ein  neuer  liinzugefügt,  welcher  am 
15.  Oktober  1906  auf  unsere  Abteilung  kam. 

W.  V.,  ein  SOjähriger  Arbeiter,  kommt  ins  Spital,  um  sich 
den  stark  deformierten  Zeigefinger  der  linken  Hand  ahtragen 
zu  lassen,  da  er  ihm  bei  der  Arbeit  hinderlich  ist.  Er  gibt 
an,  aus  vollkommen  gesunder  Familie  ahzustammen.  Vater  und 
Mutter  leben  und  besitzen  chensowenig  wie  sieben  Geschwister 
<lerartig  abnormale  Veränderungen.  Drei  Brüder  haben  beim 
Militär  gedient,  vier  Sclwesterri  sind  verheiratet  und  haben  ge¬ 
sunde  Kinder.  ' 

In  seinem  sechsten  Lebensjahre  sollen  allmählich,  jedoch 
mehr  auf  der  linken  als  auf  der  rechten  Hand  kleine,  runde 
Geschwülste  entstanden  sein,  die  zum  Teil  an  den  Fingern,  zum 
Teil  auch  am  Hamdrücken  sich  zeigten.  Mit  Rücksicht  darauf, 
daß,  am  linken  Handrücken  ein  Knollen  besonders  stark  gewachsen 
ist,  wurde  Pat.  von  seinen  Eltern  im  zwölften  Lebensjahre  nach 
Prag  gebracht,  woselbst  ihm  dieser  entfernt  wurde.  Ganz  mäßig 
seien  die  Geschwülste  an  den  Fingern  gewachsen ;  an  den  übrigen 
Köri)crstollen  hat  Pat.  keine  Veränderungen  bemerkt.  Seit  dem 
21.  Jahre  ist  nach  Angabe  des  Patienten  Stillstand  im  Wachstum 
der  Tumoren  eingetreten.  Seit  zwei  Jahren  verheiratet;  kinder¬ 
los;  venerische  Affektion.  wird  negiert. 


^0  K  o  1 1  e -W  a  s  s  e  r  m  a  n  n,  Handbuch  der  patholog.  Mikroorg. 

I.  c. 

^0  1.  c. 


Status  praesens:  Mittelgroßer,  mittelkräftiger  Mann. 
Etwas  vorspringende  Jochbeine;  nirgends  Anhaltspunkte  für 
Rachitis. 

Jlerz  und  Lunge  ohne  pathologischen  Befund.  An  den  Rippen 
und  am  Becken  zeigten  sich  keine  Veränderungen,  ebenso  sind 
Wirbel  und  Skapula  normal.  Der  Metakarpus  <les  rechten  Zeige¬ 
fingers  zeigt  ebenso  wie  die  Grundphalanx  des  Zeigefingers  einen 
beträchtlichen  Knollen;  sonst  bieten  die  übrigen  Finger  der 
rechten  Hand  beim  Ahtasten  nichts  AhnoiTues. 


Die  Veränderungen  an  <leii  Fingern  der  linken  Hand  sind 
jedoch  auffallender.  Der  Metakarpus  des  linken  Zeigefingers  ist 
nicht  tastbar.  (Hier  dürfte  im  zwölften  Lebensjahre  der  Tumor 
gesessen  sein,  der  operativ  gleichzeitig  mit  einem  Teile  des  Meta¬ 
karpus  entfernt  wurde.) 


t 


Der  Zeigefinger  hängt  au  einem  dünnen  Stiele,  ist  verkürzt 
und  von  einem  hühnereigroßen  Tumor  durchsetzt.  Der  dritte 
Finger  zeigt  sowohl  iin  Metakarpus  als  auch  an  der  verdickten 
Grundphalanx  einen  Tumor,  ebenso  sind  knollige  Verdickungen 
am  vierten  Finger  fühlbar. 

Am  rechten  Humerus  konnte  man  ungefähr  in  der  Mitte 
einen  haselnußgroßen  Tumor  fühlen,  kleinere  am  linken  Radius 
und  an  beiden  Tihien.  Der  Uebergang  zwischen  Os  cuhoide'um 
und  den  Kuneiformen  zu  den  Metatarsen  war  beiderseits  winkelig ; 
an  den  Kuneiformen,  Kuhoideen  und  Navikularen  konnten  Form- 
vorändernngen  getastet  werden. 

Der  Vergleich  mit  den  Röntgenbildern  beider  Hände  zeigt 
deutlich  die  Lokalisation  und  Größe  der  Tumoren.  Leider  war 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  13 


3^  - 


der  Paliont  nicht  dazu  zu  bewegen,  Brustkorb  und  Füße  durch- 
leucblen  zu  lassen. 

Es  fanden  sieb  ferner  verstreut  über  verschiedene  Körper¬ 
stellen  einzelne,  inäßig  erbal)ene,  weiche,  bell-  bis  dunkelbraun 
gefäj'bte  Nävi;  i 

Am  Rücken  in  unsyminotriscber  Anordnung  fünf  ü])er  linsen¬ 
große  Nävi  neben  sieben  ungefähr  birsekorngroßen,  zwei  linsen¬ 
große  syinmetriscb  über  der  rechten  und  linken  Mamilla,  je  zwei 
kleinere  syinmetriscb  an  den  Streckseiten  der  Vorderarme,  vier 
kleinere  unsymmetrisch  an  den  Oberschenkeln. 

Die  Abtragung  des  Zeigefingers  erfolgte  mit  der  Schere  in 
der  Mitte  der  stark  verdünnten  Grundpbalanx.  Pat.  verließ  am 
18.  Oktober  1906  das  Spital. 

Die  anatomische  Untersncliuiig  (Prosektor  Privatdozeiit 
Dr.  Sternlierg)  des  aiiipiitierteii  Fingers  ergab  folgenden 
Befund : 

,,])er  übersendete  Finger  zeigt  in  seinen  beiden  unteren' 
Dritteln  eine  gleichmäßige,  namentlich  gegen  die  Basis  zu  sehr 
beträchtliche,  annähernd  spindelförmige  Auftreibung.  Die  Haut 
ist  überall  unverändert.  Die  beschriebene  Auftreibung  fühlt,  sich 
knochenhart  an.  Auf  einer  medianen  Sägefläche  zeigt  sich  die 
Ejidphalanx  ohne  Veränderung;  die  Vlittelphalanx  ist  an  ihrem 
distalen  Ende  gleichfalls  unverändert,  währeml  sie  im  übrigen 
von  einer  fast  hübnereigroßen  Geschwulst  eingenommen  er¬ 
scheint;  diese  hat  einen  undeutlich  lappigen  Bau  und  besteht 
durchwegs  aus  Knorpelgewebe.  Peripher  ist  sie  von  einer  diinnen 
knöchernen  Laimelle  überkleidet,  welche  in  die  Kortikalis  des 
unveränderten  Endstückes  der  Phalanx  übergeht. 

Bei  histologischer  Untersuchung  zeigt  sich  die  Geschwulst 
zusammengesetzt  aus  großen  Inseln  hyalinen  Knorpels.  Diese 
sind  getrennt  durch  einzelne  schmälere  oder  breitere  Züge  von 
Bindegewebe,  in  welchen  Blutgefäße  verlaufen.  An  einer  Stelle 
findet  sich  im  Innern  des  Kuoii)els  in  geringer  Ausdehnung  ein 
verkalkter  Herd;  Verknöcherung  ist  nicht  nachweisbar.  Die 
Knochenschicht,  welche  die  Oberfläche  überkleidet,  ist  sehr  dünn 
und  zeigt  stelleinveise  an  ihrer  dem  Knorpel  zugewendeten  Fläche 
tiefere  Lakunen,  die  von  Osteoklasten  ausgekleidet  sind;  ver¬ 
einzelt  reichen  einige  dünne  Knocheirspangen  in  die  Geschwulst 
hinein.“ 

Diagnose:  Zentrales  Enchondrom. 

Es  handelte  sich  also  um  einen  Fall  von  multiplen 
zentralen  Enchondromen,  die  vorwiegend  an  Händen  und 
Füßen,  zum  Teil  auch  an  Humerus,  Radius  und  Tibien 
und  zwar  soAvohl  an  den  Epiphysen,  als  auch  an  den  Dia- 
physen,  saßen,  mit  dem  Körperwachstum  ihre  Größe  ver¬ 
änderten  und  mit  Beendigung  desselben  unverändert  fort- 
bestanden. 

Insofern  Ijesteht  vollkommene  Analogie  mit  den  bisher 
))ekaimten  Fällen.  Der  Neljenhefund  von  zahlreichen,  teils 
symmetrisch,  teils  unsymmetrisch  angeordneten  Nävi  ver¬ 
leiht  dem  Falle  ein  hesonderes  Interesse  und  es  Hegt  die 
Frage  nahe,  oh  dieser  Befund  uns  nicht  weitere  Anhalts¬ 
punkte  für  die  Auffassung  derartiger  Fälle  zu  liefern  vermag. 

Was  zunächst  die  Entstehung  der  multiplen  zentralen 
Enchondrome  anlangt,  so  bestehen  hierüher  verschiedene 
Anschauungen. 

Nach  der  einen  Annahme  gehen  diese  Geschwülste  aus 
unverknöcherten  Knorpelinsehi  hervor,  die  während  einer 
frühen  fötalen  Entwicklungsperiode  innerhal])  der  knorpelig 
vorgehildeten  Knochen  infolge  einer  Ossifikationsstörung 
liegen  bleiben. 

Nach  der  anderen  Auffassung  betrifft  die  Anomalie 
der  Ossifikation  den  wachsenden  Knochen,  indem  im  wesent¬ 
lichen  Knorpelinseln  aus  der  Knorpelknochengrenze  in  das 
Innere  des  Knochens  verlagert  werden. 

Virchow“)  behauptet:  daß  schon  ,,in  der  ersten  Ent¬ 
wicklung  der  Knochen  gewisse  Lluregelmäßigkeiten  vor  sich 
gehen,  Avelche  die  Prädisposilion  zu  der  späteren  Geschwulst- 
hildung  legen.  Wenn  ich  die  möglichen  Formen  solcher 
Enlwicklimgsstörmig  erwäge,  so  möchte  ich  es  für  sehr 
wahrscheinlich  halten,  daß  gelegentlich  in  den  Avachsenden 
Knochen  einzelne  Fragmente  von  der  ursprünglichen 
Knorpelanlage  unverknöcherl  ührighleihen,  welche  später 
der  Ausgangspunkt  der  GescliAvulstentwicklung  Averden.“ 
Ih'züglich  des  Zusammenhanges  der  Enchondrome  mit 
Bachitis  spricht  sich  VirchoAV  ni(dit  ausdrücklich  für  diese 
aus,  er  Aveist  nur  ,,auf  die  Möglichkeit,  daß  dieser  oder 


ein  ähnlicher  Slörungsvorgang  Avirklich  die  Prädisposition 
schafft,  besonders  hin“. 

V.  Recklinghausen  steht  im  AAmsentlichen  auf  der 
Grundansicht  Virchows,  er  sagt: 

,,Für  die  Ansicht,  daß  es  sich  um  eine  Störung  in 
der  ersten  Entwicklung  des  Knochens  aus  seiner  knorpe¬ 
ligen  Anlage,  um  eine  Mangelhaftigkeit  der  endochondralen 
Knochenhildung  handelt,  kann  nicht  nur  der  Umstand  in 
Anschlag  gebracht  Averden,  daß  sich  der  reine  hyaline 
Knorpel  in  den  jetzigen  Geschwülsten  vorfindet,  sondern 
auch  das  negative  Verhältnis,  daß  in  dem  neugeschaffenen 
XumorgeAvehe  keine  Andeutung  von  einem  Uebergang  des 
pathologisch  geAvucherten  Knorpels  in  Knochen  aufzuweisen 
ist“  und  meint,  daß  es  sich  ,,um  diejenige  Form  derE.nchon- 
drome .  handelt,  Avelche  mit  dem  Wachstumsprozesse  des 
Skelettes  in  direktesten  Zusammenhang  zu  bringen  sind  und 
aus  manchen  Gründen  Amn  einer  früheren  rachitischen  Er¬ 
krankung  abgeleitet  werden,  selbst  dann,  wenn  die  bekannter¬ 
maßen  zurückbleibenden  rachitischen  Verkrümmungen  der 
Skeletteile  auch  nicht  spurAveise  aufzufinden  sind“.  Im  Laufe 
der  Jahre  ist  zu  diesen  Ansichten  nichts  Wesentliches 
hinzugekommen.  In  den  beiden  neuesten  Monographien  über 
die  Geschwülste  finden  Avir  folgende  Anschauungen: 

Rorst''^)  glaubt,  ,,daß  bei  der  primären  Anlage  des 
Skelettes  und  Avährend  der  embryonalen  Wachstumsperiode 
Störungen  eintreten,  die  später  der  Ausgang  solitärer  und 
multipler  Chondrome  Averden“. 

Rihhert^)  ikommt  in  seiner  Anschauung  über  diese 
GescliAAdilste  zum  Schlüsse,  ,,daß  alle  Chondrome  aus 
Knorpelkeimen  entstehen,  die  infolge  von  Entwicklungs¬ 
störungen  von  chondrogenen  Teilen  ahgesprengt  Averden“. 

Fassen  wir  nun  unsere  Ansicht  über  das  Entstehen 
der  multiplen  Enchondrome  zusammen,  möchten  Avir  sagen, 
daß  auch  in  unserem  .Falle  kein  Grund  vorliegt,  Rachitis 
als  ursächliches  Moment  anzunehmen  und  daß  auch  die 
Voraussetzung  einer  Verlagerung  von  Keimen  uns  überflüssig 
erscheint.  Es  reicht  Adelmehr  die  Annahme  einer  Ossifika¬ 
tionsstörung  zur  Zeit  der  fötalen  EntAAdcklung  Amllkomlnen 
aus,  um  so  mehr,  als  ja  diese  GeschAvülste  gemeiniglich 
vorAviegend  an  den  Epiphysen  sitzen. 

Räumt  schon  diese  Anschauung  über  die  Eptstehung 
der  in  Rede  stehenden  GescliAvülste  denselben  eine  Sonder¬ 
stellung  gegenüber  anderen  Tumoren  ein,  so  wird  eine  der¬ 
artige  Auffassung  derselben  noch  unterstützt  durch  Berück¬ 
sichtigung  ihres  übrigen  Verhaltens.  In  dieser  Hinsicht  ist 
darauf  zu  verweisen,  daß  diese  Geschwülste  regelmäßig  mul¬ 
tipel  sind,  stets  schon  in  frühester  Jugend  zur  EntAvicklung 
gelangen,  ja  bisAveilen  sogar  kongenital  nachgewiesen  wurden 
und  bezüglich  ihres  Wachstums  mit  dem  Körperwachstum 
in  direktem  Zusammenhänge  stehen;  auch  Avurde  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  hereditäres  Auftreten  beobachtet. 

Wir  möchten  hier  auch  jener  seltenen  Krankheit  Er- 
Avähnung  tun,  die  zum  erstenmal  von  Ollier''^)  (1899)  als 
,,Dyschondroplasie“  heschrieben  und  jüngst  Amn  Wittek®) 
an  der  Hand  eines  eigenen  Falles  im  Rahmen  einer  ein¬ 
gehenden  Darstellung  als  ,,01  Her  sehe  Wachstumsstörung“ 
bezeichnet  Avurde;  sie  steht  in  vielen  Beziehungen  dem 
hier  in  Rede  stehenden  Krankheitshilde  nahe.  Es  handelt 
sich  hiebei  um  eine  bereits  in  den  ersten  I^ehensjahren  in 
Erscheinung  tretende  Affektion,  Avelche  sich  klinisch  durch 
Verkürzungen,  Tumoren  und  Verkrümmungen,  vorwiegend 
einer  Körperhälfte,  charakterisiert ;  aber  auch  an  Hand  und 
Fuß  der  anderen  Körperhälfte  —  an  den  Phalangen  — 
Metakarpen  und  Metalarsen  finden  sich  Verkrümmungen 
und  Auftreihungen,  die  ebenso,  Avie  die  entsprechenden  Bil¬ 
dungen  der  anderen  Seite  —  dem  Röntgenbilde  zufolge  — 
als  Chondrome  aufgefaßt  Averden  müssen.  ,,ln  allen  bisher 
bekannten  Fällen  Avahrt  die  Erkrankung  hezüglich  der  langen 
Röhrenknochen  den  Charakter  der  Halbseitigkeit“,  gleich¬ 
zeitig  einherschreitend  mit  Muskelatrophie  der  hefallenen 
Extremität,  ohne  daß  von  seiten  des  nervösen  Apparates 
Störungeji  beobachtet  Avurden.  In  keinem  der  vier  bisher 
bekannten  Fälle  bestand  Rachitis. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


383 


Auch  ill-  den  hier  herangezogeiieii  ßeohachiungeii  sind 
niithin  niultiiile- zentrale  Enchondroine  mit  allgemeinen  Ent- 
wicklimgsstorungen  vergesellschattet. 

Alle  diese  Momente  siirechen  dafür,  den  multiplen 
zentralen  Enchondromen  eine  gewisse  Sonderstellung  ein- 
ziiräumen.  AucJi  Borst  meint,  dah  diese  ,,Kn()rpelneul)il- 
dungen  in  mehr  als  einer  Beziehung  in  einen  gewissen 
(legensatz  zu  den  anderen  Knorpelgeschwülsten  zu 
bringen  sind“. 

'  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  scheint  uns 
auch  das  Auftreten  zahlreicher,  zum  Teile  symmetrischer 
Nävi  von  Bedeutung  zu  sein.  Auch  v.  Becklinghausen 
hat  in  dem  eingangs  erwähnten  Ealle  auf  die  zahlreichen 
Angiome  aiifmerksam  gemacht  und  mit  llücksicht  auf  die 
phleliogenen  kavernosen  Angiome  die  Frage  aufgeworfen, 
,,oh  das  Ausbleiben  der  Verknöcherung  etwa  die  Folge 
einer  Aplasie  der  Blutgefäße  war“. 

Wenn  wir  auch  in  unserem  Ealle  keinen  Anhaltspunkt 
für  eine  derartige  Erklärung  finden,  scheint  uns  der  Befund 
von  Nävi  in  anderer  Hinsicht  von  Bedeutung  zu  sein.  Es 
treten  nämlich  gerade  dadurch  die  multiplen  zentralen 
Enchondrome  in  eine  gewisse  Analogie  zu  anderen  Pro¬ 
zessen,  die  wir  heute  im  Sinne  einer  Bildungsanomalie 
zu  deuten  gewohnt  sind. 

Hier  ist  vor  allem  jenes  bekannte  Bild  der  multiplen 
Neurofibromatose  (v.  Recklinghausen)  zu  nennen.  Es 
hamlelt  sich  hiebei  um  multiple  Tumoren  an  den  Nerven, 
welche  bisweilen  augeboren  sind,  häufig  sich  bereits  in 
frühester  Kindheit  entwickeln,  oft  hereditär  auf  treten  und 
mit  angeborenen  Pigmentflecken,  Nävis  und  Intelligenz- 
defekten  kombiniert  sind. 

Neuerdings  hat  RieliR)  das  ,, Adenoma  sebaceum 
Pringle“  als  eine  analoge  Bildungsanomalie  der  v.  Reck- 
1  in  ghau  sen  sehen  multiplen  Neurofiljromaiose  angereiht. 
,,Es  handelt  sich  um  Fälle,  bei  denen  sich  Affektionen  auf  die 
Schleimhäute  der  Mundhöhle,  auf  andere  Körperregionen, 
z.  ß.  Nacken  und  Skrotum,  ausbreiten,  und  nebstbei  Gc- 
schwulstbildungen  am  Nagelfalz  einzelner  Finger  und  Zehen, 
Veränderungen  im  Wachstum  der  Nagelplatte  sich  zeigen. 
Bei  einigen  Kranken  dieser  Art  sind  Mißbildungen  und  In¬ 
telligenzdefekte  bekannt  geworden.  Es  besteht  also  in  diesen 
Fällen  eine  embryonal  angelegte,  kongenital  oder  im  späteren 
Leben  manifest  werdende  Bildungsanomalie,  weiche  durch 
ererbte  Anlage  bedingt  ist.“ 

Diesen  beiden  genannten  Bildungsanomalien  möchten 
wir  nun  die  multiplen  zentralen  Enchondrome,  die,  wie  im 
vorstehenden  ausgeführt,  in  einem  gewissen  Gegensätze  zu 
den  echten  autonomen  Afeubildungen  stehen,  an  die  Seite 
stellen  und  sie  als  eine  Vegetalionsstörung  im  Sinne  Kun¬ 
drats  auffassen;  dieselbe  kann  sich  in  verschiedenen 
Formen  manifestieren,  wie  es  einerseits  die  Fälle  von 
01  Her  scher  Erkrankung,  anderseits  die  hier  besprochenen 
zeigen. 

Zum  Schlüsse  gestattet  sich  der  Verfasser  seinem  ge¬ 
ehrten  Chef,  Herrn  Direktor  Dr.  Nedopil,  für  die  Ueber- 
lassung  des  Falles  seinen  besten  Daidc  zu  sagen. 

Literatur: 

')  Virchow  Archiv,  Bd.  118.  Ein  Fall  von  Enchondrom  mit 
ungewöhnlicher  Multiplikation.  Klinische  Beobachtung  von  Dr.  Käst, 
Anatomisch  untersucht  von  Prof.  v.  Recklinghausen.  —  b  Virchow, 
Die  krankhaften  Geschwülste,  Bd.  1.  —  b  borst,  Die  Lehre  von  den 
Geschwülsten.  —  *)  Ribbert,  Geschwulstlehre.  —  ®)  Ollier,  zitiert 
nach  W  i  1 1  e  k.  —  b  Dr.  Arnold  W  i  1 1  e  k,  Die  Olüersehe  Wachsturnstörung, 
Bibliotheca  medica,  E.  Heft  7.  —  ’)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906. 
Nr.  43.  Offiizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  19.  Oktober  1906. 


lieber  die  Styriaquelle  in  Rohitsch-Sauerbrunn. 

Von  Prof.  E.  Ludwig,  Prof.  Tli.  Panzer  und  Dr.  E.  Zdarek. 

Der  Kurort  Rohitsch-Sauerbruiin  liegt  in  Steier¬ 
mark,  nahe  der  kroatischen  Grenze,  unter  40"  14’  nörd¬ 
licher  Breite,  33°  18’  42’’  östlich  von  Ferro,  228  Meter 
über  dem  Meere.  Man  gelangt  am  becpiemsten  dahin  auf 


der  Lokalbahn,  welche  von  der  Station  Grobelno  (Südbahn- 
hauptlinie  Wien — ^Triest)  nach  dem  Markte  Rohitsch  führt; 
die  Fahrt  von  Grobelno  dauert  eine  Stunde. 

Ueber  die  Gescbichte  des  Kurortes  und  seiner  Heil- 
tiuellen  entnebmen  wir  dem  Buche  von  Dr.  Macher^)  und 
einem  Aufsatz  des  Dr.  Anton  Schlossar^)  folgendes:  Die 
Heihiuellen  von  Rohitsch-Sauerbrunn  sind  seit  Jahrhun¬ 
derten  bekannt;  ob  sie  schon  die  alten  Römer  als  solche 
erkannt  haben,  ist  ungewiß,  verschiedene  in  der  Nähe  be¬ 
findliche  Thermen  haben  sie  benützt.  Sie  waren  mit  dem 
Quellengebiet  vertraut,  das  beweisen  aufgefundene  Denk¬ 
steine  mit  Inscbriften.  Es  darf  wohl  angenommen  werden, 
daß  die  römische  Marschstation  Mansi  o  Ragan  do  ne  mit 
dem  Namen  Rohitsch  zusammenhängt.  Hier  sollen  noch 
die  Ruinen  eines  alten  Sonnentempels  gefunden  worden  sein. 

Die  Einwanderung  der  Slowenen  erfolgte  um  das 
Jahr  580.  Der  Name  der  Rachatzer,  der  mächtigen  Herren 
zu  Rohitsch,  ist  aus  dem  XI H.  Jahrhundert  nachweisbar. 
Einige  Stellen  in  alten  Quellenwerken  deuten  darauf  hin, 
daß  das  Heilwasser  im  XL  Jahrhundert  bekannt  war,  doch 
dürfte  dasselbe  erst  4572  ausdrücklich  erwähnt  worden  sAin 
u.  zw.  von  Leonhard  Thurneysser  in  seinem  Buche: 
Von  kalten,  warmen,  mineralischen  und  metallischen 
Wassern.  Darin  wird  ein  Wasser  von  großer  „krafft  und 
tugendt“  besprochen,  das  5000  Schritte  von  dem  „alten 
Stedtlein  Cylie  gegen  den  Mittentag“  gelegen  sein  soll.  Auch 
Tabernaemontanus  spriebt  in  seinem  4584  herausge¬ 
gebenen  ,, Newell  Wassersebatz“  von  einem  ,,Sawerbrunnen 
nit  weit  von  Reichenburg“,  was  sich  auf  dieses  Quellen¬ 
gebiet  beziehen  dürfte. 

Der  erste  bestimmte  flinweis  auf  den  Fleilwert  des 
Robitscher  Vlineralwassers  findet  sich  in  dem  Werke  des 
landschaftlichen  Physikus  und  Arztes  Johann  Benedikt 
Gründel:  Roitschocrene,  das,  in  lateinischer  Sprache 
verfaßt,  4685  erschien  und  zwei  Jahre  später  in  deutscher 
Uebersetzung  beräusgegeben  wurde  unter  dem  Titel:  „Roit- 
scbocrene,  das  ist  ausführliche  Beschreibung  deß  in  Unter- 
Steyer  weit  berühmten  Roitscher  Sauerbrunn“  (Grätz  4687). 
Gründel  preist  in  dem  Buche  die  Rohitscher  Heilquelle 
in  lateinischen  Versen,  deren  deutsche  Uebersetzung  in  der 
deutseben  Ausgabe  zu  finden  ist.  Die  ersten  Zeilen  handeln 
von  der  J^age  des  Gesundbrunnens: 

,, Nicht  weit  vom  beiligen  Creutz  ein  edler  Brunn’  entspringet 
Der  dem  erkrankten  Leib  die  Gesundheit  wiederbringet.“ 

Die  übrigen  Verse  schildern  die  medizinische  Wirkung 
des  Wassers;  die  letzten  Verse  lauten: 

,,Er  ist  wahrliafftig  ja  ein  Götter-Trank  zu  nennen 
Wie  solches  immerdar  vil  Tausend  thun  bekennen 
Er  ist  ein  Schatz  im  Land,  dem  Steyerniark  ein  Zier 
Ein  Kleinod  der  Natur,  d’rum  trink’  und  solch’s  probier’,“ 
Der  Brunnen  entsprang  damals  ,,aus  einem  bohlen  Wei¬ 
den-  oder  Felberstock“  und  hatte  den  in  der  Nähe  wohnen¬ 
den  Bauern  ,, schon  lange  Zeit  für  ein  ordinari  Trunk  ge-, 
dienet“.  Prof.  Dr.  v.  Sorbait,  Leibarzt  der  Kaiserin  Eleo¬ 
nora,  Gemahlin  Ferdinands  HL,  hatte  schon  früher  das 
Rohitscher  Wasser  nach  Wien  gebracht  und  damit  erfolg¬ 
reiche  Kuren  angestellt.  Desgleichen  haben  Physikus  Doktor 
Wagner  in  Graz,  I^eibarzt  4h'of.  II  Im  er  v.  Wartenberg, 
Leibarzt  Dr.  Herdet  v.  Todenfeld  in  Wien,  Dr.  4ebr, 
Pbysikus  von  Schweinfurt,  Dr.  v.  Lebenwald,  Idiysikus 
von  Leoben  und  Dr.  Kern,  Physikus  von  Graz,  therapeu¬ 
tische  Versuche  mit  dem  Rohitscher  Wasser  in  ausgedehn¬ 
tem  Maße  unternommen.  Viel  Rohitscher  Wasser  wurde 
schon  damals,  insbesondere  gemischt  mit  Wein,  als  Er¬ 
frischungsgetränk  genossen, 

Physikaliscli-medizinische  Beschreibung  der  Sauerbrunnen  bei 
Rohitsch  von  Matthias  Macher,  Doktor  der  Heilkunde,  Magister  der  Ge¬ 
burtshilfe,  Physikus  zu  Rann  in  Steyermark.  Graz.  In  der  tranz  berstl- 
schen  Buchhandlung.  Johann  Lorenz  Kr  ein  er,  Vorbericht.  Marburg  am 

1.  Februar  1823.  ,  •  -i  j 

Landeskuranstalt  Rohitsch-Sauerbrunn  seit  1801  im  Besitze  des 
Landes  Steiermark.  1904.  Im  Verlage  der  Landeskuranstalt  Rohitsch- 
Sauerbrunn. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  13 


Zur  Verbreitung  des  Rufes  der  RohiLsclier  Quellen 
trug  f‘olg(‘udes  Ereignis  viel  bei,  das  v.  Sorbait  erzählt. 
Ein  (Irat  Zrin  kam  um  das  Jahr  KEIO  auf  einem  Jagdaus- 
tlug  in  die  (iegend  von  Roliitsch  und  wur.le  von  den  Land- 
ieulen  auf  die  Heilkraft  des  Rrnnnens  aufmerksam  gemacht. 
„Weil  en  er  niit  der  schwarzen  (Jelhsiiclil  überladen,  auch 
i.,eh(;r  und  Milz  hart  gewesen,“  soll  der  (Iraf  nach  längerem 
Gebrauche  des  Wassers  von  seinem  Leiden  geheilt  wor¬ 
den  sein. 

Die  Quelle  war  damals  für  jedermann  zugänglich  und 
nur  .mit  einem  einfachen  Holzzaun  umgehen,  zum  Schutze 
gegen  Verunnnnigimg  durch  das  Vieh,  das  die  Quelle  gern 
aufsuchte.  Uni  Unterkunft  für  Kurgäste  zu  schaffen,  welche 
das  Wasser  an  der  Quelle  trinken  sollten,  wurden  in  der 
Nähe  der  Quelle  einige  Hütten  erbaut,  die  meisten  Kur¬ 
gäste  wohnten  aber  in  Marburg  oder  in  Pettau  und  ließen 
sich  das  AVasser  täglich  an  der  Quelte  frisch  füllen  und 
in  gut  verstopften  Flaschen  bringen. 

Lange  Zeit  hatte  niemand  ein  Interesse  daran,  die 
Quelle  als  Eigentum  zu  erwerben;  die  Füllung  und  Ver¬ 
sendung  des  Wassers  besorgte  der  jeweilige  Pfarrer  von 
1  leiligenkreuz.  Infolge  gesteigerter  Nachfrage  drängten  sich 
mehrere  tSpekulanteii  an  dieses  Geschäft  heran  und  gerieten 
bald  miteinander  in  Streit.  Peter  v.  Hammer  erhielt  ein 
Privilegium  zur  Verführung  des  Sauerbrunnen,  das  ihm 
aber  Dr.  v.  So r bait  und  der  Gastwirt  Frank  in  Wien 
streitig  machten;  Baron  Courty,  Besitzer  der  Herrschaft 
Stei'nmoll,  sprach  das  Fägentumsrecht  an,  es  entstand  ein 
langwieriger  Prozeß,  währenddessen  Baron  Courty  sich 
als  unumschränkter  Besitzer  gcrierte.  Er  setzte  im  Jahre 
1()7G  den  Preis  des  Wassers  so  stark  hinauf,  daß  eine 
Flasche,  die  ungefälir  2^2  Maß  enthielt,  in  Wien  einen 
Gulden  bis  einen  Gulden  15  Kreuzer  Koiiv.entionsmünze 
kostete.  Gegen  diese  Anmaßung  wurde  von  allen  Seiten, 
insbesondere  von  dem  Magistrat  von  Pettau  energisch  pro¬ 
testiert,  bis  endlich  eine  Allerhöchste  kaiserliche  Ent¬ 
schließung  dem  Streite  ein  Ende  machte,  indem  sie  das 
Schöpfen  aus  der  Quelle  ganz  freigab  und  dem  Gastwirt 
Frank  in  When  ein  Privilegium  zur  Versendung  des  Wassers 
durch  Oesterreich  und  andere  kaiserliche  Länder  erteilte. 

Den  Streit  um  den  Besitz  der  Quelle  und  den  hohen 
Preis  des  von  Baron  Courty  in  den  Handel  gebrachten 
Ho  hitscher  WAssers  hatten  unlautere  Spekulanten  benützt, 
um  das  Whasser  verschiedener  anderer  Quellen  als  Rohit- 
scher^Vasser  zu  verkaufen;  dadurch  wurde  der  Ruf  des 
echten  Wassers  arg  geschädigt.  1706  erteilte  Kaiser  Josef  1. 
dem  .loh.  Conrad  Heiickl  die  Befugnis  zum  \'erschleiß  des 
Hohitscher  Sauerbrunnen;  nach  dem  Erlöschen  dieser  Be¬ 
fugnis  erhielten  die  elf  bürgerlichen  Apotheker  in  When 
ein  eigentliches  Privilegium;  diese  ließen  die  llauptciuelle 
in  Stein  fassen  und  bestellten  einen  Brunnenaufseher; 
neben  dem  Brunnen  stellten  sie  eine  Statue  des  heiligen 
Jobanues  auf,  welche  die  Inschrift  trägt:  ,,sanclo  Joanni 
statua  a  Collegio  pharmaceutico  Austriaco  -  Vieniiensi 
structa.“  Diese  Statue  ist  noch  heute  in  den  Anlagen  des 
Kurortes  zu  sehen.  Das  den  Whener  Apothekern  erteilte 
Privilegium  wurde  von  der  Kaiserin  Maria  Theresia  be¬ 
stätigt,  mit  der  W'eisung,  die  Füllung  gewissenhaft  und 
ordentlich  zu  besorgen.  Als  im  Jahre  1782  Kaiser  Josef  11. 
das  Whener  Apothekerkollegiuni  aulhob,  hörte  der  wohl¬ 
tätige  Einfluß  des  letzteren  auf  das  Robitscher  Whisser  auf. 
Die  Quelle  geriet  in  \'erfall  und  gab  zu  allerlei  Streitig¬ 
keiten  Anlaß.  Drei  Bauern  besorgten  nun  die  Füllung  und 
Versendung  des  Whassers  und  erriebteten  an  Ort  und  Stelle 
eine  Sauerbrunnenbadeanstalt,  in  der  sie  das  der  Quelle 
entnommene  Wasser  durch  Beimischung  von  erhitztem 
Säuerling  entsprechend  erwärmten. 

1771,  also  fast  ein  Jahrhundert  nach  Gründeis 
R  o  i  t  s  c  h  o  er  e  n  e  erschien  eine  chemisch  -  medizinische 
Hntersuebung  des  Brunnens  von  Dr.  Dietel,  deren  wesent¬ 
licher  Inhalt  in  das  berühmte  W^erk  von  Heinrich  v.  Crantz: 
Die  Gesundbrunnen  der  Oesterreichischen  Monarchie,  auf- 
genommen  wurde. 


Eine  bessere  Zeit  für  die  Robitscher  Heilquellen  trat 
am  Beginne  des  XlX.  Jahrhunderts  ein,  als  ihnen  die  Stäniie 
von  Steiermark  ihre  Autmerksamkeit  zuwendeten.  Der 
Grazer  ApoUieker  Josef  Suess  wurde  mit  der  jVnalyse  des 
Heilwassers  betraut,  deren  Ei’gebnisse  der  Leibarzt  Doktor 
B.  Fa  by  in  einer  Schritt:  ,,Cnemisch-physilvalische  Unter¬ 
suchung  des  Rohitsclier  Sauerbrunnens  nebst  Anleitung  zum 
innerlicneii  Gebrauche  desselben“  fGrätz  iSUdj,  verulfenl- 
liclit  hat.  Durch  kaiserliche  Verordnung  wurde  18U8  den 
Ständen  das  Schöpfen,  die  l'üllung  und  Versendung  des 
Rohitsclier  Wassers  ausschließlicli  zuerkannt.  Damit  stell¬ 
ten  sich  geordnete  VerJiältnisse  ein  und  der  gute  Rut  dieses 
Mineralwassers  breitete  sich  bald  weilhin  aus. 

Die  Stände  kautten  zunächst  den  Grund  in  der  Um¬ 
gebung  der  Quelle  an,  bauten  Wohnhäuser  und  bestellten 
einen  Brunnenarzt  und  einen  Inspektor.  Hervorragende  Ver¬ 
dienste  um  die  Hebung  und  das  Aulblülien  des  neu  be¬ 
gründeten  Kurortes  erwarben  sich  tier  Landeshauptmann 
Ferdinand  Graf  v.  Attems,  sein  Naclifolger  Ignaz  M.  Graf 
V.  Attems  und  der  Prälat,  des  Stiftes  i\.djnont,  Gottliaii. 
Kugelmeyer.  Das  einmal  geweckte  Interesse  blieb  dem 
Kurort  dauernd  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  und 
mancherlei  Ereignisse  trugen  dazu  bei,  dasselbe  frisch  an¬ 
zuregen.  So  weilte  1810  der  besonders  in  Steiermark  so 
hochverehrte  Erzherzog  Johann  zur  Kräftigung  seiner  Ge¬ 
sundheit  in  dem  jungen  Kurort  und  lenkte  die  Autmerksam- 
keit  auf  dessen  Heilquellen. 

Zielbewußt  und  unausgesetzt  Neues,  Zweckmäßiges 
und  Schönes  schaffend,  hat  die  steirische  Landesvertretung 
den  Kurort  ausgestaltet,  so  daß  derselbe  heute  über  alle 
guten  modernen  Einrichtungen  und  Behelfe  für  den  Kur¬ 
gebrauch  und  die  Mineralwasserversendung  verfügt  und  so¬ 
wohl  in  dieser  Hinsicht  als  auch  in  bezug  .auf  wobigepflegte 
Garten-  und  Parkanlagen  den  besten  seiner  Art  an  die 
Seite  zu  stellen  ist. 

Leber  die  geologische  BescJiaffenheit  von  Rohitsch- 
Sauerbrunn  und  dessen  Umgebung  verdanken  wir  Herrn 
Dr.  J.  Dreg  er,  Geologen  der  k.  k.  geologischen  Reichs¬ 
anstalt  in  When  die  folgende  Mitteilung,  für  die  wir  ihm 
auch  an  dieser  Stelle  unseren  besten  Dank  sagen: 

,,Als  die  Bahn  noch  nicht  bis  Rohitsch  ging,  fülirte 
der  gewöhnliche  WRg  in  das  von  lieblichen  Hügeln  um¬ 
gürtete  Sauerbrunn  von  der  Bahnstation  Pöltschach  aus 
durch  die  malerische  Dolomitschlucht  des  Vollabaches  an¬ 
steigend,  am  Wotschberg  vorüber.  Von  der  Paßhöhe  an¬ 
gefangen,  fast  bis  vor  den  Kurort  selbst,  liietet  sich  dem 
Reisenden  ein  weiter  Blick  über  die  reizende  Landschaft 
bis  weit  nach  Kroatien  liinein. 

Der  Wotsch  bildet  mit  seinem  980  m  hohen  Gipfel 
die  größte  Erhebung  dieser  Gegend  und  stellt  mit  dem  sich 
anschließenden  Pleschiwetz  und  dem  weiter  östlich  ge¬ 
legenen  Donatiberg  einen  dem  Kurort  nördlich  vorgelager¬ 
ten  Gebirgszug  dar,  welcher  als  Fortsetzung  der  südlich 
vom  Bachergebirge  aufragenden  Gonobitzer  und  Weiten¬ 
steiner  Berge  als  der  letzte  Ausläufer  der  Karawankenkette 
angesehen  werden  kann. 

Der  breite  Gebirgsstock  des  Wotsch  ist  größtenteils 
aus  mächtigen  Schichten  von  hellgrauem  Dolomit  und  Kalk 
zusanmiengesetzt,  welche  Gesteine  wohl  ebenso  wie  die 
Bleierz  fübronden,  gewaltigen  Dolomit-  und  Kalkmassen  in 
den  Karawanken,  der  oberen  Trias  formation  (etwa  dem 
Niveau  des  erzfübrenden  Kalkes)  zuzuzählen  sein  dürften, 
wenn  es  auch  bisher  nicht  gelang,  Versteinerungen  aufzu¬ 
finden,  die  das  als  unzweifelhaft  erscheinen  ließen. 

in  den  Schluchten  und  an  den  Ränflern  des  Kalkes 
und  Dolomites  sind  öfter  Gesteine  aufgeschlossen,  die  der 
oberen  Karbonformation  angehören  und  auch  hier,  wie  so 
oft  in  den  südlichen  Kalkalpen,  von  unterirdischem  Schiefer 
und  Sandstein  begleitet  werden.  Das  ,  obere  Karbon  ist 
durch  Fusulinen  führenden,  weißgeäderten,  dunklen,  oft 
bituminösen  Kalk,  durch  graubraunen,  tonigsaiuligen 
Sebiefer  und  Sandstein  und  durch  grobe  Quarzkongloinerate 
und  Breccien  vertreten. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


,385 


Wälireud  sieb  jiortniselic  Bilduii.gcMi  ((d.wa  (Irödciier 
Saiidsbdn  iiiid  Vorrucano)  nieJd,  siclicr  iiaediweiscn  lassen, 
fiiidol  sieh  iinlerlriadiseliei',  röllielignnici',  schiefrij^er  Saiid- 
sU'iii  (Wbn'feiier  Sehiehlen)  am  NordfidJe  des  Wotscb  (hoi 
Sludenilz). 

Der  eben  in  seiner  geologiseben  Zusammensotzimg 
besproeliene  (ielnrgssi.oek  des  Wolseli  ist  ringsntn  von  ter- 
liären  Bildungen  uing(d)en,  die  das  waldige  HLigelland  zu¬ 
sammensetzen,.  in  dem  Ivobitseb-Sauerbrunn  gelegen  ist. 
Als  ältesle  tertiäre  Ablagerung  triti,  dem  Dolomit  und  Kalke 
des  Wolseb  mit  ziemlicb  steilem,  südlichen  Einfallen,  dis¬ 
kordant  angelagert  ein  gramu-  bis  bläulicher  bituminöser 
sandiger  Mergelscbiefer  auf,  der  das  Hangende  eines  un- 
bedeubrnden  Braunkoblenlagers  bildet  und  den  sogenannten 
(i()b(U‘oligo(;änen)  Sotzkaschiebten  angebört,  die  durch  ihre 
Ivobleufübrung  eine  so  große  volkswirtschaftliche  Bedeu¬ 
tung  hesitzen.  Die  gleichen  Sedimente  sind  in  einem  zweiten, 
ebenfalls  westöstlicb  streichenden  Zuge  südlich  von  Sauer- 
brmin  hei  lleiligenkreuz  und  über  der  Sottla  auf  kroatischem 
Bod<'.n  aufgeschlossen,  wo  auch  (bei  Klenovec)  einige  Meter 
mächtige  Braunkohle  bergmännisch  gewonnen  wird,  die 
hauptsächlich  für  die  Glashütte  in  Straza  verwendet  wird. 

Als  nächst  jüngere  Bildung  erscheinen  über  den  (aqui- 
tanisc.ben')  Hangendschichteu  der  Kohle  graue,  sandigmerge- 
ligo  Gesteine  von  unter  mioeänern  Alter, ‘denen  vulkanischen 
Tuff  entludtendc  Sandsteine,  Konglomerate  und  (Tathotam- 
ni(m-)Kalko  eingelagert  sind.  Tn  der  Gegend  von  Markt 
R'ohitsch  üherwiegt  der  tuffige,  bräunliche  Sandstein,  der 
besomb'rs  in  Kroatien  große  Ahn’hreitung  hesitzt,  hei  Heiligen- 
knuiz  und  in  Kroatien  südlich  des  ehen  erwälinten  Zuges 
von  S'f)tzkaschichten  dagegen  (hu-  (T/ilholamnicm-  oihvr 
E('i(lia-)Kalk,  Avährtmd  der  TJrspningsort  der  Hauplqnellen 
von  Bohitsch-Sauei-hniun  in  dem  flach  nach  lYord  fallenden 
uraiien,  in  der  Tieb'  f('sten  idergel  geleg(m  ist,  über  den  sich 
bi('r  di('  .Mluviouen  des  Irje-  und  Teichhae.hes  ausbrc'iten. 

Der  oben  crwähnle,  duredt  (‘inen  li(‘rrlicli(m  E(‘inj)lick 
b(d\annte,  88.ß  jn  hohe,  cl.w'a  8V2  km  ostiiordtist li(di  von 
Sauerbnuin  geh'ga'm*  Donatiberg  sl.clll  (‘in  a.ns  (hm  sandig¬ 
mergeligen  Bildungen  scharf  hervortretendes  Li tholanmien- 
Kalkriff  dar,  das  durch  seine  sehr  steilen,  stellenweise  senk¬ 
recht  und  sogar  ül)erhängend  stehenden  Gesteinschichten 
auffallend  ist.  Diese  außerordentlich  steile  Schichtstellung 
des  Lithotaninienkalkes  und  Konglomerates  läßt  hier  eine 
Störungslinie  veiinuten,  die  um  so  wahrscheinlicher  ange¬ 
nommen  werden  kann,  als  in  ihrer  westlichen  Fortsetzung 
nördlich  von  Sauerbrunn  Ersclieinungen  auftreten,  die  eben¬ 
falls  darauf  hinweisen,  daß  die  Erdoberfläche  hier  hedeu- 
teiide  Stöningen  erlitten  hat,  indem  mitten  in  den  miocäiien 
Bildungen  vereinzelte  Schollen  karhonischer  (und  vielleicht 
auch  permischer)  Gesteine  erscheinen,  wie  sie  eben  vom 
Wotsch  besprochen  worden  sind.  Von  R.  Ho  ernes  wurde 
diese  Stöiamgslinie  als  Donati-Störungslinie  bezeichnet. 

Eine  große  Wichtigkeit  ist  meines  Erachtens  den  vul¬ 
kanischen  Gesteinen  unserer  Gegend  beizulegen.  Es  ist  be¬ 
reits  erwähnt  worden, 'daß  in  den'miocänen  Bildungen  Sand¬ 
steinablagerungen  auftreten,  die  von  vulkanischem  Tuff- 
material  durchsetzt  sind  und  bisweilen  den  Mergel  ganz 
zurückdrängen.  Außer  den  Tüffsands feinen  nehmen  jedoch 
auch  massige,  feste  Eruptivgesteine  selbst  und  deren  Tuffe 
an  dem  Aufbau  des  Untermioeäns  teil.  Südöstlich  vom 
Wotsch,  am  Südfuß  des  aus  mioeänern',  grobkörnigen  Sand¬ 
stein  bestehenden  Pleschiwetz  zieht  sich  in  westöstlicher 
Richtung,  der  hier  allgemein  herrschenden  Streichungs¬ 
richtung,  ein  gegen  3  km  langer  und  etwa  V2  km  breiter 
/Vufhruch  eines  Hornhlende-Andesites  von  heller,  gelblicli- 
grauer  (in  fiischem  Zustande  grünlicher)  Farbe  mit  dazu¬ 
gehörenden  Tuffen,  während  gleich  südlich  von  Rohitsch- 
Sauerbrunn  bei  Tersisebe  und  mehreren  anderen  Stellen 
gegen  die  Sottla  imd  in  östlicher  Richtung  über  diesen 
Bach  hinaus  schon  in  Kroatien  leicht  zerfallende  Andesit- 
tuffe  von  gelblichweißer  und  grauer  Färbung  auftreten,  aus 


welchen  ösflich  vom  .Markt  Bohitsch  bei  Videna  und  hei 
St.  Rochus  (wieder  auf  steirischem  Gebiefe)  dmd\ler  fester 
Augit-Andesit  bervorfril  t. 

Wir  bal)en  alsO'  einen  mächtigen  Aufbriudi  von  Horn- 
blende-Andesit  nördlich  von  Sauerbrunn  und  ei.ne  Zone  von 
Andesittuffen  ndt  dem  Vorkommen  von  Augit-Andesit  anzw(‘i 
Stellen  östlich  von  IMarkt  Rohitsch,  w.äbrend  in  (h'ii  da¬ 
zwischen  liegenden  Sedimenten  vulkanisches  TuffTiiateiial 
eine  hervorragende  Rolle  spielt.  Mit  diesen  wichtigen  Zeugen 
einer  großartigen  eruptiven  Tätigkeit  lassen  sich  wohl  die 
kohlensäurereichen  Wässer,  die  von  der  Geogend  von  Kostiei- 
nitz  und  Unter-Gabernig  (Ignatzi-  mid  Königsbrunnen, 
Marienhrunnen,  Roisalien-  und  Bnhnerbrunnen)  angefangen 
bis  zu  den  der  steiennärkiseben  LiindscbaH  gehörigen  Säuer¬ 
lingen  bei  Rohitsch-Sauerbrunn  (Styria-,  Tenii)elbrunnen, 
«-ß-T-Brunnen  usw.)  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringen, 
indem  die  Kohlensänre(‘xhalationen  den  letzten  Rest  einer 
vulkanischen  Tätigkeit  darstellen,  die  in  der  Mioeänzeit  die 
Andesite  und  Tuffe  an  die  Erdoberfläche  gebracht  hatte. 

Das  in  den  Klüften  und  Gesteinsspalfen,  in  den(‘n  die 
Kohlensäure  eni[)orsteigt,  eingedrungene  Wasser  wird  mit 
dieser  bereichert  und  so  befähigt,  leichter  aus  dem  Gestein 
der  Umgehung  mineralische  Bestandteile  zu  lösen.  Auf  dies(' 
Weise  entstehen  kohlensaure  Gewässer,  die  je  nach  den  in 
ibnen  g(‘lös(en  Slofhui  verschiedenartige  ^Mineralwässer  dar¬ 
stellen.“ 

Die  erste  Analyse  des  Rohitscher  Mineralwassers  hat 
Gründel  im  Jabfe  1685  vorgenommen;  er  fand  außer  dem 
,, Brunnengeist“  auch  Eisen  und  alkalische  Bestandleile  und 
beobachtete,  daß  die  Quelle  bei  r(‘gn(‘risch(‘i‘  Witterung 
schwäciier  wurde.  1771  wurde  von.  Dr.  Dietel  ein(‘  Ana¬ 
lyse  ausgefübrt,  aiudi  ihre  Resultate  tragen  noch  ganz  d(‘n 
Gliai'akb'r  der  alten  Methoden  und  bi(‘ten  wenig  Braiudi- 
bares;  dann  folgte  1803  eine  Analysfg  die  der  A[)otbek(‘r 
Suess  in  Grraz  nacdi  Bergmanns  Mefbode  ausfübrtn  und 
1821  eine  Analyse  von  dem  Professor  am  .Toanneinn,  Doklor 
rjOr(‘nz  V.  Vest,  d(‘r(‘n  B(‘su1tate  v.  Vest  im  Grälz(‘r  Z(‘if- 
blatt  ,,Der  .Aufmerksame“,  1821,  Nr.  19,  veröfbmtlicht  ba(. 
Danach  enthält  ein  halbes  Wiener  Maß  =  40-5  TiOt  des 
Wassers : 


Kohlensäure . 

Kohlensäuren  Kalk . 

EisenO'xydul . 

Wasserfreies  Glaubersalz  .  .  . 

Kochsalz  . 

Wasserfreies  kohlensaures  Natron 
Feste  Bestandteile . 


1040 

23-7 

1-3 

8-7 

0-2 

23-6 

57-6 


Wiener 

Grane 


Kubikzolle 


Bittererde  weist  diese  Analyse  nicht  aus,  hei  einer 
früheren  Analyse  hatte  v.  Vest  ebenso'  wie  Suess  Bitter- 
erde  nachgewiesen. 


Außer  dieser  Analyse  der  Hauptquelle  werden  noch 
die  Analysen  der  Ferdinands-Quelle  (nach  dem  Grafen  Ferdi¬ 
nand  von  Attems  genannt)  und  der  Gotthards-Quelle  (nach 
dem  Abte  Gotthart  Kugelmeyer  genannt)  angeführt. 


Je  V2  Maß  der  Wässer  dieser  beiden  Quellen  enthält 


danach : 

i  l  '  i  '  - 

Ferdinands- 

Gotthard- 

rfiielle 

qdf’llp 

Kohlensäure  .... 

.  660 

76  0  Wiener  Kub.-Z 

Kohlensäuren  Kalk  .  . 

.  13  0 

6  0  Grane 

Bittererde . 

.  0  5 

Kohlen  saures  Eisen  .  . 

.  Sour 

0-4  .. 

Schwefelsaures  Natron  . 

.  33 

0-6  „ 

Salzsaures  Natron  .  . 

.  0-4 

0-3  „ 

Kohlen  saures  Natron 

.  18-3 

9-5  „ 

Feste  Bestandteile  .  . 

.  355 

25-8  „ 

1837  hat  Schrötter  das  Wasser  der  T((mpelquelle, 
dann  Prof.  Max  Buchner  in  den  Jahren  1874  bis  1884 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


liCÜ 


die  Wässer  der  Moritz-Qaelle,^)  der  Teiiipelciuelle^)  und 
der  Styria  quelle^)  analysiert. 

Büchner  erliielt  für  10.000  Gewichtsteile  des  Wassers 


der  S  t  y  r i  a  qii  e  1 1  e  folgende  Werte  : 

Schwefelsaures  Kalium  .  .  .  21292 

Schwefelsaures  Natrium  .  .  .  19-2772 

Salpetersaures  Natrium  .  .  .  0-0092 

Chlornatriimi .  0-9425 

Jodnatrium .  0  0003 

Saures  kohlensaur.  Natrium  .  .  14-2281 

Plrosph'orsaur.  Calcium  .  .  .  0-0274 

Saures  kohlensaur.  Calcium  .  .  8-3570 

Saures  kohlensaur.  Magnesium  .  45-3331 
Saures  kohlensaur.  Eisen  .  .  .  0-0G23 

Saures  kohlensaur.  Mangan  .  .  0-0386 

Phosphorsaure  Tonerde  .  .  .  0-0100 

Kieselsäure  . 0-4100 

Freie  Kohlensäure .  31-4969 


Ueherdies  werden  noch  Spuren  von  Baryum,  Stron¬ 
tium,  Lithium  und  Brom  nachgewiesen. 

Im  Herhste  des  Jahres  liat  der  Landesausschuß  in 
Steiermark  heschlossen,  eine  neue  Analyse  des  Wassers 
der  Styriacpielle  zu  veranlassen  und  uns  mit  deren  Aus- 
fülirung  hetraut.  Wir  haben  die  Vorarbeiten  an  der  Quelle 
am  3.  Januar  1905  besorgt,  die  gesamte  Analyse  wurde  bis 
Ende  Mai  1905  fertiggestellt. 

Dermalen  bestehen  in  Rohitsch-Sauerhinnn  sechs 
Mineralquellen,  nämlich:  die  Styriaquelle,  die  Tempel¬ 
quelle  mit  drei  Nehenquellen,  von  denen  nur  eine  in 
Stein  gefaßt  ist,  die  Josefs -Q'ue Ile,  die  Ferdinands¬ 
quelle,  die  Gotthard -Quelle  und  die  Waldquelle. 

Zur  Trinkkur  an  Ort  und  Stelle,  sowie  zum  Versand 
diente  ausschließlich  das  Wasser  der  Styriaquelle  und 
Tempel  quelle,  während  das  Wasser  der  Nehenquellen  von 
der  Tempel  quelle  und  der  anderen  genannten  vier  Quellen 
nur  zur  Herstellung  von  Mineralbädern  verwendet  wird. 

Die  Tempelquelle  und  die  Styriaquelle  sind  in  Nabre- 
sinamarmor  gefaßt.  Diese  Fassung  von  kreisrunder  Basis 
ist  von  einer  80  cm  dicken  Betonschichte  bis  zum  Felsen¬ 
grunde  herab  umgehen,  an  die  Betonschichte  schließt  sich 
eine  1  bis  2  m  dicke  Schichte  von  gestampftem  Lehm 
an.  Der  Durchmesser  der  Marmorfassung  beträgt  hei  der 
Tempelquelle  85  cm,  hei  der  Styriaquelle  80  cm,  die  Tiefe 
des  Brunnens  von  der  Erdoberfläche  bis  zur  Quellsohle 
hei  der  Tempelquelle  3-55  m,  hei  der  Styriaquelle  3-17  m. 
Die  beiden  Quellen  sind  voneinander  40-8  m  entfernt;  die 
Aldaufröhren,  in  denen  das  Wasser  zum  Füllschachte  fließt, 
sind  in  geringer  Höhe  über  den  Quellsohlen  angehracht, 
nämlich  0-155  in  im  Tempelhrunnen,  0-05  m  im  Slyria- 
hrunnen;^)  die  Entfernung  des  Füllscliachtes  von  den  beiden 
Quellen  beträgt  50-3  m,  hzw.  35-1  m.  Im  Füllschachte, 
der  erst  seit  einigen  Jahren  besteht  und  mit  den  besten 
Einrichtungen  versehen  ist,  werden  die  Flaschen  für  den 
Versand  gefüllt  und  ferliggestellt. 

Die  beiden  Bnmnen  sind  durch  tempelaiiige  Bauten 
vor  den  Wittenmgseinflüssen  geschützt. 

Die  Temperatur  der  Styriaquelle  haben  wir  am 
3.  Januar  1905,  um  10  Uhr  vormittags  bestimmt;  sie  hefrug 
lO*^  C;  zur  seihen  Zeit  war  die  Lufttemperatur  — 10-2®  C, 
der  auf  0®  reduzierte  Barometerstand  749-8  mm.  Herr 
Direktor  Dr.  Mulli  teilt  uns  mit,  daß  die  1903  und  1904 
in  den  verschiedenen  Jahreszeitmi  vorgenommenen  Messun¬ 
gen  der  Quellentemperatur  zwischen  9-2®  C  und  11-2®  C 
gezeigt  haben. 

Sitzungsbericht  d.  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Mathem.-naturw.  Klasse,  H.  Abt.,  71.  Bd.,  S.  309  bis  314. 

0  Daselbst  73.  Bd.,  S.  221  bis  227. 

®)  Die  Ergebnisse  dieser  Analyse  scheinen  nicht  veröffentlicht 
worden  zu  sein,  wir  haben  dieselben  einem  schriftlichen  Berichte  an  den 
Landesausschuß  entnommen. 

®)  Die  Ueberfallrohre  sind  1-3G8,  hzw.  1-085  m  über  der  Sohle  an¬ 
gebracht.  Die  Brunnenkränze  ragen  0-790  m  über  die  Erdoberfläche  empor. 


Das  frisch  geschöpfte  Wasser  der  Styriaquelle  ist  klar 
und  farblos,  es  riecht  und  scluneckt  erfrischend,  wie  die 
kohlensäurereichen  Säuerlinge;  es  färbt  blaues  Lacknius- 
papier  violett,  nach  dem  Eintrocknen  blau.  Beim  Stehen 
des  Wassers  in  einein  offenen  Gefäße  entweichen  Kohlen- 
säurehläschen  und  tritt  nach  und  nach  Trübung  und  Aus¬ 
scheidung  eines  reichlichen  weißen  Niederschlages  ein ;  diese 
Veränderung  erfolgt  rasch,  wenn  die  Wässer  erwärmt 
werden.  1  ;  |  ! 

Die  qualitative  Analyse  wies  in  dem  Wasser  der 
Styriaquelle  folgende  Bestandteile  nach:  Kalium,  Cä¬ 
sium,  Rubidium,  Natrium,  Lithium,  Ammoniak, 
Calcium,  Strontium,  Baryum,  Magnesium,  Eisen, 
Mangan,  Aluminium,  Schwefelsäure,  Chlor,  Brom, 
Jod,  .Borsäure,  Phosphorsäure,  Kieselsäure, 
Kohlensäure,  Salpetersäure,  Ameisensäure  und 
nicht  flüchtige  organische  Substanzen. 

Die  Untersuchung  eines  Stückes  von  kompaktem 
Quellensinter,  der  sich  im  Laufe  der  .fahre  in  einem  Leitungs¬ 
rohre  abgeschieden  hatte,  ergab  überdies  noch  die  Anwesen¬ 
heit  von  Arsen-  und  Titansäure- Spuren. 

Von  diesen  Bestandteilen  wurden  nach  erprohlen  ]\Ie- 
thoden  quantitativ  bestimmt:  Kalium,  Natrium,  Lithium, 
Ammoniak,  Calcium,  Strontium,  Magnesium,  Eisen,  Mangan, 
Aluminium,  Schwefelsäure,  Chlor,  Brom,  Jod,  Phosphor¬ 
säure,  Borsäure,  Kieselsäure,  Kohlensäure,  Salpetersäure 
und  nicht  flüchtige  organische  Substanz  (organischer  Kohlen¬ 
stoff).  Alle  übrigen  aufgezählten  BesJandteile  wurden,  da 
sie  sich  nur  spurenweise  vorfinden,  nur  qualitativ  nach¬ 
gewiesen. 

Die  quantitativen  Bestimmungen  der  einzelnen  Be¬ 


standteile  ergaben  folgende  Mittelwerte  für  10.000  g  Wasser: 

Kaliumoxyd . 0-254 

Natriumoxyd . 14-434 

Lithiumoxyd . 0-004 

Ammoniak . 0-027 

Calciumoxyd . 3-166 

Strontiumoxyd . 0-032 

Magnesiumoxyd . 11-369 

Eisenoxyd . 0-043 

Manganoxydul . .  0-004 

Alumiiiiiunoxyd  . 0-001 

Schwefelsäureanhydrid  ....  11-162 

Chlor .  0  509 

Brom  . . 0-001 

.Jod  .  0001 

Pliorphorsäure'i.nhydj'id  ....  0-003 

Borsäureanhydrid . 0-062 

Salpetersäureanhydrid  ....  0-018 

Kieselsäureanhydrid . 0-455 

Kohlensäureanhydrid . 61-084 

Organischer  Kohlenstoff  .  .  .  .  0-149 

Kontrollsulfate,  gefunden  .  .  .  75  613 

Kontrollsulfate,  herefdmet  .  .  .  75-244 

Die  folgende  Tabelle  enthält  die  Bestandteile  des 
Wassers  in  Gramm-Ionen  für  1000  g  Wasser: 

K  .  .  .  0-000539  CI  .  .  .  0-001436 

Na  .  .  .  0-046486  Br  .  .  .  0000001 

Li  .  .  .  0-000027  J  ...  0-000001 

NH,  .  .  .  0-000158  PO,  .  .  .  0-000004 

Ca  .  .  .  0-005654  B,0, .  .  .  0  000045 

Sr  .  .  .  0-000031  NO3  .  .  .  0000033 

Mg  .  .  .  0-028169  CO'H  .  .  0-085579 

Fe  .  .  .  0-000054  CO.^  .  .  .  0-053234 

Mn  .  .  .  0-000006  AlgO^  .  .  O’OOOOOl 

SO,  .  .  .  0-013942  SiO,  .  .  .  0-000753 

Werden  nach  altem  Usus  die  Bestandteile  zu  Salzen 
gruppiert,  so  gelangt  man  zu  folgender  Darstellung: 

Schwefelsaures  Kalium  ....  0-470 
Schwefelsaures  Natrium  ....  19-436 
Chlornatrium  .  0  840 


Nr.  13 


387 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Bromiiatriulii  .  0  001 

Jiodiiatriiim  .  .  .' .  0001 

Piiospliorsaiurcis  Natrium  ....  0  005 

Borsaiires  Natrium . 0  000  - 

Salpetersauros  Natiium  ....  0028 

Ivolilei) saures  Natrium  ....  9 -323 

Kohlensaures  Lithium . 0  010 

Kohlcnsaures  Ammonium  .  .  .  007() 

Ivohlensaures  Calcium  ....  5-65-1 

Kohlensaures  Strontium  .  .  .  0046 

Kolilensaures  Magnesium  .  .  .  23-763 

Kohlensaures  Eisen . 0-063 

Kohlensaures  Mangan  ....  0-006 

Aluminiumoxyd  . 0-001 

Kieselsäureanhydrid . 0-455 

Kohlensäure,  hlalhgel)U mien  .  .  .  18-828 

Kohlensäure,  frei .  23  428 

Organischer  Kohlenstoff  ....  0-149 


Summe  der  festen  Bestandteile  60-268 

Den  in  dieser  Tabelle  enthaltenen  Werten  für  die 
normalen  kohlensauren  Salze  entsprechen  folgende  Werte 
für  die  sauren  kohlensauren  Salze  (Bikarhonate) : 


Natriumhikarbonat  .... 

.  14-773 

Lithiumhikarh'Oiiat  .... 

.  0-018 

Amiiioniuinhikarboiiat .... 

.  0-125 

Calciumhikarh'Oiiat  .... 

.  9-160 

Stroütinmhikarbonat  .... 

.  0-065 

Alagiiesiiimbikarbonat  .... 

.  41-234 

Eisen])ika.rbmiat  . 

.  0-09(5 

Man  gaiibikarb'onat . 

.  0010 

Drückt  man  nach  dem  Vorschläge  von  C.  v.  Than 
die  Zusammensetzung  in  Aequivalentprozenten  der  Bestand¬ 
teile  aus,  so  gelangt  man  zu  folgendem  Ergebnis : 


K  .  .  . 

.  0-469 

V2SO,  .  . 

.  24-240 

Na.  .  . 

.  4-0-410 

CI  .  .  . 

.  1-248 

Li  .  .  . 

.  0-023 

Br  .  .  . 

.  0-001 

NH,  .  . 

.  0-137 

J  .  .  . 

.  0001 

VoCa  .  . 

.  9-829 

V,PO,  .  . 

.  0-011 

V.,Sr.  .  . 

.  0-054 

V.,B,0,  .  . 

.  0-077 

V.Mg.  .  . 

.  48-974- 

NO.,  .  . 

.  0-029 

V,Fe.  .  . 

.  0-094 

CO3H  .  . 

.  74-393 

V-.Mn  .  . 

.  0010 

100-000 

100-000 

Al.,0, 

.  .  .  0-001 

SiOa  . 

.  .  .  0-655 

CO,  . 

.  .  .  46-276 

B  e  s  t  i  in  ni 

11  n  g  des 

s p e z i f i s c li e n  Gewi 

ch  te  s. 

Das  sivezifische  Gewicht  wurde  wegen  der  in  dem 
Wasser  enthaltenen  großen  Menge  freier  Kohlensäure  mit 
dem  Apparat  von  E.  L  ud  w i  g  hei  der  Temperatur  des  schmel¬ 
zenden  Eises  hestimmt.  Es  betrug  auf  destilliertes  Wasser 
von  derselben  Temperatur,  als  Einheit  bezogen:  1-008166. 


Bestimmung  des  Gefrierpunktes. 

Die  im  Beckmann  scheu  Apparat  vorgenommene  Be¬ 
stimmung  ergab:  — 0-32®  C. 

Daraus  ergibt  sich  die  Zahl  der  Gramm-Molen  und 
-Ionen  im  Liter  und  der  osinotische  Druck,  wie  folgt: 

Gramm-Molen  und  Osmotischer  Druck 
-Ionen  im  Liter 

0-175  2-14-  Atm. 


Bestimmung  der  elektrolytischen  Leitfähigkei 
Kapazität  des  verwendeten  Gefäßes:  C  =  0-17596. 

Temperalur  x 

9-2®  C  0-005141 

9-8®  C  0-005228 

10-0®  C  0-005295 

10- 6®  C  0-005391 

11- 2®  C  0-005500 


Das  der  Quelle  frei  entströmende  Gas  ist  reines  Kohlen¬ 
dioxyd;  es  wird  von  Kalilauge  bis  auf  einen  minimalen 
Best  alisorhiert. 

Das  Wasser  der  Styriaquelle  in  llohitsch-Sauerhrunn 
gehört  zu  den  alkalisch-salitnschen  Säuerlingen.  Es  ist  mit 
Kohlensäure  gesättigt  und  durch  einen  großen  Gehalt  an 
Magnesiumhikarhonat  ausgezeichnet. 

Außer  den  von  Prof.  Buchner  nachgewiesenen  B(v 
standteilen  haben  wir  durch  unsere  Analyse  noch  weiter 
sechs  Bestandteile  aufgefunden,  nämlich,  Cäsium,  Ru¬ 
bidium,  Ammoniak,  Arsen,  Titansäiirb  und  Amei¬ 
sensäure.  Arsen  und  Titansäure  ließen  sich,  wie  schon 
früher  erwähnt,  im  Quellensinter  nachweisen. 

Wird  unsere  neue  Analyse  mit  der  Analyse  von 
Buchner  verglichen,  so  ergibt  sich  folgendes:  Der  Gehalt 
der  Styriaciuelle  an  festen  Stoffen  hat  sich  in  diesem  Zeit¬ 
raum  nicht  nennenswert  geändert,  denn  die  geringen  Diffe¬ 
renzen  der  analytischen  Ergebnisse  lassen  sich  durch  die 
verschiedenen  angewendeten  Methoden  und  unvermeidlichen 
Versuchsfelder  ungezwungen  erklären.  Dagegen  beruht  die 
Angabe  Buchners,  daß  das  Wasser  der  Styriarpielle  in 
10.000  g  31-4969  g  freie  Kohlensäure  enthält,  auf  einem 
größeren  Bechen-  oder  Beobachtungsfehler,  denn  diese  Zahl 
ist  mit  dem  Ahsorptionskoeffizienten  der  Kohlensäure  ab¬ 
solut  nicht  in  Einklang  zu  bringen. 


{Referate. 


Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie. 

Von  Olaf  Hamiiiarsten,  ehern.  Professor  der  mediz.  und  physiol.  Chemie 

an  der  Universität  Upsala. 

Sechste  völlig:  umgearbeitete  Auflage. 

836  Seilen. 

Wiesbaden  1907,  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 

II  am  mars  tens  rülimlicirst  bekanntes  Lelirbncli  der 
physiologischen  Clieniie  liegt  mmniebr  in  seiner  sechsten  Auf¬ 
lage  vor.  Seitdem  Ilammarsten  im  Jahre  1890  die  zweite 
schwedische  Auflage  seines  Werkes  in  die  deutsche  Sprache  über¬ 
tragen  war,  war  demselhen  eine  aiißierordentlich  wichtige  Rolle 
in  allen  Werkstätten  physiologisch-chemischer  Forschung  he- 
schieden.  Es  ist  wohl  kaum  zuviel  gesagt,  daß  alle  jüngeren 
Riochemiker  Deutschlands  und  Oesterreichs  in  einem  gewissen 
Sinne  als  Schüler  Ham  mars  tens'  gelten  können,  insoferne  woh! 
eiif  jeder  von  ihnen  gewolnd  ist,  aus  'dieseiri  Buche  immer  und 
immer  wieder  Relehrung  zu  schöpfen. 

Hammarsten  hat  es  stets  verstanden,  sein  durch  Klar¬ 
heit,  Gründlichkeit  und  strengste  Objektivität  ausgezeichnetes  Werk 
auf  der  Höhe  moderner  Wissenschaft  zu  halten  und  so  hat  denn 
auch,  der  rapiden  Entwicklung  der  physiologischen  Chemie  ent¬ 
sprechend,  die  vorliegende  secliste  Auflage  eine  völlige  Ihii- 
arheitung  erfahren. 

Der  Plan  des  Buches  ist  im  ganzen  unverändert  gehliehen. 
Die  Mitteilung  einer  Kapitelül)ersicht  dürfte  denselben  am  besten 
veranschaulichen:  1.  Eiideitung;  2.  die  Proteinstoffe,-  3.  die 
Kohlehydrate;  4.  das  Tierfett;  5.  die  tierische  Zelle;  6.  das 
Blut;  7.  Chylüs,  Lymphe,  Transsudate  und  Exsudate;  8.  die  Leber; 
9.  die  Verdauung;  10.  Gewebe  der  Bindesuhstanzgruppe ;  11.  die 
Muskeln;  12.  Gehirn  und  Nerven;  13.  die  Fortpflanzungsorgane ; 
14.  die  Milch ;  15.  der  Harn ;  16.  die  Haut  und  ihre  Ausscheidungen ; 
17.  Chemie  der  /Mmimg;  18.  der  Stoffwechsel  hei  verschiedener 
Nahrung  und  der  Bedarf  des  Menschen  an  Nahrungsstoffen. 

Otto  V.  Fürth  (Wien). 

* 

Stimmbildung  und  Stimmpflege. 

Gemeinverständliche  Vorlesungen  gehalten  von  Dr.  med.  Hcrinauii 
Gntzmauu,  Privatdozenten  an  der  Universität  Berlin. 

Wiesbaden  1 906,  Bergmann. 

In  zehn  Vorlesungen,  die  Verf.  im  Auftrag  der  Stadt  Ham¬ 
burg  über  Stimmhiklung  und  Stimmpflege  gehalten  hat,  wird 
in  klarer  und  gemeinverstäudlicher  Weise  das  Thema  ahgehan- 
delt.  Nach  einer  durch  zahlreiche  Illustrationen  und  Experi¬ 
mente  erläuterten  Darstellung  der  Anatomie  und  Physiologie  der 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Atnniiigsorgane  bespriclil  Vcrf.  die  Knt.sleluing  iitid  Jbilwicl'limg 
der  Sliinnie,  sowie  den  St ininiansalz.  Die  weilnren  Vorb'snngen 
betreffen  die  Slörnngen  der  (l('sangs-  und  S])i'eelislininH‘  und 
die  Maßnalinien  zn  ihi'i'r  Vcnliiilnng,  lianplsäeblicb'  init  Jiüek- 
sicld  auf  die  Sebnie.  Das  Jbieli,  w'elcln's  in  ei-slej’  Linie  für 
Slinnn|)ädag(»g(‘n  und  lieiirer  Inlerc'sse  haben  düi’fie,  für  diese 
ist  es  ja  speziell  gesclirieben,-  wii’d  aber  aiieb  jedem  Kolb'gen, 
iler  sieh  l•aseb  über  dieses  Thejna  orientieren  will,  will¬ 
kommen  sein. 

♦ 

Die  Therapie  der  Kehlkopftuberkulose  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  den  galvanokaustischen  Tiefenstich  und 

äußere  Eingriffe. 

Von  Dr.  Ludwig  Oriinwald,  Rad  Reichenhall-Miinchen. 

München  1907,  Verlag  von  J.  F  Lehmann. 

Im  ersüm  Teile  des  vorliegenden  Werkes  weist  Verf.  anf 
die  Nolw<mdigk(*it  einer  Kritik  der  Therapie  bin.  Di(^  mannig¬ 
faltige  (leslallung  und  di(‘  prognosfisebe  V(M'scbiedeTdieit  dei'  ein¬ 
zelnen  Kälb'  je  nach  d(“r  laiverlelztlK'it  der  Oberfläclie,  den- 
i-age  der  Tn berkebb^pols  und  der  riewebsiH'aklion,  die  individuelle 
|{<'sislenz  und  di('  Kom])likalion  mit  rinngentnbei’knlose  sind  wicdi- 
tige  Kakloren  bei  der  Denrleihmg  des  Erfolges  von  lluM'apeidi- 
scbeii  !\1a tbia Innen  und  aus  der  Niebtl)eaebtung  dieser  Momente 
erkbirl  sieh  Vei'f.  di(‘  so  div(“rgi(nend(m  Meinungen  über  die  LokaT 
beliandlnng  der  E('b]kopfiuberknlose. 

Ans  den  Ibjslulaten  d('r  Therapie,  die  Verf.  aufslent,  sei 
bervorgeboben,  daß  V(nf.  betont,  eine  wirksame  Lokaltberapie 
müsse,  auch  bei  iniliahm  und  scheinbar  oberflächlichen  Erkran¬ 
kungen,  Ix'reits  in  die  T'iefe  greifen.  Dies  erscheint  begründet 
durch  die  histologischen  Ilntersuchungam  deis  Verfassers,  da  er 
ofl  li(d:  nnter  doj'  Oberfläche  noch  Tnberk('ldepots  fand.  Weil  es 
zur  \hubülung  diiekter  Schädem  von  Wichtigkeit  sein  dürfle, 
bei  lokallberapeiitischen  Maßnabmcn  die  unversehrte  Oherfläcbe 
nicht  zu  verletzmi,  sieht  Verf.  in  dem  galvanokansl ischen  Ticfen- 
slich  (‘in  V<'rfahren,  das  bald  umn-wartetc  Yerhreilung  finden 
dürfl('..  Am  Schlüsse  <les  ersten  d’eiles  werden  die  speziellen, 
Indikationen  für  endolaryngeale  Eingriffe  znsammengestellt ;  Für 
initiale  E.rkranknngen  funktionell  in  Anspruch  genommene  Par¬ 
tien  em|)fieblt  sich  Scliweigeknr  und  unschädliche  Mittel,  wie 
Sonnenbelichtnng,  Inhalationen  etc.  Geschwüre  von  geringerer 
Ansdelmung  sind  mit  Alilcbsäure,  Geschwüre  von  größerer  Aus- 
delmnng  mit  dem  Galvanokauter  zu  behandeln.  Bei  vermuteter 
Tiefenerstreckung  ist  der  galvanokaustische  Tiefenstich  anzuwen¬ 
den.  Gestielte  Depots  sind  ahzutragen.  Bei  ausgeh reiteter  Er¬ 
krankung,  deren  Beseitigung  endolaryngeal  ausgeschlossen  er¬ 
scheint,  kommen  äußere  Eingriffe  in  Betracht. 

Von  diesen  handelt  der  zweite  Teil.  Verf.  hat  aus  der 
Literatur  '93  Fälle  von  äußeren  Operationen  hei  Kehlkopf  tuber¬ 
kulöse  gesammelt,  dieselben  tabellarisch  nach  vcrschiedeiien  Ge¬ 
sichtspunkten  geordnet  und  stellt  nach  kritischer  Untersuchung 
des  Matei'ials  folgende  Indikationen  für  eine  äußere  Operation  auf: 

1.  Der  Zustand  des  Kehlkopfes  muß  die  Alöglichkeit  oder 
doch  Wbabrscheinlichkeit  der  Ausheilung  durch  allgemeine  oder 
endolaryngeale  Therapie  ausgeschlossen  erscheinen  lassen. 

2.  Der  Allgemcinzustand  muß  einen  größeren  Eingriff  zu¬ 
lassen.  :  I 

3.  Im  hisherigen  Verlaufe,  sowohl  dos  Lungen-,  als  dos  Kehl¬ 
kopf  prozesses,  soll  die  Widorstandsfähigk(‘it  des  Oiganismus  er¬ 
kennbar  sein,  lleilungsprozesse  auf  den  Lungen  sind  besser  zu 
beurteilen  als  scheinbare  Intaktheit  dieser  Organe. 

4.  Die  Sokretionsverhältnis'se  der  Lunge  müssen  eine  un¬ 
gestörte  Wundheilung  wenigstens  als  möglich  erscheinen  lassen. 

5.  Es  muß  möglich  erscheinen,  den  lokalen  Herd  durch 
den  i)rojeklieiten  Eingriff  vollständig  auszurotten. 

Vielleicht  wird  sich  die  Badikaloperalion  der  Kehlkopf¬ 
tuberkulose  hei  vorsichtiger,  im  Sinne  des  Verfassers  gestellter 
Indikation  trotz  der  hisheiägen  schlechten  Resultate  —  von  den 
93  Fällen  sind  nur  10  als  geheilt  (Heilung  länger  als  zwei  Jahre) 
zu  betrachten  —  neue  Freunde  ei'werhen ; -jedenfalls  kann  das 
ohne  di('  so  holiebte  kritiklose  Begeisterung  geschriebene  Buch 
(hm  Kollegen  zum  Studium  bestens  empfohlen  werden. 


Grundriß  der  Kehl  köpf  Krankheiten  und  Atlas  der 

Laryngoskopie. 

Von  Dr.  L.  GrUuwald,  Bad  Reicheiihall-Müncheri. 

M  ü  n  c  li  c  u  1907,  J.  F.  Lehmanns  Verlag. 

Del-  beslbekannle  G  r  ü  n  w  a  I  d  sehe  Atlas  lit'gt  in  zweiter 
Auflage  vor.  Verf.  hal  den  der  ersten  Auflagi;  laugidiigten  Text 
wesenilicli  erw('il(M-|,  so  daß  nun  Diagnoslik  und  'Pheraiiie  der 
Keblkopf(M-kranknngen  vollständig  berücksichtigt  sind,  ein  Um¬ 
sland,  der  zur  cveileren  Verlindl.iing  des  Buches  gewiß  htdlragen 
wird.  An  den  Bildern  ist  nur  wmiig  geändert.  Wünscbmiswert 
wäre  W(dil  die  Verhessmiing  einiger  dersidben  gewesen,  so  zum 
Beispiel  wird  wobl  niimiand  aus  Fig.  1  auf  T.  24  die  Diagnose 
„aknies,  entzündliches  Oedern“  machen  können;  Fig.  2  auf  T.  43 
muß  wegen  der  starken  Hötnng  der  Schleimhaut  eher  für  einen 
B('l i'opharyngealahszeß  als  für  eim^  Lordose  angesehen  werden. 
Vii'lh'ichl  würde  es  sich  auch  (unpfelihm,  die  .Anzahl  der  histo¬ 
logischen  Bihh'r  etwas  einzuschränken,  da  di(‘se  für  den  prak¬ 
tischen  Arzt  —  demselhen  ist  ja  das  Buch  wohl  lianidsächlich 
zugedacht  —  Aveniger  wertvoll  sein  dürften.  Es  wärim  dafür 
lieber  die  laryngoskopisclum  Bilder  zu  vermehren;  so  vermissen 
wir  z.  B.  ('ine  Abhildnng  des  Lai-ynxsklerom;s,  auch  wären  viel- 
h'icht  einige  sellemu-e  Erkrankungen  ahzubildeii,  wie  Lc'pra,  Pem¬ 
phigus  u.  a.  Die  Ausführung  der  Tafeln  ist  hei  dem  billigen 
Preise  des  Werkes,  obwohl  das  Koloi-it  nicht  immer  ganz  gut 
getroffen  ist,  eine  vorzügliche  zu  nennen. 

* 

Klinik  der  Bronchoskopie. 

Von  Herinajiii  v.  Sclirölter,  Dr.  phil.  et  med.  in  Wien. 

Jena  1906,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Deni  slattlichen  Bande  liegen  Untei-suchungen  zugrunde,  die 
Verf.  an  dem  großen  Materiah'  (h'r  medizinischen  nniv('rsitäls- 
klinik  seines  Vah'is  vorgi'uonnm'ii  hal.  Wie  wir  der  V(trr('de  ent- 
nebuK'it,  Iriig  sieh  Schrötler  u rsprüngli(.-h  mit  dem  (b'dankc'ii, 
(un  Hand  huch  der  'rracheobronehoskopie  herauszugehen,  in  (b'iu 
in  gleicher  A nsführlichkc'it  Methodik  und  Klinik  be’handelt  ',v('rden 
sollten.  Umstände  persönlicher  Natur  zwanga'U  ihn  j('doeh,  vor 
liegendes  Werk  in  ,,Avesentlich  g(d<ürzter  Form“  — -  <'S  umfaßt 
Irntzdo'in  noch  688  S('il('n  — ■  ('.rscheinen  zu  lassen. 

Doch  auch  in  dieser  Förth  bietet  das  Buch,  nament¬ 
lich  für  den  mit  den  Untersuchungsmethoden  schon  Ver¬ 
trauten,  eine  Fülle  des  Interessanten.  Man  merkt  nur  leider  dem 
Werke  die  ehvas  überhastete  Arbeit  ;in,  so  fällt  es  unangenehm 
auf,  daß  allein  38  Seiten  Nachträge  und  Ergänzungen  ausfüllen, 
ein  LTebelstand,  der  aber  leicht  und  cs  ist  zu  hoffen,  bald,  durch 
eine  zweite  Auflage  hehohen  werden  könnte. 

Im  allgemeinen  Teil  des  Buches  finden  wir  nach  einem 
kurzen  historischen  Ueberblick  technische  Rembrkungen.  Verfasser 
ist  es  niemals  vorgekommen,  daß  die  Einführung  der  Böhre 
vom  Mutide  aus,  wenn  er  dieselbe  gleich  hei  der  ersten  Uider- 
suchUng  forcieren  wollte,  mißglückt  wäre.  Erwähnenswert  er¬ 
scheint  die  Beschreibung  der  neuen,  nach  dem  Prinzipe  des 
leuchtenden  Stabes  von  L.  v.  Schrötter  konstruierten  Böhre, 
die  zweifellos  die  weitere  Aushreitung  der  neuen  Untersuchungs¬ 
methode  wesentlich  fördern  wird.  Die  Untersuchungen  wurdcJi 
stets  mit  Lokalanäslhesie  ausgeführt,  allgemeine  Anästhesie  an¬ 
zuwenden  sah  sich  Verf.  nie  genötigt,  doch  gibt  er  zu,  daß  zu 
operativen  Zwecken,  zur  Extraktion  von  Fremdkörpern,  speziell 
bei  Kindern,  die  Narkose  oft  nicht  zu  umgehen  sein  Avird. 

Verf.  heschreiht  ferner  das  von  ihm  verwendete  Instru¬ 
mentarium,  bespricht  speziell  eingehend  die  Amvendung  des 
Alagneten  zur  Extraktion  metallischer  Fremdkörper  und  gibt  ver¬ 
schiedene  Instrumente  an,  die  er  sich  erdacht,  aber  noch  nicht 
ausgeführt  und  angeAvendet  hat. 

Der  spezielle  Teil  enthält  gegen  GO  Krankengeschichten, 
die  zur  Genüge  demonstrieren,  Avelch  hoher  AVert  der  neuen, 
von  Killian  inaugurierten  und  von  ihm  und  seiner  Schule 
speziell  zur  Diagnose  der  Erkrankungen  der  Bronchic'ii  und 
der  Lunge  zuerst  angCAvendelen  Untersuchungsmethode  Iwi- 
zumessen  ist.  Fraglich  ei-scheint  uns  nui-,  ob  es  nicht 
besser  Aväi'e,  bei  hochfiebernden  und  herabgekommenen 
Individuen,  auf  diese  Untersuchungsart  mit  Rücksicht  auf  den 
Patienten  lieber  zu  verzichten,  da  sie,  wenn  auch  noch  so  ge- 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


389 


scliickl  ihirt'hjfiil'iihii,  für  den  Patieiileii  sleis  nnaugeneliiii  nml  | 
ormiidend,  off.  (|ua]voll,  ja  g('fährlich  sein  wird.  Vand.  hat  anc.li 
solclie  Ki'anke  uidersnclil,  vor  deren  llidf'rsnelning  andc're  wold 
aus  diesiMi  (iriinden  Abslanil  nelnnen  wdii'dfni. 

EingeleileL  wird  der  si)ezi(dle  Teil  mil,  eimu'  ilespreclnmg: 
ties  normalen,  endoskopiseluMi  Hihies,  gamau  wtoahm  dit'  pulsa- 
toriselien  und  resiiiraforisehen  Hewegungsiahänonunut  best  lu'i(d)e]i, 
W(d)ei  Verf.  aucli  stdiie  itbysiologisclien  llnlers'iKduingtm  sirtdfl. 
ll('rvorzuh(d)en  wäiam  form*!'  baui)l:sä(ddi(di  die  stdiömm  l'irfolgi!, 
die  Verf.  bei  cluajuisclien  Sbmosen,  durtdi  nuadianistdie.  Dila.- 
lalion  erzielte,  es  gadang  ibm  iji  eimun  Falb'  von  'ruberkulose. 
und  in  einigen  Fällen  von  Lues,  ilie  Itesbdtenden  Slenosen  foils 
daiu'rnd,  b'ils  vorübergeliend  zu  (u-weilern.  iMii  anerkenm'uswerler 
Offenbeif  ItericdileL  er  amdi  über  eiiu'ii  Fall  von  Slenose  des 
linkt'u  Hronclnis,  bei  dem  es  infolge  der  Dilalalionsversuebe  zur 
Piildung  eines  ialschen  Weges  kam. 

S('br  inleressanbilleoltacblungen  fimb'ii  sich  in  den  Kapibdn: 
(destdiwidsbt  dt's  'rracheoliromdnalbauines  und  Ileziehuttgen  des 
Bronchialbauines  zum  Aneurysma.  J)aßi  tis  alter  auch  dniadi  die 
Hrnmdioskoitie  nieht.  immer  möglich  ist,,  zur  rit  bl.igen  Diagnose¬ 
stellung  zu  gelangen,  zt'igen  die  KraiikengeschiidiLen  Ni’.  54  und 
Nr.  49.  Im  Falle  54  war  die  Diagnostt  Neoplasma,  des  Hronclnis 
gestellt,  wüiab'ii,  bei  eim*)'  Frobet'xzision  bt'hufs  bislologiscber 
Fnb'rsuchung  kam  es  zu  eiiu'r  tödlitdien  Hlntung,  diit  Aulopsie 
ergab  ein  Aiu'urysma  der  .Aorta,  das  den  Hronclnis  arrodiort 
halte.  Im  Fall  49  vväia'  die  Diagnose  nur  durch  die  Probe¬ 
exzision  sicherzustelb'n  gewi'sen,  die  wegen  Ab'rdacbt  ('ines  Aneu- 
ry.smas  wohl  mit,  Rücksicht  auf  Fall  54  unterlassen  wurdi'.  Die 
Vei'mulungsdia.gnose  Aneurysma.  bestät.igle  sich  bei  d(ir  Sektion 
nicht,  es  handelte  sich  um  (‘in  Karzinom.  Ausführlich  hebandelt 
ist  das  Kapit('l  Fremdkörper.  Verf.  teilt  si'chs  eigene  Fälle  mit, 
die  teilweise  schon  aus  der  Literatur  lu'kannt  sind;  trotz  ihta'r 
geringen  Anzahl  zeigen  sie  deullicdt  die  Leistungsfähigkeit  der 
Methode.  Leider  vermissen  wir  eine  tahellarische  und  slalislische 
Verarlu'itung  des  gesamten  imhlizierlen  Fremdkörpeiinaleidales, 
die  hier  wohl  nicht  fehh'n  sollte.  Vi'i'f.  verspricht  in  eiiu'r  späteren 
Milleilung  auf  die  Statistik  der  hronchoskoiusch('n  Fnundköi'per- 
fälh'  zurückzukommen. 

Die  sorgfältige  Benützung  der  fiiteralur,  die  ausführliche, 
nicht  einseitig  spczialistische  Hearheitung  des  Materiales,  zahl- 
reicdie  gegebene  Anregungen  zu  weiteren  llntersiudmngen,  machen 
das  Huch  besonders  wertvoll,  nicbt  zulelzt  auch  die»  s(diöne  Aus¬ 
stattung  mit  72  Ahhildungi'U,  speziell  aber  die  ausgezeichmden 
farbigen  Tafeln  mit  I ra(dieo-broncboskopis(di(“n  Ib'funden  am 
Schlüsse  des  Randes,  0.  Kahler. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

1 51 .  lieber  Choledoch  o  d  node  n  u  m  a  n  a  s  t  o  m  o  s  e.  Von 
Prof.  ,1.  A.  Rosenberger,  AVürzburg.  Bei  einer  49jäbrigi‘u 
Frau  bestand  seit,  über  zwei  Monaten  bochgradiger  Ikterus.  Heller 
Stuhl,  grünlicdi  gefärbter  Urin  bei  gleichzc'il.ig  hocdigradiger  Ab¬ 
magerung,  Schmerzen  und  Magenbc'schwerden ;  fc'rner  konnte  eine 
längliche,  von  der  Leber  bis  zur  Ib'ocökalgegend  reichende  Cie- 
scbwulst,  die  als  vergrößiei'te  Gallenblase  gedeutet  wurde,  iial- 
idort  worden.  Unter  der  Annahme,  A^erschluß  der  Gallenwege, 
wahrscheinlicli  durch  ein  Karzinom  oder  durch  Gallensteine  wurde 
die  Laparotomie  ausgeführt;  man  fand  weih'i'  dl('  geringste  Stein- 
hildung,  noch  einen  Tumor;  bei  Druck  auf  die  gc'füllte  Galb'ii- 
blase  sab  man  den  Choledochus  anschwellen.  Fs  wurde  die 
Zyslekf.omie  ausgefübrt  und  drainiert.  Die  Patientin  erholte  sich 
rasch;  der  Ikterus  verscdiwand.  Als  aber  nach  zirka  fünf  Wochen 
das  Drainrohr,  aus  (h'in  Gallo  ahfloßi,  entfernt  worden  und  die 
Fislelöffnnng  in  kürzester  Zi'it  verheilt  war,  trat  wieder  Gelb¬ 
färbung  der  Haut  mit  starkc'in  .Tiickreiz  auf.  Auf  Wunsch  der 
Patientin  wurde  die  Relaparotoimie  gemacht.  Der  Zystikus  wa.r 
ohliteiiert,  hingegen  der  Choledochus  zu  einerU  weichen,  dickeren 
Schlauch  angeschwolh'ii.  Fs  konnte,  abermals  weder  ein  Stein, 
noch  ein  Tumor  gelastet  werden.  So  wurde  der  Chohuhx’hus 
ca.  IV2  cm  lang  inzidiert.  Fine  eingeführte  'Sonde  konnte  nicld, 
bis  in  den  Darm  Vordringen.  Nacb  Längsinzision  des  Duodenums 
ca.  4  cm  lang  wurde  dieses  abgelastel  und  (la.  man  di(‘  Sond«' 
im  Choledochus  an  der  Papille  durchfühlen  konnte,  ein  narbiger 


Verschluß  der  Fimnündiingsstelle  in  das  Duod(‘Uum  angenommeu. 
Verf.  stellte,  nacluh'in  der  längere  Schnitt  im  Duodenum  durch 
Seidennähle  zurc'chtgepaßit  war,  durch  Vernähung  d(‘r  Inzisioiu'ii 
nach  den  Prinzipien  (hsr  Darmanaslomos('  (‘iiui  .Anaslomosf' 
zwischen  Chol(‘do(duis  und  Diiodenmn  lu'r.  Fs  Irat  bald  ein 
normales  Ih'finden  (dn.  Zebu  Monate  nacb  d(‘r  ()p(‘ralion  sieht 
die  Palienlin  blühend  aus  und  fühlt  sich  vollkommen  g(‘sund. 
Nachdem  bislu'r  eine  lidekliou  der  Leber  durcdi  Hi'udvfluß  von 
Darminball,  wi('  di('.s  von  Körte,  Kehr  u.  a..  lH‘oba(dit('l  wurde, 
nicht  erfolgl(',  ist,  du's  aiadi  (mudiih'in  Pal.  dinsdi  zi'lm  Monate 
gesund)  kaum  imdir  zu  (U’warlen.  Verf.  hatte  zu  glei(di('i'  Zeit 
liei  einer  amb'ren  Patientin  weg('n  chrouisclK'm  Ikterus  eineChole- 
zysteidx'i'oslomie  ausgeführt;  diese  Palienlin,  sowie  zwei  gb'iche 
Fälle  aus  früherei-  Zeit  Ix'fanden  si<di  ]m)sI.  opc'raliouem  nicbt 
sowohl  wie  die  Palientin  niiit  d(‘r  ChohMlocln.duodenumanaslomose, 
weshalb  der  Autor  di(‘se  Ix'i  Fällen  mit.  tiefsilzendem  Hindernis 
des  Galh'nabflusses  ganz  allgem<‘in  zur  Frwägung  und  Nach- 
abmung  empfiiddt.  —  (Deutsche  Zi'itsFhrift  für  Cbiiurgie  1900, 
Rd.  85.  —  F('st.schrift  für  v.  Hergmann.)  F.  11. 

1 52.  U  e  1)  e  r  die  S  c  h  w  i  e  i’  i  g  k  e  i  t  d  er  Diagnose  f  r  ('  i  e  r 

P 1  e  u  r  a.e  r  gü'S  s  e.  Von  C.  Siimon  und  P.  Ameuille.  Dii*  Dia¬ 
gnose  f]-('i(‘r  Pleuraergüss('  stützt  si(di  aid'.  Dämjd'ung  in  den  ab¬ 
hängigen  Thoraxparlien  mit  gesteigerter  Hesislenz  bei  Palliation. 
Aufbebung  des  Slimmfix'initus,  sowie  Abschwäcdiung  oder  Febhm 
des  vesikulären  Atmungsgeräusches.  Man  findet  selten  diesi' 
Zeichen  vollständig  vereiid  und  es  kann  jeih'S  ('inzeln  Vorkom¬ 
men,  ohne  daßi  ein  frei('r .  Frguß  in  Vier  Pleurahöhle  vorhanden 
ist.  Seihst,  die,  Dämpfung  kann  bei  Pleuraergüssen  f(‘hlen  und 
es  findet  sich  die  Angabe,  daß  ein  Lungenemphysem  ein  Fx- 
sudat  von  eiiu'in  Liter  vollsländig  maskieren  kann,  in  welchem 
Sinne  auch  eine  von  den  Verfassern  milgeteilte  Heohacdilung 
spricht.  Als  wesentli(dies  dffferenlialdiagnoslisches  Zeichen  dei' 
Pleuritis  gegenüber  anderen,  Dämpfung  erzeugenden  Affektionen 
der  Brustorgane,  wird  das  Fehlen  des  Stimmfremilus  tangidührt, 
doch  gibt  es  auch  Fälle  von  Lungenkongestion,  wo  der  Stinim- 
fremitus  fehlt,  anderseits  Fälle  von  pleuritischen  Frgüssen,  wehdie 
nicht  zur  Aufbfebung  des  Stimmfremitus  führen.  Abschwäcdiung 
oder  Aufhebung  der  Atmungisgeräusche  wird  auch  bei  Pneumo¬ 
thorax,  massiver  Pneumonie  und  verschiedenen  Lungeniiifiltra- 
lionen  beobachtet,  während  es  Fälle  von  Pleuritis  gibt,  wo  nicht 
nur  die  normalen  Atmungsgeräusche,  sondern  auch  Kuistoj'- 
rasseln  du  i  ch  das  Fxsudat  hindurch  wahrgenomm(*n  wird.  Di(' 
diagnostisch  wertvolle  Amrschiebung  der  Organe  bei  linksseitiger 
Ideuritis  wird  aucdi  bei  Pnemnothoiax,  manchmal  sogar  bei  PiU'U- 
monie  beobachtet.  Fs  gibt  demnach  kein  für  Ph'urilis  pallu»- 
gnomisches  Symptom  und  es  kann  ein  sicberer  .\ufs(dduß  nur 
durch  das  Frgebnis  der  Prohepunklion  gewonnen  werden.  Man 
muß  eine  Nadel  von  genügend  weitem  Lumen  mindesU'ns  8  bis 
10  mm  tief  einstechen.  Auf  Fehlen  eines  FrgUsses  kann  nur 
dann  gesiddossen  werden,  wenn  die  richtig  vorgenommeiu' 
Punktion  nur  etwas  Blut  oder  Luftblasen  liefert,  diin  negativer 
.Ausfall  der  Punktion  kann  durch  fehlerhafte  Te(dinik  oder  zu 
große  Viskosität  des  Exsudates  bedingt  sein.  Fs  gibt  auch  Fälb‘ 
von  sorofibrinösem  Frguß,  wo  die  Punktion  negativ  auslälll,.  Fs 
ist  dies  dann  der  Fall,'  wenn  die  verdickten  Pleiirawäiido  so 
starr  sind,  daß  sie  eine  Ausdehnung  der  famge  an  Stelle  der 
durch  Aspiration  zu  entziehenden  Flüssigkeit  nicht  geslatli'n. 
.Tedenfalls  inuß  mit  Rücksiidit  auf  die  relative  Unverläßli(dik('il 
der  Symptome  hei  Pleuritis  jeder  therapim tischen  Punkliou  (‘im; 
Prohepunklion  vorausgeschickt  werden.  —  (Arch.  gen.  de  nu'-d. 
190ß,  Nr.  41.)  a.  a. 

* 

153.  Aus  der  medizinischen  Abteilung  If  d('S  Bürgi'rspilals 
in  Slraßburg  i.  F.  (Direktor:  Prof.  Dr.  A.  Cabn).  Fin  Fall 
V  on  s  u  b  k  u  ta.n  e  m  Fmphysem  bei  L  u  n  ge  n  t  u  h  0  r  ku  1  0  s  e. 
Von  Dr.  Frnst  Krenckei’,  Assistenzarzt.  Suhkulaiies  Fmphysem 
bei  Lungentubei’kulose  ist  äußerst  sidten.  Verf.  konnte  nur  einen 
einzigen  Fall  in  der  Literatur  ausfindig  numhen  und  teilt  hier 
einen  zweiten  mit.  Am  22.  .April  1900  wurde  eine  27jährige, 
äußerst  abgemagerte  Frau  auf  die  Abteilung  aufgenommen.  Sie 
zeigt  ungc'wöbnliche  Dyspnoe,  leiebte  Zyanose,  Trommelschlägel¬ 
finger,  Fieber.  Die  Untersuchung  ergibt  beiderseitige  Lungiea- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


tuljerkulose.  Jiii  Spiitain  zahlreiche  Tubcrkelbazilleii.  Am  2G.  April 
trat  in  der  liegend  des  Juguluni  llauLemphyseni  auf,  das  immer 
släiker  Avurde.  Am  28.  April  reichte  es  nacli  oben  Ins  zum 
Kiefenvinkel,  nach  links  bis  an  das  Akromion.  Starke  Dyspnoe, 
Respiration:  40.  Am  nächsten  Tage  reicht  das  Eniphysem 
am  Halse  Jiach  hinten  bis  fast  an  die  Wirbelsäule  und  geht 
auf  die  unlerc  Schlüsselheingrube  über.  Abends  Exitus.  Die 
.\ulopsie  ergab  in  kurzem  das  starke  Emphysem  im  subkutanen 
Rindegewebe  am  Halse.  Ausgedehnle  Larynxulzerationen.  An 
der  linken  Lungenspitze  eine  große  Kaverne,  welche  dii'ekt  bis 
auf  den  Kostalraum  reicht.  Am  linken  Lungenhilus  ist  unter 
der  Pleura  viel  Luft  angesainmelt.  Die  rechte  Lunge  ist  fast 
ganz  in  Kavernen  aufgegaiigen.  Der  Unterlappen  und  der  ganze 
Ol)erlapi)en  enthalten  nur  ein  System  von  Kavernen.  Die  großen 
Rronchien  münden  unvermittelt  in  die  großen  Kavernen.  Zur 
Eiklärung  des  Emphysems  dachte  Verf.  zunächst  an  den  Durcli- 
bruch  einer  Kavernenwand,  welche  infolge  Verwachsungen  niclit 
zu  Pneumothorax  geführt  hatte.  Eine  zweite  Möglichkeit  konnten 
die  tiefgreifenden  Larynxgeschwüre  bilden.  Beide  Annabmen  be¬ 
stätigte  die  Autopsie  nicht.  Verf.  nimmt  an,'  daß  in  der  (legend 
des  linken  Lungenhilus  eine  Perforation  erfolgt  ist,  die  zunächst 
zu  interstitielleni  Emphysem  geführt  hat  und  daßi  die  Luft  sich 
von  da  den  Weg  zum  Bindegewebe  des  vorderen  Mediastinums 
und  des  subkutanen  Gewebes  des  Halses  und  der  obersten  Brust- 
parlien  gebahnt  hat.  Die  hei  Tuberkulose  seltenere,  erhebliche 
Atemnot  und  ungervöhnlich  krampfhafte  Hustens töße  führten  auch 
in  diesem  Ealle  von  Lungeiituberkuloso  ganz  in  derselben  Weise 
zu  kleinsten  Zerreißungen  ties  Lungenparenchyms,  wie  hei  Keuch- 
liusten,  Masern  und  Diphtherie.  —  (Münchener  mediz.  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  6.)  •  G. 

* 

154.  Hernia  the  tose  unter  der  Geburt.  Von  Dr.  Sieg¬ 

fried  Bauer.  An  der  Abteilung  für  Frauenkrankheiten  im  iVller- 
tieiligenhospilal  zu  Breslau  (Primärarzt  Dr.  B.  Asch)  wurde  eine 
IXpara  aufgenommen,  welche  schon  zu  Hause  eigentümliche  Stel¬ 
lungen  und  Bewegungen  der  rechten  Hand  gezeigt  hatte.  Sonst 
Wehen,  starke  Blutung,  keine  Kindeshewegungen.  Im  Spital  „fielen 
eigenartige  Bewegungen  der  Ober-  und  Untergliedmaßieu  der  rechten 
Körperhälfte  auf,  die  mehr  den  Unterarm,  intensiver  die  Zelieii, 
ani  meisten  die  Finger  betrafen.  Sie  imponierten  durch  ihre 
Stetigkeit  und  Langsamkeit,  durch  die  eigentümlichen  Beugungen, 
Streckungen  und  Ueherstreckungen,  durch,  die  Ab-  und,  Adduktionen 
als  typische  Athetoseheweguiigen.“  Sie  erinnerten  in  nichts  an 
choreatische  Zuckungen.  Auch  der  Mund  nahm  in  seiner  rechten 
Hälfte  daran  teil,  die  Zunge  wurde  nach  rechts  schleckend  liervor- 
gest reckt.  Systolisches  (anämisches)  Geräusch  an  der  Herzspitze, 
sonst  normale  Verhältnisse.  Urin  stets  eiweißfrei.  Diagnose :  Vor¬ 
zeitige  Plazentalösung  mit  sekundärem  Fruchttod.  Rlasenspi'en- 
gung,  Geburt  eines  fnschtoten,  sehr  anämischen,  kleinen  Kindes. 
Die  offenbar  schon  vorher  in  toto  gelöste  Plazenta  wurde  mit 
einem  lliesenkoagulum  sofort  nach  der  Gehurt  ausgestoßen.  Die 
typischen  Athetosehewegungen  dauerten  am  Tage  der  Geburt  noch 
in  derselben  Stärke  fort,  nachts  im  Schlafe  ebenfalls,  jedoch  fast 
ausschließlich  die  Finger  und  Zehen  betreffend;  am  nächsten 
Tage  geringe]',  waren  sie  am  dritten  Tage  ganz  geschwunden. 
Das  Wochenbett  verlief  ungestört.  Der  Verfasser  bespricht  das 
Vorkommen  der  Alhetose  nach  und  auch  vor  Hemiplegien  und 
Enzephalitis  der  Kinder,  bei  Tumoren,  Tuberkulose  etc.  des  Ge¬ 
hirns,  die  sogenannte  idiopathische  Athetose,  begleitet  von  Im¬ 
bezillität,  Idiotie  und  Epilepsie,  'mit  und  ohne  Erkrankun,gen  be¬ 
stimmter  Hirnteile.  In  seinem  Falle  muß  man,  da  andere  An¬ 
haltspunkte  (Hysterie,  Potus,  Lues  etc.)  fehlen,  die  Athetose  mit 
der  vorzeitigen  Plazentarlösung  und  schweren  Blutung  in  Ver- 
hindung  bringen.  Oh  die  Reizung  des  linken  Zerebrums,  irgendwo 
vielleicht  an  einer  Stelle  zwischen  Thalamus  opticus  und  Zero- 
bellum,  durch  die  Anämie  allein  oder  durch  eine  kleine  Blutung 
oder  vorübergehende  Embolie  (Zottenverschlepj)ung)  zu  erklären 
ist,  das  möchte  Verfasser  nicht  entscheiden.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  5.)  E.  F. 

* 

155.  Klinische  Be  tr  a  c  h  tu  n  g (>  n  h  e i  E  n  I  w e  i  ch u  n  ge  n 
G  (“  i  s  I  e  s  k  r  a  n  k  e  r.  Von  Oberarzt  Dr.  A  1  h  i’  e  c  h  t -  Treptow'  an 
der  Bega.  Auf  GJund  von  150  Fällen,  in  welchen  Geist<‘skranke 


übergeben  worden  waren,  entwichen, 
roße  Gruppen  voji  Entweichungen  unter- 
dieser  Gruppen  ist  durch  phudoses  Davon¬ 
laufen,  die  andere  durch  überlegtes  EntAveichen  gekennzeichmd. 
Eine  Unlei'gruppe  der  letzteren  bilden  die  Fluchtversuche  der 
verbrt'cherischen  Geisteskranken.  Albrecht  hespriiht  in  seiner 
Ai'beil,  Avelche  Krankheitstypen  in  der  einen  und  in  der  anderem 
der  beiden  Gruppen  hauptsächlich  verlreten  sind.  Die  Gruppe  der 
überlegten  Entweichungen  ist  die  weitaus  größte.  Hier  ist  auch 
in  den  meisten  Fällen  ein  bestimmter  Grund  für  das  Eidweichen 
maßgebend,  ln  nicht  seltenen  Fällen  erfolgen  Enlweichungen  von 
Geisteskranken  aus  durchaus  krankhaften  Beweggründen  heraus. 
Die  Zahl  der  Enlweichungen  beträgt  in  der  Anstalt  Treplow 
lO'Vo  der  Aufnahmen.  Männer  entweichen  häufiger  als  Frauen. 
In  der  überwiegenden  Anzahl  von  Fällen  regen  krankhafte  innere 
Vorgänge  zu  Fluchtversuchen  an.  In  den  Fällen  Albrechts 
führten  die  Entweichungen  wohl  gelegeidlich  zur  Verunglückung 
des  entwichenen  Geisteskranken,  nie  aber  zu  einer  Gefährdung 
des  Publikums.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie  und 
psychisch -gerichtliche  Medizin,  Bd.  63,  H.  6.)  S. 

♦ 

156.  (Aus  dem  livländischen  Feldlazarett  des  Roten  Kreuzi's 
im  russisch-japanischen  Kriege  1904/1905.)  Ueher  Indikatio- 
n  e  n  h  e  i  in  S  c  h  ä  d  e  1  s  c  h  u  ß  i  m  Kriege.  V on  Dr.  W.  v.  0  e  l- 
tingen,  seijierzei tigern  Chefarzt  des  Feldlazarettes  in  Eho  und 
Mukden.  WTihrend  in  früherer  Zeit  (besonders  vor  den  klein- 
kalihrigen  Geschossen)  und  auch  zu  Beginn  des  Krieges  Schädel¬ 
schüssen  gegenüber  eine  ahwartende  Haltung,  oh  sekundäre  Sym¬ 
ptome  auftraten,  deren  Ursachen  einmal  in  der  Blutung,  dann 
in  der  Infektion  lägen,  eingenommen  Avurde,  einigte  man  sich, 
durch  die  überaus  schlechte  Prognose,  die  das  konservative  Zu¬ 
warten  ergab,  nach  den  ersten  Kriegsmonaten  schon  mehr  für 
ein  aktives  Vorgehen,  eine  aktive  Prophylaxe,  die  die 
Infektion  nicht  bekämpfen,  sondern  ihr  Vorbeugen  soll.  Hiefür 
sprach  vor  allem  die  Erwägung,  daß  die  meisten  im  Lazarett 
sterbenden  Schädelschüsse  an  einer  Infektion  zugrunde  gehen 
(die  unschwer  durch  das  verwahrloste  Haar  und  die  schweiß- 
durchti'änkten  Älützen  erklärlich  ist) ;  Patienten,  die  der  Schwere 
ihrer  Gehirnläsion  erliegen,  erreichen  das  Lazarett  nicht  mehr 
oder  nur  auf  kurze  Dauer.  Die  Operation,  welche  im  Kriege 
meist  gemacht  wurde,  war  das  ,, Debridement“,  die  Freilegung 
der  Schädehvunde,  eventuell  unit  folgender  Drainage  mit  Drain¬ 
rohr  an  den  abhängigen  Teilen  des  Schädels  oder  mit  Docht¬ 
tamponade  an  den  hochgelegenen  Partien,  wie  Stirn  und  Scheitel. 
Von  51  Schädelschüssen,  über  Avelche  Verf.  berichten  kaiin,  sind 
nur  18  gestorben.  Nicht  operiert  wurden  19,  davon  starben  7; 
primär  operiert  wurden  20,  von  diesen  starben  4  (Vö);  sekun¬ 
där  wiu'den  12  operiert,  von  diesen  starben  7  (über  die  Hälfte). 
Unter  primärer  Operation  bezeichnet  Verf.  den  Eingriff  innerhalb 
der  erste.]!  24  Stunden.  Die  Indikationsstellung  erweist  sich  aber 
im  Kriege,  avo  jedes  prohatorische  Operieren,  als  zu  der  im 
Kriege  drakonisch  zu  unterdrückenden  Polypragmasie  führend, 
hintanzuhalten  ist,  als  überaus  sclnvierig;  als  ihre  Avertvollste 
Stütze  e]'scheint  die  Kenntnis  der  Mechamik  der  Schußver- 
letzunge]!  des  behaarten  Kopfes.  Aus  Gründen  der  ZAveckmäßigf 
keit  unterscheidet  der  Autor  schematisierend  de]i  S  treif  schu  IL 
den  S  t  e  c  k  s  c  h  u  ßi,  den  D  u  r  c  h  s  c  h  u  ß  und  den  Tange  n  t  i  a  1- 
schuß.  Ersterer  Avi]'d  als  Weichteilschuß  behandelt.  Der  Steck¬ 
schuß  ist  durch  das  Fehlen  des  Ausschusses  am  leichteste]!  als 
solcher  zu  erkennen.  Das  Geschoß  befindet  sich  in  der  Wunde, 
selten  im  Knochen,  meist  aber  tiefer.  Die  priniäre  Operalion 
ist  bei  diesen  nicht  durch  die  Lokalisation  der  IVunde  oder 
das  Stecken  eines  Geschosses  (außer  Avenn  es  in  der  AVunde 
liegt),  sondern  durch  den  C’harakter  der  KnochenAvunde  und  die 
funktionellen  Syniptonie  (Avenn  diese  durch  zunehniende  Blutung 
oder  durch  Splitterung  bedingt  sind)  indiziert.  Durchschuß 
und  Tangentialschuß  haben  Ein-  und  Aussclmßüffnung  ge¬ 
mein,  das  Geschoß  fehlt.  ObAvohl  sehr  scliAAuerig,  ist  die  erforder¬ 
liche  Diagnose  sehr  Avichtig,  Aveil  höchstens  die  Hälfte  aller 
Durchschüsse,  aljer  siclier  alle  Tangentialschüsse  zur  Operation 
kommen  sollen.  Die  Durchschüsse  Averden  unterschieden  in 
Quer-  und  Längsschüsse  (die  in  den  großen  Durchmessern  des 
Schädels  liegen)  und  in  Schrägschüsse.  Da  diese  uiitunter  einen 


Bao 


aus  der  Anstalt,  der  sie 
konnte  A 1 1)  r  e  c  h  t  ZAvei 
scheiden.  Die  eine 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


391 


Wundkaiial  von  G  cm  (auch  iiocli  weniger)  aiifweisen,  anclerseils 
Tangenlialschtisse  bis  10  cm  (und  darnl)er)  Länge  liaben,  so 
ist  zur  Diagnosenstellung  häufig  nur  die  Splitterung  an  der 
Knochemvunde  als  Kriterium  zu  verwenden.  Nur  in  seltenen 
Fällen  werden  Durchschüsse  zur  Operation  gelangen  ;  (dnerseils 
wegen  der  Kleinheit  der  Knochendefekte,  anderseits  wegen  der 
oft  zu  großen  Zerstörung.  Herdsymptome  indizieren  die  Operation 
nur  dann,  wenn  sie  durch  zunehmende  Blutung  oder  grobe  Splilte- 
rung  bedingt  erscheinen;  im  letzteren  Falle  ist  dann  der  Schuß 
meist  als  T  an  ge  n  ti  a  1  sc  h  u  E  zu  deuten.  Diese  wieder  worden 
unterschieden  als  Aufschlagschuß,  Furcliungsschu  ß  und 
als  tangentialer  Durchschuß.  Beim  ersteron  erscheint  die 
äußere  CHastafel  vom  abgeglittenen  Geschosse  etwas  oingebogen 
oder  fissuriert,  die  innere  hingegen  ist  stärker  zerstört  und  zer¬ 
splittert.  Ein-  und  Ausschuß  sind  meist  unregelmäßig,  nahe  neben¬ 
einander  oder  vereinigt.  Beim  Fu  r  dien  sch  u  ß  ist  der  Schädel 
wie  ,, aufgepflügt“,  der  Knochendefekt  viele  Zentimeter  breit  und 
bis  13  cm  lang.  Ein-  und  Ausschuß  sehen  zerrissen  aus,  brauchen 
aber  nicht  vereinigt  zu  sein;  oft  sind  sie  mit  Knochenteilen  voll¬ 
gestreut,  besonders  der  Einsch'uß.  Bei  der  dritten  Art,  dem  tan¬ 
gentialen  Durchschuß,  besteht  zwischen  beiden  Knochen¬ 
defekten  eine  Knochenbrücke,  Ein-  und  Ausschuß  zeigt  sich  so¬ 
wohl  in  der  Haut  als  im  Knochen  wie  beim  gewöhnlichen  Durcli- 
schuß.  Er  unterscheidet  sich  aber  von  jenem  durch  die  größere 
Knochenlücke  und  die  größere  Zerstörung  der  Hirn¬ 
schale.  Ist  die  Sum  m  e  der  beiden  K  n  o  c  li  e  ii  1  ü  c  k  e  n 
g r ö ß e r  a  1  s  die  Hälfte  d e r  K n o c h e n b r ü c k e,  so  kann  m a n 
den  Schuß  als  Tangentialschuß  betrachten;  ist  sie  aber 
kleiner,  so  spricht  man  besser  von  Durchschuß.  Es  ist  dies 
aber  deshalb  wichtig,  weil  letzterer  die  primäre  Operation  nicht 
oder  selten  indiziert.  Beim  Tangentialschußi  hingegen,  wo 
der  Verschmutzung  der  Wunde  durch  Haare  oder  TeTe  der  Kopf¬ 
bedeckung  bei  Anwesenheit  grober  Splitterung  fast  ausschlie߬ 
lich  eine  Infektion  folgt,  d  a  r  f  d  i  e  primäre  0  p  e  r  a  t  i  o  i\ 
nicht  unterlassen  werden;  die  sekundäre  Freilegung  führt 
nur  in  glücklichen  Fällen  (unverletzte  Dura)  zur  Heilung  (von 
zwölf  'sekundären  Operationen  starben  sieben).  Von  allge¬ 
meinen  Symptomen  bilden  Ausfallserscheinungen  (Paresen, 
Paralysen),  außer  durch  S]ditterung  bedingt,  sowie  Reizerschei¬ 
nungen,  gestörte  Psyche  keine  Indikation  zur  Operation.  Tem¬ 
peratur  und  Puls  sind  wichtig,  aber  nicht  unbedingt  verläß,- 
lich.  Daß  jeder  Hirnschuß  eine  Pulsverlangsamung  zeige,  wie 
frühere  Mitteilungen  besagen,  kann,  Verf.  nicht  bestätigen.  Eine 
stetige  Abnahme  der  Pulszahl  eines  niedrigen  Pulses,  mit  Zu¬ 
nahme  der  Schwere  in  den  übrigen  Erscheinungen,  spricht  sicher 
für  zunehmende  Blutung  und  indiziert  die  sofortige  Operation. 
Bezüglich  der  Schnittführung  empfiehlt  v.  Oettingen  einen 
Lappenschnitt  mit  der  Basis  nach  oben  (kein  Kreuzschnitt).  — 
(Langenbecks  Archiv  für  klinische  Chirurgie  1906,  Bd.  81,  T.  H 
—  Festschrift  für  v.  Bergmann.)  F.  H, 

* 

1 57.  Leber  das  Verhalten  des  H  e  r  z  v  o  1  u  m  s  bei 
der  chronischen  Lungentuberkulose.  Von  E.  Barie. 
Lange  Zeit  stand  die  Ansicht  in  Geltung,  daß  bei  der  chronischen 
Tuberkulose  das  Herz  an  Volum  zunimmt  und  die  Dilatation 
vorwiegend  das  rechte  Herz  betrifft.  Es  wurde  auch  auf  das 
schließliche  Auftreten  von  Trikuspidalinsuffizienz  infolge  von  Dila¬ 
tation  des  rechten  Herzens  hingewiesen  und  diese  Insuffizienz 
als  nützliches  Gegengewicht  des  gesteigerten  Druckes  in  den 
Aesten  der  Pidmonalarterie  aufgefaßt,  doch  blieb  diese  Anschau¬ 
ung  nicht  ohne  Widerspruch.  Zur  Entscheidung  der  Frage  ist 
es  notwendig,  die  Fälle  in  zwei  Gruppen  zu  sondern  u.  zw.  chro¬ 
nische  Tuberkulose  mit  Kavernenbildung  und  tlie  fibröse  Phthise 
der  Lungen.  Bei  der  ersten  Gruppe  ist  das  Verhalten  des  Herzens 
sehr  variabel.  Man  findet  manchmal  annähernd  normale  llei'z- 
größe,  häufig  ist  das  Herzvolum  verkleinerl  und  es  kann  diese 
Verkleinerung  bis  zur  echten  Atrophie  des  Herzens  gehen.  Es 
gibt  aiudi  Fälle,  wo  bei  normalem  Herzvolum  das  Myokard  auf¬ 
fallend  schlaff  und  von  einer  Fettgewebsschichte  bedeckt  ist. 
Fettige  Degeneration  der  Herzmuskelfasern  und  hypertrophische 
Sklerosierung  des  IMyokard  sind  als  ausnahmsweises  V^oi'kommtiis 
heschi'ieben  worden.  Bei  der  filnüsen  Phthise  wird  fast  aus¬ 
nahmslos  eine  Zunahme  des  Herzvolums  beobachtet,  welche  aus¬ 


schließlich  das  rechte  Herz  betrifft.  Diese  Volumszunahme  hängt 
ni(dit  so  sehr  mil  der  Tuherkulose  selbst,  als  mit  <len  die  fibröse 
Phlhisc  begleitenden  Veränderungen  —  Sklerosen  und  Emphysem 
des  Lungengewebes,  Bronchieklasie  und  Pleuraadhäsionen  zu¬ 
sammen.  Bei  der  chronischen  kavernösen  Tuherkulose  der  Lungen 
kann  hypertrophische  Dilatation  des  rechten  Herzens  unter  meh¬ 
reren  Bedingungen  auftreten,  wenn  nämlich  die  Tuberkulose  mit 
einer  organischen  Herzaffektion  vergesellschaftet  ist,  ferner  bei 
Kombination  der  Tuberkulose  mit  Stenose  dei‘  Pulmonalarterie, 
schließlich  bei  Bestehen  von  Slörungen  des  Verdauungstraktes, 
weil  von  hier  aus  durch  Reflexwirkung  ein  Si)asmus  des  (.tefäß- 
gebieles  des  kleinen  Kreislaufs  mit  konsekutiver  hypertrophischer 
Dilatation  des  rechten  Herzens  ausgelöst  wird.  Es  kann  zur 
Ausbildung  einer  Trikuspidalinsuffizienz  mit  systolischem  Ge¬ 
räusch  neben  dem  Processus  xiphoideus.  Jugular-  und  echtem 
Lebervenenpuls  kommen.  Wenn  man  die  Verdauungsstörungen 
durch  Ruhe,  salinische  Abführmittel,  Milchdiät,  Alkalien  und 
Kalkwasser  zum  Schwinden  bringt,  so  wird  die  reflektorisch 
entstandene  Trikuspidalinsuffizienz  beseitigt.  —  (Journ.  de  Prat. 

1907,  Nr.  2.)  a.  e. 

* 

158.  Nervöse  E  r  s  c  h  e  i  n  u  n  g  e  n  b  e  i  m  F  e  b  e  r  gang  d  e  s 

Mageninhaltes  in  den  Darm.  Von  Geheimrat  F.  A.  Kehrer 
in  Heidelberg.  Beim  gesunden  Meiischen  geschieht  der  Leber- 
gang  des  verdauten  Mageninhaltes  in  den  Zwölffingerdarm  fast 
unmerklich  oder  ist  nur  bei  bestimmten  Veratdassungen  von 
Symptomen  begleitet.  Nach  Leberladung  des  Magens  oder  nach 
Genuß  reizender  Speisen  und  Getränke,  sowie  bei  nervösen  Men¬ 
schen,  bei  Herz-,  Lungen-  und  Magenkranken  selbst  nach  milder 
Kost,  treten  oft  quälende  Erscheinungen  ein,  von  denen  Ver¬ 
fasser  mir  die  nach  der  Abendmahlzeit  vorkommenden  an  führt. 
Verf.  spricht  bei  der  Verdauung  von  drei  Stadien,  einem  ersten 
Füllungsstadium  während  der  Einfuhr  der  Nahrung,  von  einem 
zweiten  für  die  Magenverdauung  bestimmten  Verdauungsstadium 
mit  relativer  Magenruhe  und  von  einem  dritten  Austreibungs¬ 
stadium,  welches  zur  Beförderung  des  verdauten  Mageninhaltes 
in  und  durch  den  Dünndarm  dient.  Die  bei  Beginn  des  Aus¬ 
treibungsstadiums  gelegentlich  vorkommenden  örtlichen  Erschei¬ 
nungen  bestehen  in  Druck  im  Epigastrium,  selbst  Angstgefühl, 
der  sogenannten  Präkordialangst,  ferner  in  Druck,  selbst  Schmerz 
in  der  Herzgegend,  Herzklopfen  und  iVtemnot.  Es  dürfte  sich 
dabei  entweder  um  eine  mechanisch-chemische,  direkte  Pmizung 
der  Vagusäste  oder  um  reflektorische  Wirkungen  von  den  Magen- 
auf  die  Herznerven  handeln.  Auch  die  Oppression,  an  welche 
sich  meist  beängstigende  Träume  anschließen  und  welche  als 
Alpdrücken  bekannt  ist,  muß  als  Lebergangsform  der  örtlichen 
zu  den  Traumerscheinungen  erwähnt  werden.  Eine  zweite  Gruppe 
von  nervösen  Erscheinungen  beim  Beginne  des  x\ustreibungs- 
stadiums  besteht  im  Aufwachen  aus  dem  ersten  Schlaf  infolge 
von  Träumen,  die  oft  einen  beängstigenden  Charakter  haben, 
so  daß  die  Schlafemlen  seufzen,  laut  schreien,  sich  im  Bette 
aufrichten  und  dergleichen  ‘mehr.  Die  Entstehungsvveise  dieser 
Träume  könnte  nach  Verf.  auf  Veränderungen  der  Blutfülle  des 
Gehirnes  beruhen,  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  darauf,  daß 
der  im  Austreibungsstadium  in  den  Darm  übergehende  Chymus 
sofort  auf  der  Duodenal-  und  Dünndarmschleimhaut  resorbiert 
wird  und  durch  seinen  Lebergang  ins  Blut  und  die  Gewebe 
unter  anderem  auch  ins  Gehirn,  diese  Reizerscheinungen  erzeugt. 
Verf.  'möchte  also  betreffs  der  Diätetik  folgendes  vorschlagen : 
f.  Personen,  welche  öfters  an  den  erwähnten  Störungen  leiden, 
sollten  die  Abendmahlzeit  frülizeitig,  d.  h.  drei  bis  vier  Stunden 
vor  dem  Schlafengehen,  einnehmen,  oder,  falls  dies  nicht  möglich, 
spät  zu  Bett  gehen,  so  daß  das  Lebergangsstadium  bereits  vor 
dem  Einschlafen  beendet  ist.  2.  Es  sollten  solche  Personen  niclit 
zu  viel  Speisen  und  Getränke  zu  sich  nehmen,  daß  dadurch  der 
Magen  vollständig  angefüllt  wird.  3.  1st  den  Betreffenden  anzu¬ 
raten,  gerade  am  iVbend  leicht  verdauliche,  nicht  in  Fett  gebratene 
oder  stark  gewürzte  Speisen,  außierdem  xVlkoholika  nur  in  mäßigen 
Mengen,  zu  genießen.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907, 
Nr.  6.)  G. 

1 59.  l  G'  b  e  r  1)  1  i  c  k  ü  b  e  r  di  e  B  e  h  a  n  d  1  u  n  g  v  o  n  30  ( I  ('- 
n  i  c  k  s  I  a  r  r  e  k  r  a  n  k  e  n  mit  Joch  ni  a  n  n  s  c  h  e  ni  1\1  e  n  i  n  g  o- 


WIENER  KLINISaiE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  IB 


kokken seru m.  Von  Dr.  Ch.  Schöne.  Im  städtischen  Kranken¬ 
hause  '/Al  Ratibor  (dirig.  Arzt  San. -Rat  Dr.  Krümer)  wurden  im 
Jalirc'  1906  insgesamt  30  Kraiike  im  Atter  von  zehn  Monaten 
Ijis  zwanzig  Jahren  mit  dem  von  Jocliniann  eingefüluten Serum 
(Fabrik  E.  Merck)  behandelt.  Das  Serum  wurde  in  Quantitäten 
von  20  bis  40  cm®  subkutan  und  intramuskulär  (Hinterseite  des 
Ohersctienkels  oder  in  die  Mol)  renheimsche  Grube),  später 
meist  intralumbal  eingespritzt.  Die  Erfahrungen  batten  nämlich 
gezeigt,  daß  letztere  Methode  wirksamer  zu  sein  scheine  als 
die  subkutane.  Zur  intralumhalen  Injektion  wurden  die  Krauken 
in  die  Knieclleuhogenlage  gebracht  und  außerdem  noch  12  bis 
24  Stunden  lang  nachher  mit  dem  Kopf  im  Bette  tiefer  gelagert. 
Die  Lumbalpunktion  wurde  in  jedem  Falle  zur  Sicherung  der 
Diagnose  ausgeführt,  außerdem  hei  den  meisten  Kranken  in  thera¬ 
peutischer  Hinsicht  größere  Flüssigkeitsmengen  entleert,  um  augen¬ 
blickliche  Hiindi'ucksymptome  (Kopfschmerz,  Benommenheit,  Er¬ 
brechen)  zu  bekämpfen.  Die  erste  Gruppe  bilden  fünf  Kinder. 
Kein  Erfolg,  Aveil  kleine  Mengen  in  langen  Intervallen  injiziert 
Avurden.  In  der  zweiten  Gruppe  Avurden  Avieder  fünf  Krauke 
am  vierten  bis  sechsten  Krankheitstag  mit  su])kutanen  Serum- 
injekfionen  (zAveimal  20,  Amreinzelt  30  cm®),  anfangs  erfolglos, 
behandelt.  Nun  Avurde  drei  Kranken  in  der  vierten  Krankheits- 
Avoche  nach  Punktion  und  Ablassen  von  35  bis  75  cm®  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  20  cm®  Serum  intralumbal  eingespritzt.  Nach 
einem  Tage  AmrscliAvand  das  Fieber,  nach  einem  bis  neun  Tagen 
das  letzte  vSymptom  der  Krankheit,  die  Nackensteifheit.  Ein 
Aveiteres  Kind  bekam  dreimal  eine  intralumhale  Injektion  von 
10  bis  20  cm®  Serum  und  zeigte  sich  derselbe  Erfolg;  der  fünfte 
Fall  (I5jähriger  Knabe)  zeigte  einmal  Fieberfreiheit,  dann  folgte 
Avieder  Anstieg  der  Temperatur  und  Tod  im  Kollaps.  Günstig 
verliefen  weitere  Ader  Fälle,  bei  Avelchen  erst  subkutan,  sodann 
intralumhal  eingespritzt  AAmrde.  Die  dritte  Gruppe  bilden  vier 
Fälle  mit  Erfolgen  nach  subkutaner  Injektion,  die  vierte  Gruppe 
umfaßt  vier  erfolglos  behandelte  Fälle;  endlich  die  fünfte  Gruppe 
acht  mit  intralumhalen  Injektionen  mit  recht  gutem  Erfolg  be¬ 
handelte  Kranke.  Nach  vorausgegangener  Punktion  Avurden  15  bis 
40  cm®  an  den  ersten  Krankheitstagen,  aber  auch  zu  Beginn 
der  zweiten  KrankheitsAvoche  intralumbal  injiziert  und  danach 
dauernder  Fieberahfall  beobachtet.  Zusammenfassend,  sagt  der 
Verfasser,  reagierten  21  Kranke  auf  das  Serum  überhaupt,  fünf 
konnten  nicht  reagieren  (drei  im  Stadium  hydrocephaliciim,  einer 
erhielt  zu  Avenig  Serum,  einer  verlief  rasch),  hei  Ader  Kranken 
blieb  eine  Wirkung  aus.  Von  den  erstei’Avähnten  21  Kranken 
reagierten  unbedingt  Und  liiit  sofortiger  Genesimig  13,  mit  so¬ 
fortiger  Genesung,  aber  erst  auf  größere  oder  intralumbale  lu- 
jektionen  sechs  und  nur  mit  vorübergehender  Fieherfreiheit  bei 
Aussetzen  Aveiterer  Injektionen  zwei.  Bei  66  insgesamt  im  Rati- 
borer  städtischen  Krankenhause  behandelten  Genickstarrekranken 
beträgt  die  Mortalität  40%,  die  Mortalität  der  mit  Serum  Be¬ 
handelten  ca.  27%  (acht  von  30),  die  der  Nichtbehandelton  53%. 
Als  NehenAvirkungen  Averden  schnell  Amrühergehcnde  Albuminurien, 
dann  Hautaffektionen  vom  Typus  der  Urticaria  rubra,  Glieder¬ 
schmerzen  etc.  erwähnt.  —  (Die  Therapie  der  GegenAvart, 
Februar  1907.)  E.  F. 

* 

160.  Aus  der  deutschen  psychiatrischen  Klinik  (Professor 
A.  Pick)  in  Prag.  Klinische  und  anatomische  Beiträge 
zur  Frage  nach  den  Ursachen  und  der  Bedeutung 
d  er  zer  eh  r  osp  i  na  len  PI  e  0  zy  to  se  (der  Z  eil  vermehr  u  n  g 
im  Liquor  cerebrospinalis).  Von  Dr.  Oskar  Fischer, 
zAveitem  Assistenten.  Das  einzige  positive  Resultat  der  Unter- 
siudiungen  Fischers  ist  der  sichtliche  Zusammenhang  von  Pleo¬ 
zytose  und  IMeiiingitis  spinalis  chronica  inferior  und  die  Kon¬ 
statierung  der  Tatsache,  daß  die  der  klinischen  Untersuchung 
zugänglichen  Liquorzellon  nur  lierausgeschAvemmle  Exsudatzellen 
der  Meningen  darstellen,  also  ein  Resultat,  Avelches  einer  diffe- 
nmlialdiagnostischon  Frage  eine  sichere  Führung  gestatten  Avürde. 
Aufgabe  Aveitorer  klinischer  Beobachtung  Avird  es  sein,  ilie  Patho¬ 
genese  der  Pleozytose  zu  studieren.  Den  Ausdruck  ,, Lympho¬ 
zytose“  als  Bezeichnung  für  die  Vermehrung  der  Zellen  im 
Li(iuor  hat  Fischei'  durch  den  passenden  Ausdruck  ,, Pleozytose“ 
suhstiluiei't.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie  und  Neurologie 
Bd.  27,  H.  3.)  S.  ’ 


161.  Ein  Fall  von  Dünndarm  volvulus  mit  einem 
Meckel  sehen  Divertlikel  nebst  einigen  Worten  über 
suhakuten  Ileus  und  ülier  Gastrostomie  hei  Dünn- 
(1  a  r  m  p  a  r  a  1  y  s  e.  Klinischer  Vortrag  von  Prof.  K.  G.  L  o  n  n  a  n  d  e  r 
in  Upsala.  Bei  einem  Patienten  Avurdo  ZAvei  Tage  nach  Einsetzen 
von  akuten  Darmerscheinungen,  nachdem  die  Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose  auf  Volvulus  des  Dünndarmes  hei  Avahrscheinlich  be¬ 
stehendem  Me  ekel  sehen  Divertikel  gestellt  Avorden  Avar,  die 
Laparotomie  ausgeführt.  Man  fand  ein  entzündetes  Meckel- 
sches  Divertikel,  das  mit  der  vorderen  Bauchwand  bis  an  den 
Nabel  verAvachisen  Avar,  soAvie  eine  Umdrehung  fast  des  ganzen 
Dünndarmpakets  um  Avenigstens  360°  und  freie  hämorrhagische, 
seropurulente  Peritonitis.  Nach  Exstirpation  des  Divertikels  und 
Reposition  des  Dünndamies  wurde  ‘eine  Witze  Ische  Fistel 
am  Jejunum,  eine  am  Ileum  und  eine  'am  Cökum  (mit  Röhren 
von  3  mm  Durchmesser)  angelegt;  letztere  diente  zur  Ernäh¬ 
rung,  die  beiden  anderen  zum  Durchspülen  von  0-9%  Kochsalz¬ 
lösung.  Am  zAveiten  Tage  abends  Avaren  der  .Dickdarm  und  der 
Dünndarm,  mit  Ausnahme  des  Jejunums,  oberhalb  der  Fistel 
und  des  Duodenums  bereits  in  Tätigkeit.  Da  man  trotz  rasch 
folgender  Magenspülungen  stets  übelriechenden  Inhalt  im  Magen 
fand,  Avurde  unter  Annahme  einer  Parese  oder  'Ahknickung  des 
obersten  Jejunums  am  dritten  Tage  eine  Gastrostomie  nach 
Witzei  gemacht  und  vom  Magen  aus  mit  0-2%  Kochsalzlösung 
durchgespült.  Am  fünften  Tage  hatte  der  ganze  Darm  sein  Be- 
Avegungs vermögen  Avieder  gewonnen,  trotzdem  starb  Pat.  nach 
vorübergehender  Besserung  am  selben  Tage.  Im  Sektionsprolo- 
koll  ist  u.  a.  eine  stark  ausgesprochene  Darmdiphtheritis  im 
obersten  JejunUm,  ca.  40  cm  lang,  heivorgehoben.  Diese,  sowie 
Stercorämie,  Avesentlich  durch  Aufnahme  fäkaler  Gifte  vor  dem 
Wiedereinsetzen  der  Peristaltik  bedingt,  hält  Verf.  für  die  Todes¬ 
ursache.  Nach  der  ans  diesem  Fälle,  sowie  einigen  ähnlichen 
Erfahrungen  geAvonnenen  Anschauung  über  Darmparese  macht 
der  Autor  den  Vorschlag,  hei  Darmlähmung  im  obersten  Jejunum 
(resp.  Duodenum)  die  Gastrostomie  an  der  Pars  pylorica 
auszuführen.  Magen  und  Dänrne,  bis  zu  einem  gewissen  hohen 
Grade  ausgedehnt,  können  sich,  da  deren  Muskel  über  einen 
geAvissen  Grad  hinaus  gedehnt  sind,  nicht  zusammenziehen,  be¬ 
vor  die  betreffenden  Organe  teilweise  entleert  sind;  ob  Parese 
oder  Paralyse  vorliegt,  ist  an  dem  Verhalten  des  Darmes  nach 
seiner  Entleerung  (per  enterotomiam)  zu  erkennen.  In  hohem 
Grade  ausgedehnte  (Avie  gelähmt  aUssehende),  aber  nicht  ge¬ 
lähmte  Därme  fangen  nach  teihveiser  Entleerung  bald  an,  sich 
zu  hcAvegen;  gelähimfe  Därme  jedoch  kontrahieren  sich  nicht, 
auch  Avenn  ihr  Inhalt  entleert  ist.  Die  behufs  Wiederherstellung 
der  BeAA^egungsfähigkeit  zUr  Entleerung  angelegte  Fistel  (Entero- 
stomia)  muß  proximal  von  der  gelähmten  Darmpartie  angelegt 
werden.  „Weil  die  Darndähmung  in  manchen  Fällen  auch  <len 
obersten  Teil  des  Jejunums  umfaßit  und  wahi'scheinlich  auch  das 
Duodenum  unterhalb  der  Papilla  Vateri,  so  findet  sich  in  diesen 
Fällen  kein  anderer  Ausweg,  als  an  der  Pars  pylorica  des 
Magens  eine  Fistel  anzulegen  (eine  Gastrostomie  zu  machen). 
Habe  ich  bei  einer  Operation  den  Dünndarm  entleert  und  das 
JejunUm  zeigt  dessenungeachtet  kein  Zeichen  Amn  Kontraktion, 
so  mache  ich  alsbald  in  derselben  Sitzung  die  Gastrostomie.“ 
Ebenso  hält  Lennander  in  Fällen,  avo  eine  primäre  IndikatioJi 
zur  Gastrostomie  nicht  vorlag,  dieselbe  für  vollständig  indiziert, 
„Avenn  der  Bauchumfang  zunimmt,  die  Pulsfrequenz  steigt  und 
zAvei  bis  drei  Magenausspülungen  Retention  von  Flüssigkeit  mit 
schlechtem  oder  fadem  Geruch  ergibt“.  Die  Pars  pylorica  ent¬ 
leert  sich  durch  eine  Fistel  nur,  Avenn  der  Weg  durch  den 
Pylorus  nicht  mehr  zugänglich  ist.  1st  der  Weg  durch  den  Dünn¬ 
darm  durch  Behebung  der  Darnqraralyse  Avieder  offen,  so  läuft 
niebfs  mehr  durch  die  Magenfistel  aus.  Verf.  betrachtet  von  diesem 
Gesichtspunkt  aus  die  Daimparalyse  in  etwas  günstigerem  Lichte 
Avie  in  seinen  Darlegungen  (Ueher  die  Behandlung  der  akuten 
Peritonitis)  vom  vorigen  Jahre  und  glaubt  auch  Fälle  von  hoch¬ 
gradiger  Darmparese  (Darmparalyse?)  durch  Anlegung  von  einer 
bis  drei  Enteros tomien  zur  Heilung  bringen  zu  können.  Der 
erste  diesbezügliche  Vorschlag,  die  Darimparalyse  durch  Gastro¬ 
stomie  zu  bekämpfen,  stammt  von  Jahoulay  (Lyon  medical, 
12.  März  1905).  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1906. 
Bd.  86,  11.  1.)  F.  11. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCHRIET.  1907. 


393 


162.  Der  Plaiitarreflex  und  das  Babinskisclie 
Zehenphänonien  vom  physiologischen  und  patho¬ 
logischen  Standpunkt.  Von  Noica  und  Sakelaru.  Ks 
besteht  der  Plantarreflex  nach  der  Schilderung  der  Mehrzahl 
der  Beobachter  in  der  nach  leichter  Reizung  der  Fußsohlenhant 
eintretenden  Beugung  der  Zehen,  während  das  Bahinskisclui 
Phänomen  durch  Streckung  der  Zehen,  speziell  der  großen  Zehe 
gekennzeichnet  ist.  Der  Plantarreflex  wird  bei  90  ,his  95 «/o  der 
Gesunden  beobachtet,  das  Zehenphänomen  vertritt  den  normalen 
Plantarreflex  sehr  oft  hei  bestehender  Erkrankung  der  Pyra¬ 
midenseitenstrangbahn.  Da  der  äußere  Anteil  der  Fubsohleidiard, 
von  der  fünften  LumhalwUrzel,  der  innere  Anteil  von  der  ersten 
Sakralwurzel  innerviert  wird,  so  ist  es  erforderlich,  die  Erschei¬ 
nungen  nach  Reizung  des  inneren  und  äußeren  Fußsohlen randcs 
gesondert  zu  untersuchen.  Bei  Gesunden  verschiedener  Alters 
stufen  wird  nach  Reizung  des  äußeren  Fußsohlenrandes  in  der 
Richtung  von  hinten  nach  vorne  entweder  überhaupt  keine  Be¬ 
wegung  oder  zunächst  leichte  Flexion  der  kleinen  Zehe  mit  Ab¬ 
duktion,  sodann  eine  Bewegung  der  drei  äußeren  Zehen,  Flexion 
der  Grundphalange,  Extension  der  Mittel-  und  Endphalange  be¬ 
obachtet.  Wenn  man  den  inneren  Fußrand  von  hinten  nach 
vorne  streicht,  beobachtet  man  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine 
Flexion  der  vier  äußeren  Zehen  ohne  Abduktion,  dann  Flexion 
des  Hallux,  Steigerung  der  Flexion  aller  Zehen  mit  Adduktion, 
endlich  Adduktion  und  Innenrotation  des  Fußes.  Der  innere 
Plantarreflex  entspricht  dem  Plantarreflex  der  Autoren  und  ist 
gleich  dem  äußeren  Planlarreflex  ein  normaler  Befund.  Bei  Per¬ 
sonen  mit  Erkrankungen  der  Pyramidenbahn  tritt  nach  Reizung 
des  äußeren  Sohlenrandes  ein  kompliziertes  Phänomen  auf,  wel¬ 
ches  in  seiner  vollen  Entwicklung  aus  acht  Phasen  bestehen  kann, 
mit  Flexion  und  Abduktion  der  vier  äußeren  Zehen  heginnt 
und  mit  Extension  aller  Zehen,  Adduktion  und  Innenrotation 
des  Fußes  abschließt.  Eine  Phase  dieser  Bewegung,  Flexion  und 
Abduktion  der  vier  äußeren  Zehen  ist  mit  , dem  von  Babinski 
beschriebenen  Abduktionspbänomen,  welches  auf  eine  Erkran¬ 
kung  der  Pyramidenbahn  hindeutet,  identisch.  Bei  Reizung  des 
inneren  Fußisohlenrandes  in  Fällen  von  Erkrankung  der  Pyra¬ 
midenbahn  beobachtet  man  entweder  keinen  Reflex  oder  den 
normalen  Plantarreflex  oder  das  Zehenphänonien,  eventuell  eine 
Kombination  beider  Formen.  Das  Babinski  sehe  Zebenphäno- 
men  tritt  aber  nach  Reizung  des  äußeren  Sohlenrandes  auf. 
Durch  Reizung  der  Fußsohle  können  zwei  normale  Phänomene, 
der  äußere  und  innere  Plantarreflex  und  ein  pathologisches,  das 
Babinski  sehe  Phänomen,  hervorgerufen  werden.  Die  normalen 
Plantarreflexe  kommen  ausschließlich  durch  die  iVkiion  der  Fuß- 
muskehi  zustande,  während  für  die  Entstehung  des  pathologi¬ 
schen  Bah  inskiseben  Phänomens  eine  Beteiligung  der  Unter¬ 
schenkelmuskulatur  erforderlich  ist.  Das  Zentrum  der  von  der 
Fußsohle  bervorgerufenen  normalen  und  pathologischen  Reflexe 
ist  im  fünften  Lumbalsegment  zu  suchen.  —  (Sem.  med.  1906, 

Nr.  51.)  a.  e. 

+ 

163.  Ueber  Arbeitsentlohnung  in  unseren  Irren¬ 
anstalten.  Von  Dr.  August  He  gar- Wicsloch.  Die  Beschäfligung 
der  Geisteskranken  in  Irrenanstalten  ist  ein  wichliger  therapeuti¬ 
scher  Faktor.  Die  Frage,  ob  und  inwieweit  der  einzelne  Kraidre 
einen  Anspruch  auf  eine  Entschädigung  für  seine  Arbeit,  welche 
doch  der  Anstalt  zugute  kommt,  hat,  ist  keineswegs  noch  gelüst. 
Hegar  ist  nun  in  seinen  Zusammenstellungen,  zu  welchen  eine 
Uebersicht  über  eine  größere  Zahl  von  arbeitenden  Kranken 
notwendig  war,  der  Frage  nähergetreten,  ob  und  inwieweit  das 
Bedürfnis  bestehl,  den  arbeitenden  Kranken  außer  den  gebräuch¬ 
lichen  Vergünstigungen  noch  weitere  an  Geld  zuzuweisen,  inwie¬ 
fern  damit  ein  Nutzen  geschaffen  werden  kann.  Hegai'  kommt 
zu  dem  Schluß',  daß  die  planmäßige  Einführung  der  Arbeitsenl- 
lohnung  zu  befürworten  ist,  da  tlie  Mängel,  die  diesem  System 
anhaflen,  sich  durch  eine  richtige  Organisation  leicht  abschwächen 
lassen,  da  fo'iier  durch  die  Aiheit  der  Geisteskranken  eine  Stei¬ 
gerung  der  wirtschaftlichen  Erlrägnisse  erzielt,  überdies  in  den 
Kranken  die  schlummernde  Arbeitsfähigkeit  geweckt,  ausgebildet 
und  zum  Nutzen  des  Arbeitenden  selbsl,  wie  zum  Nutzen  d(U' 
Gesamtheit  verwertet  wird.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psy¬ 
chiatrie  und  psychisch-gerichtliche  Medizin,  Bd.  63,  H.  6.)  S. 


164.  Ueber  H  y  p  e  r  nep  b  r  o  m  me  tas  tase  n.  Von  Doktor 
E.  Hoffmann,  Assistenzarzt  der  chirurgischen  Abteilung  des 
slädtisclum  Krankenliauses  in  Cbarlotteidmrg-Westend  (Direktor 
Prof.  Dr.  Bessel-Hageu).  Die  Diagnose  der  malignen  Hyper¬ 
nephrome  wird  selten  gestellt;  es  gibt  Fälle,  bei  welchen  alle 
Kardinalsymptonie  eines  Nierentumors  fehlen,  wo  nur  Meta¬ 
stasen  auf  irgendeincu  versteckten  Primärherd  hinweisen.  Diese 
Metastasenbildung  der  Nebennierengeschwülste  ist  häufig  von 
großem  diagnostischen  Werte.  Zwei  eigene  Beobachtungen  dienen 
zur  Illustration  des  Gesagten.  Im  ersten  Falle,  56jähriger  Mann, 
fühlte  man  in  der  Gallenblasengegend  einen  fast  faustgroßen, 
ziemlich  derben  Tumor  mit  grobböckeriger  Oberfläcbe.  Die  Lenden¬ 
gegend  war  beiderseits  nicht  druckempfindlich,  der  Urin  unver¬ 
ändert.  Der  Mann  konnte  das  linke  Bein  nicht  gebrauchen,  für 
die  Gehstörung  war  keine  Ursache  zu  finden.  Nach  fünfwöchent- 
licber  Beobachtung  trat  plötzlich  eine  Lähmung  des  linken  Armes 
und.  des  linken  Beines  auf.  Seither  Kräfteverfall.  Nach  weiteren 
fünf  Wochen  Spontanfraktur  im  rechten  Oberschenkel  beim  Heben 
des  Kranken.  Exitus  nach  einigen  Tagen.  Die  Sektion  ergab 
einen  walnußgroßen,  grauweißen  Knoten  im  oberen  Pole  der 
rechten  Niere,  vom  Nierenparenchym  ganz  geschieden;  Hyper¬ 
nephroma  malignum.  ln  der  Gallenblasengegend  eine  mannsfaust¬ 
große  Echinokokkusblase.  Sodann  Hypernephrommetastasen:  eine 
walnußgroße  in  der  rechten  Hirnhälfte,  kleine  Tumoren,  bis  erbsen¬ 
große,  an  den  Pleuren  beider  Lungen,  ein  haselnußigroßer  Tumor 
in  der  Milz,  Tumoren  in  den  Rippen,  endlich  eine  Metastase 
im  rechten  FeJiiu]-.  Der  zweite  Fall  betraf  eine  60jährige  Frau. 
Man  fand  am  Introitiis  urethrae  eine  walnußgroße,  bläulichrote, 
blumenkohlarfige,  zUin  Teil  exulzerierte,  leicht  blutende  Ge¬ 
schwulst;  im  Scheidengewölbe,  vorne  und  hinten,  ähnliche  Ge¬ 
schwülste;  das  kleine  Becken  von  harten  Tumormassen  aus¬ 
gemauert.  Am  rechten  Oberschenkel  eine  ähnlich  beschaffene, 
apfelgi'oße  Geschwulst,  mit  daumenstarkem  Stiele  der  Haut  auf¬ 
sitzend.  Diagnose;  inoperables  Karzinom  der  Scheide  mit  HauL- 
metastase.  Abtragung  des  Hauttumors.  Prof.  Henke  diagnosti¬ 
zierte  malignes  Hyirernepbrom.  Jetzt  forschte  man  nach  einem 
Nierentumor  und  fand  endlich  eine  Resistenz  in  der  linken  Nieren¬ 
gegend,  durch  tympanitischen  Schall  von  der  Milzdämpfung  ab¬ 
zugrenzen.  Im  Ihin  Spuren  von  Eiweiß,  Leukozyten,  keine 
Zylinder,  zeitweise  rote  Blutkörperchen,  epitheloide  Zellen.  Die 
Zystoskopie  ließ  eine  hämorrhagische  Zystitis  und  zwei  Tumor¬ 
metastasen  im  Blasenfundus  konstatieren.  Später  traten  kolik¬ 
artige  Schmerzen  in  der  linken  Leistengegend  auf,  nach  einigen 
Wochen  Exitus.  Nekro.skopie :  Die  linke  Niere  war  in  einen  kinds¬ 
kopfgroßen  Tumor  umgewandell.  Am  oberen  Niej'enpol  saß  eine 
kirschgroße,  derbe,  mit  einer  Kapsel  versehene  Geschwulst,  die 
auf  dem  Durchschnitt  eine  ockergelbe  Farbe  zeigte.  Daneben 
ein  Tumor  mit  Resten  von  Nebennierensul)stanz.  Die  untere 
Hälfte  der  Niere  war  ganz  in  eine  Tumormasse  von  gelapi)tem 
Baue  aufgegangen,  die  obere  Hälfte  zeigte  noch  unveränderte 
Nierensubstanz.  Außerdem  IMetastaseii  in  den  Lungen,  in  der 
Blasenwand,  im  Knochen  etc.  In  beiden  Fällen  waren  es  also 
die  sekundären  Knochenmetastasen,  Avelche  ein  primäres  Leiden 
vortäuschten.  Auch  Albrecht  berichtet  aus  der  Höchen egg- 
scbeiT  Klinik  über  vier  Fälle  maligner  Hypernepbrome,  bei  welchen 
ebenfalls  ein  Knochentumor  als  erstes  Zeichen  auf  die  Krankheit 
aufmerksam  machte,  wobei  ein  Niereutumor  nicht  zu  fühlen  war 
und  auch  sonst  nichts  auf  eine  Nierenerkrankimg  bituvies.  Man 
wird  in  Zukiuift  an  derlei  Neubildungen  denken  müssen.  — 
(Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  8.)  E.  F. 

* 

165.  Aus  dem  hygienischen  Institut  in  Bonn.  Bakt(‘riu- 
1  Ogi  sc  he  Untersuchungen  über  ein  neues  Fornialin- 
d  e  s  i  n  f  e  k  t  i  o  n  s  V  e  r  f  a  b  r  e  n,  das  A  u  tan  ve  r  f  a  b  r  e  n.  Von 
Priv.-Doz.  Dr.  mod.  Selter,  Assistent  des  hygienischen  Insti¬ 
tutes.  Flügge  verlangt  von  einem  zur  praktischen  Desinfektion 
geeigneten  gasförmigen  Desinfiziens :  1.  Daßi  es  sich  leicht  und 
sicher  herstellen  läßt,  und  daß'  innerhalb  einer  bestimmten,  nicht 
zu  langen  Zeit  (eines  Tages  oder  einer  Nacht)  Absterben  der 
Krankheitserreger  eintritl.  2.  Daß  es  in  eine  gewisse  Tiefe  dringt, 
also  frische  und  angetrocknete  Sputa  in  nicht  zu  dicker  Schicht, 
Diphtheriemembranen,  auf  porösen  Stoffen  (Kleider,  Betten, 
Wäschestücken)  eingetrocknete  Exkreto  an  der  Innenseite  sicher 


VVIENEU  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


slerilisiert  Averdcn.  3.  Daß  (lurch  das  Deeinfizienz  keine  Be¬ 
schädigung  der  Ciebrauchsgegenslände  erfolgt  und  kein  Gerucli 
hinterhleiht.  4.  Daß  das  Deisinfeklionsniittel  nicht  zu  teuer  ist. 
Diese  Anforderungen  soll  das  von  Eichen  grün  gefundene  Prä- 
I)aral,  Aulan,  erfüllen.  Dias  Autan  ist  ein  gelbliches  Pulver  mit 
sclnvachem  Fornialingeruch.  Es  besteht  aus  einem  Gemisch  von 
polymerisiertem  Formaldehyd  und  Metallsuperoxyden  in  einem 
heslimmten  Verhältnis  und  hat  die  Eigenschaft,  daß,  wenn  man 
es  mit  Wasser  ühergießt,  schon  nach  wenigen  Sekunden  eine 
Gasbildung  unter  starker  Temperaturerhöhung  eintritt,  welche  so 
lebhaft  wird,  daß  in  kurzer  Zeit  dichte  Formalin-  und  Wasser¬ 
dämpfe  emporsteigen.  Verf.  hat  durch  bakteriologische  Unter¬ 
suchungen  geprüft,  wieweit  es  zur  Desinfektion  von  Kranken¬ 
zimmern  und  anderen  Räumen  zu  venverten  ist  und  kommt  zu 
folgenden  Schlüssen:  1.  Das  Autan-Desinfektionsverfahren  ist  denk¬ 
bar  einfach  und  allenthalben  auszuführen,  auch  an  solchen  Stellen, 
wo  man  bisher  die  Apparate  nicht  gut  gebrauchen  konnte,  hei 
Kleiderschränken,  Bücherschränken,  Kisten,  Droschken,  Eisen- 
hah/icoupes.  2.  Die  Formalinmenge  kommt  plötzlich  und  auf 
einmal  in  den  zu  desinfizierenden  Raum.  Das  hat  den  Vorteil, 
daß  einmal  eine  bedeutend  kürzere  Zeit  der  Einwirkung  )iötig 
sein  wird;  die  Grenze  dieser  Zeit  wird  noch  durch  genauere  Unter¬ 
suchungen  festzustellen  sein;  vorläufig  schlägt  Verf.  vor,  min¬ 
destens  vier  Stunden  einwirken  zu  lassen.  W^eiter  hat  man  den 
Vorteil,  daß  der  Raum  nicht  sorgfältig  abgedichtet  zu  werden 
braucht.  Die  Zeit  hiefür  fällt  also  fort  und  ebenfalls  die  Zeit  zur 
Entwicklung  der  Formalin-  und  Wasserdämpfe.  3.  Das  Präparat 
kann  leicht  überall  hingeschafft  werden,  entweder  durch  den 
Arzt  selbst  oder  durch  einen  Boten,  der  es  aus  der  Apotheke 
holt.  4.  Desinfektoren  sind  nicht  mehr  erforderlich.  Einer  wird 
genügen,  der  das  Zimmer  in  Ordnung  bringt,  d.  h.  alle  Gegenstände 
so  stellt,  daß  ihre  Oberfläche  voll  den  Dämpfen  ausgesetzt  wird. 
Flecke  des  Bodens  sind  mit  Sublimatlösung  abzuwischen.  Die 
Desinfektion  des  Bodens  kann  noch  dadurch  unterstützt  werden, 
daß  man  etwas  Pulver  auf  den  Boden  streut,  besonders  in  die 
offenen  Bitzen  und  Ecken.  Außer  zu  Desinfektionszwecken  kann 
das  Autan  auch  gut  zur  Desodorierung  venva.ndt  werden,  zum 
Beispiel  von  Leichenzimmern,  übelriechenden  Eisschränken,  und 
so  weiter.  Alan  streut  zu  diesem  Zwecke  entweder  das  trockene 
Pulver  aus,  wobei  sich  infolge  der  Luftfeuchtigkeit  langsam  For¬ 
malindämpfe  bilden,  oder  man  bringt  die  Reaktion  durch  Ueber- 
gießen  von  WMsser  auf  einmal  zustande.  —  (Münchener  inediz. 

Wochenschrift  1906,  Nr.  50.)  G. 

* 

1 66.  U  e  b  e  r  e  inen  Fall  v  o  n  A  u  t  o  i  n  o  k  u  1  a  t  i  o  n  des 
syphilitischen  J  n i  1  i  al af  f  e k  te s.  Von  L.  Queyrat.  Der 
30, jährige  Patient  hatte  eine  Initialsklerose  im  Sulkus  mit  doppel¬ 
seitiger  fnguinaldrüsenschwelluug,  welche  seit  14  Tagen  bestand 
und  noch  nicht  behandelt  worden  war.  Im  Geschähe  der  Sklerose 
wurden  mit  G  i  e  m  s  a  -  Färbung  Spirochäten  nachgewiesen,  welche 
etwas  dicker  und  kürzer  wairen,  als  <lie  itypischen  Formen.  Am 
Tage  der  Aufnahme  wurde  mit  ausgeschahten  Gewebspartikeln 
der  Initialskleiose  eine  Impfung  an  zwei  Stellen  des  linken  Hypo¬ 
gastriums  und  in  der  Gegend  des  linken  Deltoideus  vorgenonnnen. 
.\n  den  korrespondierenden  Stellen  rechterseits  wurden  zur  Kon¬ 
trolle  mit  einem  ausgeglühten  Instrument  aseptische  Verletzungen 
erzeugt,  welche  tiefer  waren  als  die  hei  Mer  Impfung  gesetzten 
Verletzungen.  Am  zwölften  Tage  nach  der  Impfung  traten  an  den 
mit  Skierosengewehe  geimpften  Stellen  rötlich- violette  Flecke  auf, 
welche  sich  im  weiteren  Verlauf  in  tyi)ische  syphilitische  Papeln 
mnwandelten.  In  der  gleichen  Zeit  sind  die  an  den  korrespon¬ 
dierenden  Körperstellen  gesetzten  asei)lischen  Verletzungen  fast 
vollständig  ahgeheilt.  Diese  Beobachtung  ist  ein  neuerlicher  ISe- 
weis  für  die  Autoinokulahilität  der  syphilitischen  Initialsklerose. 
welche  l)ei  unhehandellen,  hzw.  nicht  mit  Ouecksilber  behandelten 
Fällen  in  den  ersten  elf  Tagen  nach  ^dem  Auftreten  d(‘r  Initial¬ 
sklerose  erzielbar  ist.  Nach  Ablauf  rlieses  Zeitraumes  ist  eine 
.Auloinokulation  nicht  inehr  möglich.  Am  12.  oder  13.  'läge  nach 
der  Impfung  entwickelt  sich  an  der  Impfstelle  ein  Fleck,  welcher 
sich  allmählich  in  eine  bis  erbsengroße,  dunkelrote  Papel  ver¬ 
wandelt,  an  deren  Oberfläcdie  sich  feine  Schu|)pen,  Krusten,  aus¬ 
nahmsweise  auch  Geschwüre  bilden.  Di(‘  Imiifläsion  besieht  durch 
einige  Wochen  und  heilt  manchmal  unter  Hinterlassung  einer 


Pigmentation.  Die  Veiniulung,  daß  traumatisch  erzeugte  sekundäre 
Manifestationen  vorliegen,  wird  durch  das  Vei'halten  der  zur 
Kontrolle  gesetzten  aseptischen  Verletzungen  wideilegt.  Auch  er¬ 
zeugt  weder  die  Ini])fung  gonorrhoischen  Eiters,  noch  des  Eiters 
von  Balanoposthitis  ähnliche  Veränderungen.  Die  syphilitische 
Natur  der  Impfläsionen  wird  auch  durch  den  positiven  Spiro- 
chätenhefund  ei'wiesen,  so  daß  die  Frage  der  Autoinokulation 
des  syphilitischen  Primäraffektes  endgültig  in  |)Ositivem  Sinne 
beantwortet  ist.  —  (Bull,  et  Alem.  de  la  Soc.  med.  des  luAp.  de 
Paris  1906,  Nr.  36.)  a.  e. 


Therapeutisehe  fiotizen. 

Bromural  ist  das  neueste  Schlafmittel.  Es  stellt  eine 
Verbindung  von  Baldriansäure  (in  der  Isopropylgruppe  vorhanden) 
und  des  Broms  vor.  Bromural  wurde  von  Dr.  S  a  a  m- hergestellt, 
unter  Prof.  Gottliebs  Leitung  im  pharmakologischen  Institut 
zu  Heidelberg  von  Dr.  v.  d.  E  e  c  k  h  o  u  t  geprüft  und  sodann 
von  den  DDr.  Hans  Krieger  und  R.  v.  d.  Velden  von  der 
medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Alarburg  a.  d.  L. 
(Direktor  :  Prof.  Dr.  Brauer)  in  90  Fällen  angewandt.  In  den 
meisten  Fällen  drei-  bis  fünfmal,  in  20  Fällen  schon  Wochen 
hindurch.  Nach  diesen  Versuchen  wirkt  das  Bromural  ein¬ 
schläfernd  in  Dosen  von  0'3  g  in  den  leichtesten  Fällen,  im 
Durchschnitt  am  besten  in  einer  Gabe  von  0'6,  meist  nach 
5  bis  25  Alinuten.  Diese  Wirkung  klingt  wahrscheinlich  in  allen 
Fällen  in  drei  bis  fünf  Stunden  vollständig  ab.  In  den  Fällen,  in 
denen  der  Schlaf  über  diese  AVTrkung  hinaus  andauert,  ist  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  anzunehmen,  daß  der  natürliche  Schlaf 
sich  dem  primären,  künstlich  erzeugten,  anschließt.  Bleibt^  dieser 
nachfolgende  natürliche  Schlaf  aus,  so  erreicht  man  mit  einer 
zweiten  Dosis  einen  gleichen  Effekt  wie  mit  der  ersten  Dosis. 
Bromural  versagt  in  allen  Fällen,  wo  Schmerzen,  Hustenreiz, 
Angina  pectoris,  Erregungszustände  oder  Delirien  bestehen.  Der 
durch  Bromural  hervorgerufene  Schlaf  zeigt,  soweit  es  sich  über¬ 
sehen  läßt,  keine  Abweichung  gegen  den  natürlichen  Schlaf.  Die 
rasche  Ausscheidung,  bzw.  Zerstörung  des  Alittels  scheint  aus 
dem  raschen  Abklingen  des  Mittels  hervorzugehen.  Nachwirkungen 
oder  Nebenerscheinungen  waren  nicht  zu  beobachten.  (Deutsche 
med.  AAWchenschrift  1907,  Nr.  6.)  E.  F. 


l^ekrolog. 


Privatdozent  Dr.  Alexander  Ritter  v.  Weismayr. 

AVir  bedauern  das  plötzliche  Hinsebeiden  eines  lieben  Kol¬ 
legen  und  tüchtigen  Mannes.  Im  kräfiigsten  Alannesalter  hat  ihn 
der  Tod  überrascht  und  hat  einem  edlen  und  arheitsfreudigen 
Leben  ein  jähes  Ende  bereitet. 

Dr.  V.  AVeismayr  hat  sich  in  seinem  Spezialfache  als 
Tuberkulosearzt  und  Tuberkuloseforscher  einen  auch  im  Auslände 
bekannten  und  geachteten  Namen  envorben.  Schon  als  Assistent 
Hofrat  V.  Schrötters  widmete  er  fast  seit  der  Begründung 
des  Veieines  Heilanstalt  Alland  demselben  seine  vollen  Kräfte. 
Den  schwierigen  und  dornenvollen  Weg,  den  der  Verein  zurück¬ 
legen  inußte,  bis  zur  Erreichung  seines  Zieles,  der  Errichtung 
der  Heilanstalt  Alland,  Iiat  Dr.  v.  AVeismayr  nicht  nur  mit¬ 
erlebt,  er  hat  mit  Wort  und  Tat  niitgestritten  als  treuer  Schüler 
•und  Gefälute  v.  Schrötters,  die  Bestrebungen  des  A'ereines 
auf  das  kräftigste  gefördert.  Als  die  Heilanstalt  Alland  1898 
eröffnet  wurde,  war  er  der  herufenste,  die  Leitung  derselben  zu 
übernehmen  und  behielt  diesellM'  bis  zum  Herl)ste  1902,  nach¬ 
dem  er  während  dieser  Zeit  nach  jeder  Bichtimg  seiner  Tätigkeit 
fördernd  und  produktiv  gewirkt  hatte. 

Kurz  vor  der  Uebernahme  der  Direktion  hatte  er  sich  als 
Privatdozent  für  innere  Aledizin  habilitiert. 

Im  Jahre.  1902  ühersiedelle  v.  AVeismayr  nach  Arco,  da¬ 
seihst  die  Leitung  des  neuen  Sanatoriums  St.  Pankratius  über¬ 
nehmend,  die  er  schon  nach  ein  paar  Jahren  wegen  Differenzen! 
mit  der  administrativen  Leitung  der  Anstalt  aus  ärztlichem  Pflichl- 
gefühle  zurücklegte.  Di(“  ausschließiliche  Konsiliarpraxis,  auf  die 
er  nun  angewiesen  war,  konnte  den  geistig  regsamen  Alaun  auf  die 
Dauer  nicht  befriedigen  und  die  das  wissenschaftliche  Arbeiten  er¬ 
schwerenden  äußeren  Verhältnisse  seiner  damaligen  Berufsstellung 
ließen  ihn  die  Bückkehi'  mudi  AVien  anslrehen,  welche  ihm  denn 
auch  mit  der  Erlangung  d(*s  l’rimariati's  für  innere'  Medizin  am 
Elisabeth  -  Spitale  eianöglichl  wurde.  Kaum  ein  Jahr  war  es  ihm 
vergönnt,  auf  diesem  neuen  Felde  seiner  Tätigkeit,  welches  ihm 


Nr  13 


393 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


iniuM'o  Hcfriedigiiiig  verse lia ff i<',  zu  wirken,  als  ihn  im  ,10.  Indams- 
jalire  der  Tod  seinoi'  Familie  und  seinen  Freunden  enfrilF 

Zaldreicli  sind  seine  gediegenen  wissenscdiafilichen  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  der  Tuberkulose,  der  Hygiene  und  lb-oi)bylaxe, 
Jleilslättenbehandlung,  Infektionswege,  Miscbinfektion,  Synipto- 
inalologie  und  Therapie  sieb  erstreckend.  Die  letzte,  bei  seinen 
Lebzeiten  ejscbienene  Arbeit  hal  er  in  der  Festschrift  für  von 
Schrötter  veröffen  Hiebt,  über  Wuchsformen  der  Tüberktd- 
bazillen,  auch  in  seine  letzten  Lebenstage  scheint  eine  AiTxdt 
zu  fallen,  welche  gegenwärtig  in  der  Wiener  klinischen  Rund¬ 
schau  erscheint,  über  die  Prophylaxe  der  Tuberkulose. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  poi)ulären  Wissenschaft  hat 
er  viel  Ers])rießliclies  geleistet.  Aus  seiner  Feder  stammt  die 
kleine,  impuläre  Broschüre  über  die  Verhütung  der  Tutierkulose, 
welche  der  Verein  Heilanstalt  Alland  seither  in  Hnnderttausenden 
von  Exemplaren  verbreitet  bat  und  eine  größere  populäre  Arbeit 
über  dasselbe  Thema. 

In  der  Geschichte  der  Tuberkulosebekämpfung  in  Oesterreich 
hat  sich  v.  Weisinayr  einen  dauernden  Platz  errungen. 

Er  beherrschte  in  hervorragendem  .Maße  die  Fähigkeit  der 
schriftliclien  und  mündlichen  Darstellung  und  war  schon  als 
Assistent  V.  Sehr  otters  ein  beliebter  Lehrer  hei  seinen  Schülern. 

Alle  die  dem  Verstorbenen  näher  standen  und  Gelegenheit 
hatten,  das  gewinnende,  ruhig- heitere  und  freundlich  -  vornehme 
Wesen  desselben  kennen  und  schätzen  zu  ler.ien,  werden  die 
Nachricht  von  seinem  Hinscheiden  mit  wahrem  Scinnerze  em¬ 
pfangen  haben. 

Ehre  seinem  Angedenken ! 

Priv.-Doz.  Dr.  Sorgo, 
Direktor  der  Heilanstalt  Alland. 


\/ermisehte  Kaehriehten. 


Ernst  V.  Bergmann 


Das  schöne  Fest  zu  Ehren  v.  Bergmanns  70.  Geburtstag 
ist  kaum  verklungen  und  schon  rüstet  man  in  Berlin  und  aller¬ 
orts,  wo  man  die  Bedeutung  des  Mannes  zu  schätzen  wußte, 
zur  Trauerfeier,  ln  kdzter  Stunde,  vor  Schlußi  des  Blattes,  er- 
hallen  wir  die  Nachricht  vom  Heimgang  E.  v.  Bergmanns. 
Anläßlich  seines  70.  Gehurtstages  suchten  wir  seinen  großen  Ver¬ 
diensten  gerecht  zu  werden.  Es  geschah  dies  in  unserer  Weise, 
indem  wir  ihm  eine  Festschrift  widmeten.  Fast  von  allen  hervor¬ 
ragenden  Stellen  österreichischer  Chirurgie  waren  hiezu  Beiträge 
eingelaufen  und  in  einem  einleitenden  Aufsatz  wurde  versucht, 
seinen  Wert  zu  würdigen.  Wir  haben  dem  nichts  hinzuzufügen, 
als  daß  wir  uns  dessen  voll  bewußt  sind,  daß  der  Aerztc'stand 
einen  seiner  Großen  verloren  hat,  auf  den  jeder  mit  Stolz  und 
Genugtuung  hinwedsen  konnte,  dem  die  nach  jeder  Hinsicht  wn'ir- 
dige  Repräsentation  <les  Standes,  wie  sie  sicli  in  seiner  l’erson 

dokumentierte,  Herzenssache  ist.  Die  Red. 

* 

E  r  n  a  n  n  t ;  Landessanitätsinspeklor  Dr.  Emil  v.  Gele  h  r  i  n  i 
zum  Slatlhaltereirate  und  Landessanitätsreferenten  hei  der  Slatt- 
halterei  in  Triest. 

♦ 

V  e  r  1  i  e  h  e  n  :  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Ton  v.  K  a  1  i  n  c  z  u  k 
in  Wien  der  Titel  eines  kaiserlichen  Rates.  —  Dem  außerordentlichen 
ITofessor  für  Lai'yngologie  und  Rhinologie,  Dr.  Gustav  Killian, 
in  Freiburg  i.  R.  der  Titel  ,, ordentlicher  Honorarprofessor“.  — 
Dem  Ih'ivatdozenten  füi'  Hygiene,  Dr.  Paul  Römer,  in  Marburg 
das  Prädikat  Professor. 

* 

Habilitiert:  Di'.  Wladislav  Ru  z  ick  a  für  allgemeine  Bio¬ 
logie  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag.  —  Dr.  11.  Lii'l- 
mann  in  Halle  a.  S.  für  Hygiene.  —  Dr.  Wilhelm  Baum  für 
Chirurgie  in  Kiel.  —  In  Basel:  Dr.  Bing  für  Nervenkrankheiten 

und  Dr.  Stäubli  für  innere  Medizin. 

* 

Die  diesjährige  (79.)  Tagung  der  Gesellschaft 
D  (Ul  t  s  c  h  e  r  N  a  t  u  r  f  o  r  s  c  h  e  r  u  n  d,  A  e  r  z  t e  findet  in  Dresden, 
vom  15.  bis  zum  21.  Septeniher  statt.  Für  die  Sitzungen  der 
wissenschaftlichen  Abteilungen  sind  folgende  Tage:  Montag,  den 
16.  September,  naclimittags,  Dienstag,  den  17.  und  IMittwocli,  den 

18.  September,  vor-  und  nachmitalgs  in  Aussicht  genommen. 

* 

Der  XVl.  Internationale  medizinische  Kongreß 
wird  1909  in  Budapest  stattfinden.  Als  Tag  der  Eröffnung 
ist  der  29.  August  1909  festgesetzt,  die  Sitzungen  werden  bis 
4.  Septemlier  dauern.  Voi'läufig  gibt  der  Generalsekretär  des 


Kongi'('ss('s,  Pi'of.  Dr.  Emil  v.  Gr(')sz,  lludapi'st  (l'ngarn),  Vlll., 
Eszlei'liäzyagsse  7,  den  Interessenten  bereitwilligst  Auskunft. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift  :  Der  diesjährige  Btintgiui- 
kongreß  wild  Montag,  den  1.  April  d.  T.,  morgens  9  IJhi', 
in  Berlin,  im  Langenbeckhause,  stattfinden.  Die  definitive  Tages¬ 
ordnung,  sowie  die  Mitgliedskarten  oder  Teilnehmerkarten  (Mk.  lO) 
können  am  Sonntag,  den  81.  März,  vormittags  von  10  bis  1  Uhr 
im  Bureau  des  Herrn  Melzer  (Langenbeckhaus,  Ziegelstr.  10/11 ) 
und  am  Montag,  den  1.  April,  von  8  Uhr  vormittags  ali  im 
Kongreßhureau  (im  Langenhe(*khaus)  in  Empfang  genommen 
werden.  Herr  Melzer  ist  ermächtigt,  Beitragszahlungon  in  Empfang 
zu  nehmen.  Für  die  Niederschrift  von  Diskussionen  sind  For¬ 
mulare  im  Bureau  und  am  Vorstandstisch  zu  haben.  Die  Manu¬ 
skripte  der  gehaltenen  Vorträge  und  Demonstrationen  sind  vor 
Schluß  des  Kongresses  dem  I.  Schriftführer,  Herrn  Dr.  Immel- 
mann,  zu  übergehen.  Nicht  eingereichte  IManuskripte  können 
während  der  nächsten  acht,  dem  Kongreß  folgenden  Tage -dem 
Schriftführer  nachträglich  eingereicht  werden.  Nach  diesem  Termin 
eingehende  Manuskripte  haben  keinen  Anspruch  auf  Publikation 
in  den  Verhandlungen.  Alle  Manuskripte  sind  in  leserlicher  Schrift 
abzufassen  und  in  druckfertigem  Zustand  einzuliefern.  Die  Dis¬ 
kussionsbemerkungen  sind  bis  zum  Schlußi  des  Kongresses  dem 
1.  Schriftführer  einzureichen.  Später  eingehende  Diskussionsmanu¬ 
skripte  können  von  der  Aufnahme  ausgeschlossen  werden.  Am 
Abend  des  31.  März  (Sonntag)  findet  ein  geselliges  Zusammen¬ 
sein  (abends  8  Ubr)  im  Spatenbräu,  Friedrichstr.  172,  statt, 
Hamburg,  den  15.  März  1907.  H.  Albers- Schönberg,  Vor¬ 
sitzender  für  1907. 

* 

XIV.  internationaler  Kongreß  für  Hygiene 
und  Demographie  in  Berlin  19 J7.  Am  26.  Februar  1.  J. 
trat  der  engere  Ausschuß  des  österreichischen  Komitees  für  den 
in  der  Zeit  vom  23.  his  29.  September  1.  J.  in  Berlin  abzuhaltenden 
Kongreß  für  Hygiene  und  Demographie  unter  dem  Vorsitze  des 
Herrn  Sektionschefs  Dr.  v.  J  u  r  a  s  c  h  e  k,  Präsidenten  der  sta¬ 
tistischen  Zentralkommission,  zu  einer  Sitzung  zusammen.  In 
.  derselben  wurden  die  Referate,  die  von  Oesterreichern  am  Kon¬ 
gresse  gehalten  werden,  endgültig  bestimmt.  Es  werden  folgende 
Herren  Referate  erstatten :  Obersanitätsrat  Dr.  v.  Britto,  die 
Professoren  Dr.  Burgerstein,  Dr.  Epstein,  Dr.  Gra߬ 
berger,  Stabsarzt  Dr.  Franz  und  Dr.  H  1  a  d  i  k,  Baudirektor 
Hofer,  Prof.  Dr.  H  u  e  p  p  e,  kais.  Rat  J  e  h  1  e,  Dr.  Jelinek, 
Sektionschef  Dr.  v.  Juraschek,  die  Professoren  Dr.  Kah r hei, 
Dr.  Kraus,  Dr.  Landsteiner,  Generalkonsul  Dr.  v.  Lind¬ 
heim,  Hofrat  Dr.  Ludwig,  Regierungsrat  Mare  sch,  die 
Professoren  Dr.  Hans  Horst  M  e  y  e  r,  Dr.  Pal  tauf,  Dr.  Prauß- 
nitz  und  Hofrat  Dr.  v.  Schrötter,  Polizeibezirksarzt  Doktor 
S  i  1  b  e  r  s  t  e  r  n,  Dr.  T  e  1  e  k  y,  Schiffsbau-Oberingenieur  Wagner 
und  Hofrat  Dr.  W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  m.  Es  ist  sehr  wünschenswert, 
daß  auch  ,, Vorträge“  in  größerer  Zahl  von  Oesterreichern  ge¬ 
halten  werden.  Diejenigen  Herren,  die  geneigt  sind,  solche  zu 
halten,  mögen  dies  unter  Angabe  des  Themas  der  unten  bezeich- 
neten  Geschäftsstelle  ehebaldigst  bekanntgeben.  Mit  dem  Kon¬ 
gresse  ist  eine  hygienische  Ausstellung  verbunden,  die  von  öster¬ 
reichischen  Kreisen  rege  beschickt  werden  wird.  Den  Kongre߬ 
teilnehmern  wird  Gelegenheit  gegeben  werden,  sich  in  umfang¬ 
reicher  Weise  über  die  zahlreichen  hygienischen  Einrichtungen 
von  Berlin  und  seinen  Vororten  zu  unterrichten.  Die  wissen¬ 
schaftlichen  Sitzungen  sollen  im  allgemeinen  nicht  über  2  Uhr 
nachmittags  ausgedehnt  werden,  damit  die  Nachmittage  für  die 
Besichtigungen  frei  bleiben,  lieber  100  Anstalten  sind  aus¬ 
gewählt  worden,  die  teils  während  der  Kongreßtage  je  nach  Be¬ 
lieben  besucht  werden  können,  teils  unter  fachmännischer  Führung 
gruppenweise  besucht  werden.  In  einem  ,, hygienischen  Führer“ 
wird  eine  Beschreibung  der  Anstalten  gegeben,  so  daß  die 
Kongreßteilnehmer  von  vornherein  die  einzelnen,  für  sie  inter¬ 
essanten  Besichtigungen  auswählen  können.  In  Oesterreich  gibt 
sich  für  den  Kongreß  großes  Interesse  kund,  wie  aus  der  Zahl 
der  bis  jetzt  angemeldeten  Teilnehmer  geschlossen  werden  kann. 
Für  das  österreichische  Komitee,  dem  Vertreter  der  Zentralstellen 
und  Männer  der  Wissenschaft  angehören,  führt  das  Präsidium 
der  Statistischen  Zentralkommission  (IVien  I.,  Schvvarzenberg- 
straße  5)  die  Geschäfte,  woselbst  alle  Auskünfte  erteilt  und  An¬ 
meldungen  entgegengenommen  werden. 

* 

II  n  t  e  r  s  tü  1  zu  n  g  s  ve  r  e  i  n  für  Witwen  und  Waisen 
der  k.  u.  k.  Militärärzte.  Samstag  iden  4.  Mai  1.  T.,  5  Uhr 
nachmittags,  findet  im  Lehrsaale  I  der  Militärärztlichen  Appli- 
I  kationsschule,  im  Gebäude  der  ehemaligen  Josefsakademio 
1  (Wien  IX.,  Währingerstraße  Nr.  25)  die  diesjährige  General- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  IH 


V  e  i's  a  111  ni  1  u  11  g  stall.  Tugesordirung:  1.  N'erifiziei'ung  des 
Protokolls  der  vorjälirigen  Cieiieralversanindiuig ;  2.  Vorlage  des 
Reclieiiscdiaftsbericlites  für  das  Jalir  T9Ü6;  3.  Bericht  der  Revi¬ 
soren.  4.  Antrag  auf  Statutenänderung  (Aufnahme  von  k.  k.  und 
königlich  ungarischen  Landwehrärzten  als  wirkliche  Vereinsniit- 
glieder  usw.);  5.  Mitteilungen  des  Verwaltungskoniitecs ;  ö.  Even¬ 
tuelle  Anträge  von  Vereinsinitglicdern  (seihe  müssen  14  Tage 
früher  dem  Verwalt ungskomifee  angezeigt  werden;  7.  Wahl  von 
Funktionären  in  das  Verwaltungskomitee  nach  §  22,  dann  für 
das  Schiedsgericht  nach  §  30  der  Statuten  und  als  Revisoren  für 
das  Jahr  1907  nach  §  9  der  Cleschäftsordnung.  Damit  die  General¬ 
versammlung  nach  §  27  der  Statuten  heschlußfähig  sei,  werden 
die  P.  T.  Herren  Vereinsmitglieder  ersucht,  zuversichtlich  er¬ 
scheinen  zu  wollen. 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  XXXVI.  Kongreß  der 
Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  1907.  Nach  §3 
d(‘r  Geschäftsordnung  vom  5.  Januar  1905  sollen  nicht  mehr  als 
70  Vorträge  und  Demonstrationen  auf  die  Tagesordnung  gesetzt 
werden;  angemeldet  sind  genau  100.  Es  wird  sich  aher  doch  viel¬ 
leicht  das  gesamte  IMaterial  erledigen  lassen,  wenn:  1.  die  Vor- 
li'äge  sämtlich  frei  gehalten,  kaum  Ausnälrmen  zugelassen  werden 
(§  0) ;  2.  diejenigen  Herren,  welche  über  Experimente  an  Tieretr 
l)erichten,  lediglich  die  Schl  ullf  olger  u  ngen  aus  ihren  Arbeiten 
in  einem  ganz  kurzen  Referate  mitteilen;  3.  ,,neue  Erfahr 
rungen“  über  schon  publizierte  Materien  nur  mit  wenigen  Worten 
berührt  werden.  Längere,  wohl  ausgearheitete,  mit  Literatur  ver¬ 
sehene  Reden  können  nicht  gehalten,  wohl  aher  später  gedruckt 
werden.  Es  wird  mein  eifrigstes  Bestreben  sein,  von  Anfang  an 
für  rasche  Erledigung  des  Programmes  zu  sorgen;  erst  im  Ver¬ 
laufe  des  Kongresses  wird  man  übersehen  können,  ob  die  mit 
einem  *  bezeichneten  „Reserven“  zur  Verabschiedung  kommen 
können.  Die  Herren,  deren  Vorträge  ich  in  Reserve  gesetzt  habe, 
mögen  mir  das  nicht  übel  nehmen;  es  sind  Fehler  meinerseits 
bei  der  Beurteilung  der  Vorträge  unvermeidlich,  aber  ich  bin  an 
die  Geschäftsordnung  gebunden;  sie  gestattet  statt  105  eben  nur 
70  Vorträge.  Die  aufgestellte  Tagesordnung  ist  als  eine  vorläufige, 
eventuell  noch  änderungsfähige  anzusehen.  Sollten  noch  besondere 
Wünsche  geäußert  werden,  so  ist  deren  Erfüllung  eventuell  mög¬ 
lich.  Die  Mitgliedskarten,  welche  beim  Eintritt  in  den  Sitzungs¬ 
saal  vorgezeigt  werden  müssen,  können  von  Sonntag  den  31.  März 
ab,  die  definitive  Tagesordnung  von  Dienstag  den  2.  April,  nach¬ 
mittags  4  Ehr,  im  Bureau  des  Herrn  Melzer  im  Langenbeck- 
Hause,  in  Empfang  genommen  werden.  Von  Samstag  den  30.  März, 
abends,  an  bin  ich  in  Berlin  (Hotel  Berliner  Hof,  Neustädtische 
Kirchstraße)  zu  etwaigen  Besprechungen  bereit.  Jena,  den 

12.  März  1907.  B.  Riedel,  Vorsitzender  für  das  Jahr  1907. 

* 

Das  Dys  enteric  toxin.  Von  Dr.  Robert  Doerr,  k.  n.  k. 
Regimentsarzt.  Verlag  von  G.  Fischer  in  Jena.  Noch  vor  wenigen 
Jahren  galten  die  Shiga- Kruse  sehen  Bazillen  als  die  alleinigen 
Erreger  der  epidemischen  Dysenterie,  bis  in  einzelnen  Epidemien 
die  sogenannten  Flexn ersehen  Stäbchen  als  das  ursächliche 
Moment  der  Dysenterie  angesehen  werden  mußten.  Der  Autor, 
welcher  sich  selbst  um  die  Klärung  der  Aetiologie  der  Dysenterie 
liervorgetan  hat,  bespricht  in  der  vorliegenden  Monograi)hie  die 
besondere  Stellung  des  Flexnerbazillus  gegenüber  jenem  von 
Shiga-Kruse,  die  nicht  nur  durch  die  Verschiedenheit  der 
kulturellen  Eigenschaften,  durch  die  Agglutination,  sondern  mich 
dadurch  bedingt  ist,  daß.  die  Bazillen  der  Flexnergruppe  kein 
Toxin  produzieren,  wohl  aber  jene  vom  Typus  Kr  use- Shiga 

und  daß  dieses  Toxin  besonders  auf  Kaninchen  giftig  wirkt. 

* 

Die  Verlagsbuchhandlung  Wilhelm  Braumüller  feierte 
in  diesen  Tagen  den  100.  Geburtstag  ihres  im  Jahre  1884  ver¬ 
storbenen  Begründers  gleichen  Namens.  In  Nr.  11  der  ,, Gegen¬ 
wart“  widmet  Dr.  Adolf  K  o  h  u  t  (Berlin)  diesem  Gedenktag  einen 
längeren  Artikel,  dem  wir  folgendes  entnehmen :  „Zu  den  Aus¬ 
erwählten  und  Berufenen,  deren  bahnbrechendes  Lebenswerk 
noch  jetzt  unvergessen  ist,  gehörte  der  vor  einem  Jahrhundert 
—  am  19.  März  1807  —  im  thüringischen  Städtchen  Zillbach  als 
zweiter  Sohn  des  Pfarrherrn  Michael  Braumüller  geborene 
Wilhelm  B  r  a  u  m  ü  1 1  e  r,  der  dann  ein  Menschenalter  hindurch 
in  Wien  lebte,  ein  guter  Oesterreicher  wurde  und  zu  den  treuesten 
und  wackersten  Söhnen  seines  von  ihm  so  sehr  geliebten  Adoptiv- 
Vaterlandes  gezählt  werden  muß.  Bei  seinem  Eintritt  in  die 
buchhändlerische  Arena  war,  wie  gesagt,  Oesterreich  der  un¬ 
dankbarste  und  unfruchtbarste  Boden  für  den  Buchhandel  und 
den  Buchverlag;  aber  er  trat  mit  der  Energie  eines  Reformators 
und  dem  Seherblick  eines  Genies,  das  alle  Hindernisse  mit 
spielender  Leichtigkeit  überwindet,  an  die  verworrenen  und  trost¬ 
losen  Verhältnisse  heran.  In  diesem  Manne  der  Praxis,  dem  von 


keinen  Voraussetzungen  und  Vorurteilen  befangenen  Beurteiler 
der  gegebenen  Tatsachen,  lebte  zugleich  ein  hoher  idealer  Sinn 
und  das  lauterste  Streben.  Mit  solchen  glänzenden  Geistes-  und 
Charaktereigenschaften  ausgestattet,  glückte  es  ihm,  in  erfolg¬ 
reicher  Weise  die  Schranken  zu  beseitigen,  die  der  Gleich¬ 
berechtigung  zwischen  den  buchhändlerischen  Veröffentlichungen 
im  Habsburgischen  und  im  Deutschen  Reiche  im  Wege  standen, 
und  einen  Verlag  zu  schaffen,  der  sich  bald  einen  W’^ellruf  erwarb 
und  eine  Vereinigung  der  namhaftesten  Denker,  Forscher  und 
Gelehrten  deutscher  Zunge  wurde.  Immer  mehr  nahm  der  öster¬ 
reichische  Verlag  an  Kredit  zu,  nicht  nur  im  Inlande,  sondern  auch 
im  Auslande,  und  selbst  reichsdeutsche  Kapazitäten  rechneten  es 
sich  zur  Ehre  an,  bei  Wilhelm  Braumüller  ihre  Werke  er¬ 
scheinen  zu  lassen.  Ein  findiger  Kopf,  ein  produktiver  Geist  und 
ein  für  die  Wissenschaft  und  ihre  Fortschritte  begeisterter,  echt 
deutscher  Mann,  wirkte  er  selbst  anregend  und  befruchtend  auf 
die  schaffenden  Köpfe  seiner  Zeit  und  viele  Werke  seines  Verlages 
erstanden  aus  seinen  ideenreichen  Anregungen.  Die  Zweige  der 
Literatur,  die  er  pflegte,  haben  seinen  Namen  auch  mit  der 
Wissenschaft  eng  verknüpft;  war  er  es  doch,  der  den  damals 
noch  jungen  Sternen  der  medizinischen  Schule,  wie:  Skoda, 
H  y  r  1 1,  Rokitansky,  A  r  1 1  u.  a.  für  ihre  grundlegenden 
Werke  seinen  Verlag  freudig  zur  Verfügung  stellte;  war  er  es 
doch,  der  jene  kostspieligen  Werke  verlegte  und  ungeheuere 
finanzielle  Opfer  für  sie  brachte,  ohne  von  vornherein  eines 
buchhändlerischen  Erfolges  sicher  zu  sein.  In  erhebender  Weise 
wurden  seine  Verdienste  von  der  Universität  Würzburg  anerkannt, 
die  ihn  gelegentlich  ihres  400jährigen  Gründungsfestes  unter  vielen 
Sternen  der  Wissenschaft  zum  Ehrendoktor  der  Philosophie  er¬ 
nannte.  Sein  Name  ist  auch  in  einer  Stiftung,  die  er  dem 
,, Orientalischen  Museum“  machte,  erhalten  geblieben,  u.  zw.  in 
einem  etwa  1400  Bände  umfassenden  Werk,  das  ihm  vor  einigen 
Jahrzehnten  vom  Mikado  verehrt  worden  war.  Als  die  Würzburger 
Universität  B  r  a  u  m  ü  1 1  e  r  zum  Ehrendoktor  ernannte,  gab  der 
große  Anatom  Hyrtl  seiner  Sympathie  für  den  so  Geehrten  mit 
den  Worten  Ausdruck:  ,,Das  war  einmal  eine  Ehrendoktor¬ 
ernennung,  welche  mich  erfreute  !  Quod  faustum  felix  fortunatumque 

sit  Tibi,  Clarissime  Neodoctor,  opto  et  exopto.“ 

♦ 

Im  M  a  r  i  a  -  T  h  e  r  e  s  i  a  -  F  r  a  u  e  n  h  0  s  p  i  t  a  1  e  in  Wien  sind 
im  Jahre  1906  nach  dem  Berichte  des  Direktors  Prim.  Dr.  Her¬ 
mann  V.  Erlach  800  Kranke  verpflegt  Avorden.  Das  Ambulatoxium 
Avar  von  4415  neu  eingetretenen  Frauen  besucht  gewesen. 

* 

Dr.  Karl  Buberl  ordiniert  ab  1.  Mai  1907  als  Badearzt 
in  Franzensbad  in  Böhmen  (Haus  Beethoven). 

* 

Wie  der  Redaktion  mitgeteilt  Avird,  besteht  in  dem  dritt¬ 
größten  Wiener  Krankenhause,  dem  Kaiser-Franz- Joseph-Spital, 
gegenAvärtig  ein  derartiger  Mangel  an  Hilfsärzten,  daß  für  die 
neu  eintretenden  Aerzte  die  besten  Avancementschancen  bestehen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
<>r  weiterten  Gemeindegebiet.  10.  Jahres  woche  (vom  3.  bis 
9.  März  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  643,  unehelich  305,  zu¬ 
sammen  948.  Tot  geboren  ehelich  57,  unehelich  23,  zusammen  80. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  796  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  21‘1  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  17,  Scharlach  11,  Keuchhusten  3, 
Diphtherie  und  Krupp  7,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  5, 
Lungentuberkulose  134,  bösartige  Neubildungen  44,  Wochenbett¬ 
fieber  7.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  39  ( — 4),  Wochen- 
betlfieber  8  (-|-  6),  Blattern  0  (0),  Varizellen  69  (-[-  13),  Masern  301 
( —  85),  Scharlach  93  (-j-  2),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  4  ( —  2), 
Ruhr  1  (-(-  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Kiupp  96  (-}-  11),  Keuch¬ 
husten  37  ( —  13),  Trachom  0  ( —  1),  Influenza  6  (-}-  6). 


Freie  Stellen. 

Stelle  eines  Badearztes  in  Luhatschowitz.  In 
dem  mährischen  Salzbade  Luhatschowitz,  welches  im  Jahre  1902 
von  einer  Aktiengesellschaft  angekauft  und  modernisiert  wurde,  ist 
durch  das  Ableben  des  Herrn  Dr.  Em.  Spielmann,  welcher  da¬ 
selbst  durch  28  Jahre  praktizierte  und  über  den  Winter  in  Wien  domi¬ 
zilierte,  die  Stelle  eines  Badearztes  freigeworden.  Der  Besuch  der  Saison 
1906  betrug  3504  Kurgäste  und  über  5000  Passanten;  von  Wien  allein 
waren  etwa  300  Kurgäste.  Für  zwei  Drittel  böhmischer  Kurgäste  waren 
sechs  böhmische  Aerzte  vorhanden,  für  ein  Drittel  deutscher  Kurgäste  ein 
deutscher  Arzt,  also  die  möglichst  günstigen  Verhältnisse  für  diesen. 
Der  Verwaltungsrat  möchte  als  Nachfolger  Dr.  Spielmanns  einen 
Dozenten  oder  gewesenen  Assistenten  wünschen.  Auskünfte  durch  den 
Badedirektor  MUDr.  Fr.  V  o  s  e  1  f. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


397 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 

1  N  H  ALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  22.  März  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  März  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  22.  März  1907. 

Vorsilzender :  Prof.  Alexander  Kolisko. 

Scbriflfülirer :  Dr.  Fritz  Hitschmann. 

Sekretär  Prof.  R.  Pal  tauf  verliest  das  Protokoll  der  am 
15.  März  1907  vorgenommeiieii  Wahl  von  Funktionären  und  Mit¬ 
gliedern  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Für  die  Wahl  von  Funktionären  wurden  147  Stimmzettel 
ahgegehen;  mit  140  bis  146  Stiurmen  wurden  gewählt: 

Zum  Präsidenten:  Hofrat  Prof.  Dr.  R.  Chrohak. 

Zum  Vizepräsidenten:  Hofrat  Prof.  Dr.  S.  Exner. 

Zu  Sekretären:  Prof.  Dr.  Otto  Rergmeister  und  Pro¬ 
fessor  Dr.  Richard  Pal  tauf. 

Zum  Vermögensverwal  ter :  Dr.  Anton  Loew. 

Zu  Ribliothekareu:  Prof.  Dr.  Ludwig  Unger  und  Pro¬ 
fessor  Dr.  Heinrich  Paschkis. 

Zu  Verwaltungsräten  (137  bis  140  Stimmen):  Dr.  Josef 
Rreuer;  Prof.  Dr.  Ottokar  Chiari;  Reg. -Rat  Professor  Doktor 
A.  V.  Frisch;  Primararzt  Dr.  Karl  Ewald;  Prof.  Dr.  Alexander 
Kolisko;  Dr.  Anton  K  h  a  u  t  z  v.  E  u  1  e  n  t h  a  1 ;  Ih’of .  Doktor 
H.  H.  Meyer;  Hofrat  Prof.  Dr.  A.  Mosetig  v.  Moorhof; 
Hofrat  Prof.  Dr.  Leopold  Oser;  Hofrat  Prof.  Dr.  Emil  Zucker- 
k  a  n  d  1. 

Zu  Rechnungsrevisoren:  Dr.  Alexander  Hinter¬ 
berger;  Dr.  August  S  c  h  Av  a  r  z ;  Dr.  Hermann  T  e  1  e  k  y  senior . 

Zu  Vorsitze  n  den:  Hofrat  Prof.  Dr.  Viktor  Ebner; 
Prof.  Dr.  Ernst  Finger;  Prof.  Dr.  Leopold  König  stein. 

Zu  Schriftführern:  I )r.  Albert  R  lau;  Dr.  Hans  v.  11  a- 
herer;  Dr.  Karl  v.  Stejskal. 

Als  Mitglieder  wurden  gewählt:  a)  Zum  Ehrenmit¬ 
glied:*)  Hofrat  Prof.  Dr.  J.  M.  Eder,  Direktor  der  k.  k.  graphi¬ 
schen  Lehr-  und  Versuchsanstalt,  Wien. 

h)  Zu  korrespondierenden  Mitgliedern:*)  Doktor 
M.  Kaller,  Delegierter  Oesterreich-Ungarns  im  Conseil  superieur 
de  sante  in  Konstantinopel;  Dr.  Eduard  Zirm,  Primararzt  in 
Olmütz. 

c)  Zu  ordentlichen  Mitgliedern:  Dr.  Jul.  RcyUel, 
Assistent  am  path. -anatom.  Institut;  Dr.  Rudolf  Rergmeister, 
klin.  Assistent;  Dr.  Karl  Rondy,  prakt.  Arzt;  Dr.  Siegfr.  Roxer, 
Abteilungsassistent;  JJr.  Johann  Rurkl,  k.  k.  Stabsarzt;  Doktor 
Julius  Drey,  Ahteilungsvorstand  am  öffentlichen  Kinderkranken- 
instilut;  Dr.  Gustav  Egger,  poliklin.  Assistent;  Dr.  Wilhelm 
Falta,  klin.  Assistent;  Dr.  Maiu-us  Fisch,  Radearzt  und  Re¬ 
dakteur;  Dr.  Anton  Fischer,  k.  k.  Oberstabsarzt;  Dr.  Leopold 
Franz  Födisch,  Rahnarzt  der  k.  k.  Staatsbahndirektion;  Doktor 
Ernst  Gl  aß',  prakt.  Arzt;  Dr.  tieinrich  Haase,  prakt.  Arzt  ; 
Dr.  Albert  Herz,  Ahteilungsassistent;  Dr.  Fritz  Hutter,  prakti¬ 
scher  Arzt;  Dr.  Emil  Kraus,  gew.  klin.  Assistent;  Dr.  Otto 
Loewi,  a.  ö.  Professor;  Dr.  Franz  Makszini  de  Bedehaza, 
Regiments-  und  Gardearzt;  Dr.  Karl  Mobilia,  prakt.  Arzt;  Doktor 
.4dolf  Müller,  Zahnarzt;  Dr.  Karl  v.  No  or  den,  o.  ö.  Professor; 
Dr.  Josef  Peter,  Zahnarzt;  Dr.  Hugo  Raubitschek,  k.  u.  k. 
Oberarzt;  Dr.  Felix  Reach,  präkt.  Arzt;  Dr.  Heinrich  Reicliel, 
Assistent  am  hygien.  Institut;  Dr.  Karl  Reitmann,  klinischer 
Assistent;  Dr.  Robert  Rosenthal,  Leiter  der  Priyatheilanslalt 
Hacking;  Dr.  Hugo  Salomon,  klin.  Assistent;  Dr.  K.  Schwarz, 
Assistent  am  physiolog;^.  Institut;  Dr.  Ludwig  Schweiger,  prak¬ 
tischer  Arzt;  Dr.  Otto  Specht,  prakt.  Arzt;  Dr.  B.  Spitzer, 
Assistent  am  zahnärztl.  Univ.-Inslitid. ;  Dr.  Richard  Tliaussig, 
ein.  Sekundararzt;  Dr.  Armin  v.  Tschermark,  o.  ö.  Professor; 
Dr.  Josef  Utscliick,  prakt.  Arzt;  Dr.  Ernst  Venus,  potiklini- 
scher  Assistent;  Dr.  Gustav  Weil,  k.  k.  Stabsarzt. 


*)  Zur  Gültigkeit  der  erfolgten  Wahl  von  Ausländern  zu 
Ehren-  resp.  korrespondierenden  Mitgliedern,  bedarf  es  nach  §  9  der 
Statuten  noch  der  Genehmigung  der  k.  k.  n.-ö.  Statt¬ 
halterei. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
19.  Februar  1907. 

Wisseuschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der  Garnison  Wien. 
Sitzung  vom  26.  Januar  und  9.  Februar  1907. 


Priv.-Doz.  Dr.  Emil  Schwarz  demonstriert:  1.  Einen  Fall 
von  A n e u r  y  s  m a  d er  Arte r  i  a  a  n o n y  m a  d e x  t  r  a,  mit  v o  1 1- 
komrnenem  Verschlüsse  der  Carotis  communis.  Der 
jetzt  öOjährigc  kranke  Täglölmer,  liatte  vor  30  Jahren  sich  luetiscli 
infiziert,  sonst  keinerlei  nennenswerte  Erkrankungen.  Im  Ok- 
loher  1905  suchte  der  Kranke  meine  Abteilung  im  Kaiser -Franz- 
Joseph  -  Amhulatorium  wegen  trachealen  Stridors  auf.  Der  da¬ 
malige  Refund  ergab  eine  Einbiegung  der  rechten  Trachealvvand, 
eine  kleine  Dämpfung  im  ersten  rechten  Interkostal  raum,  ohne 
sicht-  und  fühlbare  Pulsation.  Keinerlei  Gefäßdiffereuzen.  Die 
von  Priv.-Doz.  Dr.  Holzknecht  ausgeführte  radiologische  Unter¬ 
suchung  zeigte,  daß  die  Trachea  in  der  oberen  Thoraxapertur 
nach  links  an  die  linke  Oberfläche  des  Mediastinums  abhiegl. 
i\n  der  oberen  Hälfte  des  Mittelschattens  Veränderungen,  welche 
sich  am  einfachsten  durch  eine  raumbeengende  Bildung  in  der 
rechten  Hälfte  der  ol)ereu  Thoraxapertur  erklären  lassen,  die 
nicht  nur  die  Trachea,  sondern  auch  den  Aortenbogen  nach  links 
verdrängt,  die  Aorta  bietet  radiologische  Zeichen  der  diffusen 
Dehnung  erheblichen  Grades.  Die  raumbeengende  Bildung  und 
die  Aorta  werden  beim  Schlucken  deutlich  in  mäßigen  Exkur¬ 
sionen  gehoben.  Das  Gebilde  pulsiert  nicht  und  bietet  nichts 
Charakteristisches.  Ich  nahm  damals  bewogen  durch  die  so  frülu 
zeitige  Trachealstenose  einen  gutartigen  Tumor  an  und  ließ  den 
Kranken  auf  eine  chirurgische  Abteilung  aufnehmen  behufs  even¬ 
tueller  Operation.  Der  Kranke  verließ  jedoch  l)ald  das  Spital 
und  ich  sah  ihn  nicht  bis  zum  14.  Februar  d.  J.,  an  welchem 
Tage  er  wegen  heftiger,  in  Arm  und  Nacken  ausstrahlender 
Scluuerzen  wieder  meine  Abteilung  aufsuchte.  Der  Befund  war 
nun  in  kurzem  folgender:  Zyanose  des  Gesichtes,  stärkeres  Vor¬ 
treten  des  Venennetzes  auf  der  rechten  oberen  Hälfte  des  Thorax. 
Deulliche  pulsatorische  Erschütterung  des  medialen  Endes  der 
rechten  Klavikula  und  des  rechten  ersten  Interkostalraums  neben 
dem  Sternum  (jetzt  viel  weniger  sicht-  und  fühlbar  als  vor  vier 
Wochen).  Weder  in  der  Achselhöhle,  noch  in  der  Supraklavikular- 
grube  sind  Drüsen  tastbar.  Knapp  ober  dem  Klavikulargelenke 
deutliche  Pulsation  der  rechten  Subklavia,  welche  etwas  höher 
liegt  als  die  linke.  Dämpfung  im  ersten  Interkostalraum  und  am 
ganzen  manubrium  sie  mi.  Spitzensloß  in  linker  Seitenlage  im 
sechsten  Interkostalraum,  in  Rücketilage  nicht  fühlbar,  Herztöne 
rein,  etwas  dumpf,  keinerlei  Geräusch,  auch  nicht  über  dorn 
pathologischen  Dämpfungsbezirke.  Stridor  und  Heiserkeit.  Laryn- 
goskopischer  Befund,  welchen  Herr  Dr.  Weil  aufzunehmen  so 
freundlich  war :  Rekurrenslähmung  rechts,  Hypästhesie  des  Kehl¬ 
kopfes,  besonders  der  rechten  Hälfte,  Vorwölhung  der  linken 
Trachealwand  ohne  Pulsation  daselbst.  Die  radiologische  Auf¬ 
nahme,  welche  ich  der  BTeundlichkeit  des  Herrn  Kollegen  Holz¬ 
knecht  verdanke,  ergibt:  Herzschatten  in  gesamter  querer  Breite 
kaum  über  der  oberen  Grenze  der  Norm,  jedoch  init  einem 
größeren  Anteil  in  der  linken  Körperhälfte  liegend  als  unter  physio¬ 
logischen  Verhältnissen.  Das  obere  Mediastinum  enthält  in  der 
rechten  Hälfte  ein  faustgroßes,  schattengebendes  Gebilde  von  an¬ 
nähernd  kugeliger  Gestalt,  gleichmäßig  gerundeten,  nicht  zweifellos 
pulsierenden  Rändern,  welches  zur  Hälfte  in  das  Gebiet  des 
rechten  Ohcrlappens  fällt.  Die  Trachea,  der  Oesophagus  und  der 
Aortenhogen  nach  links  verdrängt  und  sich  an  diesen  (der  übrigens 
diffuse  Dehnung  zeigt)  ohne  Diskontinuität  anschmiegt.  Das  inter¬ 
essante  an  dem  B’alle  sind  nun  die  Differenzen  in  den  Gefäßen 
der  beiden  Seiten :  Die  beiden  Radialarterien  sind,  ahgesehen 
von  einer  stärkeren  Schlängelung  der  linken,  gleich  weit,  die 
Pulse  syncliron  und  gleich  stark.  Die  Druckmessung  zeigt  rechts 
und  liidvs  gleiche  Werte  (nach  Sahli  120  mm,  nach  uärtner  80). 
Auch  die  beiden  Rrachiales  fühlen  sich  vollkommen  gleich  an.  Di'- 
rechte  Subklavia  zeigt,  wie  erwähnt,  höhere  Lage  und  stärkere 
Pulsation.  Während  (lie  linke  Karotis  auffalleinl  weit  ist  und 
sehr  kräftig  pulsiert,  ist  aber  an  der  rechten  Seite  keine  Spur 
eines  Karotispulses  (weder  in  der  Carotis  communis  noch  externa, 
noch  Art.  maxill.  ext.,  oder  Art.  temp.)  zu  finden.  Nur  in  der 
Nähe  des  unteren  Randes  des  Ringknorpels  ist  in  der  Ciefe  emo 
kleine  Pulsation,  offenbar  die  vom  Trunc.  thyreocorvical.  (also 
Subklavia)  ahgchende  Art.  thyr.  inf.  zu  tasten.  Es  besteht  also 
eine  vollkommene  Obturation  der  Carolis  communis. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


Was  licgi  liier  iiuii  vor?  Die  eiiifaehste  Annahnrc,  die  eines 
Aneurysinas  <ler  Art.  anonyma,  Jiat  anscheinend  vieles  gegen  sich: 
Vor  alh'in,  dali  als  erstes  Symptom  und  schon  vor  IV'i  Jahren 
Trachealstenose  aufgetreten  war,  ferner  die  trotz  der  jetzt  he¬ 
deulenden  (iröße  der  Geschwulst  sehr  geringfügige  Pulsation  — 
auch  vom  Jugulum  und  von  der  Supraklavikulargegend  aus  ist 
wenig  davon  zu  finden  —  endlich  die  Gleichheit  der  Pulse  in 
dem  Gehiete  der  Subklavia,  bei  einer  solchen  Differcmz  in  den 
Karotiden.  Trachealstenose  findet  sich  noch  am  ehesten  liei  Aneu- 
i-ysmen  des  Arcus  aortae,  wo  jedoch  meist  die  linksseitige  Wand; 
der  Trachea  eingehuchlet  wird.  Dann  liegt  für  ein  Aortenaneurysma 
Dämpfung  und  Schatten  auffallend  hoch,  endlicfi  könnte  von 
einem  solclien  aus  der  isolierte  Verschluß-  der  Carotis  dextra 
nicht  erklärt  werden.  Gegen  die  Annahme  eines  Tumors  spricht 
alles;  die  Stauungserscheimmgen  im  Gebiete  der  Vena  innomin. 
dexlr.  sind  verhältnismäßig  geringfügig,  im  Vergleiche  zu  der 
starken  Kompression,  die  auf  die  Arterie  ausgeüht  wurde.  Ferner 
sind  wir  mit  der  Annahme  eines  Tumors,  der  ausschließlich 
unter  der  Thoraxapertur  sitzt,  überhaupt  nicht  imstande,  den 
isolierten  Verschluß  der  Karotis  zu  erklären.  Ferner  ist  gleich¬ 
zeitig  nachweisbare  starke  Dehnung  der  Aorta  jedenfalls  ein 
Argument  zugunsten  einer  Erkrankung  der  Gefäßwände  und  ich 
möchte  dahei-  doch  hei  der  ersten  Annahme  bleiben,  daß  hier 
ein  Aneujysma  vorliegt,  ich  glaube,  man  müßte  dasselbe  dann 
folgendei-rnaßen  lokalisieren  :  Ausdehnung  der  aufsteigenden  .Aorta 
mit.  sackartiger  Ausdehnung  an  der  Ahgangsstelle  der  Arteria 
anonyma  dextra  und  median  von  ihr,  so  daß  die  letztere  in 
das  Aneurysma  mit  eingeht  und  von  rechts  her  die  Trachea  kom¬ 
primiert.  Sehl'  starke  Gerinnselhildung,  welche  einerseits  die 
Pulsation  trotz  der  Ausdehnung  des  Sackes  so  geringfügig  macht, 
anderseits  den  Durchbruch  in  die  Trachea  so  lange  hintanhält. 
Vollkommene  Verlegung  des  Abganges  der  Karotis  bei  freiem, 
nicht  zu  weitem  Kanal  zur  Subklavia.  Außerdem  wäre  noch  die 
Möglichkeit  einer  anatomischen  Anomalie:  eines  getrennten  Ab¬ 
ganges  der  rechten  Karotis  und  Subklavia  in  die  Aorta  in  Betracht 
zu  ziehen,  welche  uns  vielleicht  noch  leichter  die  vorliegenden 
Verhältnisse  erklärt,  die  ich  aber  wegen  dieses  Vorkommnisses 
nur  als  eventuelle  Hypothese  hinstellen  möchte. 

Diskussion:  Dr.  L.  Wiek. 

2.  Präparate  von  fibrinöser  Bronchitis,  mit 
enormer  Eosinopliilie.  Als  ,, fibrinöse  Bronchitis“  werden 
eine  ganze  Anzahl  von  Zuständen  bezeichnet,  welche  zwar  ein 
Gemeinsames:  die  Expektoration  von  Bronchialgerinnseln,  auf- 
weisen,  sonst  aber  sowohl  ätiologisch  wie  klinisch  nichts  juitein- 
ander  zu  tun  haben  und  daher  auch  nicht  miteinander  unter  einem 
Ki’ankheitsnamen  zusammengefaßt  werden  sollten.  Sieht  man  von 
Infektionskrankheiten,  namentlich  Diphtherie,  wo  diese  Gerinnsel¬ 
bildung  nur  einen  Teil  der  entzündlichen  spezifischen  Erkrankung 
der  Bronchien  darstellt,  dann  von  direkten  Schädigungen  der 
Broncbialschleimhaut  durch  reizende  Dämpfe  und  Flüssigkeiten 
ab,  so  bleiben  <lie  als  ,, primäre  fibrinöse  Bronchitis“  benannten 
Fälle  übrig.  Auch  diese  läßt  sich  in  zwei  Unterabteilungen  zer¬ 
legen:  eine  akute  fieberhafte  Affektion,  welche  oft  tödlich  endigt 
und  sehr  selten  zu  sein  scheint,  dann  eine  zweite,  idiopathischje, 
mehr  chronische,  gleichfalls  ziemlich  seltene  Erkrankung,  welche 
unter ‘dem  Bilde  einer  mit  Remissionen  und  Exazerhationen  ver¬ 
laufenden  chronischen  Bronchitis  einhergeht,  auf  deren  Höhe  unter 
dyspnoischen  Anfällen  die  bekannten  Gerinnsel  ausgehustet 
wenlen.  Die  Stellung  dieser  Erkrankung  im  neurologischen  Sy- 
sleme  ist  von  den  einzelnen  Beobachtern  nur  hie  und  da  be¬ 
rührt  worden,  obwohl  denjenigen,  welche  die  (lerinnsel  einer  ge¬ 
naueren  Untersuchung  unterzogen,  doch  manches  daran  aufgefallen 
ist.  Abgesehen  davon,  daß  dieselben  nicht  immer  bloß  aus  *ge- 
scbichtetem  Fibrin,  sondern  mebr  oder  Aveniger  aus  einer  äußerst 
zähen,  muzinartigen  Substanz  bestellen,  fanden  sich  in  mehreren 
Fällen,  wo  daraufhin  untersucht  wurde,  die  Leydenseben  Asthma¬ 
kristalle  (Zenker,  Riegel,  Leyden,  Fried  reich,  Schmiilt, 
B.  Koch,  Frit  sehe)  sowie  in  den  meisten  dieser  Beobachtungen 
auch  eosinophile  Zellen  in  reichlicher  Menge  (Fritsche, 
Schmidt).  Nachdem  wir  nun  wissen,  daß  die  Asthmakristall© 
Derivate  der  eosinophilen  Zellen  sind,  so  können  wir  auch  in 
den  älteren  dieser  Beobachtungen  das  Vorhandensein  letzterer 
Elemente  im  AusAvurfe  mit  Bestimmtheit  annehmen.  Ich  hatte 
nun  Gelegenheit,  eine  analoge  Beobachtung  zu  machen.  Eine 
30jährige  Flau,  welche  seit  ungefähr  drei  Vierteljahren  an  bron- 
(diilischen  Symptomen  litt,  bemerkte  in  der  letzten  Zeit,  daß  sie 
unter  heftiger  Sleigerung  ihrer  BescliAA^erden  Avurniförmige,  mehrere 
Zentimeter  lange  Gebilde  aushustele.  Außer  den  bronchilischen 
Zeichen  bot  sie  kein  Krankheitszeichen,  insbesondere  kein  Zeichen 
der  Tuberkulose;  auch  Avaren  niemals  vorher  dyspnoi.sche  Anfälle 
aufgelrelen.  Der  .VusAvurf  war  reichlich,  zäh,  mit  stark  eitrigen 
Beimengungen  und  enthicdt  dünne  und  dicke  Pronchialgerinnsel, 


von  dejien  ich  eines  hier  demonslriere ;  dasselbe  Avar  viel  dicker, 
es  ist  im  Alkohol  geschrumpft.  Die  Gerinnsel  Avaren  weißlich  oder 
blaßrosa  gefärbt,  fein,  längsstreifig  und  in  ibren  äußeren  Scbichten 
schleimig  durchscheinend.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des 
AusAAUirfes  zeigte  massenhaft  eosinophile  Zellen  und  reichlich  * 
Kristalle  und  auch  an  dem  eingestellten  mikroskopischen  Schnitt¬ 
präparate  von  einem  solchen  Gerinnsel  kann  ma:n  die  fast  aus¬ 
schließliche  Vorherrschaft  der  eosinophilen  Zellen  und  die  Kristalle 
leichterkennen.  Außerdem  zeigt  die  Weigertsche  Färbung  ein 
Fibrinnelz  und  besonders  auf  den  Querschnitten  die  Bildung  d('s 
Zentrums  aus  zusanrmengerollten  lamellösen  Fibrinmassen.  Die 
Eosinophilen  sind  fast  alle  einkernig,  Avas  auch  beim  Asthma- 
sputum  AAdederholt  beobachtet  Avurde.  Die  Untersuchung  des  Blutes 
der  Kranken  ei'gab  eine  sehr  starke  Eosinophilie:  G4Uo  Neutro¬ 
phile,  12Uo  Eosinophile,  24°/o  Lymphozyten,  ein  Verhalten,  Avelches 
auch  Amn  Fritsche  in  einem  Falle  bemerkt  Avurde. 

Ich  glaube  nun,  daß  diese  auffällige  Tatsache,  die  also 
schon  Aviederholt,  nur  vielleicht  nicht  in  so  frappierender  Weise 
beobachtet  Avurde,  doch  nicht  als  völlig  nebensächlich  aufgefaßt 
Averden  kann.  Wir  kennen  außer  dem  Bronchialasthma  bis  jetzt 
keine  Pi'imärerkrankung  der  Bronebien,  Avelche  typische  Eosino¬ 
philie  auf  weist,  ja  Avenn  Avir  auf  das  massenhafte  und  prädomi¬ 
nierende  dieser  Zellgattung  im  Auswurfo  achten,  so  fallen  selbst 
die  anderen  bronchitischen  Erkrankungen,  Avie  Tuberkulose,  Bron- 
chiektasien,  kardiales  Asthma  mit  Stauungsbronchitis  fort.  Fast 
noch  Avicb tiger  ist  die  begleitende  Eosinophilie  des  Blutes.  Die 
Klinik  des  Bronchialasthmas  lehrt  uns  ferner,,  daß  der  echte  asthma¬ 
tische  Anfall  keinesAAmgs  für  die  Diiignose  ausschlaggebend  ist, 
indem  in  zahlreichen  Fällen  das  Bronchialasthma  unter  der  Form 
rezidivierender  oder  chronischer  Bronchitiden  auftritt,  daß  also 
nach  Curschmaniis  Ansicht  eine  Bronchiolitis  exsudativa  be¬ 
steht,  bei  Avelcher  die  Chance  zur  EntAvicklung  asthmatischer 
Anfälle  von  der  Ausdehnung  des  Prozesses  und  der  Reizbarkeit 
des  beti'offenen  Individuums  abhängt.  Auch  die  von  Hof  mann 
und  T eic Inn  ü Iler  beschriebene  eosinopbilc  Bronchitis  ist  Avohl 
nichts  als  ein  Asthmakatarrh.  Hiezu  kommt  iioch  die  von  Hof¬ 
mann  angeführte  Beobachtung,  daß  bein'!  typiseben  Bronchial¬ 
asthma,  Avenn  cs  nach  längerem  Bestehen  in  das  bronchitische 
Stadium  eingetreten  ist,  in  maueben  Fällen  der  AusAvurf  die 
für  die  primäre  fibrinöse  Bronchitis  charakteristische  Gestalt  an¬ 
nimmt;  keine  Spiralen,  dagegen  lange,  baumartig  Amrzweigte  Ge¬ 
rinnsel,  AAmlchc  Abgüsse  der  Bronchial  Verzweigungen  darstellen. 
Ferner  Avurden  auch  beim  typischen  Asthma  P'ibrinfäden  ge¬ 
funden,  ja  V.  Jaksch  hält  den  Zentralfaden  der  Curschmann- 
schen  Spiralen  für  Fibrin.  Auf  den  wiederholten  Befund  von 
Spiegler  bei  fibrinöser  Bronchitis  möchte  ich  Aveniger  Wert 
legen,  da  diese  aus  rein  mechanischen  Gründen  entstehenden 
Gebilde  für  die  Art  des  AusAvurfes  nicht  bcAveisend  sind.  Es 
bieße  mm  den  Tatsachen  ZAvang  antun,  Avollte  man  bei  all  dieser 
■Uebereinstimmung  Fälle,  Avie  der  von  mir  beobachtete,  auch  ferner¬ 
hin  vom  Bronchialasthma  trennen.  Wir  kämen  daniY.  j:u  dem 
unlogischen  Systeme,  daß  eosinophiler  Katarrh  ohne  Anfälle 
und  eosinophile  fibrinöse  Bronchitis  nach  asthmatischen  An¬ 
fällen  zum  Bronchialasthma  gehören,  dagegen  eosinophiler  Katarrh 
mit  Bronchialgerinnseln  ohne  Anfälle  eine  Krankheit  sui  generis 
darstellen  Avürde.  Diese  Auffassung  der  primären  fibrinösen  Bron¬ 
chitis  ist  nicht  vollkommen  neu.  Schon  Leyden  Aveist  auf  Grand 
der  Kristallbefunde  in  Friedreichs  Falle  eine  Beziebung  dieser 
beiden  Prozesse  nicht  als  unmöglich  ab.  Auch  Ungar  ist  aus 
demselben  Grunde  für  eine  solche  Beziehung  eingetreten,  doch 
sind  die  Bronchialgerinnsel,  Avelche  er  ini  Sputum  Amn  Asthma¬ 
tikern  fand,  seiner  Beschreibung  nach  die  später  von  Curse  li¬ 
man  n  beschriebenen  Spiralen,  niclit  die  fibrinösen  Bronchial¬ 
ausgüsse.  Erst  Fritsche  hat  auf  Grund  der  Eosinophilie  in 
Sputum  und  Blut  seiner  Kranken,  seinen  Fall  mit  C  ursch, - 
manns  Bronchiolitis  exsudativa  analogisiert.  Obwohl  Fritsche 
in  dieser  Auffassung  von  C  ursch  mann  Avidersprochen  AVurde, 
möchte  ich  dennoch  auf  Grund  meiner  Beobachtung  und  der 
früher  crAvähnten  klinischen  Umstände  neuerlich  für  die  Ein¬ 
reihung  der  primären  chronischen  fibrinösen  Bronchitis  in  die 
Gruppe  des  Astlunakatarrhs  nachdrücklich  cintreten.  Was  die 
Entstehung  der  Gerinnsel  betrifft,  Aväre  ich  zur  Annahme  geneigt, 
daß,  solange  die  Bronchiolitis  exsudativa  auf  die  feinsten  Bronchien 
beschränkt  bleibt,  bloß  die  Spiralen,  das  sind  die  Ausgüsse  der 
spiralig  gedrebten  Broncbiolen,  im  Spul  um  erscheinen,  daß  aber 
hei  einer  Ausdehnung  des  Prozesses  auf  die  gröberen  Aeste, 
nach  längerem  Bestehen  des  Asthmas  tritt  dies  von  vorn¬ 
herein  .ein,  die  schleimig-fibrinösen  Bronchialgerinnsel  zur  Aus¬ 
bildung  gelangen  können. 

Prim.  Dr.  Schnitzler  berichtet  unter  Demonstration  des 
betreffenden  Instrumentes  über  eine  Perforation  iler  Flexura 


} 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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si  g  1110 idea  durch  eine  zu  thorapeutisc  lie  n  Zwecken, 
wegen  c li  r  o  11  i  s  c li e r  0 1)  s  tip  a  t i o n  p e r  a  ii um  e  i n g c- 
fiihrte  Bougie  unci  Heilung  durch  Laparotomie.  Es 
liandelte  sicli  um  eiuen  40,jälirige]i  JMann,  der,  iiii  übrigen  gesund, 
seit  langer  Zeit  an  Ohslipalion  litt.  Seit  mehr  als'  einenr  Jalire 
fülirte  sich  der  Patient  eine  dicke  Hartgumiiiibougie  mehrmals 
wöchentlich  in  den  IMasldarm  ein.  Obwohl  ihm  ärztliclierseils 
empfohlen  worden  war,  diese  Behandlung  nur  durch  die  Hand 
eines  Arztes  au-sführcn  zu  lassen,  führte  Pat.  die  Bougierung 
slets  eigenhändig  aus.  Am  22.  Februar  d.  J.  vollfiihrle  er  die 
geAvohnte  Manipulation  u.  zw.  in  fast  aufrechter  Stellung,  wie 
geAA'öhnlich.  Während  er  mit  der  einen  Hand  die  in  den  Darm 
eingeführte  Bougie  fixierte,  gurgelte  er  gleichzeitig.  Da  \mrspürte 
er  einen  plötzlichen  Schmerz  in  der  Unterhauchgegend.  Er  ent¬ 
fernte  die  Bougie;  keine  Blutung.  Es  trat  Stuhldraiig  auf,  doch 
ging  kein  Stuhl  all.  Das  Allgemeinhefinden  waar  ein  sehr  gutes 
und  auch  zAAmi  Stunden  später,  als  der  Hausarzt  Dr.  0.  Rie 
den  Patienten  sah,  AA'ar  sein  Befinden  ein  ganz  vortreffliches. 
Trotzdem  fand  Dr.  Rie  die  Situation  mit  Rücksicht  auf  die 
Anamnese  und  eine,  AAmnn  auch  nur  miaimale  Spamiung  in  der 
Unterhauchgegend,  ernst  genug,  um  die  Berufung  eines  Chirurgen 
zu  Amranlas'sen.  So  sah  S  c  h  n  i  t  z  I  e  r  den  Palieiilen  ca.  dVs  Sfiinden 
nach  dem  Vorfall.  Pat.  sah  sehr  gut  aus,  hatte  keine  Schmerzen, 
links  Andeutung  Amn  Bauchdeckenspannung,  kein  Aufstoßen,  kein 
Erbrechen.  Rektaluntersuchung  mit  dem  Finger  ergibt  kein  Blut, 
keine  palpable  Verletzung.  Puls  80,  Temperatur  38-1.  Die 
Temperalursteigerung  und  die,  wenn  auch  nur  angedeutete  Bauch¬ 
deckenspannung  veranlaßten  Schnitzler,  trotz  Fehlens  schwerer 
Erscheinungen  eine  ernstere  Verletzung  u.  zav.  eine  Perforation 
des  untersten  Anteils  der  Flexur  durch  die  eiugeführte 
Bougie  anzunehmen  und  die  Laparotomie  vorzuschlagen.  Hof¬ 
rat  Ax  Eiseisberg,  der  den  Patienten  zAvei  Stunden  si)äter  sah, 
schloß  sich,  trotzdem  bis  dahin  keine  Zunahme  der  Erschei¬ 
nungen  eingetreten  Avar,  diesem  Vorschläge  an.  Schnitzler 
nahm  nun  ■ —  zirka  acht  Stunden  nach  der  Verletzung  —  die 
Laparotomie  vor.  Dieselbe  ergab  eine  eitrige  Peritonitis! 
der  unteren  Bauchhälfte  und  eine  ca.  3  cm  lange  Perforation; 
der  A^orderen  Wand  der  Flexura  sigmoidea,  etAva  hanrl- 
hreit  oberhalb  des  Peiitoneala,usatzes.  Naht  der  Perforation,  Drai¬ 
nage  der  Bauchhöhle,  partielle  Bauchdeckennaht.  Heilung  ohne 
ZavI  sehen  fall.  Schnitzler  erAvähnt  die  Häufigkeit  der  Bou- 
gierungsverlelzungen  bei  Behandlung  des  s  t r  i  k  tu  r  i  e  r  t  e  nl 
Rektums.  Bei  gesundem  Dann,  Avie  in  diesem  Falle,  sei  die, 
eigentlich  ohne  besondere  CieAvaltanAArnndung  erfolgte  Perforation: 
bemerkensAAmrt.  Quenu,  der  36  Perforationen  der  Flexur  zu- 
sammengestellt  hat,  konstatiert  darunter  27  Todesfälle;  vou 
30  nicht  operierten  Fällen  starben  25;  von  sechs  operierten 
Fällen  starben  nur  zwei,  Auei'  Avurden  geheilt;  als  fünfter  geheilter 
Fall  Aväre  nun  der  hier  hesprochene  Schnitzlers  aiizufügen. 
Das  Wesentliche  bleibt  Avohl  die  möglichst  frühzeitige  Vor¬ 
nahme  der  Laparotomie,  seihst  auf  ganz  geringfügige  Symptome 
hin,  Avie  dies  hier  geschehen  ist. 

Prof.  D]’.  H.  Schlesinger;  Klinische  Beobachtungen 
über  den  Wiener  Typhus.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser 
Wochenschrift.) 

Diskussion :  Primarius  M  o  s  z  k  o  av  i  c  z  bemerkt,  daß  die 
stürmischen  Erscheinungen  mit  denen  der  Wiener  Typhus  nach 
den  Ausführungen  des  Vortragenden  oft  einsetzt,  sehr  oft  dem 
zunächst  gefragten  Arzt  die  Diagnose  einer  Perityphlitis  nahe¬ 
legen.  So  kommt  es,  daß  der  hinzugerufene  Chirurg  nicht  selten 
die  Differentialdiagnose  ZAvischen  Typhus  und  Perityphlitis  zu 
stellen  hat,  die  nicht  immer  leicht  ist.  MoszkoAvicz  hat  zAveimal 
abgelehnt  einen  zweifelhaften  Fall  zu  operieren,  sehr  gegen 
den  Willen  des  behandelnden  Arztes.  Die  Patienten  wurden  in 
ein  Krankenhaus  gebracht,  wo  die  Diagnose  Typhus  abdominalis 
vollkommen  sichergestellt  wurde. 

Nur  sehr  sorgfältige  Untersuchung  kann  uns  vor  einer 
solchen  Fehldiagnose  beAvahren.  Besonders  Avichtig  ist  das  Symptom 
der  Bauchdeckenspannung  bei  entzündlichen  Prozessen  des 
Peritoneums.  Doch  spannen  manche  Menschen  ihre  Bauchdecken 
bei  jeder  Untersuchung,  deshalb  möchte  MoszkoAvicz  auf  ein 
verläßlicheres  Symptom,  das  Verhalten  der  Bauchdeckenreflexe, 
aufmerksam  machen,  das  er  auf  Empfehlung  des  Kollegen 
Dr.  Karl  Lein  er  seit  drei  Jahren  bei  allen  Fällen  von  Perityphlitis 
sorgfältig  beobachtet.  Bei  diffuser  Peritonitis  fehlen  alle  Bauch¬ 
deckenreflexe,  bei  zirkumskripter  Peritonitis  kann  man  beobachten, 
daß  z.  B.  nur  der  rechte  untere  Bauchdeckenreflex  fehlt,  während 
alle  anderen  erhalten  sind.  Nur  bei  wenigen  Fällen  versagt  das 
Symptom.  Wenn  der  erkrankte  Appendix  wohl  geschützt  hinter 
dem  Dünndarm  oder  dem  Netz  liegt  oder  wenn  er  tief  ins  Becken 
hinunterreicht,  dann  Avirkt  der  Reiz  der  Entzündung  auch  Aveniger 


auf  die  sensiblen  Nerven  der  Bauchdecken.  Diese  sind  nicht 
gespannt  und  die  Reflexe  sind  erhalten. 

Handelt  es  sich  um  Typhus,  dann  macht  der  Patient  den 
Eindruck  eines  schwer  erkrankten  Menschen,  wie  er  nur  bei 
den  schlimmsten  septischen  Formender  Perityphlitis  kommt.  Diese 
haben  aber  fast  immer  diffuse  Bauchdeckenspannung  und  keine 
Reflexe.  Wo  diese  vorhanden  sind,  müssen  wir  bei  auffallend 
schlechtem  Allgemeinbefinden  die  Diagnose  Perityphlitis  nur  mit 
großer  Vorsicht  stellen. 

Primarius  Priv-Doz.  Dr.  S  c  h  n  i  t  zl  e  r :  Es  Averden  jetzt  zweifel¬ 
los  nicht  selten  Typhusfälle  unter  der  Diagnose  Appendizi  tis 
den  chirurgischen  Abteilungen  eingeliefert;  in  jedem  Semester 
sehe  ich  ein  oder  den  anderen  derartigen  Fall,  konnte  jedoch 
stets  noch  jeden  solchen  unter  richtiggestellter  Diagnose  auf  die 
interne  Abteilung  transferieren.  Abgesehen  von  anderen  Hilfs¬ 
mitteln  ist  es  ja  die  Blutuntersuchung,  die  fast  immer  die 
Differentialdiagnose  ermöglicht.  Die  akuten,  ohne  Aufschub 
operationsbedürftigen  Appendizitiden  verlaufen  fast  aus¬ 
nahmslos  mit  Leukozytose,  der  Typhus  mit  Leukopenie. 
Auf  Grund  dieses  Symptomes  habe  ich  erst  vor  wenigen  Tagen 
Avieder  einen  Avegen  vermeintlicher  Appendizitis  an  meine 
Abteilung  gewiesenen  Kranken  auf  die  interne  Abteilung 
transferiert.  Die,  übrigens  äußerst  seltenen,  ohne  Leuko¬ 
zytose  verlaufenden,  schwer  septischen  Appendizitiden, 
resp.  Peritonitiden  wird  der  Erfahrene  wohl  schon  nach  dem 
klinischen  Bild  nicht  mit  Typhus  verwechseln  können. 

Pi’of.  Hermann  Schlesinger:  Ich  möchte  vorerst  erklären, 
daß  ich  nicht  entfernt  daran  dachte,  den  Chirurgen  eine  eventuelle 
Fehldiagnose  einer  Perityphlitis  aai  Stelle  eines  Typhus  vorzu- 
Averfen;  ich  AAmllte  nur  aut  die  große  Gefahr  einer  Vei’Avechslung 
hingeAviesen  haben.  Mir  ist  seihst  eine  solche  Verwechslung  be¬ 
gegnet  • —  ich  habe  über  dieselbe  in  der  Gesellschaft  für  innere 
^Medizin  berichtet  —  bei  Avelcher  der  Symptomenkomplex  einer 
Perforationsappendizitis  nach  Angina  tonlsillaris  stürmisch  em- 
setzte.  Der  Kranke  Avurde  aus  äußeren  Momenten  nicht  operiert; 
schon  am  ZAveiten  Tage  aber  Avar  Perityphlitis  unAvahrscheinlich, 
da  Leukozytose  fehlte.  Es  entwickelte  sich  dann  ein  typischer 
Typhus. 

Dem  Vorschläge  Schnitzlers,  hetreffs’ .  der  VerAvertung 
des  Leukozytenbefundes  zur  Stellung  der  Differentialdiagnose 
möchte  ich  unbedingt  -beipflichten,  da  Leukopenie  bei  Typhus, 
aucli  bei  den  jetzigen  Fällen  ein  regelmäßig  zu  beobachtendes 
Vorkommnis  ist. 

Das  Aussehen  des  Kranken  Avird  sich  vielleicht  Aveniger 
für  die  Differentialdiagnose  veiwerten  lassen,  da  die  Typhösen 
zumeist  nicht  mehr  den  typhösen  Aspektus  darhieten,  Avenn  sie 
ordentlich  gepflegt  AAmrden.  Den  fuliginösen  Belag,  die  stark  be¬ 
legte  Zunge,  sehen  Avir  hei  Krankenhausfällen  recht  selten.  De¬ 
lirien  fehlen  in  sehr  Auelen  Fällen.  Selbst  erfahrene  Krankenhaus¬ 
ärzte  äußerten  mir  mehrmals  ihre  Vei'Avunderung  über  das  Aus¬ 
sehen  der  Kranken,  das  gar  nicht  dem  typhösen  glich. 

Hingegen  dürfte  das  Verhalten  der  Bauchdeckenreflexe  eine 
ganz  Avesentliche  differentialdiagnostische  Bedeutung  hei  Ent¬ 
scheidung  der  Frage  Perityphlitis -Typhus  beanspruchen. 

Primararzt  M  o  s  z  k  o  av  i  c  z  erinnert  daran,  daß  Feder  mann 
bei  ausgedehnten  Untersuchungen  an  dem  großen  Material 
Sonnenburgs  in  Berlin  gefunden  hat,  daß  gerade  die  schwersten 
septischen  Fälle  von  Perityphlitis,  bei  denen  jede  Verzögerung 
der  Operation  gefährlich  ist,  keine  Leukozytose  aufweisen.  Die 
Wiener  Typhen  mögen  im  allgemeinen  nicht  schwer  verlaufen, 
im  Allgemeinbefinden  Avird  doch  ein  großer  Unterschied  zwischen 
einem  Typhus  und  einer  leichten  Perityphlitis  sein.  (Zu  bemerken 
wäre  noch,  daß  im  Privathause  Leukozytenzählungen  nicht  vor¬ 
genommen  Averden  können.  Die  Entscheidung  muß  sich  auf 
andere  Symptome  stützen.) 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  7.  März  1907. 

H.  Salomon  stellt  eine  Frau  mit  funktionellem 
Sanduhr  m  a  gen  vor.  Pat.  hat  Schmerzen  in  der  Magengegend, 
daselbst  ist  deutliche  Peristaltik  sichtbar.  Die  Röntgenunter¬ 
suchung  ergibt  einen  Sanduhrmagen  mit  einem  schmalen  Ver¬ 
bindungsstücke,  Avelches  sich  jedoch,  wenn  durch  Empordrücken 
des  unteren  Magenanteiles  dessen  Inhalt  in  den  oberen  Magen¬ 
anteil  hineingetrieben  wird,  fast  zu  normaler  Breite  erweitert. 
Die  Kranke  kann  durch  Fixation  des  ZAverchfelles  in  seinem  Tief¬ 
stände  die  ZAveiteilung  des  Magens  Avillkürlich  hervorrufen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  13 


Ferner  zeigt  H.  Salomon  ein  Kind  mit  konstitu¬ 
tioneller  Fettleibigkeit.  Dasselbe  ist  5  Jahre  alt  und 
wiegt  40  kg ;  im  Alter  von  4  Jahren  wog  es  25  kg.  Drei  Viertel 
des  Gewichtes  sind  auf  Fett  zu  rechnen.  Die  Ursache  der  Fett¬ 
leibigkeit  läßt  sich  nicht  eruieren,  der  Sauerstoffverhrauch  ist 
etwas  herabgesetzt,  120  bis  125  cm®  pro  Minute  gegen  135  bis 
140  cm®  bei  einem  normalen  Kinde  von  gleichem  Alter,  ebenso 
das  Nahrungsbedürfnis.  So  gelang  es  nicht,  hei  einer  Nahrung 
mit  einem  Gehalte  von  600  Kalorien  Abmagerung  herbeizuführeri, 
während  das  Nahrungshedürfnis  eines  normalen  Kindes  ein  weit 
höheres  ist. 

Schließlich  führt  H.  Salomon  einen  Mann  mit  hyste¬ 
rischer  Kontraktur  der  rechten  Hand  und  der 
Finger  derselben  vor.  Der  rechte  Arm  ist  im  Ellbogen  und 
Handgelenk  flektiert.  Der  Zeige-  und  Mittelfinger  sind  stark 
hyperextendiert,  die  beiden  letzten  Finger  im  Grundgelenke  ge¬ 
streckt,  in  den  anderen  hyperextendiert,  der  Daumen  ist  hyper¬ 
extendiert  und  in  die  Hohlhand  gedrückt.  Es  bestehen  weiter 
Hypersensibilität  des  Handrückens  und  der  Finger  und  Schüttel¬ 
bewegungen  der  rechten  Hand  und  des  Armes.  Das  Leiden 
begann  bei  dem  Pat.,  einem  Lehrer,  der  viel  Harmonium  spielen 
und  schreiben  mußte,  vor  fünf  Monaten  mit  einem  Zustande  von 
nervöser  Erschöpfung  und  starker  Einschränkung  des  Gesichts¬ 
feldes,  die  Hände  versagten  beim  Spielen  den  Dienst.  Nachdem 
diese  Erscheinungen  verschwunden  waren,  stellten  sich  plötzlich 
Krämpfe  in  der  rechten  Hand  ein,  die  nach  Massage  ver¬ 
schwanden,  dann  erschienen  nacheinander  eine  Schwellung  der 
Hand,  zuckende  Bewegungen  im  Arm,  die  auch  im  Schlafe  an¬ 
hielten,  Schmerzen  in  diesem  Arm,  schließlich  die  jetzt  vor¬ 
handenen  Kontrakturen.  Pat.  hat  vor  einem  Jahre  Pneumonie 
Überstunden,  nach  welcher  eine  Schwäche  der  rechten  Körper¬ 
seite  zurückgeblieben  sein  soll.  Es  könnte  sich  um  kleine  Er¬ 
weichungsherde  im  Gehirn,  die  vielleicht  mit  der  Pneumonie 
Zusammenhängen  oder  um  eine  hysterische  Affektion  handeln. 
Das  letztere  ist  wahrscheinlicher,  da  Pat.  leicht  hypnotisierbar  ist. 

Alfred  Fuchs  möchte  das  Leiden  für  ein  organisches 
halten,  bedingt  durch  enzephalitische  Herde ;  er  würde  die  Be¬ 
wegungen  als  athetotisch  bezeichnen.  Als  Fuchs  den  Patienten 
untersuchte,  waren  an  der  rechten  unteren  Extremität  Fußklonus 
und  Patellarklonus  vorhanden,  links  war  kein  Klonus  nach¬ 
weisbar,  die  sensiblen  Reflexe  waren  an  beiden  Extremitäten 
different.  Ferner  bestand  früher  eine  Differenz  des  Trigeminus 
im  Gebiete  des  Tensor  veli  palatini.  Die  frühere  Sehstörung 
möchte  Fuchs  als  Hemianopsie  auffassen.  Es  fehlen  bei  dem 
Pat.  hysterische  Stigmata. 

H.  Salomon  bemerkt,  daß  hysterische  Einzelsymptome 
ohne  sonstige  Stigmata  der  Hysterie  verkommen  können.  Er 
habe  ebenfalls  die  Möglichkeit  einer  organischen  Affektion  erwähnt. 

A.  Herz  demonstriert  eine  Frau,  bei  welcher  mächtige 
Kollateralbahnen  für  die  Vena  saphena  magna 
ausgebildet  sind.  Dieselben  beginnen  am  Unterschenkel  in 
Form  eines  varikös  erweiterten  Venennetzes,  das  sich  in  der 
Kniegegend  zu  einem  mächtigen  Strang  vereinigt,  welcher  gegen 
die  Fovea  ovalis  zieht.  Es  kann  eine  Obliteration  der  Vena 
saphena  oder  ein  abnormer  Verlauf  derselben  vorliegen;  für  das 
letztere  spricht  die  Doppelseitigkeit  der  Abnormität. 

L.  V.  Schrötter  bemerkt,  daß  nach  K  o  b  1  e  r  eine 
solche  Abnormität  in  Bosnien  endemisch  vorkommt,  was  für  eine 
angeborene  Anlage  sprechen  würde. 

L.  V.  Schrötter  demonstriert  das  anatomische  Präparat, 
welches  von  der  Obduktion  des  Falles  mit  auffallender  Ver¬ 
größerung  undTumorbildung  des  Schädels  stammt, 
den  er  am  8.  November  1906  vorgestellt  hat.  Der  Schädel  war 
im  ganzen  vergrößert  und  verdickt,  außerdem  fanden  sich  noch 
große  knochenharte  Höcker  an  der  Stirne  und  an  der  rechten 
Schläfe.  Ueber  der  Stirne  war  der  Perkussionsschall  seinerzeit 
tympanitisch.  Der  Kranke  starb  an  allgemeiner  Schwäche.  Die 
Obduktion  ergab,  daß  ein  Fibrosarkom  der  Schädelknochen  mit 
hochgradiger  Verdickung  derselben  vorlag,  daneben  bestanden 
Osteoporose,  Erweichung  und  Eburneation. 

G.  Schwarz  zeigt  eine  Röntgenaufnahme  eines  Falles  von 
L  u  n  g  e  n  g  a  n  g  r  ä  n.  Im  rechten  Unterlappen  der  Lunge  sitzt 
eine  Zerfallshöhle,  in  welcher  die  obere  Begrenzung  eines  Exsu¬ 
dates  sichtbar  ist.  Bei  der  physikalischen  Untersuchung  konnte 
die  Succussio  Hippokratis  hervorgerufen  werden. 

M.  We  inberger  erwähnt  einen  ähnlichen  Fall,  in 
welchem  die  Succussio  Hippokratis  in  einer  gangränösen  Lungen¬ 
höhle,  welche  der  Thoraxwand  anlag,  hervorgerufen  vmrden 
konnte. 

J.  Wiesel:  Renale  H  e  r  z  h  y  p  e  r  t  r  o  p  h  i  e  und 
c  h  r  0  m  a  f  f  i  n  e  s  System.  Vortr.  hat  22  Fälle  von  chronischer 


Nephritis  und  einige  Fälle  von  akuter  Nephritis  untersucht.  Bei 
den  ersteren,  die  mit  Herzhypertrophie  einhergingen,  fand  sich 
unabhängig  von  der  Form  der  Nephritis  und  ihrer  Aetiologie  eine 
typische  Veränderung  des  chromaffinen  Gewebes;  die  Mark¬ 
substanz  der  Nebennieren  verbreitert  —  ohne  daß  die  Rinde  ver¬ 
schmälert  war  —  die  Verbreiterung  war  durch  eine  Vermehrung 
des  chromaffinen  Gewebes  bedingt,  die  einzelnen  Zellen  desselben 
waren  aber  nicht  verändert.  Auch  das  übrige  chromaffine  System 
zeigte  eine  Hypertrophie.  Bei  der  akuten  Nephritis  waren  diese 
Veränderungen  nicht  zu  finden,  dagegen  fanden  sie  sich  bei 
reiner  Herzhypertrophie  ohne  Nephritis.  Weiter  ergaben  die 
Untersuchungen  des  Vortr.,  daß  die  Arteriitis  der  Nephritiker 
einen  degenerativen  Prozeß  darstellt,  der  in  der  Media  beginnt, 
welcher  auf  die  Intima  übergreift  und  im  weiteren  Verlaufe 
sklerotische  Veränderungen  hervorruft. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  19.  Februar  1907. 

Vorsitzender :  Obersteiner. 

Schriftführer :  P  i  1  c  z. 

Zu  ordentlichen  Mitgliedern  wurden  gewählt  die  Herren : 
Robert  Bäränyi,  Langer,  Richard  Nepallek,  Heinrich  Weiß. 

A.  Demonstrationen. 

1.  H  i  r  s  c  h  1  demonstriert  einen  Fall  von  M  e  d  i  a  n  u  s- 
verletzung  mit  S  e  n  s  i  b  i  1  i  t  ä  t  s  s  t  ö  r  u  n  g  e  n  ohne 
solche  der  Motilität  (erscheint  demnächst  ausführlich). 

Diskussion:  v.  Wagner  fragt,  ob  der  Fall  mit  Rück¬ 
sicht  auf  Möglichkeit  eines  Fremdkörpers  in  der  Wunde  röntgeno¬ 
logisch  untersucht  worden  war. 

Hirschl  verneint  diese  Frage;  der  Fall  ist  am  Tage  der 
Verletzung  auf  einer  chirurgischen  Abteilung  untersucht  und 
genäht  worden. 

Frankl-Hoch  wart  erwähnt  mehrere  Fälle,  bei  welchen 
nach  Traumen  an  peripheren  gemischten  Nerven  nur  Sensi* 
bilitätsdefekte,  aber  keine  solche  der  Motilität  aufgetreten  waren ; 
das  umgekehrte  ist  ja  so  häufig  der  Fall.  Einmal  sah  er  ein  junges 
Mädchen,  das  sich  in  suizidaler  Absicht  eine  kleine  Verletzung 
am  linken  Handgelenk  zugezogen  hatte,  indem  sie  mit  einem 
stumpfen  Messer  in  der  Gegend  des  Medianus  eine  Art  von 
Sägebewegung  ausführte.  Die  minimale  Blutung  wurde  sofort 
gestillt ;  die  Motilität  blieb  frei :  hingegen  war  typische  Medianus¬ 
anästhesie  wahrnehmbar,  sowie  Entartungsreaktion  im  Thenar- 
gebiete.  Eine  Erklärung  für  dieses  wechselnde  Vorkommnis  er¬ 
scheint  schwierig. 

Redlich:  Es  läßt  sich  durch  die  Methode  der  Nerven- 
dissekation  nachweisen,  daß  die  Nerven  für  die  einzelnen  Ge¬ 
biete  nicht  wirr  durcheinander  im  Nervenstamme  liegen,  sondern 
schon  weit  hinauf  zentralwärts  in  bestimmten  Gruppen  an¬ 
geordnet  sind.  So  ließe  sich  die  isolierte  Verletzung  gerade  der 
sensiblen  Fasern  erklären. 

Hirschl:  Das  Verfahren  hat  den  Namen  ,, Aufsplitterung“. 
Auf  eine  Anfrage  Obersteiners,  wie  lange  nach  der  Ver¬ 
letzung  der  Fall  untersucht  worden  war,  erwidert  Hirschl,  daß 
die  Sensibilitätsstörung  sofort  auftrat. 

2.  Fuchs  demonstriert  ein  Kind  mit  eigentümlicher 
funktioneller  Sprachstörung. 

Diskussion:  Mattauschek  hatte  einen  analogen 
Fall  bei  einem  Gendarmen  beobachtet,  der  meuchlings  an¬ 
geschossen  worden  Avar.  Unmittelbar  nachher  noch  keine  Sprach¬ 
störung.  Erst  sechs  bis  sieben  Wochen  später  traten  hysterische 
Anfälle  und  anschließend  die  Sprachstörung  auf. 

Infeld  kennt  beide  Fälle  und  betont  auch,  daß  es  sich 
hiebei  nicht  um  ein  Stottern  handle.  Vor  allem  fehlt  die 
charakteristische  Disharmonie  der  AtembeAvegungen.  Bezüglich 
des  Falles  von  Fuchs  wäre  noch  hervorzuheben,  daß  die 
Störungen  in  eine  Zeit  fielen,  in  Avelcher  auch  sonst  bei  Kindern 
häufig  Dysarthrien  sieh  entAvickeln.  Die  Kinder  verstehen  schon 
viel,  aber  sprechen  noch  nicht  viel.  Auch  dieses  Kind  hatte  noch 
nicht  gut  gesprochen. 

3.  Fuchs  demonstriert  einen  Fall,  der  eine  dem  Grae fe¬ 
schen  Symptom  analoge  Erscheinung  ohne  irgend  av  eiche 
andere  Symptome  von  Basedow  bietet;  im  übrigen 
schwere  Unfallsneurose. 

Diskussion:  Infeld:  Woher  Aveiß  Vortr.,  daß  Pat. 
diese  Erscheinung  nicht  schon  vor  dem  Trauma  gehabt  ? 

Fuchs:  Soweit  Anamnese  lehrt,  wurde  vorher  niemals 
etwas  auffallendes  bei  Pat.  bemerkt. 

Straß  er:  Ich  hatte  Gelegenheit,  den  Fall  seit  Jänner  zu 
beobachten.  Im  November  scheint  das  Symptom  noch  nicht  vor- 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


401 


handen  gewesen  zu  sein,  da  der  Ophthalmologe  Kollege  Hanke 
nichts  auffallendes  bei  dem  Kranken  gesehen  hatte. 

Schlesinger:  Man  sieht  manchmal  G  r  a  e  f  e  als  zu¬ 
fälligen  Befund ;  mir  ist  es  wiederholt  bei  Bleikranken  auf¬ 
gefallen.  Ob  damit  im  Zusammenhang,  weiß  ich  nicht.  Jedesmal 
wurde  es  aber  als  zufälliger  Befund  erhoben. 

Dr.  Robert  B  ä  r  a  n  y  berichtet  über  den  Ohrenbefund  bei 
dem  von  Priv.-Doz.  Dr.  Fuchs  vorgestellten  Falle  von  Kopf¬ 
trauma.  Der  Mann  ist  beiderseits,  besonders  links  schwerhörig. 
Es  bestehen  die  Zeichen  einer  Erkrankung  des  Kochlearapparates. 
Trommelfell  beiderseits  intakt,  leicht  getrübt.  Was  den  Vestibular- 
apparat  betrifft,  so  ergibt  das  Ausspritzen  mit  kaltem  Wasser 
(kalorischer  Nystagmus  Dr.  B  a  r  ä  n  y)  beiderseits  normale  Re¬ 
aktion.  Auch  auf  dem  Drehstuhl  zeigen  beide  Vestibularapparate 
typische  nichtgesteigerte  Reaktion.  Auffallend  sind  nur  die 
heftigen  Begleiterscheinungen  des  Drehnystagmus.  Beim  Anhalten 
nach  zehn  Drehungen  bei  aufrechtem  Kopfe  wankt  Pat.  in  un¬ 
bestimmter  Richtung  auf  dem  Sessel,  fühlt  sich  ganz  benommen. 
Anamnestisch  gibt  Pat.  an,  daß  er  kurze  Zeit  nach  dem  Unfall 
stärker  an  Schwindel  gelitten  habe  als  jetzt.  Er  bekam  Schwindel 
beim  Bücken,  beim  Hinaufsehen,  bei  jähen  Kopfwendungen, 
wenn  er  aus  der  Kälte  in  ein  warmes  Zimmer  trat,  wenn  er 
auch  nur  wenig  Alkohol  genoß.  Objektiv  fand  sich  nur  mehr 
geringer  rhythmischer  Nystagmus  bei  seitlichen  Endstellungen 
der  Augen  und  er  zeigte  hie  und  da  eine  geringe  Verstärkung 
bei  Neigung  des  Kopfes  nach  rückwärts.  Von  besonderer  Wichtig¬ 
keit  war  in  diesem  Falle  die  Untersuchung  der  Gegenrollung 
der  Augen  mit  dem  von  Vortr.  konstruierten  Apparate  (siehe 
auch  Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  67).  Diese  ergab  eine  deut¬ 
liche  Störung.  Es  wurde  bei  zwei  an  verschiedenen  Tagen  vor¬ 
genommenen  Untersuchungen  ein  Wechsel  der  Rollung  bei  ein 
und  derselben  Kopfstellung,  das  einemal  von  6®  das  anderemal 
von  10®  konstatiert.  Es  ist  dies  ein  Verhalten,  wie  es  für  Kranke 
mit  Schwindel  vestibulären  Ursprungs  charakteristisch  ist  und 
sich  insbesondere  bei  traumatischen  Fällen  häufig  findet. 

Fuchs  (bezüglich  der  Bemerkung  von  Schlesinger): 
Eine  gewisse  geringgradige  Dissoziation  der  Bewegung  der  Lider 
kann  ja  gefunden  werden,  allein  hier  handelt  es  sich  um  eine 
typische  auffallende  Erscheinung,  ich  konnte  auch  in  der  Literatur 
nichts  ähnliches  finden.  F 1  a  t  a  u  berichtet,  daß  G  r  a  e  f  e  auch 
bei  anderen  Krankheiten  vorkomme.  Ich  habe  das  niemals 
gesehen. 

F  r  a  n  kl-Hoch  wart  ist  auch  der  Meinung,  daß  das 
Grae  fesche  Symptom  in  ganz  seltenen  Fällen  auch  bei  Leuten 
Vorkommen  kann,  die  nicht  an  Morbus  Basedowii  erkrankt  sind 
und  überhaupt  keine  Nervensymptome  haben.  So  zeigte  Fr  an  kl- 
Hoch  wart  einmal  der  verstorbene  Internist  H.  F.  Müller 
einen  mit  leichten  Darmsymptomen  behafteten  Menschen,  der 
das  obgenannte  Symptom,  sonst  aber  keine  Nervenerscheinungen 
aufwies. 

Schlesinger  betont,  daß  er  jedes  Jahr  dergleichen 
Fälle  gesehen  habe  u.  zw.  auch  bei  Nicht  nervenkranken.  Es 
existieren  übrigens  doch  einige  analoge  Literaturberichte. 

Wintersteiner  meint,  daß  man  die  fragliche  Er¬ 
scheinung  überhaupt  nicht  Graefe  nennen  kann.  Graefe  ist 
doch  kein  der  Willkür  unterworfenes  Symptom.  Hierüber  istes  so, 
daß,  wenn  Pat.  aufgefordert  wird  zu  fixieren,  er  zu  grimassieren 
beginnt  und  ein  förmlicher  Krampf  in  den  Augenmuskeln  und 
im  Frontalis  auftritt.  Sich  selbst  überlassen  aber  hat  Pat.  wieder¬ 
holt  nach  auf-  und  abwärts  geblickt,  ohne  daß  diese  Erscheinung 
aufgetreten  wäre.  Das  sind  Sachen,  die  man  lernen  kann.  Kinder 
z.  B.  lernen  solche  Grimassen  vor  dem  Spiegel ;  einer  meiner 
Schulkollegen  hatte  dieses  Symptom  sehr  gut  machen  können. 

Linsmayer  erinnert,  daß  der  bekannte  Schauspieler 
M  i  1 1  e  r  w  u  r  z  e  r,  wenn  er  höchsten  Schrecken  darstellen  wollte, 
genau  dieselbe  Erscheinung  absichtlich  erzeugte,  wie  sie  der 
demonstrierte  Fall  bietet. 

F  o  d  o  r  hat  vor  wenigen  Tagen  ein  2jähriges  Kind  gesehen, 
das  von  Geburt  an  mit  den  Augen  sehr  schlecht  fixiert  hat  und 
sehr  lebhaft  vagierende  Bewegungen  mit  dem  Bulbi  vornimmt. 
Bergmeister  konstatierte  dasselbe  übermäßige  Aufklappen  der 
Lider,  wie  bei  Basedow.  Auch  in  diesem  Falle  war  die  Erscheinung 
deutlich  durch  einen  Willkürakt  verstärkbar. 

4.1m  Anschluß  an  den  von  Priv.-Doz.  Fuchs  demonstrierten 
Fall,  stellt  Dr.  B  ä  r  ä  n  y  einen  ihm  von  Hofrat  v.  Wagner  gütigst 
überlassenen  Fall  aus  der  psychiatrischen  Klinik  vor. 

Es  handelt  sich  um  einen  51jährigen  Hilfsarbeiter,  der  im 
Jahre  1900  ein  schweres  Kopftrauma  mit  längerer  Bewußtlosigkeit 
erlitt  und  seither  an  epileptischen  Anfällen  mit  Bewußtseinsverlust 
Zungenbiß,  Urinverlust  etc.  leidet.  Außerdem  bestand  seither  hoch¬ 
gradige  Schwerhörigkeit.  Vor  drei  Wochen  fiel  Pat.  von  einem  5  m 


hohen  Holzstoß,  war  danach  18  Stunden  bewußtlos.  Seither  be¬ 
steht  angeblich  Taubheit  links,  ob  er  gleich  nach  dem  Unfall 
stärkeren  Schwindel  hatte,  kann  er  sich  nicht  erinnern  (Pat.  ist 
sehr  vergeßlich) ;  jetzt  leidet  er  nur  in  geringem  Grade  an 
Schwindel,  der  zeitweise  beim  Bücken  und  bei  rascherem  Gehen 
auftritt. 

Die  Untersuchung  ergab.  Fast  vollständige  Taubheit  links, 
rechts  ehenfalls  Schwerhörigkeit  vom  Charakter  einer  Erkrankung 
des  Kochlearapparates.  (Das  Trommelfell  war  beiderseits  intakt ; 
links  fand  sich  eingetrocknetes  Blut  im  Gehörgang  [Verheilte 
Trommelfellruptur?]).  Ausspritzen  mit  kaltem  Wasser  ergab  links 
nur  sehr  geringe,  rechts  normale  Reaktion.  Die  Untersuchung  der 
Gegenrollung  ergab  kein  ausgesprochen  pathologisches  Verhalten. 
Es  konnte  daher  bereits  aus  diesem  Befunde  die  Diagnose  auf 
eine  Läsion  des  Vestibular-  und  Kochlearapparates  links  (wahr¬ 
scheinlich  Blutung)  gestellt  werden.  Es  war  jedoch  die  Frage,  ob 
diese  Läsion  auf  das  im  Jahre  1900  oder  auf  das  vor  drei  Wochen 
erlittene  Trauma  zu  beziehen  war.  Hier  brachte  die  Untersuchung 
des  Drehnystagmus  Aufschluß. 

Bei  der  am  9.  Februar,  16  Tage  nach  dem  Unfall,  vorge¬ 
nommenen  Untersuchung  fand  sich  nämlich  beim  Anhalten  nach 
10  Rechtsdrehungen  nur  sehr  geringer  Nystagmus  (15  Zuckungen 
in  14  Sekunden),  beim  Anhalten  nach  10  Linksdrehungen  aber 
normaler  Nystagmus  (46  Zuckungen  in  26  Sekunden).  Eine  Woche 
später  hatte  sich  dieser  Befund  wesentlich  geändert ;  nun  war 
sowohl  nach  10  Rechts-,  wie  nach  10  Linksdrehungen  nur  sehr 
geringer  Nystagmus  (12  bis  15  Zuckungen  in  13  bis  16  Sekunden) 
vorhanden.  Es  ist  dies  ein  Verhalten,  wie  es  nur  nach  frischer 
Ausschaltung  eines  vorher  funktionierenden  Vestibularapparates, 
also  insbesondere  nach  akuten  Labyrintheiterungen  oder  nach 
operativer  Entfernung  eines  funktionierenden  Labyrinthes  vom 
Vortr.  beobachtet  wurde.  Die  Erklärung  dafür  liegt  in  einer 
Adaption  der  Zentren.  Dieses  Verhalten  läßt  die  Diagnose  auf 
eine  Schädigung  des  linken  Vestibularapparates  durch  das  zuletzt 
erfolgte  Trauma  mit  Sicherheit  stellen. 

5.  Dr.  Artur  Schüller  spricht  über  Halisterese  der 
Schädelknochen  bei  intrakraniellerDrucksteige- 
r  u  n  g.  Bekanntlich  wird  bei  gesteigertem  Hirndruck  sehr  häufig 
die  Innenfläche  des  Schädels  usuriert.  Diese  Usurierung  macht 
sich  dem  tastenden  Finger  als  eine  Rauhigkeit  der  Schädel¬ 
innenfläche  bemerkbar,  oder  es  kommt  zur  Bildung  von  Defekten. 
Solche  finden  sich  begreiflicherweise  zuerst  an  den  dünnen 
Knochenvorsprüngen,  welche  die  Sella  turcica  umrahmen  (Sattel¬ 
lehne,  Processus  clinoidei)  ;am  Schädeldach  werden  die  Impressiones 
digitatae  vertieft,  so  daß  die  Juga  prominenter  erscheinen;  man 
kann  dies  meist  im  Bereiche  des  Stirnbeins  am  deutlichsten 
wahrnehmen.  Bei  den  höchsten-  Graden  der  Usurierung  wird  die 
Schädelkapsel  dermaßen  ausgehöhlt,  daß  eine  Dehiszenz  derselben 
eintreten  kann. 

Die  genannten  Schädelveränderungen  konnten  bisher  klinisch 
nicht  diagnostiziert  und  daher  praktisch  nicht  verwertet  werden. 
Mit  Hilfe  der  röntge  nographischen  Untersuchungsmethode 
jedoch,  ist  man  imstande,  die  durch  den  gesteigerten  Hirndruck 
hervorgerufenen  Usuren  in  vivo  zu  erkennen. 

Von  besonderem  Interesse  ist  es,  daß  sich  am  Röntgenbilde 
Verdünnung  und  Verkürzung  der  Sattellehne  und  Processus  clinoidei 
manifestieren  kann  in  Fällen,  wo  die  genannten  Teile  bei  der 
Sektion  keine  Formveränderung  erkennen  lassen,  wo  erst  die 
Möglichkeit,  mit  einem  Skalpell  die  Sattellehne  einzuschneiden, 
daraufhinweist,  daß  eine  Abnahme  des  Kalkgehaltes  jener  Knochen¬ 
teile  stattgefunden  hat. 

Schüller  demonstriert  das  eben  erwähnte  Verhalten  an 
zwei  Fällen  von  Tumor  cerebri,  welche  an  der  Klinik  v.  Wagner 
zur  Beobachtung  kamen.  In  beiden  Fällen  ließ  sich  bei  der  Sektion 
außer  der  Weichheit  der  Sattellehne  keine  Hirndruckveränderung 
der  Schädelkapsel  nachweisen.  In  einem  der  beiden  Fälle  konnte 
überdies  ein  interessanter  Nebenbefund  konstatiert  werden :  das 
Vorhandensein  einer  tief  einschneidenden  Knochenfurche  an  der 
Innenfläche  des  Schädeldaches,  beiderseits  ungefähr  dem  Verlaufe 
der  Kranznaht  folgend.  Es  handelt  sich  um  eine  ziemlich  seltene 
Varietät,  nämlich  um  die  Ausbildung  des  Sinus  sphenoparie¬ 
tal  i  s  (Merkel). 

Diskussion:  v.  Wagner  möchte  fragen,  ob  es  sich 
bei  dieser  Venenfurche  nicht  um  einen  Atavismus  handeln  könnte. 
Bei  Hunden  nämlich  erfolgt  der  Abfluß  des  gesamten  venösen 
Blutes  aus  dem  Schädelinnern  durch  einen  Ast  der  Jugularis 
externa,  welcher  durch  ein  bestimmtes  Foramen  geht. 

Eine  Frage  v.  Frankls,  ob  nicht  systematische  Unter¬ 
suchungen  über  das  histologische  Verhalten  des  Schädels  bei 
Hirntumoren  vorliegen,  verneint  Schüller. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  1:J 


Wiesel:  Beim  Herausnehmen  der  Hypophyse  ist  mir  oft 
aufgefallen,  daß  die  Sella  sehr  leicht  eingeschnitten  werden  kann; 
ich  will  nicht  sagen,  daß  dies  etwas  normales  ist,  allein  sicher 
kommt  es  vor,  auch  ohne  endokranielle  Drucksteigerung. 

6.  Stern  demonstriert  Präparate  zum  Verlaufe  und  der 
Histologie  des  P  i  c  kschen  Bündels  (erscheint  demnächst  aus¬ 
führlich). 

Obersteiner  betont,  daß  dergleichen  Detailarbeiten  oft 
viel  mehr  Wert  haben,  als  den  der  einfachen  Konstatierung,  der 
Tatsache  an  sich  und  erinnert  an  die  Arbeit  von  K  a  r  p  1  u  s  und 
Spitzer. 

B.  Der  angekündigte  Vortrag  von  Hirschl  ,, Syphilis  und 
Dementia  praecox“  wurde  wegen  vorgerückter  Stunde  über  An¬ 
trag  V.  Wagners  für  die  nächste  Sitzung  vertagt. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  vom  26.  J  a  n  u  a  r  1 907. 

Begimentsarzt  Priv.-Doz.  Dr.  Reuter  demonstriert  die  ana¬ 
tomischen  Präparate  einer  Lysol  Vergiftung  und  erörtert  an¬ 
schließend  an  diese  Demonstration  kurz  das  toxische  Verhalten 
des  Lysols,  die  klinischen  Erscheinungen  und  den  anatomischen 
Befund,  sowie  die  therapeutischen  IMaßnahnien  hei  rlieser  Ver¬ 
giftung. 

Regimentsarzt  Dr.  Sc  hei  dl  spricht  über  die  Erkrank  angen 
dos  Wunnfortsatzes,  .mit  spezieller  Berücksichtigung  diagnostischer 
^Momente  und  betont  in  der  Einleitung,“  daßi  man  die  für  Wurm¬ 
fortsatzerkrankungen  charakteristischen  Anfälle  durch  eine  sympto¬ 
matische  Behandlung  zwar  heilen  könne,  aber  nur  bis  zur  nächsten 
Attacke.  Will  man  aber  die  Krankheit  heilen,  so  vermag  dies 
einzig  und  allein  die  Operation.  Diese  Erkenntnis  ist  hei  dem 
so  allgemeinen  Interesse  für  diese  Erkrankungsform  so  lief  in 
die  Laienkreise  gedrungen,  daß  die  allermeisten  sich  einer  vor¬ 
geschlagenen  Operation  bedingungslos  unterwerfen,  ln  einer 
kurzen  Statistik  wird  vom  Vortragenden  die  in  den  letzten  Jahren 
geradezu  kolossale  Zunahme  der  Appendixoperationen  auf  seiner 
Abteilung  nachgeAviesen.  Zur  näheren  Besprechung  teilt  er  die 
AppeiKlixerkrankungen  in  zwei  große  Gruppen  ein,  in  Appendicitis 
simplex  und  Appendicitis  perforativa,  Vielehe  beiden  Formen  durch 
das  so  bedeutungsvolle  Moment  der  Perforation  scharf  vonein¬ 
ander  getrennt  Averden.  Nach  einer  kurzen  Besprechung  der  Sym¬ 
ptome,  der  Therapie  der  Aniälle,  der  Untersuchungsergebnisse 
und  der  Befunde  bei  der  Operation,'  Avelche  ja  einer  Autopsie 
gleichkonnnen,  bespricht  derselbe  die.Amn  ihm  geübte  und  durch 
viele  Operationsbefunde  als  richtig  erkannte  Methode,  na(’h  wel¬ 
cher  man  sich  ein  ziemlich  zutreffendes  Bild  über  die  bei  der 
Operation  sich  vorfindenden  Verhältnisse  machen  kann,  da  durch 
ein  richtiges  Deuten  der  subjektiven  Angaben  des  Kranken  und 
des  objektiven  I'ntersuchungsergehnisses  die  Lageverhältnisse  des 
Wurmfortsatzes,  des  Netzes  etc.  richtig  eingeschätzt  werden 
können.  Täuschungen  sind  natürlich  bei  einem  so  vielgestaltigen 
Krankheitsbild,  Avie  es  eheii  die  Wurmfortsatzerkrankungen  dar¬ 
stellen,  nicht  ausgeschlossen,  bestätiigen  aber  gewiß  nur  die 
oben  als  Regel  vorausgesetzte  Korrelation  Amn  Symptomen  und 
dem  Untersuchungsbefund  einer-  und  dem  Operationsbefund 
anderseits. 

Diskussion:  Oberstabsarzt  Prof.  Pick  bemerkt:  Es  ist 
wohl  eine  feststehende  Tatsache,  daß  zahlreiche  Fälle  von  Appen¬ 
dizitis  hei  konservativer  Behandlung  zur  Heilung  gelangen,  doch 
Avissen  wir,  daß  die  Operation  das  einzige  Mittel  ist,  um  mit 
Sicherheit  einem  eventuellen  RezidiA"  der  Krankheit  vorzubeugsn. 

Der  Umstand,  daß'  die  Aid.  und  der  Verlauf  der  folgenden 
Anfälle  nicht  voraus  bestimmt  werden  kann,  hat  dazu  geführt, 
daß  man  die  Operation  auch  auf  die  Appendicitis  simplex  aus¬ 
dehnte. 

Die  Diagnose  der  Erkrankung  des  Wurmfortsatzes  ist  in 
vielen  Fällen  eine  außerordentlich  scliAAÜerige,  da  neben  den  aus¬ 
gesprochenen  Krankheitshildern  auch  solche  Vorkommen,  deren 
Deutung  nicht  mit  absoluter  Sicherheit  möglich  ist.  Es  ist  daher 
begreiflich,  Avenn  im  Falle  des  ZAveifels  die  berechtigte  Angst 
vor  schlimmen  Eventualitäten  zur  Veranlassung  Avird,  auch  in 
solchen  Fällen  zu  operieren,  bei  Avelchcn  sich  dann  hei  der 
Operation  eine  geringe  oder  überhaupt  keine  Veränderungen  des 
Wurmfortsatzes  nacliAveisen  lassen. 

Der  Grund  liegt  idien  in  der  noch  unzureiidienden  Diagnostik. 

Regimentsarzt  l’riA'.-Doz.  Dr.  Reuter  berichtet  in  Kürze 
über  das  Ergebnis  der  histologischen  Fntersuchung  von  45  Ap¬ 
pendizes,  Avelche  er  iin  Laufe  des  Jahres  1906  in  dm-  Prosektur 
des  Garnisonsspitales  Nr.  1  zu  untersuchen  Gelegenlieit  halte. 
Das  ^laterial  entstammte  zum  größten  Teil  der  Abteilung  des 
Stabsarztes  v.  Wolff,  zum  geringeren  Teil  der  des  Regiments¬ 


arztes  Sc  hei  dl.  Unter  diesen  45  Fällen  fanden  sich  82  akute 
und  13  chronisch  -  rozidiAÜerende  Formen.  Nur  in  einem  'Udl 
der  Fälle  konnte  Reuter  Fremdkörper  oder  eingedickte  Kol¬ 
massen  im  Lumen  des  M^urmfortsatzes  iiachAveisen,  in  der  jMehr-, 
zahl  der  Fälle  Avar  dasselbe  frei.  Nach  Schilderung  der  normalen 
Verhältnisse  des  Wurmfortsatzes  geht  der  Vortragende  sodann 
auf  die  von  Aschhoff  (Ueher  die  Topographie  der  Wurmfort¬ 
satzentzündung,  Verhandlungen  der  deutschen  pathologischen  Ge¬ 
sellschaft  1904,  H.  7,  S.  246)  veröffentlichten  Untersuchungen 
des  Näheren  ein  und  bemerkt,  daß  er  die  von  A  sch  hoff  näher 
charakterisierten  Formen  der  Appendicitis  acuta,  den  Wand- 
ahszeß  und  die  pseudomembranöse  Schleimhautentzündung  in 
einem  Teil  seiner  Fälle  vorgefunden  habe.  Da  Reuter  bei  den 
chronisch  rezidivierenden  Fällen  konstant  eine  Oblite¬ 
ration  des  distalen  Endes  des  Wurmfortsatzes  vorfand,  so  schließt 
er  sich  der  Ansicht  jener  an,  die  in  dieser  Obliteration  den  Aus¬ 
gang  eines  Entzündungsprozesses  sehen. 

Regimentsarzt  Dr.  Preßlich  hält  seinen  angekündigten 
Vortrag  :  Ueher  P  y  r  a  m  i  d  o  b  e  h  a  n  d  1  u  n  g  des  Typhus  a  h- 
dominalis.  (Erscheint  ausführlich  anderen  Orts.)  ^ 

S  i  l  z  u  n  g  V  0  m  9.  F  e  h  r  u  a  r  1907. 

Regimentsarzt  Dr.  Set  tm ache r  demonstriert  eine  Reihe 
instruktiver  Röntgenbilder. 

Regimentsarzt  Dr.  lg.  Hbf  er  bespricht  einen  Fall  Aron 
otogener  Sinusthrombose,  die  hei  einem  Soldaten  im  Anschlüsse 
an  eine  akute  Mittelohrentzündung  aufgetreten  Avar. 

Nach  kurzer  Erörterung  über  die  otitische  Pyämie  spricht 
der  Vorti'agende  über  die  Entstehungsürsaclie,  Bakteriologie  und 
EntstehungsAveise  der  Sinlisthromhose,  über  die  Ausdehnung  der 
Thrombenbilduiig ;  führt  einige  statistische  Zahlen  an,  bespricht 
sodann  die  Symptomatologie  der  Thrombose  des  Sinus  trans- 
versus  und  speziell  auch  des  Sinus  cavernosus,  dann  die  Diagnose, 
Prognose  und  den  Verlauf.  Bei  Besprechung  der  Therapie  Averden 
die  Indikationen  der  Jugularisunterbindung  besonders  hervor¬ 
gehoben,  ebenso  die  Gefahren  der  Luftaspiration  und  deren 
Vermeidung. 

Der  Fall,  den  der  Vortragende  operierte,  war  eine  obtu¬ 
rierende  Thrombose  des  Sinus  transversus  rechterseits,  welche 
im  Anschlüsse  an  eine  akute  eitrige  Otitis  rechterseits  auftrat; 
es  kam  .  im  Verlaufe  derselben  schon  in  der  zweiten  Woche  zum 
Aufli-elen  von  typischem  intermittierenden  Fieber  mit  Tages¬ 
differenzen  bis  zu  3-2'’,  zu  Schüttelfrösten;  in  der  dritten  Woche 
gesellten  sich  Erbrechen,  Gelenksschmerzen  im  linken  Schulter- 
gelenk  und  Diarrhöen  dazu,  welche  Symptome  die  Diagnose 
Sinuslhrombose  rechtfertigten.  Die  Operation  ergab  einen 
perisinuösen  Eiterherd  um  den  Sinus  sigmoideus  herum.  Die 
Punktion  des  Sinus  Avar  negativ,  die  Inzision  wies  Thromben 
nach;  hierauf  Freilegung  des  Sinus  bis  zum  oberen  Knie  des¬ 
selben,  nach  unten  bis  zum  Bulbus  venae  jugularis;  Spaltung  des 
ganzen  Sinus  und  Ausräumung  der  Thromben,  Avobei  es  vom 
Bulbus  her  zu  bluten  begann,  Tamponade  des  Sinus  mit  Jodo- 
formgazestreifen,  einige  Hautnähte,  Verband. 

Die  Untersuchung  des  perisinuösen  Eiters  ergab  Strepto¬ 
kokken.  Eine  Unterbindung  der  Vena  jugularis  Avurde  unterlassen,- 
weil  erstens  der  Thrombus  nur  an  einer  Stelle  ei’Aveicht  Avar, 
die  SinusAvand  Aveiter  nach  ahAvärts  gesund  aussah,  ebenso  Avie 
der  Knochen  und  der  Thrombus  vollkommen  entfernt  Averden 
konnte;  zweitens,  nian  die  Jugularisunterbindung  bei  Weiterbe¬ 
stehen  des  pyämischen  Fiebers  auch  später  noch  machen  konnte 
und  drittens,  Aveil  eine  Amreilige  Jugularisunterbindung  Amr  der 
Operation  bei  Nichtvorhandensein  einer  Thromhose  eine  vSta'rke 
Knochenblutung  bei  der  Operation  zur  Folge  hat,  Avas  sehr  lästig 
sein  kann.  Der  Aveitere  Krankheilsverlauf  Avar  normal,  der  Kranke 
genas  nach  fünf  Wochen. 

Der  Vortragende  bemerkt  zum  Schlüsse,  daß  das  Bild  der 
otitischen  Pyämie  auch  für  den  Militärarzt  Avichtig  sei,  da  das 
Schicksal  solcher  Kranker  Amr  allem  daAmn  abhängt,  ob  sie  recht¬ 
zeitig  dem  Otochirurgen  zugcAviesen  Averden,  da  sonst  der  un¬ 
bedingt  notAvendige  chirurgische  Eingriff  unterbleibt  oder  viel¬ 
leicht  zu  spät  unternommen  AAÜrd. 

Regimentsarzt  Dr.  Gustav  Pollak  hält  den  angekündigten 
Vorti'ag:  Zur  Epidemiologie  des  Typhus  abdominalis. 
(Siehe  unter  den  Oiiginalien  in  Nr.  lü  dieser  Wochenschrift.) 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Nächste  Sitzung  Mittwoch  (len  8.  April  1907,  Anfang  7  Uhr. 

Programm: 

1.  Demonstrationen.  —  2.  Diskussion  über  den  demonstrierten  Fall 
Hajeks:  Ueber  rezidivierenden  Glottisspasmus  (wahrscheinlich  Tetanie). 

Nach  der  Sitzung  gesellige  Zusammenkunft  im  Riedhof. 

Der  Sekretär. 


VtrantworUicher  Rtdaktaar:  Adalbert  Karl  Trapp.  Verlag  von  Wilhelm  Branmtfller  in  Wien. 

Drnok  von  Brnno  Bartelt,  Wien,  XVIII..  TheresiengasBe  8. 


rr-  ^ 

Die 

,,WIeuer  klluisclie 
■WoclieiiScUrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

liostellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Vei  lags- 
handlung. 

Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Sebattenfrob,  F.  Sebauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  y.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


fr-  ■  — - 

Aboiiueuieutspreit« 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
Auftiäge  für  das  ln-  und  Aus¬ 
land  worden  von  allen  Buch¬ 
handlungen  und  Postämlein, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlung  iibernommen.  — 
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lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
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Ums  era  t  e 

werden  mit  CO  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille- 
zoile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkommen. 

J 


Verla^sh  andlung: 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  4. 


INH 

1.  Origiiialarlikel :  1.  Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Hais¬ 
und  Nasenkrankheiten  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  0.  Chiari.) 
Zur  ösophagoskopischen  Diagnose  der  idiopathischen  Speise- 
röhrenerweiterung.  Von  Dr.  Emil  G 1  as,  Assistenten  der  Klinik. 

2.  Aus  der  11.  chirurgischen  Abteilung  der  k.  k.  Rudolfstiftung. 

(Vorstand:  Primarius  Priv.-Doz.  Dr.  ü.  Föderl.)  Ueber  sub¬ 
kutane  Darmrupturen.  Von  Dr.  Anton  v.  K  h  a  u  t  z  jun. 
Assistenten  der  Abteilung.  ’ 

3.  Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Lemberg. 
(Direktor:  Prof.  Dr.  Gluzihski.)  Ein  Beitrag  zur  Frage  der 
Polyglobulie.  Von  Dr.  N.  Schneider,  ehern.  Demonstrator 
der  Klinik. 

4.  Zwei  Fälle  von  diffuser  Peritonitis  appendicularis  mit  nach¬ 
folgendem  Darmverschluß.  Von  Dr.  Erwin  Nießner, 
Ordinarius  des  deutschen  Ritterordens-Spitales  in  Troppau! 

II.  Ueterale;  Ueber  die  Fürsorge  für  kranke  Säuglinge.  Von 
Prof.  Dr.  A.  S  c  h  1  o  ß  m  a  n  n.  Säuglingskrankenpflege  und 
Säuglingskrankheiten.  Von  Dr.  A.  Bagin sky  und  Dr.  Paul 
Sommerfeld.  Die  Krankheiten  der  ersten  Lebenstage.  Von 
Dr.  Max  Runge.  Leitfaden  zur  Errichtung  von  Kindermilch- 


April  1907.  Nr.  14. 


ALT: 

anstalten.  Von  Edmund  Suckow.  Die  Behandlung  von  Säug¬ 
lingen  in  allgemeinen  Krankenhäusern.  Von  Prof.  F.  Wesener. 
Vorträge  über  Säuglingspflege  und  Säuglingsernährung.  Von 
A.  Baginsky,  B.  Bendix,  J.  Cassel,  L.  Langstein, 
H.  Neumann,  B.  Salge,  P.  Selter,  F.  Siegert  und 
J.  Trum  pp.  Säuglingssterblichkeit  und  Wohnungsfrage.  Von 
E.  Me  inert.  Schulhygiene.  Von  L.  Burger  st  ein.  Rückkehr 
zur  natürlichen  Ernährung  der  Säuglinge.  Von  E.  Hagen- 
bach-Burckhardt.  Die  Säuglingsfürsorgestelle  I  der  Stadt 
Berlin.  Einrichtung,  Betrieb,  Ergebnisse.  Von  Dr.  A.  Japha 
und  Dr.  H.  Neumann.  Der  akute  Dünndarmkatarrh  des 
Säuglings.  Von  Dr.  B.  Salge.  Grundzüge  für  die  Mitwirkung 
des  Lehrers  bei  der  Bekämpfung  übertragbarer  Krankheiten. 
Von  Dr.  Fritz  Kirstein.  Die  physikalische  Therapie  im 
Kindesalter.  Von  Julius  Zap  pert.  Ref.:  Rudolf  Poliak. 

III.  Aus  yerscliiedeiieii  Zeitschritteu. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichteu. 

VII.  Yerhaudluugeu  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eougreßberichte. 


Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Hals-  und  Nasen¬ 
krankheiten  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  0.  Chiari.) 

Zur  ösophagoskopischen  Diagnose 
der  idiopathischen  Speiseröhrenerweiterung. 

Von  Dr.  Emil  Glas,  Assistenten  der  Klinik. 

Entferniiiig  von  Fremdkörpern  ans  dem  (desophagus, 
Diagnostizieren  von  Oesopliagnsstenosen,  narbigen  Strik- 
turen,  beginnenden  Karzinomen,  LaugenverätzuRgen  n.  a. 
gehören  mm  fast  schon  zum  täglichen  Handwerk  unseres 
Spezialfaches.  Zu  den  selteneren  Erkrankimgen  der  Speise¬ 
röhre,  deren  ösophagoskopischer  Befund  auch  für  den  ge¬ 
übten  Oesophagoskopiker  von  wesentlichem  Interesse  ist, 
gehören  die  Divertikel  und  spindelförmigen  Dilatationen  der 
Speiseröhre.  Harm  er  hat  auf  Grund  zweier  an  der  Klinik 
von  ihm  ösophagoskopierter  Fälle  jüngst  eine  Arbeit:  Die 
ösophagoskopische  Diagnose  des  Speiseröhrendiverlikels,  er¬ 
scheinen  lassen,  in  welcher  auf  die  Schwierigkeiten  hei  der 
l^eurfeiinng  dieser  Fälle  hingewiesen  wird.  Im  nachfolgen¬ 
den  sei  auf  Grund  melirerer  von  mir  an  der  Klinik  öso- 
phagoskopierter  Fälle  von  idiopathischer  Speiseröhren¬ 
erweiterung  auf  das  Interessante  dieser  ösophagoskopi¬ 
schen  Befunde  hingewiesen,  wobei  betont  sei,  daß  bereits 
Mikulicz  gelegentlich  der  Demonstration  seiner  ersten 
Oesophagoskopieii,  in  der  Sitzung  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Chirurgie  vom  Jahre  188‘2,  auf  dieses  seltene  Krankheits¬ 
bild  hinwies  und  in  ätiologischer  Hinsicht  auf  die  kardio- 


spaslische  Genese  dieser  Affektion  aufmerksam  machte.  Seit¬ 
dem  sind  zahlreiche  Arbeiten  über  Dilatationen  erschienen, 
welche  A.  Neumann  im  dritten  Bande  des  Zentralhlattes 
für  die  Grenzgebiete  zusammengestellt  hat,  und  die  sich 
auch  zum  Teile  in  den  Arbeiten  von  Rosenheim,  Stark, 
Gottstein,  Kraus,  Dauher  n.  a.  finden. 

Ehe  wir  mm  zur  Analyse  der  diesbezüglichen  öso¬ 
phagoskopischen  Befunde  gehen,  seien  zuerst  im  nachfolgen¬ 
den  in  Kürze  die  betreffenden  Krankengeschichten  wieder- 
gegehen. 

Fall  I.  G.  R.,  ßOjähriger  Kaufmann,  sucht  im  Sommer  1906 
die  Klinik  auf.  Er  gibt  an,  daß  er  häufig  ein  merkwürdiges 
Druckgefühl  im  Gebiete  der  Speiseröhre  habe,  welches  er  zum 
Teil  auf  seine  Nervosilüt  zurückführt.  Doch  gesellten  sich  vor 
drei  Monaten  noch  Schlnckhescliwerden  hinzu,  welche  in  letzter 
Zeit  wesentlich  zunahnien,  weshalb  Pat.  die  Klinik  aufsucliL 
Flüssigkeiten  kann  Pat.  gut  schlacken,  doch  erzeugen  feste  Speisen, 
zumal  wenn  sie  nicht  gut  gekaut  siml,  ein  Druckgefüld,  das 
er  über  den  Mageneingang  verlegt.  Ißt  er  sclmell,  so  bemerkt  er, 
daß  die  Speisen  nicht  liinuntergleiten ;  er  ist  der  Meinung,  daß 
sie  sich  ,, irgendwo  über  dem  Magen“  stauen.  Diese  Beoliachtimg 
macht  ihn  oft  aufgeregt  und  schlecht  gelaunt.  Auf  den  Rat  eines 
hefrenndeten  Arztes  hat  Pat.  sich  eine  Schlundsonde  gekauft, 
welche  er  jeden  Morgen  einführt.  Hiebei  fällt  es  ihm  auf,  daß 
er  an  einer  bestimmten  Stelle  einen  Schmerz  verspürt,  welcher, 
je  weiter  er  die  Sonde  vorzuschieben  sucht,  um  so  stärker  wird. 
Manchmal  kann  er  den  sich  ihm  entgegenstellenden  Widerstand 
mit  der  Sonde  überhaupt  nicht  überwinden.  Dann  läßt  er  die 
Sonde  eine  Weile  liegen  und  versucht  nach  einer  Pause  ein 
weiteres  Vorschiebeu,  was  ihm,  falls  er  auf  andere  Momente 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


jtv>4; 


sein  Augeiiuierk  richtet,  gewöhiilicli  gelingt,  l’nt.  hat  guten 
Appetit,  trotzdem  ist  er  in  den  letzten  Monaten  abgeniagert. 
Sein  Vater  soll  in  seinen  letzten  Lebensjahren  Paralysis  agitans 
gehabt  haben. 

Aus  dem  allgemeinen  Status  ist  niclds  von  besonderer  lle- 
deutung  hervorzuheben. 

Die  von  dem  Patienten  mitgebrachle  Scblundsonde  wird 
vorsichtig  eingeführt  und  gelange  anstandslos  bis  zu  einer  Ent¬ 
fernung  von  41  cm  von  der  Zahnreihe.  Dort  stößt  die  Sonde 
auf  einen  starken  Widerstand,  welchen  der  Patient  als  den  normal 
bei  ihm  zu  findenden  bezeichnet.  Nach  schnellem  flerausziehen 
der  Sonde  fließen  lüO  cnP  säuerlich  riechender,  mit  Speiseresten 
vcu’sehener  Flüssigkeit  nach,  welche  keine  Salzsäure  enthält,  (ileich 
darauf  wird  die  Sonde  ein  zweitesmal  eingeführt  und  nach  einer 
Pause  mit  dem  Sondenende  die  Stelle  des  Widerstandes  etwas 
stärker  gedrückt.  Pat.  macht  eine  tiefe  Inspiration  und  hält  dann 
den  Atem  förmlich  an;  in  diesem  Augenblick  konstatiert  die 
sondenführende  Hand  das  Weichen  des  Widerstandes,  die  Sonde 
gleitet  anstandslos  bis  in  den  Magen  (5Ü  cm  tief). 

Am  nächsten  Tage  wird  der  Rum  pel  sehe  Versuch  ge¬ 
macht.  Eine  an  ihrem  unteren  Ende  mit  Löchern  versehene  Sonde 
wird  in  den  Magen  geleitet,  eine  Nebensonde  führt  in  den  er¬ 
weiterten  Speiseröhrenabschnitt.  Eingießen  einer  Flüssigkeit  durcli 
die  Nebensonde;  bei  gesenktem  Trichter  fließt  dieselbe  nicht 
zurück. 

Dieser  Versuch  soll  das  Bestehen  einer  Dilatation  (gegen¬ 
über  der  Diagnose  eines  tiefsitzenden  Divertikels)  beweisen,  doch 
schließen  wir  uns  den  von  Neumahn  und  Rosenheim  dies¬ 
bezüglich  gemachten  Einwänden  vollinhaltlich  an. 

Tags  darauf  ösophagoskopische  Untersuchung.  Die 
Einführung  des  Üesophagoskopes  gelingt  trotz  des  Mangels  einer 
Zahnlücke  bei  gesenktem  Kopfe  in  sitzender  Stellung  leicht.  Kaum 
ist  jedoch  das  Rohr  über  die  Ringknorpelenge  etwa  4  cm  hin¬ 
aus,  so  verlischt  das  Licht  des  Leiterschen  Panelektroskopes'.  Eine 
große  Menge  säuerlich  riechender  Flüssigkeit  ist  zum  Abfluß  ge¬ 
kommen  u.  zw.  so  rasch,  daß  dieselbe  nicht  aufgefangen  werden 
konnte.  Der  Versuch,  nun  das  Gesichtsfeld  rein  zu  bekommen, 
mißlingt  anfangs.  Alles  Tupfen  nützt  nichts.  Auch  die  Klyso- 
pompe,  die  wir  durch  das  Rohr  einführen,  vermag  nicht  die 
ganze  Flüssigkeit  herauszupumpen,  weswegen  wir  den  Kopf  des 
liegenden  Patienten  noch  stärker  senken  und  den  Patienten  auf¬ 
fordern,  WTirgbewegungen  zu  machen.  Auf  diese  Weise  gelingt 
es,  bei  stark  gesenktem  Rohre  die  Flüssigkeit  fast  völlig  heraus- 
zubekommen  und  nach  wiederholtem  Austupfen  ist  das  Gesichts¬ 
feld  rein.  Wir  führen  nun  das  Uesophagoskop  vorsichtig  bei 
guter  Beleuchtung  weiter  und  konstatieren  bei  einer  Entferiumg 
von  etwa  20  cm  das  Zurücktreten  der  blassen  Oesophagusschleiin- 
haut.  Hier  blicken  wir  in  einen  weiten  Hohlraum,  dessen  Wan¬ 
dung  uns  anfangs  völlig  unsichtbar  bleibt.  Erst  bei  starker  Drehung 
des  proximalen  Tubusendes  bringen  Avir  uns  Teile  der  Wandung 
zu  Gesicht,  Avelche  minimale  Faltenbildung  zeigen,  meist  Amn 
normaler  Farbe  sind  und  nur  an  Avenigen  Stellen  Auflockerung 
der  Schleimhaut  erkennen  lassen.  Aus  der  großen  Exkursions¬ 
fähigkeit  des  Rohres  ist  zu  entnehmen,  daß  das  Rohr  in  einem 
großen  Hohlraum  sich  befindet,  dessen  Wandungen  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  geringe  Fältelung  und  den  Mangel  vorspringender 
Partien  als  festere,  in  einem  gewissen  Tonus  befindliche  er¬ 
scheinen.  Wir  lassen  den  Patienten  tief  atmen,  doch  treten  keine 
respiratorischen  Bewegungen  auf.  Der  Holilraum  schließt  sich 
auch  bei  maximaler  Exspiration  nicht.  Im  bifurkalen  Gebiete 
li'oten  pulsatorische  Phänomene  der  hinteren  Wandung  auf,  welche 
synchi'on  mit  dem  Pulse  verlaufen.  Das  Rohr  AAÜrd  nun  leicht 
bis  40  cm  von  der  Zahnreihe  vorgescholren.  Hier  muß  Avieder- 
holl  abgetupft  Averden,  ehe  das  Gesichtsfeld  sich  völlig  rein  dar¬ 
stellt.  Dann  sieht  man  einen  von  rechts  hinten  nach  links  vorne 
verlaufenden  Spalt,  Avelcher  von  zwei  stark  vorspringenden  W’ilsten 
begrenzt  erscheint,  an  deren  Oberfläche  feine  Gefäßramifikatioiien 
sichtbar  sind.  (Das  ganze  Bild  erinnert  an  das  einer  Portio.) 
Die  Wülste  schließen  aidferordenllich  enge  aneinander  und  eine 
eingeführte  Darmsaite  Amrmag  absolut  iiicht  Amrzndringon.  Aus 
dem  J\lagcn  dringen  Aveder  Gas,  noch  Flüssigkeit  herauf.  Beim 
Zurückziehen  des  Tubus  ist  nochmals  Amn  oben  der  Hohlraum 
völlig  zu  überblicken  und  ist  es  bei  entsprechend  zentraler  l’Tih- 
i'ung  des  Rohres  möglich,  noch  bei  einer  Entfernung  von  30  cm 
(von  der  Zahnreihe)  die  porlioarfige  WTdstbildung  in  kardialem 
Gebiete  zu  übersehen. 

Fall  H.  48jähriger  Patient,  Avar  früher  stets  gesund.  Vor 
sechs  Jahren  erlilt  er  ein  Trauma,  indem  ihm  ein  schweres  Eisen¬ 
stück  auf  das  Abdomen  gefallen  sein  soll.  Von  diesem  Unfall 
erholte  er  sich  bald  Avieder,  doch  will  er  seitdem  (vine  gewisse 
Nervosität  beobachtet  haben;  hie  und  da  Unrulie  uni  Schlaf¬ 


losigkeit.  Vor  ZAvei  Jahren  bemerkte  er,  daß  .  er  feste  Speisen 
nicht  'mehr  so  gut  Avie  fiüher  hinabsohlucken  konnte.  Er  gibt 
an,  das  Hindernis  etwa  in  der  Höhe  der  Magengrube  Amrspürt 
zu  haben.  Das  Trinken  von  Flüssigkeiten  ging  anstandslos.  Die 
BeschAverden  nalmien  im  Laufe  der  nächsten  Monate  zu,  indem 
das  Hindernis  größer  zu  Averden  schien  und  Pat.  oft  und  oft 
schlucken  mußte,  um  kleine  Bissen  hinunter  zu  bekommen.  Lliebei 
regte  er  sich  manchmal  sehr  auf,  so  daß  ihm  das  Blut  zu  Kopfe 
stieg.  Nachdem  ihn  ein  Landarzt  bougiert  hatte,  kaufte  er  sich 
'.spontan  eine  Schlundsonde  und  übte  selbst  anfangs  tägliclr  ein¬ 
mal,  dann  öfter  die  Bougierung.  Bougierte  er  vor  dem  Essen 
u.  ZAV.  unmittelbar  vorher,  so  sollen  die  kleingekauten  Speisen 
zumindest  anfangs  ganz  gut  in  den  Magen  hineingelangt  sein, 
nach  mehreren  Bissen  jedoch  hatte  er  das  Gefühl  des  ,,krampf- 
hafteji  Widerstandes“  im  untersten  Bereiche  der  Speiseröhre. 
Hiebei  stellte  sich  ein  peinliches  Druckgefühl  an  einer  bestimmten 
Stelle'  ein.  Flüssigkeit  ging,  Avenn  er  in  einem  Zuge  größere 
Mengen  nahm,  plötzlich  prompt  hinunter.  Pat.  gewöhnte  sich 
auch  an  Bougierungen  nach  dem  Essen.  Er  gibt  an,  im  Laufe 
der  Zeit  eine  gewisse  Schlundrohrmassage  gelernt  zu  haben, 
Avelche  darin  bestand,  daß  er  zuerst  mit  dem  Bougieende  die 
Stelle,  Avo  sich  der  Widerstand  fand,  kräftig  und  Aviederholt 
drückte.  Konstatierte  er  dann  das  „Hineinschlüpfen“  der  Sonde, 
dann  begann  er  zuerst  langsam  und  dann  etAvas  schneller  die 
Bougie  durch  die  verengte  Stelle  auf  und  ab  zu  bewegen,  Avas 
ihm,  AA’ie  er  angibt,  Avesentliche  Erleichterung  verschaffte.  Da 
er  jedoch  seit  14  Tagen  stärkere  Beschwerden  hat  und  bei  Son¬ 
dierung  öfter  die  Sonde  nicht  über  das  Hindernis  hinauszubring’en 
vermag,  sucht  er  die  Klinik  auf. 

i'at.  ist  etAvas  abgemagert ;  äußerlich  nichts  Abnormes,  Aveder 
in  der  Bauchgegend,  noch  in  der  Supraklavrkulargmbe  ein  Tumor 
zu  konstatieren.  Die  Einführung  der  Schlundsonde  gelingt  leicht. 
Dieselbe  läßt  sich  bis  42  cm  von  der  Zahnreihe  leicht  vor¬ 
schieben,  dort  stößt  man  auf  ein  Hindernis;  bei  stärkerem  An¬ 
drücken  der  Sonde  verspürt  der  Patient  Schmerzen.  Beim  Her¬ 
ausziehen  der  Sonde  macht  Pat.  regurgitierende  BeAvegungen  und 
entleert  hiebei  löü  cm^  einer  alkalisch  reagierenden  Flüssigkeit. 
Gleich  darauf  führt  sich  Pat.  selbst  die  Sonde  ein  zAveites  Mal 
ein,  schiebt  sie  langsam  hinunter  und  macht,  nachdem  sich  das 
Hindernis  auf  das  neue  eingestellt,  nun  ein  kompliziertes  Schluck¬ 
manöver,  indem  er  tief  inspiriert  und  dann  bei  geschlossener 
Slimmritze  Avürgt;  nun  genügt  ein  geringer  Druck  und  die  Sonde 
gleitet  bis  50  cm  anstandslos  in  den  Magen.  Beim  Herausziehen 
der  Sonde  hat  man  das  Gefühl,  als  ob  sich  über  dem  Ende  der¬ 
selben  ein  Ring  zusammenziehen  Avürde.  Bis  30  cm  heraus¬ 
gezogen,  versuche  ich  die  Wiedereinführung,  Avas  aber  abermals 
nicht  gelingt,  da  der  alte  AViderstand  (42  cm  von  der  Zahnreihe) 
sich  aufs  neue  einstellt.  Keine  Flüssigkeit  wird  regurgitiert. 

Die  0  es  o  p  h  a  g  o  s  k  o  p  i  e  Avird  noch  an  demselben  Morgen 
ausgeführt,  da  Pat.  am  Abend  Avieder  heimreisen  Avill.  (Die 
Oesojjhagoskopie  Avird  allen  Herren  des  Kurses  demonstriert.) 
Die  Einführung  des  Rohres  gelingt  nach  Ueberwindung  der  Ring¬ 
knorpelenge  leicht.  20  cm  von  der  Zahnreihe  entfernt  ändert 
sich  das  bis  dahin  normale  Bild.  Hier  legen  sich  nämlich  Falten 
vor  das  Tubusende,  Avelche  einerseits  das  Lumen  zum  Teil  ver¬ 
legen,  anderseits  das  Aveitere  Vordrängen  des  Rohres  an  ein¬ 
zelnen  Stellen  scliAvierig  machen.  Tupfer  müssen,  da  Speisereste 
zAvischen  den  Falten  wiederholt  vordrängen,  oft  angewendet 
Averden.  Die  Falten  zeigen  an  mehreren  Orten  entzündete  Schleim¬ 
haut  inil  Gefäßinjektion.  Bei  tiefer  Respiration  zeigen  die  Falten 
nur  geringe  oder  gar  keine  Mitbewegung,  doch  sind  die  ])ulsatori- 
schen  WTuidphänomene,  zumal  im  infrabifurkalen  Teile,  deutlich 
ausgesprochen.  Bei  starker  Drehung  des  Rohres  gelingt  es,  andere, 
vorher  nicht  eingestellte  \Vand])ariien  sichtbar  zu  machen,  Avelche 
gleichfalls  nicht  von  straff  gespannter  Schleimhaut  ausgekleidet 
sind,  sondern  deutliche  Fältelung  aufweisen.  35  cm  von  der 
Zahnreihe  ist  das  Vordrängen  der  quergestellten  Falten  so  groß, 
daß  man  das  Lumen  nicht  Aveiter  zu  sehen  vermag  und  sich  der 
vo]'geschol)ene  Tubus  Aviederholt  in  den  faltigen  Winkeln  und 
Buchten  verliert,  ohne  Aveiter  vorgedrängt  Averden  zu  können. 
Erst  allmählich  arbeitet  sich  das  Rohr  langsam  durch.  40  cni 
Amn  der  Zahnreihe  ist  die  Schleimhaut  stark  injiziert,  das  Vor¬ 
schieben  des  Tubus  bereitet  dem  Patienten  Schmei'zen  und  bei 
41  cm  stößit  das  Rohr  auf  einen  starken  Widei’stand.  Hier  zeigt  das 
ösophagoskopische  Bild  rosettenartig  aneinander  gelagerte,  gegen 
ein  punktförmig  geschlossenes  Lumen  sich  hindrängende,  stark 
gerötete  Schleimhautfältchen.  Trotz  forcierter  Inspiration  und 
energischer  SchluckbeAA'eigung  des  Patieiden  ist  das  liefere  Vor- 
drängeii  des  Tubus  unmöglich.  Erst  nach  Aviederholtem  Betupfen 
dieser  Partie  mit  20°'i'igem  Kokain  kommt  es  zu  einem  Zurück¬ 
treten  der  Roselten  und  das  Oesophagoskop  dringt  in  den  Magen 


Nr.  li 


Wiener  klinische  Wochenschrift.  1907, 


ein,  w'ü  die  rulsainlene  Farbe  der  iMagensclileiiidiauL  deullicli 
yiclilbar  wird.  Kein  Tnnior,  keine  Narben,  keine  Leukoplakie 
’/Al  sehen. 

Fall  III.  (Die  Oesopliagoskopie  dieses  Falles  verdanke  ich 
dem  einer.  Assistenten  der  IV.  medizinischen  Abteilung  des  Pro¬ 
fessors  Ko  vacs,  Herrn  Dr.  V  oll  bracht,  der  diesen  interessanten 
Fall  in  einer  Arbeit:  Zur  Kenntnis  des  Schluckmechanismus  bei 
Kardiospasmus,  einer  eingehenden  Würdigung  unterzogen  ha.t.) 

Die  Anamnese  dieses  l^itienten  ergibt  wechselnde, 
auf  Dilatation  hinweisende  Beschwerden.  Anfangs  waren  es 
nur  schwerere  Speisen,  die  stecken  blieben,  dann  aber 
auch  Flüssigkeiten,  während  breiige  Nahrung  gut  passierte. 
Forcierte  Atem-  und  Schluckbewegungen  halfen  dem  Patienten 
manchmal  über  das  Hindernis.  Längere  Zeit  wurde  er 
bougiert,  dann  durch  Wochen  init  schottischer  Dusciie  auf 
die  iMagengegend  behandelt;  doch  halfen  ihm  diese  Kuren  alle 
nur  vorübergehend,  weshalb  er  im  Dezember  1905  aufs  neue 
das  Spital  aufsuchte. 

Es  handelt  sich  um  ein  nervöses,  leicht  irritierbares, 
35jähriges  Individuum,  dessen  Urganbefund  nichts  Pathologisches 
bietet.  Bei  Einführung  von  Bougien  stößit  man  39  bis  4IV2  cm 
von  der  Zahnreihe  auf  elastischen  Widerstand  und  gelingt  es 
nicht,  diesen  Widerstand  zu  überwinden.  ,,Erst  in  allerletzter 
Zeit  konnte  Bougie  Nr.  16  vom  Patienten  selbst  in  den  Magen 
eingeführt  werden  und  auch  niir  ist  die  Passage  in  letzter  Zeit 
gelungen.“  (Vollbracht.) 

Pat.  wurde  nur  einmal  von  mir  ösophagoskopiert  und 
hiebei  ein  Befund  erhoben,  welcher  dem^  des  Falles  11  teilweise 
gleicht:  Die  Einführung  des  Oesophagoskopes  gelingt  leicht;  kaum 
hat  man  jedoch  das  Rohr  in  eine  Entfernung  von  etwa  30  cm 
von  der  Zahnreihe  gebracht,  so  strömt  ein  Strahl  getrübter  Flüssig¬ 
keit  aus  dem  Rohre,  zirka  einen  Viertelliter  messend.  Nachdem 
die  Flüssigkeit  abgeflossen  ist,  erscheint  die  Oesophagusschleinr- 
haut  von  normaler  Farbe,  doch  zeigt  sich  bei  tieferer  Einführung 
des  Rohres  eine  starke  Faltenbildung  der  Schleimhaut,  welche 
auf  ca.  10  cm  Länge  deutlich  zu  konstatieren  ist.  Gleichzeitig 
gelingt  es,  mit  dem  Ende  des  Oesophagusrohres  ziemlich  weit 
reichende  Bewegungen  zu  machen,  wobei  man  die  Empfindung 
hat,  daß  man  von  seiten  der  üesophagusschleimhaut  keinerlei 
Widerstand  begegnet.  Eine  unterhalb  dieser  Dilatation  befind¬ 
liche  Stenose  oder  ein  Tumor  ist  nicht  festzustellen,  trotzdem 
das  45  cm  lange  Rohr  bis  in  den  uidersten  Bereich  der  Speise¬ 
röhre  eingeführt  wird. 

Aus  dem  Röntgenbefund  (Priv.-Doz.  Holzknecht)  sei  mit¬ 
geteilt,  daß  die  untere  Hälfte  des  intrathorazischen  Oesophagus 
von  den  aufgenommenen  Wismutingesten  unter  je  nach  der  Menge 
verschieden  großer  Dehnung  bis  zur  Unterarmdicke  und  Keuien- 
form  (dickes  Ende  an  der  Kardia)  ausgebreitet  wird.  Fine  Ent¬ 
leerung  des  Sackes  findet  bei  ruhigem  Verhalten  des  Patienten 
nicht  statt.  Dagegen  tritt  bei  dem  Schluckmanöver  des  Patienten 
(y a  1  s a  1  va scher  Versuch  +  Luftschlucken  bei  geschlossener 
Glottis)  der  Inhalt  des  dilaiierten  Oesophagus  unter  gleichmäßig 
langsamem  Ausfließen  in  der  Zeit  von  20  bis  25  Sekunden  in 
den  Magen.  Dabei  läßt  sich  das  ebenso  gleiclnnäßig  sinkende 
Niveau,  welches  entsprechend  der  Erweiterung  des  Oesophagus 
allmählich  breiter  wird,  bis  zu  seinem  anscheinend  an  der  Kartlia 
gelegenen  Ende  verfolgen.  Das  dabei  keineswegs  kollabierende 
Oesophaguslumen  erscheint  mit  Gas  gefüllt.  Die  Gasfüllung 
schwindet  am  Ende  der  Entleerung  plötzlich  unter  Kollaps  der 
\\  ände,  unter  fühl-  und  hörbarem,  gurrenden  und  zischenden 
Geräusch  im  linken  Hypochondrium 

Fall  IV.  Pat.  erscheint  im  Juli  1905  mit  folgender  von  ihm 
selbst  geschriebener  Anamnese  an  der  Klinik:  ,,lch  bin  Schuster 
und  jetzt  57  Jahre  alt.  Meine  Krankheit  hatte  im  Jahre  1894 
ihren  Anfang.  Im  Monat  Juni  dieses  Jahres  habe  ich  noch  des 
Morgens  nieinen  Kaffee  getrunken  iind  bin  dann  in  die  Stadt 
gegangen,  ohne  etwas  zu  spüren.  Um  10  Uhr  ging  ich  in  ein 
(lasthaus  und  kaufte  mir  ein  Stück  Fleisch.  Als  ich  dieses  ge¬ 
schnitten  hatte  und  ein  Stück  essen  wollte,  konnte  ich  es  nicht 
inehr  herunterbringen.  Es  kam  Schleim  herauf,  aber  essen  konnte 
ich  nichts.  Ich  bin  damals  gleich  zum  Herrn  Prof.  Schrötter 
gegangen,  durch  14  Monate  ging  ich  hin.  Dann  ein  Jahr  zum 
Prof.  Albert,  dann  war  ich  in  der  Ambulanz  bei  Prof.  Hacker, 
aber  alle  Behandlung  war  erfolglos.  Meine  Krankheit  hat  sich 
nur  insofern  gebessert,  als  ich  doch  jetzt  mit  vieler  Mühe  etwas 
hinunlerbringen  kann.“ 

Pat.  ist  stark  abgemagert.  Sonst  ist  der  somatische  Befund 
normal.  Gleich  nach  der  Aufnahme  des  Patienten  wird  die  Son¬ 
dierung  vereucht,  welche  anstandslos  gelingt.  Nach  Ueberwindung 
eines  40  cm  von  der  Zahnreihe  gelegenen  Hindernisses  gleitet 
die  Sonde  leicht  in  den  Magen.  Nach  dem  Herausziehen  der 


405 


Sonde  kommt  eine  Menge  von  100  cnr‘  alkalisch  reagierender 
llüssigkeit  nach. 

Oesopliagoskopie:  Einführung  des  45  cm -Rohres  von 
13  mm  Querschnitt.  Nach  starkem  Rückwärtsbeugen  des  Kopfes 
gelingt  die  yeberwindung  der  Ringknorpelenge  leicht.  Charak- 
teiistische  iiichteiform  des  oberen  Oesophagusabschnittes  mit 
losetlenfüimigem  Abschluß'.  30  cm  von  der  Zahnreihe  entfernt 
ist  eine  auffallende  Fältelung  der  Wandung  sichtbar,  deren 
Schleimhaut  staike  Injektion  der  oberflächlichen  Gefäßchen  zeigen. 
Zwischen  den  leicht  wegdrängbaren  Falten  Speisereste.  An  ein¬ 
zelnen  vorspringenden  Stellen  (den  Kämmen  dör  Falten)  fest¬ 
haftende  Membranen,  die  mit  der  Pinzette  entfernt  werden.  (Hefe- 
pilze  und  Leptotbrix  mikroskopisch  nachweisbar.)  Im  Gebiete 
dei  Kieuzungsstelle  des  linken  Bronchus  mit  der  Speiseröhre 
ist  das  Vordrängeii  des  Rohres  mitten  zwischen  den  stark  vor- 
spiingenden  Falten,  die  in  dieser  Gegend  dichter  gedrängt  er¬ 
scheinen,  schwierig.  Ein  stärkeres  Rechtsdrehen  des  Rohres  führt 
zum  Ziele.  Bei  tiefer  Respiration  weisen  die  Wandungen  keinerlei 
Veränderungen  auf.  Doch  werden  gerade  in  diesem  Abschnüt 
lebhafte  peristaltische  Bewegungen  wahrgenommen.  Die  Gegend 
des  Zwerchfellhiatus  passiert  der  Tubus  ohne  größere  Schwierig¬ 
keit,  um  schließlich  39  cm  von  der  Zahnreihe  entfernt  auf  einen 
größeren  Widerstand  zu  stoßen,  der  bei  40  cm  im  Augenblick 
nicht  zu  überwinden  ist.  Das  Bild  dieser  Gegend  zeugt  sich 
als  ein  von  zwei  stark  vorspringenden,  mit  injizierter  Schleim¬ 
haut  versehenen  LippenWülsten  begrenzter  Spalt,  welcher,  von 
rechts  hinten  nach  vorne  verlaufend,  im  Augenblick  der  Unter¬ 
suchung  völlig  geschlossen  ist.  Weder  Respirationsbewegungen, 
noch  Schlucknianöver  können  für  den  Augenblick  diesen  krampf¬ 
haften  Verschluß  aufheben.  Erst  wiederholtes  Kokainisieren  der 
Lippenwülste  bringt  nach  einigen  Minuten  den  Krampf  zum 
Schwinden,  das  Rohr  überwindet  den  Widerstand  und  gleitet 
in  den  Magen.  Beim  Zuiäickziehen  des  Rohres  verspürt  die 
führende  Hand  keinerlei  Zug  oder  Druck  im  kardialen  Gebiet 
und  gelangt  in  den  weitfaltigen,  infrabifurkalen  Oesophagus- 
abschnitt,  in  welchem  die  Exkursionsmöglichkeit  des  Oesophago¬ 
skopes  besonders  auffallend  zutage  tritt. 

Der  Röntgenbefund,  den  ich  der  Liebenswürdigkeit  des 
Heian^  Priv.-Doz.  Holzkjiecht  verdanke,  lautet  folgendermaßen : 
Die  Wismutingesten  füllen  fast  in  der  ganzen  verabreichten  Menge 
einen  mäßig  längsgedehnten  Alagen  (große  Kurvatur  in  Nabel- 
höhe),  welcher  radiologisch  keine  groben  anatomischen  Ver¬ 
änderungen  seiner  Wand  und  keine  abnormen  Beziehungen  zu 
seiner  Nachbarschaft  zeigt.  Ein  Teil  der  verabreichten  Ingesten 
jedoch  bleibt  stets  in  dem  untersten  Abschnitt  des  Oesophagus, 
wo  sie  in  einer  mächtigen,  s  a  c  k  a  r  t  i  g'  e  n,  drei  bis  vier 
Q  u  e  r  f  i  n  g  e  r  breiten,  spindelförmigen  Dilatation  Platz 
finden.  (Vgl.  die  diesbezüglichen  Radiogramme.) 


Fig.  1. 

Dorso ventrale  Durchleuchtung  (Thorax  von  vorne 
gesehen)  nach  vorausgehender  Einnahme  einer  Mahlzeit,  aus  300 g 
Gries  in  der  Milch  und  25  g  Bismutum  subnitricum  bestehend. 
(Nach  der  Pause  des  Schirmbildes  gezeichnet.)  Der  zwischen 
den  hellen  Mittelfeldern  hegende  Mediastinalschatlen  zeigt  den, 
wie  stets  in  diesen  Fällen,  sich  mehr  nach  rechts  hin  aus- 
breitenden,  kolbenförmig  enveiterten  Oesophagus.  Nur  geringe 
Mengen  der  Mahlzeit  sind  im  Laufe  der  Untersuchung  in  den 
Magen  gelangt. 

Durchleuchtung  in  der  ersten  schrägen  Richtung  (Thorax 
von  rechts  vorne  gesehen).  Die  Wii'belsäule  weicht  nach  rechts, 
das  Herz  und  der  Gefäßischatten  nach  links  zurück.  Der  Oeso¬ 
phagus  zeigt  in  dieser  Richtung  einen  viel  schmäleren  Quer- 


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4uö 


durchmesser.  Der  QaerschiiiU.  des  Lumens,  aus  beiden  Bildern 
ermittelt,  ist  also  oval  mit  der  größten  Ansdelmimg  in  nngetähr 
querer  Richtung,  was  aus  den  räumlichen  Verhältnissen  im 
Mediastinum  begreiflich  wird. 


Fig.  2. 


Diese  vier  genau  beobachteten,  ösophagoskoi)ierten  und 
zum  Teil  auch  röntgenisierten  Fälle  idiopathischer  Speise- 
rohrenerweiterung  beweisen  die  Wichtigkeit  der  ösophago- 
skopischen  Untersuchung ,  in  derartigen  Fällen.  Denn,  wie 
ich  bereits  anläßlich  der  V'orstellung  des  Voll  bracht  sehen 
Falles  in  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  betont  habe, 
ist  erst  der  ösophagoskopische  Befund  für  das  Fehlen  einer 
anatomischen  Ursache  der  Dilatation  beweisend  und  erst 
durch  die  üesophagoskopie  können  die  sekundären,  ober¬ 
halb  anatomischer  Stenosen  sich  etablierenden  Dilatationen 
von  den  idiopathischen,  ,, spindelförmigen“,  mit  Sicher¬ 
heit  geschieden  werden,  ein  Moment,  auf  welches 
bereits  Rosenheim  des  besonderen  aufmerksam  ge¬ 
macht  hat.  Wenn  auch  der  Wert  der  internen  Unter¬ 
suchung  und  der  verschiedenen,  zum  Nachweise  idiopathi¬ 
scher  Dilatationen  ersonnenen  Metlioden  nicht  herahgesetzt 
werden  soll,  so  ist  doch  derzeit  bereits  zur  Genüge  bekannt, 
daß  liefsitzende  Oesophaguskarzinome,  heginnende  Karclia- 
karzinome  und  feine  narbige  Prozesse  im  ösophagealen 
Rohre  zuerst  und  ausschließlich  durch  das  Oesophagoskop 
erkannt  werden  können  und  darum  in  solchen  Fällen  — 
es  sei  zum  Beispiel  hier  auch  der  Fälle  mit  Dilatation 
idiopathischer  Natur -p  Oesophaguskarzinom  gedacht  — 
stets  ösophagoskopiert  werden  soll.  Wir  können  uns  darum 
dem  Urteil  Kellers  absolut  nicht  anschließen,  der  kürz¬ 
lich  bei  Besprechung  des  S  traußschen  Eudiometers  (zwecks 
differentialdiagnostischer  Verwertung)  mit  Rücksicht  auf  die 
sich  darbietenden  technischen  Schwierigkeiten  der  Oeso- 
phagoskopie  in  Fällen  spindeltörmiger  Dilatation  nicht  jenen 
hohen  Wert  beimißt,  welcher  ihr  hiebei  zukommt. 

WTe  aus  den  von  uns  ösophagoskopierten  Fällen  her¬ 
vorgeht,  findet  sich  fast  stets  ein  ziemlich  einheitliches 
Bild  bei  der  idiopathischen  Speiseröhrenerweiterung,  wie 
es  bereits  von  den  Autoren  des  genaueren  beschrieben 
wurde ;  Das  Rohr  zeigt  in  dem  dilatierten  Abschnitte  große 
Exkursionsfähigkeit,  die  zurückgehaltenen  Flüssigkeiten  und 
Speisereste  drängen  sich  durch  den  eingeführten  Tubus 
heraus,  die  Reinigung  des  Gesichtsfeldes  ist  oft  mit  großen 
Schwierigkeiten  verbunden.  Ist  dieselbe  gelungen,  dann  über¬ 
sieht  man  bestimmte  Wandpartien:  ln  dem  dilatierten  Ab¬ 
schnitt  gelingt  es  uns  nicht,  im  selben  Augenblicke  die  ganze 
Zirkumferenz  zu  überblicken.  Die  Schleimhaut  befindet  sich 
meist  im  Zustande  der  Entzündung,  die  vorspringenden 
Kämme  zeigen  häufig  Membranautlagerung,  Auflockerung 
und  Gefäßinjektion.  Die  Schleimhaut  lagert  faltenartig  vor 
dem  Tubusende  und  ist  oft  nur  mit  Schwierigkeit  weg¬ 
zudrängen.  ln  den  zwischen  den  Falten  befindlichen  W'ellen- 
lälern  finden  sich  nicht  selten  auch  nach  gründlicher  Reini¬ 
gung  Speisepartikelchen.  Respiratorische  Bewegung  der  öso¬ 
phagealen  Wandpartien  fehlt  oder  ist  zumindest  wesent¬ 
lich  eingeschränkt,  ln  allen  unseren  Fällen  fanden  wir  nehen 
der  Dilatation  das  Bild  des  Spasmus  in  kardialem  Gebiete. 


(Hiebei  ist  das  Bild  dasselbe,  ob  nun  der  Spasmus  im 
Gebiete  des  Hiatus  oesophageus,  oder  tiefer  unten  zu  linden 
ist.)  Ro'settenartiger  Verschluß  des  Rohres,  mit  starkem  Vor¬ 
springen  der  Fältchen,  das  konzentrisch  gelegene  Lumen 
fest  verschlossen,  die  Schleimhaut  dieser  Partie  gewöhnlich 
entzündet,  verdickt,  gerötet,  auch  leicht  blutend.  Manchmal, 
wie  im  Fall  I  und  IV,  portioartig,  mit  stark  vorspringenden 
Lippenwülsten  und  einem  schmal  zusammengedrängten,  von 
rechts  hinten  nach  links  vorne  verlaufenden  Spalt.  Ueber 
das  merkwürdige  ösophagoskopische  Bild  des  Falles  I, 
welches  in  der  Literatur  nur  ein  Analogon  hat  (R  o  s  e  n  h  e  i  m, 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  Divertikel  und  Ektasien  der  Speise¬ 
röhre)  sei  noch  weiter  unten  des  genaueren  gesprochen. 

Zunächst  seien  hier  in  differentialdiagnostischer  Be¬ 
ziehung  einige  Momente  besonders  hervorgehoben.: 

I.  Gegenüber  dem  ösophagoskopischen  Bilde 
n o  r  m a  1  e  r  W  a  n  d  p  a  r t  i  e  n. 

Erst  sei  zum  besseren  Verständnis  dieser  Verhältnisse 
darauf  hingewiesen,  daß  das  ösophagoskopische  Bild  in  ver¬ 
schiedenen  Höhen  ein  wesentlich  verschiedenes  ist,  wie 
aus  den  zahlreichen  in  der  Literatur  niedergelegten  Unter¬ 
suchungen  normaler  Fälle  zu  entnehmen  ist  und  wovon 
sich  auch  jeder  Oesophagoskopiker  allezeit  überzeugen  kann. 
So  gibt  es  Stellen  im  Schlundrohr,  welche  bei  tiefer  Respi¬ 
ration  mit  dem  Bilde  der  Dilatationen  Aehnlichkeit  haben, 
wobei  es  zur  Faltenbildung  in  der  Wandung  und  zur  Hohl¬ 
sicht  kommen  kann,  ohne  daß  es  sich  jedoch  um  einen 
pathologischen  Prozeß  handeln  würde.  Dies  ist  besonders 
im  infrabifurkalen  Teil  der  Speiseröhre  der  Fall.  So  ist 
die  Beobachtung  von  Stark  ganz  richtig,  welcher  bei  Be¬ 
schreibung  des  ösophagoskopischen  Bildes  der  normalen 
Speiseröhre  über  Faltenbildung  in  diesem  Gebiete  Mitteilung 
macht,  welche  mitunter  weit  ins  Lumen  vorspringen.  ,,Dann 
gleichen  die  oberhalb  der  Vorbuchtung  belindlichen  Wellen¬ 
täler  auf  den  ersten  Blick  divertikelartigen  Ausstülpungen; 
man  erlangt  aber  sofort  Klarheit  über  die  wahren  Verhält¬ 
nisse,  wenn  man  mit  dem  Rohr  die  Falte  verstreicht  und 
die  verdächtige  Stelle  über  dem  Tubusende  anspannt.  Auch 
die  Farbe,  die  in  solchen  faltigen  Einbuchtungen  dunkelrot 
oder  dunkelblaurot  erscheint,  nimmt  bei  Anspannung  der 
betreffenden  Stelle  das  normale  Blaßrosa  an.“  Wichtig  er¬ 
scheint  uns  diesbezüglich  die  respiratorische  Verschieblich¬ 
keit,  welche  hei  dem  Falten  werk  dilatierter  Wandpartien 
entweder  völlig  aufgehoben  ist  oder  doch  zumindest  wesent¬ 
lich  herabgemindert  erscheint. 

Nicht  minder  wichtig  ist  die  Kenntnis  der  Engen, 
welche  das  ösophagoskopische  Rohr  zu  überwinden  hat  und 
welche  Jonnesco  als  die  Ringknorpelenge,  die  Aorten¬ 
enge,  die  Bronchialenge  und  die  Diaphragmaenge  be¬ 
schrieben  hat.  Anderseits  muß  erwähnt  werden,  daß  es 
namentlich  zwei  Stellen  sind,  wobei  es  'zu  einer  Abweichung 
des  Rohres  nach  links  kommt :  das  sind  die  Partien  zwischen 
Ringknorpelenge  und  Kreuzung  des  Schlundrohres  mit  dem 
Aortenbogen  und  dann  die  Partie  unterhalb  des  siebenten 
Brustwirbels  knapp  oberhalb  jener  Stelle,  wo  der  Oeso¬ 
phagus  vor  der  Aorta  zu  liegen  kommt.  Diese  zwei  Ab¬ 
weichungen  sind  von  großer  Wichtigkeit.  Ein  gerade  ein¬ 
geführtes  Rohr  wird,  wenn  es  die  primäre  Richtung  bei- 
behält,  Anteile  der  rechten  Wand  deutlicher  einzustellen 
vermögen  als  Par  lien  der  linken  und  auf  diese  Weise  können 
leicht  Trugbilder  zustande  kommen.  Nur  wenn  man  in  ge¬ 
nauer  Kenntnis  dieser  anatomischen  Daten  etwa  dem  Ring¬ 
knorpel  entsprechend  (siebenter  Halswirbel)  und  bei  Beginn 
der  zweiten  Abweichung  (siebenter  Brustwirbel)  die 
Direktion  des  Rohres  nach  links  richtet,  wird  man  das 
richtige  Bild  des  Oesophaguslumens  erhalten.  Dann  nehme 
man  auch  hier,  wie  bereits  oben  betont,  auf  die  respiratori¬ 
schen  Schwankungen  entsprechende  Rücksicht.  Es  kann 
recht  wohl  geschehen,  daß  hei  tiefer  Atmung  das  Lumen 
sich  wesentlich  weitet  und  man  in  einen  weiten  Hohlraum 
hineinsieht,  welchen  der  Ungeübte  als  Dilatation  ansprechen 
würde.  Doch  kommt  dieser  Hohlraum  bei  der  Exspiration 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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wieder  zum  Verschluß  und  es  ersclieint  von  Wichtigkeit, 
aut  diesen  Wechsel  hinzuweisen,  welcher  hei  ausge¬ 
sprochenen  Dilatationen  der  Speiseröhre  nicht  zu  finden  ist. 

Nun  sei  besonders  auf  die  ö  s  o  p  h a  g  o  s  k o  p  i  s  c  h  e  1)  i  a- 
gnose  des  Kardio spasmus  hingewiesen,  welche  einen 
nicht  unwesentlichen  Punkt  zu  der  richtigen  Beurteilung 
dieser  Verhältnisse  hietet.  Ohne  hier  des  genaueren  auf  die 
alte  Mikulicz-Hacker  sehe  Streitfrage  einzugehen,  ob  der 
Uebergang  des  Oesophagus  in  den  Magen  im  ruhigen  Zustand 
offen  oder  geschlossen  sei,  sei  darauf  verwiesen,  daß  das 
Gebiet  des  Zwerchfellanteiles  der  Speiseröhre  sich  ösophago- 
skopisch  in  Form  eines  von  rechts  hinten  nach  links  vorne 
verlaufenden  Spaltes  darstellt,  der  von  portioartig  vorsprin¬ 
genden  Wülsten  oder  sternförmig  angeordneten  Falten  be¬ 
grenzt  erscheint.  Außer  dieser  Diaphragmaenge  linden  wir 
jedoch  hei  nach  links  vorrückendem  Rohre  gewöhnlich  unter¬ 
halb  u.  zw.  in  verschiedener  Höhe  des  etwa  2  bis  3  cm 
messenden  intraabdominalen  Oesophagusabschnittes  diesem 
ähnliche  Bilder,  welche  darauf  hinweisen,  daß  auch  im 
ruhenden  Zustand  ein  tonischer  Verschlußi  zwischen  Oeso¬ 
phagus  und  Magen  existiert,  wenn  er  auch  nicht  immer  knapp 
in  kardiales  Gebiet  zu  verlegen  ist.  So'  konnten  >yir  nicht 
selten  Bilder  sehen,  wobei  ein  Teil  der  unter  dem  Hiatus 
gelegenen  aihschlußartigen  Fuge  dem  Oesiophagus  angehörte, 
während  ein  Teil  bereits  charakteristische  Magenschleimhaut 
aufwies.  Aehnliche  Befunde  konnte  auch  Hacker  erheben, 
weshalb  er  die  Ansicht  anssprach,  daß  dieser  Abschluß 
tatsächlich  einmal  höher,  einmal  tiefer  liege  und  daß  ein 
rosettenförmiges  Aneinanderliegen  durch  ringförmige  Kon¬ 
traktion  der  Wände  auch  unter  dem  Hiatus  oesophageus 
zustande  kommen  könne,  ähnlich  wie  auch  Kraus  erklärt, 
„daß  es  nicht  mehr  zu  bezweifeln  sei,  daßi  die  Kardia  selbst 
sich  in  gewöhnlichem  Zustand  mäßig  kontrahiert  befindet“. 

Wodurch  unterscheidet  sich  nun  das  ösophagoskopische 
Bild  des  Spasmus  im  tiefsten  Anteil  des  Oesophagus  (kurzweg 
„Kardiospasmus“)  von  dem  normalen  Bild  dieses  Gebietes? 
Wir  wollen  hier  gleich  t^rwegnehmen,  daß  es  sich  hiebei 
zumeist  nur  um  eine  quantitative  Differenz  handelt. 
Mikulicz,  welcher  als  erster  die  Dilatation  auf  Grund 
ösophagoskopi scher  Befunde  als  eine  durch  den  Spas¬ 
mus  an  der  Kardia  hervorgerufene  Erscheinung  gedeutet  hat, 
hat  keinen  diesbezüglichen  Befund  mitgeteilt,  wahrscheinlich 
deswegen,  weil  ihm  die  Differenz  des  ösophagoskopischen 
Bildes  gegenüber  dem  normalen  unwesentlich  erschien.  Wie 
aus  den  Befunden  der  Autoren  und  den  unsrigen  hervorgeht, 
ist  der  Unterschied  vorzüglich  in  der  spaltartigen  Enge,  die 
weder  Gas  noch  Flüssigkeit  passieren  läßt,  in  dem  krampf¬ 
artigen  Widerstand,  den  die  Partie  dem  Vorschieben  des 
ösophagoskopischen  Rohres  entgegenstellt  und  in  den  stärker 
vorspringenden  Wülsten  oder  Rosetten  gegeben.  Bei  festem 
Andrängen  des  Rohres  äußert  der  Patient  starke  Schmerzen 
und  oft  bedarf  es  wiederholter  Kokainisierung  und  interner 
Bromdarreichung,  um  über  die  krampfartige  Enge  hinüber- 
pikommen.  Zeichen  chronischer  Entzündung,  starke  Gefä߬ 
injektion,  Membranbildung,  u.  ä.  sind  meist  sekundäre,  hei 
lange  bestehenden  Prozessen  hinzukommende  Erscheinun¬ 
gen.  Ziemlich  typisch  sind  beispielsweise  die  diesbezüg¬ 
lichen  Befunde  von  Fall  I  oder  Fall  IV :  40  cm  von  der 
Zahnreihe  findet  sich  ein  von  rechts  hinten  nach  links 
vorne  verlaufender  Spalt,  welcher  von  zwei  stark  vorsprin¬ 
genden  Wülsten  begrenzt  erscheint,  an  deren  Oberfläche 
feine  Gefäßramifikationen  sichtbar  sind.  Die  Wülste  schließen 
außerordentlich  enge  aneinander  und  eine  eingeführte  Darm¬ 
saite  vermag  absolut  nicht  vorzudringen.  Aus  dem  Magen 
dringen  weder  Gas  noch  Flüssigkeit  herauf.  Beim  Zurück¬ 
ziehen  des  Tubus  ist  nochmals  von  oben  der  Hohlraum 
völlig  zu  übersehen,  und  ist  es  hei  entsprechend  zentraler 
I'ührung  des  Rohres  möglich,  noch  bei  einer  Entfernung  von 
30  cm  die  portioartige  Wulsthildung  in  kardialem  Gebiete 
zu  übersehen.  Fall  IV:  40  cm  von  der  Zahnreihe  ein  im 
Augenblick  nicht  zu  überwindender  Widerstand.  Das  Bild 
dieser  Gegend  zeigt  sich  als  ein  von  zwei  stark  vorsprin¬ 
genden  mit  injizierter  Schleimhaut  versehenen  Lippenwülsten 


begrenzter  Spalt,  welcher,  von  rechts  hinten  nach  links 
vorne  verlaufend,  im  Augenblick  der  Untersuchung  völlig 
verschlossen  ist.  Erst  wiederholtes  Kokainisieren  der  Lippen¬ 
wülste  bringt  nach  einigen  Minuten  den  Krampf  zum 
Schwinden,  das  Rohr  überwindet  den  Widerstand  und  gleitet 
in  den  Magen. 

ff.  D  i  f  f  e  r e  n  t  i  a  1  d  i  a  g  n O' s  e  g  e  g  e  n  ii  bie/r  L  u  s  c  h  k  a  schem 
Vormagen,  Antrum  cardiacum  und  t,iq f si tz e hO eli 

Divertikeln.  •  ' 

Die  ersten  beiden  in  die  Gruppe  der  angeborenen  Ek¬ 
tasien  einzureihenden  Erkrankungen  sind  außerordentlich 
selten.  Die  Diagnose  der  ersten  wird  zu  stellen  sein,  wenn 
sich  eine  Erweiterung  über  dem  Hiatus  oesophageus  findet, 
während  das  Antrum  cardiacum  sich  unterhalb  in  Form 
einer  sack-  oder  diverlikelartigen  Erweiterung  vorfindet,  wie 
es  Mehner t  heschrieben.  Erstere  Erkrankung  wird  dem¬ 
zufolge  ein  der  idiopathischen  Speiseröhrenerweiterung  sehr 
ähnliches  Bild  aufweisen,  und  da  auch  tatsächlich  in  einer 
Anzahl  von  fällen  (vgl.  auch  den  zuletzt  von  Baumgarten 
demonstrierten  Fall)  die  spindelförmige  Erweiterung  auf  kon¬ 
genitale  Anlage  zurückzuführen  ist,  werden  diese  beiden 
Bilder  nicht  strenge  voneinander  zu  scheiden  sein.  Beim 
Antrum  cardiacum  wird  der  normale  Befund  oberhalb  des 
Hiatus  oesophageus  ausschlaggebend  sein. 

Wichtiger  ist  die  Differentialdiagnose  gegenüber  den 
tiefsitzenden  Divertikeln  des  Oesophagus,  deren  bereits 
einige  heschrieben  worden  sind.  Doch  liegen  diesbezüglich 
erst  drei  ösophagoskopische  Befunde  vor,  von  denen  nur 
der  Fall  von  Reitzen  stein  ösophagoskopisch  völlig  sicher¬ 
gestellt  war.  Zur  Differentialdiagnose  dieser  beiden  Krank¬ 
heitsbilder  sind  eine  Anzahl  Methoden  angegeben  worden, 
welche  wir  hier  nur  anführen  wollen,  ohne  auf  deren  diffe¬ 
rentialdiagnostischen  Wert  weiter  einzugehen:  Der  Rumpel- 
sche  Sondenversuch,  der  Ke  Hing  sehe  Sondenversuch,  der 
Boekelmannsche  Versuch,  die  •  Untersuchung  mit  der 
Divertikelsonde  (Leu he),  das  Straußsche  Verfahren  mit 
dem  Eudiometer.  Was  uns  jedoch  hier  besonders  interessiert, 
ist  der  Unterschied  im  ösophagoskopischen  Bilde.  Bei  dem 
genannten  Fall  tiefsitzenden  PLilsionsdivertikels  fand  sich  der 
divertikelartige  Sack,  die  Schleimhautumschlagsfalte  und 
die  Speiseröhrenöffnung.  Von  wesentlichem  Belang  wird 
der  Befund  am  Ende  des  Sackes  sein.  Schieben  wir  das 
Oesophagoskop  in  einem  tiefsitzenden  Divertikel  vor,  so  wird 
dasselbe  schließlich  nicht  mehr  Vordringen  können;  auch 
nach  gründlichster  Reinigung  dieser  Partie  mit  Tupfern,  Klyso- 
pompe  und  nach  Kokainisierung  wird  das  Auffinden  eines 
Lumens  unmöglich  sein.  Das  Oesophagoskop  stößt  an  die 
Wandung  an,  ohne  daß,  das  oben  beschriebene  Bild  des 
spastisch  kontrahierten  Lumens  (Spalt  mit  Portiobildung) 
zu  finden  wäre.  Die  Wandung  kann  wohl  in  Falten  gelegt 
sein,  doch  zeigt  der  untere  Pol  demgegenüber  keinerlei 
Differenz.  Vor  allem  ist  also  der  Mangel  des  Lumens  am 
unteren  Pol  (Divertikelende)  ösophagoskopisch  feststellbar. 
Nicht  so  hoch  wäre  das  Erkennen  der  Divertikelschwelle  hei 
den  tiefsitzenden  Divertikeln  einzuschätzen,  da,  wie  ja  oben 
beschrieben,  gerade  bei  Dilatationen  zahlreiche  Falten 
schwellenartig  in  das  ösophagcale  Lumen  vorspringen  und 
daher  leicht  derartige  Schwellen  Vortäuschen  können.  Nur 
wenn  es  gelingt,  von  dieser  Schwelle  aus  einerseits  in  den 
Oesophagus,  anderseits  in  das  Divertikel  zu  gelangen,  er¬ 
scheint  letztere  Diagnose  gesichert. 

Schließlich  sei  noch  eewähnt,  däß  es  auch  Fälle  gibt, 
wo  Ektasien  der  Speiseröhre  sich  mit  divertikelartigen  Bil¬ 
dungen  im  unteren  Abschnitt  des  Oesophagus  kombinieren 
und  daher  nicht  vergessen  werden  dürfe,  daß  die  sichere 
Diagnose  der  einen  Erkrankung  die  andere  noch  nicht  mit 
Sicherheit  ausschließt. 

HI.  Die  ösophagoskopische  Differentialdiagnose 
gegenüber  sekundären  Dilatationen  oberhalb 
anatomischer  Stenosen. 

Hiebei  kommen  die  Dilatationen  oberhalb  von  Narhen- 
strikturen  und  Karzinomen  in  Betracht,  wobei  jedoch  zu 


i05 


'Wi'LNER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  U 


bemerken  ist,  dab  diese  Erweiterungen  relativ  selten  in 
höherem  (trade  vorhanden  sind.  Wir  konnten  die  Dilata¬ 
tionen  einigemal  in  Fällen  intensiver  Langenverätznng  kon¬ 
statieren,  wobei  jedoch  das  Lumen  fast  völlig  fehlte  (es  han¬ 
delte  sicli  um  gastrostomierte  Patienten  einige  Monate  nach 
der  Verätzung).  Das  ösophagoskopische  Bild  solcher  Dilata¬ 
tionen  ist  dem  der  spindelförmigen  Erweiterungen  gleich : 
das  Rohr  zeigt  starke  Exkursionsfähigkeit,  die  Wand  zeigt 
multiple  Faltenhildung  mit  geringer  oder  fehlender  respira¬ 
torischer  Verschieblichkeit,  mitunter  wird  Hohlraumsicht 
zu  beobachten  sein.  Das  Wesentliche  liegt  in  der  Konsta¬ 
tierung  der  unteren  Wandverhältnisse.  Während  bei  unseren 
Erkrankungen  der  kardiospastische  Spalt  sichtbar  würd  oder 
das  Eindringen  in  den  Magen  nach  entsprechender  Vor¬ 
bereitung  des  Patienten  (Kbkainisierung  u.  ä.)  möglich  wird, 
finden  wir  dort  die  charakteristischen  feinen  strahlenförmi¬ 
gen  Narben  im  Zwerchfellbereich  oder  Kardiagebiet  und 
auch  der  infillrierencle  Tumor  wird  deutlich  zu  sehen  sein. 
Es  ist  also  von  wesentlichster  Bedeutung,  das  unterste  Ge¬ 
biet  einer  genauen  Inspektion  zu  unterziehen  und  auch  in 
jenen  Fällen,  in  welchen  der  spastische  Verschluß  das  weitere 
Vordrängen  des  Rohres  erschwert,  durch  entsprechende  Ma߬ 
nahmen  das  Vordringen  bis  in  das  kardiale  Gebiet  zu  er¬ 
möglichen,  wobei  die  peripheren  Wandpartien  einer  beson¬ 
ders  genauen  Untersuchung  zu  unterwerfen  wären.  Schlie߬ 
lich  bleibe  nicht  unerwähnt,  daß  Fälle  von  .spindelförmiger 
Dilatation  und  Karzinombildung  auf  der  Höhe  von  Schleim¬ 
hautfalten  ebenfalls  bereits  beschrieben  worden  sind. 

Nun  kämen  wir  noch  auf  die  Differenz  in  dem  ösophago- 
skopischen  Bild  des  Falles  I  gegenüber  dem  der  Fälle  II, 
HI  und  IV  des  genaueren  zu  sprechen. 

Bei  Fall  I  konnten  wir  einen  weiten,  fast  starren 
20  cm  von  der  Zahnreihe  beginnenden  Hohlraum 
überblicken,  in  dessen  Tiefe  die  portioartige 
^V  u  1  s  t b i  1  d u n  g  im  kardialen  G e b i e  t  z u  f  i n d e  n  w a r. 
Keine  diffuse  Faltenbildung  der  Schleimhaut,  sondern  Starr¬ 
heit  des  Rohres.  Keine  schlechte  Uehersichtlichkeit,  sondern 
Hohlraumsicht..  Ein  Behind,  welcher  in  der  Literatur  nur  in 
dem  Fall  VI  der  Rosenheimschen  Fälle  sein  Analogon 
hat.  Dieser  Autor  schließt  an  die  diesbezügliche  Beischrei¬ 
bung  folgende  Bemerkung ;  ,, Diese  Erscheinungen  können 
wir  uns  nur  durch  eine  gewisse  Starrwandigkeit  erklären, 
die,  da  nennenswerte  entzündliche  Veränderungen  an  der 
Schleimhaut  fehlen,  am  ehesten  durch  Annahme  einer 
Muskelhypertrophie  verständlich  wird.“  So  faßt  er  diesen 
Fall  als  funktionelle  Anomalie  im  Gebiete  der  Kardia  auf, 
welche  Störung  zur  Rückstauung  und  Erweiterung  der 
Speiseröhre  geführt  hat,  worauf  der ,  Organismus  mit  einer 
Muskelhypertrophie  antwortet.  Diesen  Fall  setzt  er 
in  Gegensatz  zu  jenen,  wobei  die  Wandung  schlaff,  muskel¬ 
schwach  und  in  Falten  gelegt  und  wobei  es  sich  nicht  um 
eine  im  Gefolge  von  Spasmus  ausbildende  spindelförmige 
Erweitenmg,  sondern  eine  primäre  atonische  Dilatation 
handelt. 

Hier  ist  der  Platz,  mit  wenigen  Worten  noch  auf  die 
verschiedene  Auffassung  der  Ursache  der  idiopathi¬ 
schen  Speiseröhrenerweiterung  einzugehen,  zumal 
da  (du  lehrreicher  interessanter  Befund  hiebei  mitgeteilt  sei. 
Mikulicz  und  Vleltzer  sehen  in  dem  Kardiospasmus  das 
Primäre.  Die  erschlaffende  Kraft  im  Gebiete  der  Kardia 
erscheint  geschwächt,  die  Peristole  des  Oesophagus  vermag 
den  Widerstand  in  diesem  Gebiele  nicht  zu  überwinden,  es 
kommt  zur  Dehnung  der  Speiseröhre.  Rosenheim  erklärt 
für  weitaus  die  größere  Zahl  von  Fällen  die  Atonie  der 
Schlundmuskulatur  für  das  Primäre,  dort  kommt  es  zu  Er¬ 
weiterungen,  im  Gefolge  davon  zu  Entzündungen,  welche 
auch  auf  karduiles  Gebiet  übergreifen,  um  schließlich  sekun¬ 
där  zu  Spasmus  der  Kardia  zu  führen.  Kraus  leitet  Atonie 
des  Oesophagus  und  Spasmus  der  Kardia  von  einer  gleich¬ 
zeitigen  paralytischen  Affektion  verschieden  funktio¬ 
nierender  \  agusfasern  ab,  sohdier  nändi(di,  deren  Schädi¬ 
gung  eimui  Wegfall  der  Hemmungseinflusses  auf  die  Kardia 
beim  Schluckakt,  und  solcher,  deren  Ijäsion  die  permanente 


Erschlaffung  eines  Anteiles  (des  oberen)  der  Vluskulatur 
der  Speiseröhre  J)ewirkt.  Eine  interessante,  hiefür  sprechende 
Beobachtung  ist  der  Paltaufsche  Fall  von  Dilatation 
bei  Läsion  beider  Nervi  vagi.  Dadurch  wird  es  wahr¬ 
scheinlich,  daß  einerseits  die  permanente  Erschlaffung  eines 
Anteiles  der  Speiseröhrenmuskulatur,  anderseits  der  Weg¬ 
fall  des  Hemmungseinflusses  auf  die  Kardia  (der  gleichfalls 
durch  den  Vagus  erfolgt)  beim  Zustandekommen  dieser  Dila¬ 
tation  (+ Kardiospasmus)  eine  wesentliche  Rolle  gespielt 
haben. 

Auch  wir  sind  der  Meinung,  daß  die  Vlikulicz- 
Meltz  ersehe  Anschauung,  bzw.  die  Kr  aus  sehe  in  der 
weitaus  großen  Mehrzahl  der  Fälle  zu  Recht  besteht  und  die 
Rosenheim  sehe  Deutung  nur  für  wenige  Fälle  sicher 
zur  Geltung  kommt.  Hiefür  scheinen  uns  folgende  Momente 
zu  sprechen : 

1.  Das  ösophagoskopische  Bild  zeigt  vorzüglich  den 
Typus  der  Bilder  H,  IH  und  IV,  d.  i.  den  Typus  des 
schlaffen,  mu s k e  1  s ch wa ch e n  Sackes,  und  doch 
zeigen  die  anatomischen  Befunde  in  der  weitaus  großen 
Mehrzahl  der  Fälle  H  y  p  e  r  t  r  o  p  h  i  e  d  e  r  VI u  s  k  u  1  a  r i  s,  was 
dafür  spricht,  daß  auch  in  diesen  Fällen  ein  Widerstand 
zu  überwinden  war,  d.  i.  Kardiospasmus  (nur  daß 
vielleicht  die  Hypertrophie  nicht  jenen  Grad  erreichte,  wie 
in  Fall  l). 

2.  In  nicht  wenigen  bMllen  dieser  Art  (H,  IH,  IV)  ist 
der  Spasmus  im  kardialen  Gebiet  bereits  im  Beginn  der  Er¬ 
krankung  nachweisbar.  Dieses  Vloment  spricht,  wenn  auch 
nicht  gerade  für  den  primären  Spasmus,  so  doch  zu¬ 
mindest  für  ein  gleichzeitiges  Auftreten  desselben  mit  der 
Dilatation,  wms  im  Sinne  der  Kraus  sehen  Auffassung  zu 
deuten  wäre. 

3.  Es  gibt  Fälle  von  starker  (schlaffer)  Dilatation  ohne 
entzündliche  Veränderung  der  Schleimhaut,  für  welche  Fälle 
die  eigentliche  Veranlassung  des  Kardiospasmus  (Rosen¬ 
heim),  d.  i.  entzündliche  Irritation  wegfallen  würde. 

Wenn  demgegenüber  gefragt  wikd,  wieso  es  dann  wohl 
komme,  daß  oberhalb  anatomischer  Stenosen  erheblichere 
Ektasien  der  Speiseröhre  i'elativ  selten  seien  (,,weshalb  es 
nicht  wahrscheinlich  ist,  daß  gerade  beim  Spasmus  die  Ek¬ 
tasien  des  Oesophagus  häufiger  als  sonst  auftreten“),  müssen 
wir  antworten,  daß  spastische  Zustände  mit  anatomischen 
Stenosen  kaum  zu  vergleichen  seien.  Keine  anatomische 
Erkrankung  vermag  einen  derartigen  Verschluß  zu  erzeugen, 
wie  der  Kardiospasmus,  kein  anatomisches  Hindernis  ver¬ 
mag  das  Oesophagoskop  so  schwer  zu  überwinden,  wie  den 
spastisch  kontrahierten  Kardiaanteil.  Schon  eine  einmalige 
ösophagoskopische  Untersuchung  helehrt  uns  über  die 
Schwierigkeit,  den  spastischen  Widerstand  am  unteren  Anteil 
des  Oesophagus  zu  überwinden  und  läßt  daher  auch  das 
Hindernis  erkennen,  das  sich  der  Oesophagusperistole  in  den 
Weg  stellt.  Anderseits  sei  bedacht,  daß  man  hochgradiger 
anatomischer  Hindernisse  wegen  (intensive  Laugenverätzung 
oder  diffus  infiltrierendes  Karzinom)  meist  bereits  die  Gastro¬ 
stomie  gesetzt  hat,  weshalb  die  eigent'iche  Veranlassung  zur 
Dilatation  (die  geschluckten  und  lange  im  Oesophagus 
liegenden  Speisen)  hiebei  in  Wegfall  kommt. 

Vlit  Berücksichtigung  dieser  Umstände  erscheint  uns 
die  Auffassung  von  F.  Kraus  richtig,  welcher  meint,  man 
könne  ni(dit  mehr  Dilatationen,  welche  durch  primären  Spas¬ 
mus  der  Kardia  entstehen,  von  solchen  unterscheiden,  die 
infolge  von  Atonie  der  Wandungen  zustandeigekommen  sind. 
,,In  einem  gegebenen  Fal'e  ist  höchstens ’das  eine  der  beiden 
zusammenwirkenden  Momente  mehr,  das  andere  weniger 
betont.“  Doch  spielt  auf  jeden  Fall  zumeist  der  Kardio¬ 
spasmus  eine  wesentliche  Rolle. 

Wir  hatlen  vor  einiger  Zeit  Gelegenheit,  einen  Patienten 
zu  ösophagoskopieren,  der  über  Dysphagie  klagte  und  bulbär- 
paralytische  Symptome  darbot.  Die  Einführung  des  Rohres 
g(dang  außerordentlich  leicht  und  der  ganze  Oesot)hagus 
von  der  Höhe  der  Bingknorpelenge  an  war  durch  seine  be¬ 
sondere  Weite  ausgezauchnet.  Man  konnle  von  dem 
obersten  Bereich. desselben  bis  in  die  Tiefe  in 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  AVOCIIENSCIIRIFT.  1907. 


409 


einen  weiten' Holilzyli  nder  sehen,  ein  Bild,  das 
auf  K  r  s  c  h  1  a  f  f  u  n  ,g  d  e  r  W  a  n  d  u  n  g  (L  ä  h  m  ii  ii  g)  z  n  r  ü  c  k- 
z n  f ü li r e n  ist.  I in  (t e  1) i e  t e  d er  K a r d i a  s p a s t i s c li e r 
\  erschliiß.  Dort  wurde  dys  Rolir  krainpfartig  angehalten 
und  war  ein  weiteres  Vordringen  erst  nach  wiederholt  ein 
Kokainisieren  möglich.  Die  Sektion  dieses  Falles  ergab 
Mediastinaltiini'Or  mit  Kompression  des  Vagns. 
Fs  fand  sich  also  Erschlaffung  der  ösophagealen  Wandung 
und  Spasmus  in  kardialem  Gebiet  bei  Kompression  des 
Vervus  vagus  vor,  welche  Beobachtung  an /die  CI.  Bernard- 
schen  Untersuchungsresultate  erinnert:  Krampfhafte 
Kontraktion  der  Kardia  nach  Dur chs chne i  d  un g 
der  Vagi  (u n d  p e r m a n e n t e  Erschlaffung  der  0 eso¬ 
phagus  niuskulatur).  Es  handelt  sich  also  de  facto  um 
eine  anatomische  paralytische  Erkrankung,  als 
welche  sie  Kraus  aufgefaßt  hat.  Jene  Vagusfasern,  welche 
den  Tonus  der  Speiserohrenmuskulatur  beherrschen,  und 
jene,  welche  der  Kardiokoniraktion  entgegenwirken,  er¬ 
scheinen  paretisch.  Das  Resultat  ist  Erweiterung  des  Oeso¬ 
phagus  und  stärkeres  Hervortreten  der  kontrahierenden,  in 
der  Kardia  selbst  gelegenen  Kraflkomponente  infolge  Weg¬ 
falles  der  Hemmungsimpulse. 

Wenn  wir  nun  auch  die  Verschiedenheit  in  den  öso- 
phagoskopischen  Bildern  der  idiopathischen  Speiserühren¬ 
erweiterung  aus  den  oben  angeführten  Gründen  nicht  zur 
sicheren  Deutung  hestimmter  Genese  anführen  können,  so 
darf  jedenfalls  diese  Verschiedenheit  auf  quantitative  Diffe¬ 
renz  in  der  hypertrophischen  Kompensation  der  JJesophagus- 
muskularis  zurückgeführt  werden,  ähnlich,  wie  man  ja  auch 
versucht  hat,  die  verschiedenen  Formen  idiopathischer 
Speiseröhrenerweiterung  von  diesen  Momenten  abzuleiten. 

♦ 

Meinem  verehrten  Chef  und  Lehrer,  Herrn  Professor 
0.  Chiari,  sei  auch  an  dieser  Stelle  für  die  liebenswürdige 
Förderung  und  die  Ueberlassung  des  Materiales  herzlich 
Dank  gesagt. 

Literatur: 

Siehe  Neumann,  Die  spindelförmigen  Erweiterungen  des 
Oesophagus.  Zentralblatt  für  die  Grenzgebiete,  Bd.  3,  H.  5.  —  Friedrich 
Kraus,  Die  Erkrankungen  der  Speiseröhre.  Nothnagels  Handbuch  1902; 
sowie  die  Oesophagoskopiearbeiten  von  Hugo  Stare  k,  Gottstein, 
Rosen  heim,  wo  die  genaueren  Literaturdaten  zu  finden  sind. 

Aus  der  II.  Chirurg.  Abteilung  der  k.  k.  Rudolf  Stiftung. 

(Vorstand:  Primarius  Priv.-Doz.  Dr.  0.  Föderl.) 

Ueber  subkutane  Darmrupturen. 

Von  Dr.  Anton  v.  Kliautz  jun.,  Assistenten  der  Abteilung. 

Die  sabkutaiieii  Darmrapturen  bilden  noch  immer  ein 
schwieriges  und  interessantes  Kapitel  der  chirurgischen  Dia¬ 
gnostik.  Die  schwere  innere  Verletzung  kann  meist  nicht 
mit  absoluter  Sicherheit,  sondern  bestenfalls  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  angenommeu  werden;  denn  fast  alle 
Symptome,  die  man  bisher  zur  sicheren  Diagnose  verwerten 
zu  können  glaubte,  haben  sich  in  einzelnen  Fällen  als  nicht 
stichhaltig  erwiesen  und  so  kam  es,  daß  manchmal  der 
Uperationsbefund  den  Eingriff  nicht  rechtfertigte,  während 
man  sich  in  anderen  Fällen  wieder  zu  spät  zur  Operation 
entschloß.  In  der  Regel  nahm  man  früher  eine  abwartende 
Haltung  ein  uud  laparotomieiie  erst,  wenn  alle  Zeichen 
der  Peritonitis  (Kollaps,  Darmlähmung)  schon  vorhanden 
waren;  begreiflicherweise  waren  die  Resultate  sehr  un¬ 
günstige.-  Allmählich  ist  man  vorsichtiger  geworden,  man 
legte  auf  früher  wenig  gewürdigte  Symptome  (besonders 
Rektusspannung)  mehr  Wert  und  operierte  eher,  bevor  all¬ 
gemeine  Peritonitis  da  war  oder  diese  irreparable  Schädi¬ 
gungen  gesetzt  hatte.  Die  Vervollkommnung  der  Asepsis 
und  der  operativen  Technik  machten  den  Eingriff  weniger 
gefährlich  und  erleichterten  den  Entschluß  in  zweifelhaften 
Fällen. 

Die  Behandlung  der  Bauchkontnsionen  überhaupt  hat 
fast  die  gleichen  Wandlungen  durchgemacht  wie  die  Appen¬ 
dizitistherapie.  Auch  hier  können  die  leichten  Fälle  häufig 


ohne  Schwierigkeit  ausgeschieden  werden,  während  die 
meisten  schweren  das  Bild  der  umscbrie])enen  oder  allge¬ 
meinen  Perforationsperitonilis  gehen.  Wie  man  hier  sich 
früher  meist  abwartend  verhielt  und  so  mancher  Fall  da¬ 
durch  verloren  ging,  so  wurde  später  die  Frühoperation 
allgemein  üblich,  bis  sich  eine  gemäßigte  Richtung  geltend 
machte,  deren  Resultate  nicht  schlechter  sind  als  die  der 
radikalen.  Jede  Prohelaparotomie,  mag  sie  nach  den  Sym¬ 
ptomen  noch  so  indiziert  gewesen  sein,  hat  ja,  wenn  der 
Betund  sie  nicht  rechtfertigt,  etwas  Deprimierendes  an  sich 
und  drängt,  die  Diagnostik  zu  verbessern.  Und  doch  kommt 
jeder  gewissenhafte  Chirurg,  auch  wenn  er  nicht  zu  den 
operationsliistigen  gehört,  allmählich  zu  der  Ueberzeugung, 
daß  es  besser  ist,  einmal  ohne  zureichende  Berechtigung 
und  ohne  Schaden  laparotomiert  zu  haben,  als  einmal  den 
lebensrettenden  Eingriff  zu  unterlassen. 

Die  Prognose  der  subkutanen  Darmrupturen  wurde 
besser,  nicht  nur,  weil  man  sie  früher  operierte,  sondern 
weil  man  auch  solche  Eälle  noch  und.  Dank  der  modernen 
Peritonitisbehandlung,  mit  Erfolg  operierte,  die  man  früher 
als  aussichtslos  l)etrachtet  hätte. 

Die  Ausspülung  der  Bauchhöhle  mit  großen  Mengen 
heißer  physiologischer  Kochsalzlösung,  der  wir  gerne 
1  bis  2%  Wasserstoffsuperoxyd  hinzufügen,  die  Anregung 
der  erlahmenden  Darmperislaltik  durch  wiederholte  Irriga¬ 
tionen  und  milde  Abführmittel,  die  Entlastung  des  gelähm¬ 
ten  Darmes  durch  Enterostomie,  die  Beschleunigung  des 
Stoffwechsels  durch  Aufnahme  großer  Flüssigkeitsmengen 
per  OS  und  durch  subkutane  Infusion,  verbunden  mit  for¬ 
cierter  Transpiration,  dieses  förmliche  Durchwaschen  des 
Körpers  läßt  mitunter  den  Organismus  die  septische  In¬ 
fektion  des  Peritoneums  überwinden. 

Es  ist  ja  staunenswert,  welche  peritonecale  Sepsis  der 
Organismus  noch  vertragen  kann,  vorausgesetzt,  daß  noch 
keine  Darmlähmung  besteht.  Und  die  Anschauungen  Len- 
nanders^)  und  Heidenhains,^)  daß  der  Tod  bei  der 
Peritonitis  vorwiegend  durch  die  Resorption  von  Toxinen 
im  gelähmten  Darme  und  weniger  durch  die  peritoneale 
Infektion  hervorgerufen  wird,  gewinnen  immer  mehr  an 
M  ahrscheinlichkeit  durch  jene  Fälle,  wo  bei  der  Obduktion 
eine  relativ  geringe  Peritonitis,  aber  hochgradige  Darm¬ 
lähmung  gefunden  wird.  Einige  günstige  Resultate  hat  man 
mit  der  Enterostomie  erzielt,  die  entschieden  nachahmens¬ 
wert  ist,  während  in  jüngster  Zeit  Katzenstein^)  das 
\mn  Wernitz  hei  puerperaler  Sepsis  empfohlene  Verfahren 
mit  großen  Kochsalzklystieren  bei  der  diffusen  Appendix- 
l)eritonitis  mit  gutem  Erfolg  angewendet  hat.  Ueber  Atropin- 
und  Physostigmininjektionen  liegen  nur  ganz  vereinzelte 
gute  Erfahrungen  vor.  Bei  der  Erkenntnis  der  schweren 
Gefahr  der  Darmlälnnung  wird  jeder  moderne  Chirurg  das 
früher  so  beliebte  Opium  meiden  und  die  Schmerzstillung 
lieber  mit  Eisblase  oder  Thermophor  versuchen,  wenn  auch 
bei  den  ganz  schweren  Fällen,  die  meist  letal  enden,  wegen 
der  großen  Unruhe  der  Patienten  die  Morphininjektion  oft 
nicht  zu  umgehen  ist. 

Da  es  überhaupt  mehr  als  fraglich  ist,  ob  wir  jemals 
die  Peritonitis  werden  sicher  erfolgreich  bekämpfen  können, 
bleibt  bei  den  Darmrupturen  nur  die  eine  Hoffnung,  ihre 
Prognose  zu  verbessern,  wenn  sie  rechtzeitig  zur  Operation 
kommen.  Jeder  Fall  von  Bauchkontusion,  wenn  das  Trauma 
nur  halbwegs  geeignet  war,  eine  schwerere  Läsion  zu 
setzen,  soll  einem  Kra.nkenhaus  überwiesen  werden,  um 
nicht  erst,  wenn  die  Notwendigkeit  des  Eingreifens  ein- 
tritt,  diircli  den  Transport  dem  Kranken  zu  schaden  und 
die  Hilfe  zu  verzögern.  Denn  wenn  auch  schwere  Traumen 
bisweilen  keine  innere  Verletzung  hervorbringen,  so  ge¬ 
nügt  doch  in  manchen  Fällen  ein  scheinbar  unbedeutender 
Anlaß,  um  schwere  Schädigungen  zu  verursachen. 

In  den  letzten  3V2  Jahren  wurden  an  der  Abteilung 
meines  Chefs  27  Patienten  mit  Bauchkontusion  beobachtet, 
nicht  eingerechnet  einige  moribunde  Pätienteji,  die  wenige 
Sluuden,  nacli  der  Aufnabme  imo])eriert  starben.  Von  jenen 
wurden  17,  darunter  auch  solche,  bei  welchen  schwere 


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Nr.  14 


WIEN.F.R  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Gewalten,  wie  Hiifschlag  etc.,  eingewirkt  hatten,  exspekta- 
tiv  behandelt  und  sämtliche  geheilt  entlassen.  Von  den 
operierten  Fällen  hetrafen  sieben  JVIagendarmverletziingen 
(davon  vier  gestorben),  einer  schwere  Ruptur  der  Leber 
durch  Deichselstoß  (starb  an  Anämie),  einer  Zerreißung  der 
Harnblase  hei  gleichzeitiger  Fraktur  der  Wirbelsäule  durch 
Sturz  und  einer  Zerquetschung  der  rechten  Niere  durch 
Hufschlag,  die  beiden  letzten  vollständig  geheilt.  Bei  den 
vier  gestorbenen  Patienten  mit  Darmverletzung  war  in  zwei 
Fällen,  die  14,  resp.  24  Stunden  nach  dem  Trauma  zur 
Operation  kamen,  die  primäre  Peritonitis,  respektive  Pul- 
monalemholie  die  Todesursache,  in  einem  Falle  vonMagen- 
rnptur  hei  gleichzeitiger  Milzdurchtrennung  hatte  sich  an 
der  relativ  kleinen  Perforationsstelle  ein  guldengroßes  Ulkus 
gebildet,  das  durch  seinen  Durchbruch  zum  Exitus  führte 
und  in  dem  Falle  von  inkompletten  Darmrissen  hat  aus¬ 
gedehnte  Fettembolie  beider  Lungen  das  Ende  erklärt. 

Im  folgenden  will  ich  die  Krankengeschichten  der  er¬ 
wähnten  sieben  Fälle,  die  ich  mit  Ausnahme  von  zwei 
(1  und  5)  auch  seihst  zu  operieren  Gelegenheit  hatte,  kurz 
anführen,  da  sich  nur  an  der  Hand  der  Anamnese  und  des 
Status  praesens  die  Indikationsstellung  beurteilen  läßt. 

1.  C.  M.,  28  Jalire  alt,  Kutscher;  aufgenommen  am  11.  Llävz 

1904  sub  J.-Nr.  2566. 

Pat.  erhielt  heute,  ca.  8  Uhr  früh,  einen  Pferclehuf schlag 
gegen  den  Bauch.  Seitdem  starke  Schmerzen  im  ganzen  Bauche, 
anhalleiides  Erhrechen,  Schwächegefühl.  Wird  um  7  Uhr  abends 
in  das  Spital  gebracht. 

S  t  a  t  US  praesens:  Kollabiert,  Puls  sehr  . beschleunigt, 
Bauch  aufgetriehen,  gespannt,  überall  druckschmerzhaft,  Flajiken 
gedämpft;  galliges  Erbrechen. 

Diagnose:  Peritonitis  diffusa  e  ruptura  intestini. 

Operation  10  Uhr  abends.  Unter  Billrothmischungsnarkose 
mediane  Laparotomie.  Es  entleert  sich  reichlich  gallige  Flüssig¬ 
keit.  Die  Darmschlingen  teilweise  verklebt,  auf  der  Serosa  zahl¬ 
reiche  Fibrinauflagerungen.  An  der  hinteren  Wand  des  unteren 
horizontalen  Duodenalastes  ein  2  cm  langer,  querer  Riß  durch 
die  ganze  Wanddicke.  Naht  desselben.  Darauf  ein  Mikulicz¬ 
tampon.  Bauchnaht. 

Exitus  letalis  zwei  Stunden  post  operationem. 

0  b  d  uk  I  i  0  n s  h  e f  u  nd  :  Peritonitis  purulenta  o  ruptura 
traumatica  duodeui  (horizontalis  inferior).  Infarctus  haemor¬ 
rhagicus  pulmonis  utriusque  ex  embolia  ramorum  art.  puhno- 
nalis  utriusque.  Sutura  intestini  facta. 

2.  J.  F.,  18  Jahre  alt,  Kutscher;  aufgenommen  am  25.  Mii 

1905  suh  J.-Nr.  5346. 

Pat.  erhielt  heute  früh  147  Uhr  von  einem  Pferde  einen 
Hufschlag  in  die  Mittelbauchgegend.  Sofort  heftige  Schmerzen 
daselbst.  Pat.  begab  sich  zwei  Stunden  später  zu  Bett,  erbrach 
um  9  Uhr  vormittags  das  erstemal  und  dann  noch  drei-  bis 
viermal  bis  zur  Aufnahme.  Ein  vormittags  herbeigerufener  Arzt 
soll  den  Zustand  für  unbedenklich  erklärt  haben.  Da  die  Schmerzen 
an  Intensität  Zunahmen,  wird  Pat.  um  V2IO  lUlir  abends  in  das 
Spital  gebracht. 

Status  praesens:  Mittelgroß,  kräftig  gebaut,  mäßig  gut 
genährt.  Gesicht  etwas  verfallen.  Keine  auffallende  Blässe.  Tem¬ 
peratur  36-4°,  Puls  92,  kräftig.  Herz-  und  Lungenhefund  ohne 
Besonderheiten.  Leherdämpfung  sehr  schwach,  kaum  zwei  Quer¬ 
finger  breit. 

Bauch  eingezogen,  Bauchdecken  bretthart  gespannt,  heim 
leisesten  Druck  überall  hochgradig  schmerzhaft.  Ueberall  ge¬ 
dämpft  tympanitischer  Schall.  Urin  wird  spontan  entleert,  klar. 

Diagnose:  Peritonitis  diffusa  e  ruptura  intestini. 

Operation  V2II  Uhr  abends.  In  Billrothmischungsnarkose 
mediane  Laparotomie.  Es  entleert  sich  zirka  ein  Liter  serös¬ 
schleimiger,  bräunlicher  Flüssigkeit,  der  reichlich  Fihrinflocken 
beigemengt  sind.  Gleichzeitig  entweicht  freies  Gas.  Die  Dünn¬ 
darmschlingen  miteinander  locker  verklebt,  gerötet  und  mit  Fibrin 
bedeckt.  Die  Darmschlingen  selbst  gut  kontrahiert. 

Zirka  10  cm  unterhalb  der  Flexura  duodenojejunalis,  .gegen¬ 
über  dem  l\losenterialansatz,  eine  fast  guldengroße  Perforations- 
Öffnung,  welche  von  di’ei  stark  auswärts  gerollten  Darmwand¬ 
lappen  begrenzt  wird.  Die  Mukosa  grünlich  verfärbt.  Resektion 
des  ca.  8  cm  langen  Darmstückes  mit  der  Perforalionsöffnung 
und  axiale  Vereinigung  mit  zweischichtiger,  fortlaufender  Naht, 
welche  durch  Lembertnähte  gedeckt  wird. 

Sonst  keine  weiteren  Verletzungen.  Ausspülung  der  Bauch¬ 
höhle  mit  einigen  Litern  physiologischer  Kochsalzlösung.  Trock¬ 


nung  des  Peritoneums.  Tamponade  der  Resektionsstelle  mit  (dnem 
Gazestreifen.  Bauchnaht  in  drei  Schichten. 

Verlauf  bis  auf  geringe  Temperatarsteigerungen  befriedigend. 
Ab  1.  Juni  zunehmendes  Fieber;  Ursache  ein  rechtsseitiges  Pleura¬ 
empyem,  nach  dessen  Entleerung  durch  Rippenresektion  1,6.  Juni) 
das  Fieber  abfällt.  Die  Bauchwunde  bis  auf  einige  Nahtfisteln 
verheilt.  Von  seiten  des  Abdomens  keine  Beschwerden. 

Pat.  verläßt  am  20.  Juni  1905  mit  noch  sezernierender 
Thorakotomiewunde  gegen  Revers  die  Abteilung. 

3.  F.  T.,  41  Jahre  alt,  Hilfsarbeiter;  aufgenommen  am 
31.  August  1905  sub  J.-Nr.  8757.  . 

Am  29.  August  1905,  um  5  Uhr  abends,  fiel  ihm  eine  zirka 
zwei  i\Ieter  lange  und  fast  einen  Zentner  schwere  Eisenstango 
mit. dem  Griffe  auf  die  linke  Unterbauchgegend.  Es  traten  sofort 
heftige  Schmerzen  im  ganzen  Bauche  und  Uehlichkeiten  auf,  so 
daß  Pat:  sich  setzen  mußte  und  erst  eine  halbe  Stunde  später 
nach  Hause  ging.  Er  begab  sich  zu  Bett  und  ein  Arzt  riet  ihm 
Spitalsaufnahme  wegen  möglicher  innerer  Verletzung. 

Doch  hielt  Pat.  zu  Hause  Bettruhe  und  nahm  kalte  Um¬ 
schläge.  Da  die  Bauchschmerzen  an  Intensität  Zunahmen,  an¬ 
dauernd  Ueblichkeit,  wenn  auch  kein  Erbrechen  bestand  und 
seit  der  Verletzung  weder  Stuhl  noch  Winde  abgegangen  waren, 
sucht  Pat.  am  31.  August,  um'  3  Uhr  naclunittags,  das  Spital  auf. 

Status  praesens:  Klein,  grazil,  schlecht  genährt.  Haut¬ 
farbe  hlaßJiräunlich,  Gesichtsausdruck  gleichgültig,  Zunge  feucht, 
Puls  68,  kräftig,  Temperatur  36-9.  Herz-  und  Lungenbefund,  sowie 
Leberdämpfung  normal.  Abdomen  im  Oberbauch  etwas  einge¬ 
sunken,  im  Uiiterbauch  vorgewölht,  überall  weich  und  eindrück- 
bar,  nur  in  der  linken  Unterbauchgegend  und  über  der  Symphyse 
etwas  Spannung  und  Druckschmerz.  Hühnereigroße  rechtsseitige 
freie  Leistenhernie;  linker  Leistenkanal  geschlossen.  Urin  spontan 
entleert,  klar,  zeigt  Vermehrung  von  Indikan. 

Rektalbefund:  Ampulle  weit,  Douglas  nicht  vorgewölht, 
nicht  schmerzhaft. 

Diagnose:  Contusio  abdominis  et  intestini. 

Therapie:  Bettruhe,  Eisbeutel,  flüssige  Kost.  Trotz  Oel- 
klysma  kein  Stuhlabgang. 

1.  September.  Der  Meteorismus  ira  Unterbauch  hat  etwas 
zugenommen,  desgleichen  die  Druckschmerzen.  Puls  72,  Tem¬ 
peratur  37-3.  Um  7  Uhr  abends  erbricht  Pat.  einen  halben  Liter 
galliger  Flüssigkeit.  Daraufhin  Operation  8  Uhr -abends.  In  Bili- 
rothmischungsnarkose  mediane  Laparotomie.  Die  Darm  schlingen 
mit  der  vorderen  Bauclnvand  und  untereinander  verklebt.  Beim 
Lösen  der  Verklebungen  quillt  dicker,  grüner,  stinkender  Eiter 
hervor.  Aus  dem  kleinen  Becken  und  von  der  linken  Fossa  iiiaca 
her  entleert  sich  reichlich  mit  Gasblasen  untermischte,  dünne, 
fäkulente  Flüssigkeit.  An  der  Konvexität  einer  Dünndarmschlinge 
des  obersten  Ileum  findet  sich  ein  hellergroßes  Loch,  mit  vor¬ 
quellender  Schleimhaut  und  fibrinbelegten  Rändern.  Verschluß 
der  Oeffnung  durch  zwei  Reihen  Seidenknopfnähte  in  querer 
Richtung.  Ausspülung  der  Bauchhöhle  mit  einigen  Litern  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung.  Ein  Mikulicz  tampon  in  den  Douglas. 
Bauchnaht  in  drei  Schichten.  Die  Peritonitis  hatte  sich  links 
bis  über  die  Nabelhöhe  und  nach  rechts  bis  über  die  Mittellinie 
ausgedehnt.  Noch  keine  besondere  Darmlähmung. 

Dekursus:  Fieber  nur  am  zweiten,  vierten  und  fünften 
Tage  post  operationeju,  38  bis  38-5°,  sonst  afehril.  Puls  immer 
zwischen  60  bis  70.  Wundverlauf  befriedigend.  Am  11.  Sep¬ 
tember  wird  ein  rechtsseitiger  Parotisahszeß  inzidiert;  im  Eiter 
Staphylococcus  aureus  in  Reinkultur. 

Am  20.  Oktober  1905  vollkommen  geheilt  und  beschwerdefrei 
entlassen. 

4.  R.  F.,  9  Jahre  alt,  Buchbindergehilfensohn,  aufgenommen 
am  21.  Oktober  1905  sub  J.-Nr.  10.353. 

Wurde  heute,  V2I  Uhr  mittags,  von  einem  leeren  Streifwagen 
überfahren.  Die  Räder  sollen  über  den  Leih  gegangen  sein,  so 
daß  Pat.  sich  unter  dem  Wagen  gedreht  hat.  Nach  kurzer  Bewußt¬ 
losigkeit  wurde  er  in  die  Wohnung  seiner  Eltern  getragen,  klagte 
über  heftige  Schmerzen  in  der  Nahelgegond  und  erbrach  zirka 
fünf  Stunden  nach  der  Verletzung  zweimal  ca.  80  bis  -100  cm® 
schwarzroten  (blutigen?)  Schleims.  Ein  zweimal  konsultierter  Arzt 
empfahl  schließlich,  einen  Chirurgen  zu  Rate  zu  ziehen,  der 
den  sofortigen  Transport  ins  Spital  veranlaßiLo  (V28  Uhr  ahemls). 

Status  praesens:  Klein,  grazil,  schwächlich.  Blaßi,  doch 
nicht  sehr  auffallend.  Gesichtsausdruck  ängstlich.  Zunge  feiiclrt, 
wenig  belegt.  Puls  140,  mäßig  kräftig.  Temperatur  35“.  Atmung 
rein  kostal,  oberflächlich,  36  bis  40. 

An  Herz  und  Lungen  nichts  Besonderes. 

In  der  linken  Seite  über  den  unteren  Rippen  eine  zwei 
Querfinger  breite,  10  cm  lange,  streifenförmige  Suffusion. 


Nr.  U 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Abdomen  in  Thoraxniveau,  mäßig  vorgewölbt.  Leber¬ 
dämpfung  schmäler.  Die  beiden  Flanken  und  die  Unterbaucli- 
gegend  gedämpft,  tympanitisch ;  die  Dämpfung  bei  Lagewechsel 
sich  aufhellend.  Milzdämpfung  nicht  deutlich  abzugrenzen.  Druck¬ 
schmerz  nicht  deutlich,  Rektusspannung  mäßig  stark. 

Während  des  Spitalsaufenthaltes  kein  Aufstoßen,  kein  Sin¬ 
gultus,  kein  Erbrechen.  Pat.  hat  spontan  ca.  200  cm^  klaren, 
gelben  Harnes  entleert.  Die  Hautfarbe  ist  jetzt  auffallend  blässer! 

Diagnose;  Haemorrhagia  intraperitonealis. 

Operation;  9  Uhr  abends.  In  Aethernarkose  mediane  Lapa,- 
rotomie.  Es  entleert  sich  zirka  ein  Liter  dunklen,  flüssigen 
Blutes.  Die  Leber  unverletzt.  Die  Milz  quer  rupturiert  in  zwei 
ungleiche  Hälften.  Die  untere  kleinere  fast  vollkommen  abgetrennt, 
die  obere  von  mehreren  tiefen  Rissen  durchsetzt.  Da  das  ganze 
Organ  größer  als  normal  (12  cm  lang  und  5  cm  breit),  der  Milz¬ 
stiel  unverletzt  und  die  Blutung  jetzt  relativ  gering  und  rein 
parenchymatös  ist,  wird  das  lose  untere  Fragment  abgetragen 
und  der  Rest  durch  tiefgreifende  Catgutnähte  versorgt. 

Am  Fundus  des  Magens,  nahe  der  großen  Kurvatur,  ein 
1  cm  langer,  penetrierender  Riß.,  aus  dem  Mageninhalt  quillt, 
knapp  daneben  ein  stricknadeldicker,  blutender  Ast  der  Coronaria 
ventriculi  inf.  sin.  Das  Gefäß  wird  ligiert;  der  Riß  im  Klagen 
durch  drei  durchgreifende  Nähte  geschlossen  und  nach  Lembert 
übernäht.  Nach  Ausspülung  der  Bauchhöhle  mit  physiologischer 
Kochsalzlösung  Tamponade  der  Milz-  und  der  Magennaht  mit  je 
einem  Gazestreifen.  Bauchnaht  in  zwei  Schichten. 

Dekursus;  Trotz  wiederholter  Kochsalzinfusionen,  Nähr¬ 
klysmen  und  Analeptika,  hochgradiger  Schwächezustand  mit  Er¬ 
brechen  anhaltend.  Am  26.  Oktober  entleert  sich  fast  die  ganze 
Magenflüssigkeit  durch  die  Bauchwunde.  Puls  immer  um  140, 
Temperatur  erreicht  kaum  37*’.  Unter  den  Erscheinungen  von 
septischer  Peritonitis  (wiederholtes  schwärzliches  Erbrechen, 
flüssige  Stühle)  und  zunehmender  Schwäche 

Exitus  letalis  am  29.  Oktober  1905. 

Obduktionsbefund;  Peritonitis  purul.  diffusa  e  per- 
foratione  ventriculi.  Defectus  dimidii  inferior,  lienis  post  resec- 
tionem  (propter  dilacerationem  trauniat.).  Anaemia  universal, 
gravis.  Enteritis  acuta.  Vulnus  laparotorniae. 

5.  M.  W.,  48  Jahre  alt,  Wäscherin,  aufgenommen  am 
9.  Dezember  1905  sub  J.-Nr.  11.904. 

Wurde  heute,  ca.  6  Uhr  morgens,  von  den  Pferden  eines 
fahrenden  Wagens  niedergestoßen.  Genaueres  weiß  sie  nicht  an¬ 
zugeben,  weil  sie  gleich  das  Bewußtsein  verlor.  Um  7  Uhr  früh 
wird  sie  auf  die  Abteilung  gebracht. 

Status  praesens:  Mittelgroß,  kräftig  gebaut,  mäßig  gut 
genährt.  Temperatur  36-5,  Puls  88.  Pat.  klagt  über  heftigen  Kopf¬ 
schmerz.  Am  rechten  Oberarm,  dessen  Bewegungen  sehr  schmerz¬ 
haft  sind  und  an  der  rechten  Becken-  und  Oberschenkelgegend 
mehrere  streifenförmige  Suffüsionen.  Die  siebente  und  achte  Rippe 
rechts  in  der  vorderen  Axillarlinie  sehr  schmerzhaft,  daselbst 
deutliches  Federn.  An  den  Brustorganen  nichts  Auffallendes.  Ab¬ 
domen  in  Thoraxniveau,  weich,  nirgends  besonders  druckschmerz¬ 
haft.  Harn  normal.  Auf  Einlauf  wird  Stuhl  entleert,  Pat.  begibt 
sich  in  einem  unbewachten  Momente  ohne  besondere  Beschwerden 
auf  das  Klosett.  Temperatur  abends  37-4,  Puls  100,  gut. 

10.  Dezember.  Pat.  hat  nachts  mehrmals  erbrochen,  klagt 
über  Schmerzen  in  der  rechten  Mittelbauchgegend.  Temperatur 
37-8,  Puls  120.  Zunge  trocken.  Bauch  meteoristisch  aufgetrieben. 
Rechts  vom  Nabel  starker  Druckschmerz  und  reflektorische  Muskel¬ 
spannung.  Der  übrige  Bauch  nicht  schmerzhaft. 

•  Diagnose:  Ruptura  intestini  post  contusionem.  Peritonitis 
circumsciipta. 

Ein  operativer  Eingriff  wird  von  der  Patientin  jetzt,  wie 
auch  an  den  folgenden  Tagen,  da  das  subjektive  Allgemeinbefinden 
relativ  gut  war,  abgelebnt.  Unter  zunehmendem  Fieber  (abends 
täglich  gegen  39°)  und  hohem  Pulse  (112  bis  120)  bildet  sich 
in  den  folgenden  Tagen  in  der  recbteu  Mittelbauchgegend  eine 
fast  handflächengroße,  mäßig  schmerzhafte  Resistenz  aus.  Der 
übrige  Bauch  ist  weicher  geworden,  Stuhl  und  Winde  gehen  ab, 
das  Erbrechen  hat  sistiert.  Infolge  zunehmender  lokaler  Schmerzen 
und  ansteigendem  Fieber  (über  39°)  willigt  Pat.  am  19.  Dezember 
in  die  Operation. 

Operation:  19.  -  Dezember  1905.  In  Billrothmischungs- 
narkose  rechts  pararektaler  Bauchschnitt.  Peritoneum  parietale 
mit  den  Darmscblingen  verklebt.  Nach  vorsichtiger  Lösung  der 
Verklebungen  entleert  sich  im  Schwall  zirka  ein  halber 
Liter  Eiter  und  Dünndarminhalt.  Die  Abszeßhöhle  wird  mit  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung  ausigespült  und  mit  zwei  Gummidrains 
und  vier  Gazestreifen  drainiert.  Ein  Absuchen  nach  der  Per¬ 
forationsstelle  wurde  mit  Rücksicht  auf  das  Lokalisiertsein  des 


Prozesses  unterlassen.  Die  Wunde  wird  breit  offen  gelassen. 
Verband. 

Dekursus:  Das  Fieber  fällt  rasch  ab.  In  den  nächsten 
Tagen  entleert  sich  noch  reichlich,  Darminhalt  durch  die  Wunde, 
seiner  BeschaffeJiheit  nach  aus  dem  Ileum,  doch  nimmt  die  Se¬ 
kretion  allmählich  ab.  Seit  15.  Januar  1906  kein  Kolabgang  mehr 
durch  die  rein  granulierende  Wunde. 

6.  Februar  1906.  Mit  gut  vernarbter  Wunde  geheilt  ent¬ 
lassen. 

6.  J.  G.,  12  Jahre  alt,  Schulkind,  aufgenommen  am  18.  Ok¬ 
tober  1906  sub  J.-Nr.  10.418. 

Wurde  heute,  um  Vih  Uhr  nachmittags,  von  einem  leeren 
MilcliAvagen  überfahren.  Das  Wagenrad  soll  über  den  Bauch  ge¬ 
gangen  sein.  Wird  um  5  Uhr  nachmittags  ins  Spital  gebracht. 

Status  praesens:  Groß,  gut  genährt,  blaß.  Bei  Bewußt¬ 
sein,  unruhig.  Temperatur  36-5,  Puls  80,  klein.  Ueber  beiden 
Lungen  verschärftes  Vesikuläratmen.  Am  Herzen  nichts  Ab¬ 
normes.  Atmung  beschleunigt,  kostal.  Oberhalb  des  Nabels  eine 
zwei  Finger  breite,  streifenförmige  Exkoriation.  Abdomen  etwas 
über  Thoraxniveau,  stark  gespannt,  druckschmerzhaft,  namentlich! 
in  der  linken  Flanke;  daselbst  Dämpfung,  sonst  überall  tympa- 
nitischer  Schall.  Leberdämpfung  verkleinert,  reicht  nur  bis  zwei 
Querfinger  oberhalb  des  Rippenbogens.  Mit  Katheter  klarer  Harn 
entleert.  Kein  Erbrechen. 

6  Uhr  abends.  Die  Blässe  hat  zugenommen.  Puls  auf  96 
gestiegen,  die  Schmerzen  im  Bauch  unverändert. 

Diagnose:  Haemorrhagia  intraperitonealis?  Ruptura 
intestini  ? 

Operation:  V27  Uhr  abends.  In  Aethernarkose  mediane 
Laparotomie.  Kejn  freier  Erguß.  Am  Colon  transversuin  zwei  zirka 
3  cm  lange  Serosalängsrisse,  so  daß  die  Muskularis  IV2  cm  breit 
freiliegt,  werden  übernäht.  Blutige  Suffusion  des  absteigenden 
Duodenums,  das  auch  nach  Ablösung  unverletzt  gefunden  wird. 
Gazestreifen  daselbst.  Suffusion  am  Pankreasschweif.  Nach  Ein¬ 
gießung  von  physiologischer  Kochsalzlösung  in  die  Bauchhöhle 
Schluß  derselben  in  zwei  Schichten. 

19.  Oktober  1906.  Unter  zunehmender  Atem-  und  Puls¬ 
frequenz,  Fieber  bei  39°,  Zyanose,  Lungenödem, 

Exitus  letalis  um  3  Uhr  nachmittags. 

Obduktionsbefund  (gerichtlich) ;  Ausgedehnte  Fe  tt- 
embolie  (wahrscheinlich  ausgehend  von  einer  zwei  Handflächen 
großen  Fettzermalmung  nach  Kontusion  der  rechten  Gesäßhälfte) 
beider  Lungen.  Kontusion  und  Ruptur  (3  cm  langer  Riß)  am 
linken  Lungenunterlappen ;  80  cm°  flüssiges  Blut  im  linken  Pleura¬ 
raum.  Bruch  der  elften  und  zwölften  Rippe  beiderseits  nahe  der 
Wirbelsäule. 

Mäßiges  Hämatom  um  die  linke  Niere,  Stauung  derselben 
infolge  frischer  Thrombose  ihrer  Vene.  Ablösung  der  Nieren¬ 
kapsel. 

Guldengroße  Suffusion  der  Darmwand  am  absteigenden  Duo¬ 
denum  ;  feinste  Schleimhautrisse  daselbst.  Ein  4  cm  und  ein 
3  cm  langer,  bis  2  cm  klaffender  Serosarißi  am  Colon  transversuin 
(übernäht).  Peritoneum  überall  blaß,  glatt  und  glänzend. 

7.  J.  P.,  41  Jahre  alt,  Tischlergehilfe,  aufgenommen  am 
16.  Januar  1907  sub  J.-Nr.  635. 

Glitt  gestern,  4  Uhr  nachmittags,  als  er  einige  Holzstücke 
trug,  auf  der  Stiege  aus,  wobei  er  auf  das  Gesäß  fiel  und  sich 
sein  linksseitiges  Leistenbruchband  in  die  linke  Bauchwand  stieß'. 
Die  Holzstücke  fielen  zur  Seite.  Sofort  danach  heftige  Bauch¬ 
schmerzen,  die  allmählich  bis  jetzt  zunalnnen,  wiederholtes 
Aufstoßen. 

Ein  Arzt  „goll  heute  morgens  den  Zustand  für  unbedenklich 
erklärt  und  von  Spitalsaufnahme  abgeraten  haben.  Da  die 
Schmerzen  unerträglich  werden,  wird  Pat.  heute  um  5  Uhr  nach¬ 
mittags  ins  Spital  gebracht. 

Status  praesens:  Älittelgroß,  mittelkräftig,  schlecht  ge¬ 
nährt.  Temperatur  37-9,  Puls  100,  kräftig.  Augen  haloniert,  Zunge 
belegt,  trocken.  Aufstoßen.  Herz  und  Limgeii  ohne  Besonderheiten. 

Abdomen  etwas  über  Thoraxniveau,  überall  druckschmerz¬ 
haft,  besonders  links,  Bauchdecken  stark  gespannt,  beiderseits 
handbreite  Flankendämpfung.  Leberdämpfung  kleiner,  ln  der 
linke)!  Leiste  eine  hühnereigroße,  freie  Leistenhernie.  Leisten, - 
kanal  für  einen  Finger  offen.  Urin  spontan  entleert,  klar,  kon¬ 
zentriert. 

Diagnose;  Peritonitis  diffusa  e  ruptura  intestini. 

Operation:  7  Uhr  abends.  In  Billrotlimischungsnarkose 
mediane  Laparotomie.  Es  entleert  sich  mäßig  reichlich  trübe  seröse 
Flüssigkeit.  Die  Darmschlingen  gebläht,  gerötet,  an  vielen  Stellen 
mit  gelben  Fibrinauflagerungen  versehen.  Beim  Vorziehen  des 
Darmes  stürzt  plötzlich  aus  der  linken  Fossa  iliaca  reichlich 


4 .  - 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


gelber,  düiiuflüssiger  Kot  hervor.  Eine  mittlere,  links  gelagerte 
Dünnclarnischlinge  (240  cm  oberhalb  der  Vnlrulä  Bauhini)  zeigt 
gegenüber  dem  .Mesenterialansatze  eine  längsovaie,  ca.  IV2  cm 
lange  und  1  cm  breite  Perforation,  mit  glatten  Rändern.  Nach 
provisorischer  Abklemmung  und  Ausspülung  der  Bauchhöhle  mit 
physiologischer  Kochsalzlösung  Uebernälmuig  der  Rupturstelle  in 
Längsrichtung,  mit  zwei  Reihen  Lembertknopfnähten.  Ras  Je¬ 
junum  bis  zur  Rupturstelle  stark  gebläht  nnd  gelähmt,  der  übrige 
Darm  kontrahiert,  zeigt  Peristaltik.  Die  Umgebung  der  linken 
Bruchpforte  frei  von  Fibrinauflagerungen;  solche  im  Douglas  und 
nahe  dem  Promontorium.  Nach  nochmaliger  Ausspülimg  <ler 
Bauchhöhle  zwei  dicke  Gummidrains  in  den  Douglas  und  ]e 
zwei  lange  Gummidrains  über  die  Flanken  in  beide  Ifypo- 
clmndrien.  Bauchdeckennaht  in  zwei  Schichten. 

Nach  Schluß  der  Operation  zwei  Liter  Kochsalzlösung  sub¬ 
kutan  in  den  linken  Oberschenkel. 

17.  Januar.  Temperatur  38°,  Puls  120.  Wiederholtes  Er¬ 
brechen  grünlich -schwärzlicher  Flüssigkeit.  Trotz  wiederholter 
Einläufe  weder  Stuhl  noch  Winde.  Bauch  aufgetrieben,  gespannt, 
schmerzhaft. 

18.  Januar.  Im  Aelherrausch  Lüftung  der  Wunde  und  x\n- 
legen  einer  W'itzelfistel  knapp  oberhalb  der  Rupturstelle,  deren 
Uebernähung  intakt  ist,  um  von  hier  aus  idurch  Spülungen  den 
gelähmten  Darm  zur  Peristaltik  anzuregen,  jedoch  ohne  Erfolg. 
Die  Spülflüssigkeit  wird  kaum  zurückbefördert,  sondern  größten¬ 
teils  durch  Erbrechen  entleert. 

Unter  andauerndem  Erbrechen  zunehmender  Verfall. 

19.  Januar.  V2I  Uhr  mittags  Exitus  letalis. 

Obduktionsbefund:  Peritonitis  purulen ta  diffusa  e  rup- 

tura  intestini  jejuni  traumate  effecta.  Hernia  inguinalis  sin. 
Sutura  intestini.  Paralysis  intestini  tenuis.  Vulnus  parietis  ant. 
abdominis  e  laparotomia.  Degeneratio  parenchynlatosa  viscerum. 

In  den  ersten  drei  Fällen  und  im  Fälle  7  war  die 
Gewalteinwirkung  eine  mehr  zirkumskripte,  daher  die 
isolierte  Läsion,  während  in  den  ührigen  drei  Fällen  von 
Ueherfahrenw erden  zweimal  jnehrfache  Verletzungen  vor¬ 
handen  waren.  Die  Lpkalisation  betrifft  die  Lieblings¬ 
stellen  über  der  Wirbelsäule  und  den  Darmbeintellern;  so 
finden  wir  dreimal  das  Duodenum,  resp.  die  Flexura  duo- 
denojejunalis  und  die  Mitte  des  Querkolons  betroffen  und 
zweimal  den  Dünndanu  auf  der  linken  Fossa  iliaca.  In 
den  Fällen  3  und  7,  wo  Leistenhernien  bestanden,  die 
Theorie  Dunges^)  zur  Erklärung  der  Ruptur  heranzuzieben, 
würde  gezmuigen  erscheinen,  da  in  erste  rem  Falle  die  Hernie 
rechts  und  die  Perforationsstelle  links  nahe  dem  Colon  des- 
cendens  war  und  in  letzterem  die  Bruchpforte  durch  das 
Bracherium  verschlossen  war,  dieses  bei  dem .  Sturz  (viel¬ 
leicht  durch  den  maximal  gebeugten  Oberschenkel)  gegen 
die  Darmbeinschaufel  gedrückt  und  bei  der  Operation  die 
Bruchpforte  frei  von  Fihrinhelägen  gefunden  wurde.  Die 
Rupturen  waren  in  den  Fällen  1,  2,  4  und  7  wohl  unmittel¬ 
bar  durch  die  Gewalteinwirkung  hervorgebracht.  In  den 
Fällen  3,  5  und  6  bewirkte  das  Trauma,  den  klinischen 
Erscheinungen  nach  zu  schließen,  zuerst  eine  Quetschung 
der  Darm  wand  und  erst  sekundär  kam  es  in  den  beiden 
ersten  Fällen  durch  Wandnekrose  zur  Perforation  und  um¬ 
schriebenen  Peritonitis.  Doch  kann  nach  den  Untersuchun¬ 
gen  von  Leim  and  er  in  Analogie  mit  der  perforativen 
Appendizitis  auch  nach  primärer  Eröffnung  des  Darm¬ 
lumens  hei  nur  geringem  Kotaustritt  ein  zwischen  den 
Darmschlingen  abgekapselter  Abszeß  solange  keine  oder  nur 
geringe  spontane  Schmerzen  machen,  als  die  Entzündung 
nicht  auf  das  Peritoneum  parietale  übergreift,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  hei  kleinen  Perforatiousöffnungen  durch  die  vor¬ 
quellende  Schleimhaut  stundenlang  der  Austritt  von  Darm¬ 
inhalt  verhindert  werden  kann,  was  Lund,  Nichols  und 
Bottomley®)  noch  16  Stunden  nach  der  Verletzung  bei 
einer  Perforation  von  Bleistiftdicke  konstatieren  konnten. 
Bei  einem  Patienten  von  BüdingerQ  traten  erst  sieben 
Tage  nach  der  Verletzung  Perforationserscheinungen  auf, 
trotzdem  eine  2  cm  ,  lange  offene  Stichwunde  des  ]\lagens 
vorhanden  war. 

Was  die  klinische  S  ynip  tomato logie  anbelangt, 
so  boten  die  Kranken  verschiedene  Bilder,  je  nach  der  Dauer 
und  Art  der  Verletzung.  Das  typische  Bild  der  frischen 
diffusen  Perforationsperilonilis  zeigte  Fall  2,  während 


Fall  1  und  7  bereits  das  weitere  Stadium  derselben  mit 
Darmlähmung  zeigten.  Als  umschriebene  oder  langsam  pro¬ 
grediente  eitrige  Peritonitis  erwiesen  sich  Fäll  3  und  5 
hei  der  Operation.  Einige  diagnostische  Ueberlegung  er¬ 
forderten  die  frischen  Fälle  4  und  6,  doch  luahnte  in 
ersterem  Falle  die  zunehmende  Anämie,  im  letzteren  die 
steigende  Palsfrequenz  zum  Eingriff.  Wie  man  sieht,  wurde 
von  den  vier  primären  Rupturen  kein  einziger  in  den  ersten 
Stunden  eingebracht,  sondern  erst  nach  7  bis  24  Stunden, 
auch  ein  Beweis  für  die  Schwierigkeit  der  Frühdiagnose. 

Am  Chirurgenkongreß  1900  wurden  die  einzelnen 
Symptome  der  traumatischen  Darmperforation  einer  Dis¬ 
kussion  unterzogen  und  die  damals  von  v.  Angerer®)  an¬ 
geführten  Punkte  werden,  wenn  auch  nur  ein  Teil  von  ihnen 
im  speziellen  Falle  zutrifft,  in  der  Regel  auf  eine  schwere 
innere  Verletzung  hinweisen.  Der  allgemeinen  Wichtigkeit 
halber  will  ich  sie  im  folgenden  kurz  bringen: 

1.  Stundenlang  andauernder  Shock. 

2.  Zunehmen  der  Pulsfrequenz,  doch  kann  der  anfangs 
frequente  Puls  langsamer  werden  und  erst  mit  eintretender 
Peritonitis  wieder  ansteigen.  Zunehmen  der  Pulsfrequenz 
und  Temperatursteigerung  deuten  auf  septische  Peritonitis. 

3.  Beschleunigte  und  rein  thorakale  Atmung. 

4.  WiedeTholtes  Erbrechen;  bei  einfacher  Kontusion 
hört  das  Erbrechen  in  der  Regel  nach  ein-  bis  zweimal  auf. 

5.  Heftige  spontane  Schmerzen  und  Druckschmerz ; 
nimmt  der  Schmerz  zu,  dann  ist  Austritt  von  Darminhalt 
wahrscheinlich. 

6.  Frühzeitiges  Verschwinden  der  Leberdämpfung, 
doch  spricht  Bestehenbleiben  derselben  nicht  gegen  Darm¬ 
ruptur. 

7.  Starke  reflektorische  Rektusspannung. 

8.  Meteorismus  muß  in  den  ersten  sechs  Stunden 
nicht  auftreten,  sondern  kann  erst  nach  Erschlaffung  der 
immer  zuerst  auftretenden  Kontraktion  des  Darmes  ein- 
treten.  Durcli  die  Muskelkontraktion  des  Darmes  kann 
es  zum  Verschluß  von  Darmrissen  trotz  ausgestülpter 
Schleimhaut  kommen,  wie  Hertle^)  bei  einer  queren  Ab- 
reißiUng  des  Dünndarmes  vier  Stunden  nach  dem  Trauma 
weder  Darminhalt  noch  Gas  im  Bauche  fand. 

Urinretention  ist  meist  auch  nur  bei  den  komplizierten 
Bauchkontusionen  vorhanden,  doch  spricht  ihr  Fehlen  noch 
nicht  dagegen;  denn  von  den  sieben  Patienten  meiner  Be¬ 
obachtung  mußte  ein  einziger  vor  der  Operation  katheterisiert 
werden. 

Als  wichtigstes  Symptom  möchte  ich  die  reflektorische 
Rektusspannung  nennen,  daneben  das  Ansteigen  des  Pulses 
und  die  thorakale  Atmung.  Das  Erbrechen  kann  selbst  bei 
Perforation  vereinzelt  sein  oder  ganz  fehlen  wie  bei  inkom¬ 
pletter  Ruptur  und  doch  erheischt  diese  ebenso  wie  die 
Quetschung  der  Wand  das  chirurgische  Eingreifen,  da  es 
sowohl  zur  Durchwanderung  von  Bakterien  wie  zur  sekun¬ 
dären  Perforation  kommen  kann  (Fälle  von  Courtois  und 
Destrez,^°)  Lexer,^^)  Daireaux^^)  usw.).  Heftige  spon¬ 
tane  Schmerzen  und  solche  hei  Druck,  besonders  über  die 
Verletzungsstelle  hinaus,  sprechen  fast  immer  für  schwere 
Verletzung. 

F.  FränkeU^)  empfiehlt,  in  unklaren  Fällen  stünd¬ 
lich  die  Temperatur  im  Rektum  zu  messen;  ein  Ansteigen 
derselben  spreche  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  für  Darm¬ 
ruptur.  Jedenfalls  sind  bei  zweifelhafter  Diagnose  Opiate 
und  Analeptika  zurückzuhalten,  um  nicht  das  Krankheits- 
hild  zu  verschleiern,  und  schwere  innere  Veränderungen 
durch  Euphorie  zu  verhüllen. 

Die  Prognose  der  Darmrupturen  ist  bei  Operation  in 
den  ersten  zwölf  Stunden  noch  relativ  günstig;  sie  ver¬ 
schlechtert  sich  aber  dann  rapid  mit  jeder  Stunde.  Eine 
Ausnahme  bilden  jene  Fälle,  wo  nur  wenig  Darminhalt  aus¬ 
getreten  ist  und  es  zur  Abkapselung  und  Bildung  .von  Ab¬ 
szessen  gekommen  ist.  Solche  gehen,  auch  weim  sie  erst 
einige  Tage  nach  dom  Trauma  eröffnet  werden,  fast  immer 
in  Heilung  über. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


413 


Unser  Vorgelieii  ist  also  ein  zweifaches,  je  nachdem 
es  sich  um  frische  oder  um  verschleppte  Fälle  handelt,  und 
weist  auch  hier  wieder  eine  Analogie  mit  der  Behandlung 
der  akuten  Appendizitis,  der  diffusen  Appendix-Peritonitis 
und  des  appendizitischen  Abszesses  auf.  Während  man  in 
frischen  Fällen  und  bei  der  freien  Peritonhis  ausgiebig 
median  laparotomiert,  um  den  ganzen  Bauchraum  einer  Re'"- 
vision  zu  unterziehen,  beschränkt  man  sich  hei  den  Ab¬ 
szessen  auf  eine  Inzision,  je  nach  der  Lage  desselben,  unter¬ 
sucht  eventuell  dessen  Nachbarschaft,  ohne  aber  den  ganzen 
Darm  nach  Verletzungen  abzusuchen.  Jedenfalls  ist  man 
nicht  berechtigt,  auf  einen  kleinen  Probeschnitt  hin  bei 
Mangel  an  freiem  Gas,  Blut  oder  Darminhalt,  die  Bauch¬ 
höhle  ohne  gründliche  Untersuchung  wieder  zu  schließen. 
Denn  auf  diese  Weise  kann  eine  schwer  suffundierte,  später 
der  Nekrose  anheimfallende  Stelle,  ein  größerer  Serosariß 
der  Darmwand  oder  selbst  eine  vorläufig  durch  Schleimhaut 
oder  lose  Anlötung  verschlossene  Perforation  später  zur 
Peritonitis  führen.  In  dieser  Hinsicht  ist  auch  die  von 
Hertle^)  anläßlich  des  letalen  Ausganges  einer  retroperi- 
tonealen  Duodenalruptur  wieder  empfohlene  Ablösung  des 
Zwölffingerdarmes  nach  Kocher  und  Revision  der  hinteren 
Darmwand  hei  Traumen  in  dieser  Gegend  auszuführen, 
ebenso  wie  die  Freilegung  der  hinteren  Magenwand  durch 
Eröffnung  des  Netzbeutels,  der  Rückseite  eines  breit  an¬ 
gewachsenen  Dickdarmstückes  usw. 

Da  der  günstige  Ausgang  einer  bereits  bestehenden 
Peritonitis  trotz  aller  modernen  Kampfmittel  stets  ein  zweifel¬ 
hafter  ist,  weil  er  ja  abhängt  von  der  Menge  und  Virulenz 
des  Infekfionsmateriales,  der  Jugend  und  allgemeinen  Wider¬ 
standskraft  des  Individuums,  von  verschiedenen  Faktoren, 
deren  Wertbestimmüng  oft  ganz  unzuverlässig  ist,  so  wird 
eine  Besserung  der  bisherigen  Operationsresultate  in  erster 
Linie  durch  frühere  Diagnose  und  rechtzeitige  Operation 
zu  erreichen  sein. 

Literatur: 

Lennander,  lieber  die  Behandlung  der  akuten  Peritonitis- 
Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  81.  —  h  H  e  i  d  e  n  h  a  i  n,  lieber 
Darmverschluß  und  Enterostomie  bei  Peritonitis.  Deutsche  Zeitschrift  lür 
Chirurgie,  Bd.  74.  —  ^  Katzen  stein,  Vorschlag  zur  internen  Be¬ 
handlung  der  akuten  Peritonitis  nach  Perityphlitis.  Die  Therapie  der 
Gegenwart  1906,  Novemberheft.  —  Bunge,  Zur  Pathogenese  der 
subkutanen  Darmrupturen.  Beiträge  zur  klin.  Chirurgie,  Bd.  47,  Heft  3. 
—  ®)  Lennander,  Leibschmerzen,  ein  Versuch,  einige  von  ihnen  zu 
erklären.  Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin  und  Chirurgie, 
Bd.  16,  Heft  1.  —  ®)  Lund,  Nichols,  Bottomley,  Six  cases  of 
rupture  of  the  intestines,  with  4  recoveries.  Boston  med.  and  surg, 
journal  1902,  November.  —  Büdinger,  Stichverletzung  des  Magens. 
Wiener  klin.  Wochenschrift  1897,  S.  433.  —  ®)  v.  A  n  g  e  r  e  r,  lieber 
Operationen  bei  Unterleibskontusionen.  Verhandlungen  der  deutschen 
Gesellschaft  für  Chirurgie  1900.  —  ®)  H  e  r  1 1  e,  Ueber  stumpfe  Bauch¬ 
verletzungen.  77.  Naturforscherversammlung,  Meran  1905.  —  Courtois 
et  Destrez,  Contusion  violente  de  l’abdomen  etc.  Archiv  de  möd.  et 
de  pharm,  militaires  1903,  Mai.  —  Lexer,  Ueber  Bauchverletzungen. 
Berliner  klin.  Wochenschrift  1901,  Nr.  48,  49.  —  p  a  i  r  e  a  u  x. 
Contusion  du  coecum,  du  colon  ascendant  et  de  l’anse  terminale  de  l’iKon 
Sans  perforation.  Arch,  de  m6d.  et  de  pharm,  militaires  1905,  Nr.  9.  — 
F.  F  r  ä  n  k  e  1,  Einige  Grundsätze  für  die  Beurteilung  und  Behandlung 
der  Kontusionen  des  Bauches.  Münchener  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  17. 


Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Lemberg. 

(Direktor :  Prof.  Dr.  Gluzihski.) 

Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Polyglobulie. 

Von  Dr.  N.  Schneider,  ehern.  Demonstrator  der  Klinik. 

Wegen  des  allgemeinen  Interesses,  das  die  Frage  der 
Polyglobulie  gegenwärtig  erweckt,  erlaube  ich  mir  folgenden, 
in  der  hiesigen  medizinischen  Klinik  vor  einigen  Jahren 
beobachteten  Fall  zu  veröffentlichen,  da  ich  hoffe,  dadurch 
etwas  zur  Aufhellung  dieser  bisher  noch  ziemlich  dunklen 
Frage  beitragen  zu  können. 

B.  S.  aus  Bilka  Krölewska,  Landwirt,  51  Jahre  alt,  aul- 
genomraen  am  3.  Dezember  1901. 

Anamnese:  Der  Vater  des  Patienten  soll  an  der  Cholera, 
die  Mutter  an  Hydrops  gestorben  sein;  von  den  Geschwistern 
starb  ein  Bruder  an  Lungenentzündung,  eine  Schwester  an 
Schwindsucht.  Zwei  Schwestern  leben  und  sind  angeblich  gesund. 


Pat.  gibt  aji,  daß  er  im  siebenten  Lebensjahre  an  Malaria 
mit  Anfällen,  die  sich  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  wieder¬ 
holten,  erkrankte.  Dieser  Zustand  habe  ununterbrochen  iy2  Jahre 
hindurch  gedauert.  AußeKlem  erzählt  Pat.,  daß  er  schon  damals 
auf  der  linken  Seite  unter  dem  Rippenbogen  eine  flache,  harte 
Geschwulst  durch  Betasten  herausfühlen  konnte,  unter  die  er 
mit  Leichtigkeit  seine  Hand  schieben  konnte.  Seit  dem  ersten 
Auftreten  dieser  Krankheit  sei  er  mehrmals  bis  zmn  25.  Lebens¬ 
jahre  von  Malaria  heimgesucht  worden,  besonders  in  der  Früh¬ 
lingszeit,'  doch  währte  dieselbe  nie  länger  als  einen  Monat.  In 
dieser  Periode  soll  er  auch  einen  leichten  Gelenksrheumatismus 
durchgemacht  haben,  der  hauptsächlich  im  linken  Schultergelenk 
und  in  beiden  Kniegelenken  lokalisiert  war,  wo  Pat.  auch  später 
von  Zeit  zu  Zeit  ein  ,, Reißen“  verspürte. 

Im  38.  Lebensjahre  sei  er  an  einem  sechs  Monate  dauernden 
Bauchtyphus  (?)  erkrankt,  einige  Zeit  danach  soll  er  wieder 
durch  einige  Wochen  an  Malaria  gelitten  haben. 

Mit  40  Jahren  erkrankte  er  an  einer  6  Wochen  währenden 
Dysenterie,  vor  sieben  Jahren  soll  er  eine  Lungenentzündung 
durchgemacht  haben,  über  deren  Verlauf  er  jedoch  nichts  Näheres 
anzugeben  weiß.  Vor  fünf  Jahren  seien  beim  Pat.  Beschwerden 
von  seiten  der  Bauchhöhle  auf  getreten  in  Form  von  krampf¬ 
artigen  Schmerzen,  die,  von  der  Magengrube  ausgehend,  nach 
beiden  Seiten  in  der  Richtung  der  Rippenbögen  ausstiuhlten. 
Die  erwähnten  Schmerzen  wären  von  der  Nahrmigsauf nähme  un¬ 
abhängig  gewesen.  Außerdem  pflegte  Pat.  ein  Gefühl  des  Druckes 
und  der  Völle  im  Magen  zu  haben. 

Der  Stuhl  war  teils  angehalten,  teils  diarrhoisch.  Zu  dieser 
Zeit  habe  die  unter  dem  linken  Rippenbogen  gelagerte  Geschwulst 
dem  Patienten  schon  ein  Gefühl  der  Schwere  verursacht,  doch 
seien  dabei  keine  Schnierzen  vorhanden  gewesen.  Erst  zu  An¬ 
fang  des  Frühlings  1901  habe  Pat.  ein  Größerwerden  der  Ge¬ 
schwulst  bemerkt,  mit  diesem  Augenblick  wären  auch  Schmerzen 
in  der  Gegend  der  Geschwulst  bei  jeder  Bewegung  und  An¬ 
strengung  aufgetreten.  Außerdem  habe  Pat.  zu  dieser  Zeit  zu 
husten  angefangen.  Alkoholgenuß  mid  Lues  werden  negiert. 

Mit  diesen  Erscheinungen  habe  sich  Pat.  zur  hiesigen  chirur¬ 
gischen  Klinik  gemeldet,  wo  man  ihm  am  1.  Mai  1901  die  Milz 
exstirpierte.  Aus  der  Veröffentlichung  Jasihskis,’^)  welcher 
diesen  Fall  vom  chirurgischen  Standpunkt  beschrieb,  entnehmen 
wir  folgende  Details :  Bei  der  Aufnahme  in  die  chirurgische 
Klinik  habe  sich  Pat.  als  Individuum  von  schwachem  Körperbau, 
mangelhafter  Ernährung,  mit  Erscheinungen  eines  Lungenemphy¬ 
sems  und  Bronchialkatarrhs  vorgestellt.  Der  Puls  war  regel¬ 
mäßig,  von  guter  Spannung,  72  in  einer  Minute.  Unter  dem 
linken  Rippenbogen  ragte  ein  Tumor  hervor,  von  der  Größe 
eines  Mannskopfes,  von  harter  Konsistenz,  der  vergrößerten  Milz 
entsprechend.  Die  Leber  war  zwei  Finger  unterhalb  des  Rippen¬ 
bogens  palpabel.  Im  Urin  war  eine  geringe  Spur  Eiweiß.  Die 
Inguinaldrüsen  erbsengroß,  mäßig  weich.  Oedeme  waren  weder 
an  den  Unterschenkeln,  noch  an  den  Knöcheln  vorhanden. 

Die  klinische  Diagnose  lautete :  Tümor  lienis  chronicus, 
probabiliter  malaricus.  Den  Blutbefund  vor  der  Exstirpation  der 
Milz  veranschaulicht  Tabelle  I. 


Tabelle  1. 


Datum 

Zahl  der 
Leukozyten 

Zahl  der 
Erythrozyten 

W:R 

°/o-Gehalt  der  Leukozyten 

Bemerkung 

Polymorph¬ 

kernige 

Neutrophile 

Kleine 

Lymphozyt. 

Große  1 
Lymphozyt,  j 

Eosinophile 

Uebergangs- 

zellen 

17./IV. 

1901 

22.000 

6,000  000 

1:272 

82 

6 

0 

9 

3 

Geringe 

Poikilozytose 

'21./IV. 

15.200 

6,000.000 

1:394 

86 

6 

3 

5 

0 

Am  1.  Mai  1901  wurde  am  Patienten  die  Splenektomie  vor¬ 
genommen.  Bei  der  anatomischen  Untersuchung  der  exstirpierten 
Milz  wurde  vor  allem  eine  bedeutende  Vergrößerung  des  Organs 
konstatiert;  es  hatte  folgende  Dimensionen:  Länge  27  cm,  Breite 
16  cm,  Dicke  11  cm,  Gewicht  2650  g.  An  der  Oberfläche  zahl¬ 
reiche,  feste,  bindegewebige  Verwachsungen.  Die  Kapsel  in  toto 
bedeutend  verdickt  (Perisplenitis  chronica  fibrosa),  hie  und  da 
von  knorpelhafter  Härte. 

Auf  dem  Durchschnitt:  das  Parenchym  von  graurötlicher 
Farbe,  von  derberer  Konsistenz,  die  Struktur  der  Milz  verwischt, 

ß  Dr.  Stanislaus  Jasiüski:  0  wycinanin  äledzivny.  (Ueber  die 
Splenektomie.)  Przegl^d  lekarski  1901,  Nr.  51,  52. 


414 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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die  Gefäße  erweitert  mit  verdickten  Wandungen.  Außerdem  sind 
zahlreiche  kleine,  grauweiße,  unregelmäßig  gestaltete  (Leukämata) 
und  einige  große,  gelhlichweiße,  infolge  Anämie  nekrotisch  ge¬ 
wordene  Herde  sichtbar  (Infarkte);  die  letzteren  greifen  auch 
auf  die  Kapsel  über,  welche  an  diesen  Stellen  mehr  weißlich  ist. 
IMikroskopisch  wurden  entsprechende  Bilder  konstatiert,  d.  i.  in 
den  Infarkten  sich  gar  nicht  färbende  Partien,  im  Milzparenchym 
aber  eine  bedeutende  Hyperplasie  des  Stromas  und  der  lymphati¬ 
schen  Elemente.  Die  anatomische  Diagnose  lautete :  Tumor  lienis 
chronicus,  mit  Ilücksicht  auf  den  Bluthefund:  pseudoleucaemicus. 

Was  den  Verlauf  nach  der  Operation  betrifft,  so  trat  die 
Heilung  der  Wunde  erst  nach  2V2  Monaten  ein.  Diese  ganze 
Zeit  hindurch  fieberte  Pat.  hauptsächlich  infolge  eines  eitrigen 
Prozesses  in  der  Bauchdeckenwunde,  in  den  ersten  Tagen  außer¬ 
dem  infolge  einer  Exazerbation  des  Broncliialkatarrhs. 

In  dieser  Zeit  machte  Pat.  zwei  typische  Malariaanfälle 
durch,  Plasmodien  wurden  jedoch  kein  einziges  Mal  gefunden. 

Die  Blutveränderungen  nach  der  Splenektomie  sind  auf 
Tabelle  H  sichtbar.  Zu  Ende  des  Sommersemesters  verließ  Patient 
die  cliirurgische  Klinik  im  Zustand  eines  relativen  Wohlbefindens. 

W' ährend  der  ersten  Zeit  des  Aufenthaltes  zu  Hause  fühlte 
er  sich  sehr  schwach  und  war  deshalb  gezwungen,  teilweise 
das  Bett  zu  hüten.  Kurz  darauf  seien  jede  "Woche  oder  alle 
zwei  Wochen  Anfälle  eingetreten,  bei  welchen  dem  Patienten  vor 
den  Augen  finster  wurde  und  der  ganze  Körper  erstarrte,  so  daß 
Pat.  manchmal  umfiel,  ohne  jedoch  dabei  das  Bewußtsein  zu 
verlieren. 

Tabelle  II. 


Datum 

1 

Zahl  der 
Leukozyten 

Zahl  der 
Erythrozyten 

W:R 

“/o'Gehalt  der  Leukozyten 

Bemerkung 

Polymorph¬ 

kernige 

Neutrophile 

Kleine 

Lymphozyt. 

Große 

Lymphozyt. 

Eosinophile 

1 

Uebergangs- 

zellen 

1 

2.1V. 

1901 

66.000 

7,000.000 

1:106 

86 

3 

4 

5 

2 

4./V. 

44.600 

5,725.000 

1: 128 

86 

2 

4 

4 

4 

7./V. 

43.000 

6,000.000 

1:139 

— 

— 

— 

— 

— 

Normo- 
blasten  l^/o 

9./V. 

58.400 

5,600.000 

1:95 

— 

— 

— 

— 

12./V. 

53.000 

5,250.000 

1:98 

88 

2 

5-2 

4 

2 

4 

Normo- 
blasten  47o 

17./ V. 

46.400 

2,350  000 

1:50 

808 

4 

■ 

4 

6 

Normoblast. 

:  Leukozyten 
=  4:5(10 

28./V. 

28.000 

4,600.000 

1:164 

— 

— 

— 

— 

— 

8./V1, 

24.000 

4,750.000 

1:197 

68 

19 

4 

5 

4 

15./VI. 

22.000 

5,000.000 

1:227 

— 

— 

— 

— 

— 

21./VI. 

15.200  5,249.600 

1:345 

68 

28 

3 

4 

2 

4  Normo- 
blasten 

28./VI. 

16.000j  4,500.000 

1:281 

— 

— 

— 

— 

— 

Vor  einem  Monat  wären  heftige,  nur  für  kurze  Zeit  ver¬ 
schwindende  Schmerzen  in  den  Nägeln  der  rechten  Hand  auf¬ 
getreten.  Der  anfangs  verminderte  Appetit  habe  sich  gebessert; 
ebenso  sei  der  Husten  wie  auch  die  früheren  Beschwerden  von 
seiten  der  Bauchhöhle  verschwunden. 

Mit  diesen  Angaben  meldete  sich  Pat.  in  die  innere  Klinik 
am  3.  Dezember  1901. 

Von  nun  an  befand  sich  Pat.  mit  kurzen  Unterbrechungen 
fast  ein  ganzes  Jahr  in  unserer  Beobachtung.  Wir  lassen  jetzt 
seine  Krankengeschichte  im  Auszug  folgen. 

Status  praesens  bei  der  Aufnahme:  Pat.  von  mittlerer 
Statur,  mäßigem  Knochenbau,  mangelhafter  Ernährung,  schwach 
entwickeltem  Fettpolster,  von  hlaßhräunlicher  Hautfarbe.  Kopf 
normal  aktiv  und  passiv  beweglich,  Schädel  heim  Beklopfen  nicht 
schmerzhaft,  Druck  auf  die  Nervi  supra-  und  infraorhitales  nicht 
onpfindhch,  im  Fazialis  keine  Veränderungen.  Die  Augäpfel  in 
normaler  Stellung,  regelmäßig  beweglich,  die  Pupillen  gleich, 
reagieren  auf  Licht  normal.  Die  Lippen  hleichrosa,  das  Zahn¬ 
fleisch  etwas  gelockcu’t,  Zunge  feucht,  etwas  belegt,  weicher  Gaumen 
normal  beweglich,  ]\landeln  nicht  vergrößert.  Hals  entsprechend 
lang  und  breit,  die  Jugularvenon  etwas  erweitert,  die  Karotiden 
mäßig  gespannt,  Aorta  im  Jugnlum  nicht  palpahel,  die  Zervikal¬ 
drüse]!  erbsengroß,  weich,  ‘nicht  schmerzhaft,  die  Schilddrüse  nicht 
vergröfkrt.  Thorax  genug  lang  und  breit,  mäßig  gewölbt;  rechte 
Supraklavikulargruhe  etwas  tiefer  als  die  linke,  linke  rhoraxhälffo 


hei  der  Atmung  minder  beweglich.  Stimmfreniitus  wegen 
schwacher  Stimme  nicht  qualifizierbar.  Perkussionsschall  rechts 
vorne  hell,  nicht  tympani tisch  bis  zur  sechsten  oberen  Rippe, 
untere  Grenze  beweglich.  In  der  rechten  Axilla  hell  bis  zur 
siebenten  oberen  Rippe,  untere  Grenze  schwach  beweglich.  Links 
vorne  heller  Lungenschall,  untere  Grenze  vierte  obere  Rippe, 
beweglich.  In  der  linken  Axilla  Schall  hell,  geht  an  der  achten 
oberen  Rippe  in  tympanitischen  Schall  vom  Magen  über.  Thorax 
von  hinten:  Wirbelsäule  gerade,  auf  Druck  nicht  schmerzhaft, 
beide  Thoraxseiten  gleich  gewölbt,  linke  Seite  etwas  schlechter 
beweglich.  Perkussionsschall  über  der  rechten  Spitze  leicht  ge¬ 
dämpft,  sonst  überall  hell;  untere  Grenze  beiderseits  eine  Hand¬ 
fläche  unter  dem  unteren  Skapularwinkel,  schwach  verschiebbar. 
Auskultation  von  hinten  beiderseits :  Inspirium  vesikulär,  in  den 
unteren  Parlien  etwas  verschärft,  Exspirium  schwach  vernehmbar. 
Ebenso  verhält  sich  der  Auskultationsbefund  vorne  und  in  beiden 
Axillen. 

Herzspitzenstoß  sichtbar  und  fühlbar  im  fünften  linken  Inter¬ 
kostalraum,  einen  Finger  einwärts  der  linken  Mamillarlinie.  Herz¬ 
dämpfung  fällt  links  mit  dem  Spitzenstoß  zusammen,  reicht  nach 
rechts  bis  zum  linken  Sternalrand.  Auskultation  über  der  Herz¬ 
spitze  und  den  Gefäßostien,  zwei  dumpfe  Töne.  Abdomen  flach, 
weich;  zwei  Finger  unterhalb  des  Processus  xiphoides  ist  eine 
winkelförmige,  glänzende,  5  bis  6  cm  lange,  braunrote  Narbe 
sichtbar.  Leber  reicht  bei  der  Perkussion  in  der  rechten  Mamillar¬ 
linie  drei  Finger  unterhalb  des  Rippenbogens,  in  der  jVIittellinie 
zwei  Finger  unterhalb  des  Processus  xiphoides,  überschreitet  die 
Mittellinie  um  drei  Finger,  ist  gut  fühlbar,  von  glatter  Ober¬ 
fläche,  weich,  nicht  schmerzbaft,  mit  scharfem  Rande.  Per¬ 
kussionsschall  über  den  übrigen  Partien  des  Abdomens  tympani- 
tisch.  An  den  Unterschenkeln  und  Knöcheln  sind  keine  Oedeme 
vorhanden.  Am  linken  Unterschenkel  zahlreiche  Narben  nach 
früher  vorhandenen  Geschwüren  sichtbar.  Axillardrüsen  niebt 
palpahel,  Leistendiäisen  erbsengroß,  mäßig  weich,  nicht  schmerz¬ 
haft.  Weder  das  Sternum,  noch  die  langen  Knochen  sind  beim 
Beklopfen  schmerzhaft.  Patellarreflexe  erhalten.  Sonst  sind  keine 
Sensihilitätsstörungen  zU  konstatieren. 

Zwei  Tage  nach  der  Aufnahme,  d.  i.  am  5.  Dezember,  be¬ 
gann  Pat.  mittags  plötzlich  zu  fiebern;  die  Temperatur,  welche 
um  8  Uhr  früh  36'7°  C  betrüg,  stieg  mittags  auf  38°  C  und  zwei 
Stunden  später  auf  40-5°  C.  Der  Radialpuls  belief  sich  auf  128 
in  einer  Minute.  Zugleich  mit  dieser  Temperatursteigerung  trat 
eine  beträchtliche  Dyspnoe  ein  —  30  Atemzüge  in  einer  Minute 
—  und  ein  stechender  Schmerz  in  der  unteren  Thoraxhälfte 
links  vorne.  Dazu  gesellte  sich  ein  Husten,  bei  dem  Pat.  ein 
rostfarbenes  Sputum  expektorierte.  Wie  der  weitere  Verlauf  be¬ 
wies,  trat  bei  unserem  Patienten  eine  typische  linksseitige,  krup¬ 
pöse  Lungenentzündung  auf,  die  jedoch  nicht  per  crisim  endete, 
da  unmittelbar  darauf  an  der  früher  von  dem  entzündlichen 
Prozeß  ergriffenen  Stelle  sich  deutliche  Erscheinungen  eines  tuber¬ 
kulösen  Infiltrates  zu  entwickeln  begannen. 

Am  31.  Januar  1902  verließ  Pat.  auf  eigenes  Verlangen  die 
Klinik. 

Am  25.  Februar  1902  wurde  er  zum  zweitenmal  aufge- 
nommen.  Er  gab  nun  an,  daß  er  während  des  Aufenthaltes  zu 
Hause  oftmals  Hitze  mit  nachfolgenden  reichlichen  Schweißen 
gehabt  habe.  Während  der  ganzen  Zeit  verließ  ihn  der  Husten 
mit  spärlichem,  schleimig-eitrigen  Sputum,  in  dem  er  einmal  eine 
ganz  geringe  Beimischung  von  Blut  bemerkt  habe,  nicht. 

Bei  der  jetzigen  Untersuchung  ließ  sich  ein  tuberkulöses 
Infiltrat  der  linken  Lungenspitze  fests teilen.  Die  Temperatur  hatte 
anfangs  einen  suhfebrilen  Charakter,  verhielt  sich  aber  schon 
nach  kurzer  Zeit  normal,  nur  von  Zeit  zu  Zeit  traten  Temperatur- 
Steigerungen  bis  38°  C  ein. 

Während  des  diesmaligen  Aufenthaltes  in  der  Klinik  traten 
nach  Angabe  des  Patienten  Anfälle  von  Täubwerden  ein,  ge¬ 
wöhnlich  im  zweiten  und  dritten  Finger  der  linken  Hand  be¬ 
ginnend,  von  hier  auf  die  ganze  linke  obere  Extremität  und  den 
Thorax  übergehend,  wo  Pat.  dann  immer  ein  Gefühl  hatte,  als 
ob  der  ganze  Briistkasten,  speziell  die  Herzgegend  zusammeu- 
gedrückt  würde.  Anfälle  dieser  Art  sollten  durchschnittlich  eine 
halbe  Stunde  gedauert  haben.  (Angina  pectoris?) 

Am  10.  März  um  9  Uhr  früh  trat  bei  dem  Patienten  ein 
Anfall  unter  folgenden  Erscheinungen  auf:  Verlust  des  Bewußt¬ 
seins,  Dyspnoe,  röchelndes  Atmen,  erweiterte,  auf  Licht  nicht 
reagierende  Pupillen ;  nach  fünf  Minuten  begannen  beide  Augen 
zu  tränen,  dann  wurden  beide  Bulbi  nach  links  gewendet;  nach 
15  Minuten  kehrte  das  Bewußtsein  zurück,  wonach  den  Patienten 
«Mii  Gefühl  der  Kälte  und  bedeutender  Schwäche  umfing.  'Einen 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


415 


dcrarligeii  Anfall  soll  f’al.  iiieiiuils  früher  gehabt  haben.  (Acqiii- 
valent  eines  epileptischen  Anfalles?) 

Am  21.  März  veiiieti  Pat.  die  Klinik  auf  eigenes  Verlangen 
und  kam  am  21.  April  zum  drittenmal  zurück.  Diesmal  gainer 
an,  daß  er  vor  zwei  Wochen  zu  Hause  während  eines  der  Husten- 
anfälle,  die  ihn  die  ganze  Zeit  hindurch  quälten,  einen  starken, 
mehrere  Tage  dauernden  Blutsturz  gehabt  habe. 

22.  April.  Die  Untersuchung  des  Sputums  auf  Tüberkel- 
bazillen  gab  jetzt  zum  erstenmal  einen  positiven  Befund.  Der 
Limgenstatus  war  unverändert.  Die  Temperatur  war  teils  normal, 
teils  leicht  subfebril,  Maximum  37-8°  C.  Während  des  diesmaligen 
Aufenthaltes  in  der  Klinik  traten  neben  den  früliercn  Symptomen 
Lungenblutimgen,  die  zwar  nicht  sehr  stark  waren,  doch  sich 
häufig  wiederholten,  auf  den  ersten  Plan. 

Am  11.  Mai  verließ  Pat.  die  Klinik  auf  eigenes  Verlangen. 

Am  8.  Juni  suchte  Pat.  die  Klinik  zum  viertenmal  auf  und 
klagte  übej-  fortwährendes  Blutspucken,  Heiserkeit,  Schmerzen 
in  den  Fingern  .der  linken  Hand  von  derselben  Art  wie  früher 
und  über  bedeutende  SchAväche.  Bei  der  Untersuchung  wurde 
ein  Aveiteres  Fortschreiten  des  tuberkulösen  Prozesses  konstatiert. 

Die  Temperatur  war  Avährend  des  diesmaligen  Aufenthaltes 
in  der  Klinik  nonnal,  nur  an  manchen  Tagen  subfebril  (Maximum 
37-6°  C),  Lungenblutungen  Avaren  diesmal  nicht  vorhanden.  Wegen 
Schluß  der  Klinik  zu  Ende  des  Semesters  begab  sich  Patient 
am  12.  Juli  1902  nach  Hause. 

Nachdem  er  sich  am  30.  September  1902  zum  lünftenmal 
in  die  Klinik  meldete,  gab  er  an,  daß  er  die  ganze  Zeit  zu 
Hause  bettlägerig  war.  Die  Heiserkeit  dauerte  immerfort  an,  ebenso 
der  Husten,  bei  welchem  Pat.  ein  schleimig-eitriges  Sputum  in 
ziemlich  reichlicher  Menge,  doch  ohne  Blutbeimischung,  abson¬ 
derte.  Außerdem  hätte  er  an  profusen  nächtlichen  SchAveißen 
gelitten,  Fieber  Aväre  nicht  dageAAmsen.  Der  Appetit  soll  erhalten 
gewesen  sein,  doch  wäre  nach  Nahrungsaufnahme  oft  Aufstoßen 
ohne  Nachgeschmack  aufgetreten,  der  Stuhl  war  dauernd  ver¬ 
hallen.  Seit  ZAvei  Monaten  seien  zu  diesen  Erscheinungen  ein 
Druck  in  der  Magengrube  und  krampfartige,  von  einem  Brennen 
eingeleitete  und  nach  beiden  Rippenbögen  ausstrahlende,  •  von 
der  Nahrungsaufnahme  unabhängige  Schmerzen  hinzugetreten.  Die 
Intensität  dieser  täglich  sich  Aviederholenden  Schmerzen  sei  sehr 
heftig  und  die  Zeit  ihrer  Dauer  zehn  bis  ZAVölf  Stunden  gewesen. 
Bei  der  Untersuchung  Avaren  die  Lungenveränderungen  von  der 
Art,  wie  beim  letztenmal.  An  den  unteren  Extremitäten  Avar  ein 
leichtes  Oedem  zu  konstatieren. 

Was  den  Verlauf  anbetrifft,  so  Avar  die  Temperatur  mit  Aus¬ 
nahme  des  ersten  Tages  (38-7®  C)  normal,  gegen  das  Ende  des 
Ijobens  subnormal.  Radialpuls  durchschnittlich  90  in  einer  Minute. 
Die  Tagesmenge  des  Urins  betrug  1800  bis  2000  Cm^,  spezifisches 
Gewicht  1016,  ohne  abnorme  Bestandteile. 

Am  2.  Oktober  und  in  den  folgenden  Tagen  klagte  Patient 
über  heftige  Schmerzen  in  der  Magengrube,  die  nach  beiden 
Rippenbögen,  sowie  nach  oben  gegen  den  Thorax  ausstrahlten. 
Mäßiger  Husten,  Amn  Tag  zu, Tag  sich  steigernde  ScliAväche,  immer 
größere  Apathie,  Sopor,  Pat.  Avill  keine  Nahrung  zu  sich  nehmen. 

15.  Oktober  1902.  Exitus  letalis. 

Ueber  die  Blutuntersuchungsresultate  Avird  Aveiter  unten  be¬ 
richtet  Averden. 

Die  klinische  Diagnose  lautete :  Splenectomia  ante  IV2  annos 
nunc  leucaemia.  Tuberculosis  chronica  destructiva  pulmonis 
utriusque  praecipue  sinistri. 

Die  pathologisch -anatomische  Diagnose  (Privatdozent  Doktor 
Kucera)  lautete:  Tuberculosis  pulmonumi  chronica  destructiva 
et  indurativa  lobi  super,  sinistri.  Caverna  chronica  ad  basim 
lobi  super,  dextri.  Eruptio  miliaris  chronica  dispersa.  Pleuritis 
chronica  fihrosa  ambilateralis.  Myocarditis  chronica  fibrosa  ven- 
triculi  sinistri.  Hypertrophia  et  dilatatio  cordis  utriusque.  Degene- 
ratio  adiposa  myocardii.  Atheroma  aortae.  Ulcus  verisimiliter 
pepticum  partis  pyloricae  ventrieüli.  Peritonitis  chronica  adhae- 
siva  in  regione  hypochondrii  post  resectionem  lienis.  Enteritis 
catarrhalis  chronica.  Anaemia  universalis.  Nephritis  chronica  indu¬ 
rativa  dispersa.  Oedema  extremitatum  inferiorUm. 

Ueber  das  Resultat  der  Knochenmarksuntersuchung  Avird 
unten  die  Rede  sein. 

Indem  wir  nun  zu  der  kritischen  Beurteilung 
des  beschriebenen  Falles  übergehen,  glauben  wir,  des 
besseren  Verständnisses  halber,  im'  Krankheits verlaufe 
unseres  Patienten,  insofern  derselbe  in  der  Klinik  beob¬ 
achtet  wurde,  drei  Stadien  unterscheiden  zu  müssen : 
I.  Stadium  vor  der  Milzexstirpation,  II.  Amrühetgehendes 
(drei,  resp.  fünf  Monate  dauerndes)  Stadium  nach  der 


Splenektomie  und  das  die  ganze  Beobachliuigszeit  in  der 
interoen  Klinik  bis  zum  Tod  umfassende  III.  Stadimn. 

Um  uns  über  den  Zustand,  den  Patient  im  I.  Sladium 
darbot,  Klarheit  zu  verschaffen,  müssen  Avir  uns  auf  die 
schon  früher  erAvähnte  Arbeit  Jasiiiskis“)  stützen.  Nach 
derselben  Avurde  damals  bei  dem  Patienten  folgendes  fest¬ 
gestellt:  Lungenemphysem,  diffuser  Bronchialkatarrh, 

mäßige  Vergrößerung  der  Lel)er,  im  Urin  Spuren  x-on  Ei- 
Aveiß,  zuletzt  ein  beträchtlicher  Milzlumor.  Die  auf  diesem 
Untersuchungsbefund  und  der  eingangs  angegebenen  Anam¬ 
nese  beruhende  klinische  Diagnose  lautete  damals:  Tünioi' 
lienis  chronicus,  prol)ahiliter  malaricus;  die  anatomische, 
aus  der  Untersuchung  der  exstirpierten  Milz  resultierende 
Diagnose:  Tumor  lienis  chronicus,  mit  Rücksicht  auf  den 
Blutbefund  pseudoleucaemicus. 

Was  die  \mm  Anatomen  gestellte  Diagnose  ,,Pseudo- 
leukämie“  betrifft,  so  müssen’  wir  Amm  klinischen  Stand¬ 
punkte  bemerken,  daß  die  Blutuntersuchuiigen  der  letzten 
Jahre  uns  schon  heute  eine  Unterscheidung  der  einzelnen 
Formen  der,  sei  es  i,n  den  Lymphdrüsen,  sei  es  in  der 
Milz  oder  irgenchAm  anders  auftretenden  Hyperplasie,  die 
früher,  Avenn  nur  keine  leukämischen  Blutveränderungen 
Amrhanden  Avaren,  ohne  Aveiteres  mit  dem  gemeinsamen 
Namen  ,, Pseudoleukämie“  bezeichnet  Avurden,  ermöglichen. 
Denn  in  dem  Maße,  als  unsere  häinatologischen  Kenntnisse 
sich  erweiterten,  kam  es  zum  Vorschein,  daß  man  in  dieser 
Gruppe  ganz  Amrschiedene  Krankheitszustände,  Avie  die  echte 
Pseudoleukämie,  Tuberkulose,  Lymphosarkomatosis  (Kun¬ 
drat)  u.  s.  Av.,  Avelche  Avir  allmählich  Amneinander  zu  unter¬ 
scheiden  lernen,  Amrmengte.  Indem  Avir  also  heute  unter 
Pseudoleukämie  eine  echte  Hyperplasie  der  lymphadenoi- 
dalen  Elemente,  sei  es  in  den  Lymphdrüsen,  sei  es  in  der 
Milz  oder  auch  im  Knochenmark,  Amrstehen,  erfordern  Avir 
zAvecks  Stellung  einer  richtigen  Diagnose  eine  für  dieses 
Krankheitsbild,  Avie  Pinkus  erAviesen  hat,  charakteristische 
relative  Lymphozytose  im  Blute.  Da  aber  solche  im  Blute 
unseres  Patienten  zu  jener  Zeit  nicht  nachgeAviesen  Averden 
konnte,  so  darf  man  vom  klinischen  Standpunkt  in  diesem 
Falle  von  einer  Pseudoleukämie  überhaupt  nicht  sprechen. 
Vollkommen  richtig  Avar,  Avie  Avir  schon  früher  ei’Avähnt 
haben,  die  Diagnose :  Tümor  lienis  malaricus,  Aveil  in  An¬ 
betracht  dessen,  daß  Pat.  laut  Anamnese  durch  eine  Reihe 
von  Jahren  u.  zav.  schon  seit  der  frühesten  Jugend  an 
Malaria  litt  und  ebensolange  im  linken  Hypochondrium  die 
Amn  der  Milz  ausgehende  Geschwulst  fühlen  konnte,  der 
Milz  tumor  höchstAvahrscheinlich  malarischen  LTrsprunges 
Avar.  Indem  wir  nun  dieser  klinischen  Diagnose  im  Prinzip 
beistimmen,  müssen  Avir  noch  ein,  in  der  damaligen  Krank¬ 
heitsgeschichte  zu  Avenig  berücksichtigtes  Symptom  herAmr- 
heben,  das  dem  ganzen  Fall  ein  jedenfalls  charakteristisches 
Gepräge  verleiht. 

Denn  wenn  Avir  nun  die  den  Blutbefund  Amr  der  Milz¬ 
exstirpation  wiedergehende  Tabel[le  I  näher  ins  Auge  fassen, 
so  fällt  uns  Amr  allem  eine  Vergrößerung  der  Erythrozyten¬ 
zahl  oder  Polyglobulie  und  dann  eine  Leukozytose  und  zAvar 
mit  neutrophilem  Charakter  auf.  Da  im  Organismus  des 
Patienten  keine  derjenigen  Veränderungen,  die  geAvöhnlich 
eine  Vermehrung  der  Erythrozyten  Amrursachen,  aufzufinden 
Avar  u.  ZAV.  weder  Insuffizienz  des  Herzmuskels,  noch  über¬ 
haupt  welche  Stauungserscheinungen  (Puls  72,  regelmäßig, 
gut  gespannt,  keine  Oedeme),  sO'  geAvinnt  dieses  Symptom 
eine  höhere  Bedeutung  und  da  sich  noch  außerdem  ein  sehr 
heträchtlicher  Milztumor  hinzugesellte,  so  müssen  Avir 
unseren  ganzen  Fall  als  zur  Gruppe  der  in  der  letzten  Zeit 
immer  öfter  beschriebenen  Fälle  der  Polyglobulia  cum  spleno- 
megalia  et  cyanosi  gehörig  betrachten,  obAvohl  in  unserem 
Fall  keine  Zyanose  vorhanden  war.  ZAvar  ist  der  eben  ge¬ 
nannte  Sym'ptomenkomplex  noch  nicht  genau  festgestellt 
und  sind  die  Akten  in  .  dieser  Frage  noch  lange  nicht  end¬ 
gültig  geschlossen,  dennoch  erscheint  mis  die  A'on  Professor 
Crluzinski^)  in  der  Sitzung  der  Lemherger  med.  Gesell- 
I.  c. 

*)  Tygodnik  lekarski  1906,  Nr.  24. 


Nr.  14 


41- . 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Schaft  am  8.  Juni  1906,  anläßlich  dreier  vom  Dozenten 
Rencki  demonstrierter  Fälle  von  Polyzythämie  mit  Milz¬ 
tumor  und  Zyanose  geäußerte  Ansicht,  es  sei  hier  die  Poly- 
glohulie  als  Hauptsymptom  zu  betrachten,  während  die  Milz¬ 
vergrößerung  nur  von  sekundärer  Bedeutung  sei,  am  meisten 
plausibel.  Möglicherweise  könnte  der  Milztumor  seine  Ent¬ 
stehung  analog  der  Leukämie  einer  erythroblastischen 
iMetaplasie  verdanken,  was  natürlich  noch  durch  genaue 
histologische  Untersuchungen  der  Milz  in  derartigen  Fällen 
zu  beweisen  wäre. 

Von  noch  geringerer  Bedeutung  scheint  die  Zyanose 
zu  sein,  die  in  einigen  Fällen  auftritt,  in  anderen  aber  gar 
nicht  vorhanden  ist. 

Was  die  Pathogenese  dieser  Fälle  betrifft,  so  liegt  mit 
Rücksicht  auf  das  Kardinalsymptom,  die  Polyglobulie,  die 
Vermutung  nahe,  daß  die  Ursache  der  Erkrankung  im 
Knochenmark,  speziell  in  seinem  die  Erythrozyten  bildenden, 
dem  sog.  „erythroblastischen“  Teil  gelegen  ist.  Die  gestei¬ 
gerte  Tätigkeit  dieses  Gewebes  kann  uns  die  Vergrößerung 
der  Erythrozytenzahl  genügend  erklären.  Wir  sind  um  so 
mehr  geneigt,  diese  übrigens  schon  von  anderen  ausgespro¬ 
chene  Deutung  zu  akzeptieren,  als  in  der  Mehrzahl  der  be¬ 
schriebenen  Fälle  neben  der  Polyglobulie  auch  eine  neutro¬ 
phile  Leukozytose  besteht,  die  wieder  als  Reizungssymptom 
des  leukoblastischen  Knochenmarkteiles  aufzufassen  ist. 
Auch  in  unserem  Falle  bestehen  ähnliche  Verhältnisse,  da 
hier  ebenfalls  eine  deutliche  neutrophile  Leukozytose  sicht¬ 
bar  ist.  Wir  hätten  also-  in  diesem  Falle  mit  einem  Reiz¬ 
zustande  des  ganzen  Knochenmarkes  u.  zw.  sowohl  seines 
erythroblastischen,  wie  auch  leukoblastischen  Teiles  zu  tun. 
Die  Frage  über  die  diesen  Reizungszustand  hervorrufende 
Ursache  ist  auch  noch  nicht  gelöst.  Soweit  sich  bisher  be¬ 
urteilen  läßt,  kann  der  beschriebene  pathologische  Zustand, 
des  Blutes  von  verschiedenen,  sei  es  auf  die  Milz,  sei  es 
auf  IMilz  und  Leber  oder  auch  direkt  nur  auf  das  Knochen¬ 
mark  wirkenden  Krankheitserregern  (Tuberkulose,  Lues  und 
Malaria)  hervorgerufen  werden. 

So  vermutete  man  anfangs,  daß  der  Ausgangspunkt 
dieses  Leidens  eine  primäre  Tuberkulose  der  Milz  sei ;  doch 
sind  sichere  Fälle  von  Polyglobulie  bekannt,  wo  keine  Milz¬ 
tuberkulose  vorlag  und  wo  sogar  keine  Milzvergrößerung 
vorhanden  war.  Ich  erwähne  diese  Anschauung  nur  deshalb, 
weil  man  in  unserem  Falle  Tuberkulose  der  Milz  annehmen 
könnte,  in  Anbetracht  dessen,  daß  später  Lungentuberkulose 
sich  entwickelte.  Doch  wurden  vom  Anatomen  keine  makro¬ 
skopischen  tuberkulösen  Veränderungen  in  der  Milz  vor¬ 
gefunden,  und  eine  genauere  Untersuchung  in  dieser  Rich¬ 
tung  wurde  leider  nicht  ausgeführt.  Immerhin  können  wir, 
wieder  zu  unserem  Falle  zurückkehrend,  den  Zustand 
unseres  Patienten  bei  der  Aufnahme  in  die  chirurgische 
Klinik  als  Tumor  lienis  chronicus  cum  polyglobulia  definieren 
mit  der  Bemerkung,  daß  wir  als  denjenigen  Faktor,  der  den 
ganzen  Krankheitszustand  hervorgerufen  hat,  eine  lang¬ 
dauernde  Malaria  betrachten.  Erst  von  diesem  Standpunkt 
betrachtet,  gewinnt  unser  Fall  Interesse. 

Wir  kommen  jetzt  zum  II.  Stadium  des  Krankheits¬ 
prozesses.  Am  1.  Mai  1901  wurde  die  Milz  exstirpiert! 
Die  nach  dieser  Operation  ausgeführten  Blutanalysen  stellt 
Tabelle  II  vor.  Beim  näheren  Studium  dieser  Tabelle  fällt 
uns  zuerst  eine  bedeutendere  Vermehrung  der  Leukozyten¬ 
zahl  auf,  die  erst  nach  anderthall)  Monaten,  stufenweise 
abnehmend,  die  vor  der  Operation  konstatierte  Zahl  er¬ 
reichte.  Diese  Leukozytose  besitzt  anfangs  einen  neutro¬ 
philen  Charakter,  ebenso  wie  vorher,  später  werden  die 
Verhältnisse  etwas  anders,  worauf  wir  weiter  unten  zurück¬ 
kommen  werden.  Die  Zahl  der  Erythrozyten  aber  geht, 
nachdem  sie  am  Tage  nach  der  Operation  bis  zu  sieben 
i\Iillionen  hinaufstieg,  langsam,  mit  geringen  Schwankungen 
zur  Norm  herunter;  im  Blute  beginnen  kernhaltige  Erythro¬ 
zyten  vom  Typus  der  Normoblasten  aufzutreten.  Für  die 
Entstehung  der  eben  geschilderten  Blutveränderungen  sind. 


wie  es  schon  übrigens  Jasihski^j  in  seiner  Arbeit  hervor¬ 
gehoben  hat,  dreierlei  Einflüsse  maßgebend:  vor  allem  die 
Exstirpation  der  Milz,  als  eines  Blutbildungsorganes,  sodann 
der  Blutverlust  bei  der  Operation,  schließlich  die  lokale 
Eiterung  in  der  Bauchdeckenwunde.  Jeder  dieser  drei  Fak¬ 
toren  ist  für  sich  selbst  imstande,  das  Verhalten  der  weißen 
Blutkörperchen  zu  rechtfertigen.  Die  Eiterung  wird,  wie  be¬ 
kannt,  sehr  oft  von  einer  Leukozytose  begleitet,  nach 
größeren  Blutverlusten  beobachten  wir  ebenfalls  eine  Leuko¬ 
zytose  als  Symptom  einer  traumatischen  Anämie,  nebenbei 
Erythroblasten  als  Regenerationserscheinung  seitens  der 
roten  Blutkörperchen. 

Endlich  zieht  die  Splenektomie  außer  einer  gestei¬ 
gerten  Funktion  der  Lymphdrüsen  auch  eine  regere  Tätigkeit 
des  Knochenmarkes  nach  sich.  Wir  dürfen  gleichzeitig  nicht 
vergessen,  daß  die  oben  erwähnten  Einflüsse  auf  einen 
Organismus  einwirkten,  in  welchem  bereits  früher  anormale 
Verhältnisse  im  Blute  herrschten. 

Einen  Mo-nat  nach  dem  Eingriff,  da  angenommen 
werden  kann,  daß  Pat.  nach  erlittenem  Blutverluste  Zeit 
hatte,  sich  zu  erholen  und  die  Wunde  nach  der  Operation 
fast  geheilt  war,  verändert  sich  das  gegenseitige  Verhältnis 
der  weißen  Blutkörperchen  so,  daß  (8.  Juni  und  21.  Juni) 
an  Stelle  der  bisherigen  neutrophilen  Leukozytose  eine 
jedenfalls  deutliche,  relative  Lymphozytose  eintritt.  Diese 
Lymphozytose,  die  sich  durch  vikariierende  Funktion  der 
Lymphdrüsen  erklären  läßt,  tritt  nicht  so  deutlich  auf  den. 
ersten  Blick  hervor,  wie  es  gewöhnlich  in  experimentellen 
Fällen  von  Splenektomie  bei  Tieren  (Kurlöw)  vorkommt 
oder  auch  in  entsprechenden  Fällen  bei  Menschen  (Beck, 
Riegner,  Hartmann  und  Vaquez),  doch  muß  man  in 
unserem  Fall  diesen  Umstand  berücksichtigen,  daß  sich 
diese  Lymphozytose  auf  Grund  einer  neutrophilen  Leuko¬ 
zytose  entwickelt,  welche  sie  vorerst  quasi  'beseitigen  mußte, 
um  erst  sichtbar  zu  werden.  Was  das  Verhalten  der  roten 
Blutkörperchen  nach  der  Splenektomie  anbetrifft,  so  fällt 
uns  vor  allem  die  bedeutende  Vermehrung  ihrer  Zahl  bis 
auf  sieben  Millionen  am  zweiten  Tage  nach  der  Operation 
auf.  Aehnliche  Verhältnisse  fanden  auch  Hartmann  und 
Vaquez  (nach  ,, Anämie“  in  Nothnagels  Handbuch  zit.) 
in  einem  ihrer  Fälle  von  Splenektomie.  Dieses  Symptom 
kann  möglicherweise  durch  die  Annahme  erklärt  werden, 
daß  das  Knochenmark  noch  nicht  imstande, war,  die  hämato- 
lytische  Tätigkeit  der  Milz  zu  übernehmen.  Die  später 
folgende  Verringerung  der  FAythrozytenzahl  in  dieser  Periode 
im  Vergleich  zum  früheren  Zustand  ist  unserer  Ansicht  nach 
ein  Symptom  von  relativer  Anämie,  welche  teils  durch  den 
Blutverlust  bei  der  Operation,  teils  durch  den  febrilen  Zu¬ 
stand,  den  die  Eiterung  der  Wunde  verursachte,  zu  er¬ 
klären  ist. 

So  blieb  zu  Ende  des  Aufenthaltes 'des  Patienten  in  der 
chirurgischen  Klinik  von  der  früheren,  vor  der  Splenek¬ 
tomie  bestehenden  Polyglobulie  scheinbar  nichts  zurück, 
da  das  Hauptsymptom,  nach  welchem  die  Krankheit  be¬ 
nannt  wurde,  nämlich  die  Vermehrung  der  Erythrozyten¬ 
zahl,  fehlt.  Wenn  wir  aber  das  Wesen  der  Polyglobulie 
in  einer  gesteigerten  Tätigkeit  des  Knochenmarkes  und  be¬ 
sonders  seines  erythroblastischen  Teiles  erkennen  werden, 
so  müssen  wir  sagen,  daß  in  ihm  ein  Reizzustand  existiert, 
worauf  die  Anwesenheit  der  Normoblasten  und  die  deutliche 
Leukozytose  hinweisen.  Nur  geht  dieses  Knochenmark  vom 
erythroblastischen  Reizungszustand  in  ein  sozusagen  para¬ 
lytisches  Stadium  langsam  über;  das  erythroblastische  Ge¬ 
webe,  dessen  Tätigkeit  vordem  zwar  gesteigert,  aber  dabei 
funktionstüchtig  war,  weist  bereits  die  ersten  Anzeichen 
einer  beginnenden  Erschöpfung  auf,  während  der  leuko- 
blastische  Teil  in  dieser  Periode  noch  immer  Symptome 
der  Reizung  darbietet. 

Für  die  Richtigkeit  unserer  Annahme  spricht  der  Blut¬ 
zustand  unseres  Patienten  im  HI.  Stadium,  an  dessen  Be¬ 
sprechung  wir  uns  nun  machen  wollen. 


9  1.  c. 


Nr.  U 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


417 


Wie  aus  der  eingangs  angegebenen  Krankengeschichte 
erhellt,  erkrankte  der  Patient  zwei  Tage,  nachdem  er  in  die 
interne  Klinik  anfgenommen  wurde,  an  linksseitiger  krup¬ 
pöser  Pneumonie  mit  äußerst  schwerem  Verlauf.  Am 
siebenten  Tage  besserte  sich  der  Allgemeinzustand  zu¬ 
sehends,  die  bisher  hohe  Temperatur  nahm  (einen  subfebrilen 
Charakter  an,  und  blieb  auf  diesem  Niveau  lange  Zeit  hin¬ 
durch,  die  physikalischen  Verändenmgen  in  der  affizierten 
Lunge  traten  gleichfalls  nicht  zurück.  Wie  der  weitere  Ver¬ 
lauf  bewies,  entwickelte  sich  auf  dem  von  der  Lungen¬ 
entzündung  sichtlich  vorbereiteten  Gmnde  eine  chronische, 
bisher  latent  gewesene  Tuberkulose,  deren  einziges  Sym¬ 
ptom  vor  Auftreten  des  Entzündungsprozesses  eine  leichte 
Dämpfung  in  der  rechten  Lungenspitze  war. 


Spur  mehr  zu  sehen.  Dafür  treten  jetzt  im  Blute  die  Norino- 
blaston  ziemlich  reichlich  auf,  am  4.  März  sehen  wir  auf 
407  Leukozyten  neun  Normoblasten,  von  nun  an  wächst  ihre 
Zahl  ständig.  Am  19.  Juni  haben  wir  auf  524  Leukozyten 
schon  210  Normoblasten,  die  überdies  zahlreiche  Mitosen 
aufweisen,  am  24.  Juni  auf  530  Leukozyten  174  Normo¬ 
blasten,  am  4.  Juli  auf  720  Leukozyten  178  Normoblasten. 
Wälirend  des  letzten  Aufenihaltes  des  Patienten  in  unserer 
Klinik,  d.  i.  kurz  vor  seinem  Tode,  gelangt  die  Zahl  der 
Normoblasten  zu  kolossaler  Höbe :  8.  Oktober  auf  769  Leuko¬ 
zyten  414  Normoblasten,  das  bedeutet  mehr  als  die.  Hälfte 
der  weißen  Blutkörperchen,  auß,erdem  Megaloblasten,  am 
9.  Oktober  gleicht  die  Zahl  der  Normoblasten  der  Zahl  der 
Leukozyten,  am  13.  Oktober  übersteigt  ihre  Anzahl  die  der 


Tabelle  III. 


Datum 

Zahl  der 
Leukozyten 

Zahl  der 
Erythrozyten 

ec; 

Hämoglobin 

Fleischl 

Färbungs¬ 

index 

Prozent-Gehalt  der  Leukozyten 

Bemerkung 

Polymorph¬ 

kernige 

Neutrophile 

Kleine 

Lympho¬ 

zyten 

Große 

Lympho¬ 

zyten 

Mono¬ 

nukleäre 

Leuko¬ 

zyten 

Eosino¬ 

phile 

üeber- 

gangs- 

zellen 

Neutro¬ 

phile 

Myelo¬ 

zyten 

!  3./I. 

1902 

39.500 

3,168.750 

1  :80 

45 

0-7 

— 

— • 

— 

— 

— 

— 

— 

.  15./I. 

26  050 

3,725.000 

1 :143 

55 

0-7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

21./I. 

21.500 

4,100.000 

1:190 

60 

0-7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

27./II. 

37.300 

4,368.500 

1 :117 

54 

0-6 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4./II1. 

— 

— 

— 

— 

—  ’ 

84-7  j  7-1 

0-7 

0 

6-3 

0-9 

0 

Auf  407  Leukozyten  9  Normoblasten 

23./IV. 

31.125 

5,625.000 

1:180 

— 

— 

81-8 

5-3 

0-8 

0-9 

7-1 

.  . 

3-6 

0 

Auf  709  Leukozyten  15  Normoblasten 

28./IV. 

— 

— 

— 

— 

— 

82-2 

86 

0-9 

0 

5  2 

2-4 

0-5 

Auf  1185  Leukozyten  31  Normoblasten 

2./V. 

31.000 

4,243.500 

1;136 

40 

05 

83-3 

6-4 

0-5 

01 

6-9 

2T 

02 

Auf  1080  Leukozyten  39  Normoblasten 

7.1V. 

33.850 

4,007.000 

1:118 

40 

05 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

lO./VI. 

— 

— 

— 

— 

— 

81-2 

7-4 

0-6 

0 

96 

09 

0 

Auf  924  Leukozyten  22  Normoblasten 

19./ VI. 

. 

— 

— 

— 

— 

— 

83 

9-7 

11 

0 

4-5 

1-5 

0 

Auf  524  Leukozyten  210  Normoblasten. 

In  denselben  zahlreiche  Mitosen 

24./VI. 

— 

— - 

— 

— 

79  6 

7-7 

1-1 

0-8 

9 

1-5 

0 

Auf  530  Leukozyten  174  Normoblasten 

4./VII. 

42.350 

3,237.500 

1  :76 

40 

0-6 

72-9 

8-7 

16 

0-7 

7 

8-3 

0-6 

Auf  720  Leukozyten  178  Normoblasten 

8./X. 

164.000 

— 

— 

20 

— 

82 

5-7 

2-2 

0-2 

1-4 

5-9 

26 

Auf  769  Leukozyten  414  Normoblasten, 

7  Megaloblasten.  Bedeutende  Leuko- 
zytolyse,  Mitosen  in  Normoblasten  — 

9./X. 

— 

— 

— ■ 

— 

— 

89-4 

4-4 

1-0 

0 

1-4 

2T 

02 

Auf  694  Leukozyten  619  Normoblasten, 

3  Megaloblasten 

13./X. 

— 

— 

— 

— 

— 

77-5 

11-8 

3-2 

0-4 

2-6 

3-2 

1-0 

Auf  491  Leukozyten  745  Normoblasten, 

1  Megaloblast.  Bedeutende  Leukozyto- 
und  Lymphozytolyse. 

15./X. 

55.400 

1,385.000 

1:25 

20 

07 

87-8 

4-8 

2  1 

0 

0-5 

29 

1*4 

I 

Auf  411  Leukozyten  996(1)  Normo¬ 
blasten.  Geringere  Lymphozytolyse 

Wir  werden  an  dieser  Stelle  weder  den  Verlauf  der 
Pneumonie,  noch  den  ihn  begleitenden  Zustand  des  Blutes 
besprechen,  weil  das  zum  Gegenstand  einer  besonderen 
Arbeit  werden  soll,  und  schreiten  jetzt  zur  Analyse  des 
Blutes  unseres  Patienten  von  dem  Augenblick  an,  wo  wir 
annehmen  können,  daß  sein  Organismus  sich  nicht  mehr 
unter  dem  Einfluß  der  Pneumokokkeninfektion  befand,  das 
ist  vom  3.  Jänner  1902.  An  diesem  Tage  wurden  es  eben 
drei  Wochen,  seitdem  die  Lungenentzündung  endete,  und 
das  vorherrschende  Leiden  ist  nun  Tuberkulose.  Den  dazu¬ 
gehörigen  Blutzustand  weist  Tabelle  HI  auf.  Wenn  wir  das 
Verhalten  der  roten  Blutkörperchen  in  diesem  Stadium  ins 
Auge  fassen,  bemerken  wir,  daß  ihi'e  Anzahl  schon  vom 
Anfang  an  verringert,  zu  Ende  des  Lebens  noch  weiter 
sinkt  und  am  Tage  des  Ablebens  kaum  1,385.000  beträgt. 
Von  der  früher  bestehenden  Polyglobulie  ist  folglich  keine 


Leukozyten  fast  doppelt  und  am  Tage  des  Todes  haben 
wir  auf  411  Leukozyten  996 (!)  Normoblasten. 

Die  weißen  Blutkörperchen  befinden  sich  im  Blute  in 
vergrößerter  Anzahl,  durchschnittlich  über  30.000,  zu  Ende 
des  Lebens  haben  wir  noch  höhere  Ziffern  (8.  Oktober 
154.000,  15.  Oktober  55.000).  Diese  Leukozytose  hat  ständig 
einen  neutrophilen  Charakter,  in  der  späteren  Periode  treten 
neutrophile  Myelozyten  auf. 

Wir  müssen  jetzt  die  Frage  beantworten,  ob  über¬ 
haupt  und  auf  welche  Weise  das  Verhalten  des  Blutes  in 
dieser  Periode  auf  Grund  der  im  Körper  des  Patienten  fest¬ 
gestellten  pathologischen  Veränderungen  zu  erklären  sei. 
Die  Verringemng  der  roten  Blutkörperchen  kann  in  unserem 
Falle  als  Fölgezustand  der  Lungentuberkulose,  des  fast  un¬ 
unterbrochen  dauernden  Fiebers,  der  Lungenblutungen  usw. 
sehr  leicht  begreiflich  sein.  Schwieriger  ist  es,  die  Ursache 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


des  so  massenhaften  Auftretens  der  Normoblasten  im  Blute 
ausfindig  zu  machen.  Wenn  noch  in  der  Periode  vom 
23.  April  bis  zum  7.  j\Iai  die  Lungenblutungen  zur  Not 
als  Quelle  dieses  Phänomens  betracht  werden  können,  so 
kann  in  der  Folgezeit,  wo  keine  Lungenblntungen  mehr 
vorkamen,  dieser  Faktor  gar  nicht  in  Betracht  kommen  und 
gerade  war  die  Zahl  der  Normoblasten  im  späteren  Stadium 
noch  bedeutender.  Wir  haben  hier  also  vor  uns  unzweifel¬ 
hafte,  weitere  Reizangssymptome  des  .erythroblastischen 
Knochenmarkisgewebes,  ohne  im  Organismus  diejenigen  Ur¬ 
sachen  aufweisen  zu  können,  auf  deren  Wirkung  wir  ge¬ 
wöhnlich  das  Erscheinen  der  Normoblasten  im'  Blute  zurück¬ 
führen.  In  diesem  Falle  erscheint  uns  nur  die  einzige  Deu¬ 
tung  möglich,  daß  dieses  uns  näher  nicht  bekannte  Agens, 
welches  früher  vermöge  seines  auf  das  erythroblastische 
Gewebe  als  Reiz  einwirkenden  Einflusses,  im  Blute  das  Bild 
der  Polyglobulie  herrorgerufen  hatte,  nun  seine  Wirkung 
weiter  ausübt,  nur  äußern  sich  die  Folgen  derselben  jetzt 
anders  u.  zw.  in  der  erhöhten  Zahl  der  Normoblasten  bei 
verminderter  Erythrozytenmenge. 

Deshalb  ist  auch  das  gegenwärtige  Blutbild  als  kon- 
seciuente,  weitere  Fortsetzung  des  früheren  Zustandes  zu 
betrachten,  der  nur  modifizierl  ist  (nicht  in  seinem  Wesen, 
sondern  nur  in  seiner  äußeren  Erscheinungsform),  vor  allem 
durch  die  Milzexstirpation,  dann  durch  die  Lungenentzün¬ 
dung,  endlich  durch  die  Lungentuberkulose. 

Was  wir  über  die .  Normoblasten  gesagt  haben,  läßt 
sich  auch  von  den  weißen  Blutkörperchen 'behaupten.  Durch 
die  ganze  fast,  zehn  Monate  umfassende  Dauer  dieses  Sta¬ 
diums  war  ihre  Menge  bedeutend  vermehrt,  gegen  das  Ende 
kommen  Zahlen  Amr,  denen  man  nur  bei  Leukämie  begegnet, 
was  auch  den  Grund  zur  klinischen  Diagnose  ,,Nunc  leu¬ 
caemia“  abgab.  Die  Leukozytose  besitzt,  wie  erwähnt,  die 
ganze  Zeit  hindurch  einen  neutrophilen  Charakter,  im  Körper 
aber  ist  dauernd  keine  derjenigen  Ursachen,  welche  eine 
derartige  Leukozytose  gewöhnlich  henmiTLifen,  nachzu¬ 
weisen.  Was  die  Leukozytose  anbelangt,  die  nach  Milz¬ 
exstirpation  in  gewöhnlichen,  insofern  normälen  Verhält¬ 
nissen,  als  dabei  keine  Blutverändeningen  vom  Charakter 
der  Polyglobulie  bestehen,  beobachtet  wird,  so  dauert  die¬ 
selbe,  wie  bekannt,  durchschnittlich  sechs  Monate  und  zeigt 
nach  einer  gewissen  Zeit  eine  mehr  weniger  deutliche,  rela¬ 
tive  Lymphozytose,  wie  es  auch  in  unserem  Falle  war; 
doch  kehrt  das  Blut  nach  Ablauf  eines  halben  Jahres  zum 
normalen  Zustand  zurück.  Bei  unseren  Patienten  hingegen 
bleibt  die  Leukozytose  nicht  nur  nach  sechs  Monaten  be¬ 
stehen,  sondern  dauert  bis  zum  Tode,  indem  sie  immerfort 
ibren  neutrophilen  Charakter  beibehält.  Diese  eben  und 
nur  eine  solche  auch  längere  Zeit  und  dauernd 
bestehende  neutrophile  Leukozytose  wäre  für 
diejenigen  Poly  glo  bulie  fälle  char  akter  i  s  tisc  h, 
in  denen  die  Milz  exstirpiert  wurde. 

Es  liegt  hier  also  ein  stetiger  Reizungszustand  des 
leukoblastischen  Knochenmarkgewebes  vor.  Bei  fortwähren¬ 
dem  Andauern  dieses  Reizzustandes  treten  gegen  das  Ende 
neutrophile  Myelozyten,  als  Symptom  der  Ermüdung  auf. 

Das  Knochenmark  befindet  sich  also  während  der 
ganzen  Zeit  unserer  Beobachtung,  das  ist  ein  ganzes  Jahr 
hindurch,  im  Zustande  einer  dauernden  Reizung,  ohne  daß 
eine  sichtbare,  gewöhnliche  Ursache. aufzuweisen  Aväre.  Der 
Annahme  dieses  Reizungszustandes  entspricht  die  bei  der 
Sektion  konstatierte  Beschaffenheit  des  Knochemnarkes  voll¬ 
kommen.  Das  IMark  der  langen  Knochen  (Femur),  ebenso 
der  Rippen  war  lebhaft  rot,  byperplastisch.  Auf  den  Aus¬ 
strichpräparaten  (Femur  und  Rippe)  fand  man:  sehr  zahl¬ 
reiche  Normoblasten,  wenige  Megaloblasten,  neutrophile, 
eosinophile  und  sogar  einige  basophile  Myelozyten,  poly¬ 
morphkernige  neutrophile  und  eosinophile  Leukozyten,  ziem¬ 
lich  zahlreiche  kleine,  in  geringerer  Anzahl  große  Lympho¬ 
zyten,  schließlich  Avenige  Plasmazellen. 

Auf  einem  der  a^oii  der  Rippe  stammenden  Schnitt¬ 
präparate  AAuirden  zwei  typische  IMiliarluberkel  gefunden,  ln 


Anbetracht  ihres  jungen  Habitus  (nach  der  Ansicht  des 
Priv.-Doz.  Dr.  Kucera  konnten  dieselben  vor  höchstens 
drei  Wochen  entstanden  sein)  müssen  A\ür  diesen  Befund 
als  terminalen,  zufälligen,  der  keinen  Einfluß  auf  den  Zu¬ 
stand  des  Blutes  haben  konnte,  betrachten. 

Wenn  Avir  uns  jetzt  noch  einmal  den  Zustand  des 
Blutes  bei  unserem  Patienten  A^om  Anfang  der  Beobach¬ 
tung  bis  zu  seinem  Tode  vergegenwärtigen,  so  verhält  sich 
derselbe  folgendermaßen :  Vor  der  Splenektomie  Avar  die 
Zahl  der  roten  Blutkörperchen  vermehrt,  es  lag  eine  deut¬ 
liche  Polyglobulie  vor,  damit  Avar  eine  unzAveifelhafte  neutro¬ 
phile  Leukozytose  verbunden.  Nach  der  Milzexstirpation 
Avar  das  Bild  ein  Avenig  verAvischt,  teils  infolge  der  Elimi¬ 
nierung  der  Milz  aus  dem  Organismus,  teils  infolge  von 
lokalen  Entzündungsprozessen  am  Orte  der  Wunde;  einen 
Monat  nach  der  Operation  Avar  die  Zahl  der  Erythrozyten, 
schon  nur  normal,  dagegen  begannen  Normoblasten  im  Blute 
aufzutreten.  Die  Leukozyten  waren  im  allgemeinen  ver¬ 
mehrt,  doch  trat  an  die  Stelle  der  bisher  neutrophilen  Leuko¬ 
zytose  eine  relatwe  Lymphozytose  ein,  die  nur  kurze  Zeit 
dauerte,  da  sie  einer  ebenfalls  nur  vorübergehenden  vika¬ 
riierenden  Tätigkeit  der  Lymphdrüsen  ihre  Entstehung  A^er- 
dankte.  ln  dem  Maße,  als  die  Lungentuberkulose  sich  ent¬ 
wickelte,  begann  die  Erythiozytenzahl  sich  zu  verringern, 
dagegen  sehen  Avir  im  .  Blute  immer  mehr  Normoblasten 
erscheinen,  die  Zahl  der  weißen  Blutkörperchen  ist  nun  auch 
größer  als  früher,  der  Charakter  der  Leukozytose  ist  Avieder 
neutrophil  Avie  Amr  der  Milzexstirpation,  in  das  Blut  be¬ 
ginnen  Myelozyten  überzugehen. 

Die  Polyglobulie  wird  also  mit  der  Zeit  unter  dem 
Einflüsse  neuer  pathologischer  Faktoren  in  Anämie  um¬ 
gewandelt,  doch  das  Wesen  des  Prozesses,  das,  was  wir 
von  Anfang  an  als  die  Basis  der  krankhaften  BlutA''erän- 
derungen  in  unserem  Falle  betrachten,  nämlich  der  Reizungs¬ 
zustand  des  Knochenmärkes,  dauert  ununterbrochen  fort 
und  tritt  sogar  immer  deutlicher  hervor.  Als  die  Avahrschein- 
lichste  Ursache  dieser  Reizung  des  Knochenmarkes  aber 
haben  wir  schon  anfangs  die  langdauernde  chronische  Ma¬ 
laria  angegeben.  Diese  bildete  vermutlich  dasjenige  Agens, 
Avelches  auf  eine  uns  bisher  unbekannte  VVeise  das  Knochen¬ 
mark  affizierte,  die  Blutveränderungen  aber  waren  nur  ein 
sekundäres  Folgesymptom. 

Zuletzt  müssen  Avir  iioch  auf  einen  Avichtigen  Punkt 
die  Aufmerksamkeit  richten.  Es  wurde  von  manchen 
Autoren,  die  als  Ursache  der  Polyglobulie  eine  primäre  Er¬ 
krankung  der  Milz  annahmen,  die  Exstirpation  dieses  Organs 
aus  therapeutischen  Gründen  empfohlen.  In  der  oben  er- 
Avähnten  Sitzung  der  medizinischen  Gesellschaft  erwähnte 
Prof.  Gluzinski''')  Avährend  der  Diskussion  über  die  Poly-, 
globulie  ganz  richtig,  daß  die  Exstirpation  der  Milz  in 
solchen  Fällen  ebenso  zAvecklos  sei,  Avie  bei  der  Leukämie. 
Unser  Fall  beweist  auch  in  vollkommen  überzeugender 
Weise,  daß  ein  ähnliches  Verfahren  gar  nicht  begründet 
isl.  Die  Splenektomie  hat  hier  den  pathologischen  Zustand 
des  Blutes  prinzipiell  in  keiner  Hinsicht  verändert.  Es  traten 
nur  für  kurze  Zeit  die  A"on  der  Eliminierung  der  Milz  aus 
dem  Organismus  abhängigen  Erscheinungen  (relatiA^e 
Lymphozytose)  auf,  die  Avesentlichen  Symptome  der 
Knochenmarkreizung  blieben  aber  dieselben.  Es  ist  dies 
übrigens  Amllkommen  verständlich,  in  Anbetracht  dessen, 
daß  in  ähnlichen  Fällen  Amn  Polyglobulie  nicht  in  der  Milz, 
sondern  im  Knochenmark  die  Quelle  der  BlulA-eränderungen 
gelegen  ist. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet,  pieinem  hochver¬ 
ehrten  Chef,  Herrn  Prof.  Dr.  Gluzihski,  für  die  Ueber- 
lassung  des  Falles  und  die  wertvollen  Ratschläge  Avährend 
der  Arbeit  den  tiefsten  Dank  auszusprechen. 


1.  c. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


419 


Zwei  Fälle  von  diffuser  Peritonitis  appendicu- 
laris  mit  nachfolgendem  Darmverschluss. 

Von  Dr.  Erwiu  Nießner,  Ordinarius  des  deutschen  Ritterordens-Spitales 

in  Troppau. 

Die  Zahl  der  Veröffeiitliclmiigen  über  Darm  Verschluß 
als  Spätfolge  von  Appendizitis  ist  bereits  eine  beträchtliche. 
Mac  Williams^)  führt  86  Fälle  dieser  Art  an.  Der  Sitz  des 
Verschlusses  war  fast  stets  der  Dünndarm. 

Wenn  ich  mich  entschließe,  zwei  Fälle  aus  meiner 
Beobachtung  bekannt  zu  geben,  so  geschieht  dies  haupt¬ 
sächlich  deshalb,  weil  sie  eine  seltene  Uehereinstimmung 
in  manchen  Punkten  zeigen  und  weil  sie  geeignet  sind,  die 
Schwierigkeiten  in  der  .Differentialdiagnose  zwischen  Peri- 
lonitis  und  Darmverschluß  nach  Peritonitis  zu  beleuchten; 
es  erweist  sich  dabei  die  Unterscheidung  des  mechanischen 
und  dynamischen  Ileus  als  praktisch  sehr  wichtig. 

Der  durch  Verstopfung  des  Darmes  durch  Steine 
Fremdkörper,  Verschließung  durch  Strikturen,  .Tumoren’ 
Hernien,  Volvulus,  Invagination,  Knickung,  Adhäsionen  ver¬ 
ursachte  mechanische  Ileus  hat  mit  dem  dynamischen  Ileus, 
welcher  durch  Aufhebung  der  motorischen  Funktion  infolge 
Marasmus,  übermäßiger  Ausdehnung  der  Darmwand,  Ver¬ 
giftung  durch  Toxine,  durch  Peritonitis,  Splanchnikuserkran- 
kung  usw.  entsteht,  eine  große  Zahl  gemeinsamer  Symptome. 

Die  hauptsächlichsten  Erscheinungen  sind :  Das  Auf¬ 
hören  des  Abganges  von  Stuhl  und  Gasen,  Erbrechen, 
welches  im  späteren  Stadium  zum  Koterbrechen  wird,  Auf¬ 
getriebensein  des  Bauches,  Aufblähung  des  Darmes,  Puls- 
beschleunigung,  Indikanurie  und  Leukozytose  des  Blutes. 
Die  Temperatur  ist  häufig  normal  oder  subnormal,  später 
bei  AuBreten  einer  Peritonitis  gesteigert.  Bei  einem  durch 
Peritonitis’  veranlaßten  dynamischen  Ileus  treten  selbstver¬ 
ständlich  auch  die  Erscheinungen  der  Bauchfellentzündung 
hinzu:  Spannung  der  Bauchdecken,  kolikaiiige  Schmerzen, 
Druckempfindlichkeit  des  Leibes. 

\on  besonderer  Bedeutung  für  die  Diagnose  des  mecha¬ 
nischen  Ileus  ist  die  Versteifung  des  geblähten  Darmes, 
Asymmetrie  des  aufgetriebenen  Leibes  und  eine  mehr 
weniger  lebhafte  Peristaltik,  die  bei  nicht  zu  starken  Bauch¬ 
decken  durch  die  wechselnde  Füllung,  der  einzelnen  Darm¬ 
abschnitte  sichtbar  wird  und  ein  lebhaftes  Poltern  und  oft 
unaufhörliches  Rollen  im  Leibe  verursacht. 

Doch  sind  diese  Symptome  keine  absoluten,  sondern 
nur  relative,  bald  ist  das  eine,  bald  das  andere  mehr  aus¬ 
geprägt;  so  findet  man  mitunter,  wie  auch  Fed  ermann^) 
in  seiner  trefflichen  Beschreibung  von  sechs  Fällen  von 
bpätileus  nach  Appendizitis  aus  der  Klinik  des  Professors 
Sonnen  bürg  angibt,  noch  häufig  Abgang  von  Stuhl,  wenn 
die  anderen  Zeichen  deutlich  ausgeprägt  sind.  Es  pflegt 
dann  der  Stuhl  in  kleinen  dünnen  Streifen  oder  Stücken  ab¬ 
zugehen. 

Aber  auch  andere  Symptome  z.  B.  die  Schmerzen, 
die  Art  der  Aufblähung,  weisen  Verschiedenheiten  auf.  Ab¬ 
gesehen  von  den  Unterschieden,  welche  durch  Verschieden¬ 
heit  der  Verengungsstelle,  ob  im  Zwölffingerdarm,  ob  im 
lleum,  oh  im  Dickdarm,  bedingt  sind,  spielt  dabei  gewiß 
die  Art  des  Hindernisses  eine  Rolle.  Der  Verschluß  ist  in 
\ielen  fällen  anfangs  kein  vollkommener,  es  gelingt  noch 
der  Darmmuskulatur,  durch  längere  oder  kürzere  Zeit  Darm¬ 
inhalt  durch  die  verengte  Stelle  durchzupressen.  Auf  einmal 
versagt  der  Mechanismus.  Es  mag  dabei  manchmal  idie 
Eindickung  des  Darminhaltes  in  den  unteren  Darm¬ 
abschnitten  und  die  datlurch  bedingte  Vermehrung  des 
Widerstandes,  manchmal  die  Vergiftung  der  Darmmusku¬ 
latur  durch  Toxine  eine  gewisse  Rolle  spielen.  Beim  soge¬ 
nannten  Wringverschluß,  der  durch  Drehung  des  Darmes 
um  seine  Achse  entsteht,  wird  die  Lichtung  um'  so  fester 
verschlossen,  je  stärker  tier  vom  oberen  Abschnitt  wirkende 
Füllungsdruck  ist. 

Intestinal  obstruct,  following  app.  operat.  Med.  and  surg.  report 
Presbyter,  hosp.  New-York  1904. 

b  Langenbecks  Archiv,  Bd.  75. 


Es  ist  begreiflich,  daß  durch  die  Verschiedenheit  der 
Symptome  die  Diagnose  erschwert,  in  manchen  Fällen  un¬ 
möglich  wird. 

Und  doch  hängt  das  ganze  Heil  des  Kranken  von  der 
richtigen  Erkenntnis  des  Zustandes  ab.  Der  Kräfteverfall 
nimmt  von  Tag  zu  Tag  raind  zu  und  die  Erfolgaussichten 
für  eine  Operation  werdeti  immer  trostloser. 

Gilt  doch  für  diese  Fälle  noch  mehr  als  für  den  ein¬ 
geklemmten  Bruch  der  Grundsatz,  vor  Sonnenaufgang  oder 
vor  Sonnenuntergang  zu  operieren,  falls  das  Hindernis  nicht 
behoben  werden  kann. 

Tritt  nach  einer  Peritonitis  ein  mechanischer  Darm- 
yerschluß  ein,  so  wird  die  Diagnose  um  so  schwieriger  sein, 
je  kürzer  die  Zeit  ist,  die  zwischen  der  Peritonitis  und 
dein  Ileus  liegt.  Ist  dagegen  die  Bauchfellentzündung  schon 
längere  Zeit  abgelaufen,  so  wird  die  richtige  Diagnose  keine 
Schwierigkeiten  bereiten. 

Die  Behandlung  wird  entsprechend  der  ernsten  Lage 
eine  zielbewußte  sein  müssen,  es  muß  jedes  Abwarten,  das 
Zeitverlust  und  Gefahr  mit  sich  bringt,  vermieden  werden. 

Gehen  die  Erscheinungen  nach  Entleerung  des  unteren 
Darmabschnittes  durch  hohe  Irrigation  und  durch  eine 
Magenaussiüilung  nicht  sofort  zurück,  so  muß  man  sich 
zur  Operation  entschließen.  Beim  mechanischen  Ileus  ist 
weder  von  Atropin-  noch  Physostigmininjektionen  ein  anderer 
Erfolg  als  nnnötiger  Zeitverlust  und  eine  weitere  Schwächung 
des  Kranken  zu  erwarten. 

Die  Operation  soll  dort,  wo  viele  Verwachsungen  der 
Därme  untereinander  bestehen,  die  Schwäche  des  Patienten 
eine  eingreifendere  Operation  nicht  zuläßt,  in  der  Anlegung 
einer  Darmfistel  bestehen;  dadurch  wird  natürlich  nur  ein 
Provisorium  geschaffen,  ln  vereinzelten  Fällen  soll  sich 
die  Darmfistel  entweder  spontan  oder  nach  Durchquetschung 
der  Spornes  schließen  (WA  1ms D-  Tritt  dieser  günstige  Zu¬ 
fall  nicht  ein,  so  müssen  wir  nach  Hebung  des  Kräfte¬ 
zustandes  das  Hindernis  durch  die  Laparotomie  beseitigen 
und  die  Fistel  verschließen. 

WRiin  möglich,  werden  wir  bei  der  Operation  direkt 
das  Hindernis  angehen  und  die  vielen  Uebelstände,  welche 
die  Darmfistel  mit  sich  bringt,  von  vornherein  zu  vermeiden 
suchen. 

Die  Aussichten  für  die  Operation  sind  uni  so  günstiger, 
je  früher  operiert  wird;  je  weiiter  die  Operation  hinaus ■ 
geschoben  wird,  desto  mehr  wächst  die  Gefahr,  welche 
durch  dm  Darmlähmung,  durch  Gangrän  des  Darmes  und 
Perforation,  Thrombose  der  Mesenterialgefäße  und  Intoxika¬ 
tion  bedingt  ist. 

Federmann  berichtet  über  sechs  Fälle,  von  denen 
vier  durch  Operation  gerettet  wurden,  Broca  über  drei 
letal  verlaufene. 

Von  den  beiden  von  mir  beobachteten  Patientinnen 
starb  die  eine  durch  neuerliches  Auftreten  der  Bauchfell¬ 
entzündung,  während  die  zweite  gerettet  wurde. 

Die  Krankengeschichten  lauten: 

1.  Fall.  M.  C.,  20  Jahre  alt,  Kindergärtnerin,  erkrankte 
am  13.  Dezember  1905  an  heftigen,  sich  steigernden  Leibschmerzen 
und  Erbrechen;  da  gleichzeitig  Blutungen  aus  dem  Genitale 
eintraten,  bezog  sie  diese  Erscheinungen  auf  die  Menses,  so  daß 
erst  am  17.  Dezember,  als  sich  der  Zustand  immer  nieJir  ver¬ 
schlimmerte,  ein  Arzt  zu  Rate  gezoge2i  wurde.  Derselbe  stellto 
sofort  die  Diagnose  auf  Appendizitis,  resp.  Appendizitis  mit  all¬ 
gemeiner  Bauchfellentzündung  und,  überwies  die  Kranke  dem  Zivil¬ 
spital  des  Deutschen  Ritterordens.  Rat.  zeigte  hei  der  am 
18.  Dezember  erfolgten  Spitalsaufnahme  kurz  folgenden  Befuiul : 
Schwächlich  gebautes  Mädchen,  sehr  kollabiert,  Temperatur  38-2, 
Puls  120  bis  130,  Zunge  sehr  trocken,  Bauchdecken  sehr  gespannt, 
Bauch  aufgetrieben,  tym])anilisch,  äußerst  schmerzhaft,  besonders 
in  der  lleocökalgegend,  jedoch  keine  ausgesprochene  Dämpfung, 
durch  die  vaginale  Untersuchung  läßt  sich  aber  eine  bedeutende 
Resistenz  im  rechten  voohuen  Douglas  nachweisem.  Pal.  er¬ 
bricht  von  Zeit  zu  Zeit  grünlichen  Scldeim. 

Entsprechend  der  Diagnose  allgemeine  Peritonitis  appendicu- 
laris  wurde  sofort  zur  Operation  geschritten.  In  Chloroform¬ 
narkose  wird  der  Bauchraum  mittels  Schrägschnitt  nach  Roux 

b  Wilms,  Der  Ileus.  Deutsche  Chirurgie  1906. 


420 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


eröffnet;  sofort  stürzt  reichlich  dünnflüssiger,  graugelber  Eiter 
liervor.  Die  Dai’nischlingen  scheinen  in  Eiter  zu  schwimmen. 
Processus  vermiformis  leiclit  zu  finden,  zeigt  sich  stark  gan¬ 
gränös,  mit  zwei  Perforationsstellen  und  einem  Kotsteinchen.  Nach 
Unterbindung  und  Durchtrennung  des  Mesenteriolums  wird  der 
Appendix  abgetragen,  der  Rest  ins  Cökum  gestülpt  und  die  Serosa 
vernäht.  Der  nochmals  eingehende  Finger  eröffnet  den  Douglas- 
ahszeß.  Ausgiebige  Mikulicz  sehe  Drainage  in  der  ganzen  Inzi- 
sionshreitc.  Intern  täglich  fünf  , Kapseln  Arg.  coli.  Crede  ä  0-30. 

Der  Puls  bessert  sich,  die  Temperatur  ist  durch  mehrere 
Tage  noch  gesteigert,  Stuhl  und  Winde  gehen  ab,  die  Zunge 
wird  rein  und  feucht.  Durch  weitere  fünf  Tage  beinahe  völliges 
Wohlbefinden,  Temperatur  normal,  so  daß  Pat.  schon  als  gerettet 
betrachtet  wird. 

Vom  31.  Dezember  an  zeitweiliges  Erbrechen,  Stuhl  an¬ 
gehalten,  neuerdings  Schmerzen,  Symptome,  die  als  Peritonitis 
gedeutet  wurde.  Auch  der  Abgaug:  der  Winde  hört  auf,  am 
1.  Januar  1906  wird  noch  etwas  Stuhl  entleert.  Doch  das  Er¬ 
brechen  wird  häufiger,  ist  fäkulent,  die  Temperatur  dabei  fast 
normal.  Puls  120.  Die  Dannschlingen  zeichnen  sich  durch  die 
dünnen  Baucbdecken  gut  ab,  zeigen  Steifung  und  deutlich  sicht¬ 
bare  Peristaltik.  Häufiges  Kollern  im  Leibe.  Die  Diagnose  wird 
nun  auf  mechaniseben  Ileus  gestellt  und  am  2.  Januar  der  Bauch¬ 
raum  neuerdings,  u.  zw.  in  der  Mittellinie  eröffnet.  Es  finden  sich 
die  Darmschlingen  sehr  stark  gebläht,  lebhaft  gerötet,  zaJdreiche 
Verlötungen  zwischen  den  Darmschlingen  und  mit  dem  Netz, 
jedoch  nur  geringe  Fibrinauflagerungen  und  fast  kein  Eiter.  Der 
geblähte  Darm  wird  an  mehreren  Stellen  punktiert,  die  Punktions¬ 
stellen  vernäht,  die  Verlötungen  gelöst.  Der  Dickdarm  ist  leer. 
Da  die  geblähten  Dannschlingen  in  das  kleine  Becken  reichen, 
werden  die  Gedärme  fast  ganz  eventriert  und  endlich  zeigt  sich 
im  kleinen  Becken  die  Verschlußistelle.  Ein  Teil  des  untersten 
Ileums  ist  gedreht  und  am  Beckenboden  angelötet.  (Fig.  1.) 
Naht  in  drei  Etagen. 


Fig.  1. 

A  =  abführender  Schenkel. 

Z  ==  zuführender  Schenkel. 

B  =  Beckenboden. 

Am  selben  Tage  gehen  reichlich  Flatus  und  sechs  flüssige 
Stühle  ab.  Auch  weiterhin  bleibt  der  Darm  durchgängig.  Jedoch 
steigt  die  Temperatur,  der  Puls  wird  elend,  am  7.  Januar  kolla¬ 
biert  Pat.  und  es  tritt  Exitus  ein. 

2.  Fall.  M.  D.,  27  Jahre  alt,  Kanzlistensgattin,  erkrankt 
am  24.  März  1906  unter  koiikartigen  Schmerzen,  die  auf  den 
Eintritt  der  Menses  bezogen  werden.  Die  zunehmenden  Schmer¬ 
zen  und  Erbrechen  veranlassen  die  Patientin,  am  28.  März  .ärzt¬ 
liche  Hilfe  zu  suchen. 

Die  Bauchdecken  sind  stark  gespannt,  der  Bauch  aufge¬ 
trieben,  Temperatur  38-6®,  Puls  110,  Zunge  stark  belegt,  häufiges 
Erbrechen. 

Die  sofort  im  Zivilspital  des  Deutschen  Ritterordens  ausge¬ 
führte  Operation  ergibt  diffuse  Peritonitis  appendicularis,  der  Pro¬ 
cessus  vermifonnis,  welcher  an  einer  Stelle  perforiert  ist  und 
in  Avelcbem  sich  ein  größerer  Kotstein  befindet,  wird  reseziert; 
IMikuliczsche  Drainage,  intern  Arg.  coli.  Crede.  ln  den  fol¬ 
genden  Tagen  sinkt  die  Temperatur  allmählich  ab,  der  Puls  wird 
langsamer  und  kräftiger,  Stuhl  und  Winde  gehen  ah.  Beim  znveiten 
Verbandwechsel  winl  noch  ein  Kotsteinchen  aus  der  Wunde  ent¬ 
fernt.  Die  Wunde  hegiimt  sich  zu  schließen.  Pat.  ist  über  drei 
Wochen  fieberfrei  imd  hei  gutem  Appetit. 

Am  25.  Mai  Erbrechen,  Stuhl  und  Winde  angehalten,  Bauch 
aufgetrieben,  gespannt,  gesteifte  Darmschlingen  mit  zeiRveilig  auf¬ 


tretender  Peristaltik  zu  beobachten.  Kollern  im  Leibe.  Puls  120, 
Temperatur  normal. 

Am  26.  Mai  Bauchschnitt  in  der  Mittellinie.  Obere  und 
mittlere  Dünndarm  schlingen  stark  aufgebläht,  unterer  lleumanteil 
leer.  An  vielen  Stellen  Fibrinauflagerungen  und  Verlötungen. 
Darm  ziemlich  stark  injiziert,  der  untere  Teil  blaugrau  verfärbt, 
stellenweise  kaum  kleinfingerdick.  Das  Mesenterium  zeigt  eine 
Zahl  verschieden  großer,  blauschwarzer  Stellen. 


AT 


N  =  Netz. 

C  =  Cöcum. 

G  D  =  Geblähter  Dünndarm. 

1.  Strangförmige  Fibrinauflagerung 

2.  und  3.  Umschnürungen  durch  Netz. 

Die  Stenosenstellen  am  unteren  Ileum  sind  leicht  zu  finden. 
Die  oberste  wird  durch  einen  festen  Fibrinstrang,  der  den  Darm 
ganz  umgibt,  gebildet.  Etwa  1  dm  davon,  zwei  Finger  breit  von¬ 
einander  entfernt,  zwei  Stellen,  an  welchen  der  Darm  durch 
Netz  ringsum  so  fest  stranguliert  ist,  daß  er,  wie  an  der  Durch- 
trittsstelle  einer  eingeklemmten  Hernie,  ganz  weiß  aussieht.  (Fig.  2.) 
Cökum  und  die  Appendixstelle  fast  glatt  und  entzündungsfrei, 
ebenso  der  Douglas.  Der  Fibrinstrang  wird  ganz  abgelöst,  die 
beiden  Netzschlingen  abgebunden  und  abgelöst.  Naht  der  Bauch¬ 
decken  in  drei  Etagen. 

Das  Erbrechen  sistiert  sofort  nach  der  Operation,  Winde 
und  Stuhl  gehen  ab,  Wundverlauf  fieberfrei.  Bald  heilt  auch  die 
an  der  Stelle  der  ersten  Operation  verbliebene  kleine  Fistel. 

Am  15.  Juni  kann  Pat.  geheilt  das  Spital  verlassen. 

Bemerkenswert  ist  in  beiden  Fällen  die  Verwechs¬ 
lung  der  Appendizitiserscheinungen  mit  Menstruations¬ 
beschwerden  seitens  der  Patientinnen. 

Weiters  der  günstige  Einfluß  der  Appendizitisopera¬ 
tion  auf  die  diffuse  Peritonitis,  die  bei  der  ersten  und  zweiten 
Operation  unzweifelhaft  nachgewiesen  wurde  und  die  nach 
den  anamnestischen  Erhebungen  beidesfalls  gewiß  schon 
länger  als  24  Stunden  gedauert  hatte. 

Es  war  in  beiden  Fällen  projektiert,  sowie  die  Erschei¬ 
nungen  der  diffusen  Peritonitis  weiter  bestünden,  auch  an 
der  linken  Bauchseite  zu  inzidieren  und  den  Bauchramn 
gründlich  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  durchzu¬ 
spülen.  Beim  weiteren  Krankheitsverlauf  erschien  dieser 
Eingriff  unnötig.  Aus  dem  Nachlassen  der  Bauchfellentzün¬ 
dung  und  dem  Auftreten  der  charakteristischen  Ileuserschei- 
nungen  wurde  die  Diagnose  gestellt  und  durch  die  Operation 
bestätigt.  Daß  die  Mikulicz  sehe  Schürzentamponade  bei 
der  Operation  nicht  an  den  folgenden  Ereignissen  schuld 
trug,  geht  daraus  hervor,  daß  in  beiden  Fällen  die  Stenosen 
weit  entfernt  vom  Tampon  aufgetreten  sind. 

Wenn  auch  der  unmittelbare  Erfolg  im  ersten  Falle 
durch  das  neuerliche  Aufflammen  der  Peritonitis  vernichtet 
wurde,  so  war  aus  der  Art  des  Verschlusses  zu  ersehen, 
daß  jede  andere  Behandlung  als  die  operative  erfolglos 
bleiben  mußte. 


Nr.  li 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


421 


{Referate. 


lieber  die  Fürsorge  für  kranke  Säuglinge. 

Unter  besonderer  Rerücksichtigung  des  Neuen  Dresdener  Säuglingsheims. 
Von  Prof.  Dr.  Ä.  Schloßmanii, 

Mit  12  Tafeln,  11  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen  und  5  Kurven. 

Stuttgart  1906,  Ferdinand  Enke. 

Kurz  vor  seinem  Scheiden  von  der  Leitung  des  Dresdener 
Säuglingsheims,  entwirft  Schloss  mann  ein  zusammenhängendes 
Bild  von  dem  Getriebe  seiner  Anstalt.  Die  Zweckmäßigkeit  der 
von  ihm  getroffenen  Einrichtungen,  betreffs  Einteilung  des  Hauses, 
Milchheschaffung  und  Milchbereitung,  Ernährungstechnik,  Pflege 
und^  Behandlung  seiner  Säuglinge,  spiegelt  sich  in  den  höchst 
zufriedenstellenden  Erfolgen  ah.  So  sind  denn  die  Institutionen 
des  Dresdener  Säuglingsheims  für  die  Errichtung  ähnlicher  An¬ 
stalten  anderw'ärts  vorbildlich  geworden  und  werden  es  wohl 
bis  auf  Aveiteres  bleiben  müssen. 

Vor  Jahresfrist  hat  Schlossmann  auch  eine  Waldstation 
(,, Waldheim“)  für  kranke  Säuglinge  ins  Leben  gerufen;  dadurch 
konnte  einerseits  der  drohenden  Ueberfüllung  des  Stadtheimes 
Avährend  der  Sommermonate  gesteuert  und  für  die  akut  kranken 
Säuglinge  Platz  geschaffen  werden,  anderseits  wurden  durch  die 
Freiluftbehandlung  bei  den  Säuglingen  mit  chronischen  Ver¬ 
dauungsstörungen  (Atrophien)  therapeutische  Erfolge  gezeitigt,  „die 
alle  bisher  bei  der  Säuglingspflege  beobachteten  weit  übertreffen“. 

* 

Säuglingskrankenpflege  und  Säuglingskrankheiten. 

Nach  den  Erfahrungen  im  städtischen  Kaiser-  und  Kaiserin-Friedrich- 

Kinderkrankenhaus  in  Berlin. 

Von  Dr.  Adolf  Baginsky,  unter  Mitwirkung  von  Dr.  Paul  Sommerfeld. 

Mit  44  Textabbildungen  und  1  farbigen  Tafel. 

Stuttgart  1906,  Ferd.  Enke. 

Nach  einer  Einleitung,  in  der  der  Verfasser  die  Entstehungs¬ 
geschichte  seiner  Säuglingsabteilung  ausführlich  mitteilt,  werden 
die  Einrichtungen  derselben  eingehend  heschriehen.  Die  näheren 
Details  über  Größe  und  Beschaffenheit  der  Wohnräume,  über 
Lüftung,  Betten,  Utensilien,  Kleidung  etc.,  das  meiste  nach  An¬ 
gaben  Bagin skys  ausgefühi’t,  enthalten  viel  Wissenswertes  und 
müssen  im  Original  nachgelesen  werden.  Mit  großer  Sorgfalt 
wird  die  Asepsis  in  der  Säuglingsabteilung  beobachtet.  Dann 
folgen  detaillierte  Angaben  über  Milchgewinnung,  Stallhygiene, 
über  den  Dienst  in  der  Milchküche  etc.  Weiters  werden  die  wich¬ 
tigsten  chemischen  Untersuchungsmethoden  der  Milch  beschrieben. 

Der  zAveite  Teil  beschäftigt  sich  mit  den  Säuglingskrank¬ 
heiten,  denen  allgemeine  Bemerkungen  über  die  Untersuchung 
der  Säuglinge  vorausgeschickt  werden.  Der  dritte  Abschnitt  ent¬ 
hält  wichtige  und  interessante  Angaben  und  Pläne  für  die  Er¬ 
richtung  von  Säuglingsasylen  und  Säuglingskrankenanstalten,  mit 
Verwertung  der  langjährigen  Erfahrungen  des  Autors  auf  dem 
Gebiete  der  Säuglingspflege. 

* 

Die  Krankheiten  der  ersten  Lebenstage. 

Von  Dr.  Max  Runge. 

Dritte  umgearbeitete  Auflage. 

Stuttgart  1 906,  Ferdinand  Enke. 

Dreizehn  Jahre  sind  seit  der  letzten  Auflage  des  bekannten 
Buches  verflossen,  Jahre,  in  denen  auf  dem  in  Rede  stehenden 
Gebiet  wichtige  Fortschritte  u.  zw.,  wie  der  Autor  in  der  Vor¬ 
rede  behauptet,  im  Gegensätze  zu  früher,  zum  großen  Teil  durch 
die  Arbeit  der  Kinderärzte  zutage  gefördert  worden  sind.  Daher 
war  eine  „zeitgemäße  Umarbeitung“  der  einzelnen  Kapitel  dringend 
erforderlich.  Und  so  finden  wir  in  der  neuen  Auflage  die  neuere 
Literatur  eingehend  berücksichtigt,  die  der  Autor  in  übersicht¬ 
licher  Weise  zusammengestellt  und  kritisch  gesichtet  hat.  Be¬ 
sonders  wertvoll  aber  macht  das  Buch  die  überaus  reiche  per¬ 
sönliche  Erfahrung  des  Verfassers,  die  in  jedem  einzelnen  Ab¬ 
schnitt  hervortritt;  die  meisterhafte  Diktion  gestaltet  es  zu  einer 
überaus  anregenden  Lektüre. 

* 


Leitfaden  zur  Errichtung  von  Kindermilchanstalten. 

Von  Edmund  Siickoiv. 

Hannover  1906,  Verlag  von  M.  &  H.  S  c  h  a  p  e  r. 

Die  Stadt  Bergisch- Gladbach  ist  die  erste  deutsche  Stadt, 
wo  auf  Gemeindekosten  eine  Kindennilchanstalt  ins  Lel)en  ge¬ 
rufen  Avurde.  Der  Verfasser,  Tierarzt  und  Direktor  des  städti¬ 
schen  Schlachthofes,  hat  ,,nach  eingehenden  Milchsludien“,  unter 
Mithilfe  beAvährter  Fachmänner,  die  Anstalt  eingerichtet,  Avelche 
laut  Beschreibung  Avohl  imstande  ist,  eine  einwandfreie  Säug¬ 
lingsmilch  zu  liefern.  Das  soll  anerkannt  Averden. 

Dagegen  muß  Kritik  geübt  werden  an  den  Vorschriften, 
die  Verf.  für  die  Säuglingsernährung  gibt.  In  geradezu  apo¬ 
diktischer  Weise  stellt  er  die  Behauptung  auf,  die  von  ihm 
angegebenen  Milchmischungen  (Rahmgemenge  nach  Biedert) 
seien  die  „bestbewährten“,  spricht  von  „bestem  Muttermilch¬ 
ersatz“  und  führt  weniger  glänzende  Erfolge  in  gleichen  An¬ 
stalten  „nicht  zum  Avenigsten“  darauf  zurück,  „daß  ihnen  die 
in  praxi  so  beAvährten  Mischungstabellen  fehlten,  die  für  die 
Bereitung  seiner  Kindermilch  von  ihm  zusammengestellt  sind“. 
Weiters  z.  B.  ist  gelegentlich  der  Empfehlung  des  Milchzuckers 
folgender  Satz  zu  lesen :  „Die  in  einer  Nachbarschaft  konstatierte 
größere  Anzahl  von  Brechdurchfällen  führe  ich  zum  größten 
Teil  auf  die  Mischungen  mit  gewöhnlichem  Zucker  zurück.“ 

Verf.  dokumentiert  sich  eben  als  Laie  in  Fragen  der  Säug¬ 
lingsernährung  und  sollte  die  Erteilung  derart  wichtiger  Vor¬ 
schriften  Erfahreneren  überlassen.  Außerdem  verunzieren  das 
Büchlein  einige  Photographien  von  mit  der  Anstaltsmilch  auf¬ 
gezogenen  Säuglingen;  nachdem  sonst  nichts  Neues  in  der  Ab¬ 
handlung  zu  finden  ist,  scheint  dem  Referenten  die  Hoffnung 
des  Verfassers,  „einige  positive  Fortschritte  in  der  Säuglings 
ernährung  nachAveisen  zu  können“,  kaum  erfüllt. 

* 

Die  Behandlung  von  Säuglingen  in  allgemeinen 

Krankenhäusern. 

Von  Prof.  r.  Wesener. 

Wiesbaden  1906,  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 

An  das  städtische  Elisabeth -Krankenhaus  in  Aachen  wurde 
im  Herbst  1903  eine  eigene  Säuglingsabteilung  angegliedert  und 
Avesentlich  nach  den  S ch  1  o s  s m  an n sehen  Prinzipien  eingerichtet. 
Verfasser  berichtet  über  die  in  den  ersten  fünf  Vierteljahren 
(bis  Ende  Dezember  1904)  gewonnenen  Erfahrungen.  Die  Mor¬ 
talität  belrug  34-70/0  (gegen  48-6%  der  früheren  Jahre).  Diese 
Verbesserung  sei  hauptsächlich  auf  die  Resultate  bei  den  Ver¬ 
dauungskrankheiten  zurückzuführen;  die  Ergebnisse  seien  außer¬ 
dem  durch  eine  Reihe  ungünstiger  Umstände  beeinflußt  Avorden 
(abnonn  große  Hitze  des  Sommers  1904;  Unzulänglichkeit  der 
Räume ;  zeitAveiser  Ammenmangel ;  im  Beginne  noch  ungeschultes 
Pflegepersonal).  Im  Sommer  hat  Verf.  Temperatursteigerungen 
bei  einer  Reihe  von  Säuglingen  beobachtet,  die  er  nur  auf  die 
erhöhte  Außentemperatur  zurückführt  („Wännefieber“) ;  er  nimmt 
desAvegen  in  der  heute  noch  strittigen  Frage  der  Cholera  infantum- 
Aetiologie  den  vermittelnden  Standpunkt  ein,  daß  zwei  Faktoren 
in  Betracht  kämen,  einmal  die  Infektion  durch  die  Nahrung  und 
zweitens  „die  deletäre  Wirkung  der  Außentemperatur“  (Mein er t). 
Der  Autor  kommt  nach  seinen,  unserer  Meinung  nach  noch  etAvas 
unzulänglichen  Erfahrungen  zu  dem  Schlüsse,  daß  Säuglings¬ 
abteilungen,  die  an  ein  bestehendes  Krankenhaus  angegliedert 
sind,  bei  bedeutend  geringeren  Kosten  dasselbe  leisten  können, 
wie  eigene  Säuglingskrankenhäuser.  Außerdem  sei  diese  Ein¬ 
richtung  noch  aus  dem  Grunde  zu  empfehlen,  Aveil  den  jungen 
Aerzten  das  Studium  der  Säuglingskrankheiten  wegen  der  ge¬ 
ringen  Anzahl  der  selbständigen  Säuglingskrankeuhäuser  bisher 
sehr  erschwert  Avar. 

* 

Vorträge  über  Säuglingspflege  und  Säuglingsernährung. 

Gehalten  in  der  Ausstellung  für  Säuglingspflege  in  Berlin  im  März  1906 
von  A.  Bagiiisky,  B.  Bendix,  J.  Cassel,  L.  Langstein,  H.  Neumann, 

B.  Salge,  P.  Selter,  E.  Siegert  und  J.  Trunipi). 

Berlin  1907,  Verlag  von  Julius  Springer. 

In  einem  ansehnlichen  Bändchen  sind  die  gelegentlich  der 
Ausstellung  für  Säuglingspflege  in  Berlin  im  vorigen  Jahre  A'on 
heiworragenden  Pädiatern  und  Hygienikern  abgehaltenen  popu¬ 
lären  Vorträge  wiedergegeben.  ObAvohl  das  gedruckte  Wort  nicht 


422 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


dieselbe  Wirkung  ausübt,  als  das  lebendige,  gesprochene  und 
namentlich  der  lesende  Arzt  fast  nur  Bekanntes  finden  wird, 
das  durcli  häufige  Wiederholung  in  verscliiedener  Form  das 
Interesse  abstumpfen  dürfte,  sei  trotzdem  das  Büchlein  auch  ärzt¬ 
lichen  Kreisen  wärmstens  empfohlen,  als  Paradigma,  wie  man 
populäre  Vorträge  halten  soll.  Es  ist  eine  Kunst,  zum  Volke 
so  zu  sprechen,  daß  man  nicht  zu  viel,  nicht  zu  wenig  sagt, 
daß  man  das  Interesse  des  zuhörenden  Laien  vom  Anfang  bis 
zum  Ende  wachzuerhalten  vermag. 

In  kurzer  Zeit  wird  auch  in  Wien  eine  ähnliche  Ausstellung 
eröffnet  werden  und  es  wäre  wünschenswert,  wenn  das  Berliner 

iMuster  auch  hier  Nachahmung  finden  würde.  , 

* 

Säuglingssterblichkeit  und  Wohnungsfrage. 

Von  E.  Meiuert. 

Sonderabdruck  aus  Archiv  für  Kinderheilkunde,  Bd.  44,  Heft  1/3. 

Stuttgart  1906,  Verlag  von  Ferd.  Enke. 

Aus  einer  durch  14  Tage  durchgeführten  Statistik  der  Stadt 
Leipzig  ergab  sich,  daß  daselbst  die  Sterblichkeit  der  unehelichen 
Säuglinge  zwar  größer  ist  als  die  der  ehelichen,  daß  erstere 
aber  den  Schädlichkeiten  der  heißen  Monate  weniger  ausgesetz't 
sind,  als  die  letzteren.  Als  Grund  für  diese  Erscheinung  gab  der 
Leipziger  Verwaltungsbericht  für  1'903  an,  daß  entweder  die  un¬ 
ehelichen  Kinder  vielfach  bald  nach  der  Geburt  starben  und 
der  überlebende  d'eil  gegenüber  den  Gefahren  der  heißen  Jahres¬ 
zeit  Avidei’standsfähiger  sei,  oder  daß  die  Beaufsichtigung  der 
unehelichen  Ziehkinder  eine  bessere  wäre. 

In  Dresden  ist  die  Sterblichkeit  der  unehelichen  Säuglinge 
geringer  als  in  Leipzig.  Der  Grund  liegt  nach  Meiner t  darin', 
daß  in  Dresden  das  HauptgeAvicht  auf  die  WohnungsAmrhältnisse 
der  unehelichen  Ziehkinder,  in  Leipzig  nach  dem  Taubeschen 
Prinzipe  auf  die  Eirnährungsverhältnisse  derselben  gelegt  Averde. 
Die  Dichtigkeit  der  Wohnungskomplexe  und  die  damit  zusammen¬ 
hängende  Durchlüftung  der  Wohnungen  spiele  eine  große  Rolle 
in  der  Frage  der  Säuglingssterblichkeit,  AAÜe  vergleichende  Beob¬ 
achtungen  von  Prausnitz  in  Graz  und  Engel-Bey  in  Kairo 
bereits  dargelegt  haben.  Olnvobl  in  Aegypten  z.  B.  die  Zahl 
der  Brustkinder  eine  sehr  große  ist,  sei  trotzdem  die  Sterblich¬ 
keit  der  Säuglinge  eine  sehr  große.  Die  Cholera  infantum  sei 
eine  Erkrankung  funktioneller  Natur,  nicht  durch  toxisch  oder 
infektiös  unbrauchbare  Nahrung  verursacht;  sie  sei  eine  der  Amr- 
schiedenen  Erscheinungsformen  des  Hitzschlages,  gegen  den  das’ 
Brustkind  ZAvar  eine  relative,  aber  keine  absolute  Immunität  be¬ 
sitze.  Die  relatiA^e  Immunität  sei  dadurch  bedingt,  daß  die  Mutter 
Avährend  der  heißen  Jahreszeit  durch  reichliche  Flüssigkeitszufuhr 
ihre  Milch  Amrdünne.  Die  Säuglingssterblichkeit  werde  sinken, 
sobald  die  Wohnungsdichtigkeit  durch  ErAveiterung:  der  Quartiere, 
Verlegung  derselben  außerhalb  der  Stadt,  Schaffung  von  Park- 
aidagen  etc.,  A^erringert  Averde. 

Der  Schlußsatz  der  reichlich  mit  statistischen  Daten  aus¬ 
gestatteten  Arbeit,  AA^elche  die  Ergebnisse  der  bisherigen,  gleich¬ 
sinnigen  Untersuchungen  Avürdigt,  sollte  nach  Ansicht  des 
Referenten  folgendermaßen  lauten :  „Die  Wohnungsfrage  bildet 
einen  Avesentlichen  Faktor  in  der  Frage  der  Säuglingssterblich¬ 
keit“,  statt,  AAÜe  er  Avirklich  lautet:  „Die  Frage  der  hohen  Säug¬ 
lingssterblichkeit  ist  im  AA-esentlichen  eine  Wohnungsfrage“. 

* 

Schulhygiene. 

Von  L.  Burgerstein. 

Leipzig  1906,  Verlag  von  B.  G.  T  e  u  b  n  e  r. 

Der  bekannte  Verfasser  des  in  Gemeinschaft  mit  0.  Neto- 
litzky  herausgegebenen  Handbuches  der  Schulhygiene  gibt  uns 
in  der  Teubnerseben  Sammlung:  Aus  Natur  und  GeistesAvelt, 
eine  knappe,  dabei  ausführliche  Darstellung  der  schulhygienischen 
Frag(‘n  (Einiichtung  des  Schulhau.ses  und  seiner  Nebenanlagen; 
Raumverteilung,  Beleuchtung,  Lüftung  etc.,  Hygiene  des  Unter¬ 
richts,  Schulkrankheiten,  Hygiene  des  Lehrerberufes  usav.).  Das 
Rudi,  vorncbndicli  für  den  Lehrerstand  geschrieben,  gibt  auch 
dem  Arzte  eine  klare  Uebersicht  über  die  einzelnen  Fragen  und 
ist  zur  Einführung  in  dieses  außerordentlich  Avichtige  und  gegen- 
Avärtig  viel  diskutierte  Kapitel  der  Sozialhygiene  wärmstens  zu 
empfehlen. 

* 


Sammlung  lilinisclier  Vorträge.  Begründet  von  Richard  v,  Volkmann. 
Rückkehr  zur  natürlichen  Ernährung  der  Säuglinge. 
Von  E,  Hagenbach-Burckliardt,  Basel. 

Leipzig  1906,  Verlag  von  Breitkopf  und  Härtel. 

Zunächst  eine  kleine  historische  Betrachtung  der  natür¬ 
lichen  Ernährung,  dann  eine  Darstellung  der  gegeiiAArärtigen,  leider 
so  mißlichen  Zustände  und  schließlich  eine  Besprechung  der 
Mittel,  die  uotAvendig  sind,  um  Abhilfe  zu  schaffen  und  die 
allgemeine  Rückkehr  zur  natürlichen  Ernährung  zu  ermöglichen. 
Da  kommen  nach  des  Verfassers  Ansicht  hauptsächlich  iti  Be¬ 
tracht:  ,, Anleitung  zum  Stillen  in  den  Gebäranstalten,  Säuglings¬ 
heimen,  bessere  Instruktion  der  Hebammen  (Beteiligung  der  Kinder¬ 
ärzte  am  Unterricht),  Belohnungen  der  Hebammen,  Belehrung, 
Vorträge  und  dergleichen,  direkte  Belehrung  der  Stillenden  (Consul¬ 
tations  des  nourrissons),  materielle  Unterstützung  und  Belohnung 
Stillender,  gesetzlicher  Schutz  der  stillenden  Frauen,  Entgegen¬ 
kommen  der  Fabrikherren,  der  Arbeitgeber,  Gründung  von  Krippen, 
hauptsächlich  in  der  Nähe  von  industriellen  Etablissements,  mög¬ 
lichste  Entlastung  der  stillenden  Mutter  von  der  Arbeit  außerhalb 
des  Hauses.“ 

♦ 

Die  Säuglingsfürsorgestelle  I  der  Stadt  Berlin.  Ein¬ 
richtung,  Betrieb,  Ergebnisse. 

Von  Dr.  A.  Japha  und  Dr.  H.  Neiimaun. 

Berlin,  1906,  Verlag  von  S.  Karger. 

Im  Jahre  1 905  wurden  aus  IVIitteln  der  S  c h m i d  t -  G  a  1 1  i  s  c  h- 
Stiftung  in  Berlin  vier  Säuglingsfürsorgestellen  errichtet,  deren  eine 
(l)  in  die  Neumann  sehe  Poliklinik  Amrlegt  wurde.  Ueber  Ein¬ 
richtung,  Betrieb  und  Resultate  der  letzteren  berichten  die  Ver¬ 
fasser  nach  einjähriger  Tätigkeit  in  ausführlichster  Weise,  indem 
sie  in  anerkennensAAmrter  Weise  ihr  Material  nach  allen  nur 
möglichen  Richtungen  Und  Amii  allen  nur  irgendAvie  in  Betracht 
kommenden  Gesichtspunkten  statistisch  beleuchten. 

Die  Säuglingsfürsorgestelle  stellt  sich  zur  Aufgabe,  bedürf¬ 
tigen  Müttern  und  Pflegemüttern  Amn  Säuglingen  unentgeltlichen 
Rat  über  Wartung  und  Ernährung  der  Säuglinge  zu  erteilen, 
bedürftigen  Müttern  durch  Gewährung  von  Unterstützungen 
(Lebensmittel  oder  Geld)  das  Stillen  zu  ermöglichen  und  schließi- 
lich  solchen,  die  nicht  in  der  Lage  sind,  ihr  Kind  zu  stillen. 
eiiiAvandsfreie  Milch,  eA^entuell  Nährpräparate  durch  acht  Tage 
unentgeltlich,  von  da  ab  zum  Selbstkostenpreis  zu  überlassen. 
An^egliedert  an  die  Säuglingsfürsorgestelle  sind  folgende  Ein¬ 
richtungen:  1.  Unentgeltlicher  Unterricht  in  der  Säuglingspflege 
(monatliche  Kurse);  2.  Sprechstunde  für  unbemittelte  Schwangere; 
3.  Unterkunft  für  hilfsbedürftige  Wöchnerinnen  und  ihre  Säug¬ 
linge  (für  ZAvölf  Mütter  mit  ihren  Kindern  [unentgeltlich]  und 
außerdem  für  sechs  Säuglinge  [gegen  Entgelt] ) ;  4.  Station  für 
kranke  Kinder;  5.  Bureau  des  ,, Kinderhauses“  (zur  Erledigung 
von  Nachfragen  betreffs'  Pflegestellen,  Unterbringung  von  Müttern 
mit  ihren  Kindern,  AVohltätigkeitsvereinen  etc.). 

Die  Einzelheiten  des  musterhaften  Betriebes,  aus  dem  na¬ 
mentlich  die  Avirksamen  häuslichen  Recherchen  hervorgehoben 
seien,  müssen  im  Original  nachgelesen  Averden. 

Die  Erfolge  der  Säuglingsfürsorgestellen,  namentlich  Avas  die 
Propaganda  für  das  Selbststillen  anbelangt,  sind  recht  ermun¬ 
ternde  und  die  Verfasser  sind  der  Ansicht,  daß  auf  dem  Wege 
derartiger  Säuglingsfürsorgestellen,  bei  entsprechender  Ver¬ 
mehrung  derselben  für  die  Herabsetzung  der  Säuglingssterblich¬ 
keit  in  den  großen  Städten  Bedeutendes  geleistet  Averden  könne. 

* 

Der  akute  Dünndarmkatarrh  des  Säuglings. 

Habilitationsschrift  von  Dr.  B.  Salge. 

Leipzig  1906,  Verlag  von  Georg  Thieme. 

Der  akute,  toxische,  auf  alimentäre  Schädigungen  ziirück- 
zuführende  Enlerokatarrh  des  Säuglings  ist  nach  den  Unter¬ 
suchungen  Saig  es  als  ein  in  klinischer,  chemischer,  bakteriologi¬ 
scher  und  therapeutischer  Hinsicht  Avohl  charakterisiertes  Krank- 
heitsbild  aufzufassen.  Die  vermehrten,  Avässerigen,  stark  sauer 
reagierenden  Stühle  zeigen  im  Ausstiäch  die  reichliche  .Anwesen¬ 
heit  Gi'am- positiver  Stäbchen  („blaue  Bazillosc“  Escherichs, 
F i  nk  e  1  s  te i  n s) ;  das  We.sen  der  Erkrankung  liegt  in  der  Ent¬ 
stehung  großer  Säuremengen  im  Darm;  Darreichung  von  Fett 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  423 


führt  zur  Steigerung  eben  dieser  Säuren  und  dalier  ist  die  vom 
Verfasser  beobachtete  Fet'tintoleraiiz  (auch  Fraucumilchfett)  in 
den  betreffenden  Fällen  zu  erklären.  Die  tberapeuliscbe  Konse¬ 
quenz  war  die  mit  Erfolg  durcbgeführte  Verabreichung  entfetteter 
Frauenmilch  oder  Molke.  Ab  zu  trennen  von  diesem  durch  Nahrungs¬ 
schädigung  hervoi'gerufeiien  akuten  Darmkatarrh,  sind  jene  Fälle 
mit  ähnlichem  klinischen  Bild,  die  mit  stark  alkalischen  Stühlen, 
vonviegend  Grain -negativer  Bakterienflora  (Koli)  einhergeheu, 
gegen  Fett  weit  weniger  empfindlich  sind,  daher  Frauenmilch 
sofort  gut  vertragen  und  die,  wie  mitunter  nachweislich  (gehäuftes 
Auftreten)  infektiösen  Ursprungs  sind. 

* 

Grundzüge  für  die  Mitwirkung  des  Lehrers  bei  der 
Bekämpfung  übertragbarer  Krankheiten. 

Von  Dr.  Fritz  Kirsteiii. 

Berlin  1907,  Verlag  von  Julius  Springer. 

Der  erste  Teil  der  vorliegenden  Arbeit  hat  den  Zweck, 
Lehrer  und  Lehrerinnen  über  das  Wesen  übertragbarer  Krankheiten 
aufzuklären  und  anf  die  Gefahren  aufmerksam  zu  machen,  die 
durch  das  Vorkommen  derselben  hervorgerufen  werden  können. 
In  leicht  faßlicher  Darstellung  wird  das  Wesen  der  Ansteckung, 
der  Immunität,  werden  die  Quellen  der  Infektion,  die  Verbreitungs¬ 
weise  der  Krankheitserreger,  die  Bekämpfung  ansteckender  Krank¬ 
heiten  in  der  Schule,  mit  Anführung  der  einschlägigen  gesetzlichen 
Bestimmungen  besprochen ;  es  wird  die  Notwendigkeit  einer  mög¬ 
lichst  frühzeitigen  Anzeige  ans  Herz  gelegt,  es  werden  die  Art 
der  Isolierung,  der  Desinfektion  und  schließlich  der  Wert  der 
Schutzimpfungen  und  die  Art  und  Weise  der  indirekten  Be¬ 
kämpfung  auseinandergesetzt.  Im  zweiten  Teile  folgt  eine  kurze 
Besprechung  der  verschiedenen  Infektionskrankheiten.  Das  Büch¬ 
lein  darf  den  Mitgliedern  des  Lehrerstandes  zur  Orientierung  in 
obigen  Fragen  bestens  empfohlen  werden. 

Die  physikalische  Therapie  im  Kindesalter. 

Von  Julius  Zappert. 

Stuttgart  1906,  Verlag  von  Ferd.  Enke. 

Mehr  als  in  irgendeinem  Zweige  der  Medizin  tritt  in  der 
Kinderheilkunde  die  physikalisch  -  diätetische  Therapie  gegenüber 
der  medikamentösen  in  den  Vordergrund.  .  Es  bildet  daher  die 
vorliegende  Arbeit  eine  erwünschte  Ergänzung  der  modernen  Fach¬ 
literatur.  Verf.  gibt  eine  wohl  erschöpfende  und  befriedigende 
Darstellung  aller  jener  physikalischen  Prozeduren,  die  in  der 
Pflege  des  gesunden,  sowie  des  kranken  Kindes  zur  Anwendung 
kommen,  mit  Berücksichtigung  einer  poßen,  mit  kritischer  Aus¬ 
wahl  empfohlenen  Literatur  und  mit  Verwertung  der  eigenen, 
reichlichen  Erfahrung.  Im  ersten  Teil  bespricht  Zappert  die 
Anwendung  des  einfachen  und  des  mit  den  verschiedenen  Zu¬ 
sätzen  bereiteten  Bades.  Im  Kapitel  über  j, Abhärtung“  warnt  er 
mit  Recht  vor  energischen  Kaltwasserprozeduren  im  Kindesalter, 
mißt  dagegen  der  Abhärtung  durch  Luft  eine  große  Bedeutung 
bei.  Bei  Sport  und  Gymnastik  gelte  vor  allem  der  Mabnruf :  ,,Maßr 
halten!“  Der  zweite  Teil  ist  dem  kranken  Kinde  gewidmet.  Es 
gibt  wohl  kaum  eine  Krankheit  im  Kindesalter,  bei  welcher  nicht 
physikalische  Heilfaktoren  in  Betracht  kämen:  Die  Hydrotherapie 
bei  Erkrankungen  des  Respirationstraktes,  der  Verdauungsorgane, 
bei  Infektionskrankheiten,  die  Klimatotlierapie  bei  Rachitis,  Per¬ 
tussis  etc.,  die  Orthopädie  z.  B.  bei  Rachitis,  Elektiizität,  Mas¬ 
sage  und  Gymnastik  bei  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems 
und  so  weiter.  Dazu  kommt  noch  eine  Reihe  von  Erkrankungen 
des  Zirkulationsapparates,  des  uropoetischen  Systems,  der  Haut, 
die  hier  nicht  abgehandelt  werden,  da  sie  speziell  pädiatrische 
Indikationen  nicht  erfordern.  Rudolf  Pollak. 


Aus  versehiedenen  ZeitsehHften. 

167.  Ueber  Arteriosklerose  und  ihre  Behandlung. 
Nach  klinischen  Vorträgen  Von  Prof.  H.  Senator  in  Berlin. 
Bei  der  Arteriosklerose  handelt  es  sich  um  teils  entzündliche  und 
hyperplastische,  teils  degenerative,  nekrobiotische  Vorgänge,  die 
nach  verschiedenen  Gefäßige bieten  bald  in  der  Intitna,  l)ald  in 
der  Media  beginnen  und  sich  auf  die  anderen  Gefäßhäute  aus¬ 
breiten.  Die  Kalkablagerung  ist  <'in  sekundärer  Prozeß,  das 


heißt,  der  Kalk  wird  erst  in  die  schon  erkrankten  Gefäße  eingo- 
lagerL;  die  neuerdings  als  Heilmittel  vorgescblagene  Kalkentziehung 
ist  nicht  empfeliienswert,  vielleicht  sogar  gefährlich.  Der  Vor¬ 
tragende  bespricht  <lie  Symptome  der  Krankheit,  tlic  Wertschätzung 
des  erhöhten  arteriellen  Druckes  und  weist  nach,  daß>  dieser  iiicbt 
als  Ursache  der  arteriellen  Veränderungen  angesehen  werden 
könne.  Einmal  handelt  es  sich  bei  der  Arteriosklerose  um  eine 
A  b  n  u  t  z  u  n  g  s  k  r  a  n  k  h  e  i  t  (senile  Form),  sodann  wird  sie  al s 
Folge  von  Syphilis,  von  chronischer  Intoxikation  durch  Alkohol, 
Tabak  und  verschiedenen  IMetallen  (Quecksilber,  Blei),  auch,  wie 
es  scheint,  von  Schwefelkohlenstoff,  betrachtet.  Weitere  Ursachen 
bilden  der  lange  fortgesetzte  Mißbrauch  des  starken  Kaffees  und 
Tees,  der  Extraktivstoffe  des  Fleisches  und  der  Räucherungs¬ 
produkte,  ebenso  endogene  Schädlichkeiten,  wie  sie  bei  Gicht, 
Diabetes  mellitus,  Nephritis  vorliegen.  Die  Arteriosklerose  wird 
durch  reichlichen  Genuß  stickstoffhaltiger  Nahrung  (viel  Fleisch, 
Wurst,  Käse  etc.)  in  ihrem  Entstehen  begünstigt.  Die  reichliche 
stickstoffhaltige  Kost  wird  Anlaß  zur  stärkeren  Darmfäulnis,  die 
Resorption  dieser  Fäulnisprodukte  setzt  eine  chronische  Intoxi¬ 
kation  (intestinale  Autointoxikation)  und  führt  zur  Arteriosklerose. 
Die  sitzende  Lebensweise,  die  Fettleibigkeit,  die  sie  begleitende 
Verstopfung  und  hiedurch  und  durch  den  Rettreichtum  bedingte 
erschwerte  Blutbewegung  sind  als  weitere  Ursachen  anzusehen. 
Man  wird  demnach  bei  der  Behandlung  vorerst  gegen  diese  Ur¬ 
sachen  anzukämpfen  haben.  Man  wird  die  Alkoholika  und  den 
Tabak  verbieten  oder  wenigstens  erheblich  einschränken,  bei  der 
senilen  Arteiiosklerose  aber  keineswegs  diese  Genußmittel  oder 
andere  Lebensgewohnheiten  plötzlich  und  gewaltsam  entziehen, 
respektive  ändern.  Die  Ernährung  erfordert  eine  sorgfältige 
Regelung.  Der  Genuß'  stickstoffhaltiger  Nahrungsmittel  ist  eiu- 
zuschränken,  die  sogenannte  lakto-vegetabilische  Kost  mit 
geringer  Beigabe  von  Eiweiß,  das  Verbot  der  sogenannten  Extraktiv¬ 
stoffe  und  Räucherungsprodukte  sind  angezeigt.  Also  Milch, 
daneben  Kohlenhydrate  (Brot,  Mehlspeisen,  Schleimsuppen)  und 
Fette,  Obst,  grüne  Gemüse,  auch  Eier  in  kleinen  Mengen;  kein 
Fleisch,  oder  nur  sogenanntes  weißes  Fleisch  und  frische  Fische. 
Bei  fettreichen  Menschen  wird  man  anderseits  die  Kohlehydrate 
(Zucker,  Mehlspeisen  und  andere  Amylazeen)  von  der  Diät  aus¬ 
schließen  und  dafür  grüne  Gemüse  und  Übst  empfehlen,  dazu  etwas 
mageres  Fleisch  gestatten,  dabei  für  reichlichen  Stuhlgang,  für 
Muskelübung  (aktive  und  passive  Gymnastik),  natürlich  ohne  jede 
Uebertreibung  und  unter  stetiger  Kontrolle  der  Herztätigkeit  Sorge 
tragen.  Befällt  die  Arteriosklerose  einen  Diabetiker,  so  steht  die 
Unterdrückung  der  Zuckerausscheidung  wohl  obenan,  man  wird 
aber  einigermaßen  lavieren  müssen,  bald  mehr,  bald  weniger 
Eiweißnahrung  gestatten,  dabei  besonders  reichlich  die  grünen 
Gemüse,  saures  Obst,  Salate  und  vor  allem  Fette  gestatten.  Bei 
der  lakto  -  vegetarischen  oder  mehr  rein  vegetarischen  Diät  wird 
die  Viskosität  des  Blutes  herabgesetzt,  dadurch  die  Fort¬ 
bewegung  des  Blutes  erleichtert,  die  Arbeit  des  Herzens  und  der 
Gefäße  (Arterien)  erleichtert.  Die  Herabsetzung  der  Blutviskosität 
wird  auch  durch  Jodpräparate  erreicht.  Vielleicht  üben  sie 
außerdem  eine  günstige  Wirkung  auf  die  Arterienhäute,  besonders 
auf  die  Intima,  aus.  Empfehlenswert  sind  Jo  di  pin  in  Capsul. 
gelatin,  zu  1  g,  drei-  bis  viermal  täglich  und  Sa  jodin  in  Tabletten 
ä  0-5,  vier-  bis  fünfmal  täglich.  Senator  benützt  seit  langem 
eine  Verbindung  von  Jod  und  Nitriten,  z.  B.  Kali  jodat.  oder 
Natrium  jodat.  1  bis  2  g.  Aquae  ad  200,  hievon  dreimal  täglich 
einen  Eßlöffel  mit  Älilch  zu  nehmen.  Zweckmäßig  ist  auch  eine 
Verbindung  von  Tinct.  jodi  10  mit  Spirit,  aether,  nitros.  30, 
wovon  drei-  bis  viermal  täglich  20  bis  30  Tropfen  genommen 
werden,  oder  Nitroglyzerin  OT,  Spirit,  aether,  nitr.  30-0,  drei- 
bis  viermal  täglich  15  bis  20  Tropfen.  Verf.  eiwähnt  sodann  die 
hydriatischen  Prozeduren,  die  bei  ausgebreiteter  Arteriosklerose! 
und  namentlich  bei  Beteiligung  des  Herzens  große  Vorsicht  er¬ 
heischen,  der  einfachen  warmen,  der  Kohlensäure-  und  Sauer- 
stoff-(Ozet-)Bäder,  die  bei  strenger  Individualisierung  nützen 
werden.  Dasselbe  gilt  von  der  Massage,  von  der  aktiven  und 
passiven  Gymnastik,  bei  welchen  ganz  besondere  Vorsicht,  tasten¬ 
des  Vorgehen  am  Platze  ist.  In  neuester  Zeit  wird  die  Zufuhr  der 
sogenannteji  Blutsalze  empfohlen,  da  bei  der  Arteriosklerose  wenig 
Salze  im  Blute  vorhanden  sind.  Am  beffuemsten  anwendbar  sind 
die  x\ntisklerosintabletten  (sie  enthalten  Kochsalz,  dauebeu  Nafr, 


424 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  14 


sulfur.,  Natr.  phosphor.,  Natr.  carbon.,  Magiies.  phosphor,  und 
Calcium  glycerophosphat.),  man  fängt  mit  zwei  Tabletten  an  und 
steigt  allmählich  bis  auf  sechs  Stück  täglich.  iMan  steige  lang¬ 
sam,  setze  auch  einmal  ein  bis  zwei  Tage  aus,  damit  die  Tabletteji 
lange  Zeit  genommen  werden  können.  Oh  sie  wirklich  spezifisch 
wirken,  kann  Senator,  der  daneben  stets  Jodpräparate  gab  und 
die  Diät  regelte,  nicht  sagen.  Nebst  alledem  tritt  die  sympto¬ 
matische  Behandlung  in  ihre  Rechte.  Alle  Ursachen,  welche  Stö¬ 
rungen  hervorrufen,  sind  zu  beseitigen,  also  z.  B.  körperliche 
Ueberansirengung,  psychische  (auch  geschlechtliche)  Aufregunge]i, 
Ueberfüllung  des  IMagendarmkanals  etc.  Die  Blutzufuhr  ist  zu 
verbessern,  gewisse  Symptome,  wie  heftiger  Schmerz,  Beklemmung 
und  so  weiter  sind  symptomatisch  (Morphium)  zu  bekäm])feii.  — 
(Die  Therapie  der  Gegenwart  1907,  März.)  E.  F. 

♦ 

168.  Ueber  nervöses  Auf  stoßen.  .Von  Dr.  Richard 

Adler  in  Prag.  Die  Eructatio  nervosa  besteht  darin,  daß  hei 
vollkommen  magengesunden  Individuen  durch  krampfartige 
Ruktusparoxysmen  atmosphärische  Luft  entleert  wird.  Dies  kommt 
hauptsächlich  bei  hysterischen,  aber  auch  bei  nervösen  (neuras the- 
nischen)  Individuen  vor.  Während  des  Schlafes  hören  die  Ruktus 
auf.  Verschieden  ist  die  Art  des  Auftretens :  In  einzelnen  Fällen 
nur  Minuten  dauernde,  in  anderen  stundenlange  Anfälle,  bald 
ohne  besondere  Veranlassung,  bald  bei  irgendeiner  Aufregung;  in 
manchen  Fällen  während  und  im  Anschlüsse  an  die  Mahlzeiten. 
Eichhorst,  insbesondere  aber  Bouveret  haben  gezeigt,  daß 
die  Luft  durch  eigentümliche  Pharynxkontraktionen  geschluckt 
wird  und  wenn  eine  größere  Menge  Luft  geschluckt  ist,  dieselbe 
dann  durch  Aufstoßen  entfernt  wird;  das  Primäre  ist  also  nicht 
das  Aufstoßen,  sondern  das  Schlucken  der  Luft,  daher  die  fran¬ 
zösische  Bezeichnung  „l’aerophagie  nerveuse“  richtiger  und  be¬ 
zeichnender  ist  als  die  deutsche.  Im  allgemeinen  wird  eine  anti¬ 
nervöse  Therapie,  besonders  Suggestion,  empfohlen,  häufig  je¬ 
doch  ohne  Erfolg.  Dagegen  kann  Verf.  die  von  Bouveret, 
später  von  Leu  he  empfohlene  Methode,  den  Mund  offen  halten 
zu  lassen,  für  sehr  viele  Fälle  warm  empfehlen.  Wenn  man 
nämlich  durch  eine  entsprechend  große,  zwischen  die  Zahn¬ 
reihen  gesteckte  Scheibe  Schluckbeschwerden  verhindert,  so  ver¬ 
hindert  man  das  Luftschlucken  und  damit  natürlich  auch  das 
Aufstoßen;  die  vorhandene  Luft  wird  npch  ausgestoßen,  dann 
ist  Ruhe.  Man  läßt  die  Scheibe  so  lange  als  notwendig  tragen 
und  weist  den  Patienten  an,  sofort  wieder  das  Mittel  zu  ver¬ 
wenden,  sobald  das  Aufstoßen  beginnt.’  Wenn  die  Anfälle  während 
des  Essens  kommen,  kann  dieses  Mittel  natürlich  nicht  ange¬ 
wendet  werden.  Hier  schlägt  Verf.  außer  Allgemeinbehandlung 
ein  lokales  Revulsivum,  z.  B.  Jodtinktur  oder  ein  Vesikans  vor. 
In  einzelnen  Fällen  können  auch  schwerere  Erscheinungen  von 
seiten  des  geblähten  und  auf  getriebenen  Magens  (Trommelsucht) 
entstehen.  Es  schien  dem  Verfasser  wichtig,  auf  das  so  ein¬ 
fache  Mittel,  das  nirgends  erwähnt  wird  und  das  mit  einem 
Schlage  die  unangenehmen  Erscheinungen  des  Luftschluckens 
beseitigt,  aufmerksam  zu  machen.  —  (Münchener  mediz.  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  4.)  \G. 

♦ 

169.  (Aus  dem  Londoner  Middlesex -Hospital.)  Ueber 
einige  gewöhnliche  F'ehler  in  der  Diätetik  und  all¬ 
gemeinen  Hygiene  des  Kindesalters.  Von A. F. Vo el cke r. 
Diese  von  einem  langjährigen  Praktiker  verfaßte  Abhandlung  ent¬ 
hält  zwar  —  wie  er  selbst  betont  —  kaum  etwas  prinzipiell 
Neues,  doch  sind  einige  von  ihm  angeführte  Punkte  wohl  be- 
rücksichtigenswert  und  daher  im  folgenden  hervorgehoben.  Es 
wird  zunächst  gegen  den  Aberglauben  Stellung  genommen,  daß 
die  gemischte  Ernährung  mit  Frauen-  und  Kuhmilch  schädlich 
sei  und  es  ist  jedenfalls  nicht  gleichgültig,  von  einem  viel  er¬ 
fahrenen  Arzte  wieder  einmal  bestätigt  zu  hören,  welch  gute 
Erfahrungen  das  jetzt  wohl  von  den  meisten  Kinderärzten  an- 
erkaimte  „allaitement  mixte“  auch  ihm  gezeitigt  hat.  Ferner 
wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  wie  verfehlt  es  ist,  die  Ge¬ 
wichtskurve  des  Säuglings  als  alleiniges  Kriterium  seines  Ge¬ 
deihens  zu  betrachten.  Bezüglich  des  Obstgenusses  macht  Ver¬ 
fasser  darauf  aufmerksam,  daß  der  tägliche  Genuß  von  Ohst  nach 
einiger  Zeit  zu  Darmträgheit  führt  und  empfiehlt,  den  Kindern 
bloß  drei-  bis  viermal  wöchentlich  Obst  zu  verabreichen.  Eine 


nicht  geringe  Rolle  wird  auch  der  genügenden  Fettzufuhr  bei¬ 
gelegt.  Es  wird  hiebei  u.  a.  das  Bratenfett  —  mit  Maß  verab¬ 
reicht  —  als  eine  den  Kindern  sehr  angenehme  Form  der  Fett¬ 
zufuhr  empfohlen.  Im  Hinblick  auf  die  Frage:  „Rohe  oder  ge¬ 
kochte  Milch“,  tritt  Verf.  dafür  ein,  daß  jüngere .  Kinder  durch¬ 
aus  gekochte  Milch  erhalten  sollen;  älteren  dagegen  kann,  falls 
Abneigung  gegen  gekochte  Milch  besteht,  rohe  gereicht  werden, 
vorausgesetzt,  daß  diese  aus  einwandfi-eier  Quelle  stammt.  Be¬ 
züglich  der  Kleidung  wird  auf  die  Gefahr  der  kritiklosen  Ab¬ 
härtungsbestrehungen  —  Unbekleidetsein  der  Brust,  der  Waden 
—  und  der  Mode  des  Sandalentragens  hingewiesen.  Wichtig  ist 
auch  der  Hinweis  darauf,  daß  beim  Spazierengehen  auf  die  Er¬ 
müdbarkeit  des  einzelnen  Kindes  zu  wenig  Rücksicht  genommen 
wird.  Verf.  stellt  die  Forderung  auf,  ,,daßi  Kinder  spazieren  gehen, 
jedoch  nicht  spazieren  gegangen  werden  sollen“.  Mit  einem  Appell 
an  die  Aerzte,  Führer  und  Erzieher  des  Publikums  zu  sein,  schließt 
diese  stellenweise  mit  viel  überlegenem  Humor  und  tiefer  Men¬ 
schenkenntnis  gewürzte  Studie.  —  (British  medical  Journal, 
26.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

•t 

170.  Sind  die  Röteln  immer  gutartig?  Von  L.  Chei- 
nisse  in  Paris.  Nach  der  herrschenden  Lehre  sind  die  Röteln 
eine  durchaus  gutartige,  niemals  das  Leben  bedrohende  Erkran¬ 
kung.  Es  finden  sich  jedoch  in  der  Literatur  auch  Mitteilungen^ 
aus  welchen  hervorgeht,  daß  die  Röteln,  namentlich  bei  ge¬ 
schwächtem  Zustand  des  kindlichen  Organismus,  sehr  bedrohliche 
Komplikationen  von  seiten  des  Respirations-  und  Verdauungs¬ 
traktes,  z.  B.  Bronchopnemnonie  und  Enterokolitis  mit  sich 
bringen  können.  Es  ist  allerdings  der  Einwand  erhoben  worden, 
daß  es  sich  hei  solchen  PMllen  um  verkannte  Masern  gehandelt 
hätte,  wie  auch  die  Lehre  aufgestellt  wurde,  daß  den  Röteln 
keine  klinische  Selbständigkeit  zukommt,  indem  sie  als  eine 
Mischform  von  Masern  und  Scharlach  zu  betrachten  sind.  Der 
Verfasser  beobachtete  bei  einem  22jährigen  Mädchen  mit  typischen 
Röteln  am  sechsten  Tage  nach  Ausbruch  des  Exanthems  eine 
Temperatursteigerung  bis  40-2°,  gleichzeitig  Heiserkeit  und  Schling'- 
beschwerden.  Die  Tonsillen  waren  beträchtlich  vergrößert  und 
es  erstreckte  sich  eine  Schwellung  über  die  ganze  Mundschleim¬ 
haut,  die  angeschwollene  Zunge  zeigte  einen  dicken  Belag,  welcher 
im  Gegensatz  zum  Verhalten  bei  Scharlach  sich  auch  auf  die 
Zungenränder  und  die  Zungenspitze  erstreckte.  Es  bestanden 
intensive  Schluck-  und  Atembeschwerden,  gleichzeitig  auch 
schwere  Allgemeinerscheinungen.  Durch  Spülungen  des  Mundes 
mit  Wasserstoffsuperoxyd,  antiseptische  Einblasungen  in  den 
Schlund,  sowie  innere  Darreichung  von  Bierhefe  wurde  die  Er¬ 
krankung  nach  acht  Tagen  geheilt,  doch  blieb  ,noch  für  längere 
Zeit  ein  Zustand  allgemeiner  Schwäche  zurück.  Solche  Fälle 
von  schwerer  sekundärer  Angina  im  Verlauf  der  Röteln  sind 
auch  von  anderen  Autoren  beschrieben  worden.  Auch  das  Auf¬ 
treten  von  Hyperpyrexie  bei  Röteln  ist  beobac'Jitet  worden.  Bei 
einer  in  einer  Krippe  auf  getretenen  schweren  Epidemie  von  Röteln 
wurde  neben  Bronchopneumonie,  Meningitis  und  Lymphdrüsen¬ 
vereiterung  auch  ein  Fall  doppelseitiger  eitriger  Otitis,  sowie 
Ulzeration  der  Nasenschleimhaut  beobachtet.  Es  waren  hier  unter 
27  Fällen  von  Röteln  acht  Todesfälle  zu  verzeichnen.  Es  ist 
demnach  nicht  berechtigt,  die  Röteln  als  eine  unter  allen  Um¬ 
ständen  gutartige  Erkrankung  zu  bezeichnen.  —  (Sem.  med.  1906, 

Nr.  52.)  a.  e. 

* 

171.  (Aus  der  Klinik  des  Professors  Doktor  Finger 
und  dem  pathologisch -anatomischen  Institut  in  Wien.) 
D  r  ü  s  e  n  k  r  e  b  s  der  Mamma  unter  dem  klinischen  Bilde 
von  Pagets  disease.  Von  J.  Kyrie.  ,Der  Verfasser  berichtet 
über  einen  Fall  von  klinisch  typischem  Pagets  disease  bei  einer 
39jährigen  Frau.  Die  histologische  Untersuchung  ergab  den  Be¬ 
fund  eines  Drüsenkrebses  mit  eigentümlicher  Metastasierung  in 
die  Haut;  nebenbei  fand  sich  im  Papillarkörper  das  chronisch 
entzündliche  Infiltrat,  wie  es  für  Pagets  disease  charakteristiscli 
ist.  Resümierend  nach  Heranziehung  der  einschlägigen  Literatur 
(Jacobaeus,  Matzenauer)  kommt  Verf.  zu  dem  Schlüsse, 
„daß  dem  klinisch  fest  umschriebenen,  einheitlichen  Begriff  von 
Pagets  disease  kein  gemeinsames  pathologisch-anatomisches  Sub¬ 
strat  zugrunde  liegt,  indem  das  eine  Mal  ein  Plattenepithel,  das 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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andere  Mal  ein  Zylinderzellcn-  oder  Drüsenkrebs  dieses  Krank¬ 
heitsbild  hervorrnfen  kann,  wobei  das  Oberflächenepithel  des 
Warzenhofes  oder  das  die  Milchgänge  aiiskleidende  Epithel  oder, 
wie  im  vorliegenden  Falle,  das  Parenchym  der  Milchdrüse  die 
Karzinommaterie  ahgeben  kann“.  —  Archiv,  für  Dermatologie 
lind  Syphilis,  Bd.  83,  H.  2.)  Pi° 

* 

172.  Ans  der  I.  medizinischen  Klinik  der  Universität  in 
Budapest  (Direktor:  Prof.  F.  v.  Koränyi).  Ueber  die  Hypo¬ 
plasie  des  Arteriensystenis.  Von  Dr.  Siegmund  v.  Ritoök. 
Die  Studie  befaßt  sich,  mit  den  in  der  Literatur  niedergelegten 
Fällen  von  Hypoplasie  des  Arteriensystems,  ln  73  Fällen  ist  es 
bloß  zwölfmal  gelungen,  die  Diagnose  bei  Lebzeiten  zu  stellen 
und  da  mitunter  nur  als  Wahrscheinlichkeitsdiagnose.  Da  Doktor 
V.  Ritoök  nicht  in  der  Lage  ist,  einen  Mangel  an  diagnostisch 
veiwertbaren  Älerkmalen  zu  finden,  glaubt  er,  daß  bisher  der 
in  Rede  stehenden  Krankheit  nicht  die  genügende  Aufmerksamkeit 
geschenkt  wurde.  Seine  Studie  liefert  eine  , Reihe  diagnostischer 
Anhaltspunkte:  1.  jugendliches  Alter;  2.  hochgradige,  jeder  Be¬ 
handlung  trotzende  Anämie,  für  welche  kein  landerer  Grund  ge¬ 
funden  werden  kann;  3.  nachweisbar  mangelhafte  Entwicklung 
anderer  Organe  (Herz,  Genitale,  Hämophilie,  Leukämie); 
4.  schnelles  Ermüden  jugendlicher  Individuen  bei  geringer  phy¬ 
sischer  Arbeit,  Hotz  scheinbar  normaler  Entwicklung;  5.  sub¬ 
normale  Temperaturen  oder  bei  fieberhaften  Krankheiten  unge¬ 
wöhnlich  geringe  Temperatursteigerung;  6.  Herzklopfen  (sogar 
stenokardische  Anfälle)  bei  relativ  geringer  physischer  Anstren¬ 
gung,  besonders  bei  Individuen  mit  schnellem  Wachstum  in  der 
Pubertät;  7.  Hypertrophie  des  linken  Herzens  bei  Fehlen  anderer 
Ursachen;  8.  akute  Insuffizienz  der  Herzens  nach  relativ  geringer 
physischer,  einmaliger  oder  habitueller  Arbeit;  9.  geringe  Wider¬ 
standsfähigkeit  gegenüber  akuten  und  infektiösen  Krankheiten 
(wegen  baldiger  Insuffizienz  des  Herzens).  Natürlich  werden  alle 
diese  Erscheinungen  selten  gleichzeitig  beobachtet  werden  können. 
In  je  größerer  Zahl  sie  jedoch  nachgewiesen  werden  können, 
mit  desto  größerer  Wahrscheinlichkeit  wird  die  Diagnose  auf¬ 
gestellt  werden  können.  Ueber  die  Therapie  läßt  sich  nichts 
Nennenswertes  sagen.  Prophylaktisch  hätten  sich  sogar  kräftig 
gebaute  Individuen  vor  jeder,  mit  physischer  Anstrengung  einher¬ 
gehender  Arbeit  streng  zu  hüten.  Bei  eingetretener  Insuffizienz 
des  Herzens  oder  noch  bestehender  Kompensation  gleicht  das 
Heilverfahren  dem  sonst  bei  Herzkrankheiten  üblichen  Verfahren. 
—  (Zeitschrift  für  klinische  Medizin  1907,  Bd.  LXI,  H.  1  u.  2.) 

K.  S. 

173.  Ueber  den  Einfluß  des  Chinins  auf  die  Wehen¬ 
tätigkeit  des  Uterus.  Von  Dr.  A.  Maurer,  Assistenten  der 
Universitäts-Frauenklinik  in  Gießen  (Direktor  Geh.  Med. -Rat  Pro¬ 
fessor  Dr.  Pfannenstiel).  Die  Methode  ist  gegen  40  Jahre  alt; 
über  ihren  Wert  sind  einander  widersprechende  Angaben  ver¬ 
öffentlicht  worden.  An  obengenannter  Klinik  wurde  im  ganzeii  in 
78  Fällen  Chinin  zur  Anwendung  gebracht  u.  zw.  in  63  Fällen 
zur  Wehenanregung  oder  Wehen  Verstärkung  intra  partum  und  in 
15  Fällen  zur  Behandlung  des  Abortus.  In  61  Fällen  (78-2o/o)  komite 
eine  deutliche  Wirkung  der  verabreichten  Chinindosen  beobachtet 
werden,  in  17  Fällen  (21-8%)  waren  dieselben  mehr  oder  weniger 
wirkungslos.  Das  Chinin  wurde  per  os  oder  subkutan  verabreicht. 
Von  Chinin,  bisulf.  (2:30)  wurden  0-4  g  injiziert,  welche  Dosis 
wirksam  war.  Später  gab  man  es  nur  innerlich,  zumeist  1  g 
Chinin,  sulf.  auf  einmal,  welche  Dosis  nach  zwei,  resp.  fünf  bis 
sechs  Stunden  ein  drittesmal  wieder  gegeben  wurde.  Das  Chinin 
wurde  in  Oblaten  gegeben,  hinterher  etwas  Kaffee  gereicht.  Die 
Wehen  setzten  nach  einer  Stunde  ein,  wurden  allmählich  kräf¬ 
tiger,  hielten  an  oder  es  wurde  die  Chiniridosis  von  1  g  wieder¬ 
holt  gegeben.  Die  Dosis  von  3  g  wurde  aber  nur  in  den  seltensten 
Fällen  verabreicht.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  war  die  Geburts¬ 
dauer  eine  wesentlich  kürzere.  In  14  Fällen  handelte  es  sich 
um  künstliche  Frühgehurt;  es  wurde  Hystereuryse  angewandt 
und  gleichzeitig  Chinin  verabreicht.  In  neun  Fällen  wurde  gute, 
in  fünf  Fällen  gar  keine  oder  nur  geringe  Wirkung  erzielt.  Auch 
hier  wurde  die  Geburtsdauer  wesentlich  abgekürzt,  was  ein  großer 
Vorteil  ist.  14mal  wurde  das  Chinin  bei  der  Behandlung  des 
Abortus  ei'probt,  zehnmal  mit  positivem,  viermal  mit  negativem 


Resultat.  Der  Verfasser  gibt  bei  den  einzelnen  Gruppen  eine 
Reihe  kurzer  Krankengeschichten,  erwähnt  die  geringen  Neben¬ 
wirkungen  des  Chinins,  die  Blutungen  in  der  Nachgeburtsperiode 
(dreimal  beobachtet),  die  Unschädlichkeit  des  Chinins  für  die 
Kinder  und  schließt  mit  folgenden  Worten:  Das  Chinin  übt  un¬ 
streitig  einen  wehenverstärkenden,  vielleicht  auch  einen  vvehen- 
erregenden  Einfluß  auf  den  Uterus  aus.  Für  die  Wirkung  des 
Chinins  kann  freilich  nicht  in  jedem  Falle  garantiert  werden. 
Chinin  ist  als  Wehenmittel  ganz  besonders  empfehlenswert,  weil 
es  eine  physiologische  Wehentätigkeit  hervorruft,  und  weil  es 
sowohl  für  die  Mutter  als  auch  für  das  Kind  absolut  unschädlich 
ist.  Von  ganz  besonderem  Werte  ist  die  Anwendung  des  Chinins 
bei  der  künstlichen  Frühgehurt  und  bei  der  Behandlung  des 
Abortus  zur  Verstärkung  unserer  sonstigen  Wehenreize.  Das 
Chinin  macht  die  normale  Uterasmuskulatur  gegen  den  Nerven¬ 
reiz  empfindlicher,  es  übt  also  auf  den  Uterusmuskel  eine  sensi¬ 
bilisierende  Wirkung  aus.  Versagt  das  Chinin,  so  hat  man  es 
wahrscheinlich  mit  einem  abnorm  schwachen  Muskel  zu  tun  öder¬ 
es  ist  die  empirisch  gefundene  Tatsache  zu  erwägen,  daß  das 
Chinin  in  geringen  Dosen  den  glatten  Muskel  reizt,  bei  zu  starker 
Dosis  aber  1  ä  h  m  t.  Störend  wird  immer  bleiben,  daß  wir  die  Höhe 
der  lähmenden  Dosis  für  den  einzelnen  Fall  nicht  Vorhersagen 
können.  —  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  5.) 

E.  F. 

* 

174.  Aus  der  kgl.  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Königs¬ 
berg  i.  Pr.  (Direktor:  Prof.,  Lexer).  Das  xAuf treten  intra¬ 
vitaler  Gerinnungen  und  Thrombosen  in  den  Ge¬ 
fäßen  innerer  Organe,  nach  Aether-  und  Chloroform¬ 
narkosen.  Von  Dr.  Paul  Mul z er,  Assistent  am;  Rudolf  -  Virchow- 
Krankenhaus  zu  Berlin,  früherem  Volontärarzt  der  clrirurgischen 
Klinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Verf.  hat  in  zahlreichen  Tierexperi¬ 
menten  die  histologische  Untersuchung  der  Lunge,  Leber  und  der 
Nieren  nach  langdauernden,  tiefen  Aether-  und  Chloroformnarkosen 
vorgenommen.  Er  hat  25  gesunde  Kaninchen  mit  reinem  Aether 
so  tief  narkotisiert,  daß  die  Kornealreflexe  während  der  ganzen 
Narkose  erloschen  waren.  Die  Tiere  starben  teils  in  der  Nar¬ 
kose,  teils  wurden  sie  nach  Ablauf  einer  bestimmten  Zeit  in 
tiefster  Narkose  viviseziert,  lebensfrische  Organstückchen  ein¬ 
gelegt  und  der  Weigertschen  Fibrinfärbung  unterworfen.  Bei 
sieben  Tieren,  welche  die  Narkose  nicht  länger  als  eine  halbe 
Stunde  aushielten,  enthielten  die  Gefäße  normale,  nicht  defor¬ 
mierte  und  gut  gefärbte  Blutkörperchen.  Dauerte  die  Narkose 
länger  als  eine  halbe  Stunde,  fand  Verf.  innerhalb  der  Gefäßi- 
lumina  mehr  oder  weniger  zahlreiche,  feine,  blaugefärbte  Körnchen, 
die  Erythrozyten  gegen  die  Gefäßwand  zu  deformiert  und  körnig 
zerfallen.  Gelang  es,  die  Narkose  bis  zu  einer  Stunde  fortzu¬ 
führen,  so  traten  feine  blaue  Fäden  auf,  die  sich  in  die  Schicht 
der  deformierten  roten  Blutkörperchen  hinzogen ;  oft  war  in  einigen 
Gefäßen  der  Inhalt  deutlich  nach  Art  typischer  Thromben  ge¬ 
schichtet.  21  Tiere  narkotisierte  Verf.  mit  Chloroform,  pur.  in 
derselben  Weise  wie  mit  Aether.  Audi  hier  fand  er,  wenn  die 
Narkose  über  eine  halbe  Stunde  dauerte,  dieselben  pathologischen 
Veränderungen  innerhalb  der  Gefäße  der  Lunge,  Leber  ^und  der 
Nieren,  wie  nach  Aethernarkosen :  Zerfallene  Erythrozyten,  kör¬ 
nige  und  fädige,  blaugefärbte  Massen  und  teilweise  geschichtete 
Thromben.  In  beiden  Versuchsreihen  zeigte  sich  das  Auftreten 
dieser  pathologischen  Verhältnisse  unabhängig  von  der  Menge 
des  Narkotikums  und  der  Art  der  Lagerung.  Auch  waren  durch 
die  Anordnung  der  Versuche  Aspiration  oder  Abkühlung  als  ur¬ 
sächliche  Momente  ausgeschlossen.  Auch  um  postmortale  Ver¬ 
änderungen  kann  es  sich  nicht  handeln,  denn  Verf.  fand  niemals 
in'  den  untersuchten  Organen  nicht  narkotisierter  Tiere  irgend¬ 
welche  Blaufärbungen,  Körnchen  oder  Fäden  in  den  Gefäßen. 
Kontrollversuche  mit  Injektion  von  Aether  und  Chloroform  in 
die  Ohrvene  einiger  Kaninchen  ergaben  innerhalb  der  Gefäße 
der  inneren  Organe  im  allgemeinen  dieselben  Erscheinungen  wie 
nach  längerer  Narkose  mit  diesen  Stoffen.  Diese  blaugefärbten, 
körnigen  und  fädigen  Massen  hält  Verf.  für  körniges  und  fädiges 
Fibrin  und  meint,  daß  xAether  und  Chloroform  als  Blutgifte  primär 
eine  Schädigung  der  roten  Blutkörperchen,  sekundär  ein  Ver¬ 
kleben  und  eine  Gerinnung  mit  Ausscheidung  von  Fibrin  heiwor- 
rufen.  Ob  außerdem  die  Gerinnbarkeit  des  Blutes  narkotisierter 


426 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  14 


Tiere  erhöht  ist,  konnte  Verf.  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden. 
Der  Häinoglobingehalt  ist  nach  der  Narkose  vielleicht  etwas  herab¬ 
gesetzt.  Die  Zahl  der  roten  Blutköiijerchen  hat  nach  der  Nar¬ 
kose  ganz  beträchtlich  ahgenonmien.  Deutlich  zeigen  in  der  Zähl¬ 
kammer  die  nach  der  Narkose  stark  deformierten  Erythrozyten 
den  destniierenden  Einfluß  des  Narkotikums.  —  (Münchener  niediz. 
Wochenschrift  1907,  Nr.  9.)  G. 

175.  (Aus  dem  Viktoria-Hospital  in  Glasgow.)  IJeher  zwei 
Fälle  von  trau  m  a  t  i  s  c  h  e  r  N  i  e  r  e  n  r  u  p  t  u  r,  von  denen 
in  einem  nur  eine  einzige  Niere  vorhanden  war.  Von 
James  Grant  Andrew.  Ein  Idjäliriger  Knabe  fiel  mit  der 
^0111611  Seite  gegen  eineji  harten  Gegenstand  auf.  Es  bildete  sich 
eine  Geschwulst  in  der  rechten  Lumbalgegend,  starke  Schmerzen 
traten  auf,  der  Urin  enthielt  Blut.  Da  sich  der  Zustand  ver¬ 
schlechterte,  wurde  laparotomiert.  Hiebei  wurde  die  Nierenkapsel 
von  ausgetretenem  Blut  enorm  ausgedehnt  gefunden.  Die  Kapsel 
wurde  ausgeräumt  und  entsprechend  drainiert.  Nach  fast  drei 
Monaten  wurde  infolge  einer  neuerlichen  Hämorrhagie  eine  Wieder¬ 
holung:  d:er  Operation  notwendig.  Bei  dieser  Gelegenheit  zeigte 
sich,  daß  die  linke  Niere  fehlte.  Da  das  Nierengewebe  durch 
die  Blutungen  stark  lädiert  war,  so  starb  Pat.  zwei  Tage  nach  der 
Operation.  Bei  der  Obduktion  wurde  die  Abwesenheit  einer  linken 
Niere  bestätigt.  Die  auf  der  rechten  Körperseite  gelegene  stellte 
ein  dreiteiliges  Organ  mit  zwei  deutlichen  Hilen,  einem  unvoll¬ 
ständig  geteilten  Nierenbecken  und  zwei  getrennten  Harnleitern 
dar.  Ein  zweiter  Fall  von  traumatischer  Nierenruptur,  der  einen 
siebenjährigen  Knaben  betraf  und  bei  welchem  die  Diagnose  durch 
Operation  sichergestellt  worden  war,  ging  in  Heilung  aus.  Vom 
diagnostischen  Standpunkt  wären  nach  Verf.  in  beiden  Fällen 
folgende  Symptome  wichtig:  die  Anwesenheit  von  Blut  im  Urin 
unmittelbar  nach  dem  Unfall,  Palpabilität  der  rupLurierten  Niere 
und  eine  deutlich  erkennbare  retroperitoneale  Schwellung  in  der 

Lumbalgegend.  —  (Lancet,  26.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

* 

176.  Ueber  Akrozephalosyndakty  lie.  Von  E.  Apert. 
Als  Akrozephalosyndaktylie  wird  eine  angeborene,  mit  dem  Leben 
vereinbare  Mißbildung  bezeichnet,  bei  welcher  der  Schädel  eine 
abuorme  Entwdcklung  in  der  Höhendimension  zeigt,  nach  rück¬ 
wärts  abgeplattet  ist  und  in  der  oberen  Stirnregion  übermäßig  vor¬ 
springt,  wobei  gleichzeitig  Syndaktylie  an  allen  vier  Extremi¬ 
täten  besteht.  Es  sind  bisher  neun  Fälle  .dieser  Mißbildung  be¬ 
schrieben  worden,  welche  in  ihren  wesentlichen  Zügen  identisch 
sind  und  nur  hinsichtlich  des  Entwicklungsgrades  der  Mißbildungen 
Abweichungen  aufweisen.  In  einigen  Fällen  sind  auch  Mißbil¬ 
dungen  des  Gaumens  beobachtet  worden.  Die  Mißbildung  ist 
weder  familiären,  noch  hereditären  Charaktei's.  In  einigen  Fällen 
wurde  Hydramnios,  bzw.  syphilitische  Infektion  der  Eltern  fest¬ 
gestellt,  in  zwei  zur  Autopsie  gelangten  Fällen  erweckte  Sklerose 
der  Milz  den  Verdacht  auf  hereditäre  Syphilis.  Die  besondere 
Form  des  Schädels  läßt  sich  durch  amniotische  Kompressionl 
erklären,  ebenso  ist  es  festgestelit,  daß  Syndaktylie  auf  gleiche 
Weise  oder  durch  die  Wirkung  amniotischer  Stränge  zustande 
kommen  kann.  Jedoch  wird  dadurch  nicht  die  Symmetrie  der 
Mißbildung  erklärt.  Die  durch  Druck  zustande  kommenden  Mi߬ 
bildungen  sind  Unregelmäßig,  ferner  findet  man  bei  der  durch 
amniotische  Stränge  erzeugten  Syndaktylie  kongenitale  Ampu¬ 
tationen  der  Finger,  sowie  verschiedene  Einschnürungen.  Die 
gleichartige  Form  der  IMißbildung  bei  Akrozephalosyndaktylie,  die 
vollständige  Symmetrie  und  die  Beteiligung  aller  vier  Extremi¬ 
täten  wird  besser  durch  die  Annahme  eines  trophischen  Zen¬ 
trums  an  der  Schädelbasis  erklärt.  Nach  Babes  zeigen  alle 
Träger  von  Mißbildungen,  welche  alle  vier  Extremitäten  betreffen, 
auch  Mißbildungen  des  Gesichtsschädels,  z.  B.  Hasenscharte 
mit  Gaumenspalte,  sowie  auch  manchmal  Spaltbildang  im  Ge¬ 
sicht.  Diese  Mißbildungen  sind  die  Folge  einer  fötalen  Erkran¬ 
kung  der  Schädelbasis,  welche  entzündlicher,  spezifischer  oder 
traumatischer  Natur  sein  kann.  Bemerkenswert  ist  das  Fehlen, 
die  Degeneration  oder  mangelhafte  Entwicklung  der  Hypophysis. 
IMan  muß  daher  annehmen,  daß  an  der  Schädelbasis  ein  trophi- 
sches  Zentrum  für  die  Extremitäten  vorhanden  ist,  dessen  Läsion 
zur  Zeit  der  ersten  Einbryonalentwicklung  Mißbildungen  hervor¬ 
ruft.  Diese  Theorie  wird  auch  durch  die  Bedeutung  der  Hypo¬ 


physiserkrankungen,  für  die  Pathogenese  der  Akromegalie  ge¬ 
stützt.  —  (Bull,  el  Mejii.  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1906, 

Nr.  38.)  a.  e. 

♦ 

177.  Ein  Beitrag  zur  K  e  n  n  t  n  i  s  der  B  ak  t  e  r  i  e  n  f  1  o  r  a 
der  Mundhöhle.  Von  Dr.  Viktor  Mucha,  Wien.  Der  Verfasser 
berichtet  über  seine  Untersuchungen  des  Sekretes  einerseits  bei 
Anginen,  anderseits  der  normalen  Mundhöhle.  Dabei  gelang  es 
ihm,  bei  Anginen  in  24  von  26  Fällen,  in  der  normalen  Mund- 
höhle  in  21  von  25  Fällen  einen  eigentümlichen  Streptokokkus 
nachzuweisen.  jMorphologisch  und  biologisch  gehört  er  zur  Gruppe 
des  Streptococcus  brevis,  leicht  erkennbar  und  isolierbar  ist  er 
infolge  des  Aussehens  seiner  Kolonien  auf  serumhaltigem  Zucker¬ 
agar;  er -bildet  nämlich  kleine,  häufig  aber  bis  stecknadelkopf¬ 
große,  unregelmäßig  begrenzte,  in  den  Nährboden  vielfach  tief 
eingegrabene,  knorpelharte  Kolonien.  Für  die  gebräuchlichen  Ver¬ 
suchstiere  ist  er  wenig  pathogen.  Was  die  Identifizierung  mit 
den  bekannten  Bakterien  anbelangt,  so  glaubt  Mucha,  ihn  mit 
dem  von  Hlawa  beschriebenen  Leukonostok  hominis  identifi¬ 
zieren  zu  müssen,  hält  ihn  jedoch,  ini  Gegenteil  zu  Hlawa,  der 
seinem  Leukonostok  eine  große  Bedeutung  bei  den  akuten  Exan¬ 
themen  beimißt,  für  einen  häufigen  Bewohner  der  Mundhöhle, 
dessen  pathogene  Bedeutung  für  den  Menschen  wahrscheinlich, 
aber  nicht  einwandfrei  sichergestellt  ist.  —  (Zeitschrift  für  klinische 

Medizin,  Bd.  62.)  Pi. 

* 

178.  Aus  dem  Augusta-Hospital  in  Köln  (Chefarzt:  Professor 

Matthes).  Blutuntersuchungen  bei  Asthmatikern.  Von 
Dr.  P.  S  aleck  er.  Der  diagnostische  Wert  der  Eosinophilie  des 
Asthanablutes  sank  bedeutend,  als  Neuss  er  und  seine  Schule 
eine  Vermehrung  der  azidophilen  Zellen  bei  den  verschieden¬ 
artigsten  Krankheitsprozessen  fanden.  Verf.  hatte  Gelegenheit, 
sieben  Asthmatiker  vor,  im  und  nach  dem  Anfall,  weitere  sieben 
im'  Intervall  zu  untersuchen.  Die  Resultate  aus  den  mitgeteilten 
Krankengeschichten  und  Vers'uchsreiihen  sind  folgende.  Im  Inter¬ 
vall  findet  sich  meist  eine  prozentuale  Verschiebung  der  weißen 
Blutzellen  in  dem  Sinne,  daß  die  Polynukleären  vermindert 
(bis  auf  40*’/o),  die  Monoimkleären  bis  auf  45^/0)  und 
die.  Eosinophilen  (bis  auf  42 o/o  und  auch  niehi’)  ver¬ 
mehrt  sind.  Unter  den  Polymoi’phkernigen  findet  man  öfter  ein 
Ueberwiegen  oder  wenigstens  einen  hohen  Prozentsatz  der  ein- 
und  zweikernigen  Formen.  Unter  den  Mononukleären  sind  die 
mononukleären  Leukozyten  und  Uebergangsfonnen  meist  stark 
vermehrt.  Im  oder  kurz  nach  dem  Anfalle  'findet  man  ein  An¬ 
steigen  der  Leukozytengesamtmenge.  Dieser  Anstieg  betrifft  haupt¬ 
sächlich  die  Polymorphkernigen,  die  zuweilen  bis  80o/o  und  mehr 
der  Gesamtleukozytenzahl  ausmacheii.  Die  Mononukleären  und 
besonders  die  Eosinophilen  nehmen  absolut  an  Zahl  ab,  zuweilen 
scheinen  die  Eosinophilen  fast  verschwunden.  Dauert  der  Anfall 
an,  so  können  die  Verändeiamgen  in  demselben  Sinne  zunehmen, 
wie  es  in  zwei  mitgeteilten  Fällen  vorkommt.  Ein  anderer  Fall 
zeigt  dagegen  trotz  weiteren  Ansteigens  der  Gesamtleukozyten¬ 
zahl  ein  leichtes  Absinken  der  Polymorphkernigen  und  ein  stär¬ 
keres  Ansteigen  der  Eosinophilen.  Bald  nach  dem  Anfall  sinken 
die  Polynukleären  istark  ab,  die  Mononukleären  und  Eosinophilen 
nehmen  absolut  an  Zahl  zu.  Im  Laufe  von  einigen  Tagen  kehren 
die  Verhältnisse  zur  NoriU;  zurück.  Bei  sogenannten  akuten  Asthma¬ 
anfällen  scheinen  die  Schwankungen  der  Blutzusammensetzung 
erheblicher  zu  sein  als  bei  den  chronischen.  Als  Erklärung  für 
diese  geAvaltige  Blutveränderung  im  Asthniaanfalle  möchte  Ver¬ 
fasser  annehmen,  daß  von  der  Bronchialschleimhaut  aus  ein  starker 
Reiz  auf  die  Blutbildungsstätten  ausgeübt  Avird.  Diese  geben  zu¬ 
nächst  ihr  geAvöhnliches  Reservematerial,  die  Polynukleären,  her, 
Avährend  die  Bluteosinophilen,  einem  spezifischen  Reize  folgend, 
in  die  Bronchien  emigrieren.  Auf  den  Verlust  an  Eosinophilen 
antAvorten  die  Blutbildungsstellen  mit  einer  Ueberproduktion,  avo- 
durch  isich  das  spätere  Ansteigen  derselben  erklärt.  Die  Poly¬ 
nukleären  gehen,  da  sie  bei  der  Spezifität  des  Bronchial reizes 
nicht  gebraucht  Averden,  zugrunde.  Das  Bronchialasthma  Avird  von 
den  meisten  Autoren  für  eine  Reflexneurose  gehalten.  V^’erfasser 
meint,  daß  man  so  starke  Blutreaklionen  nur  auf  chemische  oder 
bakterielle  Reize  folgen  sieht.  —  (Münchener  mediz.  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  8.)  G. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  427 


Therapeutisehe  j^otizen. 

Jodofan,  ein  neues  or  gallisches  Jodpräparat,  als 
Jodo  former  satzmittel.  Von  Dr.  H.  Eisenborg:,  Berlin. 
Jodofan,  das  Monojododioxylbenzolaldeliyd,  C6H3J(OH)2HCOfl, 
bildet  ein  röflicbgelbes,  kristallinisches,  fein  pulverisiertes,  nicht 
liygroskopiscbes,  rein  organiscb-cbemisches  Präparat,  welches 
gerucb-  und  geschmacklos  ist.  Es  ist  unlöslich  in  Wasser,  'Alkohol, 
Aether,  Chloroform.  Durch  die  Wundsekrete  wird  es  zersetz^ 
wodurch  die  rote  Farbe  in  ein  dunkles  Grau  übergeht.  Die 
bakteriologische  Prüfung  ergab  eine  überraschend  kräftige  des¬ 
infizierende  Wirkung.  Diese  ist  so  stark,  daßi  in  ausgeschütteten 
Platten  das  Whichslum  der  Kulturen  schon  in  einer  Entfernung 
von  fast  1  cm  von  der  Trockensuhstanz  aufhört.  Diese  hohe 
desinfizierende  Kraft  zusammen  mit  der  absoluten  Reizlosigkeit 
des  Präparates,  welche  bisher  hei  allen  Versuchen  konstatiert 
wurde,  sichern  dem  Jodofan  nach  Verf.  eine  bedeütende  Zukunft. 
Hinsichtlich  der  Benützungsweise  bemerkt  Verf.,  daß  das  Jodofan 
auf  die  Wundfläche  nur  in  ganz,  dünner  Schicht  auf  gestäubt 
werden  darf,  weil  es,  in  dicker  Schicht  auf  ge  tragen,  einen  mit 
dem  Wundsekret  verbackenden  Schorf  bildet,  der  die  Aufsaugung 
in  die  .Veibandstoffe  hindert.  Zu  Verhandzwecken  kann  man 
sich  einer  lOo/oigen  Jodofangaze  bedienen.  Verf.  verfügt  bis  jetzt 
über  49  Fälle,  aus  der  sogenannten  kleinen  Chirurgie  34,  von 
dermatologischen  Fällen  10,  nässende  Ekzeme,  Ulcera  mollia, 
Ulcera  cruris  varicosa,  wobei  er  auch  eine  20”/oige  Jodofanpaste 
zur  Anwendung  brachte;  dann  bei  einem  inoperablen  I-’ortio- 
karzinom  mit  ausgezeichneter  desodorisierender  Wirkung.  An 
allen  diesen  Fällen  hat  Verf.  den  Eindruck  gewonnen,  daßi  wir 
im  „Jodofan;*  ein  dem  Jodoform  ebenbürtiges,  absolut  reizloses 
Wundheilmittel  und  Wunddesinfiziens  besitzen,  welches  zweifel¬ 
los  völlig  frei  ist  von  all  den  Nachteilen,  die  so  häufig  der  An¬ 
wendung  des  Jodoforms  entgegenstehen.  —  (Münchener  medizi¬ 
nische  Wochenschrift  1907,  Nr.  12.)  G. 


^/ermisehte  J^aehriehten. 

Ernannnt:  Der  mit  dem  Titel  eines  außerordentlichen  Uni¬ 
versitätsprofessors  bekleidete  Privatdozent  an  der  Universität  in 
Wien,  Dr.  Anton  El  sehnig,  zum  ordentlichen  Professor  der 
Augenheilkunde  und  Vorstände  der  Augenklinik  an  der  deutschen 
Universität  in  Prag.  —  Der  .außerordentliche  Professor  Dr.  x\dolf 
Pas  son  zum  ordentlichen  Professor  der  Ohrenheilkunde  in 
Berlin.  —  Prof.  Partsch  in  Breslau  Zum  Geh.  Medizinalrat.  — 
Dr.  Salge  zum  außerordentlichen  Professor  der  Kinderheilkunde 
in  Göttingen.  —  Der  außierordentliche  Professor  Dr.  Szekey  in 
Budapest  z'um  Direktor  des  dortigen  Pasteurinstitutes.  —  Privat¬ 
dozent  Dr.  Klein  in  Amsterdam  zum  Professor  der  Hygiene, 
gerichtliche  Medizin  und  Pharmakologie  in  Groningen.  —  Doktor 
Kadi  an  (Chirurg)  und  Doktor  Verkhowsky  (Laryngologe)  zu 
ordentlichen  Professoren  am  medizinischen  Institut  für  Frauen 
in  Petersburg. 

* 

Geh.  Med.-Rat  Prof.  Hermann  Senator  beging  am  23.  März 
die  öOjäbrige  Doktorjubelfeier. 

* 

Verliehen:  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Ottokar  B  o  z  a  nek 
in  Prag  der  Titel  eines  kaiserlichen  Rates.  —  Dem  Oberstabsarzt 
Dr.  Richard  Müller  in  Berlin  das  Prädikat  Professor. 

* 

Habilitiert;  Dr.  R.  Dalla-Vedova  für  Chirurgie  in 
Rom.  —  Dr.  Eenzi  für  externe  Pathologie  in  Florenz. 

* 

Gestorben:  Dr.  Ottomar  Rosenbach,  Professor  für 
innere  Medizin  in  Berlin.  —  Obermedizinalrat,  Generalarzt  Doktor 
V.  Burckhardt,  Vorstand  der  chirprgisohen  Abteilung  des 
Ludwig- Spi tales  in  Stuttgart.  —  Prof.  Dr.  G.  B.  F'owler  in 
New  -  York. 

* 

Am  23.  März  versammelte  sich  in  Dresden  auf  Einladung 
der  Profesisoren  Heu  b  ner- Berlin  und  Czerny- Breslau  eine 
Anzahl  von  Pädiatern  zu  einer  Tagung,  auf  der  folgende  Vorträge 
gehalten  wurden:  Czerny-Breslaü:  Exsudative  Diathese;  Stei- 
n  i  tz  -  Breslau  :  Ueber  Vegetarismus  und  exsudative  Diathese; 
Or  gl  er  und  Weigert-Breslau  ;  Sloffwechseluntersuchungen  bei 
Soletrinkkuren;  F reund- Breslau :  Milchnährschaden  und  Fett¬ 
resorption  :  R  i  e  t  s  c  h  e  1  -  Berlin  :  Ueber  die  Magenlipase  beim 
säugenden  Tier;  Ludwig  F.  Meye r- Berlin :  Ueber  den  Tod  hei 
Pylorusstenose ;  G  o  f  f  r  y  e  -  Dresden ;  Temperaturheobachtungen 
beim  Säugling ;  W  e  i  g  e  r  t -  Breslau  :  Ernährung  und  Infektion ; 


F  i  n  k  e  1  s  tein  -  Berlin ;  Ueber  Idiosynkrasie  gegen  Kulnnilcb; 
0  r  g  1  e  r- Breslau  :  Lieber  die  Harnsäureausscheidung  im  Säug¬ 
lingsalter:  N  0  e  gig  e  r  a  th  -  Berlin  :  Referat  über  v.  Behrings 
phtbisiogenetische  und  phthisiotherapelitische  Theorien;  Demon¬ 
stration  von  Photogrammen;  Goeppert-Kattowitz:  Heilung  bei 
Spina  bifida;  Heubner-Berlin :  Ueber  Poliomyelitis;  Lang¬ 
stein-Berlin;  Kohlehydratstoffwechsel  in  den  ersten  Lebens¬ 
tagen;  die  Bedeutung  des  Fettes  für  die  Verdauung,  der  Milch¬ 
eiweißkörper  durch  Magensaft  (nach  Versächen  von  Lempp- 
Berlin);  K oeppe- Gießen :  Ueber  die  oxydativen  Fermente  der 
Milch;  Möllh aus en -Dresden:  Bedeutung  von  Kochsalz-  und 
Zuckerinjektionen  beim  Säugling.  , 

* 

Anläßlich  der  25.  Wiederkehr  des  Jahrestages  des  Eintrittes 
Sr.  Exzellenz  Prof.  v.  Bergmann  in  ,den  Lehrkörper  der  Ber¬ 
liner  Universität  hat  Prof.  Franz  Skarbina  ein  Gemälde  ge¬ 
schaffen,  das  den  großen  Chirurgen  inmitten  seiner  Assistenten 
während  einer  Operation  im  Hörsaale  zeigt.  Von  diesem  künst¬ 
lerisch  ausgeführten  Bilde  wurde  für  den  Kunstverlag  Richard 
Bong  in  Berlin  eine  Gravüre  hergestellt,  welche  nach  dem  Urteil 
Sachverständiger  als  eine  gelungene  Kopie  des  Originals  bezeichnet 
werden  muß'.  Das  genannte  Kunsthlatt  wird  nicht  nur  ein  Schmuck 
für  jedes  xLerztezimmer,  sondern  gewiß  für  viele  auch  eine  will¬ 
kommene  Erinnerung  an  den  nun  verewigten  Meister  sein. 

* 

'Das  von  Pnof.  J.  v.  M  ering  unter  Mitwirkung  hervorragender 
Kliniker  herausgegebene  Lehrbuch  der  inneren  Medizin, 
dessen  dritte  Auflage  1905  ausgegeben  worden  war,  ist  nun  in 
vierter,  teilweise  umgearbeiteter  Auflage  erschienen. 
Verlag  von  G.  Fischer- Jena.  Preis  Mk.  12-50. 

♦ 

Hyperämie  als  Heilmittel.  Von  Prof.  Dr.  August  Bier 
in  Bonn.  Fünfte,  um  ge  arbeitete  Auflage.  Verlag  von 
F.  Vogel  in  Leipzig.  Preis  Mk.  12.  Wie  der  Verfasser  des  wohl 
schon  allgemein  bekannten  Werkes  hervorhebt,  hat  namentlich 
die  Behandlung  akuter  Entzündungen  und  Eiterungen  in  der  vor¬ 
liegenden  Auflage  eine  Umarbeitung  erfahren.  Neu  hinzugekommen 
sind  die  Kapitel  über  Behandlung  der  Keloide,  der  Tendovaginitis 
crepitans,  der  Hautkrankheiten  und  schließlich  auch  noch  ein 
Inhaltsverzeichnis. 

* 

Unter  dem  Titel  ,,Geschäfts  reisen  de  Badeärzte“ 
schreibt  Dr.  N.  an  die  Münchener  medizinische  Wochenschrift 
in  Nr.  13  u.  a.  folgendes:  München,  12.  März  1907.  Sein- 
verehrliche  Redaktion!  Alljährlich  im  Frühjahr  fühlt  sich  eine 
Anzahl  von  Badeärzten  gedrungen,  die  in  den  Städten  prakti¬ 
zierenden,  ihnen  persönlich  völlig  unbekannten  Aerzte,  jneist 
während  der  Sprechstundenzeit,  aufzusPchen  und  sich  vorzustellen. 
Manchmal  sind  es  zwei,  drei  Aerzte  an  einem  Tage.  Ich  fühle 
mich,  wie  wohl  die  meisten  der  so  Auf  gesuchten,  immer  bei  solchen 
Besuchen  im  Interesse  des  Staiidesansehensi  beschämt.  Dieser 
Tage  erhielt  ich,  wähi'enddem  ich  in  der  Ordinationsstunde  be¬ 
schäftigt  war,  die  Karte  eines  Herrn  Dr.  Hugo  Sch.  aus  Marien¬ 
bad  in  mein  Sprechzimmer  geschickt.  Mit  einer  Patientin  be¬ 
schäftigt,  ließ  ich  dem  Herrn  höflich  sagen,  daß  ich  heschäftigit 
sei  und  seinen  Besuch  dankend  für  empfangen  ansehe.  Heute 
erhielt  ich  beiliegende  Ansichtskarte  des  mir  persönlich  unbe¬ 
kannten  Herrn  aus  dem  Münchener  Ratskeller;  ,, Werter  Herr 
Kollege !  Aus  dem  Ratskeller  sende  ich  Ihnen  mein  Prosit  und 
besten  Dank  für  den  liebenswürdigen,  kollegialen  Empfang!  Besten 
Gruß  Dr.  Sch.- Marienbad.  Rechne  mit  Bestimmtheit  auf  Ihren 
werten  Gegenbesuch  in  Marienhad.“  Das  Verhalten  des  Herrn 
Dr.  Sch.  kann  die  Kollegen,  denen  er  sich  weiter  vorstellt, 
nur  veranlassen,  ihm  möglichst  viele  Patienten  zur  taktvollen 
Behandlung  zuzuweisen.  Vielleicht  aber  auch  nehmen  die  in 
den  Badeorten  praktizierenden  Aerzte  einmal  die  Regelung  der 
Frage  in  die  Hand,  wie  sie  dem  Unfug  steuern  könnten,  daß 
einzelne  von  ihnen  wie  Geschäftsreisende  in  den  Städten  umher¬ 
ziehen  und  das  Ansehen  der  Badeärzte  und  das  des  ärztlichen 
Standes  im  allgemeinen  schädigen. 


Freie  Stellen. 

G  e  m  e  i  n  d  e  a  r  z  t  e  s  s  t  e  1 1  e  für  die  Gemeinde  Montona 
(Bezirk  Parenzo,  Küstenland).  Jahresremuneration  K  3800.  Der  Vertrag 
wird  im  Sinne  des  Landesgesetzes  vom  19.  März  1874,  L.-G.-  u.  V.-Bl. 
Nr.  8,  abgeschlossen  werden.  Auskunft  über  die  näheren  Vertrags¬ 
bedingungen  erteilt  das  Gemeindeamt  in  Montona,  woselbst  auch  die 
gehörig  instruierten  Gesuche  einzubringen  sind. 


428 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


Stadtarztesstelle  in  der  Stadt  B  y  s  t  f  i  t  z  a.  H.,  politischer 
Bezirk  Hollcschau  (Mähren),  mit  3857  Einwohnern  böhmischer  Umgangs¬ 
sprache.  Der  jiihrliche  Gehalt  beträgt  K  600.  Bewerber  wollen  ihre  ge¬ 
hörig  belegten  Gesuche  bis  30.  April  1.  J.  bei  dem  Stadtvorslande  von 
Bystfitz  a.  H.  einbringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Bernhardstal  (Niederöster¬ 
reich)  für  die  Sanitätsgemeindengruppe  Bernhardslal-Reintal  mit  2480  Ein¬ 
wohnern.  Beiträge  der  Gemeinden  K  400;  Landessubvention  K  400. 
Naluralwohiuing  und  Hausapotheke.  Gesuche  bis  15.  April  d.  J.  an  das 
Bürgermeisteramt  in  Bernhardstal. 

Gemeindearztesstelle  in  Wildendürnbach  (Nieder¬ 
österreich)  für  die  Sanitätsgemeindengruppe  Wildendürnbach-Neuruppers¬ 
dorf  mit  ca.  2000  Einwohnern.  Gemeindebeiträge  K  500,  Landessubvention 
K  600.  Naturalquartier  und  Hausapotheke.  Gesuche  an  das  Bürgermeister¬ 
amt  in  Wildendürnbach. 

Gemeindearztesstelle  inGerolding  (Niederösterreich) 
für  die  Sanitätsgemeindengruppe  Gerolding-Schönbühel  a.  d.  D.,  mit 
ca.  1500  Einwohnern.  Beiträge  der  Gemeinden  K  340,  Bezirkskranken¬ 
kasse  K  600,  Bezirksarmenrat  Melk  K  220,  Landessubvention  K  1200, 
zusammen  K  2360,  außerdem  freie  Wohnung.  Gehörig  belegte  Gesuche 
sind  an  den  Bürgermeister  von  Gcrolding  einzusenden. 

Oberbezirksarztes-,  eventuell  Bezirksarztes-  oder 
Sanitätskonzipistenstellen.  Bei  den  politischen  Behörden  in 
Tirol  und  Vorarlberg  gelangen  eine,  eventuell  zwei  Oberbezirksnrztes- 
stellen  mit  den  systemmäßigen  Bezügen  der  VHI.  Rangsklasse  und  in  der 
Folge  eine  oder  mehrere  Bezirksarztesstellen  mit  den  sy-temmiißigen  Bezügen 
der  IX.  Rangsklasse,  dann  eine  oder  mehrere  Sanilätskonzipistenstellen 
mit  den  systemmäßigen  Bezügen  der  X.  Rangsklasse  zur  Besetzung. 
Bewerber  um  eine  dieser  Stellen  haben  ihre  gehörig  instruierten  und 
insbesondere  mit  dem  Nachweis  über  allfällige  besondere  wissen¬ 
schaftliche  Qualifikation  versehenen  Gesuche  im  vorgeschriebenen  Dienst¬ 
wege  bis  längstens  20.  April  1907  beim  gefertigten  Statthaltereipräsidium 
einzubringen.  Innsbruck,  den  24.  März  1907.  K.  k.  Statthallerei¬ 
präsidium  für  Tirol  und  Vorarlberg. 


An  die  Redaktion  gelangte  Werke. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Broecliaei't,  fitudes  sur  les  injections  de  vaseline  et  de  paraffine. 
H  a  y  e  r,  Brüssel. 

Martini,  Trypanosomenkrankheiten  (Schlafkrankheit)  und  Kala- 
azar.  Fischer,  Jena.  M.  1’20. 

Hasebroek,  Die  Zandersche  mechanische  Heilgymnastik  und  ihre 
Anwendung  bei  inneren  Krankheiten.  Bergmann,  Wiesbaden. 

Wiedemann,  Die  äugen  ärztliche  Tätigkeit  des  Sanitätsoffiziers, 
Ebenda. 

Kronipecher,  Kristallisation,  Fermentation,  Zelle  und  Leben.  Ebenda. 

Erg’cbnisse  der  experimentellen  Pathologie  und  Therapie,  ein¬ 
schließlich  Pharmakologie.  Redigiert  von  Dr.  E.  Schreiber.  1.  Bd. 
1.  Abtlg  Ebenda. 

Rajjlioni,  Zur  Analyse  der  Reflexfunktion.  Ebenda. 

Hainmarsteii,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie,  6.  Aufl.  Ebenda. 

Veit,  Handbuch  der  Gynäkologie.  I.  Bd.  2,  Aufl.  Ebenda. 

Marx,  Einführung  in  die  gerichtliche  Medizin  für  praktische 
Kriminalisten.  Hirschwald,  Berlin. 

Meyer,  Der  Schmerz.  Bergmann,  Wiesbaden.  M.  2’ — . 

Yierordt,  Perkussion  und  Auskultation.  9.  Aufl.  Pietzeker, 
Tübingen. 

Kicliardiere  et  J.  4.  SIcard,  Maladies  de  la  nutrition.  Goutle  — 
obefite  —  diabete.  B  a  i  1 1  i  e  r  e,  Paris.  Fr.  7‘ — . 

Ballanee,  Some  points  in  the  surgery  of  the  brain  and  its 
membranes.  M  a  c  m  i  1 1  a  n,  London. 

IHoclier,  Lebensdauer  und  Alkohol.  S.  A.  Reinhardt,  Basel. 

Lülileiii,  Ueber  die  entzündlichen  Veränderungen  der  Glomeruli 
der  menschlichen  Nieren  und  ihre  Bedeutung  für  die  Nephritis.  Hirzel, 
Leipzig.  M.  4‘ — . 

Duiigrern  v.  und  It.  Werner,  Das  Wesen  der  bösartigen  Ge¬ 
schwülste.  Eine  biologische  Studie.  Akad.  Verlagsgesellschaft,  Leipzig. 

Oppenheim,  Beiträge  zur  Diagnostik  und  Therapie  der  Geschwülste 
im  Bereiche  des  zentralen  Nervensystems.  Karger,  Berlin.  M.  8' — . 

Garre  und  Ehrhardt,  Nierenchierurgie.  Ebenda. 

Hecke,  Die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  und  Krebs  in  Wien  1904 
nach  Berufen.  Gerlach  &  Wiedling,  Wien. 

Pielrzikowski,  Die  Begutachtung  der  Unfallverletzungen,  b)  Be¬ 
sonderer  Teil.  Fischer,  Berlin.  M.  13—. 

Herz,  Heilgymnastik.  Enke,  Stuttgart.  M.  1‘80. 

Hardenheiier  und  Graessner,  Die  Technik  der  Exlensionsverbände 
bei  Behandlung  der  Frakturen  und  Luxationen  der  Extremitäten  3.  Aufl. 
Ebenda.  M.  4' — . 

Kehrer,  Der  plazentare  Stolfaustausch  in  seiner  physiologischen 
und  pathologischen  Bedeutung.  Stüber,  Würzburg.  M.  1'50. 

Eorel,  Der  Hypnotismus.  5.  Aufl.  Enke,  Stuttgart.  M.  6‘— . 

Calot,  Die  Behandlung  der  tuberkulösen  Wirbelsäulenentzündung. 
Deutsch  von  P.  Ewald.  Enke,  Stuttgart.  M  3-60. 

Hartmann,  Bericht  über  die  Tätigkeit  der  Berliner  Schulärzte  im 
Jahre  1905,1906.  Loewenthal,  Berlin. 


Fisclier,  Kinematik  organischer  Gelenke.  Vie  weg,  Braun¬ 
schweig.  M.  8‘ — . 

Ahlfeld,  Neuere  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  exakten 
Beckenmessung.  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig  M.  — '75. 

Hependorf,  Akute  infektiöse  Osteomyelitis  des  Oberkiefers. 
Ebenda.  M.  — -75. 

Thuiiuni,  Die  Zystoskopie  des  Gynäkologen.  Ebenda.  M.  1-50. 

Stern,  Ueber  traumatische  Enlslehung  innerer  Krankheiten. 
2.  Aufl.  1.  Heft.  Fischer,  Jena.  M.  3  50. 

Hansemniiu,  Ueber  die  Gehirne  von  Mommsen,  Bunsen  und 
V.  Menzel.  S  c  h  w  c  i  z  e  r  b  a  r  t,  Stuttgart.  M.  6’ — . 

Schwiening,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Verbreitung  der  vene¬ 
rischen  Krankheiten  in  den  europäischen  Heeren,  sowie  in  der  militär¬ 
pflichtigen  Jugend  Deutschlands.  Hirschwald,  Berlin. 

Opuscula  selecta  Neerlandicorum  de  arte  medica.  1.  Bd. 
Rossen,  Amsterdam. 

Schmidt  R.,  Das  Kamasutram  des  Vatsyana.  Die  indische 
Ars  amatoria.  3.  Aufl.  Barsdorf,  Berlin. 

Liehreich  und  Langgaard,  Kompendium  der  Arzneiverordnung. 
6  Aufl.  Kornfeld,  Berlin.  M.  15- — . 

Borats  Festschrift  für  G.  E.  v.  Rindfleisch.  Engelmann, 
Leipzig.  M.  60’ — . 

Schwartz  0.,  Sechzig  Jahre  ärztlicher,  amtlicher  und  schrift¬ 
stellerischer  Tätigkeit  (1846  bis  1907)  Bachem,  Köln.  M.  — 60. 

Nttesch,  Zur  Tuberkulosefrage  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Bekämpfung  der  Tuberkulose.  K  i  r  s  c  h  n  e  r  -  E  n  g  1  e  r.  St.  Gallen. 
M.  2-50. 

Lomer,  Linbe  und  Psychose.  Bergmann,  Wiesbaden.  M.  1  60. 

Biibois,  Die  Einbildung  als  Krankheitsursache.  Ebenda.  M.  l* — . 

Schlagiiitweit,  Ueber  Zystitis.  Stüber,  Würzburg.  M.  — •75. 

Ular,  Vorlesungen  über  Balneologie,  gehalten  an  der  Wiener 
Universität,  hcrausgegeben  von  E.  Epstein.  Deuticke,  Wien.  K  6' — . 

Balluer,  Ueber  die  Desinfektion  von  Büchern,  Drucksachen  u.  dgl. 
mittels  feuchter,  heißer  Luft.  Ebenda.  K  1'80. 

Herzfeld,  Praktische  Geburtshilfe.  2.  Aufl.  Ebenda.  K  13’20. 

Urbaiitschitsch,  Ueber  subjektive  optische  Anschauungsbilder. 
Ebenda.  K  6'—. 

Neumann,  Der  otitische  Kleinhirnabszeß.  Ebenda.  K  4' — . 

Rubner,  Lehrbuch  der  Hygiene.  8.  Aufl.  Ebenda.  K  30'  — . 

Bonne,  Deutsche  Flüsse  oder  deutsche  Kloaken  ?  Lüdeking, 
Hamburg. 

Baisch,  Reformen  in  der  Therapie  des  engen  Beckens.  T  h  i  e  m  e, 
Leipzig.  M.  4-60. 

Räubers  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  Neu  bearbeitet 
und  herausgegeben  von  Dr.  Kopsch.  7.  Aufl.  3.  Abteilung;  Muskeln, 
Gefäße. 

Adler  Alfred,  Studie  über  Minderwertigkeit  von  Organen.  Urban 
und  Schwarzenberg,  Wien.  K  360. 

Hirsch,  Ueber  Arterienverkalkung.  3.  Aufl.  Berlin,  München. 

Vorberg,  Gift  oder  Heilmittel  im  Unglück.  Ebenda. 

Polluon,  Heinsraths  Tarsalexzision  und  Kuhnts  Knorpelausspülung 
in  der  Granulosebehandlung.  Barth,  Leipzig.  M. — 80. 

Prowazek,  Taschenbuch  der  mikroskopischen  Technik  der  Pro- 
lislenuntersuchimg.  Ebenda.  M.  2' — . 

Döuitz,  Die  wirtschaftlich  wichtigen  Zecken  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  Afrikas.  Ebenda.  M.  5' — . 

Hirsch,  Die  Unfallverlctzungen  der  Augen  und  deren  Begut¬ 
achtung.  S.  A. 

Brastich,  Der  geistig  Minderwertige  in  der  Armee  und  dessen 
Beurteilung  durch  die  hiezu  berufenen  militärischen  Organe.  S.  A.  §afäf, 
Wien  1906.  K  1-— . 

Hoeu,  Der  operative  und  taktische  Sanitätsdienst  im  Rahmen  des 
Korps.  Ebenda.  K  6  50. 

Kroath,  Beitrag  zur  gofechtssanitäre.n  Applikatorik  im  Gelände. 
Ebenda.  K  2  40. 

Bulkley,  Ueber  die  Beziehungen  von  Krankheiten  der  Haut  zu 
inneren  Störungen  mit  Bemerkungen  über  Diät,  Hygiene  und  allgemeine 
Therapie.  Aus  dem  Englischen  von  D  •.  K.  U  1 1  m  a  n  n.  Urban  und 
Schwarzenberg,  Wien.  K  480. 

Eschle,  Grundzüge  der  Psychiatrie.  Ebenda.  K  9  60. 

Gerber,  Die  menschliche  Stimme  und  ihre  Hygiene.  T  e  u  b  n  e  r, 
Leipzig.  M.  1‘25. 

Sackliug,  Insanity,  cured  by  a  new  treatment.  C  o  r  i  n  s  h,  Bir¬ 
mingham. 

Rohleder,  Vorlesungen  über  Geschlechtstrieb  und  gesamtes  Ge¬ 
schlechtsleben  des  Menschen.  2.  Aufl.  Fischer,  Berlin.  M.  10‘ — . 

Berger,  Ueber  die  körperliche  Aeußerung  psychischer  Zustände. 
2.  Teil.  Fischer,  Jena.  Samt  Atlas  M.  20'—. 

Doerr,  Das  Dysenterietoxin.  Ebenda.  M.  2’50. 

Axenfeld,  Die  Bakteriologie  in  der  Augenheilkunde.  Ebenda 
M.  13  —. 

Sommer,  Eine  neue  Art  der  physikalischen  Nachbehandlung  von 
Verletzungen  auf  Grund  einer  röntgenologischen  Studie  über  die  Kallus¬ 
bildung.  N  e  m  n  i  c  h,  Leipzig.  M.  4‘ — . 

Höderleiu  und  Kröulg,  Operative  Gynäkologie.  2.  Aufl.  Thieme, 
Leipzig.  M.  25 — . 

Schulz,  Vorlesungen  über  Wirkung  und  Anwendung  der  un¬ 
organischen  Arzneistoffe.  Ebenda.  M.  8  — . 

Putter,  Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  innerhalb  der  Stadl. 
S  c  h  o  e  t  z,  Berlin.  M.  — ’OO. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 

INHALT: 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 

Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  14.  März  und  Sitzuntr 
vom  21.  März  1907.  ^ 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellscliaft.  Sitzung 
vom  20.  Februar  1907. 

Aerztlicher  Verein  in  Brünn.  Sitzung  vom  13.  und  20.  Februar  1907. 
Medizinischer  Verein  in  Greifswald.  Sitzung  vom  10.  Dezember  1906. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  der  p  ä  d  i  a  t  r  i  s  c  h  e  n  Sektion  v  o  in  14.  i\I  ä  r  z  1S07. 

K.  Hochsinger  zeigt  ein  Kind  mit  einseitiger  Hoden¬ 
tu  b  er  ku  1  o  s  e,  welclie  schon  im  vierten  Lehensmonat  aufgetreten 
ist.  Der  Testikel  ist  pflaumengroßi.  Das  Kind  bietet  sonst  keine 
Zeichen  von  Tuberkulose.  Es  Avird  die  Exstirpation  des  Hodens 
ausgeführt  werden,  weil  nach  derselben  erfahrungsgemäß  meist 
Heilung  einlritt,  zumal  die  Hodentuberkulose  bei  Kindern  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  eine  isolierte  Erkrankung  darstellt. 

N.  Swoboda  hat  einen  Fall  beobachtet,  in  welchem  nach 
Erweichung  des  tuberkulosen  Hodens  und  Durchbruch  des  Ab¬ 
szesses  Heilung  eintrat. 

K.  Hoch  singer  bemerkt,  daß  solche  Spontanheilungen 
nicht  so  selten  Vorkommen;  die  operative  Entfernung  des  er¬ 
krankten  Hodens  sei  jedoch  zweckmäßiig. 

P.  Moser  demonstriert  anatomische  Präparate  von  zwei 
Fällen  von  diffuser  Sklerose  des  Zentralnerven¬ 
systems.  In  beiden  Fällen  handelte  es  sich  um  Kinder,  welche 
bis  ungefähr  zum  siebenten  Jahre  gesund  waren.  Dann  änderte 
sich  das  psychische  Verhalten,  sie  Avurden  verdrossen,  lertiten 
schlecht  und  allmählich  bildete  sich  ein  Zustand  von  hoch¬ 
gradigem  Idiotismus  bis  zu  vollständiger  Apathie  aus.  Während 
dieser  Zeit  stellten  sich  Rigidität  der  Muskulatur  bis  zu  spasti¬ 
scher  Parese,  ataktische  Störungen  und  Verschle(dderung  der 
Sprache  ein.  Der  Tod  erfolgte  an  Pneumonie.  Bei  der  Obduktion 
fanden  sich  diffuse  sklerotische  Partien  im  Großhirn,  nament¬ 
lich  in  der  hinteren  Hälfte,  und  des  Seitenstranges  des  Rücken¬ 
markes,  in  einem  Falle  auch  eines  Teiles  des  Vorderstranges.  Es 
handelt  sich  um  eine  interstitielle  Entzündung.  Prognose  und 
Therapie  des  Leidens  sind  aussichtslos. 

K.  Zuppinger  stellt  einen  ZAvölfjälirigen  Knaben  nnt 
chronische  m,  sekundären  G  e  1  e  n  k  s  r  h  e  u  m  a  t  i  s  m  u  s 
vor.  Vor  acht  Jahren  bekam  Pat.  einen  akuten  Gelenksrheumatis¬ 
mus  in  den  Knie-  und  S))runggelenken.  Nach  vorübergehenJer 
Besserung  rezidivierte  die  Ifrkrankung  und  es  wurden  neben  den 
großen  Gelenken  auch  die  Hand-,  Hals-,  WTrhel-  und  Kiefergelenke 
ei'griffen,  so  daß  Pat.  sich  durch  Jahre  fast  nicht  rühren  konnl(;; 
der  Kopf  war  nach  vorne  gebeugt  und  so  fixiert.  Dann  hat  sich 
der  Zustand  etAvas  gebessert,  die  früher  konstatierte  Endokarditis 
der  Mitralklappe  ist  jetzt  nicht  mehr  nacluveisbar.  Unter  An- 
Avendung  von  Fibrolysininjektionen  ist  eine  Aveitere  Besserung 
eingetreten,  so  daß  diese  Therapie  jetzt  Aveiter  fortgesetzt  Avird. 
Pat.  kann  jetzt  den  Kopf  beAvegen  und  den  Mund  öffnen. 

Neurath  hat  einen  ähnlichen  Fall  beobachtet,  bei  Avel- 
cheni  die  Knochen  im  Wachstum  zurückgeblieben  Avaren,  Avähreml 
die  RöntgemintersPchung  ein  abnorm  langes  Bestehenbleiben  der 
Gelenksfugen  ergab. 

B.  Neurath  denionstriert  ein  TVajähriges  Kind  mit  chro¬ 
nischem  G  e  1  e  nk  s r  h e  u  m a  t i  S  inn  s,  welcher  vor  zAvei  Jahren 
zum  erstenmal  aufgetreten  ist  und  seither  rezidivierte.  Es  sind 
die  größeren  Extremitätengelenke  befallen.  Im'  Böntgenbilde  findet 
sich  eine  Linie,  parallel  der  Epiphysenlinie,  als  Ausdruck  der 
Avährend  der  ersten  Erkrankung  gehemmten  Ossifikation. 

Ferner  demonstriert  B.  Neurath  Präparate  und  Ab¬ 
bildungen  des  Gehirns  eines  Mikrozephalen.  Sie  stammen 
von  einem  zAveijährigen  Kinde,  A\mlches  seit  der  Geburt  einen 
sehr  kleinen  Kopf  hatte  und  in  einem  Anfalle  Amn  tonischer 
Starre  starb.  Das  Gehirn  zeigt  eine  ausgesprochene  Mikrogyrie, 
namentlich  im  Parietal-  und  Temporallappen,  indem  die  großen 
GidiirnAvindungen  durch  Furchen  in  zahlreiche  kleinere  Windungen 
geteilt  sind.  Whahrscheinlich  handelt  es  sich  primär  um  eine  Schä¬ 
digung  der  Aveißen  Substanz. 

J.  FM’  i  e  d  j  u  n  g  d emons triert  ein  h  o  c  h  g  r  a  d  i  g  a  t  r  o  p  h  i- 
sches  Kind,  Avelches  im  dritten  Monate  2570  g  wiegt.  Die  Tem¬ 
peratur  steht  unter  35-2°,  die  Muskulatur  zeigt  einen  erhöhten 
Tonus,  es  bestehen  chi'onische  Obstiiialion  und  eine  Nabelhernie, 
der  Gesichtsausdi  uck  ist  der  eines  myxödemkranken  Kindes,  doch 
sind  keine  Zeichen  des  Vlyxödenis  vorhanden.  Ueber  der  Khivi- 


kula  Avölbt  sich  beiderseits  beim  Schreien  eine  GescliAvulst  Amr, 
deren  Natur  unklar  ist.  Stellemveise  finden  sich  am  Körper  noch 
Lanugohaare.  Das  Kind  wird  alle  drei  Stunden  an  die  Brust 
angelegt.  Therapeutisch  AAÜrd  die  Darreichung  von  Thyreoidea¬ 
substanz  versucld  Averden. 

K.  Feiner  bemerkt,  daß  hier  Avahrschcinlich  ein  Myxödem 
vorliegt,  Avelches  erst  nach  dem  Abstillen  deutlicher  zum  Vor¬ 
schein  kommen  dürfte. 

J.  Fried  jung  möchte  sich  ebenfalls  dieser  Ansicht  an¬ 
schließen,  doch  spreche  dagegen  die  bestehende  Hypertonie  der 
Muskeln,  Avährend  Myxödem  mit  Flypotonie  einhergeht. 

N.  S  AA' o  b  0  d  a  zeigt  ein  Kind  mit  Urticaria  pigmc'u- 
tosa.  iVm  Rumpfe  finden  sich  hrauno  flache  und  AAuarzen artige 
Flecken,  Avelche  beim  Reiben  zu  einer  Urtikariaquaddel  an- 
schAvellen.  Die  braunen  Flecken  sind  nach  einer  im  ersten  Flalb- 
jahre  durchgemachten  Urtikaria  entstanden.  Die  Affektion  zeigt 
eine  allmählich  fortschreitende  Besserung. 

Als  Gegenstück  hiezu  demonstriert  Vortr.  ein  Kind  mit 
brauner  P i  g m e  n  t i e  r u n  g  na c  h  L i c h e  n  s c  r  o p  h  u  1  o  s  o  r u m. 
Auch  hier  finden  sich  am  Körper  hraiine  Flecken,  aus  ihnen  ent¬ 
stehen  aber  beim  Reiben  keine  Urtikariaciuaddeln. 

Schwoner  zeigt  ein  Kind  mit  M i ß b  i  1  d u n  g  e i n e r  H a n d. 
Dem  Vorderarm  sitzt  eine  verkümmerte  Hand  auf,  an  Avelcher  eine 
Anlage  Amn  Fingern  nachAveisbar  ist. 

J.  Zappert  hat  bei  einem  Kinde  mit  einer  derartigen  Mi߬ 
bildung  beider  oberen  Extremitäten  im  Rückenmark  Hydromyelie 
konstatiert,  Avas  Avohl  ein  zufälliges  Zusammentreffen  sein  dürfte. 

J.  Fried  jung:  Ueber  den  Einfluß  der  Säuglings¬ 
ernährung  auf  die  körperliche  Rüstigkeit  der  Fr- 
Avachsenen.  Die  rührige  Projiaganda  für  die  natürliche  Säug¬ 
lingsernährung  holt  die  Argumente  aus  der  Beobachtung  der  Säug¬ 
linge  selbst.  Vergleichende  Untersuchungen  dagegen  über  die 
Aveitere  EritAAdcklung  von  Brustkindern  einerseits  und  Flaschen¬ 
kindern  anderseits  fehlen  fast  vollständig.  Wohl  sind  die  Firgeb- 
ni.sse  der  militärischen  Assentierungen  hie  und  da  unter  diesem 
GesichtsAvinkel  betrachtet  Avorden,  aber  dieses  Material  kann  Amr 
der  Kritik  nicht  bestehen.  Vortr.  versucht  es,  der  Frage  an  der 
Hand  eines  geeigneten  Vlaterials  näherzutreten;  seine  Beob¬ 
achtungen  ei'strecken  sich  naturgemäß  auf  eine  so  kleine  Zahl, 
daß  sie  bloß  als  Anregung  aufgefaßt  sein  Avollen.  Ein  Verband 
von  ArbeiterturnAmndnen  mit  einem  ökonomisch  ziemlich  gleich¬ 
artigen  Mitgliedermaterial,  hält  alljährlich  strenge  Leishmgs- 
prüfungen  ab,  bei  denen  alle  Turner  dieselben  18  Uelrungen  aiis- 
zuführen  haben.  Die  Leistungen  Averden  nach  Turnerart  mit 
Punkten  klassifiziert.  Die  diesjährigen  Prüfungen  ergaheii 
Iw'istungen  A’on  49  bis  zu  1  Punkt  herunter.  Vortr.  legte  nun 
jerdem  Tuiaier  eine  Reihe  \mn  Fragen  vor,  unter  anderem  auch 
die  nacli  ihrer  Ernährung  im  Säuglingsalte)';  die  Beantwortung 
wurde  durch  alle  möglichen  Kautelen  zuverlässig  gemacht.  Nach 
der  Prüfung  Avurden  die  Turner,  155  an  der  Zaiil,  in  drei  Kate¬ 
gorien  geteilt:  gute  Turner  mit  30  bis  49  Ihmkten,  mittelmäßige 
mit  15  bis  29V2  Punkte)),  schlechte  mit  1  bis  14V2  PUnktcMi 
und  nu)i  vergliche)),  Avelche  Ernährinig  sie  als  Säugli)ige  er¬ 
halten  hatten  und  Avie  bürge  die  Brustki)ider  bei  der  Brust  ge- 
haltoi  Avorden  Avaren.  Dabei  ergab  sich  folgendes:  Von  den  155 
Turnern  hatten  100  die  ))atürliche,  1  Zwie)nilch,  13  F''laschen- 
)iahrung  olialte)),  41  konnten  kei)ie  verläßliche  A)igabe  machen. 
De)))nach  64-5‘’;o  Brustki))der  )))it  n)i)idestens  731  S|illmo))ate)), 
so  daß  auf  1  bei  Bcnützimg  der  MiPelzahl  6  Monate  entfalle)). 
Von  de))  33  gute))  Turne)'))  luitte))  24  die  Brust  erhalte))  (72Tp)  ))))d 
zvvar  du)’ch  240  Mo))ate  (Mittelzahl  9  bis  10  Vlonate).  Von  de)) 
))))tteh))äßige))  Turner)),  6G  an  der  Zahl,  Ava)'e))  44  Brustkinder, 
das  ist  6G'’/o,  durch  289'4'  Mo))ate  gestillt  (Mittelzahl  3  Mo))ate). 
Vo)i  de))  5G  ,, schlechten“  Tur))er))  hatte))  32  die  Brust  cu’halte)), 
das  si))d  57o,'o,  u.  zav.  durch  2OIV3  Mo))ate  (.Mittelzihl  3  Monate). 
De))  besseren  tur))erische))  Leiistu))ge))  e))t, spräche))  also  ))ach  diese')) 
Erhebungen  höhere  Proze))te  an  Brustkinder))  u))d  gleichzeitig 
ei))e  a))sgiebigere  Stiliu))g.  Vortr.  o'örtcu't  ))och  die  a,))dere))  FV)k- 
lore)),  die  dieses  Result;)!  heei))ffußt  habe))  )))ochle)),  u))d  kou))))! 
zu  de)))  Schlüsse,  daß  so  klei))e  Zahle))  Avohl  kei))  abschließe))des 


430 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


Urteil  gestatten,  daß  sie  aber  immerliin  ein  Ansporn  für  die 
Freunde  der  natürliche]!  Säuglingsernährung  sein  können;  sie 
scheinen  darzntun,  daß  die  letztere  größere!  Aussichten  auf  phy¬ 
sische  Rüstigkeit  l)ielet  als  die  unnatürliche,  wenn  auch  mit  Erfolg 
durchgeführle  Flaschennahrung. 

Th.  Escherich  bezeichnet  es  als  wünschenswert,  derartige 
Erhehungen  über  den  Einfluß  des  Stillens  auf  das  weitere  Ge¬ 
deihen  in  der  Zeit  der  ersten  Kindheit  vorzunelnnen  und  stellt 
derartige  Untersuchungen  an  dem  Material  der  Schutzstelle  in 
Aussicht. 

J.  Zapp  er  t  glaubt,  daß  die  Zwiemilchernährung  vielmehr 
verbreitet  sei,  als  es  die  Erhebungen  des  Vortragenden  ergeben. 

R.  Neurath  weist  darauf  hin,  daßi  hereditäre  Alomente  und 
überstandene  Krankheiten  hier  auch  berücksichtigt  werden  müssen. 

Pernicich  hält  die  Berücksichtigung  des  Gewichtes  bei 
der  Geburt  für  ein  wichtiges  Moment. 

S.  Weiss  bemerkt,  daß  gröbere  Vluskelleistungen  durch  den 
Alkoholgenuß  nicht  geschädigt  werden,  dies  sei  nur  bei  feineren 
Muskelaktionen  der  Fall. 

J.  Fried  jung  hält  die  Einwände  für  berechtigt,  er  habe 
sie  selbst  auch  in  seinem  Vortrage  erwähnt  und  den  Wert  seiner 
Zusammenstellung  nicht  überschätzt.  Das  hereditäre  Moment  sei 
bezüglich  der  Muskelkraft  nicht  ausschlagigebend, 

* 

Sitzung  vom  21.  März  1907. 

R.  W.  Philip -Edinburgh:  Die  Organisation  und  das 
Z  u  s  a  m  m  e  n  w  i  r k  e  n  a  n  ti  t  u  b  e  r  k  u  1  ö  s  e  r  M  a  ßm  a  h  m  e  n ;  d  i  e 
Fürsorgestelle  als  Mittelpunkt.  Die  Tuberkulosebe¬ 
kämpfung  bildet  eine  der  wichtigsten  Fragen  der  Gegenwart, 
ein  besonjderes  Interesse  hat  an  derselben  'Oesterreich.  Die  Be¬ 
kämpfung  der  Tuberkulose  Avird  in  den  '.^ivdlisierten  Ländern  in 
verschiedenem  Umfange  durchgeführt,  es  ist  aber  eine  Aveitere 
Ausdehnung:  derselben  eine  dringende  NotAvendigkeit.  Es  ist  fest¬ 
gestellt,  daß  mit  der  Einführung  besserer  hygienischer  Verhältnisse 
die  Zahl  der  Erkrankungen  an  Tuberkulose  abnimmt.  Die  Tuber¬ 
kulose  muß  nach  ärztlichen  Grundsätzen  behandelt  werden,  AA^elche 
sonst  gegen  Infektionskrankheiten  anigeAvendet  Averden.  Allerdings 
müssen  bezüglich  der  Tuberkulose  diese  Maßregeln  inodifiziert 
Averden,  wmil  diese  Krankheit  einige  Eigentümlichkeiten  aufvveist, 
welche  anderen  Infektionskrankheiten  nicht  zukommen,  Avie  zum 
Beispiel  ihren  meist  chronischen  Verlauf  und  ihre  große  Ver¬ 
breitung.  Man  muß  hier  die  Kranken  in  allen  Stadien  der  Tuher- 
kulose  aufsuchen,  ihre  Umgebung  vor  der  Infektion  schützen 
und  die  Behandlung  der  Kranken  je  nach  dem  Stadium  ihres 
Leidens  einrichten:  schwere  Fälle  sollen  in  besonderen  Anstalten 
isoliert,  leichtere  in  Sanatorien,  noch  leichtere  in  Arbeitskolonien 
untergebracht  AAmrden,  in  manchen  Fällen  Avird  eine  xAufklärung 
über  das  W’^esen  der  Krankheit  und  über  eine  entsprechende 
Lebensführung  genügen.  Die  Avesentlichsten  Faktoren  des 
Operationsplanes  gegen  diese  Volksseuche  sind:  die  Anzeigepflicht, 
die  Fürsorgestelle,  das  Krankenhaus,  das  Sanatorium  und  die 
xhrbeitskolonie.  Die  Fürsorgestelle  bildet  den  Mittelpunkt  dieser 
Institutionen,  da  sie  die  Kranken  aufnimmt,  untersucht  und  den 
für  sie  passenden  Anstalten  zmveist,  außerdem  die  sonstigen! 
prophylaktischen  klaßnahmen  gegen  die  Verbreitung  der  Krank¬ 
heit  durchzuführen  hat.  Im  Jahre  1887  Avurde  in  Edinburgli 
Amni  Vortragenden  die  erste  Fürsorgestelle  „Victoria  Dyspensary“ 
gegründet,  derselben  folgt  die  Gründung  von  Dispensaires  Und 
Fürsorgestellen  in  Belgien,  Frankreich  und  Deutschland.  Das  Pro¬ 
gramm  der  Victoria  Dispensary  ist  folgendes :  In  demselben  Averden 
die  Ki'anken  und  deren  AusAvurf  untersucht,  über  jeden  Fall  Avird 
eine  Krankengeschichte  geführt,  die  Patienten  Averden  entAveder 
einer  passenden  Anstalt  zugeAviesen  oder  in  Ileimpflege  belassen, 
Avobei  ihnen  Belehrung  über  ihr  Verhalten,  soAvie  über  <lie  Ma߬ 
nahmen  zur  Verhütung  der  Infektionsgefahr  für  ihre  Umgebung 
erteilt  Avird.  Sie  erhalten  Medikamente,  Spuckflaschen  und  Des¬ 
infektionsmittel;  das  Zusammenarbeiten  mit  anderen  Wohltätig- 
keitsvereinen  ermöglichtes,  daß  den  Kranken  auch  Nahrungsmittel 
gegeben  werden  können.  Die  Kranken  bleiben  dauernd  in  Beob¬ 
achtung  der  Fürsorgestelle.  Das  Personal  derselben  besteht  aus 
vier  Acu’zten,  von  Avelchen  einer  honoriert  Avird,  und  aus  einem 
geschulten  Pflegerinnenpersonale,  außerdem  teilt  sich  ein  frei- 
Avilliges  Damenkomite«]  mit  den  Aerzten  und  den  Pflegerinnen 
in  die  Uebenvachung  der  Kranken  ini  Hause.  'Außerdem  Averden 
in  der  Hilfsstelle,  Avelche  täglich  drei  bis  vier  Stunden  offen 
ist,  xVuskünfle,  Avelche  in  das  Gebiet  der  Tuberkulosebekämpfung 
fallen,  gegeben.  Eine  Analyse  der  letzten  in  der  Fürsorgestelle 
beobachteten  1000  Fälle  ergibt  folgende  Tatsachen:  Die  Infektion 
Avar  in  614  Fällen  ervTesen,  in  n117  Avahrscheinlich  und  in  269 
unbestimmt.  In  einem  Bett  zusammen  niit  einer  oder  mehreren 


Personen  schliefen  659  Patienten,  in  einem  Zimmer  allein 
schliefen  231,  in  einem  Bett  allein  (mit  anderen  Personen  in 
dejnselben  Zimmer)  110  Patienten.  Die  Tuberkuloseverbreilung 
lief  mit  der  Wohnungsdichtigkeit  parallel;  Avenn  man  bedenkt, 
daß  die  lOOOi  Patienten  mit  noch  anderen  5143  Personen  znsanunen- 
Avolmten,  so  .sieht  man,  daß  jeder  einzelne  Fall  durchschnittlich' 
niehr  als  fünf  Personen  gefährdete.  Es  ergab  sich  auch,  daß 
von  den  167  Personen,  Avekdie  mit  anderen  in  einem  Zimmer 
Avohnten,  oft  mehrere  in  derselben  Wohnung  lebende  Personen 
infiziert  Avurden.  Die  Wohnungen,  in  AAmlchen  Tuberkulose  ge¬ 
lebt  haben,  AA'erden  auf  Kosten  der  Stadt  desinfiziert.  In  die  unter 
ärztlicher  Aufsicht  stehenden  Arbeitskolonien  Averden  entAveder 
ganz  leichte  Fälle  direkt  von  der  Fürsorgestelle  oder  behandelte 
Fälle  aus  den  Sanatorien  überAAÜegen.  Bei  geschickter  Leitung 
könnten  solche  Kolonien  ihren  eigenen  AufAvand  bestreiten. 

Th.  Escherich  fragt  an,  ob  ein  Einfluß  der  Tätigkeit 
der  Fürsorgestelle  auf  die  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  in  Edin¬ 
burgh  zu  bemerken  sei,  insbesondere,  ob  es  gelungen  sei,  Heim¬ 
infektionen  in  der  Familie  zu  verhüten. 

Phili]!  erwidert,  daß.  die  Mortalität  an  Tuberkulose  in 
Edinburgh  gesunken  ist;  welchen  iVnteil  daran  die  .Fürsorgestelle 
hat,  sei  sclnver  ziffernmäßig  festzustellen.  Sicher  ist,  daß  in 
Auelen  Fällen  eine  Heiminfektion  A^erhütet  Avurde. 

H.  Teleky  frägt,  ob  das  Institut  durch  private  Wohltätig¬ 
keit  oder  auf  öffentliche  Kosten  gegründet  AAmrde  und  erhalten 
wird. 

Philip  entgegnet,  daßi  das  meiste  die  private  Wohltätigkeit 
getan  hat,  später  hat  auch  ein  Zusammenarbeiten  mit  städtischen 
Behörden  begonnen,  nanientlich'  mit  dem  Gesundheitsamte. 

M.  Sternberg  bezeichnet  es  als  Verdienst  des  Vortra,gen- 
den,  den  aktiven  Kampf  gegen  die  Tuberkulose  eingeführt  zu 
haben  und  hebt  hervor,  daß  die  Kooperation  mit  Behörden  und 
anderen  Vereinen  die  systematische  Bekämpfung  der  Tuberkulose 
erleichtert.  In  Oesterreich  z.  B.  könnten  die  Krankenkassen,  falls 
ein  solches  Zusammenarbeiten  angebahnt  Avürde,  in  der  Tuber¬ 
kulosebekämpfung  schöne  Resultate  erzielen.  Sternberg  fragt, 
ob  die  Pflegerinnen  sich  mehr  mit  'der  Krankenpflege  oder  mit 
Reinigungsarbeiten  befassen  und  ob  die  Pfleglinge  in  den  Kolonien 
sich  freiwillig  der  Arbeit  unterziehen  oder  ob  hiebei  ein  Zwang 
ausgeübt  wird. 

L.  A''.  Schrötter  Aveist  darauf  hin,  daß  auch  in  Oesterreich 
ein  Zusammenarbeiten  von  Behörden  mit  privaten  Vereinen  in 
der  Tuberkulosebekämpfung  in  der  letzten  Zeit  zu  beobachten 
ist.  Das  Feld  der  PriAmtAvohltätigkeit  ist  in  England  Adel  AA'eiter 
gezogen  als  bei  uns.  Die  Pfleglinge  von  Kolonien  und  ähnlichen, 
Institutionen  lassen  sich  durch  gutes  Beispiel  und  Belehrung 
zur  Arbeit  beAvegen. 

Philipp  stimmt  dieser  Erfahrung  zu.  Die  Krankenpflege¬ 
rinnen,  AAmlche  in  England  durchschnittlich  auf  einer  höheren 
Bildungsstufe  stehen,  Averden  zur  Krankenpflege,  Beaufsiebtigung 
der  Kranken,  zu  Erhebungen  usav.  AmrAvendet. 

L.  A^  Schrötter  bemerkt,  daß  in  England  selbst  Frauen 
gebildeter  Stände  sich  dem  Pflegerinnenstande  AAudnien. 

Heinrich  Weiß  Aveist  darauf  hin,  daß  auch  in  Wien  ein 
Zusammenarbeiten  von  privater  Wohltätigkeit  mit  amtlichen 
Stellen  möglich  sein  Averde,  Avenn  einmal  die  Privatwohltätigkeit 
eine  finanzielle  Basis  gesebaffen  haben  Averde. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  vom  20.  Februar  1907. 

Vorsitzender :  Finger. 

Schriftführer :  Brandweine  r. 

Ehr  mann  demonstriert  einen  Fall  von  Tuberculosis 
miliaris  mucosae  oris.  Pat.  soll  schon  vor  Jahren  ein  ,, Ulcus  durum“ 
ohne  Exanthem  gehabt  haben.  Später  soll  er  auf  der  Klinik 
Finger  mit  Sklerose  und  Exanthem,  auf  der  Klinik  Riehl  wegen 
eines  Geschwürs  der  Unterlippe  behandelt  worden  sein.  Tuber¬ 
kulin  positiv  mit  anschließendem,  makulösem  Exanthem.  Er  wurde 
hier  schon  vor  einem  Jahre  von  anderer  Seite  mit  der  Diagnose 
„Gumma“  vorgestellt,  der  ich  nicht  beitieten  konnte  und  Tuber¬ 
kulose  diagnostizierte.  Pat.  zeigt  jetzt  eine  Narbe  auf  der  Unter¬ 
lippe,  die  offenbar  von  Aetzungen  herrührt,  mit  denen  er  ander¬ 
weitig  behandelt  worden  Avar  (Milchsäure).  Auf  dem  Zahnfleisch 
und  der  angrenzenden  Lippenschleimhaut  ein  mit  tief  ein¬ 
geschnittenen  Rändern  versehenes,  teils  schlapp  granulierendes, 
teils  speckig  belegtes  GeschAvür,  in  der  Umgebung  gelbe,  miliare 
Knötchen  auf  hyperämischem  Grunde,  auf  der  Unterfläche  der 
Zunge,  auf  den  Boden  der  Mundhöhle  übergreifend,  ein  ebenso 


Nr.  U 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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beschaffenes  Geschwür.  Die  Untersuchung  auf  Tuberkel- 
h  a  z  i  1 1  e  n  im  Geschähe  ist  positiv.  Interner  Befund 
negativ,  mithin  miliare  Tuberkulose,  wahrscheinlich  durch  Infektion 
von  außen. 

Finger;  Der  Mann  lag  vor  zwei  Jahren  an  meiner  Klinik. 
Es  war  ein  in  die  Tiefe  dringendes  Geschwür  mit  peripheren 
Knötchen  vorhanden.  Der  positive  Ausfall  der  Tuberkulinreaktion, 
das  absolut  negative  Ergebnis  der  antiluetischen  Therapie  lenkten 
auf  die  Diagnose  Tuberkulose  hin. 

Ehr  mann  demonstriert  zwei  Fälle  von  Lichen  chronicus 
(V  i  d  a  1). 

Der  eine  Fall  wurde  schon  im  Stadium  eczematisationis 
vorgestellt,  jetzt  sieht  man  das  typische  Bild  der  abgeschlossenen 
schuppenden,  chagrinlederartig  zusammentretenden,  außen  zer¬ 
streuten,  soliden  Knötchen.  Pat.  zeigt  bei  der  Probefrühstück-Untersu¬ 
chung  vollständigen  Mangel  an  Säuren.  Die  andere  Patientin  zeigt  auf 
bräunlichem,  handtellergroßen  Grunde,  der  von  einem  umschrie¬ 
benen  ,, Ekzemplaque“  zurückgeblieben  ist,  im  Zentrum  dieser 
Stelle  eine  guldenstückgroße,  lichenifizierte  Stelle.  Beide  Patienten 
stellt  E  h  r  m  a  n  n  zu  dem  Zweckq  vor,  um  zu  zeigen,  daß  die 
betreffenden  Fälle  in  verschiedenen  Zeitpunkten  verschiedene 
Bilder  gebert.  Beide  haben  Dermographismus. 

Nobl  demonstriert:  1.  Einen  an  der  Stirn  eines  30jährigen 
Mannes  seit  zwei  Jahren  bestehenden  talergroßen,  quer-ovalen, 
scharf  gegen  die  Umgebung  abgesetzten,  dunkel  braunrot  ver¬ 
färbten  Krankheitsherd,  der  bei  seinen  atypischen  Charak¬ 
teren  der  richtigen  Deutung  erhebliche  Schwierigkeiten  entgegen¬ 
stellt.  Der  talergroße,  im  Zentrum  eher  unter  das  Hautniveau 
eingesunkene,  fein  gerunzelte,  an  der  Oberfläche  glänzende,  feinste 
Schüppchen  tragende  Plaque  wird  von  etwas  höheren  Säumen 
begrenzt,  die  in  unterbrochenen  Reihen  schmutzig  braun  verfärbte, 
sich  fettig  anfühlende  Börkchen  tragen.  Löst  man  diese  ab,  so 
treten  von  zartester  Epitheldecke  überschichtete,  stark  hyper- 
ämische,  ab  und  zu  auch  leicht  blutende  Exfoliationen  zutage. 
An  keiner  Stelle  des  zart  infiltrierten  Bezirkes  ist  es  zu  einer 
intensiveren  Atrophie  oder  narbigen  Umwandlung  der  Ober¬ 
fläche  gekommen.  Differentialdiagnostisch  kämen  die  diskoide 
Form  des  Lupus  erythematosus  und  der  flache  Hautkrebs 
in  der  Varietät  des  Ulcus  rodens  in  Anbetracht.  Dem 
klinischen  Aussehen  nach  müßte  man  sich  eher  zur  ersteren 
Annahme  bekennen,  obwohl  es  befremdend  erscheint,  daß  der 
über  zwei  Jahre  dauernde  Prozeß  immer  noch  durch  die  diffuse 
Gefäßreaktion  ohne  narbige  Atrophie  beherrscht  sein  soll.  Des¬ 
gleichen  ist  die  steile  Abgrenzung  der  Umgebung  ein  der  Norm 
widersprechendes  Phänomen.  Anderseits  muß  das  Vorkommen 
von  Epitheliomen  so  oberflächlicher  Lokalisation  in  Verbindung 
mit  entzündlichen  Erscheinungen  ohne  weiteres  zugestanden 
werden.  Doch  wäre  auch  hiebei  eine  stärkere  Exfoliation  und 
ulzeröser  Zerfall  zu  gewärtigen,  dessen  Spuren  an  keiner  Stelle 
wahrzunehmen  sind.  Auch  die  vorgewiesenen  Schnitte  eines 
kleinen  Randsegments,  die  leider  bei  der  Kleinheit  des  Objekts 
der  Fläche  nach  verlaufen,  bieten  keine  verläßlichen  Hinweise 
für  die  krebsige  Natur  des  Prozesses.  Im  übrigen  will  Nobl 
die  Gewebsprüfung  angrenzender  Partien  weiterhin  durchführen. 

2.  Einen  sechsjährigen  Knaben  mit  zerstreut  den  Stamm 
und  Extremitäten  einnehmenden,  kronenstückgroßen,  kreisrunden, 
elevierten,  von  fettigen  Schuppenmassen  bedeckten,  bei  der 
Hornschichtabhebung  blutenden  Effloreszenzen,  die  trotz  ihrer 
Psoriasisähnlichkeit  doch  nur  in  das  Gebiet  des  E  c  z  e  m  e  n 
plaque  zu  verlegen  sind,  wenn  auch  Fälle  dieser  Kategorie 
nicht  zu  selten  unter  der  Marke  der  Psoriasis  zur  Wertung  gelangen. 

L  e  i  n  e  r  bestreitet  die  Ansicht  N  o  b  1  s,  daß  der  vorgestellte 
Fall  von  Eczem  en  plaques  ein  Pendant  abgeben  soll  zu  dem 
von  ihm  in  der  letzten  Sitzung  demonstrierten  Fall,  bei  dem  es 
sich  um  eine  veritable  Psoriasis  handelte. 

3.  Ein  in  großzackigen  Girlanden  die  Ober-  und  Vorderarme 
sowie  die  Lendengegend  einschließendes  tuberkulöses  Spät¬ 
syphilid,  das  bei  einem  30jährigen  Manne  nach  sechsjähriger 
Krankheitsdauer  zur  Entwicklung  gelangt.  Eine  spezifische  All¬ 
gemeinbehandlung  hat  niemals  stattgefunden.  Das  matt  rosenrote 
Kolorit  der  urtikariaähnlich  vorspringenden  Knötchenleisten,  der 
Mangel  einer  jeden  Schilferung,  sowie  die  nicht  zu  massige  In¬ 
filtration  der  Herde  sind  geeignet,  eine  Verwechslung  mit  gewissen 
groß  figurierten,  zirzinären  Erythemen  idiopathischer  Natur  herbei¬ 
zuführen. 

Oppenheim  demonstriert  aus  seinem  Ambulatorium 
einen  35jährigen  Mann  mit  Tuberkulose  der  Mund¬ 
schleimhaut.  Man  sieht  an  der  Unterlippe,  die  leicht  ver¬ 
dickt  ist,  sowie  an  den  seitlichen  Wangenpartien  tiefe,'  rhagadi- 
forme  Geschwüre  mit  scharfen  Rändern,  gelbgrau  belegt.  In  der 


Nachbarschaft  dieser,  namentlich  an  der  Unterlippe,  finden  sich 
stecknadelkopfgroße,  graue,  in  die  Schleimhaut  eingesprengte 
Knötchen,  die  disparat  stehen. 

Es  bestehen  bei  dem  Patienten  Erscheinungen  einer  In- 
filtratio  pulmonum ;  Hämoptoe  vor  zwei  Jahren.  Die  Genese  ist 
wohl  die,  daß  das  tuberkelhaltige  Sputum  die  Mundschleimhaut 
infiziert  hat. 

Ehr  mann;  Diese  Fälle  von  miliarer  Tuberkulose  der 
Schleimhaut,  besonders  am  Ausgang  des  Respirationstraktes,  sind 
meist  Autoinokulationen,  selten  ektogen.  Bekannt  ist  der  Fall 
der  Albertschen  Klinik,  der  eine  Wärterin  betrijft,  bei  der  die 
Infektion  durch  Stich  mit  einer  Nadel  zustande  kam,  die  vorher 
in  tuberkulöses  Sputum  gefallen  war. 

Finger  unterscheidet  zwei  Formen  der  Tuberkulose¬ 
geschwüre  der  Mundschleimhaut,  Autoinfektion  bei  phthisischen 
Individuen,  zweitens  Primärinfektion.  Letztere  Geschwüre  ver¬ 
laufen  torpid,  erzeugen  weniger  Schmerzen,  zerfallen  viel  weniger, 
haben  aber  die  Neigung,  in  die  Tiefe  zu  gehen.  Von  diesen 
Geschwüren  ist  eine  große  Uebergangsreihe  bis  zu  jenen,  die  als 
Lupus  der  Schleimhaut  dann  diagnostiziert  werden,  wenn  Lupus 
der  Haut  da  ist. 

U  1 1  ni  a  n  n  demonstriert  1.  einen  Fall  von  tuberkulösen 
Tumoren  (Uebergang  in  Karzinom?)  —  Phlebitis. 

Der  hier  vorgestellte  Mann,  39  Jahre  alt,  erkrankte  1894 
an  Bluthusten  und  Spitzenaffektion.  Die  Hämoptoe  wiederholte 
sich  öfter.  Im  Jahre  1901  stellte  sich  eine  Eiterung  vom  Mast¬ 
darm  ein.  Im  März  1902  wurde  der  Patient  auf  der  Abteilung 
des  Prof.  v.  M  o  s  e  t  i  g  wegen  Periproktitis  einer  Operation 
(wahrscheinlich  Exkochleation  und  Paquelinisierung)  unterzogen. 
Einige  Zeit  nachher  begann  sich  in  der  Umgebung  des  Anus 
eine  Infiltration  zu  bilden,  die  alsbald  beide  Gesäßbacken  ergriff 
und  beiderseits  bis  zu  den  Trochanteren  fortscliritt  und  nun 
folgendes  Bild  zeigt;  Die  Gesäßgegend  ist  an  beiden  Seiten 
nahezu  symmetrisch  höckerig  geschwellt,  die  Haut  über  den 
Tumoren  dunkelbraunrot  verfärbt.  Die  Infiltrationen  sind  mäßig- 
derb  und  reichen  stark  in  die  Tiefe.  Auf  Druck  entleert  sich  aus 
mehreren  fistulösen  Oeffnungen  in  der  Trochantergegend  und  in 
der  Mitte  der  Geschwulst  dünner  seröser  Eiter.  Davon  etwas 
verschieden  ist  das  Zentrum  der  Geschwulst,  welche  dort 
kraterförmig  um  den  Anus  gewuchert  ist  und  an  ihrer  Ober¬ 
fläche  eine  beträchtliche  papillomatöse  Verdickung  der  Epi¬ 
dermis  zeigt.  Der  Anus  ist  beim  Stehen  durch  zwei  wuchernde 
Längswulste,  die  sich  an  den  Kanten  berühren,  verdickt.  Die 
Geschwulst  dieser  Partie  ist  hart,  stellenweise  etwas  ulzeriert 
und  stellenweise  von  den  übrigen,  derbteigigen  Infiltrationen 
etwas  schärfer  abgesetzt.  Ein  merkwürdiges  Bild  zeigt  die  hintere 
Fläche  beider  Oberschenkel:  Vom  Tumor  setzen  sich  nach  ab¬ 
wärts  —  rechts  deutlicher  als  links  — ■  den  fast  überall  deutlich 
prominenten  ektasierten  Hautvenen  entlang  u.  zw.  diesen  genau 
folgend,  oberflächlich  in  der  Haut  sitzende,  dunkelbraungelbe, 
etwas  eindrückbare  Stränge  fort. 

Die  Konsistenz  dieser  Stränge  ist  weich,  schwammartig. 
Dieselben  treten  stellenweise  V2  cm  weit  über  die  Haut  hervor, 
stellenweise  verlaufen  sie  mehr  in  der  Tiefe.  Diese  Infiltration 
setzt  sich  nach  unten  in  die  ektasierten,  aber  sonst  scheinbar 
nicht  veränderten  Hautvenen  des  Unterschenkels  fort.  Im 
Wurzelgebiet  der  Vena  saphena,  hinter  dem  Malleolus  internus 
ist  abermals  eine  derartige  teigige  Infiltration  der  Venen¬ 
geflechte  zu  bemerken,  welch  letztere  sich  an  dieser  Partie 
stellenweise  derb,  stellenweise  schlaff  anfühlen.  Von  der  Kuppe 
der  zirkumanalen  Geschwulstpartie  wurde  eine  kleine  Zacke 
exstirpiert  —  mehr  war  vorläufig  nicht  möglich  —  und  zeigt 
das  histologische  Bild  große  Aehnlichkeit  mit  einem  Epitheliom. 

Der  Uebergang  von  tuberkulösen  Abszeßwänden,  Fisteln, 
Geschwüren  oder  Lupus  ulcerosus  in  Epitheliom  ist  ja  relativ 
nicht  gar  so  selten  und  legt  den  Gedanken  an  eine  derartige 
Umwandlung  nahe.  Eine  tiefergreifende  Exzision  wird  behufs 
Sicherstellung  noch  gemacht  werden. 

Weit  interessanter  und  seltener  erscheint  mir  aber  die  Ver¬ 
änderung  an  den  Venen,  weshalb  ich  auch  den  Patienten  heute 
schon,  noch  vor  Abschluß  meiner  Untersuchung  vorstellte,  zumal 
bei  der  hochgradigen  Kachexie  ein  Erscheinen  des  Patienten  zu 
späterer  Zeit  vielleicht  in  Frage  stand.  Wir  kennen  bereits  In¬ 
filtrationen  spezifisch-luetischer,  namentlich  auch  tuberkulöser 
Natur,  die  als  Venensyphilis,  Phlebitis  syphilitica  oder  Phlebitis 
tuberculosa  in  den  letzten  Jahren  beschrieben  worden  sind. 

Obwohl  es  mir  nicht  möglich  war,  tiefer  greifende  Exzi¬ 
sionen  an  verschiedenen  Partien  zu  machen,  hoffe  ich  in  einer 
ausführlichen  Mitteilung  dies  nachholen  und  dadurch  diesen  Fall 
auch  aufklären  zu  können. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


Ehrmann.  Das  Präparat  zeigt  wohl  eine  Epithelwucherung, 
aber  nicht  eine  maligne,  bei  der  es  zur  Loslösung  von  Epithel¬ 
inseln  kommt,  die  sich  mit  dem  Bindegewebe  mischen. 

2.  Einen  Fall  von  Lichen  ruber  planus  und  ver¬ 
rucosus. 

An  einem  Kijährigen  Jungen  zeigen  sich  zahlreiche  hanf- 
korn-  l)is  erbsengroße  grauwmißliche  Plaques  von  Lichen 
ruber  planus,  bloß  auf  dem  Skrotum  lokalisiert;  außerdem 
unterhalb  des  linken  Malleolus  internus  zwei  etwa  hellergroße, 
])raune,  warzenähnliche  Plaques  von  Lichen  ruber  ver¬ 
rucosus.  Letztere  bestanden  früher  als  erstere.  Da  das  Jucken 
im  Skrotum  zunimmt,  dürfte  die  Affektion  in  weiterer  Ausbreitung 
begriffen  sein. 

Erwähnenswert  ist  das  Zusammenvorkommen  von  planen 
und  verrukösen  Formen.  Die  übrige  Haut  und  die  Schleimhäute 
des  Mundes  sind  vollständig  frei. 

Das  Auftreten  der  verrukösen  Proliferation,  speziell  an 
stark  Iransspirierenden  Hautpartien,  wie:  Kniekehlen,  Vola, 
Planta  und  Malleolargegend  ist  von  mir  öfters  beobachtet  worden. 

N  e  u  g  e  b  a  u  e  r  demonstriert  aus  dem  Ambulatorium 
Oppenheim  einen  Fall  einer  Sklerose  der  rechten 
M  a  mill  a. 

In  der  rechten  Achselhöhle  eine  etwa  nußgroße,  derbe 
Drüse,  am  Stamm  und  Extremitäten  ein  aus  ziemlich  großen 
Flecken  sich  zusammensetzendes  Exanthem ;  Papeln  am  Genitale, 
lieber  das  Zustandekommen  der  Infektion  kann  Pat.  keine  An¬ 
gabe  machen. 

Sc  herber  stellt  aus  der  Klinik  Finger  1.  ein  Sjähriges 
Mädchen  mit  Lichen  s  c  r  o  p  h  u  1  o  s  o  r  u  m  vor;  das  Krank¬ 
heitsbild  erscheint  in  voller  Deutlichkeit,  da  die  Patientin  unter 
der  Wirkung  einer  Injektion  von  Alttuberkulin  Koch  (O’OOOß)  steht. 

Die  Haut  des  Stammes  zeigt  besonders  in  der  unteren  ßauch- 
gegend,  in  der  Kreuzbeingegend  und  auf  den  Nates  zahlreiche,  meist 
einzelstehende  grieskorn-  bis  stecknadelkopfgroße  Knötchen  von 
gelblicher  bis  braungelber  Farbe  mit  kleinen  Schuppen  bedeckt. 
Interessant  sind  die  zahlreichen  kleinsten,  follikulär  stehenden 
Knötchen,  an  der  seitlichen  Thoraxwand,  die  erst  auf  die  In¬ 
jektion  hin  aufgetreten  sind.  Auf  den  Nates  findet  man  ziemlich 
zahlreiche  kleine,  atrophische  Grübchen  und  mehr  flache,  scharf¬ 
begrenzte  bis  kleinlinsengroße  Narben.  Als  weiteres  Zeichen  der 
Skrofulöse  des  Kindes  ist  eine  starke  Schwellung  der  sub- 
maxillaren  und  submentalen  Drüsen  zu  bezeichnen. 

Finger:  Der  Fall  ist  interessant  durch  die  Verteilung. 
Gewöhnlich  finden  sich  die  Knötchen  in  Plaques  am  Stamme, 
während  hier  die  Mehrzahl  der  Knötchen  gleichmäßig  über  Stamm 
und  Extremitäten  zerstreut  ist. 

2.  Ein  lOjähriges  Mädchen  mit  einer  Prurigo  ferox; 
die  Haut  der  Extremitäten  besonders,  in  geringerem  Grade  die 
des  Stammes  bedeckt  von  zahlreichen  meist  zerkratzten  Knötchen ; 
sekundär  ist  es  zur  Bildung  zahlreicher  Impetigines  und  durch 
das  Kratzen  zur  Lichenifikation  der  Haut,  besonders  an  den  Beinen 
gekommen. 

3.  Eine  25jährige  Patientin  mit  P  i  t  y  ri  a  s  i  s  lichenoides 
chronica;  knötchen-  und  fleckförmige  Effloreszenzen  setzen 
das  Krankbeitsbild  zusammen;  an  der  seitlichen  Thoraxwand 
stehen  die  jüngsten  Effloreszenzen  in  Form  kegelförmiger,  frischroter 
ziemlich  scharfbegrenzter  Knötchen,  wie  sie  Jadassohn  und 
J  u  1  i  11  s  b  e  r  g  beschrieben  haben.  Neben  diesen  Effloreszenzen 
finden  sich  etwas  größere,  flachere,  blässere  Knötchen ;  ferner 
finden  sich  besonders  am  Rücken  in  der  Scbulterblattgegend 
mehr  fleckförmige  Effloreszenzen,  ebenfalls  scharf  begrenzt, 
von  lachsroter  bis  blaßgelber  Färbung;  an  einzelnen  findet 
man  eine  dieselbe  völlig  deckende  Schuppe.  Einzelne  der  fleck¬ 
förmigen  Effloreszenzen  erscheinen  wie  plattgedrückt  und  sind 
nur  wenig  über  das  Hautniveau  erhaben.  In  der  Unterbauch¬ 
gegend  sieht  man  in  Rückgang  befindliche  Herde  als  gelbbräun¬ 
liche  Flecke,  wie  sie  Rille  beschrieben  hat.  Die  Affektion  nimmt 
den  Stamm  und  die  angrenzenden  Partien  der  Extremitäten  ein; 
an  den  Oberschenkeln  sind  die  Effloreszenzen  mehr  dunkelrot 
gefärbt. 

4.  Einen  Mann,  bei  welcbem  es  bei  bestehendem  Panaritium 
des  Mittelfingers  der  linken  Hand  zum  Ausbruch  einer  Psori  as  i  s 
vulgaris  kam.  In  auffälliger  Weise  sind  die  Psoriasisefflores- 
zenzen  besonders  dicht  auf  diesem  Finger  lokalisiert.  Die 
Lokalisation  entspricht  genau  den  Druckstellen  des  Verbandes. 

]\lüller  stellt  aus  der  Klinik  Finger  einen  11  Jahre 
alten  Patienten  mit  T  r  i  c  h  o  p  h  y  t  i  a  capillitii  vor,  an  der 
der  Patient  seit  einem  Jahre  leidet. 

Auf  der  Haut  des  Scheitels,  besonders  des  mittleren  und 
seitlichen  Teiles,  sowie  am  Hinterhaupte,  spärlicher  an  den 
übrigen  Teilen  des  behaarten  Kopfes  finden  sich  linsen-  bis  bohnen¬ 


große,  selten  größere,  ovale  oder  schlitzförmige,  meist  parallel 
der  Längsachse  gestellte  Hautstellen,  in  denen  die  Haare  ganz 
oder  teilweise  zu  fehlen  scheinen.  Auf  den  ersten  Blick  erinnert 
das  Bild  an  das  bekannte  der  Alopecia  liietica.  Bei  näherer 
Betrachtung  sieht  man  die  meisten  dieser  Hautstellen  mit  kleinen, 
derben,  grauweißen  Schüppchen  bedeckt,  da  und  dort  mit  Krusten 
vermengt.  Unter  den  Schuppen  erscheint  die  Haut  leicht  rötlich 
verfärbt  und  infiltriert.  An  manchen  Stellen  des  Kopfes  sieht 
man  solche  Schuppen  und  Krusten,  ohne  daß  die  Haare  dieser 
Gegend  auffällig  vermindert  wären. 

Am  Hinterhaupte  befindet  sich  eine  fünfkronengroße  Stelle, 
die  aus  Konfluenz  mehrerer  schlitzförmiger  Alopezien  entstanden 
ist,  zwischen  denen  Büschel  erhaltener  Haare  sichtbar  sind. 
Stümpfe  kurz  abgebrochener  Haare  lassen  sich  auch  bei  Lupen¬ 
betrachtung  nicht  nachweisen  und  es  finden  sich  meist  in  den 
beschriebenen  Gegenden  noch  einzelne  von  normaler  Länge.  Da¬ 
gegen  haben  viele  Haare,  besonders  in  der  Umgebung  der  Plaques, 
ihren  normalen  Glanz  verloren  und  zeigen  unter  der  Lupe  eine 
hellbraune  bis  weißliche  Färbung.  Epiliert  man  ein  Haar  aus  einer 
der  beschriebenen  Stellen  oder  deren  Umgebung,  so  sieht  man  es 
durchsetzt  von  zahlreichen  Gonidien.  Auch  in  den  Schuppen  finden 
sich  solche  nebst  zahlreichen  verzweigten  Myzelfäden. 

Präparate  sind  im  Mikroskope  eingestellt.  Gegen  Mikrosporie 
kommt  differentialdiagnostisch  in  Betracht,  daß  bei  dieser  Affektion 
die  befallenen  Stellen  wenigstens  zum  Teile  größer  und  schärfer 
begrenzt  sind  und  daß  bis  zu  mehreren  Millimetern  lange  Haar- 
stünipfe  in  den  Kreisen  sichtbar  sind,  die  wie  der  Haarboden 
von  grauer  Farbe  sind  und  eine  Scheide  von  Sporen  tragen. 

Oppenheim  demonstriert  aus  der  Klinik  Finger  zwei 
Fälle  von  Syphilis: 

Der  eine  Fall  betrifft  einen  25jährigen  Mann,  der  sich  im 
Mai  1906  infizierte,  eine  Hg-Kur  machte  und  jetzt  ein  Rezidiv¬ 
exanthem  in  Form  der  Syphilis  corymbosa  zeigt.  Handbreit  unter 
der  Skapula  findet  sich  ein  fünfkronengroßer  Plaque,  dessen 
Zentrum  von  einer  leicht  infiltrierten  braunroten  Papel  gebildet 
wird.  Auf  diese  folgt  ein.  Ring  normaler  Haut,  dann  eine  stark 
infiltrierte,  schuppende,  braunrote,  elevierte  Zone,  die  sich  an  der 
Peripherie  in  hirse-  bis  hanfkorngroße  Knötchen  auflöst.  Am  be¬ 
haarten  Kopf  sind  ähnliche,  doch  weniger  deutlich  ausgeprägte 
analoge  Effloreszenzen. 

Wesentlich  anders  sind  die  Effloreszenzen  bei  dem  zweiten 
Fall.  Es  ist  dies  eine  rezente  Syphilis  ulcerosa  praecox.  Man 
sieht  an  der  Haut,  speziell  der  des  Rückens,  alle  Uebergänge 
von  der  Papel  über  die  Akne  und  Variola  syphilitica  zur 
Rupia ;  eine  besonders  große,  über  talergroße  Effloreszenz  ist 
an  der  rechten  Schulter.  Hier  bedeckt  eine  mächtige,  schmutzig¬ 
braun  gefärbte,  geschichtete  Krustenauflagerung  ein  tiefes  Ge¬ 
schwür,  dessen  Rand  lebhaft  rot'  eleviert  und  infiltriert  sich  an 
der  Peripherie  in  hanfkorngroße,  braunrote  Knötchen  auflöst. 
Also  hier  sieht  man  keine  normale  Hautzone  wie  in  dem  ersten 
Fall,  sondern  die  Erscheinungen  nehmen  an  Intensität  von  der 
Peripherie  gegen  das  Zentrum  hin  ab.  Es  gibt  also  keine  immune 
Hautzone,  wie  beim  Rezidivexanthem.  Bei  diesem  Fall  sieht  man 
auch  sehr  schön  lebhaft  rote  Entzündungshöfe  um  die  einzelnen 
Effloreszenzen.  Diese  entsprechen  jenen  Effloreszenzen,  die 
Finger  und  Landsteiner  bei  ihren  Inokulationen  von 
syphilitischem  Virus  auf  Syphilitische  erhalten,  wo  auch  bei  Pat., 
die  Gummata  cutanea  oder  ulzeröse  Syphilide  hatten,  zuerst  um¬ 
schriebene  lebhafte  entzündliche  Rötungen  an  den  Inokulations¬ 
stellen  entstanden,  die  zentral  zerfielen  und  analoge  Effloreszenzen 
erzeugten,  wie  sie  die  Patienten  kraft  ihrer  eigenen  Syphilis 
aufwiesen.  Es  spricht  dies  dafür,  daß  bei  geeigneter  Gewebs- 
disposition  der  Spirochaete  pallida  auch  entzündungserregende 
Eigenschaften  zu  kommen  können. 

E  h  r  m  a  n  n  :  Die  Rötung  um  die  Papel  kann  man  leicht 
zum  Schwinden  bringen,  wenn  man  die  Kruste  abhebt  und  den 
akuten  Prozeß  ablaufen  läßt.  Die  krustösen  Papeln  lassen  einen 
roten  Hof  sehen,  was  bei  Lues  nicht  der  Fall  ist.  Tatsache  ist, 
daß  es  genügt,  das  Sekret  zum  Abfluß  zu  bringen  und  die  Rötung 
verschwindet. 

Finger  hält  den  unbedingten  Zusammenhang  der  Rötung 
mit  Krustenbildung  nicht  für  richtig,  weil  ja  Effloreszenzen  ohne 
Krusten  sichtbar  sind  mit  einer  entzündlichen  Zone.  Dagegen 
ist  auffällig,  daß  alle  jene  Fälle,  die  ulzeröse  Formen  haben, 
seien  es  Spät-  oder  Frühformen  und  die  der  Ausdruck  einer  be¬ 
sonderen  Disposition  sind,  eine  Dermatitis  bekommen,  gleich¬ 
gültig,  ob  mit  eigenem  oder  fremdem  Virus  geimpft  wird,  auf 
deren  Boden  sich  erst  Papeln  bilden.  Er  bringt  diese  Wirkung 
mit  einer  entzündlichen  Reaktion  in  [Zusammenhang,  die  der 
Tuberkulinreaktion  vergleichbar  ist. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


^tucha  konnte  in  diesem  Falle  reichlich  Spirochäten 
nachweisen,  was  hervorzuheben  ist,  weil  die  Befunde  bei  ulzerösen, 
malignen  Formen  noch  sehr  divergieren.  ^ 

Weidenfeld  stellt  einen  24jährigen  Zuckerbäcker  vor. 
Im  Gesichte  befinden  sich  u.  zw.  über  beiden  Waugen  und 
am  Nasenrücken  über  kreuzergroße  Lupus  erythematodes  -  Herde 
mit  den  charakteristischen  Komedonen,  Narben  und  Schuppen. 
Außerdem  finden  sich  daselbst  linsengroße  Eftloreszenzen,  die 
mit  festhaftenden  Schuppen  bedeckt  sind.  Auch  der  Rand  der 
größeren  Herde  zeigt  eine  polyzyklische  Begrenzung  und  besteht 
im  wesentlichen  gleichfalls  aus  linsengroßen  Effloreszenzen,  von 
denen  jede  einzelne  die  typische  Umwandlung  im  Zentrum  zeigt. 
An  beiden  Vorderarmen  u.  zw.  an  der  Ulnarseite,  besonders  an 
der  Tub,  ulnae,  am  Dorsum  manus,  finden  sich  linsengroße,  tief 
eingesprengte  Knötchen  und  auch  höher  sitzende  Knötchen, 
welche  isoliert  sind  oder  in  Gruppen  bis  zu  drei  oder  fünf  zm 
sammenstehen.  Die  einzelnen  Knötchen  zeigen  entweder  zentral 
ejne  Schuppe  oder  eine  Kruste,  die  festhaftet.  Nach  Ablösen  der 
Kruste  findet  sich  ein  kleines,  oberflächliches,  scharf  umrandetes 
Geschwürchen.  Außerdem  findet  sich  noch  eine  Anzahl  größerer 
Knoten  von  Erbsengröße.  Zwischendurch  finden  sich  kleine 
Narben  nach  Abheilung  solcher  Effloreszenzen.  Die  Frage,  zu 
welcher  der  Fall  anregf,  ist  die,  ob  die  als  Tuberkulid  am  Vorder¬ 
arm  anzusprechenden  Effloreszenzen  die  gleiche  Dignität  haben, 
wie  die  Lupus  erythematodes-Effloreszenzen  im  Gesichte. 

Ehrmann  schreibt  dem  Fall  historisches  Interesse  zu. 
Derselbe  wurde  von  ihm  vor  drei  Jahren  in  der  Gesellschaft  der 
Aerzte  vorgestellt  und  von  Strasser  als  akneiformes  Tuber¬ 
kulid  mit  Lupus  erythematodes  publiziert.  Man  sieht  eine  ganze 
Reihe  von  Närbchen  ;  das  waren  früher  Knötchen,  mit  nekroti¬ 
schen  Krusten  bedeckt.  Hier  waren  die  Knötchen  teilweise  kon- 
fluiert,  teilweise  waren  weiße  dicke  infiltrierte  Plaques  vorhanden, 
die  er  auch  als  Lupus  erythematodes  auffaßte.  Diese  waren  ein¬ 
gesäumt  von  Tuberkuliden.  Lupus  erythematodes  des  Gesichtes  und 
der  Ohren  war  damals  ebenso  wie  heute  vorhanden,  außerdem  sehr 
große  Drüsenschwellungen  in  der  Suh-  und  Retromaxillargegend,  sie 
sind  inzwischen  auf  Lebertranbehandlung  zurückgegangen.  Es  war 
also  ein  typischer  Fall  von  nodulärem  Tuberkulid  und  Lupus  erythe¬ 
matodes.  Später  beschrieben  auch  R  ona  in  Budapest  und  Magnu.s 
I\t  o  e  1 1  e  r  in  Stockholm  ähnliche  Fälle.  Was  nun  den  Lupus 
pernio  betrifft,  so  gibt  es  zweierlei  Fälle.  Hutchinson  hat 
einen  Chilblain-Lupus  beschrieben,  dann  Tennneson  und 
Besnier  einen  Lupus  pernio.  Diese  beiden  Formen  sind  ganz 
verschieden.  Die  letztere  äußert  sich  in  lividen  blauen  dicken 
Knoten  auf  den  Händen  und  im  Gesichte,  die  von  J  a  r  i  s  c  h  in 
einem  Falle  für  Sarcoma  idiopalicum  gehalten  worden  sind. 
Jadassohn  wies  darauf  hin,  daß  es  sich  um  Lupus  pernio 
Tenneson-Besnier  handle.  Mikroskopisch  findet  man  Alveolen, 
Nester  von  Zellen,  epitheloiden  Zellen,  Riesenzellen.  Die  zweite 
Form  ist  die  von  Kaposi  als  Lupus  pernio  bezeichnete.  Es  gibt 
somit  zweierlei  Formen  von  I.vupus  pernio,  darunter  eine  dem 
Lupus  vulgaris  ähnliche,  die  von  B  e  s  n  i  e  r.  Flier  handelt  es  sich 
um  den  H  u  t  c  h  i  n  s  o  n  sehen,  um  einen  Impus  erythematodes 
auf  Basis  von  Tuberkuliden. 

U  1 1  m  a  n  n  betont  die  Zusammengehörigkeit  gewisser 
Formen,  die  klinisch  Lupus  erythematodes  sind,  mit  den  papulo- 
nekrotischen  Tuberkuliden.  Er  erinnert  an  die  positive  Tuberkulin- 
reaktion ;  der  Fall  ist  wichtig  nicht  nur  als  besondere  Form, 
sondern  dafür,  daß  alle  diese  Formen  eine  Art  Tuberkulose  sind, 
die  auch  Kaposi  als  Lupus  erythematodes  disseminatus  be¬ 
zeichnet  hat.  Ob  dies  gerade  für  diesen  Fall  zutrifft,  weiß  er 
nicht,  weil  die  Effloreszenzen  hier  nicht  schuppen;  es  ist  auch 
möglich,  daß  es  sich  um  eine  lymphangioitische  Infektion  handelt. 

Finger  erwidert,  daß  nur  in  ca.  30 ’/o  der  Fälle  Tuber¬ 
kulose  gefunden  wird.  Was  die  Tuberkulinreaktion  betrifft,  betont 
er  den  Unterschied  zwischen  Allgemeinreaktion  und  Lokal- 
rcaktion.  Wenn  bei  einem  Individuum  mit  Lupus  erythematodes 
luberkulose  vorgefunden  und  Tuberkulin  injiziert  wird,  tritt 
Allgemeinreaktion  auf  (Fieber).  Wenn  die  Reaktion  zur  Hyperämie 
der  ganzen  Hautdecke  führt,  kann  sie  auch  den  Lupus  erythema¬ 
todes  beeinflussen.  Daß  aber  eine  lokale  Reaktion  am  Lupus 
erythematodes-Herd  auftritt  —  Sukkulentworden,  Schwellung  — 
das  ist  nicht  der  Fall  und  auch  iin  vorgestellten  Falle  nicht  be¬ 
obachtet  worden. 

Ul  1  mann  glaubt,  daß  in  seinem  Falle  lokale  Reaktion 
bestanden  hatte.  Auf  Grund  seiner  Statistik  und  Kasuistik  be¬ 
steht  in  70Vo  der  Fälle  positiver  Ausfall  der  Tuberkulinreaktion 
und  gleichzeitig  Koinzidenz  mit  Tuberkulose,  Drüsenschwellungen. 
Daß  nicht  in  allen  Fällen  die  verlangte  lokale  Reaktion  auftritt, 
ist  begreiflich,  weil  der  Lupus  erythematodes  oft  schon  ab¬ 


geheilt  ist.  Der  Lupus  erythematodes  kann  aber  typisch  stark 
reagieren. 

Weiden  fold.  Für  ihn  ist  die  Frage,  ob  fiupus  erythema¬ 
todes  und  Tuberkulid  in  einem  klinischen  Zusammenhang  steht 
oder  ob  es  sich  um  Lupus  erythematodes  b  e  i  einem  Tuberkulid 
handelt.  Er  selbst  findet  kein  positives  Symptom  an  den 
fländen  füi  Lupus  erythematodes,  aber  im  Gesichte  Effloreszenzen, 
die  solchen  an  der  Hand  ähnlich  sind,  also  Manifestationen  der¬ 
selben  Krankheit,  lieber  den  Zusammenhang  von  Lupus  ery¬ 
thematodes  und  Tuberkulose  sind  die  Akten  nicht  geschlossen. 

Ehr  mann  hat  für  den  genetischen  Zusammenhang  der 
beiden  Affektionen  an  der  Hand  und  im  Gesichte  den  Beweis 
durch  histologische  Präparate,  die  er  in  der  nächsten  Sitzung  zu 
demonstrieren  gedenkt. 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzung  vom  13.  Februar  1907. 

Vorsitzender;  Physikus  Dr.  Liehmann. 

Schriftführer;  Dr.  Schwein  bürg. 

Assistent  Dr.  Meixner  demonstriert  einen  Fall  von 
Chlorom,  der  am  Vortage  in  der  Prosektur  der  Laiideskranken- 
anstalt  zur  Autopsie  gekommen  ist.  Es  handelte  sich  um  eine 
31jährige  Frau,  die  an  der  Abteilung  des  ,Prim.  Brenner  eine 
Zeitlang  unter  Erscheinungen  beobachtet  worden  war,  die  zur 
Diagnose  ,, Skorbut“  führten.  Terminal  hatten  sich  Zeichen  einer 
Gehirnblutung  eingestellt.  Die  Sektion  hat  zunächst  die  letzt¬ 
genannte  Teildiagnose  bestätigt.  Die  inneren  Organe  ergaben  außer 
den  Zeichen  einer  hochgradigen  Anämie  keinen  besonderen  Be¬ 
fund.  Die  Milz  zeigte  eine  Schwellung  mäßigen  Grades  mit  sehr 
reichlicher,  gleichmäßig  dunkelroter,  wenig  ausstreifbarer  Pulpa. 
Auffallende  Veränderungen  fanden  sich  am!  Knochensystem.  Sämt¬ 
liche  Knochen,  soweit  sie  der  Untersuchung  .zugängnch  gewesen 
sind,  also  Schädeldach,  Sternum,  Rippen,  Wirbel,  Becken,  Femora 
und  Humeri,  waren  in  ihrem  Marke  von  grasgrünen,  weichen  Ge- 
schwulstmassen  durchsetzt.  In  den  Diaphysen  der  langen  Röhren¬ 
knochen  hoben  sie  sich  meist  in  Form  kleiner  bis  kirschkern¬ 
großer  Knoten,  die  aber  stellenweise  zu  größeren  konfluierten, 
von  dem  dunkelroten  (lymphoiden)  Marke  ab.  In  den  proximalen 
Epiphysenteilen  infiltriert  die  grüne  markige  Masse  diffus  die 
Spongiosa  und  rarefiziert  sie  stellenweise  ein  wenig.  An  zahl¬ 
reichen  Stellen,  ;so  am  Schenkelhals  des  linken  Femur  lind  vor 
allem  an  den  Wirbelkörpern,  wuchert  sie  durch  die  Kortikalis. 
Hier  sah  man  nach  dem  Ausweiden  der  Leiche  ilie  grüne  Ge¬ 
schwulstmasse,  die  in  einzelnen  Flerden  die  prävertebrale  Mus¬ 
kulatur  und  das  Zellgewebe  im  kleinen  Becken  infiltrierte,  pracht¬ 
voll  zutage  treten.  Rippen,  Sternum  und  Darmbeine  sind  voll¬ 
ständig  von  dem  gi-ünen  Älarke  erfüllt. 

Besondere  Beachtung  verdient  der  ITmstaml,  daß  das  ganze 
übrige  lymphatiische  System  von  ähnlichen  V'^eränderungen  voll¬ 
ständig  frei  gewesen  ist.  Bloß;  einige  Lymphdrüsen  zeigten  eine 
ganz  unbedeutende  Vergrößerung,  waren  jedoch,  derb  und  grau¬ 
weiß.  Die  Follikel  des  Dickdarmes  waren  gleichmäßig  leicht  ver¬ 
größert. 

Demnach  geht  das  Chlorom  in  diesem  Falle  vom  Knochen¬ 
mark  aus.  Es  handelt  sich  also  entweder  um  einen  seltenen 
Fall  von  Chloroleukosarkomatose,  ausgehend  ausschließlich  vom 
lymphoiden  Gewebe  des  Knochenmarkes,  oder  um  eine  Chloro- 
myelo'sarkomatose,  was  erst  die  histologische  Untersuchung  klar¬ 
stellen  muß.  (Der  Fall  wird  ausführlich  in  dieser  Zeitschrift 
mitgeteilt  werden.) 

Dr.  Jul.  Stein  berichtet  über  den  post  mortem  erhobenen 
Blutbefund;  intra  vitam  wurde  eine  Blutuntersuchung  nicht  vor¬ 
genommen.  Da  das  Blut  in  der  Wna  femoralis  schon  größten¬ 
teils  geronnen  war,  sind  die  Präparate  nicht  besonders  brauch¬ 
bar  und  kann  über  das  Zahlenverhältnis  der  weißen  zu  den 
roten  Blutkörperchen,  sowie  der  einzelnen  Leukozytenarten  unter¬ 
einander  nichts  ausgesagt  werden.  In  den  verschiedenen  Prä¬ 
paraten  fanden  sich  Normo-  und  Megaloblasten,  einzelne  neutro¬ 
phile  Myelozyten  und  große,  einkernige,  anscheinend  ungranu- 
lierte  Ijcukozyten  vom  Charakter  jener  Zellen,  wie  sie  bei  Leuko- 
sarkomatosen  im  Blute  regelmäßig  gefunden  werden. 

Priv.-Doz.  Prosektor  Dr.  C.  Sternberg  hält  den  dritten 
Vortrag;  Ueber  moderne  Immunitätslehre,  und  bespricht  die  An¬ 
wendungen  derselben  in  der  ärztlichen  Praxis,  so  die  Serotherapie 
der  Diphtherie,  des  Tetanus,  der  Dysenterie  und  des  Scharlachs, 
ferner  die  Schutzimpfung  gegen  Wut,  die  prophylaktischen  Im- 
lifungen  bei  Diphtherie  und  Tetanus,  das  Haffkinesche  Ver- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  14 


lalireji,  das  Tiibeikulin,  sowie  die  verschiedenen  Behringschen 
Präparate  etc.  und  streift  schließlich  in  Kürze  die  Metschni- 
k  off  sehen  Versuche  zur  Ahschwächung  des  Syphilisvirus  (durch 
Passage  durch  Affen)  und  die  neuesten  Versuche  Ehrlichs 
und  seiner  Schüler,  sowie  englischer  Forscher  üher  Innnunisie- 
rung  von  IMäusen  gegen  Karzinom. 

Die  Diskussion  wird  wegen  vorgerückter  Stunde  vertagt. 

Sitzung  vom  20.  Fehruar  1907. 

Vorsitzender:  Physikus  Dr.  Lielrmann. 

Schrift  führer :  Dr.  Schwei  n  h  u  r  g. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Sternherg  demonstriert  anato¬ 
mische  Präpara te  von  H  i  r  n  t  u  m  o  r  e  n. 

Fall  I  hetraf  ein  elfjähriges  Mädchen,  hei  welchem  klinisch 
durch  lange  Zeit  Symptome  eines  Hirntumors  hestanden.  Bei  der 
Ohduktion  fand  sich  zunächst  ein  ganz  enormer  Hydrozephalus.  Die 
rechte  Kleinhirnhemisphäre  war  heträchtlich  vergrößert  und  ent¬ 
hielt  am  Durchschnitt  eine  üher  apfelgroße,  glattwandige,  mit 
klarem  Serum  gefüllte  Zyste,  die  nur  durch  eine  papierdünne 
Schichte  von  Hirnsuhstanz  vom  vierten  Ventrikel  geschieden  war. 
An  einer  Stelle  wird  die  Wand  der  Zyste  von  einem  grauroten, 
feuchtglänzenden  Gewebe  gebildet,  das  in  einen  zum  Teil  außer¬ 
halb  der  Zystenwand  liegenden,  ziemlich  harten  Geschwulstknoten 
übergeht.  Es  handelt  sich  mithin  um  ein  Gliom  mit  ausgedehnter 
Erweichung. 

Fall  11  betraf  ein  ISjähriges  Mädchen.  Bei  der  Ohduktion 
erwies  sich  das  linke  Stirnbein  mächtig  aufgetriehen  und  vor- 
gewölht,  auf  der  Sägefläche  von  einer  Geschwulst  durchwachsen, 
die  mit  der  Dura  mater  und  dem  Gehirn  in  innigem  Zusammen¬ 
hang  stand.  Die  Sektion  des  Gehirns  ergab,  daß  die  linke 
Hemisphäre,  die  etwa  doppelt  so  groß  war  wie  die  rechte,  größten¬ 
teils  von  einer  Geschwulst  eingenommen  war,  die  vorne  und 
oben  fast  his  an  die  Oberfläche  des  Gehirnes  und  nach  rück¬ 
wärts  etwa  bis  zum  hinteren  Ende  des  Hinterhornes  reichte, 
zum  Teil  sehr  hart  und  nur  mit  der  Säge  zu  xlurchschneiden  war; 
diese  Geschwulst  hing,  wie  erwähnt,  innig  mit  der  Dura  mater 
zusammen  und  griff  auf  das  Stirnbein  über.  Es  handelt  sich 
in  diesem  Falle  um  ein  Endotheliom  (Psammom)  der  Dura  mater. 
Auch  in  diesem  Falle  bestand  ein  mächtiger  Hydrozephalus. 

Im  Falle  IH  handelte  es  sich  um  einen  14jährigen  Knaben. 
Bei  der  Obduktion  erwies  sich  das  Schädeldach  sehr  groß,  nament¬ 
lich  in  den  rückwärtigen  Anteilen  beiderseits  wie  ausgebuchtet; 
der  Umfang  des  knöchernen  Schädels  betrug  55  cm.  Es  bestand 
eine  hochgmdige  Erweiterung,  der  rechten  Seitenkammer,  während 
die  linke,  die  gleichfalls  sehr  beträchtlich  erweitert  ist,  fast  in 
ihrer  ganzen  Ausdehnung  (mit  Ausnahme  der  Spitze  des  Hinter¬ 
hornes)  von  einer  mächtigen  Geschwulst  ausgefüllt  ist,  die  den 
Ventrikelwandungen  innig  anliegt,  ohne  auf  sie  überzugreifen 
und  nur  mit  der  medialen  Wand  in  festerem  Zusammenhang  zu 
stehen  schien.  Bei  histologischer  Untersuchung  erwies  sich  die 
Geschwulst  als  ein  großzelliges  ependyrnales  Gliom. 

Reg. -Rat  Prof.  Riedinger:  Ueber  Extrauteringra¬ 
vidität. 

Vortr.  schickt  voraus,  daß  er  bei  dem  großerr  Umfange 
des  Tbernas  nirr  über  die  Ergebnisse  der  neueren  Forschungeir, 
sowie  über  einige  wichtigere  Tatsacherr  arrs  der  Symptomatologie 
und  Therapie  sprechen  wolle.  Er  erörtert  zunächst  die  durch 
die  nerreren  histologischen  Untersuchungen  gewonnenerr  Kennt¬ 
nisse  über  die  Eieinbettrrng  in  der  Tube  und  erklärt  aus  diesen 
Verhältnissen  den  klinischen  Verlauf  der  Tubargravidität  im  Ver¬ 
gleich  zur  normalen  (uterinen)  Gravidität,  die  Gefährlichkeit  der 
ersteren  und  ihre  häutigsten  Ausgänge,  die  Tubarruptur  (vorzugs¬ 
weise  im  isthmischen  Anteil  der  Tube)  und  den  Tubarabort. 

Nach  Besprechung  der  klinischen  Symptome  und  der  für 
die  Aetiologie  in  Betracht  kommenden  Momente,  wobei  Vortr.  er¬ 
wähnt,  daß  nach  seinen  Erfahrungen  sehr  häufig  in  den  Anam¬ 
nesen  keine  Angaben  über  durchgemachte  Erkrankungen  des  Geni¬ 
talapparates  vorliegen,  entwickelt  er  seine  eigenen  Anschauungen 
über  die  Entstehung  der  Extrauteringravidität.  Seine  Auffassung 
berührt  sich,  wie  Vortr.  bei  nacliheriger  Durchsicht  der  Literatur 
fand,  mit  der  von  H  i  t  s  c  h  m  a  n  n  und  L  i  n  d  e  n  t h  a  1  vor  meh¬ 
reren  Jahren  aufgestellten  Theorie.  Er  meint  nämlich,  daß  das 
Ei  zwar  an  der  gewöhnlichen  Stelle  befruchtet  werde,  daß  aber 
eine  Tubargravddität  dann  zustande  komme,  wenn  die  Wanderung 
des  befruchteten  Eies  verlangsamt  ist  und  so  das  Ei  früher 
nidationsfälng  wird,  ehe  es  noch  in  dem  Uterus  anlangt. 

Bei  Besprechung  der  Therapie  der  Extrauteringravidität 
trennt  Vortr.  sein  Material  in  zwei  Gruppen.  Die  erste  betrifft 
jene  Fälle,  in  welchen  Vortr.  vorwiegend  konservativ  behandelte 
luid  nur  relativ  wenig  Fälle  operierte.  Diese  Gruppe  umfaßt 


42  Extrauteringraviditäten  und  79  Hämatokelen,  die  nach  dem 
heutigen  Stande  unseres  Wissens  ja  wohl  durchwegs  auf  Extra¬ 
uteringraviditäten  zinaickzuführen  sind.  Die  zweite  Gruppe  um- 
faß;t  jene  Fälle,  in  welchen  Vortr.  ausnahmslos  operativ  vorge¬ 
gangen  ist.  Diese  Gruppe  betrifft  21  Fälle,  die  seit  Mitte  De¬ 
zember  1905  zur  Beobachtung  gelangten.  Die  Resultate  waren: 
Von  der  ersten  Gruppe  starben  5  Ehlle,  von  der  zweiten  Gruppe 
0  Fälle;  alle  diese  Fälle  werden  eingehend  besprochen. 

Vortr.  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  anscheinend  auch  die 
konservative  Behandlung  sehr  gute  Residtate  aufzuweisen  hatte. 
Trotzdem  tritt  er  warm  für  die  operative  Therapie  der  Extra¬ 
uteringravidität  und  auch  der  Hämatokelen  ein,  da  die  Heilung 
viel  rascher  und  glatter  vor  sich  geht;  die  Patientinnen  erholeai 
sich  fast  bereits  in  dem  Moment,  da  der  Operateur  die  blutende 
Tube  mit  der  Klemme  faßt.  Auch  glaubt  Vortr.,  daß  jene  schweren 
Fälle,  wie  er  sie  in  der  letzten  Zeit  sah,  wo  die  Frauen  fast 
pulslos  und  ausgeblutet  in  die  Anstalt  kamen  und  durch  die 
sofortige  Operation  ausnahimslos  in  der  kürzesten  Zeit  .gerettet 
wurden,  früher  nicht  in  seine  Beohachtung  kamen,  da  es  nicht 
vorstellbar  wäre,  daß  solche  Frauen  ohne  Operation  noch  durch¬ 
kommen  könnten. 

Zum  Schlüsse  demonstriert  Vorlr.  eine  größere  Zahl  durch 
Operation  gewonnener  anatomischer  Präparate  von  Extrauterin¬ 
graviditäten. 


Medizinischer  Verein  in  Greifswald. 

Sitzung  vorn  10.  Dezember  1906. 

Vorsitzender:  Strübing. 

Schriftführer :  J  u  n  g. 

Minkowski:  1.  Fall  von  Alkaptonurie,  hei  (öinern 
Patienten  mit  chronischem  Gelenksrheumatismus,  der  schon  seit 
Jahren  ein  Dunkelwerden  des  Harns  beim  Sonnenlichte  bemerkt 
hat.  Es  werden  die  charakteristischen  chemischen  Reaktionen 
an  dem  Urin  demonstriert  und  die  Beziehungen  der  Alkaptonurie 
zu  den  Spaltungsprodukten  der  Eiweißkörper  erörtert. 

2.  Fall  von  progressiver  atrophischer  Muskel¬ 
lähmung  bei  einem  20jährigen  Mädchen,  entstanderr  vor  zwei 
Jahi’en,  nach  starker  Durchnässurig.  Zunehmende  Schwäche  der 
Extremitätenmuskehl  und  Entartungsreaktiorr.  Der  unaufhaltsam 
fortschreitende  Fall  ist  unter  die  spinalneurotischen  Muskelatro¬ 
phien  zu  rechnen. 

T  i  1 1  m  e  y  e  r :  Pulsierender  Exophthalmus  i  n  f  o  1  g  cs 
von  Schädelhasisf raktur. 

Es  besteht  doppelseitige  Abduzenslähmung,  linksseitige 
Lähmung  des  Levator  und  Tensor  veil  palatini  und  der  Pharynx¬ 
muskeln,  Verminderung  der  Speichelsekretion,  Aufhebung  der 
linksseitigen  Tränensekretion.  Die  Fraktur  war  also  durch  Türken¬ 
sattel  und  linkes  Schläfenbein  erfolgt.  Vor  vier  Jahren 
Unterbindung  der  linken  Karotis,  ohne  Erfolg.  Auch  Kompression 
der  rechten  Karotis  bringt  die  Gehörgeräusche  und  das  Kopf¬ 
sausen  nicht  zum  Verschwinden. 

J.oeffler:  Ein  neues  Färb  ever  fahren.  (Erschien  in 
der  Deutschen  medizinischen  Wochenschrift.) 

Bleib  treu:  Die  Lipämie  der  Fettgänse.  Bleib¬ 
treu  berichtet  über  Versuche,  die  er  an  Mastgänsen  angestellt 
hat.  Es  wurden  die  Tiere  teils  mit  fast  ganz  fettfreiem  (Gersteu¬ 
schrot),  teils  mit  sehr  fettreichem  (Butter)  Futter  gemästet.  Es 
zeigte  sich  kein  großer  Unterschied  im  Fettgehalte  des  Blutes, 
die  Lipämie  war  sogar  hei  einem  der  Gerstenschrottiere  höher 
als  bei  den  Buttertieren.  Auf  Grund  von  chemischen  Untersu¬ 
chungen  über  die  Jodzahlen  der  verabfolgten  Fette  und  der  Blut- 
fette,  glaubt  Bleib  treu,  daß  das  Blutfett  nicht  unverändertes 
Nahrungsfett  sei,  sondern  daß  eine  pathologische  Lipämie  vor¬ 
liege. 

Diskussion:  Grawitz. 

Ritter  zeigt  Atypische  Epithelwucher  u  ngen,  die 
durch  Injektion  von  S  c  h  a  r  1  a  c  h  ö  1  a.  m  K  a  n  i  n  c  h  e  n  o  li  r 
hervor  gern!  eil  worden  sind. 

Ritteirhat  die  Versuche  Fischers  nachgeprüft  und  be¬ 
stätigt  deren  Resultate. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Wiener  med,  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  8.  April  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Dl-.  Ein.  Frank  stattfindenden 

ivisseuscliaftlichen  T ersniniulung. 


Dr,  Th.  11.  Offer:  Ueber  Abführmittel. 

Y«r»ntwortlichfr  Rfdakt«ur:  Adalbert  Karl  Trupp.  Vtrlag  you  lYilhelm  Hraamüller  m  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  XheresientaBBe  3. 


rr  . —  ^ 

Die 

,, 'Wiener  klluisctie 
■Woclieiisclirift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0*  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  Y.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


rr  ^ 

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jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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träge  nach  Uebereinkommen. 


Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  11.  April  1907. 


Nr.  15. 


INH 

1.  Originalartikel:  1.  Aus  der  Prosektur  der  mährischen  Lancles- 
krankenanstalt  in  Brünn.  (Vorstand;  Priv.-Doz.  Dr.  Carl 
Sternberg.)!  Zur  Kasuistik  der  „Kolloiden  Degeneration  der 
Haut  im  Granulations-  und  Narhengewebe“  (Juliusberg).  Von 
Dr.  Ignaz  S  a  n  d  e  k. 

2.  Aus  dem  Ambulatorium  für  Magen-  und  Darmkranke  des 
Priv.-Doz.  Dr.  Emil  Schütz  (Allgem.  Krankenhaus  in  Wien). 
Ueber  Achylia  gastrica.  Von  Dr.  Ludwig  Brauner,  gew. 
Assistenten  des  Ambulatoriums,  derzeit  Sanatoriumsleiter  in 
Meran  und  Aussee. 

3.  Aus  der  deutschen  dermatologischen  Klinik  in  Prag.  (Vorstand: 
Prof.  Dr.  K.  Kreibich.)  Ueber  Reinfectio  syphilitica.  Von  Doktor 
Karl  Oplatek,  Sekundararzt. 

4.  Aus  der  I.  medizinischen  Klinik  (Prof.  Dr.  v.  Noorden)  und 
dem  Röntgenlaboratorinm  (Vorstand:  Doz.  Dr.  Holzknecht)  in 
Wien.  Ueber  radiologische  Motilitätsprüfung  des  Magens.  Die 
Schlußkontraktion.  Von  Dr.  Gottwald  Schwarz  am  Röntgen- 


ALT: 

laboratorium  und  Dr.  Siegmund  K  r  e  n  z  f  u  c  h  s  an  der  I.  medi¬ 
zinischen  Klinik. 

5.  Brauchbare  Abänderung  des  Sayreschen  Schlüsselbeinbruch- 
Verbandes.  Von  Dr.  Franz  Riedl,  Bad  Ullersdorf,  Nord  mähren. 
II.  Referate:  Die  Tuberkulose.  Von  Prof.  G.  Cornet.  Ref: 
V.  W  e  i  3  m  a  y  r.  —  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten  für  Studierende  und  Aerzte.  Von  Prof.  Doktor 
Edmund  Lesser.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  venerischen 
Erkrankungen  in  den  europäischen  Heeren,  sowie  in  der 
militärpflichtigen  Jugend  Deutschlands.  Von  Dr.  Heinrich 
Sch  wienin  g.  Ref. :  Finger.  —  Die  akute  Trunkenheit  und 
ihre  strafrechtliche  Begutachtung.  Von  Dr.  Ewald  Stier.  Ref.: 
Mattausche  k. 

III.  Aus  verscliiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichteu. 

VI.  Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßherichte. 


Aus  der  Prosektur  der  mährischen  Landeskraukenanstalt 
in  Brünn.  (Vorstand :  Prosektor  Priv.-  Doz.  Dr.  Carl 

Sternberg.) 

Zur  Kasuistik  der  „Kolloiden  Degeneration  der 
Haut  im  Granulations-  und  Narbengewebe‘‘ 

(Juiiusberg). 

Von  Dr.  Ignaz  Saudek. 

In  den  Arbeiten  der  letzten  zehn  .Jahre  finden  sich 
mehrere  Fälle  von  Ilautveränderimgen  beschriehen,  deren 
(Iriindlage  eine  Degeneration  des  elastischen  Gewebes  ist. 
Darier  zeigte  auf  dem  III.  internationalen  Dermatologen¬ 
kongreß  in  London  1896  an  einem  Falle  eine  Dermatose, 
die  er  mit  Rücksicht  auf  ihre  klinische  Aehnlichkeit  mit  dem 
Xanthoma  als  Pseudoxanthoma  elasticnm  bezeichnete.  Es 
handelte  sich  um  eine  Hauterkrankimg,  deren  Wesen  in  einer 
Degeneration  des  elastischen  Gewebes  bestand,  die  zu  Zer¬ 
reißung,  Scliwellimg  und  Zerfall  der  elastischen  Fasern 
führte  und  von  Darier  als  Elastorhexis  bezeichnet  wurde. 

Der  franzüsische  Autor  lieht  hei  dieser  Gelegenheit 
hervor,  daß  schon  im  Jahre  1884  Balz  er  einen  hieher 
gehörigen  Fall  heschrieh,  ohne  ihn  als  selbständiges  Krank- 
hoilshild  erkannt  zu  liabeu.  Es  wurden  daim  in  den  näclisien 
Jahren  ähnliche  Fälle  tieschriehen,  so  von  Bodin  1900, 
von  V.  Tannenhain  1901,  von  Werter  1904,  von  Gutt- 
mann  1905  und  ein  Fall  von  Emma  Düben  dort  er  1903, 
dessen  Zugehörigkeit  in  diese  Gruppe  jedocli  später  he- 
sproclieu  wm'den  soll. 


I  In  allen  diesen  Fällen  handelt  es  sich  um  klinisch 

dem  Xanthoma  sehr  ähnliche,  zum  Teile  einzeln  stehende, 
zum  Teile  konfluierende  Plaques  und  Flecken,  welche  am 
Stamme  und  den  Beugeflächen  der  Extremitäten  lokalisiert 
sind,  die  Streckseiten  der  Gelenke  und  insbesondere  das 
Gesicht  frei  lassen;  im  Falle  Dariers,  Bodins  und  von 
V.  Tannenhain  war  eine  genaue  Symmetrie  der  Lokalisa¬ 
tion  auffällig.  Der  histologische  Befund  zeigt  übereinstim¬ 
mend  eine  Zerreißung,  Verbreiterung  und  Schwellung  der 
elastischen  Fasern,  welche  zu  dichten  Knäueln  oder  Nestern 
angeordnet  sind ;  stellenweise  finden  sich  auch  homogene, 
scholligu  Gebilde,  die  die  gleiche  Farbreaktion  zeigen,  wie 
die  elastischen  Teasern.  Im  Falle  Dariers  wurden  diese 
Veränderungen  des  elastischen  Gewebes  allenthalben  im 
Korium  an  getroffen,  im  Falle  von  v.  Tannenhain  nur  in 
den  oberen  Schichten  der  Kulis,  in  allen  übrigen  Fällen  mehr 
in  den  mittleren  und  unteren  Kntisschichten.  ,Von  Allgemein- 
hefimden,  die  ätiologisch  zu  verwerten  wären,  fanden  sich 
im  Falle  Dariers  bei  einem  dOjährigen  Manne,  welcher 
früher  an  Malaria  gelitten  hatte,  bei  der  Sektion  tuberkulöse 
Veränderungen  der  Lunge,  im  Bodinschen  Falle  bei  einem 
53jährigen  Manne  Lungentuherknlose,  im  v.  Tannenhai n- 
schen  Falle  bei  einer  74jährigen  Frau  hochgradige  Alters¬ 
veränderungen,  Marasmus  und  vorgeschrittene  Arterio¬ 
sklerose,  im  Falle  Werters  hei  einer  28jälirigen  Frau  chro¬ 
nisches  Magenleiden  und  Chlorose,  im  Falle  Giittmaniis 
hei  einem  23jährigen  Mädchen  Chlorose  und  Syphilis;  in 
den  lieiden  letzten  Fällen  halten  je  zwei  Geschwister  seit 
ihrer  Jugend  dieselbe  Affektion. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


1. 

*■ 


Eine  dem  PseudoxanUioma  elastic niii  nahestehende 
Hautaffektion  wurde  iin  Jahre  1892  von  Juli  ns  h erg  in 
drei  Fällen  beobachtet. 

In  dem  ersten  Falle  fand  sich  bei  einer  54jährigen  Frau, 
die  mit  Lues  behaftet  war,  auf  der  linken  Seite  des  Halses, 
vorne  voni  Musculus  sternocleidomastoideus  ein  etwa  dreimaik- 
stückgroßer  Plaque,  der  aus  einzelnen,  teils  isolierten,  teils  kou- 
fluierenden,  gelben  Flecken  bestand.  Die  histologische  Unter¬ 
suchung  ergab  nebst  unwesentlichen  Nebenbefunden,  wie  eine 
reichere  Pigmentation  der  Pallisadenschicht  und  der  angrenzenden 
lletezellen,  sowie  einer  unbedeutenden  zelligen  Infiltration  der 
Kutis,  erhebliche  Veränderungen  des  elastischen  Gewebes  und 
zwar  in  verschiedenem  Ausmaße,  entsprechend  den  Schichten 
der  Kutis.  In  der  unter  dem  Epithel  gelegenen  Zone  waren  die 
elastischen  Fasern  zu  einem  Netz  mit  stellenweise  auffallend 
dicken  Fasern  angeordnet,  die  an  einzelnen  Partien  kompakte, 
blockartige  Streifen  bildeten,  welche  parallel  zur  Epithel  grenze 
verliefen.  Die  meisten  Veränderungen  zeigt  das  elastische  Ge¬ 
webe  in  der  unter  dieser  Schichte  gelegenen  Zone.  Hier  stellt 
es  ein  sehr  dichtes  Filzwerk  von  bizarr  geformten  Fasern  dar, 
welches  fast  alles  übrige  Kutisgewebe  ersetzt  hat.  Eine  Zahl  der 
Fasern  fließt  zu  Knotenpunkten  zusammen,  auf  diese  Weise  un¬ 
regelmäßige,  knollenartige  Massen  bildend.  In  den  tiefsten  Schich¬ 
ten  der  Kutis  schließlich  bilden  die  plumpen,  elastischen  Fasern 
dicke,  parallel  verlaufende  Streifen. 

Der  zweite  Fall  betraf  einen  45jährigen  Mann,  der  wegen 
eines  Syphilides  auf  dem  linken  Vorderarm  in  die^  Berner  Klinik 
auf  genommen  wurde.  Wälirend  die  genannte  Affektion  heilte, 
bildeten  sich  u.  a.  im  Narbengewebe  zwei  intensiv  gelb  gefärbte 
Flecke,  bei  denen  die  mikroskopische  Untersuchung  nebst  Be¬ 
funden,  wie  sie  den  sogenannten  lupoiden  Herden  J  a  d  a  s- 
sohns  entsprechen,  wesentliche  Veräuderungen  des  elastischen 
Gewebes  ergab.  Dieses  war  in  den  Randpartien  vollständig  oder 
sehr  wesentlich  reduziert.  Im  Zentrum  aber  war  das  Netz  der 
elastischen  Fasern  so  reich  entwickelt,  daß  es  bei  schwacher 
Vergrößerung  blockartige  Bildungen  darbot.  Die  gehäufte  elastische 
Substanz  befand  sich  besonders  in  den  obersten  Kutisschichten 
stellenweise  dicht  unter  dem  Epithel  außerhalb  und  innerhalb 
der  Infill rationsherde.  Die  Fasern  selbst  zeigten  die  verschie¬ 
densten  Formen. 

Im  dritten  Falle  fand  sich  bei  einer  48jährigen  Frau,  die 
an  einem  Lupus  vulgaris  litt,  auf  der  rechten  Wange  eine  pfennig¬ 
große,  etwas  deprimierte  Narbe  von  glatter  Oberfläche  und  gelb¬ 
licher  Verfärbung.  Nach  xVngabe  der  Patientin  hatte  dort  früher 
ein  eitriger  Knoten  bestanden.  Zwei  leicht  gefärbte,  etwa  linsen¬ 
große,  ebenfalls  leicht  narbig  aussehende  Stellen  fanden  sich 
vor  dem  linken  Ohre. 

Im  histologischen  Bilde  zeigten  sich  vor  allem  Veränderungen 
des  elaslischen  Gewebes,  die  unmittelbar  unter  dem  Epithel  noch 
gering  waren,  während  in  den  tieferen  Schichten  ein  sehr  dichtes, 
unregelmäßiges  Geflecht  von  elastischen  Fasern  erkennbar  war. 

Wie  aus  der  Uebersiclit  dieser  Fälle  ersichtlich  ist, 
handelte  es  sich  um  sehr  ähnliche  Veränderungen  des  ela¬ 
stischen  Gewebes  in  Herden,  die  einmal  am  Halse,  das 
andere  Mal  inmitten  eines  heilenden  Syphilids  am  Vorder¬ 
arm,  das  drittemal  in  einer  Narbe  im  Gesichte  lokalisiert 
waren.  Klinisch  präsenlierten  sich  die  Erscheinungen  als  um¬ 
schriebene  hell-  bis  intensiv  gelbe  Herde,  deren  Farbe  weder 
auf  Pigmentierung,  noch  auf  Einlagerung  von  Zellmassen 
beruht,  sondern  ausschließlich  in  degenerativen  Verände¬ 
rungen  des  elastischen  Gewebes  ihre  Begründung  hat. 

Juliusberg  schlägt  für  diese  Dermatose  mit  Rücksicht 
auf  die  sehr  ähnlichen  histologischen  Befunde  am  elasti¬ 
schen  Gewebe,  welche  sich  beim  Golloidoma  miliare  finden, 
den  vorläufigen  Namen  vor:  Kolloide  Degeneration  der 

Haut  im  Granulations-  und  Narbengewebe. 

Er  erwähnt  auch  eine  Reihe  von  Beobachtungen  von 
Prof.  Jadassohn,  der  innerhalb  narbiger  Veränderungen, 
die  teils  nach  Schnittwunden,  teils  nach  Granulations¬ 
prozessen  sich  bildeten,  gelbe  Flecken  fand,  welche  den 

in  den  früheren  Fällen  geschilderten  klinisch  sehr  ähnlich 
sahen.  Hiezu  gesellt  sich  ein  freilich  nicht  völlig  klar¬ 
gelegter  Fall  von  Ja  risch,  den  dieser  als  Golloidoma 
ulcerosum  bezeichnete,  bei  dem  gleichfalls  histologisch  eine 
Kombination  von  kolloider  Degeneration  und  Entzündung 
jnil  Riesenzellen  vorliegt. 

Im  folgenden  soll  nun  über  zwei  einschlägige  Be¬ 

obachtungen  berichtet  werden. 


Der  erste  Fall  betraf  eine  58jäbrige  Frau,  die  wegen 
eines  Tumors  an  der  rechten  Wange  die  chirurgische  Abteilung 
des  Prim.  Dr.  Katholicky  aufsuchte;  die  klinische  Diagnose 
lautete  airf  Epithelioin.  Die  in  der  Prosektur  vorgenommeno  histo¬ 
logische  Untersuchung  des  exstirpierten  Tümors  ergab  folgenden 
Befund : 

In  den  mit  Hämalauneosin  gefärbten  Präparaten  findet  sich 
eine  beträchtliche  Wucherung  des  OberfläcbenepiLbels,  welches 
in  Form  breiter  Knollen  und  Zapfen  tief  in  das  Koriuni  hinein¬ 
ragt.  Stellenweise  erfüllen  solche  Zapfen  und  Nester  einzelne 
Lympbwege,  an  anderen  Stellen,  so  namentlich  gegen  die  seit¬ 
liche  Umgrenzung  zu,  findet  sich  in  der  'Umgebung  der  Zapfen 
und  Nester  eine  dichte,  kleinzellige  Infiltration. 


In  der  unmittelbaren  Umgebung  dieser  Geschwulst  zeigen 
der  Papillarkörper,  sowie  die  oberflächlichen  Schichten  des  Ko- 
riums  Einlagerungen  unscharf  begrenzter  Herde  (Abb.  l),  <he  meist 
den  Raum  zwischen  zwei  Retezapfen  vollständig  ausfüllen  und 
die  bei  Hämalaun-Eosinfärbung  aus  blaßrot  gefärbten,  oft  wie 
krümmelig  oder  körnig  aussehenden  Massen  oder  aus  l)laß  ge¬ 
färbten  Knäueln  bestehen.  Innerhalb  dieser  Herde  sieht  man 
vereinzelte  Blutgefäße.  Die  Herde  liegen,  wie  beschrieben,  in 


Fig.  2. 


der  oberen  Schichte  des  Koriums,  oberhalb  der  Knäuel-  und  Talg¬ 
drüsen.  Sie  reichen  beiderseits  hart  an  den  Tumor  heran.  Bei 
Elastikafärbung  erscheinen  alle  diese  Herde  intensiv  braun¬ 
schwarz,  bzw.  schwarz  gefärbt  und  zeigen  die  gleiche  Tingibili- 
tät,  wie  die  elastischen  Fasern  der  Haut.  Bei  starker  Vergrößerung 
zeigt  sich,  daß*  diese  Herde  zusammengesetzt  sind  aus  vielfach 
verschlungenen  oder  zusammengerollten,  ziemlich  breiten  Fasern, 
die  meist  nur  am  Rande  der  Knäuel  als  solche  erkennbar  sind, 
wälirend  sich  im  Innern  derselben  einzelne  Fasern  nicht  mehr 
untersclieiden  lassen. 

Zwischen  diesen  Fasern  sieht  man  auch  unregelmäßig  ge¬ 
formte,  wie  schollige,  mehr  braunrot  gefärbte  Gebilde,  sowie 
kantige,  wie  zerbrochen  aussehende  Stücke,  welche  die  gleiche 
Färbung  darbieten.  Allenthalben  gehen  aus  dem  umgelienden 
Korium  elastische  Fasern  von  gewöhnlicher  Form  und  Färbbar¬ 
keit  in  die  eben  beschriebenen  Knäuel  und  Nester  über  und 
verlieren  sich  in  denselben.  Der  Tumor  ragt  an  seiner  Peri¬ 
pherie  iir  derartige  Nester  hinein  (Abb.  2),  so  daß  einzelne  Epitliel- 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


437 


zapfen  allseits  von  Teilen  solcher  Knäuel  umgeben  sind.  Kleinere 
Reste  finden  sich  auch  innerhalh  der  Greschwulst  zwischen  den 
einzelnen  Epithelzapfen  und  auch  hier  zeigt  sich  vielfach  ein 
inniger  Zusainnienhang  mit  den  elastischen  Fäseru  des  Koriums, 

Es  hatte  somit  die  histologische  Untersuchung  de¬ 
generative  Verändemiigen  des  elastischen  Gewebes  der 
Haut  ergeben,  welche  diesen  Fall  zu  der  vorhin  beschrie¬ 
benen  Gruppe  von  Dermatosen  in  Beziehung  bringt  und  es 
erschien  daher  notwendig,  den  klinischen  Status  in  dieser 
Richtung  zu  ergänzen.  Die  klinische  Untersuchung,  die 
durch  das  freundliche  Entgegenkommen  des  Herrn  Primarius 
Katholicky  ermöglicht  wurde,  ergab  folgenden  Befund : 

Kräftige  Frau  von  gut  entwickeltem  Fettpolster,  Haut  etwas 
faltig  (senil),  im  Gesichte  leichte  Hypertrichosis. 

Unterhalb  des  rechten  Auges  eine  der  Nasolahialfalte,  parallel 
verlaufende,  3  cm  lange  Operationsnarbe,  unterhalb  des  rechten 
Schlüsselbeines  ein  linsengroßes  Angiom.  Ueber  der  rechten 
Glutäalhälfte,  2V2  cm  vom  Tuber  ischii,  befindet  sich  ein  hell¬ 
gelber,  kreisrunder,  derb  sich  anfühlender,  glatter,  etwa  2  mm 
prominierender  Tumor,  welcher  bei  histologischer  Untersuchung 
sich  als  Fibrom  erwies. 

Im  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  eine  65jährige 
Frau,  bei  der  sich  auf  der  rechten  Wange  unterhalb  des  rechten 
Augenlides  ein  nußgroßer,  schwarzer,  höckeriger  Tumor  vorfand; 
auf  der  linken  Wange,  entsprechend  dem  aufsteigenden  Kieferast, 
ein  linsengroßer,  blauschwarzer  Herd.  Der  große  Tumor  wurde 
exstirpiert  und  der  histologischen  Untersuchung  zugeführt. 

Diese  ergab  den  typischen  Befund  eines  melanotischen 
Spindelzellensarkoms,  ln  der  Umgebung  desselben  finden  sich 
in  der  Haut  unmittelbar  unter  dem  Epithel,  umfangreiche,  meist 
untereinander  konfluierende  Herde,  welche  aus  krümmelig-körnigen 
mit  Eosin  braunrot  gefärbten  Massen  bestehen,  die  im  allgemeinen 
den  Papillarköiimr  volliständig  einnehlmen,  während  das  übrige 
Koriuni  das  gewöhnliche  Verhalten  darbietet.  Bei  Elastikafärbung 
erscheinen  diese  Herde  intensiv  braunrot  oder  braunschwarz  ge¬ 
färbt  und  bestehen  aus  dichtgewundenen  Knäueln  verschieden 
breiter,  oft  sehr  breiter  Fasern,  die  wie  im  vorigen  Falle,  nur 
an  der  Peripherie  noch  erkennbar  sind,  sich  eine  Strecke  weit 
in  die  Geschwulst  hinein  erstrecken,  so  daß  kleine  Inseln  der¬ 
artiger  Knäuel  noch  im  Bereiche  der  Geschwulst  erkennbar  sind. 
In  solchen  Inseln  sind  die  eiirzelnen  Fasern  im  allgemeinen 
besser  erkennbar;  hier  finden  sich  verschieden  lange  und  breite, 
oft  sehr  breite,  gerade  gestreckte,  starre  Bänder,  die  die  gleiche 
Färbung  zeigen  wie  das  übrige  elastische  Gewebe  der  Haut  und 
oft  mit  scbarfen,  wie  kantigen  Enden  plötzlich  abbrechen;  zwischen 
denselben  finden  sich  vereinzelt  zarte,  meist  gestreckte,  doch 
ab  und  zu  noch  geschlängelte  Faserchen  vom  Charakter  der 
normalen  elastisdien  Fasern. 

Wenn  wir  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  beider 
Fälle  zusammenfassen,  so  handelt  es  sich  um  degenerative 
Veränderungen  des  elastischen  Gewebes  in  der  unmittel¬ 
baren  Nachbarschaft  maligner  Tumoren.  Das  elastische  Ge¬ 
webe  bildet  daselbst  dichte  Knäuel,  in  welchen  nur  in  der 
Peripherie  einzelne  Fasern  erkennbar  sind,  wälirend  sich 
diese  Knäuel  im  Zentrum  nicht  mehr  in  ihre  Bestandteile 
auflösen  lassen.  Diese  Herde  sitzen,  wie  erwähnt,  in  den 
obersten  Koriumschichten,  während  die  tieferen  Lagen  der 
Kutis  frei  sind. 

Es  erinnern  diese  Veränderungen  sowohl  an  die  beim 
Pseudoxanthoma  elasticum  als  auch  an  die  von  Julius¬ 
berg  beschriebenen  Befunde.  Bei  der  großen  Aehnlichkeit 
der  histologischen  Bilder  der  in  Rede  stehenden  Haut¬ 
erkrankungen  verursacht  die  Einreihung  unserer  beiden 
Fälle  einige  Schwierigkeit.  Wir  müssen  nach  histologischen 
und  klinischen  Merkmalen  suchen,  um  diese  yomehmen 
zu  können. 

Bei  den  als  Pseudoxanthoma  elasticum  beschriebenen 
Fällen  sitzen  die  Veränderangen  im  Fälle  Dariers  in  der 
ganzen  Ausdehnung  der  Kutis,  im  Falle  von  Tannenhain 
in  den  oberen  Schichten  derselben,  in  allen  übrigen  Fällen 
in  den  mittleren  und  unteren  Kutiszonen.  In  den  Julius- 
bergschen  Fällen  saßen  im  ersten  Falle  die  Veränderungen 
in  allen  Schichten  der  Kutis,  wobei  insbesondere  die  mitt¬ 
leren  Lagen  die  bedeutendsten  Alterationen  aufwiesen;  im 
zweiten  Falle  war  die  Degeneration  der  elastischen  Fasern 
dicht  unter  dem  Epithel  im  Papillarkörper  zu  finden,  im 
dritten  Falle  mehr  in  den  tieferen  Lagen.  Es  gestatten  mit¬ 


hin  weder  die  Art,  noch  die  Lokalisation  der  histologischen 
Veränderungen  eine  sichere  Unterscheidung  zwischen  den 
in  Rede  stehenden  Prozessen. 

Ziehen  wir  nun  die  klinischen  Eigentümlichkeiten 
beider  Krankheitsbilder  in  Erwägung,  so  sehen  wir,  daß 
die  Effloreszenzen  beipi  Pseudoxanthoma  elasticum  vor¬ 
nehmlich  am  Stamme  und  an  den  Beugeflächen  der  Ex¬ 
tremitäten  lokalisiert  sind  und  das  Gesicht  ausnahmslos 
fr'eilassen;  nebstdem  war  in  den  Fällen  Dariers,  v.  Tan¬ 
ne  nhai  ns  und  Bo  dins  eine  auffällige  Symmetrie  der 
Krankheitsherde  bemerkenswert,  ln  den  Fällen  Julius¬ 
bergs  hingegen,  sowie  in  den  unseren  war  die  Affektion 
nur  an  einer  Körperstelle  entwickelt  u.  zw.  in  einer  Beob¬ 
achtung  Julius  bergs  und  in  unseren  beiden  Fällen  im 
Gesichte. 

Wenngleich  von  einem  typischen  Verhalten  bei  der 
geringen  Zahl  der  bisher  publizierten  Fälle  nicht  gesprochen 
w;erden  kann,  so  ist  die  ganz  verschiedene  Lokalisatioji 
vielleicht  doch  ein  genügend  hervorstechendes  Unterschei¬ 
dungsmerkmal,  um  die  Ju liusber gscheii  Fälle  gegen  das 
Pseudoxanthoma  elasticum  abgrenzen  zu  können  und  mit 
Rücksicht  auf  eben  diese  Lokalisation  würden  wir  auch 
unsere  beiden  Fälle  den  Julius  be  rgschen  anreihen. 

Aehnliche  Schwierigkeiten  betreffs  der  Beurteilung  bot 
der  von  Emma  Dübendorf  er  als  Pseudoxanthoma  elasti¬ 
cum  beschriebene  Fall. 

Es  handelte  sich  um  einen  siebenjährigen  Knalmn,  hei  dem 
auf  der  linken  Glutäalfläche  ein  Plaque  sich  vorfand,  der  aus 
bald  dichten,  bald  lockeren  Anhäufungen  und  Netzen  elastischer 
Fasern  bestand.  Das  histologische  Bild  war  ein  den  früher  be¬ 
schriebenen  sehr  ähnliches.  Der  Hauptsitz  der  Affektion  waren 
die  mittleren  und  tiefen  Kutisschichten.  Schon  Werter  äußerte 
seine  Bedenken  gegen  die  Zugehörigkeit  dieses  Falles  zum  Pseudo¬ 
xanthoma  elasticum  und  auch  wir  möchten  ihn  mit  Rücksicht 
auf  die  Lokalisation  der  Affektion  den  J  u  1  i  u  s  b  e  r  g  sehen 
Fällen  anreihen. 

Was  nun  die  Entstehungsursache  der  in  Rede  stehen¬ 
den  Veränderungen  des  elastischen  Gewebes  betrifft,  bieten 
weder  die  Anamnese,  noch  der  klinische  und  anatomische 
Befund  sichere  Anhaltspunkte.  Wenn  in  den  Juliusbe rg¬ 
schen  Fällen  die  Degeneration  des  elastischen  Gewebes  in 
Granulationsgeweben  sich  vorfand,  so  ist  in  unseren  Fällen 
die  unmittelbare  Nachbarschaft  voii  malignen  Tumoren  her- 
vprzuheben.  Es  ist  möglich,  daß  älmliche  Momente,  welche 
Juliusberg  zur  Erklärung  der  Veränderungen  des  elasti¬ 
schen  Gewebes  im  Granulations-  und  Narbengewebe  heran¬ 
zieht,  in  unseren  Fällen  durch  das  Wachstum  der  Ge¬ 
schwülste  gegeben  sind. 

Es  lag  auch  die  Vermutung  nahe,  daß  sich  ähnliche 
Veränderungen  öfters  in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft 
von  Tumoren  finden,  da  dieselben  ja  leicht  der  Beachtnng 
des  Untersuchers  entgehen  können.  Anderseits  liegt  aber 
bereits  eine  Reihe  von  Untersuchungen  über  das  Verhalten 
der  elastischen  Fasern  in  Tumoren  und  in  deren  Umgebung 
vor,  ohne  daß  über  das  Auftreten  der  hier  beschriebenen 
Veränderungen  berichtet  worden  wäre.  Auch  in  der  kürz¬ 
lich  erschienenen  Arbeit  Wal j aschkos,  welcher  an  einem 
reichen  Material  das  .Verhalten  des  elastischen  Gewebes 
in  Tumoren  studierte,  findet  sich  keine  analoge  Beobachtung. 

Die  beiden  untersuchten  Fälle  boten  auch  Gelegen¬ 
heit,  das  Verhalten  der  Tumoren  zu  derartigen  Anhäufungen 
elastischer  Fasern  zu  studieren,  da  ja  mehrfache  Angaben 
in  der  Literatur  vorliegen,  daß  kompakte  Nester  elastischer 
Fasern  das  Vordringen  maligner  Tumoren  aufhalten  oder 
veiiangsamen  (vgl.  auch  Waljaschko).  Es  wurde  daher 
das  Präparat  des  ersten  Falles  in  Serienschnitte  zerlegt 
und  hiebei  gefunden,  daß  die  Zapfen  des  Epithelioms  in 
die  elastischen  Massen  eindringen  und  von  denselben  Inseln 
abschnüren,  die  immer  kleiner  werden,  bis  schließlich  nur 
wenige,  vereinzelte  elastische  Fasern  mitten  im  Tumor¬ 
gewebe  übrig  bleiben.  Es  war  also, der  Krebs,  wie  auch 
sonst  beobachtet  wird,  schrankenlos  in  seine  Umgebung 
liineingewachsen,  ohne  in  seinem  .Vorwärtsdrängen  durch 
das  verdichtete  elastische  Gewebe,  bzw.  durch  elastische 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Kr.  1 


4;i8 


Knäuel  oder  Nester  behindert,  geschweige  denn  auFgehalten 
zu  werden. 

Die  hier  besprochenen  Affektionen  bieten  nur  ein  ge- 
linges  praktisches  lideresse  dar.  In  unseren  Fällen  standen 
iin  klinischen  Bilde  selbsti'edend  die  malignen  Tumoren  im 
A'ordergnmd ;  auch  bei  dem  Pseudoxanthoma  plasticum  und 
den  Juliusliergschen  Fällen  handelt  es  sich  höchstens 
um  eine  kosmetische  Störung,  welche  der  Therapie  wenig 
zugänglich  ist.  Immerhin  beanspruchen  derartige  Fälle  ein 
gewisses  Interesse,  da,  Beobachtungen  dieser  und  ähnlicher 
Art  die  Bausteine  zu  einer  derzeit  noch  feagmentarischen 
Pathologie  des  elastischen  Gewebes  liefern. 

Literatur: 

E,  Bodin,  Pseudo-Xanthome  ölaslique.  Annates  de  dermat.  et  de 
syphil.  1900,  S.  1073.  —  J.  Darier,  Pseudoxanthoma  elasticum.  Monats¬ 
hefte  für  prakt.  Dermatologie  1896,  Bd.  13,  S.  609.  —  E.  Dübendorfe r, 
Heber  Pseudoxanthoma  elasticum  und  kolloide  Degeneration  in  Narben 
Archiv  für  Dermatol,  und  Syphil.,  Bd.  64,  S.  175. —  C.  Gutmann,  Heber 
Pseudoxanthoma  elasticum  (Darier).  Archiv  für  Dermatol,  und  Syphil., 
Bd.  75,  S.  317.  —  V.  Tannenhain,  Zur  Kenntnis  des  Pseudoxanthoma 
elasticum.  Wiener  klin.  Wochenschrift  1901,  Nr.  42,  S.  1038.  — 
G.  A.  Waljaschter,  Heber  das  elastische  Gewebe  in  Neubildungen. 
Virchows  Archiv,  Bd.  187,  H.  2,  S.  286.  —  Wert  her,  Heber  Pseudo¬ 
xanthoma  elasticum.  Archiv  für  Dermatol,  und  Syphil.,  Bd.  69,  S.  23.  — 
Juliusberg,  Kolloide  Degeneration  der  Haut  ira  Granulations-  und 
Narbengewebe.  Archiv  für  Dermatol,  und  Syphil.,  Bd.  61. 


Aus  dem  Ambulatorium  für  Magen-  und  Darmkranke 
des  Priv.-Doz.  Dr.  Emil  Schütz  (Allgem,  Krankenhaus 

in  Wien.) 

lieber  Achylia  gastrica. 

Von  Dr.  Ludwig  Brauner^  gew.  Assistenten  des  Ambulatoriums,  derzeit 
Sanatoriumsleiter  in  Aleran  und  Aussee. 

Die  Achylia  gastrica  ist  seit  den  grundlegenden  Pnbli- 
kationen  von  Einhorn^)  und  Martins^)  wiederholt  Gegen¬ 
stand  eingehender  Erörterungen  gewesen.  Die  Ansichten 
über  diese  Erkrankungsform  mußten  im  Laufe  der  Jahre 
vielfache,  zum  Teil  sehr  wesentliche  Modifikationen  erfahren, 
und  auch  heute  harren  noch  zahlreiche,  diesen  Gegenstand 
betreffende  Fragen  einer  allseits  befriedigenden  Beant¬ 
wortung. 

Mit  der  nachfolgenden  Besprechung  der  in  den  Jahren 
1904  und  1905  in  unserem  Ambulatorium  durch  längere  Zeit 
genauer  beobachteten  Fälle  von  Achylia  gastrica  glaube  ich 
zur  Klärung  einiger  dieser  Fragen  beitragen  zu  können. 

In  dem  genannten  Zeiträume  wurden  l)ei  420  Patienten 
mit  Beschwerden  von  seiten  der  Verdauungsorgane  Magen¬ 
inhaltsuntersuchungen  vorgenoinmen ;  hierunter  boten 
31  Fälle  den  Befund  der  Achylie.  Von  den  letzteren  sind 
14  von  der  nachfolgenden  Besprechung  ausgeschieden 
worden,  da  eine  ,x4nzahl  darunter  Fälle  von  Magenkarzinom 
l)etraf,  die  übrigen  infolge  ungenügend  langer  Beobachtungs¬ 
zeit  für  die  nachfolgende  Mitteilung  nicht  verwertet  werden 
konnten. 

Die  übrig  bleibenden  17  Fälle  betragen  allein  4 To 
der  obigen  420  Kranken. 

E.  Schütz^)  fand  unter  830  chemisch  untersuchten 
Fällen  3-6 To  nicht  karzinomatöser  Achylien;  auch  die 
meisten  anderen  Autoren  heben  die  relative  Häuiigkeit  der 
Achylie  hervor;  nur  Bourget^;  (Lausanne)  gibt  an,  er 
habe  sie  im  Laufe  der  letzten  20  Jahre  unter  einem  reichen 
Beobachtungsmaterial  höchstens  vier-  oder  fünfmal  zu  sehen 
Gelegenheit  gehabt.  (Seltenheit  durch  territoriale  Verhält¬ 
nisse  bedingt?) 

Unsere  17  Fälle  betrafen  Personen  im  Alter  zwischen 
21  und  59  Jahren.  Bei  keinem  derselben  sollen  Besebwerden 
seitens  des  Verdauungsapparates  vor  dem  19.  Lebensjahr 
aufgetreten  sein.  Betreffs  der  Literaturangaben  in  bezug  auf 
(las  jugendlichste  Alter,  in  welchem  Achylie  gefunden  wurde, 
beschränke  ich  mich  auf  folgende  kurze  Uebersicht:  Unter 
den  16  Fällen  von  M  artiu  s")  ist  der  jüngste  Patient  26  Jahre 
(Einsetzen  der  ersten  Verdauungsbeschwerden  im  25.  Lebens¬ 
jahre).  Bo  sen  heim''’)  fand  Achylie  bei  einem  18jährigen 


Patienten.  Unter  Einhorns^)  15  Fällen  ist  der  jüngste 
21  Jahre  alt  (erste  \Brdauungsbeschwerden  im  19.  Lebens¬ 
jahr).  Einhorn  berichtet  hier  aber  auch  über  einen  Mann, 
der  bis  zum  20.  Lebensjahre  an  Durchfällen  litt,  hierauf 
keinerlei  Beschwerden  seitens  des  Verdauungsapparates 
hatte;  durch  eine  gelegentliche  Mageninhaltsuntersuchung 
im  52.  Lebensjahre  wurde  iVchylie  festgestellt.  Einhorn 
glaubt,  daß  hier  die  Saftlosigkeit  des  Magens  schon  aus  der 
Kindheit  datierte.  Riegels^)  jüngster  Patient  war  17  Jahre 
alt.  Wegele^)  hat  schon  bei  Zwölfjährigen  Achylie  gefunden 
und,  wie  ich  einer  mündlichen  Mitteilung  entnehme,  jüngst 
sogar  bei  einem  fünfjährigen  Knaben,  welcher  gleichzeitig 
an  Albuminurie  litt,  eine  durch  dreimonatliche  Beob¬ 
achtung  sichergestellte  Achylie  konstatiert.  Dagegen  fand 
L.  Kuttner,®)  der  den  Mageninhalt  einer  sehr  großen  An¬ 
zahl  magendarmkranker  oder  rachitischer  Säuglinge  und 
Kinder  aller  Altersklassen  untersuchte,  niemals  einen  voll¬ 
ständigen  Ausfall  der  Saftsekretion.  —  Hier  sei  schließlich 
nochmals  Martins^)  angeführt,  der  die  Vermutung  aus¬ 
spricht,  Achylia  gastrica  oder  die  Anlage  zu  derselben  seien 
angeboren.  Die  bisherigen  Untersuchungsergebnisse  sprechen 
wenig  zugunsten  dieser  Annahme. 

Ueber  das  Vorkommen  von  Achylie  (sowie  über  die 
Aziditätsverhältnisse  des  Mageninlialtes  im  allgemeinen)  im 
höheren  Lebensalter  geben  nachfolgende  Beobachtungen  Auf¬ 
schluß.  In  den  letzten  drei  Jahren  wurden  in  unserem 
Anibulatorium  ■ —  nach  Abzug  von  26  Magenkarzinom¬ 
kranken  —  bei  69  Personen,  welche  im  Alter  von  50  bis 
81  Jahren  standen  und  durchwegs  über  Verdauungsstörungen 
klagten,  Mageninhaltsprüfungen  vorgenommen. 

Es  zeigten : 


Hyperazidität  (A  über  70) 

15 

Normale  Azidität 

32 

Hypa^idität  (A  unter  40) 

12 

Achylie 

10.* 

Die  Achyliker  machten  im  Triennium  1904/6  15To  **) 
der  über  50  Jahre  alten  (nicht  an  Magenkarzinom  leidenden) 
Verdauungskranken  aus.  (Ich  möchte  hier  erwähnen,  daß 
die  Gesamtazidität  bei  den  15  Fällen  mit  Hyperazidität  Werte 
bis  107  erreichte.) 

Mit  den  Aziditätsverhältnissen  im  höheren  Lebensalter 
befassen  sich  die  neueren  Arbeiten  von  Seidelin ^)  und 
Li fs ch ü tz.^®)  Ersterer  hat  den  Magensaft  von  70  Patien¬ 
ten,  welche  das  50.  Lebensjahr  überschritten  hatten,  unter¬ 
sucht.  Es  wurden  nach  Möglichkeit  Patienten  gewäldt,  bei 
denen  das  klinische  Bild  die  Eventualität  eines  Magenkarzi¬ 
noms  mit  absoluter  Sicherheit  ausschloß.  In  40To  der  Fälle 
fehlte  freie  Salzsäure,  die  Gesamtazidität  betrug  5 — 15 — 39. 
Lifschütz  fand  bei  der  Untersuchung  yondO  über  öOJalire 
alten  Kranken  25mal  Achylie,  fünfmal  darunter  bei  Magen¬ 
karzinom.  Nach  Abzug  der  Kranken  letzterer  Kategorie  ver¬ 
bleiben  20  Achyliker,  entsprechend  33 To  der  Patienten. 

Wie  Seidel  in  und  Lifschütz  konnten  auch  \\tir 
eine  bedeutende  Zahl  von  Achylikern  im  höheren  Lebens¬ 
alter  konstatieren.  Anderseits  aber  fanden  wir  bei  der  Hälfte 
unserer  über  50  Jahre  alten  Kranken  normale,  bei  einer 
beträchtlichen  Anzahl  zum  Teil  hohe  Hyperaziditätswerte. 
Wir  können  daher  Lifschütz  nicht  zustimmen,  wenn  er 
zur  Schlußfolgerung  kommt,  daß  die  Magensekretion  bei 
Personen  jenseits  des  50.  Lebensjahres  eine  ziemlich  deut¬ 
liche  Tendenz  zur  Verringerung  zeigt. 

Was  das  Geschlecht  anbelangt,  fanden  sich  unter 
unseren  17  Fällen  von  Achylie  11  Männer  und  6  Frauen. 

ln  bezug  auf  die  Krankheitsdauer  ließ  sich  feststellen, 
daß  alle  Patienten  in  Behandlung  kamen,  nachdem  ihre 
Beschwerden  nionate-  oder  jahrelang  bestanden  hatten.  In 
drei  Itiillen  ging  der  letzten  Erkrankung,  welche  Anlaß  zur 
Untersuclumg  gab,  eine  oder  mehrere  Erkrankungsperioden 

*)  Hilter  diesen  war  bei  vier  Fallen  mit  Rücksicht  auf  die 
ungenügend  lange  Beobachluiigszeit  das  Bestehen  eines  Magenkarzinoms 
nicht  mit  Sicherheit  auszuschließen.  Ich  zähle  sie  hier  zu  den  Achylien, 
um  keinesfalls  zu  niedrige  Zahlen  zu  bekommen. 

**)  Ira  Bifimium  1904  bis  1905  20®/(,. 


Nr.  15 


439 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


voraus,  die  mit  ein-  l)is  vierzelmjährigeii  Intervallen  voll- 
sländigen  Wohlliefindens  alnveclisellen. 

Unsere  Patienten  rekrutierten  sich  ans  dem  Arbeiter- 
nnd  niederen  Beamtenstand.  Wir  fanden  keine  Anzeichen, 
daß  hei  ilmen  bernfliche  Schädlichkeiten  für  die  Eidstehnng 
der  Krankheit,  hzw.  für  das  Auftreten  subjektiver  Be¬ 
schwerden  verantwortlich  gemacht  werden  konnten.  Potus 
wurde  von  allen  Kranken  in  Abrede  gestellt. 

Anhaltspunkte  für  eine  familiäre  Disposition  konnten 
wir  aus  den  Angaben  der  Kranken  nicht  gewinnen;  eine 
Reihe  von  Patienten  gab  mit  Bestimmtheit  an,  daß  Eltern 
und  Geschwister  nie  an  länger  dauernden  Verdauungs¬ 
beschwerden  gelitten  hatten;  nur  einer,  der  gleichzeitig  seit 
Jahren  Diarrhöen  hatte,  teilte  mit,  daß  sein  Vater  gleichfalls 
an  einem  ähnlichen  Zustande  gelitten  habe.  (Nebenbei  sei 
hier  der  Befund  bei  einem  29jährigen  Kranken  erwähnt, 
dessen  an  Achylie  erkrankte  Mutter  zwei  Jahre  hindurch  in 
unserer  Beobachtung  stand;  gleich  letzterer  klagte  er  über 
Aufstoßen,  Alagendrücken  und  Schlaflosigkeit.  Pötus  und 
Tabakmißbrauch  wurden  negiert.  Mageninhaltsprüfung  nach 
Probefrühstück  ergab  A  -=  91 ,  freie  Salzsäure  68.) 

Wir  kommen  nun  zur  Besprechung  der  subjektiven 
Beschwerden  unserer  Patienten.  Nur  drei  Kranke  hatten 
guten  Appetit,  bei  den  übrigen  war  er  verschieden  stark 
herabgesetzt.  Von  fünf  Patienten  wurde  über  Luftaufstoßen 
geklagt.  Zwei  Achyliker  hatten  häufiges  saures  Aufstoßen, 
eine  Patientin  klagte  über  Sodbrennen;  bei  einem  weiteren 
Fall  kam  seit  anderthalb  Jahren  ein  bis  zwei  Stunden  nach 
den  Mahlzeiten  geschmacklose  Flüssigkeit  hoch.  Ein  Kranker 
hatte  seit  mehreren  Monaten  kontinuierlich  anhaltendes, 
durch  Nahrungsaufnahme  unbeeinflußtes,  im  allgemeinen 
mäßiges,  zeitweise  jedoch  solir  heftiges  Brennen  im  Verlaufe 
der  ganzen  Speiseröhre.  Fünf  Fälle  klagten  über  zeitweises 
Erbrechen,  das  ein  bis  mehrere  Stunden  nach  den  Mahl¬ 
zeiten  auftrat;  bei  einem  derselben  stellte  es  sich  immer 
nur  im  Verlaufe  einer  Migräne  ein.  Dreimal  bestand  Gefühl 
von  Völle  im  Magen  nach  den  Mahlzeiten.  Lieber  Druck 
im  Magen  klagten  zehn  Kranke.  In  sieben  Fällen  trat  dieses 
Symptom  nur  im  Anschluß  an  die  Mahlzeiten  auf  u.  zw.  bald 
rasch,  bald  ein  bis  zwei  Stunden  nach  denselben;  es  war 
von  kurzer  bis  mehrstündiger  Dauer,  blieb  zeitweise  für 
Tage  und  länger  aus.  In  einem  Fall  bestand  seit  dem  Krank¬ 
heitsbeginn  kontinuierliches,  durch  Nahrungsaufnahme  ver¬ 
stärktes  Magendrücken. 

Eigentliche  Mageinschmerzen,  bzw.  -krämpfe  wurden 
nur  von  zwei  Patienten  angegeben.  Bei  dem  einen,  der 
auch  an  heftigen  Durchfällen  litt,  wurden  sie  durch  Darm¬ 
koliken  vorgetäuscht,  welche  unmittelbar  nach  den  Mahl¬ 
zeiten  auftraten. 

Bei  einem  weiteren  Falle,  einem  43jährigen  Schrift¬ 
setzer,  hatten  acht  und  sechs  Wochen,  bzw.  einen  Tag  vor 
dem  IJehandlungsbeginn  sehr  intensive,  24  Stunden  an¬ 
haltende,  mit  heftigem  Erbrechen  und  starker  Diarrhoe  ein¬ 
hergehende  Magenkrämpfe  bestanden.  Außer  leichter  An¬ 
deutung  des  Rhomb  er  gscheii  Symptoms  war  und  Idieb 
der  Nervenbefund  negativ.  Pat.  stellte  eine  luetische  In¬ 
fektion  entschieden  in  Abrede;  ein  Bleisaum  war  nicht 
vorhanden.  Am  naheliegendsten  war  es,  diese  Anfälle 
als  Bleikoliken  oder  gastrische  Krisen  nervösen  Ursprunges 
aufzufassen.  Einige  Wahrscheinlichkeit  hat  jedoch  auch  die 
Aimahme  für  sich,  daß  grobe  Diätfehler,  welche  bei  be¬ 
stehender  Achylie  um  so  verhängnisvoller  für  den  ganzen 
Verdauungstrakt  werden  mußten,  die  Anfälle  verschuldeten ; 
denn  während  einer  viermonatlichen,  der  Achylie  ent¬ 
sprechenden  Behandlung  traten  diese  nicht  wieder  auf  und 
Pat.  erholte  sich  ganz  vorzüglich. 

Ueber  Schmerzen  anderer  Art  klagte  ein  weiterer 
Patient.  Sie  traten  im  linken  Hypochondrium  oder  hinter 
dem  Brustbein  auf,  strahlten  zuweilen  gegen  den  Rücken 
und  in  die  Oberarme  und  Beine  aus;  sie  waren  bald  reißend, 
l)ald  ziehend,  hielten  konstant  an,  waren  jedoch  von  wech¬ 
selnder  Stärke,  manchmal  recht  intensiv.  Alit  ihnen  ver¬ 


gesellschafteten  sich  häufig  Brennen  im  Verlaufe  der  ganzen 
Speiseröhre  und  Würgen  in  der  Keblkopfgegend. 

Ein  Kranker  klagte  über  beständiges  Wundgefühl  im 
Abdomen. 

Zeichen  von  Neurasthenie  (leichte  nervöse  Erregbar¬ 
keit,  rasches  Ermüden,  unrubiger  Schlaf  usw.)  fehlten  nur 
bei  wenigen  Kranken,  doch  waren  diese  Symptome  iti  keinem 
Falle  so  hervorstechend,  daß  sie  das  Krankheitshild  be¬ 
herrschten. 

Die  subjektiven  Beschwerden  unserer  Patienten  zeigten 
mithin  große  Mannigfaltigkeit,  keineswegs  aljer  charakteri¬ 
stische  Eigentümlichkeiten. 

Der  Ernährungszustand  unserer  Kranken  war  im  all¬ 
gemeinen  schlecht,  nur  zwei  zeigten  mäßige  Fettleibigkeit. 
.Yusnahmslos  war  anämisches  Aussehen  vorhanden. 

Sechs  Patienten  hatten  normale  Stnhlentleerungen, 
sieben  litten  an  Diarrhoen  oder  großer  Neigung  zu  solchen, 
vier  an  Verstopfung.  —  Stuhhmtersuchungen  wurden  nicht 
vorgenommen.*) 

Bei  keinem  unserer  Kranken  fanden  wir  eine  wesent¬ 
liche  Druckschmerzhaftigkeit  der  Magengegend.  Einen  Tief¬ 
stand  der  unteren  Magengrenze  (in  Nabelhöhe)  konstatierten 
wir  zweimal;  hier  war  vor  der  Ausheberung  ausgedehntes 
Plätschern  im  Bereiche  der  Magengegend  zu  erzeugen.  In 
allen  anderen  Fällen  ließ  sich  die  große  Kurvatur  durch 
Perkussion  drei  Finger  bis  handbreit  über  dem  Nabel  fest 
stellen.**) 

Wir  kommen  nun  zur  Besprechung  der  Mageninhalts¬ 
befunde.  Einhorn^)  und  Martins^)  hatten  die  seither 
vielfach  bestätigte  Angabe  gemacht,  daß  der  Mageninhalt 
der  Achyliker  eine  Stunde  nach  Verabreichung  des  Ewald- 
Boas  sehen  Probefrühstückes  abnorm  gering  sei ;  Kuttner®) 
und  Elsner^^)  haben  dies  als  für  viele  Fälle  nicht  zu¬ 
treffend  bezeichnet  und  als  Gründe  für  die  obige  Annahme 
die  Tatsache  angeführt,  daß  der  meist  sehr  dicke  Semmel¬ 
brei  nur  sehr  schwer  die  Sonde  passiere.  Nach  Angabe 
dieser  beiden  Autoren  müsse  man,  um  sich  über  die  Menge 
des  festen  flückstandes  zu  orientieren,  an  die  Ausheberung 
eine  Spülung  anschließen.  Unsere  Untersuchungen,  hei 
denen  wir  diese  Umstände  berücksichtigten,  ergaben  in  bezug 
auf  die  Menge  des  Mageninhaltes  die  verschiedenartigsten 
Resultate;  wir  fanden  alle  Uebergänge  von  recht  spärlichen 
bis  zu  sehr  reichliclien  (Jus  250  enU)  Inhaltsmengen;  bei  ein¬ 
zelnen  Krajiken,  die  wir  wiederholt  imlersnchten,  fanden  wir 
zuweilen  auch  keinen  Inhalt  mehr.  A  m  h  äu  f  i  g  s  te  n  1  i  e  ß  e n 
sich  normale  Quantitäten  feststellen.  Der  expri- 
inierte  Mageninhalt  bestand  entweder  nur  aus  Semmel¬ 
brocken  oder  enthielt  daneben  eine  geringe  Menge  Flüssig¬ 
keit.  Nur  selten  betrug  diese  ])is  ein  Drittel  der  Gesamt- 
inenge.  Bei  einem  Falle,  wo  wir  drei  Expressionen 
mit  nachfolgender  Spülung  machten,  fanden  wir  zweimal 
sehr  viel  Flüssigkeit  und  nur  geringe  Semmelreste  und  ein¬ 
mal  eine  normale  Flüssigkeitsmenge;  ebenso  bekamen  wir 
bei  der  ersten  Ausheberung  (und  Spülung)  eines  anderen 
Kranken  reichlich  Flüssigkeit  und  minimale  Semmelreste, 
während  bei  der  nächsten  Untersuchung  das  Verhältnis 
zwischen  Flüssigkeit  und  festen  Bestandteilen  sich  als  normal 
erwies. 

Diese  Ergebnisse  können  folgendermaßen  gedeutet 
werden.  Die  Flüssigkeit  wird  bei  Achylie  rascher  als  gewöhn¬ 
lich  in  den  Darm  überführt,  da  sie  durch  Magensekret  gar 
nicht  oder  zumindest  weniger  als  unter  normalen  Verhält- 

*)  Nachträglich  entnehme  ich  einer  Mitteilung  des  Herrn  Dozenten 
E.  Schütz,  daß  er  in  zwei  hier  nicht  angeführten  Fällen  von  Achylie 
Stuhluntersuchungen  genau  nach  den  Vorschriften,  welche  Ad.  Schmidt 
für  die  Funktionsprüfung  des  Darmes  angab,  gemacht  hat  und  in  keinem 
dieser  Fälle  wesentliche  Abweichungen  vom  normalen  Verhalten,  ins¬ 
besondere  keine  nennenswerten  Bindegewebsreste  vorfinden 
konnte. 

**)  Einen  unserer  Kranken  haben  Herr  Dozent  Holzknecht 
und  ich  röntgenologisch  untersucht'®)  (Fig.  23)  und  dabei  eine  Magen¬ 
form  gefunden,  die  sich  von  der  von  uns  als  normal  bezeichneten  (Fig.  16) 
durch  etne  mäßige  Dehnung  des  kaudalen  Teiles  (Fig.  13  a)  unterschied. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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nissen  vermehrt  wird*)  und  ihre  schwach  saure,  neutrale 
oder  alkalische  Reaktion  einen  rascheren  Abfluß  durch  den 
Pförtner  bedingt.  Dagegen  ist  die  Passage  der  groben 
Semmelbrocken  durch  den  Pylorus  mehr  minder  verlang¬ 
samt.  Die  Achylie  an  sich  beschleunigt  also  die  Fortschaf¬ 
fung  der  Flüssigkeit  beträchtlich  und  yerzogerf  die  der  festen 
Anteile  des  Probefrühstückes.  Bei  normaler  Funktion  der 
Muskulatur  wird  der  achylische  Magen  eine  Stunde  nach 
dem  Probefrühstück  nur  wenig  oder  keine  Flüssigkeit  und 
verschieden  große  Chymusmengen,  bei  gesteigerter  Aktion 
auch  keine  Semmelreste  mehr  enthalten.  Um  letzteren  Effekt 
zu  erzielen,  braucht  die  Steigerung  sicherlich  nicht  wesent¬ 
lich  zu  sein.  Ist  die  Muskelkraft  des  achylischen  Magens 
herabgesetzt  oder  besteht  ein  sonstiges  Motilitätshindemis 
am  Pylorus,  dann  wird  die  Retardation  in  bezug  .auf  den 
festen  Inhalt  eine  Steigerung  erfahren,  die  Beschleunigung 
der  Flüssigkeitsabfuhr  aufgehoben  werden,  eventuell  in  eine 
Retardation  übergehen.  In  den  seltenen  Fällen,  wo  der  Magen 
reichlich  Flüssigkeit  und  wenig  Semmel  enthält,  handelt  es 
sich  vielleicht  um  intensive  Verdünnungssekretion.  ' 

Bei  neun  Patienten  haben  wir  auch  den  nüchternen 
Magen  exprimiert  und  gespült;  nie  fand  sich  Stauungs¬ 
inhalt,  einmal  30 -  cm^  einer  farblosen,  stark  alkalischen, 
leicht  fadenziehenden  Flüssigkeit  und  einmal  etwas  dicker 
Schleim.  ! 

Der  charakteristischen  Schilderung  von  Martins:^) 
„die  Expression  drei  Viertelstunden  bis  „eine  Stunde  nach 
dem  Probefrühstück  fördert  Semmelbrocken  zutage,  die  völlig 
unverändert,  wie  eben  gekaut  und  ausgespien,  höchstens 
wie  etwas  zerrieben  aussehen“,  möchten  wir  noch  hinzu¬ 
fügen,  daß  in  einigen  unserer  Fälle  infolge  sehr  sorgfältigen 
Kauens  eine  leidliche  Chymifikation  vorgetäuscht  wurde. 
Der  Semmelbrei  war  ziemlich  gleichmäßig  feinbröckelig.  Daß 
es  sich  nur  um  eine  mechanische  Zerkleinerung  handelte, 
war  daraus  zu  schließen,  daß,  wie  die  Ausbreitung  des 
Mageninhalts  auf  der  Glasschale  ergab,  feinere  Flöckchen 
fehlten.**) 

Der  eine  Stunde  nach  dem  Ewald-Boas  sehen  Probe¬ 
frühstück  exprimierte  Mageninhalt  reagif^rte  in  vier  Fällen 
schwach  sauer  (A  bis  7***)  in  fünf  neutral,t)  in  vier 
alkalisch.  Bei  weiteren  vier  wiederholt  untiersuchten  Kranken 
war  die  Reaktion  zu  verschiedenen  Zeiten  meist  verschieden 
und  zwar  bald  schwach  sauer,  bald  neutral,  bald  schwach 
alkalisch. 

Sechs  von  unseren  Fällen  haben  wir  V2  bis  1^/4  Jahre 
lang  beobachtet  und  während  dieser  Zeit  bei  ihnen  wieder¬ 
holt  den  Mageninhalt  untersucht.  Niemals  konnten  wir 
während  dieser  Beobachtungszeit  das  Auftreten  von  Salz¬ 
säure  konstatieren,  während  andere  Autoren  (Einhorn^) 
und  Wegele^)  bei  einzelnen  Fällen  schließlich  wieder  Salz¬ 
säure  fanden. 

Die  Pepsinuntersuchrmg  (nach  Hammerschlag)  er¬ 
gab  unter  zehn  Fällen  (bei  sieben  weiteren  Kranken  er¬ 
hielten  wir  nicht  genügend  Magensaft)  nur  einmal  ein  nega- 

niNach  Rot h:und£StraußU)Ikann_  trotz  Achylie  selbst  ener¬ 
gische  Verdünnungssekrelion  auftreten.  -  -  -  ^ 

**)Muf  einfache  Weise  kann  dies  auch  folgendermaßen  festgestellt 
werden:  Läßt  man  ein  Probefrühstück  von  hinreichender  Azidität  im 
Glaszylinder  stehen,  so  schichtet  sich  schon  nach^kurzer  Zeit  der  Ghymus 
in  der  Weise,  daß  zu  unterst  die  gröbsten  Brocken  liegen,  während  zu 
oberst  eine  nie  fehlende,  grauweiße,  homogen  aussehende '  Schichte  ab¬ 
schließt,  welche  aus  feinsten  Semmelflockchen  besteht. 

***)  Betreffs  der  Reaktionsprüfung  des  Mageninhaltes  möchte  ich 
auf  folgendes  aufmerksam  machen:  Auch  bei  neutraler  oder  alkalischer 
Reaktion  des  Ausgeheberten  —  geprüft  durch  Einlauchen  des'Reagenz- 
papieres  in  die  Flüssigkeit  oder  Cbymusmasse  —  wird  blaues  *Lackmus- 
papier  schwach  gerötet,  wenn  man  an  dasselbe  eine  der  Semmelbrocken 
fest  andrückt.  Dieselbe  Reaktion  geben  aber  auch  ungekaute  Semmelbrocken 
welche  man  etwas  mit  Wasser  angefeuchtet  hat.  ’ 

t)  Während  mari  bisher  annahm,  daß  der  Mageninhalt  bei  einer 
maximalen  Gesamtazidität  von  7  keine  Salzsäure  enthalte,  vertritt  Leo 
in  seiner  jüngsten  Arbeit  (len  Standpunkt,  daß  trotz  neutraler  oder 
schwach  saurer  Reaktion  eine  Salzsäuresekretion  stattgefunden  haben 
müsse,  da  er  ausnahmslos  die  Fermente  nachweisen  konnte,  welche 
sich  bekanntlich  nur  bei  Gegenwart  von  Salzsäure  aus  dem  Profer¬ 
menten  bilden  können. 


fives  Resultat,*)  in  den  übrigen  Werte  zwischen  5  und 
370/0  Pepsin. 

Der  Mageninhalt  von  neun  Kranken  wurde  auch  auf 
Lab  untersucht ;  **)  die  Proben  fielen  nur  dreimal  positiv 
aus  u.  zw.  zweimal  bei  zehnfacher,  einmal  bei  40facher 
Verdünnung.  Bei  unseren  Fällen  fehlte  mithin  das  Lab  oder 
war  nur  in  sehr  geringer  Menge  vorhanden. 

Die  von  den  meisten  Autoren  erwähnten  und  als  häufig 
bezeichneten  Beimengungen  von  Blut  und  Schleimhaut¬ 
stückchen  zum  Mageninhalt  konnten  auch  wir,  allerdings 
nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle,  beobachten.  Dieses  Vor¬ 
kommnis  wird  allgemein  als  eine  Folge  Mer  leichten  Vulnera¬ 
bilität  der  achylischen  Magenschleimhaut  angesehen;  ich 
glaube  jedoch,  daß  dasselbe  zum  nicht  geringen  Teil  auf 
die  forcierten  Expressions-  und  Aspirationsversuche  zurück¬ 
zuführen  ist,  zu  denen  man  sich  aus  früher  erwähnten 
Gründen  bei  der  Untersuchung  solcher  Kranker  veran¬ 
laßt  sieht. 

Die  Untersuchung  des  ausgeheberten  Mageninhaltes 
und  der  Spülflüssigkeit  auf  Schleim,  sowie  die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  der  Schleimhautstückchen  hat 
Herr  Dozent  E.  Schütz  vorgenommen  und  die  Ergeb¬ 
nisse  inzwischen  publiziert.^®)  Ich  lasse  die  hiehergehörigen 
Stellen  seiner  Arbeit  wörtlich  folgen : 

,,Die  mikroskopische  Untersuchung  der  gehärteten  Schleim- 
hautstückclien  ergab  in  allen  Fällen  das  Vorhandensein  auffallend 
reichlicher  Becherzellen,  sowie  Zylinderzellen  mit  Stäbchensaum, 
sowohl  auf  der  Schleimhautoberfläche,  als  innerhalb  der  ge¬ 
wucherten  Vorräume.  Der  schleimige  Inhalt  der  Becherzellen 
zeigte  fast  regelmäßig  deutliche  Metachromasie  bei  der  Färbung 
mit  Toluidin,  sowie  Färbbarkeit  mit  den  übrigen  spezifischen 
Schleimfärbemitteln.  Dieser  Befund  steht  in  Einklang  mit  den, 
Angaben  anderer  Autoren,  welche  insbesondere  bei  atrophischen 
Prozessen  der  Magenschleimhaut  derartige  darmepithelähnliche 
Bildungen  vorgefunden  haben,  sowie  mit  den  Mitteilungen  von 
Lu  ha  risch,  Avelcher  unter  elf  Fällen  von  Achylie  in  den  aus¬ 
geheberten  Schleimhautstücken  fünfmal  ein  solches  Vorkommnis 
beobachtet  hat.  Ich  will  noch  bemerken,  daß  es  mir  nicht  gelang, 
in  den  von  mir  untersuchten  Präparaten  entzündliche  oder  degene¬ 
rative  Prozesse  nachzuweisen.“ 

„Der  Schleimgehalt  des  Speisebreies  war  in  der  Regel  ein 
minimaler.  Die  Brocken  schwammen  entweder  in  einer  dünnen, 
farblosen  Flüssigkeit,  oder  sie  waren  in  eine  schleimige,  glasr 
helle,  fadenziehende  Masse  eingehüllt,  die  alle  Charaktere  des 
Speichels  zeigte.  Auch  der  mikroskopische  Befund  des  Schleims 
bestätigte  die  Annahme,  daß  es  sich  vonviegend  um  Mund¬ 
schleim  handelte;  es  fanden  sich  zahlreiche  wohlerhaltene  Leuko¬ 
zyten,  Schleimkörperchen,  sowie  reichliche  Pflasterepithelien, 
ferner  Stäbchen  und  Kokken  in  großer  Zahl.  Nebstdem  waren 
in  einzelnen  Fällen  teils  isolierte,  teils  gruppenweise  zusanimen- 
liegende  Becherzellen,  sowohl  am  frischen  Präparat  (Färbung 
mit  Bismarckbraun),  namentlich  aber  im  gehärteten  Präparate 
nachweisbar..  Auch  ergab  die  Anwendung  der  Schleimfärbemittel 
regelmäßig  ein  positives  Resultat.  Auch  bei  der  Untersuchung 
nach  Reinwaschung  des  speisehaltigen  Magens,  sowie  im  nüch¬ 
ternen  Zustande  war  nur  wenig  Schleim  nachweisbar.“ 

Man  kann  also  aus  diesen  Beobachtungen  wohl  den  Schluß 
ziehen,  daß  bei  Achylie  keineswegs  eine  erhlebliche  MagensChleirn- 
'sekretion  stattfindet.  Diese  Tatsäche  ist  bemerkenswert,  da  sie, 
wie  ich  schon  früher  angedeutet  habe,  beweist,  daß  ein  reich¬ 
liches  Voiko'm'men  von  Becherzollen  durchaus  nicht  mit  einer 
Steigei’ung  der  IMaigenscbleiimiabsonderung  einhergehen  müsse.“ 

Hier  sollen  auch  noch  die  Befunde  von  Kund  F  aber^”^) 
mitgeteilt  werden.  Derselbe  untersuchte,  wie  er  in  seiner 
letzten  Arbeit  berichtet,  zehn  bei  der  Sektion  entnommene 
Magen  von  Achylikern.  In  allen  Fällen  waren  starke  Ent¬ 
zündungserscheinungen  (starke  diffuse  Rundzelleninfil- 
tration  der  oberflächlichen  und  tiefen  Schichten  und  der 
Drüsenschichte)  und  Atrophie  der  Drüsen  verschiedenen 

*)  Um  in  diesem  Falle  vollständiges  Fehlen  von  Pepsin  behaupten 
zu  können,  wäre  die  Kontrollprobe  mit  der  Karminfibrinflocke  nötig 
gewesen. 

**)  Wir  machten  nur  selten  die  Labprobe  nach  Leo“),  meistens 
die  Bo  as  sehe  Labzymogenprobe  mit  der  Modifikation  nach  Cohn  heim.“) 
Bei  derselben  wird  die  erste  Untersuchung  mit  dem  zehnfach  verdünnten 
Magensaft  angestellt;  auf  diese  Weise  können  sehr  geringe  Labmengen 
übersehen  werden.  —  Leo  “)  behauptet,  daß  mittels  Chlorkalzium  nicht 
das  Labzymogen,  sondern  Labenzym  naebgewiesen  werde. 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  ül 


Grades  zu  konsdatioreii.  Den  gleichen  Befund  erhob  er  bei 
der  Untersuchung  von  zehn  anderen  Achylikern,  bei  denen 
kleine  Schleimhautstückchen  mit  der  Sonde  aufgebracht 
worden  waren.  —  Aus  diesen  Untersuchungen  geht  lieiwor, 
daß  heträchtliche  Veränderungen  an  der  Schleimhaut  bei 
der  Achylie  zur  Regel  gehören. 

Betreffs  der  in  unseren  Fällen  eingeschlagenen 
Therapie  kann  ich  mich  kurj^  fassen.  Wir  verordneten  in 
allen  Fällen  Salzsäure,  meist  mit  Pepsinzusatz.  Großes  Ge¬ 
wicht  legten  wir  natürlich  auf  eine  weiche  Zubereitung 
aller  Speisen,  besonders  des  Fleisches  und  ließen  Gemüse 
und  Kartoffeln  nur  in  Püreeform  nehmen.  Der  Genuß  des 
Fleisches  wurde  möglichst  eingeschränkt;  einige  Patienten 
hatten  dies  spontan  getan,  da  sie  nach  Fleischspeisen  die 
stärksten  Beschwerden  verspürten;  ein  Patient  klagte  über 
direkten  Widerwillen  gegen  Fleisch.  Bei  Durchfall  ver¬ 
ordneten  wir  außer  Salzsäure  eine  entsprechende  Diät,  im 
Bedarfsfälle  außerdem  Taiinalbin.  Selbstverständlich  fand 
auch  eine  vorhandene  Neurasthenie  oder  Anämie  eine  ent¬ 
sprechende  therapeutische  Berücksichtigung.  Unter  diesem 
Regime  konnten  wir  in  den  meisten  Fällen  in  relativ  kurzer 
Zeit  eine  erhebliche  Abnahme  der  Beschwerden  und  eine 
Besserung  des  Ernährungszustandes  beobachten. 

Am  Schlüsse  meiner  Arbeit  komme  ich  zu  folgendem 
Resümee : 

1.  Die  Achylia  gastrica  stellt  einen  Sy  mp  torn  en- 
komplex  dar,  der  durch  den  Ausfall  oder  hoch¬ 
gradigste  Reduktion  (Leo^^)  der  Salzsäuresekre¬ 
tion  charakterisiert  ist. 

Auch  die  Lahsekretion  ist  bei  der  Achylie  in  der  Regel 
bedeutend  vermindert,  weniger  gilt  dies  im  allgemeinen  für 
das  Pepsin;  ein  vollständiges  Versiegen  des  letzteren  bei 
der  Achylie  ist  bisher  nicht  einwandfrei  nachgewiesen 
worden. 

Dieser  Sekretionsdefekt  der  Magenschleimhaut  kann 
bedingt  sein  durch  nervöse  Einflüsse,  durch  veränderte  Blut¬ 
beschaffenheit,  am  häufigsten  wohl  durch  krankhafte  Ver¬ 
änderungen  der  Magenschleimhaut. 

2.  Nach  dem  Ewald -Bo  as  sehen  Prohefmhstück  zeigt 
der  Magen  der  Achyliker  die  verschiedensten  Füllungs¬ 
zustände;  er  ist  entweder  leer  oder  enthält  nur  geringe 
oder  (in  der  Mehrzahl)  normale,  selten  große  Inhaltsmengen. 

3.  Die  Achylie  scheint  vor  der  Pubertätszeit  sehr  selten 
zu  sein;  jenseits  des  50.  Lehensjahres  findet  sie  sich  weit 
häufiger  als  in  den  vorangehenden  Dezennien.  Eine,  wie 
mehrfach  angenommen  wird,  im  höheren  Lebensalter  be¬ 
stehende  Tendenz  zur  Abnahme  der  Salzsäuresekretion  läßt 
sich  jedoch  nach  unseren  Beobachtungen  nicht  erkennen. 

4.  Das  Bestehen  einer  chronischen  Diarrhoe  oder  einer 
Neigung  zu  Diarrhöen  ist,  wie  auch  schon  andere  Autoren 
hervorgehoben  haben,  als  ein  achylieverdächtiges  Symptom 
anzusehen. 

Herrn  Dozenten  E.  Schütz  danke  ich  an  dieser 
Stelle  verbindlichst  für  die  Anregung  zu  der  vorliegenden 
Arbeit,  sowie  für  seine  Unterstützung  bei  Ausführung 
derselben. 

Literatur: 

b  M.  Einhorn,  Zur  Achylia  gastrica.  Archiv  für  Verdauungs 
krankheiten,  Bd.  1,  Heft  2.  —  ^)Martius  und  Lubarsch,  Achylia 
gastrica,  ihre  Ursachen  und  ihre  Folgen.  Wien  1897.  —  3)  E.  Schütz, 
Ueber  Hyperazidität.  Wiener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  46  bis  49.  — 
*)  L.  Bourget,  Die  Krankheiten  des  Magens  und  ihre  Behandlung. 
J.  F.  Bergmann.  Wiesbaden  1906.  —  ®)  Th.  Rosenheim.  Berliner 
klin.  Wochenschrift  1892,  Nr.  26  und  27.  —  ®)  F.  Riegel,  Die 

Erkrankungen  des  Magens  in  Nothnagels  Handbuch,  Wien  1897. 
—  0  0.  Wegele,  Die  Therapie  der  Magen-  und  Darmerkrankungen. 
3.  Auflage,  G.  Fischer,  Jena  1905.  —  ®)  L.  Kuttner,  Zur  Frage 
der  Achylia  gastrica.  Zeitschrift  für  klin.  Medizin,  Bd.  45,  Heft  1 
und  2.  —  ®)  Seidelin,  Untersuchungen  des  Mageninhaltes  bei 

älteren  Individuen.  Berliner  klin.  Wochenschrift  1904,  Nr.  36,  zitiert 
nach  Lifschütz  *®).  —  M.  J.  Lifschütz,  Achylia  gastrica  und  Beschaffen¬ 
heit  der  Magensekretion  in  höherem  Lebensalter.  Archiv  für  Verdauungs¬ 
krankheiten,  Bd.  12,  Heft  5.  —  “)  Elsner,  Die  Motilität  des  Magens 
bei  Achylia  gastrica.  Deutsche  med.  Wochenschrift  1904,  Nr.  42.  — 
Roth  und  Strauß,  Untersuchungen  über  den  Mechanismus  der 
Resorption  und  Sekretion  im  menschlichen  Magen.  Zeitschrift  für  klin. 
Medizin,  Bd.  37.  —  H.  Leo,  Zur  Kenntnis  der  Achylie  des  Magens. 


Münchener  med.  Wochenschrift  1907,  Nr.  27.  —  “)  H.  Leo.  Berliner 
klin.  Wochenschrift  1888,  Nr.  49.  —  P.  G  o  h  n  h  e  i  m,  Die  Krank¬ 
heiten  des  Verdauungskanals.  S.  Karger,  Berlin  1905. —  **)  E.  Schütz, 
Untersuchungen  über  den  Magenschleim.  Archiv  für  Verdauungskrank¬ 
heiten,  Bd.  11,  Heft  5.  —  Knud  Faber,  Die  chronische  Gastritis. 
Medizinische  Blätter  1906,  Nr.  48.  —  G.  Holzknecht  und 

L.  Brauner,  Grundlagen  der  radiologischen  Untersuchungen  des 
Magens.  Mitteilungen  aus  dem  Laboratorium  für  radiologische  Diagnostik 
und  Therapie  im  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhause  in  Wien,  G.  Fischer, 
Jena  1906,  Bd.  1,  Heft  1. 


Aus  der  deutschen  dermatologischen  Klinik  in  Prag 
(Vorstand;  Prof.  Dr.  K.  Kreibich.) 

Ueber  Reinfectio  syphilitica. 

Von  Dr.  Karl  Oplatek,  Sekundararzt. 

In  seinem  Vortrag :  Ueber  Reinfectio  hei  Syphilis,  ge¬ 
halten  in  der  Sitzung  des  Wiener  Doktorenkollegiums,  will 
Nobl  nur  jene  Fälle  als  Reinfectio  bezeichnet  wissen,  bei 
welchen  der  Symptomenkomplex  der  Syphilis  vom  Initial¬ 
affekt  bis  zu  de.n  Allgemeinerscheinungen,  u.  zw.  beide  Male 
nach  der  entsprechenden  Inkubatioiisdauer  zur  Entwicklung 
gelangt  und  zwischen  den  Allgemeinsymptomen,  bzw.  Rezi,- 
diven  der  ersten  Infektion  und  der  Neuhifektion  ein  der 
erfahrungsgemäßen  Dauer  des  irritativen  Stadiums  ent¬ 
sprechender  Zeitraum  verflossen  ist.  Bereits  früher  ver¬ 
langten  mehrere  Autoren,  wie  Caspar y,  Horowitz  und 
Heller,  später  Baurowicz  und  Marshall,  daß: 

1.  die  erste  Infektion  vollständig  abgelaufen,  also  auch 
keine  tertiären  Symptome  mehr  vorhanden  seien, 

2.  der  Primäraffekt,  welcher  allein  zur  Diagnose  Re¬ 
infectio  nicht  genüge,  von  deutlichen  sekundären  Symptomen 
(Adenitis,  Haut-  oder  Schleimhauterscheinungen)  gefolgt  sei, 

3.  auf  Angaben  des  Patienten  auf  eine  bereits  über¬ 
standene  Syphilis  nicht  soviel  Wert  zu  legen  sei,  als  viel¬ 
mehr  auf  Beobachtungen  durch  einen  einwandfreien  l^ach- 
manin,  am  besten  beide  Male  durch  einen  und  denselben  Arzt ; 
hauptsächlich  sollten  jedoch  klinische  Krankengeschichten 
maßgebend  sein. 

Dazu  muß  noch  nach  dem  jetzigen  Stande  der  Syphilis¬ 
forschung  der  sichere  Nachweis  der  Spiirochaeta  pallida  in 
den  Effloreszenzen  geliefert  werden. 

Tatsächlich  wird  man  erst  dann  von  einer  Reinfectio 
syphilitica  sprechen  dürfen,  wenn  alle  diese  Bedingungen 
erfüllt  sind,  andernfalls  dürften  viele  der  heschriebenen  Fälle 
nicht  als  Reinfectio  anerkannt  oder  müßten  zumindest  in 
Zweifel  gezogen  werden,  was  auch  bei  Durchsicht  der  — 
mir  zugänglich  gewesenen  —  Literatur  bei  einer  großen  An¬ 
zahl  von  Fällen  zutrifft. 

Fälle,  bei  denen  beim  Erscheinen  eines  indu- 
rierten  Geschwüres  noch  tertiäre  Symptome  einer 
Lues  vorhanden  sind,  kann  man  wohl  kaum  als  Reinfectio 
syphilitica  bezeichnen.  Freilich  wollen  Köbner  und  Gas- 
coyen  dies  tun  und  daraus  den  Schluß  ziehen,  daß  das, 
was  man  tertiäre  Syphilis  nennt,  nicht  als  solche,  sondern 
als  Nachkrankheit  einer  bereits  überstandenen  Syphilis  auf¬ 
zufassen  sei;  ähnlich  Ducrey,  der  eben,  weil  eine  neue 
Infektion  zu  einer  Zeit  auftrift,  wo  noch  tertiäre,  also  sicher 
luetische  Symptome  von  der  ersten  Infektion  nachweisbar 
sind,  die  Reinfectio-  nicht  als  einen  Beweis  für  die  Heilbar¬ 
keit  der  Syphilis  ansieht,  welche  Ansicht  Ogiloie  mit  ihm 
teilt,  während  Cooper,  Fournier,  Goldenberg  und 
Mracek  -sich  folgendermaßen  äußern:  Es  gebe  unzweifel¬ 
hafte  Fälle  von  Reinfectio  syphilitica,  also  auch  von  ge¬ 
heilter  Syphilis ;  die  erste  Infeidion  sei  ohne  Einfluß  auf  den 
Verlauf  der  zweiten,  der  leichter -oder  schwerer  sein  könne; 
die  Tatsache,  daß  die  meisten  Fälle  von  Reinfectio  mit 
Quecksilber  behandelt  worden  seien,  weise  auf  die  Wichtig¬ 
keit  und  den  Nutzen  der  Qaecksilberhehandlung  bei  der 
Syphilis  hin.  Von  demselben  Standpunkt  sind  auch  die  Fälle 
von  Rabitsch-Bey  und  Broeq  zu  betrachten,  welche 
beide  über  Reinfectio  hei  noch  bestehenden  tertiären  Er¬ 
scheinungen  berichten,  wobei  jedoeb  letzterer  im  Zweifel  ist, 
ob  es  sich  um  eine  tatsächliche  Reinfectio  handelt,  oder  oh 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCIIRIET.  1007. 


Nr.  15 


dieselbe  mir  vorgeläusclit  wird.  Ducrey  berichtet  sogar 
über  das  Auftreten  einer  llcinfectio  mit  neuen  Manifesta¬ 
tionen  bei  noch  vorhandenen  Syiiiptomen  einer  sekundären 
Sypliilis. 

Der  Zeitraum  zwischen  der  ersten  Infektion, 
])zw.  den  letzten  Symptomen  derselben  und  der  Neu¬ 
in  fektion  darf  nicht  allzu  kurz  sein,  um  keinen  Zweifel 
über  die  Heilung  der  ersten  Syphilis  aufkommen  zu  lassen 
uud  über  den  Zusamtnenhang  letzterer  mit  den  frischen 
Symptomen.  Wenn  Hehr  a  einen  Falt  beschreibt,  bei  dem 
fünf  Monate  nach  Ablauf  der  letzten  Symptome  eine  neue 
Infeklion  auf  trat,  so  mub  man  sich  unbedingt  seinem  Zweifel, 
ob  hier  eine  Reinfectio  stattgefunden  hat,  anschließen,  um  • 
so  mehr,  als  die  diesem  Geschwür  folgenden  Sekundär¬ 
symptome  sich  später,  als  man  hätte  erwarten  müssen,  cin- 
stellten  und  daher  eben  als  ein  Rezidiv  der  ersten  Infek¬ 
tion  anzusehen  waren.  Ebensolchem  Zweifel  begegnet  man 
bei  von  Neumann,  D  amp  er ow,  Fisichella  und 
Du  dley-Tait  beschriebenen  Fällen,  von  denen  die  letzteren 
um  so  mehr  auffallen,  als  bei  beiden  kurze  Zeit  nach  Ab¬ 
lauf  der  letzten  Symptome  die  Neuinfektion  durch  eine 
äußere  Verletzung  herbeigeführt  wurde,  das  eine  Mal  durcli 
Riß  in  die  Wange,  das  andere  Mal  durch  eine  Sclinittwunde 
mittels  eines  Rasiennessers. 

Daß  ein  induriertes  Geschwür  allein  —  bei  posi¬ 
tiver  Anamnese  ■ —  nicht  genügt,  um  eine  Reinfectio  zu 
konstatieren,  erhellt  schon  daraus,  daß  selbst  nach  einem 
längeren  Intervall  fast  ein  jedes  weiche  Geschwür  nach 
überstandener  Lues  induriert  erscheint  (als  ,,ulcera  in 
luetica“) ;  daß  es  in  vielen  Fällen  schwierig  ist,  ein  ex- 
ulzeriertes  Gumma  am  Penis  mit  Restimmtheit  von  einem 
Primäraffekt  zu  unterscheiden,  wird  wohl  ebensowenig 
jemand  bezweifeln.  Man  wird  also  nach  einem  solchen  ver¬ 
dächtigen  Geschwüre  stets  die  Sekimdärerscheinungen  ab- 
warten  müssen,  bevor  man  mit  Sicherheit  eine  Reinfectio 
wird  annehmen  können,  so  verhält  es  sich  denn  auch  bei 
einer  ganzen  Reihe  von  Fällen,  die  von  Neum  ann,  Fei  be  s, 
Thompson,  Campbell,  Schirren,  —  welch  letzterer 
selbst  die  Redingung  nach  Sekundärsymptomen  stellt  und 
auch  über  einen  zweiten  Fall  von  unzweifelhafter  Reinfectio 
syphilitica  berichtet  —  sowne  auch  weiters  noch  von  Heller, 
Rrandl,  Neisser  und  Rurgsdorff  beschrieben  wurden. 
Sal sotto  allerdings  sieht  in  dem  Ausbleiben  der  Sekundär¬ 
symptome  nur  eine  Folge  der  Abschwä.chuiig  des  Virus  und 
meint  daher,  es  genüge  das  Auftreten  einer  deutlichen 
Initialmanifestation,  i unabhängig  ob  konstitutionelle  Sym¬ 
ptome  folgen  oder  nicht.  In  ähnlichem  Sinne  berichtet  Lang 
über  einen  Fall  (Mediziner),  bei  welchem  die  deutlich  ent¬ 
wickelte  Sklerose  mit  dem  Päquelin  -zerstört  wurde,  ohne 
daß  sich  später  —  in  der  rechten  Leiste  war  nur  eine  erbsen¬ 
große  Drüse  —  Sekundärerscheinungen  einstellten;  vier 
Jahre  später  neuerliche  Infektion;  das  harte  Geschwür  war 
jetzt  von  Sekundärsymptomen  gefolgt. 

Fast  selbstverständlich  erscheint  es,  daß  man  den 
Angaben  der  Patienten  betreffs  einer  früheren  Infek¬ 
tion  nicht  viel  Glauben  wird  schenken  dürfen,  falls  man  die¬ 
selben  nicht  durch  ärztliche  oder  noch  besser  durch 
klinische  Beobachtungen  wird  erhärten  können.  Molenes 
berichtet  über  einen  Fall,  bei  welchem  man  auf  Grund  der 
Anamnese  eine  Reinfectio  syphilitica  diagnostizierte  und 
bei  dem  es  sich  später  herausstellte,  daß  der  Mann  keine 
Lues  duichgemacht  hatte  und  der  vom  Patienten  für  Syphilis 
gehaltene  Ausschlag  ein  Antipyrinexanthem  war,  welches 
auf  Antipyrineinnahme  jedesmal  wieder  aufirat.  E,l)enso 
wurde  ein  von  Pauly  vorgeslellter  Fall  wegen  ungenauer 
Anamnese  angezweifelt.  Hingegen  fand  Raurowicz  bei 
('inem  IManne  mit  frischer  Infeklion  und  Sekundärsymptomen 
narbige  Veränderungen  ini  Rachen,  welche  der  Verfasser  als 
nur  von  gummösen  Prozessen  herrührend  hezeichnet ;  Patient 
negiorl  jedoch  jede  syphilitische  Infektion,  wie  auch  die 
übrige  Anamnese  vollständig  negativ  war,  so  daß  Rauro¬ 
wicz  im  Zweifel  ist,  ob  es  sich  um  Narben  nach  akcpiirierter  I 


odei-  hereditärer  Lues  handelt,  welch  letztere  er  auch  an¬ 
nimmt. 

Die  Mehrzahl  der  überhaiii)t  als  Reinfectio  syphilitica 
Ijeschriebenen  Fälle  (siehe  Literat urangabe)  entsprechen 
jedoch  den  oben  angeführten  Dedingungen  und  müssen  daher 
als  unzweifelhafte  Reinfektionen  bei  Syphilis  angesehen 
werden.  Desonderes  Interesse  verdient  die  Reobachtung 
Pellizaris,  nämlich  Reinfectio  bei  einem  Ehepaar,  wo 
bei  beiden,  u.  zw.  zuerst  beim  Manne,  zehn  Jahre  nach  der 
ersten  Infektion  eine  neue  auftrat,  obzwar  der  Mann  vorher 
überhaupt  keine  Rehandlung  durchgemacht  hatte,  während 
die  Frau  nach  wiederholten  Rezidiven  rnehreremals  und 
gründlich  behandelt  worden  war,  woraus  Pellizari  der 
Rehandlung  jeden  Einfluß  auf  die  Reinfektion  abspricht. 

Im  Anschlüsse  daran  möchte  ich  über  eine  unzweifel¬ 
hafte  Reinfectio  syphilitica  bei  einem  Alaune  berichten,  der 
beide  Alale  an  der  hiesigen  Klinik  behandelt  wurde  und 
über  dessen  Erkrankungen  ausführliche  klinische  Kranken¬ 
geschichten  vorliegen. 

H.  K.,  47  Jahre  alter,  verheirateter  Gohlarlieiter,  sucht  Avegen 
einer  seit  einigen  Tagen  bestehenden  Genitalaffektion,  (tie  drei 
Wochen  nach  einem  außerehelichen  Koitus  entstanden  sein  soll, 
klinische  Hilfe  nach.  Alan  findet  rechts  neben  dem  Frenufum 
im  Sulcus  glandis  einen  zirka  erbsengroßen,  leicht  belegten,  glän¬ 
zenden  Suhstanzvertust  mit  Induration  des  Grundes  und  der 
Ränder  und  Infiltration  in  der  Umgebung.  In  der  rechten  Leiste 
eine  fast  haselnußgroße,  derbe,  nicht  schmerzhafte  Drüse.  Die 
Diagnose  lautet:  Initialaffekt.  Therapie:  Graues  Pflaster.  Sechs 
Wochen  später  zeigte  sich  am  Stamme  ein  spärliches,  papulöses 
Syphilid,  das  einige  Tage  später  deutlicher  Avurde  und  sich  über 
den  ganzen  Stajnm  und  das  Genitale  aushreitete.  Im  Aufstrich¬ 
präparat  aus  dem  Serum  einer  geschlossenen  Papel  am  Penis 
fanden  sich  Amreinzelte  Spirochaetae  pallidae  (Färbung  nach 
Giem.sa,  modifiziert  von  Hof fmann-Halle.) 

Darauf  Einleitung  einer  Quecksilherbehaudlung  (Injektionen 
Amn  3°/'oigem  Sublimat),  AAmrunter  das  Exanthem  verschwand. 
Die  Anamnese  ergab,  daß  Pat.  bereits  vor  sieben  Jahren  iriit 
Syphilis  in  Behandlung  hiesiger  Klinik  stand,  Avelche  Angaben 
durch  Krankengeschichten  aus  den  Jahren  1900  und  1901  be¬ 
stätigt  werden. 

Im  Dezembei'  1900  akquirieile  nämlich  Pat.  drei  Wochen 
nach  einem  außicrehelichen  Koitus  ein  hartes  Geschwür  am  Penis 
u.  zw.  in  der  dorsalen  Alitte  des  Sulkus,  welches  mit  grauem 
Pflaster  behandelt  Avurde.  Im  Januar  1901  kam  Pat.  mit  einem 
makulösen  Syphilid  und  allgemeiner  Skleradenitds  Avieder  in  Be¬ 
handlung.  Damals  Avurde  Pat.  mit  Einreihungen  ä  4  g  Quecksilber¬ 
salbe  und  später,  als  diese  nicht  vertragen  AVurden,  mit  Ö'V'uigen 
SublimaUnjektionen  behandelt,  liii  Laufe  der  Behandlung  schwand 
das  Exanthem,  später  stellten  sich  Rachenerscheinungen,  nässende 
Papeln  am  Genitale  und  eine  Iritis  luetica  ein.  Seither  Avar 
Pat.  bis  zum  Auftreten  der  neuen  Infektion  frei  Amn  Erecheinungen. 
Pat.  ist  seit  25  Jahren  Amrheiratet,  die  Frau  ist  gesund,  hat 
dreimal  geboren,  alle  drei  Kinder,  das  jüngste  18  Jahre  :dt, 
leben.  Vor  15  Jahren  ein  Abortus  im  dritten  Älonat  aus  unbe¬ 
kannter  Ursache.  Seit  der  ersten  Infektion  enthielt  sich  Patient 
des  Beischlafes  mit  seiner  Frau. 

Aus  der  Anamnese,  dein  klinischen  und  schließlich 
aus  dem  mikroskopischen  Befunde  darf  der  Beweis,  daß 
in  diesem  Falle  eine  Reinfektiion  staltgefunden  hat,  als  mit 
Sicherheit  erbracht  angesehen  werden. 

Literatur; 

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Arch.  f.  Dermatol,  u.  Syphilis  1883,  Bd.  15.  —  Aschner,  Reinfectio 
syphilitica.  Verhndlgn.  d.  A'^erein.  Ungar.  Dermatologen  1896.  —  Bau- 
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Verhndlgn.  d.  Wiener  dermalol.  Gesellsch.  1898,  23.  Februar.  —  Broeq, 
De  las  diücultades  que  presenta  el  diagnoslico  de  la  reinfezione  sifilitica. 
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Nr.  15 


443 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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infectio  syphilitica.  Russische  Medizin  1899.  —  Rabitsch-Bey,  Bei¬ 
träge  zur  Lehre  der  syphil.  Reinfektion.  Wiener  med.  Wochenschr.  1886, 
42.  —  Rasumow,  Ein  Fall  von  Reinfectio  syphilitica.  Medizinskoie 
Obosrenje  1889.  —  Salsotto,  Sulla  reinfezione  sifilitica.  Osservatore, 
Gazz.  med.  di  Torino  1889.  —  Derselbe,  Terzo  caso  di  reinfezione 
sifilitica.  Gazz.  med.  di  Torino  1892,48.  —  Scharwächter,  Reinfectio 
syphilitica.  Verhndlgn.  d.  Berliner  dermatol.  Gesellsch.  1903.  —  Schirren, 
lieber  Reinfectio  syphilitica.  Dermatol.  Zeitschr.  II.  —  Spagolla,  Un 
caso  di  reinfezione  sifilitica.  Giornale  ital.  delle  mallatie  veneree  et  della 
pelle  34.  —  S  u  k  o  w.  Ein  Fall  von  Reinfectio  syphilitica.  Journal  russe 
de  mal.  cut.  1901,  7.  —  T  a  i  t.  Two  Gases  of  virulent  Syphilis  and  one 
of  Reinfectio  syphilitica.  Occidental  Medical  Times  1896.  —  Tarnowsky, 
Reinfectio  syphilitica.  Wratsch  1898,  9.  —  Thompson,  Un  cas  de  rd- 
infeclion  syphilitique.  Med.  Obozr.  1881,  17. 


Aus  der  I.  mediz.  Klinik  (Prof.  Dr.  v.  Noorden)  und  dem 
Röntgenlaboratorium  (Vorstand :  Doz.  Dr.  Holzknecht) 

in  Wien. 

lieber  radiologische  Motilitätsprüfung  des 
Magens.  Die  Schlußkontraktion. 

Von  Dr.  Gottwald  Schwarz  am  Röntgenlaboratorium  und  Dr.  Sieg'iiiuiid 
Kreuzfuclis  an  der  I.  mediz.  Klinik. 

Wir  hatten  uns  zur  Aufgabe  gestellt,  den  Einflußi  der 
Salzsäure  und  der  Alkalien,  der  Kohlehydrat-  und  der  Eiwei߬ 
diät  auf  den  Ablauf  der  Magen-  und  Darrnhewegung  zu 
studieren.  Diesen  Untersuchungen  mußte  eine,  unter  phy¬ 
siologischen  Verhältnissen  vorgenommene,  exakte  Motililäts- 
prüfung  zugrunde  gelegt  werden,  über  die  wir  an  dieser 
Stelle  deshallj  schon  berichten  wollen,  weil  sie  auch  für 
andere  derartige  Untersuchungen  von  Wert  sein  kann. 


Rieder  hat  in  seiner  Ijekannten  Arbeit^)  die  Grund¬ 
züge  einer  radiologischen  Motilitätsprüfung  entworfen,  ohne 
jedoch  anzugeljen,  ob  sich  der  Untersuchte  zur  Zeit  der 
Verdauung  in  Ruhe  oder  in  Bewegung  befand  und  ferner, 
welche  Körperhaltung  er  während  derselben  einnahm.  Diese 
l)eiden  Faktoren  sind  aber,  wie  der  eine  von  uns^)  aus- 
geführt  hat,  von  groß;em,  ja  oft  entscheidendem  Einflüsse 
für  die  Entleerung  des  Magens. 

Daher  gestalteten  wir  unsere  Motilitätsprüfung  nach 
folgendem,  einheitliche  m  Modus  : 

1.  Ingesta.  Der  zu  Untersuchende  erhält  morgens 
nüchtern  200  cm^  mit  30  0  g  Bismut  versetzten  Milchgries. 

2.  Körperhaltung.  Der  zu  Untersuchende  befindet 
sich  während  der  ganzen  Beobachtungsperiode  in  auf¬ 
rechtem.  Sitz  (cf.  1.  c.). 

Die  Durchleuchtungen  werden  in  Zwischenräumen  von 
einer  Stunde  vorgenommen. 

Diese  Art  von  Motilitätsprüfung  halten  wirfür  die  einzig 
exakte :  1.  weil  sie  sich  unter  vollkommen  physiologischen 
Verhältnissen  abspielt;  2.  weil  man  gleichzeitig  einen  Ein¬ 
blick  in  die  Form  und  die  Lage  des  Magens  — ■  zwei 
für  die  Enüeerungszeit  wesentlich  in  Betracht  kommende 
Momente  —  gewinnen;  3.  weil  man  die  motorisclie  Funktion 
(Peristaltik)  des  Magens  während  der  Austreihungszeit  direkt 
mittels  des  Auges  verfolgen  kann. 

Nach  diesem  Schema  haben  wir  eine  Reihe  von  Fällen 
mit  normal  gefomitem  und  normal  gelagertem  Magen  unter¬ 
sucht  und  haben  —  im  großen  und  ganzen  übereinstimmend 
mit  Rieder  —  eine  Entleerungszeit  von  2Vi  bis  3  Stunden 
gefunden.  Unter  pathologischen  Verhältnissen  ergaben  sich 
charakteristische  Abweichungen,  üljer  die  wir  an  anderer 
Stelle  berichten  werden. 

Hier  wollen  wir  ein  Phänomen  beschreilien,  das  wir 
bei  der  systematischen  Untersuchung  der  verschiedenen 
Pliasen  der  Magenentleerung  beobachtet  haben  und  dasselbe 
an  einem  typischen  Beispiele  demonstrieren: 

Wir  verahreichten  einem  15jährigen  Mädchen  nüchtern 
einige  Schluck  einer  Bismutwasseraufschwemmung  ontl 
fanden  hei  der  unmittell)ar  darauf  vorgenonimenen  Röntgen¬ 
durchleuchtung  .den  unteren  Magenpol  in  Nabelhöhe.  Die 
Bestimmung  geschah  orthodiagraphisch.  Hierauf  ließen 
wir  das  Mädchen  das  oben  besprochene  Frühstück  — 
200  cnN  Milchgries  mit  30-0  Bismut  versetzt  —  nehmen, 
durchleuchteten  wieder  und  fanden  den  unteren  Pol  des 
nunmehr  gefüllten  Magens  an  derselben  Stelle ;  die  Be¬ 
lastung  hatte  also  keine  iDehnung  der  Vlagenwände  zur  Folge 
gehaht.  Dies  entspricht  der  Norm,  die  wir  an  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  feststellen  konnten;  nur  in  einer  geringen 
Anzahl  ergab  sich  durch  die  Belastung  eine  Dehnung  des 
Magens  um  1  bis  IV2  cm  (in  vertikaler  Richtung  gemessen). 

Bei  der  nach  einer  Stunde  hei  dem  Mädchen  vorge¬ 
nommenen  neuerlichen  Untersuchung  zeigte  es  sich,  daß 
sich  der  Magen  zur  Hälfte  entleert  hatte  und  daß  der  — 
wieder  orthodiagraphisch  bestimmte  —  untere  Magenpol 
noch  immer  dieselbe  Stelle  einnahm.  Jedoch  eine  Stunde 
später  hatten  sich  die  Verhältnisse  wesentlich  geändert: 
der  Magen  war  bis  auf  einen  kleinen  Rest  entleert,  der 
untere  Magenpol  stand  4  an  höher  als  hei  den  vorhergehen¬ 
den  Untersuchungen. 

Nach  einer  weiteren  Stunde  fanden  wir  keine  Bismut- 
ingesta  im  Magen,  die  Magengrenzen  waren  also  nicht  mehr 
erkennbar.  Um  uns  nun  von  dem  Shmde  des  unteren  Magen- 
poles  zu  überzeugen,  ließen  wir  das  Mädchen  wieder  einige 
Schluck  Bismutwasser  trinken.  Wir 'fanden  genannten  Punkt 
in  derselben  Höhe  wie  bei  der  letzten  Untersuchung. 


0  H.  Rieder,  Beiträge  zur  Topographie  des  Magendarmkanales 
beim  lebenden  Menschen,  nebst  Untersuchungen  über  den  zeitlichen 
Ablauf  der  Verdauung.  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen. 
A  Ibers -Schönberg,  1904/5. 

Dr.  Gottwald  Sch  warz,  Radiologische  Methode  zur  Prüfung 
der  Magenfunktionen.  Zeitschrift  für  ärztliche  bortbildung  1906,  Nr.  2. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


Diese  Deobachlung,^)  die  wir  an  einer  größeren  An¬ 
zahl  (12)  von  Fällen  in  ganz  analoger  Weise  inacliten,  iuliren 
also  zu  dem  einigermaßen  merkwürdigen  Frgehnis,  daß  ein 
von  Ingesten  freier  Magen  hei  einer  und  der¬ 
selben  1’  e  r  s  o  n  ein  verschiedenes  Volumen  a  n  f- 
weist,  je  nachdem  er  sigh  längere  Zeit  in  Ruhe 
befand  oder  kurz  vorher  eine  motorische  Arbeit 
zu  leisten  hatte,  daß  also  ein  Unterschied 
zwischen  dem  nüchternen  und  dem  entleerten 
Magen  besteht. 

Der  besprochene  Unterschied  ist  offenbar  bedingt  durch 
einen  Kontraktionszustand,  in  welchen  —  unabhängig  von 
der  Peristaltik  die  Magenwandung  gegen  Schluß  der 
Austreihungszeit  verfällt. 

Diese  Erscheinung,  die  wir  als  ,,Schlußkontra.k- 
tion“  hezeichnen,  dürfte  dem  Zwecke  dienen,  die  Peristaltik, 
welche  die  Austreihung  der  Ingesta  besorgt,  zu  unterstützen, 
indem  sie  das  Volumen  des  Organs  verkleinert.  Sie  bildet 
zugleich  ein  objektiv  nachweisbares  Substrat  des  ,, Magen¬ 
tonus“. 

Wir  halten  dafür,  daß  dieses  leicht  feststellbare 
Symptom  in  der  Frage  der  Magenatonio  von  Bedeutung 
sein  dürfte,  zumal  wir  in  manchen  (pathologischen?)  Fällen 
Abweichungen  von  der  geschilderten  Norm  fanden. 


Brauchbare  Abänderung  des  Sayreschen 
Schlüsselbeinbruch-Yerbandes. 

Von  Dr.  Frauz  Riedl,  Bad  Ullersdorf,  Nordmähren. 

Bei  Anlegung  eines  Verbandes  zwecks  Heilung  von 
Knochenbrüchen  haben  wir  die  verschiedensten  Gesichts¬ 
punkte  ins  Auge  zu  fassen,  um  einen  möglichst  günstigen 
Erfolg  zu  erzielen. 

Zuerst  muß  es  uns  gelingen,  die  Bruchenden  möglichst 
aneinander  zu  bringen,  um  das  frühere  Gefüge  des  Knochens 
und  damit  das  Gerüst  der  Muskulatur  und  den  Hebel  der 
Bewegung  wieder  herzustellen;  wir  müssen  dem  wieder  zu¬ 
sammengefügten  Knochen  die  möglichst  beste  Richtung 
gehen,  um  nach  der  Heilung  auch  wieder  die  dem  normalen 
Zustande  annäherndste  Funktion  zu  erzielen;  wir  müssen 
aber  auch  auf  die  begleitenden  Umstände,  Nachbarorgane 
und  dergleichen,  auf  was  mshesondere  in  der  neuzeitlichen 
Behandlung  sehr  viel  \Vert  gelegt  wird,  bedeutende  Rück¬ 
sicht  nehmen,  damit  wir  nicht  nur  nicht  durch  den  Verband 
Schädigungen  setzen,  indem  wir  andere  mitbetroffene  Organe 
zu  wenig  bedenken,  sondern  die  Funktion  aller  mit  dem 
Knochenbruche  und  den  zur  Heilung  nötigen  Maßnahmen 
zusammenhängenden  Körperteile  wenigstens  in  der  best¬ 
möglichen  Funktionstüchtigkeit  erhalten.  Darum  legen  wir 
bei  der  Anwendung  von  Verbänden  zunächst  das  Gewicht 
auf  die  möglichst  genaue  Angliederung  der  gebrochenen 
Knochenstücke  aneinander,  aber  auch  auf  die  möglichst 
unbeeinflußte  und  am  l)esten  zu  gewinnende  und  auch 
am  besten  zu  erhaltende  Gel)rauchsfähigkeit  des  betroffenen 
Körperteiles. 

In  letzterer  Beziehung  haben  wir  auf  alle  Gewebe  von 
der  Oberhaut  bis  auf  den  Knochen  Rücksicht  zu  nehmen 
und  dies  nicht  nur  im  unmittelbaren  Gebiete  des  Bruches, 
sondern  auch  in  seiner  oft  weiteren  Umgebung,  wenn  durch 
Nichtberücksichtigung  obiger  Umstände  eine  Beeinträchti¬ 
gung  der  Gebrauchsfähigkeit  verursacht  werden  könnte.  Die 
Haut,  das  Unterhautzellgewebe,  die  Muskulatur,  die  Nerven, 
die  Gefäße,  die  Gelenke,  alles  dies  muß  bei  einer  ziel¬ 
bewußten  Behandlung,  soweit  es  die  Heilung  des  Knochen¬ 
bruches  zuläßt,  Berücksichtigung  finden,  sonst  kann  man 
von  schön  geheiltem  Knochenbruche,  aber  verlorener  oder 
verminderter  Gehrauchsfähigkeit  enttäuscht  sein  und  darüber 
ratlos  werden.  Deshalb  sehen  wir  an  den  modernen  Ver- 


h  Ein  Hinweis  auf  dieses  Verhalten  findet  sich  bereits  in  der 
Arbeit  von  Rieder,  der  auf  zwei  seiner  Radiogramme  ein  Links¬ 
und  Höherrücken  des  Pylorus  gegen  Ende  der  Verdauung  konstatieren 
konnte. 


bänden  die  großen,  allzu  steifen  Hüllen  oftmals  fallen  und 
durch  leichte  bewegliche  Vorrichtungen  ersetzt,  die  bei  häufi¬ 
gem  Wechsel  sowohl  der  Nachsicht  als  auch  Erhaltung 
der  Funktionstüchtigkeit  aller  Organe  Raum,  Gelegenheit 
und  Zeit  bieten. 

Im  allgemeinen  wird  sich  im  gegebenen  Falle  derjenige 
Verband  am  besten  eignen,  der  bei  günstigster  Heilungs¬ 
aussicht  des  Knochenbruches  möglichst  wenig  irgendwelche 
Beteiligung  nachharlicher  Gewebe  bedingt. 

Im  besonderen  Falle,  mit  dem  ich  mich  in  folgendem 
beschäftigen  will,  .sehen  wir  l)eim  Schlüsselbeinhruch  obige 
Rücksichtnahmen  nötig. 

Gerade  das  Schlüsselbein  ist  infolge  seiner  Lage  im 
Skelette  einer  jener  Knochen,  der  bei  der  Beweglichkeit 
beider  Köpfchen  und  hei  der  fast  unmöglichen  Feststellung 
des  abstehenden  Endes  eine  vollkommene  Ausbesserung  der 
Bruchendenlage  fast  unmöglich  macht,  wie  die  große  Anzahl 
von  Ratschlägen  und  Verbänden  zur  Heilung  solcher 
Schlüsselbeinbrüche  bezeugt.  Ja,  D a gr on  schlägt  daraufhin 
bei  den  meisten  Schlüsselbeinbrüchen  nur  Mitella  und  Mas¬ 
sage  vor.  Tatsächlich  finden  wir  mit  Hinsicht  auf  das  oben 
Gesagte  die  umfangreichen  Verbände,  wie  den  Desault- 
schen  oder  Velpeauschen  Verband,  weit  seltener  ange¬ 
wendet  wie  früher;  gie  werden  durch  leichtere,  wie  die  alte 
Stella  thoracis  posterior  oder  die  Verbände  von  Länderer, 
Moore,  Büngner,  Heus  ne  r,  Sayre  u.  a.,  ersetzt.  Manche 
von  ihnen  sind  je  nach  ihrer  besonderen  Eigenschaft  der 
Anpassung  der  Bruchenden  bald  in  dem  einen,  bald  in  dem 
anderen  Falle  brauchbar,  nehmen  auch  mehr  wie  die  ganz 
starren  vorgenannten  Verbände  Rücksicht  auf  die  mit  in 
Betracht  kommenden  Organe,  wobei  schwere  und  stark  ver¬ 
schobene  Brüche  erst  noch  die  sehr  unbequeme  und  aucli 
nicht  zuverlässige  Extension  nach  Bardenheuer  er¬ 
heischen. 

Trotzdem  gibt,  was  den  Gesamterfolg  betrifft,  kein 
Knochen bruch  als  solcher  so  ungünstige  Heilungsergebnisse 
als  gerade  der  des  Schlüsselbeines,  wo  im  Verhältnis  zur 
Kleinheit  des  Knochens  und  Geringfügigkeit  der  Erschei¬ 
nungen  die  Heilung  so  unangenehm,  so  ungenügend  und 
unbefriedigend  erfolgt  und  wo  bei  der  Häufigkeit  des  Vor¬ 
kommens,  der  verhältnismäßigen  Umständlichkeit  des  Hei¬ 
lungsverfahrens  und  der  dadurch  bedingten  Allgemein¬ 
störung  und  Beeinträchtigung  einbezogener  Körpergebiete 
eine  Vereinfachung  bei  gleich  günstiger  oder  eher  besserer 
Heilungsaussicht  nottut. 

Wie  schon  erwähnt,  ist  es  im  geraden  Verhältnis  zur 
Verschiebung  außerordentlich  schwierig,  das  Schulterende 
des  Schlüsselbeines  bei  der  Beweglichkeit  der  Schulter  und 
der  Stärke  der  Schultergürtel-  und  Oberarmmuskulatur  und 
ihrer  durch  den  hängenden  Arm  und  seine  Gebraiichs- 
notwendigkeit  bedingten  Bewegungen  derart  festzustellen 
und  selbst  in  eine  so  günstige  Lage  zu  bringen,  daß  eine 
solche  Heilung  mit  möglichster  Wiederherstellung  erfolgen 
kann.  Wenn  aber  gleichzeitig  eine  Ruhestellung  nicht  nur 
der  Schulter-  und  Briistmuskulatur,  sondern  auch  des  Armes 
Platz  greifen  soll,  bedeutet  dies  für  den  Kranken  nicht 
nur  einen  quälenden  Zustand,  sondern  auch  durch  Schädi¬ 
gung  der  verschiedenen  Gewebe  und  Bewegungen  eine  Ge- 
brauchsfähigkeitsherabminderung,  die  schließlich  neben  dem 
ohnehin  nicht  ganz  zureichenden  Ergebnis  der  Knochen¬ 
heilung  erst  recht  nicht  anmutet.  Oft  genug  sicht  der  ge¬ 
wandteste  Arzt  den  ungenügenden  Erfolg  achselzuckend 
voraus. 

Wenn  wir  uns  vorstellen  wollen,  was  für  eine  Stel¬ 
lung  das  Schlüsselbein  durch  seinen  Bruch  hervorruft,  so 
vergegenwärtigen  wir  uns  folgende  Merkmale:  Herabsinken 
und  \  orwärtsfallen  der  Schulter,  Nebeneinanderlagerung 
oder  Nebeneinanderschiebung  der  Bruchenden,  fast  immer 
des  distalen  Endes  hinter  das  proximale,  mit  entsprechenden 
Folgen,  Schmerzen  bei  jeder  Bewegung  des  Armes  und 
der  Schulter,  mitunter  auch  bei  der  des  Brustkorbes  bei 
feststehender  Schulter. 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE 


Das  Herabsinkeii  erfordert  zur  Verbesserung  ein  Auf- 
vvärtsdrängen,  das  Vorfällen  ein  Rückwärtsscliieben  der 
Scbulter  und  schließlich  Feslstcllung  in  dieser  Lage,  damit 
die  derart  aneinander  gebracditen  Enden  bewegungslos 
bleiben,  daher  rasch  und  schmerzlos  knapp  aneinander  heilen 
können.  Deweglichkeit  schmerzt,  behinderl  die  Heilung  und 
verscblechiert  das  Ergebnis  ;  schlechte  Heil  nng  beeinträchligl 
oft  die  Schulter-  und  Armgebrauchsfähigkeit. 

Die  Rückwärtsschiebung  der  Schulter  begegnet  nicht 
so  vielen  Schwierigkeiten,  da  sie  auf  mannigfache  Weise 
durch  Verbapd  oder  Heftpflaster  erzielt  werden  kann,  wo¬ 
bei  Ernst  und  Rücken  als' Angriffspunkte,  die  Schulter  als 
Widerlager  benützt  werden  können;  ein  eingeschobenes 
Gummiband  vermag  überdies  einen  beständigen  Zug  zur 
Verhütung  der  Verschiebung  der  Bruchenden  auszuüben; 
doch  bewirkt  dabei  eine  Teilkraft  gleichzeitig  Herabdrückung. 
Günstiger  wählt  man  den  einen  Angriffspunkt  statt  an  der 
Brust  am  Oberarm  (Sayre). 

Anders  schon  verhält  es  sich  mit  der  Aufwärts- 
drängung  der  Schulter.  Sie  ist,  einen  ohnehin  höchst¬ 
liegenden  Körperteil  betreffend,  mangels  eines  Widerlagers 
durch  Zug  nicht  so  leicht  ^  möglich ;  und  auch  das  Auf¬ 
wärtsdrücken  durch  Hebung  des  Ellbogens,  was  doch  die 
sicherste  Korrektur  Jyedeuten  würde,  ist  nicht  immer  in 
genügendem  Maße  und  mit  genügender  Beharrlichkeit  und 
Dauerhaftigkeit  möglich. 

Die  Feststellung  der  Schulter  in  der  verbesserten 
Stellung  bietet  überhaupt  Schwierigkeiten,  da  der  Verband 
entweder  zur  Schonung  von  Geweben  und  Funktionen  nicht 
so  fest  angelegt  werden  kann  oder  der  Stärke  der  Mus¬ 
kulatur  weicht  und  dadurch  das  Heilungsergebnis  beein¬ 
trächtigt. 

Da  wir  bei  Schlüsselbeinbrüchen  neben  der  Schulter 
auch  noch  den  daran  hängenden  Arm  bei  der  Verbands- 
anlegimg  zu  berücksichtigen  haben,  wobei  überdies  große 
und  starke  Gelenke  mit  in  Betracht  genommen  werden 
müssen,  die  zur  Erhaltung  der  Bewegungsfäbigkeit  mög¬ 
lichst  wenig  in  den  Verband  einbezogen  werden  sollen  und 
deren  Ruhigstellung  wieder  in  Hinsicht  auf  die  glatte 
Schliisselbeinheilung  von  Belang  ist,  müssen  wir  uns  bei 
der  Anlegung  eines  Verbandes  nach  dessen  auch  in  dieser 
Hinsicht  größten  Brauchbarkeit  umsehen. 

Die  stets  notwendige  Bückwärtsdrängung  der  Schul¬ 
tern  führt  uns  sofort  jenen  schon  alten  Achterverband  vor 
Augen,  der  als  Stella  thoracis  posterior  bekannt  ist  und 
der  wohl  die  größte  Verschiebungsmöglichkeit  bietet.  Ibm 
müssen  wir  noch  andere  Maßnahmen  im  Verbände  an¬ 
lügen,  um  neben  der  Bückwärtsdrängung  der  Schultern 
den  anderen  nötigen  Verschiebungen,  insbesondere  der 
nach  oben  und  der  Feststellung  zu  genügen. 

Da  verfallen  wir  wieder  auf  einen  der  einfachsten 
Verbände,  der  überdies  dem  Armgelenk  eine  größtmögliche 
Freiheit  läßt  u.  zw.  auf  den  Verband  von  Sayre.  Ins¬ 
besondere  scheint  uns  an  letzterem  die  Grund  tour,  die 
schraubenförmig  am  Oberarm  beginnt,  von  Wichtigkeit. 

Derart  habe  ich  mir  theoretisch,  an  einer  Reihe  von 
Fällen  auch  praktisch  bewährt,  einen  aus  obiger  Achter¬ 
tour  und  dem  Sayre  sehen  Verbände  vereinigten  Schlüssel¬ 
beinbruchverband  zusammen  gestellt : 

Vorerst  wird  durch  einen  Gehilfen  die  Stellung  der 
Schulter  in  der  für  die  Feststellung  erforderlichen  Weise 
gerichtet  gehalten.  Es  ist  jedoch  nicht  notwendig,  da  bei 
nicht  allzugroßer  Bruchendenverrückung  die  im  folgenden 
beschriebenen  Touren,  auch  wenn  sie  einzeln  nacheinander 
ohne  vorherige  Feststellung  angebracht  werden,  immerhin 
nach  richtiger  Anlegung  eine  gute,  zur  möglichst  folgen¬ 
losen  Heilung  dienliche  Stellung  bewirken. 

Dann  führe  ich  als  erste  Tour  die  Sayresche 
G  r  u  n  d  t  o  u  r  s  o,  d  aß  i  c  h,  sch  r  a  u  b  e  n  f  ö  r jn  i  g  a  m 
0 1)  e  r  a  r  in  beginnend,  von  diese  m  weg  —  n  i  c  h  t  v  o  n 
der  Schulter  —  hinten  schräg  über  das  Scbulter- 
blatt,  abweichend  von  Sayre,  nach  oben  über  die 


WOCHENSCHRIFT.  1907.  44.5 


gegenüber  liegende  Schulter  und  nach  vorne 
gegen  die  Achselhöhle  einen  3  bis  4  cm  breiten, 
stark  klebenden  Heftpflasterstreifen  lege. 


Dabei  wird  also,  da  diese  Tour  nicht  über  die  kranke 
Schulter  führt,  sondern  unmittelbar  vom  Oberarm  schräg 
aufwärts  über  die  gegenüber  liegende  Schulter  auf  die  Brust 
läuft,  die  zweite  Schulter  als  Widerlager  benützt,  gegen 
das  der  oberste  Teil  des  Oberarmes  und  damit  die  kranke 
Schulter  aufwärts  gehoben  wird,  um  auf  der  Vorderseite 
allenfalls  auch  unter  der  Achsel  der  gegenüber  liegenden 
Seite  eine  genügende  Feststellung  zu  erhalten.  Der  Hohl¬ 
raum  zwischen  beiden  Schulterblättern  in  der  Mittellinie 
des  Rückens  soll  sogar  überspannt  werden,  ohne  daß 
der  Heftpflasterstreifen  klebt,  damit  durch  Loslösung  des¬ 
selben  der  Zug  am  Oberarm  nicht  nachlassen  kann;  dies 
um  so  mehr,  als  man  ja  beide  Schultern  ohnehin  rückwärts 
stark  einander  nähern  muß,  um  eine  möglichst  große 
Hebung  der  kranken  Schulter  zu  ermöglichen.  Eine  allen¬ 
falls  dadurch  verursachte  gleichzeitige  Bückwärtsdrängung 
ist  ja  nur  förderlich. 

Es  tut  dabei  überdies  gut,  wenn  man  die  verschieb¬ 
liche  Haut  von  vornhinein,  ehe  man  das  Heftpflaster  auf¬ 
legt,  in  der  Richtung  zur  erkrankten  Schulter  verschiebt, 
was  jedoch  bei  der  nach  verschiedener  Richtung  bestehen¬ 
den,  sich  daher  teilweise  aufhebenden  Verschiebbarkeit  der 
in  Betracht  kommenden  Hautgebiete  nicht  gar  zu  schwer 
in  die  Wagschale  fällt. 


Die  zweite  Tour  lege  ich  ebenso  sehr  au  be  n- 
f  ö  r  m  i  g  a  m  0  b  e  r  a  r  in  b  e  g  i  n  n  e  11  d  ü  b  0  r  d  a  s  S  c  b  u  1 1  e  r- 
e  n  d  e  des  Schlüsselbeines  und  den  0  b  e  r  a  r  m  k  0  p  f, 
1)  e  i  d  e  m  ö  g  1  i  c  h  s  1 11  a  c  h  r  ü  c  k  w  ä  r  t  s  d  r  ä.  11  g  e  n  d,  s  c  h  r  ä  g 
ü be  r  die  erste  To  u r  n a  c h  a b  w ä r t s  u  11 1 e r  d i  e  g e  g e  n- 
über  liegende  Achsel  derart  am  Rücken  die 
Touren  der  Stella  thoracis  posterior  kennzeich¬ 
nend.  Betreffs  i\nlegung  sind  auch  hier  die  obengenannten 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


iiß 


Maßnahmen  nötig,  insbesondere  die  Verschiebung  der  Haut 
am  Rücken  der  gesunden  Seite. 


Es  ist  weiters  zur  Feststellung  der  erkrankten  Schulter 
noch  wünschenswert,  aber  oft  nicht  nötig,  eine  dritte 
'lour  anzulegen,  die  in  einem  weniger  gewundenen 
Sch  rauhengang  gleichfalls  am  Oberarm  ])eginnt,  einer  ütmr 
den  Oherarmkopf  und  über  die  Kreuzungsstellen  der  ersten 
beiden  Touren  am  Rücken  verläuft  und  am  Oberarmkopf 
oder  in  der  Achselhöhle  der  anderen  Seite  endet. 

Diese  letztere  entspricht  ungefähr  der  eigentlichen 
ersten  Sayre  sehen  Tour.  Bezüglich  ihrer  Anlegung  sind 
wieder  obige  Winke  in  Betracht  zu  ziehen.  Erforderlichen¬ 
falls  kann  die  Reihenfolge  der  Touren  geändert  und  dem 
betreffenden  Falle  angepaßt  werden. 

Es  ist  erstaunlich,  was  man  mit  diesem  einfachen, 
scheinbar  schwachen  Verbände  für  eine  starke  Feststellung 
in  einer  möglichst  günstigen  Lage  trotz  der  großen  Beweg¬ 
lichkeit  der  Schulter  und  deren  kräftigen  Muskulatur  zu 
erzielen  vermag.  Diese  Festigung  hält,  wenn  man  ein  gutes, 
breites  Kautschukheftpflaster,  das  falteidos  liegt,  zur  Ver¬ 
wendung  hat,  genügend  laug  an,  bis  eine  einigermaßen 
ausreichende  Festwachsung  der  Knochenenden  aneinander 
Blatz  gegriffen  hat.  Dieser  Verband  läßt  aber  üljerdies  den 
Arm  —  nur  im  Schultergelenk  teilweise  beschränkt  —  in 
der  Bewegung  frei,  so  daß  wir  nicht  nur  eine  vollständige 
(iebrauchsfähigkeitserhaltung  der  Geleidve  erwarten  können, 
sondern  selbst  darauf  rechnen  dürfen,  daß  der  Kranke 
seinen  Arm  baldigst  nach  der  Verletzung  zu  Arbeiten  be¬ 
nützen  kann.  Letzleres  um  so  eher,  als  durch  die  in  guter 
Lage  und  genügend  stark  erfolgte  Feststellung  der  Knochen- 
bmchstellen  Sclimerzlosigkeit  nach  Anlegung  des  Verbandes 
nahezu  gewährleistet  werden  kann. 


K.,  Fabriksnachtwächter,  fiel  von  einem  Zwetschkenbaum 
auf  die  linke  Schulter  und  brach  das  Schlüsselhein  in  der  Schulter- 
liälfte  mit  Verschiebung  des  abstehenden  Teiles  nach  hinten  und 
oben.  Nach  Anlegung  des  Verbandes  ergab  sich  sofortiges  Schwin¬ 
den  der  Schmerzen  und  Bewegungsfreiheit  des  Armes  mit  Aus¬ 
nahme  der  durch  den  Verband  bedingten  Behinderung  der  Schulter. 
Der  Kranke  versah  noch  .am  selben  Tage  und  auch  weiterhin 
ohne  Störung  seinen  Nachtdienst,  ja  er  schöpfte  sogar  schon 
am  dritten  Tage  mit  eineui  gestielten  Schöpfer  die  Fahriksjauch- 
grube  aus,  eine  Beschäftigung,  hei  der  eine  ziemlich  ausgiebige 
Betätigung  der  Arme  notwendig  ist.  Trotzdem  hielt  der  Verband 
bis  zu  seiner  Abnahme  nach  drei  Wochen  unverrückt  und  die 
stets  ühersichtliche,  auch  für  den  Kranken  seihst  der  Beurteilung 
zugängliche  Bruchstelle  heilte  mit  einer  geringfügigen  Auf¬ 
treibung  vollständig  glatt  und  folgenlos  ah. 

Eine  Ermüdung  der  Muskulatur  oder  Schmerzen  in¬ 
folge  abnormer  Stellung  von  Körperteilen  sah  ich  nicht  auf- 
treten;  ebenso  habe  ich  eine  Druckerscheinung  durch  die 
Anlegung  der  Touren  auf  den  Üherarm  nicht  beobachtet. 
Auch  Schädigung  der  Haut  durch  das  Pflaster  ist  mir  nicht 
zu  Gesicht  gekommen,  trotzdem  ich  solche  Verbände  auch 
bei  Säuglingen  angelegt  habe. 

B.,  Kaufmauuskind,  14  Tage  alt,  wui’de  bei  der  Geburt 
(Steißgeburt  hei  Erstgehärender)  bei  Hilfeleistung  anderwärts  daS 
linke  Schlüsselbein  gebrochen  und  der  gleichnamige  Kopfnicker  (zu 
gewärtigender  Schiefhals)  verletzt.  Durch  das  immerwährende 
Schreien  veranlaßt,  das  durch  die  Schmerzen  verursacht  war, 
die  sich  wieder  durch  die  Unruhe  des  Kindes  verschlimmerten, 
wurde  ich  von  seiten  der  Eltern  befragt  und  legte  nach  Ge¬ 
winnung  obigen  Befundes  den  Verband  an  u.  zw.  nur  in  den 
ersten  zwei  Touren.  Die  Schmerzen  und  damit  die  Unruhe  und 
schlechte  Beeinflussung  des  Gesamtorganismus  ließen  sofort  nach, 
die  Heilung  trat  glatt  nach  14  Tagen  ein. 

Die  Dauerhaftigkeit  eines  solchen  Verbandes  kann,  so¬ 
fern  eine  gute  Pflastermasse  zur  Verfügung  stand,  hei  gar 
nicht  zu  großer  Vorsicht  wochenlang  anhalten.  Die  Ueber- 
sichtlichkeit  der  Bruchstelle  ist  stets  vollkommen;  sie  ist 
auch  für  den  Kranken  zugänglich,  der  vorkommende  Mängel 
oder  imgünstige  Veränderungen  vielleicht  gelbst  ersehen 
und  dem  Arzte  berichten  kann,  so  daß  eine  stetige  leichte 
Beanfsichtigung  ermöglicht  erscheint. 

Im  ganzen  habe  ich  diesen  Verband  innerhalb 
2 Vs  .lahren  ])ei  acht  Schlüsselbeinbrüchen  in  verschiedenem 
Aller  der  Kranken  erprobt  und  war  damit  stets  bestens 
zufrieden. 

{Referate. 

Die  Tuberkulose. 

Von  Prof.  G.  Cornet. 

Zweite,  vollständig  umgearbeitete  und  im  Umfang  verdoppelte  Ausgabe. 

Wien  1907,  Alfred  Holder. 

Die  erste  Auflage  der  Cornetschen  Monographie,  die  als 
Teil  des  H  a  n  d  h  ii  c  he  s  der  Speziellen  Pathologie  und 
Therapie  v(jn  Nothnagel  erschienen  war,  hat  in  dieser  Zeit¬ 
schrift  im  .Tahrgang  1899,  Ni'.  42,  seitens  des  Gefertigten  eine 
eingehende  Besprechung  erfahren;  eS'  sei  daher  auch  heute  auf 
dieses  Referat  hingewiesen. 

Allei'dings  hat  sich  seither  in  der  Tuherkulosenfrage  manches 
geändert,  eine  wahre  Hochflut  von  Neuerscheinungen  hat  sich 
über  uns  ergossen.  Erwähnt  doch  Cornet  selljst,  daß  im  Laufe 
der  seithei'  vergangenen  sieben  .fahre  nicht  weniger  als  13.000 
(sic!)  diesbezügliche  Publikationen  das  Licht  der  Welt  erblickt 
haben.  Schon  das  allein  ist  Erklärung  genug  für  die  Tatsacln', 
daß  die  Cornetsche  Mo}K)grai)hie  von  rund  050  Seilen  in  der 
ersten  Auflage  nunmehr  auf  ca.  1400  Seiten  angeschwollen  ist. 

Der  Tenor  des  Werkes  hat  sich  in  keiner  Weise 
geändert;  und  das  war  auch  für  jeden,  der  Cornet  kennt, 
zu  erwarten.  Der  bakteriologische  Teil  wird  nach  wie 
vor  aufs  allerschärfsle  betont.  Neu  in  diesem  Kapitel  ist  die 
Besprechung  der  dem  Tuherkelbazillus  verwandten  Mikroorganis¬ 
men,  der  Binder-,  Hühner-,  Kalthlüter-Tuherkelhazillen,  der  Le[)ra- 
nnd  Pseudotnh('rkelhazillen.  Bezüglich  des  Typus  hovinus  und 
seiner  Infektiosität  für  den  Menschen,  nimmt  Cornet  die  ver- 
miltelnd(‘  Stellung  ein,  daß  die  Gefahren  für  den  Menschen  zwar 
existieren,  ai)er  nicht  überschätzt  werden  dürfen.  Hinsichtlich 


447 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


der  Eiilstehung  der  Lungentuberkulose  vindiziert  er  mich  wie  vor 
der  Inhalation  der  Tuherkelhazilleii  die  allergrüßitc  lledentnng, 
ohne  aber  die  gegnerischen  Ansicliten  zu  verschweigen. 

Auch  in  liezng  auf  die  Disposition  liat  Cornet  seinen 
ahlelinenden  Standpunkt  nicht  'verlassen.  Er  gibt  bezüglich  der 
Heredität  zwar  zu,  daß  „solche  Abkonnnlinge  tulierkulöser  Geni- 
toren,  wenn  sie  nicht  schon  abortiv  abgehen,  sehr  häufig,  je  nach 
dein  Grade  der  elterlichen  Tuberkulose,  mit  dem  Stempel  körper¬ 
licher  Minderwertigkeit  zur  Welt  kommen,  oft  schon  in  cter  ersten 
Kindheit  an  Lebensschwäche,  Atrophie  etc.  zugrunde  gehen,  oder 
daß  sie,  durch  sorgsame  Pflege  aufgezogen,  zwar  in  späteren 
Jahren  sich  kräftigen  können,  hin  und  wieder  aber  ihr  ganzosi 
Dasein  als  Enterbte  völliger  Lebensfrische  und  Lebenskraft  ver¬ 
bringen,  aber  eine  spezifische  Disposition  zur  Tuberkulose  ist 
(von  der  vermehiäen  Familieninfektion  natürlich  abgesehen)  da¬ 
mit  nicht  erwiesen“. 

Ebenso  sieht  er  in  den  meisten  akquirierten  Dispositions- 
momenten  in  erster  Linie  eine  gesteigerte  Infektionsge¬ 
fahr,  so  daß  er  also  die  scheinbare  Disposition  auf  extraindivi¬ 
duelle  Verhältnisse,  d.  h.  also  auf  vermehrte  Exposition' 
zurückführt. 

Die  Besprechung  der  pathologischen  Anatomie  und 
Symptomatologie  sind  gegenüber  der  ersten  Auflage  ziemlich 
unverändert  geblieben. 

Im  Kapitel  über  die  Perkussion  ist  eine  bildliche  Darstellung 
der  Krönigschen  Spitzeiqierkussion  neu  aufgenommen.  Bei  der 
Besprechung  des  Verlaufes  erwdihnt  Cornet  die  Lungonhaut- 
fistel  und  den  Gasabszeß  als  Folgen  des  seltenen  Durchbruches 
der  adhärenten  Lunge  durch  oder  unter  die  Haut  (Referent  hat 
einen  solchen  lufthaltigen  Abszeß,  der  sich  durch  Kompression 
in  die  Kaverne  zurück  entleeren  ließ,  zweimal  über  der  Klavi- 
kula  gesehen,  während  der  zweite  Interkostalraum  als  Prädilek¬ 
tionsstelle  eines  solchen  Durchbruches  angegeben  wird). 

Neu  im  Kapitel  Diagnose  ist  die  Inoskopie,  die  Serum- 
reaklion,  deren  Wert  aber  heule  noch  ein  problematischer  ist 
und  die  zytologische  Untersuchung  der  Exsudate.  Eine  wesent¬ 
lich  eingehendere  Besprechung  erfährt  die  Temperaturniessung  in 
ihrer  diagnostischen  Bedeutung.  In  dem  Kapitel  über  die  Diffe- 
renlialdiagnose,  das  in  allen  Teilen  ausführlicher  geworden  ist, 
ist  diesmal  auch  die  Pseudotuberkulose  (Streptotrichose,  Schimmel¬ 
pilzerkrankung  etc.)  aufgenommen. 

Eine  wesentliche  Erweiterung  hat  die  Darstellung  der  pro- 
p  h  y  1  a  k  t  i  s  c  h  e  n  M  a  ß  r e  g  e  I  n  erfahren,  bei  der  T  h  e  r a  p  i  e  ist  be¬ 
sonders  die  aktive  Immunisierung  eingehender  besprochen  als  in 
der  ersten  Auflage.  Ganz  neu  ist  der  dritte  Abschnitt,  in  dem 
Cornet  die  t u  b  e  r  k  u  1  ö  s  e  n  K  o  m  p  1  i  k  a  t i  o  n  e  n  (Haut,  Ver¬ 
dauungsorgane,  obere  Luftwege,  Ohr,  seröse  Häute,  Urogenital¬ 
apparat  etc.)  kurz  bespricht. 

Viel  ließe  sich  noch  über  Cornets  Werk  sagen,  was  aber 
den  engen  Rahmen  eines  Referates  überschreiten  würde.  Eines 
aber  muß  ausdrücklich  betont  worden:  mag  man  die  Ansichten 
des  Verfassers,  vor  allem  seinen  extremen  Infektionsstaiulpunkt, 
seine  überscharfe  Kritik  der  Leistungen  der  Volkshoilstätten  und 
dergleichen  mehr  teilen  oder  nicht;  unbeschränkt  muß  anerkannt 
werden,  daß  Cornet  bei  Verfechtung  seines  Standpunktes  nie¬ 
mals  persönlich  wird  und  daß  er  in  gewissem  Sinne  auch  den 
Gegner  zu  Worte  kommen  läßt.  Dadurch  wird  die  xMonographie 
zu  einer  Darstellung  des  gesamten  Standes  der  Tüberkulosen- 
frage  von  heule,  der  allerdings  die  Kritik  Cornets  (ünen  per¬ 
sönlichen  Stempel  aufgedrückt  hat.  Die  enorm  reichhaltigen  Lite¬ 
raturverzeichnisse,  die  dies'mal,  was  die  Uebersicht  wesentlich 
erleichtert,  nicht  am  Schluß  des  Werkes,  sondern  jedem  einzeluen 
Kapitel  angefügt  sind,  werden  allen  ein  sehr  willkommenes  Hilfs¬ 
mittel  für  weitere  Arbeiten  sein.  v.  Weismayr. 

* 

Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  für 
Studierende  und  Aerzte. 

Von  Prof.  Dr.  Edmimd  Lesser,  geh.  Medizinalrat,  Direktor  der  Univer¬ 
sitätsklinik  und  Poliklinik  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  in  Berlin 

H.  Teil.  Geschleclitskrankheiteu. 

Leipzig  1906,  F.  C.  W.  Vogel. 

Die  Tatsache,  daß  die  Vorlage  in  zwölfter  Auflage  erscheint, 
die  früheren  Auflagen  in  dieser  Zeitschrift  bereits  angezeigt  wurden. 


macht  eine  genaue  Analyse  des  ja  mit  Recht  allgemein  beliebten 
und  anerkannten  Werkes  überflüssig.  Ref.  will  also  nur  heivor- 
heben,  daß  das  Syphilisvirus,  die  Spirochaeta  ipallida,  au  deren 
Enldeckutig  ja  bekanntlich  Lessors  Klinik  einen  hei’vorragendeii 
Anteil  nahm,  in  diesei'  Auflage  bereits  in  Woiä  und  llild  eiugelieud 
veJ'wertet  wird,  Aeliologie  und  Pathologie  auf  Basis  dieser  und 
der  Errungenschaften  der  neuen  Experimentalforschungen  bear¬ 
beitet  sind,  lui  übrigen  begrüßen  wir  in  dem  Buche  einen  lieben 
alten  Bekannten. 


* 

Beiträge  zur  Kenntnis  der  venerischen  Erkrankungen 
in  den  europäischen  Heeren,  sowie  in  der  militär¬ 
pflichtigen  Jugend  Deutschlands. 

Von  Dr.  Hciuricli  Sclnvieniiig,  Stabsarzt  und  Hilfsreforent  bei  der 
Medizinalabteilung  des  Kriegsministeriums. 
Verötfentlichungen  aus  dem  Gebiet  des  Militär-Sanitätswesens. 
Herausgegeben  von  der  Medizinalabteilung  des  königl.  preußischen 

Kriegsministt  riums. 

Heft  36. 

Berlin  1907,  A.  H  i  r  s  c  h  w  a  l  d. 


Verf.  bespricht  zunächst  an  der  Hand  offizieller  Berichte 
die  Häufigkeit  der  venerischen  Krankheiten  in  den  europäischen 
Heeren  seit  Mille  der  Sechziger-  oder  Anfang  der  Siebzigerjahre 
des  vorigen  Jahiliunderts.  Hervorgehoben  sei,  daß  während  dieses 
ganzen  Zeitraumes  die  preußische  Armee,  einschließlich  des 
würllembergischen  und  sächsiischen  Kontingents  mit  am 

günstigsten  steht.  Den  nächst  igünstigen  Platz  mit  Id-BVoo  nimmt 
die  französische,  dann  die  belgische  Armee  mit  14'9"/o().  Ihr  folgen 
die  niederländische  (lßü%o),  dänische  (lG-9°/oo),  russische 
(2M  Voo)  Armee.  Mit  einem  beträchtlichen  Abstande  folgen 
Oesterreich-Ungarn  (3U70’uo),  Italien  (47-97(H)),  England  (604*\/ni))- 

Das  Verhältnis  der  einzelnen  venerischen  Erkrankungen  ist 
ein  recht  vei'schiedenes.  Die  Häufigkeit  ,der  Syidiilis  schwatdd  in 
den  verschiedenen  Armeen  zwischen  lö'6'’/o  und  38'^/'o,  .des  Trippers 
zwischen  37-3To  und  77G'’/'o,  des  weichen  Schaidvers  zwischen 
2(U/o  und  33To.  Für  die  österreichische  Armee  stehen  (tie  drei 
Erkrankungen  im  Verhältnis  von  324‘V» :  50'2“/" :  17-GT",  im  preußi¬ 
schen  Heere  im  Vej'hältnis  von  21-5To :  G5'3To :  13-2",'o.  Es  ist  also 
ini  preußischen  der  Ti'ipper  wesentlich  häufiger  (G5-3To :  5ü-2'’,u), 
die  Sypliilis  wesentlich  seltener  (21-5% :  324“/o)  als  im  öster¬ 
reichisch-ungarischen.  Im  preußischen  Heere  verhält  sich  der 
Tripper  zur  Syidiilis  wie  10:3-3,  im  osterreichischen  wie  10:G-2. 

Verf.  vergleicht  nun  die  Häufigkeit  insbesondere  der  Syphilis 
und  des  Triiipers  bei  den  iieucingestellten  Rekruten  und  kommt 


zu  dem  Schlüsse,  daß  die  venerischen  Krankheiten  unter  (hu- 
männlichen  Zivilbevölkerung  des  militärpflichtigen  Atters  übei'- 
haupt  bedeutend  stärker  verbreitet  sind  als  im  Heere  selbst, 
woraus  folgt,  daß  der  Haupfinfektionsherd  der  venerischen  Krank¬ 
heiten  in  den  meisten  Fälten  mit  Sicherheit  in  der  Zivilbevölke¬ 
rung  zu  suchen  ist.  ,,Es  ist  somit  nicht  das  Militär,  welchem 
an  der  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  die  Hauptschuld 
beigeniessen  werden  kann;  vielmehr  wird  die  Häufigkeit  der 
venerischen  Krankheiten  in  der  Armee  durch  deren  Verbreitimg 
in  der  Zivilbevölkerung  bedingt.“  Finger. 


♦ 


Die  akute  Trunkenheit  und  ihre  strafrechtliche 

Begutachtung. 

Von  Dr.  Ewald  Stier. 

153  Seiten. 

Jena  1907,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Stier  hat  in  der  vorliegenden  iVrbeit,  gestützt  auf  die 
neuere  einschlägige  Literatur  (Heilhronncr,  Gramer  usw.) 
und  auf  Grund  persönlicher  Erfahrung  die  äußerst  wichtige  Frage 
der  Beurteilung  akuter  Rauschzustände  von  den  verschieilenen 
Gesichtspunkten  aus,  in  einer,  allen  beteiligten  Kreisen  verständ¬ 
lichen,  umfassenden  und  praktischen  Weise  beleuchtet. 

Der  erste  Abschnitt  behandelt  die  Wirkung  des  iVlkohols 
auf  das  Seelenlehen  und  ihre  Bedeutung  für  die  Armee.  Es  werden 
in  diesem  Teile,  ausgehend  von  den  bekannten  experimentell 
fesigestellten  Alkobolwirkungen  auf  die  psychischen  Funktionen 
im  allgemeinen,  die  Begriffe  der  Intoleranz,  sowie  der  pathologi¬ 
schen  Rauschzustände,  deren  Ursachen  und  Erscheinungsformen 
in  entsprechender  Klarheit  dargestellt,  ferner  nach  eigenen  und 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


jremdcn  Statistiken  der  Einfluß  des  Alkoholgcnusses,  respektive 
.Mißbrauches  auf  die  Begehung  von  Verbrechen  und  Vergehen 
beim  Heere  erörtert. 

Ini)  zweiten  Abschnitte  werden  die  seit  altersher  bestehenden 
Bestiininungen  über  Alkoholgenuß  und  Trunkenheit  besprochen 
und  ausführlich  die  heute  in  Gültigkeit  bestehenden  Strafgesetze, 
welche  Alkoholdelikte  betreffen,  angeführt,  insbesondere  das 
deutsche  M.-St.-G.  erläutert. 

Sehr  eingehend  und  mit  großer  Sachkenntnis  behandelt  der 
Autor  Im  dritten  Abschnitte  das  Wissenswerte  für  die  zur  foren¬ 
sischen  Begutachtung  von  Trunkenheitszuständen  berufenen  Ex- 
peiten  und  enthält  dieses  Kapitel  eine  reiche  Fundgrube  prak¬ 
tischer  Winke  und  Anregungen  für  den  Gerichtsarzt  und  Straf¬ 
richter.  Selbstverständlich  legt  Stier  großes  Gewicht  auf  die 
Untersuchung  des  Täters  AViährend,  bzw.  möglichst  bald  nach 
Begeliung  des  Deliktes  (Leider  nur  selten  durchführbar.  Es  wird 
sogar  die  Wichtigkeit  dieser  Maßnahme  mitunter  auch  von  Militär¬ 
ärzten  in  vollkommener  Verkennung  ihrer  Aufgabe  als  unwürdig 
angesehen.  Bef.),  sowie  auf  eine  sorgfältige  Aufnahme  der  An¬ 
gaben  des  Beschuldigten  bald  nach  der  Tat,  besonders  mit  Berück¬ 
sichtigung  des  Verhaltens  der  Erinnerung. 

Recht  gut  und  zweckmäßig  ist  das  vierte  Kapitel  über  die 
juridische  Bewertung  der  Rauschzustände  und  hebt  Stier  mit 
berechtigtem  Nachdrucke  die  Notwendigkeit  hervor,  daß  der  in 
foro  tätige  Sachverständige  nicht  nur  die  betreffenden  Gesetzes- 
stellen  genau  kennen,  sondern  auch  mit  den  bezüglichen  juristi¬ 
schen  Begi'iffen  vollkommen  vertraut  sein  muß.  Die  ausführliche 
Kommentierung  der  bezüglichen  deutschen  Gesetze  gehört  un¬ 
streitig  zu  den  besten  Teilen  der  Arbeit,  wenn  auch  Stier, 
wie  mir  scheint,  bezüglich  der  forensischen  Bewertung  der  Rausch¬ 
zustände  mit  krankhaften  Symptomen  bei  komplizierter  und 
dauernder  einfacher  Intoleranz  einen  etwas  zu  liberalen  Stand¬ 
punkt  einnimmt. 

Den  im  fünften  Abschnitte  vorgebrachten  psychiatrischen 
Wünschen  —  Verbot  der  Mitnahme  alkoholischer  Getränke  zu 
militärischen  Uehungen,  Vermeidung  der  Verabreichung  solcher 
Getränke  aus  Staats-  und  Privatmitteln,  Verbot  des  Branntwein¬ 
verkaufes  in  militärischen  Räumen  und  Kantinen,  strenge  Be¬ 
lehrung,  energische  Bestrafung  jedes  Alkoholexzesses  in  und  außer 
Dienst  und  dergleichen  —  wird  wohl  jedermann,  der  persönliche 
Erfahrung  und  klares  Urteil  hat,  gewiß  aber  jeder  sachkundige 
Militärarzt  heipflichten.  Bedauerlicherweise  sind  wir  von  der 
Erfüllung  dieser  Wünsche  noch  ziemlich  weit  entfernt,  da  sich 
die  Erkenntnis  von  der  Schädlichkeit  der  obengenannten  Mi߬ 
bräuche  und  Unsitten  nur  langsam  Bahn  bricht  und  deren  ener¬ 
gische  Beseitigung  einerseits  an  der  Leichtfertigkeit,  anderseits 
an  der  bei  'strengem  Auftreten  gegen  diese  tief  eingewurzelten 
Gewohnheiten  notwendigen  Unbequemlichkeit  der  Selbstzucht 
große  Hindernisse  findet.  ' 

Wenn  auch  die  vorliegende  Arbeit  in  erster  Linie  für 
deutsche  Verhältnisse  geschrieben  ist,  so  wird  sie  jedoch  allen 
Militärärzten  zum  Studium  wärmstens  empfohlen  und  werden 
auch  engere  Fachkollegen  des  Autors,  sowie  Juiisten  und  Offi¬ 
ziere  des  Soldatenstandes  vielfach  Anregung  und  Belehrung  er¬ 
fahren.  Mattauschek. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehfiften. 

17t).  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Freiburg  i.  B.  tPro- 
fessor  Dr.  Hopp  e).  Von  der  p  r  o  t  o  p  1  a  s  m  a  t  i  s  c  h  e  n  u  n  d 
f  a  s  (>  r  i  g  e  n  S  t  ü  t  z  s  u  b  s  t  a  n  z  des  Z  e  n  t  r  a  1  n  e  r  v  e  n  s  y  s  t  e  m  s. 
Von  Dr.  W.  Spielmeyer,  Assistenzarzt  tier  Klinik.  Die  Frage 
nach  dem  Verhalten  der  zentralen  Stülzsubstanz  hat  durch  die 
Untersuchungen  Heids  über  den  Bau  der  Neuroglia  akluelles 
Intt'resse  gewonnen.  Die  Untersuchungen  Heids  haben  nicht 
nur  (‘ine  rein  anatomische  Bedeutung,  sie  sind  auch  für  die  Histo- 
])alh(dogie  des  Gehirnes  und  speziell  für  die  Erforschung  der 
Bindenerkiankung  von  hohem  Interesse.  Nun  hat  es  Spielmcyer 
in  vorliegender  .\rheit  versucht,  aus  der  Histopalholugie  der  Hirn- 
)'inde  (tas  Wesen! liebste  zusammenzuslellen,  um  einesteils  die  seit 
den  l'nlersuchungen  Heids  viel  eiörterle  Frage  mach  den  Bo- 
zi(‘hungen  zwischen  Gliazelle  und  Gliafaser  zu  klären  und  andern- 
teils  der  Lehre  Heids  von  der  diffusen  .Vusdelmung  der  proto¬ 


plasmatischen  Stütz-  und  Füllsubslanz,  dem  Gliasynzylium  und 
Gliaretikulum  näherzutreten.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und 
Nervenkrankheiten,  Band  42,  lieft  2.)  S. 

* 

180.  Influenza  und  Nasenbluten.  Von  11.  Swar- 

brick  Brown,  Goring  a.  d.  Themse.  \erf.  beobachtete  in  drei 
Fällen  von  Influenza  nach  Abklingen  der  akuten  Erscheinungen 
Nasejibluten,  welches  in  einem  Falle  besonders  heftig  war.  Es 
handelte  sich  um  drei  Geschwister,  die  der  Reihe  nach  er¬ 
krankten  und  früher  nie  an  Nasenbluten  gelitten  hatten.  Verfasser 
läßt  die  Frage  unentschieden,  ob  es  sich  um  eine  Wirkung  des 
Influenzagiftes  oder  um  eine  Art  Chininvergiftung  handelte,  da 
die  Kinder  mit  Chinin  behandelt  wurden,  neigt  jedoch  der  ersteren 
Ansicht  zu.  Nach  Ansicht  des  Referenten  sind  die  rnitgetcilten. 
Fälle  deshalb  von  besonderem  Interesse,  Aveil  sie  einen  Beitrag 
zur  Frage  von  der  Familiendisposition  liefern.  Denn  welcher 
x\rt  immer  das  Gift  geAvesen  war,  äußerte  es  einen  Teil  seiner 
Wirkung  bei  allen  drei  Geschwistern  an  derselben  Stelle  und 
auf  dasselbe  Organsystem  —  die  Gefäße.  —  (British  medical  Jour¬ 
nal,  9.  Februar  1907.)  J.  Sch. 

* 

181.  Aus  der  Universitätsfrauenklinik  Erlangen  (Direktor 
Prof.  Dr.  IMenge).  Eine  Geburt  bei  vorgeschrittener 
Tabes  dorsalis.  Von  Dr.  P.  Zacharias,  Oberarzt  der  Klinik. 
Eine  43  Jahre  alte  Kutschersfrau,  V.  Para,  Avird  am  5.  November 
vorigen  Jahres  als  Kreißende  von  der  chirurgischen  Klinik,  avo 
Pat.  Avegen  einer  rechtsseitigen  Schenkelhalsfraktur  in  Behand¬ 
lung  Avar,  in  die  P’rauenklinik  verlegt.  Aus  der  sehr  ausführliclum 
Krankengeschichte  sei  kurz  erwähnt,  daß  die  Frau  seit  Jieun 
Jahren  unzAveifelhaft  tabische  Symptome  gezeigt  hat,  sich  zurzeit 
im  ataktischen  Stadium  nahe  dem  Uebergang  zum  paralytischen 
befindet  Die  Schwangerschaft  verlief  ohne  besondere  Beschwer¬ 
den,  vor  allen  Dingen  konnte  Pat.  ein  rapideres  Fortschreiten 
ihrer  Nervenerkrankung  Avährend  der  Gravidität  nicht  beobachten. 
Die  Geburt  Avar  in  vier  Stunden  spontan  beendigt,  bei  völliger 
Schmerzlosigkeit  der  W'ehen  und  Untätigkeit  der  Bauchpresso 
bis  auf  den  Schlußakt  beim  Ein-  und  Durchschneiden  des  Kopfes. 
Schon  die  vorhergehende  Gehurt  vor  sechs  Jahren  scheint  be¬ 
züglich  der  Empfindung  der  Wehen  anormal  verlaufen  zu  sein. 
Das  W^ochenbett  verlief  ganz  normal.  Verf.  findet  abgesehen  von 
der  Schmerzlosigkeit  der  Wehen  die  Kürze  der  Geburtsdauer, 
die  auch  andere  Autoren  hervorheben,  auffällig.  Ob  diese  x\b- 
kürzung  dem  (furch  die  Schmerzlosigkeit  bedingten  Nichteintreten 
reflektorischer  Zusammenziehungen  der  sonst  Widerstand  leisten¬ 
den,  Aveichen  Geburtswege  oder  dem  Fehlen  zerebrospinaler,  hem¬ 
mender  Einflüsse  zuzuschreiben  ist,  Avill  Verf.  nicht  entscheiden. 
Dagegen  gibt  er  zu  bedenken,  ob  die  kurze  Geburtsdauer  nicht 
etAva  dadurch,  daß  die  Kreißende  vom  Beginne  der  Gebarts¬ 
tätigkeit  gar  nichts  Aviißfe,  nur  vorgetäuscht  Avurde.  Als  inter¬ 
essante  Beobachtung  in  diesem  Falle  erwähnt  Verf.  ganz  besonders 
die  Zeichen  der  drohenden  Uterusruptur.  Die  Conj.  vera  betrug 
hier  9Vi  cm,  der  biparietale  Durchmesser  des  kindlichen  Kopfes 
9V2  cm.  Dieses  geringe  Mißverhältnis,  Avelches  bei  einer  gehörigen 
und  durch  die  Bauchpresse  unterstützten  Wehentätigkeit  kaum 
eine  Rolle  spielen  Avürde,  führte  hier  zur  Ueberdehnung  des  unteren 
uterinen  Segmentes,  Aveil  die  Kraft  der  Kontraktionen  des  Uterus 
allein  nicht  ausreichte,  um  den  Kopf  durch  den  Beckeneingang 
zu  treiben  und  Aveil  auch  die  Wand  des  Uterus  an  den  schlaffen 
Bauchdecken  kein  Widerlager  fand.  Auf  die  Geschlechtsfunktionen 
der  Frau  hat  die  Tabes  in  diesem  Falle  nicht  ungünstig  eingewirkt. 
Die  Frau  hatte  regelmäßige  Menstruationen,  ZAveirnal  in  der  neun¬ 
jährigen  Krankheit  konzipiert  und  ohne  eingreifendere  Kunst¬ 
hilfe  zwei  lebende  und  gesunde  Kinder  geboren.  Vereinzelte  Be¬ 
obachtungen  scheinen  auf  eine  EiiiAvirkung  der  Gravidität  auf 
die  Tabes  hinzuAveisen.  So  sah  Thies  in  einem  Falle  eine 
deutliche  Besserung  im  Wochenbett,  dagegen  berichtet  Fried- 
richsen  über  ein  sehr  rapides  Fortschreiten  der  tabischen  Er¬ 
krankung  nach  Eintritt  der  SchAvängerung.  ln  diesem  Falle  ist 
die  Tabes .  durch  die  Schwangerschaft  und  das  Wochenbett  in 
ihrem  Verlaufe  nicht  ungünstig  beeinflußt  worden.  xVehnliche  Be¬ 
obachtungen  machten  Remak,  Bernhardt  und  v.  llößtin. 
Die  Einleitung  der  künstlichen  Frühgehurt,  bzw.  die  vorzeitige 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft  überhaupt  hält  Verf.  hei  Tabes 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


449 


nielli.  imIizitM’t.  —  (Münchener  rnedizinische  Wochen  schrill  1907 
Nr.  7.)  a.  ■ 

Xc 

182.  Uehercin  rczi<l  i  vicrondes,  sk a r  1  a  li  n i I'o ]•  in  e s 
Ei'ylhem  med  ik  amen  1  Ösen  Ursprunges.  Von  A.  Berge. 
Bei  dem  Palienlen  Iral  im  Laufe  eines  Jahres  nacli  Anwendung 
desselben  Medikamenles  ein  intensives,  generalisiertes,  skarlalini'- 
formes  Erylhem  mit  Abschuppung  auf.  Bemerkenswert  war  die 
günstige  Einwirkung  des  Erythems  auf  die  gleichzeitig  bestehende 
hartnäckige  Bronchitis,  wegen  welcher  das  betreffende  Medika¬ 
ment  verabreicht  worden  war.  Der  Patient  halte  vor  Jahren  eine 
typische  Skarlatina  durchgemacht  und  später  im  Frülijahr  und 
Herbst  wiederholt  an  einem  juckenden,  urlikariaähnlichcn  Aus¬ 
schlag  gelitten,  was  auf  eine  gesteigerte  Empfindlichkeit  der  Haut 
hinweisl.  Als  der  Patient  wegen  einer  Bronchitis  ein  Medikament 
erliielt,  in  welchem  neben  Aqua  Laurocerasi  eine  geringe  Menge 
von  Opium  enthalten  war,  trat  schon  nach  den  ersten  Dosen 
unter  einem  Gefühl  von  Prickeln  eine  lebhafte  Rötung  der  Haut 
auf  und  es  entwickelte  sich  ein  generalisiertes,  skarlatiniformes 
Exanthem  mit  nachfolgender  großblätteriger  Abschuppung.  Die 
bis  dahin  sehr  hartnäckige  Bronchitis  bildete  sich  während  des 
Erythems  in  wenigen  Tagen  fast  vollständig  zurück.  Als  nach 
einem  Jahre  sich  neuerlich  eine  Bronchitis  einstellte  und  wieder 
das  opiumhaltige  Medikament  gegeben  wurde,  entwickelte  sich 
wieder  sehr  rasch  unter  Hitzegefühl  und  Temperatursteigerung) 
bis  38'’  ein  generalisiertes,  skarlatiniformes  Erythem  mit  Ab¬ 
schuppung  in  Form  großer  Lamellen  und  die  Bronchitis  zeigte 
wieder  unter  dem  Einfluß  des  Erythems  einen  auffälligen  Rück¬ 
gang.  Wahrscheinlich  ist  das  intensive  Erythem  durch  die  an 
sich  geringfügige  Opiumdosis  hervorgerufen  worden,  doch  be¬ 
steht  auch  die  Möglichkeit,  daß  die  andere  Komponente  des  an¬ 
gewendeten  Medikamentes,  Aqua  Laurocerasi,  für  die  Entstehung 
des  Erythems  von  Bedeutung  war.  In  der  Literatur  findet  sich 
eine  Mitteilung  über  den  Rückgang  einer  hartnäckigen  Bron¬ 
chitis  unter  dem  Einfluß  eines  medikamentösen  Erythems,  wo¬ 
durch  ein  Licht  auf  die  AVirksamkeit  der  namentlich  frülier  in 
der  Behandlung  der  Bronchitis  gebräuchlichen  revulsiven  Me¬ 
thoden,  Sinapismen  etc.,  geworfen  und  deren  Wirksamkeit  ver¬ 
ständlich  wird.  —  (Bull,  et  Mem.  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de 

Paris  1907,  Nr.  7.)  a.  e. 

♦ 

183.  Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  der  Uni¬ 
versität  Leipzig  (Direktor:  Prof.  Flechsig).  Ueber  die 
psychisch  bedingten  Einengungen  des  Gesichts¬ 
feldes.  Von  Priv.-Doz.  Dr.  H.  Kien.  In  der  Auffassung  des 
Wesens  der  ,, funktionellen“  Sensibilitätsstörungen  bestehen  Diffe¬ 
renzen,  die  sich  namentlich  in  der  Lejlire  von  der  konzentrischeii 
Gesichtsfeldeinengung  offenbaren,  von  der  gerade  am  ehesten 
eine  Aufklärung  über  das  Wesen  dieser  Funktionsstörungen  zu 
erwarten  wäre.  Entsprechen  den  verschiedenen  funktionell- 
nervösen  Erkrankungen,  welche  mit  konzentrischer  Gesichtsfeld- 
einengung  einhergehen,  verschiedene  Typen  der  letzteren,  kann 
man  aus  diesen  Typen  und  aus  der  Art  der  1  Allgemeininfektion  auf 
den  Entslehungsmod'us  der  Gesichtsfeldeinengung:  rückschließen? 
Diese  und  andere  sich  auf  Symptomatologie,  klinische  Stellung, 
Simulierbarkeit  beziehende  Fragen,  sind  noch  nicht  gelöst  und 
die  Entwicklungsgeschichte  der  Lehre  von  der  konzentrischen 
Gesichtsfeldeinengung,  welche  Kien  in  der  Einleitung  seiner 
Arbeit  skizziert,  zeigt,  wie  weit  die  Meinungen  in  der  Frage 
über  das  Wesen  und  die  klinische  Bedeutung  der  konzentrischen 
Gesichtsfeldeinengung  noch  aüseinandergehen.  Nach  einem  Hin¬ 
weis  auf  einige  Eigenschaften  des  normalen  Gesichtsfeldes,  die 
für  den  Vergleich  mit  dem  konzentrisch  , eingeengten  von  Belang 
sind,  bespricht  Kien  zunächst  die  Formen  der  konzentrischen 
Gesichtsfeldeinengung  bei  zentral  -  neiwösen  Erkrankungen.  Ein 
weiteres  Kapitel  behandelt  die  Formen  von  konzentrischer  Ge¬ 
sichtsfeldeinengung,  welche  durch  nackte  Simulation  entstehen 
können  und  diejenigen  Gesichtsfeldeinengünigen,  bei  welchen  die 
Entstehung  aus  der  Vorstellung  des  Schlechtsehens  wahrschein¬ 
lich  ist  oder  in  Frage  kommt.  Aus  den  besonderen  Eigenschaften 
der  Gesich Isfeldeinengungen,  wie  sie  bei  den  verschiedensten  Er¬ 
krankungen  Vorkommen,  versuchte  Kien  Rückschlüsse  zu  ziehen 
auf  die  Art  ihrer  Genesis,  um  Mann  auf  den  Entstehungsmodus 
der  konzentrischen  Gesichtsfeldeinengung  bei  Hysterie  überzu¬ 


geben.  In  einem  speziellen  Falle  von  Hysterie  ließ  sich  mit 
Sicherheit  sagen,  daß  die  konzentrische  Gcvsicditsfeldeinengung  auf 
dem  Wege  über  die  Vorstellung  des  Schlechtsehens  zustamh'  ge¬ 
kommen  war.  Im  weiteren  finden  sich  in  der  Arbeit  Kiens  Be¬ 
merkungen  über  „bysterisebe“  konzentrische  Gesichlsfeldeinen- 
gung  bei  Unfallskranken  und  bei  Kriminellen  in  Untersuchungshaft 
und  Strafvollzug  und  über  konzentrische  Gesichtsfeldeinengung 
bei  Hysterie,  unter  Ausschluß  krimineller  und  Unfallkranker,  ln 
einem  Schhißkapilel  zeigt  der  Verfasser,  daß  für  Beurleilung  einer 
psychogenen  konzentrischen  Gesichtsfcldeineingung  nur  die  psycho¬ 
logische  y\nalyse  des  ganzen  Falles  maßigehend  sein  kann.  Die 
Frage,  ob  in  einem  speziellen  Falle  Autosuggestion  oder  Simu¬ 
lation  vorliegt,  kann  nur  durch  die  psychiatrische  Beurteilung 
des  gesamten  Bewußtseinszustandes  des  Kranken  gelöst  werden. 
—  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Band  42, 

Heft  2.)  S. 

* 

184.  (Aus  dem  Victoria  -  Kinderhospital  Chelsea.)  liehe  r 

H  ä  m  a  t  u  r  i  e  d  u  r  c  h  d  e  n  G  e  h  r  a  u  c  h  von  s  a  1  i  z  y  1  s  a  u  r  e  m 
Natron.  Von  J.  D.  Marshall.  Ein  zehnjähriges  Alädchen,  in 
dessen  Familie  einige  Fälle  von  Gelenksrheumalismus,  Iieziehungs- 
weise  Chorea  vorgekommen  waren,  erkrankte  an  typischer  Poly¬ 
arthritis  rheumalica  und  akuter  Endokarditis.  Nach  dem  Gebrauch 
von  Natrium  salicyiic'um  (erst  dreimal  täglich  15,  dann  dreimal 
täglich  7  Gran)  stellten  sich  Erbrechen,  Delirien  und  Hämaliuii! 
ein.  Gleichzeitig  bestanden  starke  Schmerzen  in  der  linken 
Lumbalregion,  die  nach  Verf.  Nierenkoliken  ähnelten.  Vor  Beginn 
der  Krankheit  waren  die  Nieren  völlig  gesund  gewesen.  Nach 
Ausselzen  der  Medikation  verschwanden  alle  Erscheinungen 
prompt.  —  (Lancet,  2.  Februar  1907.)  J.  Sch. 

* 

185.  Ueber  Radiotherapie  bei  der  spastischen 
Spinal  paralyse.  Von  .1.  Babinski.  Der  Verfasser  berichtete 
bereits  vor  einigen  Monaten  über  einen  il5jährigen  Knaben,  bei 
welchem  anschließend  an  einen  Automobilunfall  eine  generali¬ 
sierte  Kontraktur  am  Halse,  Rumpfe  und  allen  vier  Extremitäten 
aufgetreten  war.  Es  wurde  eine  Kompression  des  Halsmarkes 
durch  Bluterguß  oder  Pachymeningitis  diagnostiziert.  Die  sechs 
Monate  nach  dem  Unfall  begonnene  Radiotherapie  bewirkte  citie 
deutliche  Besserung.  Die  Kontraktur  des  Halses,  des  Stammes 
und  der  rechtsseitigen  Extremitäten  ging  zurück,  während  linker¬ 
seits  die  Zeichen  einer  sekundären  Degeneration  der  Pyramideii- 
hahnen  fortbestanden.  Die  Motilität  ist  vollständig  zurückgekehrt 
und  der  früher  ganz  immobile  Patient  ist  gegenwärtig  imstande, 
zu  laufen.  Auch  bei  Malum  Pottii  und  Syringomyelie  wurden 
Erfolge  der.  Röntgenbehandlung  beobachtet.  Der  Verfasser  hatte 
gleichfalls  Gelegenheit,  eine  Spinalaffektion  mit  Rönlgenstrahlen 
zu  behandeln.  Die  32jährige  Patientin,  bei  iwelcher  Lues  anam¬ 
nestisch  nicht  nachweisbar  ist,  erkrankte  mit  Parästhesien  in  den 
Füßen  und  Schwäche  in  den  Beinen,  die  sich  bis  zur  vollständigen 
Lähmung  steigerte.  Injektionen  von  Jodquecksilber  waren  nutzlos 
und  es  gesellten  sich  zu  der  Lähmung  der  unteren  Extremitäten 
Kontraktur,  sowie  unwillkürliche  Krämpfe.  Die  Selmenreflexe 
waren  gesteigert  und  es  bestand  das  Bild  der  spinalen  Epilepsie. 
Vorübergebend  Avurden  auch  leichte  Störungen  der  Blasenfunktion 
beobachtet.  Unter  Behandlung  mit  Einreibungen  von  grauer  Saht'e 
und  interner  Darreichung  von  Jodkali  zeigten  sich  Spuren  zu¬ 
rückkehrender  Motilität  an  den  Zehen.  Es  wurde  nunmehr  die 
Behandlung  mit  Röntgenstrahlen  eingeleitet  und  das  Rückenmark 
in  Bauchlage  wiederholt  bestrahlt.  Es  gingen  die  Kontrakturen 
unter  dem  Einfluß  der  Behandlung  zum  Teil  zurück  und  die  früher 
unbewegliche  Patientin  kennte,  entsprechend  unterstützt,  sich  he- 
Avegen.  Die  Untersuchung  der  Zerehrospinalflüssigkeit  ergab 
Lymphozytose  als  Zeichen  einer  Reizung  der  Meningen.  Hysterie, 
Syphilis  und  Malnin  Pottii  konnten  ausgeschlossen  werden  und 
es  blieb  die  Diagnose  ZAvischen  einer  Hordsklerose  des  Rücken¬ 
markes  und  einem  das  Rückenmark  komprimierenden  Tumor  offen. 
Eine  so  rasche  spontane  Besserung  Avird  außer  bei  Malum  Pottii 
und  spinaler  Syphilis  nicht  beobachtet,  so  daß  mit  einer  geAvissen 
Berechtigung  eine  WTrkung  der  Röntgenslrahlen  angenommen 
werden  kann,  welche  übrigens  bei  der  Annahme  eines  inter¬ 
vertebralen  Sarkoms  besonders  Amrständlich  AAÜire.  —  (Bull,  et 
Mem.  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1907,  Nr.  8.)  a.  e. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


18(5.  Aus  tier  sUidtisclieii  Heil-  mul  PflegeanstalL  zu  Dresden. 
Zur  Behtindluug  des  Delirium  tremens.  V'on  (Jberarzt 
Dr.  S.  Hans  er.  Verf.  kritisiert  zunächst  die  üblichen  Behand- 
lungsmelhotkm  mul  gebt  dann  auf  seine  eigenen  Erfahrungen 
über.  Diese  erstrecken  sich  auf  1051  Fälle  von  Delirium  tremens, 
die  in  IG  .Jalu'en  in  der  Dresdener  städtischen  Pflegeanstalt  unter 
seiner  Leitung  behandelt  wurden.  Verf.  teilt  das  Material  in  zwei 
Hälften:  die  eine  Hälfte,  tlie  sich  über  die  ersten  acht  Jahre  und 
48(5  Kranke  erstreckt,  weist  31  Todesfälle,  also  eine  Mortalität 
von  (5-37°/ü  auf.  Die  andere  Hälfte,  die  die  folgenden  acht  Jahre 
und  565  Deliranten  umfaßt,  weist  nur  fünf  Todesfälle  auf,  also 
eine  Mortalität  von  0-88To.  Woher  nun  die  Besserung  der  Mor¬ 
talitätsziffer?  Die  allgemeinen  Grundsätze  der  Behandlung,  ab¬ 
solute  Abstineiiz,  möglichst  weit  durchgeführte  Bettbehandlung, 
sorgsame  Wartung,  sind  die  gleichen  gehlieben  wie  früher;  nur 
in  einem  Punkte  hat  Verf.  die  Behandlung  wesentlich  verhessert. 
Von  der  Beobachtung  ausgehend,  daß  die  Deliranten  sehr  häufig 
an  Herzlähmung  sterben,  hat  Verf.  diesem  Urgane  seine  ganze 
Aufmerksamkeit  zugewendet.  Es  wird  ausnahmslos  jedem  Alkohol¬ 
deliranten  von  der  ersten  Stunde  seines  Anstaltsaufenthaltes 
1-5  g  Digitalis  im  Aufguß  pro  die  verabreicht  und  je  nach  dem 
Fall  zwei-  bis  dreimal  wiederholt.  Bei  Schwierigkeiten  der  Auf¬ 
nahme  per  OS,  wird  das  Mittel  zweistündlich  per  Klysma  ge¬ 
geben.  Verf.  hat  niemals  einen  schädlichen  Einfluß-,  niemals 
eine  kmmdative  W'irkung  wahrgenommen.  Kommt  es  trotz  dieser 
Behandlung  zu  Anzeichen  von  Herzschwäche,  wird  Kampferöl 
viertelstündlich,  später  stündlich  injiziert,  bis  der  kritische  Zu¬ 
stand  überwunden  ist.  In  seltenen  Fällen  läßt  Verf.,  so  strenge 
er  auch  sonst  die  Deliranten  alkoholfrei  hält,  dem  Kranken 
eßlöffelweise  eisgekühlten  Sekt  verahreichen.  ln  der  Annahme, 
daß  das  Delirium  tremens  auf  einer  Vergiftung  mit  abnormen 
Stoff  Wechselprodukten  beruht,  befördert  Verf.  die  Auswaschung 
der  Gewebe  durch  eine  möglichst  starke  Flüssigkeitszufuhr  und 
Diurese.  Die  Deliranten  erhalten  ein  Getränk,  ein  „Natronwasser“, 
bestehend  aus  einer  l®/oigen  Lösung  von  Natrium  aceticum  in 
Wasser  und  Syrup,  commun.  —  (Münchener  rnediz.  Wochenschrift 
1907,  Nr.  3.)  G. 

187.  D i e  Be h a n d lung  der  diphtherische n  u n d  hl e n- 
n  0  r  r  h  o  i  s  c  h  e  n  Erkrankungen  des  Auges.  V on  Dr.  Bruno 
Sy  11a  in  Bremen.  Schon  Ende  der  Achtziger-  und  Anfang  der 
Neunzigerjahre  hat  Sy  11a  im  Bremer  Kinderkrankenhaus  die 
di])htheritische  Erkrankung  der  Augen  mit  schwachen  Höllenstein- 
lösungen,  welche  heiß  appliziert  wurden,  mit  Erfolg:  behandelt. 
Die  VsToige  Lösung  von  Argentum  nitriciun  wurde  im  Warm- 
wasserhad  heiß  gemacht  und  damit  getränkte  Leinwand-,  res]K*k- 
tive  Gazeläppchen  auf  die  Lider  gelegt.  Die  Umschläge  wurden 
anfangs  Tag  und  Nacht  mit  Unterbrechungen  (nach  je  drei  Stunden 
eine  Stunde  Panse)  appliziert.  Nach  etwa  drei  Tagen  waren  die 
speckigen  Auflagerungen  enveicht  und  kleiner  geworden,  nach 
fünf  bis  sechs  Tagen  waren  sic  geschwunden  und  auch  die  In¬ 
filtration  der  Augapfelhindehaut  war  gewichen.  Vom  vierten  Tage 
an  wurden  größere  Erholungspausen  eingeschohen,  aber  auch 
nachts  wurden  die  llmschläge  nie  ganz  ausgesetzt.  ,Man  applizierte 
also  später  die  besagte  Lösung  dreimal  täglich  je  eine  halhe 
bis  eine  Slunde  hindurch.  War  die  Bindehaut  normal,  so  -wurden 
lauwai'ine  Umschläge  mit  Lösungen  von  Hydrargyrum  oxycyami- 
tum  (1:5000)  etwa  zwei  Tage  lang  angewandt,  welche  dieScliwär- 
zung  der  Lider  und  des  Gesichtes,  sowie  eine  etwaige  Mazeration 
der  Lidhaut  beseitigten.  Der  Verfasser  beschreibt  eingehend  den 
günstigen  Einfluß  dieser  Behandlung,  zeigt,  unter  Mitteilung 
neuerer  Krankengeschichten,  daß  jetzt,  da  man  allenthalben  Heil¬ 
serum  injizicrl,  diese  örtliche  Behandlung  keineswegs  überflüssig 
s('i.  Die  durch  Unlcrs’uchung  als  virulent  erwiesenen  Diphtheiie- 
hazillen  und  ihre  Produkte  schwänden  l)ei  dieser  Behandlung 
(auch  ohne  Heilseruminjektion)  von  der  Bindehaut,  die  örtlichen 
Diphtherieerscheinungen  werden  damit  allein  wirksam  hekämpft. 
Auch  hlennorrhoische  Erkrankungen  der  Neugehorenen  hehandelte 
der  Verfasser,  sobald  die  Lider  stark  geschwollen  und  bretlhart 
gespannt  waren,  in  derselben  Weise.  Heiße  Umschläge  mit  V.'5%iger 
Silberlösung  bei  Tag  und  Nacht  mit  einigen  Fnterbrechungen. 
bis  die  derbe  Infiltration  der  Lider  zurückgiug,  das  Sekret  ein 
eitriges  wurde.  Die  Gonokokken  waren  meist  schon  nach  48 Stun¬ 


den  geschwunden,  das  Kind  öffnete  nach  24  bis  48  Stunden 
die  Augen;  jetzt  wurden  die  Umschläge  seltener  appliziert,  am 
fünften  Tage  waren  die  Lider  abgeschwollen,  so  ilaß  nunmehr 
zur  Beinigung  derselben  wieder  lauwarme  Umschläge  mit  Hydrar¬ 
gyrum  oxycyanatum  (1:5000),  dreimal  am  Tage  eine  halbe  Stunde 
Inndurch,  zur  Anwendung  kamen.  Damit  schwanden  auch  die 
durch  die  heiße  Höllensteinlösung  bedingte  starke  Mazeration 
und  die  schwarze  Färbung  der  Lider,  das  Abstoßen  schwarzer 
Epiderrnisfetzen  hörte  auf.  ln  der  Zwischenzeit  wmrden  die  kranken 
Lider  mit  Lanolin,  rosp.  mit  Feltronsalbo  bestrichen.  Die  Ge- 
schwdire  der  Kornea  reinigten  sich  rasch,  das  Hypopyon  schwand, 
wenn  notwendig,  wurde  ein  Tropfen  Eserin  morgens  und  abends 
eingeträufelt.  Der  Verfasser  macht  noch  aufmerksam,  daß  er,  um 
jeden  Druck  zu  vermeiden,  ein  an  Blennorrhoe  erkranktes  Kind 
mit  entzündlich  geschwollenen  und  brettharten  Lidern  so  behan¬ 
delt,  daß  er  die  Kornea  gar  nicht  besichtigt,  sofort  heißa  Höllen- 
sLeinlösungen  machen,  sowie  prophylaktisch  jeden  Morgen  einen 
Tropfen  Eseriniun  salicylicum  einträufeln  läßt  und  erst  später, 
w^enn  die  Lider  abgeschwollen  sind,  die  Hornhaut  besichtigl. 
Die  Spaltung  des  Canthus  externus  der  geschwollenen  Lider  wird 
nicht  gemacht.  Bei  gleichzeitiger  gonorrhoischer  Naseneiterung 
wurden  jeden  zweiten  Tag  einige  Tropfen  VsToiger  Höllenstein, - 
lösung  in  die  Nase  eingelräufelt;  bei  gonorrhoischer  Mundeiterung 
wurde  der  Mund  mit  Borwasser  ausgewischt  oder  die  ^vundon 
Stellen  mit  Vs^/^iger  Lapislösung  bepinselt.  Auch  die  Conjuncti¬ 
vitis  gonorrhoica  der  Envachiscnon  wurde  in  gleicher  Weise  er¬ 
folgreich  behandelt.  Für  das  Ulcus  serpens  corneae  wäre  diese 
Behandlung,  solauge  das  Geschwür  noch  nicht  durchgebrochen 
ist,  ebenfalls  zu  empfehlen.  Er  applizierte  in  einigen  Fällen  mil 
Erfolg  morgens  und  abends  je  eine  bis  zwei  Stunden  lang  die 
heiße  Lapislösung  und  gab  Eserin  zur  Herahsetzung  des  Innen¬ 
druckes.  Bei  Durchbruch  des  Geschwüres  folgte  ein  fester  Ver¬ 
band  mit  Airoleinpuderung.  —  (Therapeutische  Monatsbefle, 
März  1906.)  E.  F. 

* 

188.  Aus  der  kgl.  neurologisch-psychiatrischen  Universitäts¬ 
klinik  zu  Halle  a.  d.  S.  (Prof.  Dr.  Anton).  Ueber  explora¬ 
tive  H  i  r  n  p  u  n  k  t  i  o  n  e  n  nach  S  c  h  ä  d  e  1  b  o  h  r  u  n  g  z  u  r  D  i  a- 
gnose  von  Hirntumoren.  Von  Dr.  B.  Pfeifer,  Assistenzarzt 
der  Klinik.  Die  häufigen  Mißerfolge  bei  der  Gperation  von  Hirn¬ 
tumoren  sind  zweifellos  darin  bogründot,  daß  letztere  nur 
selten  frühzeitig  diagnosliziert  werden  können,  so  daß  sie,  wenn 
sie  auch  an  chirurgisch  erreichbarer  Stelle  liegen,  erst  zur  Ope¬ 
ration  gebraebt  werden,  wenn  ein  Dauererfolg  nicht  mehr  er¬ 
zielt  werden  kann.  Die  Statistiken  ergehen,  ^tlaß  in  20  bis  ßO^/o 
der  Fälle  eine  falsche  Lokaldiagnose  gestellt  wurde.  In  vielen 
anderen  Fällen  aber  wurde  letztere  richtig,  aber  zu  spät  gestellt, 
zu  einer  Zeit  eben,  als  eine,  Radikalope ration  nicht  mehr  rnög:- 
lich  war.  Die  chirurgische  Behandlung  der  Hirntumoren  liegt 
also  hauptsächlich  in  den  Fortschritten  der  Diagnose.  Einen 
solchen  Fortschritt  erkennt  Pfeifer  in  der  Hirnpunktion,  durch 
welche  er  in  find'  Fällen  eine  genaue  Lokaldiagnose  an  chirur- 
giscli  erreichbarer  Stelle  mit  Aussicht  auf  Dauererfolg  zu  stellen 
vermochte.  Sie  muß  sich  stets  auf  eine  sorgfältige  neurologische 
Untersuchung  und  auf  eine  möglichst  genaue  klini.sche  Lokali¬ 
sation  des  Tumors  stützen.  Dann  ist  sie  ein  hervorragendes, 
relativ  ungefährliches  diagnostisches  Hilfsmittel,  wmlches  in  zweifel¬ 
haften  Fällen  die  klinische  Allgemeindiagnose  eines  Hirntumors 
gegenüber  anderen  Hirnkrankheiten  bestätigen  oder  verwerfen, 
insbesondere  durch  den  Nachweis  eines  Hydrocephalus  internus 
und  externus  die  Frage  der  Herderkrankung  ilurch  lIii'natrophi(; 
klären  kann.  Die  Hirnpunktion  vermag  auch  die  klinische  Lokal¬ 
diagnose  eines  Hirntumors  zu  modifizieren,  die  Erfolge  der  opera¬ 
tiven  Behandlung  zu  fördern  und  durch  Entleerung  von  Zysten- 
und  Ventrikelflüssigkeil  hirndruckvermindernd,  also  direkt  thera¬ 
peutisch  zu  wirken.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrank¬ 
heiten,  Bd.  42,  H.  2.)  S. 

♦ 

-  189.  (Aus  dem  physiologischen  Laboratorium  der  Universität 
Edinburgh.)  Ueber  den  Einfluß  exzessiver  Fleisch- 
n  a  h  rung  auf  die  F  r  u  c  h  1  b  a  r  k  e  i  t  und  die  Ergiebigkeit 
d  e  r  M  i  1  c  hd  r  ü  s  e.  Von  B.  P.  Watson.  Durch  statistische  Daten 
wurde  nachgewiesen,  daß  in  England  der  Fleischkonsum  in  den 


Nr.  15 


451 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


lelzicii  50  Jahren  —  auf  den  Kopf  berecluiet  —  eine  enorme 
Sleigernng:  erfahren  hat.  Parallel  daniil,  lieiJ  sich  ein  konlinuiei'- 
liches  Ahsinken  der  Gehui-fsziffer  konslatieren.  Zur  Entscheidung 
der  h’rage,  oh  die  Fleischnahrung  einen  Einfluß  auf  die  Frucld- 
harkeii  hahen  könne,  nnternahni  Verf.  folgende  Versuche:  Zwei 
Serien  Ratten,  Älännchcn  und  Weibchen,  wurden  in  der  Weise 
gefüttert,  daß  die  einen  Fleisch,  die  anderen  Milch  und  Brot 
erhielten,  unter  sonst  ganz  gleichen  VersUchshedingungen.  Es 
zeigte  sich,  daß  von  zwölf  Brot-Milch-Ratten  alle  Junge  warfen, 
von  17  Fleisch-Ratten  aber  mir  acht.  Dnrch  Kontrollversuche 
wurde  fesfgestellt,  daßi  die  Ursache  der  Unfruchtbarkeit  zum  Teil 
auch  den  IMännchen  zuzuschreiben  war.  Die  Versuche,  welche 
über  die  vergleichsweisen  Größen-  und  Gewichtsverhältnissc  der 
Brustdrüsen  beider  Serien  mitgeteilt  Averden,  klingen  —  mangels 
genügend  großer  Ausschläge  —  nicht  sehr  üherzeugend.  Da¬ 
gegen  zeigt  das  DurchschnittsgeAvicht  der  Jungen'  der  Fleisch- 
Ratten  im  Vergleiche  mit  dem  Durchschnittsgewicht  der  Milch- 
Brot-Ratten  einen  deutlichen  Ausschlag  zugunsten  letzterer.  — 
(British  medical  Journal,  26.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

190.  Di e  K r o k o d i  1  h a n d,  eine  d u r c h  Beschäftig  u n g 

m  it  K  a  s  tani  en  h  0  Iz  h  er  vor  gern  fe  ne  Ber  uf  s  de  r  in  a  to  se. 
Von  B.  Hör  and  in  Lyon.  Bei  einem  55jährigen  Landmann, 
der  zum  ZAvecke  der  Operation  einer  beiderseitigen  Hernie  das 
Krankenhaus  aufsuchte,  Avurde  eine  charakteiistische  Veränderung 
an  beiden  Händen  beobachtet  und  festgestellt,  ^daß  diese  durch 
berufsmäßigen  Kontakt  mit  dem  Holze  des  .Kastanien haumes  zu¬ 
stande  kam.  Die  Hände  erschienen  Amrdickt  .und  lamzelig,  die 
einzelnen  Finger,  insbesondere  der  kleine  Finger,  voneinander 
entfernt.  Das  Bild  der  Hände  erinnerte  an  die  Haut  eines  Kroko¬ 
dils  ;  hemerkensAAmrt  waren  in  der  verdickten  Haut  zahlreiche,  fein 
verästelte  Fissuren,  die  in  der  Tiefe  eine  inbensiA^  scliAvarze  Färhung 
zeigten.  An  den  Nägeln  fanden  sich  keine  trophischen  Störungen, 
die  ScliAveißsekretion  zeigte  keine  Veränderung.  Die  feineren Hand- 
beAvegungen  Avaren  herabgesetzt,  die  Sensibilität  zeigte  leichte 
Abstumpfung.  Es  Avurde  festgestellt,  daß  alle  Holzhauer,  Avelche 
Kastanienbäume  fällen,  diese  Veränderung  an  den  Händen  auf- 
Aveisen  u.  zav.  treten  diese  Veränderungen  um  so  rascher  und 
intensiver  auf,  je  feiner  die  Haut  früher  Avar.  Durch  Kälte  Avird 
das  Fortschreiten  der  Dermatose  anscheinend  begünstigt.  Die  Haut 
zeigt  zunächst  das  Bild  des  Erythems,  .später  Avird  die  Haut 
ekzematös,  es  entAvickeln  sich  an  Zahl  und  Tiefe  zunehmende 
Fissuren  mit  sclnvarzem  Grunde.  Die  Haut  seihst  ist  braun  o.ler 
scliAvarz,  hart  und  dem  Bilde  der  Hyperkeratose  entsprechend. 
Die  lintenschwarze  Färbung  des  Grundes  der  Fissuren  läßt  sich 
auch  durch  Waschung  mit  heißem  Wasser  aind  Seife  nicht  be¬ 
seitigen.  Die  Erkrankung  überschreitet  niemals  die  Ellbogengegend 
und  ist  Avenig  schmerzhaft.  Als  Träger  der  irritierenden  Eigen¬ 
schaften  ist  der  Saft  der  Kastanienrinde  zu  betrachten.  Das  ab¬ 
geschälte  Holz  schAvärzt  sich  an  der  Luft  sehr  rasch,  namentlich' 
Avenn  es  mit  Eisen  in  Kontakt  .gebracht  wird.  Die  irritierende 
Substanz  ist  ein  Derivat  des  Tannins,  ,von  Avclch  letzterem  das 
Kastanienholz  8”'o  enthält.  Auch  bei  Beschäftigung  ^niit  anderen 
Holzarten,  z.  B.  Teckholz,  sind  Dermatosen  ,an  den  Händen  be¬ 
obachtet  Avorden.  —  (Gaz.  des  hop.  1907,  Nr.  22.)  a.  e. 

191.  Aus  der  königlichen  dennatologische]i  Universitätsklinik 
in  Breslau  (Direktor:  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Neisi^er).  Zur 
experimentellen  Uebertragung  der  Syphilis  auf 
Kaninchen  au  gen.  Von  Dr.  Artur  Schucht,  Assistent  der 
Klinik.  Verf.  hat  51  Augen  von  26  Kaninchen  mit  syphilitischem 
Material  geimpft.  Für  vier  Augen  Avnrde  als  Material  benützt 
Organemulsion  eines  syphilitischen  Affen,  für  fünf  Augen  Condy- 
lomata  lata.  Diese  Impfungen  Avaren  erfolglos.  In  allen  anderen 
Fällen  benutzte  Verf.  frisch  exzidierte  Inguinaldrüsen  von 
Patienten  mit  primärer  oder  sekundärer  Syphilis.  Aus  den  Resul¬ 
taten  geht  hervor,  daß  Amn  51  geimpften  Augen  ZAvei  durch 
Panophthalmie  zugrunde  gingen.  Iiü'olge  Eingehens  von  drei 
Tieren  am  12.,  14.  und  16.  Tage  nach  der  Impfung  sind  nach 
Verf.  die  negativen  Residtate  bei  diesen  sechs  Augen  nicht  in 
Ihdracht  zu  zicdien.  Von  den  übrigen  Angen  erkrankten  13  an 
Keratitis  parenchymatosa.  Drei  Augen  zeigten  ausschließlich  das 
Bild  der  Iritis.  In  einem  Falle  folgte  der  Iritis  nach  ihrem  Ab¬ 


lauf  (‘ine  Keratitis,  ln  einem  Auge,  wo  das  Material  in  den  Glas¬ 
körper  injiziert  war,  trat  nacli  Ablauf  der  anfänglichen  Iritis 
eine  Iritis  gummosaähnliche  Affeklion,  gleichzeitig  mit  einer  Kera¬ 
titis  parenchymatosa  auf.  Die  Inkubationszeit  bis  znm  Auftreten 
der  Kei'atitis  parenchymatosa  dauerte  19  bis  43,  im  Mittel 
29  Tage,  bis  zum  Auftreten  der  Iritis  condylomatosa  11  bis  23, 
im  Mittel  16  Tage.  Der  Nachweis  der  Spirochaete  pallida  in  der 
Kornea  gelang  in  fünf  Fällen  von  Keratitis  parenchymatosa. 
llei  keinem  der  bisher  gestorbenen  Tiere  ergab  die  Sektion  in 
den  inneren  Organen  ähnliche  Befunde  (Guminata.  der  Leber), 
wie  sie  Haensell  1881  beschrieb.  Fi'ir  eine  Generalisierung 
der  Syphilis  beim  Kaninchen  ergab  auch  die  serodiagnostische 
Blutnntersuchung  keine  Anhaltspunkte.  Es  ergeben  also  diese 
Versuche  nach  des  Verfassers  Ansicht  eine  Bestätigung  der  Tat¬ 
sache,  daß  das  Syphilisvirns  imstande  ist,  auch  hei  Tieren,  die 
weit  unter  dem  Affen  stehen,  spezifische  Erscheinungen  hervor¬ 
zurufen.  Gleichzeitig  erscheint  es  als  sehr  Avahrscheinlich,  daß 
die  Virulenz  des  Syphiliserregers  bei  dieser  Uebertragung  eine 
starke  AbscliAvächung  erfährt.  Sonst  Aväre  es  nicht  recht  ver¬ 
ständlich,  daß  bei  den  meisten  Autoren  die  Impfungen  Tuit 
Kaninchensyphilisprodukten,  die  zahllose  Spirochäten  enthalten, 
auf  Affen  bisher  keinen  unzAveideutigen  positiven  Impferfolg  er¬ 
geben  haben.  Der  Ablauf  der  spezifischen  Reaktion  in  zwei 
Fällen  von  Impfung  in  den  Glaskörpern  läßt  auf  die  Möglichkeit 
schließen,  daß  der  Glaskörper  ganz  besonders  günstige  Bedin¬ 
gungen  für  die  Konservierung  und  Vermehrung  der  Spirochäten 

bietet.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  3.)  G. 

* 

192.  (Aus  der  Klinik  des  Professors:  Dr.  Finger  in  Wien.) 

Ueber  experimentelle  Keratitis  parenchymatosa  bei 
Kaninchen.  Von  Schuber.  Mit  einer  Tafel.  Der  Vortragende 
berichtet  über  die  Resultate  der  im  Vereine  mit  Dr.  v.  Benedek 
angestellten  A'ersuche,  Kaninchen  durch  Einbringung  luetischen 
Materials  in  das  Auge  zu  infizieren.  Es  gelang  den  Autoren, 
durch  Einbringung  kleiner  Partikel  luetischen  GcAvebes  in  die 
vordere  Augenkammer  nach  Eröffnung  mit  der  Ijanze,  bei  gleich¬ 
zeitiger  traumatischer  Schädigung  der  Iris  eine  klinisch  Avie  histo¬ 
logisch  der  menschlichen  Keratitis  parenchymatosa  vollständig 
gleiche  Keratitis  heim  Kaninchen  zu  erzeugen.  Die  Keratitis  ent¬ 
steht  nach  einer  Inkubation  von  ungefähr  fünf  bis  sieben  Wochen 
in  einer  bis  zum  Ausbruch  der  Erkrankung  völlig  freien  Kornea. 
Die  Trübung  entsteht  in  den  tiefsten  Schichten  meist  in  Streifen¬ 
form,  ist  feinst  gekörnt,  Avird  immer  dichter,  so  daß  die  Kornea 
grauAveiß  erscheint,  schließlich  Avachsen  vom  Limbus  Gefäße  ein, 
so  daß  dann  das  vollendete  Bild  der  menschlichen  Keratitis 
parenchymatosa  vorliegt.  Histologisch  zeigen  sich  genau  die¬ 
selben  AArhältnisse,  Avie  sie  El  sehnig  in  seiner  ^Monographie 
für  die  menschliche  Keratitis  parenchymatosa  beschreibt.  Die 
Spirochaete  pallida  konnte  in  Querschnitten  solcher  Bulhi  nur 
in  einem  Falle  und  auch  da  nicht  in  voller  Deutlichkeit  nach- 
geAviesen  Averden.  Dagegen  können  die  Autoren  über  einen  ZAvar 
abortiven,  aber  klinisch  ziendich  deidlich  ausgesprochenen  Inipf- 
erfolg  bei  einem  Rhesus  berichten,  der  nach  Impfung  mit  Teilen 
einer  Kornea  eines  Kaninchens  mit  Keratitis  parenchymatosa  auf¬ 
trat.  Direkte  Impfung  der  Kornea  verlief  bei  sieben  Fällen  bis 
auf  einen  Fall,  in  Avelchem  ein  rasch  abheilendeS'  Ulkus  auf  trat, 
negativ.  Aus  der  Zusammenfassung  zAveier  ausgedehnter  Ver- 
suchsi'eihen  Averden  die  Schlußsätze  gezogen,  daß  das  syphili¬ 
tische  Virus  sich  im  Kaninchenauge  lange  Zeit  erhält  und  ver¬ 
mehrt  und  bei  einer  bestimmten  Art  'der  Impfung  in  das  Auge 
eine  der  menschlichen  Keratitis  parenchymatosa  völlig  gleiche 
Keratitis  entsteht.  —  (Verhandlungen  der  Deutschen  Dermatologi- 
sclum  Gesellschaft  in  Bern  1906,  IX.  Kongreß.)  Pi. 

* 

193.  U  e  b  e  r  d  a  s  V  o  r  kommen  von  Sch  av  e  r  h  ö  r  i  g  k  e  i  t 
und  deren  Ursachen  bei  Schulkindern.  Von  Dr.  Hugo 
Laser,  Schularzt  in  Königsberg  i.  Pr.  Es  begegnete  dem  Ver¬ 
fasser,  daß  Kinder,  Avelche  der  Klassenlehrer  als  schwerhörig 
bezeichnete,  Flüsterstimmen  auf  etwa  sechs  Meter  Entfenmng 
vernahmen,  Avährend  anderseits  Kinder  an  einer  Gehörstörung 
litten,  ohne  daß  sie  seihst  oder  der  Klassenlehrer  etwas  davon 
wußten.  Er  unlersuchte  daher  alle  ihm  uuterstellh'n  Kinder 
auf  ihre  Hörfähigkeit  und  bediente  sich  hiebei  des  Pollitzer- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


scheu  Ilörprüfers  (iin  Original  beschrieben  und  abgebildet).  Die 
Obren  wurden  einzeln  geprüft,  <lie  als  schwerhörig  befundenen 
Kinder  wurden  von  Prof.  Dr.  Gerber  und  seinen  Assistenkdi 
spezialisüsch  untersucht.  Fand  man  als  Ursache  der  Schwer¬ 
hörigkeit  ein  Leiden,  das  Aussicht  auf  Desserung  oder  Heilung, 
bol,  so  wurden  die  Eltern  verständigt.  Eine  Anzahl  der  Kinder 
ließ  sich  auch  behandeln;  es  wurden  adenoide  Rachenmandeln 
und  vergrößerte  Gaumenmandeln  entfernt,  Ohrenschmalz])fröpfe 
beseitigt  etc.  Nach  einem  halben  Jahre  will  Verf.  diese  Fälle 
noch  einmal  überprüfen.  Die  Tabellen  zeigen,  daß  in  drei  Schulen 
(Volks-  und  Bürgerschulen)  die  Schwerhörigkeit  ziemlich  gleich 
oft,  in  17-4  bis  19-3°/o,  konstatiert  wurde.  In  den  unteren  Klassen 
sind  die  Zahlen  fast  durchwegs  höher  als  in  den  oberen  Klassen. 
Die  kleineren  Kinder  machen  ihre  Angaben  eben  schlechter  als 
die  größeren.  Schwerbörigkeit  bestand  rechts  107mal,  links  92mal, 
beiderseits  llömal.  Bei  der  Untersuchung  der  315  Schwerhörigen 
wurden  gefunden :  Bachenmandeln  153,  chronische  Otitis  34, 
schon  abgelaufene  34,  Thrombus  31,  Katarrh  12,  normale  Ver¬ 
hältnisse  51  mal.  —  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1907, 

Nr.  5.)  E.  F. 

* 

194.  (Aus  dem  Londoner  Charing-Cross  und  dem  Evelina 
Kinderspital.)  Ueber  einen  tödlichen  Fall  von  Myxödem 
mit  Veränderungen  in  den  N  e  he  n  s  c  h  i  1  d  dr  ü  s  e  n.  Von 
D.  Forsyth.  Verf.  beschreibt  den  Obduktionsbefund  bei  einer 
58jähr.  Frau,  die  unter  seiner  Beobachtung  an  Älyxödem  starb.  Die 
Schilddrüse  zeigte  makro-  und  mikroskopisch  Zeichen  weitgehender 
Atrophie  und  Fihrose.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
der  Nebenscliilddrüsen  fiel  zunächst  auf,  daß  die  Zellen  an  vielen 
Stellen  azinöse  Anordnung  zeigten.  Die  einzelnen  Zellen  für 
sich  genommen,  zeigten  keinen  Unterschied  gegenüber  den  Zellen 
aus  normalen  Nebenschilddrüsen.  Sehr  auffallend  war  die  An¬ 
wesenheit  großer  Mengen  von  Kolloidsubstanz.  Verf.,  der  einige 
Hundert  von  Nebenschilddrüsen  untersucht  hat,  kann  sich  nicht 
erinnern,  je  eine  derartig  starke  Produktion  von  Kolloid  gesehen 
zu  haben.  Es  zeigte  sich  eine  mäßige  Vermehrung  des  inter¬ 
stitiellen  Bindegewebes  gegenüber  der  Norm.  Verf.  erklärt  den 
Fall  in  der  Weise,  daß  er  die  Fibrose  der  Thyreoidea  als  die 
primäre  Erkrankung  ansieht,  welche  zu  Funktionsuntüchtigkeit 
der  Schilddrüse  führte,  worauf  die  Nebenschilddrüse  —  aller¬ 
dings  in  nicht  ausreichendem  Älaße  —  die  Punktionen  der 
Thyreoidea  übernahm.  —  (Lancet,  12.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

* 

195.  Der  Zustand  der  Reflexe  in  paralysierten 
Körperteilen  bei  totaler  D  u  r  c  h  t  r  e  n  n  u  n  g  d  e  s  R  ü  c  k  e  n- 
markes.  Von  Prof.  Michael  Lapinsky  in  Kiew  (Rußland). 
Die  Untersuchungen  Lapinskys  führen  zu  dem  Schlüsse,  daß 
das  Gesetz  Bastians  von  den  schlaffen  Paralysen  bei  totaler 
Durchtrennung  des  Rückenmarkes  beim  Menschen  den  bestehen¬ 
den  physiologischen  Ansichten  nicht  Aviderspricht.  Unbewiesen 
ist,  daß  in  solchen  Fällen  von  schlaffer  Paralyse  die  Reflex¬ 
bögen  der  paralysierten  Körperteile  vollständig  normal  seien. 
Der  reflexanregende  Einfluß  des  Kleinhirns  ist  bisher  noch  nicht 
bewiesen.  Daher  ist  auch  die  Behauptung  nicht  gerechtfertigt, 
rlaß  das  Verlöschen  der  Reflexe  im  paralysierten  Körperteil  bei 
totaler  Durchtrennung  des  Rückenmarkes  dem  Verluste  des  j eflex- 
anregenden  Einflusses  des  Kleinhirns  zuzuschi’eiben  ist.  Viele 
Fälle  von  schlaffer  Paralyse  finden  in  einer  organischen  Affektion 
der  Bestandteile  der  Reflexbögen  ihre  eigentliche  Ursache,  in 
manchen  Fällen  muß  das  Fehlen  der  Reflexe  bei  totaler  Durch¬ 
trennung  <les  Rückenmarkes  durch  dynamische  Ursachen  erklärt 
werden.  Die  Besonderheit  hochliegender  Durchtrennungen  des 
Rückenmarkes,  von  einer  Depression  <ler  Reflexe  gefolgt  zu 
werden,  erklärt  sich  dadurch,  daß  die  einzelnen  im  Erregungs¬ 
zustand  hefindlichen  Etagen  des  Rückenmarkes  die  Funktionen 
der  Zentr('n  in  den  unterhalh  liegenden  Segmenten  hemmen  und 
dies  um  so  stärker,  je  größer  die  Anzahl  der  höher  liegenden, 
im  Erregungszustand  hefindlichen  Segmente  ist.  Je  entfernter 
ein  bestimmtes  Beflexzentrum  vom  gereizten  Segment  und  je 
stärker  der  Beiz  ist,  desto  intensiver  ist  die  Depression  des 
Reflexzentrums.  Bei  totalen  Durchtrennungen  der  obeixui  Teile 
dos  Bückenmarkes  nun  liegen  die  vei’wundeten  Segmente  weit 
von  den  Reflexbögen  des  Lendenmarkes  entfernt.  Vielleicht  liegt 


auch  darin  dei'  Grund,  daß  derartige  Traumen  von  einem  se  scharf 
ausgesprochenen,  deprimierenden  Effekt  gefolgt  sind.  —  (Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  2.)  S. 

♦ 

196.  Ueber  die  Abschälung  der  Nierenkapsel  als 
Behandlung  d  e  r  E  k  1  a  m  p  s  i  e.  Von  R.  de  B  o  v  i  s.  Die  Schwere 
der  Eklampsie  rechtfertigt  eine  eingreifende  Therapie  und  in  diesem 
Sinne  Avurde  Amn  Edebohls  außer  bei  Nephritis,  auch  bei 
Eklampsie  die  Abschäluug  der  Nierenkapsel  empfoblen  und  aus¬ 
geführt.  Der  Verfasser  hat  das  Verfahren  bei  einer  19jährigen 
Patientin  durchgeführt,  Avelche  schon  während  der  Gravidität  Al¬ 
bumen  im  Harn  aufAvies  und  bei  der  sich  vier  Stunden  nach  der 
Entbindung  der  erste  eklamplische  Anfall  einstellte,  nach  Avelcbem 
in  rascher  Folge  weitei’o  Anfälle  auftraten.  Da  trotz  Chloral- 
klysmen,  soAvie  Cblorofonn-  und  Sauerstoffeinatmung  Bewußt¬ 
losigkeit  auftrat,  Avurde  rech'tsseitig  die  Abschälung  einer  Nieren¬ 
kapsel  vorgenornmen.  Die  Blutung  beim  Eingriff  Avar  minimal, 
die  Kapsel  ließ  sich  leicht  ablösen  und  es  Avurde  eine  ausgedehnte 
Ekchymose  in  der  Niere  konstatiert.  Die  Niere  Avurde  reponiert, 
die  MTiiide  Amrschlossen  und  ein  kleines  Drain  eingelegt.  Bald 
nach  der  Operation  erwachte  die  Patientin  aus  der  Bewußitlosigkeit 
und  es  stellte  sich  eine  beträchtliche  Zunahme  der  Harnsekretion 
ein.  Ueber  die  SchAvere  der  post  partum  auftretenden  Eklampsie 
sind  die  Ansichten  geteilt,  doch  spricht  die  Statistik  für  die 
größere  ScliAvere  dieser  Form.  Außer  dem  mitgeteilten  Falle  sind 
bisher  in  der  Literatur  fünf  Fälle  von  DekapSulation  der  Niere 
Avegen  Eklampsie  mitgeteilt,  darunter  ein  Fall,  avo  auch  auf  einer 
Seite  nephrotoniiert  Avurde.  Unter  diesen  Fällen  is,t  nur  ein  un¬ 
günstiger  Ausgang  durch  Lungenödem  zu  verzeichnen.  Da  die 
Mortalität  der  Eklampsie  mit  20Vo  berechnet  Avird,  kann  aus  der 
vorliegenden  Statistik  kein  sicherer  Schluß  zugunsten  der  Operation 
gezogen  AA^erden.  Es  ist  aber  zu  berücksichtigen,  daß  vorwiegend 
sehr  sclnvere  Fälle,  darunter  solche  mit  Urämie,  Amaurose  und 
Anurie  zur  Operation  kamen,  so  daß  Erfolge  der  Operalion 
höher  eingeschätzt  Averden  inüssen.  Allerdings  Avird  der  Wert 
der  Operation  dadurch  eingeschränkt,  daß  bei  ,der  Eklampsie  nicht 
die  Niere  das  einzige  erkrankte  Organ  pst;  ebenso  läßt  sich  für 
die  Wirkung  der  Nephrolyse  eine  befriedigende  (Erklärung  nicht 
geben.  Der  Blutverlust  bei  der  Operation  pst  so  gering,  daß 
eine  AderlaßAAurkung  zUr  Erklärung  nicht  herangezogen  Averden 
kann;  ebensoAvenig  trifft  die  Annahme  einer  .Strangulation  der 
Niere  durch  die  Kapsel  durchaus  zu.  Aleist  dürfte  die  einseiügie 
Nephrolyse  bei  Eklampsie  ausreichen;  falls  dies  .nicht  zutrifft, 
Aväre  die  Nephrolyse  doppelseitig  auszuführen.  Nephrotomie  ist 
nur  bei  hochgradiger  Oligurie  oder  iVnurie  pndiziert.  —  (Sem. 

med.  1907,  Nr.  10.)  a.  e. 

* 

197.  (Aus  der  Universitätsaugenklinik  zu  Marlnirg.)  Diffe¬ 
rentia  1  di  a  g  no  se  z  Avis  dien  reflektorischer  und  ab¬ 
soluter  Pupi  llcnstarre.  Von  Prof.  L.  Bach.  Die  reflekto¬ 
rische  und  absolute  Starre  müssen  rücksichtlich  ihres  diagnosti¬ 
schen  Wertes  strenge  auseinander  gehalten  Averden.  Denn  die 
reflektorische  Starre  ist  geradezu  pathognomonisch  für  Tabes  oder 
Taboparalyse  (95%),  Avährend  der  diagnostische  Wert  der  ab¬ 
soluten  Starre  ein  relativ  geringer  ist,  denn  sie  kommt  aus  allen' 
möglichen  Ursachen  vor.  Bei  Paralyse  und  Taboparalyse  kommt 
die  absolute  Starre  auch  vor,  besonders  dann,  Av^enn  der  Paralyse 
Gehirnlues^  Amrausging  oder  neben  ihr  besteht  und  in  Fällen, 
AVO  die  Differentialdiagnose  ZAvischen  Hirnlues  und  Paralyse 
scliAvankt,  kann  das  Vorhandensein  einer  absoluten  Starre  in 
Vei'bindung  mit  Lähmung  des  Akkonimodationsmuskels  für  die  Dia¬ 
gnose  Hirnlues  verAvertet  Averden.  Viele  Autoren  vertreten  die 
Auffassung,  daß  die  absolute  Starre  bei  der  progressiven  Paralyse 
ein  vorgeschritteneres  Stadium  der  reflektorischen  Starre  dar- 
stelliund  sprechen  dann  von  einer  ,, totalen  reflektorischen  Starre“. 
Nach  dem  Verfasser  fehlt  jeder  BeAveis,  daß  der  absoluten  Starre 
eine  reflektoiiscbe  vorausging,  aber  selbst  Avenn  dies  der  Fall 
Avar,  beAveist  das  Hinzutreten  der  absoluten  Starre  nicht  Gleich¬ 
artigkeit  dei’  Ursache  und  Lokalisalion  beider  Störungen.  Ver¬ 
fasser  hält  es  daher  für  notAArendig,  beide  Pupillenanomalien 
streng  auseinander  zu  ballen.  Denn  AA'eder  dje  anatomischen  Be¬ 
funde  und  experimentellen  Ergebnisse,  noch  die  klinischen  Be¬ 
obachtungen  stützen  die  Verschmelzung  der  reflektorischen  mit 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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der  absoluten  Starre.  Das  typische  Bild  der  reflektorischen  Starre 
—  Erloschensein  der  direkten  und  indirekten  Lichtreaktion, 
Miosis,  Fortbestehen  einer  prompten  und  ausgiehigen  Konvergenz¬ 
reaktion  —  kann  viele  Jahre  unverändert  bestehen.  Es  ist  niclit 
die  Regel,  daß  an  Stelle  der  reflektorischen  Starre  schließlich 
eine  absolute  Starre  —  Erloschensein  sämtlicher  Reaktionen  der 
Pupille  bei  meist  bestehender  Erweiterung  der  Pupille  —  tritt. 
Es  kommt  vor,  daß  zu  einer  doppelseitigen,  reflektorischen  Starre 
sich  eine  ein-  oder  doppelseitige  Lähmung  aller  äußeren  und 
inneren  Augenmuskeln  gesellt,  welche  nach  einiger  Zeit  sich 
wieder  zurückbildet,  während  die  reflektorische  Starre  fortbesteht. 
Ebenso  kann  umgekehrt  zu  einer  Ophthalmoplegia  externa  totalis 
oder  partialis  eine  reflektorische  Starre  hinzutreten.  Nach  des 
Verfassers  Erfahrungen  kommt  es  nicht  so  selten  vor,  daß  eine 
absolute  Starre  sich  zurückbildet  und  früher  oder  später  eine 
reflektorische  Starre  auftritt.  Sehr  häufig  wird  eine  im  Rückgang 
begriffene  absolute  Starre  mit  der  reflektorischen  verwechselt. 
Es  tritt  nämlich  dabei  ein  Stadium  ein,  das  der  reflektorischen 
Starre  oft  ganz  gleicht.  Die  Differentialdiagnose  kann  da  die 
größten  Schwierigkeiten  bereiten.  Sie  wird  ermöglicht,  wenn  man 
den  Fall  einige  Zeit  beobachten  kann,  da  bei  der  zurückgehenden 
absoluten  Starre  allmählich  auch  die  Liclitreaktion  wiederkehrt 
und  die  Konvergenzreaktion  normal  wird,  während  ein  Wieder¬ 
auftreten  der  Lichtreaktion  bei  der  reflektorischen  Starre  zu  den 
allergrößten  Seltenheiten  gehört.  —  (Münchener  medizinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  8.)  G.  • 

* 

198.  (Aus  dem  städtischen  Krankenhaus  zu  Nowerossijk.) 
Zur  Frage  der  Hämophilie.  Von  W.  \V.  Lesin.  Nach  Ver¬ 
fasser  besteht  das  Wesen  der  Hämophilie  nicht  in  einer  leichten 
Lädierbarkeit.  der  Gefäße,  sondern  in  einer  abgeschwächten  Ge¬ 
rinnbarkeit  des  Blutes.  Hämophiliker  können  jahrelang  als  voll¬ 
kommen  gesund  gelten,  bis  dann  eines  Tages  gelegentlich  eines 
Traumas,  ein  schwer  stillbarer  Blutaustritt  aus  den  Gefäßen  kon¬ 
statiert  wird.  Das  Trauma  spielt  hierbei  scheinbar  die  Rolle 
einer  auslösenden  Ursache.  Verf.  führt  zur  Illustration  zwei  Fälle 
aus  seiner  Praxis  an.  In  dem  einen  handelte  es  sich  um  einen 
gesunden,  sehr  kräftigen  Sicherheitswachmann,  bei  dem  sich  nach 
einem  Dolchstich  die  Symptome  von  fast  unstillbaren,  sich  inuner 
vmn  neuem  wiederholenden  Blutungen  entwickelten,  die  nach 
einer  zweiwöchentlichen,  von  Zeiten  fast  vollkommenen  W^ohl- 
befindens  unterbrochenen,  Krankheitsperiode  zum  Tode  führten. 
Der  zweite  Fäll  genas  nach  einer  Krankheitsdauer  von  fast  drei 
Monaten.  Es  handelte  sich  um  einen  jungen  gesunden  Mann 
mit  einer  Stichwunde.  Die  Blutungen  kehrten  trotz  sorgfältigster 
Behandlung  immer  wieder.  Das  Bild  wurde  um  so  bedrohlicher, 
als  der  Kranke  bald  anfing,  alle  Nahrung  zu  erbrechen,  so  daß 
er  in  einen  Zustand  äußerster  Inanition  geriet.  Erst  die  Dar¬ 
reichung  von  eisgekühlter  Milch  brachte,  da  dieselbe  vertragen 
wurde,  eine  Wiederherstellung  des  Ernährungszustandes  uml 
damit  die  Heilung  herbei.  Einen  charakterislischen  Befund  ])ietet 
die  Wundheilung:  bei  den  Hämophilen,  indem  die  Granulationen 
leicht  bluten  und  die  Tendenz  zeigen,  schmierig  zu  zerfallen. 
Dieser  Zerfall  kann  so  weit  gehen,  ,daß  ganze  Muskelstücke  ne¬ 
krotisch  zerfallen.  Ein  solches  Verhalten  beobachtete  Verfasser 
im  zweiten  von  ihm  beschriebenen  Fälle,  wo  nach  der  Genesung 
eine  beträchtliche  Narbenkontraktur  des  Bizeps  zurückblieb.  Ver¬ 
fasser  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  das  Blut  des  Hämophilen 
wieder  spontan  seine  Gerinnbarkeit  zurückgewinnen  kann,  daß 
wir  jedoch  derzeit  der  Erscheinung  der  Hämophilie  machtlos 
gegenüberstehen.  Selbst  die  Unterbindung  großer  Gefäßstämme 
kann  wirkungslos  bleiben  (König,  Lesin).  Die  Machtlosigkeit 
der  therapeutischen  Maßnahmen  kann  manchmal  Veraidassung 
dazu  bieten,  daß  dem  Arzte  der  Vorwurf  mangelnder  Sorgfalt 
oder  Sachkenntnis  gemacht  wird.)  —  (Russkij  Wratsch  1906, 
Nr.  52.)  J.  Sch. 


Therapeutisehe  ]^otizen. 

Zur  internen  Behandlung  der  Akne.  Von  Dr.  Josef 
Kapp  in  Berlin.  Es  sind  hauptsächlich  intestinale  Vorgänge, 
welche  die  Disposilion  zu  (Akne  schaffen.  Daneben  spielen  viel¬ 
leicht  auch  andere,  in  der  Pubertätsperiode  so  häufige  patholo¬ 
gische  Zustände,  wie  Chlorose,  bzw.  Anämie,  eine  Rolle. 


Eine  schlecht  durchhlutete,  mangelhaft  ernährte  Haut  setzt  einer 
Einnislung  von  Bakterien  (Unnas  Aknebazillus  oder  gewölm- 
licher  Eitererreger  oder  Misebinfektion)  sicherlich  weniger  Wider¬ 
stand  entgegen  als  eine  normale,  von  gesunden  Säften  durch¬ 
strömte  Haut.  Für  die  Wahrscbeiidichkcit  der  intestinalen  Ur¬ 
sache  sprechen  die  Untersuchungen  Kapps.  Er  fand  nämlich 
bei  33  juvenilen  Aknekranken  33mal  den  Gehalt  des  Harnes 
an  Indigoschwefelsäurc,  31mäl  an  Phenolkresol,  sowie  30mal  an 
aromatischen  Oxysäuren  deutlich  vermehrt  und  auch  der  Indikan- 
gehalt  des  Harnes-  erwies  sich  in  allen  Fällen  deutlich  erhöht. 
All  dies  spricht  dafür,  daß  in  diesen  Fällen  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  (fast  95 "/o)  eine  erhöhte  Eiweißfäulnis  im*  Darme  vor¬ 
lag.  Gerade  in  den  Pubertätsjahren  ist  Trägheit  der  Peristaltik 
häufig  anzu treffen.  Die  Therapie  hewegte  sich  also  in  der  Rich¬ 
tung,  eine  antifermentative  und  die  Darmtätigkeit  leicht  beschleimi- 
gende  Medikation  einzuleiten.  Er  gab  also  sublimierten  Scliw-efel 
und  Menthol  in  Kombination  u.  zw.  1  g  Sulfur,  praecipit.  und 
0-25  g  Menthol  zwei-  bis  dreimal  täglich.  Er  ließ  auch  ,, Akne- 
Dragees“  von  dieser  Zusammensetzung  in  angenehmer  Form  dar¬ 
reichen.  Der  Erfolg  war  ein  günstiger.  Alle  Formen  der  Akne 
(Akne  simplex,  pustulosa,  indurata)  wurden  nach  drei  bis  vier 
Monaten  Avesentlich  gebessert,  in  mehreren  Fällen  vollkommen 
geheilt.  Breiige  Stuhlentleerungen,  Abnahme  der  Phenolausschei¬ 
dung  etc.  Daneben  wurde  eine  Lokaltberapie  eingeleitet:  Inzision, 
Applikation  von  Quecksilberkarbol-Pflastermull,  Waschen  mit  For¬ 
malinseifenspiritus  zur  Verhütung  der  Infektion  benachbarter  Fol¬ 
likel.  Trotz  der  günstigen  therapeutischen  Erfolge  verhehlt  sich 
Kapp  nicht,  daß  er  damit  den  Beweis  für  den  Zusammenhang 
zwischen  Darmfäulnis  und  Talgdiüsen-,  resp.  Follikelentzündung 
noch  nicht  ganz  erbracht  hat.  —  (Therapeutische  Monatshefte, 
iMärz  1907.)  E.  F. 


V^ermisehte  Kaehriehten. 

Ernannt:  Oberbezirksarzt  Dr.  Johann  Fortwaengler 
zum  Landessanitätsinspektor  und  Bezirksarzt  Dr.  Ernst  Offner 
zum  Oberbezirksarzt  in  Schlesien.  —  Dr.  Biondi  zum  a.  o. 
Professor  der  gerichtlichen  Medizin  in  Cagliari.  —  Dr.  Melle 
zum  ordentlichen  Professor  für  Dermatologie  und  Syphilis  in 
Messina.  —  Dr.  Tedeschi  zum  ordentlichen  l^rofessor  der 
Kinderheilkunde  in  Padua. 

* 

Verliehen:  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Kajetan  Freiherrn 
V.  Hör  och  in  Wien  das  Ritterkreuz  des  Franz- Joseph-Ordens. 
—  Dem  Oberbezirksarzt,  kais.  Rat  Dr.  Heinrich  Husserl  in 
Jägemdorf  das  Ritterkreuz  des  Franz- Joseph-Ordens  und  dem 
Bezirksarzt  Dr.  Alexander  v.  Rositzky  in  Troppau  das  Goldene 
Verdienstkreuz  mit  der  Krone.  — •  Dem  Primarius  der  chirurgischen 
Abteilung  am  Franz- Joseph-Bürgerspital  in  Hermannsladt,  Doktor 
Wilhelm  Otto,  der  Titel  eines  kgl.  Rates. 

* 

Hahilitiert:  Dr.  Frontini  für  Kinderheilkunde  in  Bo¬ 
logna.  —  Dr.  Lucibelli  für  innere  jMedizin  in  Neapel.  — 
ln  Pavia  Dr.  Cal  a  und  Dr.  Rossi  für  Neurologie  und  Psy¬ 
chiatrie.  —  Dr.  Frassi  in  Pisa  für  Hygiene. 

* 

Gestorben:  Dei‘  Privatdozent  für  Geburlshilfe  und  Frauen¬ 
heilkunde  Dr.  Glöckner  in  Leipzig.  —  Der  ehemalige  Professoi“ 
der  operativen  Medizin  in  Toulouse  Dr.  Labeda. 

* 

In  der  am  20.  März  1907  abgehaltenen  Generalver¬ 
sammlung  des  Wiener  medizinischen  Doktoren¬ 
kollegiums  wurden  gewählt:  Zum  Präsidenten  auf  ein  Jahr: 
Dr.  Josef  Heim;  zu  Vizepräsidenten  auf  ein  Jahr:  die  Doktoren 
Reg.-Rat  Wilhelm  Svetlin  und  Anton  Khautz  v.  Eu Inn¬ 
thal  sen.;  zu  Mitgliedern  des  Geschäftsrates  auf  drei  Jahre: 
die  DDr.  Moritz  Bauer,  Anton  Bum,  Ludwig  Klein,  Max  Kn  er, 
Josef  Krips,  kais.  Rat  Alexander  Lerch,  Direktor  Thomas 
V.  Resell,  Adolf  Zemann;  zum  Mitglied  des  Geschäftsrates  auf 
zwei  Jahre:  Dr.  Ludwig  Sk  or  sc  he  ban;  auf  ein  Jahr:  Doktor 
Adolf  Klein. 

* 

Unter  dem  Vorsitz  der  Proff.  Dr.  E.  v.  Leyden,  Dr.  Be  eli¬ 
te  reff- St.  Petersburg  und  Dr.  Hildebrand -Berlin  hat  sich 
eine  Russisch-Deutsche  JMedizinische  Gesellschaft 
zu  Berlin  konstituiert.  Die  neue  medizinische  Gesellschaft,  die 
einen  internationalen  Charakter  trägt,  bezweckt  die  Förderung 
der  wissenschaftlichen  und  kollegialen  Beziehungen  und  einer 
innigeren  Verbrüderung  zwischen  den  russischen  und  deutschen 
Aerzten.  Diesem  Zwecke  sollen  persönliche  Zusammenkünfte,  so- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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’t 


wie  Wanderversamniliiiigen  dienen.  Die  Mitgliederzahl  der  Ge¬ 
sellschaft  helrägt  bereits  inehrei'e  Hundert  und  es  gehören  ihr 
Aerzte  (hn-  drei  großen  Nachharreiche  Deutschland,  Rußland  und 
Oesterreich  an. 

* 

Die  diesjährige  W  a  n  d  e  r  ve  r  s  a  in  in  1  u  n  g  der  süd  west¬ 
deutschen  Neurologen  und  Irrenärzte  wird  am  1.  und 
2.  Juni  in  Baden-Baden  statlfinden. 

♦ 

L  e  h  r  h  u ch  der  P  s  y  c  h  i  a  t  r  i  e,  bearbeitet  von  A.  C  r  a  in  e  r, 
A.  Boche,  A.  Westphal,  R.  Wollenherg  und  den  lleraus- 
geliern  0.  Binswanger  und  E.  Sienierling.  Das  Lehr- 
hiich,  welches  in  Nr.  34,  1904,  dieser  Wochenschrift  eine  aus¬ 
führliche  Besprechung  erfahren  hat,  ist  in  zweiter  Auflage  im 
Vmlage  von  G.  Fischer  in  Jena  erschienen.  Sie  hat,  abgesehen 
von  mannigfachen  Verhesserungen,  einen  Abschnitt  über  foren¬ 
sische  Psychiatrie  neu  angefügt  erhalten.  Preis  Mk.  0-50. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  S  a  n  i  t  ä  t  s  s  t  a  t  i  s  t  i  k  hei 
d  e  r  M  a  n  n  s  c  h  a  f  t  d  e  s  k.  u.  k.  Heeres  i  m  .1  a  n  u  a  r  1907. 
Krankenzugang  25.461  Mann,  entsprecliend  der  durchschnilllichen 
Kopfstärke  927üo;  an  Heilanstalten  abgegeben  11.837  Mann,  ent¬ 
sprechend  der  durchschnittlichen  Kopfstärke  42°/oo;  Todesfälle 
27  Mann,  entsprechend  der  durchschnittlichen  Kopfstärke  OlOVoo. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
prweiterten  G  e  m  e  i  n  d  e  g  e  b  i  e  t.  11.  Jahreswoche  (vom  10.  bis 
16.  März  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  658,  unehelich  302,  zu¬ 
sammen  960.  Tot  geboren  ehelich  69,  unehelich  28,  zusammen  97. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  798  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  2P2  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  12,  Scharlach  7,  Keuchhusten  0, 
Diphtherie  und  Krupp  12,  Influenza  1,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  7, 
Lungentuberkulose  140,  bösartige  Neubildungen  46,  Wochenbett¬ 
fieber  3.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  34  ( — 5),  Wochen¬ 
bettfieber  3  ( —  5),  Blattern  0  (0),  Varizellen  68  (—  1),  Masern  409 
(-)-  108),  Scharlach  89  ( —  4),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  1  ( —  3), 
Ruhr  0  ( —  1),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  106  (-f-  10),  Keuch¬ 
husten  32  ( —  5),  Trachom  2  (-j-  2),  Influenza  0  ( —  6). 


Freie  Stellen. 

Mehrere  Sekundararztesstellen  in  der  öffentlichen  all' 
gemeinen  Landeskrankenanstalt  in  Czernowitz  (Bukowina)  mit  dem 
Bezüge  jährlicher  K  1440  und  dem  Naturalquartier  in  der  Anstalt  nebst 
Beleuchtung,  Beheizung  und  Verpflegung  nach  der  ersten  Klasse  aus  der 
Anstaltsküche.  Die  Dienstzeit  der  Sekundarärzte  ist  auf  zwei  Jahre  be¬ 
stimmt  und  kann  vom  Landesausschusse  von  je  zwei  zu  zwei  Jahren 
bis  zu  sechs  Jahren  verlängert  werden.  Kompetenten  um  diese  Stelle 
haben  nachzuweisen:  a)  die  österreichische  Staatsbürgerschaft;  b)  das 
nicht  vollendete  40.  Lebensjahr;  c)  den  Besitz  des  Grades  eines  Doktors 
der  gesamten  Heilkunde  und  die  bisherige  praktische  Verwendung  und 
d)  die  Kenntnis  der  deutschen  und  mindestens  einer  der  Landessprachen 
(rumänisch  oder  ruthenisch).  Die  gehörig  instruierten  Kompetenzgesucho 
sind  beim  Bukowinaer  Landesausschusse,  u.  zw.  von  Bewerbern,  die 
sich  bereits  in  dienstlicher  Stelle  befinden,  im  Woge  ihrer  Vorgesetzten 
Dienstbehörde,  bis  zum  25.  April  d.  J.  zu  überreichen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Eiben- 
schitz  (Israelitongemeinde)  Padochau  (Mähren),  umfassend  die  Ge¬ 
meinden  Eibenschitz  (Israelitengemeinde)  mit  583,  Alexowitz  mit  227 
und  Padochau  mit  640  Einwohnern.  Silz  des  Arztes  ist  Eibenschitz.  Die 
Bezüge  betragen  K  412-82  an  Gehalt  und  K  100  Fahrpauschale.  Bewerber 
um  diese  Stelle  haben  ihre  im  Sinne  des  Gesetzes  vom  10.  Februar  1881, 
L.-G.  u.  V.-Bl.  Nr.  28,  instruierten  Gesuche  bis  zum  14.  Mai  d.  J.  an 
den  Obmann  der  Sanitäts-Delegiertenversammlung,  Herrn  Eduard 
P  0  w  0  1  n  y,  Bürgermeister  in  Padochau,  einzubringen. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  28.  Februar  1907 
(siehe  Nr.  9  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  1907) 
für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
in  Empfang  genommen.  Nr.  1. 

Geschenke. 

Itlascliko  A.,  Syphilis  und  Prostitution.  Berlin  1893.  8”.  Von  Herrn 
Prof.  V.  Z  e  i  s  s  1. 

Blocher  Eugen,  Lebensdauer  und  Alkohol  nach  der  Statistik  von 
Isambard  Owen.  Basel  1906.  8“.  Von  der  Redaktion  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift. 

Hammarsteii  0.,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  Fünfte  völlig 
umgearbeitete  Auflage.  Wiesbaden  1904.  8“.  Von  Herrn  Doktor 
R.  Türkei. 


Herzfeld  Karl  August,  Praktische  Geburtshilfe.  Zweite  verbesserte  Auf¬ 
lage.  Leipzig  und  Wien  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Herz  Max,  Heilgymnastik.  Stuttgart  1907.  8®.  Von  der  Wiener  klinischen 
Wochenschrift. 

Miudes  J.  Manuale  der  neueren  Arzneimittel.  Fünfte  neubearbeitete 
Auflage.  Leipzig  und  Wien  1907.  8®.  Von  der  Wiener  klinischen 
Wochenschrift. 

Politzer  Adam,  Geschichte  der  Ohrenheilkunde.  Stuttgart  1907.  8®.  Vom 
Autor. 

Verhandlungen  des  Kongresses  für  innere  Medizin.  23.  Kongreß, 
München  1906.  Wiesbaden  1906.  8®.  Im  Aufträge  des  Kongresses 
von  der  Verlagshandlung  J.  F.  B  e  r  g  m  a  n  n. 

XV.  Congres  international  de  Medecine,  Lisbonne  19.— 26.  Avril 
1906.  Lisbonne  1906—1907.  Section:  Physiologie, 
Pathologie  generale  et  Bacteriologie,  Medecine, 
Pediatrie,  Dermatologie  et  Syphiligraphie, 
Chirurgie.  Von  Herrn  Dr.  Oskar  v.  H  o  v  o  r  k  a. 

* 

Geschenke  und  Ergänzungen  von  Herrn  Dr.  Hans  Salzer 
aus  dem  Nachlasse  weil.  Prof.  Fr.  Salzer. 

Ohernethy  John,  Surgical  and  physiological  Essays.  London  1793  bis  1797. 
8®.  2  Vol. 

Amann  J.,  Zur  mechanischen  Behandlung  der  Versionen  und  Flexionen 
des  Uterus.  Erlangen  1874.  8®. 

Bantock  G.  G.,  On  the  treatment  of  rupture  of  the  female  perineum. 
London  1878.  8®. 

Boner  Carl,  Topographische  Anatomie  der  Leistengegend.  J.  D.  Wien 
1844.  8®. 

Bryaulh  Th.,  Hunterian  Lectures  on  tension,  as  met  with  in  surgical 
practice.  Inflammation  of  bone  and  on  cranial  and  intracranial 
injuries.  London  1888.  8®. 

Curling  T.  B.,  Die  Krankheiten  des  Mastdarmes.  Erlangen  1853.  8®. 

Esmarch,  Verbandplatz  und  Feldlazaret.  Berlin  1868.  8®. 

Fresenius  C.  B.,  Anleitung  zur  qualitativen  chemischen  Analyse.  Fünfte 
Auflage.  Braunschweig  1847.  8®. 

Groß  S.  1).,  Memorial  Oration  in  honor  of  Euphraim  McDowell  »The 
Father  of  Ovariotomy«. 

Hartinauu  H.,  Ueber  die  Aetiologie  von  Erisypel  und  Puerperalfieber. 
München.  (Preisschrift.) 

Harlmaun  F.  X.,  Primarum  linearum  institutionum  botanicarum  claris- 
simi  viri  Crantzii.  Editio  altera  continens  characterislica  omnium 
classium  icones,  additamenla  novarum  generum  et  specierum  in 
necessarium  institutionum  reiherbariae  supplementum.  Lipsiae 
1767.  8®. 

Hilton  John,  On  the  influence  of  mechanical  and  physiological  rest. 
London  1863.  8®. 

Hewitt  F.,  Select  methods  in  the  administrations  of  nitrons  oxide  and 
ether.  London  1888.  8®. 

Magendle  JT,  Vorlesungen  über  organische  Physik.  Deutsch  bearbeitet 
unter  Red.  des  Dr.  F.  J.  B  e  h  r  e  n  d.  Leipzig  1836.  8®. 

Mayer  J.  C.  A-,  Beschreibung  des  ganzen  menschlichen  Körpers.  Berlin 
und  Leipzig  1788  bis  1794.  8®.  Bd.  5  bis  8. 

Middeldorpf  A.  Tli.,  Die  Galvanokaustik.  Breslau  1854.  8®. 

Müller  H.,  Ueber  die  Entwicklung  der  Knochensubstanz.  Leipzig  1858.  8®. 

Pereira  Jou.,  Vorlesungen  über  Maler,ia  medica.  Deutsch  bearbeitet  von 
Dr.  F.  J.  B  e  h  r  e  n  d.  Leipzig  1838  bis  1839.  8®.  2  Vol. 

Scliimko  Joh.  G.,  Die  homöopathische  Heilmethode  in  mathematisch 
und  chemisch-geologischer  Hinsicht  betrachtet  und  widerlegt.  Zweite 
vermehrte  Auflage.  Teschen  1829.  8®. 

Scott  John,  Chirurgische  Beobachtungen  über  die  Behandlung  von 
chronischer  Entzündung  in  verschiedenen  Gebilden.  Aus  dem 
Englischen.  Weimar  1829.  8®. 

Wilde  W.  R.,  Praktische  Bemerkungen  über  Ohrenheilkunde.  Aus  dem 
Englischen  von  Dr.  E.  v.  Haselberg.  Göttingen  1855.  8”. 

Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Herausgegeben  von 
C.  Schröder,  L.  Mayer  und  H.  F  a  s  b  e  n  d  e  r.  Stuttgart  1877 
bis  1878.  Bd.  2  und  3. 

The  American  Journal  of  the  meilical  sciences.  New  series,  Vol.  60. 
Philadelphia  1870.  8®. 

Wochenblatt  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzle  in  Wien.  Jahrgang 
1861  und  1862. 

Von  Herrn  Prof.  Dr.  L  Unger. 

Der  Neubau  des  Jennerschen  Kinderspitales  in  Bern.  Vierund¬ 
dreißigster  medizinischer  Spitalbericht  über  die  Jahre  1901,  1902 
und  1903.  Von  Prof.  Dr.  M.  S  t  o  o  ß.  Bern  1904.  8®. 

Kinderspital  in  Basel.  Jahresbericht,  erstattet  von  Prof.  E.  Hagen- 
bach-Burckhardt.  Jahrgang  41,  42  und  43  (1903  bis  1905). 
Basel  1904  bis  1906.  8®. 

Angekauft  wurden: 

Jahresbericht  über  die  Ergebnisse  der  Innnnnitätsforschung.  Heraus¬ 
gegeben  von  W  e  i  c  h  a  r  d.  Stuttgart  1906-ff. 

Biophysikalisches  Zentr.alblatt.  Vollständiges  Sammelorgan  für  Biologie, 
Physiologie  und  Pathologie.  Herausgegeben  von  Dr.  Karl  Oppen¬ 
heimer  und  Priv.-Doz.  Dr.  L.  Michaelis.  Berlin  1907-ff. 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


455 


Verhandlangen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


IN  HALT: 


80.  Kongreß  der  deutschen  Gesellsch.aft  für  Chirurgie  zu  Berlin. 
1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 


Medizinischer  Verein  in  Greifswald.  Sitzung  vom  12.  Januar  und 
2.  Februar  1907. 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin. 

Referent :  Dr.  Max  Litt li  a  u  e  r. 

1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 

Unter  sehr  großer  Beteiligung  der  Chirurgen  Deutschlands 
wurde  der  Kongreß  durch  den  derzeitigen  Vorsitzenden  Herrn 
Riedel-.lena  eröffnet. 

Die  Eröffnungsrede  des  Vorsitzenden  begann  mit  einem  tief¬ 
empfundenen  Nachruf  auf  Ernst  v.  Bergmann,  das  Ehren- 
milglied  der  Gesellschaft,  indem  er  noch  einmal  die  Bedeutung! 
V.  Bergmanns  hervorhob  und  insbesondere  seine  Verdienste 
um  die  deutsche  Gesellschaft  für  Chirurgie  rühmte. 

Er  gab  dann  ein  kurzes  Resümee  der  ICi’ankengeschichte 
V.  Bergmanns  und  erwähnte,  daß  die  Sektion  eine  Pankreas¬ 
nekrose  aufgedeckt  habe  und  zugleich  eine  Verwachsung  und 
Abknickung  an  der  Flexura  coli  lienalis.  v.  Bergmann  wurde 
zweimal,  beide  Male  durch  Schlau  ge -Hannover,  operiert,  er¬ 
lag  aber  der  Peritonitis. 

Auch  der  übrigen  Toten  wurde  in  ehrenden  Worten  gedacht. 
Dann  gab  der  Präsident  der  Versammlung  Kenntnis  davon,  daßi  an 
.Tosef  Lister  zu  seinem  bevorstehenden  80.  Geburtstag  eine 
Tabula  gratulatoria  ahgesandt  worden  sei,  deren  Text  Herr  Körte 
verfaßt  habe.  Dann  erstattete  Herr  Fischer  den  Bihliotheksbericht. 
Hienach  wurde  in  die  Tagesordnung  eingetreten.  Die  Reihe  der 
Vorträge  eröffnete 

Re hn- Frankfurt  a.  M. :  Die  Chirurgie  des  Herzens, 
respektive  des  Herzbeutels.  i 

Er  wies  zunächst  darauf  hin,  daß.  er  vor  zehn  .fahren  zu¬ 
erst  auf  dem  Kongreß  über  einen  Fall  von  Herznaht  berichtet 
hätte.  Damals  hatte  es  sich  um  einen  Einzelfall  gehandelt;  jetzt 
sei  es  Gemeingut  der  Chirurgen,  daß  Herzverletzungen  opera¬ 
tiv  anzugreifen  seien,  daß  wenigstens  der  Versuch  gemacht  werden 
müßte,  den  Verletzten  zu  retten.  Wenn  hingegen  das  Verlang('n 
gestellt  würde,  daß  jeder  praktische  Arzt  ebensogut  wie  er  eine 
eingeklemmte  Hernie  operieren  müsse,  auch  die  Herzwunden 
nähen  müsse,  so  sollte  dagegen  unbedingt  Einspruch  erhoben 
werden.  Das  könne  von  den  Praktikern  nicht  verlangt  werden, 
dazu  seien  die  Operationen  zu  groß. 

Die  Erfahrung  habe  dann  gelehrt,  daß  es  zwar  durchaus 
nicht  gelänge,  alle  Fälle  von  Herzverletzungen  zu  retten,  daß 
mancher  Kranke  selbst  während  der  Operation  an  tier  Verhlntimg 
starb;  daß  aber  die  eigentlichen  chirurgischen  Manipulationen, 
die  mit  dem  Herzen  vorgenommen  worden  seien,  keinen  Herz¬ 
stillstand  herheigeführt  hatten.  Auch  physiologische  Untersuchun¬ 
gen  haben  dargetan,  daß  das  Herz  nicht  so  empfindlich  gegen 
Eingriffe  sei,  wie  man  .a  priori  hätte  vermuten  müssen. 

Die  Diagnose  der  Herzverletzung  sei  nicht  immer  leicht. 
Die  äußere  Inspektion  führe  nicht  viel  weiter.  Wohl  aber  kann 
die  Röntgenuntersuchung  Aufklämngen  bringen.  Im  übrigen  müsse 
man  die  Lage  der  Wunde  berücksichtigen,  den  fast  immer  vor¬ 
handenen  Shock,  das  Zeichen  der  inneren  Blutung;  eventuell 
kann  man  durch  eine  vorsichtig  eingeführte  Sonde  ergründen, 
oh  die  Wunde  in  der  Richtung  nach  dem  Herzen  sich  in  die 
Tiefe  fortsetzt.  Endlich  sei  durch  die  Perkussion  festzustellen, 
oh  der  Herzbeutel  mit  Blut  gefüllt  sei.  Die  Füllung  des  Peri¬ 
kards  mit  Blut  habe  auch  noch  eine  weitere,  sehr  wesentlicho 
Bedeutung.  Das-  Perikard  kann  nämlich  eine  gewisse  Menge  von 
Blut  —  ca.  200  cm'^  —  aufnehmen,  ohne  daß  schädliche  Wirkungen 
auf  das  Herz  aiiflreten.  Darüber  hinaus  vermag  das  Perikard  sich 
nicht  zu  dehnen,  es  tritt  dann  ein  Druck  auf  das  Herz  —  „Herz¬ 
druck“  —  ein.  Dadurch  ermüde  das  Herz  und  schließlich  stehe 
das  Herz  still;  der  Herzstillstand  erfolgt  durch  die  sogenannte 
Herztamponade  Rosers.  Die  subjektiven  Klagen  der  Kranken 
beziehen  sich  auf  Atemnot,  ein  Gefühl  von  Oppression,  Schwäche. 
Auch  treten  gelegentlich  Schmerzen  im  Leibe  auf. 

Befinden  sich  im  Herzen  Fremdkörper,  Messerklingen,  Nadeln 
und  so  weiter,  so  solle  man  womöglich  das  Herz  erst  freilegeti 


und  dann  die  Fremdkörper  entfernen,  da  die  Fremdkörper  als 
Tampons  wirkten  und  die  Wunde  verstopften;  nach  ihrer  Ent¬ 
fernung  fange  es  erst  recht  an  zu  bluten,  deswegen  sei  es  zweck¬ 
mäßig,  das  Herz  freigelegt  zu  haben.  Bei  der  Frage  der  opera¬ 
tiven  Behandlung  müsse  man  auch  berücksichtigen,  daß  auch 
spontane  Heilungen  Vorkommen.  Doch  kommen  auf  solche  Spon¬ 
tanheilungen  häufiger  sekundäre  Todesfälle  durch  Nachgeben  der 
Narbe  vor.  Freilich  seien  solche  Spättodesfälle  auch  nach  Opera¬ 
tionen  beobachtet  worden.  Doch  kämen  die  Todesfälle  viel  sel¬ 
tener  vor  und  wenn  sie  vorgekommen  wären,  so  seien  sie  durch 
ein  unzweckmäßiges  Nahtmaterial  verschuldet  gewesen. 

Was  nun  den  Eingriff  selbst  anbelangt,  so  sei  als  erste 
Regel  festzuhalten,  daß  das  Herz  auf  möglichst  schonende  Weise 
freizulegen  sei.  Deswegen  wäre  yes  durchaus  falsch,  zu  fordern, 
daß  für  alle  Fälle  eine  bestimmte  Methode  der  Schnittführung 
anzuwenden  sei.  Vielmehr  müsse  durchaus  individualisiert  werden 
und  in  der  Regel  werde  mau  von  der  vorhandenen  Wunde  aus 
die  Operation  beginnen  und  den  Schnitt  je  nach  der  Lage  des 
Falles  größer  oder  kleiner  gestalten.  Ueher  das  Verhalten  der 
Pleura  gegenüber  bestehen  noch  keine  einheitlichen  Anschauungen; 
Reim  ist  der  Meinung,  daß  die  Pleura,  wenn  möglich,  zu  schonen 
sei.  Von  großer  WTchtigkeit  sei  die  Tamponade  des  Perikards, 
von  der  man  fordern  müsse,  daß  sie  am  tiefsten  Punkt  heraus¬ 
geleitet  werde. 

Wenn  man  berücksichtige,  daß  44  aller  Todesfälle  nach  opera¬ 
tiver  Behandlung  der  Herzverletzungen  durch  die  Blutung  be¬ 
dingt  seien,  so  leuchte  es  ein,  daß  blutsparendes  Operieren  von 
der  größten  Bedeutung  sei.  Wie  solle  das  aber  beim  Herzen 
ausgeführt  werden  ?  Da  kämen  uns  die  Erfahrungen  mit  den  Tier¬ 
experimenten  zu  Hilfe.  Solche  Experimente  Gottliebs  hatten 
nämlich  gezeigt,  daß  eine  völlige  Kompres'sion  des  rechten  Vor¬ 
hofes  von  dem  Tierherzen  ca.  IV2  Minuten  ertragen  wurde,  eine 
unvollkornmene  zirka  vier  Minuten.  Gottlieb  glaubt,  daß  auch 
ein  menschliches  Herz  eine  solche  Kompression  und  die  da¬ 
durch  bedingte  Absperrung  des  Blutes  vom!  Herzen  eine  Zeitlang 
ertragen  könnte.  Reim  rät  daher,  bei  den  Operationen  zunächst 
die  Cava  inferior  zu  komprimieren,  eventuell  auch  weiter  hinauf 
Cava  superior  und  Vorhof  zu  komprimieren.  In  der  Zeit,  wo 
durch  die  Kompi'ession  die  Blutung  geringer  würde,  müsse  die 
Naht  angelegt  werden.  Was  die  Technik  derselben  anbelangt, 
so  sei  Catgut  als  Nahtmaterial  zu  verwerfen,  da  es  zu  leicht  nach¬ 
gebe;  man  solle  mit  feiner  Seide  und  drehrunden  Nadeln  nähen 
u.  zw.  mit  Knopf  naht. 

Was  nun  die  Resultate  der  Operationen  anbelangt,  so  sind 
im  ganzen  124  Fälle  operiert  worden.  Von  diesen  sind  40Co 
geheilt  worden,  60°/o  sind  gestorben. 

lOOmal  habe  es  sich  um  Stichverletzungen  gehandelt,  in 
den  übrigen  Fällen  um  Schußverletzungen.  Die  Prognose  beider 
Arten  sei  ungefähr  gleich.  Die  Verletzungen  der  linken  Ventrikel 
geben  bessere  Resultate  als  die  der  rechten. 

Ueber  die  Nachbehandlung  sei  zu  bemerken,  daß  diejenigen 
Fälle,  bei  denen  Perikard  und  Pleura  offen  behandelt  worden 
seien,  die  meisten  Heilungen  aufzuweisen  hatten;  fast  ebensogut 
waren  die  Residtate,  wenn  Perikard  und  Pleura  vollkommen  ge¬ 
schlossen  wurden;  am  schlechtesten  waren  die  Erfolge  beim 
Schlüsse  des  Perikards  und  Offenlassen  der  Pleura. 

Von  den  Gestorbenen  seien  i44Co  der  Blutung,  48Co  intek- 
t lösen  Prozessen  erlegen. 

Sauerbruch-Greifswahl:  Die  Verwendbarkeit  des 
U  n  t  e  r  d  r  u  c  k  v  e  r  f  a  h  r  e  n  s  bei  tl  e  r  H  e  r  z  c  h  i  r  u  r  g  i  e. 

Da  bei  ca.  80“/«  der  Herzwunden  die  Pleura  unverletzt 
sei,  so  wäre  es  von  größter  Bedeutung,  zu  wissen,  ob  die  Er¬ 
öffnung  der  Pleurahöhle  den  .Verlauf  der  Herzverletzung  irgend¬ 
wie  beeinflußt.  Deswegen  habe  er  sich  an  die  experimentelle 
Lösung  der  Frage  gemacht.  Er  habe  einer  großen  Reihe  von 
Tieren  Herzwunden  beigebracht  und  gleichzeitig  bei  den  Tieren 
eineji  Pneumothorax  erzeugt.  Dann  wurde  untersucht,  ob  die 
Anwendung  des  Unterdruckverfabrens  einen  'EinfhdJi  ausübt.  Es 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  15 


hat  sicii  nun  gezeigt,  daß  die  Blutungen  aus  Herzwunden,  in 
welchem  Herzabschnitt  sie  auch  gelegen  sein  möchten,  erheblich 
nachlassen,  sowie  der  Pneumothorax  liinzutritt.  Anderseits  bemerkt 
man,  wenn  durch  Unterdrück  eine  Aufblähung  der  Lunge  her¬ 
vorgerufen  wird,  daß  dann  diese  Aufblähung  eineu  mächtigen  Reiz 
auf  das  Herz  ausübt.  Beim  Fortbestehen  des  Pneumothorax  da- 
gCigen  läßt  die  Herzkraft  allmählich  nach.  Es  wurden  nun  Ver¬ 
suche  angestellt,  um  festzustellen,  bei  welchem  Grade  von  Unter¬ 
drück  in  der  Pleura  die  Blutung  aus  den  Herz  wunden  sich  iu 
mäßigen  Grenzen  hält  und  zugleich  die  geringste  Schädigung 
des  Herzmuskels  erfolgt.  Es  zeigte  sich,  daß  das  Optimum  nachl 
beiden  Richtungen  bei  einem  Unterdmck  von  3  mm  Quecksilber 
liegt.  Bei  diesem  Unterdrück  ist  auch  die  Herzmuskulatur  schlaff 
und  die  Anlegung  der  Naht  gelingt  leichter,  als  wenn  die  Lunge 
voll  aufgebläht  ist.  Später  läßt  man  dann  einen  stärkeren  Grad 
von  Unterdrück  wirken  und  idie  Herzkraft  erhält  dadurch  einen 
mächtigen  Impuls. 

Der  Pneumothorax  könne  auch  noch  andere  Folgen  haben, 
nämlich  die  Infektion  der  Pleurahöhle.  Die  Experimente  haben 
Sauerbruch  nun  gelehrt,  daß  bei  dem  Arbeiten  unter  Unter¬ 
drück  die  Infektionsgefahr  vermindert  sei. 

Endlich  könne  er  bestätigen,  daß,  die  Kompression  der  Cavae 
einen  eklatanten  Erfolg  auf  die  Blutung  habe,  die  sehr  wesen't- 
lich  durch  dieses  Manöver  verringert  würde.  Die  Tiere  hatten 
eine  solche  Kompression  bis  zehn  Älinuten  vertragen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Medizinischer  Verein  in  Greifswald. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1907. 

Vorsitzender;  Bleib  treu. 

Schriftführer :  J  u  n  g. 

Haecker  berichtet  über  einen  Fall  von  Fremdkörper 
im  Oesophagus.  Es  war  ein  Gebiß  mit  zwei  Zähnen  verschluckt 
worden  und  steckte  im  ganzen  vier  Monate  im  Oesophagus,  mit 
langsam  zunehmenden  Schluckheschwerden.  In  der  Höhe  der 
Kreuzung  des  Oesophagus  und  des  linken  Bronchus  war  bereits 
Perforation  und  Kommunikation  mit  dem  Bronchus  eingetreten. 
Extraktion  mit  Oesophagoskop  gelang  nicht,  es  wurde  deshalb 
Oesophagotomia  externa  zur  Heilung  der  Bronchialfistel  und 
Gastrostomie  ausgeführt,  worauf  erstere  rasch  heilte.  Baldige 
IN'  i  e  derhe  rs  tel  1  un  g . 

Diskussion:  Friedrich  gibt  im  Anschluß  an  diese 
Demonstration  einen  Ueberhlick  über  Oesophago-Trachealfisteln, 
erklärt  den  Nutzen  der  direkten  Ernährung  durch  Magenfistel 
und  zieht  zum  Vergleiche  andere  in  Heilung  ausgegangene  Beob¬ 
achtungen  der  Greifswalder  Klinik  heran. 

Peter  zeigt  isolierte  Harnkanälchen  von  Mensch 
und  Vlaus,  teils  vollständig,  teils  auf  große  Strecken  hin  erhalten. 
Die  Präparate  zeigen  Form  und  Verlauf  der  einzelnen  Abteilungen, 
insbesondere,  daß  entgegen  den  Angaben  von  Stoerk,  der  dünne 
Schenkel  der  Henl eschen  Schleife  der  absteigende,  der  dicke 
der  aufsteigende  ist,  wie  frühere  Beobachter  beschrieben  haben. 

Friedrich  zeigt:  1.  Mehrere  Fälle  von  schweren  Stück- 
b r ii c h V e r  1  e t z u n g e n  an  den  Gelenken  der  oberen  Ex¬ 
tremität  und  erörtert  die  Indikationen  für  blutiges  Vorgehen, 
für  Knochennaht  und  operative  Nearthrosenbildung. 

2.  Schildert  Friedrich  sein  Vorgehen  bei  ausgedehnter 
Osteoplastik  mit  totem  Knochen  bei  großen  Operations-, 
Diaphysen-  und  Symphysendefekten,  wie  sie  bei  Entfernung  von  Tu¬ 
moren  entstehen.  Er  betont  den  Vorteil  dieser  „inneren  Schienung“ 
für  die  bestmögliche  Funktionserhaltung  der  betreffenden  Glied¬ 
maßen  und  demonstriert  an  einem  Patienten  den  Nutzen  dieser 
Methode  für  die  Richtung  neuer  Knochenbildung  von  dem  zurück¬ 
gebliebenen  Periost  aus. 

Hoennicke:  Demonstration  experimentell  er¬ 
zeugter  Mißbildungen. 

Hoennicke  hat  auf  Grund  einer  großen  Reihe  experi¬ 
menteller  Untersuchungen  die  Ueberzeugung  gewonnen,  daß  die 
Rachitis  eine  auf  Insuffizienz  der  Schilddrüse  be¬ 
ruhende  Entwicklungshemmung  is t.  Er  hat  dann  ver¬ 
sucht,  durch  Einverleibung  von  Giften  in  schwangere  Kaninchen 
experimentell  solche  Hemmungsbildungen  zu  erzielen.  xMs  Gift 
wurde  meist  Alkohol  gewählt,  doch  ist  jedes  andere  Eiweißgift 
diesem  prinzipiell  gleich,  es  kommt  nur  auf  die  Schädigung  der 
Eiweiße  an  sich,  nicht  auf  das  betreffende  Gift  selbst  an. 


Hoennicke  hat  u.  a.  Mangel  der  Schneidezähne,  Gaumen¬ 
spalten,  Mangel  von  Zeheft,  Stellungsanomalien  der  Schneide¬ 
zähne,  Agenesie  einer  Niere,  Kolobom  der  Milz,  Cataracta  con¬ 
genita  beobachtet.  Irgendwelche  Anhaltspunkte  für  '  mecha¬ 
nische  Ursachen  dieser  Mißbildungen  waren  nicht  aufzufinden. 
(Die  sehr  interessanten  Untersuchungen  Hoennickes  eignen  sich 
nicht  zu  einem  kurzen  Referat.) 

Sitzung  vom  2.  Februar  1907. 

Vorsitzender:  Dr.  Bleib  treu. 

Schriftführer:  Dr.  Jung. 

V.  Voss:  Ueher  die  Hypnose  in  der  allgemeinen 
Praxis  (mit  Demonstrationen).  Nach  einer  kurzen  Uebersicht 
über  die  Entwicklung  der  Hypnose  definiert  Vortr.  diese  als 
schlaf  ähnlichen  Zustand  verminderten  Bewußt¬ 
seins,  in  dem  die  kritiklose  Annahme  gewisser  Vor¬ 
stellungen  erleichtert  ist.  Es  werden  die  charakteristi¬ 
schen  Symptome  an  einer  Patientin  demonstriert.  Für  die  Therapie 
kommt  nur  die  oberflächliche  Hypnose  in  Betracht.  Als  In¬ 
dikationen  sind  Schlaflosigkeit,  Enuresis,  Masturbation,  Asthma 
nervosum  und  Alkoholismus  hervorzuheben;  bei  Hysterie  da¬ 
gegen  bleiben  Erfolge  meist  aus. 

Die  Hypnose  ist  in  den  Händen  des  Arztes  ungefähr¬ 
lich  und  es  wäre  sehr  zu  wünschen,  'wenn  sie  mehr  zu  Heil¬ 
zwecken  geübt  würde,  da  sie  oft  Erfolge  zeitigt,  wo  jede  andere 
Therapie  versagt. 

Diskussion:  Friedrich  fragt,  ob  Vortr.  bei  hysteri¬ 
scher  Kontraktur  mit  Hypnose  Dauererfolge  erzielt  habe  und 
ob  dieses  einfache  Verfahren  des  Hypnotismus  auch  bei  Enuresis 
nocturna  dauernd  erfolgreich  sei.  ‘ 

V.  Voss  betont,  daß  die  Anwendung  der  Hypnose  l)ei  Fällen 
schwerer  Hysterie  und  zu  diesen  seien  die  Kontrakturen  wohl 
meist  zu  rechnen,  nicht  viel  Erfolg  verspreche. 

Hingegen  hat  er  bei  Enuresis  nocturna  in  einigen  Fällen 
Dauererfolge  erzielen  können. 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  12.  April  1907,  7  IJlir  at^endSy 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Professor  Chrobak  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Primarius  Dr.  Moszkowicz ;  Ersatz  des  Glutäus  durch  Sehnen¬ 
plastik. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Primarius  Dr.  Latzko. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  rechtzeltlgre  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  uocb  atii  Sltzuugfsabeiid  zu  übergeben. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  Pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Eschericli  Donnerstag  den  11.  April  1907,  um  7  Uhr 

abends,  statt. 

Vorsitz;  Dozent  Dr.  Zappcrt. 

Pr  ogramm: 

1.  Demonstrationen  angemeldet  Dr.  R.  Neurath :  Gleichzeitiges 
Vorkommen  von  Myxödem  und  Mongoloid. 

2.  Dr.  K.  Zuppinger:  Zur  Therapie  der  Larynxpapillome  im 
Kindesalter. 

Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  15.  April  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Hofrat  Prof.  Obersteiner  stattfindenden 
wissenschaftlichen  Versammlung. 

Doz.  Dr.  J.  A.  Hirschl :  Die  Behandlung  der  Epilepsie. 


V#rantwortUch«r  R#dakt«ur:  Adalbert  Karl  Trupp.  Vtriag  Ton  Wilhelm  Rraumäller  in  Wien. 

Draok  von  Bruno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  TberesiengasBe  3. 


r?—  ■  - . 

Die 

,,'Wleuer  kllulscbe 
WoctaeiiscUrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 

.  ^ 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H,  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrott  er  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


Redaktion: 

Telephon  Nr.  16.282. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Cf 

Aboiiiiemeutsprei.s 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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handlungen  und  Postämtern, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlang  übernommen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
als  erneuert. 


Inserate 

werden  mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
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zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebereinkommen. 

^  ^ 


Verlagshandlung: 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wiokenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang.  Wien.  18.  April  1907.  Nr.  16. 


IN  H  ALT: 


1.  Origmalartikel:  1.  Aus  der  II.  internen  Klinik  der  Bndapester 
königl.  Ungar.  Universität.  (Direktor:  Hofrat  Professor  Doktor 
Karl  V.  Ketiy.)  Die  Zersetzung  des  Wasserstoffsuperoxydes  durch 
das  Blut.  Von  Dr.  Zoitan  v.  Dalmady,  Badearzt  in  Tatrafiired, 
gew. Praktikant  der  Klinik  und  Dr.  Ärpäd  v.  Torday,  Assistent. 

2.  Ueber  die  Funktionsprüfung  des  Herzens  nach  Katzenstein 
und  über  die  dabei  beobachteten  Veränderungen  der  Puls¬ 
kurve.  Von  Priv.-Doz.  Dr.  W.  Janowski,  Piimararzt  iin 
„Kindlein  Jesu“-Hospital  in  Warschau. 

3.  Aus  der  Abteilung  für  Nerven-  und  Geisteskranke  des 
k.  u  k.  Garnisonsspitales  Nr.  1  in  Wien  (Chefarzt:  Stabsarzt 
Dr.  Bruno  Drastich.)  Zur  Epidemiologie  der  Tetanie.  Von 
Regimentsarzt  Dr  bJmil  M  a tt  a  u  s  c  h  e  k. 


4.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Prag.  (Vorstand :  Prof.  A.  Pick.) 
Zur  Frage  der  Abgrenzung  der  ideatorischen  Apraxie.  Von 
Dr.  Alexander  Margulies,  erstem  Assistenten  der  Klinik. 

11.  Referate:  ’AaxXrjraoj  xat,  ’AaxXTjrasta.  Von  A.  P.  Aravantinos. 
Ref. :  Max  N  e  u  b  u  r  g  e  r.  —  Ueber  die  Gehirne  von  Th.  Mommsen, 
R.  W.  Bunsen  und  Ad.  v.  Menzel.  Von  D.  v,  Hansemann. 
Ref. :  K  a  r  p  1  u  s. 

III.  Ans  yerschiedeueu  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

y.  Yerhandlnngeii  ärztlicher  Gesellschaften  nud  Eongreßberichte. 


Aus  der  II.  internen  Klinik  der  Budapester  königl.  ungar. 
Universität.  (Direktor  Hofrat  Professor  Dr.  Karl  v.  Kötly.) 

Die  Zersetzung  des  Wasserstoffsuperoxydes 

durch  das  Blut. 

Von  Dr.  Zoltäii  v.  Dalmady,  Badearzt  in  Tätrafüred  gew.  Praktikant 
der  Klinik  und  Dr.  Ärpäd  v.  Torday,  Assistent. 

Die  weisen  Alchymislen  des  Mittelalters  machten  die 
Nacht  zum  Tage,  um  mit  vielem  I^Teißo  und  unermüdlichem 
Kifer  das  ,, kalte  Feuer“  zu  entdecken,  in  welchem  trotz 
niederer  Temperatur  die  Materie  sich  verwandle;  docli 
fruchtlos  blieh  ihr  heißes  Bemühen,  kein  Erfolg  lohnte  ihre 
Bestrebungen,  denn  in  weiter  Ferne  suchten  sie  nach  der 
wundertätigen  Kraft,  dabei  das  am  nächsten  Liegende  über¬ 
gehend. 

Denn  cs  gibt  ein  ,, kaltes  Feuer“!  Heimlich  glimmt 
es  im  lebenden  Organismus  und  Heraklil  hatte  wahrlidi 
recht,  als  er  behauptete,  das  Leben  und  das  Feuer  seien 
Blutsverwandte  —  Geschwister! 

Tatsache  ist,  daß  wir,  die  Verwandlung  der  verschie¬ 
denen  Stoffe  während  des  Stoffwechselprozesses  bcobacli- 
tend,  solche  finden  werden,  die  außerhalb  des  Organismus 
keine  Oxygenverhindungen  oingehen,  im  Organismus  selbst 
jedoch  verbrennen,  leiclit,  ohne  jedes  Hindernis,  bei  niederer 
Temperatur!  Hier  alsO'  —  in  jeder  einzelnen  Zelle  jener 
Milliarden,  die  den  Organismus  bilden  und  deren  Funk¬ 
tionen  ihn  erhalten  —  hier  ist  das  ,, kalte  Feuer“  zu  suchen! 
So  könnten  wir  nämlich  mit  einem  gemeinsamen  Namen 


die  oxydierenden  Fermente  neimen,  die  es  verursachen,  daß 
im  lebenden  Organismus  eine  Menge  solcher  Stoffe,  die 
an  der  freien  Luft  erst  bei  höherer  Temperatur  verbrennen, 
im  Organismus  selbst  bei  der  dem  betreffenden  Organismus 
eigenen  Temperatur  oxydiert  werden.  Diese  so  große  biolo¬ 
gische  Wichtigkeit  der  Fermente  ist  wohl  genügende  Ver¬ 
anlassung,  daß  man  selbe  kennen  zu  lernen  versuche  und 
sich  mit  ihren  Funktionen  eingehend  befasse. 

Die  Fermente  sind  es,  die  das  ans  der  Luft  in  den 
Organismus  gelangende  Oxygen  aklivieren,  sie  sind  also  die 
Organe  der  inneren,  der  Zellenatmung.  Die  Oxydierungs- 
tähigkeit  des  ans  dem  Hämoglobin  sich  ausscheidenden 
Oxygens  ist  nicht  größer  als  die  des  in  der  atmosphärischen 
Luft  enlhaltenen,  wie  dies  Hoppe-Seylcr  schon  im  Jahre 
1866  bewies ;  daß  aber  im  Organismus  dennoch  eine  er¬ 
höhte  Oxydation  vor  sich  geht,  kann  man  einzig  und  allein 
nur  so  erklären,  wenn  man  dieses  Plus  den  Fermenten  zn- 
schreibt  (C 1  a.  u  d  e  -  B  o  r  n  a  r  d). 

'Schon  lange  hatte  man  Beweise  dafür,  daß  einzelne 
Teile  eines  tierischen  Organismus  oder  ans  denselben  her- 
gestellte  Extrakte  itie  Fähigkeit  besitzen,  verschiedene  Stoffe 
zu  oxydieren. 

Schon  im  J,ahre  1819  fiel  es  Taddey  auf,  daß,  wenn 
er  gewisse  Ptlanzenstjoffe  auf  Guajaklinkt.nr  einwirken  ließ, 
selbe  sich  blau  färbte  und  ein  Jahr  darauf  —  1820  — 
machte  Planche  eine  ganze  Serie  von  Versuchen,  um  dieser 
Erscheinung  auf  den  Grund  zu  kommen;  im  Verlaufe  dieser 
Untersuchnngen  stellte  es  sich  niin  heraus,  daß  das  eigent¬ 
liche  Agens  thermolabil  sei. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  16 


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Schüiibein  war  derjenige,  der  die  katalytische  Natur 
dieses  Vorganges  erkannte  und  es  als  erster  versuchte,  für 
die  geradezu  wundersame  Oxydierungsfähigkeit  des  Orga¬ 
nismus  eine  wissenschaftliche  Erklärung  zu  gehen. 

Seither  bildete  diese  unergründliche  Funktion  des 
lebenden  Organismus  den  Gegenstand  eindringlichster  Stu¬ 
dien  ;  die  vorzüglichsten  Autoren  versuchten  es  damit,  und 
wenn  wir  die  wohl  nach  Tausenden  zählenden,  veröffent¬ 
lichten  Daten  aneinanderreihen,  sO'  müssen  wir  am  Ende 
zu  der  Erkenntnis  dessen  gelangen,  daß  wir  noch  sehr, 
sehr  weit  davon  entfernt  sind,  die  Wafirheit  zu  wissen ! 
Erst  neuestens  beginnt  sich  eine  bestimmte  Richtung  in 
der  Auffassung  dieser  vielen,  oft  ganz  verschiedenen  Mit¬ 
teilungen  geltend  zu  machen. 

Bestimmt  ist,  daß  die  Fähigkeit  des  Organismus,  so 
energisch  zu  oxydieren,  an  das  Vorhandensein  gewisser, 
voneinander  verschiedener  Stoffe  gebunden  ist,  deren  einige 
katalytisch  wirken  und  der  heute  maßgebenden  Anschauung 
gemäß  zu  den  Fermenten  gehören;  obzwar  die  Einflüsse, 
die  diese  verschiedenen  Stoffe  auf  die  Lehensfunktion  des 
Organismus  ausühen,  selbstredend  verschiedene  sind,  so 
bilden  sie  in  ihrer  Gresamtheit  dennoch  ein  einheitliches 
System. 

Auf  Grund  von  in  vdtro  durchgeführten  Versuchen 
fand  man  es  für  angezeigt,  diese  Stoffe  in  drei  Gruppen  zu 
scheiden : 

1.  Solche  Stoffe,  die  mit  aus  der  Luft  oder  aus  Hämo¬ 
globin  stammendem,  molekularen  Oxygen  Verbindungen  ein- 
gehen  und  eventuell  die  Oxydation  eines  mit  ihnen  verbun¬ 
denen  Stoffes,  der  sonst  niclit  oder  nur  schwer  oxydiert  wird, 
befördern.  Dies  wären  die  Oxy genasen  (Bach  und 
Chodat),  chemische,  thermolabile  Verbindungen  von  bis¬ 
her  unhekannter  Zusammensetzung,  von  denen  wir  bloß 
wissen,  daß  sie  autoxydabel,  d.  h.  ungesättigt  sind  und 
sich  mit  einem  Atompaar  Oxygen  zu  einer  superoxydartigen 
Verbindung  vereinigen  und  als  solche  sodann  ihr  Oxygen 
oder  wenigstens  einen  Teil  desselben  an  andere  Stoffe,  auf  die 
inerten,  geschlossenen  Oxygenmoleküle,  wirkungslos  bleiben, 
leicht  abgeben.  Nach  der  Nomenklatur  von  En  gl  er  und 
Weißberg  und  der  anderer  Autoren  hieße  der  Oxygen- 
atompaare  bindende  Stoff  Oxydase  und  der  infolge  dieser 
Verbindung  entstehende  Moloxyd  oder  Superoxydase. 

iZweifelsohne  ist  ihre  oxydierende  Wirkung  im  Orga¬ 
nismus  von  großer  Wichtigkeit;  ihre  Tätigkeit  könnte  man 
Autoxydation  oder  Autoxykatalyse  nennen. 

2.  Stoffe,  die,  auf  Superoxyde  einwirkend,'  Oxygen 
aktivieren;  dies  wären  die  Peroxydasen,  welche  fähig 
wären,  die  energischesten  Oxydationen  heiworzurufen.  Sie 
wirken  auf  die  aus  den  autoxydabilen  Stoffen  entstandenen 
superoxydartigen  Verbindungen  und  auf  .die  im  Organismus 
selbst  sich  bildenden  Superoxyde,  aktivieren  Oxygen  aus 
denselben,  welches  sodann  geeignet  ist,  sonst  sehr  schwer 
zu  verändernde  Stoffe  zu  oxydieren. 

Höchstwahrscheinlich  gehören  in  diese  Gruppe  haupt¬ 
sächlich  katalytisch  wirkende  Stoffe,  wirkliche  Fermente. 

3.  Ein  Stoff,  welcher  das  Wasserstoffhyperoxyd  zer¬ 
setzt,  welches  bei  dieser  Gelegenheit  inertes,  molekulares 
Oxygen  produziert.  Dies  wäre  die  Katalase  (Loew), 
allem  Anschein  nach  ebenfalls  ein  Ferment. 

Ferner  existieren  bisher  nur  sehr  wenig  bekannte  und 
bezüglich  ihrer  Eigenschaften  noch  sehr  wenig  erforschte 
Stoffe,  eventuell  Fermente,  die,  indem  sie  ein  einfaches 
Oxyd  reduzieren.  Oxygen  aufnehmen,  um  selbes  an  eine 
sonst  schwer  oxydierende,  chemische  Verbindung  abzu¬ 
geben.  Dies  wären  die  Oxy doreduktasen  (Abelous 
und  Aloy). 

Schließlich  wären  noch  Stoffe  vorhanden,  deren  be- 
slimmte  Aufgabe  darin  bestünde,  zu  reduzieren;  einen  Teil 
derselben  bildeten  gleichfalls  Fermente.  Dies  wären  die  Re¬ 
duktasen  (Prototypen:  Philothion  Bey-Paihade).  Nach¬ 
dem  aber  speziell  die  in  diese  Gruppe  gehörigen  Stoffe 
kaum  bekannt  sind,  so  wollen  wir  uns  diesmal  mit  ihren 
Funktionen  nicht  befassen. 


Einzig  und  allein  jenen  Stoffen,  denen  bei  der  Oxy¬ 
dation  irgendeine  Rolle  zufällt,  wollen  wir  im  weiteren 
unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden  und  den  Verlauf  der  Oxy¬ 
dation  —  gestützt  auf  die  in  der  Literatur  vorhandenen 
Daten  —  in  folgendem  .zusammenfassen: 

Das  inerte,  molekulare  Oxygen  nimmt  die  autoxy- 
dahlen  Stoffe,  die  Oxy  genasen  auf,  indem  sie  zu  Super¬ 
oxyden  werden  (Moloxyd);  manche  von  ihnen  übertragen 
ihr  Oxygen  eventuell  .auf  oxydierbare  Stoffe,  so  als  Autoxy- 
katalysator  wirkend;  treten  dann  solche  superoxydartige 
Verbindungen  mit  Wasser  in  Berührung,  so  kann  es  zur 
Wasserstoffhyperoxydbildung  kommen. 

Die  Peroxydase  wieder  wirkt  katalytisch  auf  die 
aus  den  autoxydablen  Stoffen  entstandenen  Superoxyde 
(Oxygenase)  und  auf  das  Wasserstoffhyperoxyd  und  zwar 
in  der  Weise,  daß  sie  ein  sogenanntes  aktives,  sehr  intensiv 
oxydierendes  Oxygen  von  ihnen  löst. 

Die  Katalase  schließlich  zersetzt  das  aus  Super¬ 
oxyden  und  Wasser  oder  unter  der  Einwirkung  von  reak¬ 
tionsfähigem  Hydrogen  entstandene  Wasserstoffliyperoxyd 
und  macht  wieder  frei  in  dieser  Art  jenes  Oxygen,  das  zu 
den  früher  erwähnten  Vorgängen  ‘notwendig  ist;  von  ihrer 
sonstigen  Bestimmung  soll  später  die  Bede  sein. 

Deutlicher  denn  alle  Beschreibung  mag  vielleicht  das 
folgende  Schema  den  eigentlichen  Sachverhalt  erklären: 


Es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  obige  Skizze  nicht 
Anspruch  darauf  erheben  kann,  ein  Bild  sämtlicher  Oxy¬ 
dationsvorgänge  zu  geben,  schon  deslialb  nicht,  weil  ja  das 
molekulare  Oxygen,  das  Wasserstoffhyperoxyd  und  das  unter 
dem  Einfluß  der  Katalase  entstehende  Oxygen  in  statu 
nascendi  viele  und  wichtige  Verbindungen  im  Organis¬ 
mus  eingehen.  Ueberdies  ist  es  höchstwahrscheinlich,  daß 
es  mehrere  Arten  von  Oxygenase  und  Peroxydase  gibt,  deren 
Oxydierungsfähigkeiten  von  verschiedenem  Werte  sind  und 
ebensowenig  wie  irgendeine  bestimmte  Peroxydase  auf  jedes 
beliebige  Superoxyd  wirkt,  wird  eine  gewisse  Peroxydase 
und  Oxygenasekombination  oder  die  eines  anderen  Super¬ 
oxydes  eine  beliebige  Oxydation  hervorrufen  können.  Oft 
stehen  wir  der  überraschenden  Tatsache  gegenüber,  daß 
die  oxydierenden  Fermente  irgendeines  Tier-  oder  Pflanzcn- 
surrogates  an  schwerer  oxydierbare  Stoffe  ihr  Oxygen  rasch 
abgeben  und  auf  solche,  die  vom  theoretischen  und  tech¬ 
nischen  Standpunkt  aus  als  leichter  oxydierbar  gelten,  ab¬ 
solut  wirkungslos  bleiben. 

yjir  sind  eben  noch  sehr  weit  davon  entfernt,  jene 
Affinitäten  zu  kennen,  denen  bei  der  fermentativen  Oxyda¬ 
tion  wahrscheinlich  die  Hauptrolle  zufällt,  insbesondere,  da 
uns  weder  die  einzelnen  oxydierenden  Fermente,  noch  jene 
Stoffe  näher  bekannt  sind,  die  im  lebenden  Organismus 
einander  beeinflussen. 

Diese  Erklärung  der  obenerwähnten  Vorgänge  und  das 
skizzierte  System  weichen  etwas  von  der  heute  noch  sehr 
verbreiteten  und  allgemein  anerkannten  älteren  Auffassung 
ab,  in  derem  Sinne  drei  Gruppen  von  oxydierenden  Fer¬ 
menten  zu  unterscheiden  wären: 

1.  Stoffe,  welche  das  molekulare  Oxygen  aktivieren. 
(Oxydase  nach  Linossier,  «-Oxydase  nach  Grüß,  direkte 
Oxydase  nach  Abelous  und  Biarnes,  Aerooxydise  nach 
B  ou  rquelo  t.)  Als  charakteristisches  Merkmal  galt  ihre 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Fähigkeit,  Guajakliiiktur  ohne 
lärben. 


Hilfe  anderer  Stoffe  blau  zu 


2.  Fermente,  die  nur  im  Beisein  eines  Superoxydes  eine 
Oxydation  hervorzurufen  imstande  sind,  also  die  Guajak- 
tinktur  nur  unter  Hinzufügung  von  Wasserstoffhyperoxyd, 
aktivem  Terpentinöl  oder  ähnlichen  Stoffen  blau  färben 
können.  Diese  würden  am  ehesten  unserem  Begriff  von  Per¬ 
oxydase  entsprechen.  (Peroxydase  nach  Linossier,  Bach 
und  Chodat,  Anaerooxydase  nach  Bourquelot,  ß-Oxy- 
dase  nach  Grüßi,  indirekt  Oxydase  nach  Abebous  und 
Biarnes,  Translator  nach  En  gl  er  und  Weiß  b  erg,  Lep- 
tomin  nach  Raciborski.) 

3.  Die  Katalase. 

Der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Auffassungen 
liegt  ihauptsächlich' in  der  Erklärung  der  sogenannten  direkten 
Oxydation.  Wenn  nämlich  animalische  oder  vegetabilische 
Surrogate  selbständig  ohne  jedes  Superoxyd  gewisse  Oxyda¬ 
tionen  (Quajakonsäure,  Pyrogallol,  Hydrochinon  usw.)  her¬ 
vorriefen,  so  scthrieb  man  dies  der  Funktion  eines  speziellen 
Fermentes  zu. 

Bach  und  Chodat  und  von  diesen  unabhängig  Bour¬ 
quelot  und  Marchadier  bewiesen,  daß  diese  Erklärung 
irrig  sei,  da  in  Fällen  wo  nach  der  älteren  Auffassung  die 
„Oxydase“  das  molekuläre  Oxygen  der  Luft  aktiviere,  es 
sich  eigentlich  um  eine  Peroxydasewirkung  handle,  bei;  der 
das  aktive  Oxygen  den  durch  Autoxydation  zu  Superoxyden 
gewordenen,  in  dem  Surrogate  selbst  vorfindlichen  Stoffen 
entzogen  würde.  Die  oxydierenden  Fermente  wirken  also 
stets  auf  Superoxyde  —  wirkliche  Oxydasen  gäbe  es  dem¬ 
nach  nicht. 

Es  ist  jedoch  nicht  ausgeschlossen  —  wie  wir  dies 
in  unserem  Sdhema  veranschaulichten  —  daß  die  Oxyge- 
nasen  selbst  sich  zu  gewissen  Oxydationen  eignen;  even¬ 
tuell  auf  katalytischem  Wege.  Kastle  und  Loevenhart 
bezweifeln  zwar,  und  mit  vollem  Rechte,  die  fermentative 
Natur  der  Oxygenasen,  doch  ist  es  unserer  Ansicht  nach 
widersinnig  zu  behaupten,  daß  unter  denselben  einer 
Autoxykatalyse  fähige  Stoffe  nicht  vorhanden  sein  könnten. 

Für  uns  speziell  ist  die  genaue  Kenntnis  dieser  oxy¬ 
dierenden  Fennente  wichtig,  weil  wir  nur  auf  dieser  Basis 
an  das  Studium  der  den  eigentlichen  Gegenstand  unsereß 
Arbeit  bildenden  Katalase  schreiten  können. 

Scihönbein  erkannte  im  Jahre  1803,  daß  aus  Teilen 
von  Tieren  oder  Pflanzen  hergestellte  Extrakte  Wassers  to  ff- 
hyperoxyd  zerlegen  und  daß  die  hier  tätigen  Stoffe  therhio- 
labil  sind.  Das  Ganze  wäre  als  katalytischer  Vorgang  zu 
betrachten,  den  Cyanwasserstoff  hindere,  und  ein  Ueber- 
schuß  von  Wasserstoffhyperoxyd  von  störendem  Einfluß 
sei.  Seither  zeigten  die  Untersuchungen,  daß  jede  Zelle 
einen  Wasserstoffhyperoxyd  zersetzenden  Stoff  enthalte, 
weshalb  auch  jeder  animalischen  und  vegetabilischen  Sub¬ 
stanz  und  jedem  .Fermente  diese  Fähigkeit  eigen  ist;  auch 
S  ch  ö  n  1j  e  i  n  betrachtete  sie  noch  als  eine  allgemeine  Enzym- 
realition. 

Fi  echter  lenkt  die  Aufmerksamkeit  schon  im  Jahre 
1872  auf  jenen  Umstand,  daß  Cyanwasserstoff  die  Fähigkeit 
der  Fermente,  Wasserstoffhyperoxyd  zu  zersetzen,  viel  stärker 
beeinflusse  als  die  spezifische  Tätigkeit  und  Eigenschaften 
derselben.  Jakobson  bewies  hierauf  im  Jahre  1892,  daß  die 
spezifische  Tätigkeit  eines  Fermentes  unabhängig  sei  von 
jenem  Einflüsse,  den  es  auf  die  Zersetzung  des  Wasserstoff¬ 
hyperoxydes  übe,  ja  daß  es  erstere  einstellen  könne,  ohne 
dabei  seine  Wirkung  auf  das  Wasserstoffhyperoxyd  einzu¬ 
büßen.  Die  katalysierende  Wirkung  glaubt  er  jenen  fremden 
Stoffen,  die  den  Fermenten  stets  beigemengt  sind,  zu¬ 
schreiben  zu  können. 

Lepinois,  der  verschiedene  Versuche  mit  Extrakten 
einzelner  Organe  machte,  sprach  im  Jahre  1899  die  Ansicht 
aus,  daß  in  solchen  Extrakten  mindestens  zwei  Fermente 
enthalten  sein  müssen,  die  auf  das  Wasserstoffhyperoxyd 
eirfwirken,  von  denen  das  eine  einfach  katalytisch,  das 
ar'd6re  hingegen  —  mit  Hilfe  des  aus  dem  Wasserstoffhyper¬ 
oxyd  gewonnenen  Oxygen  —  intensiv  oxydierend  wirke. 


Im  Jahre  IGOO  weist  Loew  zuerst  mit  Bestimmt¬ 
heit  auf  die  Existenz  eines  Fermentes  hin,  dessen  Aufgabe 
ausschließlich  die  Zersetzung  von  Wassers toffhyperoxyd  sei, 
bei  gleichzeitiger  Produktion  von  inertem  Oxygen  —  und 
dieses  Ferment  nannte  er:  Katalase. 

Im  folgenden  soll  bloß  von  den  Katalasen  des  mensch¬ 
lichen,  resp.  tierischen  Organismus  und  speziell  von  denen 
des  Blutes  die  Rede  sein. 

Das  Blut  zersetzt  das  Wasserstoffhyperoxyd  sehr  vehe¬ 
ment;  gibt  man  in  eine  Eprouvette  einige  Tropfen  ver¬ 
dünnten  Blutes  und  mengt  diesem  Wasserstolfhyperoxyd  bei, 
so  füllt  in  wenigen  Minuten  ein  dichter,  harter,  weißer 
Schaum  die  etwas  warm  gewordene  Eprouvette  —  die  Blut¬ 
lösung  selbst  verblaßt  gewöhnlich  wälirend  dieses  Prozesses. 
Die  Reaktion  ist  ungemein  empfindlich,  so  daß  Schilling 
sie  zu  klinischen  Zwecken  empfiehlt,  Richter  und  Pal¬ 
les  ke  hingegen  sie  in  den  Dienst  der  gerichtsärztlichen 
Wissenschaft  zu  stellen  wünschen.  Tatsache  ist,  daß  diese 
Reaktion  in  bezug  auf  die  Empfindlichkeit  weit  alle  ge¬ 
bräuchlichen  chemischen  Blutreaktionen  übertrifft,  doch  be¬ 
währt  sie  sich  in  der  Praxis  nicht,  weil  eine  Unzahl  ver¬ 
schiedener  Stoffe  nicht  nur  ebenfalls  Wasserstoffhyperoxyd 
katalysiert,  sondern  gerade  jene  Katalase  enthält,  der  auch 
das  Blut  diese  seine  Fähigkeit  verdankt;  sO'  daß  in  ernsten 
Fällen  diese  qualitative  Blutreaktion  nicht  anwendbar  ist. 
Auch  von  uns  wurden  Untersuchungen  angestellt,  um  den 
Wert  der  S chilli ngschen  Probe  zu  erforschen,  doch  zeigte 
sich  wiederholt,  daß  selbe  klinischen  Zwecken  absolut  nicht 
entspricht. 

Lange  Zeit  glaubte  man  die  Zersetzung  des  Wasser¬ 
stoffhyperoxyds  mit  Recht  dem  Hämoglobin  zuschreiben  zu 
können  u.  zw.  dem  darin  befindlichen  Eisen.  Trotzdem 
Kober t  und  Schmidt  schon  im  Jahre  1822  behaupteten, 
daß  Hämoglobin,  wiederholt  kristallisiert  und  gereinigt,  suk¬ 
zessive  seine  Fähigkeit,  Wasserstoffhyperoxyd  zu  zersetzen, 
verliert,  so  war  es  dennoch  erst  Bergen grüii  im  Jahre 
1888,  der  dem  Stroma  diese  Wirkung  zuschrieb  und  nicht 
dem  Hämoglobin;  auch  Cotton,  Ville  und  Moitessier 
(1901)  gelangten  zu  ähnlichen  Resultaten.  Kobert  junior 
fand,  daß  das  reine  Hämoglobin  nicht  katalysiere,  sondern 
im  Gegenteil  von  Wasserstoffhyperoxyd  zerstört  werde. 
Schließlich  erschien  S enters  Mitteilung,  der  1903  das  kata¬ 
lysierende  Ferment  des  Blutes  ,,rein“  herstellte  und  bewies, 
daß  das  Stroma  der  roten  Blutkörperchen  einzig  und  allein 
den  katalysierenden  Faktor  bilde. 

Die  spezielle  Wirkung  der  Katalase  ist  die  Zersetzung 
des  Wasserstoffhyperoxyds  und  zugleich  die  Ausscheidung 
eines  inerten  Oxygens  (O2).  Jedes  einzelne  Wort  dieser  De¬ 
finition  ist  von  Wichtigkeit  und  kann  eine  Außerachtlassung 
dieser  Begriffe  zu  sehr  traurigen  Irrtümern  oder  Mißver¬ 
ständnissen  führen. 

Die  Katalase  wirkt  ausschließlich  auf  das  Wasserstoff¬ 
superoxyd;  so  ist  sie  1  z.  B.  dem  Aethylhydroperoxyd 
(dem  einfachsten  Subslitutionsprodukt)  gegenüber  '  gänz¬ 
lich  indifferent  und  ebenso  Oxygenase  gegenüber,  die  ja 
im  Grunde  genommen  ebenfalls  als  Superoxyd  zu  betrachten 
ist:  dies  zeigten  Untersuchungen  von  Bach  und  Chodat. 

Diese  Umstände  verdienen  speziell  dann  besondere  Be¬ 
achtung,  wenn  wir  den  Unterschied  zwischen  Katalase  und 
Peroxydase  feststellen  wollen. 

Die  Katalase  scheidet  inertes  molekuläres  Oxygen  aus ; 
reine  Präparate  —  wie  z.  B.  Senters  Hämase  —  wnrken 
sehr  energisch  auf  Wasserstoffhyperoxyd,  ohne  eine  Blau¬ 
färbung  der  gleichzeitig  beigegebenen  Guajaktinktur  oder 
Entfärbung  von  Indigolösungen  hervorzurufen.  Solche  Oxy¬ 
dationen,  welche  durch  Oxygen  in  statu  nascendi  zustande 
kommen,  kann  auch  die  Katalase  verursachen,  jedoch  nur 
indirekt,  quasi  als  Nebenwirkung. 

Die  Katalase  ist  —  wie  wir  schon  betonten 
—  nur  in  Zellen,  und  zwar  in  jeder  Zelle  zu 
finden  und  deshallD  bedarf  es  keiner  weiteren  Er¬ 
klärung  jenes  Umstandes,  daß  in  Substanzen,  die  keine 
Zellen  enthalten,  auch  keine  Katalase  vorhanden  sein  kann; 


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CS  ist  daher  leicht  begreiflich,  weshalb  z.  B.  Blntsenim 
uhiie  Blulkürpercheii,  Exsudate  und  Transsudate,  Galle, 
Tränen,  Urin  usw.  nicht  katalysieren.  Früher  schrieb  man 
auch  der  Milch  katalylische  Fähigkeiten  zu,  doch  man 
vermutet,  daß  sie  ihre  Wirkung  auf  das  Wasserstoff- 
hyperoxyd  den  in  ihr  enthaltenen  Bakterien  verdanke 
(H  e  f  f  t e  r,  S  e  1  i  g  m  a  n  n). 

Jener  Umstand,  daß  man  in  allen  Lebewesen,  in  jeder 
animalischen  und  vegetabilischen  Zelle  auf  Katalase  stieß, 
spricht  dafür,  daß  dieses  Ferment  im  Chemismus  des  Lebens 
eine  bedeutende  Rolle  spiele ;  die  physiologische  Funktion 
desselben  ist  uns  wohl  noch  nicht  bekannt,  doch  können 
wir  durch  theoretische  Folgerungen  wenigstens  einiges  Licht 
auf  ihre  biologische  Aufgabe  werfen. 

Die  Katalase  hat  speziell  auf  das  Wasserstoffhyperoxyd 
Einfluß  u.  zw.  so,  daß  sie  inertes  Oxygen  aus  demselben 
scheidet.  Sie  selbst  scheint  demnach  nicht  oxydierend  zu 
wirken,  höchstens  indirekt,  durch  das  Oxygen  in  statu  nas- 
cendi.  Loew,  Bach  und  Chodat,  Kobert,  S enter  und 
andere  glaubten,  daß  die  Aufgabe  der  Katalase  darin  be¬ 
stehe,  das  im  Organismus  allem  Anschein  nach  fortwährend 
entstehende,  also  dort  unbedingt  vorhandene  Wasserstoff¬ 
hyperoxyd  zu  entfernen.  Bei  Autoxydationen,  die  im  Beisein 
von  Wasser  verlaufen  entsteht  fast  ausnahmslos  Wasser¬ 
stoffhyperoxyd,  doch  kann  anderseits  auch  zu  dieser  Reak¬ 
tion  geeigneter  Wasserstoff  die  Bildung  von  Wasserstoff¬ 
hyperoxyd  herbeiführen.  Im  lebenden  Organismus  ist  es 
sehr  schwer,  Wasserstoffhyperoxyd  zu  finden,  wenigstens 
führten  die  diesbezüglichen  Versuche  von  Pfeffer  und 
Bokorny  zu  keinem  positiven  Resultate;  anderseits  be¬ 
haupten  jedoch  Clairrnont,  Wurster,  Bach  und  Bau¬ 
mann  mit  Hilfe  sehr  empfindlicher  Reaktionen  dennoch 
die  Spur  von  Superoxyden  gefunden  zu  haben.  Bach  und 
Chodat  wiesen  sogar  auf  die  intrazelluläre  Entstehung  der 
Superoxyde  hin.  Auf  keinen  Fall  ist  ein  negatives  Resultat 
der  Versuche  ein  Beweis  gegen  die  Entstehung  von  Wasser- 
stotfhyperoxyd,  da  ein  rasches  Verschwinden  desselben  im 
Beisein  von  Katalase  nur  selbstverständlich  wäre. 

Das  Verschwinden  und  die  Zersetzung  des  im  Organis¬ 
mus,  resp.  in  der  Zelle  entstehenden  Wasserstoffhyperoxyds 
ist  von  Bedeutung.  Wir  teilen  die  Ansicht  jener,  die  aus  den 
nach  intravenöser  Anwendung  des  Wasserstoffhyperoxyds 
eintretenden  Vergiftungssymptomen  auf  die  Schädlichkeit 
desselben  schließen,  da  es  begreiflich  ist,  daß  auf  solchem 
Wege  in  den  Organismus  gelangtes  Wasserstoffhyperoxyd 
unter  der  Einwirkung  der  Katalase  leicht  Luftembolien  ver¬ 
ursachen  kann.  Anderseits  sind  wir  geneigt  anzuerkennen, 
daß  auch  das  i  n  t  r  a  z  e  1 1  u  1  ä  r  entstehende  Wassers toffhyper- 
oxyd  seine  schädlichen  Wirkungen  haben  kann.  Allenfalls 
wird  das  intrazellulär  entstehende  Wassersloffhyperoxyd 
andere  Einflüsse  ül)en,  als  das  die  Zelle  von  außen  an¬ 
greifende  ;  und  sehen  wir,  wie  in  einer  Zelle,  die  wir  in 
Wasserstoffhyperoxyd  von  ganz  geringer  Konzentration  pla¬ 
zieren,  eine  Plasmolyse  vor  sich  geht,  so  können  wir  uns 
der  Annahme,  daß.  ein  im  Inneren  der  Zelle  befindliches 
Wassersloffhyperoxyd  noch  irdensiver  wirken  wird,  kaum 
verschließen. 

Daraus,  daß  nach  Bach  und  Chodat  gewisse 
Schimmelarten,  z.  B.  die  Myzelien  der  Sterigmalocystis  nigra, 
auf  einem  1  "/eigen,  Wasserstoffhyperoxyd  enthaltenden  Nähr¬ 
boden  zugrunde  gehen  und  andere  wieder  in  einer  Wasser- 
stoffhyperoxydlösung  von  geringerer  Konzentration  als  l"/o, 
ohue  Plasmolyse  zu  erleiden,  existieren  können,  folgt  noch 
nicht,  daß  ein  im  Zelleniimern  entstehendes  Wasserstoff¬ 
hyperoxyd  von  viel  hundertmal  geringerer  Konzentration 
keine  Störungen  hervorzurufen  imstande  wäre.  Infusorien 
tötet  es  bereits  in  Verdünuungen  von  1 :  lO.OÜO  (Pauotli), 
Algen  sterben  in  l'Vooigen  Lösungen  ab  (Bokorny),  trotz¬ 
dem  in  diesen  Fällen  das  Wasserstoffhyperoxyd  nicht  intra¬ 
zellulären  Ursprunges  ist.  Bei  jenen  Versuchen,  die  Bod- 
länder  an  Fröschen  (Narkose  mit  l"/oiger  Lösung)  und 
Capranica  und  Colasauti  an  Hunden  (25  ciW  4"/oige 
Wasserstoffhyperoxyd-Lösung  führten  den  Tod  herbei) 


machten,  mag  —  unserer  Ansicht  nach  —  die  schädliche 
Wirkung  einer  anderen  Ursache  zuzuschreiben  sein. 

Das  Whisserstoffhyperoxyd  kann  seiner  jutensiven  Oxy- 
dierungs-  und  Reduktionsfähigkeit  halber  im  Protoplasma 
selbst  unberechenbare  Verwüstungen  anrichten  und  nur  allzu 
wahrscheinlicb  ist  es,  daß  es  in  gewisser  Konzentration 
das  Gleichgewicht  chemischer  üxydationsvorgäuge  schon 
merklich  stört,  ja  den  Vorgang  sogar  umkehren  kann,  wenn 
es  aus  dem  betreffenden  System  nicht  rechtzeitig  ausge¬ 
schieden  wird.  Ohne  uns  zu  einer  teleologischen  Auffassung 
zu  bekennen,  müssen  wir  jene  Tatsache,  daß  das  Proto¬ 
plasma  das  entstehende  Wassers toffhyperoxyd  sofort  in  statu 
nascendi  zersetzt,  als  zweckmäßige  Einrichtung  anerkennen. 

Das  WAsserstoffhyperoxyd  steht  unter  Einfluß  zweier 
Enzyme :  nämlich  der  Peroxydase  und  der  Katalase.  Nach 
der  Ansicht  von  Bach  und  Chodat  würde  die  Katalase  ihre 
Wirkung  auf  den  von  ^der  Peroxydase  verschont  gebliebenen 
Teil  des  Wasserstoffhyperoxyds  ausüben ;  vS  e  nte r  hingegen 
verleiht  jener  Anschauung  Ausdruck,  wonach  die  beiden 
Reaktionen  gleichzeitig  nebeneinander  vor  sich  gingen  und 
zwar  so,  daß  beide  im  Verhältnis  ihrer  Reaktionsgeschwindig¬ 
keiten  zur  Zersetzung  des  Wasserstoffhyperoxyds  beitrugen. 
Die  letztere  Auffassung  scheint  uns  plausibler,  wobei  wir 
hinzufügen  müssen,  daß  die  jeweilige  Reaktionsgeschwindig¬ 
keit  der  Peroxydase  unbedingt  davon  abhängt,  ob  und  wie¬ 
viel  oxydabile  Stoffe  sie  vorfindet  und  in  welcher  Konzen¬ 
tration  dieselben  sind.  Die  Zersetzung  des  Wasserstoffhyper¬ 
oxyds  durch  die  Katalase  birgt  einen  direkten  Nutzen  für 
den  Organismus,  resp.  für  die  einzelne  Zelle  in  sich:  erstens 
verschwindet  hiedurch  jener  Teil  des  W^asserstoffhyper- 
oxyds,  den  die  Peroxydase  nicht  verändern  konnte  und  der 
persistierend,  nicht  nur  überflüssig,  sondern  sogar  schäd¬ 
lich  würde,  —  zweitens  bleibt  dem  Organismus  das  frei 
werdende  Oxygen  erhalten,  indem  selbes  in  nützlicher,  un¬ 
schädlicher  Form  wieder  gebunden  ^wird  (Oxygenase,  Oxyda¬ 
tion,  Oxygen  in  statu  ,nascendi)  und  schließlich  kommt  es 
infolge  d'  r  exo thermischen  Reaktion, zu  bedeutender  Wärme- 
und  Energieproduktion  (H2O2ACIU  =  H2O  Acpi  +  0  +  231 K., 
J.  Thomsen). 

Die  Katalase  übt  ihren  Einfluß,  stets  im  Zellinnern 
aus;  dafür  spricht,  daß '  in  jeder  Zelle  sich  Katalase  findet 
nnd  daß  Katalase  nur  im  Zellinnern  aufznfinden  ist. 

Es  wäre  hieraus  zu  schließen,  was  aber  ein  großer 
Teil  der  Autoren  bestreitet,  daßi  die  Katalase  ausschließlich 
im  Dienste  jener  Zelle  stehe,  deren  Bestandteil  sie  bildet. 
Das  Weitere  wird  zeigen,  wie  wichtig  die  aus  dieser  Behaup¬ 
tung  sich  ergebenden  Schlußfolgerungen  sind. 

Wieviel  Dinge  auch  unter  physiologischen  Umständen 
die  Tätigkeit  der  Katalase  beeinflussen,  wurde  durch  Ver¬ 
suche  von  Battelli  und  Stern  klargelegt,  indem  sie 
zeigten,  daß  die  Katalasevvirkung  ein  ganzes  System  anderer 
Stoffe,  eventuell  Fermente  reguliert.  Es  exisliert  eine  Anli- 
katalase,  welche  die  Katalasewirkung  hemmt,  eine  Pliilo- 
katalase,  welche  den  Einfluß  der  Antikatalase  zunichte 
machen  kann,  indem  sie  die  durch  dieselbe  gebundene  Kata¬ 
lase  wieder  befreit  und  schließlich  ein  ,,Activeur  de  la  philo- 
katalase“,  welcher  die  Philokatalase  zu  potenzierter  Tätig¬ 
keit  anspornt. 

Ob  spätere  Resultate  diesen  , ähnliche  Besultate  zutage 
fördern  werden,  ob  die  Antikatalase,  die  Philokatalase  und 
deren  Aktiveur  tatsächlich  speziell  wirkende  Stoffe  seien, 
darüber  heute  zu  urteilen,  wäre  verfrüht,  doch  ist  anzu¬ 
nehmen,  daß  die  Antikatalase  sich  zum  Schlüsse  dennoch 
nur  als  irgendeine  Peroxydase  entpuppen  wird.  Noch  ist 
vorsichtshalber  bei  Versuchen  mit  (1er  Möglichkeit,  daß  die 
Katalasewirkung  beeinflussende  Stoffe  vorhanden  sein 
könnten,  stets  zu  rechnen. 

Die  Katalase  kennen  wir,  wie  eben  jedes  Ferment,  aus 
ihren  Wirkungen.  Die  qualibitive  Analyse  muß  sich  daher 
damit  hegnügen,  festzustellen,  daß  ein  die  Katalyse 
bewirkender  Stoff  ein  thennolahiler,  organischer  Stofl 
sei,  der  ausschließlich  nur  Wasserstoffhyperoxyd  kata¬ 
lysiert  und  hiebei  inertes  Oxygen  produziert.  Das  Resultat 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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dur  (luaiititaliveri  Analyse  hingegen  kann  beim  lieuligen 
Stande  der  Wissenscliaft  nur  ein  relatives  sein;  sie  gehl 
nändich  von  dem  Prinzip  ans,  daß  von  zwei  Stol'fen,  ceteris 
l)aril)ns,  immer  derjenige  wirksamer  sei,  der  ein  größeres 
(Jüan tum  Fermente  enthält. 

Der  Weg,  den  zu  vertolgen  zweckmäßig  wäre,  ist  durch 
die  spezifische  Tätigkeit  des  I'Annentes  gegeben:  ln  unserem 
Falle  würde  es  sich  also  um  die  Größe  der  Zersetzungsfähig- 
keit  des  Wasserstoffhyperoxyds  handeln,  die  so  zu  be¬ 
stimmen  wäre,  daß  wir,  die  Anfangskonzentration  dos 
Wasserstoffhyperoxyds  als  bekannt  annehmend,  entweder 
die  Fndkonzentration  oder  die  Menge  der  entstandenen  Pro¬ 
dukte  messen;  und,  vorausgesetzt,  daß  die  Anordtmng  des 
Experimentes  derart  getroffen  wurde,  daß  die  einzige  unab¬ 
hängige  Variable  die  Katalasekonzentration  sei,  so  können 
für  den  Vergleich  geeignete  Daten  gewonnen  werden. 

Doch  ist  die  technische  Durchführung  dieser  Unter- 
siicdnnigen  lange  nicht  so  einfach. 

Wir  haben  die  gegenseitige  Wirkung  von  so  labilen, 
leicht  zerfallenden,  variierend  konzentrierten  und  nicht 
reinen  Stoffen  zu  beobachten,  daß  die  gewonnenen  Resultate 
vom  ahsoluten  Standpunkt  betrachtet  eigentlich  wertlos  ge¬ 
nannt  werden  können. 

Das  Wasserstoffhyperoxyd  ist  unendlich  leicht  zer¬ 
setzt,  von  selbst  zerfällt  es  leicht  auf  H2O  +  O,  das  Sonnen- 
licbl,  die  Wand  des  Glasgefäßes,  in  dem  es  sich  befindet, 
das  Rütteln  usw.,  kafalysieren  es;  eine  ganze  Reihe  der 
verschiedensten  Stoffe  zerlegt  es  energisch  und  rasch,  und 
man  kann  niemals  wissen,  ob  jene  Fermentlösung,  mit  der 
wir  arbeiten,  nicht  den  einen  oder  den  anderen  dieser 
Stoffe  enthält  und  so  wie  jedes  Ferment  die  Gegenwart 
fremder  Stoffe  fühlt,  so  ist  auch  die  Katalase  solchen  gegen¬ 
über  außerordentlich  empfindlich;  Säuren,  Rasen,  Alkalien, 
oxydierende  und  reduzierende  Stoffe,  all  diese  können  ihre 
Tätigkeit  beeinflussen,  und  daß  solche  Stoffe  in  jenen,  den 
Gegenstand  der  Untersuchung  bildenden  animalischen  Or¬ 
ganen  und  Surrogaten  vorhanden  sind,  das  haben  Rattelli 
und  Stern  zur  Genüge  bewiesen.  All  dies  zeigt,  mit  welchem 
Vorbehalt  Vergleiche  zwischen  Untersuchungsresultaten  an- 
_zustellen  sind,  wenn  selbe  von  verschiedenen  Individuen/ 
oder  von  verschiedenen  Organen  eines  und  desselben  Indivi- 
fluums  stammen. 

Die  Methodik  selbst  kann  sehr  verschieden  sein. 
Wir  können  die  Wassers toffhy peroxydmenge,  welche  nach 
einer  eine  bestimmte  Zeit  lang  währenden  Einwirkung  unzer- 
setzt  hleibt,  entweder  auf  chemischem  oder  auf  physikali¬ 
schem  Wege  messen:  Wir  bestimmen  das  Quantum  des 
produzierten  Oxygens  u.  zw.  mit  einem  Manometer  oder 
mit  einem  Eudiometer.  Die  genaueste  Methode  ist  bis  jetzt 
unbedingt  die  mit  dem  von  Lieb  erma  nn  konstruierten 
Manometer  durchzuführende. 

Daß  wir  dieses  Instrument  nicht  benützten,  hat  seine 
Ursache  darin,  daß  dessen  Eeschreilning  zur  Zeit,  als  wir 
unsere  Untersuchungen  machten,  noch  nicht  publiziert  war, 
doch  hätten  wir  auch  sonst  von  seiner  Anwendung  abge¬ 
sehen,  da  wir  uns  der  im  Laboratorium  zur  Verfügung 
stehenden  Instrumente  bedienen  wollten,  schon  aus  dem 
Grunde,  um  zwischen  den  von  uns  erlangten  Resultaten 
und  solchen,  die  anderweitig  mit  ähnlichen  Hilfsmitteln  er¬ 
reicht  wurden,  Vergleiche  anstellen  zu  können. 

Die  titrimetrische  Bestimmung  des  Wasserstoffhyper- 
oxycls  kann  durch  Reduktion  voi\Kaliumhypermanganat  oder 
durch  Zersetzung  von  .lodalkalien  erfolgen. 

Bei  Anwendung  einer  oder  der  anderen  dieser  Me¬ 
thoden  war  das  Resultat  stets  folgendes: 

Verschiedene  Zellen  besitzen  verschiedenen  Katalase¬ 
gehalt.  Boi  den  meisten  Tieren  —  Ausnahmen  bilden  Hasen 
und  Schlangen  —  ist  es  die  Leber,  die  am  meisten  davon 
enthält.  Von  starker  katalytischer  Wirkung  sind  Fett-  und 
Speckextrakte,  schwächer  wirken  Nieren,  Blut,  Herz,  Lunge, 
am  schwächsten  Milz,  Muskeln,  Hirnsubstanz.  Doch  erhalten 
wir  verschiedene  Werte,  für  den  Katalasegehalt  eines  be¬ 
stimmten  Organes,  wenn  wir..es  aus  verschiedenen  Gattungen 


aiigehörcnden  Tieren  nehmen;  so  katalysieren  Surrogate 
für  Organe  von  Säugetieren,  resp.  warmblütigen  Tieren 
relativ  stärker,  als  solche  für  Fische,  Reptilien,  Amphibien. 
Doch  bildet  Schlangenblut  eine  Ausnahme,  indem  es  stärker 
katalysiert. 

Battelli  und  Sterns  Versuche  zeigten,  daß  embryo¬ 
nale  Organe  oder  solche  von  Neugeborenen  weniger  Katalase 
enthalten,  als  die  des  Erwachsenen,  doch  wächst  der  Kata¬ 
lasegehalt  nach  der  Geburt  sO'  rapid,  daß  er  nach  einigen 
Tagen  den  normalen  Verhältnissen  entspricht.  Ein  Aus¬ 
hungern  ändert  nichts  oder  wenigstens  nicht  bed'eutend  an 
dem  bestehenden  Katalasegehalt,  ebensowenig  als  eine  akute 
Phosphorvergiftung.  Jo  lies  bewies,  daß  Kohlenoxyd  und 
Kohlendioxyd  den  Einfluß  der  Katalase  nicht  vermindern, 
wohl  aber  Säurevergiftungen  (z.  B.  Salzsäureinjektion  in 
die  Bauchhöhle). 

All  diese  Daten  beweisen  aber  nur,  daß  die  Fähigkeit 
der  Organe  und  deren  Extrakte,  Wasserstoffhyperoxyd  zu 
zerlegen,  meßbar  ist  und  daß  die  gewonnenen  Resultate  den 
Gegenstand  von  Vergleichen  bilden  können;  sie  liefern  da¬ 
gegen  keinen  Beweis  für  ein  ähnliches  Verhalten  der  Quan¬ 
tität  der  Katalase. 

Es  gehört  nicht  immer  zu  den  leichtesten  Aufgaben,  die 
das  Untersuchungsresultat  bildenden  Zahlen  richtig  zu 
deuten,  was  wir  anläßlich  der  genaueren  Anführnng  der 
Untersuchungsmethode  auch  beweisen  wollen. 

Wählen  wir  zum  Gegenstand  unserer  Ausführungen 
das  Blut,  was  um  so  vorteilhafter  ist,  als  die  Resultate  even¬ 
tuell  von  klinischem  Werte  sein  können. 

Bei  unseren  Versuchen  hielten  wir  uns  an  die  jodo- 
mctrische  Methode  von  Julies  und  Oppenheim,  die  im 
wesentlichen  in  folgendem  besteht:  Aus  einer  vorher  sorg¬ 
fältig  sterilisierten  Fingerkuppe  gewinnen  wir  durch  Nadel¬ 
stich  einen  Tropfen  Blut,  den  wir  mit  einer  Kapillarpipette 
aufsaugen  und  sodann  davon  0-05  enU  abmessen.  Dieses 
Quantum  diluieren  wir  mit  50  cm^  einer  OJU/oigen  Kochsalz¬ 
lösung.  Von  dieser  MiscJnmg  nehmen  wir  10' cm'^,  welche 
Menge  al&o  0-01  cm^  Blut  enthält  und  nun  befassen  wir  uns 
des  weiteren  damit,  zu  bestimmen,  wie  groß  die  Fähigkeit 
dieser  Blutlösung,  Wasserstoffhyperoxyd  zu  zerlegen,  eigent¬ 
lich  sei. 

Zu  diesem  Zwecke  mengen  wir  10  enU  dieser  Blut- 
snspension  mit  30  cm^  einer  Vs-normalen  Wasserstoffhyper¬ 
oxyd-Lösung,  welch  letztere  aus  einem  neutralen,  30”/oigen 
Merckschen  ,,Perhydrol“  gewonnen  wurde.  Titriert  wurde 
mit  ^/10-normalem  übermangansaurem  Kalium,  welches 
jedesmal  vor  Gebrauch  frisch  bereitet  wurde.  Die  zu  unter¬ 
suchende  Mischung  hielten  wir  zwei  Stunden  lang  auf 
Zimmertemperatur  (18*^  C)  und  nach  Ablauf  dieser  Zeit 
wurde  die  Reaktion  durch  Fliiizuset^img  von  einigen  Kubik¬ 
zentimetern  konzentrierter  Salzsäure  unterbrochen.  (Minera¬ 
lische  Säuren  heben  die  Katalase  Wirkung  auf.)  Sodann 
schritten  wir  an  die  Bestimmung  des  nicht  zersetzten  Wasser¬ 
stoffhyperoxyds,  indem  wir  20  bis  25  enU  10®/oiges  Jodkalium 
hinzimiengten,  immer  beoliachtend,  daß  ein  Jodkaliuniüber- 
scliuß  bestehe.  Nach  einigen  Stunden  titrierten  wir  mit 
10-normaler  Na2S203-Lösung. 

Der  Unterschied  zwischen  unserem  Verfahren  und  dem 
von  Jo  lies  bestand  nur  darin,  daß  wir  statt  einer  l®/oigen 
eine  Va-normale,  also  weniger  konzentrierte  Lösung  be¬ 
nützten  und  nach  Unterbrechung  der  Katalasereaktion  das 
ausgeschiedene  Jod  nicht  nach  einer  Stunde,  sondern  erst 
nach  längerer  Zeit  titrierten.  Zieht  man  nmi  die  so  gewonnene 
Zahl  (Jod-Titer)  von  dem  dem  verwendeten  Wasserstoff¬ 
hyperoxyd-Quantum  entsprechenden  Titer  (bei  30  enU 
V2-normaler  Wasserstoffhyperoxyd-Lösung  =  150)  ab,  und 
multipliziert  die  Differenz  mit  0-0017,  so*  erhält  man  die  bei 
Anordnung  des  Experimentes  zersetzte  Wasseretoffliyper- 
oxydmenge  in  Grammen  ausgedrückt. 

Vorausgesetzt,  daß  die  einzige,  unabhängige  Variable 
der  Katalasengebalt  des  Blutes  wäre,  so  kann  man  die  ge¬ 
wonnenen  Resultate  vergleichen  und  wird  linden,  daß  selbe 
nnt  dem  realen  Katalaseciuantum  in  gewissem  Nexus  stehen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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In  Wirklichkeit  steht  die  Sache  so,  daßi  wir  nicht  im¬ 
stande  sind  zu  beweisen,  daß  die  einzige  unabhängige 
Variable  ausschließlich  der  Katalesegehalt  des  Blutes  wäre, 
weshalb  wir  eben  nur  yom  Vergleichen  der  Katalysierungs- 
fähigkeiten,  jedoch  auf  keinen  Fall  vom  Vergleichen  des 
Katalasegehaltes  sprechen  können.  Wenn  wir  nun  auch  an- 
iiehmen,  daß  die  Fähigkeit  des  001  cm^  Blutes,  Jod  zu 
binden,  verschwindend  klein,  die  Schwankungen  ihrer  Ge¬ 
ringfügigkeit  halber  ganz  zu  vernachlässigen  wären,  so  ver¬ 
hinderten  eventuell  vorhandene  Stoffe  unbekannter  Natur, 
welche  die  Wirkung  der  Katalase,  gleichgültig  ob  vorteilhaft 
oder  nachteilig,  aber  immerhin  beeinflussen,  eine  richtige 
Deutung  der  erlangten  Daten.  Aus  den  erlangten  Daten 
darauf  schließen,  wie  weit  die  Katalysierungsfähigkeit  des 
Blutes  im  Organismus  selbst  geht,  wieviel  und  wie  stark; 
es  Wasserstoffhyperoxyd  zerlegt,  kann  man  unserer  An¬ 
sicht  nach  kaum. 

Zu  bedenken  ist,  daß  die  Intensität  der  fermentativen 
Wirkung  immer  von  der  Konzentration  abhängt;  einige 
unserer  Versuche  beweisen,  daß,  wenn  wir  bei  unserem' 
obenerwähnten  Verfahren  als  unabhängige  Variable  die  Kon¬ 
zentration  des  Blutes  annatimen,  wir  verschiedene  Resul¬ 
tate  bekamen.  Es  zeigte  sich,  daß  die  anfängliche  Verdün¬ 
nung  des  Blutes  (1 :  lOOO)  unvergleichlich  größere  Abwei¬ 
chungen  verursachte  als  die  später  folgenden  Verdünnungen, 
woraus  der  Schluß  zu  ziehen  ist,  daß  das  Blut  in  der  zu 
allererst  angewandten  Konzentration  anders  katalysiere.  Die 
physikalischen  Verhältnisse  scheinen  durch  die  Verände¬ 
rung  der  Dissoziation  und  Verteilung  der  Salze  sowohl  als 
der  hier  anscheinend  eine  Rolle  spielenden  Kolloide  wesent¬ 
lich  andere  zu  werden  und  mit  ihnen  die  Katalysierungs-- 
fähigkeit.  Ferner  ändert  die  Oberflächenspannung  und  die 
Viskosität,  denen  unter  allen  Umständen  auch  ein  gewisser 
Einfluß  zugestanden  werden  muß  (Herzog).  Daßi  durch 
Verdünnung  der  Wirkungsgrad  der  Katalase  sich  ändert, 
das  wissen  wir,  doch  wird  eine  Konzentrationsverminderung 
immerhin  auch  die  Tätigkeit  jener  die  Katalyse  fördernden 
oder  eventuell  hindernden  Stoffe  beeinflussen  und  viel¬ 
leicht  anders  als  die  Katalase  selbst;  diese  Stoffe  können 
sogar  gänzlich  verschwinden  oder  indifferent  werden,  wäh¬ 
rend  sie  im  Organismus  selbst  sehr  intensiv  wirken.  Wir 
untersuchten  auch,  ob  der  osmotische  Druck  der  zur  Di¬ 
lution  verwendeten  Flüssigkeit  keine  Aenderung  der  Kat^- 
lysierungsfähigkeit  hervorrufe,  konnten  aber  dergleichen 
nicht  konstatieren. 

Alles  bisher  Gesagte  begründet  wohl  unsere  Ansicht, 
daß  es  zumindest  verfrüht  sei,  Konklusionen  direkt  aus 
solchen  Versuchen  ahzuleiten,  deren  Resultate  sich  auf  die 
Katalysierungsfähigkeit  verschiedener  Surrogate,  verschie¬ 
dener  Organe  beziehen  und  daß  man  auf  solcher  Grundlage 
Theorien  oder  gar  therapeutische  Verfahren  nicht  basieren' 
kann.  Die  physiologische  W^irkung  der  Katalase  kennen  wir 
nicht,  wie  könnten  wir  aus  den  Resultaten  der  verschie¬ 
denen  Versuche  auf  ihre  pathologische  Bedeutung  schließen! 

'Es  ist  wohl  wahr,  daß  die  meisten  Autoren,  wie 
Spitzer,  Lepinois,  Abelous,  Battelli,  Stern  und 
Jolles  gerade  in  jenen  Organen  die  größte  Katalysierungs¬ 
fähigkeit  fanden,  in  denen  unserem  Wissen  nach  die  Lebens¬ 
funktionen  am  lebhaftesten  vor  sich  gehen.  So  katalysieren 
z.  B.  Organe  von  Säugetieren,  Vögeln  etc.  viel  intensiver 
als  die  von  Fischen  oder  Fröschen,  doch  läßt  sich  hieraus 
noch  nicht  folgern,  daß  dort,  wo  die  Katalysierungsfähigkeit 
gering  ist,  auch  minimäle  Lebeiisfunktionen,  vorauszusetzen 
wären.  Die  Katalase  spielt  bei  den  Oxydationsvorgängeii 
bloß  indirekt  eine  Rolle  und  auch  diese  mag  vielleicht  von 
anderen  Femienten  reguliert  werden.  Die  Hypothese  eines 
Kausalnexus  zwischen  der  eventuell  nachweisbaren  Ab¬ 
nahme  des  Stoffwechsels  und  der  gleichzeitig  einlretenden 
Herabminderung  der  Katalysierfähigkeit  erscheint  gewagt. 

Wir  teilen  auch  die  Ansicht  Jolles  nicht,  der  die 
Katalase  als  Haupt  Faktor  der  Oxydationsvorgänge,  die  Ka¬ 
talysierfähigkeit  des  Blutes  hingegen  als  Maß  der  Oxyda- 
tionsvorgänge  betrachtet.  Mit  unseren  Ansichten  steht  zum 


Beispiel  seine  hier  folgende  Aeußerung,  daß  ,,die  prompte 
und  intensive  Oxydation  des  Wasserstoffhyperoxydes  uns 
ja  ein  Maß  für  die  Raschheit  und  Vollständigkeit  der  Oxy¬ 
dation  der  Gewebe  und  deren  ausgeschiedenen  Produkte  gibt, 
ob  diese  nun  inner-  oder  außerhalb  der  Kapillaren  erfolgt“ 
(Virchows  Archiv  1905,  Bd.  180,  S.  219}  im  Widerspruch. 
Die  Katalase  nennt  er  ohne  weiteres  ,, Sauerstoffüberträger“. 
Ebenso  müssen  wir  gegen  seine  in  folgendem  ausgedrückte 
Meinung  Stellung  nehmen;  er  sagt:  „Die  Abspaltung  von 
Sauerstoff  aus  dem  Oxyhämoglobin  ist  in  gewisser  Beziehung 
analog  jener  aus  dem  Wasserstoffsuperoxyd“  und  später: 
„Es  ist  eine  ziemlich  wahrscheinliche  Annahme,  daß  die 
Katalasen  die  Abspaltung  des  Sauerstoffes  aus  dem  Oxy¬ 
hämoglobin  . bewirken“  (Münchener  mediz.  Wochen¬ 

schrift  1904,  Nr.  47,  und  Wiener  medizinische  Wochen¬ 
schrift  1905,  Nr.  12  bis  14). 

Diese  Auffassung  ist  irrig,  denn  ihr  widersprechen 
unzählige  physiologische  Tatsachen.  Wir  wissen,  daß  das 
Oxyhämoglobin  sein  Oxygen  im  allgemeinen  nicht  abgibt, 
sondern  es  wird  ihm  von  oxydabilen,  reduzierenden  Stoffen 
entzogen.  Bei  Kranldieiten,  während  welcher  die  Kata¬ 
lysierfähigkeit  des  Blutes  auf  ein  Minimum  reduziert 
erscheint,  wie  bei  Karzinom,  Kachexie,  Tüberkulose, 
Urämie  etc.,  müßte  das  venöse  Blut  sehr  reich  an 
Oxyhämoglobin  sein,  was  aber  nicht  zutrifft.  Wenn 
es  nur  von  dem  Katalasengehalt  des  Blutes  abhängen 
würde,  wieviel  Oxygen  das  Oxyhämoglobin  abgibt,  so 
wäre  es  ganz  unbegreiflich,  warum  das  Blut  funktio¬ 
nierende  Organe  besser  mit  Oxygen  versieht  als  ruhende; 
warum  es  seinen  Oxygengehalt  in  vitro  leichter  verliert, 
wenn  man  ein  Stückchen  irgendeines  Organes  hineinwirft; 
und  wenn  die  Katalysierfähigkeit  des  Blutes  Schritt  hielte 
mit  der  Lebhaftigkeit  des  Stoffwechsels,  wie  käme  es  dann, 
daß  der  Stoffwechsel  eines  vollständig  ausgebluteten 
Frosches  ein  ebensolcher  ist  als  bei  normaler  Blutzirkula¬ 
tion?  (Pflüger  und  Oertmann.)  Mit  einem  Worte:  wir 
sind  anderer  Meinung  über  den  Wert  und  die  Deutung  jener 
Versuchsresultate,  die  bei  Erforschung  der  Katalysierfähig¬ 
keit  des  Blutes  bisher  erlangt  wurden! 

Die  Katalase  ist  ein  intrazelluläres  Eerment.  Jede 
lebende  Zelle  hat  ihre  Katalase,  die  deren  speziellen  Zwecken 
dient ;  dies  gilt  selbstredend  auch  für  die  lebenden  und  Stoff¬ 
wechsel  besitzenden  Blutzellen.  Möglicherweise  ist  der 
Zweck  dieser  Katalase,  das  Häm'oglobin  vor  der  ihm  durch 
das  Wasserstoffhyperoxyd  drohenden  Oxydation  zu 
schützen. 

Battelli  und  Stern  glaubten  nach  Entfernung  der 
Leber  oder  Herabminderung  ihrer  Funktion  durch  Phosphor¬ 
vergiftung  eine  erhöhte  Katalysierfähigkeit  bei  den  anderen 
Organen  des  betreffenden  Versuchstieres  zu  bemerken.  Doch 
läßt  sich  hier  nur  bedingungsweise  eine  Kompensation  vor¬ 
aussetzen,  nachdem  in  beiden  der  obenerwähnten  Fälle  ein 
so  wichtiger  und  folgenschwerer  Eingriff  in  den  betreffen¬ 
den  Organismus  geschah,  daß  man  sich  nicht  wundern  kann, 
wenn  darunter  der  ganze  Organismus  leidet,  wenn  jede 
einzelne  Zelle  teil  daran  nimmt;  und  ändert  sich  der  Stoff¬ 
wechsel  der  einzelnen  Zelle,  so  ändert  sich  auch  ihre 
Fermentproduktion,  aber  an  eine  Kompensation  von  seiten 
des  ganzen  Organismus  ist  kaum  zu  denken. 

Unsere  Ansicht  ließe  sich  demnach  in  folgendem  zu¬ 
sammenfassen:  Die  Messung  der  Katalysierfähigkeit  des 
im  Blute  enlhaltenen  Wasserstoffhyperoxydes  ist  mit  den 
uns  bisher  zur  Verfügung  stehenden  Instrumenten  durch¬ 
führbar  und  sind  die  Resultate  dazu  geeignet,  daß.  man 
unter  ihnen  Vergleiche  anstelle;  anderseits  gelangen  wir 
in  den  Besitz  gewisser  Angaben,  die  ein  neues  Licht  auf  den 
Charakter  des  Blutes  werfen,  doch  dürfen  wir  uns  dadurch 
nicht  verlocken  lassen,  auf  solcher  Grundlage  wichtigere 
biologische  Hypothesen  oder  Theorien  aufzustellen,  denn 
dazu  sind  wir  an  diesbezüglichen  Erfahrungen  noch  lange 
nicht  reich  genug! 

♦ 


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Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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Den_  .Gegenstand  der  klinischen  Wisisenschaften  bildet 
das  Stndinni  jener  Ahweiclmngen,  die  zuweilen .  von  den 
den  normalen,  ,, gesunden“  Zustand  des  Organismus  charak¬ 
terisierenden  Lebensfnnktionen  beobachtet  werden  können. 
Der  „normale“  Zustand  jedoch  ist  nicht  ein  durch  sich 
selbst  gegebenes  Etwas,  sondern  ein  zweckmäßiges  Zusam¬ 
menwirken  der  verschiedenen  Zellenfunktionen,  wofür  sich 
die  ]\Ienschen  auf  Grund  von  vielen  Erfahrungen  und  Unter¬ 
suchungen  dedukliv  ein  gewisses  Bild,  eine  Art  von  Ge¬ 
setz  machten.  Wollen  wir  also  die  Lebensfnnktionen  von 
einem  neuen  Standpunkt  aus  betrachten,  so  müssen  wir  von 
den  als  „normal“  angenommenen  Verhältnissen  ausgehen, 
lim  so  für  Vergleiche  und  Ableitungen  eine  Basis  zu  ge¬ 
winnen. 

Vergleichen  kann  man  aber  nur  gleichartige  Dinge, 
d.  h.  Arten  solcher  Untersuchungen,  deren  —  um  uns  quasi 
mathematisch  auszudrücken  —  unabhängige  Variable  die 
gleiche  ist.  ;  .  i 

Wie  aus  all  dem  bisher  Gesagten  hervorgeht,  kann  man 
—  bei  gewisser,  zweckentsprechender  Einrichtung  bezüg¬ 
lich  der  Zersetzungsfähigkeit  des  im  Blute  befindlichen 
Wasserstoffliyperoxydes  —  solche  gleichartige  Resultate 
erlangen,  wenn  man  nämlich  bei  strikter  Beibehaltung  der 
Versuchseinrichtung  nur  die  Blutsorten  ändert,  wodurch 
sich  dann  eine  Versuchsreihe  ergibt,  deren  einzige  unab¬ 
hängige  Variable  tatsäclilich  das  'Blut  bildet.  Das  Blut  und 
nicht  die  Katalase ! 

Unsere  Versuche  bestimmen,  in  welchem  Grade  das 
Blut  verschiedener  Individuen  Wasserstoffhyperoxyd  zer¬ 
setzt  (bei  stets  gleichbleibender  Versuchseinrichtung!);  doch 
geben  die  so  gewonnenen  Daten  keinen  Aufschluß  über 
den  Zustand  des  betreffenden  Organismus.  Sie  charakteri¬ 
sieren  nur  in  gewisser  Hinsicht  das  verwendete  Blut,  was 
natürlich  zu  klinischen  Zwecken  eventuell  ausgenützt  wer¬ 
den  kann,  doch  bildet  dies  den  einzigen  Wert  dieser  Ver¬ 
suchsresultate,  wobei  noch  zu  bemerken  ist,  daß'  das  Studium 
dessen,  wie  groß  die  Fähigkeit  des  Blutes,  Wasserstoff¬ 
hyperoxyd  zu  zersetzen,  sei,  noch  sehr  im  Anfangsstadium 
sich  befindet. 

Die  ersten  Versuche  in  dieser  Richtung  machte  Bar¬ 
riere  im  Jahre  1899.  Er  suchte  zu  erforschen,  wieviel  Kubik¬ 
zentimeter  Oxygen  eine  gewisse  Blutmenge  unter  gegebenen 
Verhältnissen  produzieren  könne  und  fand,  daß  in  zwei 
Fällen  von  Urämie  und  in  einem  Falle  von  Vitium  cordis 
das  Blut  weniger  Wasserstoffhyperoxyd  zerlegte  als  nor¬ 
mal,  doch  hatte  er  vorher  die  normale  Zersetzungsfähig¬ 
keit  des  Blutes  auf  Grund  sehr  weniger  Versuche  bestimmt. 

Ihm  folgten  Mo:sse  und  Tautz  im  Jahre  1901.  In  Ver¬ 
bindung  mit  einer  Berberinvergiftung  untersuchten  sie  bei 
Tieren,  wieviel  Kubikzentimeter  Oxygen  20  mm^  Blut  aus 
5  cm^  einer  IVoigen  Wasserstoffhyperoxydlösung  in  24  Stun¬ 
den  produzieren  und  bestimmten,  daß  die  auf  Berberin  oder 
W  ittesches  Pepton  eintretende  Leukozytose  die  Katalysier¬ 
fähigkeit  nicht  verändere. 

Raudnitz  wollte  im  Jahre  1903  dieses  Verfahren 
zu  klinischen  Zwecken  verwendbar  machen;  zu  diesem 
Ende  mengte  er  0-01  cm^  Blut  mit  2  ciW  einer  ^/lo-normalen 
Wasserstoffhyperoxydlösung  und  rührte  diese  Mischung 
sechs  Minuten  lang  bei  einer  Temperatur  von  20*^  C.  So¬ 
dann  setzte  er  5  cnU  verdünnte  Schwefelsäure  hinzu,  wo¬ 
durch  die  Realction  unterbrochen  wurde  und  bestimmte 
mit  Hilfe  einer  ^/lo- normalen  Mangankaliumlösung  das 
Quantum  des  intakt  gebliebenen  Wasserstoffliyperoxydes. 
Seine  Bestrebungen  krönte  jedoch  nicht  der  gewünschte 
Erfolg,  da  trotz  größter  Mühe  und  Aufmerksamkeit  die  Er- 
gebuisse  nicht  einheitlich  waren,  weshalb  er  auch  von  wei¬ 
teren  Versuchen  abstand. 

Mit  einer  großen  Anzahl  sehr  genauer  Untersuchungen 
strebten  Jo  11  es  und  Oppenheim^  nach  dem  gleichen  Ziele. 
Ihre  Versuche  bilden  den  Ausgangspunkt  einer  ganzen  Serie 
derartiger  Untersuchungen  und  wenn  ihre  Resultate  unseren 
Intentionen  auch  nicht  entsprechen,  isind  sie  dennoch  als 
balmbrechende  auf  diesem  Gebiet  zu  betrachten.  Ihre  oben¬ 


erwähnten  Versuche  hatten  den  Zweck,  zu  eruieren,  wie¬ 
viel  von  30  cnU  lo/oigem,  neutralen  Wasserstoffhyperoxyd 
im  Verlaufe  von  zwei  Stunden  bei  Anwendung  von  OT  cm^ 
Blut,  das  sie  in  10  cm^  0-9o/oigen  Kochsalzes  lösten,  zerlegt 
werde.  Die  Autoren  empfehlen,  als  Endresultat  nicht  den 
so  erhaltenen  Bruch  zu  akzeptieren,  sondern  jene  Zahl, 
die  man  bekommt,  wenn  man  aus  dem  Versuchsergebnis  den 
1  g  Blut  entsprechenden  Wert  ausrechnet.  Zum  Beispiel 
0  01  cm^  Blut  hätte  0-234  g  Wasserstoffhyperoxyd  zersetzt, 
so  beziehen  wir  den  Wert  der  Katalysierfähigkeit  des  be¬ 
treffenden  Blutes  auf  1  cm^  d.  h.  wir  bestimmen  das  End¬ 
resultat  mit  23-4  und  nennen  diese  Zahl  „Katalasenwert“. 

Wir  würden  empfehlen,  diesen  'Ausdruck  ebensowenig 
zu  benützen  als  die  ebenfalls  gebräuchliche  „Katalasen¬ 
zahl“,  da  das  so  gewonnene  Resultat  doch  gar  nicht  den 
Katalasengehalt  des  betreffenden  Blutes  angibt,  sondern  nur 
die  Katalysierfähigkeit  desselben,  welche  trotz  großen  Kata¬ 
lasengehaltes  sehr  gering  sein  kann,  wenn  irgendein  Um¬ 
stand  die  Wirkung  stört.  Es  wäre  demnach  viel  logischer, 
„Ivatalysenzahl“  oder  ,, Katalysenwert“  zu  sagen. 

Jo  lies  und  Oppenheim  untersuchten  auch  eine 
ganze  Reihe  von  mit  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  be¬ 
hafteten  Patienten  und  fanden,  daß  das  Blut  solcher  Indi¬ 
viduen  viel  oder  wenig  Wasserstoffhyperoxyd  zersetzen 
kann;  die  in  diesen  Fällen  erlangten  Werte  variieren  zwi¬ 
schen  sehr  weiten  Grenzen. 

ßie  untersuchten  ca.  100  Personen  und  bekamen  Kata¬ 
lysenwerte  zwischen  18-5  und  30-8;  da  jedoch  20  und  26 
in  der  Ueberzahl  waren,  so-  ergibt  dies  einen  Durchschnitt 
von  23. 

Wir  finden  es  für  notwendig,  speziell  hervorzuheben, 
daß  diese  Untersuchungen  an  Haut-  und  Geschlechtskranken 
gemacht  wurden  und  die  iVutoren  sprechen  sich  nicht  dar¬ 
über  aus,  in  welchem  Stadium  und  in  welchem  Grade  die 
Krankheit  der  einzelnen  Individuen  war  und  ob  selbe  in 
ärztlicher  Behandlung  standen  oder  nicht.  Man  kann  doch 
nicht  a  priori  annehmen,  daß  z.  B.  Syphilis  die  Katalysier¬ 
fähigkeit  des  Blutes  nicht  verändere,  ganz  abgesehen  da¬ 
von,  daß  die  Quecksilbereinreibungen  und  die  per  os  ge¬ 
nommenen  Jodpräparate  ihre  diesbezügliche  Wirkung  ganz 
gewiß  haben  werden.  Diese  Stoffe  besitzen  nämlich  selbst 
einen  gewissen  Grad  von  Katalysierfähigkeit  und  es  gibt 
Autoren,  wie  Schade  und  Düring,  die  eben  darin  den 
Hauptfaktor  ihrer  spezifischen  Wirkung  zu  erblicken  glauben. 

Unsere  Versuche  unterscheiden  sich  von  denen  von 
Jolles  und  Oppenheim  darin,  daß  wir  etwas  mehr  ver¬ 
dünntes  (V2-normales)  Wasserstoffhyperoxyd  verwendeten 
und  das  Quantum  des  ausgeschiedenen  .Jodes  erst  nach  Ab¬ 
lauf  einiger  Stunden  bestimmten.  Eine  Aenderung  in  der 
Konzentration  des  Wasserstoffhyperoxydes  genügt,  um  den 
Wert  der  Katalysenzahl  zu  verändern. 

Jolle s  und  Oppenheim  mengten  gewöhnlich  zu 
0  01  cm^  Blut  30  ciW  einer  0-280  bis  0-345  g  reines  Wasser¬ 
stoffhyperoxyd  enthaltenden  Lösung,  während  wir  unter  den 
gleichen  Verhältnissen  0-243  bis  0-288  g  Wasserstoffhyper¬ 
oxyd  verwendeten.  Wenn  wir  nun  die  durch  diese  Konzen¬ 
trationsunterschiede  verursachte  Abweichung  in  Betracht 
ziehen,  so  sind  unsere  Resultate  gleich  denen  der  oben¬ 
erwähnten  Autoren,  wovon  wir  uns  so  zu  überzeugen  such¬ 
ten,  daß  wir  es  mit  der  von  ihnen  angeigebenen  Konzen¬ 
tration  versuchten  und  in  solchen  Fällen  ihren  Daten  voll¬ 
ständig  entsprechende  Werte  erhielten. 

Wir  gingen  in  der  Weise  vor,  daß  wir  von  einer  aus 
0-05  cm^  Blut  und  50  cni^  0-9o/oiger  Kochsalzlösung  be¬ 
stehenden  Mischung  zwei  Proben  zu  10  cm^  und  eine  zu 
20  cm^  nahmen.  Zu  jeder  dieser  Proben  gaben  wir  30  cm^ 
Wassers toffhyperoxyd  pnd  verfolgten  unser  schon  früher 
angegebenes  Verfahren.  Mit  zwei  unserer  Proben  bestimm¬ 
ten  wir  also  die  Katalysierfähigkeit  von  0-01  enU,  mit  einer 
hingegen  die  Katalysierfähigkeit  von  0-02  enU  Blut  bei 
gleicher  Versuchseinrichtung.  Die  Umrechnung  der  Resul¬ 
tate  auf  1  enU  Blut  zeigte  sich  als  sehr  vorteilhaft.  Wir 


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4-0 


iieliiiien  also  an,  daß  ü-ül  cni^  Blut  1  iig  Wasserstoffhyper¬ 
oxyd  zerlege,  daher  1  cin^  Blut  lÜÜ  iig  Wasserstoffhyper¬ 
oxyd  katalysiert;  nennen  wir  diesen  Wert  Ki.  Wenn  0  02cm^ 
Blut  1  hig  Wasserstoffhyperoxyd  zersetzen,  so  wird  1  cin^ 
Blut  50  mg  Wasserstoffhyperoxyd  Oxygen  aktivieren; 
Dieser  Wert  mag  mit  K2  bezeichnet  werden.  Als  Ki  nahmen 
wir  stets  den  Mittelwert  der  aus  den  beiden  parallel  laufenden 
Versuchen  erlangten  Resultate  an.  Wir  zogen  nur  jene  Werte 
in  Anbetracht,  die  bei  parallel  durchgeführten  Versuchen 
einander  so  ziemlich  deckten.  W.enn  zum  Titrieren  der  einen 
Brohe  uni  6  bis  7  cm=^  mehr  \/io-norm.  Na2S203  notwendig 
war,  als  zum  Titrieren  der  anderen,  so-  verwarfen  wir  das 
Besultat  als  wertlos,  weil  dieser  Umstand  in  der  Katalysezahl 
auch  schon  einen  wesentlichen  Unterschied  verursacht  hätte. 
Doch  kommt  es  bei  der  größten  Sorgfalt  vor,  daß  die  Re¬ 
sultate  paralleler  Versuche  nicht  stimmen,  das  ist.  eben  der 
Fehler  der  mit  kleinem  Ouantum  durchgeführten,  überaus 
empfindlichen  Reaktionen. 

Kl  verglichen  wir  stets  mit  K2  u.  zw.  ihr  gegenseitiges 
Verhalten  in  bezug  auf  den  Verlauf  ihrer  Differenzen  und 
ihrer  Quotienten,  was  sich  sehr  interessant  gestaltete. 

Das  Material  zu  unseren  Untersuchungen  lieferten  die 
Krankensäle  und  die  Ambulanz  der  II.  internen  Klinik,  wes¬ 
halb  man  zwar  nicht  behaupten  kann,  daß  wir  unsere  Beob¬ 
achtungen  an  durchaus  normalen  Individuen  machten,  ob¬ 
zwar  man  an  chronischen  Nerven-  und  Ohrenleiden  laborie¬ 
rende  Personen,  von  unserem  Standpunkte  aus  wenigstens, 
als  normal  und  zur  Bestimmung  des  normalen  Katalyse- 
werles  vollständig  entsprechend  annehmen  kann.  Auch  bei 
uns,  wie  bei  Jo  11  es  und  Oppenheim,  zeigte  der  ,, normale“ 
Katalysewert  große  Schwankungen:  Grenzwerte:  Ki  13-3  bis 
25-7,  K2  9-5  bis  144;  am  meisten  vorkommende  Werte :  Ki  18 
bis  21,  K2  11-5  bis  12-5;  Mittelwerte:  Ki  19,  K2  12.  Ki  zeigte 
größere  Schwankungen,  K2  kleinere.  K2  war  bei  gesunden 
Personen  stets  kleiner  als  Ki.  Die  Differenz  ist  daher  immer 
positiv;  was  nur  natürheh  ist. 

Es  ist  wohl  wahr,  daß  nur  0-02  cin^  Blut  mehr  Wasser¬ 
stoffhyperoxyd  zemetzen  als  0-01  chU,  jedoch  auf  1  enU  Blut 
umgerechnet,  zeigt  sich  im  ersteren  Falle  eine  weniger  in¬ 
tensive  Katalyse,  was  wieder  der  charakteristischen  Eigen¬ 
schaft  der  Fermente  entspricht,  indem  ein  doppeltes  Quan¬ 
tum'  derselben  niemals  eine  genau  zweifache  Wirkung  aus¬ 
übt,  weshalb  auf  einen  Teil  weniger  Effekt  entfällt,  als  wenn 
dieser  eine  Teil  in  dem  gleichen  System  allein  gewirkt  hätte. 
Die  Werte  von  Ki — ^1x2  variierten  stets  zwischen  2  und 
10'8;  meistens  betrugen  sie  5  bis  8,  weshalb  man  als  Durch¬ 
schnittswert  7  annehmen  kann.  Die  Katalysewerte  zeigen 
zuweilen  hei  ein  und  demselben  Individuum  ebenfalls 
Schwaidcungen ;  tägliche  Schwankungen  beobachteten  wir 
nicht  (vielleicht,  daß  der  Katalysewert  abends  etwas  ge- 
geringer  war  als  tagsüber).  Die  Nahrungsaufnahme  und  das 
All  er  (Kinder  und  Greise  ausgeschlossen)  spielen  —  wie  es 
scheint  —  keine  Rolle. 

Bevor  wir  auf  die  durch  einzelne  Krankheiten  ver¬ 
ursachten  Unterschiede  übergehen,  wollen  wir  noch  über 
jenen  Teil  unserer  Versuche  referieren,  der  sich  mit  der 
Bestimmung  jenes  Verhältnisses  befaßte,  in  dem  die  klinisch 
nachweisbaren  Eigenschaften  des  Blutes,  wie:  Anzahl  der 
roten  und  weißen  Blutkörperchen,  Hämoglobingehalt,  spezi¬ 
fisches  Gewicht,  zur  Katalysierfähigkeit  desselben  stehen. 

Wie  es  scheint,  besteht  zwischen  dem  Kafalysewert  und 
dem  Ilämoglohingehalt  einerseits  und  der  Anzahl  der  roten 
und  weißen  Blutkörperchen  anderseits  irgendein  Nexus.  Der 
Wert  von  Ki  ist  niemals  kleiner  als  12,  wenn  der  Hämo¬ 
globingehalt  über  50 Vo  beträgt.  Bei  mehr  als  50°/o  Hämo- 
glohin  eidhallendem  Blute  ist  Ki  fast  immer  mehr  als  16, 
obzwar  es  bei  manchen  Individuen  vorkomml,  daß  Ki  auch 
b('i  kleinerem  Ilämoglohingehalt  größer  ist  als  obiger  An¬ 
nahme  entspräche.  Alit  der  Anzahl  der  Blutkörperchen 
scheint  die  Katalysezahl  nur  indirekt  zusammenzuhängen,, 
W(m1  sie  z.  B.  bei  Chlorose  lief  hinabsinkt,  wenn  auch  die 
Bl  ulkörperchenzahl  normal  bleibt.  Die  Anzahl  der  weißen 
Blutkörperchen  scheint  überhaupt  ganz  ohne  Einfluß  auf  die 


Zersetzungsfähigkeit  des  Blutes  Wassers! offhyperoxyd  gegen¬ 
über  zu  sein;  ein  Umstand,  der  den  iMitteilungen  von  Mosse 
und  Tautz  entspricht. 

Der  Wert  von  K2  ändert  gewöhnlich  parallel  mit  dem 
des  Kl,  nur  daß  die  Schwankungen  in  beiden  Richtungen 
kleinere  sind.  Ja,  es  kann  sogar  der  nicht  leicht  erklärbare 
Umstand  eintreten,  daß  K2  größer  wird  als  Ki.  Unter 
300  Fällen  waren  15,  in  denen  derartiges  eintrat.  Wir  fanden 
bei  solchen  Anlässen  immer,  daß  der  Wert  von  Ki  sehr  ge¬ 
ring  war;  der  kleinste,  den  wir  im  Verlauf  der  sämtlichen 
Versuche  für  Ki  fanden  (er  blieb  stets  unter  10).  Anderseits 
aber  gibt  nicht  immer  ein  kleiner  Wert  des  Ki  zwischen  Ki 
und  K2  eine  negative  Differenz.  Den  eigeiil liehen  Charakter 
dieser  Vorgänge  konnten  wir  nicht  eruieren.  Doch  zeigt 
jene  Eigentümlichkeit,  daß  —  nämlich  Ki  —  K2  =  negativ, 
wie  bei  unserer  Versuchseinrichtung  —  0-02  cm^  Blut  inehr 
als  doppelt  so  viel  Wasserstoffhyperoxyd  <  zersetzten,  als 
unter  gleichen  Verhältnissen  0-01  cm^  Blut  zerlegen  könnte. 
Dies  aber  widerspricht  den  Gesetzen  der  fermentativen  Wir¬ 
kungen. 

Als  Erklärung  dieser  interessanten  Erscheinung  könnte 
man  vielleicht  annehmen,  daß  die  besondere  Dilution  für 
den  Verlauf  der  Katalyse  ein  Hindernis  bildete,  welches  in 
Fällen,  in  denen  die  Katalysierfähigkeit  sehr  gering  ist,  even¬ 
tuell  so  störend  wirken  kann,  daß  in  einer  Lösung  von 
höherer  Konzentration  ein  ebenso  großes  Quantum  viel 
größeren  Effekt  erzielen  kann.  Dagegen  aber  spricht  jene 
Tatsache,  daß  nicht  in  allen  Fällen  bei  kleinerem’  Ki  die 
Differenz  zwischen  Ki  und  K2  negativ  war.  Man  könnte 
auch  meinen,  daß  ein  die  Katalyse  hindernder  Stoff  im  Zu¬ 
stand  stärkerer  Dissoziation  größeren  Einfluß  haben  könnte, 
wogegen  sich  wieder  einwenden  ließe,  daß  wir  diese  Er¬ 
scheinung  bei  mit  verschiedenen  Leiden  Behafteten  fanden, 
bei  von  der  gleichen  Krankheit  befallenen  Individuen  nicht 
immer. 


Diese  hier  zum  Ausdruck  gebrachten  Ideen  erheben 
absolut  keinen  Anspruch  darauf,  als  Hypothesen  zu  gelten 
—  sie  würden  ja  auch  höchstwahrscheiulich  den  Anforde¬ 
rungen,  die  man  an  solche  stellt,  daß  sich  nämlich  sämt¬ 
liche  Erscheinungen  mit  ihrer  Hilfe  erklären  lassen,  nicht 
entsprechen;  wir  müssen  uns  demnach  —  vorläufig  wenig¬ 
stens  —  mit  dem  Gedanken  befreunden,  daß  wir  eine  ein¬ 
wandfreie  Erklärung  nicht  besitzen. 

Aus  dem  Bruche  läßt  sich  nichts  anderes  er- 

1^2 

klären,  als  was  wir  aus  der  Differenz  zwischen  Ki  und  K2 


nicht  schließen  könnten.  Ist  Kj — Kj  negativ,  so  ist 


K, 

K. 


ein  echter  Bruch. 

Wir  wollen  nun  auf  jene  Abweichungen  übergehen, 
die  sich  in  Fällen  von  ganz  gewissen  Krankheiten  kon¬ 
statieren  lassen.  Wir  machlen  unsere  Untersuchungen  an 
solchen  Kranken,  die  sich  behufs  ambulanter  Behandlung 
oder  zur  Aufnahme  an  die  Klinik  meldeten,  also  an  Indivi¬ 
duen,  denen  bis  dahin  Medikamente  nicht  gereicht  wurden. 


Wir  teilten  das  uns  zur  Verfügung  stehende  Material 
auf  Grund  der  diagnostizierbaren  Krankheiten  in  entspre¬ 
chende  Gruppen  und  beobachleten  im  Bereich  jeder  einzelnen 
Gruppe  sogar  bedeutende  Schwankungen.  Die  meisten  Krank¬ 
heiten  haben  ein  Sinken  des  Wertes  der  Katalysenzahl  zur 

Folge,  weshalb  '  sowohl  als  auch  K^ — Kg  dementspre- 
eilend  ändern  werden.- 


Wir  wollen  nun  jene  Erfahrungen,  die  wir  hei  Beob¬ 
achtung  der  einzelnen  Krankheiten  sammelten,  im  folgenden 
kurz  zusammenfassen : 


Bei  Anämie  finden  wir  des  öfteren  normale,  bei  Anae¬ 
mia  gravis  und  nach  größeren  Blutverlusicm  manchmal  sehr 
kleine  Katalysenzahlen.  Ein  konstanter  Nexus  zwischen  flein 
Grade  der  Blutarmut  und  der  Katalysenzahl  ist  nicht  vor¬ 
handen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Niercnkranklieilci)  setzen  im  allgemeinen  die  Kata- 
lysierlähigkeit  des  ßliiles  herab ;  ein  starkes  Sinken  des 
Katalysierwertes  tritt  jedücli  nur  in  sehr  schweren  Fällen  ein. 

Bei.  Krankheiten  der  Atmungsorgane  ändert  sich  die 
Fähigkeit  des  Blutes,  Wasserstülfhyperoxyd  zu  zersetzen, 
kaum,  a])gesehen  von  solchen  Fällen  von  allgemeiner  Tuber¬ 
kulose  oder  Tuberculosis  pulmonum,  welciie  schon  zur 
Kachexie  lührten. 

Von  Krankheiteh  der  Verdauungsorgane  verursachen 
nur  diejenigen  eine  größere  Abnahme  der  Katalysieriahig- 
keit,  welche,  wie  Carcinoma  ventriculi  oder  Cholämie  zu 
hedeutenderer  Kachexie  oder  wie  Ulcus  venlriculi  zu 
größeren  Blutverlusten  führten. 

Die  Katalysierfähigkeit  des  Blutes  sinkt  fast  immer 
hei  solchen  Krankheiten,  die  mit  Fieber,  Eiterungen  und 
wichtigeren  Störungen  des  Stoffwechsels  verbunden  sind. 

Aus  obigem  ergibt  sich  von  selbst,  daß  das  Sinken  des 
Katalysewertes  für  gar  keine  Krankheit  eigentlich  als  charak¬ 
teristisch  gelten  kann.  Obzwar  der  größte  Teil  unserer  Ver- 
suchsresullate  die  Ansicht  von  J  oll  es  und  Opp  enheim, 
daß  eine  Herahminderung  der  Katalysierfähigkeit  speziell 
bei  den  zu  Koma  führenden  Krankheiten  zu  beohachten 
wäre,  bestärken,  so  können  wir  diese  Aulfassung  dennoch 
nicht  akzeptieren.  Wir  konnten  eher  den  Eindruck  gewinnen, 
als  wäre  zwischen  dem  Sinken  des  Katalysewertes  und  der 
Kachexie  ein  Kausalnexus,  auf  den  aber  die  Aetiologie  der 
Kachexie,  also  die  sie  hervorrufende  Krankheit,  keinerlei 
Einfluß  nähme.  Die  Herabminderung  der  Katalysierfähig¬ 
keit  des  Blutes  nach  größeren  Blutverlusten  muß  natürlich 
von  anderem  Standpunkt  aus  beurteilt  werden. 

Es  scheint  uns  zweckentsprechend,  an  dieser  Stelle 
noch  einer  weiteren  Serie  von  Versuchen  Erwähnung  zu  tun. 

In  neuester  Zeit  befaßt  man  sich  sehr  eingehend  damit, 
Medikamente,  die  —  in  den  Organismus  gelangt  —  kataly¬ 
tisch  wirken  sollen,  zusammenzustellen.  Diese  Medikamentd 
sollen  nicht  nur  —  wie  dies  Düring  plante  —  in  kleineren 
Dosen  verahreicht,  einer  ,, allgemeinen  Desinfektion“  des  he¬ 
lreffenden  Organismus  dienen,-  sondern  den  Zweck  haben, 
die  eventuell  unzulänglich  wirkenden  oxydierenden' Fermeute 
in  ihrer  Tätigkeit  direkt  zu  unterstützen. 

Die  Wirkung  des  Kollargols  hält  man  für  eine  kata¬ 
lytische  (Wenkebach),  das  Poehlsche  Spernnn  steht  im 
Rufe  eines  ,, künstlich  oxydierenden  Fermentes“  und  fran¬ 
zösische  Autoren  streben  mit  einer  ganzen  Serie  von  Ver¬ 
suchen  dahin,  kolloidalen  Metallen  oder  einer  Mischung, 
eventuell  chemischen  Verbindung  derselben  nnt  mehr  Lschen 
Salzen  eine  gewisse  Rolle  in  der  modernen  Therapie  zu 
sichern  (T  r  i  1 1  a  t,  L  u  m  i  e  r  e  und  C  h  e  v  r  o  1 1  i  e  r ,  R  o  h  i  n 
und  Bardet  usw.).  Garrigon  z.  B.  will  die  Wirkung  der 
Mineralwässer  auf  die  Katalysierfähigkeit  'der  in  denselben 
gelösten  Salze  zurücklühren. 

Diese  neuesten  Mitteilungen  erweckten  auch  in  uns 
den  Wunsch,  mit  einigen  Versuchen  vielleicht  ebenfalls  etwas 
zur  Beleuchtung  dieser  Frage  beizutragen,  indem  wir  unter¬ 
suchten,  wie  und  in  welchem  Maße  einzelne  Medikamente 
den  Katalysewert  beeinflussen. 

Wir  verabreichten  Amrerst  Jod.  Es  ist  schon  von  jeher 
bekannt,  daß  .lod-Ionen  Wasserstoffhyperoxyd  sehr  intensiv 
katalysieren  und  es  entging  uns  auch  nicht,  daß  das  mit 
dem  Urin  ausgesctiiedene  Jod  demselben  in  überraschend 
hohem  Maße  Katalysierfähigkeit  verleihe.  ' 

Es  zeigte  sich,  daß  2-5  bis  3  g  Jodkali  pro  die  oder 
Jodipin  (4  g  einer  25°/oigen  Lösung)  die  Katalysierfähigkeit 
des  Blutes  nicht  in  auffallender  Weise  verändere.  Jene 
Daten,  die  wir  aus  den  Untersuchungen  solcher  in  Jod¬ 
behandlung  stehender  Personen  sammelten,  zeigten  wohl 
Schwankungen,  jedoch  nur  solche,  wie  sie  stets  zu  konsta¬ 
tieren  sind,  wenn  man  ein  und  dasselbe  Individuum  wieder¬ 
holt  untersucht,  wobei  aber  in  Betracht  zu  ziehen  ist, 
daß  ein  so  kleines  Jodquantum  als  in  dem  zum  Versuche 
verwendeten  0-01  enU  Blut  Amrhanden  sein  kann,  vielleicht 
in  seiner  Wirkung  gar  nicht  zu  konstatieren  ist. 


Einreihungen  mit  Kollargol  erhöhten  iu  geringem  Maße 
die  Katalysierfähigkeit  des  Bildes,  doch  können  wir  uns  dies¬ 
bezüglich  nur  auf  eine  so  geringe  Anzahl  von  Versuchen 
berufen,  daß  wir  uns  auf  Grund  dieser  zu  irgendeiner 
Stellungnahme  nicht  berechligt  halten. 

Jener  Teil  unserer  Versuchsresullate,  die  sich  mit  denen 
von  J olles  und  Oppenheim  decken,  beweisen,  daß  jene 
Messungen,  die  sich  auf  Bestimmung  der  Zersetzungsfähig¬ 
keit  des  Blutes  Wasserstoffhyperoxyd  gegenüber  beziehen, 
wertvolle  imd  zu  klinischen  Zwecken  eventuell  verwend¬ 
bare  Daten  liefern.  Wie  hei  allen  quantitativen  klinischen 
Untersuchungen  kämpfen  wir  auch  hier  mit  den  mit  dem 
Anfang  verbundenen  Schwierigkeiten  um  so  mehr,  als  wir 
die  normalen  Grenzwerte  niclit  genau  kennen  und  die  Größe 
der  physiologischen  Schwankungen  uns  ebenfalls  nicht  be¬ 
kannt  ist.  Die  Bestimmung  und  Erkenntnis  dieser  momentan 
noch  nicht  fixierten  Begriffe  ist  bloß  eine  Frage  der  Zeit, 
vieler  Mühe  und  aufmerksamer  Arbeit,  doch  wäre  ein  Erfolg, 
eine  richtige  Erklärung  dieser  für  uns  noch  in  mystisches 
Dunkel  gehüllten  Vorgänge  wohl  noch  ma,nches  Opfer  wert. 

Es  ist  ein  sehr  wichtiger  Unterschied  zwischen  diesen 
und  den  sonstigen  klinischen  Untersuchungen,  da  es  sich 
in  diesem  Falle  um  die  Beobachtung  der  Tätigkeit  eines  endo- 
zellulären  Fermentes  handelt.  Es  geschieht  zum  erstenmal, 
daß  wir  nicht  ein  im  Sekrete  befindliches,  ein  extrazellulär 
wirkendes  Ferment  untersuchen,  sondern  daß  wir  mit  ver¬ 
hältnismäßig  derben  Mitteln  an  die  Eruierung  von  Erschei¬ 
nungen  schreiten,  die,  sich  im  Innern  einer  winzigen  Zelle 
zeigend,  nicht  zu  trennen  sind  von  deren  Leben  und  Funktion. 

Die  Erkenntnis  dessen,  wie  wichtig  die  Wirkung  der 
inlrazellulären  Enzyme  ist,  halte  bisher  noch  keinen  Ein¬ 
fluß  auf  die  Entwicklung  der  klinischen  Wissenschaften;  die 
großen,  das  innere  Leben  der  einzelnen  Zelle  erklärenden 
und  beleuchtenden  biologischen  Lehrsätze  haben  den  Weg 
zum  Krankenlager  noch  nicht  gefumlen,  doch  kann  der  Tag 
nimmer  ferne  sein,  an  dem  auch  der  Kliniker  erkenneir 
wird,  inn  wieviel  präziser  ihr  Chemismus  die  Zelle  charak¬ 
terisiert,  denn  ihre  äußere  Form  1 

L  i  l  e  r  a  L  u  r; 

Aus  der  ausgcbreileten  Literatur  der  Kalulasrn  und  der  oxydierenden 
Fermente  im  allgemeinen  wollen  wir  —  als  mit  unserem  Gegenstände 
am  nieisleu  zusammenhängend  —  die  folgenden  Werke  erwähnen: 

Carriere,  Sur  la  presence  d’oxydas's  dans  les  liquides  normaux 
et  pathologiques  de  l’hornme.  (G.  R.  Soc.  Riol.  1902,  S.  561)  J  olles, 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  Blutferrnenlo.  (München,  med.  W  othenschr.  1904, 
Nr.  47,  S.  2083.)  Heber  Katalysatoren  vom  physiologisch-chemischen 
Standpunkte  (Wiener  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  12  bis  14).  Jo  11  es  und 
Oppenheim,  (Virch.  Arch.  1905,  Nr.  180,  S.  219).  M  o  s  s  e  u.  T  a  u  m, 
Untersuchungen  über  Berberin  (Zeitsr  hr.  f.  klin.  Med.  1901,  S.  25/). 
R  a  u  d  n  i  t  z.  Klinische  Methode  die  Wasserstoffsuperoxydzersetzung  durch 
Blut  zu  messen.  (Zentralbl.  f.  innere  Med.  1903,  S.  1121.)  Ein  großer  Teil 
der  Literatur  ist  übrigens  zu  finden  in  See,  Les  oxydases.  (These  de 
Paris  1905).  _ 

Ueber  die  Funktionsprüfung  des  Herzens  nach 
Katzenstein  und  über  die  dabei  beobachteten 
Veränderungen  der  Pulskurve. 

Von  Priv.-Doz.  Dr.  W.  Janowski,  Primararzt  im  »Kindlein  Jesu«- 

Hospital  in  Warschau. 

Es  gibt  bekannlerweise  Personen,  deren  Herz  unter  ge¬ 
wöhnlichen  Lebensbedingungen  normal  funktioniert,  die  aber 
sofort  Symptome  von  Herzinsuffizienz  darbieten,  wenn  an 
ihre  Herztätigkeit  gesteigerte  Ansprüche  gestellt  werden  (In¬ 
fektion,  Narkose),  d.  h.  wenn  ihr  Herz  seinen  Energievorrat 
aufweisen  muH.  Da  die  gewöhnliche  klinische  Herzunter¬ 
suchung  mittels  Perkussion  und  Auskultation  nicht  imstande 
ist  nachzuvveisen,  ob  dem  Herzen  ein  Energievorrat  zur  Ver¬ 
fügung  steht  und  wie  groß  dieser  eventuell  ist,  so  ist  es  eine 
der  wichtigsten  Aufgaben  der  funktionellen  Herzdiagnostik, 
eine  Methode  zu  finden,  welche  diese  Lücke  der  gewölmlichen 
klinischen  Untersuchung  ausfüllen  möchte.  Die  bis  jcizt  von 
Romberg'),  Christ,  Gräupner-)  und  anderen  vor¬ 
geschlagenen  Metlioden  sind  deshalb  nicht  befriedigend,  da 
bei  ihnen  das  Verhalten  des  Pulses  und  des  Blutdruckes 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


4()b 


unter  dem  Einflüsse  von  Muskelarbeit,  welche  eine  Aenderung 
der  Körperlage  nötig  macht,  untersucht  werden.  Diese  beiden 
Momente  und  sogar  jedes  einzelne  für  sich  ändern  aber 
(Donnel,  Win  tern  itz^),  CybulskD)  den  Pulsrhytmus 
und  die  Tiefe  der  Atmungsbewegungen  und  diese  üben  wieder 
ihrerseits  selbständig  einen  Einfluß  auf  die  Erniedrigung  (tiefe 
Inspiration)  oder  Steigerung  (tiefe  Exspiration)  des  Blut¬ 
druckes.  Daraus  folgt,  daß  auch  die  durch  diese  Methoden 
ermittelten  Schwankungen  des  Blutdruckes  von  der  Summe 
der  Bedingungen  abhängig  sind,  welche  den  Blutdruck  das 
eine  Mal  in  einer,  das  andere  Mal  in  entgegengesetzter 
Dichtung  beeinflussen  und  so  im  konkreten  Falle  keine  exakten 
Schlüsse  über  den  vorhandenen  Energievorrat  zulassen. 

Die  Prüfung  des  Herzens  mittels  Ergostat,  welche  auf 
dem  Prinzip  beruht,  daß  die  geleistete  Arbeit  genau  in  Kilo- 
grammetern  ausgedrückt  werden  kann  und  für  alle  Unter¬ 
suchten  gleichartig  ist,  entscheidet  die  Frage  ebenfalls  nicht, 
da  1.  hier  ebenfalls  die  von  der  Vertiefung  der  Atmungs¬ 
bewegungen  abhängigen  Schwankungen  des  Blutdruckes  mit- 
wirken ;  2.  Personen,  die  an  Muskelarbeit  nicht  gewöhnt 
sind,  bei  Uebungen  am  Ergostaten  viel  rascher  ermüden  als 
solche,  die  an  physische  Arbeit  gewöhnt  sind;  3.  die  Art 
der  Arbeit  ist  bei  solchen  Experimenten  bei  den  ersteren 
verschieden  von  der  Arbeit  der  Personen  der  zweiten 
Kategorie.  Hiezu  kommt  noch  ein  vierter  äußerst  wichtiger 
Umstand,  daß  solche  Plxperimente  für  schwache  Herzen,  wo 
die  Bestimmung  des  Energievorrates  die  größte  klinische  Be¬ 
deutung  hat,  keineswegs  gleichgültig  ist  und  zuweilen  sogar 
gefährlich  werden  kann.  Es  sind  ja  Fälle  von  letalem  Exitus 
nach  solchen  Untersuchungen  bekannt. 

Aus  diesem  Grunde  verdient  die  von  Katzenstein 
”),  ®),  ^)  im  Jahre  1904  veröffentlichte  Methode  der  Prüfung 
des  Energievorrates  des  Herzens  besondere  Aufmerksamkeit 
der  Kliniker,  da  bei  dieser  weder  eine  Aenderung  der 
Körperlage  nötig  ist,  noch  dem  Kranken  irgend  welche  Gefahr 
droht  und  der  Atmungsrhytmus  unverändert  bleibt. 

Als  theoretische  Grundlage  dieser  Methode  der  Prüfung 
des  Energievorrates  des  Herzens  hat  Katzenstein  eine 
empirisch  von  ihm  an  Tieren  festgestellte  Tatsache  ver¬ 
wendet,  daß  nämlich  bei  gesunden  Versuchsobjekten  mit 
ganz  suffizientem  Herzen  nach  Unterbindung  größerer  Arterien¬ 
stämme  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  ohne  Zunahme  der 
Pulsfrequenz  zustande  kommt,  welche  sich  allmählich  (im 
Laufe  von  2  bis  2'/2  Monaten)  parallel  der  Ausbildung  eines 
kollateralen  Kreislaufes  ausgleicht.  Bei  schwachen  Tieren 
wird  die  Unterbindung  großer  Arterienstämme  nicht  von  Blut- 
drucksteigerung  gefolgt,  sondern  dieser  fällt  oder  bleibt 
höchstens  auf  der  früheren  Höhe,  wobei  der  Puls  frequenter  wird. 

Bei  Menschen  führt  Katzenstein  die  Funktionsprüfung 
des  Herzens  auf  folgende  Weise  aus:  er  berechnet  bei  den 
Patienten  die  Pulsfrequenz  und  bestimmt  den  Blutdruck  mit 
dem  Tonometer  von  Gärtner;  danach  drückt  er  mit  beiden 
Händen  beide  A.  crurales  auf  der  Höhe  des  Big.  Pouparti 
während  2  bis  5  Minuten  an  den  Knochen  an ;  nach  dieser 
Zeit  prüft  er  wieder  ohne  die  Kompression  zu  unterbrechen 
den  Pulsdruck  und  die  Pulsfrequenz.  Eine  gewisse  Zeit  vor 
dem  Versuche  muß  der  Patient  ruhig  liegen  bleiben  und 
ruhig  atmen.  Die  Kompression  der  A.  crurales  soll  gleich¬ 
mäßig  sein  und  darf  nicht  Schmerz  hervorrufen. 

AufGrund  einer  derartigen  Untersuchung  von  128  Personen 
gelangt  Katzenstein  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Bei  gesunden  Personen  (63)  steigt  der  Blutdruck 
nach  seinem  Versuche  um  5“‘  bis  15“'  und  der  Puls  bleibt 
unverändert  oder  wird  seltener.  Bei  sieben  anscheinend  ganz 
gesunden  Personen,  bei  welchen  der  Blutdruck  nach  dem 
Versuche  unter  die  Norm  gesunken  war,  hat  eine  genauere 
Anamnese  Alkoholismus  ergeben. 

2.  Bei  Personen  mit  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels 
steigt  der  Blutdruck  um  15'“  bis  40'“.  Erhalten  wir  bei 
Subjekten  mit  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  Zahlen 
unter  15'“,  so  bedeutet  das,  daß  das  Herz  insuffizient  ist. 
In  der  Regel  wird  der  Puls  dann  fre(|uenter. 


3.  Bei  geringfügiger  Herzinsuffizienz  ruft  der  Druck  auf 
die  A.  crurales  keine  Blutdrucksteigerung  hervor.  Je  frequenter 
der  Puls  dabei  wird,  um  so  größer  ist  der  Grad  der  Herz¬ 
insuffizienz. 

4.  Bei  höheren  Graden  von  Herzinsuffizienz  ruft  der  Druck 
auf  die  A.  crurales  eine  Blutdrucksenkung  hervor,  die  um 
so  größer  ist,  je  beträchtlicher  der  Grad  der  Insuffizienz. 
Der  Puls  wird  dabei  immer  frequenter.  So  ein  Verhalten  des 
Herzens  hat  Katzen  st  ein  bei  Myokarditis  '(4  Fälle),  Fett¬ 
herz  (2  Fälle),  Herzfehlern  bei  Rekonvaleszenten  (7  Fälle), 
nach  schweren  allgemeinen  Krankheiten  und  vor  allem  bei 
chronischen  Alkoholikern  beobachtet. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  äußert  Katzen- 
stei'n  die  Ansicht,  daß  Kranke  nach  schweren  Infektions¬ 
krankheiten  so  lange  das  Bett  hüten  müssen,  bis  die  erwähnte 
Prüfung  noch  Blutdrucksenkung  und  Zunahme  der  Puls¬ 
frequenz  ergibt.  Wenn  bei  solchem  Ergebnisse  der  Funktions¬ 
prüfung  eine  schwere  Operation  nötig  ist,  rät  Katzenstein 
diese  teilweise  auszuführen  aus  Furcht,  so  ein  Herz  würde 
eine  länger  dauernde  Narkose  nicht  vertragen. 

Und  schließlich  in  seiner  letzten  Arbeit  (7)  behauptet 
Katzenstein,  daß,  obwohl  man  klinisch  die  Prüfung  unter 
gleichzeitigem  Beobachten  des  Blutdruckes  und  der  Puls¬ 
frequenz  ausführen  soll,  für  rein  praktische  Zwecke  schon 
die  bloße  Berechnung  der  Pulsfrequenz  während  der 
Kompression  der  A.  crurales  genüge,  ergibt  nämlich  die 
Zählung  des  Pulses  unter  diesen  Bedingungen  eine  bedeutende 
Zunahme  der  Frequenz,  so  genügt  schon  dies  allein  um  be¬ 
haupten  zu  können,  das  Herz  besitze  nicht  den  genügenden 
Energievorrat,  d.  h.  es  sei  physiologisch  insuffizient. 

Diese  in  praktischer  Hinsicht  so  eminent  wichtige  Arbeit 
wurde  bis  jetzt  nur  von  Levy  nachgeprüft.  Dieser  hat  bei 
fünf  gesunden  Individuen  Blutdruckzunahmen  um  14'“,  7“', 
2“'  bis  6‘“,  22“'  bis  18'“  und  8“'  gefunden,  wobei  in  vier 
Fällen  die  Pulsfrequenz  um  2  bis  8  Schläge  in  1'  abgenommen 
und  in  einem  um  8  Schläge  zugenommen  hat. 

Bei  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  im  suffizienten 
Herzen  nahm  der  Blutdruck  in  einem  Falle  um  22'“  bis  26'“ 
und  in  einem  zweiten  um  20'“  bis  30'“,  während  in  vier 
Fällen  von  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  bei  insuffizientem 
Herz  der  Blutdruck  beim  Druck  auf  die  A.  crurales  in  einem 
Falle  (Pleuritis  exsudativa)  um  4‘“  bis  6'“  und  die  Puls¬ 
frequenz  ^  8,  im  zweiten  (vor  Entwicklung  der  Perikarditis) 
um  8“'  bis  16'“,  Pulsfrequenz  4,  im  dritten  (zwei  Tage 
ante  exitum)  um  0“'  bis  5“',  Pulsfrequenz  -[-  14  und  im 
vierten  (Trauma  der  Beine)  um  4‘“  bis  10“',  Pulsfrequenz  -j-  16 
zugenommen  haben.  Bei  allen  anderen  (zusammen  10)  Kranken 
mit  insuffizienten  Herzen  fand  Levy  eine  Abnahme  des  Blut¬ 
druckes  bei  Zunahme  der  Pulsfre((uenz. 

Besonders  interessant  waren  zwei  Fälle  von  Herztrauma  : 
in  einem  ergab  die  gewöhnliche  Untersuchung  und  die  Skia- 
skopie  nichts  Abnormes,  die  Prüfung  nach  Katzenstein 
aber  an  verschiedenen  Tagen  eine  Abnahme  des  Blutdruckes 
um  7“'  bis  23“'  und  Zunahme  der  Pulsfre(|uenz  um  2  bis 
10  Schläge  in  1'.  Im  zweiten  analogen  Falle  vermißte  man 
bei  der  Prüfung  eine  Steigerung  des  Blutdruckes;  es  wurde 
eine  schlimme  Prognose  gestellt ;  nach  sieben  Monaten  kam 
der  Kranke  wieder  in  die  Klinik  mit  Symptomen  der  Herz¬ 
insuffizienz.  In  zwei  Fällen  von  Infektionskrankheiten  (Typhus 
abdominalis  und  Rheumatismus  articul.  mit  Perikarditis  und 
Pleuritis)  bestätigte  Levy  die  Schlüsse  von  Katzen  stein, 
indem  er  mit  zunehmender  Besserung  eine  Steigerung  des 
Blutdruckes  und  Abnahme  der  Pulsfrequenz  feststellen  konnte. 
In  drei  weiteren  Fällen  von  Infektionskrankheiten  waren  die 
Prüfungsergebnisse  nicht  so  deutlich. 

Sofort  nach  der  Durchsicht  der  Arbeit  von  Levy  (im 
August  1906j  habe  ich  mir  vorgenommen,  die  Katzen  stein  sehe 
Methode  der  Prüfung  des  Energievorrates  des  Herzens  einer 
Nachprüfung  zu  unterwerfen.  Ich  habe  meine  Beobachtungen 
an  49  Individuen  durchgeführt,  bei  denen  ich  insgesamt  88  Ver¬ 
suche  mit  Kompression  der  A.  crurales  ausgeführt  habe.  Ich 
habe  die  Versuche  immer  zwischen  10  bis  12  Uhr  früh  folg¬ 
lich  vor  Mittag  ausgeführt.  Alle  Kranken  blieben  längere 


467 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Zeit  vor  der  Prüfung  ruhig  im  Bette  liegen ;  während  des 
Versuches  hatten  sie  drei  Polster  unter  dem  Kopfe  und  die 
Hände  waren  auf  der  Höhe  des  Herzens  gelagert.  Bei  den 
ersten  20  Kranken  führte  ich  die  Prüfung  genau  nach 
Katzensteins  Angaben  aus,  d.  h.  ich  drückte  beide  A.  crurales 
fest  an  den  Knochen  mittels  des  dritten  und  vierten  Fingers 
an  und  kontrollierte  mit  dem  zweiten  Finger  das  völlige  Ver¬ 
schwinden  des  Pulses  unterhalb  der  Kompressionsstelle.  Schon 
nach  einigen  Experimenten  gelang  es,  die  Kompression  schmerz¬ 
los  für  die  Patienten  auszuführen.  So  eine  Kompression  ist 
aber  für  denjenigen,  der  die  Arterie  komprimiert,  sehr  er¬ 
müdend,  besonders  bei  Versuchen  an  Personen  mit  hohen 
Blutdrucke  und  deshalb  fällt  es  sehr  schwer,  länger  als  vier 
Minuten  zu  komprimieren.  Und  außerdem  forderten  die  Ver¬ 
suche  bei  meinen  unten  besprochenen  Versuchsbedingungen 
drei  Gehilfen.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich  auf  Rat  des 
Herrn  Kollegen  M.  Eiger,  der  sich  für  diese  Versuche 
interessierte,  den  Fingerdruck  durch  Anlegen  zweier  festen 
Esmarch  sehen  Gummischläuche  möglich  hoch  am  Ober¬ 
schenkel  vertreten.  Die  Schläuche  muß  man  fest  zusammen¬ 
ziehen  und  durch  Bedecken  der  Genitalien  mit  der  Wäsche 
das  Zubinden  der  'Haare  vermeiden,  denn  sonst  verursacht 
man  den  Kranken  Schmerz  und  dieser  ruft  schon  für  sich 
allein  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  hervor.  So  eine  Kom¬ 
pression  vertragen  alle  Kranken  und  klagen  nicht  über 
Schmerz.  Vor  dem  Anlegen  der  Gummischläuche  hielt  ich 
beide  untere  Extremitäten  7-2'  bis  P  möglichst  hoch  bei 
gleichzeitigem  Massieren  der  Venen  von  oben  nach  unten. 
Auf  diese  Weise  hemmte  ich  möglichst  den  Blutzufluß  zu 
den  unteren  Extremitäten  und  komprimierte  diese  nach  größt¬ 
möglicher  Entleerung  des  Venensystems.  Bei  drei  Personen 
führte  ich  den  Versuch  so  aus,  daß  ich  einmal  mit  den 
Fingern  komprimierte  und  nach  einigen  Minuten  mittels  der 
Gummischläuche  und  die  Ergebnisse  waren  in  beiden  Fällen 
dieselben.  Aus  diesem  Grunde  führte  ich  später  die  Kom¬ 
pression  nur  mittels  der  Esmarch -Binden  aus,  denn  diese 
Modifikation  garantiert  uns  das  ruhige  Verhalten  des  Kranken 
während  des  Versuches,  was  für  die  Ergebnisse  äußerst 
wichtig  ist.  Wenn  ich  mich  nur  auf  jene  Untersuchungen 
beschränkt  hätte,  welche  Katzenstein  und  Levy  aus¬ 
führten,  d.  h.  mit  der  Blutdruckbestimmung  nach  Gärtner 
und  Pulszählung,  könnte  ich  bei  den  Versuchen  einen  Ge¬ 
hilfen  gänzlich  entbehren.  Da  ich  aber  die  Rahmen  meiner 
Untersuchungen  erweitert  hatte,  hatte  ich  immerhin  zwei 
Gehilfen  nötig.  *)  Ich  führte  nämlich  den  vollständigen  Ver¬ 
such  so  aus,  daß  ich  auf  dem  rechten  Vorderam  die 
Sahlische  Modifikation  des  Jacquetschen  Sphygmochrono- 
graphen  anlegte,  auf  dem  rechten  Arm  das  Tonometer  von 
Biva-Rocci  und  auf  dem  dritten  Finger  der  linken  Hand 
das  Gärtnersche  Tonometer. 

Nachdem  ich  die  Pulskurve  aufgezeichnet  hatte,  be¬ 
stimmte  ich  gleichzeitig  auf  der  linken  Hand  den  Blut¬ 
druck  mit  dem  Tonometer  von  Gärtner  und  auf  der  rechten 
bestimmte  ich  mittels  des  Biva-Rocci  sehen  Tonometers 
den  maximalen  und  minimalen  Blutdruck.  Dasselbe  wieder¬ 
holte  ich  während  der  Kompression  der  Arterien,  u.  zw.  drei 
und  sechs  Minuten  nach  deren  Beginn,  und  nach  der  Be¬ 
seitigung  der  Kompression,  nämlich  nach  3,  6,  10,  15  und 
manchmal  20  Minuten,  bis  die  Pulsfrequenz  und  der  Blut¬ 
druck  sowohl  nach  Gärtner  wie  nach  Biva-Rocci  be¬ 
stimmt,  zur  Norm  zurückkehrten. 

Länger  als  20  Minuten  nach  Abnehmen  der  Schläuche 
habe  ich  meine  Beobachtungen  nie  fortgesetzt.  So  was  ist 
auch  äußerst  selten  notwendig,  denn  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  kehrten  der  Blutdruck  und  die  Pulsfrequenz  schon 
nach  5  bis  10  Minuten  zur  »Norm«,  d.  h.  zu  dem  Zustande 
vor  dem  Beginne  des  Versuches  zurück. 

Durch  so  eine  Versuchsanordnung  erreichte  ich  gleich¬ 
zeitig  mehrere  Zwecke. 

*)  Ich  spreche  an  dieser  Stelle  allen  auf  meiner  Abteilung 
arbeitenden  Kollegen  meinen  besten  Dank  aus,  denn  ohne  ihre  Hilfe, 
wäre  mir  die  Durchführung  der  zu  besprechenden  Versuche  ganz  unmög¬ 
lich  gewesen. 


1 .  Ich  prüfte  die  Versuche  von  Katzen  stein  und 
li.evy  durch  Beobachten  der  Blutdruckschwankungen  des 
Gärtn  ersehen  Tonometers  nach.  So  ging  ich  in  37  Fällen, 
in  welchen  ich  72  Versuche  ausführte,  vor. 

2.  Ich  prüfte  in  denselben  Fällen  nach,  ob  die  Voraus¬ 
setzung  von  Katzenstein,  wenn  diese  Versuche,  mittels  des 
R  i  V  a  -  R  0  c  c  i  sehen  Tonometers  ausgeführt  würden,  zu  den¬ 
selben  Schlüssen  führen,  wie  die  Blutdruckmessungen  nach 
Gärtner,  richtig  ist.  Außerdem  habe  ich  in  zwölf  Fällen 
16  Versuche  ausschließlich  mit  dem  Riva-Rocci sehen 
Tonometer  ausgeführt,  da  das  Gärtnersche  Instrument 
zeitweise  gebrauchsunfähig  war. 

3.  Durch  genaues  Beobachten  der  Pulskurve  während 
der  Kompression  und  nach  deren  Beendigung  konnte  ich 
nicht  bloß  Aenderungen  der  Pulsfreciuenz,  sondern  auch 
Störungen  seines  Rhytmus,  der  Größe  einzelner  Wellen,  seines 
Charakters  und  seiner  Spannung  feststellen. 


4.  Da  der  gegenwärtige  Stand  der  funktionellen  Herz¬ 
diagnostik  sich  nicht  mit  der  Feststellung  des  Blutdruckes 
nach  Gärtner  und  des  sogenannten  maximalen  Druckes 
nach  Riva-Rocci  begnügt,  so  bestimmte  ich  mittels  des 
letztgenannten  Instrumentes  den  maximalen  und  minimalen 
Blutdruck  und  berechnete  den  Unterschied  zwischen  diesen 
—  den  Pulsdruck  (PD),  den  Quotient,  welcher  aus  der 
Multiplikation  von  PD  mit  P  resultiert  (PD  X  L)  und  nach 
den  neuesten  Untersuchungen  Fellners  Q  Aufschluß  über 
die  Geschwindigkeit  der  Blutzirkulation  geben  soll,  und 


schließlich  durch  Division 


PD 

Mx 


berechnete  ich  den  soge¬ 


nannten  Widerstandskoeffizient  von  Straßburger  “). 
Die  auf  diese  Weise  ermittelten  Resultate  werde  ich  aber 
erst  in  einer  späteren  Arbeit  verwenden. 


Das  für  jeden  Fall  gesammelte  Material  brachte  ich  in 
umstehenden  Tabellen  unter,  deren  Schema  ich  anführe. 


In  einer  Reihe  von  auf  diese  Weise  zusammengestellten 
Tabellen  sammelte  ich  mein  ganzes  über  4000  Zahlen  um¬ 
fassendes  Material,  auf  dem  die  folgenden  Schlüsse  be¬ 
gründet  sind. 

Der  Kürze  wegen  werde  ich  Blutdrucksteigerung  bei  der 
Untersuchung  mit  dem  G  är  t  n  e r  sehen  Tonometer  und  Blut¬ 
druckabnahme  mit  PG  -|-  und  PG  —  bezeichnen,  die  ent¬ 
sprechenden  Blutdruckänderungen  nach  Riva-Rocci:  mit 
PRr-j-,  bzw.  PRr— .  Die  Zunahme  der  Pulsfre(iuenz  be¬ 
zeichne  ich  mit  p  -j-,  die  Abnahme  mit  p  — . 

Schon  die  Ergebnisse  der  Prüfung  von  sieben  Personen 
im  Alter  von  18  bis  29  Jahren,  die  ich  nach  der  gewöhn¬ 
lichen  Untersuchung  und  Anamnese  als  gesund  zu  betrachten 
berechtigt  war,  stimmten  mit  dem  Katzenstein  sehen 
Schema  nicht  vollständig  überein.  Ich  fand  nämlich  bei 
zweien  pO,  bei  PG  -j-  12‘“  und  -|-  15‘“,  und  PRr  15‘“ 
und  22"‘,  bei  zwei  anderen  fand  ich  analog  PG-j-  und  PRr-j-» 
bei  p  —  4  und  —  8,  aber  bei  dem  fünften  fand  ich  p  —  10, 
bei  PG  =  0‘“  und  PRr  -f-  8“‘  und  bei  zwei  weiteren  fand 
ich  p  —  6  PG  —  8‘“,  PRr  —  5"‘  und  p  =  0,  PG  —  5“'  und 
PRr  --13'". 

Ich  wäre  selbstverständlich  nicht  berechtigt,  auf  so 
spärliches  Material  über  gesunde  Individuen  (K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n 
hat  bis  jetzt  mehrere  Hunderte  untersucht)  gestützt,  mein 
Urteil  zu  äußern,  um  so  mehr,  da  ich,  obwohl  die  zwei 
letzten  Fälle  nicht  Zahlen,  wie  man  sie  nach  Katzen¬ 
steins  Angaben  erwarten  konnte,  geliefert  haben,  sowohl 
in  diesen  zwei  Fällen,  wie  bei  den  ersten  zwei,  wenigstens  keine 
Gegensätze  zwischen  PG  und  PRr  —  bei  unvermeidlichem 
Unterschiede  der  diesbezüglichen  Zahlen  —  gefunden  habe. 

Meine  weiteren  Untersuchungen  an  Kranken  haben 
mich  aber  zum  Schlüsse  geführt,  daß  die  K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n  sehe 
Methode  nicht  immer  erlaubt,  die  Funktionsfähigkeit  des  Herz¬ 
muskels  richtig  zu  würdigen,  resp.  über  das  Vorhandensein 
oder  Nichtvorhandensein  eines  Energievorrates  zu  urteilen. 


468 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


Tabelle  I. 


« 

S 


b£) 

cc 

Q 


C 

o 

bb 

5 

C/ 

g 

(H 

cq 


Pulä 


> 


m  ] 
<ü  to  1 

-’.S' 

ü 
C  Ö 
S  to 


Ta 

.03 

o 

Ci 

a 


0^ 

C3 

.03 


CJ 

JO 

Q 

C3 


P.  20 
Stau. 


Gesund  Kompres¬ 
sion  mit 
der  Hand 
Ganz 
gesund 


Kompres¬ 
sion  mit' 
tels 

Gummi- 

schläuchc 

Ganz 

gesund 


72 


72 


72 


72 


72 


3' 

64 


Tonometer 
nach  Gärtner 

Tonometer  nac 

Maximum 

h  Riva-Rocci 

Minimum 

Pulsdruck 

(PD) 

PDxP 

PD 

:  Mx 

j 

des  Versuches 

Vor  dem  Versuche 

Während  des  Ver¬ 

suches 

Nach,  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches 

Vor  dem  Versuche 

1  Während  des  '\’'er- 

1  suches 

Nach  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches 

Vor  dem  Versuche 

Während  des  Ver¬ 

suches 

Nach  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches  ' 

Vor  dem  Versuche 

j  Während  des  Ver- 

i  suches 

i  Nach  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches 

;  Vor  dem  Versuche 

Während  des  Ver¬ 

suches 

1  Nach  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches 

Vor  dem  Versuche 

Während  des  Ver¬ 

suches 

j  Nach  dem  Versuche 

Differenz  während 

des  Versuches 

3' 

3' 

3' 

3' 

1 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

0 

110 

125 

105 

15 

115 

137 

136 

+22  84 

92 

98 

+8  3T  45 

38 

+14 

2232 

3240 

2736 

+1008 

0-27 

0-33 

0-28 

o 

ö 

+ 

8' 

6' 

6' 

6' 

6' 

6' 

105 

130 

97 

33 

2376 

025 

10' 

10' 

10' 

10' 

10' 

10' 

110 

127 

87 

40 

2880 

0-31 

20' 

20' 

20' 

20' 

20' 

20' 

110 

116 

83 

33 

2376 

0-28 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

3' 

0 

110 

125 

115 

+15 

116 

138 

120 

+22 

84 

92 

95 

+8  33 

46 

25 

+14 

2376 

3312 

1600 

+1008 

0-28 

0-33 

0-20 

+0-0G 

6' 

6' 

6' 

6' 

6' 

6' 

6‘ 

6' 

6' 

6' 

6' 

6' 

6'  . 

6' 

6' 

6' 

115 

115 

+5 

121 

116 

+5 

85 

90 

36 

26 

+3 

2592 

1716 

+216 

o 

CO 

ö 

0-22 

+0-02 

8' 

10' 

8' 

8' 

10' 

8' 

10' 

8' 

10'. 

8' 

8' 

10' 

8' 

10' 

125 

115 

+15 

121 

116 

+5 

85 

83 

36 

33 

+3 

2592 

2376 

+216 

0-28 

Das  von  mir  gesammelte  Material  stellt  sich  nach  Gruppen 
folgendermaßen  dar: 

1.  Infektionskrankeiten. 

Ich  beginne  mit  a)  Pneumonia  crouposa. 

Tabelle  II. 

Bemerkungen  Puls  PG  PRr 

22.  VIII. :  Temp.  39'^.  Rost¬ 
farbenes  Sputum  +4  +  5'"  d-  5'“ 

30.  VIII. :  5  Tage  nach  der 

Entfieberung  -G  +14“‘+22‘“ 

Allgemeinzustand  ausge¬ 
zeichnet. 

14.  IX. :  Allgemeinzustand 
außerordentlich  schlecht. 

Achtmal  untersucht,  erst 

am  4.  XI.  —2  0"'  +  8'“ 

Arteriosclerosis  praecox. 

Allgemeinzustand  schwer. 

1.  XII.:  Temp.  39ü“  0  —  5'"  +  15"' 

G.  XII. :  3  Tage  nach  der 

Krisis  0  —  3'“  +  4‘" 

17.  XII. :  14  Tage  fieberlos. 

sehr  blaß  0  — 10'“  +  5"' 

a)  Aus  der  angeführten  Tabelle  folgt,  daß  bei  den  ersten 
zwei  Kranken  mit  Pneumonia  crouposa  die  Prüfung  des 
Energievorrates  bei  Anwendung  des  Gärtnerschen  urid 
Riva-Rocci sehen  Instrumentes  Ergebnisse  geliefert  hat,  die 
zwar  nur  annähernd  aber  schließlich  doch  mit  den  Angaben 
Katzensteins  übereinstimmen.  Im  dritten  Falle  haben 
wir  wiederholt  trotz  schlechten  Allgemeinzustandes  unver¬ 
änderte  Pulsfrequenz  während  der  Kompression  der  Femoral- 
arterien  beobachtet  und  außerdem  trat  ein  prinzipieller  Unter¬ 
schied  zwischen  PG  und  PRr  zutage,  den  man  weder  durch 
Vergleichen  von  PG  mit  maximalem  PRr,  noch  durch  Ver¬ 
gleichen  von  PG  mit  minimalem  PRr  oder  dem  sogenannten 
Mitteldruck  (Durchschnittszahl  von  maximalem  und  minimalem 
PRr)  erklären  konnte.  Schon  dies  eine  Beispiel  beweist,  daß 
der  Puls  bei  der  Katzenstein  sehen  Prüfung  trotz  des 
schlechten  Zustandes  des  Kranken  unverändert  bleiben  kann 
und  daß,  trotz  Erwartung  von  Katzenstein,  PG  und  PRr 
inanchmal  keine  analogen  Ergebnisse  liefern  können. 

b)  Bei  Typhus  abdominalis,  von  dem  ich  drei  Fälle  beob¬ 
achtet  hatte  (ich  lasse  einen  nicht  vollendeten  weg)  —  im 
ersten  wiederholte  ich  im  Laufe  von  40  Tagen  die  Prüfung 
fünfmal,  im  zweiten  und  dritten  dreimal  im  Laufe  von  18, 
bzw.  20  Tagen  —  stimmten  meine  Ergebnisse  mit  dem 
K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n  sehen  Schema  ebenfalls  nicht  überein.  Denn 
obwohl  in  einem  Falle  bei  einem  typhösen  Rekonvaleszenten 
(in  gutem  Zustande  entlassen)  die  Prüfung  p  —  12,  PG-[-5“‘ 


Name 

1.  S.  Michel 


2.  K.  Viktor 


3.  ,J.  Joseph 


und  PRr -[-4"'  ergeben  hat,  so  waren  die  Ergebnisse  18  Tage 
früher  bei  sehr  schlechtem  Zustande  des  Kranken  folgende 
p  0,  PG  —  10"' und  PRr-j-O'".  Das  Verhalten  des  Pulses  war 
folglich  gut,  was  dem  Allgemeinzustande  widersprach  und 
PG  und  PRr  wiesen  der  Voraussetzung  von  Katzenstein 
entgegen  Widersprüche  auf. 

Im  zweiten  Falle  ergab' die  Prüfung  im  Anfänge  p-f-lO 
trotz  PG-|-20"‘  und  PRr-[-22‘";  nach  neun  Tagen  waren 
die  Zahlen  bei  schlechtem  Befinden  des  Kranken ;  p  —  8, 
PG_|_5'«^  PRr  —  12‘"  und  in  den  folgenden  Tagen  ergab  die 
Prüfung  bei  gutem  Befinden :  p  6,  PG  —  20“  aber  PRr  -j-  22'" ; 
mit  anderen  Worten  Unterschiede  im  Verhalten  der  Puls¬ 
frequenz  und  des  Blutdruckes,  welche  den  ganzen  Wert  der 
Methode  in  Frage  stellen. 

Im  dritten  Falle  habe  ich  zwar  konstant  (fünfmal  im 
Laufe  von  40  Tagen)  bei  schlechtem  Befinden  des  Kranken 
p  -f-  2  bis  -f-  26  bei  PG  —  5‘"  bis  —  15"'  gefunden,  aber  in 
PRr  war  gar  keine  Regelmäßigkeit  zu  finden  :  -f-  3'",  —  3"', 
-f  3  ",  —  ll"‘  und  -f  7'". 

c)  Bei  Rheumatismus  mit  sekundären  Affektionen  des 
Endokards  (fünf  Fälle  und  10  Prüfungen)  habe  ich  ebenfalls 
verschiedene  Widersprüche  beobachtet.  Ich  fand  z.  B.  in  einem 
Falle  p  — 6  bei  PG  —  5'"  und  PRr  — 11'",  in  einem  anderen 
p  —  8  bei  PG — 5'"  und.  PRr — 1'",  während  der  schlimme 
Allgemeinzustand  des  Kranken  vorausselzen  ließ,  daß  wir 
neben  der  Abnahme  von  PG  und  PRr  eine  Zunahme  der 
Pulsfrequenz  anstatt  der  Abnahme  beobachten  werden.  Im 
dritten  Falle  fand  ich  p-|-4  trotz  PG  -[-20'",  bzw.  30'" 
und  PRr  5"',  resp.  -^20'";  im  vierten  aber:  p-l“^^  f^otz 
PG-|-5'"  und  bei  PRr  —  5'".  Im  fünften  Falle  fand  ich  p  12, 
PG  0,  PRr  —  G'"  und  später  p  -[-  5,  PG  —  20'",  PRr  —  1'",  mit 
anderen  Worten  PG  und  p  verhielten  sich  in  diesem  Falle 
zwar  gemäß  dem  Katzenstein  sehen  Schema,  aber  PRr 
wies  ziemlich  beträchtliche  Unterschiede  von  PG  auf. 

2.  Bei  der  Untersuchung  von  Kranken  mit  verschiedenen 
Herzfehlern,  Herzinsuffizienz  und  weit  vorgeschrittener  Arterio¬ 
sklerose  (zusammen  14  Kranke)  stimmten  die  Ergebnisse 
ebenfalls  miteinander  nicht  überein.  Ich  fand  nämlich  in 
vier  Fällen  p 4,  -1-4,  -|- 6,  -[-14,  bei  PG-^5'",  -j- 
-|-  10'"  und  -F  5'"  und  PRr  -|-  6'",  -f-  2'",  -j-  22'",  und  19'", 
d.  h.  Zunahme  der  Pulsfreijuenz  trotz  einer  Steigerung  des 
Blutdruckes. 

In  drei  weiteren  Fällen  fand  ich  bei  p  =  0  einmal 
PG  — 15'"  und  PRr — 1"‘,  das  zweite  PG -[- 2'"  und  PRr-j- 2'" 
und  das  dritte  PG-[-5'"  und  PRr  —  4'".  In  anderen  vier 
Fällen  fand  ich  zweimal  bei  p  -j-  2  und  -|-  4  PG  —  15'"  und  0, 
dafür  aber  PRr -|- 10'"  und  6'"  und  zweimal  ganz  umge¬ 
kehrt;  bei  p-F^  4“  12  war  PG-F8‘"  und  -F  10'", 


Nr.  16 


469 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


dafür  PRr  —  1  und  —  7.  Nur  in  zwei  Fällen  beobachtete 
ich  bei  der  Abnahme  der  Pulsfrequenz  eine  Steigerung  des 
Blutdruckes,  u.  zw.  bei  einem  p  —  12,  PG  -j-  5“'  und  PRr  -j-  15‘" 
und  bei  dem  zweiten  p  —  20,  PG  -|-  10'“  und  PRr  2‘“. 
Aber  sogar  in  dem  letzteren  Falle  traten  im  weiteren  Verlaufe 
der  Krankheit  gewisse  Abweichungen  von  dem  Katzen¬ 
stein  sehen  Schema  hervor.  Denn "  nachdem  sich  der  Zu¬ 
stand  des  Kranken  bedeutend  gebessert  hatte,  stieg  zwar 
PG  von  10'“  auf  -{-  17“'  und  PRr  von  2  auf  20'“, 
aber  anstatt  p  —  20  fanden  wir  nur  p  —  8. 

3.  Nicht  minder  groß  waren  die  Widersprüche  in  den 
Ergebnissen  der  Prüfung  Nierenkranker,  unter  welchen  zwei 
junge  Leute  waren  und  vier  gleichzeitig  an  weit  vorgeschrittener 
Arteriosklerose  litten.  Nur  bei  zweien  habe  ich  gemäß  dem 
K  a  tze  n  s  t  e  in  sehen  Schema  eine  Abnahme  des  Blutdruckes 
neben  einer  Zunahme  der  Pulsfrequenz,  nämlich ;  p  -f-  4, 
PG  —  5'",  PRr  —  8'“  und  p  +  3,  PG  —  5'“,  PRr  —  12'“  fest¬ 
gestellt.  Bei  den  anderen  waren  die  Widersprüche  verschieden. 
Bei  dreien  fand  ich  Steigerung  des  Blutdruckes  neben  einer 
Zunahme  der  Pulsfrequenz,  u.  zw.  bei  einem  p  6,  PG  -j-  5“', 
PRr  -f-  8'“,  beim  zweiten  p  7,  PG  -j-  7“',  PRr  -(-  8“'  und 
beim  dritten  p  -|-  14,  PG  -j-  2'“,  PRr  -}-  15“' ;  bei  einem 
anderen  Abnahme  des  Blutdruckes  ( —  5'“)  neben  einer  Ab¬ 
nahme  der  Pulfrequenz  ( —  4).  Noch  bei  einem  anderen 
Kranken  mit  beträchtlicher  Albuminurie  fand  ich  im  Anfang 
p-[-18,  PG-|-5“‘,  PRr  0“';  während  der  Besserung  fand  ich 
p  -j-  14,  PG  0'“  und  PRr —  12“'  und  während  einer  abermaligen 
Verschlimmerung  p  -f-  14,  PG-]-19''',  PRr -|- 13'“.  In  allen 
Fällen  waren  also  die  Ergebnisse  ganz  verschieden  von  dem, 
was  wir  nach  Katzenstein  erwarten  sollten, 

4.  Unter  Fällen  chronischer  Vergiftung  des  Organismus 
habe  ich  nur  in  zwei  Fällen  von  chronischem  Alkoholismus 
Ergebnisse  erhalten,  welche  mit  dem  K a  t z  e  n  s  te  i  n  sehen 
Schema  für  schwaches  Herz  übereinstimmen,  u.  zw.  bei  einem 
Kranken  p  -)-  14,  PG  —  7'“,  PRr  —  14'“  und  bei  dem  zweiten 
p  10,  PG  —  25'“,  PRr  —  15'“.  Bei  anderen  Kranken  traten 
in  dieser  Hinsicht  verschiedene  Widersprüche  hervor.  Bei 
Bleivergiftung  beobachtete  ich  z.  B.  Abnahme  von  PG  bei 
unveränderter  Pulsfrequenz  und  dazu  PRr -j- 4'“.  Die  Prüfung 
von  zwei  ikterischen  Kranken  ergab  bei  einem  Zunahme  der  Puls¬ 
frequenz  bei  unverändertem  PG  und  PRr -{- 13“'  und  bei  dem 
zweiten  unveränderte  Pulsfrequenz  bei  PG  —  5'“  und  PRr  6'“. 

Außerordentlich  dem  Katzenstein  sehen  Schema 
widersprechende  Ergebnisse  erhielt  ich  in  einem  Falle  von 
Diabetes  mellitus.  Ich  habe  nämlich  bei  7-57o  Zucker  im 
Harn  p  —  5,  PG-}-8'“,  PR -[-13''',  d.  h.  ein  scheinbar  funk¬ 
tionsfähiges  Herz  gefunden.  Nachdem  der  Zuckermangel  im 
Harn  auf  2’57o  gefallen  war  und  gleichzeitig  Azeton  im 
Harne  erschien,  waren  die  Zahlen  p  -[-5,  PG-j-  13'“  PRr  —  6“', 
mit  anderen  Worten  PG  würde  eine  Besserung  aber  p  und 
PRr  eine  Verschlimmerung  anzeigen.  Und  nachdem  der  Azeton 
aus  dem  Harn  verschwand  und  die  Zuckermenge  =  4'57o5 
ergab  bei  gutem  Allgemeinzustande  die  Prüfung  der  Puls¬ 
frequenz  (p  —  20)  eine  Besserung  der  Herzfunktion,  während 
die  Ergebnisse  der  Pulsdruckprüfung  bestimmt  dagegen 
sprachen  (PG  —  19'“  und  PRr  —  10'“). 

In  Anbetracht  der  erwähnten  zahlreichen  Widersprüche 
zwischen  den  ermittelten  Ergebnissen  werde  ich  die  bei  einer 
Reihe  anderer  Kranken  erhaltenen  Zahlen  nicht  mehr  resü¬ 
mieren  und  die  Einzelheiten  des  Verhaltens  von  p,  PG  und 
PRr  nach  der  Unterbrechung  der  Kompression  der  Krural- 
arterie  nicht  näher  analysieren.  Ich  bemerke  nur,  daß  ich 
auch  in  dieser  Flinsicht  keine  Gesetzmäßigkeit  in  dem  ge¬ 
sammelten  Material  gefunden  habe.  Ich  muß  also  den  Schluß 
äußern,  daß  die  Katzen  st  einsche  Methode,  deren  Wert 
geradezu  unabschätzbar  wäre,  wenn  man  der  Prüfungsergeb¬ 
nisse  sicher  sein  könnte,  nicht  zur  klinischen  Anwendung 
als  immer  sichere  Methode  der  Funktionsprüfung  des  Herzens 
empfohlen  werden  kann.  Man  kann  nämlich  das  Herz  weder 
als  funktionsfähig  betrachten,  wenn  die  Ergebnisse  mit  dem 
Katzenstein  sehen  Schema  übereinstimmen,  noch  als 
insuffizient,  wenn  die  Ergebnisse  diesem  Schema  wider¬ 


sprechen.*)  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n 
uns  auf  eine  klinisch  sehr  wichtige  Tatsache  aufmerksam 
gemacht  hat,  und  es  kann  sein  Verdienst  in  dieser  Hinsicht 
absolut  nicht  unterschätzt  werden,  aber  es  ist  bei  dem  gegen¬ 
wärtigen  Stande  der  klinischen  Untersuchungstechnik  unmöglich, 
irgendwelche  Gesetzmäßigkeit  darin  zu  ergründen.  Es  findet 
nämlich  bei  diesen  Proben  ein  sehr  lebhaftes  Spiel  der 
Vasomotoren  statt,  welches  das  Resultat  der  Puls-  und  Blut¬ 
druckschwankungen  sehr  beträchtlich  beeinflußt  und  uns 
richtige  klinische  Schlußfolgerungen  über  den  Herzzustand  in 
einer  Reihe  von  Fällen  unmöglich  macht.  —  Einen  materiellen 
Beweis  des  bei  diesen  Proben  vorkommenden  Vasomotoren¬ 
spiels  stellen  uns  zahlreiche  dabei  beobachtete  Pulskurven¬ 
veränderungen.  Ich  will  hier  die  letzten  näher  besprechen, 
da  dies  bis  jetzt  weder  von  Katzenstein,  noch  von 
F.  Levy  gemacht  wurde. 

Die  Veränderungen  der  Puls  kurve  sind  verschieden 
und  beziehen  sich  sowohl  auf  Rhytmus  wie  Größe,  Span¬ 
nungsgrad  einzelner  Wellen  und  Zelerität  oder  Tardität.  Es 
scheint  mir  unmöglich,  sie  näher  zu  erklären.  Da  sie  aber 
bei  unveränderter  Lage  des  Sphygmographen,  bei  gleicher 
Einstellung  des  Schreibhebels  und  Exzenters  und  bei  möglichst 
derselben  Haltung  der  Hand  während  der  ganzen  Versuchs¬ 
dauer  auftreten,  so  muß  man  sie,  meiner  Ansicht  nach, 
von  raschen,  während  dieser  Versuche  vorkommenden  Ver¬ 
änderungen  des  Blutdruckes  in  Abhängigkeit  bringen.  Ein 
Verhältnis  zwischen  dem  Grade  der  Richtung  der  Blutdruck¬ 
schwankungen  im  Laufe  des  Versuches  einerseits  und  dem 
Grade  und  dem  Charakter  der  beobachteten  Aenderungen 
der  sphygmographischen  Kurve  anderseits  festzustellen,  scheint 
mir  zurzeit  unmöglich.  Es  ist  z.  B.  nicht  klar  genug,  warum 
bei  diesen  Aenderungen  des  Blutdruckes  im  Laufe  des  Kom¬ 
pressionsversuches  bei  gewissen  Kranken  nur  Aenderungen 
des  Spannungsgrades  der  Welle  Vorkommen,  bei  andern  nur 
in  ihrer  Größe  oder  in  einer  Abrundung  des  Gipfels,  bei 
anderen  nur  im  Rhytmus  und  schließlich  bei  noch  anderen 
gleichzeitig  in  einigen  dieser  Richtungen.  Denn  wir  sind  ja 
zurzeit  nicht  imstande,  den  Zusammenhang  zu  ergründen, 
welcher  zwischen  dem  Blutdrucke  einerseits  und  den  Ver¬ 
änderungen  der  in  ganz  analogen  äußerlich-mechanischen 
Bedingungen  aufgenommenen  Pulskurve  anderseits  existiert. 
Wenn  wir  aber  aus  diesem  Grunde  nicht  zugeben  wollten, 
daß  das  lebhafte  Spiel  der  Vasomotoren  allein  die  fort¬ 
während  beobachtete  Pulskurve  unmittelbar  beeinflußt,  so 
hieße  das  eine  zweifelsohne  existierende  Tatsache  nur  des¬ 
halb  verneinen  wollen,  weil  wir  ihre  Entstehung  noch 
nicht  erklären  können.  Ohne  also  irgendwelche  Erklärung 
der  unten  angeführten  Tatsachen  geben  zu  wollen,  führe 
ich  nur  objektiv  dasjenige  an,  was  ich  sicher  beobachtet  habe. 

Was  den  Pulsrhytmus  betrifft,  so  habe  ich  außer 
den  mehrmals  in  dieser  Arbeit  erwähnten  Aenderungen  der 
Frequenz,  verhältnismäßig  oft  beobachtet,  daß  ein  ganz 
regelmäßiger  Puls  sofort  nach  dem  Anlegen  der  komprimie¬ 
renden  Binden  arrhytrnisch  wurde,  wobei  diese  Arrhytmik 
in  gewissen  Fällen  schon  zu  Ende  der  Kompression  ver¬ 
schwand  (z.  B.  bei  einem  Pneumoniker)  manchmal  aber  nicht 
nur  während  der  ganzen  Dauer  der  Kompression  anhielt, 
sondern  diese  sogar  um  10  bis  15  Minuten  übertraf  (z.  B.  in 
einem  Falle  von  arteriosklerotischer  Nephritis).  In  einem 
anderen  Falle  (Pneumothorax)  wurde  ein  rhytmischer  Puls, 
welcher  nur  respiratorische  Schwankungen  aufwies,  während 
der  Kompression  gänzlich  arrhytrnisch. 

Nach  der  Unterbrechung  der  Kompression  wurde  der 
Puls  nach  2'  ganz  rhytmisch  nur  hyperdikrot,  während  er 
früher  hypodikyot  war.  In  einem  Falle  wurde  eine  vorüber¬ 
gehende  Bigeminie  des  Pulses  während  der  Kompression 
konstant,  um  nach  der  Unterbrechung  der  Kompression 
wieder  wie  vorher  zu  werden.  Bei  einem  Kranken,  dessen 
Pulsfrequenz  vor  dem  Versuche  68  in  1'  betrug,  wurde  diese 

*)  Ich  beobachtete  z.  B.  einen  Phthisiker  mit  septischen  Symptomen, 
bei  dem  die  Prüfung  nach  Katzenstein  30  Stunden  vor  dem  Tode 
p  —  4,  PG  und  PRr  -j-  10'"  ergab. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


bald  im  Beginne  des  Versuches  110  und  blieb  auf  dieser 
Höhe  während  des  ganzen  Versuclies  und  sogar  eine  Stunde 
nach  der  Kompression. 

^Vas  die  Aenderungen  der  Pulsspannung  betrifft,  so 
habe  ich  einige  Male  den  Uebergang  eines  normal  gespannten 
Pulses  in  dikroten  während  der  Kompression  beobachtet, 
wobei  der  Puls  beim  Nachlassen  der  Kompression  manchmal 
nach  einigen  Minuten  zur  Norm  zurückkehrte,  manchmal 
aber  auch  nach  dem  Versuche  dikrot  blieb. 

In  einigen  Aveiteren  Fällen  wurde  ein  nur  mäßig  weicher 
Puls  während  der  Kompression  der  Kruralarterien  deutlich 
dikrot.  In  einem  Falle  (Endocarditis  subacuta)  wurde  ein 
dikroter  Puls  für  die  ganze  Dauer  des  Versuches  deutlich 
gespannt. 

Im  fieberhaften  Stadium  der  kruppösen  Pneumonie 
habe  ich  einmal  beobachtet,  daß  der  normale  Puls  während 
der  Kompression  sehr  gespannt  wurde.  Zweimal  habe  ich 
eine  entgegengesetzte  Veränderung  der  Pulsspannung  be¬ 
obachtet:  in  einem  Falle  von  Nephritis  wurde  der  stark  ge¬ 
spannte  Puls  während  der  Kompression  der  Kruralarterien 
deutlich  dikrot  und  kehrte  erst  15  Minuten  nach  der  Ent¬ 
fernung  der  Binden  zu  seiner  ursprünglichen  Form  zurück. 
In  einem  anderen  ganz  analogen  Falle,  wo  der  stark  ge¬ 
spannte  Puls  während  der  Kompression  dikrot  wurde,  gewann 
dieser  im  weiteren  Laufe  des  Versuches  seine  ursprüngliche 
Form  nicht  zurück,  sondern  wurde  was  die  Spannung  und 
andere  Eigenschaften  betrifft,  ganz  normal.  In  einem  dritten 
Fall  von  Nephritis  beobachtete  ich,  daß  ein  rhytmischer 
stark  gespannter  Puls  während  der  Kompression  der  Krural¬ 
arterien  ganz  arrhytmisch  wurde  und  die  einzelnen  Wellen 
verschieden  gespannt  und  nach  der  Entfernung  der  Binden 
wieder  rhytmisch  dikrot,  was  erst  nach  10  Minuten  der 
ursprünglich  beobachteten  starken  Spannung  Platz  machte. 

Kurzum  im  Laufe  der  Katzen  st  ein  sehen  Versuche 
hatte  ich  wiederholt  Gelegenheit,  verschiedene  Aenderungen 
der  Pulsspannung  im  Laufe  von  einigen  oder  mehreren 
Minuten  zu  beobachten.  Die  Richtung  dieser  Aenderungen 
der  Pulsspannung  entsprach,  wie  schon  bemerkt,  keineswegs 
immer  der  Richtung  der  beobachteten  Blutdruckschwankungen. 
In  einem  Falle  wurde  der  Puls  mehr  gespannt,  während  der 
Abnahme  des  Blutdruckes,  in  anderen  —  und  das  viel 
öfter  —  wurde  der  Puls  weniger  gespannt,  resp.  dikrot  eben 
dann,  Avann  der  gleichzeitig  gemessene  und  verzeichnete 
Blutdruck  um  15“'  bis  20'“  und  mehr  stieg.  Diese  Disharmonie 
zwischen  den  Aenderungen  der  Pulsspannung  und  den  ver- 
zeichneten  ScliAvankungen  des  Blutdruckes  gelten,  sowohl  für 
die  Ergebnisse  des  Gär tn ersehen  Avie  des  Riva-Rocci- 
schen  Tonometers. 

In  einigen  Fällen  nahm  gleich  im  Beginne  der  Kompression 
der  Kruralarterien  die  Größe  der  aufgezeichneten  Pulswellen 
deutlich  aber  vorübergehend  zu. 

Was  schließlich  den  eigentlichen  Charakter  des  Pulses 
betrifft  (seine  Zelerität  und  Tardität),  so  habe  ich  in  vielen 
(aber  nicht  in  allen)  Fällen  bemerkt,  daß  schon  das  Zurück¬ 
führen  des  Blutdruckes  in  der  A.  brachialis  bei  der  Bestimmung 
des  Minimaldruckes  mittels  des  Riva  -  R  o  c  ci  sehen  Instrumentes 
zur'  Norm  dieses  bewirkt,  daß  die  der  normal  aussehenden 
Welle  vorausgehenden  deutlich  mehr  tardus  sind,  als  jene, 
d.  h.  einen  viel  mehr  abgerundeten  Gipfel  haben.  Dies  Avar 
mir  besonders  in  zwei  Fällen  Amn  Aorteninsuffizienz  auf¬ 
gefallen. 

ZuAveilen  treten  die  Veränderungen  der  Form  der  Puls¬ 
kurve  erst  nach  der  Entfernung  der  komprimierenden  Binden 
hervor.  Auch  hier  können  sie  in  verschiedenen  Richtungen 
sich  äußern,  obwohl  sie  in  den  meisten  Fällen  nur  die 
Spannung  betreffen.  Ich  habe  dabei  z.  B.  den  Uebergang 
eines  normalen  Pulses  in  hypodikroten  (bei  drei  Kranken) 
oder  hyperdikroten  —  bei  einem  Pneumoniker  fünf  Tage 
nach  Amllendeter  Krisis  —  beobachtet.  Bei  einem  anderen 
Kranken  Aviirde  ein  geAvöhnlicher  »Aveicher«  Puls  hyperdikrot. 
Schließlicl;  Avurde  in  einem  Falle  von  Nephritis  der  Puls, 
welcher  vor  der  Kompression  der  Kruralarterien  und  Avährend 
derselben  sehr  stark  gespannt  Avar,  plötzlich  nach  der  Unter¬ 


brechung  der  Kom[)ression  Aveich,  dann  im  Laufe  Amn  drei 
Minuten  normal  und  erst  nach  Aveiteren  zehn  Minuten  so 
stark  gespannt  Avie  im  Anfänge.  ObAvohl  ich  schon  früher 
verzeichnet  habe,  daß  die  Richtung  der  Aenderung  der 
Arterien,  bzAV.  Pulsspannung  in  meinen  Versuchen  von  der 
Richtung,  bzAv.  von  dem  Grade  der  BlutdruckschAvankungen 
ganz  unabhängig  Avar,  so  war  doch  das  zuletzt  beschriebene 
Verhalten  der  Pulsspannung  von  einem  beträchtlichen  Fallen 
des  Blutdruckes  bald  nach  dem  Entfernen  der  Binden, 
nämlich  von  PG  183'“  auf  PG  139  oder  —  44'“  und  von 
PRr  193'“  auf  PRr  166“'  oder  —  27'“,  begleitet.  Seinen 
früheren  stark  gespannten  Charakter  nahm  dieser  Puls  (bei 
immer  gleich  bleibender  Pulszahl)  erst  bei  der  Steigerung 
von  PG  um  24'“  und  PRr  um  8'“,  Avodurch  PG  seine  ur¬ 
sprüngliche  Höhe  (vor  dem  Beginn  der  Kompression)  erreicht 
hat  und  PRr  noch  hinter  dieser  um  6“'  blieb. 

Ebenso  Avie  alle  anderen  Avährend  der  Versuche  nach 
Katzenstein  scher  Methode  zu  beobachtenden  Erscheinungen 
am  Puls  und  Blutdruck  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der 
klinischen  Technik  der  funktionellen  Herzprüfung  nicht  ganz 
verständlich  sind,  bleibt  für  sich  auch  diese  Tatsache  dunkel, 
Avarum  bei  geAvissen  Kranken  die  Veränderungen  der  Puls- 
form  Avährend  der  Kompression  Vorkommen  und  bei  anderen 
erst  nach  der  Unterbrechung  derselben.  Anfangs  glaubte  ich, 
daß  man  irgend  ein  Verhältnis  zAvischen  diesen  Veränderungen 
und  dem  Zustande  des  Herzens  AA^erde  ergründen  können, 
nach  eingehender  Analyse  des  gesammelten  Materials  über¬ 
zeugte  ich  mich  aber,  daß  dies  vorderhand  unmöglich  ist. 

Li  teratur: 

9  Romberg,  Nach  Nr.  5  und  8.  —  Gräupner,  Ebenda.  — 
9  Winternitz,  Verhandlungen  des  K.  V.  f.  inn.  Med.  1886.  — 
Cybulski,  Sl.  Petersb.  med.  Woch.  1878.  —  Katzenstein, 

Deutsch,  med.  Woch.  1903,  Nr.  22  und  23.  —  ®)  Katzen  st  ein, 

Deutsch.  Zeitschr.  f.  Chirurgie,  Ed.  77.  —  9  Katzen  stein,  Medizinische 
Klinik  1906,  Nr.  40,  S.  1035.  —  9  Levy  Fritz,  Zeitschr.  f.  klin.  Med. 
1906,  Bd.  60,  S.  74.  —  ®)  Fellner  Br.,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med. 
1906,  Bd.  88,  S.  1  bis  35.  —  Straßburger  J.,  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  1904,  Bd.  54,  H.  5  bis  6,  S.  375  bis  407.  —  ”)  Straßburger  J., 

Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  1905,  Bd.  82,  H.  5  bis  6  S.  459  bis  494.  — 

’9  Senator,  Deutsch,  med.  Woch.  1903,  Nr.  4.  —  '9  Krehl,  Deutsch, 
med.  Woch.  1905,  Nr.  47. 


Aus  der  Abteilung  für  Nerven-  und  Geisteskranke  des 
k.  u.  k.  Garnisonsspitales  Nr.  1  in  Wien.  (Chefarzt 
Stabsarzt  Dr.  Bruno  Drastich.) 

Zur  Epidemiologie  der  Tetanie.*) 

Von  Regimentsarzt  Dr.  Emil  Mattauschek. 

Ueberblickt  man  die  Lileraiur  der  Tetanie  in  den  letzten 
zehn  Jahren  seit  v.  Frankl-IIochAvarts^)  erschöpfender 
Bearbeitung,  so  ist  unstreitig  dank  des  regen  Interesses, 
welches  die  Forschung  dieser  Kranldieit  zugeAvendet  hat, 
eine  reiche  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  über  das  Wesen 
derselben  und  insbesondere  über  die  Pathogenese  des 
genannten  Leidens  erreicht  worden.  Die  experimentellen 
Arbeiten  von  Vassale  und  Generali,^)  Je ande  1  i z e,^) 
Mac  Callum,'^)  Biedl,^)  Pineies, Lundborg,^)  Erd¬ 
heim,®)  Alciuier,^)  etc.  führten  zur  Erkennlnis  der  patho¬ 
logischen  Grundlage  gewisser  Formen  der  Tetanie,  als 
einer  durch  Funktionsstörung  der  Glandula  parathyreoidea 
im  Sinne  einer  Ausfallserscheinung  der  inneren  Sekretions- 
Avirkung  dieser  Drüse  bedingten  Erkrankung  des  Nerven¬ 
systems. 

Von  chirurgischer  Seite  fand  diese  Erklärung 
ihre  volle  Bestätigung  und  Avitl  ich  diesbezüglich  nur  auf 
Kochers^®)  neuestens  ausgesprochene  Erfahrungen  und 
Anschauungen  über  die  thyreopriAmn  und  thyreotoxischen 
E  rkrankungen  verAveisen. 

Bezüglich  der  direkt  a u  s  1  ö  s  e  n  d  e  n  U  r  s  a  c  h  e  n 
i.  e.  der  Aetiologie  der  nicht  operativ  bedingten  Formen 
des  Leidens  konnte  jedoch  eine  einheitliche  Auffassung  bis 
jetzt  nicht  platzgreiteii  und-  di'irfte  eine  solche  überhaupt 

*)  Vorläufige  Mitteilung,  erstattet  in  der  Gesellschaft  für  innere 
Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien  am  21.  Februar  1907. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  190?. 


471 


kaum  erreichbar  sein.  Wir  kennen  die  Tcianie  Ijei  Magen- 
nnd  Darinaffektionen,  bei  akiden  Infektionskrankbeilen,  Ver- 
giftnngen,  die  Kindertetanie,  die  Tetanie  der  Maternität  nnd 
als  größte  Clrnppe  die  sogenannte  idiopatbiscbc,  endeiniscbe, 
beziebnngs weise  endemische  Form  nnd  bat.  speziell  Pi- 
neles*)  auf  Grund  des  bei  all  diesen  Arten  zu  beob- 
acbtenden  epidemischen  Auftretens  in  den  Frübjahrs- 
monaten,  sowie  der  klinischen  Uebereinstimmnng  der  Krank- 
beitsbilder  nenerdings  die  Annahme  einer  gemeinsamen 
. p  at  h  0 1  o  g i  s  c h  -  p  h  y  s  i  o  bo  g  i  s  c h e  n  B  a s  i  S’  in  Form  eines 
znr  Wirksamkeit  gelangenden  Tetaniegiftes  für  gerecht¬ 
fertigt  ansgesprochen. 

Dnrcli  welches  endogene  oder  exogene  Agens  dieses 
Gift  wirksam  wird,  oder  bei  der  von  Lundborg**)  und 
von  Chvostek  jun.^^)  postulierten  angeborenen  oder 
erworbene  n,  im  Individuum  gelegenen  D  i  s  p  o  s  i t  i  o  n  z  ii  r 
spezifisch  tetanischen  Reaktion  die  Krankheitser¬ 
scheinungen  manifest  werden,  ist  noch  immer  unbekannt. 

i!Am  schwierigsten  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  ende¬ 
misch-epidemischen  Form,  bei  welcher  jene  unljekannte 
Noxe  an  Ort  und  Zeit  gebunden  zu  sein  scheint  nnd  wo 
zur  Erklärung,  wa!rum  dieselbe  fast  nnr  Individuen  aus  dem 
Proletariate,  insbesondere  gewisse  Arbeiterkategorien  schä¬ 
digt,  durch  die  Haltung  bedingte  Zirkulationsstö¬ 
rungen  (Lundhorg***),  hygienische  Verhältnisse, 
(Kasso witz,^^)  unbekannte  Vorgänge  im  menschlichen  Or¬ 
ganismus  zur  Zeit  des  Frühjahres  (Clivostekf)  herange¬ 
zogen  werden.  Vollends  dunkel  ist  aber  der  Zusammenhang 
individueller  Disposition  mit  dem  unregel¬ 
mäßigen  e  n  d  e  m  i  s  c  h  e  n  V  o  r  k  o  m  m  e  n  der  Tetanie  a  n 
ganz  bestimmten  Orten.  Nach  v.  F r a n k  1  - H o c h  w a r t s 
Angaben  über  die  Verl)reitung  der  Tetanie  in  Europa  ist  die¬ 
selbe  in  England,  Frankreich  sehr  selten,  in  Deutschland 
nur  in  Heidelberg  häufiger,  wogegen  die  Arbeiten  von 
Krau  shar,^^)  Voss,^^)  Wermel^'^)  über  das  ziemlich  plötz¬ 
liche  endemische,  resp.  epidemische  Wiederauftreten  der 
Erkrankung  in  Rußland,  speziell  in  Warschau,  Petersburg 
und  Moskau  Aufsebluß  geben.  So  beriebtet  Wermel  über 
sieben  Fälle,  bei  Arheitern  einer  Abteilung  in  einer  Gummi¬ 
fabrik  in  Moskau,  Voss  über  auffallend  häufige  Erkran¬ 
kungen  bei  Bleiarbeitern  (49  Fälle  in  15  Jahren)  in 
Petersburg. 

In  Oesterreicli  war  bisher  Wien  als  Hauptherd  be¬ 
kannt,  wo  die  Tetanie,  ebenso  wie  in  Budapest  (Jacobi,^*’) 
Fe ren  c z i,^’^)  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  endemisch 
ist  und  in  manchen  Jahren  epidemieartig  auftritt. 

Um  in  die  geographische  Verteilung  der  Tetanie  in  der 
österreichisch-ungarischen  Monarchie  einen  Einblick  zu  ge¬ 
winnen,  habe  ich  das  mir  zu  Gebote  stehende  Material  ge¬ 
sammelt  und  einer  genaueren  Sichtung  unterzogen. 

Von  den  Kranken,  welche  in  das  Garnisonsspital 
Nr.  1  in  Wien  in  den  letzten  zwölf  Jahren  (1895  bis  1906 
inklusive)  aufgenommen  wurden  und  deren  Zahl  56.000 
übersteigt,  habe  ich  die  Krankengeschichten  selbst  ausge¬ 
hoben,  von  den  übrigen  26  Garnisons-  und  größeren  Truppen¬ 
spitälern  der  Monarchie  die  wichtigsten  Daten  der  letzten 
zehn  .lahre  (1896  bis  1905  inklusive)  dureb  Aussendung 
von  Fragebogen  eingeholt. 

[Wenn  ich  mir  auch  dessen  bewußt  bin,  daß  bei  ein¬ 
zelnen  Zahlen  absolut  genommen  Fehler  anhaften  dürften, 
so  gestattet  doch  die  Verwertung  eines  dem  Alter,  der  Re- 
schäftigung,  Lebensweise  und  Rüstigkeit  nach  so  homogenen 
Materiales  manche  vergleichende  Schlüsse. 

Beleuchtet  man  die  bezüglichen  Verhältnisse  der  Gar¬ 
nison  Wien,  deren  Kopfstärke  mit  ca.  21.000  Mann  an¬ 
genommen  werden  kann,  zunächst  gesonderl,  so  ergibt  sich, 
(laß  in  zehn  Jahren  in  den  beiden  Garnisonsspitälern 
(Nr.  1  und  Nr.  2)  16  +  5  =  21  Fälle  zur  Aufnahme 
kamen,  von  denen  14  +>  2  --  16  auf  die  bekannten  Monate 


*)  Pineies,  1.  c. 

**)  Lundborg,  I.  c. 

***)  Lundborg,  I.  c. 
t)  Lundborg,  1.  c. 


Februar,  März,  iVpril  fallen,  und  3  +  2  =  5,  also  15%, 
respektive  10%,  Schuster  mul  Schneider  Ijetrafeii.*) 

Im  allgemeinen  glaube  ich  annelnnen  zu  dürfen,  daß 
die  Daten  der  zivilen  Krankenanstalten  untere 
Grenzen  darstellen,  da  dort  doch  nur  scliwerere  Fälle 
zur  Aufnahme  gelangen,  während  meine  Zahlen  als  obere 
Grenzen  gelten  können,  weil  beim  Militär  auch  leichte  Fälle 
zur  Spitalsabgahe  kommen. 


Tabelle  I. 

Vorkommen  der  Tetanie  nach  Garnisonen  und  Jahren: 


Ort 

1896 

1897 

1898 

1899 

1900 

1901 

1902 

19031904 

1905 

Summe 

Wien  .  .  . 

9 

1 

— 

1 

1 

2 

2 

2 

2 

1 

21 

Brünn  .  .  . 

— 

— 

— 

1 

— 

2 

2 

3 

1 

2 

11 

Olmütz  .  .  . 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

2 

4 

9 

Przemysl  .  . 

— 

2 

— 

— 

1 

2 

1 

— 

l 

1 

8 

Lemberg  .  . 

— 

— 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

2 

2 

7 

Krakau  .  .  . 

— 

— 

— 

- 

— 

— 

— 

2 

2 

— 

4 

!  Jaroslau  .  . 

1 

2  ■ 

— 

— 

— 

— - 

— 

— 

1 

1 

— 

4 

Prag.  .  .  . 

— 

2 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

4 

1  Poszony  .  . 

2 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

Laibach  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

2 

— 

— 

— 

3 

Budapest  .  . 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

1 

— 

1 

— 

3 

!  Graz .... 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

j 

Klagenfurt 

1 

1 

2 

Szombathely  . 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

1 

— 

— 

2 

Bruck  a.  L.  . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

1 

i  Theresienstadt 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

1 

Sarajevo  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

1? 

— 

— 

— 

— 

1? 

Kecskemet 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

- 

1 

— 

1 

Görz .... 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

1 

Eger .... 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

Summe 

16 

7 

2 

4 

5 

10 

8 

12 

13 

13 

*  90 

1  1 

Bei  der  Durchsicht  der  Zusammenstellung  der  Daten 
für  die  ganze  Monarchie  fällt  vor  allem  auf,  daß  auf  eine 
Kopfzahl  von  rund  400.000  Mann  nur  90  Tetanie  fälle 
in  zehn  Jahren  —  und  zwar  ausschließlich  bei  Per¬ 
sonen  des  Mannschaftsstaiides  —  erhoben  werden  konnten. 
Von  diesen  90  Fällen  kommen  auf  Wien  allein  21,  auf 
Brünn  11,  Olmütz  9,  Przemysl  8,  Lemberg  7,  Preß- 
burg,  Prag,  Krakau,  Ja  ros  lau  je  4,  wogegen  die  übrigen 
zum  Teile  gleich  großen  Garnisonen  nur  vereinzelte  Fälle 
auswiesen.  Auffallenderweise  und  im  Gegensätze  zu  den 
Angaben  Jacobis**)  und  Ferenczis***)  berichteten  die 
beiden  großen  Garnisonsspitäler  in  Budapest  zusammen 
nur  über  drei  Fälle,  wofür  ich  keine  rechte  Erklärung  finden 
kami.  Von  der  größeren  Anzahl  von  Garnisonen,  speziell 
von  den  südlichen  und  am  Meere  gelegenen  Sta¬ 
tionen  (Triest,  Zara,  Cattaro,  Ragusa),  sowie  aus  den 
bosniscli-herzegowinischen  Orten  liefen  Fehl¬ 
berichte  ein. 

Xleberblickt  man  die  Vergleichszablen  in  ibrer  An¬ 
ordnung  nach  .Jahren  zwischen  der  neuesten  Aidstellung 
V.  Frankl-Hochwar tsf)  und  meiner  Statistik,  so  ist  dar¬ 
aus  ersichtlich,  daß  der  gemeinsame  Gipfelpunkt  in 
das  Jahr  1896  fällt,  in  welchem  .Jahre  nach  Loewenthal 
und  Wie  brecht^®)  in  Breslau  gleichfalls  ein  stärkeres, 
epidemisches  Auftreten  der  Tetanie  festgeistellt  wurde.  Dann 


*)  Es  soll  gleich  hier  bemerkt  werden,  daß  teim  Militär  die  ge¬ 
nannten  Berufe  gewiß  nicht  intensiv  in  ihren  Professionen  ausgenülzt 
werden. 

**)  Jacobi,  1.  c. 

***)  F  e  r  e n  cz  i,  1.  c. 
f)  V.  Franki- Hoch  wart,  1.  c. 


f  ■ 

'ä:s  - 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


Tabelle  II. 

Vorkommen  der  Tetanie  nach  Garnisonen  und  Monaten  : 


Ort  1 

Jänner 

r£> 

ID 

Sl 

s 

April 

Mai 

1  Juni 

Juli 

1 

Aug. 

Sept. 

iS 

o 

Nov. 

1  1 

c. 

E 

m 

'  CO 

Bruck  a.  L.  . 

— 

— 

1 

— 

- 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

Brünn  .  .  . 

3 

6 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

11 

Budapest  .  . 

— 

— 

— 

— 

2 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

Eger  .... 

— 

1 

1 

Graz.  .  .  . 

— 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

Kecskemet.  . 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

Görz  .... 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

Klagenfurt 

1 

— 

— 

- 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

2 

Krakau  .  .  . 

1 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

4 

Jaroslau  .  .. 

— 

— 

1 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

Laibach  .  . 

— 

2 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

Olmütz  .  .  . 

I 

3 

4 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

9 

Lemberg  .  . 

1 

— 

4 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

7 

Poszony  .  . 

— 

2 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

4 

Prag .... 

2 

— 

1 

— 

1 

— 

— 

- 

— 

— 

— 

— 

4 

Przemysl  .  . 

1 

1 

4 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

8 

Sarajevo  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1? 

— 

— 

— 

1? 

Szombathely  . 

— 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

Theresienstadt 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

Wien  .  .  . 

2 

6 

5 

5 

2 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

21 

Summe 

!i3 

! 

23 

26 

11 

7 

2 

— 

— 

1 

2 

3 

2; 

i 

90 

V  e  r  g  1  e  i  c  h  s  k  u  r  V  e  n. 


V.  Frankl- 
H  ocliwart 
1ÖÜ7 
Allgeiii. 
Kranken- 
liaus 


k.  u.  k. 
Heer 


zeigt  sich  ein  Abfall  and  Tiefstand  bis  zu  den  Jahren 
1901,  1902,  von  welchen  angefangen  wieder  ein  gleich¬ 
mäßiger  Anstieg  bis  zum  Jahre  1905  stattfand.  Was 
die  Verleilung  der  Källe  auf  die  verschiedenen  Monate  des 
Jahres  l)etrifft,  so  kommen  12  auf  den  Januar,  23  auf 
den  Februar,  26  auf  den  März,  11  auf  den  April, 
während  die  anderen  Monate  zusammeiigenommen  nur 
18  Fälle  aufweisen.  Das  Verhältnis  der  verschiedenen 
Berufe,  Schneider  :  Schuster  ;  Sonstige,  stellt  sich  wie 
2:3: 10.  Vergleicht  man  dam i t  v.  F  r  a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  t  s  A  n- 
gahe,  daß  die  Schuster  41mal,  die  Schneider  IGinal  so  viel 
Krkrankungsfälle  liefern,  als  diesen  Berufen  ihrem  relativen 
Zahlenverhällnisse  nach  zukärae,  so  fällt  eine  erhebliche 
Differenz  auf.  Beim  Militär  kann  man  2®/o  Schuster, 
respektive  Schneider  rechnen,  woraus  sich  ergibt,  daß  hier 
die  Prävalenz  der  genannten  Professionisten  un¬ 
gleich  geringer  ausgesprochen  ist,  indem  nur  sechs¬ 
mal  soviel  Schneider  und  siebenmal  soviel 
Schuster  erkrankten,  als  ihrem  Prozentsätze  entsprechen 
würde.  Dies  dürfte  seine  Erklärung  in  allgemeinen  Mo¬ 
menten  finden,  auf  die  ich  später  noch  zurückkommen 


möchte,  sowie  in  dem  Umstande,  daßi  die  berufsmäßige 
Ausnützung  der  genannten  Leute  heim  Militär  eine  we¬ 
niger  exklusive  und  weniger  intensive  ist. 

Um  schließlich  auch  die  Frage  nach  einer  vorläufigen 
Prognosestellung  und  der  Neigung  zu  Rezidiven 
zu  berühren,  möchte  ich,  als  den  Erfahrungen  v.  Frankl- 
Hoch  wart  entsprechend,  hervorhehen,  daß  50  Heilungen 
40  Fälle  gegenüberstehen,  hei  welchen  die  Dienst¬ 
tauglichkeit  für  längere  Zeit  verloren  ging,  sowie,  daß 
unter  den  90  Fällen  23  wiederholte  Erkrankungen- 
festgestellt  werden  konnten.  Diese  23  Fälle  betrafen  teils 
Leute,  welche  bereits  in  Zivil  einmal  an  Tetanie  erkrankt 
waren,  teils  während  ihrer  aktiven  Dienstzeit  mehrmals  er¬ 
krankten  und  wobei  die  Rezidive  kurze  Zeit  nach  der 
ersten  Entlassung  aus  der  Behandlung  nicht  gerechnet, 
sondern  nur  Neuerkrankungeu  frühestens  nach  Jahresfrist 
ins  Kalkül  gezogen  wurden. 

Zieht  man  aus  diesen  statistischen  Daten  das  Re¬ 
sümee,  so  ergibt  sich  vor  allem,  daß  die  Tetanie  im 
Heere  eine  nicht  häufig  vorkommende  Erkrankung  ist 
und  gewiß  seltener  beobachtet  wird,  als  im  Zivil.  Da 
die  fragliche  Infektionsmöglichkeit  von  außen  für 
sämtliche  in  einer  bestimmten  Gegend  lebenden  Individuen 
so  ziemlich  die  gleiche  ist,  refrigeratorische  Schäd¬ 
lichkeiten  für  den  Soldaten  gewiß  häuf i ger  und  inten¬ 
siver  in  Betracht  kommen,  so  ist  die  Erklärung  dafür  wohl 
nur  zu  suchen  einerseits  in  der  für  den  Soldaten  notwen¬ 
digen  guten  Körperkons  fitution,  in  der  regelmäßigen 
Lebensweise,  anderseits  aber  auch  zweifellos  in  den 
hygienischen  Verhältnissen,  welche  gegenüber  den 
Lebensbedingn  Ilgen  des  größeren  Teiles  des  Proletariates 
als  recht  günstige  anzusehen  sind.  ' 

Die  Verteilung  der  Fälle  auf  die  verschiedenen 
Garnisonsorte  läßt  ersehen,  daß  in  der  Monarchie  außer 
in  Wien  auch  in  Mähren  (Brünn,  Olmütz)  und  in  Ga¬ 
lizien  (Przemysl,  Lemberg,  Krakau)  Tetanieherde  sind, 
während  die  südlichen,  insbesondere  die  am  Meere  gelegenen 
Stationen  tetaniefrei,  Tirol  und  Steiermark,  wo  der 
Kropf  endemisch  ist,  auffallend  tetaniearm  sind.  Auf 
letzteren  Umstand  hat  bereits  v.  Frankl-Hochwart 
verwiesen  und  jüngst  erst  wieder  Chvostek*)  aufmerk¬ 
sam  gemacht  und  nimmt  speziell  letzterer  für  das  gehäufte 
Auftreten  der  Tetanie  an  bestimmten  Orten  ähnliche  Vor¬ 
gänge  an  den  Epithelkörpern  an,  wie  sie  für  das  analoge 
Verhalten  des  Kropfes  supponiert  sind.  Erwägt  man, 
daß  in  der  Vlonarchie  trotz  des  Wechsels  einzelner 
Heeresteile,  welche  sich  aus  den  verschiedensten  Orten 
rekrutieren,  die  Tetanieherde  die  gleichen  bleiben, 
so  würde  dies  wohl  den  Schluß  rechtfertigen,  dt^ß  die  Ur¬ 
sache  für  das  besonders  häufige  Auftreten  der  Tetanie 
mehr  an  den  Ort,  als  an  eine  im  Individuum  gelegene 
Disposition  gebunden  scheint. 

Anhangsweise  möchte  ich  noch  einige  bemerkens¬ 
werte  Details  und  Krankengeschichten  der  in  den 
Jahren  1895  bis  1906  inklusive  im  Garnisonsspitale 
Nr.  1  in  Wien  beobachteten  22  Fälle  anführen.  Soweit 
überhaupt  auslösende  Ursachen  eruierbar  waren,  bezie- 
Imngsweise  angegeben  sind,  fand  sich  in  fünf  Fällen  eine 
vorausgegangene  Erkältung,  in  zwei  Fällen  begann  die 
Tetanie  im  Verlaufe  eines  heberhaften  Bronchialkatarrhes, 
in  einem  Falle  schien  starke  körperliche  Anstrengung  die 
Erkrankung  hervorgerufen  zu  haben;  einmal  war  dieselbe 
mit  Epilepsie,  welche  bereits  acht  .Tahre  vorher  bestanden 
hatte,  kombiniert,  einmal  mit  Hysterie,  einmal  trat  die  Te¬ 
tanie  gleichzeitig  mit  Gelenksrheumatismus,  einmal  mit 
Morbus  maculosus  Werlhoffii  auf. 

1.  Infanterist  A.  L.  Aufnahme  1.  Mai  1896.  1895  Tetanie. 
Seit  drei  Woclien  leichte,  mit  Parästhesien  einher.cehende  Krampf¬ 
anfälle.  Gleichzeitig  Auftreten  von  Blutaustritten 
unter  die  Haut.  ->■ 

Status:  Chv.  +  beiderseits,  Tr.  — ,  Erb  gering.  .'\n  Stirne, 
Augenlidern,  Brust  und  Hals  zahlreiche  feinste,  bis  linsengroße, 


*)  Chvostek  jun.,  I.  c. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


■m 


unregelmäßig  gcsiallefo  Hluhuisf ri( le  uiUer  die  Haut.  20.  i\lai 
geheilt. 

2.  Whiclisoldat  11.  II.  Aufiialinio  3.  April  1900.  Eiti  Jahr  in 
Göi'z  gedient  hei  der  Infanterie,  gesund  gewesen,  nach  Wien 
transferiert.  2.  April  während  des  Wachdienstes  an  Tetanie  er¬ 
krank  I..  Schwere  und  häufig-  auf  tretende,  typische  Krampf¬ 
anfälle  mit  Trismus,  Beteiligung  der  Lider;  ini  Intervall  fihril- 
I  ä r  e  Z u  c k  u  n  g e  n  u  n  d  spastische  Ve r e  n  ge  rung  de r  L i d- 
und  Mundspal  te. 

Status:  Cliv.  1  +,  Tr.  -|-,  nach  30  Sekunden,  Plrb  +, 
Schnitze  +.  25.  April  auf  Urlauh  entlassen. 

3.  Ulane  A.  W.  Aufnahme  26.  Februar  1905.  Drei  Tage  im 
Freien  im  Dienste,  viel  zu  Pferd  Imi  großer  Kälte,  bald  danach 
Schwellung  der  Knie-  und  Fußgelenke,  dann  schmerz¬ 
hafte  tonische  Krämpfe  in  den  Beinen. 

Status:  Chv.  1  +,  Tr  +,  Erb  +,  Schultze  +.  Spontan, 
hei  Bewegungen,  Reflcx])i'üfimg  treten  heftige  tetanische  Krämpfe 
in  den  Beinen  mit  starker  Plantarflexion  auf.  20  bis  25  Anfälle 
täglich,  später  auch  Beteiligung  der  Arme  und  der  Gesichts- 
muskulat.ur.  Langsame  Besserung.  10.  Juni  1905  superarhitriert. 

4.  Wartmann  G.  T.  Aufnahme  2.  l\Iärz  1906.  Ein  Bruder 
und  eine  Sclnvester  litten  ebenfalls  an  Tetanie.  Er 
seihst  leidet  seit  dem  18.  Lebensjahr  nach  einer  mit  Schüttel¬ 
frost  und  Kopfschmerzen  einhergehenden  Erkrankung  in  wech¬ 
selnder  Intensität  daran.  Seit  einem  Monat  Verdauungsstörungen, 
gleichzeitig  häufiger  auftretende  Krämpfe,  sieht  abends  wie 
durch  einen  Schleier. 

Status:  Schilddrüse  etwas  vergrößert,  weich,  Bronchitis, 
Apizitis.  Chv.  1  +,  Tr.  +,  links  nach  15  Sekunden,  rechts  nach 
23  Sekunden,  Krampferscheinungen  an  den  Beinen  jiach  Kom¬ 
pression  der  Arteria  femoralis,  rechts  nach  28  Sekunden,  links 
nach  63  Sekunden.  Im  Verlaufe  schwindet  zuerst  Chv.  links, 
dann  Tr.  Langsame  Besserung.  ‘2.  Juli  1906  superarbitriert. 

5.  Gefreiter  P.  U.  Aufnahme  8.  April  1906.  Seit  zwei 
]\Ionaten  typische,  aber  noch  selten  auf  tretende  Krämpfe  in  den 
Ai'inen  und  Beinen,  Parästhesien ;  Anfälle,  mit  starkem 
Schweißausbruch  und  Tachykardie  (150  bis  200  Pulse) 
verbunden. 

Status:  Chv.  1  Tr.  +,  an  den  obei'en  Extremitäten 
rechts  nach  14  Sekunden,  links  nach  17  Sekunden,  an  den  unteren 
rechts  nach  42  Sekunden,  liidcs  nach  35  Sekunden;  Beklopfen 
des  Erb  sehen  Punktes  gibt  Zuckung  der  Armmusku¬ 
latur.  Protrahierter  Verlauf.  23.  Mai  1906  beurlaubt. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir,  Herrn  Prof.  v.  Frankl- 
H  och  wart  für  seine  vielfache  Anregung  und  Unterstützung, 
sowie  den  Kameraden  für  ihre  Beihilfe  bei  der  Sammlung 
des  Materiales  und  für  die  Ueberlassung  der  Krankenge¬ 
schichten  meinen  ergebensten  und  besten  Dank  aus¬ 
zusprechen. 

Benützte  Literatur: 

ha.  V.  F  r  a  n  k  1  -  H  0  c  h  w  a  r  t,  Die  Tetanie.  Nothnagels  Hand¬ 
buch  1897,  Bd.  11,  11.  Teil.  —  b.  Die  Schicksale  der  Tetaniekraiiken. 
Wiener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  7.  —  c.  Die  Prognose  der  Tetanie 
der  Erwachsenen.  Nenrol.  Zentralbl.  1906,  Heft  14  u.  15,  S.  6-12  und  694. 

—  d.  Die  Tetanie.  2  Auflage.  (Tabelle  I.)  Erscheint  im  Druck  1907.  — - 
a.  Vas  s  al  e,  Tetania  da  allatamento  in  una  caguaparzialmente  paraliroidecto- 

mizzata.  Riv.  sper.  di  freniat.,  Tome  23,  ref.  Neurol.  Zentralbl.  1899,  S.  170. 

—  b)  Vassale  et  Generali,  Fonction  parathyreoid.  et  fonction  thyreoid. 
Arch.Ital.de  Biol.,  Tome  33,  fase.  1,  ref.  Neurol.  Zentralbl.  1900,  S.  811. 

—  c.  Vas  sale,  Funzione  paratiroid.  et  funz.  tiroid.  Riv.  sper.  di  freniat. 
et  med.  leg.,  Tome  27,  fase.  3  u.  4,  ref.  Neurol.  Zentralbl.  1903,  S.  309. 

—  3)  t  6  ^  ®  t  i  z  Insuffisance  thyreoid,  et  parathyreoid.  Rev.  neurol.  1903, 

Nr.  5.  —  h  Mac  C  a  1 1  u  m.  Die  Beziehung  der  parathyreoid.  Drüsen  zur 
Tetanie.  Zentralbl.  f.  allgem.  Pathol,  u.  pathol.  Anat.,  Bd.  16,  Nr.  10.  — 
D  B  i  e  d  1,  Innere  Sekretion,  Wien  1904,  —  ®)  Pi  n  e  1  e  s.  Zur  Pathogenese 
der  Tetanie.  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Med.,  Bd.  85,  Heft  5  und  6.  — 
b  Lundberg,  Spielen  die  Gland,  parath.  in  der  menschl.  Pathologie 
eine  Rolle?  Deutsche  Zeitschrift  f.  Nervenheilk.,  Bd.  27,  Heft  3  ii.  4.  — 
®)  E  r  d  h  e  i  m,  lieber  Tetan.  parathyreopr.  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906, 
Nr.  23  bis  26.  Mitt.  a.  d.  Grenzgebiete  der  Medizin  und  Chirurgie,  Bd.  16, 
Heft  4  und  5.  —  ®)  Alquier,  lieber  die  Beziehung  d.  Gland,  parathyr, 
zum  Auftreten  von  Konvulsionen.  Gaz.  des  höpit.  1906,  Nr.  128.  — 
‘h  Kocher-Kraus,  lieber  die  Pathologie  der  Schilddrüse.  Münchener 
med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  18.  —  “)  C  h  v  o  s  t  e  k  jun,,  Bemerkungen 
zur  Aetiologie  der  Tetanie.  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  Nr.  38.  — 

K  a  s  s  o  w  i  t  z,  Diskussion  zu  Erdheims  Vortrag.  Wiener  klin.  Wochen¬ 
schrift  1906,  S.  779.  —  'h  Kraus  har,  lieber  die  manifeste  und  laivierte 
Tetanie  bei  Kindern.  Medycyna  1900,  ref.  Neurol.  Zentralbl.  1901,  S.  999. 

—  Voß,  lieber  Tetanie  und  myoton.  Störungen  bei  dieser  Erkrankung. 
Monatsh.  für  Psychiatrie  und  Neurologie  1901,  8;  Bemerkungen  zur 
Genese  der  Tetanie.  Psych,  neur.  Wochenschrift  1903,  Nr.  50.  — 
’D  Wermel,  Tetanusepidemie.  Gesellschaft  der  Neurologen  und  Irren¬ 
ärzte  in  Moskau.  Oktober  1900,  ref.  Neurol.  Zentralbl.  1902,  S.  136.  — 

Jacobi,  Struma  und  Tetanie.  Wiener  klin.  Wochenschrift  1904, 


S.  768.  —  Ferenczi,  Mitteilungen  in  der  psych,  und  neurolog. 
Sektion  des  Aerztevereines  in  Budapest,  27.  Februar  1905,  ref.  Neurol. 
Zentralbl.  1905,  S.  927.  —  '*)  Löwen  thal  und  Wiebrecht,  lieber 
Behandlung  der  Tetanie  mittels  Nebenschilddrüsenpärparaten.  Deutsche  Zeit¬ 
schrift  für  Nervenheilkunde,  Bd.  31,  S.  415  u.  434. 


Aus  der  psychiatrischen  Klinik  in  Prag.  (Vorstand: 

Prof.  A.  Pick.) 

Zur  Frage  der  Abgrenzung  der  ideatorischen 

Apraxie. 

Von  Dr.  Alexander  Margulies,  erstem  Assistenten  der  Klinik. 

Die  neue  Entwicklung  der  Lehre  von  Störungen  des 
Handelns  hat  die  Frage  der  Abgrenzung  der  Apraxie  von  der 
Agnosie  in  den  Vordergrund  gerückt  und  es  ist  Liepmanns 
großes  Verdienst  durch  seine  feinsinnige  Analyse  eines  Falles 
von  motorischer  Apraxie^  und  weiter  daran  geknüpfte  all¬ 
gemeine  Ausführungen  Uber  Störungen  des  Handelns-)  den 
festen  Ausgangspunkt  für  derartige  Untersuchungen  geschaffen 
zu  haben.  Allerdings  hebt  auch  Fiep  mann  das  Unsichere 
aller  Einteilungen  gegenüber  dem  Fluß  der  Erscheinungen 
hervor  und  in  praxi  dürfte  die  Unterscheidung  gewiß  oft 
viel  mehr  Schwierigkeiten  bereiten,  als  man  es  vorweg 
theoretisch  annehmen  sollte.  Ganz  besonders  gilt  dies  für 
jene  Form  von  Störungen,  die  im  engsten  Grenzgebiete 
liegen,  d.  h.  bei  der  Apraxie,  deren  genauere  Kenntnis  wir 
Pick  verdanken®)  und  die  man  nach  Liepmanns  Vorschlag 
als  ideatorische  bezeichnen  kann.  Während  Liepmann 
geneigt  ist,  diese  ideatorische  Apraxie  als  den  Ausdruck  all¬ 
gemeiner  Funktionsstörung  anzusehen,  möchte  ich  doch  in 
Uebereinstimmung  mit  Heilbronner ’)  glauben,  daß  auch 
hier  der  mühsame  und  vielleicht  oft  ungangbare  Weg  be¬ 
treten  werden  muß,  der  durch  eine  sorgfältige  Zerlegung  und 
Wertung  aller  in  Betracht  kommenden  Ausfallserscheinungen 
zu  einem  Verständnis  der  einzelnen  Komponenten  führt  und 
damit  neben  einem  Einblick  in  den  Aufbau  der  Idee  einer 
Handlung  auch  in  diesem  Gebiete  lokalisatorische  Gesichts¬ 
punkte  eröffnet.  Ich  möchte  dies  noch  ganz  besonders  mit 
Rücksicht  auf  eine  Bemerkung  Liepmanns^)  hervorheben, 
die  den  Gegensatz  von  lokalisatorischer  und  rein  psycho¬ 
logischer  Betrachtungsweise  betrifft  und  die  aus  den  Zusammen¬ 
hang  gerissen,  gewiß  meines  Erachtens  leicht  zu  einer  falschen 
Problemstellung  führen  kann.  Jede  durch  einen  Herd  bedingte 
Hirnläsion  läßt  den  Versuch  einer  Lokalisation  an  sich  be¬ 
gründet  erscheinen,  zumal  wenigstens  im  Beginn  wohl  nie¬ 
mals  schon  wegen  der  Nachbarschaftswirkung  irgendwie  an¬ 
gedeutete  Herdsymptome  vermißt  werden.  Nur  liegt  es  in  der 
Natur  der  Sache,  daß,  wenn  der  Ausfall  eine  einfache 
Handlung  oder  Fähigkeit  betrifft,  das  lokalisatorische  Moment 
im  Vordergründe  steht,  bei  komplizierten  Störungen  aber 
die  psychologische  Betrachtung  im  weitesten  Sinne  den 
Lokalisationsbestrebungen  erst  die  Wege  weisen  muß.  Ein 
solcher  Vorgang  ist  schon  aus  dem  Grunde  unvermeidlich, 
weil  in  der  Regel  der  Kern  der  Erscheinungen  erst  heraus¬ 
geschält  werden  muß,  da  wirklich  reine  Fälle  niemals 
zur  Beobachtung  kommen,  so  daß  selbst  der  Fall  von  Re¬ 
gierungsrat  Liepmann,  der  wohl  für  das  Gebiet  der 
Apraxie  das  höchste  an  Eindeutigkeit  und  Klarheit  darstellt, 
nicht  ganz  frei  ist  von  Symptomen,  die  nicht  ohneweiters 
als  motorisch  apraktisch  gedeutet  werden  können.  In  selbst¬ 
verständlich  noch  gesteigertem  Maße  gilt  dies  für  die  idea¬ 
torische  Apraxie  und  wiederholt,  ganz  besonders  auch  bei 
Besprechung  der  Lokalisation,  hebt  Liepmann*^)  das  Daneben¬ 
bestehen  motorisch  apraktischer  Symptome  hervor.  In  dem 
an  dieser  Stelle  ausgeführten  Sinne,  daß  sich  eine  allgemeine 

b  Liepmann,  Das  Krankheitsbild  der  Apraxie.  Berlin  1900.  S.  Karger. 

Liepmann,  Heber  Störungen  des  Handelns  bei  Geisteskranken. 
1905.  S.  Karger. 

b  Pick,  Studien  über  motorische  Apraxie.  Leipzig  und  Wien 
1905.  F.  Deuticke. 

b  Heilbronner,  Zeitschrift  für  Psychologie  und  Physiologie  der 
Sinnesorgane.  Bd.  39,  S.  190. 

Liepmann,  1.  c.,  S.  38. 

®)  Liepmann,  1.  c.,  S.  144. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


ideatorische  Schwäche,  z.  B.  besonders  zwischen  Erfolgs¬ 
vorstellungen  und  Teilzielvorstellung  geltend  machen  wird, 
wenn  nebenbei  eine  Beimischung  von,  wenn  auch  leichter, 
motorischer  Apraxie  sich  vorfindet,  möchte  ich  den  Stand¬ 
punkt  Eiepmanns  ganz  allgemein  akzeptieren.  Es  hat 
schon  Pick^j  bei  Besprechung  des  Falles  Salamoun  auf 
die  Bedeutung  der  gestörten  Aufmerksamkeit  in,  wie  ich 
glaube,  überzeugender  Weise  hingewiesen  und  gleichzeitig 
auch  das  Partielle  der  Erscheinung  hervorgehoben.  Es  kann 
gerade  dieser  letzte  Punkt  gegenüber  der  Bolle  von  allgemeinen 
Symptomen  wie  Gedächtnis-,  Aufmerksamkeitsstörungen  und 
ähnlichem  nicht  scharf  genug  betont  werden  und  ich  möchte 
auch  hier  zum  Vergleiche  die  von  Pick®)  angeführte  Analogie 
mit  Fällen  sogenannter  lokalisierter  seniler  Atrophie  heran- 
zichen;  denn  hier  zeigt  sich  die  allgemeine  Gedächtnis¬ 
störung  zunächst  ganz  besonders  im  Sprachgebiete  als 
amnestische  Aphasie  und  später  sprechen  der  vollkommene 
Sprachverlust  und  der  entsprechende  Sektionsbefund  dafür, 
daß  auch  schon  zu  Beginn  der  atrophische  Prozeß  besonders 
in  der  Sprachregion  eingesetzt  hat.  Dieser  Analogie  zufolge 
würde  sich  ungezwungen  die  Annahme  ergeben,  daß  im  Ge¬ 
biete  des  Handelns  allgemein  psychische  Symptome  in  der 
Form  der  ideatorischen  Apraxie  dann  besonders  manifest 
werden,  wenn  entweder  eine  unvollständige  oder  durch  Nach¬ 
barschaftswirkung  hervorgerufene,  partielle,  funktionelle, 
motorische  Apraxie  oder  eine  unvollständige  Agnosie,  oder 
aber  beide  zusammen  nebenbei  vorhanden  sind.  Diese  Auf¬ 
fassung  gewinnt  noch  eine  Stütze  in  dem  Umstand,  daß  man 
gewöhnlich  ideatorische  Apraxie  entweder  als  anfallsweises, 
der  Rückbildung  fähiges  Symptom  oder  als  Episode  einer 
progressiven,  zu  voller  Herabsetzung  aller  psychischen  Tätig¬ 
keit  führenden  Erkrankung  beobachtet.  Im  Lichte  dieser 
Auffassung  erscheint  auch  das,  was  an  der  ideatorischen 
Apraxie  lokalisierbar  ist,  umschrieben  und  wenn  ich  nun 
daran  gehe,  meinen  Fall  in  dem  Sinne  zu  deuten,  so  ver¬ 
hehle  ich  mir  die  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  entgegen¬ 
stellen,  ganz  und  gar  nicht;  denn  viele  Erscheinungen  sind 
mehrdeutig,  manche  Auffassung  der  pathologischen  Komplexe 
läßt  sich  mehr  vermuten  als  aussprechen.  Trotzdem  glaube 
ich,  daß  die  Mitteilung  eines  weiteren  einschlägigen  Falles 
und  der  Versuch  einer  weiteren  Abgrenzung  der  dabei  be¬ 
obachteten  Erscheinungen  nach  ihrer  eigentlichen  Natur  nicht 
ohne  Wert  ist,  einmal,  weil  der  im  vorliegenden  Falle 
beobachtete,  wenn  auch  nur  für  kurze  Zeit  sich  steigernde 
Symptomenkomplex  mehrfache  präzisierbarc  Anhaltspunkte 
gerade  für  die  Beziehungen  zur  Agnosie  und  motorischen 
Apraxie  bietet  und  dann,  weil  es  uns  an  der  Hand  der  er¬ 
weiterten  Lehre  möglich  war,  die  Untersuchungen  beim 
Kranken  von  vornherein  in  diesem  Sinne  anzustellen. 

Ich  will  nun,  bevor  ich  in  meinen  Ausführungen  weiter¬ 
schreite,  die  bezüglichen  Beobachtungen  aus  der  Kranken¬ 
geschichte  vorausschicken. 

Der  Kranke  L.  B.,  34jäliriger  Zahntechniker,  wurde  am 
18.  Juni  1906  an  der  Klinik  aufgenommen.  Von  seiner  früheren 
Krankengeschichte  erwäline  ich  nur  kurz  zum  Verständnis,  daß 
er  vor  tnehreren  Jahren  luetisch  infiziert  war.  Seit  Anfang 
Fehruar  1906  fühlte  er  sich  schwach,  matt  und  hatte  gelegentlich 
Parästhesien  der  rechten  Körperhälfte.  Am  4.  Mai  hatte  er  einen 
Anfall  mit  rechtsseitigen  epileptischen  Krämpfen,  mit  nachfolgen¬ 
dem  Sprachverlust  und  Desorienlieriheit.  Die  rechtsseitigen  epilep¬ 
tischen  Anfälle  wiederholten  sich  noch  einige  Male,  am  9.  Mai  und 
besonders  intensiv  am  14.  Mai. 

Seither  und  ebenso  Ijei  .seiner  Aufnahme,  sowie  in  der  Folge- 
z(“it  zeigt  Pat.  <lauernd  vonviegend  folgende  Symptome: 

Spastische  Parese  des  rechten  Armes,  rechtsseitige  Zungen- 
und  Fazialisparese,  Hautsensihilitätsstörungen  der  rechten  Körper- 
scite  in  allen  Qualitäten,  hochgradige  Störungen  des  Jjagegefühles 
und  der  Stereognose  des  rechten  Armes,  Steigerung  der  rechts- 
.seitigen  Sehnenreflexe  und  endlich  eine  amnestische  Agraphie; 
dieser  Zustand  wurde  auch  während  seines  Aufenthaltes'  an  der 
Klinik  durch  das  wiederholte  Auftreten  streng  rechts  lokalisierter 
epilei)lischer  Anfälle  unterbrochen,  nach  denen  regelmäßig  eine 
Verstärkung  der  Parese,  sowie  der  Einiritt  zunäcdist  nahezu  voll- 

")  l’ji  c  k,  1.  c.,  S.  92. 

«)  P;  c  k,  1.  c.,  S.  120. 


ständiger  motorischer  Aphasie  und  Worttauhheit  konstatiert 
werden  konnte,  die  nach  kurzem,  in  transkortikale  Störungen 
übergehend,  sich  immer  wic'der  z,urückhildeten.  In  den  letzten 
Tagen  des  Februar  und  in  den  ersten  Tagen  des  März  traten 
wiederum  Anfälle  auf,  in  deiien  sich  allmählich  vollstämlige 
Aphasie  und  in  bezug  auf  Störüngen  des  Handelns  nachstehende 
Symptome  entwickelten : 

Während  sich  im  Krankenprotokoll  noch  am  21.  Fehruar 
die  Notiz  findet,  daß  Pat.  in  seinem  Handeln  ungestört  ist,  sich 
z.  B.  seine  Wäsche  seihst  flickt,  bietet  er  am  26.  Fehniar  nach 
einem  Anfall  folgenden  Befund:  Pat.  vei’steht  AufforderungiMi 
nicht,  haidiert  zunächst  mit  einzelnen  Gegensläuden  (kleine  Säge, 
Trompete,  Zwicker,  Bleistift)  mit  beiden  Händen,  rechts  entspre¬ 
chend  den  dauei’nden  Störungen  ungeschickt,  richtig.  Einen  Feder¬ 
halter  ninmd  er  richtig  in  die  Hand,  will  aber,  ohne  einzutauchen, 
schreiben;  es  wird  ihm  eine  Kußhand  vorgemacht;  Pat.  winkt 
zunächst  mit  der  linken  Hand,  macht  es  erst  dann  korrekt;  mit 
der  rechten  macht  er  zuerst  einige  unverständliche  Bewegungen, 
bevor  er  es  entsprechend  zustande  bringt.  Als  ihm  hierauf  ein 
Schlüssel  gereicht  wird,  macht  er  die  entsprechende  Bewegung 
damit;  mit  Zündholz  und  Kerze  hantiert  er  folgendermaßen: 
er  inaclit  die  Schachtel  richtig  auf  und  nimmt  ein  Zündholz 
heraus,  gibt  cs  in  die  rechte  Hand  und  nähert  es  unangebrannt 
der  Kerze,  wirft  cs  fort,  nimmt  ein  zweites  heraus,  macht  damit 
ähnliche  Bewegungen  wie  vorher  mit  dem  Schlüssel,  .führt  es 
hierauf  (vielleicht  an  der  Vorstellung  der  Kußhand  klebend)  zum 
Munde,  versucht  es  an  seiner  linken  Hand  anzureiben,  weist 
die  ihm  entgegengehaltene  Zündholzschachtel  zurück,  und  als 
ihm  das  Zündholz  angezündet  in  die  Hand  gegeben  wird,  löscht  er 
es  aus.  Auf  neuerliche  Aufforderung  nimmt  er  wieder  ein  Zünd¬ 
holz  in  die  rechte  Hand,  versucht  es  an  der  Hand,  an  der  Kerze 
und  am  Leuchter  anzureiben,  und  als  es  ihm  jetzt  brennend  in  die 
Hand  gegeben  wird,  zündet  er  die  Kerze  an.  Grußbewegung, 
Drohen,  Händefalten  macht  er  richtig  nach;  eine  lange  Nase 
ebenfalls,  aber  nur  mit  der  linken  Hand,  mit  der  rechten  dagegen 
vollführt  er  einige  ganz  unverständliche  Bewegungen,  lacht  aber 
immer,  sobald  ihm  die  lange  Nase  vorgemacht  wird,  entsprechend 
schalkhaft  dazu.  Vorgemachte,  im  Kreise  -drehende  Bewegungen 
imitiert  er  im  umgekehrten  Sinne  entsprechend  dem  Spiegelbild, 
sowohl  rechts  als  links.  Als  ilim  eine  Trommel  und  Schlägel 
gereicht  werden,  trommelt  er  mit  der  linken  Hand  richtig,  mit 
der  rechten  Hand  macht  er  ganz  sinnlose,  stoßende  und  drehende 
Bewegungen  und  pfeift  dazu  ein  Lied. 

Beim  nächsten  Examen  nimmt  er  eine  Zahnbürste  mühsam 
in  die  rechte  Hand  und  fährt  sich  damit  rasch  über  den  Schnurr¬ 
bart.  Auf  ein  ünwilliges  Kopfschütteln  setzt  er  ab  und  bürstet 
sich  das  Kopfhaar;  genau  das  Gleiche  wiederholt  sich,  als  ihm 
die  Zähnhürste  in  die  linke  Hand  gegeben  wird.  Hierauf  setzt  er 
den  Hut  richtig  auf  die  Stirne,  legt  einen  Kragen  um  den  Hals, 
verwendet  nach  kurzem  Nachdenken  einen  Schlüssel  richtig, 
ebenso  eine  Kleiderbürste ;  als  ihm  dann  nochmals  die  Zahn¬ 
bürste  gereicht  wird,  fährt  er  wieder  damit  über  sein  Kopfhaar. 

In  den  nächsten  Tagen  bessert  sich  der  Zustand  zusehends, 
Fehlreaktionen  werden  nur  ganz  selten  beobachtet. 

Am  3.  März  neuerlich  einige  Anfälle,  worauf  am  nächsten 
Tage  wieder  folgende  Fehlreaktione]i  bemerkbar  werden: 

Eine  Pfeife  steckt  er  mit  der  linken  Hand  ganz  ungi'schickt 
in  den  Älund  und  brennt  sie,  trotzdem  ihm  ein  Zündholz  gegeben 
wird,  nicht  an ;  einen  hierauf  gereichten  Schlüssel  führt  er  zu¬ 
nächst  ebei) falls  zum  Mund,  merkt  anscheinend  dann  selbst,  daß 
es  falsch  sei,  wiederholt  aber  trotzdem  einige  Älale  die  gleiche 
Bewegung,  bis  er  plötzlich,  v/ie  erleuchtet  freudig  aufblickt  und 
die  entsprechende  Bewegung  macht;  hieratif  gebraucht  er  einige 
Gegenstände  richtig;  einen  ihm  später  gereichten  Bleistift  nimmt 
er  wie  eine  Zigarre  saugend  in  den  Mund  und  verwendet  ihn 
erst  richtig,  als  ihm  ein  Papier  hingehalten  Avird.  Mit  einem 
Trommelschlägel  reiht  er  einfach  auf  der  Trommel  und  macht  die 
richtige  Bewegung  erst  dann,  als  es  ihm  viermal  vorgezeigt  wurdi*; 
einen  Hammer  dreht  er  zunächst  mit  der  linken  Hand  peruhd- 
artig  hin  und  her,  nimmt  ihn  dann  iu  die  i-echte  und  jeibl 
auf  der  linken  Handfläche  herum,  trotztlem  ilnn  die  .richtige 
Bewegung  wiederholt  vorgezeigt  wird;  eine  Schere  nimmt  er 
soAVohl  rechts  als  links  richtig  in  die  Hand,  macht  erst  einige 
unzAA^eckmäßige,  dann  die  richtigen  BcAA-egüngen ;  mit  einem  Löffel 
macht  er  ganz  unverständliche  drehende  BeAvegungen. 

Am  6.  März  hat  Pat.  wieder  Ader  Anfälle,  nach  denen  eine 
Verstärkung  der  rechtsseitigen  Parese  und  eine  nahezu  voll¬ 
kommene  motorische  und  sensorische  Aphasie  in  die  Erscheinung 
traten.  Auch  bezüglich  des  Handelns  ist  der  Zustand  schlechter 
als  vorher;  eine  Schere  nimmt  er  in  die  linke  Hand  und  ver- 
Avendet  sie  richtig;  die  Zahnbürste  vei’Avendet  er  Avieder  Avie  eine 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Kopfbürsle,  einen  K;unni  hält  er  iiaclKlenklicli  vor  den  Angen. 
und  legt  ihn  dann  weg;  einen  Löffel  ninnnt  er  richlig  in  die 
llanil,  denkt  dann  anscheinend  nach  und  macht  hierauf  eigentüm¬ 
liche  drehende  Bewegungen,  auch  dann,  als  ihm  der  (tehranch 
des  Löffels  vorgemacht  wird  und  führt  ihn  erst  richtig  an  den 
Alund,  nachdem  ihm  seine  Hand  zn  dieser  Bewegung  geführt 
wurde.  Einen  Hammer  hetrachtet  er  nachdenklich  von  allen  Seiten; 
als  ihm  eine  Klopfhewegung  vorgemacht  wird,  nimmt  er  den 
Hammer,  faßt  ihn  wie  einen  Löffel  und  legt  ihn  weg. 

Eine  ihm  hierauf  gereichte  Brille,  kleine  Handsäge,  Schere, 
gehrancht  er  richtig,  mit  einem  Kamm  und  Hammer  jedoch  macht 
er  auch  jetzt  wieder  Schöpfhewegungen ;  als  ihm  wieder  die 
richtige  Anwendung  des  Hammers  vorgezeigt  wird,  macht  er  zu¬ 
nächst  einen  Ansatz,  als  oh  er  klopfen  wollte,  denkt  dann  nach 
und  reiht  sich  mit  dem  Hammer  an  der  Stirne. 

Bei  allen  diesen  Versuchen  fällt  auf,  daßi  Pat.  jede  ihm 
vorgemachte  Bewegung  mit  der  größiten  Aufmerksamkeit  l)eoh- 
achtet  und  während  der  Ausführung  seiner  eigenen  Handlungen 
gespannt  auf  den  Ausdruck  der  Zustimmung  oder  des  Wider- 
spnichcs  hlickt  Und  dementsprechend  seine  Handlung  entweder 
fortsetzt  oder  unterhricht;  dahei  tritt  die  große  lUnsicherheit  schon 
darin  zutage,  daß  er  auch  eine  richtige  Handlung  unterhricht, 
wenn  er  einen  Widerspruch  zu  erkennen  glauht. 

Einfache  ihm  vorgemachte  Be.Avegungen  imitiert  er  in  fol¬ 
gender  Weise :  Kreisbewegungen,  die  ihm  vorgemacht  werden, 
macht  er  sowohl  rechts  wie  links  ziemlich  genau,  aber  wieder, 
wie  schon  früher,  in  umgekehrter  Richtung  nach.  Grußhewegung 
mit  der  Hand  macht  er  rechts  und  links  richtig,  nach.  Auf  ihm 
wiederholt  vorgemachtes  Salutieren  antwortet  er  durch  rhythmisch 
Auf-  und  iVhhewegen  der  rechten  Hand  und  verfällt  dann  in 
die  ihm  früher  vorgemachten  Kreisbewegungen.  Es  wird  ihm 
,, Drohen  mit  der  Faust“  vorgezeigt;  er  macht  zunächst  mit  der 
rechten  Hand  wieder  Drehbewegungen  und  setzt  diese  mit  der 
linken  fori,  als  ihm  die  rechte  Hand  gehalten  wird,  und  dreht 
dann  noch  weiter,  als  ihm  überhaupt  nichts  vorgemacht  wird.  Als 
ihm  hierauf  die  rechte  Hand  gehalten  und  nochmals  die  drohende 
Bewegung  gezeigt  wird,  macht  er  sie  richtig  nach  und  dann  auch 
richtig  mit  der  rechten  Hand,  als  ihm  diese  losgelassen  ward. 
Ein  Glas  Wasser  führt  er  richtig:  zum  Munde.  Als  ihm  ein  Leier¬ 
kasten  entgegengehaltcn  Avird,  lächelt  er  und  pfeift  eine  Melodie 
dazu,  läßt  aber  die  Kurbel  ganz  unbeachtet,  trotzdem  seine  Auf¬ 
merksamkeit  wiederholt  hingelenkt  wird.  Wie  ihm  nun  die  Hand 
an  die  Kurbel  gelegt  und  die  enlsprechende  Bewegung  in  der 
Luft  vorgezeigt  ward,  dreht  er  im  Sinne  der  früheren  Versuch© 
in  umgekehrter  Richtung  und  spielt  erst,  nachdem  ihm  die  Hand 
vmrher  richtig  geführt  wurde,  Aveiter. 

Ein  offenes  Täschenmesser  und  einen  ungespitzten  Blei¬ 
stift  nimmt  er  beide  richtig  in  die  Hand,  setzt  das  Messer  an 
das  eine  Ende  des  Bleistiftes  an,  und  versucht  dann,  indem  er 
das  Messer  senkrecht  auf  den  Bleistift  stellt,  das  Messer  an¬ 
zudrücken,  setzt  diese  Bewegung  fort,  als  ihm  das  richtige  Spitzen 
v'orgezeigt  Avird,  und  auch  daun,  als  ihm  seine  eigene  Hand 
entsprechend  geführt  wird. 

Es  werden  ihm  ein  Kuvert,  Siegellack,  eine  brennende  Kerze 
und  ein  Petschaft  vorgelegt;  er  nimmt  tlasi  Siegellack  und  fährt 
damit  am  Papier  hin  und  her;  hält  es  dann,  nachdem  ihm  die 
Kej'ze  auffällig  ent, gegengeführt  Avird^  längere  Zeit,  an  der  Flamme, 
zieht  es  zurück,  hält  es  längere  Zeit  in  der  Luft  und  drückt  es 
erst  an  das  Kuvert,  nachdem  es  ganz  trocken  gcAvorden  ist. 

Eine  Schreibtafel  und  ein  Stück  Kreide  hält  er  ganz  ratlos 
in  den  Händen  und  macht  erst  einen  Strich  auf  der  Tafel, 
nachdem  ihm  die  linke  Hand.,  in  der  er  die  Kreide  hält,  auf  die 
Tafel  gedrückt  und  zu  Schreibbew'egungen  _geführt  wurde.  Einen 
vorgezeicbnelen  Kreis  und  Viereck^  zeichnet  er  soAvohl  .jnit  der 
rechten  als  mit  der  linken  Hand  .ganz  unkenntlich  nach. 

Es  ward  ihm  ein  Brett  mit  eingeschlagenem  Nagel  und 
ein  Hammer  gereicht;  er  nimmt  letzteren  in  die  Hand  und  schabt 
damit  am  Rande  des  Brettes  herum;  als  ihm  hierauf  das  Ein¬ 
schlagen  des  Na.gels  Amrgezeigt  Avird,  faßt  er  Avieder  den  Hammer 
mit  der  linken  Hand,  schlägt  dann  einige  Male  an  eine  ganz 
andere  Stolle  des  Brettes  und  schaht  dann  Avie  früher  am  Rande 
des  Brettes. 

Solche  und  ähnliche  Fehlreaktionen  AAUirden  ungefähr  in 
der  gleichen  Weise  nocti  in  den  folgenden  drei  Tagen  beobachtet, 
dann  klingt  der  Zustand  ziemlich  plötzlich  über  Nacht  ab,  so  daß 
in  der  Folgezeit  nur  noch  gelegentlich  Verfehlungen,  manchmal 
auch  noch  im  Sinne  der  Perseveration  notiert  erscheinen. 

Ich  glaube,  mich  bei  der  Besprechung  des  Falles  von 
einer  Lokalisation  des  vorhandenen  Herdes  enthalten  zu 
sollen,  zumal  derselbe  noch  eingehend  von  anderen  Gesichts¬ 
punkten  publiziert  werden  soll  und  will  nur  bemerken,  daß 


die  ziemlich  lange  vorhergehenden  prämonitorischen  Er¬ 
scheinungen,  sowie  die  schubweise  auftretenden  Exazerba¬ 
tionen  eine  progressive  Erkrankung  als  Grundlage  des  ganzen 
Prozesses  wahrscheinlich  machen. 

Bezüglich  der  Beurteilung  der  Storungen  des  Handelns 
werden  sich  ungezwungen  eine  ganze  Reihe  von  Störungen 
als  ideatorisch  auffassen  lassen  und  dies  gilt  ganz  besonders 
von  jenen,  die  sich  wieder  in  eine  Reihe  aufeinanderfolgender 
Teilhandlungen  zerlegen  lassen,  wie  z.  B.  das  Verhalten  des 
Kranken  beim  Rauchen,  beim  Anzünden  einer  Kerze,  Siegeln 
des  Briefes  u.  dgl. 

Dagegen  werden  eine  ganze  Reihe  von  Fehlreaktionen 
bei  einfachen  Handlungen  nur  als  motorisch-apraktisch  ge¬ 
deutet  werden  können,  namentlich  dann,  wenn  man  Agnosie 
als  Grundlage  ausschließen  kann.  Nun  ist  gerade  dieser 
Punkt  ganz  besonders  schwierig  entscheidend  sicherzustellen, 
da  schon  die  durch  die  Sprachstörung  geschaffene  Unmöglich¬ 
keit  einer  Verständigung  die  Beurteilung  sehr  erschwert  und 
überdies  die  Worttaubheit  an  sich  schon  gewissermaßen  eine 
agnostische  Störung  darstellt.  Ich  muß  mich  einfach  darauf 
beschränken,  hervorzuheben,  wie  ungemein  gering  die  An¬ 
forderungen  an  das  Verständnis  bei  einer  vorgezeigten  ein¬ 
fachen  Handlung  sind  und  daß  ein  so  hoher  Grad  von 
Agnosie,  der  den  Ausfall  dieses  Verständnisses  bedingen 
könnte,  unmöglich  Vorhandensein  kann,  wenn  einzelne  kom¬ 
pliziertere  Leistungen  gelingen,  ja  wenn  überhaupt  das  klinische 
Bild  der  ideatorischen  Apraxie  hervorgerufen  werden  kann. 
Ich  will  damit  sagen,  daß  ich  das  Vorhandensein  agnostischer 
Störungen  nicht  in  Abrede  stelle,  ja  daß,  wie  ich  später  aus¬ 
führen  will,  bestimmte  Erscheinungen  ihr  Bestehen  nahelegen, 
daß  aber  ihr  Grad  nicht  ausreicht,  alle  Fehlreaktionen  zu 
erklären. 

Als  motorisch-apraktisch  fasse  ich  z.  B.  die  Unmöglich¬ 
keit  vom  Nachzeichnen  einfacher  geometrischer  Figuren,  das 
fehlerhafte  Nachmachen  von  einfachen  Ausdrucksbewegungen, 
ganz  besonders  das  in  der  Richtung  verfehlte  Nachmachen 
vorgezeigter  Kreisbewegung  und  endlich  das  häufig  ganz  un¬ 
zweckmäßige  Hantieren  mit  Gegenständen  auf.  Bei  letzterem 
Punkte  dürfte  allerdings  die  Frage,  inwieweit  Nichterkennen 
eine  Rolle  spielt,  schwieriger  zu  entscheiden  sein.  Zunächst 
spricht  gegen  einen  absoluten  Grad  von  Agnosie  der  Umstand, 
daß  einzelne  Reaktionen,  die  nicht  als  Kurzschlüsse  im  Sinne 
L  i  e  p  m  a  n  n  s  aufgefaßt  werden  können,  gelingen  ;  allerdings 
schließt  dieser  Umstand  auch  einen  absoluten  Grad  von 
motorischer  Apraxie  aus,  aber  ein  vollständiges  Versagen 
beider  läßt  sich  ja  auch  gar  nicht  erwarten,  da  sonst  das 
häufige  Auftreten  ideatorischer  Störungen  a  priori  entsprechend 
meinen  früheren  Ausführungen  ausgeschlossen  wäre.  Interessant 
ist  auch  der  Umstand,  daß  fast  alle  Gegenstände,  auch  wenn 
sie  in  der  Folge  falsch  verwendet,  doch  zunächst  richtig  an¬ 
gefaßt  werden.  Hier  handelt  es  sich  offenbar  um  Kurzschlüsse 
innerhalb  der  senso-motorischen  Sphäre  ;  trotzdem  die  frühere 
Untersuchung  das  Bestehen  von  Störungen  der  tiefen  und 
oberflächlichen  Sensibilität  ergeben,  faßt  auch  die  rechte  Hand 
die  meisten  Gegenstände  richtig  an,  ist  also  auch  hier  die 
gliedkinästhelische  Komponente,  wenigstens  zum  Teil  wirksam. 
Uebrigens  war  auch  trotz  der  Sensibilitätsstörung  in  der 
rechten  Hand  die  Ataxie  nicht  so  hochgradig,  daß  sie  im 
besonderen  Maße  zur  Erklärung  der  gestörten  Handlungen 
hätte  herangezogen  werden  können.  Im  ganzen  wird  auch  die 
Erklärung  bei  den  Verfehlungen  der  früher  genannten  ganz 
einfachen  Handlujigen  als  motorische  Apraxie  kaum  einem 
Widerspruch  begegnen,  da  z.  B.  das  Nachmachen  von  Kreis¬ 
bewegungen  in  umgekehrter  Richtung  nur  als  motorische 
Störung  gedeutet  werden  kann,  weil  die  infolge  der  Wort¬ 
taubheit  dem  Patienten  nur  optisch  kenntlich  gemachte  Auf¬ 
forderung  aufgefaßt,  das  Bild  des  Kreises  verstanden  und  nur 
die  Bewegung  falsch  ausgeführt  wird ;  dazu  kommt  noch  der 
Umstand,  daß  auch  besonders  im  Beginne  und  angedeutet  in 
der  späteren  Zeit  die  Erscheinungen  rechts  stärker  ausgeprägt 
erscheinen  als  links  u.  zw.  im  höheren  Grade  als  der  vor¬ 
handenen  Parese  und  Ataxie  der  rechten  Hand  entspricht. 


H  i 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


Eine  weitere  wichtige  Frage  ist  nun  der  Einfluß  der 
unvollständigen  motorischen  Apraxie  auf  jene  Störungen, 
die  uns  als  ideatorisch  imponieren. 

Besonders  lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung  der  Versuch 
beim  Spitzen  des  Bleistiftes ;  hier  zeigt  sich  zunächst  die  Ziel¬ 
vorstellung  im  großen  und  ganzen  ungestört,  auch  die  Zerlegung 
in  die  einzelnen  Teilhandlungen  erfolgt  zunächst  richtig,  das 
Messer  wird  entsprechend  an  das  Ende  des  Bleistiftes  ange¬ 
setzt,  aber  gerade  vor  dem  entscheidenden  Akte  versagt  Pat, 
indem  er  das  Messer  senkrecht  zur  Richtung  des  Bleistiftes 
hält  und  einzudrücken  versucht;  dieses  Versagen  kann  nur 
als  durch  Unterbrechung  der  Uebertragung  der  Idee  in  die 
Innervation,  bzvv.  das  Nichtauftauchen  der  motorischen  Vor¬ 
stellung  erklärt  werden  und  es  würde  sich  die  ganze  Störung 
dann  so  erklären,  daß  einfache  Akte,  wie  z.  B.  das  Anselzen 
des  Messers  an  das  Ende  des  Bleistiftes  noch  durchführbar 
sind,  kompliziertere  wie  das  Spitzen  selbst,  aber  unmöglich 
werden.  Unterstützend  mag  dabei  der  Umstand  sein,  daß 
entsprechend  der  zeitlichen  Reihenfolge  der  kompliziertere 
Akt  später  erfolgt  und  daß  vielleicht  die  Intensität  der  Haupt¬ 
zielvorstellung,  die  ohnehin  durch  auch  anders  kenntliche 
Gedächtnis-  und  Aufmerksamkeitsstörungen  als  geschwächt 
angesehen  werden  muß,  immer  weniger  ausreicht,  den  ver¬ 
größerten  Widerstand  zu  überwinden. 

Besonders  lehrreich  auch  für  die  Rolle  der  agnostischen 
Störungen  ist  das  Verhalten  des  Kranken  bei  dem  Versuche 
mit  dem  Leierkasten ;  hier  beweist  zunächst  der  Umstand, 
daß  der  Kranke  bei  seinem  Anblick  ein  Lied  pfeift,  daß  er 
den  allgemeinen  Begriff  desselben  als  etwas,  was  mit  Musik 
zusammenhängt,  erfaßt,  auch  ohne  daß  er  imstande  wäre, 
den  Gegenstand  zu  benennen  und  ihn  entsprechend  zu  ge¬ 
brauchen.  Nun  ist  auch  schon  von  Liepmann'*)  darauf 
hingewiesen  worden,  daß  zwischen  dem  Nichterkennen  eines 
Dinges  und  dem  Nichtauftauchen  der  Vorstellung  von  seinem 
Gebrauch  nur  ein  Gradunterschied  bestehe  und  daß  gerade 
das  letztere  die  ideatorische  Apraxie  charakterisiert.  Nun 
läßt  unser  Versuch  ohneweiters  die  Deutung  zu,  daß  optisch 
wenigstens  so  viel  von  dem  Leierkasten  wahrgenommen  und 
verstanden  wird,  daß  die  Begriffassung,  es  handle  sich  um 
etwas  mit  Musik  Zusammenhängendes,  möglich  ist.  Bei  dem 
Einsetzen  der  entsprechenden  Handlung  sehen  wir  nun  eine 
Störung  zunächst  dadurch  bedingt,  daß  die  Kurbel  nicht  be¬ 
achtet  und  dann  als  die  Hand  des  Patienten  direkt  hin¬ 
geführt  wird,  die  Vorstellung  der  entsprechenden  Bewegung, 
also  der  Kurbeldrehung,  nicht  in  Aktion  tritt ;  als  diese  durch 
Vorzeigen  endlich  geweckt  wird,  versagt  der  Kranke  im 
letzten  Moment  noch  immer  dadurch,  daß  er  entsprechend 
früheren  Erfahrungen  die  Kurbel  in  verkehrter  Richtung  dreht. 

Es  liegt  in  dem  Auftauchen  des  Begriffes  eines  Dinges, 
ohne  daß  seine  einzelnen  Qualitäten  an  irgendeiner  Stelle 
soweit  zu  Bewußtsein  kommen,  daß  auch  der  Gebrauch  er¬ 
möglicht  würde,  ein  Hinweis  dafür,  daß  auf  sensorischem 
Gebiete  sich  ähnlich  ein  stufenweiser  Aufbau  vollzieht,  wie 
es  in  umgekehrter  Richtung  in  treffender  Weise  L  i  e  p  m  a  n  n 
für  das  Zustandekommen  einer  Handlung  nachgewiesen. 
Wenn  aber  der  einfache  Begriff  eines  Gegenstandes  im  Be¬ 
wußtsein  auftauchen  kann,  ohne  daß  alle  seine  Qualitäten 
bewußt  werden,  so  werden  dadurch  die  Formen  der  assozia¬ 
tiven  Apraxie  B  o  n  n  h  ö  f  f  e  r  s  unserem  Verständnis  näher 
gerückt  und  dadurch  auch  manclie  ihnen,  wie  Liepmann 
und  Pick  hervorgehoben,  wesensverwandte  Erscheinungen 
der  Perseveration  erklärlich.  Allerdings  sind  solche  rein 
assoziative  Verfehlungen  und  eine  ihpen  entsprechende 
Perseveration  nur  in  Fällen  möglich,  wo,  nicht  wie  bei 
unserem  Kranken,  die  Sta,tionen  Störungen  zeigen,  welche, 
wenn  ich  mich  des  Ausdrucks  bedienen  darf,  unterhalb  dem 
eigentlichen  begrifflichen  Denken  liegen ;  nur  dann  ist  es 
möglich,  daß  z.  B.  ein  Kranker  eine  Pfeife  wie  eine  Zigarre, 
oder  eine  Violine  wie  eine  Trompete  gebraucht,  aber  sonst 
bis  auf  die  verfehlte  Zielvorstellung  ideatorisch  und  motorisch 

L  i  e  p  m  a  n  ii,  1.  c.  S.  65. 

»D  B  0  II  n  h  ö  f  f  e  r,  Arch.  f.  Psych.,  Bd.  37. 


richtig.  Einer  ähnlichen  Auffassung  dürfte  auch  eine  Reihe 
fehlerhafter  Reaktionen  bei  Hysterischen  zugänglich  sein,  von 
denen  ich  einige  Beispiele  an  anderer  Stelle  beschrieben 
habe.  Für  die  Auffassung  der  ideatorischen  Apraxie  erscheint 
mir  nun  von  ganz  besonderer  Bedeutung  die  Zerlegung  der 
Hauptzielvorstellung  Z  in  die  verschiedenen  z  und  ihr  gegen¬ 
seitiges  Verhältnis.  Liepmann  vergleicht  diese  Teilung 
mit  einer  physikalischen,  so  daß  entsprechend  Molekülen  jedes  z 
die  gleichen  Eigenschaften  hat  wie  Z. 

Nun  dürfte  aber  die  Annahme  gerechtfertigt  erscheinen, 
daß  ebenso  wie  die  Handlung  von  der  ganz  allgemeinen 
Willensintention  unter  allmählicher  Gliederung  bis  zur  Inner¬ 
vation  einzelner  Muskelgruppen  fortschreitet,  ähnlich  auch 
die  Wahrnehmung  sich  aufsteigend  immer  mehr  der  begriff¬ 
lichen  Auflösung  nähert  und  daß  die  einzelnen  Stationen 
der  Wahrnehmung  und  der  Handlung  wieder  mit  einander 
in  Verbindung  stehen.  Dann  würde  allerdings  der  Fall  ein- 
treten,  daß  die  z  nicht  nur  die  Eigenschaften  des  Z  haben, 
sondern  noch  neue  u.  zw.  durch  die  direkte  Verbindung  mit 
niederen  Wahrnehmungszentren  solche  mit  mehr  sinnlicher 
Schärfe  begabte  besitzen;  dies  entspricht  ja  auch  dem  Ver¬ 
lauf  der  zum  Vollzug  fortschreitenden  Idee  und  der  Beein¬ 
flussungen  der  Handlung  während  des  Vollzuges  durch  das 
Objekt,  auf  das  sie  gerichtet  ist.  Ein  ganz  besonders  wesent¬ 
licher  Faktor  scheint  mir  vor  allem  jene  das  Gedächtnis  be¬ 
einflussende  Komponente  zu  sein,  die  Liepmannn^-)  als 
Dauerverknüpfung  der  Innervationen  bezeichnet.  Leider  hat 
Liepmann  die  Besprechung  der  Bedeutung  dieser  Inner¬ 
vationsempfindungen  und  Erinnerungen  nicht  weiter  aus¬ 
geführt  und  doch  sind  sie  meines  Erachtens  ganz  außer¬ 
ordentlich  wichtig  für  das  Verständnis  der  Bewegungsformel. 
Es  ließe  sich  denken,  daß  sie  neben  den  allgemein-kinesthä- 
tischen  und  ähnlichen,  z.  B.  den  optischen  Raumvorstel¬ 
lungen  u.  dgl.  den  wesentlichen  Bestandteil  der  Richtungs¬ 
vorstellungen,  des  W  der  Bewegungsformel  L  i  e  p  m  a  n  n  s 
bilden.  Ihre  Abspaltung  von  z  aber  würde  jene  ideatorische 
Apraxie  bedingen,  die  Pick  ’3)  beschrieben  und  als  ideomo¬ 
torische  bezeichnet  hat. 

So  zusammenfassend  sehen  wir,  daß  sich  entsprechend 
einem  Parallelismus  zwischen  der  bis  zum  Begriff  fort¬ 
schreitenden  Wahrnehmung  und  der  von  der  allgemeinen 
Idee  bis  zur  Ausführung  eilenden  Handlung  an  allen  Stationen 
Störungen  entwickeln  können.  Auf  der  einen  Seite  die  mo¬ 
torische  Apraxie,  die  entsprechend  Liepmanns  Anschauungen 
einer  Abtrennung  der  Innervation  von  der  Idee  entspricht, 
auf  der  anderen  Seite  die  begrifflichen  Störungen  für  die  wir 
in  Bonnhöf  fers  assoziativer  Apraxie  und  einzelnen  hy¬ 
sterischen  Störungen  Beispiele  besitzen  und  zwischen  mo¬ 
torischer  und  assoziativer  die  ideatorische  Apraxie.  Diese 
aber  ist  außer  durch  allgemeine,  z.  B.  Gedächtnis-  oder  Auf¬ 
merksamkeitsstörungen,  bedingt  durch  eine  partielle  Agnosie 
und  motorische  Apraxie.  So  entspricht  es  agnostischen 
Störungen,  wenn  der  Kranke  die  Kurbel  des  Leierkastens 
übersieht,  oder  wenn  er,  trotzdem  ihm  ein  brennendes  Licht 
entgegen  gehalten  wird,  das  trockene  Siegellack  auf  das 
Papier  legt.  Hieher  dürften  somit,  auch  ähnlich  wie  die 
letztere,  eine  ganze  Reihe  abgekürzter  Reaktionen  zu  rechnen 
sein.  Zu  den  motorischen  Störungen  gehört  z.  B.  das  Nicht¬ 
inbewegungsetzen  der  Kurbel  des  Leierkastens,  das  falsche 
Spitzen  eines  Bleistiftes,  das  Nichtanstreichen  eines  Zünd¬ 
holzes  an  der  Reibfläche  und  die  ganzen  von  Pick  als 
ideomotorisch  bezeichneten  Störungen.  Für  die  Beurteilung 
der  Frage,  ob  eine  Störung  im  einzelnen  Fall  als  motorisch- 
apraktisch  oder  als  ideatorisch  aufzufassen  ist,  d.  h.  ob  sie 
durch  Abtrennung  der  Innervation  von  der  Idee  oder  durch 
Nichtauftauchen  motorischer  Innervationsempfindungen  be¬ 
dingt  ist,  besitzen  wir  allerdings  ein  sicheres  Kriterium  nur 
in  der  Einseitigkeit  oder  Doppelseitigkeit  der  Störung. 

")  Marguli^s,  Heber  hysterische  Psychosen  nach  Trauma. 
Prager  med.  Wochenschr.  1907. 

1'*)  Liepmann,  1.  c.  pg.  77. 

13)  Pick,  1.  c. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


477 


Ich  möchte  noch  auf  einen  Versuch  aufmerksam  machen, 
der  mir  in  Hinblick  auf  Liepmannns  Ausführungen  über 
»die  linke  Hemisphäre  und  das  Handeln«  nicht  ohne  Interesse 
erscheint;  ich  meine  das  Nachmachen  einer  Drohbevvegung 
mit  der  Faust.  Hier  zeigt  sich,  daß  zunächst  rechts  und  dann 
auch  links  die  Bewegungen  mißlingen,  dagegen  als  die  rechte 
Hemisphäre  zur  Eigenleistung  gezwungen  wird  —  durch 
Festhalten  der  rechten  Hand  —  die  Bewegung  zuerst  links 
und  dann  auch  rechts  gelingt.  Das  spricht  dafür,  daß  durch 
entsprechende  Hebung  der  rechten  Hemisphäre  nicht  nur, 
wie  Fiep  mann  annimmt,  eine  Vervollkommnung  der  Mo¬ 
tilität  der  linken  Hand  möglich  ist,  sondern  auch  die  Be¬ 
dingungen  für  eine  Beeinflussung  der  rechten  gegeben  sind. 

Ueberblicke  ich  zum  Schluß  die  Resultate  meiner  Aus¬ 
führung,  so  sehe  ich,  wie  berechtigt  meine  eingangs  ge¬ 
äußerten  Bedenken  waren,  denn  manches  ist  ungeklärt, 
vieles  dunkel  geblieben ;  aber  bei  der  Kompliziertheit  der 
Verhältnisse  und  der  Schwierigkeit  der  in  Betracht  kommenden 
Fragen  ist  meines  Erachtens  jede  Mitteilung  berechtigt  und 
kann  jeder  Versuch  einer  Deutung  nutzbringend  werden. 


’AaxXrjTvCos  zai  ’AaxA'/jTüLsia. 

Von  A.  P.  Aravautinos. 

Leipzig  1907. 

Das  vorliegende,  neugriechisch  geschriebene  Werk  erweitert 
oder  berichtigt  in  ganz  bedeutender  AVeise  unsere  Kenntnisse 
über  das  Wesen  der  (hellenischen  Teinpehnedizin  und  über  den 
Zusamnienhang  derselbe)i  mit  der  wissenschaftlichen  Heilkunde. 
Gestützt  auf  die  einschlägige  Literatur  und  auf  eigene,  wie 
fremde  archäologische  F  o  r  s  c  h  u  n  g  e  n  an  Ort  und  Stel le, 
faßt  der  gelehrte  Veii'asser  alle,  die  Asklepiadenmedizin  herüliren- 
den  Tatsachen  in  übersichtlicher,  auch  die  kleinsten  Einzellieileii 
berücksichtigender  Darstellung  zu  einem  klaren  Bilde  zusammen, 
ln  der  sicheren  Erwartung,  daß  das  Buch  durch  Uebersetzuiig 
in  eine  der  AVeltsprachen  ohnedies  bald  Gemeingut  aller  Freunde 
der  Geschichte  der  Medizin  werden  wird,  darf  sich  Referent 
einstweilen  auf  eine  bloße  Anzeige  und  auf  die  Hervorhebung 
der  Hauptmomente  aus  dem  überreichen  Inhalt  beschränken. 

Dns  Werk  ist  von  Hrof.  Pagel  eingeleitet  und  zerfällt  in 
drei  Teile.  Iin  ersten  (wird  eingiehendst  die  Einrichtung  und  der 
Betrieb  der  Asklepieien  auf  Grunid  antiker  Li  beraturangaben  und 
der  letzten  archäologischen  Untersuchungen  (Epidauros,  Kos, 
Athen)  geschildert,  der  zweite  Teil  analysiert  vom  rein  medizini¬ 
schen  Standpunkt  sämtliche  epidaurische  Tempelinschriften,  der 
dritte  verfolgt  die  Spuren  des  Asklepios  durch  Sage,  Geschichte 
und  Kunst.  Auf  allen  diesen  Gebieten  bringt  Aravantinosl 
neue,  wichtige  Tatsachen  oder  neue,  geistvolle  Deutungen,  ohne 
sich  in  Spekulationen  zu  verirren ;  wenn  man  seinen  Erörterungen 
folgt,  erscheint  die  Gestalt  des  griechischen  Heilgottes  und  die 
historische  Bedeutung  seiner  Anhänger  und  Nachfolger  in  ganz 
anderem  Lichte  als  bisher,  ja  es  wird  das  sonst  so  eigentümliche 
Faktum  klar,  weshalb  die  griechischen  Aerzte  mit  der  Tempel¬ 
medizin  in  durchaus  freundlichen  Beziehungen  stehen  konrden. 

Gewöhnlich  glaubt  man,  daß^  der  sogenannte  Tempelschlaf, 
die  Inkubation  und  somit  die  Mystik,  das  Um  und  Auf  der  in 
den  Asklcpiosheiligtümern  betriebenen  Medizin  bildete.  Aus  den 
Darlegungen  des  Verfassers  ergibt  sich  aber  überraschenderweise, 
daß  die  rein  ärztliche  Behandlung  der  Inkubation  vorauging, 
daß  der  IMystizismus  des  Tenipelschlafes  nicht  einmal  in  jedem. 
Falle  zur  Anwendung  kam  und  wenn  dies  der  Fall  war,  melir 
eine  unterstützende,  suggestive  Bedeutung  besaß.  Uider 
den  42  epidaurischen  Kurberichten  erwähnen  mehr  als  zehn 
gar  nichts  von  der  Inkubation  und  wir  hören  von  33  Fällen 
(8  interne,  5  gynäkologische,  ,6  augenärztliche,  4  neurologische, 
3  dermatologische,  7  chirurgische),  bei  denen  eine  vollkommen 
zweckmäßige,  nüchterne  Therapie  die  Hauptrolle  spielte,  näm¬ 
lich  Massage,  Schwitz-,  Brech-  und  Abführmittel,  Wurmmittel, 
lokale  Blutentziehung,  Bäder,  Gymnastik,  Salben,  Kollyricu, 

Liepmann,  München,  med.  Wochenschr.  1905. 


Räucherungen,  Kataplasrnen,  Pflaster  etc.  und,  was  <un  bemer¬ 
kenswertesten  ist,  kunstgemäß  ausgeführte  operative  Eingriffe, 
wie  Extraktion  von  Fremdkörpern,  Behebung  von  Luxalionen 
und  Ankylosen,  Inzision  von  Abszessen  (Aidegung  von  Nähten, 
Verbände),  Kauterisation,  Steinextraktion  u.  a.  Daß  hygienisch- 
diätetische  Maßnahmen  die  Grundlage  der  Kuren,  die  Vorberei¬ 
tung  bildeten,  daß  die  im  religiösen  Gewände  auflretende  Sug¬ 
gestion  für  die  Ausführung  und  den  Dauererfolg  der  Beband- 
lung  klug  ausgenützt  wurde,  können  wir  auch  vom  modernsten 
Standpunkt  nur  anerkennen.  Aravantinos  zeigt*  an  der  Hand 
topographischer  Aufnahmen,  daß  die  langen  Arkadengänge  der 
Asklepieien  ihrem  Zwecke  nach  den  Kufräumen  eines  Sanato¬ 
riums  entsprachen,  nicht,  wie  die  Archäologen  meinten,  dem 
Kult  dienten,  und  daß  die  Inkubation  in  einem  kleinen,  engen, 
labyrinthartig  angelegten  Raume  zur  Ausführung  kam,  eine  An¬ 
sicht,  die  uns  sehr  plausibel  erscheint.  Wae  eng  die  Relation 
der  Asklepieien  zur  rationellen  Medizin  und  ihren  Vertreteru 
war,  beweisen  unter  anderem  die  Vorgefundenen  Reliefdaj’stet- 
lungen  von  Schröpfköpfen  und  chirurgischen  Bestecken  (Atlien), 
die  Aufstellung  von  Statuen  hervorragender  Chirurgen  in  den 
Heiligtümern,  anderseits  aber  die  Teilnalnne  der  Aerzte  am 
Asklepioskult.  Höchst  werlvoll  ist  es,  daßi  Aravantinos  sogar 
die  Uebereinstimmung  des  Inhaltes  von  TempelinschrifLen  (Kur¬ 
berichten)  mit  entsprechenden  Stellen  in  den  hippokratische  ti 
Schriften  nachweist  1  So  wird  es  immer  klarer,  daß  in  den 
Asklepios tempeln,  lang  vor  Hip pok rates,  eine  relativ  hoch  ent¬ 
wickelte  Medizin  herrschte  und  aus  sich  den  Hippokratismus 
hervorgehen  ließ,  welcher  dann  den  anhaftenden  Mystizismus 
abstreifte. 

Der  Verfasser  belehrt  uns  über  viele  Einzelheiten  der 
Tempeleinrichtungen  in  bewundernswerter  Weise,  ja  sogar  über 
den  Modus  des  Honorars,  ^welches  die  Patienten  nach  der  Kur 
an  der  Kasse  entrichteten  und  zeigt,  daß  die  Patienten  in  deu, 
in  gesündester  hygienischer  Lage  befindlichen,  Anstalten  eine 
Zeitlang  vor  und  nach  der  Behandlung  verweilten,  ln  der  As¬ 
klepiosmythe  selbst  kam  die  Lhizulänglichkeit  der  Heilkunst  zum 
Ausdruck,  stammte  der  Heilgot.t  doch  von  einem  Unsterblichen 
(Apollon)  und  einer  Sterblichen  (Koronis)  ab  —  dieses  Gottmensch- 
tum  symbolisiert  das  unbegrenzte  Streben  und  zugleich  die  oft 
nur  unvollkommenen  Erfolge  der  Medizin.  Priester  und  Aerzte 
leisteten  in  dieser  Erwägung  Hilfe  unter  der  frommen  Devise: 
Bsös  TU/ a  ayaiTa. 

Der  reiche  Bilderschmuck,  welcher  dem  Buche  auch  künst¬ 
lerischen  Wert  verleiht,  illustriert  auf  das  anschaulichste  die 
Ausführungen  des  Verfassers. 

Aravantinos  erweist  sich  durch  die  eben  erschienene 
Arbeit  als  glänzender  Vertreter  der  medizinischen  Archäologie 
und  verjüngt  den  Ruhm,  welchen  sich  seine  Landsleute  Kabba- 
dias.  Lamp  r  os,  Anagnostakis  u.  a.  erworl)en  haben.  An 
einzelnen  eifrigen  Pflegern  der  Geschichte  der  Medizin  hat  es 
im  modernen  Griecheidand  nie  gefehlt,  denn  wo  gäbe  cs  auch, 
mehr  Anregung,  mehr  Forschungsmittel,  als  im  Vaterland  der 
wissenschaftlichen  Heilkunde,  wo  auf  Schritt  und  Tritt  die  Zeugen 
einer  glorreichen  Vergangenheit  entgegenragen !  Gerade  aber 
wegen  dieser  in  ihrer  Art  einzig  günstigen  Umstände  und  wegen 
der  Vorteile,  welche  dadurch  der  historisch-metlizinischen  For¬ 
schung  allerorten  zugute  kämen,  ist  die  Schaffutig  einer  Zentral¬ 
stätte,  die  Begründung  einer  Lehrkanzel  für  das  Fach  an  der 
Athener  Fakultät  ein  Postulat,  dem  ehestens  entsprochen  Averden 
sollte;  denn  sind  auch  die  Fortschritte  einer  WTssenschaft  nicht 
ausschließlich  an  Lehrkanzeln  geknüpft,  so  wird  doch  die  Kon¬ 
tinuität  der  Forschung  durch  sie  allein  erhalten.  Den  Gruß  aus 
Hellas  erwidern  wir  mit  diesem  WRinsche ! 

Älax  Neuburger. 

* 

lieber  die  Gehirne  von  Th.  Mommsen,  R.  W.  Bunsen 

und  Ad.  V.  Menzel. 

Von  D.  V.  Hausemaun. 

Mit  6  Tafeln. 

Stuttgart  1907,  Sch  weiz  er  hart  sehe  Verlagsbuchhandlung. 

Die  Gehirne  einer  Reihe  von  hervorragenden  Männern  sind 
bereits  beschrieben;  nun  bereichert  der  Autor  unsere  diesbezüg¬ 
lichen  Kenntnisse  durch  einen  neuen,  Avertvollen  Beitrag. 


478 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


Monunscii  Avunle  8(5  Jaliie,  Huuseii  88  Jalire,  ^leiizel  8'J  Jahre 
alt.  Die  llirngeAvichte  waren  1425,  1295,  1298  g.  Demerkens- 
wert  ist,  daß  Müinmsens  und  Bunsens  Geliirne  ausgesprochene 
senile  Atrophie  zeigten,  Avährend  diese  Männer  bis  in  die  aller¬ 
letzte  Zeit  ihres  Lebens  imstande  AA’aren,  mit  größter  Geistes¬ 
schärfe  zu  handeln  und  zu  denken.  Menzels  Gehirn  zeigte  keine 
senile  Atrophie. 

Die  Untersuchung  der  Gehirnfurchen  ergab  bei  IMommscn 
auf  beiden  Hemisphären  relatiAm  Einfachheit  der  Projektions- 
(Bewegungs-  und  Sinnes-)sphären,  ausgiebige  Gliederung  der  Asso¬ 
ziationssphären  u.  ZAA".  ganz  besonders  derjenigen  Abschnitte, 
die  dem  Stirn-  und  Hinterhauptlappen  angebören.  Bei  Bunsen 
AAUir  die  große  hintere  Assoziationssphäre  beiderseits  stärker  ent- 
AAÜckelt,  die  linke  Hemisphäre  aauu'  ini  Stirn-  und  Parietalhirn 
reicher  gegliedert  als  die  rechte.  Menzels  Crchirn  bot  eine  be¬ 
sonders  starke  EntAAÜcklung  der  Assoziationssphären  beiderseits, 
die  Zentralwdndungen  AAUiren  rechts  viel  stärker  gegliedert  als  links. 

Eine  starke  Gliederung  der  Gehirnoberfläche  bietet  keine 
GeAAuihr  dafür,  daß  die  betreffenden  Individuen  von  besonderer 
Intelligenz  sind.  Bei  dem  Versuch,  aus  der  anatomischen  Be¬ 
trachtung  der  Gehirne  geistig  hervorragender  Menschen  Umstände 
abzuleiten,  Avelche  gleichsam  die  verstärkte  Funktion  dos  vor¬ 
handenen  anatomischen  Materials  erklären  könnten,  stieß  man 
Aviederholt  auf  pathologische  Erscheinungen  an  den  Gehirnen  und 
Schädeln.  So  Avurde  das  unverhältnis'mäßig  häufige  Vorkommen 
eines  leichten  Hydrozephalus  bei  geistig  hervorragenden  Menschen 
von  Perls  und  von  E dinger  hervorgehoben  und  von  dem 
Aidor  seinerzeit  bei  Helmholtz  und  nun  bei  Menzel  wieder 
gefunden.  Der  Autor  stellt  sich  vor,  daß  von  dem  Hydrozephalus 
ein  Reiz  ausgehen  könne,  der  die  besondere  auatomiscbe  Ver¬ 
anlagung  zu  entsprechender  Funktion  anrege. 

Eine  Erörterung  über  das  Genie  führt  den  Autor  zu  der 
Annahme,  man  müsse  bei  den  auf  instinktiven  Fähigkeiten  be¬ 
ruhenden  Genies  eine  von  der  gewöhnlichen  abweichende  Ge¬ 
hirnfiguration  erAvarten,  Avas  bei  Helmholtz  und  Menzel  in  der 
Tat  stimme.  Für  Studien  über  Beziehungen  zAvischen  Geistes¬ 
kräften  und  Gehirnbau  wären  aber  die  Gehirne  im  allgemeinen 
mittelmäßig  begabter,  aber  nach  einer  bestimmten  Richtung  hin 
besonders  ausgezeichneter  Menschen  ein  verheißungsvolleres 
Material  als  die  kompliziert  gebauten  Gehirne  geistig  besonders 
heiworragender  Menschen. 

Eine  Tafel  mit  Porträts  und  fünf  Lichtdrucktafeln  mit  Ge- 
hirnabl)il(lungen  erhöhen  den  Wert  der  interessanten  Arbeit. 

K  a  r  p  1  u  3. 


Aus  versehiedeneft  Zeitsehriften. 

199.  Untersuchungen  und  Be  tr  a  c  b  l,u  n  ge  n  zur 
A  e  t i  o  1  o gi e  u n d  The r ap ie  der  Lu n ge n tu  b e rk u  1  o s  e.  Von 
Dr.  A.  Dünges. .  Verf.  befaßt  sich  mit  der  Frage  nach  der 
Ursache  der  vorwiegenden  Spitzendisposition,  erörtert  bekannte 
Anschauungen  und  bringt  neue  Erklärungen,  fordert  aber  auf 
j(Mler  Seite  der  Arbeit  zur  Kritik  heraus.  Bei  den  eigenen  Er¬ 
klärungsversuchen  begeht  er,  abgesehen  von  deren  sehr  hypo¬ 
thetischem  Charakter,  den  Fehler,  zu  übersehen,  daß  einer  gene¬ 
rellen  Eigenschaft  auch  generelle  Ursachen  zugrunde  liegen 
müssen.  Mag  sein,  daß  für  eine  große  Zahl  von  Menschen  die 
li'aumatische  Exponiertheit  der  Lungenspitzen,  insbesonilere  das 
innere  Trauma  im  Sinne  Geßners  (besonders  starke  Dj'uck- 
(lifferenzen  in  den  Lungenspitzen  bei  plötzlicher  Steigerung  des 
iidrathorakalen  Druckes,  Avie  beim  Husten  etc.)  oder  Erkältungen 
der  oberen  Partien  als  disposiüonssteigei'ude  Momente  Avirken, 
unmöglich  könjien  sie  berangezoigen  Av^erden  zur  Erklärung  der 
überAviegenden  Empfänglichkeit  der  Lungenspitzen  für  die  tuber¬ 
kulöse  Erki'ankung  beim  erAvachsenen  Alenschen  und  im  Jüng¬ 
lingsalter.  Bei  Avie  vielen  INkmschen  tiifft  Aveder  das  innere 
Trauma,  noch  ein  äußeres,  noch  eine  Erkältung  der  oberen Thorax- 
parlien  zu.  Wenn  Verf.  beispielsAA'eise  daran  denkt,  ob  nicht  die 
Gewohidunt,  beim  Schlafen  die  Arme  und  damit  die  oberen  Thorax¬ 
partien  außerhalb  der  Bettdecken  zu  halten,  die  Lungenspitzen 
Nacht  für  Nacht  Tem])eralurs(diwankungen  aussfdze,  so  muß  doch 


Avenigstens  für  den  besser  situierten  Teil  der  Bevölkerung,  unter 
dem  ilie  Tuberkulose  doch  auch  sehr  verbreitet  ist,  und  der  ge- 
AViohnl  ist,  in  gut  temperierten  Zimmern  zu  schlafen,  diese  Er¬ 
klärung  als  unAvabi-scheinlich  angesehen  Averden.  Ebenso  hypo¬ 
thetisch  ist  der  Versuch,  aus  Experimenten  Gr  ober  s,  der  in 
die  Gaumenmandel  eingespritzte  Tuscheimdsionen  bis  in  die 
Lungenspitzen  verfolgte,  abzuleiten,  die  Spitzenerkrankung  hänge 
mit  einer  primären  Tonsillarinfektion  zusjtmmen.  Die  Möglich¬ 
keit  dieses  Infektionsweges  selbst  für  viele  Fälle  zugegeben,  für 
die  Erklärung  der  generellen  Spitzendisposition  ist  damit  nichts 
geleistet.  Diese  ist  uns  bis  heute  nur  verständlich  gemacht  durch 
ebenso  generelle  Erklärungsmomente,  deren  Widerlegung  Verfasser 
doch  etAvas  zu  leicht  nimmt:  die  geringeren  respiratorischen 
Volumschvvankungen  der  oberen  Lungenpartien  (Tendeloo),  die 
Behinderung  der  Exspiration  durch  den  senkrecht  abgehenden 
Spitzenbronchus,  welche  beiden  Momente  Aviederum  eine  Ver¬ 
langsamung  der  Blut-  und  Lymphzirkulation  bedingen,  Avas  durch 
schlechtere  Ernährung  eine  verminderte  Widerstandsfähigkeit  der 
Spitzen  und  anderseits  eine  leichtere  Ansiedlung  eingednmgener 
Keime  im  Gefolge  hat.  Wahrscheinlich  hat  auch  die  durch  die 
aufrechte  Körperstellung  verursachte  Verlangsamung  der  Zirku¬ 
lation  ihren  Anteil  an  der  mangelhaften  Ernährung  der  Lungen¬ 
spitzen.  Neben  diesen  generellen  Momenten  sind  sicher  zahl¬ 
reiche,  die  Disposition  steigernde  Faktoren  in  den  einzelnen 
Fällen  von  Belang.  Verfassers  Theorie  \mn  der  traumatischen 
Exponiertheit  der  Lungenspitzen  führt  ihn  zu  einer  neuerlichen 
Empfehlung  des  Heftpflasterverbandes.  Der  systematische  Wert 
desselben  bei  Schmerzen,  Hämoptoen,  sei  nicht  in  Zweifel  ge¬ 
zogen.  Für  die  allgemeine  Anwendung  desselben  bei  Lungen¬ 
tuberkulose  sprechen  aber  weder  die  theoretische  Grundlage,  die 
ihm  Verf.  gibt,  noch  in  größerem  Umfange  vorliegende  praktische 
Erfahrungen.  —  (Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose,  Bd.  7, 

Heft  1.)  J.  S. 

* 

200.  (Aus  dem  Veterinärinstitut  der  Universität  in  Leipzig.) 
Z Av e i  Fälle  von  erfolgreicher  U e b e r t r a g u n g  tuber¬ 
kulösen  AI  a  te  rials  von  an  Lungenphthise  gestor¬ 
benen  erAvachsenen  Ale  ns  dien  auf  das  Rind.  Von  Pro¬ 
fessor  Dr.  A.  Eber,  Institutsdirektor.  Der  Verfasser  hat  früher 
nachgeAviesen,  daß  es  leicht  gelingt,  mit  tuberkulösem  Material  aus 
dem  Verdauungskanal  von  Kindern,  bei  Einhaltung  eines  be¬ 
stimmten  Infeklionsmodus,  bei  Versuchsrindern  typische  Tuber¬ 
kulose  zu  erzeugen.  Nun  Avollte  er  Amrsuchen,  ob  auch  durch 
Ueberimpfung  tuberkulösen  Materials  von  erAvachsenen  Menschen, 
insbesondere  Amn  an  Phthise  zugiauide  gegangenen,  dasselbe  Re¬ 
sultat  zu  erzielen  Aväre.  Er  erhielt  ein  Stück  Lunge  eines  an 
Lungenphthise  gestorbenen  17jährigen  Alannes,  später  ein  Stück 
Hirnhaut  eines  ebenfalls  an  Lungenphthise  gestorbenen  50jährigen 
Alannes  und  übertrug  dieses  Alaterial  auf  zAvei  Kälber.  Maßgebend 
für  die  Auswahl  des  Impfmaterials  Avar  lediglich  saubere  Ge- 
Avinnung  und  möglichste  Frische  desselben.  Durch  gleichzeitige 
subkutane  und  intraperitoneale  Einverleibung  Amn  mit  Boidllon 
verriebenen,  tuberkulösen  Organteilen  eines  Aleerschweinchens, 
welches  mit  tuberkulösem  Alateriale  des  17jährigen  Alannes  in¬ 
fiziert  Avar,  gelang  es  bei  einem  auf  Tuberkuli]!  nicht  reagierenden, 
etwa  vier  Wochen  alten,  gesunden  Kalbe  eine  chronische  Bauch- 
und  Brustfelltuberkulose  (Perlsucht)  zu  erzeugen.  Im  zAveiten 
Falle  gelang  es,  durch  Infektion  eines  AleerschAveiiichens  mit  tuber¬ 
kulösem  Material  von  einem  an  Lungenphthise  und  frischer  Hirn¬ 
hauttuberkulose  Amrstorbenen  50jährigen  Alaune  und  Ueberimpfung 
auf  ein  sonst  gleich  gesundes  Kalb,  eine  akute  Aliliartuberkulose 
der  Lungen,  Alilz  und  Nieren,  und  eine  disseminierte  Bauchfell- 
tuberkulöse  zu  erzeugen,  Avelche  innerlialb  34  Tagen  unter  Fieber¬ 
erscheinungen  zum  Tode  führte.  Der  Verfasser  steht  auf  dem 
Standpunkte,  daß  die  beim  Menschen  und  beim  Rinde  A'or- 
konnnenden  Tuberkulosefoiinen  eine  einheitliche  U  r  s  a  c  h  e 
haben,  er  Avar  also  von  <lom  Ausfall  dieser  Versuche  nicht  über¬ 
rascht.  Wenn  aber  Koch  und  seine  Scluder  behaupten,  daß  alle 
beim  Alenschen  gefundenen  Veränderungen,  Avelche  sich  bei  Ueber¬ 
impfung  auf  das  Rind  für  dieses  virulent  ei'AA’eisen,  auf  das  Rind 
als  Infektionsquelle  hiiiAveisen,  so  sei  diese  Behauptung 
nicht  erAviesen.  Es  sei  nur  bewiesen,  daß  man  bei  Uelxu'impfuug 
tuberkulösen  Alalerials  A’om  Rinde  auf  das  Rind  verhällnisiuäßig 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


479 


leiclit  eine  Allgemeininfeklioji  erzeugen  könne,  wälirend  man  bei 
\'er\veiuliing  luljerkulösen  Alalerials  von  Mensclien  in  einer  großen 
Anzahl  von  Fällen  nur  einen  auf  die  Impfstelle  and  die  regio¬ 
nären  Lymphdrüsen  sich  beschränkenden  Prozeß  erhalle,  der  ni(dü 
selten  nach  kurzer  Zeit  völlig  ausheilt,  lii  den  seltenen  Fällen,  in 
denen  einmal  eine  Uebertragung  der  Tuherkulose  vom  Pindc 
auf  (len  Menschen  stattgefunden  hat,  kann  hei  den  Krankheils¬ 
produkten,  respektive  ihren  Bazillenreinkulluren  eine  hohe  Rinder¬ 
virulenz  erwartet  werden,  für  den  Schluß  aber,  daß  in  jedem 
Falle,  in  welchem  menschliches  tuberkulöses  Material,  oder  die 
Reinkulturen  daraus,  für  das  Rind  virulent  sind,  notwendigerweise 
früher  eine  Uebertragung  der  Tuberkulose  vom  Rinde  auf  den 
Menschen  (Perlsuchtinfektion)  angenommen  werden  müsse,  liege 
kein  zwingender  Grund  vor.  Schließlich  habe  er  bei  üeberimpfuDg 
tuberkulösen  Materials  vom  Menschen  auf  das  Rind  eigentlich 
alle  Uebergangsformen  (lokale  tuberkulöse  Infiltration  an  der  Impf¬ 
stelle,  dann  beschränkt  bleibende  chronische  Bauchfell  tuberkulöse 
—  Perlsucht  —  endlich  akute  Miliartuberkidose,  in  34  Tagen 
zum  Tode  führend)  beobachtet,  was  auch  nicht  dafür  spreche, 
daß  die  Säugetiertuberkulose  in  zwei  ätiologisch  voneinander  ver¬ 
schiedene  Tuberkuloseformen  (Koch)  zu  scheiden  sei.  —  Re¬ 
gierungsrat  Dr.  A.  Weber  in  Berlin  knüpft  an  diese  Mitteilung' 
Ebers  sofort  einige  Bemerkungen  an.  Er  habe  im  Vorjahre 
behauptet,  daß  bis  jetzt  kein  einziger  einwandfreier  Fall  von 
Lungenphthise,  beruhend  auf  Perlsuchtbazillen  (Bazillen  des  Typus 
bovinus),  nachgewiesen  sei.  Eber  glaubt  nun,  durch  obige  Mit¬ 
teilung  diese  Behauptung  widerlegt  zu  haben.  Er  (Weber)  stehe 
auf  Grund  langjähriger  Untersuchungen  über  Tuberkulose  auf 
dem  Standpunkte,  den  mit  ihm  Smith,  Kos  sei,  Raven  el 
und  andere  teilen,  daß  man  zwei  Typen  der  Säugetiertuberkulose¬ 
bazillen  (Typus  humanus,  Typus  bovinus)  unterscheiden  müsse. 
Die  Frage,  ob  man  es  in  einem  gegebenen  Falle  mit  einer  In¬ 
fektion  von  Bazillen  des  Typus  humanus  oder  des  Typus  bovinus 
zu  tun  habe,  lasse  sich  sicher  nur  durch  Arbeiten  mit  Rein¬ 
kulturen  und  dabei  auch  nur  bei  Einbaltung  eines  mühsamen 
Untersuchungsganges  entscheiden.  Die  forcierte  Impfmethode, 
welche  Eber  in  den  beiden  Fällen  anwandte  (gleichzeitige  intra¬ 
peritoneale  und  subkutane  Impfung  junger  Kälber  mit  großen 
Älengen  tuberkulösen  Materials  in  Aufschwemmung)  ist  von  vorn¬ 
herein  ungeeignet,  die  Frage,  oh  eine  Infektion  mit  Bazillen  des 
einen  oder  des  anderen  Typus  vorliege,  zu  entscheiden.  Bei  einer 
solchen  Impfmethode  wird  man  schließlich  bei  Kälbern  mit  jedem 
tuberkulösen  Material  Veränderungen  hervorrufen,  die  unter  Um¬ 
ständen  eine  gelungene  Infektion  Vortäuschen  können.  Im  ersten 
Falle  Ebers  scheint  der  Typus  bovinus  nicht  Vorgelegen  zu 
haben,  denn  Eber  teilt  auch  mit,  er  habe  mit  dem  einem  Meer¬ 
schweinchen  überimpften  Material  auch  eine  Ziege  zu  infizieren 
gesucht,  was  aber  mißlungen  sei.  Ziegen  sind  aber  für  die  Ba¬ 
zillen  des  Typus  bovinus  aucb  bei  subkutaner  Impfung  sehr  em¬ 
pfänglich.  Im  zweiten  Falle  Ebers  wunle  das  Material  nicht 
der  ])hthisischen  Lunge,  sondern  der  Hirnhaut  entnommen.  Nun 
gibt  es  Doppelinfektionen  mit  beiden  Typen;  selbst  wenn  also 
in  dem  Stückchen  Hirnhaut  Bazillen  des  Typus  bovinus  über¬ 
tragen  worden  wären,  so  ist  damit  noch  nicht  bewiesen,  tlaß 
die  bei  demselben  Menschen  vorhandene  Phthise  ebenfalls  auf 
Infektion  mit  Bazillen  des  Typus  bovinus  beruhten.  Schließlich 
habe  Eber  gesagt,  daß  Webers  Ansicht,  daß  alle  Fälle  von 
Tuberkulose  des  Menschen,  bei  welchen  als  Krankheitserreger 
der  Bacillus  typi  bovini  gefunden  wurde,  als  Fälle  von  Ueber¬ 
tragung  der  Rindertuberkulose  auf  den  Menschen  (Perlsucht¬ 
infektion)  anzusehen  sei,  lediglich  eine  —  Hypothese  sei.  Nun 
hahen  exakte  Untersuch ungen  in  den  verschiedensten  Ländern 
von  den  verschiedensten  Forschern  übereinstimmend  Bazillen  des 
Typus  bovinus  gerade  iu  solchen  Fällen  menschlicher  Tuherkulose 
nachweisen  lassen,  in  denen  die  Infektion  augenscheinlich  vom 
V^erdauungskanal  ausgegangen  ist  und  in  der  ganz  überwiegenden 
Mehrzahl  bei  Kindern.  Das  könne  kein  bloßer  Zufall  sein.  — 
(Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  10.)  E.  F. 

* 

201.  Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik '  zu  Kiel 
(Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Sie mer ling).  Untersuchungen 
der  Zerebrospinalflüssigkeit  bei  Geistes-  und 
Ne  r  ve  nk  i’a  n  k  h  e  i  te  n.  Von  Dr.  Henk<“l,  I.  Assistenzarzt.  Bei 


pr(jgrcssiver  Paralyse,  Tabes,  Lues  cerebri  und  cerebrospinalis, 
bei  de-u  verschiedensten  Formen  der  Meningitis  fand  Henkel 
regelmäßig  im  Liquor  cerehrospinalis  erhebliche  Zellvermehrung, 
Vorhandensein  von  Serumalbumin  und  Vermehrung  des  Serum¬ 
globulins.  Im  geringeren  Grade,  jedoch  zeigen  sich  konstant  die¬ 
selben  Befunde  bei  Tumor  cerebri.  Bei  iMyelitis  war  die  Eivveißi- 
vej'mehrung  intensiv,  die  Zeilenzahl  relativ  gering.  Inkonstant 
waren  die  Befunde  bei  Erkrankungen  auf  arteriosklerotischer 
Grundlage,  bei  der  multiplen  Sklerose  und  bei  Syringomyelie. 
Negative  Befunde  lieferten  die  Fälle  zerebraler  Kinderlähmung 
und  funktioneller  Erkrankungen.  Wie  die  Zellvermehrung  im 
Liquor  zustandekommt,  ist  noch  fraglich,  wahrscheinlich  ^wirken 
entzündliche  Vorgänge  der  verschiedensten  Art  mit.  Die  Lumbal¬ 
punktion  muß  zu  diagnostischen  Zwecken  in  Kombination  mit 
allen  anderen  Symptomen  herangezogen  werden.  Die  diagnostische 
Bedeutung  der  Lumhalpunktion  liegt  besonders  in  der  Möglichkeit, 
aus  der  Art  und  dem  Grade  der  Veränderungen  der  Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit  auf  die  Natur  des  Leidens  Rückscblüsse  zu  ziehen. 
—  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Band.  42, 

Heft  2.)  S. 

* 

202.  Ueher  zwei  F alle  von  Muskel  tu  berkulose.  Von 
Cornil.  Der  erste  Fall,  bei  einer  32jährigen  Frau  heobachtet,, 
präsentierte  sich  als  sklerosierende  Tuberkulose  im  rechten 
Masseter.  Andeiweitige  tuberkulöse  Herde  waren  nicht  vorhanden, 
dagegen  hatte  die  Patientin  vor  längerer  Zeit  an  einer  Koxalgie 
gelitten.  Im  rechten  Masseter  war  ein  ^haselnußigroßer,  unscharf 
abgegrenzter  Tumor  eingelagert,  welcher  exstirpiert  wurde.  Es 
zeigte  sich,  daß  Fortsätze  des  Tumors  zwischen  die  einzelnen 
Muskelbündel  eingeschoben  waren.  Auf  dem  Durchschnitt  erwies 
sich  der  Tumor  als  grau  und  hart,  er  war  zum  Teil  schlecht 
färbbar,  in  der  Umgebung  verkäster  Stellen  fanden  sicii  typische 
Tuberkel  mit  Riesenzellen.  Das  Sarkolemm  zeigte  entzündliche 
Reizung  mit  starker  Kernvermehrung,  auch  waren  die  Muskel¬ 
fasern  auf  dem  Querschnitt  von  zahlreichen  Kernen  umgehen,  wo¬ 
durch  das  Bild  von  Riesenzellen  vorgetäuscht  wurde.  Um  die 
Gefäße  war  Bindegewebswucherung  und  Leukozytenanhäufung 
nachweisbar.  Da  sich  nirgends  Zeichen  von  Eiterung  fanden, 
so  ist  der  beschriebene  Tumor  der  fibrösen  Tuberkulose  zuzu¬ 
rechnen.  Im  zweiten  Falle  lag  eine  vereiterte  tuberkulöse  Myo¬ 
sitis  mit  Bildung  eines  kalten  Abszesses  an  der  äußeren  Fläche 
des  Oberschenkels  bei  einem  25jährigen  schwächlichen  Mädchen 
vor,  welches  Lymphdrüsenschwellungen  am  Halse  und  einen 
suspekten  Lungenhefund  hatte.  Der  Abszeß  wurde  durch  einen 
kleinen  Einschnitt  eröffnet  und  es  zeigte  sich,  daß  die  iVbszeß- 
wand  durch  den  Musculus  vastus  extemus  Igebildet  wurde.  Die 
Affektion  verlief  schmerzlos  und  es  war  keine  Verbindung  mit 
dem  Knochen  nachweisbar.  Im  Eiter  fanden  sich  degenerierte 
Vluskelfasern  und  es  ergab  die  Uebejimpfung  auf  Meerschweinchen 
ein  positives  Resultat.  —  (Bull,  de  TAcad.  de  nmd.  1907,  Nr.  8.) 


203.  (Aus  der  Augeidmilanstalt  zu  Wiesbaden.)  Zur  Kennt¬ 
nis  des  En  Ophthal  mus.  Von  Dr.  Adolf  H.  Pa  gen  steelier. 
Augenarzt  in  Wiesbaden.  Der  Enophthalmus,  das  Zurücksinken 
des  Auges  in  die  iOrhita,  kommt  bei  Schwund  des  Fettgewebes 
in  der  Orbita  vor,  nach  retrobulbären  Blutungen,  als  Teilerschei¬ 
nung  der  neurotischen  Gesichtsafro[)hie,  nach  Exstirpation  retro¬ 
bulbärer  Gescliwülste,  nach  si>ontaner  Rückbildung  des  pulsie¬ 
renden  Exophthalmus,  bei  intermittierendem  Exophthalmus  und 
endlich  nach  Traumen.  Verf.  hatte  in  letzter  Zeit  Gelegenheit, 
zwei  Patienten  mit  traumatischem  Enophthalmus  zu  beobachten. 
Der  erste  Patient,  ein  27jähriger  Fuhrknecht,  wurde  am  31.  Mai 
vorigen  Jahres  an  der  linken  Wange  durch  einen  Hufschlag  ver¬ 
letzt.  Er  blutete  aus  Nase  und  Mund  und  war  zwei  bis  drei 
Minuten  bewußtlos.  Bei  Vernähung  der  Wunde  zeigte  sich  die 
Highmorshöhle  eröffnet.  Seit  dem  Unfall  steht  das  linke  Auge 
tiefer  in  der  Orbita  (5-5  mm);  der  Patient  klagt  über  Doppelt¬ 
sehen,  Schwindel  und  Kopfschmerz  heim  Bücken.  Kurz  nach  der 
Verletzung  bestand  nach  Mitteilung  des  erst  behandelnden  Arztes 
der  Enophthalmus  nicht.  Das  Auge  hat  jetzt  einen  starren  Aus¬ 
druck  wie  ein  Glasauge,  ophthalmoskopisch  ist  alles  normal,  nur 
allseits  starke  Gesichtsfeldeiuscliränkung.  Der  zweite  Patient,  ein 


-f 


ibU  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  Nr.  16 


48j;Un'iger  Klempner,  wurde  am  27.  Mai  1906  durch  einen  Stein¬ 
wurf  an  der  rechten  Wmige  verlietzt.  Nach  .seclis  Wuchen  Heilung 
der  Wunde.  Erst  sah  Fat.  mit  dem  Auge  gar  nictiLs,  es  hat  ein 
Bluterguß  im  Auge  bestanden;  das  Sehvermögen  ist  aber  auch 
jetzt  noch  sehr  schlecht.  Auch  hei  diesem  fällt  der  starre  Aus¬ 
druck  des  Auges  auf,  das  5  mm  tiefer  in  der  Orbita  liegt  als 
das  linke.  Auch  hier  ist  allseits  eine  Ctesichtsfeldeinschränkung. 
Doppeltsehen  tritt  erst  hei  stärkerer  Seitwärtswendung  des  Blickes 
auf.  Beide  Fälle  sind  nach  Verf.  für  den  Enophthalinus  charak- 
lej’islisch.  Meist  und  so  auch  hei  diesen  zwei  Patienten  ist  der 
Vorgang  folgender;  Durch  ein  Trauma  werden  der  Orbitalrand 
und  die  die  Augenhöhle  umg^djenden  Knochen  gebrochen.  Splitter 
dringen  in  die  Orbita  und  rufen  hier  Zerreißungen  des  Gewebes 
und  Blutungen  hervor.  Später  tritt  dann  Narbenhildung  ein,  wo¬ 
durch  das  retrobulbäre  Gewebe  schrumpft  und  der  Bulbus  zurück¬ 
gezogen  wird.  Wenn  der  Enophthalinus  schon  kurz  nach  der 
Verletzung  heobachtet  Avird,  zu  einer  Zeit,  wo  von  Narben¬ 
bildung  noch  nicht  die  Rede  sein  kann,  so  nimmt  man  an,  daß 
durch  das  Trauma  eine  Orhitalwand,  meist  der  Orbitalboden 
zertrümmert  wurde,  daß  das  Orbilalfett  dann  ausweichen  kann 
und  der  Bulbus  zurücksinkt.  Die  Prognose  ist  —  quoad  resti- 
tulionem  —  sehr  schlecht.  Für  den  ei'sten  Patienten  ist  auch 
das  Doppeltsehen  sehr  störend.  Verf.  berichtet  zum  Schlüsse 
noch  über  einen  dritten  Fall  von  Enophlhalmus.  Ein  Ißjähriges 
Mädchen  kam  mit  der  Angabe,  vor  zwei  Jahren  habe  es  beijn 
Bücken  im  Garten  einen  Schmerz  hinter  dem  rechten  Auge  ge- 
gespürt,  dann  sei  das  Auge  etwas  vorgetreten.  Bald  darauf  waren 
die  Lider  blutunterlaufen.  Nach  einiger  Zeit  ging  die  V^ortreibung 
des  Auges  zurück  und  dasselbe  stand  tiefer  in  der  Augenhöhle 
als  das  linke.  Auf  Befragen  erfuhr  Verf.  von  der  Mutter,  daß 
die  ersten  Menses  sich  einige  Tage  nach  dem  Hervor  treten  des 
Auges  eingestellt  hätten.  Die  üntersuclrung  ergab,  daß  das  rechte 
Auge  2  mm  tiefer  in  der  Orbita  stand  als  das  linke.  Bückte  sich 
Pat.,  so  trat  es  in  dieselbe  Stellung  wie  das  andere,  um  nach 
dem  Aufrichten  in  drei  Sekunden  wieder  in  seine  alte  Lage 
zurückzusinken.  Augenhintergrund  normal,  Sehvermögen  beider¬ 
seits  gleich.  Es  handelte  sich  hier  um  eine  retrobulbäre  Blulung 
in  der  Pubertät,  kurz  vor  der  ersten  Menstruation.  Sie  ist  den 
Netzhaut-  und  Glaskörperblutungen  gleichzustellen,  die  bei  ge¬ 
störter  oder  erschwerter  Menstruation  oder  vor  Eintritt  der 
ersten  Menses  beobachtet  worden  sind.  Durch  die  Blutung  wur¬ 
den  Narhenbildungen  und  geringe  Schrumpfrmgen  im  Orbital¬ 
fett  hervorgerufen,  die  eine  Ahnahnie  des  Volumens  und  ein 
Zurücksinken  des  Bulbus  zur  Folge  hatten;  beim  Bücken  sclnvollen 
die  Venen  der  Orbita  an  und  das  Auge  trat  wieder  etwas  mehr 
hervor.  Verf.  möchte  diesen  Fall  am  ehesten  dem  intermittierenden 
Exophthalmus  zur  Seite  stellen,  'bei  dem  in  gebückter  Stellung,  das 
Auge  hervortritt,  oder  den  Beobachtungen  von  intermittierendem 
Ex-  und  Enophthalinus,  AAmhei  die  Protrusion  des  Bulbus  mit 
Zurücksinken  in  die  Orbita  wechselt.  —  (Münchener  medizi¬ 
nische  Wochenschrift  1907,  Nr.  10.)  G. 

204.  (Aus  dem  St.  BartholonieAv-Hospilal  in  London.)  lieber 
einen  Fall  von  Sarkom  der  Skapula  bei  einem  vier¬ 
jährigen  Kinde.  Von  Louis  B.  Bawling.  Bei  einem  Tier- 
jährigen  Kinde  entwickelte  sich  eine  Geschwulst  der  rechten  Ska¬ 
pula,  welche  rapid  wuchs,  so  daß  bereits  zwei  Monate,  nachdem 
die  i\Iutter  die  ersten  Anfänge  einer  Schwellung  bemerkt  halle, 
eine  Operation  aussichtslos  erschien.  Die  Geschwulst,  die  ein 
Sarkom  Avar,  ergriff  in  schnellem  Weiterwachsen  das  Schulter¬ 
gelenk  und  die  umgebende  äluskulatur  und  setzte  Metastasen  in 
die  rechte  Lunge.  Das  Kind  starb  nach  einer  Gesamtkrankheits- 
dauer  Amn  SVa  Mon.  \'erf.  hat  im  Anschluß  an  diesen  Fall  aus  der 
Literatur  23  Fälle  von  Knochensai'komen  im  Kindesalter  zusamrnen- 
gestellt.  Das  jüngste  der  Kinder  AvarßlVochen  alt.  Was  die  Chancen 
dei-  Operation  betrifft,  so  kommt  Verf.  zu  dem  Schlüsse,  daß  eine 
zu  sehr  frühem  Zeilimnkte  ausgeführle  Operation  von  dauern- 
d(*m  Erfolge  begleitet  sein  kann.  Bei  einigermaßen  vorgeschritten 
nein  Prozeß  hält  Verf.  die  Operation  für  nutzlos.  —  (Lancet, 

9.  Februar  1907.)  J.  Sch. 

♦ 

205.  Hyperemesis  gravidarum.  Von  Dr.  Karl  Baisch, 
Privatdozenten  und  1.  Assistenzarzt  der  königl.  Universitälsfrauen- 


klinik  in  Tübingen  (Prof.  Dr.  A.  D  öder  lein).  Es  gibt,  Avahr- 
scheinlich  mehrere  Ursachen  der  Hyperemesis,  vornehmlich  sind 
drei  Quellen  in  Betracht  zu  ziehen,  sie  liegen  im  Uterus,  in  den 
Zentralorganen  und  im  Magen.  „Eine  quantitative  Ueherproduktion 
oder  riualitative  Alteration  der  supponierten  chemischen 
Stoffe  im  Uterus  erklärt  uns  die  Hyperemesis  bei  Zwillingen 
und  Blasenmole,  bei  Endometritis  und  Retroflexio;  eine  abnorme 
Erregbarkeit  der  Zentren  läßt  uns  verstehen,  Avarum 
Neurasthenische  und  Hysterische  ein  so  großes  Kontingent  zu 
diesen  Kranken  stellen  und  eine  durch  frühere  IMagenerkrankungen 
oder  sonstAvie  erworbene  Reizbarkeit  dos  Magens  erklärt 
uns  die  Hyperemesis  bei  Frauen  mit  schAvachen,  empfindlichen 
Verdauungsorganen.“  Die  schw'ere  Hyperemesis  ist  eine  seltene 
Erkrankung.  Bei  etwa  20.000  ambulanten  Kranken  und  2500 
ScliAvangeren,  Avoiche  Avährend  der  letzten  fünf  Jahre  an  ob¬ 
genannter  Klinik  beobachtet  Avurden,  kamen  20  Fälle  von  schwerer 
Hyperemesis  Amr.  Es  ist  dies  eine  prozentualiter  große  Zahl, 
da  Pick  an  der  Klinik  Schauta  bei  30.600  Sclnvangeren  nur 

23  Fälle  beobachtet  hat.  In  prognostischer  Hinsicht  ist  die  Hyper- 
omesis  der  neurasthenischen  und  hysterischen,  der  ,, nervösen“ 
Frauen  eine  günstige  Form,  ihre  Behandlung  ist  meist  erfolgreich. 
Die  Suggoslionskraft  des  koiisultierten  Spezialisten  erzielt  hier 
oft  raschen  und  anhaltenden  Erfolg.  Bei  der  zentral  bedingten 
Hyperemesis  empfiehlt  sich  die  Verordnung  absoluter  Boitruhe, 
AAms  durch  Applikation  eines  Thermophors  auf  die  Magengegond 
oder  einer  Eisblase  auf  den  Unterleih  plausibler  gemacht  Avird. 
Bei  ernsten  und  bereits  länger  bestehenden  Erkrankungen.  Avird 
sodann  die  Nahrungs-  und  hdüssigkeitszufuhr  für  mindestens 

24  Stunden  vollständig  sistiert.  Gegen  den  quälenden  Durst  Averden 
einige  subkutane  Transfusionen  physiologischer  Kochsalzlösungen 
appliziert.  Sodann  (in  leichteren  Fällen  ohne  Fasten)  erhält  die 
Kranke  in  Eis  gekühlte  Milch  kaffeelöffelwoise,  am  Tage  danach 
elAvas  ZAvieback  und  Tee  oder  Kaffee  mit  Milch,  dann  Bouillon, 
Schleimsuppe,  leichten  Brei.  Also  in  den  ersten  Tagen  flüssige 
Kost  in  kleinen  Portionen  ,in  nicht  zu  kurzen  ZAvischenräunien. 
Hungergefühl  ist  das  erste  sichere  Zeichen  der  beginnenden  Ge¬ 
nesung.  Peinliche  Vorsicht  bei  der  täglichen  Steigerung  des  Er¬ 
laubten  und  sorgfältige  Rücksicht  auf  die  Geschmacksrichtung  der 
Kranken,  kein  sprunghafter  Uobergang  zu  derberer  Kost,  da  sonst 
Rückfall  eintritt.  Versagt  diese  Therapie,  so  entferne  man  die 
Kranke  aus  der  bisherigen  Umgebung  und  überführe  sie  ins 
Krankenhaus.  Diese  Maßregel  führt  oft  zum  Erfolg.  Die  zentral 
bedingte  Hyperemesis  stellt  zweifellos  die  häufigste  Form  dar, 
von  den  20  Fällen  der  Tübinger  Klinik  Averden  15  in  diese 
Kategorie  eingeiuiht.  Die  Spitalsbehandlung  ist  auch  bei  der 
stomachalen  Hyperemesis  angezeigt;  streng  geregelte  Diät,  Be- 
schräidamg  auf  flüssig -breiige  Kost,  die  erst  allmählich  reich¬ 
haltiger  zu  gestalten  ist.  Für  die  uterine  Form  (gesunder  Magen, 
normal  erregbares  Brechzentrum,  aber  .^Avahrscheinlich  Ueberpro- 
duktion  von  Erbrechen  bewirkenden  Substanzen  im  Ei  oder 
Uterus)  Avird  die  Kur  durch  Verabreichung  A-on  Medikamenten 
unterstützt,  AA-elche  die  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  des  Brech- 
zentimms  zum  Ziele  haben.  Verf.  empfiehlt  zu  diesem  ZAvecke 
Skopolamin  in  Dosen  Amn  0-3  bis  0-5  mg  ein-  bis  zweimal  täglich. 
Sodann  diätetische  Behandlung.  Dringend  empfiehlt  ei'  ferner  die 
Anregung  stärkerer  Diurese  und  gründliche  Entleerung  des  Darms 
durch  Avicderholte  reichliche  Einläufe  zum  Zwecke  einer  Aus¬ 
waschung  des  Organismus.  In  fünf  Fällen  war  man  gezwungen, 
die  ScliAvangerschaft  zu  unterbrechen,  um  dem  fortsciireitenden 
Kräfteverfall  zu  gebieten.  Die  Indikation  für  diese  radikale 
Therapie  gibt  die  Wage:  zeigt  die  zAA^eimal  Avöchentlich  Amrzu- 
nehmende  Wägung,  daß  der  GeAvichtsverlust  Linaufhaltsam  fort¬ 
schreitet,  so  ist  der  Abort  einzuleiten.  Verf.  Avarnt,  hier  länger 
zuzuAvarten,  die  Frau  ja  nicht  in  die  äußerste  Gefahr  zu  bringen. 
Fritsch  erlebte  es  einmal,  daßi  eine  Frau  das  unstillbare  Er¬ 
brechen  simulierte,  um  einen  Abortus  herbeiführen  zu  lassen. 
Die  mit  scliAverem  Erbrechen  oft  gepaarte  profuse  Hypersalivation 
kann  aber  nicht  simuliert  Averden.  Wird  das  Ei  entfernt,  so 
sistiert  sofort  das  Erbrechen,  es  sistiert  auch  die  Salivation. 
Die  Ausräumung  des  Uterus  soll  in  einer  Sitzung  erfolgen.  Aheiuls 
Amrher  wird  nach  Sondendilatation  ein  dicker  Laminariastift  in 
die  Zervix  eingeschoben,  am  folgenden  Morgen  Avird  mit  d<‘r 
Winter  sehen  Eizange  in  Avenigen  Minuten  das  Ei  entfernt. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


481 


Blutung  und  lul'ektiousgcfalir  sind  liiubei  gering,  A'arkosc  oder 
Lumbalanästhesie  sind  in  der  Kegel  entbebrlicb.  Die  Kraidve, 
die  wochenlang  alles  erbrochen  batte,  ist  am  Abend  der  Operation 
schon  imstande,  mit  Ai)petil  ein  substanzielles  Abendbrot  zu  ge¬ 
nießen.  —  (ib'rliner  klinisclie  Woebensebr.  1907,  Nr.  !i.) 

E.  F. 

♦ 

20G.  Gibt  cs  eine  akute  Ilerzd  ila  t  a  1  io  n?  Von 
L.  Cbeinisse.  In  verschiedenen  Armeen  wurde  eine  progressive 
Zunabnie  der  Ilerzaffektionen  festgestellt  und  zum  Teil  auf  über¬ 
triebene  spoi’tlicbe  Uebungen  zurückgefübrt.  Es  ist  auch  sieber- 
gestellt,  daß  gesteigerte  Äluskelanstrengung  namentlich  während 
der  Waebstumsperiode  idiopatbisebe  Ilerzbypertroplde  liervor- 
zurufen  vermag.  Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  eine  beftigje 
Muskelanstrengung  auch  imstande  ist,  eine  akute  Herzdilatatioii 
bervorzurufen.  Es  liegen  verschiedene  Bericbfc  über  das  Auf¬ 
treten  einer  dureb  Dyspnoe,  xVrrbytbmiie  des  Pulses,  Tachykardie 
und  Verlrreiterung  der  Herzdämpfung  gekennzeichneten  akuteji 
Herzdilatatioii  nach  Bicyclefabrlen,  sowie  nach  Bingkämiifen  und 
forciertem  Laufen  vor,  zum  Teil  ist  der  Befund  der  Vergrößerung 
der  Herzdämpfung  radiograpbiscb  gestützt.  Es  wurde  aber  her- 
vorgeboben,  daß  die  liloße  Könt.gendurcbleucbtuug:  hier  keine 
sicheren  Aufschlüsse  zu  geben  vermag  und  die  mit  dem  Hilfs¬ 
mittel  der  Orthodiagraphie  anges'tellteii  Untersuchungen  fielen  hin¬ 
sichtlich  der  Frage  des  Vorkommens  einer  akuten  Herzdilatation 
negativ  aus.  Die  Verbreiterung  der  Herzdämpfung  kann  durch 
Hebung  des  Zwerchfelles  und  Verstärkung  der  Diastole  vorgeläuscbt 
werden.  Die  mit  Hilfe  der  Orthodiagraphie  angestellten  Unter¬ 
suchungen  führten  zu  dem  Ergebnis,  daß  sellist  die  heftigste, 
IMuskelanstrengUng  bei  gesundem  Myokard  nicht  imstande,  ist, 
eine  akute  Herzdilatation  bervorzurufen.  Da  für  die  Herztätig'- 
keit  nicht  nur  das  Myokard,  sondern  auch  das  Verhalten  des 
Nervenaiiparates  maßgebend  ist,  so  fragt  es  sieb,  oh  heftige  Ge¬ 
mütsbewegungen,  namentlich  wenn  sie  plötzlich  eintreteu,  im¬ 
stande  sind,  eine  akute  Herzdilatation  bervorzurufen.  Tatsäch¬ 
lich  sind  Fälle  von  akuter  Herzdilatation  unter  dem  Einfluß 
heftiger  Gemütsbewegungen,  namentlich  bei  neurastbenisclKMi 
iMännern  und  nervösen  Frauen  beobachtet  worden.  Zur  Erklärung 
ist  ein  verbreiterter  Gefäßspasmus,  noch  mehr  die  direkte  Sbock- 
wirkung  auf  die  Innervationszentren  des  Herzens  heranzuziehen. 
Jedenfalls  vermag  die  plötzliche  Einwirkung  eines  heftigen 
Schreckens  die  Atlaptationsfähigkeit  des  Herzens  zeitweilig  auf- 
zuhehen.  —  (Sem.  ined.  1907,  Nr.  9.)  a.  e. 

.  i  ♦ 

207.  Ueber  den  Untei-schied  im  p  by  sikal  sehen 
Verhalten  bei d er  Lungenspitzen.  Von  Friedrich  S e  u  f  f  e  r- 
held.  xVuf  Grund  der  Angal)en  anderer  Autoren  und  basierend 
auf  eigenen  Untersüchungen  scheinbar  lungengesunder  IMenseben 
kommt  Verf.  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  rechte  Lungenspitze  häufig 
tiefer  steld  als  die  linke,  der  Schall  über  derselben  leiser  und 
dann  meist  auch  etwas  tympaniitisch  und  in  diesem  Falle  regel¬ 
mäßig  verbunden  ist  mit  verschärftem,  dem  bronchialen  sich 
nälu'rndein  Atmungsgeräuscli,  verstärktem  Pektoralfremitus  und 
Bronchoplionie.  Als  Ursache  für  das  Tieferstehen  der  lechten 
Spitze  macht  Verf.  hauptsächlich  leichte  Skoliosen  der  unteren 
Hals-  und  oberen  Brustwirbelsäule  und  das  Hängen  des  rechten 
Schultergürtels  gellend.  Die  übrigen  auskultatorischen  Erschei¬ 
nungen  sind  zurückzuführen  auf  die  stärkere  Bronchialversorgunig 
der  rechten  Lungenspitze,  die  größere  xVuzahl  subpleural  gelegener 
Bronchiallumina,  den  höhercui  Abgang  des  rechten  Hauptbronchus 
und  des  eparteriellen  Bronchus,  wodurch  weitere  Bronchiallumina 
in  gi'ößere  Nälie  der  Spitzen  gerückt  sind.  Verf.  glaubt  daher, 
daß  den  erwälnden  perkutoriscb-auskultatoriscben  Erscheinungen 
üi)er  der  rechteii  Sj)itze  erst  dann  eine  entscheidende  diagnostische 
Bedeutung  beizumessen  sei,  wenn  gleichzeitig  andere  für  Tuber¬ 
kulose  sprecbende  Symptome,  wie  Basselgeräusche,  Fieber,  Drüsen, 
vorhanden  seien.  Oh  das  geschilderte  Vei'halten  iler  rechten 
Lungenspitze  tatsächlich  so  lütufig  ist,  wie  Verf.  annimmt  (er 
fand  Tiefstand  der  rechten  Spitze  in  75‘Vo,  verschärftes  Exspirium 
in  80T')  der  uidersuchten,  anscheinend  gesunden  Individuen),  sei 
dahingestellt,  da  immer  die  Frage  erlaubt  ist,  ob  die  rechte 
Spitze  bei  den  fraglichen  Individuen  auch  wirklich  ganz  frei 
von  Tuberkulose  gewesen  sei.  Immerhin  verdienen  die  Ausfüh* 


rungen  des  Verfassers  die  größte  diaignostische  Bc'achtung.  Man 
wird  aber  doeb  in  vielen  Fällen,  auch  ohne  daß  Kasselgei'äustdie. 
Fieber  oder  Drüsen  vorlianden  sind,  aus  der  Stellung,  der  beiden 
Scbultergürtel,  aus  dem  Vorbandensein  oder  Fehlen  skolioiischer 
Abweichungen  der  oberen  Brust-  und  Halswirbelsäule  imslamle 
sein,  die  abnormen  pbysikalischen  Erscheinungen  richtig  zu  deuten, 
abgesehen  von  den  übrigen  tuberkuloseverdächtigen  Sym])tomen 
und  xVngaben  der  Kranken.  —  (Beiträge  zur  Klinik  der  Tuljer- 

kulose,  Bd.  7,  H.  1.)  J.  S. 

♦ 

208.  Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenkllnik  zu  Kiel 
(Geh.  Med. -Rat  Prof;  Dr.  Sie  nierliüg).  Die  p a  Lh o  1  o g i  s ch e 
Anatomie  des  senilen  Rückenmarkes.  Von  Dr.  Kinicki 
Naka.  Der  xVrbeit  liegt  die  mikroskopische  Untersu(dmng  des 
Rückenmarkes  17  seniler  Individuen  zugrunde.  Zur  Untersuchung 
kamen  von  jedem  Rückenmark  der  obere  und  der  untere  Teil 
des  Hals-  und  Bitistmarkes  und  die  Lemlenanschwellung,  zur 
Färbung  wurden  die  Marchi-,  v.  Gieson-,  Weigert-  und  Tbionin- 
methode  angewendet.  An  den  Zellen  fand  sich  mehr  oiler  weniger 
in  allen  Fällen  pigmentöse  Degeneration,  zuweilen  fand  siclJ  ein¬ 
fache  Atrophie  der  Zelle  ohne  Pigmentanhäufung,  ln  einigen 
Fällen  war  leiclde  Degeneration  in  den  Wurzeleintrittszonen  einer 
oder  mehrerer  Rückenmarksabschnitte  Zu  koiistatiereii;  In  den 
Ilintersfrängoii  zeigten  sich  in  fast  allen  Fällen  Veränderuu<|en  1 
diffuse,  gcu'inggradige  Degeneration  im  Lendenmark,  eine  schmale 
Degeneration  im  unteren  Brustmark,  auf  beiden  Seiten  des  vor¬ 
deren  Teiles  der  hinteren  Längsfurche  oder  in  deren  ganzer  Ausl- 
dehnung,  in  der  Halsanschwellung  eine  leichte  Veränderung  in 
den  Gotischen  Strängen,  ln  den  Vorder-  und  Seitensträugen 
fand  sich  meist  keine  deutliche  Veränderung  im  Sinne  einer 
Degeneration,  nur  in  vereinzelteJi  Fälleti  erschienen  die  Seiten¬ 
stränge  diffus  gelichtet,  ln  allen  Fällen  waren  die  Gefäße  ver¬ 
ändert:  stellenweise  vermehrt  (am  wenigsten  in  den  V^order- 
strängen),  die  Wandungen  verdickt,  tter  Verlauf  geschlängelt,  peri¬ 
vaskuläre  Gliawucherung  (am  ausgesprochensten  in  den  Hinter¬ 
strängen).  Der  Zentralkanal  war  in  den  meisten  Fällen  ohliteriert. 
—  (Ai'chiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  -42,  II.  2.) 

I  S. 


Vermisehte  l^aehriehten. 

Ernannt:  Oberstabsarzt  Dr.  Fritz  W  i  1 1  i  n  g  e  r  zum  außer¬ 
ordentlichen  Professor  für  Chirurgie  in  der  Zahnheilkunde  an 
der  Berliner  Universität.  —  Der  außerordentliche  Professor  Doktor 
Oskar  de  1  a  Camp  in  Marburg  zum  ordentlichen  Professor 
der  Kinderheilkunde  und  Pharmakologie  in  Erlangen.  —  Doktor 
V  i  1 1  a  r  zum  Professor  der  operativen  Medizin  in  Bordeaux.  — 
Dr.  T  a  m  b  u  r  i  n  i  in  Modena  zum  ordentlichen  Professor  der 
Psychiatrie  in  Rom.  —  Dr.  Mir  to  zum  außerordentlichen  Pro¬ 
fessor  der  gerichtlichen  Medizin  in  Siena. 

* 

V  e  r  1  i  e  h  e  n  :  Dem  Marinestabsarzt  Dr.  Jaroslaw  0  k  u- 
niewski  und  dem  Stabsarzt  Dr.  Franz  Pick  in  Wien  das 
Ritterkreuz  des  Franz-Joseph-Ordens. — Das  goldene  Verdienstkreuz 
mit  der  Krone  den  Regimentsärzten:  Dr.  Josef  Zizala,  Doktor 
Wenzel  Fischer  und  Siegmund  Fersten.  —  Dem  Ober¬ 
bezirksarzt  Dr.  Karl  Wagrowski  in  Czortkow  der  Titel  eines 
Landessanitätsinspektors.  —  Dem  außerordentlichen  Professor 
Dr.  A.  Wassermann  in  Berlin  der  Charakter  als  Geheimer 
Medizinalrat. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Ad.  Becker  für  Chirurgie  in  Rostock. 
—  Dr.  C  o  n  d  u  1  m  e  r  für  interne  Pathologie  in  Bologna.  — 
Dr.  Bru  g  n  o  1  a  in  Sassari  für  interne  Pathologie.  —  In  Turin  : 
Dr.  All  aria  für  Kinderheilkunde;  Dr.  Donati  für  allgemeine 
Pathologie. 

♦ 

An  Stelle  des  verstorbenen  Regierungsrates  Dr.  Tilkowsky 
wurde  der  niederösterreichische  Landessanitätssekrelär  in  Wien 
Dr.  Wilhelm  Lorenz  vom  niederösterreichischen  Landesaus- 
schusse  als  ordentliches  Mitglied  in  den  n  i  e  d  o  r  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  i- 
schen  Landessanitätsrat  für  das  laufende  Triennium 
1907  bis  1909  entsendet. 

* 

lu  Nr.  15  der  D<'ulschen  medizinischen  Wochensebrift  vor- 
ölfentJicht  Prof.  H.  Schl  an  gc-Ilaunover  den  ausführlichen  Be¬ 
richt  über  di(*  Krankheil  von  Ernst  v.  Bergmann.  FiS  winl 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


duj'cJi  diese  von  bei'ufensler  Seite  gegelicne  Darslellung  die  finnid- 
losigkeiL  der  sich  hartnäckig  l)eluui[)tcnden  (ierüctile  von  der 
Krebskrankheit  v.  Bergmanns  endgültig  festges teilt,  ebenso, 
daß  die  auf  Jahre  züriiekdatierten  zcilweiligen  Darinstörungen, 
sowie  die  kurz  vor  dem  Tode  aufgetretenen  Ileuscrscheinungen 
im  letzten  Gnmde  auf  eine  im  russiscli- türkischen  Feldzuge 
durcbgemachle  Dysentenc  mit  konsekutiver  Bildung  von  Ad- 
bäsionen  an  der  Flexura  lienalis  zurückzuführen  waren.  Die  noti- 
wendig  gewordenen,  von  Prof.  Schlange  ausgeführlen  Opera¬ 
tionen,  die  Anlegung  einer  Darmfistel,  zunächst  auf  der  rechten 
und  schließlich  auf  der  linken  Seile,  konnten  bei  dem  schon  vor 
dem  Auftreten  der  Ilcussyinptome  äußerst  ungünstig  gewordenen 
Allgemeinzustand,  keine  Rettung  mehr  bringen.  Die  Bauclisektion 
ergab  außer  Stenosis  flexUrae  lienaJis  adhaesiva.  Necrosis  pan- 
creatis  und  Peiitonilis  diffusa  pnrulenta. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift :  Die  k.  k.  niederöster¬ 
reichische  Statthalterei  hat  mit  dem  Erlasse  vom  10.  März  1907, 
Z.  XI — 437,  nachstehendes  anher  eröffnet ;  „Seit  längerer  Zeit 
werden  nicht  nur  in  Tagesblättern,  sondern  auch  in  Kalendern 
die  vom  Apotheker  Josef  Schneider  in  Resicza  in  Ungarn 
erzeugten  Arzneizubereitungen  :  Granatkapseln,  Antebeten 
gegen  Trunksucht  und  S  a  n  t  o  1  k  a  p  s  e  1  n,  sowie  das  in  der 
,AposteP  -  Apotheke  in  Budapest  hergestellte  Mittel  Haiapis 
Tub  er  in  in  höchst  aufdringlicher  Weise  angekündigt.  Das 
königl.  ungarische  Ministerium  des  Innern  hat  den  Vertrieb  dieser 
Präparate  nicht  zur  Kenntnis  genommen.  Da  diese  Artikel 
auch  beim  k.  k.  Ministerium  des  Innern  zur  Zulassung  nicht  an¬ 
gemeldet  worden  sind  und  ihre  Zusammensetzung  nicht  bekannt 
ist,  sind  sie  als  Geheimmittel  anzusehen,  deren  Vertrieb  nach 
den  bestehenden  Vorschriften  verboten  ist.  Von  diesem  Verbote 
erfolgt  hiemit  die  Verständigung.  Der  Bezirksamtsleiter.“ 

* 

Dr.  Adolf  Wilhelm  Schmidt  hat  die  ärztliche  Leitung 
des  (im  September  zu  eröffnenden)  Kurmittelhauses  der  Stadt 
M  e  r  a  n  (Anstalt  für  die  gesamte  physikalische  Therapie)  über¬ 
nommen,  im  Sommer  aber  die  Leitung  der  ,, Heilanstalt  Kurpark 
mit  dem  Bulling-Inhalatorium“  in  Bad  Ischl  behalten. 

* 

Der  Roman  ,,Aerzte“  von  Heinrich  v.  Schullern  ist 
nun  auch  in  italienischer  Uebersetzung  u.  zw.  bei  F.  H.  S  chimp  ff 
in  Triest  erschienen. 

* 

Im  Protokolle  über  die  Sitzung  der  k.  k.  G-esellschaft  der 
Aerzte,  vom  22.  Alärz  d.  J.  (Wiener  klinische  Wochenschrift 
Nr.  13)  ist  folgendes  richtigzustellen: 

Seite  397,  Zeile  44  (Spalte  H)  soll  es  heißen:  „VorAvölbung 
der  rechten“,  statt  linken;  Seite  398,  Zeile  37  (Spalte  I)  fehlt 
ein  Wort,  es  soll  heißen:  ,, wegen  der  Seltenheit  dieses  Vor¬ 
kommnisses“;  Seite  398,  Zeile  46  (Spalte  II)  soll  es  heißen: 
„Spiralen“  statt  „Spie gier“;  Seite '>398,'  Zeile  4  und  b  von 
unten  (Spalte  II)  soll  der  Satz  lauten:  ,,daß  aber  bei  einer  Aus¬ 
dehnung  des  Prozesses  auf  die  gröberen  Aeste  nach  längerem 
Bestehen  des  Asthmas,  oder  Ifalls  dies  von  vornherein  eintritt.“ 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  12.  Jahreswoche  (vom  17.  bis 
23.  März  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  605,  unehelich  300,  zu¬ 
sammen  905.  Tot  geboren  ehelich  47,  unehelich  27,  zusammen  74. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  813  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  2P6  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  17,  Scharlach  3,  Keuchhusten  3, 
Diphtherie  und  Krupp  17,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  4, 
Lungentuberkulose  139,  bösartige  Neubildungen  48,  Wochenbett¬ 
fieber  2.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  52  (-U  18),  Wochen- 
bellfieber  1  (—2),  Blattern  0  (0),  Varizellen  49  (—  19),  Masern  383 
( —  26),  Scharlach  105  (-}-  16),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  0  ( —  1), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  81  ( —  25),  Keuch¬ 
husten  52  (-|-  20),  Trachom  4  (+  2),  Influenza  14  (-|-  14). 

13.  Jahreswoche  (vom  24.  bis  30.  März  1907).  Lebend  geboren, 
ehelich  725,  unehelich  298,  zusammen  1023.  Tot  geboren,  ehelich  52, 
unehelich  21,  zusammen  73.  Gesamtzahl  der  Todesfälle  855  (i.  e.  auf 

1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden  227  Todesfälle),  an 
Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  19,  Scharlach  5,  Keuch¬ 
husten  3,  Diphtherie  und  Krupp  7,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0, 
Rotlauf  6,  Lungentuberkulose  143,  bösartige  Neubildungen  55,  Wochen¬ 
bettfieber  3.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  37  ( —  15), 
Wochenbettfieber  2  (-}-  1),  Blattern  0  (0),  Varizellen  50  (-}-  1),  Masern 
280  ( —  103),  Scharlach  97  ( —  8),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus 
9  (“h  9),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  88  (-]-  7) 
Keuchhusten  29  ( —  23),  Trachom  0  ( —  4),  Influenza  2  ( —  12). 


Freie  Stellen. 

Oherbezirksarztesstelle  für  Oberösterreich  mit  den  system' 
mäßigen  Bezügen  der  VIH.  Rangsklasse,  sowie  eine,  eventuell  zwei,  Sani¬ 
tätskonzipistenstellen  mit  den  Bezügen  der  X.  Rangsklasse.  Bewerber 
haben  ihre  Gesuche  unter  Nachweisung  ihres  Alters,  der  wichtigeren 
Personalverhältnisse,  des  Zeitpunktes  der  Promotion  und  der  abgelegten 
Physikatsprüfung  bis  30.  April  d.  J.  im  vorgeschriebenen  Dienstwege  bei 
dem  k.  k.  Statthaltereipräsidium  in  Linz  einzubringen. 

Stelle  eines  Hilfsarztes  (Sekundararztes)  im  öffentlichen 
städtischen  Krankenhause  in  Steyr  (Oberösterreich).  Mit  dieser  beiderseits 
ein  vierteljährig  kündbaren  Dienstesstelle  ist  ein  jährliches  Adjutum  von 
K  1600,  der  Anspruch  auf  volle  Verpflegung,  bestehend  in  Frühstück, 
Mittagessen,  Jause  und  Abendessen  im  Spitale  und  freies  Quartier  daselbst, 
verbunden.  Bewerber  deutscher  Nationalität  haben  ihre  mit  dem  Doklor- 
diplome,  dem  Geburtsscheine  und  dem  Heimatscheine,  sowie  den  Zeug¬ 
nissen  über  ihre  bisherige  praktische  Verwendung  belegten  Gesuche  bis 
längstens  30.  April  d.  J.  bei  der  Stadtgemeindevorstehung  Steyr  einzu¬ 
bringen.  Auf  sofortigen  Dienstantritt  wird  besonders  Gewicht  gelegt, 
bzw.  es  werden  Bewerber,  die  den  Dienst  so  gl  e  i  ch  antreten  können, 
bevorzugt. 

'  Stelle  eines  Landes-Sanitätsinspektors  für  das  Küstenland 
mit  den  systemmäßigen  Bezügen  der  VII  Rangsklasse,  eventuell  eine 
Oberbezirksarztesstelle  mit  den  systemmäßigen  Bezügen  der  VIH. 
Rangsklasse.  Bewerber  um  diese  Stellen  haben  ihre  mit  den  erforderlichen 
Belegen  und  den  Nachweisen  über  ihre  Sprachkenntnisse  versehenen 
Gesuche  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  bis  30.  April  d.  J.  bei 
dem  Statthaltereipräsidium  in  Triest  einzubringen. 


Aufruf. 

Mit  Schluß  des  Sommersemesters  1907  tritt  Herr  Hofrat  Professor 
Dr.  Adam  Politzer  nach  Erreichung  der  durch  die  österreichischen 
Gesetze  bestimmten  Altersgrenze  von  der  Leitung  der  k.  k.  Universitäts¬ 
klinik  für  Ohrenkranke  in  Wien  und  nach  46jähriger  ruhmreicher  aka¬ 
demischer  Tätigkeit  vom  Lehramte  zurück. 

Angesichts  des  weltumfassenden  Rufes  Politzers  und  der  all¬ 
gemeinen  Verehrung,  die  er  ganz  besonders  im  Kreise  seiner  Schüler 
und  engeren  Fachgenossen  genießt,  ist  es  überflüssig,  hier  auf  seine  Be¬ 
deutung  für  die  Ohrenheilkunde  und  die  Gesamtmedizin  hinzuweisen. 

Die  Gefertigten  glauben  daher,  dem  Wunsche  der  zahlreichen 
Schüler  und  Freunde  Prof.  Politzers  zu  entsprechen,  wenn  sie  den 
Zeitpunkt,  an  welchem  der  gefeierte  Meister  die  Stätte  seiner  langjährigen 
Wirksamkeit  verläßt,  für  geeignet  erachten,  den  Gefühlen  der  Verehrung 
und  Dankbarkeit  ihm  gegenüber  Ausdruck  zu  verleihen. 

In  voller  Uebereinstimmung  hatte  das  gefertigte  Komitee  ursprüng¬ 
lich  für  diesen  Tag  eine  solenne  Feier  beschlossen,  an  welcher  die  in- 
und  ausländischen  Kollegen  und  Abordnungen  der  otologischen  Gesell¬ 
schaften  zur  Teilnahme  eingeladen  werden  sollten.  Prof.  Politzer,  der 
davon  Kenntnis  erhalten,  hat  jedoch,  mit  Rücksicht  auf  mehrere  in  der 
letzten  Zeit  in  seiner  engeren  Familie  vorgekommene  Todesfälle  dringend 
gebeten,  von  dieser  geplanten  Feier  abzusehen. 

Es  wurde  daher  beschlossen,  eine  von  Meister  Teles  entworfene 
Plaque  tte  prägen  zu  lassen,  die  das  Porträt  Politzers  tragen  und 
allen  an  dieser  Kundgebung  Teilnehmenden  zur  bleibenden  Erinnerung 
an  seine  Person  und  an  den  denkwürdigen  Tag  dienen,  dem  Gefeierten 
selbst  aber,  in  Gold  ausgeführt,  am  Tage  seines  Abschieds  vom  Lokal¬ 
komitee  überreicht  werden  soll. 

Zugleich  mit  der  Plaquette  wird  dem  Meister  eine  Adresse  über¬ 
reicht  werden,  die  die  Namen  aller  derjenigen  enthalten  soll,  welche 
sich  an  dieser  Kundgebung  beteiligen  werden. 

Wir  laden  demnach  sämtliche  Kollegen  ein,  insbesondere  die 
gewesenen  Schüler  Politzers  und  die  Vertreter  des  otologischen 
Faches,  ebenso  aber  auch  alle,  die  dem  berühmten  Wiener  Gelehrten 
Interesse  entgegenbringen,  ihre  Anmeldungen  zum  Bezüge  einer 
Plaquette  an  den  Schatzmeister  des  gefertigten  Komitees  einzu¬ 
senden.  Gleichzeitig  mit  der  Anmeldung,  welche  den  deutlich  ge¬ 
schriebenen  Namen,  die  Titel  und  die  genaue  Adresse  enthalten  muß, 
wird  gebeten,  den  Betrag  von  K  24  (M.  20,  Fres.  24)  für  eine  silberne, 
oder  von  K  12  (M.  10,  Fres.  12)  für  eine  Bronzeplaquette  an  den  Schatz¬ 
meister  Herrn  Dr.  D.  Kaufmann  in  Wien  VI.,  Mariahilferstraße  37  ein¬ 
zusenden. 

Aus  dem  Ueberschuß  der  Beträge,  der  nach  Deckung  der  Her¬ 
stellungskosten  verbleiben  dürfte,  soll  ein  Fonds  gebildet  werden,  der 
Herrn  Hofrat  Politzer  zur  Errichtung  einer  Stiftung  zur  Verfügung 
gestellt  werden  soll. 

Wir  bitten,  die  Anmeldungen  sobald  als  möglich,  längstens  aber 
bis  zum  15.  Mai  1907  einzusenden,  u.  zw.  nur  an  die  angegebene 
Adresse. 

Für  das  Komitee: 

Prof.  Dr.  Josef  Po  Hak- Wien 

Doz.  Dr.  Hugo  Frey- Wien  Doz.  Dr,  G.  Al  exander- Wien 
Dr.  D.  Kaufmann- Wien  VI.,  Mariahilferstraße  37. 

Prof.  Dr.  Böke-Budapest,  Prof.  Dr.  D  e  m  e  t  r  i ad  i s -  Athen,  Professor 
Dr.  Gr  ade  nigo  -  Turin,  Dr.  C.  L  a  g  er  lö  f  -  Stockholm,  Geheimrat 
Prof.  Dr.  A.  Lu  c  ae  -  Berlin,  Prof.  Dr.  Urban  P r  i  t  ch  a r  d -London, 
Prof,  Dr.  S  ch  m  i  e  ge  lo  w  -  Kopenhagen,  Dr.  S  t  a  n  c  ul  e  an  u -Bukarest, 
Dr.  S  e  g  ura- Buenos  Aires,  Prof.  Dr.  D  e  1  s  ea  u  x  -  Brüssel,  Professor 
Pi.  F  0  rn  s  -  Madrid,  Prof.  Dr.  II.  K  n  a  p  p  -  New-York,  Dr.  M.  Lermoyez- 
Paris,  Prof.  Dr.  Okada-Tokio,  Prof.  Dr.  Rohrer-Zürich,  Prim.  Doktor 
S  ehr  aga- Belgrad,  Prof.  Dr.  St.  v.  S  te  i  n  -  Moskau,  Prof.  Dr.  Zwaar- 

demaker-Utrecht. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


483 


Verhandlangen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INHALT; 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellscliaft  der  Aerzte  iu  Wien, 
Sitzung  vom  12.  April  1907. 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gresellschaft  für  Chirurgie  zu  Berlin. 
1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 

Medizinischer  Verein  in  Creifswald.  Sitzung  vom  2.  März  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  April  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  R.  Chrobak. 

Schriftführer:  Prof.  R.  Paltauf. 

Präsident  Hofrat  R.  Chrobak  dankt  in  seinem  Namen, 
sowie  in  dem  der  Mitglieder  des  Präsidiums  für  die  erfolgte 
Wiederwahl;  er  sei  sich  der  großen  Ehre  bewußt  und  gestützt 
auf  das  Vertrauen  der  k.  k.  Gesellschaft  empfinde  er  cs  leicht, 
die  Leitung  zu  führen.  Hofrat  Chrobak  erklärt  ferner,  die 
Gelegenheit  benützen  zn  wollen,  zur  Verhinderung  des  unlieb¬ 
samen  Vorkommnisses,  daß  das  Sitzungsprograimu  durch  die  An¬ 
meldung  zahlreicher  Demonstrationen,  am  Sitzungsabende  selbst 
nicht  erledigt  werden  kann,  die  Mitglieder  zu  erinnern,  daß 
die  Auffassung  des  §  7  der  Geschäftisordnung,  jede  Demonsti-alioh 
müsse  zehn  Minuten  dauern,  unr’ichtig  sei;  oft  läßt  sich  alles 
Bemerkenswerte  in  einigen  Minuten  sagen;  auch  liegt  es  im 
Interesse  der  Erhaltung  des  Usus,  daß>  die  Diemonstrationen  nach 
einer  gewissen  Würdigkeit  angereiht  werden;  zunächst  die  Demon¬ 
stration  von  Krankheitsfällen,  die  Vorführung  von  Apparaten, 
Instrumenten  soll  später  stattfinden,  nach  der  Tagesordnung,  even¬ 
tuell  auch  auf  die  nächste  Sitzung  verschoben  werden.  Es  liegt  in 
der  Macht  des  Vorsitzenden  und  ist  seine  Pflicht,  durch  Regelung 
der  zulässigen  Zeit  für  die  akzeptierten  Demonstrationen  und 
Mitteilungen,  außerhalb  der  Tagesordnung  die  Durchführimg  der 
letzteren  aufrecht  zu  halten. 

Priv.-Doz.  Dr.  Ferdinand  Alt  demonstriert  einen  geheilten 
Fall  von  otitischem  Schläfelappenabszeß. 

Die  38jährige  Patientin  A.  M.  erkrankte  Mitte  Januar  1907 
an  Influenza  und  einer  rechtsseitigen  akuten  Mittelohreiterung.  Vor¬ 
her  soll  sie  nie  ernstlich  krank  gewesen  sein.  Sie  stand  im  Ohren¬ 
ambulatorium  des  Krankenhauses  Wieden  in  Behandlung.  Nach¬ 
dem  Schmerzen  und  Fieber  geschwunden  waren  und  nur  eine 
Otorrhoe  zurückgeblieben  war,  entzog  sie  sich  der  ambulatorischen 
Behandlung.  Ich  sah  die  Kranke  erst  nach  Wochen  am  8.  März 
wieder,  als  sie  vom  Hausarzt  mit  der  Diagnose  Meningitis  ex 
otitide  in  das  Krankenhaus  Wieden  eingeliefert  und  auf  der  Ab¬ 
teilung  des  Primarius  Schnitzler  aufgenommen  wurde.  Die 
Kranke  klagte  über  heftige  Kopfschmerzen,  war  etwas  benommen, 
es  bestand  leichte  Nackensteifigkeit,  die  Temperatur  war  39  bis 
39 ’8“,  Puls  84.  Rechts  war  profuse  Otorrhoe  vorhanden,  das 
entzündete  Trommelfell  war  hinten  unten  perforiert,  der  Warzen¬ 
fortsatz  war  aufgetrieben  und  sehr  druckempfindlich.  Das  linke 
Ohr  war  normal.  Rechts  wurde  Flüstersprache  auf  1  m  gehört, 
der  We  bersche  Versuch  wurde  nach  rechts  lateralisiert,  der 
Rinne  sehe  Versuch  war  rechts  negativ,  mit  verlängerter  Knochen¬ 
leitung,  es  wurden  hohe  Töne  besser  gehört  als  tiefe.  Ich  nahm 
sofort  die  Trepanation  des  rechten  Warzenfortsatzes  vor.  Schon 
nach  den  ersten  Meißelschlägen  entleerte  sich  sehr  putrider  Eiter, 
die  Zellen  im  ganzen  vertikalen  Teile  des  Warzenfortsatzes  waren 
erkrankt,  die  Spitze  mußte  entfernt  werden,  im  Antrum  waren 
schlaffe  Granulationen.  Am  Tage  nach  der  Operation  war  die 
Patientin  bei  sehr  gutem  Befinden,  der  Kopfsemmerz  war  ge¬ 
schwunden,  die  Temperatur  erreichte  als  Maximum  38‘1“. 

Bis  zum  15.  März  war  die  Patientin  lebhaft  und  gesprächig, 
bei  bestem  Wohlbefinden  und  normalen  Temperaturen.  Am  Abend 
klagte  sie  über  sehr  starke  Kopfschmerzen,  wurde  somnolent,  es 
trat  Fazialisparese  links  auf.  Temperatur  38“,  Puls  GO. 

Am  16.  März  war  die  Kranke  schwer  somnolent,  Temperatur 
38'4  bis  39'6“,  Puls  84,  leichte  Nackensteifigkeit,  Fazialislähmung 
links,  der  Augenhintergrund  links  normal,  rechts  erweiterte,  ge¬ 
schlängelte  Gefäße,  der  temporale  Anteil  der  Papille  verwaschen. 
Die  Patientin  ließ  Stuhl  und  Urin  unter  sich.  Die  wenigen  objek¬ 
tiven  Symptome  sprachen  zweifellos  für  eine  intrakranielle 
Komplikation  und  die  linksseitige  Fazialislähmung  ließ  bei  rechts¬ 
seitiger  Otitis  an  eine  Erkrankung  des  rechten  Schläfelappens 
denken. 

Ich  schritt  an  die  Exploration  des  rechten  Temporallappens 
und  meißelte  zunächst  von  der  früheren  Operationswunde  aus 
das  T  c  g  m  e  n  a  n  t  r  i  m  a  s  t  o  i  d  c  i  ab.  Der  Knochen  war  hart 


und  wurde  schichtweise  abgetragen,  bis  die  Dura  der  mittleren 
Schädelgrube  in  über  Kronengröße  freilag.  Die  Dura  war  äußerlich 
unverändert  und  zeigte  keinerlei  Pulsation.  Durch  die  harte  Hirn¬ 
haut  hindurch  punktierte  ich  mit  der  Punktionsnadel  den  Schläfe¬ 
lappen.  Die  11  cm®  fassende  Spritze  füllte  sich  mit  grünlichem 
Eiter;  es  wurde  an  die  Nadel  eine  zweite  Spritze  angesetzt  und 
neuerlich  11  cm®  Eiter  aufgezogen.  Sodann  machte  ich  einen 
Kreuzschnitt  in  die  Dura.  Das  Gehirn  war  gespannt  und  pulsierte 
nicht,  Ich  inzidierte  mit  einem  langen  schmalen  Skalpell  das 
Gehirn  und  mochte  kaum  iVa  cm  eingedrungen  sein,  als  sich 
jauchiger  Eiter  und  krümelige  Massen  in  ungewöhnlicher 
Menge,  etwa  25  cm^,  entleerten.  Ich  brachte  durch  eine  einge¬ 
führte  Kornzange  das  Inzisionslumen  wiederholt  zum  Klaffen  und 
immer  wieder  entleerte  sich  neuer  Eiter.  Das  in  die  Abszeßhöhle 
eingeführte  Drain  war  sogleich  mit  Eiter  gefüllt  und  mußte 
wiederholt  mit  physiologischer  steriler  Kochsalzlösung  gereinigt 
und  neuerlich  eingeführt  werden.  Der  Abszeß  war  sicherlich  mehr 
als  kleinapfelgroß.  Kaum  war  ein  Teil  des  Eiters  entleert,  als  das 
Gehirn  zu  pulsieren  begann.  Die  Operation  wurde,  da  die  Patientin 
vollkommen  somnolent  war,  ohne  Narkose  ausgeführt.  Die  Patientin 
gerhielt  sich  während  des  Eingriffes,  als  ob  sie  tief  narkotisiert 
Gewesen  wäre.  Sofort  nach  der  Entleerung  des  Eiters  aus  dem 
Gehirn  begann  sie  zu  reagieren  und  richtete  Fragen  an  mich. 
Die  weiteren  Manipulationen  am  Gehirn  und  die  Einführung  des 
Drains  in  die  Abszeßhöhle  wurden  nicht  schmerzhaft  empfunden. 
Die  bakteriologische  Untersuchung  des  Eiters  (Prosektor  Dr.  Z  e- 
m  a  n  n)  ergab  im  nativen  Präparat  Stäbchen  und  Kokken.  Kultu¬ 
rell  wurden  nur  Stäbchen  nachgewiesen,  die  sich  wie  Bacterium 
coli  verhielten.  Am  Tage  nach  der  Operation  war  die  Kranke  bei 
gutem  Befinden,  Kopfschmerz,  Nackensteifigkeit  und  F azialislähmung 
waren  geschwunden,  das  Sensorium  war  vollkommen  frei,  die 
Patientin  konnte  heim  Verbandwechsel  selbständig  vom  Bett,  das 
in  den  Operationssaal  geschoben  wurde,  auf  den  Operationstisch 
steigen.  Durch  3V2  Wochen  wurde  die  Abszeßhöhle,  die  immer 
weniger  sezernierte,  drainiert.  Gegenwärtig  besteht  nur  noch  eine 
kleine  granulierende  Wundhöhle  im  Knochen,  die  in  einer  Woche 
vollkommen  geschlossen  sein  dürfte. 

Dr.  Emil  Glas:  Meine  Herren!  Ich  erlaube  mir,  Ihnen  einen 
Fall  vorzustellen,  der  in  mehrfacher  Beziehung  Ihr  Interesse  er¬ 
wecken  dürfte.  Aus  der  Anamnese  des  19jährigen  Pat.  wäre  bloß 
anzu  führen,  daß  er  als  Kind  ein  Trauma  (Fall  auf  die  Nase)  er¬ 
litt.  Im  Juni  V.  J.  erkrankte  er  an  einer  Pleuropneumonie,  im 
Anschluß  hieran  an  Peritonitis.  In  der  Rekonvaleszenz  nach 
dieser  Erkrankung  konstatierte  Pat.  zuerst  im  Oktober  v.  J.  übel¬ 
riechendes  Aufstoßen,  welches  sich  häufig  wiederholte,  hie  und 
da  von  Brechen  gefolgt  war,  wobei  fötide  jMassen  aus  dem 
Magen  herausbefördert  wurden.  In  dieser  Zeit  will  Pat.  auch 
einige  Schüttelfröste  gehabt  haben.  Am  13.  März  a.  c.  suchte  er 
die  Ambulanz  der  Klinik  v.  Noorden  auf,  wo  eine  abgelaufene 
linksseitige  Pleuritis  diagnostiziert  wurde.  Als  dem  Pat.  zur  Bestim¬ 
mung  der  Magengröße  Acidum  tartaricum  und  Soda  gereicht 
worden  war,  erbrach  er  gelblich-grünliche  Massen  von  sehr  üblem 
Geruch,  weshalb  er  zur  genaueren  internen  Untersuchung  anf- 
genommen  wurde.  Weder  die  Ausspülungen  bei  nüchternem  Magen, 
noch  die  Ausheberungen  nach  Probefrühstück,  noch  die  genaue 
Untersuchung  der  Fäzes,  des  Sputums  und  des  Blutes  und  die 
röntgenologische  Untersuchung  des  Abdomens  ergaben  irgend¬ 
welchen  positiven  Anhaltspunkt.  Am  24.  März  wurde  der  Pat. 
an  die  Klinik  Chiari  geschickt,  da  die  Vermutung  geäußert 
wurde,  es  könnte  sich  eventuell  um  verschlucktes  Sputum  handeln. 
(Dr.  Wechsberg.)  Pat.  hatte  jedoch  mit  Ausnahme  geringen 
Nasenblutens  in  seiner  Kindheit  niemals  irgendwelche  Erscheinungen 
von  seiten  seiner  Nase  und  des  oberen  Respirationstraktes  und 
sträubte  sich  auch  anfangs  gegen  die  rhinoiogische  Untersuchung, 
da  er  keinerlei  nasale  Beschwerden  zu  haben  angab.  Die  Bhino- 
skopie  ergab  nun  folgenden  interessanten  Befund :  Unter  der 
u  n  t  e  r  e  n  N  a  s  e  n  m  u  s  c  h  e  1,  z  u  m  T  e  i  1  e  auch  zwischen 
mittlerer  Muschel  und  S  c  p  t  u  m  h  i  n  t  e  n  (F  i  s  s  u  r  a 
olfactoria)  fanden  sich  jauchig  zersetzte,  übel 
riechende,  leicht  zerreißliche  bröckelige  Massen, 
welche  auch  per  rhinoscopiam  posteriorem  choanalwärts  zu 
I  sehen  waren.  Ein  Befund,  wie  wir  ihn  nur  bei  drei  Prozessen 
in  der  Nase  zu  finden  gewohnt  sind:  1.  bei  Fremdkörpern,  die 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  16 


lange  endonasal  lagerten ;  2.  bei  jauchig  zerfallenden  malignen 
Naseutumoren  ;  3.  bei  durchbrechenden  seciuestrierenden  Antritiden 
(Antritis  perforans  atque  exnlcerans).  liier  war  mit  Rücksicht 
auf  die  völlige  Symptonienlosigkeit  von  seiten  der  Nase  der 
erste  Prozeß  a  priori  am  wahrscheinlichsten.  Nach  Entfernung 
der  fütiden,  an  einzelnen  Teilen  der  Muschelschleimhaut  fest¬ 
anhaftenden  Massen  kam  es  zu  einer  stärkeren  Blutung,  weshalb 
nach  Sondierung,  wobei  ein  rauher  fester  Körper  in  der  Tiefe 
gefühlt  wurde,  tamponiert  wurde.  Am  nächsten  Tage  Entfernung 
des  Tampons  sowie  weiterer  zerbröckelnder  fötider  Massen.  Zum 
Schlüsse  wurde  ein  R  h  i  n  o  1  i  t  h  entfernt,  der  unterhalb 
der  u  11 1  e  r  e  11  M  u  s  c  h  e  1  g  e  s  e  s  s  e  n  w  a  r  und  sich  nach 
längerer  Reinigung  als  E  c  k  z  a  h  n  erwies.  Die  Unter¬ 
suchung  des  Gebisses  ergab  tatsächlich,  wie  Sie  an  dem  Pat. 
sehen  können,  Fehlen  des  linken  Eckzahnes,  ohne  daß  eine  Zahn¬ 
lücke  vorhanden  wäre,  indem  der  erste  Prämolaris  dem  linken 
lateralen  Schneidezahn  sich  anreiht.  Es  handelt  sich  also  jeden¬ 
falls  um  einen  sogenannten  invertierten  um  180'^  gedrehten 
in  (1  i  e  N  a  s  e  g  e  w  a  c  h  s  e  n  e  n  Z  a  h  n,  welcher  dann  (viel¬ 
leicht  durch  das  Trauma?)  g  e  1  o  c  k  er  t  und  hei 
seiner  Wanderung  unter  den  hinteren  Teil  der 
u  n  t  e  r  e  11  M  u  s  c  h  e  1  z  u  1  i  e  g  e  n  k  a  m,  w  o  er  zur  R  h  i  n  o- 
1  i  t  h  e  11  h  i  1  d  u  11  g  Anlaß  gab.  Nach  Entfernung  des  Nasen¬ 
zahnes  trat  völliges  Wohlhefinden  des  Pat.  ein,  das  monatelang 
stinkende  Aufstoßen  und  Erbrechen  verschwand  momentan.  Die 
Punktion  der  linken  Kieferhöhle,  die  ich  vornahni  (da  hei  einem 
von  Ha  u  m  g  a  r  t  e  11  vor  kurzem  heschriehenen  ähnlichen  Fall 
das  entsprechende  Antrum  fehlte)  gelang  leicht,  ergab  klare  Siiül- 
flüssigkeit.  Das  Röntgenhild,  für  dessen  Herstellung  ich  Herrn 
Dozenten  Holzknecht  danke,  ergibt  keine  sonstigen  Ver¬ 
änderungen,  nur  daß  die  linke  Kieferhöhle  kleiner  erscheint  als 
die  rechte.  Der  Fall  erscheint  demgemäß  von  folgenden  Gesichts¬ 
punkten  interessant:  1.  Als  anatomische  Merkwürdig¬ 
keit,  welche  außerordentlich  selten  ist  (vgl.  Zuckerkandis 
Anatomie  der  Nasenhöhle,  sowie  S  c  h  e  f  f  s  Handbuch  der  Zahn¬ 
heilkunde  und  Seifert  in  H  e  y  m  a  n  n  s  Handbuch).  Der  erste 
diesbezügliche  Fall  ist,  wie  schon  Kahler  in  einer  Publikation 
über  einen  überzähligen  Zahn  in  der  Nase  anführt,  beschrieben. 
Doch  sind  invertierte  und  locker  in  der  Nasenhöhle  liegende,  zu 
Bbinolithenbildung  führende  Eckzähne  erst  zweimal  beschrieben. 
2.  Weil  diese  Anomalie  dem  Pat.  jahrelang  keine  Beschwerden 
verursachte,  um  schließlich  nach  Zersetzung  der  den  Rhinolithen 
umgebenden  Massen  eine  schwere  innere  Erkrankung  vorzu¬ 
täuschen. 

Im  Anschluß  hieran  demonstriert  Glas  einige  auf  der 
Klinik  C  h  i  a  r  i  extrahierte  Rhinolithen  mit  verschiedenen  Kernen, 
darunter  einen,  den  er  bei  einem  an  schwerer  Infraorbitalneur¬ 
algie  leidenden  Patienten  entfernen  konnte,  bei  dem  nach  Ex¬ 
traktion  völlige  Heilung  eintrat.  Gleichzeitig  mehrere  anatomische 
Präparate,  deren  Demonstration  er  Herrn  Hofrat  Z  u  c  k  e  r  k  a  n  d  1 
verdankt,  darunter  invertierte  Eckzähne,  einen  in  die  linke  Nasen¬ 
höhle  ragenden  rudimentären  zentralen  Inzisivus  der  rechten 
Seite  und  einen  frontal  gestellten,  im  unteren  Nasengang  steckenden 
Bikuspis  der  linken  Seite. 

Priv.-Doz.  Dr.  Leopold  Freund;  Das  Mädchen,  welches  ich 
mir  vorzustellen  erlaube,  wurde  vor  einem  Jahre  an  der  Klinik 
meines  Chefs,  Herrn  Prof.  Finger,  wegen  Lupus  vulgaris 
exulcerans  der  Nasenspitze,  beider  Nasenflügel  und  der 
Nasenscbleimbaut  mittels  Röntgenstrahlen  behandelt.  Die  Kranke 
erhielt  innerhalb  zweier  Monate  im  ganzen  12  Sitzungen.  Seit 
Mai  1906  ist  sie  geheilt.  Im  Oktober  1906  stellte  sie  sich  mit 
schön  vernarbten  Geschwüren  vor.  Mehr  aus  prophylaktischen 
Gründen  erhielt  sie  damals  noch  sechs  Sitzungen.  Man  sieht 
eine  Narbe,  die  in  kosmetischer  Hinsicht  nichts  zu  wünschen 
übrig  läßt.  Solche  Fälle  sind  hier  schon  wiederholt  demonstriert 
worden.  Ich  halte  es  jedoch  für  wichtig,  solche  Fälle  vor¬ 
zustellen,  um  die  an  manchen  Stellen  herrschende  Anschauung 
zu  zerstören,  daß  Lupus  vulgaris  durch  Röntgenstrahlen  nicht 
radikal  heilbar  sei. 

Bei  der  rationellen,  die  normale  Heilungstendenz  anregenden 
und  unterstützenden  nur  ganz  geringe  Dosen  verwendenden 
Methode,  welche  ich  seit  Jahren  empfehle,  gelang  es  mir  noch 
mit  jedem  Falle,  der  genügend  lange  zur  Behandlung  kam,  fertig 
zu  werden.  Allerdings  dauert  es  oft  ein  Jahr  und  länger,  bevor 
der  Prozeß  vollständig  ausheilt.  Immerhin  sind  auch  Fälle,  wo 
dies  rascher  erfolgt,  nicht  selten,  wie  der  demonstrierte  Fall 
lehrt.  Dieser  Fall  zeigt  auch  die  günstige  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlenhehandlung  bei  Formen  des  Lupus,  wo  man  mit  Einsen 
nicht  viel  leisten  kann. 

In  Anbetracht  des  Umstandes,  daß  Röntgenapparate  schon 
weit  verbreitet  sind,  daß  selbst  entlegene  Provinzspitäler  über 


solche  Instrumentarien  verfügen,  was  bezüglich  der  Finsenein- 
richtungen  nicht  der  Fall  ist  und  nie  sein  bann,  verdient  die 
Tatsache,  daß  Lupus  mit  Röntgen  radikal  heilbar  ist,  nach- 
drücklichst  betont  zu  werden,  um  Lupuskranken,  welche  sonst 
der  Wohltaten  der  Lichtbehandlung  nicht  teilhaftig  werden 
könnten,  die  Möglichkeit  einer  leicht  durchführbaren  erfolgreichen 
Therapie  zu  bieten. 

Primarius  Dr.  Moszkowicz  demonstriert  einen  siobeiijäbrigcn 
Knaben,  d('r  infolge  von  Lähmungen  an  den  untcu'en  Extremi¬ 
täten  weder  gehen  noch  stehen  konnte  und  sich  wie  ein  Vier¬ 
füßler  foi'tbewegte.  Die  rechte  untere  Extremität  war  vollkommen 
schlaff  und  gelähmt,  am  linken  Beine  waren  die  Aluskeln  des 
Unlerscheiikels  normal  bis  auf  den  Tibialis  a.nticus,  die  Äluskeln 
des  Oberschenkels  waren  ganz  normal.  Dagegen  waren  beider¬ 
seits  die  Glutaei  gelähmt,  der  lleoi)soas  beiderseits  intakt.  Das 
rechte  'Bein  wurde  durch  Arthrodese  des  Kniegelenkes  und  des 
Hüftgelenkes,  ferner  Selmenverkürzung  an  den  Aluskeln  des  Fußes 
in  einen  bi'auchbaren  Stelzfuß  verwandelt.  Doch  konnte  das  Kind 
noch  immer  nicht  stehen,  da  die  Extensoren  des  Hüftgelenkes, 
die  Glutaei  maximi,  fehlten. 

Es  wurde  nun  links  der  Glutaeus  maximus  durch  die 
Beuger  des  Kniegelenkes  in  der  Weise  ersetzt,  daß  .der 
Au’salzimnkt  dieser  Muskeln  (Semileiidinosus,  Semimembranosus, 
Bizeps)  vom  Tuber  ischii  auf  das  Darmbein  verlegt  wurde.  Seit¬ 
dem  kann  das  Kind  mit  zwei  Stöcken  gehen  und  kann  auch 
frei  stehen.  (Erscheint  ausführlich  in  der  Zeitschrift  für  Ib'il- 
kunde.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Referent:  Dr.  Max  Litthauer. 

1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 

G  lu  c  k  -  Berlin  :  Zur  Chirurgie  des  Herzbeutels. 

Gluck  glaubt  auf  Grund  anatomischer  Erwägungen,  daß 
es  zweckmäßig  ist,  die  Punktion  des  Herzbeutels  Jiiöglichst  nach 
außen  von  der  Älamillarlinie  vorzundlmien,  weil  man  dadurch 
sich  am  besten  gegen  die  unbeabsichtigte  Verletzung  des  Herzens 
selbst  schütze.  Ferner  berichtet  Gluck  über  zwei  Fälle  von 
Perikarditis.  Der  erste  Fall  betraf  ein  Kind  mit  Rnäkarditis. 
Die  gefundene  Dämpfung  zeigte  die  Eigentündichkeit,  tlaß  man 
einen  Bezirk  intensiverer  Dämpfung  von  einem  Bezirk  weniger 
ausgeprägter  Dämi)fung  trennen  konnte.  Die  intensiver  gedämpfte 
Partie  wurde  als  dem  Herzen  enlsprechend  angenommen  und 
auf  die  Zone  hellen  Schalls  im  vierten  Interkostali'aum  einge¬ 
schnitten.  Der  Eiter  wurde  im  Perikard  gefunden  und  entleert. 
Das  Kind  erholte  sich  zunächst,  starb  aber  später  an  allgemeiner 
Sepsis.  Im  zweiten  Falle,  der  kürzlich  operiert,  wurde,  erzielte 
er  einen  vollen  Erfolg. 

T  h  i  e  m  a  n  n  -  Jena  bel  ichtet  über  einen  23jährigen  Alann, 
der  sich  durch  einen  Unfall  eine  Nadel  in  die  linke  Brustseite 
gestochen  hatte.  3V2  Stunden  nach  der  Verletzung  kam  («r  in  die 
Jenenser  Klinik.  Der  Mann  war  sehr  anämisch,  es  bestand  ein 
sehr  starker  Kollaps;  die  Herzdämpfung  war  stark  verbreitert; 
die  Herztöne  waren  sehr  leise.  Daraus  wurde  auf  eine  Herz¬ 
verletzung  geschlossen.  Die  vorhandene  Wunde  wurde  erweitert 
und  von  liier  aus  das  Herz  freigclegt.  Nach  Eröffnung  des  Herz- 
lieutels  wurden  ca.  100 cm^:  Blut  enileert.  Es  fanden  sich  nun 
ein  Loch  im  rechten  Ventrikel  von  1  cm  Länge  und  ein  zweites, 
größeres,  im  rechten  Vorhof.  Beide  Wunden  wurden  mit  Catgut 
genäht.  Nach  Ausräunumig  der  iBlutkoagula  aus  dem  Herzbeutel 
wurde  des'hall)  bis  auf  einen  herausgeleiteten  Tampon  geschlossen. 
Auch  die  bei  der  Gperalion  eröffnete  Pleura  wurde  tamponiert. 
Der  Verlauf  war  gut,  die  Wunde  heilte.  Nach  einigen  Wochen 
bildete  sich  noch  ein  linksseitiges  Empyem  aus,  das  durch  Ripiien- 
resektion  eröffnet  wurde.  Darauf  völlige,  bis  jetzt  andauernde 
Heilung. 

Diskussion:  Su  1 1  an-Alainz  bespricht  zunächst  die 
Schwierigkeiten  der  Diagnose  bei  Herz  Verletzungen  und  berichtet 
dann  weitei',  daß  der  von  ihm  auf  dem  vorigen  Kongreß  vor¬ 
gestellte,  wegen  Herzverletzung  operierte  Patient  vollkommen  ge¬ 
sund  gebliehen  sei,  auch  von  seiten  des  Herzens  bällen  sich 
keinerlei  krankhafte  Erscheinungen  ^gezeigt. 

Goebell-Kiel  meint,  daß  man  bei  den  Herzoperationen 
.sehr  wohl  ohne  Sa  uerb  ruchsche  Kammer  auskommen  könne. 
Er  näht  die  Pleura  wieder  zu.  Die  bei  der  Operation  oder  s(dion 
vorbei’  eingedrungene  Luft  entleei’t  er  dann  durch  .\nsaugen 
mit  dem  D  i  e  u  1  a  f  o  ye  sehen  Apparat.  Dann  berichtet  er  über 
experimentelle  Untersuchungen,  über  den  Heilungsvorgang  bei 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Herzwiindon.  Er  liat,  die  Tiere  mit  experimeiilell  angelegten  Herz- 
wimden  l)is  zii  8U0  Tagen  beoliachtet.  Als  Jlesuilat  diesen' 
periniente  ergibt  sieb,  daß  die  Nabt  jeder  Mei'zwnnde  mit  der 
Seluuligung  des  llei'znuiskels  einbergebl.  Es  entsteht  zimächsl 
eine  x\rt  Infarkl;  späler  wandelt  sich  dieser  in  Ibndegeweljc  nm; 
es  Inldet  sich  die  Herzschwieie.  Ferner  fand  er,  daßi  Ijei  der 
Anwendung  von  Catgut  die  Narbe  leichter  insuffizient  wurde  als 
bei  der  Naht  mit  Seide.  Für  die  Praxis  ergibt  sich  daraus,  daß 
man  so  wenig  Herzmuskel  für  die  Naht  heranziehen  soll,  als  es 
der  (dnzelne  Fall  gestatlet,  daß  man  als  Nahtmaterial  Seide  ver¬ 
wenden  solle;  daßi  die  strengste  Asepsis  die  Vorbeditigung  für 
das  Gelingen  der  Herznabt  sei. 

K  ü  1 1  n  e  r- Marljiirg  stellt  einen  Patienten  vor,  der  infolge 
einer  iMediastinoperikarditis  in  einen  .desolaten  Zustand  versetzt 
woi'den  war.  Er  hat  durch  Resektion  der  Thoraxwand  die  Kardio- 
lysis  vorgenommen  und  damit  bei  dem  Kranken  einen  ausgezeich¬ 
neten  Erfolg  erzielt. 

H e  1 1  e r- Stetlin  bat  sechs  Fälle  [von  Herzverletzung  beob¬ 
achtet,  von  denen  fünf  Slichverletzungen  waren,  während  es 
sich  in  einem  Falle  um  eine  Schußverletzung:  gehandelt  hat.  In 
drei  von  diesen  sechs  Fällen  waren  die  Symptome  so  eindeutig, 
daß  die  Diagnose  Herzverletzung  ohne  weiteres  gestellt  werden 
konnte;  in  den  drei  anderen  Fällen  war  die  Diagnose  nicht 
absolut  sicher.  Trotzdem  wurde  auch  in  diesen  Fällen  das  Herz 
freigelegt.  Bei  dieser  Operation  empfiehlt  auch  Heller  ein  indi¬ 
vidualisierendes  Vorgeben,  man  dürfe  sich  nicht  eine  bestimmte 
Schnittfübrung  festlegen.  Bezüglich  des  Pneumothorax  bemerkt  er, 
daß  ein  Pneumothorax,  der  erst  bei  den  Operationen  gesetzt  wird, 
von  den  Kranken  leichter  überwunden  wird  als  ein  bei  der 
Verletzung  entstandener.  In  einem  Falle,  der  einen  Tag  nach 
der  Operation  an  Schwäche  zugrunde  ging,  zeigte  sieb,  daß  eine 
Catgutnäbt  im  Begriff  war,  sich  zu,  lösen.  Deswegen  rät  er  eben¬ 
falls  von  der  Anwendung  des  Catgnts  ab.  Außer  diesen  hat  er 
noch  zwei  Fälle  am  dritten,  bzw.  fünften  Tage  nach  der  Operation 
an  Pleuritis  und  Perikarditis  verloren;  deswegen  plädiert  er  für 
die  Drainage  des  Herzbeutels  und  der  Pleuraböhle. 

Küm me  11 -Hamburg:  Zur  Frage,  wie  lange,  nachdem  Herz¬ 
stillstand  eingetreten  ist,  noch  die  Möglichkeit  einer  Erholung 
des  Herzens  vorliegt,  bringt  Küm  mell  einen  Beitrag.  Er  hat  in 
zwei  Fällen,  bei  denen  in  Narkose  Herzsynkope  eingetreten  war, 
nach  Erschöpfung  der  sonstigen  Mittel  das  Herz  freigelegt  und  das 
Herz  massiert.  Bis  zur  Freilegung  des,  Herzens  waren  zirka  drei 
Viertelstunden  vergangen.  Er  war  erstaunt,  zu  sehen,  wie  schnell 
das  Herz  auf  die  Massage  reagierte.  Schon  nach  wenigen  Massage- 
stößen  begannen  die  Herzen,  wieder  zu  schlagen  und  schlugen 
auch  eine  geraume  Zeit  spontan  weiter.  Trotzdem  gelang  es 
schließlich  nicht,  den  Tod  abzuwenden. 

Francke-Braunschweig  tritt  für  die  Punktion  der  Herzen 
ein  auch  bei  den  Fällen  von  Herzvorletzungen,  wo  die  Diagnose 
nicht'  ganz  sicher  ist.  Die  Herzpunklion  muß  ausgefidirt  werden, 
um  die  Gefahren  des  Herzdruckes  abzuwenden.  Sie  könne  be¬ 
sonders  in  der  Zeit  ausgeführt  werden,  bevor  der  Kranke  in  die 
Behandlung  eines  Fachebirurgen  gelangt, 

Riedel- Jena  hat  in  einem  Falle,  in  dem  während  einer 
Laparotomie  während  der  Narkose  Herzstillstand  eintrat,  vom 
Bauche  aus  durch  Stöße  gegen  das  Zwerchfell  die  Herzmassage 
ausgefühi't.  Es  gelang,  das  Herz  wieder  zum  Schlagen  ’/a\  bringen, 
so  daß  der  Patient  Tebend  vom  Operalionstiscb  gebracht  wurde. 
Doch  starb  der  Kranke  wenige  Stunden  nach  der  Operation. 

Reh  n  -  Frankfurt  a.  M.  erwälint,  daß  in  einigen  Fällen  die 
Herzmassage  auch  einen  dauernden  Erfolg  gobabt  liabe. 

Le  X  e  r  -  Königsberg  :  Die  ideale  Operation  des  ar¬ 
teriellen  und  des  a r  t e id  o -  v en  ö se  n  yVneurysmas. 

Die  Uiderbindung  der  großen  Gefäßstämme  an  den  F,xtremi- 
lälen  bringt  die  große  Gefahr  der  Gangrän  mit  sich,  insbesondere 
ist  die  gleichzeitige  Unterbindung  der  Arterie  und  Vene  für  das 
betreffende  Glied  gefährlich.  Daher  müßten  die  Oi)erateuro  darauf 
tx'dacht  .sein,  bei  der  Operation  von  Aneurysmen  die  Zirkulation 
in  der  betreffenden  Extremität  zu  erhallen.  Aus  diesen  Erwä¬ 
gungen  habe  er  sich  entschlossen,  angesichts  der  guten  Resultate, 
welche  die  Gefäßnaht  bei  den  Versuebstieren  ergeben  habe,  die 
MetJiode  der  Gefäßnaht  auch  beim  Menschen  anzuwenden  und 
zwar  habe  er  das  in  zweierlei  Weise  getan;  er  habe  sowohl 
die  zirkuläre  Vereinigung  der  Gefäße  gemacht,  als  auch  die  Ge¬ 
fäßtransplantation.  Er  stellt  sodann  einen  Mann  vor,  der  nach 
einem  Stich  in  die  Kniekehle  ein  Aneurysma  arterio- venosuni 
der  Vasa  poplitea  .akquiriert  hatte.  .Es  bestanden  alle  Symptome 
des  Aneurysmas  und  zugleich  eine  deutliche  Peroneuslähmung. 
Trotzdem  war  der  Mann  für  einen  Simulanten  gehalten  wortlen. 
Bei  der  Operation  wurde  der  aneurysmatische  Sack  frei.gelegt, 
und  ebenso  die  verletzten  Stellen  an  den  Kniekehlengetäßen. 
Die  Wundränder  der  Wunde  der  Arteria  poplitea  waren  von  so 


schlechter  Hes(duiftenbeit,  daß  an  eine  seitliche  Naht  tier  Arterie 
nicht  gedacht  werden  konnte.  Die  llnlerbinduiig  der  .\rte!'ie  und 
der  Vene  wollte;  er  wegen  der  Gefalu'  der  Gangrän  vermeiden. 
Deswegen  resezierte  er  das  kranke  Stück  dei-  Arteria  poplitea, 
so  daß  das  peripherische  und  das  zentrale  Ende  ca.  ö  cm  weit 
voneinander  entfernt  waren.  Bei  rechtwinklig  gebeugtem  Knie 
wurde  die  ziiLuläre  Naht  der  Arteria  poplilea  ausgeführt,  die 
Vene  Avurde  doppelt  unterbunden.  Nach  Lrösung  des  Schlau(di(;s 
war  der  Puls  sofort  in  den  Arteilen  des  Fußes  fühlbar.  Das  Knie 
wurde  in  recbtwiiüHiger  Beugung  verbunden  und  vier  Wochen 
in  dieser  Stellung  belassen.  Nach  Abnahme  des  Verhandes  zeigt;* 
sich,  daß  die  Peroneuslähmung  nicht,  geheilt  war.  Sonst  aber 
konnte  der  Kranke  sein  Bein  gebrauchen.  Es  sind  niemals  Zir- 
kulationssttlrungen  beobachtet  Avorden. 

In  einem  zAveiten  Falle  Avar  bei  einer  Luxatio  subcoracoidea, 
die  nicht  sogleich  erkannt  Avorden  Avar,  hei  dem  Versuch,  die 
schon  drei  Wochen  bestehende  Luxation  zu  repoiiiererq  eine 
Zerreißung  der  Arteria  axillaris  mit  nachfolgendei'  Aneuiysma- 
bildung  zustande  gekommen.  Neun  Wochen  nach  der  Verletzung 
kam  Pat.  in  die  Klinik.  Es  bestand  eine  sehr  erhebliche  Arterio¬ 
sklerose.  Bei  der  Operation  Avollte  Lexer  Avegen  der  Brüchig.- 
keit  des  Gefäßes  die  seitliche  Naht  nicht  machen,  die  einfache 
Unterbindung  unterblieb  Avegen  der  Gangrängefabr.  Es  wurde 
das  erkrankte  Stück  der  Arterie  reseziert,  so  daß  eine  Diastase 
von  7  cm  resultierte.  Da  die  beiden  Gefäßienden  auf  keine  Weise 
zusammenzul)ringen  Avaren,  entschloß,  sich  Lexer,  ein  Stück  aus 
einer  Saphena,  zu  resezieren  und  dasselbe  in  die  Axillaris  zu 
transplantieren.  Es  Avurde  dann  zunächst  das  zentrale  Ende  tier 
Axillaris  mit  dem  Saphenastück  zirkulär  Amreinigt,  darauf  die 
provisorisch  angelegte  Subklaviaunterbindung  momentan  gelöst 
und  festgestellt,  daß  der  Blutstrom  durch  die  eingenähte  Saphena 
passierte.  Darauf  Avurde  die  temporäre  Subklavialigalur  wieder 
geschlossen  und  das  peripherische  Ende  des  transplantierten 
Saphenastücks  mit  dem  distalen  Ende  der  Axillaris  vereinigt, 
dann  die  AVunde  geschlossen.  Pat.  starb  im  Delirium  drei  Hige 
nach  der  Operation.  Die  Zirkulation  in  der  Extremität  blieb 
gut  bis  kurz  vor  dem  Tode.  Kurz  vor  der  Katastroi)ihe  trat  eine 
forlscbreitende  Blaufärbung  der  Hand  ein.  Bei  der  Sektion  fand 
sich  in  dem  transplantierten  Saphenastück  und  an  der  Ueber- 
gangsstolle  zur  Arteria  axillaris  nichts  von  Tliromben;  Avold  al)er 
hatte  sich  an  der  Stelle,  wo  die  provisorische  Sul)klavialigalur 
gelegen  hatte,  trotz  aller  angeAvandten  Vorsicht  ein  kleiner,  Avaud- 
ständiger  Throndnis  entAvickelt. 

Becker-Koblenz:  Traumatisches  Aneurysma  ar- 
terio-venosuni  der  Carotis  cerebralis  und  Exoph¬ 
thalmus  pul  Sans. 

Becker  stellt  einen  Patienten  mit  Exophthalmus  pulsans 
des  linken  iAuges  vor.  Derselbe  Avar  durch  ein  GewebrfragmenI 
verursacht,  Avelches  bei  einer  Explosion  einem  Soldaten  in  das 
Schädelinnere  gedrungen  Avar.  Das  Böutgenbild  ei’gal),  daßi  dei' 
Fremdkörper  in  der  Nähe  der  Sella  turcica  gelegen  wai'.  Kom¬ 
pressionsversuche  zeigten,  daß  bei  Druck  auf  die  linke  Karotis 
die  Pulsation  des  lirdvon  Auges  Avesentlich  geringer  Avurdix  Nach 
einem  vergel)lichen  Versuch,  durch  fortgesetzte  Konijiression  der 
lijiken  Karotis  das  Leiden  zu  heben,  wurde  die  linke  Karotis 
unterbunden.  Zunächst  verscliAvanden  alle  Symptome.  Nach 
einiger  Zeit  jedoch  trat  ein  Rezidiv  ein.  Jetzt  Avurde,  Avie  ein 
Versuch  ergab,  der  Blutzufluß  zu  dem  Aneurysma  arteido -  venosum 
ZAvischen  Karotis  und  Jugularis  durch  die  rechte  Karotis  vermittc'il. 
Da  die  Unterbindung  durch  die  rechte  Karotis  uicbt  angängig  war, 
Avurde  die  Kompressionsbebandfung  eingeleitet  u.  zav,  wurde  ein¬ 
mal  die  Karotis  komprimiert,  dann  aber  Avurde  auch  auf  cbm 
Exophthalmus  direkt  eingewirkt.  In  ein  zylindrisches  Rohr,  das 
durch  eine  Membran  verschlossen  Avar,  dessen  ver.scblossenes 
Ende  den  Konturen  des  erkrankten  Auges  angepaßt  Avar,  Avurde 
so  Adel  Quecksilber  ge.gossen,  daß  der  leichter  dem  Auge  zu¬ 
sagende  Druck  auf  dasselbe  ausgeübt  Averden  konnte.  Durch  diese 
Behandlung  wurde  eine  sehr  Avesenlliche  Besserung:  erziedt.  kdiie 
Pulsation  Avar  nicht  mehr  nacliAveisbar  und  die  Protrusio  bulbi 
fast  ganz  geschAvunden.  Subjektive  Klagen  bestanden  nicht  mebr. 

Kü  t  tne  r- Marburg  :  Beitrag  zur  M  i  1  z  c  li  i  r  u  r  gi  e. 

Küttner  bc'iicbtet  zunächst  über  zwei  Fälle  von  seepu*- 
strierendem  Milzabszeß*,  welcher  dadureb  charakterisiert  ist,  daß 
die  eitrige  Entzündung  der  Milz  zur  Sequestrierung  größerer  Milz¬ 
stücke  führt.  Er  hat  von  die.ser  seltenen  Krankheit  ZAAmi  fälle 
beobachtet.  In  dem  einen  Falle  Avar  der  Abszeßi  in  die  Pleura 
durchgebrochen  und  als  Empyem  operiert.  Mit  dem  Eiter  entleerten 
sich  größere  GeAvebsstücke,  die  auch  mikroskopisch  niebt  idc'uli- 
fiziert  AAmrden  konuten.  Erst  bei  der  Sektion  stellte  sich  heraus, 
daß  es  sich  um  einen  Milzabszeß  handelte.  Im  zAAmiten  f.ille 
gelang:  die  Diagnose  bereits  Avährend  des  Lebens,  der  fall  wurde 
geheilt. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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iJic  Acliologic  der  dissezicreudeii  ]V]ilzal)Szesise  ist  keine  eiii- 
heiüiehc.  Ein  Teil  dereelben  dankt  seine  Entslelmng  einem  Trauma, 
eine  xViizald  ist  bei  septischen  Erkrankungen  beobachtet  worden, 
weitere  Fälle  sind  im  Verlaufe  eines  Typhus,  andere  bei  Malaria 
zur  Beobachtung  gelangt.  Bei  einer  letzten  Gruppe  von  Ab¬ 
szessen  konnte  ein  ätiologisches  Moment  nicht  festgestellt  werden. 
Bei  allen  diesen  Arten  nimmt  die  Abszeßbildung  ihren  iVusgang 
von  einem  Infarkt  der  Milz;  und  es  gelang  auch,  experimentell 
einen  solchen  Milzinfarkt  hervorzurufen. 

Das  Vorhandensein  von  großen  Gewebsstücken  im  Eiter 
eines  subphrenischen,  linksseitigen  Abszesses  hält  Küttner  für 
pathognomonisch  für  Älilzabszeß  auch  dann,  wenn  die  Gewebs- 
stücke  nicht  als  Milz  verifiziert  wei'den  können. 

Im  Anschluß  an  diese  Erörterungen  stellt  er  noch  zwei 
Fälle  vor.  In  dem  einen  Falle  handelt  es  sich  um  eine  Zertrümme- 
nmg  der  Milz  durch  eine  Schußiverletzung,  die  durch  Operation 
geheilt  Avurde.  Bei  der  zweiten  Palientin  bestand  Leukämie  und 
zugleich  ein  sehr  erheblicher  Tumor  bei  gleichzeitig  vorhandener 
Wandermilz.  Wegen  der  sehr  großen  Beschwerden,  welche  die 
Milzgeschwrdst  verursachte,  entschloß  sich  Küttner  zur  Milz¬ 
exstirpation,  welche  von  der  'Kranken  gut  vertragen  wurde.  Die 
Patientin,  Avelche  niemals  eine  hämorrhagische  Diathese  vor  der 
Operation  gezeigt  hatte,  blutete  auch  Avährend  und  nach  der 
Operation  nicht  stärker  als  normal.  Die  Kranke  ist  wieder  arbeits¬ 
fähig  geworden,  auf  die  Leukämie  hat  die  Milzexstirpation  keinen 
Einfluß  gebäht. 

Borchardt-Posen  erwähnt  zunächst  einen  Fall,  bei  dem 
ebenfalls  eine  mit  fast  vollkommener  Zerlinmmerung  des  Organs 
und  sehr  schwerer  intraabdomineller  Blutung  durch  die  Laparo¬ 
tomie  und  die  Alilzexstirpation  Heilung  erzielt  wurde.  Dann  be¬ 
spricht  er  einen  Fall  von  Hernia  duodeno -  jejunalis  mit  Meckel- 
schem  Divertikel.  Der  Patient  kam  vier  Tage  nach  Beginn  der 
Ileuserscheinungen  in  Behandlung.  Bei  ider  Operation  fand  sich 
eine  Hernia  duodeno  -  jejunalis.  Der  Verlauf  war  zunächst  gut. 
Nach  vier  Wochen  von  neuem  stürmische  Ileuserscheinungen, 
wegen  deren  noch  einmal  laparotomiert  wurde;  Avenige  Stunden 
später  starb  der  Patient. 

Bei  der  Sektion  zeigte  sich,  daß  ein.Meckelsches  Divertikel 
die  Abschnürung  eines  Darmstückes  an  der  Pforte  der  Fossa 
duodeno- jejunalis  besorgt  hatte. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Medizinischer  Verein  in  Greifswald. 

Sitzung  vom  2.  M  ä  r  z  1907. 

Vorsitzender:  Dr.  Bleib  treu. 

Schrififührer :  Dr.  Jung. 

A.  Martin  zeigt:  1.  Eine  Patientin,  bei  welcher  vor  IVa 
Jahren  der  Uterus  Avegen  Carcinoma  abdominal,  ent¬ 
fernt  Avar;  damals  keine  vergrößerten  Lymphdrüsen  zu  koji- 
statieren.  Jetzt  AAmgen  starker  Schmerzen  Avieder  Laparotomie 
bei  der  sonst  blühenden  Frau.  Adhäsionen  Avurden  gelöst,  außer¬ 
dem  aber  auf  beiden  Seiten  der  Lendenwirbelsäule  große  Drüsen¬ 
pakete  gefunden,  Avelche  entfernt  Avurden;  es  ließ  sich  das  Kar¬ 
zinom  in  ihnen  nicht  nachweisen. 

A.  Martin  bespricht  im  Anschluß  an  diesen  Fall  die 
Häufigkeit  der  Drüseninfiltration  bei  Uteruskarzinom  und  die  Ge¬ 
setze  der  Entfernung  derselben. 

2.  Eine  Patientin,  Avelche  mit  totalem  Defekt  der  Scheide 
kam.  Auch  Uterus  und  ÜAmrien  fehlen.  Pat.  aaüII  heiraten  und 
Avurde  deshalb  eine  künstliche  Scheide  durch  Spaltung  des  Septum 
rectovaginale  und  Einnähung  je  eines  Hautlappens  von  der  inneren 
Oberschenkelfläche  gebildet.  Eine  dabei  entstandene  Blasen¬ 
scheidenfistel  Avurde  in  einer  ZAveiten  Sitzang  vernäht  und  ge¬ 
heilt.  Pat.  kann  jetzt  ein  ZAvei  Finger  dickes  Badespeknlum  in 
den  gebildeten  Raum  einführen. 

GraAvitz  zeigt  Präparate  Amn  Ader  seltenen  teratoiden 
Tumoren  und  kommt  bezüglich  der  Frage  ilirer  Entstehung  zu 
dem  Schlüsse,  daß  Aveder  die  Theorie  Amn  W  i  1  m  s,  noch 
die  Blastomerentheorie  von  March  and -Bonnet,  noch  die 
Annahme  einer  bigerminalen  Inklusion  zum  Teil  durch 
tatsächliche  Befunde  als  zutreffend  sichergestellt  Averden  kann. 
Meist  lassen  sich  alle  drei  Begründungen  anführen,  ohne  daß 
eine  bestimmte  Entscheidung  möglich  ist. 

Von  den  Ader  dieser  beschriebenen  Tumoren  ist  besonders 
der  dritte  von  Wichtigkeit,  Aveil  bei  ihm  sich  maligne  Rletastasen, 
nicht  von  karzinomatösem  oder  sarkomatösem,  sondern  drei- 
hlätterig  terratoiden  Bau  fanden. 

Diskussion:  Bonnet  legt  seinen  Standpunkt  in  der 
Frage  der  Aetiologie  der  Embryome  dar.  Pathogenetische  Enit- 
stehung  (Wilms)  und  GeAv^ebsversprengung  vom  Wolff  sehen 


Gange  (Band  1er)  AAurden  unter  eingehender  Begründung  ab¬ 
gelehnt  und  nochmals  die  Blastomerentheorie  erörtert,  aber  mit 
aller  Reserve  und  unter  Anerkennung  auch  anderer  Möglichkeiten, 
z.  B.  fötaler  Inklusion,  deren  Entscheidung  der  Pathologie  über¬ 
lassen  bleiben  muß. 

GraAAÜtz  kann  einen  Widerspruch  dieser  Ausführungen 
Bonnets  gegenüber  den  seinen  nicht  finden.  Er  hat  das  Haupt- 
geAA'icht  auf  die  mitgeteilten  Tatsachen  gelegt  und  betont,  daß 
eine  bestimmte  Entscheidung  für  eine  oder  die  andere  Hypothese 
schlechterdings  zurzeit  nicht  gegeben  Averden  könne. 

Jung  dem onstriert  ein  sehr  junges  me n Schliches  E i . 
lebensfähig  eingelegt,  Größe  2-6: 2-2:1  mm;  hat  erhaltene  Fötal¬ 
anlage  mit  Keimscheihe,  geschlossenem  Amnion,  Dottersack  und 
Haftstiel,  aber  noch  ohne  Spur  A^on  Gefäßentwicklung,  die  auch 
in  den  Zotten  natürlich  noch  fehlt.  Es  AAmrden  an  dem  Objekt 
eine  Umlagerungszone,  der  Einbruch  des  fötalen  Gewebes  in 
materne  Gefäße  und  das  Auf  fressen  maternen  GeAvebes  durch 
fötale  Elemente  gezeigt.  (Erscheint  ausführlich.) 

E.  Hoffmann  zeigt  einen  tadellos  erhaltenen  Schädel  eines 
Orang-Utan.  Vergleich  mit  dem  menschlichen  Schädel,  avo- 
hei  vor  allem  die  Kleinheit  der  Hirnkapsel  und  die  außerordent¬ 
lich  starke  EntAAÜcklung  der  Kiefer  und  Zähne  auffällt.  Es  be¬ 
steht  starke  Asymmetrie  des  Schädels,  dessen  linke  Hälfte  stärker 
entAvickelt  ist  und  das  Gesicht  nach  rechts  Avendet. 

Hoennicke  zeigt  im  Anschluß  an  seine  Demonstration  ex¬ 
perimentell  erzeugter  Mißbildungen  und  an  seinen  Vortrag  über 
Rachitis  (Sitzungen  vom  12.  Januar  1907  und  2.  Februar  1907) 
folgende  positive  Befunde : 

1.  Zweimal  doppelseitiges  I  r  i  s  k  o  1  o  b  o  m ;  2.  abgesprengten 
Nehennierenkeim ;  3.  linksseitiges  Koloboma  der  linken  Niere. 

Hoennicke  zeigt  ferner  eine  experimentell  erzeugte. 
Struma.  Nach  halbseitiger  Resektion  der  Schilddrüse  in  früher 
Jugend  können  drei  Möglichkeiten  eintreten:  1.  Bestehenbleiben  des 
jetzigen  Zustandes,  2.  Reslitutio  ad  integrum,  3.  Ueberregeneration. 
Hoennicke  zeigt  ein  Präparat,  avo  eine  Vergrößerung  des  restie- 
renden  Lappens  nicht  eingetreten  ist,  und  eines,  in  dem  der¬ 
selbe  deutlich  vergrößert  ist.  Letzteres  Tier  starb  elf  Monate 
post  operationem,  hatte  sich  bis  dahin  kräftig  entAvickelt,  kein 
Thyreoidismus.  Es  besteht  aber  funktionell  Restitutio ^ad  integrum, 
moi’phologisch  unzAveifelhaft  eine  Ueberregeneration,  Struma  paren- 
chymatosa  des  restierenden  Lappens. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  19.  April  1907,  7  Flir  abends^ 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Prof.  a'.  Ebner  stattfindenden 

0 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Hofrat  V.  Eiseisberg:  Demonstration. 

Dr.  Y.  Frisch:  Ein  seltener  Fall  von  Skoliose. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Primarius  Dozent  Dr.  Latzho. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Neiisser  Donnerstag 
den  18.  April  1907,  nin  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Professor  y.  Nensser. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr.  Karl  Gläßner:  Ueber  die  Funktion  der  normalen  und 
pathologischen  Leber. 

3.  Doz.  Dr.  Al.  Strasser  und  Dr.  Blumenkranz:  Zur  physiolo¬ 
gischen  Therapie  der  Nephritis.  Das  Präsidium. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  22.  April  1907,  7  Uhr  abends,  im  Silzungs- 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rolenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Primarius  Dozent  Dr.  Lotheisen  stattfindenden 
wissenschaftlichen  Versammlung. 

Prof.  Dr.  J.  Englisch:  Erkrankungen  der  Harnorgane  bei  Typhus. 

Wiener  Dermatologische  Gesellschaft. 

Einladung  zu  der  am  24.  April  1907  (Mittwoch)  um  V26  Uhr  abends 
im  Hörsaale  der  Klinik  Biehl  stattfindenden  Sitzung. 

Tagesordnung: 

Demonstrationen  von  Kranken. 

Brandweiner.  Finger. 


Vcrantwortlichtr  BidakUur:  Adalbert  Karl  Trapp.  Verlag  von  Wilhelm  Branmiiller  in  Wien. 

Drnok  von  Brnno  Bartelt,  Wien,  XVIII.,  ThoresiencaBee  8. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v,  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Faltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riehl,  Arthur  Schattenfroh,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  Y.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Eedigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  17 .618. 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  25.  April  1907. 


Nr.  17. 


INH 

1.  Originalartikel:  1.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie.  I.  Die 
mechanische  üebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven  bei 
Tetanie  und  ihre  Beziehung  zu  den  Epithelkörpern.  Von  Pro¬ 
fessor  Dr.  F.  Chvostek. 

2.  Klinische  Beobachtungen  über  den  Wiener  Abdominaltyphus. 
Von  Prof.  Hermann  Schlesinger. 

3.  Aus  der  k.  k.  Universitäts-Kinderklinik  in  Wien.  (Vorstand; 
Professor  Escherich.)  Vorschlag  einer  klinischen  Prüfung  der 
Fettresorption.  Vorläufige  Mitteilung  von  Dr.  Adolf  F.  Hecht. 

4.  Gutachten  der  Wiener  medizinischen  Fakultät.  Referent:  Pro¬ 
fessor  Wagner  v.  Jauregg. 

II.  Referate:  Das  System  der  Skiaskopie  und  Ophthalmoskopie 
vom  Standpunkt  der  physischen,  physiologischen  und  geometri- 


Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie. 

I.  Die  mechanische  Üebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven 
bei  Tetanie  und  ihre  Beziehung  zu  den  Epithelkörpern. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Chvostek. 

Das  Aktiiellwerdeii  der  Frage  der  hysterischen  Pseudo- 
tetanie  und  die  Versuche,  ihre  Abgrenzung  auf  Grund  der 
Wertigkeit  der  einzelnen  Tetaniesymptome  durchzuführen, 
sowie  der  Umstand,  daß  ich  in  letzter  Zeit  wieder  mehrere 
Fälle  von  Tetanie  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  boten  geeig¬ 
neten  Anlaß,  einzelnen  strittigen  Fragen  neuerdings  näher 
zu  treten,  ln  einer  früheren  Mitteilung^)  wurde  zu  zeigen  ver¬ 
sucht,  daß  die  bisher  übliche  Einteilung  der  Tetanie  in  ver¬ 
schiedene  Formen:  die  idiopathische  Tetanie  die  sympto¬ 
matischen  Formen,  wie  sie  nach  Exstirpation  von  Kröpfen,  bei 
Magen-Darmaffektionen,  bei  verschiedenen  Infektionen  und 
Intoxikationen,  hei  Schwangeren,  bei  anderen  Nervenkrank¬ 
heiten  usw.  beobachtet  wurden,  nicht  zu  Recht  besteht  und 
daß  die  Tetanie  als  eine  einheitliche  typische  Erkrankung, 
der  eine  Funktionsstörung  der  Glandulae  paraüiyreoideae 
zugrunde  liegt,  aufgefaßt  werden  müsse.  Zweck  der  folgen¬ 
den  Mitteilungen  soll  es  nun  sein,  neue  Argumente,  welche 
diese  prinzipiell  wichtige  Auffassung  zu  stützen  geeignet 
sind,  anzuführen  und  anderseits  von  diesem  geänderten  Ge¬ 
sichtspunkte  aus  Stellung  zu  nehmen  zu  einzelnen  bisher 
noch  offenen  Streitfragen. 

Als  eine  solche  muß  die  nach  der  Wertigkeit  der  ein¬ 
zelnen  Kardinalsymptome  der  Tetanie  für  die  Diagnose  dieser 
Erkrankung  angesehen  werden.  Denn  trotz  der  zalilreichen 
sich  mit  diesem  Gegenstand  befassenden  Mitteilungen  kann 


ALT: 

sehen  Optik.  Von  Dr.  Hugo  Wolff.  Die  Chirurgie  des  Auges 
und  seiner  Adnexe.  Von  Dr.  Felix  Terrien.  Mitteilungen  aus 
der  Augenklinik  des  Karolinischen  medico-chirurgischen 
Institutes  zu  Stockholm.  Von  Prof.  J.  Widmark.  Ueber  Augen¬ 
erkrankungen  sexuellen  TTrspriings  bei  Frauen.  Von  Dr.  Emil 
Berger  und  Dr.  Robert  Loewy.  Ref.;  Salzmann. 

III.  Ans  vergekiedeueu  Zeitschrifteu. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßherichte. 


die  definitive  Entscheidung  noch  nicht  als  erbracht  ange¬ 
sehen  werden.  Und  wenn  von  der  Mehrzahl  der  Autoren 
heute  der  Standpunkt  vertreten  wird,  daß  die  elektrische 
Üebererregbarkeit  der  Nerven  an  diagnostischem  Werte 
gegenüber  den  übrigen  Symptomen,  namentlich  der  mechani¬ 
schen  Üebererregbarkeit  der  Nerven  in  einem  solchen  Maße 
prävaliert,  daß  trotz  Fazialis-  und  Trousseanschem,  Phä¬ 
nomen  die  Diagnose  einer  Tetanie  nicht  gestellt  werden 
kann  und  einzig  und  allein  nur  die  An-  und  Abwesenheit 
des  Erb  sehen  Phänomens  für  die  Diagnose  ausschlaggebend 
sein  soll,  so  ist  dies  unserer  Auffassung  nach  ein  durchaus 
einseitiger  und  nicht  recht  begründeter  Standpunkt. 

Durch  den  Nachweis,  daß  jedes  der  drei  Kardinalsym¬ 
ptome  der  Tetanie  auch  bei  anderweitigen  krankhaften  Zu¬ 
ständen,  wie  ja  a  priori  anznnehmen  war,  angetroffen 
werden  kann,  verloren  sie  ihre  patho-gnoniOnische  Be¬ 
deutung.  Es  wäre  demnach  logisch,  nur  die  Kombina¬ 
tionen  dieser  Symptome  auf  ihre  Wertigkeit  für  die  Diagnose 
zu  prüfen  und  aus  der  Anwesenheit  eines  Symptonies 
allein  keinen  Schluß  zu  ziehen.  Aber  keinesfalls  ist 
es  folgerichtig,  einen  Fall,  in  dem  z.  B.  das  Fazialis- 
imd  Trousseau  sehe  Phänomen  gefunden  wird,  aus  dem 
einzigen  Grunde,  weil  das  Erbsche  Phänomen  fehlt,  von 
dem  es  erwiesen  ist,  daß  es  einerseits  bei  anderweitigen 
Affektionen  angetroffen  werden,  anderseits  bei  Tetanie 
fehlen  kann;  z.  B.  der  Hysterie  zuzuweisen.  Wir  müßten 
denn  dem  Erb  sehen  Phänomen  eine  exzeptionelle  Stellung 
zusprechen  können  und  dies  scheint  uns,  wenigstens  in 
dem  Maße,  als  man  es  in  letzter  Zeit  zuzuerkennen  ge¬ 
neigt  ist,  durchaus  nicht  der  Fall  zu  sein. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


Am  wenigsten  Wert  legen  die  meisten  iVutoren  dem 
Vorhandensein  der  meciiaiiischen  UeJjererregbarkeit  der 
iXerven  lür  die  Diagnose  einer  Tetanie  i)ei.  Als  Argumente 
lür  diese  AutTassung  gelten  die  Ueobaelitungen  des  Dazialis- 
phänomens  bei  einem  Tumor  des  Rückenmarks  (Scliultze), 
lerner  die  Bcobaclitung  desselben  Autors  in  zwei  Fällen 
von  nicht  an  Tetanie  leidenden  Kranken,  das  Auftreten 
in  der  Hypnose  (Charcot),  das  Vorhandensein  bei  Pellagra 
(iXeusser),  bei  alten  im vollkommen  geheilten  Fazialis¬ 
lähmungen  (Hitzig)  und  vor  allem  die  Untersuchuiigsergeb- 
nisse  von  v.  Frankl-Tlochwar t  und  Schlesinger,  die 
erweisen,  daß  das  Fazialisphänomen  auch  außierhalb  der 
Tetanie  gar  nicht  so  selten  zu  finden  ist. 

V.  Frankl-Hochwart^)  untersuchte  eine  große  An- 
zaid  von  nicht  an  Tetanie  leidenden  Personen  und  konnte 
bei  über  30  Menschen  mechanische  Uebererregbarkeit  des 
Fazialis-  und  der  übrigen  Nerven  nachweisen,  ohne  daß  sonst 
irgendwelche  Frscheinungen  der  Tetanie  zu  beobachten  ge¬ 
wesen  wären;  nur  bei  vier  Fällen  konnte  er  eine  gewisse; 
entfernte  Reziehung  zur  Tetanie  finden.  Bei  an  ander¬ 
weitigen  nervösen  Erkrankungen  leidenden  Personen  fand 
er  das  Fazialisphänomen  nur  in  zwei  Fallen  von  Epi¬ 
lepsie,  in  einem  Falle  von  Hemikranie  und  bei  zwei 
Neurasthenikern.  An  einem  anderen  Orte  bemerkt  er,  daß 
das  Fazialisphänomen  bei  iiicht  an  Tetanie  Erkrankten  un¬ 
gleich  seltener  vorkomnit  als  bei  letaniekranken  Individuen, 
daß  es  selten  ganz  gesunde  Menschen  sind,  welche  die 
mechanische  Uebererregbarkeit  auiweisen  (slcrofulöse  Indi¬ 
viduen,  an  Tuberkulose  Leidende,  Kinder  mit  Darjnkrank- 
heiten  usw.),  daß  aber  gar  kein  Zweifel  besteht,  daß  auch 
völlig  Gesunde,  welche  weder  irgend  andere  Tctaniesym- 
ptome  bieten,  noch  überhaupt  andere  nervöse  Erscheinungen 
aufweisen,  das  Fazialisphänojnen  haben.  „Auch  was  den 
Grad  des  Phänomens  betrifft,  so  sieht  man  es  auch  bei 
nicht  au  Tetanie  Erkrankten  in  seiner  höchsten  Entwicklung, 
jedoch  ist  es  sehr  selten:  gewöhnlich  sind  es  die  mittleren 
und  leichteren  Grade,  die  da  eine  Rolle  spielen.“ 

Schlesinger^)  untersuchte  53  vollkommen  gesunde, 
nicht  nervöse  Personen  und  konstatierte  bei  diesen  zweimal 
das  Fazialis].)hänomen :  „einmal  deutlich  bei  einem  25jähri- 
gen  Kollegen,  der  mitteilte,  daß  er  bei  Bewegungen  ungemein 
leicht  von  Krämpfen  befallen  werde,  der  aber  nicht  an 
Tetanie  litt;  ein  zweites  Mal  bei  einem  24jährigen  Manne 
eben  angedeutet“.  Er  schließt  daraus,  daß  selbst  die  ge¬ 
ringen  Grade  des  Fazialisphänomens  bei  Gesunden  ver¬ 
hältnismäßig  selten  zu  finden  sind.  Bei  Kranken  dagegen 
konnte  er  es  sehr  häufig  konstatieren:  in  480  untersuchten 
Fällen  fand  es  sich  IGTnial  vor  (33-5To).  Von  den  positiven 
Fällen  wurde  es  in  48-1  To  bei  Tuberkidose  der  Lungen,  in 
23-0 To  bei  anderweitigen  Lungenatfektionen,  in  45-5To  bei 
Chlorose,  in  G2-9To  bei  Hysterie  und  Neurasthenie,  in  23-GTo 
hei  anderen  Nervenkrankheiten  und  in  20-9 To  bei  Magen- 
Darmaffektionen  angetroffen.  Bezüglich  der  Intensität  des 
Phänomens  gibt  Schlesinger  an,  daß  die  höchsten  Grade 
bei  Tetanie,  Hysterie,  Neurasthenie  und  der  Tuberkulose 
angetrolfen  wurden,  er  sah  bei  diesen  Erkrankungen  einige 
Male  so  hochgradige  Fazialisphänomene,  wie  man  sie  nur 
bei  T'etanie  sieht.  Im  ganzen  war  es  bei  den  IGl  positiven 
Fällen  32mal  hochgradig  (Zucken  von  Mundwinkel  und 
Nasenilügel),  82mal  deutlich  (mit  Zucken  des  Mundwinkels) 
und  49mal  eben  merkbar  (nur  Muskelkontraktionen  im 
Lippenrot  ohne  Zucken  des  Mundwinkels).  Das  sind  aller¬ 
dings  imponierende  Zahlen,  die  die  diagnostische  Wertig¬ 
keit  des  Symptomes  für  die  Diagnose  der  Tetanie  wesent¬ 
lich  heralisetzen  müßten. 

Ganz  anders  allerdings  sind  die  Zahlen,  die  Hoff¬ 
mann'^)  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  gibt.  Er  fand 
bei  100  nicht  Tetaniekranken  nur  dreimal  eine-  leichte  Stei¬ 
gerung  der  mechanisdien  Erregbarkeit  des  Nervus  facialis, 
doch  reichte  die  Zuckung,  was  Raschheit  und  Stärke  be- 
Irilfl,  lang('  nicht  an  diejenige  hei  Tetanie  heran. 

Füg('  ich  dem  meine  eigenen  Erfahrungen  an,  die  ich 
im  Verlauf  der  .fahre  gewonnen  habe,  während  welcher 


Zeit  nahezu  jeder  Kranke,  der  unter  meine  Hände  kam, 
aut  das  Fazialisphänomen  untersucht  wurde,  so  kann  ich, 
ohne  zahlenmäßige  Belege  für  diese  Zeit  erbringen  zu 
können,  in  Kürze  folgendes  anführen:  Eine  so  hoch¬ 
gradige  mechanische  Uebererregbarkeit  der  Nerven,  wie 
sie  bei  der  Tetanie  gefunden  werden  kann,  indem  oft  schon 
einfaches  leichtes  Streichen  mit  der  Fingerkuppe  über  den 
Faziaiisstamm  äußerst  heitige,  blitzartige,  über  das  ganze 
Fazialisgebiet  sich  erstreckende  Zuckungen  auslöst,  oder 
ein  leichtestes  Beklopfen-  eines  Nerven  und  Streichen  der 
Haut  über  demselben  zu  intensiven  Zuckungen  führt,  mehr¬ 
maliges  stärkeres  Kloijfcn  auf  denselben  zu  kurzen  tonischen 
Krämpfen  führen  kann,  habe  ich  außer  au  Tetanie  leiden¬ 
den  Kranken  nie  angetroffen.  Eine  deutliche  Uebererreg¬ 
barkeit,  die  wir  bei  Tetanie  ungemein  häufig  beobachten 
können,  indem  vom  Faziaiisstamm  und  von  der  Stelle  unter 
dem  Processus  zygomaticus  kurze,  blitzartige  Zuckungen 
im  Lippenrot,  im  Mundwinkel,  am  Nasenflügel  und  auch 
vielleicht  im  Stirnnmskel  hervorgerufen  werden,  sind  bei 
Gesunden  oder  anderweitigen  Kranken  zum  mindesten  sehr 
seltene  Yorkonnnnisse.  Bei  der  weitaus  überwiegenden  Zahl 
dieser  letzteren  Fälle  konnten,  wie  später  noch  angeführt 
werden  soll,  immer  Erscheinungen  angetroffen  werden,  die 
ihre  Zugehörigkeit  oder  wenigstens  engere  Verwandtschaft 
mit  der  Tetanie  nahelegen  mußten.  Nur  in  ganz  vereinzelten 
Fällen  waren  solche  Beziehungen  nicht  auffindbar  und 
blieben  uns  diese  Fälle  bis  aui  die  letzte  Zeit  unverständlich. 
Leichte  Grade,  bei  welchen  ein  Beklopfen  unter  dem  Pro¬ 
cessus  zygomaticus  nur  ein  Verziehen  des  Mundwinkels 
und  leichtes  Zucken  im  Lippenrot  hervorruft,  wie  wir  es 
auf  der  Höhe  der  Erkrankung  w  ohl  äußerst  selten,  häufiger  im 
Abklingen  der  Erscheinungen,  ferner  hei  den  chronisch  rezi¬ 
divierenden  Formen  in  den  intervallären  Phasen,  als  Latenz¬ 
symptom  der  Tetanie,  beobachten  können,  kamen  bei  ander¬ 
weitigen  Erkrankungen  relativ  häufiger,  wenngleich  unge¬ 
mein  selten  gegenüber  der  Häufigkeit  bei  Tetanie,  vor. 
Leichteste  Grade,  wo  bei  Beklopfen  dieser  Stelle  nur  eine 
geringe  Kontraktion  im  Lippenrot  wahrnehmbar  ist,  habe 
ich  bei  Tetanie,  wenn  überhaupt,  so  nur  ganz  selten  im  Ab¬ 
klingen  der  Erscheinungen  gesehen,  wohl  aber  nicht  so 
selten  hei  nicht  tetaniekranken  Personen.  Daß  das  Fazialis¬ 
phänomen  bei  Tetanie  überhaupt  fehlt,  ist  meiner  Erfahrung 
nach  eine  große  Seltenheit.  Wie  ich  a.  a.  0.^)  ausgeführt  habe, 
zeigt  jedes  der  Kardinalsymptome  der  Tetanie  eine  gewisse 
Selbständigkeit  und  können  mannigfache  Schwankungen  in 
dem  Auftreten  und  der  Intensität  derselben  vorhanden  sein. 
Auch  in  Fällen,  bei  welchen  das  Fäzialisphänornen  scheinbar 
fehlt,  gelingt  der  Nachweis  desselben  meist  bei  wiederholten 
Untersuchungen  im  Verlauf  der  Erkrankung.  Nur  in  äußerst 
seltenen  Fällen  fehlt  das  Fazialisphänomen  auf  die  Dauer. 
Vollständiges  Fehlen  auch  der  mechanischen  Uebererregbar¬ 
keit  der  übrigen  Nerven  konnte  icTi  im  Verlauf  der  Er¬ 
krankung  überhaupt  nicht  beobachten.  In  den  Latenzperio¬ 
den  der  rezidivierenden  Formen  von  Tetanie  ist  das  Fazialis¬ 
phänomen  zumeist  das  einzige  Anzeichen,  daß  die  Erkran¬ 
kung  nicht  erloschen.  Es  bleibt  oft  die  ganze  intervalläre 
Zeit  bestehen,  während  welcher  weder  das  Trousseausche 
Phänomen  nachweisbar  ist,  noch  die  elektrische  Unter¬ 
suchung  der  Nerven  Resultate  ergibt,  die  im  Sinne  einer 
erhöhten  Erregbarkeit  gedeutet  werden  können. 

Ein  Umstand  verdient  noch  der  Erwälmung.  Im  Laufe 
der  .Jahre  konnte  ich  die  Beobachtung  machen,  daß  mit  dem 
selteneren  Auftreten  der  Tetanie  in  den  letzten  Jahren  auch 
die  Fälle,  die  keine  ausgesprochene  Tetanie  hatten,  wohl 
aber  mechanische  Uebererregbarkeit  aufwiesen  und  sonst 
Anklänge  an  die  Tetanie  zeigten  oder  nicht,  gleichzeitig  sel¬ 
tener  wurden,  so  daß  ich  in  den  letzten  Jahren,  wo  ich 
nach  solchen  Fällen  suchte,  Mühe  hatte,  einen  oder  den 
anderen  aufzutreiben.  Erst  wdeder  in  der  letzten  Zeit, 
in  welcher  ich  wdeder  mehrere  Fälle  von  Tetanie  zu  sehen 
bekam,  konnte  ich  auch  solche  Formen  wieder  häufiger  beob¬ 
achten.  Auch  V.  Frankl -Ho  chwart^)  konstatiert,  daß 
er  gerade  im  Frühjalir  188G,  wo  so  viele  Tetaniefälle  vor- 


I 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


489 


kamen,  so  oft  das  Fazialisphänomen  bei  iiiohi  tetaiiiekraiiken 
Individuen  gefunden  hat,  d.  b.  bei  solclien,  die  nie  Krämpfe 
gehabt  haben,  kein  Tro u s s  e au scJies  und  Erbsches  Phä¬ 
nomen  zeigten  und  nicht  an  Paräsihesien  litten.  Eine  solche 
Häutung  von  isoliertem  Eazialispliänomen  hat  er  seither 
nicht  mehr  gesehen. 

Um  zahlenmäßige  Belege  zu  erhalten,  habe  ich  in 
letzter  Zeit  Aufzeiclmungeii  über  die  Häufigkeit  der  positi¬ 
ven  Befunde  des  Eazialispliänomens  geführt.  Voraus  geschickt 
mag  gleich  hier  werden,  daß  diese  Befunde  in  eine  Periode 
talle]i  (Februar,  März),  in  der  die  Zahl  der  Tetaniefälle 
zimimmt  und  zu  welcher  Zeit  ich  wieder  einmal  meh¬ 
rere  Tetaniefälle  in  einem  kurzen  Zeitraum  zu  beob¬ 
achten  Gelegenheit  hatte.  Es  muß  dieses  Moment  be¬ 
tont  werden,  da  die  Statistik  Schlesingers,  die  in  Vergleich 
zu  ziehen  ist,  in  einem  tetaniereichen  .fahre,  aber  zu  einer 
Zeit  aufgestellt  wurde,  zu  welcher  in  Wien  keine  Häufung 
von  Fällen  beobachtet  wird  (heiße  Sommermonate). 

Bemerkt  mußi  hier  werden,  daß  bei  den  Kranken  des  Arn- 
hulatoriums  nur  auf  deutliche  Fazialisphänoinene  Rücksicht  ge- 
nonmien  und  nur  diese  notiert  wurden,  während  l)ei  den  Kranken 
der  Aldeilung  auch  die  leichtesten  Grade  Berücksichtigung 
fanden.  In  den  Zahlen  beider  Gruppen  für  deutliches 
Phänonien  sind  hier  zunächst  alle  Fälle  mitgezählt,  bei 
welchen  die  Diagnose  Tetanie  nicht  sofort  gestellt  werden  konnte. 
Wir  bemerken  aber  hier  gleich,  daßi  bei  den  ambulatorischen 
Kranken  von  den  fünf  positiven  Fällen  zwei  auszuscheiden  sind, 
da  ihre  Zugehörigkeit  zur  Gruppe  der  Tetanie,  wie  später  gezeigt 
werden  soll,  sehr  wahrscheinlich  ist.  Von  den  fünf  Fällen  mit 
Fazialisphänomen  2  und  3  der  zweiten  Gruppe  erwies  sich  einer 
später  als  Tetanie,  ein  zweiter  Fall  als  der  Tetanie  zugehörig. 
Auch  diese  Fälle  sind  hier  zunächst  miteinbezogen.  Bei  Aus¬ 
schaltung  dieser  Fälle  ändern  sich  natürlich  die  Zahlen  noch 
beträchtlich,  wie  dann  noch  angeführt  werden  soll. 

Von  den  im  Laufe  der  Monate  Februar  und  März  im 
Ambulatorium  der  Abteilung  untersuchten  667  Kranken 
(Gruppe  1)  konnte  ein  deutlich  nachweisbares  Phänomen 
(nach  V.  F  r a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  t  2  und  3)  in  fünf  Fällen  notiert 
werden.  Von  den  an  einem  Tage  untersuchten  173  nicht 
an  Tetanie  leidenden  Kranken  der  internen  und  chi¬ 
rurgischen  Abteilung  des  Spitales  (Gruppe  II)  fand 
sich  ein  deutlich  nachweisbares  Fazialisphänomen  in 
fünf  Fällen  u.  zw.  dreimal  in  der  Intensität  nach  v.  Fr  an  ki¬ 
ll  och  wart  2  (deutliches  Heben  des  Nasenflügels  und  des 
Mundwinkels  bei  Beklopfen  der  Stelle  unterhalb  des  Pons 
zygomaticus)  und  zweimal  die  Intensität  3  (nur  leichte 
Zuckung  am  Mundwinkel  und  im  Lippenrot).  In  32  Fällen 
war  das  Phänomen  gerade  angedeutet  (Zucken  nur  im 
Lippenrot,  ohne  deutliches  Zucken  des  Mundwinkels,  1.  Grad 
nach  den  Angaben  Schlesingers). 

Summieren  wir  sämtliche  positiven  Befunde  (ange¬ 
deutet  und  deutlieh)  der  Gruppe  11,  so  findet  sich  nach 
diesen  Ergebnissen  ein  Fazialisphänomen  in  37  von 
173  Fällen,  das  ist  ca.  21-2o/o  der  untersuchten  Fälle. 
Eine  Differenz  in  der  Häufigkeit  bei  chirurgisch  und  intern 
Kranken  konnte  nicht  konstatiert  werden,  indem  die  posi¬ 
tiven  Fälle  bei  97  internen  Patienten  20,  das  ist  20'6o/o, 
bei  76  chirurgischen  Kranken  17,  das  ist  22-MTo,  betragen. 
Eine  geringe  Differenz  ergibt  sich  in  bezug  auf  die  Häufig¬ 
keit  des  Vorkommens  nach  dem  Geschlecht,  indem  von 
den  untersuchten  96  Frauen  24,  das  ist  25 To,  von  77  unter¬ 
suchten  Männern  13,  das  ist  16-8 To,  positiven  Befund  er¬ 
gaben.  Von  den  37  positiven  Fällen  haben  nur  5,  das  ist 
13-5_To,  ein  deutliches  Phänomen  (2  und  3  nach  v.  Fr  an  ki¬ 
ll  och  wart),  während  bei  32,  das  ist  86-5 To,  das  Fazialis¬ 
phänomen  nur  angedeutet  ist.  Auf  die  Summe  der 
untersuchten  173  Personen  bezogen,  findet  sich  ein 
deutliches  Fazialisphänomen  in  2-8To  der  untersuchten 
Menschen,  ein  angedeutetes  in  18-4 To. 

Halten  wir  diese  unsere  gefundenen  Zalilen  den  Be- 
lunden  Schlesingers  gegenüber,  so  finden  wir  bemerkens¬ 
werte  Differenzen.  Am  wenigsten  auffallend  ist  die  Diffe¬ 
renz,  wenn  wir  die  Summen  der  positiven  Befunde  ohne 
Rücksicht  auf  die  Intensität  des  Phänomens  gegenüber¬ 
stellen.  Während  Schlesinger  in  33-5 To  positive  Befunde 


erheben  kann,  also  zirka  jeder  dritte  Kranke  das  Fazialis¬ 
phänomen  hat,  findet  sich  in  unseren  Fällen  nur  in  2L2To 
der  Fälle  das  lazialispbänomen,  also  bei  zirka  jedem  fünften 
Kranken.  Das  sind  verhältnismäßig  geringfügige  Differenzen. 
Anders  aber  stellt  sich  die  Sache,  wenn  wir  die  Intensität 
berücksichtigen.  Während  Schlesinger  nur  in  30-4 To  der 
positiven  Fälle  das  Phänomen  angedeutet  findet,  es  in  50-9  To, 
deutlich  und  in  19-8  To  hochgradig  nachweisen  kann,  also  in 
über  70 To  der  positiven  Fälle  deutliches  und  hoch¬ 
gradiges  Phänomen,  finden  wir  nur  in  i3-5To  deut¬ 
liches,  dagegen  in  86-5  To  angedeutetes  Phänomen.  Auf  die 
Totalität  der  untersuchten  Personen  bezogen,  findet  Schle¬ 
singer  in  23-7  To  hochgradiges  und  deutliches  Fazialis¬ 
phänomen  (6-6 To  hochgradig,  17-1  To  deutlich)  und  nur  in 
10 To  angedeutetes,  während  nach  unseren  Erhebungen  nur. 
in  2-8To.  ein  deutliches  Phänomen  vorhanden  ist.  Es  würde 
demnach  zur  Zeit  der  Untersuchungen  Schlesingers  jeder 
zirka  vierte  Kranke  ein  deutliches  und  hochgradiges  Fa¬ 
zialisphänomen  auf  gewiesen  haben,  während  dies  zur  Zeit 
unserer  Erhebungen  nur  mehr  bei  jedem  ca.  35.  Kranken 
der  Fall  ist. 

Diese  in  die  Augen  springende  Differeuz  der  Häufig¬ 
keit  deutlicher  Fazialisphänomene,  die  um  so  schwer¬ 
wiegender  ist,  als  Schlesingers  Untersuchungen  in  einem 
tetaniereichen  Jahre,  aber  zu  einer  Zeit  gemacht  wurden,  wo 
wir  in  Wien  eine  größere  Häufung  von  Tetaniefällen  nicht 
sehen,  während  unsere  Beobachtungen  in  eine  relativ 
letaniearme  Zeit,  aber  in  die  Monate  Februar  und  März 
lallen,  wo  die  Fälle  gewöhnlich  häufiger  in  Beobachtung 
gelangen  und  seit  langer  Zeit  wieder  einige  Tetaniekranke 
in  Spitalsbehandlung  standen,  können  auf  eine  Ver¬ 
schiedenheit  der  Untersuchungsmetlioden  nicht  zurückge¬ 
führt  werden,  da  in  beiden  Untersuchungsreihen  unter  An¬ 
wendung  derselben  Methodik  und  Berücksichtigung  aller 
Kantelen  gearbeitet  wurde.  Diese  Differenz  läßt  wohl  nur 
einen  Schluß  zu:  Schwindet  konform  der  Abnahme 
von  Tetanie  fällen  auch  die  Zahl  jener  Kranken, 
die  sonst  keine  Tetanie  Symptome  bieten  und  nur 
das  Fazialisphänomen  zeigen,  so  müssen  diese 
letzteren  Fälle  doch  mit  der  Tetanie  in  irgend¬ 
welchen  Beziehungen  stehen.  Es  müssen  somit 
jene  Momente,  die  für  das  Auftreten  der  Tetanie, 
die  Zu-  und  Abnahme  der  Fälle  in  Betracht 
kommen,  auch  in  jenen  Fällen  mit  im  Spiele  sein, 
die  nur  die  mechanische  Ueberregbarkeit  der 
Nerven  aufweisen. 

Eine  Stütze  findet  diese  Auffassung  auch  in  der  Beob¬ 
achtung  von  Boral,^)  daß  das  Fazialisphänomen  bei  nicht 
tetaniekranken  Kindern  in  den  verschiedenen  Monaten 
gleichzeitig  mit  dem  gehäuften  Auftreten  der  Tetanie  häufiger 
wird,  um  mit  Abnahme  derselben  in  den  Wintermonaten 
wieder  zu  schwinden.  Auch  Ganghofner^)  konstatiert, 
daß  die  mechanische  Uebererregbarkeit  der  Nerven  —  ohne 
daß  sonst  Zeichen  von  Tetanie  vorhanden  waren  — •  häufiger 
in  der  Zeit,  zu  welcher  Tetanie  gewissermaßen  epidemisch 
herrscht,  im  Winter  und  Frühjahr  angetroffen  werdeji 
kann.  In  diesem  Sinne  spricht  auch  die  längere  Zeit  dauernde 
Beobachtung  solcher  Personen  mit  Fazialisphänomen  ohne 
.ausgesprochene  Tetaniesymptome.  Solche  Kranke  sind  aus 
begreiflichen  Gründen  selten  zu  finden.  Doch  konnte  ich  an 
einem  Kollegen  in  den  Neunzigerjahren,  zu  welcher  Zeit 
die  Tetanie  bei  uns  in  Wien  in  einer  großen  Anzahl  von 
Fällen  endemisch  vorhanden  war,  ein  Fäzialisphänomen 
konstatieren.  Es  konnte  weder  das  Trousseau  sehe,  noch 
das  Erbsche  Phänomen,  trotz  wiederholter  Untersuchung 
nachgewiesen  werden  und  nur  zeitweilig  geringfügige 
Parästhesien  und  vielleicht  eine  gewisse  Neigung  zu  Waden¬ 
krämpfen  waren  vorhanden.  Jahre  hindurch  konnte  ich 
diese  Erscheinungen  in  wechselnder  Intensität  beobachten 
und  erst  seit  vielleicht  fünf  Jahren  sind  dieselben 
vollständig  geschwunden,  während  die  sonstigen  iiervösen 
Erscheinungen,  die  eventuell  als  Ursachen  der  Uebererreg¬ 
barkeit  hätten  gedeutet  werden  können,  gewiß  keine 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


Besserung  erfaiireii  liabv'ii.  Ein  wesenlliches  Beweis- 
iiiomeiit  ist  eiidlieli  in  den  Beobaclitungen  der  Klinik 
gegeben,  die  erweisen,  dail  fließende  Uebergäiige  von 
jenen  einfacben  Formen  mit  allein  vorhandener  mecha¬ 
nischer  Uebererregbarkeit,  ohne  sonstige  Erscheinungen, 
zu  solchen  mit  gleichzeitigen  Parästhesien,  Neigung  zu 
Krämpfen,  dann  zu  solchen,  bei  welchen  außerdem 
noch  leichtere  ■  elektrische  Ansprechbarkei t  der  Nerven 
konstatiert  werden  kann,  bis  entllich  zu  den  ausgesprochenen 
Fällen  von  Tetanie,  existieren,  ln  diesem  Sinne  spricht  aucli 
die  sicher  konstatierte  Tatsache,  daß  bei  vielen  Fällen 
von  Tetanie,  nach  dem  Schwinden  der  übrigen  Er¬ 
scheinungen,  das  Fazialisphänomen  als  einziges  Latenz- 
symptom  durch  Jahre  hindurch  bestehen  kann,  Fälle,  die 
olme  Kenntnis  des  V'orhergegangenen  schwer  einer  Deutung 
zugänglich  wären. 

Es  scheint  daher  die  von  v.  Frankl-Hoch  wart 
geäußerte  Annahme,  ,,daßi  tatsächlich  manchmal  das  iso¬ 
lierte  Fazialisphänomen  mit  der  Tetanie  eine  gewisse  Be¬ 
ziehung  hat“,  nicht  ganz  den  Verhältnissen  Rechnung  zu 
tragen.  Die  ganz  auffallende  Differenz  in  der  Häufigkeit 
isolierter  Fazialisphänomene  zu  tetaniereichen  und  tetanie- 
armen  Zeiten  beweist,  daß  die  große  Mehrzahl  dieser 
Fälle  mit  der  Tetanie  in  irgendwelchen  Bezie¬ 
hungen  stehen  muß,  daß  sie  denselben  Verände¬ 
rungen  ihre  Entstehung  verdanken,  die  den  aus¬ 
gesprochenen  Fällen  von  Tetanie  zugrunde 
liegen.  Zugegeben  muß  werden,  daß  in  einer  ganz  geringen 
Anzahl  von  Fällen  mit  isoliertem  Fazialisphänomen  derartige 
Beziehungen  zur  Tetanie  derzeit  sich  nicht  erweisen  lassen, 
für  einen  gewissen  Bruchteil  derselben  auch  nicht  zu  er¬ 
warten  sind,  indem  die  mechanische  .Uebererregbarkeit  der 
Nerven,  respektive  des  Faziaiis  auf  andere  ursächliche  Mo¬ 
mente  zurückzuführen  ist,  als  dies  bei  der  Tetanie  der 
Fall  ist.  I 

Jeder  motorische  Nerv  reagiert  auf  den  mechanischen 
Reiz  mit  einer  Zuckung  der  von  ilun  versorgten  Muskeln,  das 
ist  ein  physiologischer  Vorgang.  Die  Intensität  des  Reizes,  die 
Ansprechbarkeit  des  Nerven  und  die  Reaktionsfähigkeit  des 
IMuskels  wird  für  den  Effekt  maßgebend  sein.  Für  den  nicht 
freigelegten  Nerven  kommt  nocli  die  Lagerung  in  Betracht; 
der  oberflächlich  auf  einer  knöchernen  Unterlage  auf¬ 
liegende  Nervus  ulnaris  wird  leichter  zu  erregen  sein  als 
der  Nervus  facialis.  Eine  erhöhte  mechanische  Erregbarkeit, 
für  uns  erkennbar  in  dem  größeren  motorisclien  Effekt,  kann 
daher  in  verschiedenen  Veränderungen  ihren  Grund  haben. 
\'eränderungen  der  Muskelelemente,  durch  die  mannig¬ 
fachsten  Ursachen  bedingt,  können  bewirken,  daß  auf  den 
zufließenden  Reiz  eine  stärkere  Reaktion  erfolgt;  auf  solchen 
Veränderungen  beruhen  vielleicht  zum  Teil  die  häufigen 
Fazialisphänomene  bei  Tuberkulösen,  bei  Typhösen,  in 
welchen  Fällen  gleichzeitig  auch  eine  gesteigerte,  idiomus- 
kuläre  Erregbarkeit  nachgewiesen  werden  kann,  vielleicht 
die  Fälle  von  Fazialisphänomen  bei  alten  Fazialislähmungen, 
mit  der  Neigung  ihrer  Muskulatur  zum  krampfen,  wenn 
auch,  wie  Strümpell  nachgewiesen  hat,  hiebei  reflek¬ 
torische  IMomente  mit  im  Spiele  zu  sein  scheinen. 
Ebenso  können  leichte  neuri tische  Veränderungen  im 
Nerven,  die  einen  gewissen  Reizzustand  desselben  bedingen, 
eine  leichtere  mechanische  Erregbarkeit  setzen;  hieher  zu 
rechnen  sind  die  Fälle  von  erhöhter  mechanischer  Erregbar¬ 
keit  der  Nerven  l)ei  leichten  Formen  von  Neuritis,  beileichten 
Fazialislähmungen  im  Beginn  der  Erkrankung,  vielleicht 
auch  einzelne  Fälle  von  Fazialisphänomen  bei  vorgeschrit- 
tener  Tuberkulose.  Läsionen,  die  den  pontinen  Anteil  des 
Faziaiis  oder  seinen  Kern  itj  Mitleidenschaft  ziehen,  können 
zu  demselben  Effekt  führen ;  die  Beobachtung  von  Fazialis- 
.phäiionien  bei  Bulbärparalyse  (Hitzig)  würde  in  diesem 
Sinne^  sprechen.  Unterbrechung  der  supranukleären  Bahn 
des  Nervus  facialis  ist  durch  den  Wegfall  der  kortikalen 
Hemmung  die  Ursache  des  Auftretens  des  Fazialisphänoinens 
bei  Hemiplegien  auf  der  gelähmten  Seite,  wenn  hier 
nicht  vielleicht  Aenderungen  der  Reflexerregbarkeit  mit  im 


Spiele  sind.  Ebenso  werden  Reizzustände  der  verschie¬ 
densten  Ursachen  im  Kortex  zu  denselben  Effekt  führen 
können.  Die  kortikale  Schwäche  und  die  dadurch  bedingte 
Prävalenz  der  subkortikalen  Zentren  (Meynert)  kann  als 
die  Ursache  der  mechanischen  Ueberregbarkeit  des  Faziaiis 
bei  Neurasthenie,  Hysterie  und  in  der  Hypnose  angesehen 
werden. 

So  mannigfach  diese  verschiedenen  Momente  sind, 
die  eine  mechanische  Uebererregbarkeit  des  Faziaiis  bewirken 
können  und  obwohl  in  diesen  Fällen  selten  ein  Moment  allein, 
sondern  meist  mehrere  gleichzeitig  mit  im  Spiele  sind,  so 
ist  doch  ein  deutlich  ausgesprochenes  Fazialisphänomen  hier 
eine  ungemeine  Seltenheit.  Meist  sind  es  kaum  angedeutete 
oder  eben  noch  erkennbare  Phänomene  (Schlesinger  I; 
nur  Zucken  im  Lippenrot,  ohne  Zucken  des  Mundwinkels). 
Für  diese  Gruppe  ergibt  auch  unsere  Statistik  gegen¬ 
über  der  Statistik  von  Schlesinger  keine  wesentliche 
Differenz,  jedenfalls  keine  so  in  die  Augen  springende  Ab¬ 
nahme  wie  die  ausgesprochenen  Fazialisphänomene.  Auf  die 
Summe  der  Untersuchten  bezogen,  findet  Schlesinger 
das  Fazialisphänomen  angedeutet  in  10®/o  (49  Fälle  von 
480  Untersuchten)  während  wir  es  in  18-4 %  (32  Fälle  von 
173  Untersuchten)  finden.  Wenn  wir  berücksichtigen,  daß 
in  den  Fällen  Schlesingers  mit  ausgesprochenem  Fä- 
zialisphänomen  sicher  auch  solche  Personen  eingeschlossen 
sind,  die  an  und  für  sich  aus  einer  oder  der  anderen  der 
früher  angeführten  Momente,  Andeutung  von  Fazialisphä¬ 
nomen  gehabt  haben,  das  dann  aus  denselben  Ursachen,  die 
den  Tetaniereichtum  des  Jahres  der  Untersuchung  bedingten, 
eine  Steigerung  erfahren  hat,  Ursachen,  die  jetzt  in  der 
tetaniearmen  Zeit  wegfallen,  so  wird  die  Differenz  natürlich 
eine  noch  geringere.  Berücksichtigen  wir  dann  noch,  daß 
gewisse  Differenzen  vielleicht  durch  die  ungleiche  Anzahl 
der  untersuchten  Fälle  und  die  Verschiedenheit  des  unter¬ 
suchten  Materiales  bedingt  sein  können,  so  resultieren 
komparable  Zahlen. 

Diese  verhältnismäßige  Konstanz  der  Zahlen  und  ihre 
Unabhängigkeit  von  den  Schwankungen  in  der  Häufigkeit 
der  Tetanie,  im  Gegensatz  zu  den  ausgesprochenen  Fazialis- 
phänomenen,  zeigt  uns,  daß  die  Gruppe  der  angedeuteten 
Phänomene  in  der  überwiegenden  Mehrzalil  der  Fälle  in 
anderweitigen  Ursachen  begründet  sein  muß,  als  solchen, 
die  der  Tetanie  zugrunde  liegen,  daß  sie  mit  der  Te¬ 
tanie  nichts  zu  tun  haben.  Dieser  aus  den  Zahlen 
der  Statistik  zu  ziehende  Schluß  stimmt  vollständig 
überein  mit  den  empirisch  gefundenen  Tatsachen,  die 
wir  eingangs  mitgeteilt  haben,  nach  welchen  Andeutung 
von  Fazialisphänomen  bei  der  Tetanie,  wenn  überhaupt, 
nur  ganz  selten  und  da  meist  nur  im  Abklingen  der  Erschei¬ 
nungen,  zur  Beobachtung  gelangt.  Es  mag  ja  in  dieser 
Gruppe  vielleicht  ein  oder  der  andere  hieher  gehörige  Fall 
mit  inbegriffen  sein,  das  sind  aber  gewiß  die  Ausnahmen, 
das  Gros  der  Fälle  sind  keine  Tetanie  und  stehen  zu 
der  Tetanie  in  gar  keiner  Beziehung.  Ein  Wert  für  die 
Diagnose  der  Tetanie  kommt  diesen  geringsten  Graden  von 
Fazialisphänomen  niclit  zu.  Diese  Annahme ,  steht  auch  in 
Einklang  mit  der  ersten  Beschreibung  der  mechanischen 
Uebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven  bei  Tetanie,  wo¬ 
bei  nur  deutliche  Veränderungen  in  Betracht  gezogen  wurden. 
Erst  durch  die  späteren  Untersucher  wurden  auch  die  ge¬ 
ringsten  Grade  in  den  Bereich  der  Erwägungen  gezogen  und 
dadurch  die  diagnostische  Verwertbarkeit  der  mechanischen 
Uebererregbarkeit  in  Mißkredit  gebracht. 

iGanz  anders  gestalten  sich  die  Dinge  für  die  deutliche 
mechanische  Uebererregbarkeit,  selbst  in  den  geringeren 
Graden.  Wenn  wir  hier  zunächst  die  leichteren  Grade 
(Schlesingers  deutliches  Phänomen,  nach  v.  Frankl- 
H  och  wart,  Chvostek  3,  wo  bei  Beklopfen  unter  dem 
Pons  zygoma ticus  nur  der  Mundwinkel  und  nicht  die  Nasen¬ 
flügel  mitzucken)  in  das  Auge  fassen,  so  mag  vorher  betont 
werden,  daß  wenigstens  für  die  Tetanie  eine  scharfe  Son¬ 
derung  von  der  nächsthöheren  Gruppe  (mit  Zucken  auch  des 
Nasenflügels)  nicht  gut  durchführbar  ist,  da  bei  ein  und 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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demselben  Kranken  bei  ’'vioderliolten  Untersucliungen,  in 
ganz  kurzen  Intervallen  oft  sehr  große  Intensitätsschwan¬ 
kungen  des  Fazialisphänomens  beobachtet  werden  können. 
Es  haben  daher  die  in  Statistiken  für  diese  beiden  Gruppen 
getrennt  angegebenen  Ziffern  nur  relativen  Wert  und  ent¬ 
sprechen  die  Zahlen  beider  Gruppen  summiert  mehr  den  tat¬ 
sächlichen  Verhältnissen.  Wenn  wir  hier  von  einer  solchen 
Zusammenfassung  absehen  und  die  Gruppen  getrennt  be¬ 
trachten,  so  geschieht  das  aus  dem  Grunde,  weil,  so  weit 
unsere  Erfahrungen  reicheu,  ein  solches  Schwanken  in  der 
Intensität  des  Phänomens  bei  anderweitigen  Erkrankungen, 
wie  bei  Tetanie  nicht  beobachtet  werden  kann  und  weil  die 
getrennte  Betrachtung  zeigt,  daß  je  intensiver  das  Fazialis- 
phänomen  wird,  es  desto  seltener  bei  anderweitigen  Erkran¬ 
kungen  zu  finden  ist.  Sch  legi  nger  findet  die  leich¬ 
teren  Grade  dieser  beiden  Gruppen  in  50-9 ®/o  der  positiven 
und  in  17T®/o  der  untersuchten  Fälle,  die  nächsthöheren 
Grade  nur  mehr  in  19-8 o/o,  respektive  6-6 o/o.  Wenn  wir 
auch  anzunehmen  gezwungen  waren,  daß  in  Schlesingers 
Resultate  die  Tetanie  mit  hineinspielt  und  dieselben  daher 
zu  Schlüssen  nach  dieser  Richtung  hin  nicht  gut  geeignet 
sind,  so  stehen  sie  doch  in  Einklang  mit  unseren  Ergeb¬ 
nissen  und  sind  insofern  verwertbar.  Wir  fanden  von  173 
untersuchten  Kranken  der  Abteilung  nur  zwei  Fälle  (ein 
Mann  mit  Tuberkulose  der  Lungen  und  eine  Frau  nach 
Abortus)  mit  Fazialisphänomen  leichteren  Grades  (3)  und 
drei  mit  Phänomen  der  größeren  Intensität  (2)  (eine  Frau 
mit  Haemorrhagia  spinalis,  ein  Mann  mit  Miliartuber¬ 
kulose,  ein  Mann  mit  Hämorrhoiden).  Bei  genauerer  Unter- 
suchimg  erwiesen  sich  aber  zwei  dieser  letzteren  Fälle  als 
wahrscheinlich  zur  Tetanie  gehörig,  jedenfalls  aber  zu  dieser 
in  nahen  Beziehungen  stehend.  Bei  dem  einen  Falle,  einem 
Manne  von  35  Jahren,  bestehen  •  seit  einigen  Monaten 
häufig  Parästhesien  in  den  Händen,  eine  Neigung  zum 
Einschlafen  derselben  und  öfter  Krämpfe  in  den  Beinen. 
Trousseau  negativ.  Die  elektrische  Untersuchung  konnte 
in  dem  Falle  leider  nicht  gemacht  werden,  da  der  Patient 
entlassen  werden  müßte.  Bei  der  Frau,  bei  welcher 
eine  Blutung  in  das  Rückenmark  angenommen  werden 
mußte,  fand  sich  neben  dem  ausgesprochenen  Fazialis¬ 
phänomen  eine  gesteigerte  elektrische  Erregbarkeit,  jedoch 
nie  Krämpfe,  kein  Trousseau.  Von  diesen  Fällen  müssen  wir 
füglich  absehen.  Es  bleiben  also  von  unseren  173  Spitals¬ 
patienten  nur  mehr  drei  Fälle  mit  positivem  Phänomen 
(2  und  3),  für  die  wir  keine  Beziehungen  zur  Tetanie  auf¬ 
finden  können.  Von  unseren  667  ambulatorischen  Patienten 
müssen  wir  ebenfalls  zwei  Fälle  ausscheiden,  so  daß  drei 
Fälle  verbleiben.  In  einem  Falle,  mit  Insuffizienz  der  Aorta, 
findet  sich  ebenfalls  Neigung  zu  Krämpfen  bei  negativem 
Trousseau,  während  in  dem  zweiten  Falle,  mit  Pleuritisl 
obsoleta,  häufige.  Krampferscheinungen  in  Händen  und 
Füßen  auftreten.  Summieren  wir,  so  finden  wir  bei  unseren 
840  untersuchten  Kranken  nur  in  sechs  Fällen  ein 
positives  Fazialisphänomen  (2  und  3),  bei  welchen 
irgendwelche  Anklänge  an  die  Tetanie  fehlen.  Davon 
notierten  wir  zweimal  Phänomen  2,  viermaUd?hänonien  3. 
In  Zahlen  ausgedrückt,  findet  sich  2  und  3  in  0-5  ^/o  der 
untersuchten  Fälle,  d.  h.  jeder  200.  Kranke  bietet  ein  Fazia¬ 
lisphänomen  leichteren  Grades,  wovon  ca.  0-4 ^/o  auf  3 
und  0-2°/o  auf  2  entfallen,  d.  h.  jeder  250.  Kranke  hat  ein 
Phänomen  leichten  Grades,  jeder  500.  Kranke  erst  ein  Phä¬ 
nomen  mittleren  Grades,  ohne  daß  sich  Erscheinungen  von 
Tetanie  in  irgendeiner  Form  bei  ihm  nachweisen  lassen. 

Spricht  sdion,  wie  wir  früher  angeführt  haben,  die 
Differenz  in  der  Häufigkeit  dieser  Fälle  in  den  Unter¬ 
suchungsergebnissen  Schlesingers  und  unserer  zugunsten 
der  Auffassung,  daß  die  überwiegende  Mehrzahl  dieser  Fälle 
Tetanien  sind,  oder  wenigstens  der  Gruppe  dieser  Störungen 
zugehörig  sein  müssen,  so  liegt  in  der  extremen  Seltenheit 
ausgesprochenerer  Fazialisphänomene  bei  anderweitigen  Er¬ 
krankungen  gegenüber  der  Konstanz  dieses  Phänomens  bei 
Tetanie  ein  Beweismoment  für  die  diagnostische  Bedeutung 
der  mechanisclien  Uebererregbarkeit  selbst  dieser  Grade  für 


die  Tetanie.  Ein  weiteres  Beweismoment  finden  wir  in  einer 
Untersuchungsreihe  v.  Frankl -Hoch  war  ts,^)  die  dieser 
aus  anderen  Gesichtspunkten  angestellt  hat.  Um  sich  ein 
Urteil  über  die  Prognose  der  Tetanie  zu  bilden,  hat  v.  Frankl- 
Hoch  wart  seine  sämtlicheji  Fälle  nach  Jahren  einer  neuer¬ 
lichen  Untersuchung  unterzogen,  ln  seiner  I.  Gruppe  der 
Fälle,  in  denen  die  Tetanie  chronisch  oder  sehr  häufig 
rezidivierend  geworden  war,  bleibt  das  Fazialisphänomen 
persistent.  In  allen  sieben  untersuchten  Fällen  konnte  es 
konstatiert  werden.  In  der  H.  Gruppe,  bei  welcher  die 
Krämpfe  erloschen  waren,  aber  Parästhesien  oder  krampf¬ 
artige  Gefühle  und  Begleiterscheinungen,  die  der  Trias  an¬ 
gehören,  bestehen  blieben,  fand  sich  das  Fazialisphänomen 
zur  Zeit  der  ersten  Untersuchung  im  akuten  Stadium  der 
typischen  Tetanie  in  allen  19  untersuchten  Fällen  bei  der 
Nachprüfung,  wo  sich  nur  die  früher  angeführten  Erschei¬ 
nungen  fanden,  ist  das  Fazialisphänomen  nur  fünfmal 
negativ.  In  der  HI.  Gnippe  von  Fällen,  in  der  Krämpfe  und 
verwandte  Zustände  nicht  mehr  zu  konstatieren  waren,  bei 
welchen  sich  aber  ein  gewisses  Siechtum  vorfand,  von  dem 
er  annimmt,  daß  es  möglicherweise  mit  der  Tetanie  im 
Zusammenhang  steht,  findet  sich  in  sechs  untersuchten 
Fällen,  zur  Zeit  der  ersten  Untersuchung  mit  ausgespro¬ 
chenen  Tetanieerscheinungen  das  Fazialisphänomen  in  allen 
Fällen,  bei  der  Revision  nur  mehr  in  zwei  Fällen.  Und  end¬ 
lich  bei  der  letzten  Gruppe,  welche  die  Fälle  umfaßt, 
die  als  geheilt  befunden  werden  konnten,  findet 
sich  in  fünf  untersuchten  Fällen  das  Fäzialisphäno- 
men,  das  früher  in  allen  positiv  war,  nur  mehr  in 
einem  Falle.  Die  Bedeutung  der  mechanischen  Uebererreg¬ 
barkeit  gegenüber  den  übrigen  Symptomen,  worüber  noch 
ausführlich  an  anderem  Orte  gesprochen  werden  soll,  tritt 
ebenfalls  klar  aus  diesen  Aufzeichnungen  v.  F rankl -Hoch¬ 
war  ts  hervor.  Wir  haben  eingangs  schon  hervorgehoben, 
daß  das  Fazialisphänomen  in  vielen  Fällen  von  latenter 
Tetanie  oft  als  einziger  Indikator  des  Bestehenbleibens  der 
krankhaften  Veränderungen  angetroffen  wird.  Ueberein- 
stimmend  damit  findet  sich  in  v.  Frankl -Ho  ch  warts 
I.  Gruppe  mit  chronischer  Tetanie  (sieben  Fälle),  bei  sieben 
positiven  Fazialisphänomenen  bereits  dreimal  fehlendes 
Erbsches  Phänomen,  zweimal  angedeutetes  und  nur  zwei¬ 
mal  deutliches  Phänomen,  dreimal  negativer  Trousseau.  In 
der  H.  Gruppe  mit  19  Fällen  findet  sich  bei  der  Revision 
gegenüber  14  positiven  Fazialisphänomenen  nur  achtmal  er¬ 
höhte  elektrische  Erregbarkeit  und  da  sechsmal  angedeutet, 
einmal  kaum  angedeutet  und  nur  einmal  deutlich,  während 
das  Trousseau  sehe  Phänomen  überhaupt  nur  einmal  nach¬ 
gewiesen  wurde. 

Nach  dem  bisher  Angeführten  können  wir 
der  in  den  letzten  Jahren  immer  deutlicher  zu¬ 
tage  tretenden  Auffassung,  daß  dem'  isolierten 
Fazialisphänomen  für  die  Diagnose  der  Tetanie 
keine  Bedeutung  zukomme,  seihst  für  die  leich¬ 
teren  und  mittleren  Grade  nicht  bei  pflichten.  Die 
Konstanz  dieses  Symptomes  bei  Tetanie,  die  große  Selten¬ 
heit  desselben  bei  nicht  Tetaniekraiikeii,  spricht  in  posi¬ 
tiven  Fällen  mit  größter  Wahrscheinlichkeit  für  die 
Anwesenheit  einer  Tetanie,  deren  Diagnose  auch  zu¬ 
meist  dann  durch  die  Anamnesen  oder  die  übrigen  Sym¬ 
ptome  sichergestellt  werden  kann.  Je  intensiver  das  Phä¬ 
nomen,  desto  größer  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  im  ge¬ 
gebenen  Falle  Tetanie  vorliegl.  Ausgesprochene  Grade  von 
Fazialisphänomen  (nach  v.  F  rankl-  Ho  c h  w  art  I  und  l) 
konnten  wir  in  unseren  Fällen  überhaupt  nicht  nach¬ 
weisen  und  muß  ihr  Vorkommen  bei  nicht  an  Tetanie 
leidenden  Kranken  oder  angeblich  gesunden  Menschen  jeden¬ 
falls  als  eine  extreme  Seltenheit  angesehen  werden.  Für 
die  intensivsten  Formen  (l)  kann  wohl  aus  den  Phänomen 
allein  schon  die  Diagnose  gestellt  werden;  sie  sind  unseren 
Erfahrungen  nach  für  die  Tetanie  beweisend. 

Es  erübrigt  uns  noch,  jene  Fälle  ins  Auge  zu  fassen, 
in  denen  wir  leichtere  und  mittlere  Grade  des  Fazialisphä- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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nomens  konstatieren  können,  ohne  daß  wir  irgendwelche 
Beziehungen  zur  Tetanie  aufzufinden  in  der  Lage  sind  und 
die  sich  bislier  unserer  Erkenntnis  entziehen.  In  einem 
oder  dem  anderen  dieser  Fälle  mögen  ja  vielleicht  Momente, 
wie  wir  sie  früher  in  Veränderungen  des  Nervensystems 
der  verschiedensten  Art  angeführt  hahen,  mit  im  Spiele 
sein,  für  die  übenviegende  Mehrzahl  dieser  Fälle  trifft  aber 
diese  Annahme  gewiß  nicht  zu.  Die  Deutung  dieser  Fälle 
wird  uns  aber  wesentlich  erleichtert,  wenn  wir  von  der 
Tatsache  ausgehen,  daß  im  Tierexperinient  durch  Exstir¬ 
pation  der  Epithelkörper  dieselben  Erscheinungen,  die  wir 
bei  der  Tetanie  des  Menschen  beobacliten,  auftreten  und 
daß  eine  Reihe  gewichtiger  Tatsachen  dafür  spricht,  auch  _ 
die  Tetanie  des  Menschen  auf  eine  Insuffizienz  der  Epithel-  ’ 
körper  zurückzuführen.  Die  Konstanz  der  mechanischen 
Uebererregbarkeit  der  Nerven  bei  Tetanie  muß  uns  den  Ge¬ 
danken  nahelegen,  auch  für  jene  unklaren  Fälle  von  Fäzia- 
lisphänomen,  für  welche  irgendivelche  nervöse  Störungen 
ursächlich  nicht  angenommen  werden  können,  nachzusehen, 
ob  ihnen  nicht  Störungen  in  der  Funktion  der  Epithelkörper 
zugrunde  liegen,  oder  oh  sie  wenigstens  durch  die 
Annahme  einer  solchen  eine  ungezwungene  Erklämng 
finden  können.  Bei  der  Lagerung  der  Epithelkörper 
zur  Schilddrüse  und  der  Möglichkeit  der  Beeinflussung 
ihrer  Funktion  durch  krankhafte  Veränderungen  oder 
operative  Eingriffe  an  letzterer  sind  uns  die  Fälle  olme 
weiteres  verständlich,  wo  bei  Strumen  (Wölfler^®),  Myx¬ 
ödem  (Kraepelin^^),  Kretinismus  (v.  Eiselsberg^^)  iso¬ 
liertes  Fazialisphänomen  zur  Beobachtung  gelangte.  Ein- 
deidig  ist  auch  die  Beobachtung  von  v.  Frankl-FIoch- 
wart,  bei  der  nach  totaler  Strumaexsfirpation  neben  Wachs¬ 
tumstörungen  von  Tetaniesymptomen  nur  das  Fazialis¬ 
phänomen  in  ausgesprochener  Weise  vorhanden  war. 

Wenn  wir  von  der  Annahme  ausgehen,  daß  Störungen 
in  der  Funktion  der  Epithelkörper  der  mechanischen  Ueber¬ 
erregbarkeit  zugrunde  liegen,  werden  uns  auch  jene 
Fälle  verständlich,  bei  welchen  Frauen  zur  Zeit  der  Gra¬ 
vidität,  der  Menstruafion,  Frauen  mit  Genitalaffektionen, 
Mädchen  mit  Chlorose  das  Fazialisphänomen  zeigen.  Es 
wäre  natürlich  naheliegend,  in  diesen  Fällen  nervöse  Störun¬ 
gen,  die  ja  audi  bei  diesen  Veränderungen  so  häufig  an¬ 
getroffen  werden,  für  die  mechanische  Uebererregbarkeit 
der  Nerven  verantwortlich  machen.  Daß  solche  vielleicht 
irgendwie  mit  im  Spiele  sein  können,  wollen  wir  nicht  in  Ab¬ 
rede  stellen.  Aber  schon  die  Inkongruenz  der  Erscheinungen : 
oft  hochgradige  nervöse  Erscheinungen  mit  dem  Fazialisphä¬ 
nomen,  anderseits  ausgesprochene  Uebererregbarkeit  der 
Nerven  ohne  irgendwelche  nachweisbare  nervöse  Erschei¬ 
nungen,  muß  a  priori  gegen  die  Verallgemeinerung  einer 
solchen  Annahme  sprechen.  Nun  ist  es  erwiesen,  daß  die 
Genitaldrüsen  zu  den  übrigen  Blutdrüsen  in  nahen  Bezie¬ 
hungen  stehen  und  daß  bei  Veränderungen  der  Genital¬ 
drüsen  Erscheinungen  angetroifen  werden,  die  für  eine  ana¬ 
tomische  oder  funklioneile  Störung  anderer  Blutdrüsen 
sprechen.  Wir  verweisen  hier  nur  auf  die  Häufig¬ 
keit  des  Auftretens  von  Strumen  zur  Zeit  der  Gra¬ 
vidität,  bei  Eintritt  der  Geschlechtsreife  und  bei  dem 
Schwinden  der  Geschlechtsfunktionen,  auf  das  Anschwellen 
der  Schilddrüse  zur  Zeit  der  Menstruation,  auf  die  Häufig¬ 
keit  des  Vorkommens  von  Morbus  Basedowii  in  Abhängig¬ 
keit  von  Aenderungen  im  Bereiche  der  Geschlechtssidiäre  des 
Weibes.  iViicli  bei  der  Chlorose,  für  die  Störungen  in  der 
Funktion  der  Geschlechtsdrüsen  des  Weibes  als  ursäch¬ 
liches  IMoment  für  die  krankhafte  Tätigkeit  der  blutbereiten¬ 
den  Organe  angenommen  werden  müssen,  finden  sich  nicht 
so  selten  Intumeszenzen  der  Schilddrüse  und  worauf  wir 
an  anderer  Stelle  hingewiesen  haben, mehr  weniger  ausge- 
si)rochene  Erscheinungen  von  Morbus  Basedowii,  die  in 
direktem  Abhängigkeitsverhällnis  zur  Chlorose  stehen.  Es 
ist  also  in  allen  diesen  Fällen  die  Möglichkeit  gegeben, 
daß  Schwellungen  der  Schilddrüse  auf  rein  mechanischem 
Wege  oder  durcli  Aenderungen  in  der  Zirkulation  Funktions¬ 
störungen  der  Epithelkörperchen  hedingen  oder  daß,  wie 


bei  anderen  Blutdrüsen,  Störungen  der  Genitaldrüsen  auch 
zu  Veränderungen  in  dem  Bau  und  in  der  Funktion  der 
Parathyreoidea  führen.  Wenn  letztere  Annahme  auch  bisher 
nicht  erwiesen  ist,  so  spricht  doch  die  Analogie  mit  dem 
Verhalten  von  Erkrankungen  anderer  Blutdrüsen  sehr  zu¬ 
gunsten  dieser  Auffassung.  Pineles^'O  äußert  sich  rui- 
läßlich  der  Besprechung  der  bei  Akromegalie  vorkommenden 
Erscheinungen  von  Myxödem,  Morbus  Basedowii  etc. :  „Es 
scheint  also  zwischen  vielen  Blutdrüsen  ein  inniger  anato¬ 
mischer  und  physiologischer  Zusammenhang  zu  bestehen, 
der  sich  in  klinischer  Beziehung  vor  allem  darin  äußert, 
daß  bei  Erkrankungen  einer  Blutdrüse  klinische  Symptome 
auftreten,  welche  auf  eine  Funktionsstörung  einer  anderen 
Blutdrüse  bezogen  werden  können.“ 

Auch  das  Verständnis  einer  anderen  Gruppe  von  posi¬ 
tiven  Fazialisphänomenen  wird  uns  ermöglicht,  wenn  wir 
auf  eine  Funktionsstörung  der  Epithelkörper  als  ursäch¬ 
liches  Moment  rekurrieren :  dus  Fazialisphänomen  bei  Tuber¬ 
kulose.  Schlesinger,  der  auf  die  Häufigkeit  der  mecha¬ 
nischen  UebereiTegbarkeit  des  Nervus  facialis  bei  Tuber¬ 
kulose  aufmerksam  macht,  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß 
weder  in  den  nervösen  Störungen,  noch  in  der  Anämie  und 
Kachexie  und  im  Fieber  die  Ursache  der  Häufigkeit  dieser 
Erscheinung  bei  Thberkulose  gelegen  sein  kann,  obwohl  das 
absolut  und  relativ  häufige  Vorkommen  und  das  Auftreten 
des  Phänomens  bei  Leuten  in  blühendem  Ernährungszustand 
und  Affektionen  der  Lungenspitzen  ihm  zugunsten  der  Auf¬ 
fassung  spricht,  daß  eine  ätiologische  Beziehung  zwischen 
Tuberkulose  und  mechanischer  UeheFerregbarkeit  der  Nerven 
bestehen  muß.  Die  Tatsache  allerdings  ist  richtig.  Auch  in 
unseren  Fällen  von  positivem  Fazialisphänomen  bei 
nicht  Tetaniekranken  finden  wir  in  den  von  840  Kranken 
konstatierten  sechs  positiven  Fällen  viermal  Tuberkulose. 
Der  Deutung  der  Erscheinung  aber,  die  Schlesinger  gibt, 
können  wir  nicht  ganz*  jjeipflichten.  Er  meint,  daß  wegen 
des  Fehlens  anderweitiger  ätiologischer  Momente  ,,in  man¬ 
chen  Fällen  des  Fäzialisphänomens  bei  Tuberkulose  anato¬ 
mische  Veränderungen  im  Nerven  oder  in  der  Umgebung 
des  Nerven  zu  erwarten  wären.  Diese  Veränderungen  des 
Nerven  wären  den  bei  Tuberkulose  ziemlich  häufig  beob¬ 
achteten  Erkrankungen  peripherer  Nervenabschnitte  gleich¬ 
zustellen.“  Spricht  schon  die  Seltenheit,  mit  der  wir  bei 
Erkrankungen  des  Gesichtsnerven  das  Fazialisphänomen  be¬ 
obachten,  im  Gegehsatz  zur  Häufigkeit  des  Phänomens  bei 
Tuberkulose  gegen  diese  Annahme,  so  sprechen  die  Beoh- 
achtungen,  die  Schlesinger  selbst  anführt  und  die  auch 
wir  bestätigen  können,  daß  das  Fazialisphänomen  mit  dem 
Beginn  der  tuberkulösen  Spitzenaffektion  einsetzen  kann, 
strikte  gegen  eine  solche  Auffassung.  Die  Ursache  dieser 
Erscheinung  ist  vielmehr,  wie  wir  glauben,  in 
dem  Umstand  zu  suchen,  daß  die  Prädilektions¬ 
stelle  der  tuberkulösen  Affektionen  der  Lunge 
eben  die  Lungenspitzen  sind  und  daß  durch  diese 
Lokalisation  des  Prozesses  die  Epithelkörper 
ungemein  leicht  in  Mitleidenschaft  gezogen 
werden  können.  Wenn  die  Epithelkörijer  auch 
nicht  durchaus  eine  konstante  Lage  haben  und 
manche  Varianten  Vorkommen,  so  ist  ihre  Lagerung 
doch  im  allgemeinen  sO'  ziemlich  gegeben.  Wenn  wir 
hier  den  Angaben  von  Erdheim^^)  folgen,  so  findet  sich 
normalerweise  auf  jeder  Seite  ein  oberer  und  ein  unterer 
Epithelkörper.  Sie  liegen  im  allgemeinen  an  der  hinteren 
Fläche  der  Schilddiiisenseitenlappen,  das  obere,  meist 
kleinere,  in  der  Mitte,  das  untere,  meist  größere,  tiefer  gegen 
den  unteren  Pol  zu.  Das  obere  Epithelkörperchen  kann 
aber  dem  oberen  Schilddräsenpol  aufsitzen  oder  sich  mehr 
dem  Unterhorn  nähern,  das  untere  kann  die  Schilddrüse 
ganz  verlassen  und  1  bis  2  cm  tiefer  herunlerrücken,  wobei 
es  an  der  Thymusspitze  seinen  Platz  findet.  Bei  dieser  Lage¬ 
rung  der  Epithelkörperchen  in  unmittelbarer  Nähe  der 
Lungenspitze  können  natürlich  Prozesse,  die  sich  in  dieser 
abspielen,  ungemein  leicht  tlie  Epithelkörperchen  in  Mit¬ 
leidenschaft  ziehen  und  so  wird  es  uns  verständlich,  warum 


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gerade  bei  Tuberkulose  der  Lungen  so  häufig  ein  Fazialis- 
pbäiiomeii  angetroffen  werden  kann. 

Von  Ledeutnng  für  die  Deutung  isoliert  vorkonimender 
Fazialispliänoinene  scheint  mir  eine  Beobachtung  der  Klinik 
Höchen  eggs,  die  demnächst  veröffentlicht  wird  und  deren 
Benützung  mir  gestattet  wurde.  Bei  einem  Falle  von  Morbus 
Basedowii  mit  ausgesprochenem  Fazialisphänomen  ohne  son¬ 
stigen  Erscheinungen  von  Tetanie  wurden  bei  der  histologi¬ 
schen  Untersuchung  des  bei  der  Kropfexstirpation  mit¬ 
genommenen  Epithelkörpers  in  demselben  tuberkulöse  Ver- 
änderimgen  nachgewiesen.  Sind  wir  auch  der  Anschauung, 
daß  negative  histologische  Befunde  nicht  so  ohne  weiteres 
Schlüsse  auf  die  Integrität  der  Funktion  der  Epithelkörpcr 
zulassen,  so  zeigen  solche  positive  Befunde,  daß  manchen 
Fällen  von  isoliertem  Fäzialisphänomen  tatsächlich  Stö¬ 
rungen  in  der  Funktion  der  Epithelkörper  zugrunde  liegen. 
Bei  darauf  gerichteter  Untersuchung  dürfte  sich  die  Zahl 
derartiger  positiver  Befunde  weiterhin  vermehren  und  sich 
so  die  Zahl  jener  Fälle  init  deutlicher  mechanischer  Ueber- 
erregbarkeit  ohne  Zusammenhang  mit  den  Epithelkörpern 
noch  mehr  verringern,  als  dies  jetzt  ohnehin  schon  der 
Fall  ist.  i 

Zusammenfassend  können  wir  sagen : 

Das  Tierexperiment  zeigt,  daß  Entfernung  der  Epithel¬ 
körper  mechanische  Uebererregbarkeit  der  motorischen 
Nerven  hedingt.  Die  Tetanie  des  Menschen,  für  die  wir 
aus  mehrfachen  Gründen  einen  Funktionsausfall  der 
Epithelkörper  zu  supponicren  gezwungen  werden,  weist 
konstant  dieselbe  mechanische  Uebererregbarkeit  auf. 
Die  mechanische  Uehererregbarkeit  der  Nerven,  in 
erster  Linie  das  Fazialisphänomen,  ist  das  konstan¬ 
teste  und  in  den  meisten  Fällen  das  einzige  Symptom 
der  latenten  Tetanie.  Die  Zugehörigkeit  auch  jener  Fälle 
mit  nur  isoliertem  Fazialisphänomen  zur  Tetanie  erweist 
die  Abnahme  der  Häufigkeit  dieser  Fälle  gleichzeitig  mit  der 
Abnahme  der  Tetanie  in  Wien  und  das  gleichsinnige 
Schwanken  der  Häufigkeit  in  Monaten,  in  welchen 
Tetanie  häufiger  oder  seltener  angetroffen  wird.  Die  Zu¬ 
gehörigkeit  einzelner  solcher  Fälle  zur  Tetanie  und  ihre 
Unabhängigkeit  von  nervösen  Störungen  zeigt  die  Inkon¬ 
gruenz  der  Intensitätsschwankungen  dieses  ‘Phänomens  mit 
den  Schwankungen  in  der  Intensität  der  übrigen  nervösen 
Erscheinungen.  In  weitaus  den  meisten  Fällen  von  deut¬ 
lichem  Fazialisphänomen  lassen  sicli  überdies  bei  Berück¬ 
sichtigung  der  Anamnese  usw.  Erscheinungen  finden,  die 
ihre  Zugehörigkeit  oder  wenigstens  nahe  Verwandtschaft 
mit  der  Tetanie  dartun.  Aber  selbst  für  jene  seltenen 
Fälle,  in  welchen  ein  solcher  Zusammenhang  nicht  zu  er¬ 
kennen  ist,  ist  die  Erklärung  durch  eine  Beeinträchtigung 
der  Funktion  der  Epithelkörper  bei  der  Art  der  primären 
Affektion,  der  Lage  derselben  und  in  Rücksicht  auf  die 
nahen  Beziehungen,  in  welchen  die  Blutdrüsen  zu¬ 
einander  stehen,  am  einwandfreiesten  und  plausibel¬ 
sten  zu  geben.  Hieher  gehören  die  Fälle  von  Fa¬ 
zialisphänomen  bei  Erkrankungen  der  ScMlddrüse  und 
operativen  Eingriffen  an  derselben,  die  Fälle  von 
Fazialisphänomen  bei  Tuberkulose,  und  diejenigen  bei  Chlo¬ 
rose,  Genitalaffektionen  der  Frauen,  Menstruation  usw. 
Endlich  sprechen  in  diesem  Sinne  die  Beobachtungen, 
durch  welche  bei  isoliertem  r'azialisphänomen  direkte  Ver¬ 
änderungen  an  den  Epithelkörpern  nachgewiesen  werden 
können.  Wir  glauben  daher  zu  der  Annahme  berechtigt 
zu  sein,  daß  die  mechanische  Uebererregbarkeit 
der  Nerven,  in  erster  Linie  das  Fazialisphäno¬ 
men,  ein  leicht  nachweisbares  und  gewichtiges 
Symptom  der  Erkrankung  der  Epithelkörper  ist, 
ein  feines  Reagens,  das  uns  eine  Funktionsstö¬ 
rung  dieser  Organe  anzeigt. 

Der  Wert  dieses  Phänomens  wird  gewiß  nicht  beein¬ 
trächtigt  durch  den  Umstand,  daß  vielleicht  ein  oder  das 
andere  Mal,  jedenfalls  extrem  selten,  ein  deutliches  Fa- 
zialisphänonien  gefunden  werden  kann,  für  das  eine  andere 


Ursache  nachzuweisen  ist,  wenn  wir  darauf  Rücksicht 
nehmen,  daß  kein  einzelnes  Symptom  für  irgendeine  Affek¬ 
tion  patliognomoniscli  ist.  Es  wird  auch  nicht  beeinträchtigt 
durch  den  Umstand,  daß  bei  einer  Anzahl  von  Fällen  durcli 
Beklopfen  unter  dem  Processus  zygomaticus  leichtes  Zucken 
im  Lippenrot  horvorgerufen  werden  kann  (Schlesingers 
erster  Grad  des  Phänomens),  denen  Veränderungen  am 
Nervensystem  oder  an  den  Muskeln  zugrunde  liegen,  in 
welchen  Fällen  wir  wohl  überhaupt  kaum  von  einer  patho¬ 
logischen  Erscheinimg,  von  einer  gesteigerten  mechanischen 
Uebererregbarkeit  sprechen  können,  wenn  wir  darauf 
Rücksicht  nehmen,  daß  nur  deutliche  Fazialisphänomene 
zu  irgendwelchen  Schlüssen  berechtigen. 

Nach  dem  früher  Ausgeführten  ist  es  aber  auch  ein¬ 
leuchtend,  daß  wir  dem  Standpunkt,  der  von  den  meisten 
Autoren  vertreten  wird,  daß  dem  Fazialisphänomen  allein 
keine  Bedeutung  für  die  Diagnose  der  Tetanie  zu  komme, 
daß  dieses  Symptom  gegenüber  den  übrigen  Tetaniesym- 
ptomen  von  minderem  Werte  sei,  durchaus  nicht  beipflich¬ 
ten.  Die  mechanische  Uebererregbarkeit  der  Nerven  ist  ein 
konstantes  Symptom  der  Tetanie,  wenigstens  ebenso'  kon¬ 
stant  wie  das  Erb  sehe  und  Trousseausche  Phänomen; 
ich  kann  mich  wenigstens  keines  Falles  entsinnen,  bei  dem 
im  Verlaufe  der  Beobachtung  diese  Erscheinung  vermißt 
wurde.  Wenn  das  Fazialisphänomen  in  extrem  seltenen  Fällen 
vielleicht  einmal  yermißt  wird,  so  ist  doch  der  eine  oder 
der  andere  Nerv  übererregbar.  Das  Fazialisphänomen  ist 
das  konstanteste,  sehr  häufig  oft  das  einzige  Symptom  in 
den  Latenzperioden  der  Tetanie.  Die  höchsten  Grade 
(v.  F  r  a  n  k  1  -  H  0  c  h  w  a  r  t  l)  habe  ich  außer  bei  Te¬ 
tanie  niemals  gesehen  und  genügt  das  Phänomen 
in  dieser  Intensität  .zur  Sicherung  der  Diagnose. 
Auch  die  nächste  Stufe  (v.  Frankl- Hoch  wart  l),  wenn 
man  schon  trennen  will,  habe  ich  außer  Tetanie  nicht  ge¬ 
sehen.  In  allen  solchen  Fällen  ist  es  immer  gelungen,  ent¬ 
weder  sie  als  Tetanie  zu  erkennen  oder  wenigstens  die 
Gruppenzugehörigkeit  und  die  enge  Venvaiidtschaft  minde¬ 
stens  wahrscheinlich  zu  machen.  Wenn  solche  nicht  hieher 
gehörige  Fälle  Vorkommen,  so  müssen  sie  wenigstens  ex¬ 
treme  Seltenheiten  sein.  In  unseren  840  untersuchten  Fällen 
anderweitiger  Erkrankungen  konnte  das  Phänomen  in  dieser 
Intensität  nicht  beobachtet  werden.  Aber  selbst  den  mitt¬ 
leren  und  leichten  Graden  (v.  F r  an k  1  - H o  cli  w a  r  t  2,  3)  muß 
ein  Wert  für  die  Diagnose  zugesprochen  werden,  wenn  wir 
uns  einerseits  die  Konstanz  dos  Symptomes  bei  Tetanie  und 
die  Seltenheit  selbst  dieser  Grade  bei  anderweitigen  Affek¬ 
tionen  vor  Augen  halten.  Wenn  eine  Person  von  250  nicht 
Tetaniekranken  ein  Phänomen  3,  und  eine  Person  von 
500  Kranken  ein  Phänomen  2  aufweist,  so  sind  das  an  und 
für  sich  schon  gewiß  keine  Zahlen,  die  den  Wert  dieses 
Symptoms  ernstlich  beeinträchtigen  können  und  die  Auf¬ 
fassung  rechtfertigen,  daß  dem  Fazialisphänomen  keine  Be¬ 
deutung  für  die  Diagnose  zukomme.  Um  so  weniger,  wenn 
wir  bedenken,  daß  diese  Zahlen  an  einem  Orte  erhoben 
wurden,  an  dem  die  Tetanie  hnmer  noch  heimisch  ist  und 
daß  dieselben  Fälle  betreffen,  für  die  wir  eine  Funktions¬ 
störung  der  Epithelkörper  als  plausibelsten  Erklärungsgrund 
supponieren  konnten. 

Literatur. 

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')  Hoffmann,  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Nr.  43,  S.  53.  —  Chvostek, 
Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1891,  Bd.  19,  S.  489  —  0  v.  F  r  a  n  k  1-H  o  c  h  w  a  r  t, 
Nothnagels  Handbuch  XI,  Tetanie.  —  ’)  B  o  r  ^  I,  Beiträge  zur  Kinder¬ 
heilkunde  IV,  Wien  1893  —  OOanghofner,  Zeitschr.  f.  Heilkunde 
Nr.  23,  S.  245.  —  ®)  v.  Frankl-Hochwart,  Neurol.  Zentralbl.  1906, 
Nr.  14  u.  15.  —  1°)  Wölfl  er.  Arch.  f.  klin.  Chir.  Nr.  40,  S  392. 
—  ")  K  r  a  e  p  e  1  i  n,  Neurol.  Zentralbl.  1890,  Nr.  3.  —  v.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g, 
Tetanie  im  Anschluß  an  Kropfoperation  Wien  1890,  Weitere  Beiträge  etc. 
Festschrift  für  Billroth  1892,  S.  371.  —  'h  Chvostek,  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1893,  Nr.  42,  —  ’*)  Pineies,  Volkmanns  Sammlung  klin. 
Vorträge,  N.  F.  Nr.  242.  —  Erd  heim,  Mitteilungen  aus  dem  Grenz¬ 
gebiete  d.  Med.  Nr.  16,  S.  632. 


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Klinische  Beobachtungen  über  den  Wiener 
Abdominaltyphus. 

Von  Prof.  Hermann  Schlesinger.*) 

Eine  alte  Erfahrung  der  Aerzte  besagt,  daß  die  akuten 
Infektionskrankheiten  von  Zeit  zu  Zeit  ihren  Cliarakter 
ändern.  Es  treten  andere  Symptome  in  den  Vordergrund  der 
Erscheinungen  wie  früher,  das  Krankheitsbild  erscheint  oft 
verwischt  und  wesentlich  von  der  Norm,  »den  Schulfällen«, 
abweichend.  Mit  der  Aenderung  der  Symptome  geht  auch 
oft  eine  Veränderung  des  Verlaufes  einher,  die  ihrerseits  die 
Prognose  der  Erkrankung  in  eingreifendster  Weise  beein¬ 
flussen  kann.  Dabei  zeigen  viele  Epidemien  Eigentümlichkeiten, 
die  anderen  vollkommen  abgehen.  Die  Mortalitätsziffern 
weisen  häufig  überraschende  Schwankungen  auf. 

Daß  von  diesen  mehr  minder  für  alle  akuten  Infektions¬ 
krankheiten  geltenden  Regeln  der  Typhus  keine  Ausnahme 
macht,  ist  bekannt  und  auch  öfters  hervorgehoben  worden. 
Der  Wiener  Abdominaltyphus  zeigt  nun  seit  mehreren  Jahren 
so  erhebliche  Abweichungen  von  der  Norm,  daß  mehrere 
wichtige  Symptome  der  Affektion  eine  ganz  andere  Dignität 
aufweisen  wie  früher,  auch  das  Gesamtbild  und  der  Verlauf 
der  Krankheit  nicht  selten  geändert  sind.  Solche  Abweichungen 
erschweren  die  Diagnose  vielfach;  daß  namentlich  die  so 
wichtige  Frühdiagnose  leidet,  braucht  wohl  kaum  hervor¬ 
gehoben  zu  werden. 

Die  klinischen  Beobachtungen,  über  welche  ich  berichten 
will,  sind  in  den  letzten  fünf  Jahren  von  mir  an  155  genau 
beolDachteten  Fällen  des  Krankenhauses  erhoben  worden. 
Dazu  kommt  etwa  die  gleiche  Zahl  von  Beobachtungen  aus 
meiner  Konsultativpraxis,  die  ich  aber  nur  ausnahmsweise 
herangezogen  habe,  da  es  sich  nicht  um  dauernd  beobachtete 
Fälle  handelte.  Es  ist  diese  Zahl  allerdings  klein,  für  Wiener 
Verhältnisse  aber  relativ  erheblich,  da  zum  Glücke  dieses 
Leiden  bei  uns  doch  im  Vergleiche  zu  anderen  Städten 
selten  geworden  ist.  Nach  offiziellen  Angaben  beträgt  die 
Zahl  der  gemeldeten  Typhuserkrankungen  für  ganz  Wien  für 
die  gleiche  Zeitperiode  rund  1900  Fälle;  allerdings  dürfte 
diese  Ziffer  hinter  der  Zahl  der  wirklich  vorgekommenen 
Erkrankungen  erheblich  zurückstehen. 

Es  wäre  nun  vorauszuschicken,  daß  auch  in  diesen 
fünf  Jahren  nach  unseren  Erfahrungen  das  Krankheitsbild 
wechselte,  daß  aber  gewisse  Eigentümlichkeiten  des  Leidens 
während  dieser  ganzen  Zeit  mehr  oder  minder  deutlich  nach¬ 
weisbar  waren. 

Wenn  wir  die  wichtigsten  Eigentümlichkeiten  besprechen, 
so  muß  vor  allem  der  Beginn  des  Typhus  erwähnt  werden. 
Das  jähe  und  plötzliche  Einsetzen  der  Erkrankung 
scheint  häufiger  geworden  zu  sein.  Inmitten  besten  Wohl¬ 
befindens  ohne  vorausgegangene  erhebliche  Beschwerden 
kündigt  sich  der  Krankheitsbeginn  durch  heftigen  Schüttel¬ 
frost  oder  schwere  plötzlich  einsetzende  Allgemeinsymptome 
an.  Am  häufigsten  war  nach  unseren  Aufzeichnungen  dieses 
Verhalten  in  der  kurz  währenden  Häufung  von  Fällen  im 
Sommer  und  Herbst  des  Jahres  1904;  in  15  von  59  Spitals¬ 
fällen  hatte  die  Krankheit  mit  initialem  heftigen  Schüttel¬ 
fröste,  in  fünf  anderen  jähe,  aber  ohne  Schüttelfrost  be¬ 
gonnen,  so  daß  etwa  in  dem  dritten  Teile  der  Fälle  stürmische 
Anfangssymptome  vorhanden  waren.  Leichteres  Frösteln,  das 
im  Krankheitsbeginne  so  häufig  ist,  wurde  bei  dieser  Zu¬ 
sammenstellung  nicht  berücksichtigt. 

Wie  ungewöhnlich  ein  solches  Verhalten  ist,  geht  aus 
folgender  Bemerkung  des  erfahrenen  Typhuskenners  Gur s  ch¬ 
in  an  n  hervor:  »daß  man  da,  wo  eine  fieberhafte  Krankheit 
mit  einem  einmaligen  heftigen  Schüttelfrost  beginnt,  meist 
an  alles  andere  als  Unterleibstyphus  denkt«.  Jedoch  ist  auch 
schon  früher  in  der  Literatur  von  Epidemien  berichtet,  in 
welchen  ein  ähnlicher  plötzlicher  Beginn  mit  Schüttelfrost 
häufig  vorkam  (J  ü  r  g  e  n  s  e  n). 


*)  Nach  einem  am  22.  März  1907  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien  gehaltenen  Vortrage. 


Erheblich  seltener  war  aber  dieser  Beginn  in  den 
anderen  Jahren  (17mal  unter  96  Fällen),  im  abgelaufenen 
Jahre  nur  mehr  dreimal  unter  20  Fällen.  Gesellen  sich 
diesen  Erscheinungen  ungewöhnliche  Lokalsymptome  hinzu, 
so  können  verhängnisvolle  Fehldiagnosen  resultieren. 

Von  den  Krankheitssymptomen  verdient  das  Verhalten 
der  für  die  Diagnose  so  wichtigen  Roseola  volle  Beachtung. 
Vor  einigen  Jahren  war  bemerkenswert,  daß  die  Eruption 
der  Flecke  öfters  auffallend  spät  einsetzte.  So  wurde  die 
erste  Eruption  der  Roseola  erst  in  der  vierten  Krankheits¬ 
woche  beobachtet ;  mehrmals  setzte  sie  sich  noch  in  die 
ersten  Tage  der  Rekonvaleszenz  fort.  Mehrmals  haben  wir 
während  des  Fiebers  Roseola  vollkommen  vermißt,  aber  in 
der  Rekonvaleszenzperiode  eine  reichliche  Eruption  beobachtet. 
Wir  möchten  auf  diese  verspätetenRoseolaeruptionen 
besonderes  Gewicht  legen ;  beinahe  regelmäßig  trat  Rezidiv 
ein,  wenn  Roseola  sich  erst  in  den  letzten  Tagen  der  vierten 
Krankheitswoche,  resp.  nach  eingetretener  Entfieberung  zeigte. 
In  nicht  weniger  als  15  Fällen  haben  wir  eine  solche  ver¬ 
spätete  Roseola  gesehen.  Völliges  Fehlen  der  Roseola  ist 
zwölfmal  verzeichnet,  jedoch  möchte  ich  darauf  weniger  Wert¬ 
legen,  da  viele  Kranke  erst  in  späten  Stadien  der  Leidens 
dem  Spitale  zu  wuchsen.  Immerhin  spricht  der  mehrmals 
festgestellte  positive  Befund  des  Gruber-Widal sehen 
Agglutinationsphänomens  gegen  die  Hypothese,  daß  die  Ent¬ 
stehung  der  Roseola  mit  dem  Agglutinationsphänomen  und 
einer  Embolie  agglutinierter  Typhusbazillen  in  die  Haut¬ 
gefäße  im  Zusammenhang  sei. 

Zweimal  haben  wir  hämorrhagische  Roseola 
gesehen,  einmal  bei  einem  Typhus  haemorrhagicus,  der  unter 
schweren  Zerebralerscheinungen  (Hirnblutung)  zugrunde  ging, 
einmal  aber  bei  einer  Kranken,,  die  trotz  dieses  ominösen 
Zeichens  genas.  Die  Roseola  war  auch  mehrmals  bezüglich 
ihres  Aussehens  und  bezüglich  der  Verteilung  atypisch. 
So  haben  wir  ungewöhnlich  große,  papulös-erhabene 
Effloreszenzen  beobachtet,  Flecke  an  den  Händen,  einmal 
sogar  im  Gesichte  gesehen,  während  sie  sonst,  wie  bekannt, 
Hände  und  Gesicht  verschonen. 

Bekanntlich  ist  eines  der  wichtigsten  Merkmale,  das  den 
Abdominaltyphus  von  ihm  ähnlichen  Erkrankungen  unter¬ 
scheidet,  das  Fehlen  eines  Herpes  labialis  und  es  ist 
dieses  Verhalten  so  typisch,  daß  vorhandener  Herpes  den 
Abdominaltyphus  in  der  Regel  ausschließt.  Bisher  hatten  auch 
unsere  Beobachtungen  diesen  alten  Erfahrungssatz  immer 
wieder  bestätigen  können,  bis  zu  unserer  großen  Ueber- 
raschung  im  abgelaufenen  Jahre  mehrmals  auch  Herpes 
labialis  bei  unzweifelhaftem  Abdominaltyphus  auftrat.  Er  war 
keines  der  Frühsymptome,  erreichte  auch  nie  die  imponierende 
Ausdehnung,  welche  man  so  oft  bei  den  Herpeseruptionen 
der  epidemischen  Zerebrospinalmeningitis  sieht,  aber  er  war 
vorhanden  und  zwar  in  6  Fällen  unter  20.  Mischinfektion  mit 
Influenza  scheint  nur  ausnahmsweise  beschuldigt  werden  zu 
können,  diese  sonst  überaus  seltene  Erscheinung  veranlaßt 
zu  haben. 

Schon  seit  einer  längeren  Reihe  von  Jahren  ist  es  mir 
aufgefallen,  daß  die  Wiener  Abdominaltyphen  schwitzen; 
es  ist  dies  ein  sonst  so  ungewöhnliches  Symptom,  daß  nach 
C urschmann  »das  Auftreten  stärkeren  und  nachhaltigeren 
Schweißes  auf  der  Höhe  des  Fiebers  sehr  gegen  das  Be¬ 
stehen  eines  Typhus  spricht«.  Für  den  Wiener  Typhus  der 
letzten  10  Jahre  besteht  dieser  Satz  nicht  zu  Recht.  Die 
Typhösen  haben  häufig  profuse  Schweiße  sowohl  im  Beginne 
als  auch  während  des  ganzen  weiteren  Krankheitsverlaufes, 
ob  Komplikationen  bestehen  oder  nicht.  In  einem  Viertel 
der  Fälle  wurde  im  abgelaufenen  Quinquennium  dieses 
Symptom  beobachtet,  das  in  früherer  Zeit  auch  in  Wien  zu 
den  seltenen  gehörte. 

Hauteiterungen,  zumeist  von  kleinen  Furunkeln 
ausgehend,  wurden  immer  bei  Typhusepidemien  beobachtet. 
In  manchen  Jahren,  so  1904,  traten  sie  sehr  gehäuft  auf, 
trotzdem  auf  die  Hautpflege  peinlichst  geachtet  wurde  und 
zeigten  oft  ein  wichtiges  klinisches  Verhalten.  Die  Eiterung 
1  breitet  sich  in  der  Tiefe  erheblich  und  rasch  aus,  ohne  sich 


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durch  Schmerzhaftigkeit,  durch  Schwellung  oder  Rötung  der 
Haut  oder  durch  Oedem  zu  verraten.  Erst  nach  Spaltung 
des  Furunkels  entdeckt  man,  daß  der  Eiterungsprozeß  oft 
bedeutende  Ausdehnung  erreicht  hat. 

Mancher  Todesfall  dürfte  auf  solche  übersehene  Eiterungs¬ 
prozesse  zurückzuführen  sein.  Wenn  wir  auch  früher  einzelne 
derartige  Fälle  gesehen  haben,  kann  ich  mich  des  Eindruckes 
nicht  erwehren,  daß  sie  trotz  sorgfältigster  Hautpflege  häufiger 
und  schwerer  geworden  sind.  Wir  haben  sie  in  24  Fällen, 
darunter  allein  12mal  im  Jahre  1904  beobachtet. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  erwähnt,  daß  bei  unseren 
Kranken,  dank  der  Hautpflege,  Dekubitus  nur  ausnahms¬ 
weise  und  nie  in  größerer  Ausdehnung  zur  Beobachtung 
gelangte.  Unter  14  Fällen  war  mehr  als  die  Hälfte  mit  Deku¬ 
bitus  eingeliefert  worden,  bei  den  anderen  nach  Darm¬ 
blutungen  entstanden,  nach  welchen  man  Umlagern  ver¬ 
meiden  mußte.  Ich  habe  keine  Kranken  durch  Dekubitus 
verloren ;  in  der  Regel  war  der  Dekubitus  vor  Beginn  der 
Rekonvaleszenz  ausgeheilt. 

Die  relative  Puls  Verlangsamung  auf  der  Höhe 
des  Fiebers  ist  von  vielen  Autoren  als  geradezu  charakteristisch 
für  Abdominaltyphus  angesprochen  worden.  Hat  ja  Lieber¬ 
meister  den  Versuch  gemacht,  die  Entstehung  dieser  rela¬ 
tiven  Bradykardie  durch  Reizwirkung  der  Typhustoxine  auf 
die  Medulla  oblongata  zu  erklären.  Es  scheint  dieses  Symptom 
seit  einer  langen  Reihe  von  Jahren  dem  Typhus  eigen¬ 
tümlich  zu  sein ;  in  früheren  Jahren  war  es  wohl  seltener, 
sonst  hätte  nicht  ein  so  ausgezeichneter  Beobachter  wie 
Griesinger  das  nur  ausnahmsweise  Vorkommen  der  Brady¬ 
kardie  hervorgehoben.  Hohe  Pulsfrequenzen  bei  Typhus 
auf  der  Höhe  der  Erkrankung  gelten  im  allgemeinen  als 
signum  mali  ominis.  In  den  letzten  Jahren,  namentlich  in  den 
Jahren  1902  und  1904,  haben  wir  aber  zu  wiederholten  Malen 
relative  Bradykardie  auch  in  günstig  verlaufenden  Fällen 
vermißt.  Mehr  als  ein  Drittel  unserer  Kranken  hatte  hohe 
Pulsfrequenzen,  während  die  Mortalität  nur  ca.  11 7o)  resp. 
ca.  17%  betrug. 

Jedenfalls  ist  auch  bei  Wiener  Typhen  die  Prognose 
ernst  zu  stellen,  wenn  frühzeitig  hohe  Pulsfrequenzen  er¬ 
reicht  werden,  jedoch  ist  nach  unseren  Erfahrungen  häufiger 
bei  sonst  fehlenden  Komplikationen  ein  günstiger  Ausgang 
zu  erwarten,  als  dies  in  früheren  Jahren  der  Fall  war. 

Relativ  selten  und  das  nur  in  den  Jahren  1902  und 
1904,  haben  wir  echte  Bradykardie  (nicht  relative 
Pulsverlangsamung)  beobachtet.  Es  waren  Kranheitsfälle,  bei 
denen  während  des  ganzen  Krankheitsverlaufes  die  Puls¬ 
zahlen  weit  unter  der  Norm  blieben,  bis  auf  70,  ja  60  in 
der  Minute  sanken.  Arzneiliche  Beeinflussung  oder  erkenn¬ 
bare  Komplikationen,  die  Pulsverlangsamung  herbeiführen 
konnten,  fehlten.  Jedoch  möchte  ich  darauf  aufmerksam 
machen,  daß  in  diesen  Jahren  auffallend  oft  auch  andere 
akute  Erkrankungen  mit  Pulsverlangsamung  verliefen  und 
würde  am  ehesten  dieses  Verhalten  mit  der  Durchseuchung 
mit  Influenza  in  Verbindung  bringen.  Wir  haben  nämlich, 
wie  viele  andere,  öfters  bei  Influenza  Bradykardie  beobachtet. 

Daß  die  charakteristischen  Diarrhöen  in  sehr  vielen 
Fällen  nicht  zur  Ausbildung  kommen,  ist  bekannt  und  nicht  nur 
in  Wien,  sondern  in  vielen  Städten  beobachtet  worden.  Häufig 
besteht  während  der  ganzen  Krankheitsdauer  Verstopfung, 
die  so  erheblich  werden  kann,  daß  ihre  Behebung  nur  schwer 
erfolgt.  Wir  haben  in  mehr  als  einem  Viertel  unserer  Fälle 
dauernde  Obstipation  vermerkt.  Fast  das  gleiche  Zahlen¬ 
verhältnis  wurde  für  Typhen  mit  Diarrhöen  ermittelt.  Bei 
den  übrigen  Fällen  wechselten  Durchfälle  mit  Verstopfungen 
oder  bestanden  normal  geformte  Stühle.  Auch  zeigten  flüssige 
Stühle  häufig  nicht  das  charakteristische  Aussehen  der  Typhus¬ 
entleerungen  und  ließen  weder  die  ausgesprochene  Farbe  der 
Erbsensuppe  noch  die  sonst  deutliche  Schichtung,  noch  den 
spezifischen  Geruch  erkennen. 

Ein  solches  Verhalten  der  Typhusdejekte  ist  aber  in 
Wien  nicht  erst  in  den  letzten  Jahren  eingetreten,  sondern 
schon  früher  beobachtet  worden.  Die  aus  diesen  Beobach¬ 
tungen  resultierenden  diagnostischen  Folgerungen  haben  viele 


Wiener  Praktiker  schon  lange  gezogen.  Sie  lauten:  Das 
Fehlen  von  Durchfällen  oder  von  charakteri¬ 
stischen  Darmentleerungen,  das  Bestehen 
dauernder  Verstopfung  oder  die  regelmäßige 
Entleerung  geformter  Stühle  sprechen  durch¬ 
aus  nicht  gegen  die  Annahme  eines  Typhus 
abdominalis. 

In  manchen  Jahren  überwiegen  die  Obstipationen,  in 
anderen  die  Durchfälle.  Im  abgelaufenen  Jahre  fehlten  in 
unserem  Spitalsmaterial  Obstipationen  fast  vollkommen, 
während  in  den  Jahren  1904  und  1905  ein  Drittel  der 
Kranken  verstopft  war. 

Noch  größere  Differenzen  finden  wir  in  der  Häufigkeit 
und  der  Schwere  der  Darmblutungen.  In  manchen 
Jahren  haben  wir  Enterorrhagien  häufig  beobachtet,  namentlich 
1902  und  1904,  in  den  anderen  Jahren  viel  seltener,  im 
ganzen  in  allen  fünf  Jahren  26mal  unter  155  Fällen,  also  in 
rund  17Vo-  Aber  im  Jahre  1902  hatten  ein  Viertel  aller  Fälle, 
im  darauffolgenden  Jahre  nur  7V27o  der  Beobachtungen 
Enterorrhagien.  Weitaus  der  größte  Teil  der  Kranken  mit 
Darmblutungen  genas;  auch  wiederholte  Blutungen  führten 
nur  selten  Exitus  herbei.  Allerdings  schien  es  mir,  wie  wenn 
die  von  uns  konsequent  durchgeführte  innerliche  Darreichung 
von  Nebennierenpräparaten  bei  typhösen  Darmblutungen  die 
Gefährlichkeit  der  letzteren  wesentlich  herabgesetzt  hätte. 

Unter  den  Darmblutungen  sind  die  mitunter  im 
Rekonvaleszenzstadium  beobachteten  Spätblutungen  wegen 
des  anderen  Ursprunges  und  der  ganz  anderen  Prognose 
nicht  mitgerechnet.  Mehrmals  wurden  Kranke  wie  Angehörige 
der  Patienten  erst  infolge  einer  Darmblutung  auf  den  Ernst 
des  Leidens  aufmerksam. 

Auch  Erbrechen  haben  wir  nicht  selten  (21  mal)  im 
Verlaufe  der  Erkrankung  beobachtet ;  nie  war  diese  Kom¬ 
plikation  erschöpfend,  sie  spielte  eine  untergeordnete  Rolle 
mit  Ausnahme  eines  Falles,  der  mit  einer  schweren  Hämat- 
emesis  einsetzte.  Aus  Anlaß  der  Krankenvorstellung  dieser 
Beobachtung  in  der  Gesellschaft  für  innere  '  Medizin  hat 
Kollege  Schmidt  auf  einen  zweiten  analogen  Fall  aus  der 
N e u s s e r sehen  Klinik  hingewiesen.  Die  beiden  Beob¬ 
achtungen  zeigen,  daß  der  so  ungewöhnlich 
verlaufende  Wiener  Typhus  in  seltenen  Fällen 
und  wahrscheinlich  nur  unter  besonderen 
Bedingungen  mit  Hä matemesis- beginnen  kann. 

Das  überaus  schwere  Ereignis  einer  Perforations¬ 
peritonitis  konnten  wir  dreimal  beobachten,  stets  vom 
Tode  gefolgt  und  von  allem  Anbeginne  an  mit  solchem 
Kollaps,  daß  ein  chirurgischer  Eingriff  nicht  mehr  vorge¬ 
nommen  werden  konnte.  Es  ist  vielleicht  nur  ein  Zufall,  daß 
zwei  dieser  Fälle  Kinder  betreffen,  die  sonst  nur  sehr  selten 
Perforationsperitonitis  '  akquirieren  (Henoch,  R  i  e  1 1  i  e  z- 
Barthez,  G urschmann),  hängt  aber  vielleicht  doch 
damit  zusamen,  daß  in  manchen  Jahren  (1904)  gerade  die 
Kindertyphen  unserer  Beobachtung  besonders  schwer  verliefen. 

Den  Symptomenkomplex  einer  Perityphlitis  bei 
Typhus  haben  wir  mehrmals  beobachtet.  Ich  bin  überzeugt, 
daß  zu  wiederholten  Malen  folgenschwere  Irrtümer  sich  er¬ 
eignen  können,  wenn  diese  Erscheinungen  als  Frühsymptom 
eines  Typhus  auftreten.  Ich  habe  einen  unter  solcher  Diagnose 
operierten  Fall  beobachtet,  von  anderen  gehört,  in  einem 
Falle  selbst  die  Diagnose  auf  Perityphlitis  gestellt,  bis  andere 
Erwägungen  der  Diagnose  Typhus  zudrängten.  In  letzterem 
Falle  war  nach  Angina  tonsillaris  unter  heftigen  Schmerzen 
und  jäher  Temperatursteigerung  eine  druckempfindliche  Re¬ 
sistenz  in  der  rechten  Darmbeingrube  entstanden.  Die  Leuko¬ 
penie  und  relative  Bradykardie,  dann  die  positive  und  späterhin 
empfindlicher  werdende  Widal  sehe  Reaktion  ermöglichten 
die  Diagnose  in  den  nächsten  Tagen. 

Der  Milztumor  war  in  der  Regel  sehr  deutlich. 
Recht  oft  war  der  Milztumor  auffallend  groß  und  derb,  nicht 
druckempfindlich.  In  den  frühzeitig  zur  Beobachtung  ge¬ 
langenden  Fällen  war  er  in  der  Regel  schon  ausgesprochen. 

Cholezystitis  wurde  dreimal  beobachtet.  In  keinem 
Falle  kam  es  zu  schweren  Komplikationen.  Die  Gallenblase 


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war  als  Tumor  fühlbar,  sehr  druckempfindlich,  die  Körper¬ 
temperatur  stieg  erheblich  an.  Operative  Eingriffe  waren  nicht 
erforderlich. 

Parotitis  haben  wir  dreimal  gesehen,  zweimal  ver¬ 
lief  sie  ohne  Eiterung,  einmal  mit  Vereiterung  und  kon¬ 
sekutiver  Fazialis-llypoglossuslähmung,  einem  ganz  exzep¬ 
tionellen  Ereignis. 

Zu  wiederholten  Malen  haben  wir  Pneumonien  bei 
den  Typhen  sowie  Pneumotyphen  beobachtet.  Beginnt 
der  Typhus  mit  einer  kruppösen  Pneumonie  (Komplikation), 
so  kann  deren  Ablauf  durch  kritischen  Abfall  der  Temperatur 
sich  markieren.  Die  übrigen  Krankheitserscheinungen  können 
aber  ihre  weitere  Entwicklung  nehmen  und  auch  das'  Fieber 
nach  kürzerer  oder  längerer  Pause  neuerlich  einsetzen.  Die 
spät  einsetzenden  Pneumonien  sind,  wie  in  früheren  Epidemien, 
die  weitaus  gefährlicheren. 

Das  Aussehen  der  Wiener  Typhuskranken  entspricht 
schon  seit  längerer  Zeit  nicht  dem  Bilde,  das  man  sich  früher 
von  einem  Typhösen  machte.  Schwere  Benommenheit  ist 
nur  ausnahmsweise  vorhanden,  Delirien  fehlen  in  der  großen 
Mehrzahl  der  Fälle,  der  fuliginöse  Belag  der  Lippen,  die 
Trockenheit  der  Zunge  fehlen  in  der  Regel  bei  wohlgepflegten 
Kranken.  Man  kann  oft  im  Krankenhause  Ausrufe  der  Ver¬ 
wunderung  über  das  Aussehen  der  Kranken  von  seiten  er¬ 
fahrener  Aerzte  vernehmen,  die  Typhen  anderer  Städte  oder 
das  Bild  des  Wiener  Typhus  der  früheren  Zeit  kennen,  wenn 
sie  unsere  Typhuszimmer  durchwandern. 

Auffallend  ist  nur,  daß  viele  Kranke  Fragen  nicht  ver¬ 
stehen,  da  sie  im  Verlaufe  der  Erkrankung  schwerhörig 
geworden  sind.  Ich  habe  oft  einen  völligen  Parallelismus  der 
Schwerhörigkeit  mit  dem  Verlaufe  der  Erkrankung  beobachtet. 
Das  Maximum  der  Schwerhörigkeit  entsprach  der  Höhe  der 
Krankheit.  Mit  abfallendem  Fieber  schwand  die  Gehörstörung, 
um  mit  einem  eventuellen  Rezidiv  wiederzukommen.  Ich  fand 
22  Fälle  mit  Schwerhörigkeit  notiert.  Die  Zahl  ist  aber 
sicher  weit  höher.  In  vielen  Fällen  entwickeln  sich  eitrige 
Mittelohrprozesse  zumeist  unter  erheblichen  Schmerzen. 

Ungewöhnlich  kurz  wie  lang  dauernde  atypische 
Fälle  gelangen  bisweilen  zur  Beobachtung.  Gerade  die  kurz 
dauernden  sind  praktisch  sehr  wichtig,  da  sie  am  ehesten 
dazu  beitragen  können,  die  Krankheit  zu  verschleppen.  Ohne 
genaue  Untersuchung,  namentlich  ohne  Aufnahme  des  Blut¬ 
befundes  und  des  bakteriologischen  Befundes  ist  die  Diagnose 
solcher  Fälle  fast  unmöglich.  Den  kürzest  währenden  bakterio¬ 
logisch  vollkommen  sichergestellten  Fall  haben  wir  im  Vor¬ 
jahre  beobachtet  —  Dauer  des  Fiebers  drei  Tage.  Es  handelte 
sich  um  Spitalsinfektion.  Der  Verdacht  auf  Typhus  war  schon 
am  ersten  Tage  rege.  Milztumor  konnte  noch  während  der 
Fieberperiode  nachgewiesen  werden.  Achttägigen  Typhus 
habe  ich  beobachtet,  mehrere  weitere  Fälle  wurden  an 
anderen  Spitalsabteilungen  gesehen.  Die  Roseolaeruption  war 
in  diesem  Falle  reichlich,  die  Diagnose  daher  leicht. 

In  manchen  Fällen  dürfte,  wie  früher  erwähnt,  die 
kurze  Dauer,  das  bisweilen  nur  geringe  Krankheitsgefühl  die 
Kranken  veranlassen,  bald  wieder  dem  Berufe  nachzugehen. 
Da  noch  längere  Zeit  Bazillen  mit  dem  Stuhl  und  Harn  ausge¬ 
schieden  werden,  liegt  die  Gefahr  einer  Weiterverbreitung 
durch  solche  Fälle  nahe. 

Selbstverständlich  werden  die  ambulatorischen 
Typhen  in  dieser  Hinsicht  und  für  die  Kranken  noch  weit 
bedenklicher  sein.  Ambulatorische  Fälle  hat  es  wohl  stets  in 
Wien  gegeben  und  gibt  es  beständig.  Vor  kurzem  wurde  in 
den  Tageszeitungen  viel  über  einen  solchen  Fall  geschrieben 
und  wurden  für  die  Aerzte  —  wohl  mit  Unrecht  —  wenig 
schmeichelhafte  Kommentare  zu  dem  Falle  hinzugefügt. 

Gewiß  laufen  viele  Typhen  ab,  ohne  daß  Aerzte  über¬ 
haupt  intervenieren  können,  oder  ohne  Verdacht  auf  eine 
schwerere  Erkrankung;  habe  ich  doch  zu  wiederholten  Malen 
sogar  bei  Kollegen  ambulatorische  Typhen  beobachtet.  Im 
verflossenen  Jahre  stellte  sich  ein  Kollege  bei  einer  Visite 
ein,  machte  sie  mit  und  teilte  dann  mit,  daß  er  glaube, 
Typhus  zu  haben.  Der  Kollege  hatte  recht;  es  war  ein  Typhus 


am  Schluß  der  Fieberperiode.  Der  Patient  hatte  bis  zu  diesem 
Tage  seine  sehr  anstrengende  Landpraxis  ausgeübt. 

Ein  Mann,  der  seine  an  Typhus  erkrankte  Frau  be¬ 
suchte,  teilte  mir  mit,  daß  seine  ganze  Familie  erkrankt  sei, 
nur  er  sei  von  Typhus  verschont.  Ich  untersuchte  ihn  aus 
Neugier  und  fand  einen  Typhus,  der  wenige  Tage  später  zu 
fiebern  aufhörte.  Dem  Kranken  fehlte  derart  das  Krankheits¬ 
gefühl,  daß  er  lebhaft  gegen  die  Spitalsaufnahme  protestierte. 

Eine  Köchin  hatte  sich  angeblich  eine  Fischvergiftung 
zugezogen  und  war  mit  einem  scharlachähnlichen  Exanthem  ein¬ 
geliefert  worden.  Ich  untersuchte  die  Patientin  am  angeblich 
zweiten  Krankheitstage.  Es  war  ein  voll  entwickelter  Typhus 
mit  sehr  großer  Milzschwellung ;  nach  zwei  Tagen  begann 
die  Rekonvaleszenz.  Die  Kranke  war  bis  zur  Spitalsaufnahme 
ihrem  Berufe  nachgegangen. 

Ein  Kranker  wurde  mit  subfebrilen  Temperaturen  und 
Milztumor  aufgenommen.  Eine  Roseolaeruption  mit  staffel¬ 
förmigem  Temperaturanstieg  zeigte,  daß  ein  Typhusrezidiv 
vorlag.  Den  Typhus  selbst  hatte  Pat.  ambulatorisch  bei  an¬ 
strengender  Beschäftigung  zugebracht. 

Manche  ätiologisch  rätselhafte  Typhusinfektion  wird 
vielleicht  durch  solche  ambulatorische  Typhen  bedingt  sein. 

Ungewöhnlich  lang  dauernde  Fälle  haben 
wir  ziemlich  oft  gesehen,  namentlich  im  verflossenen  Jahre 
und  im  Jahre  1904,  darunter  zu  wiederholten  Malen  Patienten 
mit  mehrmonatlicher  Dauer  der  Krankheit.  Neunzehnmal 
unter  155  Fällen  fand  ich  längere  Krankheitsdauer  ver¬ 
zeichnet;  es  handelte  sich  um  lenteszierende  Fälle.  Diese 
Erkrankungen  wiesen  aber  anscheinend  keine  wesentlich 
größere  Mortalität  auf  als  die  kürzer  verlaufenden  Typhen. 

Rezidive  waren  nicht  besonders  häufig  (13mal)  und 
zumeist  auch  nicht  sehr  schwer.  Sie  boten  in  der  Regel  keine 
Besonderheiten  dar. 

Eine  hämorrhagische  Form  gelangte  nur 
einmal  zur  Beobachtung.  Dieser  Fall,  eine  Schwester  betreffend, 
die  sich  bei  der  Wartung  infiziert  und  tuberkulöse  Antezeden- 
tien  hatte,  führte  in  wenigen  Tagen  unter  Blutungen  aller 
möglichen  Organe  zum  Tode. 

Bezüglich  der  Diagnose  möchte  ich  bemerken,  daß 
sämtliche  Fälle  durch  bakteriologische,  Blut-,  seltener  Stuhl- 
und  Harnuntersuchung,  durch  die  wiederholte  Vornahme  der 
G r  u  b  e r- Wi d  a  1  sehen  Reaktion,  viele  auch  durch  den 
Nachweis  einer  Leukopenie  und  den  positiven  Ausfall  der 
Diazoreaktion  und  durch  den  klinischen  Befund  sicher¬ 
gestellt  waren. 

Wenn  wir  nun  die  sehr  wichtige  Frage  nach  der  Ge¬ 
fährlichkeit  des  Wiener  Typhus  erörtern,  so  gelangen  wir 
zu  dem  bedauerlichen  Resultate,  daß  die  Erkrankung 
in  den  letzten  Jahren  eine  hohe  Mortalität 
auf  weist.  Ich  kann  mich  des  persönlichen  Eindruckes 
nicht  erwehren,  daß  der  Abdominaltyphus  in  Wien  schwerer 
geworden  ist. 

Unsere  Kranken  werden  außerordentlich  sorgfältig  ge¬ 
pflegt,  besondere  Aufmerksamkeit  wird  der  Ernälirung  zu¬ 
gewendet,  hydriatische  milde  Prozeduren  gelangen  fortwährend 
zur  Anwendung  und  dennoch  hatte  ich  unter  meinen  155 
Kranken  22  Todesfälle  (zirka  147o)-  Allerdings  muß  berück¬ 
sichtigt  werden,  daß  dem  Krankenhause  viele  besonders 
schwere  Fälle  mit  Komplikationen  überwiesen  werden.  Dem 
stehen  aber  wieder  jene  leichten  Fälle  gegenüber,  die  nur 
durch  bakteriologische  Diagnose  sichergestellt  und  in  der 
Privatpraxis  zumeist  verkannt  werden.  Im  ganzen  Kranken¬ 
hause  (in  welchem  drei  innere,  annähernd  gleich  große 
Abteilungen  mit  alternierender  Krankenaufnahme  sich  befinden) 
waren  in  der  gleichen  Zeit  nach  einer  freundlichen  Mitteilung 
Prof.  Kretz’  71  Todesfälle  an  Typhus  erfolgt. 

Auch  die  offiziellen  Daten,  die  angezeigten  Typhen  von 
ganz  Wien  betreffend,  ergeben  Mortalitätsprozente,  die  von 
der  Schwere  der  Infektionen  Zeugnis  ablegen.  Ich  berechnete 
aus  der  amtlichen  Statistik  der  Jahre  1902  bis  1907  für 
ganz  Wien  eine  Typhusmortalität  von  18%  (356  Todesfälle 
unter  1950  Erkrankungen),  also  eine  noch  höhere  Sterblich¬ 
keit  als  im  Krankenhause,  darunter  das  Jahr  1905  mit  20% 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


497 


Gesainlmortalit.ät,  während  1902  nur  (!)  lö'OVo  MortaliläL 
aufvveist.*)  Dabei  wird  nach  meinen  Erfahrungen  der  Abdominal- 
typhus  in  Wien  durchwegs  nach  modernen  Prinzipien  be¬ 
handelt  und  es  werden  dadurch  gewiß  hunderte  Kranke  vor 
dem  Tode  bewahrt. 

Im  Vergleich  mit  anderen  Städten  ist  die  Zahl  der 
Erkrankungen  wohl  relativ  gering,  die  Schwere  der  Infektion 
aber  größer  als  in  vielen  anderen  mit  Typhus  verseuchten 
Orten.  Die  Mortalität  erreicht  oft  dieselbe  Hohe  wie  vor  Ein¬ 
führung  der  jetzt  allgemein  üblichen  Behandlungs weise  des 
Typhus.  So  ergab  eine  Zusammenstellung  von  Murchisen 
aus  den  Vierziger-  bis  Sechzigerjahren  des  vorigen  Jahr¬ 
hunderts  für  über  18.000  Fälle  18-57o  Mortalität.  21.000 
Wiener  Fälle  aus  den  Jahren  1846  bis  1801  hatten  22-27o 
Mortalität.  Die  Hamburger  Epidemie  1886/1887  hatte  bei 
10.800  Erkrankungen  8-57o  Mortalität.  Curschmanns 
Zusammenstellung  von  3600  in  Berlin,  Hamburg  und  Leipzig 
behandelten  Fällen  ergab  eine  Gesamtsterblichkeit  von  9-37, ,. 
Er  meint,  daß  man  nach  den  heutigen  Erfahrungen  die 
Mortalität  auf  9  bis  12,  höchstens  auf  147o  veranschlagen 
müßte.  Und  wir  haben  in  Wien  zwischen  16  und 
207o  Mortalität!  Für  die  sieben  Jahre,  1900  bis  1907, 
berechnete  ich  nach  den  offiziellen  Angaben  für  3060  Typhus¬ 
kranke  eine  durchschnittliche  Mortalität  von  nahezu  187o  ■ 
Wenn  ich  den  Fortschritt  in  der  Behandlungsweise  in  An¬ 
rechnung  bringe,  möchte  ich  meinen,  daß  der  Wiener  Typhus 
in  den  letzten  Jahren  so  bösartig,  wenn  nicht  bösartiger  ist 
als  vor  fünfzig  Jahren  vor  Einleitung  der  Hochquellenleitung. 

Nur  wenige  unserer  Kranken  starben  unter  den  Sym¬ 
ptomen  einer  allgemeinen  schweren  Intoxikation ;  auch  ver¬ 
loren  wir  nur  wenige  Kranke  an  Darmblutungen.  Wir  haben 
nur  dreimal,  wie  früher  bemerkt,  Perforationsperitonitis  beob¬ 
achtet.  Die  meisten  Todesfälle  ereigneten  sich  im  Gefolge 
von  Pneumonien,  denen  der  geschwächte  Organismus  der 
Kranken  keinen  rechten  Widerstand  entgegenzusetzen  ver¬ 
mochte.  Bei  der  geringen  Zahl  der  Beobachtungen  lassen 
sich  aus  diesen  Wahrnehmungen  keine  Schlußfolgerungen 
ziehen. 

Dies  sind  einige  unserer  Beobachtungen  über  die  Aen- 
derungen  im  Bilde  des  Wiener  Typhus. 

♦ 

Ich  möchte  meine  Ausführungen  folgendermaßen  zu¬ 
sammen  fassen: 

Der  Wiener  Typhus  weicht  in  den  letzten  Jahren  oft 
von  dem  allgemein  bekannten  Bilde,  den  Schulfällen,  ab. 

Besonders  hervorhebenswert  sind;  die  häufige  Ver¬ 
spätung  der  Roseola  bis  in  die  Rekonvaleszenz  hinein,  das 
Auftreten  atypischer  Roseola  und  der  plötzliche  Beginn  mit 
Schüttelfrost  in  vielen  Fällen. 

Weiters  ist  zu  betonen,  daß  Herpes  labialis  und  Schweiße 
nicht  zu  den  ganz  seltenen  Vorkommnissen  des  Wiener 
Typhus  gehören. 

Hohe  Pulsfrequenz  ist  nicht  selten  und  ihr  Auftreten 
nicht  immer  ominös.  Das  typhöse  Aussehen  fehlt  den  meisten 
gepflegten  Kranken.  Der  Milztumor  ist  oft  auffallend  groß 
und  derb. 

Atypische  kurze  und  namentlich  ambulatorische  Typhen 
sind  nicht  sehr  selten ;  ungewöhnliche  Symptome  werden 
relativ  oft  beobachtet. 

Die  Gefährlichkeit  des  Wiener  Typhus  ist  leider  eine 
erhebliche.  Im  Interesse  der  gesamten  Bevölkerung  wäre 
dringend  zu  wünschen,  daß  neue,  namentlich  serotherapeuti¬ 
sche  Heilbestrebungen  vollen  Erfolg  finden  möchten. 


*)  Herr  Schirmer  stellte  aus  den  amtlichen  Mitteilungen  fol¬ 
gende  Mortalitätsziffern  zusammen:  Mortalität  im  Jahre  1900  —  19'4“/o, 
1901  —  18-87o,  1902  —  16-67o,  1903  —  19-l»/o,  1904  —  1717o. 


Aus  der  k.  k.  Universitäts-Kinderklinik  in  Wien. 

(Vorstand:  Prof.  Escherich.) 

Vorschlag  einer  klinischen  Prüfung  der  Fett¬ 
resorption. 

Vorläufige  Mitteilung  von  Dr.  Adolf  F.  Hecht. 

Nur  die  Bestimmung  der  F  e  ttaus  n  ü  tz  un  g  ist  ein 
brauchbarer  Maßstab  für  die  Beurteilung  der  Fettresorption. 
Die  meist  für  klinische  Zwecke  geübte  Bestimmung  des  Ver¬ 
hält  hisses  vom  Fettgehalt  zum  Trockenkot  ist 
recht  unzuverlässig.  Die  Ueberlegung,  daß  vor  allem  eine 
reichliche  Sekretion  von  Darmsaft,  dann  aber  auch  die  Zu¬ 
nahme  von  Bakterienflora  und  die  Verschlechterung  der  Aus¬ 
nützung  der  übrigen  Bestandteile  der  Nahrung  geeignet  sind, 
den  relativen  Fettgehalt  des  Stuhles  herabzudrücken, 
deckt  sich  vollkommen  mit  den  praktischen  Erfahrungen,  die 
sich  bei  fortlaufenden  Fettbestimmungen  im  Stuhl  ergeben. 

Die  Forderung  nach  einer  exakten  Methode  ist  durch 
die  Bestimmung  des  Resorptions  Verhältnisses  allerdings  er¬ 
füllt,  aber  die  quantitative  Bestimmung  des  gesamten  in  drei 
Tagen  entleerten  Kotfettes  ist  besonders  bei  Patienten  in  der 
frühesten  Kindheit  mit  so  großen  Schwierigkeiten  verbunden, 
daß  diese  im  übrigen  auch  sehr  zeitraubende  Methode  gewiß 
auch  keinen  Anspruch  auf  allgemeinere  Verbreitung 
machen  kann. 

Auf  der  Suche  nach  einer  klinisch  brauchbaren  ein¬ 
fachen  Methode  der  Bestimmung  der  Fettausnützung  ging  ich 
von  folgender  Ueberlegung  aus:  Man  setzt  den  Pat.  auf  so¬ 
zusagen  fettfreie  Kost  und  bestimmt  nun  in  einer  beliebigen 
Stuhlportion  den  relativen  Fettgehalt  des  Stuhles  auf  Trocken¬ 
kot  bezogen.  Dann  gibt  man  eine  fetthaltige  Nahrung  von 
bekanntem  Fettgehalte  und  analysiert  nun  diejenigen 
möglichst  quantitativ  aufgefangenen  Stuhlgänge,  in  denen  man 
nach  dem  makroskopischen  Aussehen  Verdauungsrückstände 
der  fetthaltigen  Nahrung  vermuten  kann.  Ihre-  Zugehörigkeit 
zu  dieser  Mahlzeit  stellt  sich  eventuell  auch  bei  der  Analyse 
heraus,  indem  sie  einen  höheren  relativen  Fettgehalt  auf¬ 
weisen.  Hierauf  sinkt  derselbe  wieder  ab,  wenn  auf  die  fett¬ 
haltige  Nahrung  wieder  fettfreie  gefolgt  ist.  Das  Plus  an  aus¬ 
geschiedenem  Fett  gegenüber  dem  bei  fettfreier  Nahrung  im 
Stuhl  gefundenen  kann  man  nun  als  das  aus  der  fetthaltigen 
Mahlzeit  in  Verlust  gegangene  Fett  ansehen  und  auf  das 
Nalirungsfett  beziehen,  um  die  Ausnützung  desselben  zu 
berechnen. 

Eine  genaue  Abgrenzung  des  Stuhles  ist 
bei  d  i  e  s  e  m  V  0  r  g  e  h  e  n  nicht  nötig.  Es  schadet  nichts, 
wenn  ein  Teil  des  fettfreier  Nahrung  entsprechenden  Stuhles 
hinzugerechnet  wird,  weil  wir  ja  den  Fettgehalt  derjenigen 
Stühle,  die  fettarmer  Nahrung  entsprechen,  ohnehin  in  Abzug 
bringen.  Es  könnte  höchstens  dadurch  ein  Fehler  entstehen, 
daß  ein  Teil  desjenigen  Stuhles  verloren  geht,  welcher  das 
Nahrungsfett  enthält.  Das  ist  aber  leicht  zu  vermeiden,  da  es 
sich  um  ganz  wenige  —  etwa  zwei  bis  drei  —  Stuhlgänge 
handelt.  Man  bekommt  demnach  fast  das  gleiche  Resultat, 
ob  man  einen  Stuhl  der  fettfreien  Vor-  oder  Nachperiode 
hinzugibt  oder  nicht. 

Als  fast  fettfreie  Nahrung  kann  die  Milchmalzsuppe 
nach  der  Vorschrift  Kellers  gelten,  die  mit  dem  dritten 
Teile  ihres  Gesamtvolumens  Magermilch  zubereitet  ist.  Die 
durch  Zentrifugieren  erhältliche  Magermilch  hat  einen  Fett¬ 
gehalt  von  0'2"/„ ;  das  gibt  bei  1  Liter  Milchmalzsuppe  iin 
Tage  7-2  g  Milchfett.  Nun  enthalten  aber  auch  das  Weizen¬ 
mehl  und  der  Malzextrakt  Fett,  so  daß  sich  in  meinem  Ver¬ 
buche  das  Gesamtfett  der  Milchmalzsuppe  doch  auf  0‘297o 
stellte.  Es  folgt  nun  der  Bericht  über  eine  Versuchsanordnung, 
die  die  Durchführbarkeit  der  Methode  beweist : 

Josef  S.,  12  Monate  alt,  durch  sechs  Wochen  Brust, 
seither  künstlich  genährt,  klein,  schwächlich,  mager  und  blaß. 
Er  erhält  zunächst  in  drei  Tagen  zusammen  3600  g  Milch  von 
einem  Fettgehalte  von  2-487o,  ^Iso  eine  Gesamtfettmenge 
von  89  28  g. 


498 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


Dann  wurde  ihm  eine  Milchmalzsuppe  vom  Fettgehalte 
0’297o  durch  drei  Tage  gereicht  und  so  10'2G6  g  Fett  zu¬ 
geführt. 

Daran  schloß  sich  neuerdings  eine  zweitägige  Milch¬ 
periode,  in  der  das  Kind  nur  1970  g  Milch  von  einem  Fett¬ 
gehalte  von  3-05 7o  trank  und  so  60  085  g  Fett  aufnahm. 

In  der  ersten  Milchperiode  wog  der  Trockenstuhl  44'2  g, 
der  Aetherextrakt  betrug  10'77o  davon.  In  der  Müchmalz- 
suppen-Periode,  in  welcher  täglich  5  bis  6  braune,  flüssige, 
sauer  reagierende  Stühle  abgesetzt  wurden,  betrug  das 
Gewicht  des  trockenen  Stuhles  32T2  g,  der  darauf  bezogene 
Fettgehalt  nur  5'27o- 

In  der  zweiten  Milchperiode  bei  deutlicher  Dyspepsie 
wiegt  der  Trockenstuhl  30'4'3  g,  der  Aetherextrakt  beträgt  10‘57o- 
Wir  sehen  also,  daß  in  der  zweiten  Milchperiode  die 
Ausnützung  schon  nach  der  makroskopischen  Beschaffenheit 
der  Stühle  eine  schlechtere  sein  muß  als  in  der  ersten  Milch¬ 
periode  und  doch  betrug  der  auf  den  Trockenkot  bezogene 
Fettgehalt  nur  mehr  10’57o  gegenüber  10‘77o  der  ersten 
Periode,  ein  neuer  Beweis  für  die  Unzuverlässigkeit  dieser  so 
verbreiteten  Untersuchungsmethode. 

Vergleichen  wir  nun  die  auf  die  Fettzufuhr  in  der 
Nahrung  bezogenen  durch  die  Fäzes  erfolgten  Fettverluste,  so 
finden  wir  für  die 

erste  Milchperiode . 5'37o  Verlust 

Milchmalzsuppen-Periode  .  .  .  16‘3‘^/o 

zweite  Milchperiode . 6‘577o  » 

Nun  kann  man  aber  das  im  Stuhl  bei  fast  fettfreier 
Nahrung  erscheinende  Fett  für  ausgeschiedenes  Fett  halten 
analog  wie  beim  Hungerstuhl.  Bringen  wir  demnach  diese  aus 
der  Milchmalzsuppen-Periode  für  die  beiden  Milchperioden  be¬ 
rechneten  Fettmengen  in  Abzug,  "so  stellen  sich  die  korrigierten 
Fettverluste  wesentlich  anders  dar,  nämlich  für  die 

erste  Milchperiode . ca.  2-77o 

Milchmalzsuppen-Periode . D'07o 

zweite  Milchperiode . T’37o 

Wir  sehen  nunmehr  bei  den  so  korrigierten  Fettverlusten 
einen  erheblichen  Anstieg  der  Fettmenge  in  der  zweiten 
Milchp  eriode  gegenüber  der  ersten,  wie  dies  auch  klinisch  zu 
erwarten  war. 

In  der  Milchmalzsuppen-Periode  habe  ich  nun  am 
dritten  Tage  eine  Milchmahlzeit  zu  200  cm^  mit  einem  Fett¬ 
gehalte  von  5'984  g  eingeschaltet.  Von  den  darauf  folgenden 
Stühlen  war  nun  der  erste  lichter  gefärbt,  wog  trocken 
12-343  g  und  hatte  einen  Aetherextrakt  von  0  849  g,  also 
einen  relativen  Fettgehalt  von  6-97o-  Der  zweite  Stuhl  — 
kaum  mehr  heller  gefärbt  —  wog  trocken  4-517  g  und  hatte 
bei  einem  Aetherextrakt  von  0-219  g  nur  mehr  einen  relativen 
Fettgehalt  von  4-97o- 

Berechnet  man  den  korrigierten  Fettverlust  nur  aus  dem 
ersten  Stuhle,  so  ergibt  sich  ein  solcher  von  3-477o-  Nimmt 
man  aber  auch  den  zweiten  Stuhl  hinzu,  so  beträgt  der  Fett¬ 
verlust  3-27o- 

Man  sieht  also  daraus,  daß  der  Fehler  nur  sehr  unbe¬ 
deutend  ist,  wenn  eine  zu  große  Stuhlmenge  zur  Bestimmung 
verwendet  wird,  sowie  auch,  daß  der  Verlust  —  nach  meiner 
Methode  bestimmt  —  dem  Resultate  der  exakten  Aus¬ 
nützungsversuche  so  nahe  kommt,  als  dies  für  klinische 
Zwecke  notwendig  ist.  Denn  der  korrigierte  Fettverlust  be¬ 


trägt  für  die 

erste  Milchperiode . 2  7 7o 

zweite  Milchperiode . T-37o 


und  für  den  Intervall  zwischen  diesen  beiden  nach  der  in 
Vorschlag  gebrachten  Methode  3-2,  resp.  3-477o- 


Gutachten  der  Wiener  medizinischen  Falkultät. 

Referent:  Prof.  Wagner  v.  Jauregg-. 

A 1 1  -  W  c  i  1j  e  r  1  i  c  b  e,  Sadismus,  t'  r  a  g  1  i  c  li  c  r  Lust  m  o  r  d. 

Der  in  folgendem  mitzuteilende  Fall  ist  nicht  mir  vom 
forensisch-psychiatrischen  Standpunkt  aus  hemerkenswert,  sondern 
er  hat  aucli  ein  großes  Interesse  für  die  Psychopatliologie  des  Ge- 
schlechlslehens.  Und  zwar  in  zweifacher  Hinsicht. 


Erstens  ist  es  ein  ausgesprochener  Fall  von  geschlechtlicher 
Hinneigung  eines  JMannes  zu  alten  Frauenspersonen.  Diese  Ano¬ 
malie  des  geschlechtlichen  Empfindens  ist  gewiß  nicht  häufig. 
Einen  eingehender  geschilderten  Falt  habe  ich  bisher  in  der  ein¬ 
schlägigen  Literatur  nicht  auffinden  können. 

Krafft-Ehing  hat  zwar  die  Hinneigung  zu  alten  Männern 
als  Gerontophilie  heschriehen;  er  versteht  aber  darunter  die  homo¬ 
sexuelle  Hinneigung  zu  greisenhaften  IMännern.  Eine  hetero¬ 
sexuelle  Neigung  zu  alten  Personen  kommt  ferner  u.  zw.  hei 
beiden  Geschlechtern  gewiß  nicht  selten  vor;  dann  handelt  es 
sicli  aber  meistens  um  Hinneigung  zu  einer  bestimmten  alten 
Person,  oh  Mann  oder  Weih. 

Das  Charakteristische  des  vorliegenden  Falles  ist  dagegen, 
daß  der  geschlechtliche  Reiz  nicht  von  einer  bestimmten  Person, 
sondern  von  dem  alten  Weibe  an  und  für  sich  ausgeht.  Man 
könnte  also  diese  Anomalie  des  geschlechtlichen  Empfindens  als 
eine  Art  von  Fetischismus  bezeichnen;  die  physische  Beschaffen¬ 
heit  des  alten  Weihes  ist  hier  der  Fetisch. 

Zweitens  zeigt  cler  Fall  in  selten  klarer  Weise  die  Ent¬ 
stehungsgeschichte  der  geschlechlliclien  Verkehrtheit.  Er  ist  ein 
überzeugendes  Beispiel  für  die  Richtigkeit  der  Theorie,  die  Binot 
vertritt:  irgendwelche  Komplexe  von  Vorstellungen  und  Empfin¬ 
dungen,  die  mit  dem  ersten  Erwachen  des  Geschlechtslebens  Zu¬ 
sammentreffen,  können  hei  Prädisponierten  in  eine  so  innige 
assoziative  Verbindung  mit  dem  gescldechtlichen  Empfinden  treten, 
daß  diese  Verbindung  dauernd  hestehen  bleibt  und  durch  spätere 
Erlebnisse  nicht  mehr  oder  nur  sehr  schwer  zu  lösen  ist. 

R.  K.,  von  dem  sogleich  die  Rede  sein  wird,  ist  des  ersten 
geschlechtlichen  Verkehres  durch  A4rführung  von  seiten  eines 
alten  Weihes  teilhaftig  geworden;  seither  fühlt  er  sich  geschlecht¬ 
lich  nur  zu  alten  Weibern  hingezogen. 

* 

Ergebnisse  aus  den  Akten. 

Am  1.  Mai  1900  wurde  in  F . dorf  in  Oherösterreich  die 

zirka  64jährige  Häuslerin  Sch.,  auf  dem  Fußboden  ihres  AVohn- 
zimmers  liegend,  tot  aufgefunden. 

Die  näheren  Umstände  ließen  keinen  Zweifel  aufkomrnen, 
daß  die  Sch.  eines  gewaltsamen  Todes  gestorben  war. 

Um  den  Hals  der  Ermordeten  war  ein  grobes  Bauernschnupf- 
tuch  mit  einem  einfachen  Knoten  in  der  Höhe  des  Kehlkopfes  so 
fest  zugezogen,  daß  sich  um  den  ganzen  Hals  herum,  entsprechend 
dem  geknüpften  Tuche,  eine  ca.  2  cm  breite  Strangulierungs- 
furche  gebildet  hatte.  Die  Obduktion  ergab  als  Todesursache 
Erstickung. 

Außerdem  fanden  sich  aber  an  dem  Kadaver  Zeichen  vor, 
die  auf  einen  Kampf  schließen  ließen,  welcher  der  Erdrosselung 
-  vorangegangen  war. 

Das  Nasenbein  Avar  gebrochen  und  aus  der  Nase  war  ein 
bedeutender  Bluterguß  erfolgt.  Am  Stirn-  und  Scheitelbein  der 
linken  Seite,  teilweise  bis  zur  AATmge  herablaufend,  fanden  sich 
mehrere  fingerdicke,  bis  9  cm  lange  Striemen,  die  nach  dem 
Gutachten  der  Gerichtsärzte  nur  \mn  Stockscblägen  herrühren 
konnten.  Ferner  fanden  sich  Hautabschürfungen  und  Blutunter¬ 
laufungen  vor  an  Stirn-  und  Scheitelgegend,  am  Nasenrücken, 
am  Jochbein,  am  reebten  Vlimdwinkel  und  an  der  linken  Ober¬ 
und  Unterlippe. 

Ferner  fanden  sich  Kratzverletzungen  am  Kinn  und  am 
Halse;  Blutunterlaufungen  und  Hautabschürfungen  am  rechten 
Darmbein  und  an  beiden  Knien. 

Der  jMord  mußte  in  den  frühen  Amrmittagstunden  stattge¬ 
funden  haben,  denn  der  Sohn  der  Sch.  hatte  das  Haus  um  VaV.Uhr 
früh  verlassen  und  man  fand  das  Frühstücksgeschirr  noch  un- 
abgcAvaschen  vor. 

AATe  sich  später  herausstellte,  hatte  der  unbekannte  Täter 
außerdem  drei  Paar  Stiefel  entwendet. 

Die  Einvernahme  der  in  der  Nachbarschaft  der  Sch.  woh¬ 
nenden  Personen  ergab  bald  reichliche  Anhaltspunkte,  die  zur 
Eruierung  des  Täters  beitragen  konnten. 

Zahlreiche  Personen  hatten  nämlich  am  1.  Alai  vormittags 
teils  in  der  Richtung  zum  Tatort,  teils  in  der  Richtung  vom  Tatort 
gehend,  einen  unheimlich  aussehenden  Alenschen  gesehen,  dessen 
Aeußeres  und  dessen  Kleider  sie  genau  und  übereinstimmend 
beschrieben. 

Die  Personen,  Avelche  den  Täter  gegen  das  Haus  der  Sch. 
zu  hatten  gehen  sehen,  gaben  als  Zeitpunkt  der  Begegnung  7  bis 
8  Uhr  früh,  diejenigen,  Avelche  ihn  vom  Tatort  weggelum  gesehen 
hatten,  10  bis  12  Uhr  vormittags  an;  die  letzteren  gaben  außer¬ 
dem  an,  daß  der  Fremde  drei  Paar  Röhrenstiefcl  unter  dem 
Arme  getragen  habe. 

Es  AA'urde  außerdem  bald  eruiert,  daß  am  8.  Mai  zwischen 
3  und  4  Uhr  nachmittags  ein  Mann,  auf  den  die  Beschreibung 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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<^^1’  F . (lorfcr  Eiinvohner  i)aß[o,  (Rm;  Raiionn  H.  in  ]\I.  (zirka 

15  km  voiii  Talort  eiilfenil)  dan  J’aar  Slielel  vorkanft  hatte, 
welche  Slicl'el  als  die  aus  dem  Hause  der  Sch.  gestohlenen  er¬ 
kannt  wurden. 

Tatsächlicli  meldete  auf  Grund  der  erlassenen  Verlaulhariing 
schon  am  30.  Mai  der  Gendaiinerieposlen  in  Groß-R.,  daß  die 
Pcrsonbeschreihung  des  unbekannten  iMörders  der  Sch.  treffend 
aid'  einen  gewissen,  mehrfach  vorheslraften  Taglöhncr  R.  K.  passe, 
der  sich  auch  durch  eine  geAvisse  Scheu  vor  Wachorganen  ver¬ 
dächtig  mache. 

Auf  Grund  dieser  Älitteilung  Avurde  R.  K.  ausgeforscht  und 
am  25.  Jnni  1900  in  Oher-Sch.  in  Oherösterreich  verhaftet. 

Die  Erhehungen  ergaben  bald  gegen  K.  einen  sehr  be¬ 
lastenden  IndizienhcAA'eis.  K.  Avurde  von  fast  allen  30  Personen, 
die  dem  mutmaßlichen  Mörder  der  Sch.  atn  1.  Mai  begegnet 
hatten, ^  teils  mit  voller  Restimmlheit,  teils  mit  großer  Wahr¬ 
scheinlichkeit  als  dieser  Mann  agnosziert. 

Ferner  mißlangen  sämtliche  mit  großer  Hartnäckigkeit  an- 
gestelKen  Versuche  des  K.,  ein  Alibi  für  die  Zeit  der  Tat  iiachzu- 
weisen;  im  Gegenteil  konnte  feslgestellt  Averden,  daß  K.  in  der 
Zeit  vom  30.  April  vormittags  bis  zum  1.  Mai  abends  von  nieman¬ 
dem  in  seinem  damaligen  Aufenthaltsort  in  E.  gesehen  AA’orden  war. 

Außerdenj  Avecliselte  K.  seine  ein  Alibi  bcAAmisen  sollenden 
Angaben  Aviederbolt,  Avoraus  sich  die  xVbsicbt,  die  Richter  irre¬ 
zuführen,  offen  erkennen  ließ. 

Dabei  stellte  sich  auch  heraus,  daß  K.  eine  falsche  Ein¬ 
tragung  in  sein  Arbeitsbuch,  als  oh  er  an  einem  bestimmten  Ar¬ 
beitsplatz  Amm  30.  April  bis  zum  23.  Juni  ununterbrochen  ge¬ 
arbeitet  hätte,  erschlichen  hatte. 

Tatsächlich  Avar  K.  zur  Zeit  der  Tat  in  keinem  Arbeits- 
A^erhältnis  gestanden. 

Dagegen  Avurde  festgestellt,  daß  K.  vom  30.  April  früh  bis 
zum  1.  Mai  abends  seinen  Unterstand,  resip.  sein  Nachtlager  bei 
einem  Häusler  in  E.  nicht  aufgesucht  hatte. 

Es  Avurde  ferner  auch  erhoben,  daß  K.,  obwohl  in  sehr 
prekären  Geldverhältnissen  lebend,  sich  Mitte  Mai  neue  Kleider 
angeschafft  hatte,  da  er  sich  in  seiner  alten,  in  verschiedenen 
Steckbriefen  beschriebenen  Kleidung  nicht  sicher  fühlen  mochte. 
Daß  er  sich  ferner  in  E.  am  1.  Mai  den  Bart,  den  er  früher  trug, 
abrasieren  ließ. 

Auf  das  mutmaßliche  Motiv  der  Tat  des  K.  Avarfen  Umstände 
ein  grelles  J.jicht,  die  gleich  bei  seiner  Inhaftsetzung  bekannt 
Avurden.  K.  Avurde  nämlich  auch  vom  Bezirksgericht  P.  Avegen 
zAveier  Notzuchtsdelikte  verfolgt,  die  er  sich  am  16.  Juli  und  am 
8.  August  1899  hatte  zuschulden  kommen  lassen. 

Die  beiden  Fakten  trugen  sich  folgendermaßen  zu.  Am 
16.  Juli  hatte  K.  tagsüber  ziemlich  Adel  getrunken,  so  daß  er 
abends  leicht  berauscht  Avar.  Er  AA'urde  dabei  auch  geschlecht¬ 
lich  ziemlich  erregt,  denn  auf  dem  HeiniAA^eg,  durch  den  Ort  Pr, 
Avollte  er  sich  schon  an  zAA^ei  Frauen  vergreifen,  die  ihn  aber 
energisch  zurückAviesen.  Als  er  dann  zum  Armenhaus  kam,  trat 
er  in  dasselbe  ein,  setzte  sich  zu  der  in  der  Hausflur  auAvesenden 
64jäbrigen  Pfilindnerin  ik.  N.,  fing  an,  sie  abzugreifen  und  forderte 
sie  zum  Beischlaf  auf.  Da  sie  sich  Avehrte  und  fortgehen  Avollte, 
drückte  sie  K.  zu  Boden,  legte  sich  auf  sie,  hob  ihr  die  Röcke 
auf  und  Avollte  sie  gebrauchen.  Er  ließ  erst  von  ihr  ab,  als  über 
ihr  Schreien  eine  Frau  ihr  zu  Hilfe  kam. 

K.  verantAvortete  sich  bei  der  ersten  Einvernehmung  daliin, 
daß  er  Amlltrunken  gOAvesen  sei  und  von  der  ganzen  Sache  nichts 
Avisse. 

Für  den  BeAvußtscinszustand  des  K.  ist  es  von  Bedeutung, 
daß  er  zAvei  Burschen,  die  er  unmittelbar  nach  dieser  Szene 
auf  der  Straße  traf,  fragte,  ob  sie  nicht  schreien  gehört  hätten. 

Das  ZAA^eito  Notzuchtsfaktum  trug  sich  folgendermaßen  zu: 
K.  hatte  auch  an  diesem  Tage,  dem  8.  August  1899,  getrunken; 
beim  Verlassen  eines  Gasthauses  im  Orte  L.  an  der  Donau 
stahl  er  eine  Zille  und  fuhr  mit  derselben  stromabAvärts  bis  E.; 
dort  landete  er  und  ließ  sich  jnit  der  unAveit  des  Ufers  auf  einem 
Felde  arbeitenden,  76  Jahre  alten  Ausnehmerin  E.  in  ein  Ge- 
S|)rä(di  ein.  Im  Verlaufe  desselben  suchte  er  die  E.  unter  Zu- 
sichenmg  einer  Entlohnung  von  20  Kreuzern  zum  Beischlaf  zu 
beAvegen. 

Da  sich  die  E.  Aveigerte,  stieß  er  sie  zu  Boden,  legte  sich 
auf  sie,  nahm  sein  Glied  aus  der  Hose  und  suchte  ihren  Unter¬ 
leib  zu  entblößen. 

Da  die  E.  sich  Avehrte  und  um  Hilfe  rief,  mißhandelte  sie 
K.  mit  Schlägen;  als  auf  ihr  Hilferufen  ein  Mann  herbeikam, 
ließ  er  von  ihr  ab,  versetzte  ihr  noch  ein  paar  Stöße  und  fuhr 
dann  in  der  Zille  davon. 

Auch  diesmal  vei'antAvorlele  sich  K.,  nachdem  er  dem  ihn 
A'erhaftenden  Gendarmen  zuerst  gestanden  hatte,  daß  er  die  E., 


ahoi'  nur  ans  Zorn,  durchgehanen  habe,  später  dahin,  daß  er  Amn 
nichts  wisse;  obwohl  er  nicht  einmal  behauptete,  schon  bei  Be¬ 
gehung  der  lat  volltrunken  goAvesen  zu  sein,  sondern  angab, 
daß  er  erst  nachher  betrunken  gCAvorden  sei  und  sich  auch  an 
gleich  zii  envähnende  Handlungen,  die  auf  das  Notzuchtsattentat 
folgten,  erinnerte. 

K.  AAuir  nämlich  stromab\A'ärts  bis  U.  gefahren;  dort  legte 
er  bei  einem  Wirtshaus  an  und  verkaufte  die  gestohlene  Zille 
um  vier  Gulden,  bei  welchem  Geschäfte  er  durchaus  nicht  den 
Eindruck  eines  Betrunkenen  machte.  K.  gab  übrigens  bei  einer 
späteren  Vernehmung  auch  noch  an,  daß  er  sich  an  das  Angebot 
von  20  Kreuzern  erinnere. 

Längere  Zeit  A'orher  hatte  sich  mit  K.  schon  folgendes  zu¬ 
getragen  :  Er  war  am  11.  September  1894  bei  einem  Brande  in  R. 
als  Feuerwehrmann  tätig  geAvesen  und  hatte  sich  nach  dem  Brande 
an  einem  von  den  Bauern  von  R.  gespendeten  GratisAvein  gütlich 
getan.  Er  Avar,  als  er  mit  der  Feuerspritze  nach  seinem  Heimatsort 
Ro.  fuhr,  betrunken;  doch  stimmen  die  Aussagen  über  den  Grad 
seiner  Tnuikenheit  nicht  überein. 

K.  ging  dann  in  ein  Haus  in  Ro.,  in  dem  nur  einige  Kinder 
zu  Hause  Avaren  und  benahm  sich  dort  sehr  auffallend,  ohne  daß 
der  eigentliche  Zweck  seiner  AnAAmsenlieit  klar  geAAmrden  Aväre. 

Hierauf  begab  er  sich  in  die  Wohnung  der  64.iährigen  Ko., 
die  mit  Zahnschmerzen  im  Bette  lag  und  der  sein  Besuch  zu 
dieser  Stunde  auffällig  Avar.  Er  erzählte  zuerst  vom  Feuer,  dann 
verlangte  er  von  der  Ko.  einen  Stiefelzieher;  als  ihm  (he  Ko.  er¬ 
klärte,  daß  sie  einen  solchen  nicht  besitze,  zog  er  seine  Stiefel 
aus.  Darauf  versperrte  er  die  Tür  von  innen.  Nachdem  er  nun 
im  Zimmer  einige  IMale  auf  und  ab  gegangen  Avar,  faßte  er  die 
Tuchent  der  Ko.  an.  Avoid  um  ihr  dieselbe  AAmgzuziehen.  Als  siO' 
ihm  das  verwies,  packte  er  die  Ko.  bei  der  Gurgel  und  fing  an, 
sie  zu  Avürgen,  avovou  er  erst  abließ,  als  über  das  G-eschrei  der  Ko! 
eine  MitbeAvohnerin  des  Hauses  zum  Fenster  gekommen  Avar  und 
den  K.  angeschrien  hatte,  Avas  er  denn  mache. 

K.  ließ  hierauf  von  der  Ko.  ab,  öffnete  die  Tür  und  ging 
nach  kurzem  WortAvmchsel  fort. 

Die  Ko.  hatte  sich  zAvar  den  Anschein  gegeben,  als  ob  es 
K.  auf  ihr  Geld  abgesehen  gehabt  hätte;  doch  Avurde  konstatiert, 
daß  K.  den  Hosenschlitz  offen  hatte,  Avas  Avohl  über  seine  Avahren 
Absichten  zur  Genüge  aufklärt. 

K.  Avurde  damals  zu  einer  Arreststrafe  von  vier  Wochen 
verurteilt. 

Es  Avurde  durch  diese  Fakten  Avahrscheinlich  gemacht,  daß 
auch  der  Mord  an  der  Sch.  einen  geschlechtlichen  Hintergrund 
haben  dürfte,  eine  Vermutung,  die,  Avie  sich  bald  herausstellte, 
begründet  Avar. 

K.  leugnete  durch  lange  Zeit  mit  der  größten  Hartnäckigkeit, 
den  Mord  an  der  Sch.  begangen  zu  haben. 

Als  es  aber  am  11.  März  1901  zur  Hauptverhandlung  kam, 
suchte  K.  anfangs  noch  sein  Leugnen  aufrecht  zu  erhalten,  in¬ 
dem  er  sich  mit  ziemlicher  GeistesgegeiiAvart  verteidigte;  nach¬ 
dem  er  aber  am  zAveiten  Tage  der  Verhandlung  von  fast  allen 
Personen,  die  den  imdmaßlichen  Mörder  der  Sch.  am  1.  Mai  1900 
gesehen  hatten,  agnosziert  Avorden  Avar,  legte  er  über  Aufforderung 
des  Vorsitzenden  ein  volles  Geständnis  ab. 

Er  gab  an,  er  sei  am  1.  Mai  morgens  in  das  Haus  der  Scp. 
getreten  und  habe  etAAns  zu  essen  verlangt,  Avas  er  auch  erhielt. 
Während  er  bei  der  Sch.  saß  und  mit  ihr  plauderte,  Avurde  er 
geschlechtlich  erregt  und  verlangte  von  der  Sch.  den  Beischlaf. 
Als' sich  die  Sch.  weigerte,  Avarf  er  sie  zu  Boden  und  schlug  sie, 
da  sie  sich  Avehrte  und  schrie,  mit  der  Hand  ein  paarmal  auf 
den  Kopf.  Als  sie  noch  Aveiter  schrie,  habe  er  sie  aus  Zorn  mit 
ihreni  Halstuch  erdrosselt. 

Wie  er  das  Halstuch  zugezogen,  könne  er  nicht  bestimmt 
sagen,  AAmil  er  ganz  Amn  Sinnen  gCAvesen  sei. 

Nachdem  er  die  Sch.  ermordet  hatte,  sei  er  fortgegangen; 
die  Stiefel,  die  er  an  sich  genommen,  seien  bei  der  Tür  gestanden. 

K.  erzählt  dann,  Avie  er  die  Stiefel  verkauft  habe,  Avie  er 
mit  der  fliegenden  Brücke  nach  E.  gefahren  sei  und  sich  dort 
habe  rasieren  lassen  und  Avas  er  noch  AA^eiter  am  selben  Tage 
gemacht  habe. 

Ueber  Antrag  des  StaatsanAvaltes  Avurde  nach  diesem  Ge¬ 
ständnis  die  Untersuchung  des  Geisteszustandes  des  Angeklagten 
verfügt. 

Bei  einem  am  12.  März  1901  vorgenommenen  Verh(")r  machte 
K.  noch  ausführlichere  Angaben  über  seine  Tat.  Er  habe,  neben 
der  Sch.  silzend,  Geschlechtslust  verspürt;  er  habe  angefangen, 
sie  abzugreifen  und  habe  an  sic  das  xVnsinnen  gestellt,  sie  möge 
sich  gebrauchen  lassen.  Da  sie  sich  \A‘eigerte,  habe  er  sie  zu 
Boden  gCAvorfen ;  er  habe  ihr  die  Kittel  aufgehoben,  seinen  Ge¬ 
schlechtsteil  herausgenommen,  ihr  die  Füße  auseinander  getan 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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und  sicli  auf  ihren  Leib  gelegt.  Da  sie  immer  schrie,  ilm  ..von 
sich  stieß  und  mit  dem  Körper  hin  und  her  wackelte,  habe  er  ihr 
ein  Paar  heruntcrgehant  und  sic  dann  am  Halse  gewürgt.  Oh 
er  in  ihren  Geschlechtsteil  eingedrnngen  sei,  könne  er  sich  nicht 
erinnern;  ebensowenig,  ob  er  eine  Samenergießung  gehabt  hal^e. 

Nachdem  er  sie  gewürgt  hatte  (vom  Halstuch  erwähnte  K. 
bei  dieser  A'ernehmung  nichts  mehr),  habe  sie  noch  ein  paar 
Schnapper  gemacht  und  war  tot.  Als  sie  tot  war,  habe  er  sich, 
mit  ihr  nicht  mehr  befaßt,  da  er  eine  Scheu  vor  toten  Menschen 
habe.  Er  habe  ihr  nur  noch  die  Kittel  heruntergc geben  und  seinen 
Geschlechtsteil  wieder  versorgt. 

Wo  er  die  Stiefel  genommen,  will  er  sich  bei  dieser  Ver¬ 
nehmung  nicht  erinnern  können;  freilich  habe  er  die  tlrei  Paar 
Stiefel  besessen,  ohne  genau  zu  wissen,  wo  er  sie  hergenommen 
habe.  Es  sei  ihm  nämlich  nach  dem  Morde  alles  im  Kopfe  herum¬ 
gegangen.  Entschieden  habe  er  nicht  die  Absicht  gehabt,  die 
Frau  zu  töten,  sondern  er  wollte  sie  nur  betäuben,  damit  sie 
nicht  mehr  schreie  und  er  sie  gebrauchen  könne. 

Einen  düsteren  Hintergrund  erhielt  die  Tat  des  K.  durch 
den  Umstand,  daß  in  der  Zeit  von  1897  bis  1900  in  Oberöster- 
reich  sieben  Alorde  an  Frauen  im  Alter  von  53  bis  68  Jahren  verübt 
worden  waren.  Sämtliche  Frauen  wurden  im  Freien  erdrosselt 
aufgefunden;  zwei  batten  auch  noch  einen  Messerstich  in  das 
Herz  erhalten.  In  allen  Fällen  bestand  der  Verdacht  des  Lust¬ 
mordes;  in  drei  Fällen  waren  Spuren  eines  ausgeführten  Ge¬ 
schlechtsaktes  nachzuweisen,  indem  in  dem  einen  Falle  das  Geni¬ 
tale  zerrissen  war,  während  in  den  beiden  anderen  Fällen  der 
Hauch  vom  Genitale  bis  zum  Nabel  aufgeschlitzt  war,  in  dem 
einen  sogar  ein  Teil  des  Genitales  fehlte. 

Noch  unheimlicher  wurde  die  Situation,  als  am  19.  März 
ein  Zellengenosse  des  K.  aussagte,  daß  derselbe  eines  Nachts'  K., 
der  im  Traume  laut  sprach,  belauschte  und  hörte,  wie  derselbe  von 
der  Ortschaft  G.  sprach  (in  G.  war  nämlich  einer  der  oben- 
envähnten  Morde  vorgefallen),  dann  von  zwei  Lustmorden,  die 
nicht  an  den  Tag  kommen  dürften,  sonst  würden  sie  beide  auf¬ 
gehängt  (K.  sprach  nämlich  so,  als  wenn  er  sich  an  einen  Ge¬ 
nossen  Avenclen  würde);  dann  kam  noch  etwas  vom  Hände¬ 
waschen.  Daim;  „Schau  her,  was  die  für  eine  große  F  .  .  hat.“ 

Bezüglich  des  IMordes  in  G.  stellte  sich  übrigens  bald  heraus, 
daß  K.  denselben  nicht  begangen  haben  könne,  da  er  zu  der  Zeit, 
als  derselbe  verübt  wurde,  in  Y.  beim  Bezirksgericht  in  Haft  war. 

Die  weiteren  Nachforschungen  ergaben  kein  entscheidendes 
Resultat,  da  einzelne  Personen,  die  die  mutmaßlichen  Mörder  ge¬ 
sehen  hatten,  wohl  den  K.  agnoszieren  zu  können  glaubten, 
während  andere  wieder  seine  Identität  bestimmt  in  Abrede  stellten. 

Als  K.  über  diese  Älorde  einvernonnnen  wurde,  machte  er 
über  die  Zeit,  seitdem  er  den  Abschied  vom  Militär  erhalten  hatte, 
ausführliche  Mitteilungen,  indem  er  Datum,  Orte,  Personen  angab, 
wann,  wo  und  bei  wem  er  gearbeitet  hatte. 

Als  bei  einer  Vernehmung  am  9.  Juni  1901  energisch  in 
ihn  gedrungen  Avurde,  alles  zu  gestehen  und  ihm  eine  gravierende 
Zeugenaussage  vorgelosen  wurde,  geriet  K.  in  einen  hochgradigen 
Erregungszustand,  indem  er  schrie  und  Aveinte  und  in  etwas 
konfuser  Weise  sich  über  die  gegen  ihn  gerichteten  Anschuldi¬ 
gungen  bescliAverte. 

Ueljer  den  früheren  Lebenslauf  des  K.  AVUrde  folgendes  be¬ 
kannt  :  Er  ist  1873  geboren,  also  29  Jahre  alt;  seine  Eltern  standen 
bei  seiner  Geburt  bereits  in  einem  vorgerückten  Alter  (Fater  63, 
i\l utter  40  Jahre);  für  eine  hereditäre  Belastung  ergaben  sich  keine 
Anhaltspunkte.  Er  hcsuchtc  die  Volksschule  fleißig  durch,  acht 
Jahre,  doch  machte  er  geringe  Fortschritte,  angehlich  Aveil  er 
sich  nichts  merken  konnte.  Im  Entlassungszeugnis  der  Volks¬ 
schule  hat  K.  in  Naturgeschichte  und  Naturlehrc  nicht  genügend, 
im  Rechnen  und  in  Geographie  und  Geschichte  kaum  genügend, 
Fleiß  gering.  Doch  Avar  sein  sittliches  Betragen  zu  dieser  Zeit 
ein  ganz  zufriedenstellendes. 

Nach  ahsolvierter  Sclndzeit  kam  K.  zu  einem  Bürstenl)inder 
in  die  Lelnx>,  erwies  sich  aher  als  unbrauchbar;  er  Avurde  Stein- 
bi-ucharbeiter  und  arbeitete  seither  immer  als  Taglöhner  oder 
Sch  iff  mann. 

i\lit  20  Jahren  kam  er  zum  Militär,  erreiclite  in  dreijähriger 
Dienstzeit  keine  Gharge,  besuchte  die  Mannschaftsschule  mit  im- 
genügendem  Erfolge;  er  erlitt  beim  Militär  elf  Strafen. 

Im  Zivil  hatte  K.  folgende  Abstrafungen  :  1.  Bezirksgericht 
M.,  22.  September  1894,  körperliche  Beschädigung,  vier  AVochen 
Arrest;  2.  Landesgericht  L.,  20.  Dezember  1897,  Diebstahl,  einen 
Atonal  Kerker;  3.  Bezirksgericht  M.,  28.  Juli  1898,  Diebstahl, 
14  Tage  Arrest;  4.  Bezirksgericht  Y.,  21.  September  1898,  Betrug' 
14  Tage  Arrest. 

Im  Seivlember  Avuide  K.  vom  Militär  entlassen;  seither  hat 
er  bis  zu  seiner  Inhaftierung  ein  recht  nnstetes  und  ziemlicii 


arbeitscheues  Leben  verbracht;  er  hatte  in  dieser  Zeit,  also  in 
nicht  ganz  drei  Jahren,  seinen  in  den  Akten  Amrstreuten  Angaben 
nach  mindestens  15  verschiedene  x4rbeitsplätze,  von  denen  er  viele 
nur  ganz  kurze  Zeit  innehatle;  dazAvischen  Avar  er  viel  auf 
AVanderschaft.  Sechsmal  dürfte  er  im  Spilal  gewesen  sein  mit 
einem  Gesamtaufenthalt  von  etAva  sieben  Monaten;  mindestens 
ZAvei  Monate  brachte  er  im  Arrest  zu. 

Die  Arbeitsfähigkeit  des  K.,  d.  h.  vor  allem  seine  Lernfähig¬ 
keit,  scheint  eine  recht  geringe  geAvesen  zu  sein;  er  Avurde  immer 
nur  zu  den  niedrigsten  Taglöhnerarbeiten  Amrwendet;  selbst 
Bauernarbeit,  die  eine  etAvas  größere  Geschicklichkeit  verlangte, 
also  erlernt  Averden  mußte,  konnte  er  nicht  verrichten. 

Die  Gerichtsärzte  gaben  über  K.  ein  Gutachten  ab,  in  dem 
sie  zu  dem  Schlüsse  kamen,  daß  der  Angeklagte  im  leichten  Grade 
mit  Blödsinn  behaftet  erscheine  und  wegen  der  von  diesem  In¬ 
telligenzdefekt  abhängigen  moralischen  MinderAvertigkeit  nicht  in 
vollem  Maße  zurechnungsfähig,  resp.  für  seine  Tat  verantwort¬ 
lich  sei.  Bei  der  mündlichen  Verhandlung  führten  die  Sach¬ 
verständigen  aus,  daß  sie  mit  dem  Ausdmek  „Blödsinn“  nur 
einen  Sclnvachsinn,  eine  MinderAvertigkeit  gemeint  hätten  und 
zAvar  einen  die  Zurechnungsfähigkeit  nicht  aufhebenden  Grad 
des  Schwachsinns. 

In  bezug  auf  den  G’eisteszustand  zur  Zeit  der  Tat  gerieten 
die  beiden  Sachverständigen  in  einen  AAuderspruch.  Dr.  S.  nahm 
es  als  möglich  an,  daß  K.,  obwohl  Epilepsie  bei  ihm  ausgeschlossen 
sei,  die  Tat,  die  Dr.  S.  als  Lustmord  bezeichnet,  in  einem  Zu¬ 
stand  krankhafter  BeAvußtlosigkeit  ausgeführt  haben  könne.  Er 
glaubt  einen  teilweisen,  die  Zeit  der  Tat  betreffenden  Erinne¬ 
rungsdefekt  konstatieren  zu  können. 

Dagegen  schließt  Sachverständiger  Dr.  R.  einen  Zustand 
krankhafter  BeAAUißtlosigkeit  zur  Zeit  der  Tat  aus. 

Im  Laufe  der  A^erhandlung  mußte  übrigens  Dr.  S.  zugeben, 
daß  die  Angaben  des  K.  über  mangelhafte  Erinnerung  erlogen 
sein  können,  Avährend  der  andere  Sachverständige  es  direkt  aus¬ 
sprach,  daß  K.  simuliere,  d.  h.  sich  dümmer  stelle,  als  er  Avirk- 
lich  sei. 

Gutachten. 

BeiK.  AAmrden  Avir  zu  unlersuchen  haben:  den  Geisteszusland 
vor  der  Tat,  den  BeAvußtsemszUstand  bei  Begehung  der  Tat  und  den 
gcgenAvärtigen  Geisteszus land. 

Man  Avird  den  Gerichtsärzten  beistimmen  müssen,  Avenn  sie 
sagen,  daß  K.  ein  geistig  minderAAuudiges  oder,  wie  der  nicht 
glücklich  geAvählte  Ausdruck  in  deren  Gutachten  lautet,  in  min¬ 
derem  Grade  blödsinniges  Individuum  ist. 

Es  lassen  sich  zur  Stütze'  dieser  Ansicht  eine  Reihe  von 
Tatsachen  anführen. 

K.  hat  in  der  Volksschule  nur  sehr  geringe  Fortschritte 
gemacht,  wobei  allerdings  der  Umstand,  daß  er  mehrere  Jahre  in 
einer  Klasse  bleiben  mußte,  nicht  viel  besagt;  denn  die  ganze 
Schule  hat  nur  drei  Klassen.  Aber  das  Abgangszengnis  lautet 
sehr  ungünstig.  K.  sollte  dann  ein  GcAverbe  erlernen,  das  Bürsten- 
bindergeAAmrbe,  aber  er  Avar  dazu  unfähig.  Er  erreichte  im  drei¬ 
jährigen  Militärdienst  keine  Charge;  er  besuchte  die  Mannsctiafts- 
schule  mit  ungenügendem  Erfolge.  Er  Avar  zeitlebens  nur  zu  den 
einfachsten  Taglölmerarbeiten  fähig ;  irgendAvelchen  landAvirtscbaft- 
lichen  Arbeiten,  die  ein  gewisses  Maß  von  Geschicklichkeit  er¬ 
fordern,  Avar  er  nicht  geAvachsen. 

Selbst  von  den  Häftlingsgenossen  Avurdc  K.,  Avie  aus  den 
mit  ihnen  angestellten  Protokollen  hervorzugehen  scheint,  uiclit 
als  ganz  voll,  als  geistig  ebenbürtig  genommen,  sondern  Avie  ein 
Schwachkopf  behandelt. 

Anderseits  darf  man  auch  den  Grad  dieser  geistigen  Minder¬ 
Avertigkeit  nicht  überschätzen.  Derselbe  war  nicht  so  groß,  um 
K.  bisher  eine  selbständige  Lebensführung  unmöglich  zu  machmi, 
als  einfacher  Taglöhner,  also  in  einer  Lebensstellung,  über  die 
HunderttaUsende  nicht  hinauskommen. 

Ja,  Avir  sehen  K.  sogar  einmal  im  Jahre  1898  in  (dner  Stel¬ 
lung,  in  der  er,  Avenn  auch  ganz  im  Jcleinen,  als  selbständiger 
Unternehmer  auftritt,  dem  andere  ihre  Arbeitskraft  anverl  rauen ; 
die  Affäre  endete  allerdings  damit,  daß  K.  den  von  ihm  auf¬ 
genommenen  Arbeitern  mit  dem  Lohne  durchging. 

Wenn  aber  K.  in  dieser  Stellung  Schiff hruch  litt,  so  ist  daran 
nicht  sein  intellektueller,  sondern  sein  moralischer  Defekt  schuld. 

Auch  A'erdient  beachtet  zu  AA'crdeii,  daß  K.  von  den  Personen, 
die  in  verschiedenen  Lebensverhältuissen  mit  ihm  zu  tun  hatten, 
soAveit  aus  den  Akten  ersichtlich,  nie  als  schwach-  oder  blödsinnig, 
sondern  als  vollsinnig  bezeichnet  Avurde. 

Es  Avird  diesen  indirekten  Anhaltspunkton  bei  der  BeuiJei- 
lung  des  früheren  Geisteszustandes  des  K.  ein  größeres  GeAvdeht 
beizulegen  sein  als  dem  Ergebnis  eines  auf  Erhebung  seines 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Ink'll igcnzgra<1cs  al)zielciHlen  Examens,  einer  sogenannten  In- 
teiligenzpriifiing. 

Denn  erstens  stellt  K.  gegenwärtig  unter  dem  Verdaeld, 
zu  simulieren  oder  Avenigstens  zu  übertreiben;  und  so  dumm 
ist  nicht  leicht  ein  Schwachsinniger,  daß  er  sich  nicht  noch 
dümmer  stellen  könnte. 

Ferner  ist  der  gegenwärtige  K.  nicht  der  K.  der  V"er- 
gangenheit,  eine  Tatsache,  der  die  Gerichlsärzte,  wie  aus  ihrem 
Gutachten  hervorgeht,  nicht  Rechnung  getragen  haben.  Es  ist 
mit  ihm,  wie  später  auszuführen  sein  wird,  in  der  Haft  eine  Ver¬ 
änderung  vor  sich  gegangen. 

Es  ist  daher  nicht  zulässig,  aus  dem  gegenwärtigen  Geistes¬ 
zustand  des  K.  ohne  weiteres  auf  seinen  Zustand, vor  der  Tat 
zu  schließen. 

Auch  die  Art,  wie  sich  K.  in  der  Zeit  bis  zur  Hauptverhand- 
lung  verantwortete,  läßt  auf  einen  Grad  von  Intelligenz  schließen ; 
er  hekundete  nicht  bloß  einige  Schlauheit,  sondern  auch  geistige 
Beweglichkeit  und  Voraussicht.  Die  lange  Dauer  der  Untersuchung 
ist  ja  darauf  zurückzuführen,  daß  K.  durch  die  Art  seiner  Ver¬ 
antwortung  dem  Richter  nicht  geringe  Mühe  bei  der  Feststellung 
des  Tatbestandes  verursachte. 

Man  Avird  dem  einen  der  Gerichtsärzte  beistimmen  können. 
AAmnn  er  in  recht  bezeichnender  Weise  K.  als  ein  Individuum  be¬ 
zeichnet,  bei  dem  Schlüsse  von  mehr  als  zAvei  bis  drei  Kategorien 
nicht  Vorkommen.  Bildung  von  Aveit  reichenden  Gedankenketten 
AA'ar  offenlmr  nicht  Sache  des  K.,  aber  innerhall)  der  seinem 
Denken  gesefzten  engen  Grenzen  dachte  er  folgerichtig. 

Es  wird  ferner  auch  die  ethische  Seite  des  Seelenlebens 
des  K.  in  Betracht  zu  ziehen  sein. 

Ein  früh  auftretender  ethischer  Defekt  ist  hei  K.  nicht  nach- 
zuAveisen.  So  mangelhaft  auch  seine  Lernerfolge  in  der  Volks¬ 
schule  sind,  im  sittlichen  Betragen  erhielt  er  im  Abgangszeugnis 
die  beste  Note. 

Beim  Militär  allerdings  erfuhr  K.  elf  Disziplinarstrafen,  doch 
befinden  sich  darantcr  keine  scliAvereren  Vergehen,  nur  leichtere 
Ucherlrelungen  militärischer  Vorschriften. 

Nach  der  Militärzeit  erfuhr  K.  jedoch  eine  Anzahl  von  Ab- 
strafimgen. 

M^enn  Avir  den  weiteren  Lebenslauf  und  die  gerichtlichen 
Abstrafungen  des  K.  berücksichtigen,  kommen  Avir  zu  dem  Schlüsse, 
daß  K.  ZAAvar  keine  von  selbst  Avirksamen  kriminellen  Neigungen 
hat;  er  ist  kein  Raufer,  kein  Trunksüchtiger,  kein  Spieler,  er 
ist  eigentlich  nicht  eigentumsgefährlich,  nicht  in  hohem  Grade 
genußsüchtig. 

Aber  er  hat  sehr  Avenig  moralischen  Halt.  Er  braucht  nur 
etwas  mehr  Alkohol  zu  bekommen,  den  er  schlecht  verträgt,  und 
er  stellt  etAvas  an;  er  braucht  nur  ein  paar  Gulden  anvertraut 
zu  bekommen  und  er  kann  der  Versuchung  nicht  Aviderstehen,  sie 
zu  unterschlagen.  Auf  das  Sexualleben  Avird  später  einzu¬ 
gehen  sein. 

Es  scheint  auch,  daß  K.  einen  geAvissen  Grad  von  Arbeits¬ 
scheu  hat;  nicht  j-''nc  Arbeitsscheu,  die  überhaupt  j''de  Arbeit 
perhorresziert,  sondern  jene,  die  ihrem  Träger  Avenigstens  jede 
Ausdauer  in  der  Arbeit  unmöglich  macht.  Denn  Avenn  auch  K. 
nie  Avegen  Arheitsscheu  oder  Vagabondage  bestraft  ist,  so  hat  er 
doch  seit  seiner  Entlassung  vom  Militär  eine  stattliche  Reihe 
von  Dienstplätzen  gehabt  und  viele  Zeit  ohne  Arbeit  und  auf  der 
Wanderschaft  Amrbracht;  und  es  Aväre  Avtmderhar,  wenn  er  in 
diesen  Jahren  keinen  Posten  gefunden  hätte,  avo  Avenigstens  die 
l\Iöglichkeit  \mrhanden  Avar,  länger  als  ein  paar  Wochen  aus¬ 
zuhalten. 

Was  endlich  das  Geschlechtsleben  des  K.  anbelangt,  Avird 
es  sich  empfehlen,  bei  demselben  gleich  im  Zusammenhang  mit 
der  ihm  zur  Last  gelegten  Tat  zu  sprechen. 

Es  drängt  sich  zuerst  die  Frage  auf;  Wie  ist  die  Tat  des  K. 
zu  qualifizieren? 

Sie  als  einfachen  Raubmord  aufzufassen,  Avie  es  in  der 
Anklageschrift  geschehen  ist,  Avar  auch  schon  vor  dem  Geständnis 
des  K.  nicht  zitlässig.  Die  gleichzeitig  in  Verhandlung  stehenden 
Fälle  N.  und  E.,  soAvie  das  ältere  Faktum  Ko.  sprachen  eine  zu 
deutliche  Sprache,  als  daß  man  das  dem  Morde  an  der  Sch.  zu- 
giTinde  liegende  sexuelle  Motiv  Amrkennen  könnte.  Es  ist  zu 
klai’,  daß  der  Stiefeldiebstahl  nur  eine  ganz  nebensächliche  Rolle 
spielt,  daß  K.  die  Stiefel  nur  nach  vollführtem  Morde,  Avie  der 
vulgäre  Ausdruck  lautet,  mitgehen  ließ,  ohne  von  vornherein 
die  Absicht  gehabt  zu  haben. 

Bei  Berücksichtigung  des  sexuellen  Momentes  ergeben  sich 
aber  mehrere  Möglichkeiten.  Es  könnte  sich  um  einen  eigent¬ 
lichen  Lustmord  gehandelt  haben,  d.  h.  K.  könnte  ein  in  seinem 
gescblecbllichen  Empfinden  so  veraidagler  Metiscb  sein,  daß  er 
bei  der  Ausübung  von  Grausamkeitsakten  eine  geschlechtliche 


Erregung  und  Betriedigung  lindet  und  könnte  aus  diesem  Motiv 
die  Sch.  ermordet  haben.  Oder  aber  es  könnte  sein,  daß  K.  nur 
ein  Notzuchtsattentat  plante  und  hei  BcAvältigung  eines  Wider¬ 
standes,  den  er  erfuhr,  so  weit  ging,  daß  er  die  Sch.  lötete. 

Es  könnte  endlich  in  letzterem  Falle  auch'  sein,  daß  erst 
im  Laufe  des  Gewaltaktus  die  Al)sicht  eintrat.,  die  Sch.  zu  löten, 
indem  K.  die_  Sch.  zuerst  durch  Schläge  betäubt  hatte  und  dann 
im  BeAvußtsein  des  bereits  begangenen  Verbrechens  eine  gefähr¬ 
liche  Belastungszcugin  durch  Zuziehen  des  Halstuches  definitiv 
aus  djem  Wege  zu  räumen  unternahm. 

Vei'schiedene  Momente  scheinen  eine  der  beiden  letzteren 
EAmnluali täten  wahrscheinlich  zu  machen.  AMr  allem  hat  der 
Fall  Sch.  eine  gCAvisse  Aehnlichkeit  mit  den  Fällen  N.  und  E. 
Und  AAumn  K.  die  beiden  letztgenannten  Frauen  mißhandelte, 
so  geschah  es  anscheinend  bloß  zu  dem  ZAvecke,  um  einen  ihm 
geleisteten  M^iderstand  zu  überAvinden  oder  aus  Aerger  über  den 
gefundenen  Widerstand. 

Die  Darstellung,  die  K.  von  seinem  Verbrechen  gibt,  scheint 
diese  Annahme  zu  stützen.  Er  erzählt,  Avie  er  die  Sch.  über¬ 
wältigen  wollte,  Avie  er  ihr  dann,  Aveil  sie  sich  wehrte,  ein  Paar 
herunterhaute  und  sie  dann  erdrosselte,  angeblich  aus  iVerger, 
Aveil  sie  ihm  nicht  zu  Willen  Avar  und  er  fürchtete,  daß  man 
ihr  Schreien  in  den  Nachbarhäusern  hören  könnte. 

Es  liegen  aber  doch  auch  Vlomente  vor,  die  an  die  Mög¬ 
lichkeit  eines  eigentlichen  Lustmordes  denken  lassen. 

Man  braucht  dabei  nicht  die  anderen  Frauenmorde  heran¬ 
zuziehen,  die  in  derselben  Zeit,  in  der  K.  die  ihm  nachgeAviesenen 
geschlechtlichen  GeAvaltlaten  beging,  in  Oberösterreich  ausgeübt 
Avurden. 

Der  Verdacht  der  Täterschaft  des  K.  konnte  ja  bezüglich 
dieser  Morde  durch  nichts  erwiesen  Averden. 

Aber  schon  das  Faktum  Ko.  gibt  zu  denken.  In  diesem 
Falle  hat  K.  das  Opfer  seiner  Lüste,  soviel  A\mnigstens  aus  den 
Akten  zu  ersehen  ist,  bloß  geAvürgt,  ohne  einen  eigentlichen  Ge¬ 
schlechtsakt  zu  versuchen.  K.  stand  zAvar  damals  unter  dem  Ein¬ 
fluß  reichlich  genossenen  Alkohols;  es  ist  aber  bekannt,  daß 
krankhaft-kriminelle  Triebe  häufig  im  nüchternen  Zustand  unter¬ 
drückt  AAmrden,  Avährend  der  Alkohol  diese  Hemmungen  hin- 
Avegräumt. 

Es  Avird  ferner  notAvendig  sein,  näher  darauf  einzugehen, 
Avie  das  Geschlechtsleben  des  K.  überhaupt  beschaffen  Avar. 

Wir  erfahren  aus  den  Akten  von  fünf  Fällen,  in  denen 
K.  den  Geschlechtsgenuß  anstrebte,  davon  betreffen  vier  Fälle 
alte  Frauen  zAvischen  64  Und  76  Jahren.  Es  ist  gewiß  höchst 
merlcAvürdig,  einem  Menschen  in  den  Jahren  des  K.  zu  sehen, 
der  mit  Vorliebe  alte  Frauen  zur  Befriedigung  seiner  Geschlechts¬ 
lust  ausAvählt.  Wenn  uns  aber  mit  dem  Erstaunen  über  diese 
durch  Tatsachen  erhärtete  Neigung  abgefunden  haben,  Averden 
Avir  der  Vermutung  Raum  geben  müssen,  daß  diese  zur  Kenntnis 
des  Gerichtes  gekommenen  Fälle  nicht  die  einzigen  sein  dürften, 
in  denen  sich  diese  abnorme  Geschmacksrichtung  des  K.  kund¬ 
gab.  Denn  es  Aväre  doch  zu  verAvundern,  Avenn  K.  mit  seinen 
Werbungen  auf  einem  Felde,  avo  die  Konkurrenz  so  gering  ist, 
immer  nur  auf  energische  AbAAmhr  und  nicht  auch  hie  und  da 
auf  dankbare  Hingabe  gestoßen  Aväre. 

Und  das  mit  K.  angestellte  Examen  bringt  uns  nicht  nur 
eine  Bestätigung  dieser  Vermutung,  sondern  zugleich  auch  eine 
Aufklärung,  wieso  diese  abnorme  Geschmacksrichtung  bei  K.  über¬ 
haupt  entstehen  konnte. 

K.  hat  im  Laufe  der  von  dem  Gefertigten  angestellten 
Examina  zugegeben,  daß  er  in  Aviederholten  Fällen  den  Geschlechts¬ 
verkehr  mit  alten  Frauen  angestrebt  und  erreicht  habe;  ei’  hat 
ferner  die  Avichtige  und  aufklärende  Tatsache  mitgeteilt,  daß  er 
seines  ersten,  im  17.  Lebensjahre  erfolgten,  Beischlafes  durch 
Verführung  seitens  einer  alten  Frau  teilhaftig  AAUirde. 

Wer  weiß,  Avie  Avichtig  für  die  zukünftige  Entwicklung  des 
geschlechtlichen  Empfindens,  besonders  bei  Psychopathen,  die 
Umstände  sind,  unter  denen  sich  die  ersten  heftigen  Geschlechts- 
erregungen  vollziehen;  AAue  die  zufällige  Verkettung  der  letztefen 
mit  bestimmten  Nebenumständen,  die  meisten  Fälle  von  soge¬ 
nanntem  Fetischismus  erklärt:  der  Avird  es  begreiflich  finden, 
daß  sich  bei  K.  die  geschlechtliche  Hinneigung  zu  alten  Frauen 
entAvickeln  konnte. 

Daß  diese  Neigung  bei  K.  Avirklich  besteht,  dafür  spricht 
ein  Umstand,  für  den  zAvar  K.’s  eigene  Aussage  allein  als  BeAAmis 
vorliegt;  diese  Aussage  ist  aber  unverfänglich,  da  K.  die  Be¬ 
deutung  dieses  Umstandes  nicht  kennt;  denn  gelehrte  Werke 
über  Psychopathie  des  Geschlechtslebens  hat  er  geAviß  nicht  ge¬ 
lesen.  K.  gibt  nämlich  an,  daß  in  seinen  Träumen  geschlechtlichen 
Inhaltes  auch  stets  alte  Weiber  eine  Rolle  spielen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


002 


Nelienlici  sei  bemerkt,  daß  K.  eine  besondere  Neigung  zu 
jüngeren  Fj’anenzinnnern  überhaupt  nicdd  gehabt  zu  liaben  scbeint ; 
ein  in  den  Akten  nachgewiesener  einmaliger  Verkehr  mit  einer 
27jährigen  Dirne  soll  naxdi  seiner  Angabe  der  einzige  (iescblecbis- 
verkehr  mit  einer  jüngeren  .Person  gewesen  sein. 

Es  läßt  sich  ferner  aus  xVussagen  K.’s,  die  er  allerdings 
zögernd  und  unbeslimmt  machte,  vielleicht  noch  etwas  melir 
enlmdnnen.  K.  gibt  über  Defiagen,  ob  er  beim  Gescbleclitsakt 
irgendwelche  Gewalt  angewendet  habe,  zunächst  nur  zu,  daß 
er  die  betreffenden  Weiber  fest  an  sich  gedrückt  habe,  wobei  er 
A'om  Ansicbdrücken  so  spricht,  daß  darunter  keineswegs  eine 
Idebkosung  verstanden  werden  kann.  Er  gibt  ferner  zu,  in  einem 
Falle,  der  nicht  gerichtlich  wurde,  die  Frau  beim  Halse  gepackt 
zu  haben;  daß  er  ihr  wehgetan  habe,  leugnet  er  nicht,  sondern 
gibt  nur  an,  er  wisse  es  nicht  mehr.  In  einem  anderen  .Falle 

gibt  er  an,  er  wisse  nicht  mehr,  ob  er  die  ßetreftende  bei 

der  Gurgel  gepackt  habe. 

Er  gibt  ferner  an,  daß  es  auch  in  seinen  Träumen  vor- 
konnne,  daß  er  AVeiber  würge,  doch  sei  das  nicht  immer  gleich. 

Es  ist  also  nach  dem  Gesagten  auch  mit  der  IMöglicbkeit 

zu  rechnen,  daß  bei  K.  sadistische  Neigungen  vorhanden  sind 
und  es  könnte  der  Fall  Sch.  doch  die  Bedeutung  eines  Lust¬ 
mordes  haben. 

Wie  es  sich  in  Wirklichkeit  verhielt,  ob  der  Fall  Sch.  ein 
lAishnord  war,  oder  nicht,  dürfte  sich  heute  schwerlich  mehr 
entscheiden  lassen;  denn  selbst  das  Bestehen  sadistischer  Ge¬ 
lüste  bei  K.  zugegeben,  genügt  das  noch  nicht  zum  Beweis, 
daß  die  an  Sch.  verübte  Tat  ein  Lustmord  gewesen  sei.  Nur  dann 
würde  die  letztere  Annahme  fast  Gewißheit  werden,  wenn  dein  K. 
die  Täterschaft  an  einem  der  anderen  unaufgeklärten  Frauenniorde 
nachgewiesen  werden  könnte. 

Es  ist  aber  zum  Glücke  für  die  strafrechlliche  Beurteilung 
des  Falles  von  geringerer  Erheblichkeit,  ob  K.  Sadist  und  ob 
der  Fall  Sch.  ein  Lustmord  ist  oder  nicht. 

Denn  sadistische  Gelüste  dürften  zwar,  wenn  auch  nicht 
ausschließlich,  so  doch  vorwiegend  bei  psycbopatbisch  veran¬ 
lagten  Individuen  Vorkommen;  aber  man  findet  sie  auch  bei 
intellektuell  und  moralisch  hocbs teilenden  Psychopathen,  die  der 
stiuf rechtlichen  Verantwortlichkeit  unstreitig  nicht  entbehren.  Und 
es  ist  ferner  zu  berücksichtigen,  daß  den  Anomalien  des  geschlecht- 
lieben  Empfindens,  insofern  dieselben  Motive  strafbarer  Hand¬ 
lungen  werden,  Gegemnotive  widerstreiten,  die  das  Zustande¬ 
kommen  solcher  Handlunigen  in  der  Regel  verhindern,  d.h.  bei  vielen 
mit  solchen  xVnomalien  Behafteten  überhaupt  verhindern  und  bei 
jenen,  die  im  Einzelfalle  kriminell  werden,  doch  auph  häufig  und 
durch  lange  Zeit  verhindert  haben.  Und  auch  K.  hat  ja  sicher 
seine  geschlechtlichen  Genüsse  häufig  in  einer  nicht  kriminellen 
Weise  befriedigt. 

Es  kann  also  das  Vorhandensein  sadistischer  Gelüste  nicht 
als  ein  Argument  gegen  die  Annahme  strafrechtlicher  Verantwort¬ 
lichkeit  verwertet  werden,  wie  ja  überhaupt  die  Verwertung  krimi¬ 
neller  Willensrichtungen  als  Beweisgründe  gegen  die  strafrecht¬ 
liche  Verantwortlichkeit  ein  logischer  Fehler  ist.  Nur  als  mil¬ 
dernder  Umstand  könnte  nachgewiesener  Sadisjnus  angesehen 
Averden,  indem  er  bei  dem  Behafteten  kriminelle  Impulse  be¬ 
dingt,  die  dem  geschlechtlich  normal  Empfindenden  fehlen. 

Was  ferner  den  Lustmord  als  folgenscliAverste  Aeußerung 
des  sadistischen  Gelüstes  anbelangt,  so  wird  der  Nachweis  des¬ 
selben  an  und  für  sich  auch  nicht  imstande  sein,  den  Täter  als 
der  strafi’echtlichen  Verantwortlichkeit  beraubt  zu  kennzeichnen; 
sondern  cs  wird  hiczn  entweder  der  Nachweis  einer  dauernden 
Geistesstörung  odei‘  aber  einer  kraidxhaften  Bewußtseinsstörung 
oder  aber  einer  krankhaften  BeAvußtseinsstörung  zur  Zeit  der 
Tat  notwendig  sein. 

Daß  das  erstere  bei  K.  nicht  zulrifft,  würde  eingangs  be¬ 
reits  ausgefübrt;  es  wird  also  jetzt  zu  untersuchen  sein,  ob 
I)ei  K.  eine  krankhafte  Störung  des  BcAvußtseins  zur  Zeit  der 
Tat  vorliegt. 

Die  häufigste  Ursache  krankhafter  BeAvußtseinsstörungen, 
die  Epilepsie,  kann  ohne  Averteres  ausgeschlossen  Averden,  da 
nicht  dei'  mindeste  Anhaltspuidct  dafür  vorliegt,  daß  K.  je  ei)ilep- 
lische  Anfälle  oder  iigendwclchc  ihre  Stelle  vertretende  opilep- 
Unde  Anfälle,  transitorische  BeAAudMseins'störungen  od.  dgl.  ge¬ 
habt  babe.  Ausscbließen  läßt  sich  auch,  daß  K.  die  Tat  in  einem 
Zustand  der  Berauschung  begangen  habe.  Es  liegt  gar  kein 
Grund  zu  einer  solchen  Annahme  vor;  nicht  einmal  die  eigene 
Angabe  des  Täters,  der  einen  der  Tat  unmittelbar  vorangegan¬ 
genen  Trunkejezeß  sicher  nicht  verscliAviegen  hätte. 

Doch  kann  man  die  Vermutung,  daß  dem  Alkobolgenuß  ein 
gewisser  Einfluß  auf  ilie  Tat  zukoinme,  nicht  ganz  von  der  Haiid 
Aveisen. 


Die  früheren  sexuellen  Delikte  des  K.  AAUirden  alle  unter 
dem  Einfluß  des  Alkohols  begangen  U.  zav.  das  Faktum  Ko.  höchst- 
Avahrschehilich  im  Zustand  der  Berauschung,  die  Fakten  N.  und 
E.  mindestens  im  angetrunkenen  Zustand.  Zieht  man  ferner  in 
Betracht,  daß  K.  intolerant  gegen  Alkohol  zu  sein  plausiblervvcise 
(mit  Rücksicht  auf  seine  Schädeldifformität)  angibt,  daß  K.  die 
Nacht  vom  29.  auf  den  30.  April  nacluAmisbar  durchgezccht  hatte 
und  daß  er  seiner  Angabe  nach  am  1.  Älai  am  frühen  IMorgen 
vor  der  Tat  ein  Glas  Schnaps  getrunken  hat,  so  muß  man  cs 
immerhin  als  Avahrscheinlicli  bezeichnen,  daß  K.  die  Tat  unter 
alkoholischem  Einfluß  begangen  habe.  Sehen  Avir  doch  alltäg¬ 
lich,  daß  Amrbrecherische  Neigungen,  die  im  nüchternen  Zustand 
unterdrückt  Averden  können,  unter  dem  Einfluß  des  Alkohols 
die  ihnen  entgegenstehenden  Hemmungen  überAvinden. 

Doch  war  der  Einfluß  des  Alkohols  im  vorliegenden  Falle 
sicher  nicht  so  groß,  um  die  strafrechtliche  VerantAvortlichkeit 
aufzuheben.  Höchstens  unter  den  mildernden  Umständen  könnte 
er  Platz  finden. 

Von  Aveiteren  Zuständen  krankhafter  BeAAmßtseinsstöruhg 
kann  im  vorliegenden  Falle  nur  noch  der  pathologische  Affekt 
in  Frage  kommen.  Es  Avärc  an  die  Möglichkeit  zu  denken,  daß 
infolge  der  sexuellen  Erregung  einerseits,  des  Zornes  über  den 
Vorgefundenen  AViderstand  anderseits  bei  K.  ein  Affekt  von  einer 
solchen  Höhe  entstand,  daß  dadurch  BeAvußtsein  und  Ueber- 
legung  ganz  ausgeschaltet  Avurden  und  das  Handeln  ein  rein 
triebartiges  Avurde. 

Für  den  Grad  der  BeAvußtseinsstörung  gibt  der  Zustand 
des  Erinnerungsvermögens  den  wichtigsten  Anhaltspunkt  und  hat 
einer  der  Sachverständigen  des  Landesgerichtes  in  L.,  gerade 
gestützt  auf  einen  angel)lichen  Erinnerungsdefekt,  die  Möglich¬ 
keit  einer  krankhaften  BeAvußtseinsstörung  angenommen. 

Es  Avird  also  zu  untersuchen  sein,  ob  ein  solcher  Erinne- 
rungsdefekt  überhaupt  vorliegt.  Man  ist  zur  Entscheidung  dieser 
Frage  ausschließlich  auf  die  Geständnisse  des  Inkulpaten  an¬ 
gewiesen,  die  er  bei  den  beiden  HaupLverhandlungen  und  dem 
Untersuchungsrichter  gegenüber  machte,  denn  anderen  Personen 
hat  er  über  den  IMord,  soviel  hekamit,  keine  IMitteilungen  gemacht. 

Man  Avird  sich  ferner  vor  Augen  halten  müssen,  daß  aus 
solchen  Geständnissen  meist  nur  der  negative  BcAveis  des  Er¬ 
innerungsdefektes  geführt  Averden  kann,  nicht  aber  der  positive, 
d.  h.  Avas  der  Untersuchte  spontan  mitteilt,  an  das  erinnert  er 
sich;  Avas  er  verscliAAmigt  oder  in  Abrede  stellt,  kann  deshalb 
noch  immer  in  seiner  Erinnerung  vorhanden  sein. 

Wenn  Avir  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  die  Geständnisse 
des  K.  untersuchen,  so  zeigt  sich,  daß  er  allerdings  in  einzelnen 
Geständnissen  Details  nicht  zu  Avissen  vorgibt,  über  die  er  aber 
in  anderen  Geständnissen  Mitteilung  machte.  So'  will  sich,  um 
gleich  den  Avichtigsten  Punkt  hervorzuheben,  K.  vor  dem  Unter¬ 
suchungsrichter,  am  12.  j\Iärz,  nicht  daran  erinnern,  daß  er  die 
Sch.  mit  einem  Tuche  erdrosselt  habe,  sondern  nur  an  ein  Würgen 
mit  der  Hand;  bei  der  ZAveiten  Hauptverhandlung  am  25.  Sep¬ 
tember  stellt  er  auch  das  tVürgen  in  Abrede;  bei  der  ersten 
Hauptverhandlung  am  12.  IMärz  hat  aber  K.  angegeben,  daß  die 
Ermordete'  ein  Tuch  um  den  Hals  gehabt  habe  und  daß  er  sie 
erdrosselt  habe  u.  zw.  habe  er  dies  aus  Zorn  getan,  weil  sie  ihm 
nicht  zu  Willen  Avar.  Nur  setzt  er  hinzu,  er  könne  nicht  be¬ 
stimmt  sagen,  Avie  er  zugeschnürt  habe. 

"Wenn  man  auf  diese  Weise  alle  drei  Geständnisse  durch- 
musLort,  Avenn  man  insbesondere  die  detaillierten  Angaben  be¬ 
rücksichtigt,  die  K.  am  12.  März  gemacht  hat,  so  bleibt  eigentlich 
als  Stütze  fi'ir  die  Annahme  eines  Erinnerungsdefektes  nur  ein 
Moment  übrig;  K.  bebauptet  jedesmal  übereinstimmend,  daß  er 
die  Seil,  nur  mit  der  Hand  auf  den  Kopf  geschlagen  habe,  Aväh- 
reml  die  obduzierenden  Gerichtsärzte  angeben,  daß  die  Schläge 
gegen  den  Schädel  mit  einem  stockarligon  Instmment  geführt 
sein  müssen,  Avobei  noch  zu  bemerken  ist,  daß  dieses  Instrument 
Aveder  am  Tatort,  noch  bei  K.  Amr  oder  nach  der  Tat  nachgewiesen 
Averden  konnte. 

Es  ist  aber  sicher  unzulässig,  die  Annahme  eines  Erinno- 
rungsdefektes  in  einer  zudem  nebensächlichen  Frage  ))loß  auf 
die  Unmöglichkeit  eines  gerichtsärztlichen  Irrtums  zu  gründen; 
um  so  mehr,  als  ja  auch  noch  die  Möglichkeit  vorliegt,  daß  K. 
in  diesem  Punkte  nicht  die  Wahrheil  spricht,  eine  ^Möglichkeit, 
die  auch  der  SacliA’erständige  in  L.  zugegeben  hat. 

Ein  Aveiteres  Moment,  welches  gegen  eine  ki’ankhaflo  Bc- 
AViißtseinsstörung  spricht,  ist  der  Umstand,  daß  in  dem  Vorgehen 
des  K.  noch  ein  geAvissor  Grad  von  Ueberlegung  bemerkbar  ist. 

In  dieser  Richtung  ist  z.  B.  die  Angabe  dos  .Angeklagkm 
sehr  bemerkensAvert,  daß  er  der  Sch.,  naididom  sie  tot  war,  die 
Röcke,  ilie  hinaufgeschlagen  Avaren,  Avieder  herunterzog,  um,  Avie 


Nr.  17 


Wiener  klinische  Wochenschrift.  i907. 


503 


er  selfjsl.  allgibt,  die  gescblecldliehe  Nadur  des  an  der  Eriuor- 
delen  verübten  Attentates  zu  verheimlicben. 

Es  ist  also  ein  Anbaltspnnkt  für  die  Annahme  eines  patho- 
logisclien  Affektznstandes  nicht  vorhanden  und  ist  die  Angabe 
des  K.,  daß  er  nacti  der  Tat  ganz  außer  Sinnen  gewesen  Tei, 
wohl  so  aufzufassen,  daß  sich  seiner  eine  durcli  die  Tatumstände 
ganz  begreifliche  Aufregung  liemächtigte. 

Es  wird  ferner  noch  der  gegenwärtige  (Jeisteszustand  des  K. 
zu  charakterisieren  sein.  Mit  K.  ist  im  Imufe  der  Untersuchung 
eine  auffallende  Veränderung  vorgegangen,  die  sich  nicht  bloß 
auf  sein  geistiges  Verhalten,  sondern  auch  auf  Gang  und  Sprache 
erstreckt. 

Während  die  Gangart  des  K.  früher  als  eine  militärische 
hezeichnet  wird  und  die  dem  Strafakt  heiliegenden  Photogra¬ 
phien  einen  Mann  von  strammer  Haltung:  zeigen,  bähen  wir 
heute  einen  anscheinend  gehrochenen  Mann  vor  uns,  der  in 
zusammengesunkener  Haltung  mit  gekrümmtem  .Rücken  und  ge¬ 
knickten  Beinen  dasteht  und,  in  allen  seinen  Bewegungen  äußerst 
träge,  sich  mit  langsamen,  schlürfenden  Schritten  vorwärts  bewegt. 

Und  während  er  früher  gut  und  zusammenhängend  sprach 
(Votant  P.),  sogar  schneidig,  wie  eine  Zeugin  (Frau  H.)  sich 
ausdrückl,  spricht  er  heute  spontan  überhaupt  kaum  etwas ;  man 
muß  ihm  jedes  Wort  herausziehen;  und  seine  Antworten  er¬ 
folgen  erst  nach  geraumer  Zeit,  wie  wenn  ein  Widerstand  zu 
überwinden  wäre;  er  spricht  stotternd  und  stockend,  meist  nur 
in  abgerissenen  W^orten  oder  kurzen  Reden,  ohne  richtiges  Satz¬ 
gefüge. 

Ebenso  groß  ist  die  Veränderung,  die  mit  K.  auf  geistigem 
Gebiet  vorgegangen  ist.  Es  läßt  sich  der  Unterschied  zwischen 
jetzt  und  früher  besonders  auf  dem  Gebiete  des  Gedächtnissea' 
feststellen.  W'ährend  der  Unlersuchung  machte  K.  über  seine 
früheren  Erlebnisse  vielfach  sehr  genaue  Angaben  mit  Anführung 
von  genauen  Datumsangaben,  von  Oertlichkeiten,  Personen  und 
Umständen. 

W^enn  z.  B.  K.,  der  sein  Leben  an  der  Donau  u.  zw.  teil¬ 
weise  als  Sebiffmann  zugebracht  hat,  die  Ortschaften  an  der 
Donau  zwischen  L.  und  K.  nicht  aufzählen  kann,  erst  mit  Nach¬ 
hilfe  einige  nennt  und  die  Mehrzahl  ausläßt,  so  ist  das  ein  Ge¬ 
dächtnisdefekt,  der  hei  K.  früher  gewiß  nicht  vorhanden  war. 
Wenn  K.,  um  ein  weiteres  Beispiel  anzuführen,  die  Monate  nicht 
aufzählen  kann,  nur  acht  bis  neun  aufzählt  u.  zw.  hei  mehr¬ 
facher  Wiederholung  immer  den  Juni  vor  dem  April  und  Alai, 
so  ist  das  auch  ein  Mangel  von  Kenntnissen,  den  K.  zur  'Zeit' 
der  Untersuchung  nicht  hatte;  denn  er  hat,  als  es  sich  dos  Alibi 
wegen  um  genaue  Datumangaben  handelte,  viele  solche  Angaben 
bezüglich  seiner  Dienstplätze  geliefert  u.  zw.  mit  einer  Präzision, 
daß  sich  sogar  der  Untersuchungsrichter  einmal  darüber  wunderte. 

Es  ist  das  aber  gleichzeitig  ein  Gedächtnisdefekt,  von  dem 
es  nachweisbar  ist,  daß  er  auch  gegenwärtig  nicht  vorhanden 
ist,  sondern  nur  vorgetäuscht  wird.  Denn  unmittelbar  vor  dieser 
fehlerhaften  Aufzählung  der  Monate  hat  er  hei  Besprechung  der 
von  ihm  verübten  Tat  und  der  Zeit  seiner  Inhäftierung  den  Juni 
ganz  richtig  hinter  den  April  und  Mai  lokalisiert  und  nicht  vor 
diesen  Monaten,  wie  er  es  hei  der  umnittelhar  darauf  erfolgten 
Aufzählung  der  Monate  hartnäckig  tat. 

Wenn  K.  ferner  den  Namen  der  Frau  nicht  weiß,  die  ('r 
umgehracht  hat,  die  Zeit  nicht,  wann  das  geschehen  ist  und  den 
Ort  nicht,  wo  er  zu  dieser  Zeit  gewohnt  hat,  so  geht  aus  den 
Verhörsprotokollen  hervor,  daß  K.  alle  diese  Dinge  in  einem 
früheren  Stadium  der  Untersuchung  sehr  genau  gewußt  hat.  Es 
ist  überhaupt  die  ganze  anfängliche  Verantwortung  des  K.  un¬ 
vereinbar  mit  der  Annahme,  daß  so  schwere  Gedächtnisdefekte, 
wie  er  sie  jetzt  darhietet,  schon  zur  Zeit  der  strafgerichllichen 
Untersuchung  bestanden  hätten. 

Bei  diesem  Stande  der  Dinge  werden  natürlich  anschei¬ 
nende  Defekte  von  Kenntnissen  und  Erinnerungen,  deren  früheres 
Bestehen  sich  gar  nicht  kontrollieren  läßt,  für  die  Beurteilung  des 
Geisteszustandes  des  K.  zur  Zeit  der  Tat  wertlos. 

K.  betont  übrigens  von  allem  Anfang  an  dem  Gefertigten 
gegenüber  immer  wieder  seine  Gedächtnisschwäche,  daß  er  sich 
nichts  habe  merken  können,  so  daß  eine  gewisse  Absichtlich¬ 
keit  nicht  verkannt  werden  kann.  Anderseits  hält  die  angebliche 
Gedächtnisschwäcbe  des  K.  einem  energischen  Andiüngen  nicht 
immer  stand;  er  erinnert  sich  dann  noch  an  Dinge,  die  er  kurz 
vorher  nicht  zu  wissen  vorgab. 

P'eber  die  Natur  der  Veränderung,  die  mit  K.  vorgegangen 
ist,  können  uns  einerseits  Zeit  und  Umstände  ihres  Eintretens, 
anderseits  die  körperliche  Untersuchung  einen  Aufschluß  ge¬ 
währen. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  besagte  Ver¬ 
änderung  mit  K.  zwiseben  der  ersten  und  zweiten  Hauptver¬ 


handlung  vor  si(di  gegangen  ist,  also  zwischen  12.  März  und 
25.  September  1901. 

Ueber  die  Sprache  dos  K.  finden  wir  zum  erstenmal  eine 
Bemerkung  in  dem  Protokoll  über  das  nach  der  ersten  Haupt¬ 
verhandlung  angestellte  Verhör  vom  12.  März,  wo  K.  selbst  sagt, 
daß  er  nicht  fließend  erzählen  kann.  In  dem  .Gutachten  der 
Gerichtsärzte  vom  3.  Juni  ist  die  Sprachstörung  schon  ausdrück¬ 
lich  vermerkt.  K.  selbst  gibt  übrigens  an,  daß  die  Sprachstörung 
nach  der  Vertagung:  der  Hauptverhandlung  begonnen  habe,  daß 
sie  aber  seithe]'  immer  stärker  geworden  sei. 

Es  war  das  in  der  Zeit,  als  K.  nach  seinem*  Geständnis 
in  den  Verdacht  kam,  auch  an  weiteren  Frauenmorden  beteiligt 
geAvesen  zu  sein  irnd  die  Untersuchung  daraufhin  ausgedehnt 
wurde.  Wie  heftig  dies  auf  das  Gemüt  des  K.  einwirkte,  ersehen 
wir  aus  dem  heftigen  Erregungszustand,  den  K.  bei  dem  Verhör 
am  2.  Juni  zeigte ;  wir  erfahren  ferner  aus  den  Aussagen  der 
Mithäftlinge,  daß  ihn  die  Sache  auch  im  Traume  beschäftigte 
u.  zw.  so  lebhaft,  daß  er  laut  dabei  sprach. 

Die  körperliche  Beschaffenheit  des  K.  ergibt  aber  sichere 
Zeichen  von  Hysterie,  nämlich  eine  ungemeine  Hyperästhesie 
der  Haut,  so  daß  schon  hei  leichtesten  Nadelstichen  jedesmal 
ein  heftiges  Zusammenzucken  des  ganzen  Körpers  stattfindet; 
ferner  sehr  ausgesprochene  Dmekhyperästhesie  an  verschiedenen 
Körperstellen  mit  je  nach  der  Stelle  verschiedenen  Reflex¬ 
zuckungen  beim  Drucke  auf  die  einzelnen  Punkte.  Aidialtspunkte 
für  die  Annahme  irgendeines  anderen  organischen  oder  funktio¬ 
neilen  Nervenleidens  fehlen  vollständig. 

Es  wird  also  die  körperliche  und  seelische  Veränderung,  die 
hei  K.  unter  dem  Einfluß  heftiger  Gemütsbewegung  und  in  Be¬ 
gleitung  hysterischer  Stigmen  aufgetreten  ist,  als  Aeußerung  der 
Hysterie  aufzufassen  sein. 

Unter  dieser  Vorraussetzung  werden  die  schweren,  einen 
Verhlödungsprozeß  vortäuschenden  Gedächtnisstörungen  ver¬ 
ständlich,  denn  Gedächtnisstörungen  sind  hei  schwerer  Hysterie 
und  besonders  hei  der  Hysterie  von  Untersuchungsgefangenen  ein 
gewöhnliches  Symptom. 

Damit  ist  eigentlich  auch  die  Frage  der  Simulation,  die  hei 
der  zweiten  Hauptverhandlung  aufgeworfen  und  von  den  Ge¬ 
richtsärzten  teilweise  bejahend  beantwortet  wurde,  erledigt;  denn 
es  gibt,  insofern  es  sich  um  einfache  geistige  Defekte  handelt, 
keine  scharfe  Grenze  zwischen  Hysterie  und  Simulation ;  das 
Nichtwollenkönnen  und  das  Nichtkönuenwollen  gehen  umnerk- 
lich  ineinander  über  und  es  wird  nie  zu  entscheiden  sein,  inwie¬ 
weit  hei  dem  Zustandekommen  von  Erinnerungsdefekten  die  durch 
die  Lage  des  Untersuchungsgefangenen  bedingten  Autosuggestionen 
eine  Rolle  spielen. 

Es  ist  aber  unter  diesen  Umständen  selhstverständlich  nicht 
statthaft,  aus  dem  jetzigen  Geisteszustand  des  K.  einen  Schluß 
auf  den  Geisteszustand  zur  Zeit  der  Tat  zu  ziehen. 

Die  gefertigte  medizinische  Fakultät  faßt  demnach  ihr  Gut¬ 
achten  in  folgende  Sätze  zusammen : 

1.  K.  ist  ein  in  leichtem  Grade  'schwachsinniges,  psycho¬ 
pathisch  minderwertiges  Individuum ;  es  erreicht  aber  der  geistige 
Defekt  bei  ihm  nicht  einen  so  hohen  Grad,  daß  dadurch  die 
strafrechtliche  VeranlAvortlichkeit  ausgeschlossen  wdirde. 

2.  Es  ist  nicht  nachweisbar,  daß  hei  K.  zur  Zeit,  als  er 
den  Mord  an  der  Sch.  beging,  eine  patJiologische  Bewußtseins¬ 
störung  bestanden  habe. 

3.  Gegenwärtig  leidet  K.  an  Hysterie  und  sind  die  hei  ihm 
jetzt  vorhandene  Gang-  und  Sprachstörung,  sowie  die  geistigen 
Defekte,  insoweit  nicht  Willkür  dabei  im  Spiele  ist,  als  Aeuße- 
j'ungen  der  Hysterie  anzusehen. 

Die  Hysterie  des  K.  ist  ein  heilbares  Leiden  und  bebt  die 
Strafvollzugsfäliigkeit  des  Inkulpaten  nicht  auf,  doch  ist  dieselbe 
heim  Strafvollzug  zu  berücksichtigen. 

* 

K.  wurde  am  10.  Mai  1902  in  die  Strafanstalt  G.  und  am 
13.  Juni  1906  in  die  Strafanstalt  S.  zur  Verbüßung  seiner  lebens¬ 
länglichen  Kei'kerstrafe  gebracht. 

Der  Arzt  der  Strafanstalt  in  S.  berichtet,  daß  K.  ein  in 
Iciclitem  Grade  schwachsinniges  Individuum  ist;  daß  er  wenig 
spi'icht  und  mit  den  anderen  Sträflingen  sehr  verträglich  ist. 

Als  erwälmenswert  herichtet  er  noch  folgende  Aeußerung 
des  K.,  die  er,  als  er,  am  Fenster  sitzend,  ein  altes  Weih  vor¬ 
übergehen  sah  und  sich  unheobachtet  glaubte,  für  sich  selbst 
binsagte:  ,,Dio  wär’  noch  gstelll,  der  könnt’  man  ihn  noch' 
einihau’n.“ 

Aus  den  Mitteilungen  des  Anstaltsdirektors,  der  durch 
3V2  Jahre  in  G.  und  S.  Gelegenheit  batte,  K.  zu  beobachten, 
ergibt  sich  noch  folgendes: 


öOi 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1007 


Nr.  17 


K.  luil  während  Keiner  Haft  ein  geradezu  innslerhaftes  Ver- 
iialtcn  an  den  Tag  gelegt.  Er  hat  sich  wegen  keiner  einzigen 
Uehertretung  der  Hausordnung  zu  verantworten  gehabt  und  ist 
—  eine  Seltenheit  —  nie  disziplinär  geahndet  worden. 

Er  machte  den  Eindruck  eines  Alenschen,  der  genau  das 
Bewußtsein  der  Größe  seines  Verbrechens  in  sich  trägt,  die 
Schwere  der  Strafe  der  Tat  angemessen  findet  und  sich  daher 
mit  den  bestehenden  Verhältnissen  abgefunden  und  damit  seine 
innere,  natürlich  relative,  Zufriedenheit  erworben  hat. 

Anzeichen  mangelnden  oder  gestörten  Erinnerungsvermögens, 
dann  Sidiwierigkeit  der  Sprache  u.  dgl.  wurden  nie  bemerkt. 
An  dem  Vollbesitz  seiner  geistigen  Kräfte  wurde  nie  gezweifelt. 
Ebensowenig  wurde  je  an  ihm  irgend  eine  sexuelle  Verirrung 
bemerkt. 

Bei  K.  muß  noch  eine  sehr  große  Anhänglichkeit  an  seine 
Rtutter  hervorgehohen  werden;  um  derselben  näher  zu  sein,  resjjek- 
tive  von  ihr  besucht  werden  zu  können,  hat  er  mit  Geldopfern 
seine  Versetzung  aus  G.  nach  S.  durchgeführt. 


{Referate. 


Das  System  der  Skiaskopie  und  Ophthalmoskopie  vom 
Standpunkt  der  physischen,  physiologischen  und 

geometrischen  Optik. 

Von  Dr.  Hugo  Wolff. 

•  Berlin  1906,  S.  Karger. 

Der  Verfasser,  der  sich  durch  seine  Arbeiten  über  Skia¬ 
skopie  und  sein  elektrisches  Skiaskopophthalmometer  längst  einen 
Namen  unter  den  Fachgenossen  geschaffen  hat,  legt  uns  in 
diesem  Buche  die  Grundzüge  seiner  Theorie  der  Skiaskopie  in 
übersichtlicher  Weise  vor.  Aber  nicdit  bloß  auf  die  Skiaskopie, 
sondern  auch  auf  die  Ophthalmoskopie  im  aufrechten  und  um¬ 
gekehrten  Bilde  dehnt  sich  die  Betrachtung  aus,  denn  es  ergibt 
sich,  daß  zwischen  diesen  Methoden  nicht  so  wesentliche  Unter¬ 
schiede  bestehen,  wie  man  allgemein  annimmt;  vielmehr  lassen 
sich  alle  drei  als  Spezialfälle  in  der  Anordnung  der  einzelnen 
Glieder  jenes  komplizierten  optischen  Systems  darstellen,  das 
aus  dem  iVuge  des  Untersuchten  und  des  Beobachters  mit  dem 
Augenspiegel  zwischen  beiden  besteht.  Der  letztere  spielt  eine 
doppelte  Rolle,  namentlich  bei  der  Skiaskopie,  einmal  als  licht¬ 
reflektierende  Fläche,  das  andere  Mal  als  Blende. 

Wolff  hat  den  einzig  richtigen  AVeg  betreten,  der  zu 
(dner  Lösung  der  hier  vorliegenden  Probleme  führt,  indem  er 
von  der  Ab  besehen  Lehre  von  der  Blendenwirkung  ausgeht. 
So  allein  gelangt  man  auch  zu  einem  Ahu'ständnis  von  Einzel¬ 
heiten,  ja  es  zeigt  sich  geradezu,  •  daß  solche  Einzelheiten  von 
höherer  Bedeutung  sind,  als  man  ihnen  bisher  zugeschrieben  hat. 

Als  solche  Einzelheit  wäre  zunächst  die  zentrale  graue 
Scheibe  zu  erwähnen,  mit  ihrer  auf  den  ersten  Blick  regel¬ 
widrigen  Bewegung,  die  sich  als  die  Zerstreuungsfigur  des  Spiegel¬ 
loches  erweist.  Der  eigentliche  Richtungswechsel  in  der  Schalten¬ 
bewegung  ergibt  sich  als  ein  Problem  der  Locbabbildung  durch 
den  Augenspiegel  iind  der  Moment,  wo  der  Fernpunkt  des  unter¬ 
suchten  Auges  mit  dem  Spiegelloche  zusammenfällt,  ist  der  Mo¬ 
ment  des  Richtungswechsels. 

Es  wäre  längst  besser  um  die  Theorie  der  Schattenprol)e 
bestellt,  wenn  man  nicht  immer  versucht  hätte,  das  allerdings 
komplizierte  Ih'obleni  zu  vereinfachen.  Solchen  von  vorn¬ 
herein  eingeführlen  Vereinfachungen  weicht  der  Verfasser  aus, 
denn  die  Lehre  von  der  Ein-  und  Auslrittspupille  ist  nicht  eine 
Vereinfachung,  sondern  ei’inöglicht  nur  eine  klarere  Darstellung. 
Aber  immer  noch  hleil)t  das  Problem  der  Schattenprohe  in 
dieser  Form  eine  barte  Nuß,  selbst  für  den,  der  in  Ei'agen 
der  physiologischen  Optik  sattelfest  ist. 

Es  wäre  im  Interesse  des  Lesers  wünschenswert,  wenn 
Wolff  versuchte,  den  etwas  komplizieriien  Satzhau  seiiun" 
Sprache  zu  mildern.  Auch  nimmt  Wolff  allzuviel  auf  sein 
eigenes  Instninnnd,  mit  den  ihm  eigentümlichen  Beleuchtungs¬ 
verhältnissen  Rücksicht.  Denn  nach  der  allgettieinen  Fassung 
des  'l'itels  sollte  man  aiich  eine  allgemein  gültige  'l'heorie  der 
Schatt('nprobe  erwarten;  und  es  ist  sicher,  daß  die  Methode, 
auch  niil  Ophlhalmoskopierlanipe  und  gewöhnlichem  l’lanspiegel 
aiisg(dührl,  imnun'  noch  eiiu'  sehr  ('xakt(‘  ist. 


Doch  das  sind  Kleinigkeiten,  die  den  Wert  des  Buches 

nicht  zu  beeinträchtigen  vermögen. 

* 

Die  Chirurgie  des  Auges  und  seiner  Adnexe. 

Von  Dr.  Felix  Tcriicu. 

Ins  Deutsche  übertragen  von  Dr.  Eugen  Kauffinann. 

München  - Paris  1 906,  Reinhardt. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  die  von  der  Vorbereitung 
zur  Oueralion  und  von  der  speziellen  chirurgischen  Anatomie  des 
Auges  handelt,  schildert  der  Verfasser  zunächst  die  Oimrationen 
am  Augapfel  selbst  und  dann  die  an  der  Augenhöhle  und  den 
Adnexen.  Die  Schilderung  ist  leicht  faßlich  und  genau  und  wird 
durch  eine  große  Anzahl  lehrreicher  und,  w'enn  auch  einfach, 
aber  doch  sorgfältig  ausgeführter  Abbildungen  unterstützt.  Der 
Verfasser  legt  viel  AVert  auf  eine  richtige  Indikationsstellung 
und  ist  in  dieser  Hinsicht  exakt  und  vorsichtig;  wie  es  die 
Natur  der  Sache  init  sich  bringt,  geht  er  hiebei  vielfach  auch  aut 
die  nicht  operative  Therapie  ein,  so  daß  das  Buch  nicht  die 
Chirurgie,  sondern  vielmehr  die  Therapie  der  chirurgischen  Er¬ 
krankungen  des  Auges  umfaßt.  Kurz,  es  geht  ein  wohltuender 
Zug  von  Objektivität  und  Kritik  durch  das  Buch  und  das  muß 
um  so  mehr  hervorgehoben  werden,  als  man  bei  französischen 
Publikationen  ganz  anderes  zu  finden  gewohnt  ist.  Es  sind  auch 
viel  deutsche  Autoren  in  dem  Buche  zitiert. 

Aber  wie  das  Buch  aus  dem  klinischen  Unterrichte  hervor- 
gegangen  ist,  so  ist  die  Technik,  die  es  lehrt,  die  einer  ganz 
bestimmten  Schule,  der  Schule  von  Pan  as.  Damit  soll  ihm  aber 
nicht  der  Ahu'wurf  der  Einseitigkeit  gemacht  sein,  denn  jedem 
scheint  die  Methode,  die  er  seit  langem  übt,  auch  die  einfachste 
zu  sein.  Nur  daß  er  manche  Abweichungen  von  seiner  Methode, 
wie  z.  B.  die  Fixatioii  am  unteren  Hornhautrande  als  entschieden 
verwerflich  bezeichnet,  finde  ich  nicht  gerechtfertigt.  Dem  Ge¬ 
brauche  der  linken  Hand  ist  er  durchaus  abhold,  nicht  einmal 
bei  der  Sondierung  des  rechten  Tränennasenganges  bedient  er 
sich  der  linken  Hand.  Auch  narkotisiert  er  mehr,  als  es  nach 
unseren  Begriffen  nötig  ist,  doch  das  hängt  vielleicht  mit  einer 
größeren  Empfindlichkeit  seines  Krankenniateriales  zusammen. 

Der  Uebersetzer  dieses  im  .fahre  1902  in  französischer 
Sprache  erschienenen  Buebes  hat  seine  Aufgabe  meisterhaft  ge¬ 
löst;  man  merkt  es  bei  der  Lektüre  gar  nicht,  daß  man  eine 
Uebersetzung  vor  sich  hat. 

AAhr  verdanken  ferner  dem  Uebersetzer  einige  Details  über 
die  öligen  Kollyrien,  die  in  Deutschland  noch  wenig  bekannt  sind. 
Endlich  sind  auch  übei'  Veraidassung  des  Autors  in  dem  Kapitel 
über  die  Staroperation  Aenderungen  vorgenommen,  insoferne  die 
Indikationsstellung  zugunsten  der  kombinierten  Methode  ver¬ 
schoben  erscheint. 

Mitteilungen  aus  der  Augenklinik  des  Karolinischen- 
mediko-chirurgischen  Institutes  zu  Stockholm. 

Herausgegeben  von  Prof.  J.  AVidmark. 

Heft  8. 

Jena  1906,  G.  Fischer. 

Dalen  hatte  Gelegenheit,  einen  sehr  frischen  Fall  von 
Tabak-Alkohol-Andilyopie  zu  untersuchen,  der  neun  AVoeben  nach 
dem  Auftreten  der  Krankheit  durch  Selbstmord  endete.  Es  zeigte 
sich,  daß  die  Krankheit  als  eine  primäre  Degeneration  des  papillo¬ 
makulären  Bündels  aufgefaßt  werden  müsse;  denn  es  fand  sich 
nur  unbedeutende  AVueberung  der  Neuroglia  und  keine  Verände¬ 
rung  an  den  bindegewebigen  Septen,  während  der  Zerfall  der 
Nervenfasern  zwar  noch  nicht  durch  die  AVei  ger  t  sehe,  w'ohl 
aber  durch  die  AI  arch  i  sehe  Färbung  nachweisbar  war.  Einige 
Details  üb(U'  den  weiteren  AUrlauf  der  Sehfasern  bis  zum  äußeren 
Kniehöcker  beschließen  die  interessante  und  sorgfältige  Arbeit. 

Derselbe  Autor  hat  ferner  sehr  eingehende  Untersuchungen 
über  die  Gestalt  der  Linse  in  verschiedenen  Lebensaltern  vorge¬ 
nommen.  Die  Untersuebungen  wurden  an  toten  Augen  mit  dem 
Ophthalmometer  gemacht.  Sie  bestätigen  zunächst  die  Angabe 
Tschernings  von  der  Abflachung  der  vorderen  Linsenfläche 
gegen  die  I^erii)herie  hin,  stützen  aber  sonst  die  v.  Helmholtz- 
sche  Akkommodationstheorie.  Denn  auch  am  toten  Auge  besitzt  die 
Zonula  noch  Spannung  genug,  um  zu  verhindern,  daß  die  Linse 
ihre  Eigenform  annebme.  Nach  Dnrehtrennung  der  Zonula  tritt 
besonders  beim  jugendlicben  Erwachsenen  eine  beträchtliche  A'^er- 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


505 


kleinerung  des  Radius  der  vorderen  Liiisenfläche  ein,  die  bei 
Leuten  zwischen  Id  und  38  Jahren  durchwegs'  über  4  nun  ])etrug. 

Gertz  sucht  dui'ch  Ermittlung  der  Parallaxe  des  umge¬ 
kehrten  Fundushildes  gegen  die  Reflexe  der  dazu  verwendeten 
Linse  die  Refraktion  zu  bestimmen.  Die  Idee  ist  originell  und 
die  theoretische  Begründung  unanfechtbar;  oh  es  sich  aber  auch 
praktisch  durchführen  läßt,  ist  eine  andere  Frage,  da  die  zur 
Erzielung  der  Parallaxe  auszuführenden  Bewegungen,  wenn  sie 
aus  freier  Hand  ansgeführt  werden,  wohl  zumeist  die  nötige 
Priizision  vermissen  lassen. 

Es  folgt  dann  eine  statistische  Arbeit  über  Staroperalionen 
von  Lundberg,  endlich  ein  Artikel  von  Widmark  selbst  über 
das  Vorko.mmen  von  Blindheit  in  den  skandinavischen  Lcändern 
am  Eingänge  des  XX.  Jahrhunderts,  aus  dem  sich  die  erfreuliche 
Tatsache  entnehmen  läßt,  daß  die  Blindheit  in  diesen  Ländern, 
sowohl  absolut,  als  relativ,  erheblich  abgenommen  bat. 

♦ 

lieber  Augenerkrankungen  sexuellen  Ursprungs  bei 

Frauen. 

Von  Dr.  Emil  Berger  und  Dr.  Robert  Loewy. 

Deutsche  zum  Teile  neubearbeitete  Ausgabe,  übersetzt  von  Dr.  Beatrice 

Boßbacli. 

Wiesbaden  1906,  Bergmann. 

Die  Autoren  haben  es  sich  angelegen  sein  lassen,  alles, 
was  in  dieses  Gebiet  einschlägt,  aus  der  Literatur  zusammenzu¬ 
tragen  und  haben  auch  viele  eigene  Beohachtungen  in  Kürze  hin¬ 
zugefügt.  Der  Inhalt  ist  reich  und  das  Buch  wird  für  den,  der 
über  dieses  Kapitel  arbeitet,  ein  wichtiges  Nachschlagel)uch  bilden. 
x\l.)er  es  ist  doch  nur  eine  Kompilationsarbeit  mit  allen  Schwächen 
und  Vorzügen  einer  solchen. 

Die  grobe  Gliederung  des  Stoffes  nach  gehurtshilflichen 
und  gynäkologischen  Gesichtspunkten  ergibt  sich  von  seihst ;  aber 
innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  sind  die  Augenerkraiikungen 
nur  nach  anatomischen  Gesichtspunkten  geordnet,  was  sicherlich 
nicht  dem  Wesen  der  Sache  entspricht,  oder  dem  Verständnis 
ziigute  kommt.  Aber  das  liegt  zum  größten  Teile  daran,  daß  wir 
über  den  Zusammenhang  der  Vorgänge  in  der  Genitalsphäre  und 
der  Augenerkrankung  noch  so  wenig  wissen.  Zwar  lassen  die 
.\idoren  noch  solchen  Mittelgliedern,  wie  Reflexe,  Schwäcliezii- 
stände,  Anämie,  funktionelle  Neurosen  usw.  ihr  Recht  wider¬ 
fahren;  die  Hauptrolle  aber  bei  der  Erklärung  dieses  Zusammen¬ 
hanges  spielt  die  Autointoxikation. 

Es  soll  nun  keineswegs  geleugnet  werden,  daß  durch  die 
Einführung  der  Begriffe:  innere  Sekretion  und  Töxinbildung,  ein 
Fortschritt  in  der  Erkenntnis  des  Zusammenhanges  pathologi¬ 
scher  Vorgänge  untereinander  angebahnl.  worden  ist.  Aber  es  ist 
sicher  nicht  zu  billigen,  daß  man  zu  dieser  Erklärung  überall 
dort  greift,  wo  andere  versagen.  Bequem  ist  eine  solche  Theorie' 
ja  allerdings,  fast  so  bequem,  wie  die  Erkältungstheorie,  an  der 
die  Laien  noch  immer  mit  solcher  Zähigkeit  festhalten.  Zum  min¬ 
desten  sind  uns  die  Verfasser  den  Beweis  dafür,  daß  ilie  Augeii- 
erkrankung  durch  Toxämie  entstehe,  in  den  allermeisten  Fällen 
schuldig  geblieben. 

Es  erscheint  endlich  der  Erwähnung  wert,  daß  auch  die 
Geburtsverletzungen  des  Kindes  in  das  Buch  auf  genommen  sind, 
was  man  nach  dem  Titel  nicht  erwarten  sollte. 

Die  Uebersetzerin  bat  ihre  Aufgabe  mit  großem  Geschick 
gelöst.  Salz  mann. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitschriften. 

209.  Heilung  eines  Karzinoms  durch  Sonnen¬ 
licht  neljst  einigen  Beiträgen  zur  unmittelbaren 
Lichttherapie.  Von  Dr.  C.  Widmer  (Flims-Waldhaus),  Arzt 
am  Lerchschen  Spital  in  Zofingen.  Bernhard  hat  zuerst  «Ge¬ 
schwüre  nach  Peniionen,  dann  jene  torpiden  Geschwüre  mit 
weiter  fressenden  Rändern  und  eitrig  belegtem  Grunde,  auf  Zehen, 
Fußrücken  und  Eußrändern  der  Heilkraft  des  Sonnenlichtes  aus 
gesetzt.  Jede  andere  Behandlung;  wurde  vermieden;  nach  der 
Sitzung  wurde  das  Geschwür  mit  sauberem  Mull  bis  zur  nächsten 
Sitzung  bedeckt.  Der  Erfolg  war  ein  verblüffender.  Bei  liöcli- 
stens  einer  bis  zwei  Slunden  täglicher  Beslrablung  waren  tlie 
Geschwüre  sämtlich  in  durchschnittlich  einer  Woche  geheilt,  hi 


den  ersten  Tagen  schon  säuberte  sich  in  aiiffallejider  Weise  der 
Grund  der  Geschwüre,  wurde  hellrot  und  verwandelte  sich  bald 
in  eine  Epithellage.  Bei  Kontrollversuchen  mit  Perubalsam,  Re¬ 
sorzin,  Alum.  acct.  usw.  verzögerten  sich  Säuberung  und  Heilung 
meist  viele  Wochen  lang.  Viele  sehen  die  Erfolge  der  Sonnen¬ 
lichtbehandlung  eher  als  Austrocknung,  nicht  als  fipezi fische 
Strahlenwirkung  an.  Des  Verfassers  Beobachtungien  von  Sonnen¬ 
strahlenheilungen  erstrecken  sich  nicht  nur  auf  Pernionemdzera- 
tionen,  sondern  auch  auf  Ulcera  cruris,  chronische  Fisteln  nach 
Halsdrüseneiterungen,  Fisteln  nach  Tuberculosis  pedjs  und  Coxi¬ 
tis  tuberc.,  auf  multiplen  Dekubitus  bei  Spinalaffektion  mit 
ausgedehnter  Hautnekrose,  auf  Fälle  von  Herpes  tonsurans, 
Ekzem  etc.  Alle  diese  Fälle  kamen  in  ungewohnt  kurzer  Zeit 
zur  Heilung.  Der  Verfasser  berichtet  aber  auch  über  ein  ge¬ 
heiltes  Karzinom.  Eine  81jährige  Frau  hatte  an  ihrem  rechten 
Handrücken  ein  Hautkarzinom.  Verf.  riet  selbstredend  zur  Ope¬ 
ration,  doch  die  Patientin  verweigerte  dieselbe  hartnäckig.  Im 
Dezember  1905  war  die  Geschwulst  bereits  6  cm  lang,  exulzeriert, 
mit  übelriechendem  Sekret  bedeckt  und  um  die  Geschwulst  eine 
derbe,  ödematöse,  boclirote  Infiltration.  Die  ganze  Hand  war 
geschwollen  und  äußerst  schmerzhaft.  Da  Pat.  auch  jetzt  noch! 
jeden  operativen  Eingriff  perhorreszierte,  riet  Verf.  zur  Sonnen¬ 
lichtbehandlung.  Vom  Sekret  gereinigt,  würde  die  Geschwulst 
täglich  eine  bis  mehrere  Stunden  der  Sonne  ausgesetzt.  Nach 
einer  kontinuierlichen  Reihe  von  hellen  Sonnentagen  im  Januar, 
während  deren  die  kranke  Hand  oft  vier  unfl  mehr  Stunden  der 
Sonne  ausgesetzt  wurde,  wai*  die  exidzerierte  Oberfläche  des 
Tumors  sauberer,  <lie  Sekretion  geringer  und  die  Umgebung 
weniger  geschwollen.  Nach  weiteren  drei  Wochen  war  die  ganze 
Geschwulstoberfläche  eingesunken,  hellrote  Granulationen  l)e- 
deckten  den  Grund.  Die  entzündlich  ödematösen  Reaktions¬ 
erscheinungen  Um  den  Tumor  herum  waren  fast  ganz  weg.  Nach 
jeder  Bestrahlung  hatte  die  Tumorniasse,  welche  nun  eine  fast 
einheitliche  Granulationsfläche  bildete,  ein  hoebrotes;  glasiges 
Aussehen.  War  die  Bestrahlung  nur  zwei  Tägie  ausgeblieben, 
sah  die  Wundfläche  wieder  schmierig  aus  und  sezernierte  be¬ 
deutend  mehr.  Mitte  April  1906  war  die  Heilung  perfekt  und 
die  Geschwulst  verschwunden.  Eine  zarte,  rosarote  Kinderhaut, 
überall  von  der  Unterlage  abhebl)ar,  bedeckte  die  Fläche,  die 
die  Geschwulst  eingenommen  hatte  und  zeichnete  sich  scharf 
von  der  trockenen,  atrophischen  Greisenhaut  der  Umgebung  ab. 
Die  Heilung  ist  auch  seither  eine  dauernde  geblieben.  Jede  medika¬ 
mentöse  oder  anderweitige  Jherapie  l)lieb  natürlich  während  dev 
ganzen  Zeit  weg.  Was  nun  die  Technik  der  SonnenbesO'ahlung 
anbelangt,  so  fußt  sie  auf  den  beiden  Tatsachen,  daß  jedes  Glas 
und  andere  Medium  für  die  physiologisch  und  chemisch  wirk¬ 
samen  Strahlen  ein  Filter  bilden  und  zweitens,  daß  reflektierte 
Sonnenstrabien  ganz  bedeutend  die  direkten  Strahlen  zu  unter¬ 
stützen  vermögen.  Reflekliertes  Licht  wird  im  Hochgebii-g  reich¬ 
lich  von  den  ausgedehnten  Schneeflächen  geliefert.  Um  nun  die 
Strahlenwirkung  zu  verstärken,  konstruierte  sich  VG'if.  steile 
Trichter  von  bestimmter  Oeffnung  ‘und  Größe,  welche  das  Licht 
einer  größeren  Fläche  auf  eine  20-  bis  50mal  kleinere  Fläche 
sammeln,  also  auf  die  kleinere  Trichteröffnung  eine  ‘öOnial  größere 
Lichtmenge  bringen,  als  ihr  ohne  das!  Instrument  zukäme.  Diese 
Anwendungsweise  hat  noch  den  weiteren  Vorteil,  daßi  dadurch 
Strahlen  von  sehr  verschiedenem  Einfallswinkel  auf  die  Besfrah- 
lungsfläche  fallen.  Die  Gewebselemente  erhalten  auf  diese  Weise 
Licht  von  allen  Seiten,  was  durch  eine  Linse  nicht  erzielt  wird, 
welche  außerdem  für  viele  Blaustrahlen  undurchlässig;  ist.  Ver¬ 
fasser  erklärt  zum  Schlüsse,  aus  seiner  Einzelbeobachtung  keine 
allgemeinen  Schlüsse  ziehen  zu  wollen,  aber  er  meint,  es  lolme 
sieb,  die  Sonnenlicbtbehandlung  anzuwenden  und  den  so¬ 
genannten  Naturheilkundigen  ihr  therapeutisches  Feld  einzuengen. 
—  (Münchener  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  13.)  G. 

* 

210.  Lieber  eine  Epidemie  von  Fleischvergiftung 
im  Osten  Berlins.  Von  Med. -Rat  Dr.  Jakobson,  Kreisarzt, 
ln  der  Zeit  vom  9.  bis  11.  September  v.  J.  erkrankten  in  einem 
engbegrenzten  Stadtteil  Berlins  etwa  90  Personen  unter  Erschei¬ 
nungen,  die  auf  eine  akute  Vergiftung  oder  schwere  Infektion 
hinwiesen.  Unslillbares  Erbrechen,  pi'ofuse,  wässerige,  grüne 
Stühle,  verbunden  mit  Schwindelanfällen  und  Magenkrämpteu, 


506 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  17 


erhöhte  Temperatur  oder  kollapsartige  Tempera turernieclrigung 
(his  35-8°),  kalte  Extremitäten,  Foetor  ex  ore,  schwere  Herz¬ 
schwäche,  in  den  späteren  Tagen  öfters  Abgang  von  Blut  im 
Stuhle:  das  waren  nach  den  Angaben  der  behandelnden  Aerzte 
die  wichtigsten  Symptome.  Ein  Erwachsener  und  ein  IV2  Jahre 
altes  Kind  starben,  alle  übrigen  Kranken  genasen  nach  Ablauf 
einiger  Tage.  Es  wurde  bald  sichergestellt,  daß  alle  Kranken  ein 
vom  Fleischer  S.  bezogenes  Schabefleisch  gegessen  hatten.  Nach 
dem  Genüsse  des  fraglichen  Fleisches  starb  auch  eine  kleine 
Schildkröte  und  mehi-ere  Hunde  erkrankten.  Das  Institut  für 
Infektionskrankheiten  bekam  die  Vorgefundenen  Reste  des  Fleisches 
zur  bakteriologischen  Untersuchung.  Dem  Aussehen  nach  schien 
das  Fleisch  gut  und  unverdächtig,  Farbe,  Geruch  und-  Kon¬ 
sistenz  wiesen  nichts  Abnormes  auf.  Die  Erkrankung  setzte  prompt 
und  ungefähr  acht  Stunden  nach  dem  Genüsse  des  rohen  Fleisches, 
selbst  in  geringen  IMengen,  ein,  während  nach  dem  Genuß  von 
gebratenem  Fleische  nur  vereinzelte,  leichte  Erkrankungen  (je 
nach  dem  Grade  des  Durchbratens)  beobachtet  wurden.  Man 
hatte  es  niit  dem  Bacillus  paratyphosus  B.  zu  tun,  mit  dem 
typischen  Erreger  der  Fleischvergiftung.  Man  fand  diese  Mikrobe 
im  Fleische,  in  den  Stühlen  einer  Anzahl  erkrankter  und  er¬ 
krankt  gewesener  Personen,  ebenso  ergab  das  Blutserum  dieser 
Personen  und  selbst  noch  einiger,  in  deren  Stühlen  der  Bazillus 
nicht  mehr  nachweisbar  war,  deutlich  Widal  sehe  Reaktion  auf 
Bacillus  paratyphosus.  Etwa  zwei  MWeben  später  waren  die 
Bazillen  in  den  Stühlen  nicht  mehr  nachweisbar,  wohl  aber  noch 
in  einigen  Fällen  im  Urin  zu  finden.  Derselbe  Bazillus  wurde 
auch  in  den  Organen  und  im  Danninhalt  des  verstorbenen  Er¬ 
wachsenen  konstatiert.  Interessant  gestalteten  sich  die  weiteren 
Nachforschungen.  Das  Geschäft  des  Fleischers  S.,  seine  Arbeits¬ 
und  Kühlräume  konnten  nicht  beanstandet  werden.  Dessen  Fäzes 
erwiesen  sich  jedoch  als  eine  Reinkultur  des  genannten  Bazillus, 
ohne  daß  S.  etwas  über  eine  Erkrankung  anzugeben  wußte.  Auch 
in  den  Stühlen  des  Dienstmädchens  wurde  der  Bacillus  para¬ 
typhosus  nachgewiesen  und  dieses  gab  an,  vor  einigen  Tagen 
krank  gewesen  zu  sein.  Nun  erinnerte  sich  auch  der  Fleischer  S., 
sich  einige  Tage  nicht  ganz  wohl  gefühlt  zu  haben.  Das  Serum 
beider  Personen  ergab  die  Widalsche  Reaktion,  nach  zehn  Tagen 
waren  ihre  Stühle  frei  von  Bazillen.  Daraus  schloß  mau,  daß 
das  Fleisch  bereits  infiziert  in  das  Geschäft  des  S.  gebracht  worden 
war.  Um  dieselbe  Zeit  kamen  übrigens  in  Berlin  noch  mehrere 
zerstreute  Fälle  von  Fleischvergiftung  vor,  welche  auf  den  Ge¬ 
nuß  des  Restes  des  fraglichen  Fleisches  zurückgeführt  werden. 
Verf.  hält  die  Fleischvergiftung  für  eine  Infektions-  und  nicht 
für  eine  Inloxikationserkrankung,  was  er  begründet.  Dr.  med. 
Oster  tag,  Professor  an  der  tierärztlichen  Hochschule  in  Berlin, 
gibt  an,  daß  die  bekannt  gewordenen  Fleischvergiftungen  durch 

s  e  p  t  i  s  c  h  e  u  n  d  p  y  ä  m  i  s  c  h  e  E  r  k  r  a  n  k  u  n  g  e  n  d  e  r  S  c  h  1  a  c  h  t- 

tiere  bedingt  werden.  Als  auffälligste  klinische  Merkmale  der 
Sepsis  bezeichnet  er  schwere  Störungen  des  Allgemeinbefindens 
und  große  Hinfälligkeit  der  Tiere,  die  zu  der  lokalen  Erkrankung 
in  gar  keinem  Verhältnis  stehen.  Die  Behandlung  der  Fleisch¬ 
vergiftung  war  eine  symptomatische:  Ol.  Ricini  oder  Opium  mit 
Koffein,  Tee  mit  Rotwein  oder  KlysLiere  von  Acid,  lannicum  und 
Opium,  Kampfer,  Kochsalzinfusion.  —  (Berliner  klin.  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  12.) 

« 

211.  Die  Isolierung  der  Tuberkulösen  u  n  d  d  e  r 
K  a  m  p  f  gegen  die  Tuberkulose.  Von  M.  Leon  Bourgeois, 
deutsch  bearbeitet  von  Dr.  Felix  Blumenfeld.  Bourgeois 
erörtert  den  vom  Aufsichtsrat  der  Assistence  publicjue  und  der 
ständigen  Kommission  zur  Verhütung  der  Tuberkulose,  deren 
Präsident  er  ist,  entworfenen  Plan  zur  Bekämpfung  der  Tuber¬ 
kulose,  der  durch  die  breite  Grundlage,  auf  der  er  aufgebaut 
ist  und  das  zielbewußte  Streben,  das  er  verrät,  zu  einer  grolL 
artigen  Organisation  sich  veiwirklichen  dürfte.  Der  Plan  hat  iin 
Auge  den  Schulz  der  gesunden  Bevölkenmg  durch  die  Isolierung 
der  Tuberkulösen  und  sonstige  prophylaktische  Maßnahmen  und 
die  weitestgehende  S^rge  für  Tuberkulöse  und  Tuberkuloseverdäch- 
lige  durch  die  Tätigkeit  von  Dispensairen  und  die  Aufnahme 
in  Heilstätten.  Das  Dispensaire  ist  als;  Mittelpunkt  der  prophylak¬ 
tischen  und  als  Ausgangsiumkt  der  Kraukenhauslätigkeit  gedacht. 
Das  Dispensaire  soll  entscheiden,  ob  der  Kranke  hei  entsprechender 


Fürsorge  und  Obhut  in  häuslicher  Pflege  verbleiben  oder  in  eine 
der  Anstalten  abgegeben  averden  soll.  Das  Dispensaire  umfaßt 
eine  täglich  geöffnete  Poliklinik  für  Tuberkulöse;  einen  Speise¬ 
saal,  in  dem  externe  Kranke  eine  ihrem  Zustand  angepaßte  Ver¬ 
pflegung  erhalten;  Verteilung  von  Spuckflaschen  und  Medika¬ 
menten;  Austeilung  reiner  Wäsche  gegen  Abliefemng  gebrauchter 
und  regelmäßige  Besuche  von  Helfern  in  den  Wohnungen  der 
Kranken.  In  einer  bestimmten  Anzahl  von  Krankenhäusern  sollen 
eventuell  durch  Anfügung  von  Neubauten  Spezials tationen  für 
die  Behandlung  Tuberkulöser  eingerichtet  werden.  Diese  Spezial- 
statioiien  sind  sowohl  räumlich  als  auch  diinsichtlich  ihres  Per¬ 
sonales  von  den  übrigen,  Abteilungen  der  Krankenhäuser  voll¬ 
ständig  isoliert,  sollen  aber  hygienisch  in  derselben  Weise  ge¬ 
baut  und  eingerichtet  sein  wie  Lungenheilstätten.  In  diese SpeziaV 
s tationen  kommen  nicht  nur  Schwerkranke,  sondern  auch  solche 
leichtere  Kranke,  für  welche  die  Entfernung  aus  Paris  aus  irgeiub 
einem  Grunde  nicht  zweckmäßig  erscheint.  Endlich  sollen  außer¬ 
halb  Paris  Lungenheilstätten  für  lieilbare  Fälle  errichtet  werden. 
Die  Zuweisung  in  diese  oder  jene  Krankenanstalt  erfolgt  von 
seiten  der  zugehörigen  Dispensaire.  Zur  Ausführung  soll  zu¬ 
nächst  die  Errichtung  eines  Dispensaires  im  Krankenhaus  Laennec 
kommen,  eine  Spczialstation  in  demselben  Krankenhaus  für 
250  Kranke  und  eine  Lungenheilstätte  für  500  Kranke  in  Brevanne. 
In  Aussicht  genommen  sind  Spezialstationen  in  anderen  Kranken¬ 
häusern  und  eine  Lungenheilstätte  in  Jory  oder  Vaucresson  für 
1700  Kranke.  Die  Kosten  werden  aus  einer  Anleihe  von  45  Mil¬ 
lionen  gedeckt.  Die  einzelnen  Gesichtspunkte  sind  nicht  neu; 
der  Fortschritt  liegt  in  dem  methodisch  geordneten  Organisations¬ 
plan,  der  verschiedene  Kampfmittel  gegen  die  Tuberkulose  zu 
einem  einheitlichen  Ganzen  verbindet.  ■ —  (Beiträge  zur  Klinik 
der  Tuberkulose,  Bd.  7,  H.  1.)  J.  S. 

* 

212.  Aus  der  IV.  medizinischen  Ableilung  (Prof.  Dr.  Fried¬ 
rich  Ober  may  er)  und  dem  pathologisch-chemischen  tnstitut 
(Vorstand  Dr.  Ernst  Freund)  der  k.  k.  Krankenanstalt  ,, Rudolf- 
Stiftung“  in  Wien.  Untersuchungen  über  die  Ausschei¬ 
dung  von  Euglobulin  im  Harne  bei  Amyloiderkran¬ 
kung.  Von  Dr.  E.  Zak  und  Dr.  F.  Neck  er.  Unter  Euglobulin 
wird  eine  Eiweißfraklion  des  Blutserums  verstanden,  welche  aus 
demselben  bei  Drittelsättigung  durch  Ammonsulfat  ausgesalzen 
wird.  Wenn  auch  durch  die  Untersuchungen  von  E.  P.  Pick, 
Spiro,  Freund  und  Joachim  nachgewiesen  wurde,  daßi  diese 
Eiweißfraklion  sich  noch  in  weitere  Komponenten  zerlegen  läßt, 
so  ist  es  derzeit  aus  praktischen  Gründen  zweckmäßig,  die  Euglo- 
hulinfraktion  als  Ganzes  zu  betrachten.  Anschließend  an  eine 
Beobachtung  Joachims,  der  in  einem  Fälle  von  Nephritis  chro¬ 
nica  mit  Amyloidose  der  Milz,  Leber  und  Nieren  eine  bedeutende 
Vermehrung  der  Euglobulinausscheidung  im  Gegensatz  zu  sechs 
nicht  mit  Amyloidose  vergesellschafteten  Nephritisfällen  konsta,- 
tierte,  sowie  an  eine  ähnliche  Beobachtung  Wallersteins 
haben  sich  die  Verfasser  der  Aufgabe  unterzogen,  diese  Verhält¬ 
nisse  zu  diagnostischen  Zwecken  klarzustellen.  Auf  Grund  einer 
Reihe  von  Fällen,  die  sowohl  klinisch  als  auch  mikroskopisch- 
chemisch  ungemein  genau  studiert,  zum  Teil  auch  durch  die  Ob¬ 
duktion  kontrolliert  wurden,  kamen  sie  zu  dem  Resultat,  daß 
sich  bei  all  ihren  Fällen  Euglobulin  nachweisen  ließ,  wenn  die 
Fälle  genügend  lange  beobachtet  wurden.  Die  Menge  des  Euglo- 
bidins  unterliegt  großen  Schwankungen.  Eine  Beeinflussung  der 
Euglobulinmenge  durch  Temperatursteigerungen,  Diarrhöe,  Aende- 
rung  der  Nahrung,  zunehmende  Kachexie  oder  vorübergehende 
Besserung  im  Befinden  des  Patienten  konnten  die  \mrfasser  nicht 
nachweisen.  Sie  fanden  ferner,  daß  nicht  nur  der  Eiweißquolieut 
bei  denselben  Individuen  innerhalb  weniger  Stunden  schwankt, 
sondern  auch  die  Zahl,  die  das  Verhältnis  des  Euglobulins  zum 
Pseudoglobulin  (ein  Globidin,  das  erst  bei  Halbsättigung  mit 
Ammoniumsnlfat  aiisfällt)  angibt.  Die  Schwankungen  gehen  so 
weit,  daß  die  Verfasser  sich  berechtigt  sehen,  von  einer  „inter¬ 
mittierenden  Euglobulinurie“  bei  Amyloidose  zu  si)rechen.  Wenn 
demnach  bei  fehlendem  oder  geringem  Euglohulingehalt  des 
Harnes  eine  Amyloidose  nicht  ausgeschlossen  werden  darf,  so 
ist  doch  der  N  a  c  h  w  e i  s  einer  starken  E  u  g  1  o  b  u  1  i  n  a  u  s- 
sclieidung  ein  für  die  Diagnose  der  A  m  y  1  o  i  ile  r  k  r  a  n- 
kung  schwer  in  das  Gewicht  fallender  Faktor.  Ein 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


P.07 


besonders  schönes  Beispiel  hiefür  bietet  ein  von  den  Verfassern 
beschriebener  Fall,  bei  welchem  die  Diagnose  ,,Ainyloiderkran- 
kung“  jVuf  (Jrund  der  Euglolmlinausscbeidung  gestellt  und  durch 
die  Obduktion  unzweifelhaft  bewiesen  wurde.  —  (Deutsches 
Archiv  für  klinische  Medizin,  Bd.  88.)  J.  Sch. 

213.  Aus  der  Nervenpoliklinik  der  kgl.  psycbiatriscbeu 

Klinik  zu  Königsberg  (Prof.  Dr.  E.  Meyer).  lieber  atypische 
F 0 r ni e n  der  T h o m s e n s c b e n  Krankheit  (M y o t o ni i a  con¬ 
genita).  Von  Dr.  A.  Pelz,  eheinaLigein  I.  Assistenzarzt  der 
Klinik.  Die  Untersuchungen  Pelz’  lassen  eine  überraschende 
Zahl  und  Mannigfaltigkeit  der  Abweichungen  vom  typischen  Bilde 
der  Thomsenschen  Krankheit  erkennen,  Abweichungen,  die  sich 
auf  Entstehung,  Verlauf,  Verteilung  etc.,  kurz  auf  das  Gesamt¬ 
bild  der  Krankheit  ebenso  beziehen  wie  ,auf  die  einzelnen  Sym¬ 
ptome.  Die  Störungen  der  mechanischen  Erregbarkeit  sind  in 
liäufigen  Fällen  nur  partiell,  in  seltenen  Fällen  überhaupt  nicht 
vorhanden.  Die  elektiische  Störung  ist  zuweilen  nur  unvoll¬ 
ständig  vorhanden.  Die  zablreichsten  und  eingreifendsten  Ab- 
Aveichungen  bietet  die  Störung  der  willkürlichen  Beweglichkeit, 
die  myotonische  Stöiamg,  Avelche  nicht  nur  völlig  fehlen  kann, 
es  kann  sogar  im  Gegensatz  zu  jedem  TönUs  eine  ausgesprochene 
lähmungsartige  Schwäche  und  Schlaffheit  bestehen,  ln  manchen 
Fällen,  sie  sind  Uebergangsfälle  zwischen  beiden  Extremen,  ist 
die  myotonische  Störung  so  gering,  daß  sie  subjektiv  überhaui)t 
nicht,  sondern  erst  bei  sorgfältiger  Prüfung  bemerkt  wird  und 
erst  bei  angestrengten,  forcierten  Impulsen  erscheint.  Die  Fami¬ 
liarität  und  der  kongenitale  Beginn '  fehlen  in  einer  großen  An¬ 
zahl  von  Fällen,  ln  diesen  handelt  es  sich  aber  nach  der  Meiiumg 
Pelz’  nicht  um  ein  wirklich  erworbenes  Leiden,  sondern  ent¬ 
weder  um  eine  plötzliche  Exazerbation  der  rudimentär  vorhan¬ 
denen  Kraidvheit  oder  um  eine  längere  Latenz  desselben  und  um 
einen  verspäteten  Ausbruch  bei  virtueller  Existenz  der  Krank¬ 
heit  (Myotonia  congenita  adultorum).  iZuweilen  tritt  das  Leiden 
in  peiiodischen  Anfällen  auf,  in  manchen  Fällen  ergreift  es  nicht 
den  ganzen  Köiimr,  sondern  befällt  nur  .einzelne  Regionen,  mit¬ 
unter  nur  eine  Köiperhälfte.  Bei  verschiedenen  Nervenkrauk- 
heiten,  besonders  bei  Tetanie  und  Neurosen  treten  ,,lnt3ntioiis- 
krämpfe“  auf,  Erscheinungen,  die  der  Avillküiiichen  myotonischen 
Störung  älmlich  sind.  Am  konstantesten  sind  noch  die  Störungen 
der  mechanischen  und  elektrischen  Erregbarkeit,  doch  gibt  es- 
kein  einziges  absolut  pathognomonisches  klinisches  Symptom  für 
Myotonia  congenita.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrank¬ 
heiten,  Bd.  42,  H.  2.)  S. 

* 

214.  U  e  b  e  r  Z  u  c  k  e  r  a  n  h  ä  u  f  u  n  g  i  m  B 1  u  t  e  u  n  d  iii  d  e  n 
Geweben  bei  Diabetes.  Von  Marcel  Lab  he.  Wenn  man 
einem  zuckerfreien  Diabetiker  eine  seine  Toleranzgrenze  über¬ 
schreitende  Menge  von  Kohlehydraten  zuführt,  so  tritt  die  Glyko- 
surie  erst  nach  einigen  Tagen  auf  und  nimmt  allmählich  zu; 
wenn  man  einem  Zucker  im  Harn  ausscheidenden  Diabetiker 
eine  unterbalb  seiner  Toleranzgrenze  liegende  Kohlehydratmeuge 
verabreicht,  so  verschwindet  die  Glykosurie  nicht  sofort,  sondern 
sukzessive  im  Verlaufe  einiger  Tage.  Dieses  Verhalten  führt  zu 
der  Annahme,  daßi  eine  Retention  und  Anhäufung  von  Zucker  im 
Organismus  des  Diabetikers  stattfindet.  Man  ist  imstande,  die 
im  Blut  und  in  den  Geweben  der  Diabetiker  angebäufte  Zucker¬ 
menge  zu  messen  und  durch  Veränderuiiigen  der  Diät  nach  Be¬ 
lieben  Retention  oder  Elimination  des  Zuckers  hervorzurufeu. 
Die  Symptome  des  Diabetes  stehen  in  direktem  Zusammenhang 
mit  der  Zuckerretenlion.  Aus  der  Differenz  zwischen  der  ein¬ 
geführten  und  der  zur  Verbrennung  gelangten,  sowie  der  mit 
dem  Harn  ausgeschiedenen  Kohlehydrate  kann  man  die  Menge 
des  im  Blut  und  in  den  Geweben  zurückgebaltenen  Zuckers 
bestimmen.  Die  Zuckerre ten  lion  kann  bei  noch  nicht  behandelten 
Diabetikern  beträchtliche  Grade  erreicben,  so  konnte  diese  IMenge 
in  einem  Falle  auf  5-598  g  berechnet  werden.  Nach  neueren 
Bestimmungen  kann  ein  gesunder  Mensch  von  60  kg  Körpergewicht 
bei  reichlicher  Ernährung  einen  Glykogenvorrat  von  2-400  g  in 
seinem  Organismus  aufspeichern,  so  <lafi  die  Aufspeicheiamg  noch 
größerer  Mengen  bei  reichlich  ernährten  Diabetikern  nicht  über¬ 
raschen  kann.  Die  progressive  Aufspeicherung  von  Kohlehydratcm 
gibt  sich  zunächst  beim  Diabetiker  durch  Glykosurie  kund,  welche 


eiidritt,  sobald  der  Zuckergehalt  des  Blutes,  2%o  übersteigt.  Die 
weitere  Anbäufung  von  Zucker  in  den  Geweben  ei'fordert  die 
Zufulir  von  Wasser  zur  Verdünnung  und  es  stellen  sieb  dann 
Polyurie  und  Polydipsie  ein.  ,Die  Polyphagie  hängt  mit  der  un¬ 
genügenden  Verbrennung  der  Kohlehydrate  und  der  sich  daraus 
ergebenden  Notwendigkeit  zusammen,  den  Bedarf  des  Organismus 
durch  reichliche  Eiweiß,-  und  Fettzufuhr  zu  decken.  Die  übrigen 
Diabetessymptome  stehen  mit  der  Sättigung  der  Gewebe-  und 
Körperflüssigkeiten  durch  die  angehäuften  Zuckermengen  in  Zu¬ 
sammenhang.  Die  Ausscheidung  der  Glykose  uiitei;  dem  Einfluß 
der  kohlehydratarmen  Ernährung  erklärt  die  im  Beginn  dieses 
Regimes  beobachtete  Körpergewichtsabnahme.  Die  mitgeteilten 
Beobachtungen  beweisen,  daß.  der  Diabetes  nicht  auf  gesteigerter 
Zuckei’in’oduktion,  sondern  auf  herabgesetzter  Verbrennung  der 
Kohlehydrate  berubt.  Die  Bcbandlung  des  Diabetes  muß,  danach, 
streben,  die  Elimination  des  angehäuften  Zuckers  zu  fördern, 
während  die  Darreichung  von  Medikamenten,  welche  die  Zucker¬ 
ausfuhr  herabsetzen,  z.  B.  Antipyrin,  entschieden  kontraindiziert 
ist.  —  (Bull,  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  Hop.  de  .Paris 

1907,  Nr.  5.)  a.  e. 

* 

215.  Aus  dem  hygienischen  Institut  der  k.  k.  Universität 
Innsbruck  (Vorstand:  Prof.  A.  Lode).  Ueber  die  VerAvert- 
barkeit  des  Phänomens  der  K o mp  1  e m e n t abl  e  n k u n g 
zur  Differenzierung  von  Kapselbazillen.  Von  Doktor 
Franz  Bai  ln  er,  k.  u.  k.  Regimentsarzt  und  Dr.  Hans  Reib¬ 
mayr,  Assistent  des  Inslitutes.  Wassermann  und  Bruck 
trachteten,  das  Phänomen  der  Komplenientbindung  (von  Bordet 
und  Gengou)  klinischen  Zwecken  dienstbar  zu  machen  uml 
hiedurch  eine  Methode  für  die  Erkennung  von  Infektionskrank¬ 
heiten  zu  schaffen.  Sie  zeigten,  daßi  heim  Vermischen  von  Ex¬ 
trakten  von  Typhusbazillen,  Meningokokken  und  SeiiAveinepest- 
bazillen  mit  dem  zugehörigen  ImmUnserum  das  zugefügte  Kom¬ 
plement  gebunden  Avird.  Weiters,  daß,  in  tuberkulösen  Organen 
gelöste  Substanzen  der  Tüberkelbazillen  und  Anlituherkulin  vor¬ 
handen  sind.  Nach  ,,Leuchs“  ist  die  Methode  auch  für  die 
Differenzieiaing  von  Typhus-  und  Paratyphusbazillen  brauchbar. 
Es  handelte  sich  nun  darum,  zu  versuchen,  ob  diese  Methode 
auch  für  die  Erkennung  und  Differenzierung  von  Kapselbazillen 
(Friedländer- Rhinoskleromgruppe)  brauchbar  sei,  denn  mit  den 
gewöhnlichen  serodiagnostischen  Hilfsmitteln  gelingt  es  nicht, 
spezifische  Kennzeichen  für  die  einzelnen  Arten  der  Kapsel¬ 
bazillen  ausfindig  zu  macben.  IDie  beiden  Verfasser  haben  nun 
in  ihren  Studien  über  idle  VerAvertbarkeit  der  Komplementablen¬ 
kung  für  die  Diagnose  Amn  Antikörpern  im  Innnunserum  und 
für  die  Erkennung:  der  spezifischen  Antigene  gefunden,  daß  beim 
Zusammenbringen  voji  spezifischem  Immuaserum  von  Kapsel¬ 
bazillen  mit  den  aus  denselben  hergestellten  Extrakten  tatsäch¬ 
lich  eine  Bindung  des  zugesetzten  Komplementes  erfolgt,  so  daß 
in  einem  nachträglich  zugefügten,  hämolytischen  System  das  Auf¬ 
treten  der  Häniolyse  unterbleibt.  Bei  ihren  Versuchen  benützten 
sie  im  allgemeinen  die  von  Wassermann  angegebene  Methode. 
Die  Immunsera  lieferten  Kaninchen,  die  durch  Aviederholte  intra¬ 
venöse  Injektionen  von  abgetöteten  Kulturen  von  Kapselbazillen 
vorbehandelt  Avurden.  Sie  AmrAvendeten  aber  nicht  allein  Ex¬ 
trakte  aus  abgetöteten  Kulturaufschwemmungen,  sondern  arbei¬ 
teten  auch  mit  Extrakten  von  solchen  BakteriensUspensioneii, 
bei  denen  nach  der  Methode  Amn  Borges  die  Kapseln  entfernt 
AAmrden  Avaien.  Aus  einer  beigefügten  Versuchstabelle  geht  her¬ 
vor,  in  Avelchen  Konzentrationen  ein  Friedländerimmunserum 
nach  Zusatz  von  verschiedenen  Extrakten  noch  eine  Bindung 
des  Komplementes  erkennen  läßt.  Um  aber  über  die  Spezi fizit-ät 
dieser  Bindung  ein  Urteil  zu  geAvinnen,  Avurden  von  den  Ver¬ 
fassern  KontrollAmrsuche  angestellt,  deren  Resultate  in  zwei  wei¬ 
teren  Tabellen  niedergelegt  sind.  An  der  Hand  ihrer  Versuche 
erörtern  die  Verfasser  nun  die  Frage,  ob  durch  die  Methode  der 
Komplementfixation  Avirklich  eine  verläßliche  Differenzierung  der 
Kapselbazillen  soAvohl  untereinander,  als  auch  eine  Abgrenzung 
derselben  gegenüber  anderen  Bakteriengruppen  zu  erreichen  sei. 
Ihre  Ueberzeugung  gebt  dahin,  daßi  eine  Abgrenzung  der  ein¬ 
zelnen  Arten  in  der  Gruppe  selbslt  nicht  mit  Sicherheit  durch¬ 
führbar  ist;  ab<>r  auch  für  differeidialdiagnoslis(dic  ZAAmcke  zui' 
Abgrenzung  der  Gruppe  der  Kapselbazillen  gibt  die  Methode  nicht 


50ö 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


genügend  verläßliche  Ansschläge.  Bei  einer  weiteren  Versuchs¬ 
reihe,  die  die  Verfasser  zuin  Vergleiche  der  Schärfe  dieser  Re¬ 
aktion  mit  der  Agglutinalionsreaktion  hei  Cholera,-,  Typhus-  und 
Koliinnnunseren  anstellten,  zeigte  sich,  daß  die  Älethode  der  Kom- 
plcinenthindung  zwar  für  den  hiologischen  Identitätsnachweis  der 
genannten  Seren  venverthar  ist,  daß  aber  das  schärfere  und  be¬ 
quemere  diagnostische  Hilfsmittel  die  Agglutinationsreaktion  zu 
sein  scheint.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  13.) 

G. 

•* 

216.  Therapeutische  Versuche  mit  stomachaler 
u  11  (1  i  n  h  a  1  a  t  o  r  i  s  c  h  e  r  D  a  r  r  e  i  c  h  u  n  g  von  Alt  tu  h  e  r  k  u  1  i  n. 
Von  Dr.  E.  Hubs.  Verf.  prüfte  an  einer  Anzahl  von  Fällen  die 
Wiitvung  des  stomachal  beigehrachten  Kochschen  Alttuherkulins 
und  fand  es  durchaus  wirkungslos.  An  sich  selhsL  erzielte  er 
mit  Vao  nig  subkutan  typische  Reaktion,  während  die  20.000fache 
Dosis  innerlich  ohne  Effekt  war.  Auch  Ref.  hat  in  einer  Anzahl 
von  Fällen  weder  eine  Beeinflussung  der  J'emperatur,  noch  des 
Allgemeinhefindens  und  des  Luiigenprozesses  auch  hei  hohen 
Dosen  sehen  können.  Uebrigens  hat  schon  Koch  die  Wirkungs¬ 
losigkeit  des  Präparates  vom  Magen  im  Jahre  1880  betont,  ln 
keratinisierten  Pillen  hingegen  scheint  es  nach  Freiniuth  in 
Dosen  von  5  bis  80  mg  diagnostische  Reaktionen  hervorzurufen. 
Ebenso  hei  inhalatorischer  Darreichung,  wie  schon  Kapralik 
und  V.  Sehr  öfter  feststellten  und  wovon  sich  auch  Verf.  an 
zw(‘i  Fällen  überzeugen  konnte.  Trotzdem  ist  dem  Verfasser  nur 
zuzustimmen,  wenn  er  wegen  der  Unzuverlässigkeit  in  der  Dosier- 
harkeil  für  therapeu tische  Zwecke  die  inhalatorische  Verahrelchung 
verwirft.  —  (Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose,  Bd.  7,  H.  1.) 

J.  S.  ' 

217.  Ueher  iirimäre  Diphtherie  des  äußeren  Ge- 

hörganges.  Von  J.  Galbraith  Connal,  Glasgow.  Während  die 
sekundäre  diphtheritische  Infektion  des  äußeren  Gehörganges  im 
Gefolge  einer  Diphtherie  der  Nase  oder  des  Nasoplharyngealrauines 
auf  dem  Wege  der  Eustachischen  Tube  und  des  Mittelohres  nicht 
allzu  selten  ist,  gehört  die  primäre  Diphtherie  des  äußeren  Ge¬ 
hörganges  zu  den  Seltenheiten.  Es  handelte  sich  in  dom  vom 
Verfasser  mitgeteilten  Falle  um  einen  12jähi'igen  Knaben,  der 
seit  seiner  Kindheit  an  Ohrenfluß  litt.  Bei  der  Untersuchung 
zeigte  sich  eine  Perforation  des  linken  Trommelfelles.  An  der 
hinteren  Wand  und  am  Boden  des  äußeren  Gehörganges  war  eine 
weißliche  Membran  zu  sehen,  die  sehr  an  eine  Diphtheriememhran 
erinnerte.  Bei  der  bakteriologischen  Untersuchung  wurden  Diph- 
theriehazillen  nachgewiesen,  während  die  Untersuchung  des 
Nasal-,  Nasopharyngeal-,  Pharyngeal-  und  Larynxsekretes  auf  Di}di- 
theriehazillen  negativ  ausfiel.  Nach  Idtägiger  Behancllung,  he- 
stehend  in  zweimal  täglicher  Ausspülung  mit  Borlösung  und  Ein¬ 
führung  von  Karholglyzerimvatte  verschwanden  die  Diphtherie- 
hazillen.  Nach  einiger  Zeit  wurden  Symptome  , einer  Karies  des 
Felsenheines  manifest,  welche  durch  Radikaloperation  und  intenre 
Salizyltherap.ie  geheilt  wurde.  —  (British  medical  Journal,  12.  Ja¬ 
nuar  1907.)  j.  Sch. 

* 

218.  Weitere  Beiträge  zur  Poriornanie.  Von  Privat¬ 

dozent  Dr.  Julius  Donath,  Oberarzt  der  Nervenahteilung  des 
St.  Stephan-Spitales  in  Budapest.  Seine  bisherigen  Mitteilungen' 
über  Poriornanie  (krankhaften  Wandertrieh)  ergänzt  Donath  in 
voi'liegender  Arbeit  durch  drei  weitere  Fälle.  Im  ersten  derselben 
beruht  der  Wandertrieh  zweifellos  auf  Epilepsie,  welche  durch 
ein  schweres  Kopftrauma  hervoi'gerufen  wurde.  Die  Wande- 
i'ungen  erfolgten  hei  tief  gestörtem  Bewußtsein.  Im  zweiten  Falle 
hatte  dei-  Kranke  nie  an  epileptischen  Krampfanfällen  gelitten, 
führte  jedoch  nach  vorangeganigenen  Kopfschmerzen  und  Sausen 
eine  dreitägige  Wanderung  aus,  bezüglich  deren  eine  vollstän¬ 
dige  .\nmesie  bestand.  Es  dürfte  sich  hier  um  ein  epileptisches 
Aecpiivalent  gehandelt  haben.  Im  dritten  Falle  ist  die  Wande¬ 
rung  auf  einen  psychasthenisclien  Zustand  zurückzuführen,  der 
sich  auf  degenerativer  Basis  entwickelt  hat.  —  (Archiv  für  Psy- 
chiatiie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  2.)  S. 

* 

219.  l'  e  h  e  r  M  o  r  h  u  s  B  r  i  g  h  t  i  i  u  n  d  k  o  c  h  s  a  I  z  a  r  m  e  E  r- 
nährung.  \on  t'antineau.  Die  kochsalzarme  Ernährung  wird 


wegen  ihrer  wasserentziehenden  Wirkung  vielfach  zur  Behandlung 
der  Bright  sehen  Oedeme  angewendet.  Bei  einer  Patientin  mit 
chronischer  Neidiritis,  welche  mit  helrächtlichen  Oedenien,  Ilerz- 
dilatation  und  Dyspnoe  in  das  Krankenhaus  eintrat,  Avurde  durch 
exklusive  Milchdiät  und  Darreichung  von  1-5  g  'riieohromin  in 
den  ersten  sechs  Tagen  ein  vollständiges  V^erschwinden  der  Oedeme 
und  der  anderen  Beschwerden  erzielt,  doch,  wurde  die  Patientin 
nach  Aufnahme  ilirer  Tätigkeit  und  gewohnten  Ernährungsweise 
wieder  rückfällig.  Die  Behandlung  der  mit  Oedemen  einhergehen¬ 
den  Nephritis  erfordert  ahsolute  Bettruhe,  je  nach  der  Eliminations¬ 
tätigkeit  der  Nieren,  kochsalzarme  'oder  möglichst  kochsalzarme 
Ernährung,  soAvie  tägliche  Bestimmung  des  Körpergewichtes.- 
Avelche  deshalb  sehr  Avichtig  ist,  weil  man  das  Auftreten  der 
Wasseransammlung  im  Körper  durch  die  Zunahme  des  Körper- 
geAvichtes  schon  zu  einer  Zeit  erkennen  kann,  avo  noch  keine 
Hautödeme  vorhanden  sind.  Ebenso  beobachtet  man  nach  dem 
Schwinden  der  Hautödenie  eine  Zeitlang  noch  Gewichtsahnahme. 
Es  ist  auch  notAvendig,  täglich  die  Hammenge,  sowie  den  Gehalt 
an  Chloriden  und  Ehveiß  pro  Liter  und  Tag  berechnet,  zu  be¬ 
stimmen.  Bei  Morbus  Brightii  geht  der  EiAveißgehalt  der  Wasser- 
ansanunlung  in  den  GcAvehen  parallel  Und  nimmt  in  dem  Maßx', 
als  die  Oedeme  zurückgegehen,  ah.  Es  gibt  Fälle,  avo  die  Durch- 
gängigkeit  der  Nieren  für  Kochsalz  derart  herabgesetzt  ist,  daß 
die  Milch,  Avelche  im  Liter  .  1-6  g  enthält,  noch  zu  reich  an 
Kochsalz  ist  und  die  Oedeme  bei  exklusiver  Milchdiät  nicht 
verschwinden.  In  solchen  Fällen  heohachtet  man  ein  Schwinden 
der  Oedeme  bei  Ernährung  mit  ungesalzenem  Fleisch,  Brot  und 
Kartoffelbrei,  Aveil  dadurch  noch  Aveniger  Kochsalz  zugeführt  Avird, 
als  durch  die  Milch.  Nach  Rückgang  der  Oedeme,  welcher  manch¬ 
mal  mit  enormer  Körpergewichtsabnahme,  in  einem  Fäll  28-5  kg, 
einhergeht,  kann  man  versuchsAveise  die  täglich  eingeführte  Koch¬ 
salzmenge  steigern,  Avobei  man  zunächst  der  Nahrung  3  g  Koch¬ 
salz  täglich  zusetzt.  Wenn  das  KörpergeAvicht  dabei  nicht  zu¬ 
nimmt,  was  auf  Wasseransammlung  hindeuten  würde,  so  kann 
man  durch  allmähliche  Steigerung  jene  Dosis  erkennen,  Avelche 
ein  Wiederauftreten  der  Oedeme  bedingt  und  danach  die  für 
die  Ernährung  des  Patienten  überhaupt  zulässige  Kochsalzmenge 
hestimmen.  In  jenen  Fällen,  avo  die  kochsalzarme  Ernährung 
nicht  ausreicht,  muß  die  medikamentöse  Behandlung  zur  Unter¬ 
stützung  herangezogen  Avmrden.  Zu  diesem  Zwecke  sind  am  besten 
Theobromin  in  Dosen  von  0-5  bis  2-0  g,  das  isomere  Theozin 
und  Digitalis  geeignet,  Avelche  man,  sobald  die  Kochsalzelimination 
durch  die  Nieren  Avieder  in  Gang  gekommen  ist,  aussetzt.  — 
(Journ.  nied.  de  Brux.  1907,  Nr.  5.)  a.  e.  . 

* 

220.  (Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Freil)urg  i.  B.)  Zur 
Aetiologie  des  Erythema  nodosum.  Von  Priv.-Doz.  Doktor 
W.  Hildehrandt,  Assistenten  der  Klinik.  Uf  fei  mann  Avar 
der  erste,  Avelcher  einen  inneren  Zusammenhang  zAviseben  Tuber¬ 
kulose  und  einer  bestimmten  Form  von  Urythema  nodosum  an- 
nalmi.  Er  teilt  im  ganzen  17  Fälle  dieser  Art  mit.  Nach  Uf  fel¬ 
mann  brachten  Oehme,  Bä  um  1er,  Kuhn  und  Abt  ein¬ 
schlägige  Beobachtungen.  Auch  Verf.  bat  sich  mit  dem  Gegen¬ 
stand  beschäftigt  und  bringt  eine  sehr  ausführliche  Kranken¬ 
geschichte  und  einen  Tierversuch.  Das  wesentliche  ist:  Eine 
schon  als  Kind  tuberkulöse  Person  erkrankte  akut  an  Angina 
und  Stomatitis  und  zehn  bis  zwölf  Tage  darauf  an  Erythem;), 
nodosum.  Auf  der  Höhe  der  Krankheit,  zu  einer  Zeit,  avo  täglich 
noch  neue  Eruptionen  auftraten,  Avar  eine  positive  Diazoreaktion 
vorhanden,  außerdem  gelang  es,  durch  intraperitoneale  Injektion 
von  Venenhlut  dieser  Kranken  bei  zAvei  MeerschAveinchen  ex- 
])erimentelle  Tuberkulose  zu  erzeugen,  Avährend  die  Untersuchung 
des  Venenhlutes  auf  andere  Bakterien  negativ  ausfiel.  In  der 
Folgezeit  traten  —  und  das  spricht  dafür,  daß  der  durch  Tier¬ 
versuch  erbrachte  Befund  von  Tuherkelhazillen  im  Venenhlut  kein 
zufälliger  Avar  —  nacheinander  eine  rechtsseitige,  dann  eine  links¬ 
seitige  Pleuritis  und  endlich  eine  Perikarditis  auf,  Avelche  durch 
ihren  Verlauf,  zusammen  mit  der  Infiltration  der  rechten  Lungen¬ 
spitze,  einer  tuberkulösen  Drüse  am  Halse  und  nicht  zum  min¬ 
desten  mit  der  Anamnese  als  tuberkulöse  Veränderungen  charak¬ 
terisiert  Avurden.  Es  kreisten  also  zu  der  Zeit,  als  das  Erythema 
nodosuju  sich  ;vuf  dem  Höhepunkt  h(‘f:md,  Adrulenle  Tuherkel- 
1  bazillen  im  Blute.  Was  die  Ursache  für  die  hämatogene  Aus- 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


509 


breiUing  dc^i'  Tuberkulose  war,  ob  etwa  (li(;  (uberkulöse  Ivytnpli- 
drüse,  kann  Veil',  niedd  entscheiden,  da  die  Patientin  der  Krank¬ 
heit  nicht  erlegen  ist.  Zum  Schlüsse  berichtet  Verf.  noch  ganz 
kurz  über  vier  weitere  Fälle  von  Erythema  nodosiim.  Klinisch  bot 
der  Verlauf  der  Hautaffektion  nichts  Pesonderes,  nur  der  All- 
gemeinstatus  wies  auf  Tuberkulose  bin.  Verf.  meint  jedoch,  keinen 
Anlaßi  zu  haben,  in  diesen  Fällen  einen  ursäcblicben  Zusammen¬ 
hang  zwischen  der  Tuberkulose  und  dem  Auftreten  des  Erythema 
nodosum  anzimehmen.  Ein  Erythema  nodosum,  welches  hei  einem 
Tuberkulösen  auftritt,  brauebt  durchaus  nicht  mit  Tuberkulose 
in  Verbindung  zu  stehen;  doch  hält  es  Verf.  für  sehr  wohl  mög¬ 
lich,  wenn  auch  nicht  für  erwiesen,  daß  auch  durch  Tuberkel¬ 
bazillen  eine  von  dem  gewöhnlichen  Erythema  nodosum  nicht 
zu  unterscheidende  Krankheitsform  hervorgerufen  werden  kann. 
—  (Münchener  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  7.)  G. 

221.  Ueberden  Nachweis  von  Anti  tu  b  e  rk  u  1  i  n.  Von 

Dr.  H.  Liidke.  Wassermann  und  Brück  gelang  es,  mit  Hilfe 
des  Prinzipes  des  Bordet  sehen  Komplementbindungs  Versuches 
nachzuweisen,  daß  in  den  tuberkulösen  Organon  Antituberkulin 
vorbanden  sei,  welches  bei  mit  Tuberkulin  behandelten  Individuen 
auch  im  Blutsei'um  sich  auffinden  ließ.  Dieses  Anti  tube  rkulin  ver¬ 
anlaßt  nach  Wassermann  und  Brück  die  Bindung  des  ein¬ 
geführten  Tuberkulins.  Lüdke  bestätigt  auf  Grund  seiner  Nach¬ 
prüfungen  die  Angaben  von  Wassermann  und  Brück.  Bei 
neun  von  dreizehn  mit  Tuberkulin  behandelten  Fällen  konnte 
Antituberkulin  im  Serum  nachgewiesen  werden.  Eine  praktische 
Bedeutung  spricht  Verf.  dem  Komplementbindungsversuch  aller¬ 
dings  nicht  zu,  sowohl  wegen  der  Kompliziertheit  der  Versuchs¬ 
anordnung  als  auch  wegen  der  unerheblichen  Mengen  von  Anti¬ 
tuberkulin,  die  sich  außerdem  nur  kurze  Zeit  nach  erfolgter 
Tuberkulininjektion  naclnveisen  lassen.  —  (Beiti'äge  zur  Klinik 
tier  Tuberkulose,  Bd.  7,  H.  1.)  .1.  S. 

* 

222.  (Aus  dem  Cottage  -  Hospital  zu  Faversham.)  Zur 
Therapie  d  e  s  T  e  t  a  n  u  s.  V on  F.  W.  G  a  n  g  e,  F aversham.  Ein 
junger  Mann  wurde  am  18.  August  1906  in  das  Cottage-Hospital 
in  Faversham  aufgenonnnen.  Das  linke  Bein  wies  eine  Schu߬ 
verletzung  auf,  die  14  Tage  alt  war.  Es 'bestand  leichter  Trismus, 
sonst  keine  Tetanussymptome.  Im  Laufe  der  darauffolgend'ien 
Woche  entwickelten  sich  diese  jedoch  zu  höchster  Entfaltung 
und  in  besorgniserregendster  Weise.  Am  29.  August  wurde  eine 
Schädeltrepanation  über  der  linken  motorischen  Region  aus¬ 
geführt  und  20  enP  Antitetanusserum  (Borroughs,  Welcome  &  Co.) 
subdural  injiziert.  Die  Knochenplatte  wurde  hierauf  repouiert 
und  die  Wunde  versorgt.  Heilung  per  primam.  Am  'räge  nach 
der  Operation  waren  die  Spasmen  bereits  geringer,  die  Besserung 
schritt  allmählich  fort  und  der  Patient  wurde  am  10.  Oktober 
geheilt  entlassen.  Die  medikamentöse  Behandlung  bestand  in 
Darreichung  größerer  Dosen  von  Brom  und  Clüoral  vor  und  nach 
der  Serumapplikation,  doch  schreibt  Verf.  die  Heilung  nur  letz¬ 
terer  zu.  —  (British  medical  Journal,  12.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

223.  Aus  dem  physikalisch -therapeutischen  Institut  in 

München  (Prof.  Dr.  Rieder).  Zur  Frage  tier  Luft-  und  dei’ 
sogenannten  Wasserluftduschen.  Von  Dr.  jned.  et  phil. 
P.  Trengowski,  Warschau-München.  Die  Wirkung  ties  Luft- 
und  Wasserluftstromes  zeigte  sich  in  der  Abkühlung  der  Um¬ 
gebung  der  unmittelbar  beströmten  Stelle,  wobei  daselbst  eine 
deutliche  subjektive  Kälteempfindung  auf  trat.  An  der  unmittel¬ 
bar  beströmten  Stelle  zeigte  sich  Abkühlung  bei  Beströmung 
mit  dem  Wasserluftstroim,  mit  kalter  Luft  und  mit  Luft  von 
Zimmertemperatur,  Erwärmung  bei  Beströmung  mit  warmer  Luft. 
Subjektiv  wurden  diese  Veränderungen  der  Temperatur  nicht 
empfunden.  Es  handelte  sich  also  um  eine  Herabsetzung  der 
Sinnesempfindungen.  Der  Abkühlung  folgt  nach  kurzer  /.eit  Er¬ 
wärmung.  Die  besten  Resultate  lieferte  der  Luftwasserstrom, 
d.  b.  der  Luftstrom,  durch  den  feine  Wasserpartikelchen  mit¬ 
gerissen  werden,  daneben  lieferten  auch  die  Versuche  mit  kalter 
Imft  günstige  Besrdtate.  Die  Anwerrdung  des  warmen  Luftstrome.s 
ergab  ungünstige  Erfolge,  etwas  besser  waren  die  Wirkungen 
<les  Luftstromes  von  gewöhnlicher  Temperatur.  ■ —  (Archiv  tür 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  Bd.  42,  H.  2.)  S. 


22-1 .  D  o  p  |  )  e  1  s  e  i  I  i  g  e  Parotitis  s  u  p  p  u  r  a  t  i  v  a  1)  o  i 
Magenkarzinom.  Von  E.  Barie  'und  G.  Billaudet.  Beob- 
achtungen  von  Parotitis  im  Verlaufe  von  Kachexien,  insbesondere 
bei  Magenkarziuom,  sind  in  der  Literatur  nur  spärlicb  mitgeteilt. 
Meist  sind  es  tcianinale,  in  gewissem  Sinne  agonale  Mani¬ 
festationen,  dureb  Einwanderung  der  Bakterien  der  Mundhöhle 
in  das  absterbende  Organ  bedingt.  Diese  Formen  sind  mit  jenen 
Entzündungen  der  Parotis  analog,  welche  bei  Geisteskranken,  Prä- 
mikern,  atropbischen  Kindern,  sowie  im  'Endstadium  der  pro¬ 
gressiven,  perniziösen  Anämie  und  der  amyloiden /Degeneration 
auftreten.  Die  Beobachtung  der  Verff.  bezieht  sich  auf  das  Auf¬ 
treten  doppelseitiger  Parotitis  suppurativa  im  Terminalstadium 
eines  Magenkarzinonis.  Die  Infektion  der  Parotis  erfolgt  in  diesen 
Fällen  durch  die  Drüsengänge  infolge  Einwanderung  von  Mund¬ 
höhlenbakterien,  am  häufigsten  Staphylokokken,  Pneumokokken, 
Streptokokken,  Micrococcus  tetragenes  und  Fried länder sehe 
Pneumobazillen.  Die  Infektion  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  ist 
bei  Pyämie  und  Septikämie  beobachtet  worden.  Die  Infektion 
mit  Staphylokokken,  welche  besonders  rasch  verläuft  und  wenig 
Allgemeinsymptome  hervorruft,  findet  sich  besonders  bei  solchen 
Patienten,  deren  Ernäbrungszüstand  schwer  geschädigt  ist.  Die 
Infektion  auf  dem  Wege  der  Lymphbahn  wird  bei  in  der  Nacbbar- 
sebaft  befindlichen  Eiterherden  beobachtet.  Mischinfeklionen  sind 
bei  den  besprochenen  Formen  der  Parotitis  sehr  selten.  Für 
das  Zustandekommen  der  Infektion  von  den  Drüsengängen  aus 
ist  eine  Reihe  von  Bedingungen  erforderlich.  Unter  normalen 
Verhältnissen  ist  die  Parotis  gegen  Infektionen  resistent  und  es 
dringen  die  Mundhöhlenbakterien  nur  in  den  Anfangsteil  des 
Ductus  Sterionianus  ein,  auch  entfaltet  der  normale  Parotisspeichel 
eine  antiseptische  Wirkung.  Die  Enge  der  Mündung,  die  ter¬ 
minale  Krümmung  und  der  schiefe  Verlauf  des  Ausführungs¬ 
ganges  schaffen  einen  derart  wirksamen  Schutz  gegen  die  In¬ 
fektion,  daß  diese  auch  durch  eine  Injektion  von  Staphylokokkeii 
in  den  Ausführungsgang  nicht  erzeugt  werden  kann.  Dagegen 
wird  das  Zustandekommen  der  Infektion  durch  Störung 
der  Drüsensekretion  und  gesteigerte  Virulenz  der  Mund¬ 
höhlenbakterien  wesentlich  begünsligt,  ganz'  besonders  im 
Terminalstadium  des  Magenkarzinoms.  Bei  besonders  lang¬ 
dauernden  schweren  Krankheiten  nimmt  die  amylolytische  und 
antiseptische  Wirkung,  sowie  auch  die  Quantität  des  Speichels 
ab.  Das  Drüsengewebe  selbst  wird  bei  Karzinom  durch  die 
Elimination  der  Toxine  auf  dem  Wege  der  Speichelsekretion  ge¬ 
schädigt.  Die  Vennehrung  der  Virulenz  der  Mundhöhlenbakterien 
ist  durch  die  im  Terminalstadium  des  Karzinoms  auftretende 
Stomatilis  bedingt,  welche  eine  saure  Reaktion  des  Mundhöhlen¬ 
sekretes  hervorruft.  In  dem  mitgeteilten  Falle  begünstigte  die 
Sistierung  der  Ernährung  per  os  infolge  von  Herabsetzung  der 
Speichelsekretion  und  Virulenzsteigerung  das  Zustandekommen 
der  Infektion.  Das  bezüglich  der  Parotis  Gesagte  gilt  auch  für 
die  anderen  Speicheldrüsen,  jedoch  kommt  eine  Vereiterung,  dieser 
Drüsen  im  Terminalstadium  mit  Kachexie  einhergehender  Er¬ 
krankungen  nur  ausnahmsweise  vor.  Prophylaktisch  ist  besondere 
Antisepsis  der  Mundhöhle  und  fleißiges  Kauen  angezeigt,  um  die 
Speichelsekretion  anzuregen,  die  Erkrankung  selbst  wird  durch 
Inzision  behandelt.  —  (Bull,  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop. 

de  Paris  1906,  Nr.  34.)  a.  e. 

* 

225.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Straßburg  (Professor 
V.  K  r  e  h  l).  U  e  b  e  r  einen  Fall  v  o  n  a  b  u  n  d  a  n  t  e  r  Lunge  n- 
b  1  u  t  u  n  g  bei  Mitralstenose  u  n  d  hochgradiger  Sklerose 
d er  A r  t e r  i a  p  u  1  m o n a  1  i s.  Von  Dr.  G.  Schwartz,  früherer 
Oberarzt  der  Klinik.  Es  handelt  sich  um  einen  30jährigen  Apo- 
tbekerknecht.  Kein  Potus,  keine  Lues.  Mit  24  Jahren  Auftreten 
von  Herzbeschwerden.  Im  Winter  1903/1904  begann  Bluthusten, 
der  mit  Intermittenzen  seither  wiederholt  und  abundant  auf¬ 
trat.  Ein  solcber  Bliitsturz  am  30.  Mai  1905  veranlaßte  den 
Patienten,  am  nächsten  Tage  die  Klinik  aufzusuchen.  Status: 
Zyanose  der  Lippen,  dabei  hochgradige  Anämie.  Temperatur: 
37-4”.  Lungenbefund  normal,  nur  in  der  unteren  Hälfte  des  rechlen 
Unterlappens  Krepitieren.  Dyspnoe  bei  ruhiger  Bettlage  Jnäßig. 
Herz  stark  verbreitert.  An  der  Herzspitze  ein  typisches,  pi'ä- 
systolisches  Geräusch.  Ueber  der  ^Arteria  pulmonalis  ein  kurzes, 
systolisches  Geräusch  und  verstärkter  zweiter  Tön;  über  der 


.')  lU 


.  'C- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCIIRIFT.  1907 


Nr.  17 


Trikuspidalis  unreiner  erster  Ton.  Halsvenen  pulsieren  deullieli. 
Der  Auswurf  rein  blutig,  hellrot,  schaumig,  enthält  Herzfehler¬ 
zellen,  keine  Tuherkelhazillen.  13.  Mai.  Seilher  täglich  starke 
Hämoptoe,  ln  der  folgenden  Nacht  plötzlich  Parese  der  rechten 
Körperhälfte,  motorische  Aphasie  geringen  Grades.  15.  Alai.  Tem¬ 
peratur  39-1'^;  Puls  schwach,  1120.  Unter  ahundanter  Hämoi)toe, 
stärkster  Dyspnoe  und  Zyanose  erfolgt  am  16.  Mai  der  Exitus 
letalis.  Klinische  Diagnose:  Mitralsteiiose  und  Insuffizienz,  Triku- 
spidalinsuffizienz,  Herzfehlerlunge.  Lungeninfarkte,  Embolie  der 
linken  Arteria  fossae  Sylvii.  Anatomische  Diagnose:  Embolie 
der  linken  Arteria  fossae  Sylvii,  Mitralstenose,  Trikuspidalstenose, 
braune  Induration  der  Lungen,  'Blutungen  in  die  Bronchien,  iVr- 
teriosklerose  der  Arteria  pulmonalis,  Milz-  und  Niereninfarkte, 
Blutungen  in  die  Alagenschleimhaut.  Der  Fall  ist  interessant  durch 
die  starke  Lungenhlutung,  die  zu  Anämie  führte  und  dadurch 
eine  Lungentuberkulose  vortäuschte,  weiters  dadurch,  daß  trotz 
kardialer  Ursache  der  Blutung  sich  hei  der  Sektion  keine  Em¬ 
bolien  im  Gebiete  der  Arteria  pulmonalis  und  keine  emholischen 
Infarkte  fanden.  Von  ganz  besonderem  Interesse  war  der  Befund 
hochgradiger  Sklerose  der  Arteria  pulmonalis.  Profuse  Lungen- 
hlutungen  sind  hei  Herzkranken  nicht  häufig  und  wenn  die  Herz¬ 
erscheinungen  nicht  sehr  ausgesprochen  sind,  liegt  die  Verwechs¬ 
lung  mit  tuberkulöser  Hämoptoe  nahe.  Französische  Autoren 
haben  solche  P’älle  unter  dem  Namen  der  ,,Hemoptysie  cardiaque“ 
oder  ,,Foi'me  hemoptoique  des  maladies  du  coeur“  heschriehen. 
Die  Sklerose  der  Arteria  pulmonalis  ist  nach  Bömberg  kein 
allzu  seltener  Befund  bei  chronischer  Lungenstauung,  besonders 
hei  Mitralstenose  und  bei  Lungentuberkulose,  sehr  selten  hei 
endokarditischen  Prozessen  an  den  Pulmonalklappen.  Tn  diesen 
Fällen  bleibt  sie  klinisch  symptomlos.  Erst  wenn  sie  zu  starker 
Verengerung  der  Pulmonaläste,  ohne  Bestehen  eines  Klappen¬ 
fehlers  oder  besonderer  Lungenveränderungen,  geführt  hat,  ge¬ 
winnt  sie  klinisches  Interesse.  Solche  Fälle  sind  mehrfach  be¬ 
schrieben.  Als  Ursache  der  Entstehung  der  Pulmonalsklerose  wird 
.von  den  meisten  Autoren  übermäßige  Stauung  und  anhaltende 
Drucksteigerung  im  kleinen  Kreislauf  angenommen.  Einwandfreie 
Fälle  von  Lungenblutung  infolge  Ruptur  der  Pulmonalis  hat  Ver¬ 
fasser  in  der  Literatur  nicht  finden  können.  Auch  in  diesem 
Päille  lag  es  nahe,  die  Hämoptoe  bei  F’ehlen  von  Embolien  und 
emholischen  Infarkten  auf  die  hochgradige  Sklerose  der  I^ulmo- 
nalis  zurückzuführen,  doch  konnten  bei  genauester  Untersuchung 
nirgends  Zeichen  der  Ruptur  gefunden  werden.  Die  Blutung  muß 
demnach  nach  Verf.  ihre  Quelle  in  den  Kapillaren  haben,  sie 
muß  auf  Rechnung  der  StauungsTunge  gesetzt  werden,  bei  der 
Hämorrhagien  von  solcher  Intensität  wie  in  diesem  Falle  aller- 
<Iings  ein  sehr  seltenes  Vorkommnis  darstellen.  —  (Münchener 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  13.)  G. 

♦ 

226.  Der  Einfluß  exzessiver  Flcischdiät  auf  das 
Knochensystem.  Von  Chalmers  Watson,  Edinburgh.  Zum 
Versuche  kamen  über  100  Ratten,  welche  mit  Fleisch  gefüttert 
wurden  und  zum  Teil  von  Müttern  stammten,  die  während  der 
Schwangerschaft  auch  Fleischnahrung  erhalten  hatten.  Das  Alter 
der  zwecks  Untersuchung  des  Knochensystems  getöteten  Tiere 
betrug  einen  Tag  bis  drei  Monate.  'Das  Alter  der  meisten  Tiere 
betrug  zur  Zeit  des  Todes  kaum  xlrei  Wochen.  Der  Befund  am 
Knochensystem  der  getöteten  Tiere  bestand  in  unvollkom¬ 
mener  Verknöcherung,  mit  erhöhter  Vaskularisierung  und 
vermehrter  Zahl  der  roten  Blutkörperchen.  Außerdem  fanden 
sich  an  den  knöcherneji  Rippen  Knötchen  aus  Knorpel¬ 
gewebe,  vom  Periost  ausgehend,  mit  direkter  Umwand¬ 
lung  von  Knorpelzellen  in  Knochen.  Obgleich  nun  bei  makro¬ 
skopischer  Betrachtung  die  Veränderungen  am  Skelett  sehr  an 
vorgeschrittene  Formen  von  menschlicher  Rachitis  erinnerten, 
so  war  doch  das  mikroskopische  Bild  der  Epiphysenlinie  der 
langen  Röhrenknochen  von  dieser  völlig  vemchieden.  Im  An¬ 
schluß  an  diese  Tierversuche  wird  folgender,  etwas  abenteuerlich 
klingender  Fall  beschrieben:  Das  Kind  einer  Mutter,  welche 
längere  Zeit  unter  vorwiegender  Fleischdiät  gestanden  hatte,  er¬ 
hielt  im  Alter  von  einem  Jahre  anläßlich  nicht,  entspi'echender 
Zahnung  durch  sechs  Wochen  rohen  Fleischsaft.  Das  Kind  wurde 
stark  anämisch,  zeigte  psychische  Depression  etc.  und  sein  Zu¬ 
stand  verschlimmerte  sich  immer  mehr.  Es  wurde  von  anderer 


Seite  die  Diagnose  auf  latente  Tuberkulose  gestellt.  Als  Ver¬ 
fasser  das  Kind  sah,  erinnerte  er  sich  an  ein  klinisches  Bild, 
das  er  manchmal  bei  jungen  Ratten  anläßlich  seiner  Versuche 
gesehen  hatte  und  führte  die  Symptome  auf  eine  Erschöpfung 
der  Funktion  des  Knochenmarkes,  der  Schilddrüse  und  anderer 
Gewebe  zurück,  hervorgeiufen  durch  den  übermäßigen  Fleisch¬ 
genuß  der  Mutter.  Die  Obduktion  ergab  keine  Spur  von  Tuber¬ 
kulose.  Die  langen  Röhrenknochen  waren  sehr  weich  und  die 
histologische  Untersuchung  des  Radius  epgab  ein  ähnliches  Bild 
wie  bei  den  Rippen  der  Ratten.  —  (Lancet,  8.  Dezember  1906.) 

J.  Sch. 

227.  lieber  die  Elemente  der  Prognose  bei  der 
akuten  serofib  rin  Ösen  Pleuritis.  Von  H.  Barth.  Der 
prognostische  Wert  der  einzelnen  Symptome  der  Pleuritis  ist 
an  sich  unbedeutend,  doch  kann  man  durch  Gruppierung  der 
überhaupt  i)rognostisch  verwertbaren  Symptome  ziemlich  verlä߬ 
liche  Aufschlüsse  gewinnen.  Aus  der  Art  des  Beginnes  der  Er¬ 
krankung  ist  für  die  Prognose  wenig  zu  entnehmen;  einzelne 
Beobachter  betonen,  daß  gerade  die  stürmisch,  mit  hohem  Fieber 
und  heftigem  Seitenstechen  einsetzenden  Pleuraergüsse  eine  gün¬ 
stigere  Prognose  geben,  als  solche  mit  mehr  schleichender  Ent¬ 
wicklung.  Wichtiger  ist  die  Beschaffenheit  der  Exsudatflüssigkeit. 
Ein  gelber,  vollkommen  transparenter  Erguß  von  relativ  hohem 
spezifischen  Gewicht,  1020  bis  1025,  welcher  ein  festes,  dichtes 
Koagulum  absetzt,  ist  der  Ausdnick  einer  kräftigen  Reaktion  der 
Pleura  gegen  die  ursächliche  Schädlichkeit  und  ist  prognostisch 
relativ  günstig.  Ein  grünliches,  seröses  Exsudat  von  geringer 
Dichte  unter  1015  und  geringer  oder  fehlender  Gerinnungsfähigkeit, 
weist  auf  Verlegung  der  Lymphbahnen  der  Pleura  durch  aus¬ 
gedehnte,  tuberkulöse  Lymphdrüsen  hin,  rezidiviert  sehr  häufig 
und  führt  schließlich  zu  chronischer  Tuberkulose.  Ein  stark 
sanguinolentes  Exsudat  ist,  wenn  nicht  bereits  die  ^zweite  Punktion 
eine  Abnahme  des  Blutgehaltes  ergibt,  prognostisch  ungünstig, 
weil  die  Blutungen  einen  Zustand  schwerer  Anämie  herbeiführen, 
welche  einen  günstigen  Boden  für  die  Entwicklung  von  Tuber¬ 
kulose  schafft.  Die  ungünstigste  Prognose  geben  durch  starken 
Leukozytengehalt  getrübte  Exsudate,  weil  die  daraus  sich  ent¬ 
wickelnden  fibrinös  -  eitrigen  Ergüsse  der  Ausdruck  einer  käsig¬ 
fibrösen  Erkrankung  der  Pleura  und  der  Lungen  sind.  Die  Unter¬ 
suchung  der  unterhalb  des  Exsudates  befindlichen  Lungenpartien 
vermag  keine  verläßlichen  Aufschlüsse  hinsichtlich  der  Prognose 
zu  geben.  Dämpfung,  feuchte  Rasselgeräusche  und  Bronchophonie 
in  der  Lungenspitze  der  erkrankten  Seite,  sprechen  nicht  unbe¬ 
dingt  für  Tuberkulose,  sondern  können  auch  durch  xAtelektase 
und  Kongestion  der  durch  ein  großes  Exsudat  komprimierten 
Lungenpartien  bedingt  sein.  Von  wesentlicherer  Bedeutung  für 
die  Prognose  ist  das  Verhalten  der  Temperatur  nach  der  Punktion. 
In  günstigen  Fällen  sinkt  das  Fieber  nach  der  Punktion  rasch 
oder  allmählich  ab  und  bleibt  dann  vollständig  aus,  aber  auch 
die  mit  der  Resoridion  ,des  Exsudates  zusammenhängenden  Fieber¬ 
anfälle  machen  die  Prognose  nicht  ganz  ungünstig.  Auftreten 
leichten  Fiebers  nach  längerer  Apyrexie  deutet  auf  Tuberkulisation 
der  Lungen  hin.  Die  Menge  des  Exsudates  ist  für  die  Prognose 
weniger  maßgebend,  da  oft  Pleuritiden  mit  großen,  rasch  sich 
entwickelndem  Exsudat  rascher  heilen.  Günstig  ist  es,  wenn 
sich  an  die  Entleeiamg  einer  größeren  Exsudatmenge  die  Resorption 
des  Exsudates  unmittelbar  anschließt.  Die  WTederkehr  des  Exsu¬ 
dates  nach  der  Punktion  ist  prognostisch  ungünstig  und  es  er¬ 
scheinen  nach  drei-  oder  viermaliger  erfolgloser  Punktion  die 
Heilungsaussichten  wesentlich  herabgesetzt.  Eine  rasch  und  ohne 
Fieber  sich  vollziehende  Retraktion  der  erkrankten  Thoraxhälfte 
ist  bei  normalem  Lungenbefund  prognostisch  günstig,  bei  Aus¬ 
bleiben  der  Retraktion  ist  Rezidiv  zu  befürchten,  zu  hoch¬ 
gradige  Retraktion  bringt  die  Gefahr  einer  Induration  der  Lunge 
mit  sich.  In  günstigen  Fällen  ist  die  Retraktion  des  Thorax 
immer  von  Zunahme  des  Körimrgewichtes  begleitet,  Abmageruiig 
während  der  Rekonvaleszenz  deutet  auf  Tuberkulose.  Freihd't- 
kur  und  Ruhe  sind  im  Rekonvaleszenzstadium  sehr  nützlich. 
—  (Journ.  de  Prat.  1907,  Nr.  2.)  a.  e. 

♦ 

228.  Die  Methoden  der  Verstärkung  des  Knie¬ 
phänomens.  Von  0.  Rosen  hach  in  Berlin.  In  vielen  Fällen 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


511 


kann  man  durcli  die  gewöhnliclie  Mctliodc  das  Knicpliänomon  | 
niciil  zuslando  bringen.  Zur  Al)lenkimg  der  Aufmerksamkeit  ge¬ 
nügt  für  viele,  wenn  auch  nicht  alle  Fälle  der  Jendrassik- 
sche  Kunstgriff.  Man  hat  dann  empfohlen,  den  LTntersuchten 
rückwärts  zählen  zu  lassen,  ein  Verfahren,  das  wenig  Erfolg 
hat.  In  letzter  Zeit  hat  Krönig  zur  Ausschaltung  der  Auf¬ 
merksamkeit  empfohlen,  den  zu  Untersuchenden  auf  das  Kom¬ 
mando  ,, Jetzt“  rasch  nach  der  Zimmerdecke  Idicken  und  forciert 
inspirieren  zu  lassen.  Rosen  hach  weist  nun  prüf  die  von  ihm 
seit  Jahren  geübte  Methode  hin.  Er  läßt  den  zu  Untersuchenden, 
nachdem  er  die  Beine  gekreuzt  hat,  aus  einem  nicht  zu  kleinen 
Buche  oder  aus  einem  großen  Zeitungsblatt  möglichst  schnell 
und  laut  vorlesen.  Beim  schnellen  Lesen  wird  die  Aufmerksam¬ 
keit  vollkommen  abgelenkt  und  günstige  Bedijigungen  für  das 
erforderliche  ,, unbeeinflußte  Gleichgewicht  der  unteren  Extremi¬ 
täten“  geliefert.  Älan  kann  sofort,  nachdem'  einige  Worte  ge¬ 
lesen  worden  sind,  mit  dem  Beklopfen  beginnen  und  wird  häufig, 
nach  nutzloser  Anwendung  der  übrigen  Methoden,'  einen  sehr 
deutlichen  Reflex  feststellen  können.  Dieses  Verfahren  kann  auch 
hei  Kindern  angewendet  werden.  Bei  uninlelligenten  oder  be¬ 
wußtlosen  Personen  führen  aber  alle  diese  Verfahren  nicht  zum 
Ziele.  Unter  diesen  Umständen  erfüllt  nach  Verf.  Ansicht  nur 
die  von  Guttmann  (Fortschritte  der  Medizin  lß06,  Nr.  21) 
angegebene  Methode  alle  Forderungen,'  die  in  allen  Fällen  be¬ 
sonders  leistungsfähig  ist.  Sie  besteht  darin;  daß  miau  ein  Bein 
des  zu  Untersuchenden  mit  Hilfe  von  zwei  Handtüchern  oder 
Binden  suspendiert.  Und  zwar  legt  man  zuerst  ein  Handtuch 
um  den  Unterschenkel  und  hebt  ihn  damit  etrvas  in  die  Höhe. 
Mit  Hilfe  eines  zweiten  Handtuches,  das  um  den  Üherschenkel 
dicht  oberhalb  des  Knies  gelegt  ist,  läßl.  man  durch  einen  Ge¬ 
hilfen  den  Oherschenkel  etwas  schräg  nach'  oben  ziehen,  so 
daß  das  Knie  einen  stumpfen  Winkel  bildet.  Patienten  mit  freiem 
Bewußtsein  werden  angewiesen,  die  Schenkel  möglichst  passiv 
auf  den  Handtüchern  liegen  zu  lassen.  Rosen  hach  stimmt 
dem  Autor  dieser  Methode  bei,  wenn  er  meint,  daß  man  erst 
dann  von  einem  Fehlen  des  Patellarreflexes'  sprechen  darf,  wenn 
diese  Älethode  keinen  Aufschluß  gibt.  —  (Münchener  medizi¬ 
nische  Wochenschrift  1907,  Nr.  2.)  G. 

* 

229.  U  0  b  e  r  die  H  e  i  1  b  a  r  k  e  it  des  K  a  r  z  i  n  o  m  s  im 
allgemeinen  und  die  Behandlung  des  Zungenkarzi- 
n  o  m  s  i  m  b  e  s  o  n  d  e  r  e  n.  Von  C  o  r  n  i  1.  Klinisch  ist  das  Karzinom 
durch  fortschreitendes  lokales  Wachstum,  Rezidive,  Uebergreifen 
auf  die  Lymphdrüsen  und  Metastasenbildung  in  entfernten  Or¬ 
ganen  gekennzeichnet.  Es  zeigt  sich,  daß  hinsichtlich  des  histo¬ 
logischen  Befundes  identische  Neoplasmen,  in  ihrem  Verlauf  und 
ihrer  Schwere,  je  nach  dem  Gewebe  oder  Organ,  in  welchem 
sie  sich  entwickeln,  differieren.  Die  malignen  Tumoren  werden 
durch  die  Sarkome  und  Epitheliome  repräsentiert.  Die  Sarkome 
sind  von  den  Fibromen  nicht  deutlich  abgegrenzt.  Es  gibt  fibröse 
Tumoren  der  Bauchwand,  welche  rezidivieren,  anderseits  gut¬ 
artige  Hautsarkome.  Die  Rund-  und  Spindelzcllensarkome  des 
Periosts  und  der  Knochen  haben  eine  Tendenz  zur  Rezidive, 
während  die  Spindelzellensarkome  mit  Myeloplaxeii  durch  Exstir¬ 
pation  heilbar  sind.  Auch  das  sonst  bösartige  Melaiiosarkom 
ist  in  einzelnen  Fällen  mit  langer  Lebensdauer  vereinbar.  Unter 
den  Epitheliomen  zeigt  das  tubuläre  und  alveoläre  Epitheliom 
mit  polyedrischen  Zellen  die  größte  Malignität,  doch  wird  hei 
dem  zu  diesem  Typus  gehörigen  atrophischen  Skirrhus  der  Älamma 
auch  ohne  Operation  eine  Krankheitsdauer  von  10  bis  20  Jahren 
beohachtet.  Das  tul)’uläre  oder  lohuläre  Epitheliom  mit  Pflaster¬ 
epithelzellen,  mit  oder  ohne  Krebsperlen,  ist  bei  Lokalisation 
an  der  Zunge,  Lippe,  Anus,  Zervix  und  Oesophagus  sehr  bösartig, 
dagegen,  bei  gleichem  histologischen  Bau,  auf  der  Gesichtshaut, 
relativ  gutartig.  Das  Zylinderzellenepilheliom  ist  bei  Lokalisation 
im  Magen  oder  iMastdarm  sehr  bösartig,  an  der  jMamma  lokalisiert, 
dagegen  gutartig.  Die  Ovarialzysten,  ihrem  Bau  nach  Schleim¬ 
hautepitheliome  von  pai)illärom  oder  glandulärem  Bau,  hleiben 
gewöhnlich  auf  das  Ovarium  hegrenzt,  können  aber  manchmal 
^Metastasen  im  Penloneum  setzen.  Die  im  allgemeinen  als  gut¬ 
artig  betrachteten  Cliondrome  wuchern  manchmal  in  die  Venen, 
hinein  und  erzeugen  iMetastasen  in  entfernten  Organeji.  Das 
Ghondrom  des  Hodens  ist  weit  bösartiger  als  das  Chondrom 


der  Si)ei(dieldrüsen,  selbst  wenn  es  zur  zystisclien  Form  gehört. 
Auch  Ne'uhildungen  analoger  Struktur  iUnd  gleicher  Ijokalisalion 
zeigen  niedd^  immer  die  gleiche  Bösartigkeit;  Das  Plalleiu'pillielioin 
der  Portio  verläuft  rapider  als  das  Zylinderzellenei)ithelioin  des 
Uteruskörpers.  —  (Bull,  de  FAcad.  de  Metl.  190B,  Nr.  99.)  a.  c. 


Therapeutisehe  flotizen. 

(Aus  der  Kinderabteilung  der  Universitätsklinik  in  Rostock.) 
Weitere  E  r  f  a  It  r u n  g e  n  mit  de  m  amerikanischen  W  u  r  m- 
samenöl  (Oleum  Chenopodii  anthelmintici)  als  Anti- 
a  s  c  a  r  i  d  i  a  c  u  m  bei  Kinde  r  n.  Von  Priv.-Doz.  Dr.  Herman n 
Brüning.  An  20  Fällen,  welche  Kinder  im  Alter  von  9  bis  19 
Jahren  betrafen,  hat  Verf.  das  amerikanische  Wurmsamenöl  er¬ 
probt  und  empfiehlt  es  auf  das  beste.  Während  der  Kur,  welche 
durchschnittlich  einen  halben  Tag  dauert,  blieben  die  kleinen 
Kranken  im  Bette.  Je  nach  dom  Alter  erhielten  die  Kinder,  mit 
Hilfe  eines  Tropfglases  abgemessen,  8  bi»  15  Tropfen  (0-5  bis 
1-0  reines  Oel)  in  Zuckerwasser  verrührt  und  hinterher  (ün  Ab¬ 
führmittel  in  Gestalt  von  .01.  Ricini,  Pulv.  Curellae  u.  dgl.  und 
zwar  alles  in  einstündigon  Pausen.  Trat  bis  zum  Spätnaclimitta.g 
eine  Wirkung  nicht  ein,  .so  wurde  nochmals  ein  Laxans  in  der¬ 
selben  Menge  gegeben,  ln  fast  allen  Fällen  wurden  die  Askariden 
durch  diese  einmalige  Kur  bis  zum  anderen  Morgen  abgetrieben; 
nur  bei  drei  oder  vier  Kindern  mußte  ain  nächsten  Tage  die 
Kur  wiederholt  werden.  Die  Askariden  werden  durch  das  Wurm¬ 
samenöl  nicht  getötet,  sondern  nur  narkotisiert,  da.her  das  Laxans 
notwendig  ist;  auch  löst  das  Oel  beim  längeren  Kont,akt  mit 
der  Darmschleimhaut  Reizwirkungen  aus,  Scideimbeimengimgen 
zum  Stuhle.  Um  den  eigenartigen  Geruch  und  Geschmack  des 
Oeles  zu  decken,  lasse  man  hinterher  etwas  warme  Milch  trinken. 
Aus  dem  Wurmsa,menöl  wurde  ein  Körper,  ein  ätherisches  Oel,. 
gewonnen,  welches  dieselire  Wirkung,  aber  keine  besonderen  Vor¬ 
züge  vor  dem  Oele  besitzt.  Das  Wurmsamenöl  ist  übrigens  in 
Amerika  offizinell.  —  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1907, 
Nr.  11.)  E.  F. 


Vermisehte  l'laehriehten. 

Ernannt;  Der  außierordentlicho  Professor  der  Anatomie 
in  Bonn,  Dr.  M.  Nußbaum,  zum  ordentlichen  Professor.  — 
Dr.  S.  Delitz  in  zum  ordentlichen  Professor  der  Cliirurgie  an 
der  militär- medizinischen  Akademie  in  Petersburg.  —  Dr.  Cirin- 
cione  zum  außerordentlichen  Professor  der  Augenheilkunde  in 
Palermo. 

* 

Die  Professoren  v.  Leyden  in  Berlin,  Erl)  und  Arnold 
in  Heidelberg,  sind  zu  Geheimräten  mit  dem  Titel  Exzellenz  er¬ 
nannt  worden. 

* 

Verlieben:  Dem  Oberstabsarzt  Dr.  Robert  Busch  von 
Tes  sen  born  in  Przeniysl  das  Offizierskreuz  des  Franz  -  Joseph- 
Ordens.  —  Dem  Zahnarzt  Dr.  Ph.  Steinin  ger  in  i\Iarienbad 
das  Ritterkreuz  des  bulgarischen  nationalen  Zivil  -  Verdienst- 
Ordens  mit  der  Krone.  —  Dem  Zahnarzt  Dr.  E.  Endlicher 
in  Wien  der  kaiserlich  persische  Orden  für  Wissenschaft  1.  Klasse. 

* 

Hah  i  1  iti  c  r  t :  In  Wien:  Dr.  Ludwig,  Wiek  für  Balneo¬ 
logie  und  Klimatologie  und  Dr.  Artur  Schüller  für  Psychiatrie 
und  Neurologie.  —  Bezirksarzt  Dr.  Josef.  Rambo  usek'für  Ge¬ 
werbehygiene  an  der  deutseben  technischen  Hochschule  in  Prag. 

* 

Gestorben:  Der  Universitätsprofessor  und  'Vorstand  des 
zahnärztlicben  Institutes  in  Graz,  Dr.  Anton  Bleichs  teiner. 

In  der  Si tzung  i les  n  i  e  d  e  r  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  i  s  c  h  e  n  L  a  n  d  e  s- 
sanitätsra  tes  vom  15.  Apiil  d.  J.  wurden  folgende  Gutachten 
erslaltet:  1.  über  das  Statut  der  neüen  niederösterreichischen 
Landes-Heil-  und  -Pflegeanstalten  für  Geistes-  und  Nervenkranke 
am  Steiidiofe  in  Wien  .XHl;  2.  ül)er  ein  Ansuchen  um  Bewilligung 
zum  Bezüge  von  Sacclwrin  zur  Herstellung  diätetischer  Genuß.- 
mittel;  9.  über  ein  Ansuchen  um  Bewilligung  zur  Enveiterung 
einer  Pj'ivaterzichiingsanstalt  für  schwachbetähigte  Kinder  in  Wien. 

* 

A  Is  Ort  der  Tagung  des  näebsten  Kongresses  f  ü  r  i  n  n  e  r  e 
Medizin  wurde  über  Antrag,  von  Prof.  ,1.  Schwalbe-Berlin  mit 
großer  iMajojität  Wien  gewählt.  Hiemit  scheint  auch  die  all¬ 
gemeine  Stimmung  der  Kongreßimitglieder  gegen  die  immerwäh¬ 
rende  Festlegung  der  Versammlung  an  einem  und  demselben  Orte 
deutlich  zum  Ausdruck  gekommen  zu  sein.  Daß  die  hiesigen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


.  -  -  -  - "  . - 

inler('.s.sicrloii  Kreisr  diosoii  Beschluß  ;uil'  das  wännsle  hcgrüßcu, 
bc'daii'  keiner  ])esondereu  Versicherung. 

Donnerstag  den  25.  April  findet  uni  7  Uhr  abends,  iin 
Saale  des  niederösterreichischen  Ingenieur-  und  Architeklenver- 
(“incs,  Wien  I.,  Eschenbaebgasse  Nr.  9,  die  konstituierende 
V  e  r  s  a  in  m  lung  der  0  e  s  te  r  r  e  i  c  h  i  s  c  h  e  n  Gesellschaft  zur 
Bekämpfun  g  der  Ge s chl e c h  tskr  an  k  b  e i  te n  statt.  Pro¬ 
fessor  Ebrmann  wird  über  die  Bedeutung  der  Gescbleclitskrank- 
heiten  vom  sozialetbiscben  Standpunkte,  Prof.  Stöbr  über  die 
Bedeutung  der  Geschlechtskrankbeiten  vom  sozialhygienischen 
Standpunkte  und  Prof.  E.  Finger  über  die  Aufgalien  der  Oester- 
reiebischen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlecbtskrank- 
beiten  berichten. 

Am  Samstag  den  27.  April  d.  .1.,  abends  G  Uhr,  findet  im 
Sitzungssaale  des  Wiener  medizinischen  Doktorenkollegiums, 
Wien  1.,  Botenturmslraße  Nr.  21,  die  ordentliche  Generalver¬ 
sammlung  des  W' oh  1  f  a  h  rts  ve  rei  n  e  s  für  Hinterblie¬ 
bene  der  Aerz  te  N ie d e r  ö s  te r r  e i c  b s  slatt.  Der  verdienst¬ 
volle  Verein  zählt  derzeit  5  Stifter,  18  Gründer,  27  unter¬ 
stützende  und  nur  875  wirkliche  Milglieder.  Es  wäre  sehr  zu 
wünschen,  wenn  auch  weitere  Kreise  den  Bestrebungen  des  Ver¬ 
eines  ein  höheres  Interesse  enlgegenbringen  würden. 

* 

Priv.-Doz.  Dr.  phil.  Franz  Strunz- Wien  wird  am  24.  April 
im  IMatbematisch- naturwissenschaftlichen  Vereine  der  k.  k.  tech¬ 
nischen  Hochschule  in  Wien  einen  Vortrag  über  ,,T  h  e  o  p  h  r  a  s  t  u  s 
Paracelsus“,  seine  Naturforschung  und  sein  Leben  (mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  seiner  Beziehungen  zu  Oesterreich) 
halten.  Zeit:  7  Uhr.  Ort:  Technische  Hochschule,  Hörsaal  XH. 

* 

Im  Verlage  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei  ist  der  Bericht 
über  die  n  i  e  d  e  r  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  i  s  c  h  e  n  L  a  n  d  e  s  i  r  r  e  n  a  n- 
stalten  und  die  Fürsorge  des  Landes  Niederösterreich  für 
schwachsinnige  Kinder  erschienen.  Der  Bericht,  welcher  vom 
Landesausschusse  herausgegeben  worden  ist  (Referent:  Herr 
Bielohlawek),  erstreckt  sich  über  die  Zeit  vom  1.  Juli  1904 
bis  30.  Juni  1905. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  S  a  n  i  t  ä  t  s  s  t  a  t  i  s  t  i  k  bei 
<ler  Vlannschaft  des  k.  und  k.  Heeres  im  Februar  1907. 
Krankenzugang  23.285  Vlann,  entsprechend  der  duichsclmittlichen 
Kopfstärke  82Voo;  an  Heilanstalten  abgegeben  8995  Mann,  ent¬ 
sprechend  der  durcbschnittlichen  Kopfstärke  32%o;  Todesfälle 
5G  Mann,  entsprechend  der  durchschnittlichen  Kopfstärke  OT9%o. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  14.  Jahreswoche  (vom  31.  März  bis 
6.  April  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  733,  unehelich  348,  zu¬ 
sammen  1081.  Tot  geboren  ehelich  64,  unehelich  31,  zusammen  95. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  802  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  20-9  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  1, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  28,  Scharlach  7,  Keuchhusten  4, 
Diphtherie  und  Krupp  6,  Influenza  1,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  3, 
Lungentuberkulose  143,  bösartige  Neubildungen  63,  Wochenbett- 
fieber  1.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlaur47  (-)- 10),  Wochen¬ 
bettfieber  0  ( —  2),  Blattern  0  (0),  Varizellen  48  (—  2),  Masern  318 
(-f-  38),  Scharlach  73  ( —  24),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  5  ( —  4), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  76  ( —  12),  Keuch¬ 
husten  63  (-]-  34),  Trachom  0  (0),  Influenza  0  ( —  2). 


Freie  Stellen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  B  f  e  z  n  i  t  z 
nördliches  Gebiet,  mit  dem  Wohnsitze  in  der  Stadt  Bfeznitz  (Böhmen). 
Jahresgehalt  K  800,  Reisepauschale  K  412,  zusammen  K  1212.  Die  im 
Sinne  des  §  5  des  Landesgesetzes  vom  23.  Februar  1888  belegten  Ge¬ 
suche  sind  bis  27.  April  d.  J.  beim  Bezirksausschüsse  in  Bfeznitz  ein¬ 
zubringen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Deutsch- 
Prausnitz  (Böhmen)  mit  neun  Ortschaften  mit  4391  Einwohnern  und 
dem  Amtssitze  des  Arztes  in  Deutsch-Prausnitz.  Jahresgehalt  K  80Ö,  Reise¬ 
pauschale  K  200,  Hausapotheke.  Bewerber  deutscher  Nationalität  haben 
ihre  nach  deu  Vorschriften  des  §  5  des  Landesgesetzes  vom  23.  Februar 
1888  instruierten  Gesuche  bis  Ende  April  d.J.  beim  Bezirksausschüsse 
Trautenau  einzubringen. 

Gemeinde  arztessteile  für  den  die  Gemeinden  Kaczyka, 
Neu-Solonetz,  Oberpertestie  und  Unterpertestie  und  die  aus  denselben 
ausgeschiedenen  gleichnamigen  Gutsgebiete  umfassenden  Sanitätssprengel 
Kaczyka  (Bukowina).  Die  mit  diesem  Posten  verbundene  Jahresdotation 
beträgt  K  1200.  Gesuche  sind  binnen  vier  Wochen,  vom  Tage  der  ersten 
Einschaltung  dieser  Kundmachung  in  die  Czernowilzer  Zeitung  an 
gerechnet,  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  in  Gurahumora  einzu¬ 
bringen. 


Zwei  San  i  t  ä  t  s  a  s  si s  t  en  t  en  s  t  e  11  en  bei  den  politischen  Be¬ 
hörden  in  Mähren  mit  dem  Adjutum  jährlicher  K  1200.  Gehörig  belegte 
Gesuche  sind  bis  10.  Mai  d.  J.  an  das  k.  k.  Statthaltereipräsidium  in 
Brünn  einzureichen. 

Im  Status  der  Abteilungsvorstände  der  Wiener  k.  k.  Kranken¬ 
anstalten  ist  eine  Primararztesstelle  2.  Klasse,  zugleich  Vor¬ 
standes  einer  medizinischen  Abteilung  mit  dem  Range  der  VIII.  und  den 
Bezügen  der  IX.  Rangsklasse,  d.  i.  dem  Gehalte  jährlicher  K  2800  mit 
vier  Triennalzulagen  zu  je  K  200  und  der  Aktivilätszulage  jährlicher 
K  1200  zu  besetzen.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihren  vorschrifts¬ 
mäßig  gestempelten  Gesuchen  den  Tauf-  oder  Geburtsschein,  den  Heimat¬ 
schein,  das  Diplom  über  die  Erlangung  des  Doktorgrades  der  gesamten 
Heilkunde  an  einer  österreichischen  Universität,  sowie  die  sonstigen 
Dienstesdokumente  und  die  Nachweise  über  ihre  theoretische  und 
praktische  Vorbildung  anzuschließen.  Die  Gesuche  sind,  wenn  die  Be¬ 
werber  bereits  im  öffentlichen  Dienste  stehen,  im  Wege  der  Vorgesetzten 
Dienstbehörde,  sonst  unter  Anschluß  eines  amtsärztlichen  Gesundheits¬ 
zeugnisses,  sowie  eines  legalen  Sittenzeugnisses  unmittelbar  bei  der  Ein¬ 
laufstelle  der  k.  k.  niederösterreichischen  Statthalterei  (I.,  Herrengasse  11) 
bis  spätestens  30.  April  1907  einzubringen.  Wien  am  12.  April  1907. 
Von  der  k.  k.  niederösterreichischen  Statlhalterei. 

An  der  gynäkologischen  Abteilung  des  St.  Elisabet h- 
Spi tales,  Wien  HL,  Hauptstraße  4,  kommt  mit  1.  Mai  1.  J.  die  Stelle 
eines  Sekundararztes  zur  Besetzung.  K  1200  jährlich  und  freie 
Wohnung.  Bewerber  mögen  ihre  Gesuche  an  die  Spitalsleitung  senden 
oder  sich  zwischen  9  und  10  Uhr  vormittags  persönlich  an  den  Primararzt 
dieser  Abteilung  wenden. 

Aufruf. 

Mit  Schluß  des  Sommersemesters  1907  tritt  Herr  Hofrat  Professor 
Dr.  Adam  Politzer  nach  Erreichung  der  durch  die  österreichischen 
Gesetze  bestimmten  Altersgrenze  von  der  Leitung  der  k.  k.  Universitäts¬ 
klinik  für  Ohrenkranke  in  Wien  und  nach  46jähriger  ruhmreicher  aka¬ 
demischer  Tätigkeit  vom  Lehramte  zurück. 

Angesichts  des  weltumfassenden  Rufes  Politzers  und  der  all¬ 
gemeinen  Verehrung,  die  er  ganz  besonders  im  Kreise  seiner  Schüler 
und  engeren  Fachgenossen  genießt,  ist  es  überflüssig,  hier  auf  seine  Be¬ 
deutung  für  die  Ohrenheilkunde  und  die  Gesamtmedizin  hinzuweisen. 

Die  Gefertigten  glauben  daher,  dem  Wunsche  der  zahlreichen 
Schüler  und  Freunde  Prof.  Politzers  zu  entsprechen,  wenn  sie  den 
Zeitpunkt,  an  welchem  der  gefeierte  Meister  die  Stätte  seiner  langjährigen 
Wirksamkeit  verläßt,  für  geeignet  erachten,  den  Gefühlen  der  Verehrung 
und  Dankbarkeit  ihm  gegenüber  Ausdruck  zu  verleihen. 

In  voller  Uebereinstimmung  hatte  das  gefertigte  Komitee  ursprüng¬ 
lich  für  diesen  Tag  eine  solenne  Feier  beschlossen,  an  welcher  die  in- 
und  ausländischen  Kollegen  und  Abordnungen  der  otologischen  Gesell¬ 
schaften  zur  Teilnahme  eingeladen  werden  sollten.  Prof.  Politzer,  der 
davon  Kenntnis  erhalten,  hat  jedoch,  mit  Rücksicht  auf  mehrere  in  der 
letzten  Zeit  in  seiner  engeren  Familie  vorgekommene  Todesfälle  dringend 
gebeten,  von  dieser  geplanten  Feier  abzusehen. 

Es  wurde  daher  beschlossen,  eine  von  Meister  Teles  entworfene 
Plaquette  prägen  zu  lassen,  die  das  Porträt  Politzers  tragen  und 
allen  an  dieser  Kundgebung  Teilnehmenden  zur  bleibenden  Erinnerung 
an  seine  Person  und  an  den  denkwürdigen  Tag  dienen,  dem  Gefeierten 
selbst  aber,  in  Gold  ausgeführt,  am  Tage  seines  Abschieds  vom  Lokal¬ 
komitee  überreicht  werden  soll. 

Zugleich  mit  der  Plaquette  wird  dem  Meister  eine  Adresse  über¬ 
reicht  werden,  die  die  Namen  aller  derjenigen  enthalten  soll,  welche 
sich  an  dieser  Kundgebung  beteiligen  werden. 

Wir  laden  demnach  sämtliche  Kollegen  ein,  insbesondere  die 
gewesenen  Schüler  Politzers  und  die  Vertreter  des  otologischen 
Faches,  ebenso  aber  auch  alle,  die  dem  berühmten  Wiener  Gelehrten 
Interesse  entgegenbringen,  ihre  Anmeldungen  zum  Bezüge  einer 
Plaquette  an  den  Schatzmeister  des  gefertigten  Komitees  einzu¬ 
senden.  Gleichzeitig  mit  der  Anmeldung,  welche  den  deutlich  ge¬ 
schriebenen  Namen,  die  Titel  und  die  genaue  Adresse  enthalten  muß, 
wird  gebeten,  den  Betrag  von  K  24  (M.  20,  Fres.  24)  für  eine  silberne, 
oder  von  K  12  (M.  10,  Fres.  12)  für  eine  Bronzeplaquette  an  den  Schatz¬ 
meister  Herrn  Dr.  D.  Kaufmann  in  Wien  VL,  Mariahilferstraße  37  ein¬ 
zusenden. 

Aus  dem  Ueberschuß  der  Beträge,  der  nach  Deckung  der  Her¬ 
stellungskosten  verbleiben  dürfte,  soll  ein  Fonds  gebildet  werden,  der 
Herrn  Hofrat  Politzer  zur  Errichtung  einer  Stiftung  zur  Verfügung 
gestellt  werden  soll. 

Wir  bitten,  die  Anmeldungen  sobald  als  möglich,  längstens  aber 
bis  zum  15.  Mai  1907  einzusenden,  u.  zw.  nur  an  die  angegebene 
Adresse. 

Für  das  Komitee; 

Prof.  Dr.  Josef  Po  Hak- Wien 

Doz.  Dr.  Hugo  Frey- Wien  Doz.  Dr.  G.  Al  exander- Wien 
Dr.  D.  K  au  f  m  an  n  -  Wien  VL,  Mariahilferstraße  37. 

Prof.  Dr.  B  ö  k  e  -  Budapest,  Prof.  Dr.  D  e  m  e  t  r  iad  i  s  -  Alhen,  Professor 
Dr.  G r  a d e n  igo  -  Turin,  Dr.  C.  L ag er  lö  f  -  Stockholm,  Geheimrat 
Prof.  Dr.  A.  L u  c  a e  -  Berlin,  Prof.  Dr.  Urban  Pr  i  t  ch  a r  d -London, 
Prof.  Dr.  S  ch  m  i  e  gel  0  w  -  Kopenhagen,  Dr.  Stanculean  u -Bukarest, 
Dr.  S e g u ra- Buenos  Aires,  Prof.  Dr.  Delseaux- Brüssel,  Professor 
R.  F  0  rn  s  -  Madrid,  Prof.  Dr.  H.  Knapp-New-York,  Dr.  M.  Lermoyez- 
Paris,  Prof.  Dr.  Okada-Tokio,  Prof.  Dr.  Rohrer-Zürich,  Prim.  Doktor 
Sehr aga- Belgrad,  Prof.  Dr.  St.  v.  Stein-Moskau,  Prof.  Dr.  Zwaar- 

demaker-Utrecht. 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


513 


Verhandlungen  ärztlicher  Oesellschaften  und  Kongreßberichte. 

INHALT; 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  19.  April  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  11.  April  1907. 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn.  Sitzung  vom  6.  und  16.  März  1907. 

30.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  Berlin. 

1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  19.  April  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Finger. 

Schriftführer :  Dr.  Blau. 

Der  Vorsitzende  macht  Mil  teil  ung,  daß  Danksclireiheu  ein¬ 
gelaufen  sind  vom  neugewählten  Ehrenmitglicde  Hofrat  Professor 
Eder  und  von  den  neugewählten  korrespondiererLden  Milgliedern 
Dr.  M.  Kaller  in  Konstantinopel  und  Dr.  Eduard  Zirm  in  Ülmütz. 

Der  Vorsitzende  teilt  ferner  mit:  Die  Wahl  des  Prof.  Agosto 
Murri  in  Bologna  zum  Ehrenmitglicde,  des  Dr.  Choksy 
in  Bombay  und  des  Dr.  William  Francis  in  Boston  zu  korre¬ 
spondierenden  Mitgliedern  wurde  gemäß',  §  9  der  Statuten 
der  Gesellschaft  der  Aerzte  von  der  k.  k.  Statthalterei  zur  Kenntnis 
genommen. 

Prof.  Ehrmann  stellt  drei  Fälle  vor,  welche  für  die  Frage 
d er  Ha u 1 1 n h e r k u  1  o s e  von  Interesse  sind . 

1.  Einen  24  Jahre  alten  Mann,  der  auf  beiden  Wangen,  den 
Backen,  den  Ohren,  dem  Lippenrot  und  dem  behaarten  Kopfe 
Plaques,  von  Lupus  erythematodes  in  den  verschiedensten  Stadien, 
bis  zur  völligen  Narbenatrophie  zeigt.  Außerdem  beiderseits  längs 
des  Sternocleidomastoideus  je  einen  rosenkranz förmigen  Strang 
von  angeschwollenen,  harten  Drüsen,  die  sich  unter  die  Klavikula 
fortsetzen,  auf  den  Extremitäten  typische,  akneiforme,  nekroti¬ 
sierende  Tuherkulidknö  teilen. 

Auf  eine  einmalige  Injektion  von  Alttuberkulin  tritt  eine 
leichte,  allgemeine  (38*^0)  und  deutliche  lokale  Reaklion  (Anschwel¬ 
lung  der  fiischen  Lupus  erythematodies  -  Plaques)  ein,  die  als 
solche  histologisch  sichergestellt  wurden  durch  den  Mangel  tuber¬ 
kulösen  Baues.  (Präparate  werden  demonstriert.) 

2.  Ein  Mädchen  mit  ausgedehnten  Narben  von  skrofulösen 
Drüsen  des  Halses  und  einem  flachen,  schuppenden  Lupus  ery¬ 
thematodes  auf  den  pernioartig  geröteten  Händen.  Die  Patientin 
kam  mit  einem  die  Extremitäten  bedeckenden  lividen  Knotenaus¬ 
schlag  und  der  Diagnose  Erythema  nodosum  ins  Krankenhaus; 
doch  zeigten  sich  schon  bei  der  Aufnahme  kleine  nekrotische 
Krüstchen  an  der  Kuppe  der  etwa  erbsengroßen  Knoten.  Im 
weiteren  Verlaufe  wurde  es  noch  deutlicher,  daß'  es  sich  um 
ein  pa]iulonekrotisches  Tuherkulid  handle. 

Der.  Lupus  erythematodes  und  das  papulonekroiische  Tuher¬ 
kulid  werden  von  manchen  A u toren  (B  eck,  H a  1 1  o p e a  ii ,  D  a  r i e r) 
als  Zeichen  von  Tuherkulose  angesehen,  welche  entweder  durch 
die  Toxine  oder  Zerfallsprodukte  der  Tubei'kelhazillen  erzeugt 
werden,  als  nur  indirekt  zur  Tuberkulose  gehörig.  Bezüglich  der 
Tuberkulide  ist  diese  Anschauung  allgemein  angenommen,  be¬ 
züglich  des  Lupus  erythematodes  wird  jeder  Zusammenhang  von 
einzelnen  Autoren  verneint.  End  in  der  Tat  findet  man  den 
.laipus  erythematodes  discoides  oft  bei  kraftstrotzenden  und  ge¬ 
sunden  Individuen.  Ebenso  gewiß  findet  man  aber  eine  ziemlich 
große  Reihe  von  Fällen,  besonders  von  Lupus  erythematodes 
disseminatus,  wie  hier  in  Verhindung  mit  deutlicher,  zweifelloser 
Tuherkulose,  verhältnismäßig  öfters  noch  mit  papulonekrotischem 
Tuberkulid.  Solche  Fälle  wurden  außer  von  mir,  auch  von 
meinen  Schülern  Strass  er,  v.  Röna  in  Budapest,  von  Magnus 
JMöller  in  Stockholm  v^eröffentlicht  und  auch'  hier  von  mir 
demonstriert,  ln  dem  ersten  Falle  wurde  der  Zusaminenhang  auch 
direkt  durch  die  Tüberkulinrea.ktion  erwiesen,  ln  einem  ähnlichen 
Falle,  den  ich  gesehen  habe,  wurde  von  Gersuny  der  tuber- 
kidöse  Appendix  der  Patientin  entfernt.  Pat.  ging  aber  späler 
doch  an  intestinaler  Tuberkulose  zugrand'e. 

Besonders  interessant  ist  der  Lupus  erythematodes  an  den 
Händen  des  zweiten  Falles.  Er  gehört  zu  jenen,  welche  Hul- 
c  bins  on  als  ,,chirblain  Lupus“  bezeichnet  hat.  S])äter  he- 
schrieh  Besnier  mit  Tennesson  einen  Lupus  pernio,  was 
eine  wörtliche  Uehersetziing  des  Wortes  chilblain  lupus  ist.  Dieser 
Lupus  hat  eine  Struktur,  die  an  Tuberkulose  erinnert,  während 
chilblain  lupus  von  Hutchinson  ein  Lupus  erythematodes  ist, 
der  nur  eine  indirekte  Beziehung  zur  Tuherkulose  und  nicht  die 
tuberkulöse  Struktur  hat.  Jahrelang  wurde  nun  darüber  gesl ritten, 
ob  der  Lupus  pernio  ein  Lupus  erythematodes  oder  ein  Lupus 


vulgaris  sei,  weil  man  nicht  heachtet  hat,  daß  es  sich  um  zwei 
ganz  differente  Formen  handelt. 

3.  Der  dritte  Fall  ist  ein  Knabe  von  17  Jahren,  mit  einem 
skrofulösen  Drüsenabszeß  in  inguine,  der  schon  einmal  wegen 
derselben  Erkrankung  und  zerstreuter  papulonekrolischer  Tuber¬ 
kulide  auf  der  Abteilung  behandelt  wurde  (durch  Exkochleieren 
der  Drüse).  Jetzt  ist  diese  vernarbt  und  eine  kleinere  vereitert 
und  Pat.  hat  nur  ganz  kleine  Formen  von  papulonekrotischem 
Tuberkulid.  Das  ln teiessan teste  daran  ist,  daßnach  einer  Tuberkulin¬ 
injektion  (l  Dezimilligramm)  neue  Knötchen  von  Tuberkulid  auf¬ 
schossen,  wie  wir  das  nur  hei  typischen  Formen  von  Lichen 
scrophulosorum,  der  tuberkulöse  Struktur  hat,  zu  sehen  gewohnt 
sind. 

Durch  solche  Erfahrungen,  sowie  durch  die  gelungene  Tier- 
ühertragung  von  I.einer  und  Spielmann,  wie  auch  durch 
die  Beobachtungen  von  Bett  mann,  sowie  auch  dadurch,  daß 
ich  in  einzelnen  Fällen,  auch  in  papulonekrotischen  Tuberkuliden 
—  die  sonst  nur  Degenerationen  an  den  Gefäßen,  Tbrombosen  in 
den  Venen  und  Nekrose  zeigen  —  Riesenzellen  gefunden  habe, 
verwischt  sich  die  Grenze  zwischen  echter  Hauttuberkulose  und 
den  Tuberkuliden  immer  mebr  und  mehr. 

Diskussion:  Prof.  Tjamg:  Ohne  auf  die  Fragen,  die  Herr 
Kollege  Ehr  mann  erörtert  hat,  hier  näher  einzugehen,  möchte 
ich  nur  auf  einen  Umstand  aufmerksam  machen.  Typischer 
Lupus  erythematodes  ist  ja  für  jeden  leicht  und  sofort  zu  er¬ 
kennen,  ebenso  wie  typischer  Lupus  vulgaris,  doch  kommen  die 
erfahrensten  Dermatologen,  in  die  Lage,  in  einzelnen  Fällen 
schwankend  zu  werden,  ob  Lupus  erythematodes  oder  Lupus 
vulgaris  vorliegt.  Demgegenüber  ist  es  auffallend,  daß  Kombi¬ 
nation  von  typischem  Lupus  erythematodes  mit  ty¬ 
pischem  Lupus  vulgaris  hei  einem  und  demselben 
Individuum  höchst  selten  konstatiert  worden  ist.  Es  liegen 
wohl,  dies  betreffend,  vereinzelte  Beobachtungen  vor  (Besnier 
und  L ac a V a  1  e r ie),  doch  fehlt  meines  Wissens  die  Verifizierung 
durch  den  histologischen  Befund.  Ich  habe  eine  solche  Kom¬ 
bination  von  klinisch  typischem  Lupus  erythematodes  bei  einem 
Individuum,  das  Jahre  hindurch  an  dieser  Krankheit  gelitten 
hat,  mit  typischem  Lupus  vulgaris,  der  erst  in  der  letzten  Zeit 
hinzugetreten  war,  vor  mehreren  Jahren  heobachtet  und  diese 
Beobachtung  auch  durch  die  histologische  Untersuchung  bestätigt 
gefunden.  Mein  früherer  Assistent,  Herr  Dr.  Ludwig  Spitze]', 
hatte  dann  die  histologische  Untersuchung  auch  noch  eingehend 
durchgeführt,  doch  hat  sich  die  Veröffentlichung  der  Arbeit  aus 
äußieren  Gründen  lange  verzögert  und  konnte  die  Publikation 
erst  jetzt  in  den  Annales  de  dermat.  stattfinden. 

Dr.  Friedrich  Necker  demonstriert  aus  der  chirurgischen 
xAbteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Zucker  kan  dl  im  Rothschild- 
Spital  einen  48jährigen  Patienten  mit  multiplen  kartila- 
ginösen  Exostosen.  Aus  einem  dieser  Knochentumoren  ent¬ 
wickelte  sich  im  Laufe  von  zwei  Jahren  ein  mehr  als  mannskopf¬ 
großes  Osteosarkom,  das  durch  Drack  auf  den  Plexus  cervico- 
brachialis  (VHI.  Zervikal-  und  1.  Dorsalsegment)  zu  Atrojihien 
der  Handnniskulatur  ohne  Sensibilitätsstörungen,  Ptosis  und  Pu- 
pillenvereiigerung  am  rechten  Auge,  sowie  zu  einer  j'adiologisch 
deutlich  nachweisbaren  Knochenatrophie  des  rechten  Armes 
führte.  Von  den  zahlreichen,  über  das  ganze  Skelett  zerstreuten 
bis  mannsfaustgroßen  Exostosen  scheint  eine  an  der  Hinter¬ 
fläche  der  rechten  Tihia  lokalisierte,  nach  dem  Röuigenhefund 
ebenfalls  sarkomatös  degeneriert  zu  sein.  Demonstnition  ^  der 
Röntgenhilder  (Herj'  Dr.  Robins ohn).  Die  Heredität  dieser 
Knochengeschwülste  ist  hier  durch  Untersuchung  der  22jährigen 
Tochter  des  Patienten  eiwicsen,  welche  ebenfalls  zahlreiche  karti- 
laginöse  Exostosen  aufweist.  (Erscheint  ausführlich.) 

Hofr.  V.  Eiseisberg  slellteinen  Fall  von  Phos|)h  or  nekrose 
des  Oberkiefers  vor,  in  welchem  iler  nekrotische,  jetzt  endlich 
auch  etwas  beweglich  gewordene  Oberkieferknochen  hesonders 
deutlich  sichtbar  zutage  tritt.  Der  Fäll  wird  gezeigt,  da  dorarligc 
ausgedehnte  Nekrosen  heutzutage  doch  selten  geworden  sind. 

Der  Patient  ist  ein  42jähriger  IMann,  der  seit  13  .Tahren 
in  einer  Phosphorfabrik  als  Beamter  tätig  ist  und  dabei  den 
größten  Teil  des  Tages  in  einem  von'  Phosphordämpfen  erfüllten 
Raume  sich  aufhält.  Vor  vier  jahren  ließ  er  sich  den  kariös 


X 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


a  t — 


gewordenen  vorlcizten  linken  ol)eren  .Molaris  ziehen.  .Mitte  z\ngu3t 
IDOG  trat  eine  Ihterung  eni,  die  zum  LockerAvcrden  der  Nacli- 
!)arzähne  fülirle.  .letzt  ist  wohl,  anscheinend  hegünstigt  durch 
die  fast  konlinuierliclie  Stauungshinde  (Bier)  am  Halse,  der 
Sequester  am  Wege  der  Losung  und  soll  demnächst  operativ 
entfernt  werden. 

Im  Laufe  der  letzten  acht  .fahre  Avurden  an  der  L  chirur¬ 
gischen  Klinik  neun  Fälle  von  Phosphornekrose,  die  an  Arbeitern 
in  Zündholzfal)riken  aufgetreten  Avaren,  Ireobachtet. 

Ueher  das  Auftreten  in  den  Fabriken  selbst  hat  vor  einem 
.fahre  Dr.  L.  Teleky  interessante  Studien  gemacht,  <ler  über 
diese  Seite  der  Frage  im  Anschluß  an  meine  Demonstralion 
heute  referiert  hätte,  AAmnn  er  nicht  durch  Heiserkeit  daran  ver¬ 
hindert  Aväre.  Hoffentlich  kann  er  dieses  in  einer  der  nächsten 
Sitzungen  nachholen. 

Diskussion;  Primarius  Dr.  Latz  ko  herichtet  im  .Anschlüsse 
an  die  vorangegangene  Demonstration  über  einen  Fall  A^on  Phos¬ 
phornekrose  hei  einer  Osteomalazischen.  Nach  mehrjährigem  Phos- 
l)horgehrauch  in  normaler  Dosis  kam  es  im  Anschluß  an  eine  Zahn¬ 
karies  zur  Perioslitis  und  im  AAmiteren  V'^erlaufe  zur  Oberkiefer¬ 
nekrose,  der  die  Patientin  nach  mehreren  Eingriffen  unter  den 
Erscheinungen  der  Sepsis  erlag. 

Die  Beohachtung  ist  geeignet,  das  Zustandekommen  der 
Phosphornekrose  in  einem  neuen  Licht  erscheinen  zu  lassen. 
Die  Nekrose  ist  nicht  die  Folge  einer  direkten  EiiiAAurkung  der 
Phosphordämpfe  auf  den  Knochen,  sondern  indirekte  Folge  einer 
chronischen  Phosphorvergiftung.  Letztere  ist  ja  bekannilich  mit 
intensiven  Veränderungen  an  den  Knochengefäßen  verknüpft. 
Kommt  es  im  Bereiche  eines  unter  dem  Einflüsse  der  Phosphor¬ 
vergiftung  stehenden  Oherkieferknochens  zur  Periostitis  durch 
Infektion  von  einem  kariösen  Zahn  aus,  so  kann  die  weitere 
Folge  eine  Amllständige  Verstopfung  der  ernährenden  Gefäße  sein, 
die  natürlich  zur  Nekrose  führt. 

Hofr.  V.  Eiseisberg  stellt  einen  Fall  von  Makro  gl  os  sie 
Avegen  Lymphangiom  A'or.  Das  Kind  ist  7V2  .fahre  alt,  das  Leiden 
von  Gehm't.  Vor  AÜer  .fahren  Avurde  an  der  Klinik  eine  Exzision  vor¬ 
genommen,  Avodurch  die  Zunge  A\msentlich  verkleinert  Avurde.  fm 
Laufe  der  letzten  Jahre  Avuehs  die  Zunge  schneller,  als  dem 
Wachstum  des  Kindes  entsprach ;  seit  acht  Tagen  lehhafte  Be- 
scliAAmrden  (Atemnot,  SchluckbescliAverden),  die  aüf  Eisbehand- 
hmg  zurückgingen.  Interessant  ist  die  infolge  der  Makroglossie 
bestehende  Ausbiegung  des  Kiefers  (Ektropium).  Es  ist  jetzt  eine 
abermalige  Exzision  in  Aussicht  genommen  und  eventuell  später 
eine  Plastik  des  Kiefers. 

Diskussion:  Dozent  Dr.  L.  Müller  macht  im  Anschlüsse  an 
den  eben  vorgestellten  Fall  auf  folgende  Beobachtung  aufmerksam: 

Bei  einem  fünf  Jahre  alten  Mädchen  entAAÜckelte  sich  in 
der  hinteren  Zungenhälfte  ein  Tumor  ohne  scharfe  Grenzen  und 
Amn  solcher  Größe,  daß  der  Zugang  zum  Rachen  faßt  gesperrt 
Avar.  Bei  halb  offenem  Munde  AAmr  der  Zungengrund  fest  an 
den  Gaumen  angepreßt.  Wenige  Tage,  naclidem  dieses  Kind  ins 

k.  k.  Rochuss]ntal  a'ufgenommen  Avar,  kam  in  mein  dortiges  Ambu¬ 
latorium  ein  vierjähriger  Knabe,  der  an  typischer  luetischer  Iritis 
litt.  Kurz  darauf  erkrankte  auch  die  l\Ii;tter  des  Knaben  an 
luetischer  Iritis  des  linken  und  Keratitis  des  rechten  Auges.  Diese 
Frau  mit  spezifischer  Augenerkrankimg  war  aber  die  flutter  und 
der  Knabe  der  Binder  jenes  Mädchens  mit  der  Gesclnvulst  in  der 
Zunge.  Zuvor  Avar  das  Mädchen  nach  Angabe  der  Mutter  nie 
krank  gCAvesen. 

Es  Avurde  eine  spezifische  Behandlung  eingeleitet,  die  einen 
solchen  Erfolg  hatte,  daßi  der  große  Zungentumor  binnen  acht 
Tagen  fast  vollständig  zurückgehildet  war. 

Hofj’.  Ax  Eiseisberg:  Da  die  mikroskopische  Fntersuchung 

l. ymphangiom  ergeben  hatte,  ist  es  nicht  Avahrscheinlich,  daßi  Jod 
Avirksani  Aväre. 

Dr.  0.  V.  Frisch  stellt  ZAAni  Fälle  der  Klinik  v.  Eiscls- 
he  rg  A’or:  Bei  einem  18jährigen  Schlosser  besteht  seit  tdnem  Jahre 
eine  Skoliose  im  oberen  Lendenabschnitt.  Da  dieselbe  sich 
nur  auf  eine  kleine  Zahl  von  Wdrbeln  beschränkt,  soAvie  irgend- 
Avehdie  kompensatorische  Krümmungen  der  Brust-  odei'  unteren 
Lendenwirbelsäule  nicht  bestehen,  kommen  zur  Erklärung  des 
Falles  in  Betracht:  1.  Traumatische  Verletzung;  2.  Neubildung; 
3.  Karies  und  4.  angeborene  Mißbildung.  Ad  1.  läßt  das  Ilöntgen- 
bild,  an  Avelcliem  eine  almorme  Höhe  der  linken  Hälfte  des  zweiten 
f .endenwirliels  und  die  auffallende  Kleinheit  seiner  Querfortsätze 
in  die  .\ugen  springen,  keinerlei  Veränderung,  (Kallus,  Fissur)  er¬ 
kennen,  Avelche  auf  eine  Fi'aktur  schließen  ließe;  auch  gibt  Pa- 
1ient  an,  daß  er  sich  nie  derarV  Amrletzt  hätte,  daß  er  dadurch 
bettlägerig  gcAvorden  Aväre.  .Ad  2.:  Eine  Neubildung  u.  zw.  eine 
Exostose  kann  hier  Avohl  vorliegen,  doidi  spricht  das  Röntgenbild, 
insbesondere  die  Asymmetrie  des  zweiten  LendeiiAvirbels  auch 


gegen  diese  Annahme.  Karies  ist  schon  deshalb  unAvahrscheiu- 
lich,  Aveil  der  sonst  kräftige  Pat.  keinerlei  Erscheinungen  von 
Tuberkulose  zeigt  und  auch  das  Röntgenogramm  keine  für  diese 
Krankheit  charakteristische  A"eränderun,g  aufAAmist.  Eine  ange¬ 
borene  Amrhildung  des  zAAmiten  LendeiiAvirbels  —  elwa  eine  A^er- 
schmelzung  desselben  mit  einem  überzähligen  Rudiment  —  kann 
hier  —  speziell  nachdem  die  sub  1.  und  2.  angeführten  ursäch¬ 
lichen  Momente  manches  gegen  sich  haben  —  nicht  von  der 
Hand  gewiesen  Averden.  Daß  die  Skoliose  erst  im  17.  Jahre  auf¬ 
trat,  spi’icht  nicht  gegen  diese  Erkläiamg,  indem  Avir  wissen,  daß 
angeborene  A^erbildungen  von  AVirbeln  sehr  Avohl  erst  Adel  später 
zur  Rückgratverkrümmung  führen  können.  Redner  betont,  daß 
er  in  diesem  Falle  keine  sicbere  Diagnose  stellen  kann,  neigt 
aber  mehr  der  .Ansicht  zu,  daß  hier  eine  angeborene  A^erbildung 
vorliege. 

Der  zAA’eite  Fall  betrifft  eine  .33jährige  Bäuerin,  Avelclie  im 
Oktober  Amrigen  Jahres  von  der  Welle  einer  Maschine  erfaßt, 
emporgehoben  und  auf  den  Boden  geschleudert  Avurde.  Sie  war 
von  dem  Aloment  an  an  beiden  Beinen  vollkommen  gelähmt 
und  dieser  Zustand  blieb  zugleich  mit  einer  Retentio  urinae, 
AA'elcher  ein  tägliches  Katheterisieren  notAvendig  machte,  durch 
neun  Woeben  unverändert  bestehen.  Dann  erst  bildete  sich  die 
Lälmmng  ganz  allmählich  zurück  und  ist  derzeit  ganz  versebAvun- 
den,  es  bestehen  nur  mehr  leichte  Parästhesien. 

Das  Röntgenhild  zeigt  hier  eine  Luxation  der  Len  de  n- 
Avirbel Säule  nach  links  hin  uu  zav.  hat  die  A^erschiehung.  um 
fast  eine  ganze  AVirbelhreite  stattgefunden.  Der  Fall  ist  aus 
zAvei  Gründen  merkAvürdig:  1.  ist  die  Dislokation  nach  der  Seite 
ungewöhnlich  und  besonders  in  so  hohem  Grade  wie  hier.  In 
der  Regel  findet  sich  bei  Luxationen  der  AVirbelsäule  an  der 
lumbodorsalen  Grenze  eine  A-erschiehung  des  olieren  Teiles  (Ober¬ 
körper)  nach  vorne;  2.  ist  inerkAvürdig,  daß  die  durch  die  scluvere 
A^erletzung  verursachte  Lähmung  hier  vollkommen  zurückging  bei 
uiiAmrändertem  Bestehenbleiben  der  Dislokation. 

Diskussion:  Dr.  Engel  mann  nimmt  auf  Grund  eines 
ihm  zu  Gebote  stehenden  Rönlgenbildes  als  Ursache  der  ent¬ 
standenen  Skoliose  bei  dem  Patienten  eine  Luxationsfraktur  mit 
entsprechender  Achsendrehung  der  Lendenwirbel  an.  Diese  Fi-aktur 
dürfte  sich  der  Patient  bei  einem  Sturz  von  einer  Leiter  aus 
vier  Ale  ter  Höhe  zu  gez  ogen  haben,  da  er  bis  z  u  diesem  Trauma 
nach  Aussage  seines  Arztes  normal  geAAmsen  sein  soll. 

Primarius  Dr.  AI  o  s  zkoAvic  z  erinnert  an  die  im  letzten 
Hefte  der  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen  er¬ 
schienene  Arbeit  von  Böhm.  Dieser  .Autor  ist  auf  Grund  von 
Untersuchungen  einer  größeren  Zahl  von  skoliotischen  Skeletten 
und  Röntgenuntersuchung  von  24  Fällen  mit  habitueller  Sko¬ 
liose  zu  der  .Ansicht  gekommen,  daß  in  einer  sehr  großen  Zahl 
dieser  Fälle  eine  asymmetrische  Assimilation  der  Wdrbel,  an  der 
Grenze  der  Regionen  oder  eine  asymmetrische  A^ariation  des 
lumbodorsalen  Gelenksumschlages  die  Ursache  der  Skoliose  ist. 
Darauf  Avird  nun  in  allen  Fällen  zu  achten  sein. 

0.  AU  Frisch  hemerkt  zu  der  Ausführung  Engel  mann  s, 
daß  ihm  mir  die  Angaben  des  Patienten  zu  Gebote  standen,  an 
Avelche  er  sich  halten  mußte  und  Aviederholt,  daß  auf  Grund  der 
an  der  Klinik  v.  Eiselsherg  angefertigten  Röntgenbilder  der 
in  Frage  stehenden  AVirbelsäule  die  Diagnose  einer  Fraktur 
nicht  gestellt  werden  kann. 

Das  Amn  AIoszkoAvicz  berührte  Thema  fällt  nicht  in  den- 
Rahmen  des  hier  erörterten  Gegenstandes. 

Dr.  Rudolf  Müller  demonstriert  A’ersuche  aus  einer  ge¬ 
meinsamen  .Arbeit  von  Landsteiner,  Müller  und  Poetzl 
über  die  Amn  AAuassermann  und  Plaut  beschriehene  Kom[)le- 
nientbindung  durch  die  Zerebrospinalflüssigkeit,  von  Kranken  mit 
progressiver  Paralyse. 

Die  Reaktion  bestellt  bekanntlich  darin,  daßi  die  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  von  Paralytikern,  mit  Syphilismaterial  zusam- 
mengehraebt,  unter  richtig  geAvählten  Redingungen  dir'  Wirksam¬ 
keit  eines  hämolytischen  Systems  aufhebt.  Die  genannten  Autoren 
beziehen  diesen  Effekt  auf  das  AWrhandensein  von  Syphilisanti¬ 
körpern  in  der  Spiiialflüssigkeit  der  Paralytiker. 

Die  bisher  von  Ij  and  stein  er,  Alüller  und  Poetzl  an- 
gestellten  A’ersucho  führten  zu  den  folgenden  Ergelmissen : 

ln  der  üheiAviegenden  .Mehrzahl  der  untersuchten  Fälle  von 
Dementia  paralytica  ließ  sich  in  Amlliger  Bestätigung  der  An¬ 
gaben  von  AVassermann  und  Plaut  die  heschrieliene  Hem¬ 
mung  der  Hämolyse  nachAveisen,  Avährend  die  zur  Kontrolle  Amr- 
Avendeten  Fälle,  verschiedene  Erkrankungen  des  Zentralnerven¬ 
systems,  z.  B.  Dementia  praecox,  Deliiäum  tremens,  Herderkran¬ 
kungen,  ein  negatives  Resultat  ergaben. 

Die  Zerelirospinalflüssigkeil  der  untersuchten  Paralytiker  er- 
Avies  sich  auch  an  und  für  sich  (allerdings  in  größeren  Dosen 


Nr.  17 


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WIENER  KLINISCHE 


als  boi  der  Wassermaiinsclieji  Reakliou  aiigewcii(loi)  in  dfni 
meisten  Fällen  ini  Vergleich  mit  den  anderen  Spinairiüssigkeilen 
als  stärker  anlilulmolyliscli  Avirkend.  Diese  lieminendo  Wirkung 
<ler  Spinalflüssigkcit  (ohne  Antigen)  trat  hesotulers  deutlich  liei 
Zusatz  von  Vaki'iger  Karholsäuro  ein;  sie  wurde  durch  Erhitzen 
der  Flüssigkeit  (z.  B.  auf  80")  heeinträchligt.  Die  antihämoiyliscbc 
Wiikung  der  Spinalflüssigkeit  als  solche  ist  diagnostisch  viel¬ 
leicht  von  ähnlicher  Dignität  wie  die  W a  s  s  erm  a  n  n sehe  Re¬ 
aktion. 

Hemmungsreaktionen  von  gleicher  Intensität,  wie  lieim  Zu¬ 
sammenbringen  der  Zerebrospinalflüssigkeit  von  Faralytikern  mit 
Syphilismaterial,  ließen  sich  auch  durch  Vermischen  derselben 
Spinalflüssigkeiten  mit  einem  anderen  IMaterial,  nämlich  mit  Ex¬ 
trakten  aus  Condylomata  acuminata  erzielen.  Audi  diese  lie- 
aktion  wurde  durch  Erhitzen  der  Spinalflüssigkeit  aufgehoben. 
(Vgl.  Levaditi,  Arm.  de  Einst.  Past.  1907.) 

Die  Frage,  ob  die  von  \Vass ermann  und  Plaut  ent¬ 
deckte  Erscheinung  Avirklich  auf  das  Vorhandensein  spezifischer, 
syphilitischer  Antikörper  zu  heziehen  ist,  erscheint  demnach  den 
Autoren  noch  nicht  entschieden  und  es  ist  die  IMoglichkeit  jeden¬ 
falls  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  Reaktionen  ZAvischen  nicht  spezifi¬ 
schen  Substanzen  die  Komplenientbindung  boAvirken. 

Diskussion :  Prof.  Dr.  Kraus:  Anschließend  an  die  Mitteilung 
des  Herrn  Dr.  j\l  ü  1 1  e  r  ü  her  H  e  ni  ni  u  n  g  d e  r  H  ä  m  o  1  y  s  e  mittels 
Spinalflüssigkeit  von  Paralytikern,  möchte  ich  kurz 
über  eigene  Versuche  berichten,  deren  Resultat  bereits  von  meinem 
Mitarbeiter  Volk  am  dermatologischen  Kongreß  in  Bern  mit¬ 
geteilt  Avurden.  Unsere  Versuche  beziehen  sich  a  u  f  H  e  m  in  u  ii  g 
d  e  r  H  ä  m  o  1  y  s  e  d  u  r  c  h  S  e  r  u  in.  Unabhängig  von  W  a  s  s  e  r  in  a  n  1 1 
und  Bruck  haben  Avir  daran  gedacht,  die  Methode  der  Kom¬ 
plementablenkung,  Avie  sie  in  neuester  Zeit  von  Neisser  und 
Sachs  für  den  forensischen  BlutnacliAveis  empfohlen  Avurde,  aucli 
für  den  Naclweis  der  bisher  ungekaniiten  Syphilisantikörper  zu 
vei'Averten.  Es  AAUirden  zunächst  Seren  Amn  normalen  jMenschen 
und  von  solchen,  die  ln  eruiitiven  Stadien  der  Syphilis  sich  be¬ 
fanden,  mit  Extrakten  von  Primäraffekten  vermischt  und  die  hämo¬ 
lysehemmende  Eigenschaft  dieser  Mischungen  studiert.  Hiebei 
zeig te  e  s  s  i  c  h,  d  a  ß  n  i  c  h  t  n  u  r  S  e  r e  n  v  o  n  s  y  p  h  i  1  i  t i  s  c  h e  ni 
Menschen,  sondern  auch  solche  von  normalen  Menschen  in 
gleichen  W^erten  (01  bis  005)  Hemmungen  der  Hämo¬ 
lyse  ergaben,  so  daß  ich  auf  Grund  dieser  Versuche  in  der 
Sitzung  der  dermatologischen  Gesellschaft  vom  16.  Mai  1906 
der  \mn  Wassermann,  Neisser  und  Bruck  empfohlenen  Äle- 
thode  zum  NacliAveis  der  Syphilisantikörper  mittels  Serum  nicht 
ganz  zustimmen  konnte.  Unsere  weiteren  Versuche  in  dieser 
Richtung  haben  ebenfalls  gezeigt,  daß  auch  normale  Seren  in 
gleichen  IVerten,  AAÜe  sie  \mn  Wassermann,  Neisser  und 
Bruck  als  spezifisch  für  Syphilis  angegeben  werden,  Komplement¬ 
ablenkung  beAvirken.  Diese  Versuche  Averden  mit  Extrakten  fötaler 
Organe  (Leber)  \mn  syphilitischen  und  nichtsyphilitischen  Früh- 
gelmrten  ausgeführt.  Nacli  dem  Ausfall  dieser  Versuche  können 
Avir  uns  der  namentlich  von  Neisser  und  Bruck  vertretenen 
.Vuffassung  von  der  Brauchbarkeit  dieser  Melhode  für  den  Nachweis 
von  Syphilisantikörpern  im  Serum  nicht  anschließen.  Und  auch 
Aveitere  Versuche  in  dieser  Richtung,  av eiche  Herr  Dr.  Ranzi  im 
Institut  ausgeführt  hat  (Wiener  klinische  Wochensclirift  1906, 
Nr.  5l)  bringen  eine  Aveitere  Bestätigung  dafür,  daß  normalem 
Serum  hemmende  Eigenschaften  zukommen.  Manche  Seren 
hemmen  bereits  die  Hämolyse  allein  ohne  Zusatz  von  Extrakten 
normaler  Organe.  Andere  Seren  lenkten  Avieder  nur  in  Kombination 
mit  Extrakten  von  normalen  Organen  ab.  Es  dürfte  hier  eine 
Smnmierung  der  hemmenden  Eigenschaften  zustande  kommen. 
Immerhin  lehren  die  quantitativen  Bestimmungen,  daß  die  hem¬ 
menden  Eigenschaften  normaler  Seren  und  Extrakte  normaler 
Organe  so  groß  sind,  daß  sie  den  von  Wassermann,  Neisser 
und  Bruck  als  spezifisch  für  Syphilis  angegebenen  gleichkommen. 

Nach  alledem  glaube  ich,  daß,  Avenn  die  komplementablen- 
kende  Eigenschaft  des  Serums  von  Syphilitikern  nicht  größer 
ist  als  die  von  Neisser  und  Bruck  iiacligeAviesene,  Avir  doch 
nicht  ohne  A\miteres  berechtigt  sein  dürften,  spezifische  Antikörper 
zu  erschließen.  Gleiches  gilt  auch  für  die  von  Wassermann 
für  die  Diagnose  anderer  Infektionskrankheiten  empfohlene  Me¬ 
thode  der  Komplementablenkung.  Ebenso  mußten  die  Schlüsse, 
welche  Bruck,  Oppenheim  und  Müller  aus  dem  Serum  der 
an  Gonorrhoe  erkrankten  iMenschen  gezogen  haben,  mit  Vorsicht  auf¬ 
genommen  Averden.  Im  selben  Sinne  lassen  sich,  wie  Sie  gehört  haben, 
auch  die  von  Müller,  Poetzl  und  Landsteiner  erhoberien 
Tatsachen  A'enA'erten.  Danach  sind  Avir  auch  da  nicht  berechtigt, 
vorderhand  von  nachgewiesenen  Antikörpern  bei  Syphilis  zu 
sprechen. 


'.  1907. 


Prof.  Dr.  H.  Albrecht:  M  eine  Herren!  Ich  erlaube  mir, 
in  Kürze  und  in  der  Art  einer  vorläufigen  Mitteilung  über  die 
bakteriologiscbcu  Untersuchungeu  bei  Pertussis  und  über  gewisse 
daran  aiigciscblossene  Tierversuche  zu  berichten,  welche  ich  im 
Verein  nnt  dem  Assistenten  der  Infektionsabteilung  des  Walhol- 
miuenspitales  Dr.  Weiß  ausgeführt  haiie. 

Die  Untorsuchungen  betreffen  etAva  200  Fälle  von  an  Pneu¬ 
monie  nach  Perlussis  verstorhenen  Kindern  und  über  70  Sputa 
Amn  peitussiskrankcn  Kindern.  Wir  haben  in  allen  diesen  so 
zahlreichen  Fällen  den  Bacillus  pertussis  Eppendorf  mikro¬ 
skopisch  und  fä.st  immer  kulturell  nacliAveisen  könnerj,  sehr  häufig 
fast  in  Reinkultur,  in  der  Aveitaus  überAviegenden  Mebrzahl  der 
Fälle  sehr  reichlich. 

Ohne  auf  die  Geschiedde  der  Bakteriologie  der  Pertussis 
eingehen  zu  Avollen,  möchte  ich  mich  nur  kurz  mit  dem  genannten 
Bazillus  lieschäftigen.  Derselbe  Avurde  von  Joch  mann  und 
Krause  in  einer  größeren  'Anzahl  von  Keuchhustenfällen  ge¬ 
funden  ;  sie  Avaren  zuerst  geneigt,  demselhcn  eine  ätiologische 
Bedeutung  zuzuschreiben;  später  sind  sie  Avieder  davon  ahge- 
kommen  und  wollen  ihn  jetzt  als  einen  mehr  herrenlosen  Sapro- 
phvten  der  RespirationsAvege  der  Kinder  auffassen.  Dem  kann  ich 
nicht  heistimmen,  schon  aus  dem  Grunde  nicht,  Aveil  ich  zu 
Aviederholten  Malen  bei  Pertussis  metastatische  /Abszesse,  iMenin- 
gitis,  Perikarditis,  Peritonitis  (also  Septikopyämie)  durch  elien- 
denselben  Bazillus  erzeuigt,  an  der  Leiche  konstatieren  konnte. 
Dazu  kommi,  daß  man  geradezu  häufig  bei  Pertussispneumonie 
denselben  im  Bronchialeiter  und  in  den  pneumonischen  Herden 
in  solcher  Reichlichkeit  findet,  daßi  an  der  pathogenen  Be¬ 
deutung  desselben  Avohl  scliAAmrlich  zu  zAAmifeln  ist.  Aber  tlersellie 
Bazillus,  der,  Avie  ich  noch  später  betonen  Avill,  sich  in  keinei' 
Avie  immer  gearteten  Weise  von  dem  Bacillus  influenzae  unter¬ 
scheiden  läßt,  findet  sich  auch  in  merkAVÜrdiger  Häufigkeit  im 
Exsudate  der  Bronchitiden  und  Pneumonien  der  Kinder  üher- 
haupt,  namentlich  bei  Masern  und  nach  Diphtherie;  A\m.s  übrigens 
schon  teihAmise  bekannt  ist.  Aber  die  Häufigkeit  seines  Vor¬ 
kommens  Avird  immer  noch  unterschätzt.  Bei  genauer  Unter¬ 
suchung  läßt  er  sich  in  80  bis  90"/o  aller  Fälle  von  eitriger  Bron¬ 
chitis  und  Pneumonie  bei  Kindern  Avenigstens  mikroskopisch, 
in  der  Regel  auch  kulturell  konstatieren.  Es  ist  klar,  daßi  das 
regelmäßige  Vorkommen  dieses  vom  Bacillus  influenzae  nicht  unter¬ 
scheidbaren  und  jedenfalls  mit  ihm  identischen  ■  Bazillus  für  die 
Verbreitung  und  Epidemiologie  der  Influenza  von  größter  Be¬ 
deutung  ist.  ' 

Ich  Avill  hier  nochmals  hervorhehen,  daß  sich  der  in  Rede 
stehende  Bazillus  (Bacillus  pertussis  Eppendorf)  Aveder  von 
dem  Influenzabazillus  bei  Masern-  und  anderen  Pneumonien  der 
Kinder,  noch  Amn  dem  nach  Pfeiffers  Beschreibung  allgemein 
als  Bazillus  influenzae  angesprochenen  Mikroorganismus  durch 
irgcndAA’elches  morphologisches  oder  biologisches  Merkmal  unter¬ 
scheiden  läßt.  (Von  der  Aufstellung  einer  besonderen  Spezies  als 
Pseudoinfluenzabazillus  ist  man  ja  doch  Avieder  nach  einigen 
Amrgeblichen  Versuchen  abgekommen.  Ich  kann  Avenigstens  einen 
solchen  nicht  anerkennen.) 

Wdr  versuchten  nun  zunächst,  Kaninchen  mit  dem  Pertussis- 
Influenzabazillus  zu  .immunisieren,  um  die  eAmntuelle  Agglu¬ 
tininbildung  des  Serums  zu  prüfen.  Dabei  zeigte  es  sich  zunächst, 
daß  das  Seiaim  solcher  Immuntiere  ziemlich  hohe  Agglutinalions- 
Averte  liefert,  Avenn  man  zur  Agglutination  Bazillen  Aunavendet, 
die  eine  Stunde  auf  60  bis  62"  erhitzt  Avurden.  Der  homologe 
Stamm  Avird  mindestens  bis  auf  1 : 1400,  andere  Perlussis-Influenza,- 
stänmie  bis  auf  1:600  bis  700  agglutiniert.  Das  Blut  A'on  an 
P'ertussis  kranken  Kindern  zeigt  jedoch  keine  Agglutinations¬ 
fähigkeit,  Avie  dies  übrigens  sclion  Amn  Bordet  angegeben  ist. 

Bei  diesen  Immunisierungsversuchen  ergaben  sich  uns  inter¬ 
essante  pathologisch -anatomische  Befunde.  Zunächst  gelang  es 
uns,  Avie  ich  glaube,  eiriAvandfrei,  nach  mehrfacher  intraA^enöser 
Injektion  von  in  Bouillon  aufgeschAvemmten  Bazillen  (ein  bis 
ZAvei  Normalösen)  eine  Endokarditis  der  Mitralklappen  zu  erzeugen, 
natürlich  ohne  vorher  dieselbe  verletzt  zu  halien  und  ohne  Bei¬ 
mengung  ii’gendAvelcher  fremder  Partikelchen  zur  Injektionsflüssig¬ 
keit.  Sie  sehen  an  beiden  Zipfeln  derselben  relativ  sehr  große 
(über  erbsengroße)  endokarditische  Auflagerungen,  aus  Avelchen 
massenhaft  mikroskopisch  und  kulturell  der  Bacillusi  influenzae 
sich  wieder  nacliAAmisen  ließi.  Aber  Avir  konnten  auch  höchst- 
eigentümliche  Veränderungen  des  Herzmuskels  und  zum  Teil  auch 
der  Leber  konstatieren.  An  dem  zur  Demonstration  mitgebrachten 
frischen  Präparate  sehen  Sie  das  rechte  Herz  hochgradig  er- 
Aveitert  und  ganz  auffallend  gelblich  gefärbt.  Diese  Veränderung 
begrenzt  sich  in  der  Mitte  des  Septum  ventriculi  scharf  gegen 
die  linke  Seite.  Der  VWrliof  zeigt  dieselbe  Veränderung.  Auch  in 
der  Leber  sehen  Sie,  den  Azini  entsprechend,  eine  feine  gelblich- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


i.  'J 


weiße  Zeicliiiung.  Es  handelt  sich  hier  lun  direkte  Verkalkung 
(Kalkiinprägnation)  der  Herznmskelfasern  und  der  Leberzellen, 
Wühl  nach  vorausgegaiigener  Degeneration  und  Nekrose.  (Demon¬ 
stration  der  inikroskopischen  Präparate.)  Ich  glaube  nicht  fehlzn- 
gelien,  wenn  ich  diese  Prozesse  als  bedingt  durch  eine  besondere 
Affinität  und  Wirkung  des  Bazillengiftes  an  die  betreffenden 
Zellen  ansehe,  sei  es,  daß  es  sich  um  lösliche  Toxine  oder 
um  Endotoxine  handelt. 

Es  scheint,  daß  man  aus  diesen  Ergelmissen  des  Tierexperi- 
mentes  vielleicht  die  oft  klinisch  zu  heobaclitende  schwere  Schädi¬ 
gung  des  Herzmuskels  hei  Influenza  mit  nur  geringfügigen  be¬ 
stehenden  Kranklieifsherden  erklären  konnte.  Ich  betone  übrigens, 
daß  unsere  üntersuchungen  und  Versuche  derzeit  noch  keineswegs 
abgeschlossen  sind. 

Ich  will  noch  erwähnen,  daß  Bordet  im  vorigen  Jahre  in 
einigen  ganz  frischen  Keuchhustenfällen  ein  anderes  Bakterium 
isolieren  konnte,  das  er  nach  seinen  Untersuchungen  für  den 
wahren  Erreger  der  Krankheit  hält.  Dasselbe  soll  sehr  rasch 
und  bald  aus  dem  Sputum  wieder  verschwinden.  Wir  haben 
niemals  ,ein  ähnliches  Bakterium  auffinden  können;  alle  unsere 
äFlle  waren  mindestens  zwei  bis  drei  AVochen  alt,  was  also  mit 
letzterer  Angabe  Bordets  stimmen  würde. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

S  i  t  z u  11  g  d e  r  p  ä  d  i  a  t  r  i  s  c  h  e  n  S e  k  t  i  o  n  v  o  m  11.  April  1907. 

R.  Neurath  zeigt  ein  Kind  mit  Mongolismus  und 
Myxödem  Symptomen.  Neben  den  typischen  Erscheinungen 
des  Mongolismus,  unter  welchen  unter  anderem  ein  eigentümlicher 
Gesichtsausdruck,  Idiotie,  schlaffe  Gelenke,  Naheihernie  und  Ob¬ 
stipation  zu  heobachten  sind,  zeigt  das  Kind  noch  myxödemartigo 
Symptome :  Polsterartige  Beschaffenheit  der  Haut,  große,  aus  dem 
Munde  heraushängende  Zunge,  suhnormale  Temperatur,  welche 
auch  im  Fieber  nur  auf  35-8°  stieg,  behindertes  Längenwachstum; 
die  Knochenhildimg  ist  nicht  eingeschränkt,  die  Thyreoidea  ver¬ 
kleinert.  Vielleicht  sind  die  letzteren  Symptome  auf  eine  Funktions¬ 
hemmung  der  Schilddrüse  zurückzuführen. 

IV.  Knöpf elmacher  ist  der  Ansicht,  daß  es  sich  um 
IMongolismus  allein  handelt. 

K.  Hochsinger  meint,  daß  hei  diesem  Falle  Erscheinungen 
von  Myxödem  zu  finden  sind. 

J.  Fried  jung  und  N.  SAVohoda  haben  ähnliche  Fälle  in 
Beobachtung  und  sind  der  Ansicht,  daß  es  sich  um  eine  Kom- 
hination  Amn  Mongolismus  mit  , Myxödem  handelt. 

R.  Neurath  envidert,  er  habe  nur  gesagt,  daß  hier  myx¬ 
ödemähnliche  Symptome  neben  Mongolismus  bestehen. 

A.  Schüler  demonstriert  ein  Kind  mit  Mikromelie.  Der 
Schädelumfang  beträgt  46  cm,  die  Nähte  klaffen,  die  Extremitäten 
sind  kurz  und  plump,  die  Finger  kurz  und  nahezu  gleich  lang,  die 
Kniegelenke  sind  scldaff,  die  Wirbelsäule  ist  in  ihrem  unteren 
Anteil  kypholisch.  Die  Psyche  ist  gut  entwickelt.  Die  Prognose 
solcher  Fälle  ist  günstig,  da  sie  sich  geAvöhnlich  körperlich  und 
geistig  gut  entAvickeln;  Gefahr  droht  nur  den  Aveiblicben  Indivi¬ 
duen  Aren  einer  Gravidität,  da  das  Becken  sehr  verengt  bleibt 
und  eine  spontane  Geburt  der  ausgetragenen  Früchte  nicht  mög¬ 
lich  ist.  Die  Schilddrüsentherapie  ist  hei  Mikromelie  ohne  Er¬ 
folg.  Vortr.  Avird  einen  Versuch  mit  Hypophysisdarreichung 
machen. 

N.  SAvoboda  bemerkt,  daß  bei  Mikromelie  soAvohl  Lordose 
als  auch  Kyphose  der  Wirhelsäide  vorkommt. 

K.  Ullmann  stellt  ein  ISjähriges  Mädchen  vor,  Avelches 
Sklerodermie  en  plaques  in  allen  Stadien  zeigt,  sowohl 
als  Erythem  als  auch  als  BTecke  von  matt  porzellanartiger  Be¬ 
schaffenheit;  andere  Plaques  sind  atrophisch  'und  blau  verfärbt, 
Avieder  andere  derb  infiltriert.  Die  Haare  sind  zum  Teil  ergeaut. 
Die  Dannfunktion  ist  normal,  es  dürfte  aber  doch  eine  Auto¬ 
intoxikation  dem  Leiden  zugrunde  iliegen.  Es  AAÜrd  ein  Versuch 
mit  Fihrolysinhehandlung  gemacht  AArerden.  Die  Prognose  ist  hei 
Fällen,  die  schon  im  jugendlichen  Alter  erkranken,  im  allgemeinen 
nicht  günstig. 

Goldreich  stellt  ein  vierjähriges  IVLädchen  mit  einer  Stö¬ 
rung  der  Z ahnen tAvicklung  vor.  Im  Oberkiefer  finden  sich 
vier  AA'oit  voneinander  abstehende,  spitze  Zähne,  im  Unterkiefer 
Eckzähne.  Das  Kind  zeigt  Zeichen  Aren  hereditärer  Lues  (Ozäna, 
Saltelnase),  Avelche  Ursache  der  Stömng  der  Dentition  sein  dürfte. 

K.  Hoch  singer  hat  einen  20jährigen  Epileptiker  gesehen, 
Avclcher  im  Unterkiefer  noch  die  Schneidezähne  des  IMilchgebisses 
trägt;  sie  sind  kurz  und  spitz  zulaufend. 

K.  Hochsinger  domonstnert  das  anatomische  Präparat 
des  Falles  von  Ilodentuherkulose,  Avelchen  er  in  der  Arer- 


hergehenden  Sitzung  gezeigt  hat.  Ini  unteren  Anteil  des  Testikels 
sitzt  eine  Kaverne  mit  käsigem  Inhalt,  der  Rest  des  Testikels  und 
der  Nebenhoden  sind  derb  und  mit  Tuherkelknötchen  durchsetzt, 
ebenso  das  Vas  deferens. 

Ferner  zeigt  er  Röntgenpholographien  eines  Falles  von  an- 
gehorener  ]\I  e  s  o  k  a  r  d  i  e  mit  H  e  r  z  h  y  p  e  r  l  r  o  p  h  i  e.  Es  handel  t 
sich  um  einen  lUAjährigen  Knaben  mit  Dermographismus,  Herz¬ 
klopfen  und  Oppressiousgefühl  auf  der  Brust.  Die  Untersuchung 
ergab  eine  aufgeregte  Herztätigkeit,  Puls  über  120,  Spitzenstoß 
in  der  Mitte  zAvischen  linker  Mamilla  und  dem  Stcrnalrand.  Die 
absolute  Herzdämpfung  reicht  bis  zum  rechten  Sternalrand  und 
ist  auf  der  linken  Thoraxseite  viel  kleiner  als  normal,  die  relative 
Dämpfung  reicht  noch  Aveiter  über  den  rechten  Sternalrand  hinaus. 
Die  Herztöne  sind  rein.  Die  Röntgenuntersuchung  ergibt,  daß 
das  Herz  in  der  Mitte  des  Sternums  liegt,  hypertropliisch  ist 
und  mit  einem  großen  Anteil  in  die  rechte  Thoraxhälfte  hinüber¬ 
reicht.  Es  dürfte  sich  um  einen  angeborenen  Zustand  handeln. 

Schließlich  demonstriert  K.  Hochsinger  Rönlgenauf- 
nahmen  von  Fällen  mit  einfacher  Flerzhypertrophie,  bei 
Avelchen  keine  Symptome  einer  Herzerkrankung,  keine  Geräusche 
und  auch  keine  Stauungserscheinungen  zu  finden  sind.  In  solchen 
Fällen  könnte  die  Hypertrophie  Adelleicht  auf  Grund  fötaler  Zirku¬ 
lationsstörungen  entstanden  sein. 

K.  Zuppinger:  Zur  Therapie  der  Larynxpapil- 
1  o  m e  i  m  K  i  n  d e  s  a  1 1  e  r.  Das  Larynxpapillom  ist  zwar  die 
häufigste  und  Avichtigste  Kehlkopf geschwulst  im  Kindesalter,  cs 
kommt  aber  doch  so  selten  vor,  daß  Vortr.  in  einer  zAvölfjährigen 
Spitalspraxis  nur  drei  Fälle  beobachten  konnte.  Es  gibt  bisher 
noch  keine  Operationsmethode  der  Larynxpapillome,  durch  welche 
ein  Rezidiv  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  wäre.  Die  Laryngo- 
toihie  oder  Laryngofissur  mit  nachfolgender  Exstirpation  der  Ge- 
scliAvulst  ist  zu  Arei'Averfen,  da  durch  diesen  scliAveren  Eingriff 
die  Integrität  des  Kehlkopfes  und  seiner  Funktion  gefährdet  Avinl. 
Die  Tracheotomie  mit  längerem  Tragen  der  Kanüle  Avurde  in 
jüngster  Zeit  auf  Grund  der  Beobachtung  empfohlen,  daß  die 
Larynxpapillome  nach  einer  unbestimmbaren  Zeit  von  selbst  ver- 
scliAvinden;  diese  Involution  tritt  besonders  dann  gern  ein,  Avenn 
die  Papillome  durch  die  Tracheotomie  aus  dem  Luftstrom  aus¬ 
geschaltet  AArerden.  Das  lange  Tragen  einer  Kanüle  im  frühen 
Kindesalter  birgt  aber  so  viele  Gefahren  in  sich,  daß  die  Tracheo¬ 
tomie  nur  im  Notfälle  berechtigt  ist,  Avenn  die  Intubation  un¬ 
möglich  ist;  dann  soll  aber  mit  den  nötigen  endolaryngealen 
Eingriffen  nicht  gezögert  und  die  Kanüle  möglichst  bald  entfernt 
Averden.  Die  Anwendung  endolaryngealer  Methoden  hat  im  spä¬ 
teren  Kindesalter  meist  keine  Sclm'ierigkeit,  sie  können  aber 
nur  von  besonders  geübter  Hand  ausgeführt  Averden.  Ein  er- 
scliAArerender  Umstand  ist  hiebei  die  Gefährlichkeit  der  Narkose  bei 
kleinen  Kindern.  Im  ersten  Kindesalter  ist  ein  endolaryngealer 
Eingriff  sehr  scliAvierig  und  nur  von  sehr  geübten  Spezialisten 
ausführbar.  Für  den  Nichtspezialisten,  der  auf  sich  selbst  an- 
geAviesen  ist,  empfiehlt  sich  die  Anwendung  des  L  ö  r  i  sehen  Ka¬ 
theters.  Derselbe  ist  ein  gekrümmter  Metallkatheter  mit  einem 
dem  Alter  des  Kindes  entsprechenden  Lumen,  an  beiden  Enden 
offen,  so  daß  das  Kind  Avährend  der  AnAvendung  desselben  atmen 
kann.  Der  Rand  der  Arerderen  Oeffnung  ist  behufs  Vermeidung 
Aren  Verletzungen  abgestumpft  und  eingebogen.  Darüber  befinden 
sich  vier  ca.  1  cm  lange,  spitzovale  Fenster,  mit  sc liarf ge¬ 
schliffenen  Rändern;  in  diesen  verfangen  sich  die  Papillome  und 
Averden  durch  eine  Bewegung  des  Instrumentes  abgeschnitten. 
Hat  man  mit  der  'Spitze  des  Katheters  die  Stimmritze  passiert, 
schiebt  man  ihn  einige  Male  auf  und  ab  und  dreht  ihn.  Auf 
diese  Weise  AArerden  die  Papillome  durch  die  scharfen  Räiulcu- 
der  Fenster  abgeschnitten,  fallen  ins  Lumen  des  Katlieters  und 
Averden  mit  diesem  entfernt;  die  in  die  Trachea  geratenen  Averden 
ausgehustet.  Von  einer  Aetzung  des  Sitzes  der  Papillome  ist  man 
AAregen  der  Erfolglosigkeit  abgekommen.  Harm  er  benützt  zur 
Entfernung  der  Papillome  einen  harten,  kurzen  Pinsel.  Auch  nicht 
stenosierende  Papillome  sind  rechtzeitig  zu  entfernen,  da  sie 
sich  vergrößern  und  auch  zu  absteigenden  Entzündungsprozessen 
führen  können.  Bezüglich  einer  internen  Therapie  ist  in  der 
Literatur  nicht  viel  zu  finden;  es  Avurden  die  Verabreichung 
stark  verdünnter  Salpetersäure  und  Arsen,  Inhalation  Aren  ver¬ 
dünntem  Alkohol  und  Emser  'Wasser  erAvähnt.  Gegen  einen  der¬ 
artigen  vorsichtigen  Versuch  ist  nichts  einzUAvenden,  Avenn  die 
operative  Therapie  nicht  versäumt  Avird. 

B.  Panzer  hernerkt,  daß  das  idealste  Verfahren  die  endo- 
laryngeale  Operation  ist,  am  besten  diejenige,  Avelche  unter 
Kontrolle  des  Auges  vorgenornmen  Avird.  AVenn  ein  endolaryngealer 
Eingriff  nicht  möglich  ist,  kann  auch  die  Tracheotomie  ausgefülirt 
AArerden,  die  Kanüle  Avird  so  lange  getragen,  bis  endolaryngeal 
operiert  Averden  kann.  Die  Laryngofissur  bietet  keine  besonderen 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


517 


Erfolge.  Die  AnwciKlung  des  Lö rischen  KailieLers  isl  nur  als 
Nolverfaliren  anzuselien. 

K.  Z  upping  er  erwidert,  daßicr  das  letzlgenaiiide  Verfahren 
elienfalls  nur  für  sohdic  Fälle  empfohlen  habe,  wo  rasch  ein¬ 
gegriffen  werden  muß  und  keine  sj)'ezialislische  Hilfe  zur  Ver¬ 
fügung  sieht. 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzungen  vom  6.  und  IG.  März  1907. 

Vorsitzender :  Physikus  Dr.  Lieh  m  a  n  n. 

Schriftführer:  Dr.  Schweinburg. 

Prim.  Dr.  W.  Bittner  demonstriert  einen  SV^jährigen 
Knaben,  der  mit  einer  Invaginatio  ileocolica  am  9.  Februar 
dieses  Jabres  operiert  wurde. 

Das  Kind  erkrankte  am  7.  Februar  plötzlich  unter  Erbrechen, 
beftigen  Bauchsebmerzen,  StuhlverhaLung.  Nacbdeni  sich  auch 
unter  heftigen  kolikartigen  Schmerzen  blutiger  Schleim  per  rectum 
entleerte,  wurde  Spitalshilfe  aufgesucht. 

Bei  der  Aufnahme  war  das  Kind  leicht  kollabiert,  der  Püls 
frequent,  Abdomen  mäßig  aufgetrieben.  In  den  abhängigen  Par¬ 
tien  ergab  die  Perkussion  Dämpfung,  demnach  freie  Flüssig¬ 
keit  in  der  Bauchhöhle,  ein  sehr  wichtiges  Symptom 
innerer  Inkarze  ration.  Bei  der  Palpation  war  ein  wurst- 
förmiger  Tumor  nachweisbar,  der  im  Epigastrium  rechts  vom 
Nabel  begann  und  bogenförmig  nach  links  bis  in  die  linke 
Beckenpfanne  binabreiebte.  Der  Tumor  war  ziemlich  beweglich 
und  drucksebmerzhaft.  Bei  der  Untersuchung  per  rectum  üistete 
der  untersuchende  Finger  ein  portio  uteri-ähnliches  Gebilde, 
die  Spitze  des  Invaginatunis  1  Es  handelte  sich  also  um  eine 
Invagination  des  Cökums  in  das  Colon  ascendens,  transversum, 
descendens  bis  ins  Rektum  herab.  Per  rectum  entleerte  sich 
blutiger  Schleim.  Die  Operation  wurde  sofort  durchgiführt.  Durch 
einen  Schnitt  rechts  von  der  Mittellinie  wurde  zunächst  der  rechte 
Rectus  abdom.  bloßgelegt,  dieser  Muskel  nach  innen  geschoben, 
hierauf  hinter  demselben  das  Bauchfell  gespalten.  Dadurch  s-ollte 
einer  späteren  Bruchbildung  noch  mehr  vorgebeugt  werden,  in¬ 
dem  durch  jene  Maßnahme  die  spätere  Peritonealnaht  hinter  den 
Rektus  zu  liegen  kam.  Aus  der  Bauchhöhle  entleerte  sich  eine 
seröshämorrhagische  Flüssigkeit.  Es  wurde  nun  der  ganze 
Invaginaltumor  mit  einiger  JMühe  herumgewälzt,  die  prolabierten 
Darmschlingen  reponiert,  die  Bauchhöhle  durch  Kompressen  sorg¬ 
fältig  abgestopft;  so  daß  die  ganze  weitere  gef äbrliche  Manipulation 
an  dem  invaginierten  Darm  extraabdominal  vorgenommen  werden 
konnte.  Die  Invagination  wurde  durch  Zug,  aber  hauptsächlich 
durch  Druck  nach  ziemlicher  Mühe  gelöst.  Auffallend  waren  die 
schweren  Schäden,  welche  die  Invagination  an  dem  Darme  und 
dem  Mesenterium  verursacht  hatte.  Die  AVand  des  Cökums  mit 
dem  Processus  venniformis,  des  Colon  ascendens  und  transversum 
war  stark  ödematös  infiltriert,  die  Serosa  des  Darmes  stellen¬ 
weise  abgelöst;  zahlreiche  Hämorrhagien  waren  am  Darme  und 
Mesenterium  sichtbar.  Daß  es  bei  solchen  pathologischen  Ver¬ 
änderungen  nachher  zu  Verwachsungen  des  Darmes,  Strangbildun¬ 
gen  usw.  kommen  kann,  ja  kommen  muß,  ist  einleuchtend  und 
beweist  ein  Fäll,  den  der  Vortragende  zu  beobachten  Gelegen¬ 
heit  batte.  AVabrscheinlich  sind  die  Adhäsionen  die  Ursache, 
daß  es  nach  solchen  Operationen  so  selten  zu  neuerlichen  Invagina- 
tionen  kommt.  Der  Dann  wurde  hierauf  reponiert,  die  Bauchwand 
geschlossen.  Die  Heilung  erfolgte  per  primam. 

Gegenwärtig,  nach  drei  Wochen,  ist  die  Narbe  fest;  das 
Kind  befindet  sich  wohl,  hat  keine  Schmerzen,  keine  Stuhl¬ 
beschwerden. 

Aber  bei  der  Untersuchung  des  iVbdomens  fällt  es  auf, 
daß  die  Bauchdecken  sichtlich  gespannt  sind,  der  Bauch  über¬ 
haupt  deutlich  vorgewölbt  erscheint.  In  den  abhängigen  Partien 
ist  durch  Dämpfung  freie  Flüssigkeit  nachweisbar!  Alles  Zeichen, 
die  auf  eine  subakute,  schmerz-  und  fieberlose  Entzündung  hin¬ 
deuten,  die  sich  zweifellos  in  der  Banchhöhle  abspielt,  wohl  als 
Folge  jener  schweren  Alteration  des  Darmes  und  Mesenteriums 
infolge  der  Invagination  und  wohl  auch  teilweise  der  Operation. 
Der  Vortragende  war  daher  bemüht,  bei  der  Nachbehandlung 
von  Anfang  an  durch  Klysmen  und  milde  Abführmittel  die  Peri¬ 
staltik  mäßig  anzuregen,  um  den  Verwachsungen  dadurch  äunlichst 
vorzubeugen. 

Der  Voriragende  bespricht  in  Kürze  die  Symptome  und  Dia¬ 
gnose  der  Invagination  und  betonl,  daß  es  gerade  bei  diesem,  im 
Kindesalter  nicht  so  seltenen  und  schweren  Leiden  auf  eine 
rechtzeitige  Diagnose  ankommt,  die  übrigens  leicht  ist,  da  die 
Symptome  der  Erkrankung:  Plötzlicher  Beginn  mit  Erbrechen, 
Verhaltung  von  Stuhl  und  Winden,  heftigen  kolikartigen  Bauch- 


schinci'zen,  Abgang  von  hiutigeiu  Schleim  per  rectum,  schließlich 
Nachweis  des  Invaginaltumors,  sehr  prägnant  sind. 

AVas  die  Therapie  anbelaiigt,  so  kann  der  Arzt,  der  recht¬ 
zeitig  geholt  wird,  mit  Klysmen  eine  Heihmg  versuchen.  In 
der  Regel  kommt  man  damit  nicht  zum  Ziele  und  man  tut  besser, 
den  Kranken  mit  solchen  therapeutischen  Versuchen  nicht  zu 
quälen,  sondern  ihn  schleunigst  der  Operation  zuzuführen.  Die 
Operation  ergibt,  rechtzeitig,  d.  h.  in  den  ersten  48  Stunden, 
spätestens  72  Stunden,  vorgenommen,  ausgezeichnete  Resultate; 
das  beweisen  auch  die  Fälle,  die  Prim.  Dr.  Bittner  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte.  Prim.  Dr.  Bittner  operierte  seit  1899  im 
Brünner  Kinderspital  sieben  Kinder.  Von  diesen  starben  vier 
Kinder  an  den  Folgen  der  Inkarzeration,  der  Darmgangrän  usw. 
Sie  wurden  alle  zu  spät  der  Operation  zugeführt. 

Drei  Fälle  genasen,  sie  wurden  innerhalb  der  ersten  zwei 
bis  drei  Tage  operiert.  Unter  den  Operierten  waren  drei  Fälle, 
bei  denen  die  Spitze  des  Invaginatums  im  Rektum  fühlbar,  ja  in 
einem  Falle  sichtbar  war;  ein  Kind  starb,  während  zwei  Kinder 
genasen. 

Weiters  demonstriert  Prim.  Dr.  Bittner  ein  pathologisch- 
anatomisches  Präparat:  zwei  Dannstücke,  die  miteinander  durch 
einen  Strang  verbunden  sind,  aus  der  Bauchböble  eines  15  Monate 
alten  Knaben,  der  einer  inneren  Inkarzeration  Anfang  Februar 
dieses  Jahres  erlegen  war.  Das  Kjnd  wurde  am  1.  Alai  1905  im  Alter 
von  sechs  Monaten  wegen  einer  Invagination  operiert  und  ge¬ 
heilt.  Die  Invagination  war  eine  Ileokolika;  invaginiert  waren 
das  Ileum,  das  Cökum,  Colon  ascenden.s  und  die  Hälfte  des 
Transversum.  Bei  der  Operation  fielen  die  schweren  pathologi¬ 
schen  Veränderungen :  Darmwandödem,  Hämorrhagien,  Epithel¬ 
verluste,  Suffusionen  usw.  auf,  die  die  Invagination  verursacht 
hatte;  sie  sind  in  der  Krankengeschichte  ausdrücklichst  hervor¬ 
gehoben.  Nach  der  Anamnese  erkrankte  das  Kind,  das  sich  die 
ganze  Zeit  über  sebr  wohl  befunden  hatte,  anfangs  Februar 
plötzlicb  unter  Erbrechen,  Bauchschmerzen,  Verhaltung  von  Stuhl 
und  AVinden.  Blutiger  Schleim  ging  diesmal  nicht  ab.  Ein  Klysma 
hatte  wobl  die  Entleerung  von  etwas  Stubl  zur  Folge,  allein  der 
Zustand  verschlimmerte  sich  rapid.  Als  das  Kind  am  drittetr 
Tage  der  Erkrankung  in  das  Kinderspital  gebracht  wurde,  war  es 
sterbend  und  erlag  in  einigen  Minuten  seinem  Leiden.  Die  Ob¬ 
duktion  (Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Sternberg)  ergab  als  Todes¬ 
ursache  die  1  n  k  a  r  z  e  r  a  t  i  o  n  eines  großen  D  ü  n  n  d  a  r  m  k  o  n- 
volutes  durch  einen  Strang,  der  von  der  AVand  des  obersten 
Jejunums  zur  AArind  des  untersten  Ileums  zog  und  der  überdies 
durch  eine  schliiigenartige  Adhäsion  an  die  Radix  mesenterii  nahe 
der  AATrbelsäule  befestigt  war.  In  dieser  Schlinge  ließ  sich  der 
Strang  wie  in  einer  Lasche  hin  und  her  ziehen.  Neben  diesem 
Strang  waren  ziemlich  ausgedehnte  A^erwachsungen 
sichtbar,  die  längs  des  e bemal i  gen  Invaginations- 
ter rains  situiert  waren.  Der  Fall  beweist  eben,  daß  das 
Schicksal  der  Kinder,  die  eine  Invagination  und  Operation  glück¬ 
lich  überstanden,  auch  nach  monatelangem  AA''ohlbefinden  nicht 
sicher  ist,  infolge  der  adhäsiven  Peritonitis,  die  nach  den 
schweren,  durch  die  Invagination  gesetzten  Läsionen  des  Darmes 
und  Netzes  zu  eventuellen  folgenschweren  A'erwachsungen  und 
Strangbildungen  führt.  Es  empfiehlt  sich  daher,  die  Angehörigen 
auf  diese  Gefahr  aufmerksam  zu  machen  und  ihnen  den  drin¬ 
genden  Rat  zu  geben,  bei  einer  plötzlichen  neuerlichen  Erkran¬ 
kung  unter  den  bekannten  Symptomen  sofort  chirurgische  Hilfe 
aufzusuchen.  Vielleicht  läßt  sich  durch  eine  entsprechende  Nacli- 
hehancllung,  die  durch  Klysmen,  milde  Abführmittel  bald  nach  der 
Operation  für  Anregung  der  Peristaltik  Sorge  trägt,  der  Adhäsion 
und  so  weiter  einigermaßen  verbeugen. 

Prim.  Dr.  Spietschka  demonstriert  einen  Fall  von  Lichen 
ruber  planus,  zeigt  Mitteilungen  eines  äbnlicb  lokalisierten 
und  konfigurierten  Syphilides  und  bespricht  eingehend  die  Diffe¬ 
rentialdiagnose. 

Assistent  Dr.  Meixner  demons  friert:  1.  Ein  Divertikel  der 
Trachea,  das  bei  einem  an  cbronischer  Lungentuberkulose  ge¬ 
storbenen  Manne  gefunden  wurde.  Es  saß  im  membranösen  Teile, 
1  cm  unterbalb  des  Ringknorpels,  sein  Zugang  stellte  einen  queren 
Schlitz  dar,  seine  Tiefe  maß  1  cm.  Seine  AVand  ist  sehr  dünn. 

Divertikel  der  Trachea  sind  eine  ziemliche  Seltenheit.  Nach 
Rokitansky,  dessen  Beschreibung  Vortr.  wiedergibt,  entwickeln 
sie  sich  meist  infolge  wiederholter  und  chronischer  Luftröhren¬ 
katarrhe,  wie  er  wohl  auch  im  vorliegenden  Falle  (Tuberkulose) 
bestanden  hat.  AA'^ ährend  diese  Divertikel  nach  Rokitansky 
bloß  Ausstülpungen  der  Schleimhaut  durch  die  Maschen  der 
hypertrophischen  Muskulatur  hindurch  darslellen,  eine  A^er- 
änderung,  für  die  der  in  jüngeren  Lehrbüchern  der  pathologiscben 
Anatomie  vorkommende  Ausdnick  ,,Tracheokele“  passender  wäre, 
hat  Czyhlarz  in  einem  histologisch  genau  untersuchten  Falle 


^  * 


Ülo 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


sämtliche  Elemente  der  hinteren  Tracheahvand  in  einem  der¬ 
artigen  Divertikel  vorgeiimden.  Allerdings  waren  Mnskulatur  und 
elastisches  GeAvebe,  besonders  das  letztere,  stark  verminderl.  In 
dieser  Schwäche  der  Wand,  die  in  verschiedenen  Fällen  wahr¬ 
scheinlich  verschiedene  Ursache  haben  kann,  erblickt  Czyhlarz 
den  Grund  der  Divertikelbildung.  Entsprechend  dieser  Anschan- 
nng  müßte  man  solche  Divertikel  als  Pulsionsdivertikel  auffassen, 
entstanden  unter  der  Wirkung  des  ständig  oder  zeitweilig  erhöhten 
inneren  Luftdmekes,  während  Rokitansky  die  von  ihm  be¬ 
schriebenen  Schleiinhautvorfälle  der  Trachea  nach  Art  der 
Traktionsdivertikel  dadurch  erklärt,  daß  die  hypertrophischen 
Schleimdrüsen  mittels  ihres  Ausluhrungsganges  an  der  Schleim¬ 
haut  zerren. 

Die  übrigen  Formen  der  Divertikel,  Avie  z.  B.  überzählige 
Bronchien  in  rudimentärer  EntAvicklung,  gehören  Avohl  ausschlie߬ 
lich  ins  Gebiet  der  illißhildungen.  Vortr.  Aveist  auf  die  eitischlä- 
gigen  Arbeiten  der  Weigertseben  Schule  hin. 

2.  Halsorgane,  Alagen  und  oberen  Dünndarm  von  einer 
SalpetersäureA'ergiftung.  Die  Organe  stammen  von  einem 
35jährigen  Manne,  der  in  selbstmörderischer  Absicht  Scheide- 
Avasser,  das  ist  4Ü  bis  50°/oige  Salpetersäure  (Aqua  fortis)  ge¬ 
trunken  hatte  und  ZAVölf  Stunden  später  gestorben  ist.  Aus  der 
Krankengeschichte  sei  nur  bemerkt,  daß  kein  Erbrechen  beob¬ 
achtet  Avurde.  Im  Munde,  Rachen,  Speiseröhre,  Magen,  Duo¬ 
denum  und  fast  im  ganzen  Jejunum  ist  die  Wand  starr  und 
brüchig,  die  Schleimhaut  in  typischer  Weise  gelhgrün  und  ZAvar 
ganz  trocken  verschorft,  im  Oesophagus  und  Magenfundus  fehlt 
sie.  Erst  im  unteren  Jejunum  klingt  diese  Veränderung  ab,  indem 
die  Schorfe  sich  nur  mehr  auf  den  Faltenhöhen  finden.  Nut 
der  Fundus  des  Älagens  ist  erAveicht,  jedoch  niclit  perforiert. 
An  den  Lippen  und  im  Amrderen  Teile  der  Zunge  fehlte  merk- 
Avürdigerweise  jede  Verätzung.  Dies  stimmt  mit  der  Angabe  über¬ 
ein,  daß  das  Gift  aus  der  Flasche  getrunken  Avurde.  Die  Aus¬ 
dehnung  der  pathologischen  Veränderungen  im  Darme  ist  der 
einschlägigen  Literatur  zufolge  ziemlich  selten. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  des  Prosektors  Privaldozent 
Dr.  Sternberg:  Ueber  die  Ergebnisse  der  modernen  Immunitäts- 
lehre. 

Dr.  Fischer  berichtet  über  15  Fälle  von  Lungentuber¬ 
kulose,  die  an  der  Abteilung  des  Prim.  Dr.  Mager  mit  dem 
Ma  rmorekschen  Serum  bebandelt 'AAmrden.  Die  Applikation  er¬ 
folgte  rektal  in  Mengen  von  5  bis  10  cm®.  Bei  einem  Falle  mußte 
die  Behandlung  Avegen  Verschlechterung  des  Befindens  bald 
sistiert  Averden,  bei  den  übrigen  14  Fällen  Avurde  sie  über  drei 
Monate  fortgesetzt.  Ein  deutlicher  Erfolg  Avar  nur  hinsichtlich 
des  Allgemeinbefindens  und  des  KörpergeAvichtes  in  einigen  Fällen 
zu  Amrzeichnen,  während  andere  auch  in  dieser  Beziehung  keine 
Besserung  aufwiesen.  Fieber,  Husten,  Expektoration  blieben  nahe¬ 
zu  bei  sämtlichen  Fällen  unbeeinflußt,  obA\mbl  bei  der  Auswahl 
der  Fälle  die  allzu  vorgeschrittenen  Amn  der  Behandlung  aus¬ 
geschlossen  Avorden  Avaren.  Mit  Rücksicht  auf  die  mangelnde 
EinAvirkung  auf  diese  Symptome,  sowie  in  Hinsicht  auf  den  Um¬ 
stand,  daß  auch  nicht  behandelte  Fälle  bedeutende  Gewiebts- 
zunahmen  aufAviesen,  glaubt  Fischer,  daß  auch  bei  den  mit 
Serum  behandelten  Fällen  die  Besserung  des  Allgemeinbefindens 
und  die  GeAvichtszunahmen  eher  auf  die  Hebung  des  hygienisch- 
iliätetischen  Regimes,  als  auf  SeruniAAdrkung,  zurückzuführen  sind. 

Dr.  A.  Müller  berichtet  über  seine  Erfahrungen,  die  er  als 
Leiter  der  Hilfsstelle  des  Landesvereines  zur  Bekämpfung  der 
Tuberkulose  in  Mähren  mit  dem  Koch  sehen  Tuberkulin  zu 
machen  Gelegenheit  hatte ;  sie  beziehen  sich  ausschließlich  auf 
ambulatorisches  Krankenmaterial.  Das  Alttüberkulin  eignet, 
sich  zur  ambulatonschen  Behandlung  sehr  gut;  Vortr.  erzielte 
Bessenmgen  des  Befindens  der  Kranken,  trotzdem  Amn  einer 
zugleich  mit  der  Behandlung  einsetzenden  durchgreifenden  Besse¬ 
rung  der  hygienischen  und  Ernährungsverhältnisse  keine  Rede 
sein  konnte.  Von  21  bisher  zum  Abschluß  der  Behandlung  ge¬ 
langten  Fällen  sind  sieben  Fälle  niebt  A-erAAmrthar,  da  es  sich 
um  ganz  aussichtslose  Fälle  handelt;  sie  Avurden  nur  iojiziert, 
um  eine  Linderung  ihrer  BescliAverden,  vor  allem  der  starken 
Expektoration  zu  erzielen;  Amn  diesen  sieben  Fällen  sind  drei 
gestorben,  zAA’lei  Avurden  gebessert,  zAvei  blieben  im  gleichen.  Von 
den  übrigen  14  Fällen  zeigten  fast  alle  eine  GeAvichtszunahme 
A'on  2  bis  6  kg;  acht  Fälle  sind  klinisch  und  praktisch  als  geheilt 
anzusehen,  vier  sind  bedeutend  gebessert,  zAvei  sind  gleich  ge¬ 
blieben.  AVähi'end  der  Zeit  seiner  Tätigkeit  an  der  Anstalt  hat 
Vortr.  außer  den  besprochenen  noch  78  Fälle  behandelt;  18  der¬ 
selben  blieben  ohne  triftigen  Grund  der  AA^eiteren  Behandlung 
fern,  12  Fälle  mußten  Avegen  zu  starker  Fiebersteigerungen  die 
Behandlung  nussetzen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin. 

lieferen t :  Dr.  J\Iax  L  i  1 1  h  a  u  e  r. 

1.  Sitzungstag  3.  April  1907. 

(Fortsetzung.) 

.1  o  r  d  a  n  -  Heidelberg  :  Zur  Ligatur  der  Carotis  c  o  m- 
munis. 

Trotz  der  Gefahren,  Avelche  die  Unterbindung  der  (j'arolis 
communis  den  Kranken  brächte,  AAÜire  diese  Operation  gelegentlich 
unumgänglich.  Er  empfehle,  mn  die  Gefahr  zu  verringern,  zAvei 
Tage,  bevor  die  definitive  Ligatur  der  Karotis  yorgenommen 
Avürde,  unter  S c h le i c b seber  Lösung  die  Karotis  freizulegen 
und  sie  2nit  einem  Faden  locker  zu  umschnüren.  Stellen  sich 
hedrohliche  Erscheinungen  ein,  so  löst  man  die  Ligatur  Avieder. 
Durch  Tierexperimente  habe  er  festgestellt,  daßi,  Avenn  man  nach 
48  Stunden  eine  solche  lockere  Umschnürung  der  Karotis  Avieder 
löse,  dann  distal  von  der  Ligatur  der  Puls  Avieder  fühlbar 
Avürde  und  daß  .die  GefäßAvand  bei  der  allmählichen  Umschnürung 
keinen  Schaden  nähme.  Vertragen  die  Tiere,  bzAV.  die  Patienten 
die  Abschnürung  der  Karotis,  ohne  daß  zerebrale  Symptome  ein- 
treten,  so  unterbindet  man  die  Karotis  definitiv  und  braucht 
jetzt  ZAvischenfälle  nicht  mehr  •  zu  befürchten. 

In  einem  Falle  Amn  hronchiogenem,  rezidiAderendem  Kar¬ 
zinom  am  Halse  habe  er  das  Verfahren  beim  Menschen  angeAvendet 
und  völlige  Heilung  erzielt.  , 

Lauenstein-Hamhurg :  Bei  einem  Falle  von  Quetschung 
der  Brust  und  des  Bauches  Avurde  laparotomiert!.  Es  fanden  sich 
zAvei  tiefe  Leberiässe.  Zugleicli  aber  bestand  eine  Blutung  ober¬ 
halb  der  Lehe)',  deren  Ursache  nicht  gefunden  Averden  konnte. 
Bei  der  Sektion  fand  sich,  daß  ein  totaler  Abriß  der  Vena  cava 
inferior  zAvischen  ZAverchfell  und  Leber  erfolgt  Avar.  Das  Prä¬ 
parat  Avird  dejuonstriert. 

Stieb-  Breslau  :  Zur  T  r  a  n  s  p  1  a  n  t  a  t  i  o  n  v  o  n  0  r  g  a  n  e  n 
mittels  G  e  f  ä  ß  n  a  h  t. 

Es  ist  don  Vortragenden  gelungen,  mittels  Gefäßnaht  Nieren 
und  Schilddrüsen  bei  demselben  ,Tier  zu  transplantieren.  Die 
transplantierte  Niere  funktionierte  Avieder,  Avie  aus  dem  Urin,  der 
aus  dem  Ureter  abfloß,  geschlossen  Averden  konnte.  Auch  dia 
Schilddrüsen  Avaren,  Avie  die  mikroskopische  Untersuchung  lehrt, 
A'on  normaler  Beschaffenheit. 

Diskussion:  Henle-Dorlmund  bemerkt,  daß  er  ähnlich 
Avie  Jordan  bei  einschlägigen  Fällen  die  Carotis  communis  all¬ 
mählich,  sukzessive  ligiere  und  auf  diese  Weise  doi  Kollateral- 
kreislauf  yorbereite.  Bezüglich  der  Behandlung  der  Aneurysmeji 
bemerkt  er,  daß  er  die  Absicht  gehabt  habe,  bei  seiner  iViiAvesen- 
heit  in  Tokio  die  ideale  Methode  der  Aneurysmabehandlung,  Avie 
sie  Lexer  vorgeschlagen  habe,  anzuAA^enden.  Es  sei  ihm  das 
aber  stets  Avegen  der  großen  Diastase  der  Gefäßenden  mißlungen. 
Er  glaube,  daß  man  sich  hei  der  Unterbindung  der  Gefäße  niebt 
zu  sehr  Avegen  des  Bestehens  der  Gangrän  zu  sorgen  brauche, 
da  beim  Aneurysma  sich  offenbar  die  Kollateralen  sehr  schnell 
ausbilden. 

Seliger- Krefeld  bestätigt  die  Angaben  des  Herrn  Jordan 
bezüglich  der  Karotisunterbindung. 

Br  au  11 -Göttingen  glaubt,  daß  .es  beim  Aneurysma  der 
Axillaris  ZAAmckmäßiger  sei,  die  Suhklavia  zu  unterbinden,  als 
die  Gefäßtransplantatioii  nach  Lexer  auszuführen.  Die  Gangrän 
der  Hand  sei  nur  in  seltenen  Fällen  beobachtet  Avorden  und  nicht 
sehr  zu  fürchten. 

Busse -Posen:  Ueber  die  Entstehung  der  tuber¬ 
kulösen  D  a  r  ni  s  t  r  i  k  t  u  r  e  n. 

Die  Strikturen  seien  die  Folge  früherer  GescliAvürsbildung. 
Bei  ihrer  Entstehung  spielte  die  Zerstörung  tier  Muskularis  eine 
Avesentliche  Rolle. 

Döring-  Göttingen  demonstriert  ein  P  r  ä p  a  r  a  t  von  Pol  y- 
posis  des  Dickdarms,  das  an  A-erschiedenen  Stellen  aus¬ 
gedehnte  karzinomatöse  Degeneralion  aufweist. 

Lenge  m  a  n  n :  C  h  r  o  n  i  s  c  h  e  r  T  r  o  m  m  e  1  b  a  u  c  h  d  u  r  c  h 
Kolonhlähung.  Insuffizienz  von  Enteroanastomosen  tlurch 
nachträgliche  Verengerung. 

In  einem  Falle  A’on  seit  zehn  Jahren  bestehender  Hirse  li¬ 
sp  rung  scher  Krankheit  machte  er  die  Laparotomie,  Flexura 
sigmoidea,  Colon  transversum  Avaren  ad  maximum  ei'Aveitert.  Ana¬ 
stomose  ZAvischen  Cökum  und  dem  oberen  Rektum.  Zu¬ 
nächst  Besserung,  dann  traten  die  Symptome  Amn  neuem  auf. 
Es  AAuirde  eine  zAveite  Anastomose  angelegt.  Jetzt  ging  es  mehrere 
Monate  gut.  Dann  neue  Verschlechterung.  Nun  Avurde  das 
Ileum  in  die  Flexura  sigmoidea  implantiert.  Jetzt  ging  es  der 
Patientin  gtd.  Doch  etablierte  sich  eine  Darmfistel.  Bei  dem 
Versuch,  dieselbe  zu  schließen,  trat  Perforationsperitonitis  ein 
und  die  Patientin  starb. 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


.^19 


Lengemann  ,glaul)l,  daß  die  Ursache  seiner  Mißoifolge 
bei  den  beiden  ersten  Operationen  darin  lag,  daß  die  Anasto¬ 
mose,  welche  an  dem  erweiterten  Darm  zunächst  weit  genug 
erschien,  zu  eng  wurd(\  als  sich  der  Darm  infolge  seiner  Ent¬ 
leerung  zusammenzog.  Er  empfiehlt  daher,  von  vornherein  mög¬ 
lichst  große  Anastomoscn  anzulegen.  , 

Haasler-Hallc  demonstriert  zwei  Präparate  von  in¬ 
neren  Hernien. 

2.  Sitzungstag,  4.  April  1907. 

F  ri  edr  ich  -  Greifswald :  Die  operative  Behandlung 
der  Lungenkrankheiten. 

Das  Thema  der  Lungenchinirgie  ist  in  den  letzten  .fahren 
häufiger  besprochen  worden,  so  daß  sich  Vortragender  anfangs 
nur  schwer  entschließen  konnte,  dasselbe  wieder  in  Angriff  zu 
nehmen.  Hauptsächlich  sind  seine  Bedenken  durch  den  Ge¬ 
danken  zerstreut  worden,  daß  ein  zusammenfassendes  Referat 
seit  Einführung  der  pneumatischen  Kammer  noch  fehlt.  Die  Chi¬ 
rurgie  der  Lungen  befaßt  sich  ausschließlich  mit  schweren  Er¬ 
krankungen.  Nachteilig  war  für  die  Lungenchirurgie,  daß  sie 
bei  der  Tuberkulose  einsetzte.  Immerhin  sind  auch  hier  einige 
gute  Vorschläge  zu  verzeichnen.  Friedrich  erinnert  an 
Freunds  Vorschlag,  an  Quinckes  Mobilisierung  der  Brustwand, 
an  Murphy,  der  durch  einen  künstlich  herbeigeführten  Stick¬ 
stoffpneumothorax  eine  Ruhigstellung  der  Lunge  erzielen  wollte 
und  anderes  mehr.  Trotzdem  dürfte  ein  genügender  Boden  für 
bestimmte  Schlußfolgerungen  noch  nicht  gewonnen  sein.  Ebenso 
liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Aktinomykose  der  Lunge,  während 
der  Lungenechinokokkus  chirurgisch  stets  angreifbar  erschein I 
und  wie  Tuffier  bewiesen  ;hat,  einen  Heilerfolg  von  91 ''/o  der 
operierten  Fälle  aufweist.  Die  eigen  Hiebe  Domäne  der  Lungen¬ 
chirurgie  sind  jedoch  die  Fälle  von  Limgenabszeß  und  -gangrän. 
Besonders  wertvoll  erscheint  Friedrich  die  Mitarbeit  der  in¬ 
neren  Kollegen.  Die  Abszeß-  und  Gangränfälle  können  hei  der 
Beurteilung  identisch  erscheine]!,  da  Prognose  und  Therapie  gleich 
sind.  So  günstig  die  Prognose  hei  akuten  Fällen  erscheint,  so 
dubiös  ist  sie  bei  chronischen.  Hier  helfen  nur  große  Eingriffe, 
besonders  ausgedehnte  Rippenresektionen.  Die  Diagnose  ist 
schwierig  zu  stellen,  wenn  auch  in  letzter  Zeit  die  Röntgen¬ 
photographie  dieselbe  ah  und  zu  erleichtert.  Frülier  wurde  die 
Vornahme  der  Operation  häufig  ahhängig  gemacht  von  dem  Vor¬ 
handensein  von  Adhäsionen,  auf  die  man  jetzt  geringen  oder 
gar  keinen  Wert  legt,  weshalb  man  auch  zur  Zeit  fast 
immer  einzeitig  operiert.  Auf  Technizismen  geht  Friedrich 
nicht  ein.  Wird  der  Eiterherd  bei  der  Operation  nicht  gefunden, 
so  soll  man  tamponieren,  damit  der  Abszeß  eventuell  nach  der 
Stelle  der  Tamponade  hin  durchbricht,  oder  man  soll  eine  Metall¬ 
sonde  in  die  Wunde  einlegen  und  röntgenographieren,  um  sich 
über  die  Beziehungen  der  gesetzten  Wunde  zu  dem  Abszeß  klar 
zu  werden.  Die  Gesamtstatistik  ergibt  die  Heilziffer  von  etwa 
70ß'o.  Besonders  ungünstig  sind  die  hronchiektatischen  Abszesse, 
weil  die  Patienten  meist  sehr  dekrepid  sind.  Aber  auch  die  Er¬ 
krankung  als  solche  ist  natürlich  sehr  schwer,  wenn  man  bedenkt, 
daß  die  Abszesse  bronchiektatischer  Natur  mültipel  sind  und  nicht 
alle  diagnostiziert  werden  können.  Deshalb  sind  hronchiekta- 
tische  Abszesse  besonders  ungünstig.  Gerade  deshalb  ward  man 
nach  Friedrich  in  Zukunft  bessere  Resultate  operativ  erzielen, 
wenn  man  Lungenresektionen  vornimmt.  Wo  Bronchiektasen  in 
einem  Lappen  vorhanden  sind,  soll  man  denselben  resezieren. 
Sind  in  mehreren  Lappen  jedoch  Herde,  so  dürfte  es  sich  um  eine 
chirurgisch  unangreifbare  Aufgabe  handeln.  Die  malignen  Tumoren 
sind  so  schwer  zu  diagnostizieren,  daß  die  Erfolge  gering  sind. 
Brustwandtumoren  haben  oft  Gelegenheit  gegeben,  an  der  lainge 
zu  operieren,  doch  ist  die  Zahl  der  Heilerfolge  noch  immer  sein- 
gering.  Verletzungen  der  Lunge  werden  selten  Gelegenheit  zur 
Operation  geben,  wie  bereits  Garre  in  seiner  Arbeit  bewiesen 
hat;  nur  auffallende  Blutungen  und  sich  stets  weiter  entwickeln¬ 
der  Pneumothorax  geben  die  Indikation  ab.  Trotzdem  soll  man 
nicht  zurückhaltend  sein,  denn  Friedrich  hat  einen  Fall  ver¬ 
loren,  bei  dem  die  Verblutung  durch  die  verletzte  Arteria  costalis 
geschah,  ein  Fall,  der  durch  Operation  und  Unterbindung  der 
Arterie  wohl  zu  retten  gewesen  sein  dürfte.  Auch  beim  Span¬ 
nungspneumothorax  wird  man  ebenso  vorsichtig  sein  müssen 
wie  beim  Hautemphysem.  Mit  Hilfe  <ler  pneumatischen  Kammer 
nun  ist  man  imstande,  an  den  Lungen  in  den  verschiedenen 
Zuständen  der  Entfaltung  zu  arbeiten.  Friedrich  grenzt  meh¬ 
rere  Zonen  ab.  Bei  einem  Drucke  von  0  bis  — 3  ist  es’  nicht 
möglich,  zu  operieren,  bei  einem  Drücke  von  — 3  bis  — 5  ist 
der  Zustand  des  relativen  Pncümolhorax  eingetreten,  ein  Zu¬ 
stand,  bei  dem  bereits  zu  operieren  ist.  Der  Druck  von  — ö  bis 


etwa  — 9,  den  er  das  inspiratorische  Maximum  nennl,  läßt  gut 
operieren  und  gestattet  die  Kontrolle  der  Lunge  unter  dem  Auge. 
Der  Druck  über  —9  ist  gefährlich,  einmal  wegen  des  Heraus- 
.  drängens  der  Lunge,  sodann  wegen  des  Einflusses  auf  flic  Arteria 
pulmonalis.  Es  ließ  sich  nun  feststellen,  daß  die  Pleura  costalis 
am  empfindlichsten  ist,  die  Pleura  pulmonalis  am  wenigsten  em¬ 
pfindlich.  Das  Parenchym  ist  ganz  unempfindlich,  desgleichen 
die  Gefäße  und  die  distalen  Bronchien,  während  die  proximalen 
Bronchien  mit  sehr  schweren  Reflexen  reagieren,  wie  mit  Shock 
des  Herzens  und  der  Atmung,  auch  bei  Narkose  mit  Brauer- 
Junkerschem  Apparat.  Die  Narkose  ist  langsam  zu  machen,  mit 
möglichst  sparsamen  Verbrauch  des  Narkotikums,  das  wie  ge¬ 
artet  immer  sein  kann.  Einmal  sah  Friedrich  bei  einer  endo- 
thorakalen  Oesophagusoperation  bei  Lösung  der  beiden  Vagi  eine 
schwere  Störung,  zwei  Atmungen  in  der  Minute,  48  Pulse.  Bei 
plötzlich  einsetzendem  Pneumothorax  entstehen  große  Blutdruck¬ 
schwankungen.  Bei  Tüpferdruck  gegen  das  hintere  Mediastinum 
entsteht  ein  rapides  Absinken  des  Blutdruckes.  Zieht  man  die 
Lunge  zu  weit  vor,  so  sinkt  der  Blutdruck  auf  fast  0.  Friedrich 
hat  eine  Kanüle  in  die  Arteria  pulmonalis  eingeführt  und  hat 
gefunden,  daß  bei  einem  äußeren  Druck  von  — 7  die  Normal¬ 
höhe  des  Pulmonaldruckes  von  30  cm  Quecksilber  erhalten  bleibt. 
Die  Schwankungen  des  Pulmonaldi-uckes  rufen  schwere  Störungen 
hervor.  Alle  Versuche  zeigen,  daß  der  rechtsseitige  Pneumothorax 
größere  Bedeutung  hat  als  der  linksseitige.  Die  Unterbindung 
der  Arteria  pulmonalis  macht  keine  Druckänderung  im  übrigen 
Stromgebiet.  Um  Platz  zu  gewinnen,  kann  man  die  Lunge  etwas 
zusammenfallen  lassen.  Bei  Verletzungen  dürfte  eine  Normal¬ 
blähung  von  — 7  eine  gute  Uebersicht  geben.  Bei  Lungenresek¬ 
tionen  sollen  keine  Massenligaturen  angewendet  werden,  nament¬ 
lich  nicht  beim  Operieren  gegen  den  Hilus.  Sehr  gefährlich  er¬ 
scheint  Friedrich  die  Lungenamputation,  weil  die  Bronchien¬ 
versorgung  sehr  schwierig  ist.  Die  große  Gefahr  ist,  daß  sich  der 
Bronchialstumpf  in  das  Mediastinum  zurückzieht,  ein  Umstand, 
der  das  unbedingt  tödliche  Mediastinalödem  nach  sich  zieht.  Was 
die  Ausführung  des  Brustwandschnittes  betrifft,  so  soll  derselbe 
inöglichst  ausgiebig  sein,  jedenfalls  die  Resektion  mehrerer  Rippen 
gestatten.  Dann  soll  der  Mikuliczsche  Sperrhaken  eingesetzt 
werden.  In  vereinzelten  Fällen  läßt  sich  sogar  durch  dieses 
Instrument  die  Resektion  vermeiden.  Der  Vorzug  der  Kammer 
ist,  daß  man  ohne  Resektion,  ohne  Pneumothorax  einen  Ueber- 
blick  gewinnen  kann,  wenn  man  einen  Interkostalschnitt  an  wendet. 
Bei  Lungenreseklion  empfiehlt  Friedrich,  die  Bronchien  von 
ihrer  Schleimhaut  durch  Kürettement  zu  befreien  und  dann  zu 
ligieren.  Die  Kammer  selbst  hat  für  den  Operateur  und  Patienten 
fraglos  große  Unbeciuemlichkeiten,  namentlich  ist  das  Heben  und 
Drehen  des  Thorax  sehr  beschwerlich.  Friedrich  demonstriert 
zum  Schlüsse  den  von  ihm  benutzten  Tisch,  der  ein  Drehen 
und  Heben  des  Patienten  recht  gut  gestattet.  Er  wendet  als  Ab¬ 
schluß  der  Kammer  einen  Verschluß  an,  der  nach  dem  Prinzip 
der  Irisblende  konstruiert  ist. 

Seidel-Dresden:  Ueber  die  Physiologie  des  Ueber- 
druck  verfahre  ns  zur  Ausschaltung  der  Pneumo¬ 
thoraxfolgen  und  die  Berechtigung  seiner  Armven- 
dung  beim  Menschen. 

Dem  Ueberdruckverfahren  wird  der  Vorwurf  gemacht,  daß 
es  das  Herz  zu  sehr  gefährde.  Seidel  hat  deshalb  Untersu¬ 
chungen  vorgenommen,  die  sich  auf  die  Ueherdruckatmung  bei 
intaktem  Thorax  und  beim  Pneumothorax  beziehen.  Die  Atmungs¬ 
frequenz  wird  anfangs  etwas  verlangsamt,  dann  etwas  schneller. 
Regelmäßigkeit  bleibt  keinesfalls  bestehen.  Das  Atmimgsvolumen 
nimmt  deutlich  ab.  Die  Pulsfrequenz  nimmt  wenig  ab  oder  zu. 
Der  Blutdruck  schwankt  anfangs,  um  später  zur  Norm  zurück¬ 
zukehren.  Seidel  demonstriert  diese  Ausführungen  an  Kurven, 
die  im  Tierexperiment  gewomien  sind  und  zeigt  zugleich  Kurven 
Sauerbruchs  vom  Unterdruckverfahren.  Bei  der  Vergleichung 
kommt  er  zu  dem  Schlüsse,  daß  beide  Verfahren  Veränderungen 
in  Atmung,  'Blutdruck  und  Puls  hei-%mrrufen  und  hervor  rufen 
müssen,  daß  der  Wert  beider  Verfahren  jedoch  ziemlich  gleich 
ist.  Keinesfalls  kann  er  eine  größere  Gefährlichkeit  des  Ueber- 
druckverfahrens  gegen  das  Unterdruckverfahren  zugeben. 

Karewski-Berlin :  Die  chirurgische  Behandlung 
der  Lun  gen  ak  ti  n  om  y  kose. 

Die  Heilerfolge  bei  Lungenaktinomykose  sind  keinesfalls 
erniutigend.  In  der  Literatur  sind  überhaupt  nur  fünf  Genesungen 
verzeichnet.  Karewski  hat  viermal  Gelegenheit  zur  Operation 
der  Lungenaktinomykose  gehabt,  davon  sind  drei  Fälle  gestorben, 
einer  ist  wesentlich  gebessert.  Jedenfalls  haben  die  Autoren  un¬ 
recht,  die  behaupten,  daß  eine  Heilung  einfach  anatomisch  un¬ 
möglich  ist.  Die  Aklinomykosc  der  Lunge  scheint  nicht  so  selten 
zu  sein.  Die  konservative  Behandlung  des  Leidens  ist  jedenfalls 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  17 


ganz  aiissiclitslos.  Falsch  ist  es,  die  Akliiioniykose  ciiil'ach  in 
die  Khissc  der  Ai)szes.se  zu  setzen,  vielniehr  l)estchen  große 
kliiusclie  und  anatoinisclie  Unlerscidede.  Die  Heilung  durch  die 
Opei'ation  ist  durchaus  möglich.  Karewski  unterscheidet  eine 
]>riniäre,  eine  forlgeleilete  Aklinoinykose  und  eine  solche  mit 
-Metaslasenbildung.  Zur  Operalion  igeeignet  erscheinen  ihm  nur 
die  Fälle  florider  Erkrankung,  die  möiglichst  im  Stadium  der 
('rsten  Erscheinungen  operiert  Averden  sollen.  IMeist  kommen  die 
l'alienten  zu  spät  in  die  Hände  des  Chirurgen.  Jeder  Fall,  hei 
dem  die  Lungcnhiusis  erkrankt  erscheint,  Irei  dem  ferner  Bazillen 
mul  elastische  Fasern  fehlen,  muß  den  Verdacht  der  Aktinomy- 
kose  hervorruren.  Das  Sputum  zeigt  spät  oder  kar  keine  Aktino- 
myzes,  dagegen  ist  der  Nachweis  von  Drusen  leicht  möglich. 
Die  Böidgenpholographie  ergibt  häufig  besonders  dunkle  Schatten. 
Bei  Vei'dacht  auf  Lungenaklinomykose  soll  keine  kostbare  Zeit 
verloren  werden,  es  soll  vielmehr  sofort  operiert  wertlen.  Die 
Herde  müssen  radikal  entfernt  werden.  Der  Exitus  tritt  meist 
nicht  durch  den  Lungenherd,  sondern  durch:  Metastasen  ein.  Was 
seine  Fälle  anlangt,  so  zeigt  Karewski  einen  Fall,  der  völlig 
genesen  und  demonstriert  einen  2.  Fall,  der  an  einem  Hirnabszeß 
sechs  Wochen  post  opeiulionem  gestorhen  ist.  Was  die  Technik 
anlangt,  so  rät  Karewski  für  sehr  große,  ausgiebige  Schnitte. 
Nie  soll  man  die  Wunde  verschließen,  vielmehr  immer  die  Tam¬ 
ponade,  seihst  über  viele  Älonate  hin,  erhalten. 

Gluck-Berlin:  Ueher  ausgedehnte  L  u  n  g e n o p e r a- 
tionen. 

Gluck  demonstriert  einen  Fall,  hei  dem  er  die  Resektion 
des  gesamten  lijiken  Unlerlappens  vorgenommen  hat,  wohl  der 
erste  Fall  der  gewaltigsten  Lungenresektion,  die  je  vorgenommen 
wurde.  Ferner  macht  Gluck  Älitteiluugen  über  die  retrograde 
Atmuug.  Er  will  eventuell  die  Atmung  hei  inoperahlen  Mediasiinal- 
lumoren,  die  die  x\lmung  sehr  einscliränken,  durch  eine  Lungen¬ 
fistel  erleichteni. 

M  e  rt  e  n  s  -  Breslau  :  S  ti  c  h  ve  r  le  t  z  u  n  g  der  Lunge. 
Naht.  Heilung. 

Patient  erlitt  eine  Stichverlelzung  in  die  Lunge.  Er  wurde 
unter  den  Ei’scheiuungen  schwerei'  Zyanose  und  des  Kollapses 
eing<'liel'et't.  Beim  Aufidchten  entstand  eine-  schwere  Blutung  aus 
d(*i-  Stichwunde.  Die  Wunde  wurde  vergrößeit,  ein  Hautperiost- 
knochenlap])en  gebildet,  die  Lunge  hervorgezogen.  Hiedurch  stand 
die  Blutung.  Die  veitetzte  Lunge  konnte  mit  ihrem  Stichi'and 
an  die  Pleura  angenäht  werden.  Zurückklappen  des  Lappens.  Am 
dritten  Tage  trat  Hautemphysem  auf.  Später  völlige  Genesung. 

N  0  rd  m  ann -  Schöneberg  demonstriert  einen  iPatienten,  hei 
dem  erfolglos  der  Perl  lies  sehe  und  der  Sei  del  sehe  Apiiarat 
angelegt  wurden.  Sein  Apparat  ist  nach  dem  Prinzip  der  Bi  er¬ 
sehen  Stauung  konstruiert,  saugt  tadellos  uml  schließt  absolut, 
Nord  manu  empfiehlt  seinen  Apparat  für  schwer  heilende  Fälle. 

Diskussion:  Garre-  Breslau  spricht  zunächst  zu  dem 
Thema  der  Lungen fistclu.  Um  diese  möglichst  zu  vermeiden,  ist 
er  gleich  bei  der  Primäroperalion  mit  der  Resektion  der  Rippen 
nicht  si)arsain.  Bei  den  Bronchiektasen  genügt  jedoch  häufig  die 
Ib  seklion  der  Rippen  nicht,  um  die  Lunge  zum  Kollabieren  zu 
hi'iiigen,  hzw.  wird  dieselbe  beim  Heiliurgsprozeß  wieder  durch 
Adhäsionen  fixiert,  nachdem  sie  langsam  entfaltet  wird.  Deshalb 
bestrebt  sich  Garre  stets,  die  Lunge  zu  lösen,  freizumachen 
und  kollabieren  zu  lassen.  Mehrfacdi  hat  er  zur  Vermeidung  der 
neuerliclK'ii  Entfaltung  die  Lunge  herausgelagert,  sodann  auf  das 
Zwerchfell  geklappt  und  durch  Naht  in  dem  Komplementärraum 
fixiert.  Ah  und  zu  hat  Garre  die  Resektion  gemacht,  einmal  die 
Exstirpation  eines  unteren  Lappens,  in  allen  Fällen  erscheint  ihm 
die  Prognose  dubios,  da  auch  Idronchiektasien  im  Oherlappcn  nacli- 
weishar  sind.  Gegen  Friedrich  spricht  Garre  der  Massen- 
ligalur  das  Wort,  da  das  Aufsuchem  der  Gefäße  nicht  immer 
möglich  und  man  möglichst  schnell  operieren  soll.  Bronchiektasen 
sollen  möglichst  früh  dem  Chirurgen  zugeführt  werden,  weil  dann 
Aussicht  vorhanden  ist,  daß  Pneumolysis  mit  ilarauffolgender  Ver¬ 
lagerung  und  Naht  genügt. 

L  e  11  h  a  r  t  z  -  Hamburg  hat  in  den  letzten  Jahren  fast 
100  Fälle  der  verschiedensten  Art  operiert,  mit  einem  verhältnis¬ 
mäßig  sehr  guten  Heilerfolg.  Was  die  Bronchiektasen  anlangt, 
so  sind  die  Resultate  günstiger,  je  frischer  die  Fidle  sind.  Älit  der 
liösung  kommt  man  bei  alten  Fällen  nicht  aus.  ln  drei  Fällen 
hat  Len  hart  z  größt*  Partien  abgetragen.  xYuch  P,enhartz  ist 
für  die  IMassenligatur.  Lenhartz  operiert  auch  sehr  alte  Fälle, 
nur  ist  hiebei  nötig,  daß  alle  Höhlen  möglichst  ausgoräumt  worden. 
Dazu  muß  man  mehrfach  operieren.  IMitunler  begnügen  sich  die 
Palienit'n  mit  der  Anlegung  des  Ripiienh'nsters,  um  dann  schlechter 
daran  zu  sein,  -wie  vor  diesem  lediglich  vorbereitenden  Eingriff. 
Lenhartz  hat  2G  Fälle  von  Tumor  der  Lunge  gesehen,  davon 
hat  er  2d  intra  vitam  diagnostiziert.  Hiezu  ist  nötig:  1.  genaue 


UntersucliLiug  des  Sputums,  das  für  Tumor  siiricht,  wenn  es  die 
von  ihm  gefundenen  Fettkörnchenkugeln  enthält,  2.  Röntgeiiphoto- 
graphio,  8.  physikalische  Untersuchung,  4.  die  Prohepunktion, 
hei  der  oft  geringe  IMassen  Fetlkörncheidaigeln  gefunden  werden. 
Lenhartz  hat  viermal  w'egen  Oherla.ppenkarzinoms  operiert,  dix'i- 
mal  mit  negativem  Erfolg.  Der  vierte  Fall,  der  einen  Tumor  vor 
dei-  Operalion  im  Oherlai)pen  diagnostizieren  ließ',  veranlaßte  ihn 
nur  durch  stärkste  Blutung  zum  Eingriff.  Resektion  von  drei 
Rippen,  Eröffnung  einer  mannsfauslgroßen,  zerfallenen  Höhle.  Aus¬ 
räumung  deiselhen.  Tamponade.  Sechs  Wochen  Fieber,  dann 
wurde  die  Höhle  mit'  Röntgensti'ahlen  behandelt,  die  Höhle  ver¬ 
kleinert  und  sebloß  sich  'und  seit  einem  Jahre  ist  Pat.  gesund. 
Die  größte  Zahl  aller  Fälle  wird  ohne  pneumatische  Kammer 
o])oriert  werden  müssen,  denn  dieselbe  ist  z.  B.  nicht  bei  jedem 
Verhandwecbsel  anzuwenden  und  hat  Ijenhartz  plölzlichl  ent¬ 
stehenden  iäicumothorax  beim  Verbinden  gesehen.  Lenhartz 
ist  für  zweizeiliges  Operieren;  erst  soll  das  Rippenfenstcr  an¬ 
gelegt,  später  die  weiteren  Operationen  vorgenommen  werden. 
Bisher  unerklärlich  sind  Lenhartz  die  ganz  plötzlich  einselzen¬ 
den  schweren  Kollapszustände,  wenn  der  Paquelin  die  Pleura 
puhnonalis  trifft. 

KüttJi  er-Marburg  ist  für  die  Anwendung  des  Brauer- 
schen  Ueberdruckverfahrens ;  er  warnt  vor  den  Gefahren  der 
Aspiration  und  spricht  für  ausgedehnte  Resektionen  von  Rippen 
im  Gc^gensatz  zur  Thorakotomie.  Er  tamponiert  mit  Gaze,  die  in 
Lug ol sehe  Lösung  getaucht  ist. 

Körte -Berlin  hat  57  Fälle  operiert,  davon  waren  41  Pneu- 
motomien,  10  Empyeme,  3  Karzinome,  1  iVktinomykose.  Körte 
hält  die  Diagnose  bei  Bronchieklasien  doch  für  recht  schwer. 
Das  Rönlgenhild  zeigt  auch  hei  indurativeii  Prozessen  Schatten. 
Ferner  ist  die  Feststellung,  oh  ein  oder  mehrere  Herde  vorhanden 
sind,  sehr  schwer.  Am  besten  ist  die  Prognose  hei  Abszessen, 
die  ah  und  zu  spontan  ausheilen.  Körte  opei'iert  möglichst 
ohne  Narkose,  mit  großen  Schnitten  und  großen  Resektionen.  Er 
hält  die  Anweiulimg  -des  Messers  odei'  läuiuelins  für  gleicliwertig 
und  ist  mehr  für  einzeiliges  Vorgehen.  Wird  der  Abszeß  nicht 
gleich  gefunden,  so  wird  lamponiert,  um  einem  Spontandurchhruch 
nach  der  Tam])onade  d<‘n  Wog  zu  halmeu.  Wie  Lenhartz  hat 
Körte  tödliche,  ganz  plötzliche  Kollapszustände  geselum,  die  er 
am  ersten  noch  als  Vagusreflex  anscheii  möchte.  Vorläufig  kann 
Körte  noch  nicht  finden,  daß  die  heim  Ueher-  otler  Unterd ruck- 
verfahren  erzieften  Resultate  besser  sind,  als  die  der  alten  Me¬ 
thode  ohne  die  Kammer. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  26.  April  1:907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Finger  stattfindendeii 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Pascliliis:  Demonstration. 

2.  Dozent  Dr.  Falta:  Respirationsversuche  beim  pankreas- 
diabetischen  Hund. 

3.  Dr.  Artur  Weiss :  Mitteilung. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  Benedikt  und 
Primarius  Dozent  Dr.  Latzko. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Um  die  recbtzeltlj^e  Veröffentlichung  der  Sitzungsberichte  zu  ermöglichen, 
ist  es  notwendig,  das  Autoreferat  der  Vorträge,  Demonstrationen  und  Diskussionsbemerkungen 
dem  Schriftführer  uocli  am  SitznuKsabeud  zu  übergeben. 


Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  29.  April  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  I.,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Professor  E.  Finger  stattfindenden 

wissenschaftlichen  V ersainmlung. 

Doz.  Dr.  K.  Ulliuanii :  Chronisch-intermittierende  oder  sympto¬ 
matische  Quecksilberbehandlung  ? 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Programm  der  am  Montag  den  29.  April  1907,  0  Uhr  abends 
im  Hörsaal  der  k.  k.  Universitätsohrenklinik  stattfindenden 

wissenschaftlichen  Sitzung. 

1.  Demonstrationen:  Die  Herren  Hofrat  A.  Politzer,  Dr.  F.  Alt, 
G.  Alexander,  H.  Neumann. 

2.  Dr.  G.  Alexander ;  Referat  über  die  anatomisch-otiatrische 
Literatur. 

Urbantschitsch.  Alexander.  Frey. 


Vtrantwortlichtr  Btdakttur:  Adalbert  Karl  Trupp.  Verlag  Ton  Wilhelm  Braumttller  in  Wien. 

Draok  Ton  Bruno  Bartelt,  Wien  XYIII.,  Theresiensaase  8. 


Die 

„Wiener  kllulscbe 
Wocbeusclirifi“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bc^en  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nacli 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 


Redaktion : 

Telephon  Nr.  16.282. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Bräun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Eolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  II.  v.  Bamberger, 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hochenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Verlacshandlung : 

Telephon  Nr.  17.618. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hol-  und  Univereitäts-Bucbhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  2.  Mai  1907. 


Nr.  18. 


INH 

1.  Originalartikel;  1.  Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  und  dem  i 
pathologisch-anatomischen  Institut  der  Wiener  Universität. 
(Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  Escherich  und  Hofrat  Professor 
Dr.  A.  Weichselbaum.)  Weitere  Mitteilungen  über  die  Erkrankung 
der  großen  Gefäße  bei  kongenitaler  Lues.  Von  Dr.  Egon  Rach, 
Aspiranten  an  der  Kinderklinik  und  Dr.  Richard  Wiesner, 
Assistenten  am  pathologischen  Institut. 

2.  Ans  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen  Universität  in 
Prag-.  (Vorstand:  Prof.  Hueppe.)  Ueber  den  Lues-Antikörper¬ 
nachweis  im  Blute  von  Luetischen.  Von  Dr.  E.  Weil. 

3.  Aus  der  gynäkologischen  Poliklinik  der  königl.  Charite  zu 
Berlin.  (Direktor:  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  E.  Buinm.)  Die  Hei߬ 
luftbehandlung  in  der  Gynäkologie.  Von  Dr.  Oskar  Hasen¬ 
feld,  Franzensbad,  zurzeit  Volontärassistent  der  Klinik. 

4.  Aus  der  11.  Universitäts-Augenklinik.  (Vorstand:  Hofrat  Pro¬ 
fessor  E.  Fuchs.)  Ein  Konturschuß  entlang  der  Orbita.  Von 
Dr.  Rudolf  Bergmeister,  Assistenten  an  der  11.  Augenklinik 
in  Wien. 


ALT: 

II,  Referate!  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Shakespeares 
Gynäkologie.  Von  F.  v.  Winckel.  Neuere  Bestrebungen  auf  dem 
Gebiete  der  exakten  Beckenmessung.  Von  F.  Ahlfeld.  Die 
Zystoskopie  des  Gynäkologen.  Von  Leop.  Thum  im.  Geburts¬ 
hilfe  und  Strafrecht.  Von  Dr.  G.  Radbruch.  Die  Mittel  zur 
Verhütung  der  Konzeption.  Eine  Studie  für  Aerzte  und  Geburts¬ 
helfer.  Von  Hans  Ferdy.  Der  plazentai'e  Stoffaiistausch  in  seiner 
physiologischen  lind  pathologischen  Bedeutung.  Von  E.  Kehrer. 
Reformen  in  der  Therapie  des  engen  Beckens.  Von  Doktor 
C.  Baisch.  Handbuch  der  Gynäkologie.  Von  J.  Veit.  Prak¬ 
tische  Geburtshilfe  für  Studierende  und  Aerzte.  Von  Professor 
K.  A.  Herzfeld.  Ref  :  Keitler. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

rV.  Nekrolog.  Albert  Ritter  v.  ÄIosetig-Moorhof.  Von  Prof.  Doktor 
Alex.  Fraenkel. 

V.  Therapeutische  Notizen. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

YII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  und  dem  pathologisch¬ 
anatomischen  Institut  der  Wiener  Universität.  (Vorstand: 
Hofrat  Prof.  Dr.  Th.  Escherich  und  Hofrat  Prof.  Doktor 

A.  Weichselbaum.) 

Weitere  Mitteilungen  über  die  Erkrankung  der 
großen  Gefäße  bei  kongenitaler  Lues. 

Von  Dr.  Egon  Rach,  Aspiranten  an  der  Kinderklinik  und  Dr.  Richard 
Wiesner,  Assistenten  am  pathologischen  Institut. 

Nach  dem  Ersclieinen  miserer  ersten  Mitteilung  über 
liistologische  Veränderungen  in  den  großen  Gefäßen  (Aorta, 
Art.  pnlmonaliis)  kongenital-luetischer  Kinder  (Wiesner^) 
erfuhren  diese  Beobachtungen  durch  die  Arbeit  Bruhns^) 
eine  nach  jeder  Richtung  vollgültige  Bestätigung.  Da  eine 
so  rasch  folgende  bestätigende  Publikation  von  anderer  Seite 
zunächst  nicht  voranszusehen  war  und  wir  weiters  an  einem 
größeren  Untersiichungsmaterial  ein  Urteil  über  die  Häufig¬ 
keit  dieser  Teilerkrankungstorm  im  Bilde  der  vererbten 
Syphilis  gewinnen,  sowie  anch  die  Beziehung  der  Erkran¬ 
kung  der  Hauptgetäßstämme  zn  den  sonstigen  Organerkran¬ 
kungen  feststellen  wollten,  haben  wir  auch  nach  Abschluß 
unserer  ersten  diesbezüglichen  Arbeit  die  großen  GetäßiS 
von  Kindern,  die  mit  kongenitaler  Syphilis  behaftet  waren, 
der  histologisdien  Untersuchung  zugeführt.  Endlich  fällt 
in  die  Zeit  nach  unserer  ersten  Publikation  die  Entdeckung 
der  Spirochaete  pallida,  so  daß  wir  unsere  Unter¬ 
suchungen  auch  auf  den  Nachweis  von  Spirochäten  in  den 
Erkrankungsherden  der  großen  Gefäße  ansdehnten. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  können  wir  über  27  neue 
bälle  von  sichergestellter  kongenitaler  Syphilis  berichten. 


Mit  Rücksicht  auf  die  uns  gestellten  Fragen  wurden  die 
Gefäße  bei  Fällen  von  schweren,  als  auch  leichteren  Alh 
gemeirierkraiikungen  verwertet  und  wenn  möglich,  eine  ge¬ 
naue  histologische  Untersuchung  der  inneren  Organe  vor¬ 
genommen,  um  über  das  Verhältnis  der  Schwere  der  Er¬ 
krankungsprozesse  in  den  Organen  zu  jenen  in  den  großen 
Gefäßen  ein  Urteil  gewinnen  zu  können.  Nach  den  in  unserer 
ersten  Arbeit  gemachten  Erfahrungen  über  bevorzugte  Loka¬ 
lisationen  der  Erkrankimgslierde  innerhalb  der  Gefäßrohre 
(Austritt  aus  dem  Herzen,  Verzweigungsstelleii  der  Gefäße, 
au  welchen  Stellen  sich  wiederum  die  reichlichsten  Vasa 
vasorum  vortinden)  wurden  zur  Ihstologiscben  Untersuchung 
Stücke  aus  der  Wand  der  Aorta  ascendens  oberhalb  der 
Klappenansätze  (Asc.  I)  und  unterhalb  des  Arkus  (Asc.  Il), 
aus  dem  Anfangsteil  der  Aorta  desceiidens  initerhalb  der 
Einmündung  des  Dnetns  arteriosus  (Desc.  1),  ferner  oberhalb 
des  Zwerchfelldurchtriites  (Desc.  11)  und  des  öftern  auch 
aus  der  Mitte  der  Aorta  abdominalis  herausgeschnitten.  End¬ 
lich  wurden  noch  Stücke  aus  dem  Anfangsteil  der  Art.  pul- 
monalis  verarbeiiet. 

Die  Fixierung  geschah  mittels  des  gewöhnlichen  Ge¬ 
menges  von  Mül  1er scher  Lösung  und  Fomiol,  resp.  reinem 
lOo/oigen  Forniol ;  Alkoholhärlung,  Paraffineinbettimg.  Fär¬ 
bung  mit  Hämalann-Eosin,  Litlhonkarmin-W  eigerts  Ela- 
stiskafarblösung.  In  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle 
wurden  Stücke  der  Gefäßwände  sowie  der  Organe  nach 
der  Levaditimethode  behandelt. 

Die  Wiedergabe  miserer  UntersuGlumgsprotokolle  möge 
über  nnsere  Forschiingsergebnisse  Aufscliluß  geben : 

Fall  I.  30.  Mai  1905.  M.,  totgeboren,  zehnter  Lunartnonat. 


i  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  Nr.  18 


Kliniscli:  ]\Iakiilöses  I^xantlicni,  Ltics  congenita.  Mutter 
hat  während  der  Gravidität  syphilitisches  Exanthem  dnrchgemacht. 

Sektionsdiagnose:  Pneumonia  alba,  Hepatitis  luetica, 
Osteochondritis  luetica,  Thymusahszeß,  makulöses  Exanthem  über 
dem  Thorax. 

Histologischer  Befund:  L  e  1)  e  r,  Vermehrung  des  inter- 
lohnlären  Bindegewebes,  sowie  reichliche  kleinzellige  Infiltrate 
desselben.  Obliteration  einer  Reihe  von  Arteriolen.  Niere,  Ver¬ 
mehrung  des  interstitiellen  Bindegewebes,  Rundzellenanhäufungen 
um  die  verdickten  Gefäßchen  in  der  Rinde. 

,A  s  c.  1  und  H,  Des  c.,  A  b  d  o  m  i  n  a  1  i  s,  A  r t.  p  u  1  m  o  n  a  1  i  s 
ohne  histologische  Veränderungen. 

Fall  11.  September  1905.  St.  D.,  eine  Stunde  nach  der 
Gehurt  gestorben. 

Klinisch:  Lues  congenita.  Älutter  vor  einem  Jahre 
aboitiert.  Vater  bat  angeblich  Ausschlag  durchgenmebt. 

S ekt i  on  s he f  un  d  :  Pneumonia  alba,  Hepatitis  luetica, 
harter  Milztumor,  Osleocbondritis  luetica  leichten  Grades;  grolb 
hlasiger  Pemphigus  über  Stamm  und  Extremitäten.  Degeneration 
der  Parenchyme.  Vergrößierung  und  Sukkulenz  der  Nebennieren. 

Histologischer  Befund:  Leber,  Bindegewehswuche- 
rung  und  Zellinfiltrationen  des  interlobulären  Bindegewebes;  die 
Zellinfiltrate  besonders  um  und  in  den  Gefäßwänden,  sowie  kleine 
Rundzellenanhäiifungeu  im  Parenchym.  Niere,  Bindegewebsver¬ 
mehrung  und  Zellinfiltration,  besonders  um  die  Gefäßchen  der 
Rinde  und  des  Markes.  Nebennieren,  stark  hyperämisch,  Blu¬ 
tungen  in  das  Parenchym,  Rinde  unregelmäßig  entwickelt,  zystisch 
entartet. 

Asc.  J,  Verbreiterung  der  Adventitia,  das  Bindegewebe  zum 
Teil  stark  verdichtet,  zum  Teil  aufgelockert  und  von  reichlichen, 
epitheloiden  Zellen  durchsetzt.  In  den  äußeren  Schichten  der- 
Adventitia  frische  Hämorrhagien ;  längs  der  in  die  Media  vor¬ 
dringenden  Vasa  vasorum  deutliche  Kern-,  resp.  Zellvermehrung. 
Desc.  I,  fleckweise  reichliche  Zellvermehrung  im  perivaskulären 
Bindegewebe,  sowie  Wandverdickung  der  Vasa  vasoram.  Art.  pul¬ 
monal  is,  in  der  ganzen  Zirkumferenz  der  Gefäßwand,  im  Be¬ 
reiche  der  Grenzzone  der  Media  und  in  der  Adventitia  eine 
mächtige  Zellvermehrung  vom  Typus  der  epitheloiden  Zellen  und 
Lymphoz-iden ;  ebenso  um  die  Vasa  des  perivaskulären  Binde¬ 
gewebes  eine  reichliche  Zellvermehnmg,  die  Wand  der  Arteriolen 
zum  Teil  verdickt. 

Levaditipräparate:  Aorta,  Art.  pulmonalis,  keine  Spiro¬ 
chäten  nachweisbar. 

Fall  HI.  11.  Oktober  1905.  E.  G.,  IV2  Monate  alt. 

Klinisch:  Pemphigus  syphiliticus,  Lues  congenita. 

S  e  k  t  i  0  n  s  b  e  f  u  11  d :  Pemphigus  syphiliticus,  Hepatitis  sy¬ 
philitica,  harter  Milztumor,  Anämie,  Marasmus. 

Histologischer  Befund:  Leber,  leichte  Verbreiterung 
und  Zellvermehitmg  des  interlobulären  Bindegewebes,  sowie  zellige 
Infiltration  einzelner  Gefäßwände.  Niere,  fleckweise  interstitielle 
Zell-  und  Bindegewebsvermehrung.  Milz,  Stauungshyperämie, 
.\rmut  an  lymphoidem  Gewebe. 

Sämtliche  Schnitte  aus  der  Aorta  und  Art.  pulmonalis 
ohne  VeräJiderungen. 

Fall  IV.  2.  November  1905.  A.  P.,  4V2  Monate  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita,  akuter  Enterokatarrh ;  Mutter 
stand  vor  zwei  Tahren  wegen  Lues  im  Wiener  allgemeinen  Kranken¬ 
hause  in  Behandlung.  Kind  hat  früher  Pemphigus  und  makulöses 
Exanthem  durchgemacht. 

Sek  t i  o  n  s  b  e  f u  n  d :  Akuter  Enterokatarrh,  harter  Milz- 
tumor,  fleckweise  fettige  Degeneration  der  Leber,  geringgradige 
Osteochondritis  luetica,  Anämie. 

Histologischer  Befiind:  Leber,  Thymus,  ohne  be¬ 
sondere  Verändenmgen.  Sämtliche  Schnitte  aus  der  Aorta  und 
Art.  pulmonalis  ohne  Veränderungen. 

Fall  V.  20.  November  1905.  C.  B.,  totgeboren. 

Klinisch:  Iaics  congenita. 

Sektionsbefund:  Pneumonia  alba,  Osteochondritis 
luetica. 

Histologischer  Befund:  In  Schnitten  von  der  Aorta 
ascendens  ist  die  Adventitia  durch  dichtgefügtes,  teils  fibrilläres, 
teils  kollagenes  Bindegewebe  und  eine  Vermehnmg  V021 
fixen  BindegeAvebszellen  um  die  Vasa  vasorum  anscheinend 
verbreitert.  Art.  pulmonalis,  an  der  Grenze  von  Media  und 
Adventitia  starke  Hyperämie  der  Vasa  vasorum  und  fleckweise 
eine  betleutende  Zellanhäufung  um  die  Gefäßchen.  Infiltration 
auch  in  die  Umgebung,  besonders  in  die  IMedia  vordringend.  Die 
Infiltrate  sind  vorzüglich  aus  kleinen  Lymphozyten  und  spär¬ 
lichen  polynukleären  Zellen  zusammengesetzt. 


Fall  VI.  10.  Dezember  1905.  N.  S.,  totgeboren. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionsbefund:  Pneumonia  alba,  Osteochondritis  lue- 
tica,  Hepatitis  luetica,  harter  IMilztumor,  ausgedehnte  Ekchymosen 
in  den  serösen  Häuten. 

Histologischer  Befund:  Asc.  I,  ausgebreitete  Hämor¬ 
rhagien  in  die  Adventitia;  letztere  vorzüglich  durch  junge  Biude- 
ge-Avebszellen  verbreitert,  daneben  in  mäßiger  Menge  fleckweise 
Ansammlungen  von  Rundzellen  (Typus  mononukleäre  Lympho¬ 
zyten),  zum  Teil  um  die  Vasa  vasorum  angeordnet. 

Desc.  H,  in  der  Adventitia  ausgedehnte  Hämorrhagien  und 
Rundzelleninfillrate  in  der  Umgebung  der  Vasa  vasorum;  die 
Vasa  vasorum  selbst  ohne  Veränderungen. 

Levaditipräparate:  In  epikardialen  Hämorrhagien  ver¬ 
einzelte  typische  Spirochäten.  Aorta,  im  Lumen  eines  peri- 
adventitiellen  Lymphgefäßes  der  Aorta  abdominalis  Amreinzelte 
typische  Syphilisspirochäten. 

Fall  VH.  22.  Dezember  1905.  H.  Sch.,  sieben  Wochen  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionsbefund:  Fibrinös -eitrige  Peritonitis,  Bronchitis, 
Osteochondritis  luetica,  Hepatitis  luetica,  Milztumor,  Anämie,  Papel 
am  Kinn,  Rhagaden  an  den  Lippen. 

Histologischer  Befund  :  Leber,  Vermehrung  des 
interlobulären  BindegeAvebes  und  Zellreichtum  desselben,  Im- 
sonders  um  die  daselbst  verlaufenden  Gefäßchen;  die  Wandungen 
der  letzteren  zum  Teil  hedeutend  verdickt.  Sämtliche  Schnitte 
aus  der  Aorta  und  Art.  pulmonalis  ohne  Veränderungen. 

Fall  VHI.  24.  Dezember  1905.  Kind  der  S.  M.,  mazerierte 
Frucht  im  fünften  Lünarmonat. 

Klinisch:  Mutter  vier  Fehlgeburten,  Leukoderma. 

Histologischer  Befund:  L  e  h  e  r,  das  interlobul  äre 
BindegeAvebe  vermehrt  und  in  die  Le])erläppchen  vordringend; 
die  Wand  der  Arteriolen  merklich  verdickt.  Nebenniere,  die 
Rindensubstanz  ohne  Verändeitingen,  an  Stelle  der  Marksul)stanz 
findet  sich  eine  beträchtliche  AVueherung  des  interstitiellen  Binde- 
geAvebes,  in  diesem  nur  ganz  vereinzelte  kleine  Inseln  von  Paren¬ 
chymzellen.  Milz,  das  trabekuläre  BindegeAvebe  stark  vermehrt, 
die  Arteriolen  in  ihrer  Wand  verdickt,  das  lymphoide  GoAvebe 
nur  spärlich  vorhanden. 

Sämtliche  Schnitte  aus  der  Aorta  und  der  Art.  pulmo¬ 
nalis  ohne  VerändeiAingen. 

Fall  IX.  5.  Januar  1906.  K.  Sch.,  zAvei  Stunden  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionsbefund:  Hepatitis  luetica,  Pankreatitis  indu- 
ratfva,  Osteochondritis  luetica,  harter  Milztumor. 

Histologischer  Befund:  Asc.,  in  der  ganzen  Zirkum¬ 
ferenz  der  GefäßAvand  erscheint  die  Adventitia  durch  eine  be¬ 
trächtliche  Zellvermehrung  stark  verbreitert;  dieselbe  setzt  sich 
vornehmlich  aus  epitheloiden  und  spindeligen  Zellen,  in  ge¬ 
ringerer  Menge  aus  Rundzellen  (Typus  Lymphozyten)  zusammen. 
Diese  Zellwucherungen  und  -infiltraiionen  dringen  in  die  Media 
Aveit  vor,  Avodurch  die  äußeren  Wandschichten  des  Gefäßes  ein 
überaus  dichtes  Gefüge  erhalten. 

Desc.,  zeigt  dieselben  Veränderungen  in  gleich  scliAverer 
Ausbildung;  das  adventitielle  BindegeAvebe  ist  vermehrt  und  straff, 
die  Wand  einzelner  Vasa  vasorum  durch  konzentrisch  gelagerte 
spindelige  Zellen  verdickt  und  ihr  Lumen  verengt.  Art.  pulmo¬ 
nalis,  zeigt  die  eben  beschriebenen  Veränderungen  in  schAverster 
Ausbildung,  nebst  beträchtlicher  hydropischer  Quellung  der  er¬ 
krankten  Wandbezirke;  die  Grenzzone  der  Media,  soAvie  die  Ad- 
Amntitia  sind  durch  diese  Veränderungen  stark  Amrbreitert. 

Levaditipräparate:  Aorta,  keine  Spirochäten  nach¬ 
weisbar. 

Fall  X.  7.  Januar  1906.  K.  E.,  2V2  Monate  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita.  Hydrocephalus  externus  acutus, 
Tumor  lienis. 

S  e  k  t  i  o  n  s  b  e  f  u  11  d :  Ausgebreitiete  Pachymeningitis  haemor- 
rhagica  interna,  Oedem  des  Gehirns,  Hepatitis  luetica,  Blutungen 
in  die  Darmschleimhaut,  harter  Milztumor,  Anämie. 

Histologischer  Befund:  Leber,  Zellinfiltrationen  und 
junge  BindegeAAmbsAvueherung  um  die  Arteriolen,  Amreinzelte  Rund¬ 
zelleninfiltrate  im  Parenchym.  Niere,  fleckAAmise  Vermehrung 
des  interstitiellen  BindegeAAmbes.  Nebenniere,  das  Parenchym 
der  Älarksubstanz  fehlt,  an  seiner  Stelle  ist  das  interslitielle  Bindo- 
gcAvebe  sehr  stark  gewuchert,  zum  Teil  sehr  zellreich;  die  Gefäße 
sind  stark  hyperämisch.  M  i  1  z,  sehr  blutreich,  arm  an  lymphoidem 
Gewebe. 

Sämtliche  Schnitte  von  der  Aorta  und  Art.  pulmonalis 
ohne  Veränderungen. 

Levaditipräparate:  Leber,  typische  Spirochäten  nach¬ 
weisbar,  Milz,  keine  Spirochäten  nachAveisbar. 


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Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


623 


F.  S.,  einen  Tag  alt. 


XI.  20.  Februar  1906 

K 1  i  n  i  s  c  h :  Lues  congenita. 

Sekti  onsbefu  n  cl :  Schwerer  universeller  Pemphigus  sy- 
plnliticus,  Pneumonia  alha,  He])alilis  syphilitica,  Osteochondrilis- 
syphilitica,  harter  Milztumor  mit  einem  subkapsulären  Hämatom. 

Histologischer  Befund;  Lunge,  mächlige  Vermeh¬ 
rung  des  Bindegewebes  der  Alveolarsepten,  sowie  des  peribron- 
chialen  und  periadventitiellen  Bindegewebes.  Leber,  iui  Paren¬ 
chym  reichlich  inselförniige  Rundzelleninfiltrate.  Die  Querschnitte 
einzelner  größerer  Gefäße  zeigen  eine  beträchtliche  Zellinfiltration- 
auch  die  Umgebung  der  Gefäßchen  ist  auffallend  zellreich.  Milz' 
sehr  blutreich,  arm  an  lymphoidem  Gewebe. 

A  sc  I,  Adventitia  und  Grenzzone  der  Media  sind  sehr 
zellrcich  (Typus  epitheloide  Zellen)  besonders  um  die  Vasa  va- 
soram;  das  perivaskuläre  Bindegewebe  ist  stark  vermehrt.  A  sc.  H 
zeigt  das  gleiche  Bild,  außerdem  ist  das  adventilielle  Binde 
gewebe  zum  Teil  etwas  derber  gefügt.  De  sc.  I  und  H,  ebenso^ 
nur  sind  die  genannten  Veränderungen  mehr  fleckweise  angeordnet 
Art.  pulmo nalis.  Adventitia  und  Grenzzone  der  Media  sind 
durchwegs  stark  verbiuitert,  zum  .Teil  aus  Rundzellen  (Typus 
Lymphozyten),  zum  größeren  Teile  aus  jungen  Bindegewebs¬ 
zellen  aufgebaut.  Die  Wand  einzelner  Vasa  vasorum  ist  verbreitert, 
ihr  Lumen  verengert. 

Le  vaditipräparate :  Lunge,  Pemphigusblasen, 
Spirochäten  reichlich  vorhanden.  Milz,  Leber,  sowie  Aorta 
und  Art.  pulmonalis  keine  Spirochäten  nachweisbar. 

Fall  XH.  17.  März  1906.  A.  T.,  vier  Monate  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita,  Bronchitis. 

Sektionsbefund:  Pemphigus  syphiliticus,  multiple 
Gummen  der  Leber,  ossifizierende  Periostitis  der  Oberarmknochen, 
Atelektasen  der  Lungen  bei  Bronchitis. 

Histologischer  B  e  f  u  n  d :  Leber,  Vermehrung  .des  inter- 
lobulären  Bindegewebes  und  Rundzelleninfiltralion  in  und  um 
die  arteriellen  Gefäßwände,  sowie  auch  im  Leberparenchym.  Fett¬ 
infiltration. 

Asc.  I  und  II,  Art.  pulmonalis,  ohne  Veränderungen. 

De  sc.  in  Schnitten,  die  mit  W^eig  erts  Elastikafarblösung 
gefärbt  sind,  ist  im  äußeren  Drittel  der  Media,  an  den  elastischen' 
Lamellen  ein  ausgedehnter,  körniger  und  scholliger  Zerfall  wahr- 
zimehmen.  Dasselbe  findet  sich  auch  in  Schnitten  aus  der  Aorta 
abdominalis,  wenn  auch  in  geringerer  Ausbildung. 

L  e  V  a  d  i  t  i  p  r  ä  p  a  r  a  t  e ;  Leber,  keine  Spirochäten  iiach- 
weisbar. 

Fall  XHL  14.  April  1906.  Fr.  A.,  fünf  IVochen  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita,  Mutter  stebt  seit  vier  Monaten 
wegen  luetischem  Exanthem  in  Behandlung. 

Sektionsbefund:  Indurative  Pneumonie  in  beiden  Unter¬ 
lappen  und  im  rechten  Oberlappen.  Hepatitis  luetica,  harter  Milz¬ 
tumor,  Pemphigus  syphiliticus. 

Histologischer  Befund:  Sämtliche  Gefäße  ohne  Ver¬ 
änderungen. 

Leva diti Präparate:  Keine  Spirochäten  nachweisbar. 

Fall  XIV.  16.  April  1906.  N.,  Frühgeburt  im  achten  Lunar¬ 
monate. 

Sektionsbefund:  Pneumonia  alba,  ausgedehnte  Blu¬ 
tungen  unter  die  Pleuren,  Hepatitis  luetica,  Pankreatitis  iudu- 
rativa,  Thymusabszeß',  Osteochondritis  luetica,  harter  Milztumor. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  hochgradige  binde¬ 
gewebige  Induration  des  Lungengewebes,  Verbreiterung  des  peri¬ 
vaskulären  Gewebes  durch  Bindegewebswucherung.  Leber,  das 
Parenchym  von  reichlichen  Rundzelleninfiltraten  durchsetzt,  sowie 
fleckweise  von  derbem  Bindegewebe  substituiert  (Narbe);  das 
perivaskuläre  Bindegewebe  zUm  Teil  kleinzellig  infiltriert,  zum 
Teil  vermehrt. 

Asc.  I  und  H,  fleckweise  Verbreiterung  der  Adventitia 
und  Grenzzone  der  Media  durch  Zellvermehrung  vom  Typus  der 
epitheloiden  Zellen,  besonders  um  die  Vasa  vasorum.  De  sc.  1, 
ebenso.  Eine  gesonderte,  etwas  eingehendere  Schilderung  dieser 
Schnitte  folgt  weiter  unten.  ^ 

Leva ditipräpa rate:  Lunge,  typische  Spirochäten  nach¬ 
weisbar,  Leber,  Spirochäten  nicht  auffindbar.  Aorta,  keine 
Spirochäten  auffindbar. 

Fall  XV.  23.  April  1906.  Frühgeburt,  7V2  Lunarmonate. 

Sektionsbefund;  Pneumonia  alba,  Hepatitis  luetica,  Pan¬ 
kreatitis  indurativa,  Osteochondritis  luetica,  Milztumor.  Multiple 
Blutuugen  in  den  mesenterialen  Lymphdrüsen  und  in  der  Adventitia 
der  großen  Gefäße.- 

Histologischer  Befund:  Lunge,  indurative  und  vor¬ 
wiegend  desquamative  Pneumonie ;  die  Gefäßwände  durch  Binde¬ 
gewebswucherung,  zum  Teil  auch  durch  Rundzelleninfiltrate  meist 
stark  verbreitert.  Pankreas,  ausgedehnte  interstitielle  Binde¬ 


gewebswucherung,  vom  Parenchym  nur  mehr  spärliche  Reste  vor- 

llülluGll. 

v  reichlich  dichlgefügte  epitheloide 

Zellen;  die  Wände  der  Vasa  vasorum  meist  stark  verbreitert, 
das  Lumen  etwas  verengert.  Um  diese  finden  sich  auch  Rund- 
zelleninfiltiate ,  die  Äledia  ist  stellenweise  sehr  kernreich.  Asc.  H, 
zeigt  die  gleichen  Veränderungen,  aber  mehr  fleckweise  ange¬ 
ordnet.  De  sc.  I,  die  Adventitia  ist  stellenweise  durch  ver¬ 
mehrte  junge  Bindege\yebszellen  dichter  gefügt,  die  Vasa  va- 
soium  wie  früher  geschildert.  Art.  pulmonalis  zeigt  ebenfalls 
in  ausgedehntem  Maße  die  genannten  Verändei-ungen. 

Le  vaditipräparate :  Lunge,  Spirochäten  reichlichst 
nachweisbai.  Aorta,  innerhalb  einer  Arteriole  des  periadventi¬ 
tiellen  Gewmbes  entfernt  von  den  Erkrankungsherden  e  i  n  e  typische 
Spirochäte. 

Fall  XVI.  2.  Mai  1906.  M.  F.,  zehn  Wochen  alt. 
Klinisch:  Pemphigus  syphiliticus,  Irisprolaps.  Mutter  seit 
einem  Jahre  an  Lues  erkrankt. 

Sektions  be  fund:  Osteochondritis  luetica,  Hepatitis  lue¬ 
tica,  Bronchopneumonie,  chronischer  Milztumor. 

Histologischer  Befund:  Leber,  das  interlobuläre 
Bindegewebe  stark  gewuchert  Und  in  die  Leberläppchen  vor¬ 
dringend;  im  Parenchym  vereinzelte  Rundzelleninfiltrate.  Sämt¬ 
liche  Schnitte  aus  der  Aorta  und  Art.  pulmonalis  ohne 
Veränderungen. 

Le  vaditipräparate:  in  den  Organen  keine  Spirochäten 
nachweisbar. 

Fall  XVH.  9.  Mai  1906.  M.  R.,  totgeboren. 

Sekti onsbef und:  Mazerierte  Frucht,  Pneumonia  alba  et 
gummosa,  Pankreatitis  indurativa,  Osteochondritis  luetica,  Gummen 
der  Leber,  Milztumor. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  ausgedehnter  gum¬ 
möser  Zerfall,  Milz,  Lebe  r,  multiple  Guminen  sowie  reichliche 
Rundzelleninfiltrate  um  die  Gefäße  und  schwielige  Induration  der 
Organe. 

Asc.  I,  Adventitia  dicht  gefügt  und  verbreitert,  daselbst 
sowie  im  Bereiche  der  Grenzzone  der  Media  meist  um  die  Vasa 
vasonim  eine  beträchtliche  Zellvermehrung,  vornehmlich  vom 
Typus  der  epitheloiden  Zellen;  die  Vasa  vasorum-  ohne  Verän- 
dei-ungen.  Asc.  H,  Delsc.  I  und  H,  Abdominalis  in  gleicher 
WTise,  nur  in  geringerem  Grade,  verändert.  Art.  pulmonalis 
und  Grenzzone  der  Media  sind  in  der  ganzen  Zirkumferenz  der 
Gefäßwand  durch  mächtige  Zellwucherungen  vom  Typus  der 
epitheloiden  Zellen,  welche  besonders  um  die  Vasa  vasorum  ge¬ 
lagert  sind,  sehr  bedeutend  verbreitert.  Der  ganze  Prozeß  in  den 
Gefäßen  ist  als  ein  sehr  schwerer  zu  bezeichnen. 

Le  vaditipräparate:  Lunge,  M  i  1  z,  ,  typische  Spiro¬ 
chäten  in  reichlichen  Mengen  nachweisbar.  Art.  pulmonalis, 
ganz  vereinzelte  Spirochäten  in  zwei  im  Bereiche  der  Adventitia 
verlaufenden  Arteriolen. 

Fall  XVIII.  22.  Juni  1906.  L.  S.,  totgeboren,  neunter  Lunar¬ 
monat. 

Klinisch:  Pemphigus  syphiliticus,  Lues  congenita.  Mutter 
hat  vor  drei  Jahren  wegen  Lues  eine  Schmierkur  durchgemacht, 
unter  vier  Geburten  zweimal  abortiert. 

Sekt  io  ns  be  fund:  Pneumonia  alba,  Gumma  der  linken 
Lunge,  Hepatitis  luetica,  mäßige  Osteochondritis,  Pemphigus 
syphiliticus,  Hämatom  in  der  linken  Nebenniere. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  ausgedehnte  binde- 
:ewebige  Induration.  Thymus  zeigt  schwere  sklerotische  In¬ 
duration. 

De  sc.  I,  fleckweise  bindegewebige  Verdichtung  der  Adven¬ 
titia  und^  Zellvermehrung  vom  Typus  der  epitheloiden  Zellen 
(Prozeß  nicht  sehr  ausgeprägt).  Alle  anderen  Schnitte  olme  wesent¬ 
liche  Veränderungen, 

Le  V  a  di  tip  r  äp  a  r  a  te ;  Milz,  Spirochäten  leicht  auffindbar, 
Fall  XIX.  13.  Juli  1906.  C.  W’’.,  neugeboren. 

Klinisch:  Lues  congenita;  Mutter  wurde  vor  der  Ge¬ 
burt  wegen  nässender  Papeln  behandelt. 

Sektion sbefund;  Pneumonia  alba,  Pankreatitis  indura¬ 
tiva,  Hepatitis  luetica,  mäßige  Osteochondritis  luetica,  harter  Milz¬ 
tumor. 

Histologischer  Befund:  Leber,  ausgedehnte  Whiche- 
rung  des  interlobulären  Bindegewebes  und  Eindringen  desselben 
in  die  Leberläppchen,  Zugrundegehen  des  Parenchyms,  Rundzellon- 
infiltrate  um  die  Gefäßwände  und  obliterierende  Endarteriitis 
der  Arteriolen.  Lunge,  Induration  durch  ausgedehnte  Binde¬ 
gewebswucherung.  Milz,  Stauungshyperämie,  Armut  an  lym¬ 
phoidem  (lewebo,  Rundzellenanhäufungen  um  die  Gefäße  im  trabe¬ 
kulären  Bindegewebe. 


"VVlKTsTlH  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


A  sc.  I  luicl  II,  Art.  pulmonal  is,  in  der  Adventitia  und 
den  angi-enzenden  Mediaschichten  fleck-  und  streifenförmige  Zell- 
anhäiifungen  (Lymphozyten  und  epitheloide  Zellen);  diese  dringen 
mit  ahnehmender  Intensität  auch  gegen  die  inneren  Schichten  der 
]\ledia  vor.  Endlich  finden  sich  analoge  Zellanhäiifungen  auch 
um  die  Vasa  im  periadvenliliellen  Gewehe.  De  sc.,  ohne  Ver- 
ändeiungen.  Abdom.,  spärliche,  inselförmige  Zellanhäufungen 
um  die  Vasa  vasorum  im  Bereiche  der  Adventitia  und  den  an- 
grenzentlen  Mediaschichten. 

Levaditipräparate:  Lunge,  Milz,  Nebenniere, 
reichlichst  Spirochäten  nachweisbar:  Aorta,  keine  Si)irochäten 
auffindbar. 

Fall  XX.  9.  August  1906.  L.  H.,  eine  Stunde  alt. 

Klinisch:  Pemphigus  syphiliticus. 

S  e  k  t  i  o  n  s  h  e  f  u  n  d  :  Pneumonia  alha ,  Pankreati tis  indura- 
tiva,  Osteochondritis  luetica,  Pemphigus  syphiliticus. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  hindegewehige  In¬ 
duration,  besonders  das  perivaskuläre  und  peribronchiale  Binde¬ 
gewebe  stark  gewuchert.  Pankreas,  vorzüglich  aus  straffem 
Bindegewebe  aufgehaul,  dazwischen  nur  spärliche  Parenchym¬ 
inseln.  Leber,  hesonder-s  das  perivaskuläre  Bindegewehe  stark 
vermehrt  und  zeitig  infiltriert.  Niere,  interstitielle  Bindegewehs- 
wucherung  und  inselfönnige  Rundzellenanliäufungen. 

Asc.  I  und  II,  Art.  p  ulmonal  i  s,  in  der  ganzen  Zirkum- 
ferenz  dei-  Gefäßwand  finden  sich  in  der  Adventitia  und  der 
Grenzzone  der  ]\Iedia  reichliche  Zcllanhäufungen  vom  Typus  der 
Lymphozyten  und  epitheloiden  Zellen,  durch  welche  die  Wand 
an  einzelnen  Stellen  beträchtlich  verbreitert  ist,  das  perivaskuläre 
Bindegewebe  um  die  Vasa  vasorum  ist  vermehrt,  das  Lumen 
einzelner  Vasa  beträchtlich  verengert.  Lymphozyten  dringen  in 
merklicher  Zahl  bis  in  die  innersten  Schichten  der  Media  vor. 
Desc.  zeigt  ähnliche  Veränderungen  in  weit  schwächerer  Aus¬ 
bildung,  das  adventitielle  Bindegewebe  ist  stellenweise  vermehrt 
und  dicht  gefügt.  Ah  dom.  ohne  Veränderungen.  Der  Prozeß 
in  den  Gefäßen  ist  im  allgemeinen  als  schwer  zu  bezeichnen. 

Ij  e  V  a  d  i  t  i  p  r  ä  parate:  Lunge,  Milz,  Spirochäten  leich- 
licli  nachweisbar;  Leber,  Aorta,  keine  Spirocliäten  auffindbar. 

Fall  XXL  19.  September  1906.  Totgeboren. 

Klinisch:  Pemphigus  syphiliticus. 

Sektionshefund:  Pneumonia  alba,  Hepatitis  luetica,  Pan¬ 
kreatitis  indurativa,  Thymusahszeß,  Osteochondritis  syphilitica, 
Pemphigus  über  Stamm  und  Extremitäten. 

Histologischer  Befund:  Pankreas,  mächtige,  inter¬ 
stitielle  Bindegewebswucherung,  das  Parenchym  nur  in  spärlichen 
Besteh  vorhanden. 

Asc.  I,  Art.  pulmonal  is,  in  der  Adventitia  und  den  an¬ 
grenzenden  IMediaschiclrten  findet  sich  besonders  um  die  Vasa 
vasorinn  eine  heträchtliche  Ansamndung  von  epitheloiden  und 
lymphoiden  Zellen,  sowie  eine  Vermehrung  von  fibrillärem  Binde¬ 
gewebe,  wodurch  diese  Wandschichten  ein  dichtes  Gefüge  er¬ 
halten.  Die  äußere  Hälfte  der  Media  ist  besonders  längs 
der  eindringenden  Vasa  auffallend  zellreich.  In  Schnitten 
mit  Elastikafärbung  fällt  besonders  im  Bereiche  der  Zellanhäu¬ 
fungen  ein  körniger  Zerfall  der  elastischen  Elemente  auf.  Desc. 
und  Ab  dorn,  zeigen  analoge  Veränderungen  in  schwächerer  Aus¬ 
bildung. 

Levaditipräparate:  Lunge,  Leber,  Thymus,  Pan¬ 
kreas,  reichlichst  Spirochäten  nachweisbar. 

Aorta  und  Art.  pulmonal  is,  keine  Spirochäten  auf¬ 
findbar. 

Fall  XXH.  8.  Dezember  1906.  B.  B.,  neun  Tage  alte  Früh¬ 
geburt,  im  achten  Lunarmonat. 

Klinisch:  Lues  congenita.  Mutter  hat  im  vierten  Schwan¬ 
gerschaftsmonat  Lues  akquiriert. 

Sektionsbefund:  Pneumonia  alba,  Hepatitis  luetica, 
Osteochondritis  luetica,  Milztumor,  Icteiais  universalis  gravis. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  diffuse,  bindegewebige 
Induration  des  Lungenparenchyms.  Leber,  das  Bindegewebe  ver¬ 
mehrt  und  in  die  Leherläppcben  vordringend.  Niere,  Vermeh¬ 
rung  des  interstitiellen  Bindegewebes,  BilTungsanomalien  an  den 
Glomerulis  und  Hämorrhagien  in  einzelnen  Harnkanälchen.  Wand¬ 
verdickung  und  Verengerung  des  Lumens  der  Arteriolen.  Milz, 
Vermehnnig  des  trabekulären  und  retikrdären  Bindegewebes,  Armut 
an  lymidioidem  Gewebe.  Die  Wendungen  einzelner  arterieller 
Gefäße  Amn  Bundzellen  durchsetzt. 

Asc.  I  und  11,  heträchtliche  Zellvenmehrung,  im  Bereiche 
der  Grenzzone  von  Media  und  Adventitia,  die  Zellanhäufungen 
vornehmlich  aus  jungen  Bindegewehszellen  und  spärlicheren 
Lymphozyten  zusammengesetzt. 

Art.  pulmonal  is  zeigt  analoge  Veränderungen  in 
schwächerer  Ausbildung. 


Levaditipräparate:  Lunge,  um  die  verdickten 

und  zellig  infiltrierten  Gefäßwände  spärliche,  aber  typische 
Spirochäten.  Leber,  innerhalb  von  Blutkapillaren  vereinzelte 
Spirochäten.  Aorta,  keine  Spirochaeten  nachweisbar,  Art.  pul¬ 
monal  is,  im  Lumen  von  Vasa  vasorum  typische  Spiro¬ 
chäten  auf  find  har. 

Fall  XXHI.  13.  Dezember  1906.  M.  P.,  Frühgeburt,  zu  An¬ 
fang  des  zehnten  Lunarnionats,  zwei  Stunden  nach  der  Geburt 
gestorben. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionsbef  und  :  Pneumonia  alha,  Pankreatitis  indura¬ 
tiva,  Hepatitis  syphilitica,  harter  Milztumor,  Osteochondritis  syphi¬ 
litica  mäßigen  Grades. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  typische  indurative 
Pneumonie  mit  bedeutender  Verdichtung  des  perivaskulären  Binde¬ 
gewebes.  Leber,  Parenchym  von  reichlichsten  kleinen  Rund- 
zellenintiltraten  elurchsetzt,  das  interlobuläre  Bindegewebe  kern- 
reich,  stark  vermehrt  und  in  die  Leberläppcheir  vordringend. 
Pankreas,  bedeutende  Vermehrung  des  interstitiellen  Binde¬ 
gewebes  und  stark  ausgeprägte  Rarefizierung  des  Parenchyms. 

Asc.  I  und  H,  Art.  pulmonalis,  leichte  Zellvermehrung 
in  der  Adventitia  und  den  anstoßenden  Schichten  der  Media, 
die  Adventitia  besonders  bei  Asc.  H  aus  derbgefügtem  Binde¬ 
gewebe  aufgebaut,  vereinzelte  Vasa  vasorum  durch  Inlimawuche¬ 
rung  erheblich  verengert.  Desc.  leichte,  fleckweise  Zellvermeh¬ 
rung  Avie  früher,  die  Adventitia  abermals  meist  aus  derbem  Binde- 
geAvebe  aufgebaut. 

Levaditipräparate:  Lunge,  Spirochäten  haup tsächlicht 
innerhalb  der  Blutbahnen  in  mäßiger  Menge  auffindbar.  Leber, 
Pankreas,  Milz,  keine  Spirochäten  nacliAveishar.  Aorta,  A  r  t. 
p  u  1  m  o  n  a  1  i  s,  keiiie  Spirochäten  nacliAveisbar. 

Fall  XXIV.  25.  Januar  1907.  Knabe  der  J.  Sch.,  totgeboren. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionshefund:  Universelles,  großpapulöses  Syphilid 
der  Haut,  Osteochondritis  luetica,  Gumma  der  Leber  und  Ver¬ 
härtung  des  Organes,  Pneumonia  alha,  Thymusahszeß,  Pankrea¬ 
titis  indurativa,  harter  Milztumor. 

Histologischer  Befund:  Lunge,  typische  indurative 
Pneumonie.  Pankreas,  starke  Vermehrung  des  BindegeAAmbes 
bei  gleichzeitiger  Rarefizierung  des  Parenchyms.  Leber,  das 
inter-  und  intraazinöse  BindegeAvebe  bedeutend  vermehrt,  ebenso 
das  perivaskuläre  BindegeAvebe  Amrhreitert,  spärliche  Reste  Amn 
Parenchym,  herdförmige  Rimdzelleninfiltrate,  ein  zerfallendes 
Gumma.  Milz,  Hyperämie  des  Organes,  leichte  Vermehrung  des 
BindegeAvebes,  nur  spärlich  lymphoides  GeAvebe. 

Asc.  I  und  11,  mäßige  fleckAveise  Zellvermehrung  um.  die 
Vasa  vasorum  im  Bereiche  der  innersten  Zone  der  Adventitia  Amm 
Typus  junger  BindegeAvebszellen  und  Lymphozyten,  vereinzelt 
große,  protoplasmareiche  Zellen  mit  großem,  unregelmäßigen  Kerne. 
Desc.  I,  analoge  Veränderungen  nur  noch  scliAvächer  ausgebildeL 
In  intensiverer  Ausbildung  finden  sich  dieselben  Veränderungen 
in  der  Art.  pulmonalis. 

Levaditipräparate:  Lunge,  Pankreas,  reichlich 
Spirochäten.  Leber,  Milz,  keine  Spirochäten  nachweisbar. 
Aorta,  Art.  pulmonalis,  keine  Spirochäten  nacliAveisbar. 

Fall  XXV.  1.  Februar  1907.  F.  Z.,  drei  Tage  alt. 

Klinisch:  Lucs  congenita. 

Sektionshefund:  Pneumonia  alba,  Osteochondritis 

luetica,  Gmnma  im  Kopfe  des  Pankreas,  Hepatitis  luetica,  Pem¬ 
phigus  mit  Vereiterung  der  Blasen,  allgemeine  Oedeme. 

H  i  s  t  o  1 0  g  i  s  c  h  e  r  B  e  f  u  11  d :  L  u  n  g  e,  bindegCAvebige  Indura¬ 
tion  des  LungengeAvehes,  ältere  Hämorrhagien  in  den  Alveolen. 
Leber,  ausgebreitete  Zellinfiltration  im  Parenchym,  bedeutende 
ZellAvucherimg  um  die  Gefäße,  besonders  unter  der  Kapsel,  fettige 
Degeneration  der  Parenchymzellen,  reichliche  Ablagerung  Amn  Blut- 
pigment.  Milz,  arm  an  lymphoiden  Zellen,  BindegeAA'ebe  etAvas 
Amrmehrt,  viel  abgelagertes  Blutpigment.  Niere,  beträchtliche 
Wajcherung  des  interstitiellen  BindegeAvebes,  EntAvicklungshem- 
mungen  an  den  Glomerulis,  parenchymatöse  und  fetlige  Degenera¬ 
tion  der  Nierenepithelien. 

Sämtliche  Schnitte  von  der  iVorta  und  der  Art.  pulmo¬ 
nalis  ohne  Verändemngen. 

Levaditipräparate:  Leber,  Lunge,  Milz,  Niere, 
typische  Spirochäten  nacliAveisbar.  Aorta,  Art.  iiulmonalis, 
keine  Sjiirochäten  auffindbar. 

Fall  XXVL  16.  Februar  1907.  Knabe  der  A.  K.,  einen 
Tag  alt. 

Klinisch:  Lues  congenita. 

Sektionsbefund:  Pemphigus  syphiliticus,  indurative  Pan¬ 
kreatitis  mit  bohnengroßer  Auftreibung  des  Kopfes,  zirkumskripte, 
indurativ-pneumonische  Herde  in  den  Lungen,  Osteochondritis 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


lue-tira,  Hepatilis  luetica,  harter  Älilztunior,  niu](i])lc  Blutimffon 
in  den  serösen  Hänten,  Sclileiinhäuten  und  der  Hanl,  aaso'edehiiro 
siibmeningeale  Blutungen.  o  - 

Bis  t  o  1 0  g  i  s  c  li  e  r  B  e  f  u  n  d  :  L  u  n  g  e,  l)indegewebige  Indura¬ 
tion  perivasknlare  Bindegewebswucborung,  frisclie  Häniorrbagien 
in  das  Lungeuparencliyni,  starke  Quellung  und  Desquamation  des 
Alveolarepitbels.  Pankreas,  berdtürmige,  bedeutende  Biude- 
gewebsverniebrung  bei  gleichzeitiger  Verarmung  an  Parenchym- 
gewebe.  Leber,  reicbliche  Zellinfiltrationen  im  Parenchym  so¬ 
wie  junge  Bindegewebswucberungeii  von  den  Gefäßcben  aus- 
geixend.  Fettinfillration,  reichlich  Gallenpigment.  Milz,  Stauungs- 
byperainie,  Vermebning  besonders  des  perivaskulären  Binde¬ 
gewebes,  Armut  an  lympboidem  Gewebe. 

Sämtliche  Schnitte  aus  der  Aorta  und  Art.  pulmonalis 
ohne  erkennbare  Veränderungen. 

Levaditipräparate:  Lunge,  spärliche,  Pankreas 
Leber,  keine  Spiroebäten  nachweisbar.  Aorta,  Art.  pulnio- 
nalis,  keine  Spirochäten  auffindbar. 

Fall  XXVII.  24.  Febniar  1907.  N.  N.,  sechs  Wochen  alt 

Klinisch;  Viszeralsyphilis,  Ikterus,  Tumor  lienis;  Mutter 
zweimal  abortiert. 

_  Sekt i 0 ns b e f u nd :  Hepatilis  luetica,  Milztumor,  mäßifio 
ossifizierende  Osteoperiostitis.  ’ 

Histologischer  Befund:  Leber,  zeigt  eine  mächtige 
mtralobuläre  _  Bindegewebswucherung,  welche  aus  kernarmenp 
hochdifferenzierten  Bindegewebe  besteht  und  nur  hie  u.nd  da 
u._  zw.  besonders  in  der  Umgebung  der  Gefäßchen  etwas  zell- 
reicher  ist;  das  Parenchym  ist  atrophisch,  zeigt  FettinfiltraHon 
und  ist  stark  rarefiziert.  Milz,  sehr  blutreich,  das  trabekuläre 
resp.  perivaskuläre  Bindegewebe  ist  stellenweise  etwas  verbreitert; 
das  Organ  ist  arm  an  lymphoidem  Gewebe,  viel  amorphes  Blut¬ 
pigment  enthaltend. 

A  sc.  I,  eine  vereinzelte,  adventitielle  Hämorrhagie,  sonst 
sowie  alle  anderen  Gefäßschnitte  ohne  sichtbare  Veränderungen! 

Levaditipräparate;  Leber,  Milz,  reichlich  Spiro¬ 
chäten  nachweisbar.  Aorta,  Art.  pulmonalis,  keine  Spiro¬ 
chäten  auffindbar. 

Das  Ergebnis  unserer  vorliegenden  Untersucliungen 
ist  znnächst  eine  neuerliche  Bestätigung  der  von  einem 
von  uns  (Wiesner^),  sowie  von  Brulins^)  erhobenen 
Befinide  an  den  Hauptgefäßslämnien  (Aorta,  Art.  pulmo¬ 
nal  is)  kongenital-luetischer  Kinder,  die,  kurz  resümiert,  in 
Zellinfiltraten  und  Zellwucherungen  im  Bereiche  der  Ad¬ 
ventitia  und  in  den  benachbarten  Schichten  der  Media,  sowie 
in  Obliteration  der  Vasa  vasorum,  um  welche  hauptsächlich 
die  genannten  Veränderungen  gruppiert  sind,  bestehen.  Auch 
diesmal  konnten  wir  uns  (an  Präparaten,  die  nach  der  Leiß- 
manschen  Methode  angefertigt  wurden)  überzeugen,  daß  die 
Zellanhäufungen,  soweit  sie  aas  Rundzellen  bestehen,  vor¬ 
nehmlich  von  mononukleären  kleinen  und  großen  Lympho¬ 
zyten  und  nur  spärlicheren  polynukleären  Zellen  zusammen¬ 
gesetzt  sind.  Neben  solchen  Intiltraten  finden  sich,  und  zwar 
meist  bei  älteren  Prozessen  in  mitunter  reichlicher  Menge 
junge  Bindegewebszellen,  durch  welche  die  äußeren  Partien 
der  Gefäßwand  gelegentlich  eine  merkliche  Verbreiterung 
erfahren.  Bei  einer  Reihe  von  Fällen  konnte  auch  an  den 
elastischen  Lamellen  der  äußeren  Mediaschichte  ein  körniger 
Zerfall  beobachtet  werden. 

Als  neues  histologisches  Detail  ist  ein  Befund 
anzuführen,  welchen  wir  an  Schnitten  aus  der  Aorta 
descendens  des  Falles  XIV  zu  erheben  Gelegen¬ 
heit  hatten.  Vorausgeschickt  sei,  daß  ein  ähnlicher 
Befund  an  peripheren  Gefäßen  bereits  früher  von  Hassel- 
bach^)  in  einer  Dissertationsschrift  aus  dem  Jahre  1905 
mitgeteilt  wurde.  Dieser  Autor  schildert  die  gedachte  Ver¬ 
änderung  mit  folgenden  Worten:  „  .  .  .  .  Entsprechend  den 
Entzündungsherden  (Zellinfiltrationen  in  der  Adventitia)  ist 
die  Media  buckelartig  verdickt,  das  Gewebe  ist  hier  gegen¬ 
über  der  übrigen  Media  etwas  reicher  an  Kernen.  Die  Ela- 
stica  interna  ist  an  diesen  Stellen  vom  Rande  des  Buckels 
an  in  mehrere  Lamellen  aufgespalten,  die  mit  fein  ausge¬ 
zogenen  Leien  Enden  in  die  verdickte  Partie  einstrahlen. 
Die  elastischen  Lamellen  der  Media  sind  im  Bereich  des 
Buckels  etwas  an  Zahl  vermehrt.“  Solche  Bildungen  fand 
Has  Selbach  in  der  Art.  iliaca  und  femoralis  eines 
zirka  fünf-  bis  sechsmonatigen,  totgeborenen,  syphilitischen 
lotus.  In  unserem  Falle  XIV  findet  sich  an  einer  Stelle  I 


des  Gefäßquerschhittes  der  Aorta  descendens  eine  in- 
timawarts  gelegene,  deutlich  erkennbare,  kleine  Plaque 
die  aus  lockerem,  feinfibrillärem  Bindegewebe  aufgebaut  umj 
im  Vergleich  zur  Umgebung  merklich  zellärmer  ist.  Dadurch 
erscheinen  die  elastischen  Lamellen  an  dieser  Stelle  aus¬ 
einandergedrängt;  zum  Teil  weichen  sie  der  Plaque  sich 
nach  außen  und  innen  leicht  ausbuchtend,  aus  zum  Teil 
endigen  sie  in  derselben  unvermittelt,  so  daß  die  letztgenann¬ 
ten  Lamellen  in  ihrer  Kontinuität  unterbrochen  sind. 
Zwischen  den  Bmdegewebsfibrillen  sind  nur  spärlich  feinste 
elastische  Fäserchen  eingestreut,  so  daß  man  den  Eindruck 
bekommt,  daß  hier  ein  Teil  des  elastischen  Gewebes  zu- 
pmde  gegangen  ist.  Diese  Plaque  wölbt  sich  gegen  das 
Lumen,  sowie  gegen  die  äußeren  Mediaschichten  leicht  vor 
und  gehört  unverkennbar  den  innersten  Mediaschichten  an. 
Außer  dieser  Veränderung  zeigt  die  Gefäßwand,  wie  aus 
den  früher  mitgeteilten  Untersuchungsprotokollen  zu  ent¬ 
nehmen  ist,  noch  pathologische  Verhältnisse  in  ihren 
äußeren  Wandbezirken,  die  durch  Zell  Wucherung  und  Binde¬ 
gewebsvermehrung  charakterisiert  sind.  Es  bietet  dieser 
Fall  einen  neuerlichen  Beweis  dafür,  daß  die  Er¬ 
krank  u  n  g  s  p  r  o  z  e  s  s  e  nicht  immer  auf  die  äußeren 
Wandbezirke  beschränkt  bleiben,  sondern  daß 
auch  die  mittlere  Gefäßhaut  unter  Umständen 
eine  eingreif endere  Verände rung  erfahren  kann. 
\\  ir  erinnern  an  einen  Fall,  den  wir  in  unserer  ersten 
Publikation  (Fall  X)  mitgeteilt  haben  und  bei  welchem 
sich  in  den  äußeren  Alediaschichten  eine  ziemlich  aus¬ 
gedehnte  Schwielenbildung  bei  gleichzeitigem  Zugrunde¬ 
gehen  der  elastischen  und  muskulären  Elemente  vorfand. 
Jedenfalls  gehören  solche  fortgesclnittenere  Veränderungen 
zu  den  relativen  Seltenheiten,  was  möglicherweise  darin 
begründet  ist,  daß  die  Kinder  schon  in  kürzerer  Zeit  sterben, 
als  zur  Ausbildung  solcher  schwerer  Erkrankungsformen 
notwendig  ist. 

Bei  der  Durchsicht  der  vorangeführten  Untersuchungs¬ 
protokolle  fällt  es  auf,  daß  die  Schwere  der  Verändemngen 
in  den  großen  Gefäßen  nicht  iminer  mit  der  Schwere  der 
übrigen  Organerkrankungen  im  Einklang  steht,  ja  daß  mit¬ 
unter  bei  sonstigen  schweren  Organveränderungen  Aorta 
und  Art.  pulmonalis  normal  angetroffen  werden  und  um¬ 
gekehrt  sehr  ausgesprochene  Gefäßerkrankungen  bei  relaliv 
geringen  Organveränderungen  sich  vorfinden.  Wir  können 
daher  sagen,  daß  die  Erkrankung  der  Haup tgef äß- 
s tämme  und  die  sonstigen  Organer krau kun g e n 
bei  kongenitaler  Lues  voneinander  unabhängig 
sind,  so  daß  auch  erstere  als  selbständige,  so¬ 
zusagen  „Organerkrankung“  angesehen  werden 
kann.  Es  stimmen  also  auch  in  diesem  Punkte  die  Verhält¬ 
nisse  bei  kongenitaler  Lues  mit  jenen  bei  erworbener  Sy¬ 
philis  der  Erwachsenen  überein,  woselbst  wir  ja  bald 
schwerste  Organsyphilis  bei  vollkommen  intakter  Aorta,  bald 
schwerste  produktive  Endomesaortitis  bei  sonst  von  lueti¬ 
schen  Veränderungen  freien  Organen  beobachten. 

Bezüglich  der  Häufigkeit  der  hier  gedachten  Gefäß- 
verändenrngen  ergaben  unsere  Untersuchungen,  daß  unter 
27  schweren  und  leichteren  Fällen  von  kongenitaler  Lues 
IGmal  Veränderungen  an  der  Aorta,  resp.  Puhnonalarterie 
in  wechselnder  Intensität  festgestellt  werden  konnten,  daß 
sich  also  in  ca.  59  aller  Fälle  die  Veränderungen  an 
den  gedachten  Gefäßen  vorfinden.  Bei  Heranziehung  der  in 
unserer  ersten  Publikation  veröffentlichten  zehn  Fälle  (neun 
positiv)  und  der  von  Bruhns  mitgeteilten  neun  Fälle  (sechs 
positiv)  würde  sich  unter  47  Fällen  sogar  eine  Häufigkeit 
von  6740/0  heraussteilen.  Wir  sehen  also,  daß,  welches 
dieser  beiden  prozentualen  Verhältnisse  wir  auch  immer 
als  richtig  gelten  lassen,  die  Erkrankung  der  großen 
Gefäße  bei  kongenital-luetischen  Kindern,  die 
in  den  ersten  Le  be  ns  tagen,  resp.  -wochen  s  terben, 
zu  den  relativ  häufigen  Teilers  drei  nun  gen  dieser 
Allgemeinerkrankung  (59o/o  bis  674o/o)  gebören  und 
OS  ist  nicht  unwahrscheitdich,  daß  sich  solche  Prozesse 
auch  an  den  Gefäßen  mancher  überlebender  luetischer 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


Kinder  abspieleii  und  unter  Umständen  auch  eine  Weiter¬ 
entwicklung  erfahren,  so  daß  möglicherweise  eine  Reihe 
von  ,, juvenilen  Arteriosklerosen“,  für  welche  oft  ein  ätio¬ 
logisches  IMoment  nicht  festzustellen  ist,  auf  kongc'iiitalor 
Syphilis  beruhen  mag,  zum  mindesten  aber  solche  abge¬ 
laufene  Schädigungen  der  großen  Gefäße  eine  Prädisposition 
zur  Ausbildung  sklerotischer  Gefäßveränderungen  aus 
anderer  Ursache  erzeugen. 

Wir  kommen  zum  letzten  Punkt  unserer  vorliegenden 
Untersuchungen,  zum  Nachweis  von  Spirochäten  in 
den  Erkrankungsherden  der  Gefäße.  Vorausgeschickt  sei, 
daß  in  der  Wand  kleinerer  Gefäßchen,  vornehmlich  bei  in 
Organen  eingebetteten  Gefäßchen,  Spirochäten  schon  wieder¬ 
holt,  so  von  Simmonds,*')  Gierke,^)  Buschke  und 
Fischer,^)  Renda,  E.  Hoffmann'^)  und  Schmorl,^) 
nachgewiesen  wurden.  Bezüglich  des  Spirochätennach¬ 
weises  in  den  großen  Gefäßen  bei  kongenitaler  Lues  finden 
sich  bis  jetzt  nur  in  den  Pnblikaitionen  von  Buschke 
und  Fischer^)  und  E.  Hoffmann'^)  Angaben.  Während 
Buschke  und  Fischer  mittels  der  Levaditiineth'ode 
in  Aorten  luetischer  Kinder  keine  Spirochäten  nachweisen 
konnten,  schreibt  Hoffmann  in  seinem  Aufsatz  über  die 
Aetiologie  der  Syphilis,  daß  „ . auch  in  den  Wän¬ 

den  der  großen  Gefäße,  der  Aorta,  Vena  azygos 
und  so  weiter  sie  (nämlich  die  Spirochäten)  vorhanden 
sind  u.  zw.  sowohl  in  der  Intima  als  auch  in  den 
übrigen  Schichten“.  Nach  dieser  Angabe,  aus  welcher 
leider  nicht  zu  entnehmen  ist,  ob  sie  sich  auf  eigene,  aus¬ 
gedehntere  Untersuchungen  stützt,  würde  es  den  Anschein 
haben,  daß  Spirochäten  in  den  großen  Gefäßen  mühelos 
nachzuweisen  wären.  Aus  unseren  eigenen,  an  einem 
größeren  Material  angestellten  Untersuchungen  geht  jedoch 
hervor,  daß  mit  Ausnahme  von  vier  Fällen  (Fäll  VI,  XV, 
XVII  und  XXII)  niemals  Spirochäten  in  den  er¬ 
krankten  Aorten  und  Pulmonalarterien  mittels 
der  Silberimprägnation  nachzuweisen  waren.  In 
diesen  vier  Fällen  fanden  sich  nur  ganz  vereiirzelte 
Spirochäten  und  diese  ausnahmslos  im  Lumen  von  Blut-, 
resp.  Lymphgefäßchen,  die  aber  entfernt  von  den  Er¬ 
krankungsherden  im  Bereiche  des  periadventitiellen  Ge¬ 
webes  verliefen,  so  daß .  ein  Zusammenhang  zwischen  den 
lokalen  Erkrankungen  und  diesen  Spirochätenbefunden  wohl 
kaum  bestehen  dürfte. 

Da  von  verschiedenen  Seiten  auf  die  nicht  absolute 
Zuverlässigkeit  der  Levaditimethode  hingewiesen  wurde, 
haben  wir  bei  unseren  letzten  sieben  Fällen  noch  eine 
weitere,  von  Landsteiner  und  Mucha®)  angegebene  Me¬ 
thode  des  Spirochätennachweises  in  Anwendung  gebracht ; 
nämlich  die  Untersuchung  des  auf  Spirochäten  ver¬ 
dächtigen  IMateriales  bei  Dunkelfeldbeleuchtung.  Die  Unter¬ 
suchung  gestaltete  sich  folgendermaßen :  Sofort  nach  der 
Eröffnung  der  Leiche  wurden  die  großen  Gefäße  mit  dem 
Herzen  herausgenommen,  dieselben  sodann  vom  Herzen  ab¬ 
getrennt  und  in  mehrmals  gewechselter  physiologischer 
Kochsalzlösung  gründlich  gewaschen.  Von  solchen,  nach 
^Möglichkeit  von  äußeren  Verunreinigungen  (Blut)  befreiten 
Aorten  und  Pulmonalarterien  wurde  sodann  Schabsaft,  der 
vom  periadventitiellen  Gewebe  gewonnen  wurde,  mittels 
Dunkelfeldbeleuchtung  untersucht,  um  so  die  Fehlerquelle 
einer  eventuellen  Verunreinigung  mit  Spirochäten  von  außen 
(mit  dem  Blute)  konstatieren  zu  können.  Das  Ergebnis  der 
Fntersuchung  dieses  Materials  war  stets  ein  negatives. 

Geinäß  unseren  Erfahrungen  über  die  hauptsächliche 
Lokalisation  der  Veränderungen  in  der  Adventitia  und  der 
Grenzschichte  der  Media  machten  wir  uns  sodann  diese 
M  andbezirke  zugänglich,  indem  wir  mit  zwei  Pinzetten  die 
Adventitia  mit  dem  periadventitiellen  Gewebe  von  derlMedia 
abzogen,  mit  einem  SkalpeJl  von  den  nun  bloß  liegenden 
1' lachen  abschabten  und  den  Schabsaft  bei  Dunkelfeld- 
bclenchtung  durchsuchten.  Gegen  ein  positives  Resultat  bei 
dieser  Untersuchungsmethode  kann  der  Einwand  erhoben 
werden,  daß  Spirochäten  beim  Abschaben  mit  dem  aus 
dem  A  asa  \  asoruni  ausgepreßten  Blute  oder  der  Lymphe, 


nicht  aber  aus  dem  erkrankten  Gewebe  in  das  Präparat  ge¬ 
langten,  ein  negatives  Resultat  kann  hingegen  als  Beweis 
für  die  Richtigkeit  der  negativen  Ergebnisse  der  LevaditL 
methode  verwertet  werden.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus 
haben  wir  auch  die  nachfolgenden  Untersuchungen  unter¬ 
nommen. 


Fall  Nr. 

Histolog.  Befund 

Spirochiitennachweis 

Dunkelfeldbeleuchtung 

Levaditifärbung  i.  Schnitt 

XXI 

Organe:  positiv 

reichlichst 

reichlich 

Gefäße;  stark  positiv 

0 

0 

Organe:  positiv 

positiv 

reichlich 

XXII 

Gefäße:  positiv 

Art.  pulm.:  positiv 
Aorla:  0 

Art.  pulm.:  positiv 

(innerh.  d.  Vasa  vasorum') 

Aorta:  0 

XXIII 

Organe;  positiv 

reichlichst 

positiv 

Gefäße;  positiv 

0 

0 

XXIV 

Organe:  positiv 

reichlichst 

reichlichst 

Gefäße:  positiv 

0 

0 

XXV 

Organe:  positiv 

positiv 

positiv 

Gefäße:  negativ 

0 

’o 

XXVI 

Organe:  positiv 

positiv 

positiv 

Gefäße:  negativ 

0 

0 

XXVII 

Organe:  positiv 

reichlichst 

reichlichst 

Gefäße:  negativ 

0 

0 

Das  Resultat  dieser  Untersuchungen  ist  also,  daß 
unter  sieben  Fällen  sechsmal  keine  Spirochäten  mittels 
Dunkelfeldbeleuchtung  '  aufzufinden  waren.  Einmal 
(Fall  XXH)  waren  bei  Dunkelfeldbeleuchtung  im  Schabsaft 
aus  der  Art.  pulmonalis  in  geringer  Zahl  typische  Spiro¬ 
chäten  nachzuweisen.  In  diesem  Falle  fanden  sich  auch 
im  Levaditipräparat  typische  Spiro'chäten,  jedoch  lagen  die¬ 
selben  durchwegs,  wie  schon  früher  hervorgehoben  wurde, 
zwischen  Blutelementen  innerhalb  von  Vasa  vasorum,  die 
entfernt  von  den  Erkrankungsherden  in  den  äußersten  Lagen 
des  periadventitiellen  Gewebes  eingebettet  waren,  so  daß 
dieselben  wohl  kaum  mit  den  Erkrankungsherden  in  Zu¬ 
sammenhang  gebracht  werden  können.  Man  kann  daher 
annehmen,  daß  dieser  vereinzelte,  positive  Ausfall  einer 
Beobachtung  bei  Dunkelfeld beleuchtung  offenbar  auf  dem 
Mi  tabstreifen  vmn  Blut  aus  den  Vasa  vasorum  beruhen  mag, 
wofür  auch  der  Umstand  spricht,  daß  in  den  Organpräpa¬ 
raten,  die  nach  Levaditi  behandelt  wurden,  Spirochäten 
reichlich  innerhalb  der  daselbst  verlaufenden  Gefäßchen 
angetroffen  wurden. 

Wir  kommen  daher  zu  dem  Schlüsse,  daß  wir  weder 
mittels  S i  1  b e r i m p r ä g n a t i 0 n,  n o c h  m i 1 1 e  1  s  Dunkel¬ 
feldbeleuchtung  Spirochäten  in  den  Erkran¬ 
kungsherden  der  großen  Gefäße  (Aorta,  Art.  pul- 
m  0  n  a  1  i  s)  nachweisen  konnte  ii,  welcher  Umstand  nach 
unserer  Meinung  allerdings  weder  gegen  die  Spezifität  der 
hier  besprochenen  Verändemngen  an  den  großen  Gefäßen, 
noch  gegen  die  ätiologische  Bedeutung  der  Spirochaete 
pallida  herangezogen  werden  kann,  so  daß  wir  bei  weiterer 
Bestätigung  dieser  Befunde  die  gedachten  Gefäßverände¬ 
rungen  zunächst  noch  als  eine  Folge  toxischer  Einflüsse 
auf  die  Vasa  vasorum  mit  konsekutiver,  pathologischer 
Veränderung  der  unigebenden  Wandbezirke  ansehen  müssen. 

Literatur. 

b  E.  Hasse  Ibach,  Beiträge  zur  Syphilis  der  Blutgefäße, 
Inauguraldissertation,  Greifswald  1905.  —  b  R-  Wiesner,  lieber  Er¬ 
krankungen  der  großen  Gefäße  bei  Lues  congenita.  Zentralbl.  f.  allg. 
Pathologie  und  pathol.  Anatomie  1905,  Bd.  16.  —  b  c.  Bruhns, 
lieber  Aortenerkrankungen  bei  kongenitaler  Syphilis.  Berliner  klin.  Wochen¬ 
schrift  1906,  Nr.  8  und  [9.  —  ß  Gierke,  Das  Verhältnis  zwischen 
Spirochaete  pallida  und  den  Organen  kongenital- luetischer  Kinder.  Münchn. 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  9.  —  b  A.  Buschke  und  W.  Fischer, 
lieber  die  Beziehungen  der  Spirochaete  pallida  zur  kongenitalen  Syphilis. 
Arch.  f.  Dermatol,  u.  Syphilis,  Bd,  82,  H.  1.  —  ®)  S  i  m  m  o  n  d  s 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


527 


Diagnostischer  Wert  des  Spirochätenbefundes  bei  Lu^s  congenita.  Münchn 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  27.  —  ’)  E.  Hoffmann,  Die  Aetiologie  der 
Syphilis.  Berlin  1906.  —  «)  C.  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  und  V.  Mucha  Zur 
Technik  der  Spirochätenuntersuchung.  Wiener  klin.  Wochenschr.  ’  1906 
Nr.  45.  —  Schmor  1,  Mitteilungen  zur  Spirochätenfrage.  Ref.  Münchn’ 
med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  4. 


Aus  dem  hygienischen  Institut  der  deutschen  Uni¬ 
versität  in  Prag.  (Vorstand:  Prof.  Hueppe.) 

Ueber  den  Lues-Antikörpernachweis  im  Blute 

von  Luetischen.*) 

Von  Dr.  E.  Weil. 

Die  ursprüngliche  Bordetsclie  Komplementfixations- 
metliode  hat  durcli  die  Versuchsanordnung  von  Wasser¬ 
mann  und  Bruck^)  eine  ausgezeichnete  Verbesserung  er¬ 
fahren,  weil  dieselbe  einerseits,  wie  ein  Vergleich  der  Ver¬ 
suche  von  Leuchs^)  mit  denen  von  Moreschi^)  zeigt, 
bessere  Resultate  gibt,  und  weil  sie  anderseits  theoretisch 
wenigstens  die  Möglichkeit  gestattet,  sie  auch  bei  Mikro¬ 
organismen  in  Anwendung  zu  bringen,  die  man  nicht  züchten 
kann,  ja  selbst  bei  solchen  Krankheiten  Aufschluß  zu  er¬ 
langen,  deren  Erreger  man  nicht  kennt.  Diese  Methode  wurde 
auch  schon  mehrfach  erfolgreich  zum  diagnostischen  Anti- 
korpernachweis  verwendet.  So  von  Kolke  und  Wasser¬ 
mann^)  heim  Meningokokkenserum,  von  Citron^)  bei 
Schweineseuche  und  Schweinepest,  von  Bruck,*")  eljenso 
von  Vannod^)  hei  dem'  Gonokokkenimmunserum,  von 
Leuchs^)  bei  Typhus  und  Paratyphus,  und  wir  selbst^) 
konnten  uns  bei  Cholera  von  deren  Brauchbarkeit  über¬ 
zeugen. 

Nicht  nur  bei  künstlich  erzeugter  Immunität,  sondern 
auch  bei  natürlicher  Infektion  wurde  die  Komplenient- 
bindung  in  Anwendung  gezogen.  So  wiesen  Wassermann 
und  Bruck^)  im  tuberknlösen  Gewebe  Tuberkulin  und  Anti¬ 
tuberkulin  nach,  Bruck®)  konnte  in  einem  Falle  von  Miliar¬ 
tuberkulose  in  verblüffendster  Weise  den  Kampf  der  Tü- 
berkelbazillen  mit  dem  Organismus  im  Reagenzglas  dar¬ 
stellen  und  Eitner^®)  hat  bei  einem  Leprakranken  Lepra¬ 
antikörper  im  Blute  nachgewiesen. 

Das  Hauptergebnis  der  Methode  aber  war  die  Auf¬ 
findung  von  Luessubstanzen  und  Luesgegenkörpern  in  lueti¬ 
schen  Krankheitsprodukten  und  Krankheitsprozessen.  — 
Wassermann  und  B r u c k ^^)  und  ihre  zalilreichen  Mit¬ 
arbeiter  haben  diese  Untersuchung  an  einem  großen  Material 
und  in  exaktester  Weise  durchgeführt.  Das  schon  so  oft 
erörterte  Prinzip  der  Methode  besteht  darin,  daß  das  Lues¬ 
antigen  (Pallidasubstanz),  Avelches  im  Extrakte  luetischen 
Gewebes  vorhanden  ist,  beim  Zusammentreffen  mit  dem 
Luesantikörper  (Blut  von  Luetikern),  nach  dem  Mechanis¬ 
mus  Rezeptor-Ambozeptor,  Komplement  bindet.  Die  Kom¬ 
plementfixation  dokumentiert  sich  dadurch,  daß  mit  Ambo¬ 
zeptor  besetzte  rote  Blutkörperchen  ungelöst  bleiben.  Auf 
diese  Weise  gelingt  es  einerseits,  mit  ‘sicher  luetischem 
Antigen  Luesantikörper,  anderseits  mit  Luesambozeptor 
Luesantigen  nachzuweisen.  Wassermann  und  Bruck  und 
deren  Mitarbeiter  haben  nun  auf  diesem  Wege  alle  Fragen, 
welche  die  Lues  betrafen,  glatt  gelöst,  indent  sie  im  lueti¬ 
schen  Gewebe  un^l  im  Bl  nie  von  frischer  Lues'  Luessub¬ 
stanzen,  im  Blute  älterer  Lues,  ferner  in  der  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  von  Tä])es  und  Paralyse  Luesantikörper 
nachgewiesen  haben,  wodurch  der  Zusammenhang  zwischen 
Lues  und  Tähoparalyse  experimentell  klargelegt  war.  War 
bisher,  wohl  wegen  der  von  Wassermann  und  Bruck 
selbst  betonten  Schwierigkeit  der  Experimente,  eine  Nach¬ 
prüfung  noch  nicht  erfolgt,  so  erschien  dieselbe  in  jüngster 
Zeit  von  berufener  Seite,  indem  Marie  und  Levaditi^®) 
sowohl  die  Experimente  Wassermanns  und  seiner  Mit¬ 
arbeiter,  als  auch  die  Deutung  der  Versuche  vollinhaltlich 
bestätigten. 


*)  Im  Wesentlichen  nach  einem  Vortrage  in  der  Lotossitzung  vom 
4.  März  1907. 


Vom  theoretischen  Standpunkt  lassen  sich  manche  Be¬ 
denken  gegen  die  mit  dieser  Methode  zutage  geförderten 
Entdeckungen  äußern.  So  gelingt  es,  im'  Blute  von  Syphili¬ 
tikern  Luessubstanzen  nachzuweisen.  Wenn  man  bedenkt, 
daß  die  Spirochaete  pallida,  wie  alle  Untersucher  überein¬ 
stimmend  festgestellt  haben,  nur  in  geringster  Menge  im 
Blute  aufzufinden  ist  und  daß  das  Bakterienantigen  in  der 
kürzesten  Zeit,  selbst  wenn  man  es  in  großer  Menge  direkt 
in  die  Blutbahn  injiziert,  aus  dem  Blute  schwindet  (lUiss®®), 
so  müßte  diese^  Methode  mit  einer  ans  P'hantasievolle  gren¬ 
zenden  Feinheit  Spuren  von  Pallidasubstanz  nachweisen. 
In  der  Tat  aber  werden  sel]3St  verhältnismäßig  große  Mengen 
von  Pallidasubstanz  im  .Extrakt  erst  in  der  Extraktverdün¬ 
nung  von  höchstens  0-05  cm^  durch  die  Methode  von 
Wassermann  und  Bruck  nachgewiesen. 

Durch  den  Nachweis  von  Luesantikörperii  in  der  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  wäre  die  Tabes  und  progressive  Paralyse 
eine  direkt  luetische  Erkrankung  geworden.  Das  wechselnde 
Verhalten  des  Antikörpers,  sein  plötzliches  Auftreten,  nach¬ 
dem  er  kurz  vorher  nicht  vorhanden  war,  ließe  darauf 
schließen,  daß  der  syphilitische  Prozeß  in  den  Meningen 
florid  ist,  durch  die  Anwesenheit  der  Spirochaete  pallida 
bedingt;  denn  die  Methode  der  Komplementbindung  zeigt 
nur  Pallidasubstanz  und  -Antikörper  an;  doch  ist  es  nie 
geglückt,  die  Spirochaete  pallida  in  der  Zerebrospinalflüssig¬ 
keit  aufzufinden.  \'om  Gegenteil,’  ob  der  einmal  nachge¬ 
wiesene  Antikörper  wieder  aus  der  Zerebrospinalflüssigkeit 
schwindet,  was  ungemein  interessant  wäre,  erwähnen  Mario 
und  Levaditi  nichts.  Derlei  tlieoretische  Bedenken  sind 
selbstverständlich  bedeutungslos,  wenn  die  angewendete  Me¬ 
thode  einwandfrei  arbeitet,  sie  lassen  es  aber  ratsam  er¬ 
scheinen,  die  Metliode  nicht  mit  dem  Enthusiasmus  auf- 
zunehnien,  wie  es  z.  B.  Bah  tut.  Dieser  Autor  hat  nämlich 
eine  Anzahl  von  syphilitischen  Organen  auf  Spirochaete 
pallida  untersucht  und  dabei  festgestellt,  daß  der  Spiro¬ 
chätenreichtum  parallel  ging  mit  dem  Ausfall  der  biologi¬ 
schen  Reaktion.  Diese  von  dem  genannten  Autor  selbst  so  oft 
zitierten  Versuche  machen  für  ihn  die  Ergebnisse  der  Re-  . 
aktion  zu  einer  über  jede  Hypothese  stehenden  Tatsache. 
Bab  darf  jedoch  nicht  vergessen,  daß  er  die  Spirochäten 
in  Schnitten  nachweist,  während  zum!  Extrakt  ganze  Organ¬ 
stücke  verwendet  werden,  daß,  wie  Blaschko'^®)  gezeigt 
hat,  die  Spirochäte  im  Gewebe  sehr  ungleich  verteilt  ist. 
Es  kann  also  durch  Schnittuntersuchung  unmöglich  auf  den 
Spirochätenreichtum  des  ganzen  Organes  geschlossen 
werden.  Derartige  Zufälligkeiten  spielen  ebenso  wie  der 
Ausdruck  der  persönlichen  Ueberzeugung  nur  eine  unter¬ 
geordnete  Rolle.  Jedenfalls  aber  geht  aus  Bab  s'  Publika^ 
tion*)  hervor,  daß  er  vom  Mechanismus  der  Komplement¬ 
bindungsmethode  nur  unklare  und  unrichtige  Vorstellungen 
hat,  daß  er  sicher  nie  der  Ausführung  eines  derartigen  Ver¬ 
suches  beigewohnt  hat.  Es  ist  interessant,  darauf  hinzu¬ 
weisen,  wie  vorsichtig  Wassermann,  der  Entdecker  der 
Methode,  diese  Verhältnisse  beurteilt. 

Ein  Einwand  gegenüber  der  Komplementfixations¬ 
methode  hei  Anwendung  auf  natürliche  Infektionen  ist  nur 
von  Weil  und  Nakayama-*^)  erfolgt,  welche  gezeigt  haben, 
daß  Wassermann  und  Bruck  beim  Antituberkulinnach- 
wejs  im  tuberkulösen  Gewebe  durch  einen  SLmmiierungs- 
effekt  getäuscht  wurden.  Obgleich  wir  in  dieser  Publikation 
an  zwei  Stellen  betont  haben,  daß  die  spezifische  Kom¬ 
plementbindung  davon  nicht  berührt  werde,  daß  sich  unser 
Einwand  nur  auf  den  Antituberkulingehalt  im  Gewebe  be¬ 
ziehe,  was  wir  auch  experimentell  bewiesen  haben,  so 
halten  uns  Wassermann  und  Bruck  und  deren  Mit¬ 
arbeiter  trotz  des  neuerlichen  Hinweises  darauf  immer 
wieder  vor,  daß  wir  jede  Komplementbildung  als  Suiimhe- 
rung  auffassen.  Auch  in  der  Luesarbeit  weisen  uns  die 
Autoren  nach,  daß  eine  Summierung  nicht  in  Frage  kommen 
könne,  da  weder  0-5  des  Serums,  noch  0-5  Exti’akt,  wohl 
aber  die  Kombination  von  OT  Serum  +  OT  Extrakt  henmien. 


*)  Münchener  med.  Wochenschrift  1907,  Nr.  7, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


Damit  ist  selbstverständlicli  der  Einwaiid  der  Summierung 
ausgeschaltet.  Nicht  recht  klar  ist  uns  aber,  weshalb  der 
normale  Extrakt,  der  doch  erst  in  der  Dosis  von  0-4  hemmt, 
ehentalls  in  der  Menge  von  0-1  angewendet  wurde.  Eine 
Hemmung  darf  ja  nicht  eintreten,  selbst  wenn  0-5  luetisches 
Serum  und  0-3  normaler  Extrakt  aufeinander  einwirken, 
da  eine  Bindung  nicht  stattfinden  könne  und  eine  Sum¬ 
mierung  ausgeschlossen  sei.  Dieser  Umstand,  der  uns  un¬ 
verständlich  schien,  bot  uns  die  Veranlassung,  diesen  Gegen¬ 
stand  zu  untersuchen. 

Marie  und  Levaditi  erwähnen  nämlich  in  ihrer 
Arbeit,  daß  auch  der  normale  Extrakt  mit  der  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  von  Paralylikern,  ohne  allein  Komplement 
zu  absorbieren,  konstant  Komplement  bindet,  wenn, er  in 
höherer  Konzentration  als  der  luetische  Extrakt  angewendet 
wird.  Dies  ist  vom  Standpunkt  der  Komplementfixations- 
theorie  vollkommen  unverständlich.  Es  ist  möglich,  daß 
ein  luetischer  Extrakt  mit  normalem  Sernm  Komplement 
bindet,  da  ja  im  Blute  normale  Antikörper  auch  gegen  Lues 
vorhanden  sein  können,  nicht  möglich  aber  ist  ein 
normalerweise  vorhandenes  Luesantigen  in 
normalen  Organen. 

Man  muß,  um  sich  diese  Verhältnisse  verständlich  zu 
machen,  folgendes  in  Erwägung  ziehen.  Benützt  man  als 
Antigen  den  Extrakt  einer  Bakterienkultur,  so  hat  man  im 
Extrakt  nur  gelöste  Bakterienbestandteile  und  kann  damit 
auf  den  Antikörper  untersuchen.  Bei  der  Anwendung  der 
Methode  auf  Lues  aber  besitzt  der  Antigenextrakt  außer 
der  Pallidasubstanz  auch  gelöste  Bestandteile  der  Gewebe. 
Daß  diese  Gewebsbestandteile  in  die  Reaktion  eingreifen, 
ist  durch  die  Angaben  von  Marie  und  Levaditi  am  Ex¬ 
trakt  der  normalen  Leber  erwiesen.  Die  gelösten  Bestand¬ 
teile  des  Gewebes  können  allerdings  vollständig  vernach¬ 
lässigt  Averden,  wenn  man  die  Vorstellung  teilt,  welche 
Wassermann  betreffs  des  Mechanismus  der  Komplement¬ 
bindung  hegt.  Nach  derselben  finden  sich  iin  Extrakte  die 
Rezeptoren  der  Spirocbaete  pallida,  im  Blute  die  Lues- 
anibozeptoren,  w^elche  nach  ihrer  Verbindung  mit  dem 
ersteren  Komplement  verankern.  Die  übrigen  im  Extrakt 
vorhandenen  Substanzen  greifen  nicht  in  die  Reaktion  ein 
und  können,  wenn  sie  sich  nicht  durch  ihre  an  sich  hemmende 
Wirkung  störend  gelten  machen,  ganz  außer  acht  gelassen 
werden.  Daß  aber  der  Mechanismus,  dem  diese  Vorstellung 
zugrunde  liegt,  gar  nicht  existiert,  haben  wir  schon  sehr 
oft  hervorgehoben,  indem  wir  in  früheren  Arbeiten  zeigen 
konnten,  daß  bei  der  Komplementbindung  ein  Ambozeptor 
gar  nicht  im  Spiele  ist.  Die  Komplementbindung  kann  stets 
eintreten,  wenn  die  Bedingungen  zur  Präzipitation,  die  gar 
nicht  sichtbar  aufzutreten  braucht  (Friedh er ger),  ge¬ 
geben  sind.*)  Wenn  wir  diese  Anschauung  auf  den  vor¬ 
liegenden  Gegenstand  übertragen,  so  geht  daraus  hervor, 
daß  im  luetischen  Extrakte  und  Serum  die  Bedingungen 
zur  Präzipitation  vorhanden  sein  müssen,  welche  selbst¬ 
verständlich  durch  die  Pallidasubstanz  und  Pallidaantikörper 
bedingt,  spezifischer  Natur  sein  können.  Es  kann  aber  auch 
eine  Eiweißpräzipitation  vorliegen,  wobei  Zellsuhstanzen  aus 
dem  Extrakte  und  Serumeiweiß  aufeinander  einwirken. 
Durch  die  Versuche  von  PohU^)  über  Organeiweiß  und 
Centanni^®)  über  Autozytopräzipitine,  wobei  nachge¬ 
wiesen  wmrde,  daß  auch  hier  Komplement bindung  eintritt, 
sind  diese  Verhältnisse  unserem  Verständnisse  näher  ge¬ 
rückt.  Durch  die  Untersuchungen  von  Hoke^^)  wissen  wir, 
daß  die  verschiedensten  normalen  Seren  Bakterienpräzipi¬ 
tine  besitzen,  welche  man  nur  dann  sichtbar  machen  kann, 
wenn  man  über  einen  stark  konzentrierten  Antigenexfrakt 
verfüg!.  Hier  können  ähnliche  Verhältnisse  vorliegen,  in¬ 
dem  nach  den  Versuchen  von  Marie  und  Levaditi  die 
quantitativ  stärkere  Reaktion  der  luetischen  Leber  auf  eine 

*)  Es  ist  nicht  recht  zu  verstehen,  warum  More  sc  hi  diese  von 
ihm  vertretene  Anschauung  infolge  negativer  Versuche  mit  Vogelpräzipilin 
widerruft.  Letztere  Versuche  beweisen  unserer  Anschauung  nach  nur, 
daß  diese  Verhältnisse  für  Vogelpräzipitin  ausnahmsweise  keine  Gültig¬ 
keit  haben. 


stärkere  Konzentration  des  Zellextraktes  derselben  zurück¬ 
geführt  werden  könnte.  Die  histologisch  oft  ganz  bedeu¬ 
tende  Differenz  zwischen  luetischer  und  normaler  Leber, 
ferner  die  gewissermaßen  natürliche  Extraktion  in  der 
eigenen  Gewebsflüssigkeit,  wenn  es  sich  um  eine  mazerierte 
Leber  handelt,  bringen  diesen  Gedanken  nahe.  Es  müßte 
also  nach  unserer  Vorstellungsweise  gelingen,  aus  nicht 
luetischen  Geweben,  welche  eine  stärkere  Extraktions¬ 
möglichkeit  gestatteten,  Stoffe  zu  extrahieren,  welche  mit 
luetischen  Seren  die  Reaktion  von  Wassermann  und 
Bruck  mit  allen  ihren  Eigentümlichkeiten  und  denselben 
quantitativen  Verhältnissen  geben. 

Wir  stellten  uns  Tiimorextrakte  auf  die  Weise  her, 
daß  wir  zu  1  g  Gewebsmasse  5  cm^  Kochsalzlösung  yon 
V2%  Phenolgehalt  zusetzten,  hierauf  im  Mörser  zerquetsch¬ 
ten,  24  Stunden  hei  Zimmertemperatur  mit  .Porzellan¬ 
kügelchen  schüttelten  und  dann  vollkommen  klar  zentrifu¬ 
gierten.  Extrakt  I  is'ijammte  von  einer  exstirpierten  Mamma¬ 
geschwulst,  die  nach  der  histologischen  Untersuchung  das 
Bild  eines  Mixofibroisarkoms  bot;  das  zur  Extraktion  ver¬ 
wendete  Stück  hatte  derbe  Konsistenz  und  wies  nirgends 
schleimige  Erweichung  auf.  Extrakt  11  stammte  von  der 
Drüsenmetastase  eines  Rundzellensarkoms*)  der  Niere. 
Extrakt  1  war  Wasserfarben,  Extrakt  11  war  leicht  gelb  ge¬ 
färbt.  Es  wurde  außerdem  ein  Extrakt  aus  Eiterkörperchen 
und  aus  einem  Mammazirrhus  hergestellt.  Ersterer  war  aus 
dem  Grunde  unbrauchbar,  weil  er  in  der  Dosis  0-2  allein 
die  Hämolyse  verhinderte  und  letzterer  wurde  wegen  seines 
trotz  klaren  Zentrifugierens  milchigen  Aussehens  nicht  ver¬ 
wendet.  Die  Blutseren  stammten  von  neun  syphilitischen 
Personen  (acht  sekundär,  eine  gummös),  für  deren  bereit¬ 
willige  Ueherlassung  ich  Herrn  Prof.  Kreibich  sehr  ver¬ 
bunden  bin.  Dieselben  wurden,  sowohl  vor  als  auch  nach 
der  Qnecksilberbehandlung  untersucht  und  zeigten  nach  der 
Richtung  hin  keine  Differenz.  Von  der  Inaktivierung  der 
Seren  wurde,  da  dieselben  erst  am  vierten  bis  fünften  Tage 
nach  der  Entnahme  zum  Versuch  verwendet  wurden  und 
keinen  Komplementgehalt  mehr  aufwiesen,  abgesehen.  Als 
hämolytischer  Ambozeptor  diente  Kaninchenserum,  das  in 
der  Dosis  0  004  Icm^  ö^/oiger  Rinderblutaufschwemmung  mit 
0  04  Meerschweinchenserum  in  einer  Stunde  komplett  löste, 
wobei  aber  in  unseren  Versuchen  OT  Komplement  ange¬ 
wendet  wurde.  Das  übrige  ist  aus  den  Versuchsprotokollen 
zu  ersehen.  Der  erste  Versuch,  nach  dessen  Schema  die 
übrigen  ausgeführt  wurden,  ist  ausführlicher  dargestellt. 

Versuch  I. 


Extrakt 

I 

Serum 

I 

Komp], 

1:10 

cm^ 

Amboz. 

Rindor¬ 
blut  ö"/,' 
cm^ 

Nach  2  stunden  37" 
und  18  Stunden  Eis 

Bemerkungen 

0-5 

— 

1 

0  01 

1 

fast  komplett 

nach  2  Stund. 

0-03 

— 

1 

O 

I> 

001 

1 

komplett 

’L  * 

0-1 

— 

1 

CO 

0-01 

1 

» 

'h  * 

— 

05 

1 

oi 

001 

1 

y> 

Vi  * 

— 

025 

1 

D 

001 

1 

» 

- 

— 

01 

1 

•TD 

c 

001 

1 

y> 

'h  '  ^ 

0-1 

01 

1 

:3 

001 

1 

vollst.  Hemmung 

01 

0-2 

1 

Cfl 

001 

1 

fastvollst  Hmmg. 

0-2 

0-3 

1 

tH 

001 

1 

vollst.  Hemmung 

— 

— 

1 

001 

1 

komplett 

’h  - 

Versuch  II. 


Extrakt 

I 

Serum 

II 

Nach  2  Stunden  37®  und 
18  Stunden  Eis 

Bemerkungen 

04 

— 

komplett 

nach 

2  Stunden 

0-25 

— 

> 

V2  Stunde 

01 

— 

Vz  » 

— 

0-5 

vollst.  Hemmung 

— 

0-25 

Hemmung 

— 

0-1 

komplett 

1 

01 

01 

> 

0-2 

0-2 

Hemmung 

02 

0-3 

vollst.  Hemmung 

Kontrolle 

komplett 

V2  - 

*)  Die  histologische  Untersuchung  beider  Tumoren  wurde  im 
hiesigen  patholog. -anatom.  Institut  vorgenommen. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


529 


Versuch  HI. 


Extrakt 

I 

Serum 

III 

Luesgummos. 

Nach  2  Stunden  37®  und 
18  Stunden  Eis 

Bemerkungen 

0-5 

— 

fast  komplett 

nach  2  Stunden 

0-25 

— 

komplett 

01 

— 

> 

— 

0-5 

> 

»  1  Stunde 

— 

0-25 

— 

01 

01 

01 

fast  vollst.  Hemmung 

0-2 

0-2 

»  >  » 

0-2 

0-3 

S>  »  » 

Kontrolle 

komplett 
Versuch  IV. 

»  45  Minuten 

Extrakt 

Serum 

Nach  2  Stunden  37®  und 

Bemerkungen 

I 

IV 

18  Stunden  Eis 

0-3 

f 

fast  komplett 

] 

0-2 

— 

komplett 

1  nach  1  Stunde 

01 

— 

— 

0-5 

vollst.  Hemmung 

■ - - 

02 

. 

— 

01 

01 

01 

01 

005 

005 

005 

Koni 

rolle 

komplett 
Versuch  V. 

»  45  Minuten 

Extrakt 

Serum 

Nach  2  Stunden  37®  und 

Bemerkungen 

I 

V 

18  Stunden  Eis 

0-3 

— 

fast  komplett 

] 

02 

— 

komplett 

>  nach  1  Stunde 

0-1 

— 

1 

— 

0-5 

] 

— 

02 

j  *  Va 

— 

01 

005 

0  05 

vollst.  Hemmung 

01 

005 

y> 

01 

01 

Kontrolle 

komplett 
\rersuch  VI. 

»  45  Minuten 

Extrakt 

Serum 

Nach  2  Stunden  37®  und 

Bemerkungen 

H 

VI 

18  Stunden  Eis 

0-3 

— 

komplett 

) 

0-2 

— 

>  nach  1  Stunde 

01 

— 

» 

1 

— 

0-3 

vollst.  Hemmung 

— 

0-2 

>  > 

01 

005 

0-1 

01 

»  T> 

0-2 

02 

»  » 

Kontrolle 

komplett 

Versuch  VII. 

>  45  Minuten 

Extrakt 

Serum 

Nach  2  Stunden  37®  und 

Bemerkungen 

H 

VH 

18  Stunden  Eis 

0-3 

— 

komplett 

] 

0-2 

— 

>  nach  1  Stunde 

01 

— 

1 

_ 

0-3 

> 

] 

— 

0-2 

> 

f  *  Vg  ® 

— 

01 

> 

1 

Oü 

005 

vollst.  Hemmung 

01 

01 

02 

02 

>  y> 

Kon 

rolle 

komplett 
/^ersuch  VHI. 

»  45  Minuten 

Extrakt 

Serum 

Nach  2  Stunden  37®  und 

Bemerkungen 

11 

VHI 

18  Stunden  Eis 

0-3 

— 

komplett 

] 

0-2 

— 

>  nach  1  Stunde 

01 

— 

» 

j 

— - 

0-3 

0-2 

geringe  Hemmung 

1  bis  2  Stunden 

_ 

01 

(starke  Hemmung 

01 

0-05 

vollst.  » 

01 

01 

»  » 

02 

0-2 

Kont 

rolle 

komplett 

nach  1  Stunde 

Versuch  IX. 


Extrakt 

H 


Serum 

V 


Nach  2  Stunden  37®  und 
18  Stunden  Eis 


Bemerkungen 


0-3 

0-1 


0-05 

01 


0-5 
0-2 
OT 
0  05 
01 


Kontrolle 


komplett 

» 

vollst.  Hemmung 
komplett 


nach  1  Stunde 
»  2  Stunden 

»  1  Stunde 

•»  *45  Minuten 


Versuch  X. 


Extrakt 

II 

Serum 

IX 

Serum  IX 
V4Std.75" 

Nach  2  Stunden  37®  und 
18  Stunden  Eis 

Bemerkungen 

0-3 

— 

— 

komplett 

1 

0-2 

- - 

— 

nach  1  Stunde 

01 

— 

— 

y> 

) 

0-1 

0  025 

. — 

fast  vollst.  Hemmung 

0-1 

0-05 

— 

vollst.  Hemmung 

01 

01 

— 

»  » 

01 

— 

005 

komplett 

l  »  1  » 

01 

— 

0-1 

^  »  1  » 

Kontrol 

e 

»  45  Minuten 

Uebersichtstabelle. 


Versuch 

Nr. 

Extrakt 

I 

Extrakt 

II 

Nr.  des 
Serum 

Lueti¬ 

sches 

Serum 

Resultat 

Bemerkungen 

1 

01 

_ 

1 

01 

“1 — 1 — h 

Lues  secund. 

2 

0-1 

— 

2 

01 

3 

0  1 

— 

3 

01 

+  ä — h 

»  gumm. 

4 

— 

— 

4 

— 

Hemmung  des 
Serums  allein 

»  secund. 

5 

0-05 

— 

5 

005 

^ — 1 — b 

Reinfektion 

6 

— 

— 

6 

— 

Hemmung  des 
Serums  allein 

Lues  secund. 

7 

— 

0-1 

7 

0-05 

ä — 1 — h 

8 

0-1 

8 

0-05 

-j-Geringe  Hemmung 

des  Serums  allein 

9 

— 

005 

5 

0-05 

“b  “b  “h 

Reinfektion 

10 

— 

0-1 

9 

0025 

+  +  + 

Lues  secund. 

Bevor  wir  die  Versuche  selbst  besprechen,  müssen 
wir  zunächst  darauf  hinweisen,  daß  alle  jene  Vorsichts¬ 
maßregeln,  welche  Wassermann  und  Bruck  und  deren 
Mitarbeiter  angeben,  genau  einzuhalten  sind.  Wir  können 
jede  dieser  Angaben  vollkommen  bestätigen.  Vor  allem  ist 
es  unbedingt  notwendig,  daß  der  Extrakt  absolut  klar  ist. 
Man  kann  sich  im  Laufe  des  Zentrifugierens  davon  über¬ 
zeugen,  daß  die  an  sich  hemmende  Wirkung  des  Extraktes 
mit  der  Klärung  desselben  abnimmt.  Das  ist  selbstverständ¬ 
lich  die  Hauptsache,  denn  nur  solche  Extrakte,  welche  allein 
nicht  hemmen,  sind  brauchbar.  Wir  sahen  ebenso  wie 
Wassermann  die  Extrakte  nach  fünf  bis  sechs  Tagen 
wegen  Hemmung  unbrauchbar  werden,  obzwar  sie  voll¬ 
kommen  klar  blieben.  Wir  sahen  ferner,  daß  ein  Teil  der 
Versuche  wegen  Hemmung  der  Seren  allein  ausgeschaltet 
werden  mußte.  Wir  entnehmen  daraus,  daß  die  Versuchs¬ 
launen  ziemlich  bedeutend  sind.  Wirken  jedoch  weder  Ex¬ 
trakt  noch  Serum  allein  hemmend,  sO'  sind  Unregelmäßig¬ 
keiten  innerhalb  eines  Versuches  nicht  zu  bemerken,  so  daß, 
wie  aus  unseren  Versuchen  hervorgeht,  vollkommen  ein¬ 
deutige  Resultate  zu  erzielen  sind. 

Daraus  geht  hervor,  daß  es  gelingt,  mit  Extrakten 
aus  Tumoren  und  Seren  von  Luetikern  genau  dieselben 
Reaktionen  zu  erzielen,  die  Wassermann  und  Bruck 
mit  dem  Extrakte  aus  luetischem  Gewebe  erzielt  haben. 
Während  die  genannten  Autoren  hiedurch  die  volle  Berech¬ 
tigung  hatten,  auf  Luesantikörper  zu  schließen,  kann  selbst¬ 
verständlich  in  unserer  Versuchsanordnung  vom  Nachweis 
von  Luesantikörpern  keine  Rede  sein,  da  wir  von  vornherein 
auf  syphilitisclies  Antigen  verzichtet  haben.  Die  beiden 
Personen,  von  denen  die  Tumoren  stammten,  hatten  Lues 


Nr.  18 


üdU 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


nie  durchgeiiiaclil.  Die  ciuaiititativeii  Verhältnisse  sind  in 
unseren  ^  ersuchen  genau  dieselben,  wie  hei  den  genannten 
Autoren.  Wir  haben  stets  durch  20  Stunden  beO'])achtet 
und  haben  fast  nur  vollkoininene  Behinderung  der  Hämo¬ 
lyse  gesehen.  Die  Beohachtungszeit  nur  auf  eine  halbe  bis 
eine  Stunde  auszudehnen,  wie  cs  Marie  und  Levaditi 
tun,  halten  wir  für  fehlerhaft,  da  nacdi  dieser  Zeit  das 
Endresultat  noch  nicht  erreicht  ist.  Daß  es  sich  hei  unseren 
Versuchen  um  denselben  Vorgang  handelt  wie  bei  Wasser¬ 
mann  und  seinen  Mitarbeitern  hei  der  Beaktion  auf  Lues- 
antikürper,  habeji  wir  damit  bewiesen,  daß  che  Erhitzung 
des  Serums  die  Beaktion  verhindert  (Versuch  X),  wodurch 
Wassermann  und  Bruck  auf  die  Spezifität  der  'Reak¬ 
tion,  Älarie  und  Levaditi  auf  die  Zerstörung  des  lueti¬ 
schen  Antikörpers  schließen.  Seiimi  5  haben  wir  mit  zwei 
verschiedenen  Extrakten  mit  demselben  positiven  Resultat 
untersucht  (Versuch  V  und  IX).  Wir  hatten  eigentlich  nur 
ein  negatives  Resultat  (Versuch  II),  die  übrigen  müssen, 
wie  aus  den  Versuchen  hervorgeht,  ausgeschaltet  v^erden. 
Die  positiven  Resultate  sind  perzentuell  höher  als  die  von 
Wassermann  und  Bruck  und  deren  Mitarbeitern  er¬ 
zielten  Ergebnisse. 

Es  ist  klar,  daß  wir  mit  dieser  Methode  im  Blute  von 
Luetikern  nicht  spezifisch  syphilitische  Reaktionsprodukte 
nachgewiesen  haben,  sicher  aber  ist,  daß  wir  mit  Tumor¬ 
extrakten  und  Luesblut  eine  Reaktion  erzielt  haben,  welche 
nach  Art  eines  Bindungsvorganges  Komplement  verbraucht. 
Es  fiel  nicht  in  den  Rahmen  unserer  Versuche,  diese  Ver¬ 
hältnisse  auch  für  normale  Seren  zu  untersuchen.  Immer¬ 
hin  wäre  aber  denkbar,  daß  sich  dieselben  anders  verhielten ; 
wir  wissen  ja,  daß  das  Blut  bei  gewissen  Krankheiten 
biologische  Eigentümlichkeiten  aufweist;  so  zeigt  das  Blut 
bei  Phosphorvergiftung  Komplementschwund  und  wirkt  bei 
Urämie  komplement bindend.  Aehnliche  Verhältnisse  könnten 
auch  bei  Lues  vorliegen.  Es  ist  aber,  wie  aus  den  Versuchen 
von  Ranzi^^)  hervorgeht,  wahrscheinlich,  daß  auch  nor¬ 
male  Seren  dieselbe  Reaktion  geben.  Dieser  Autor  hat 
nämlich  gebmden,  dab  Tumorextrakte,  welche  an  sich  nicht 
hemmen,  mit  nicht  hemmenden  normalen  Seren  zusammen 
totale  Komplementablenkung  zeigen  u.  zw.  in  sehr  hohen 
V  erdünnungen.  Diese  für  unsere  Anschauung  ungemein 
wichtige  Tatsache  zeigt,  daß  Ranzi  bereits  vor  uns,  ohne 
jedoch  dieselben  Konsequenzen  zu  ziehen,  das,  was  wir  für 
luetische  Seren  gezeigt  haben,  bei  normalen  Seren  be¬ 
schrieben  hat. 

Wassermann  und  Bruck  und  deren  Mitarbeiter 
führen  als  Beweis  für  die  Spezifität  des  Vorganges  den 
Umstand  an,  daß  Extrakte,  welche  gekocht  sind,  die  Fähig¬ 
keit  verlieren,  mit  luetischen  Seren  Komplement  zu  binden. 
Neisser  und  Sachs ^^)  haben  nämlich  gezeigt,  daß  man 
auf  diese  Weise  bei  Eiweißpräzipitation  die  spezifischen 
Antigene  zerstören  kann,  während  nicht  spezifische,  hem¬ 
mende  Stoffe  kochbeständig  sind.  Nun  halten  wir  aber  diesen 
Versuch  von  W' as  s  er  mann  und  seinen  Mitarbeitern  für 
einen  sehr  unglücklichen,  denn  die  Zerstörbarkeit  durch 
Kochen  bezieht  sich  nur  auf  Ge  websei  weiß  und  nicht  auf 
Bakterienantigen.  AVassermanii  und  Bruck  dürfen  nicht 
vergessen,  daß  sie  auch  mit  Alt-Tüberkuliii,  welches  ja  über 
der  Flamme  hergestellt  wird,  spezifische  Henunung  nach¬ 
wiesen  und  wir  konnten  in  früheren  zahlreichen  Versuchen 
uns  davon  überzeugen,  daß  Bakterienextrakte  durch  Kochen 
ihre  spezifische  Bindungsfähigkeit  nicht  verlieren.  Da 
jedoch  im  luetischen  Extrakte  die  wirksame  Substanz  die 
Bakteriensubstanz  der  Spirochaete  pallida  sein  soll,  so  sollte 
dieselbe  kochbeständig  sein,  was  viel  beweisender  wäre. 
Wdr  können  allerdings  nicht  behaupten,  ob  sich  die  Spiro- 
{‘haele  pallida  nach  der  Richtung  nicht  anders  verhält,  als 
die  übrigen  Bakterien,  wir  können  aber  beweisen,  daß  Ge- 
websstoffe  dasselbe  Verhalten  zeigen,  welches  Wasser¬ 
mann  und  seine  Mitarbeiter  für  die  Spirochaete  pallida  an¬ 
geben.  W'ir  geben  hier  einen  derart  angestellten  Versuch 
wieder.  ( 


Typ  Ims¬ 
extrakt 

Typhus- 

Immunser. 

Komplem. 
l ;  10 
cm’’ 

Amboz. 

Rinderblut 
57o  , 
cm^ 

2  Stunden  bei  37" 

005 

001 

1 

© 

CO 

001 

1 

vollst.  Hemmung 

001 

001 

1 

"S 

001 

1 

starke  > 

0005 

001 

1 

001 

1 

Hemmung 

0  001 

0  01 

1 

001 

1 

komplett 

005 

.  — 

1 

001 

1 

— 

— 

1 

do 

•r^ 

001 

1 

Typhusextr. 

Typhus- 

Imraunser. 

Komplem. 

Amboz. 

Rinderblut 

15  Minuten 
auf  100" 

1 :  10 
cm3 

5"/„  cm3 

2  stunden  bei  37" 

005 

001 

1 

O 

CO 

0-01 

1 

vollst.  Hemmung 

0  01 

0-01 

1 

43 

0-01 

1 

starke  » 

0005 

001 

1 

ns 

0-01 

1 

Hemmung 

0-001 

0-01 

1 

5 

0  01 

1  , 

komplett 

0  05 

— 

1 

~äo 

0-01 

1 

> 

Cholera- 

extrakt 

Cholera- 

Immunser. 

Komplem. 

1:10 

cm3 

Amboz. 

Rinderblut 

5"/„ 

cm3 

2  Stunden  bei  37" 

0-05 

001 

1 

O 

O 

CO 

0-01 

1 

vollst.  Hemmung 

001 

0-01 

1 

‘5 

0-01 

1 

0005 

0-0 1 

1 

43 

0-01 

1 

starke  » 

0-001 

0-01 

1 

0-01 

1 

Hemmung 

005 

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15  Minuten 
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Diese  Versuche,  welche  die  Kochbeständigkeit  der 
bakteriellen  Extrakte  und  das  gegenteilige  Verhalten  der 
nicht  bakteriellen  präzipitablen  Substanzen  zeigen,  legen 
sehr  den  Gedanken  nahe,  daß  die  wirksame  Substanz  im 
luetischen  Extrakte  nicht  die  Pallidasubstanz  ist,  sondern 
extrahiertes  Zelleiweiß  oder  andere  Gewebsstoffe,  welche 
durch  Kochen  nicht  nur  die  Fähigkeit,  präzipitiert  zu  werden, 
sondern  auch  die  Eigenschaft  der  Komplementbindung  ver¬ 
lieren. 

Wir  konnten  nun,  wenn  wir  das  Resultat  unserer  Ver¬ 
suche  zusammenfassen,  erweisen,  daß  Extrakte  aus  Tumoren 
mit  dem  Blute  von  Luetikern  Komplementablenkung  in  genau 
derselben  Weise  zeigen,  wie  es  Wassermann  und 
Bruck  und  deren  Mitarbeiter  bei  der  Reaktion  auf  Lues¬ 
antikörper  beschrieben  haben.  Nach  unseren  Versuchen 
kommt  die  Komplementbindung  dadurch  zustande,  daß  ge¬ 
löste  Gewebsstoffe  mit  dem  Blutserum  zusammen  eine  Re¬ 
aktion  geben,  welche  nach  Art  eines  Präzipitationsvorganges 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Küiiiploliient  absorbiert.  Es  ist  nach  diesen  Versuchen  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen,  daß  die  Reaktion  auf  Luesanti- 
körper  möglicherweise  ebenfalls  nur  eine  Reaktion  auf  ge¬ 
löste  Gewebsbesiandteile  ist.  Daß  diese  bei  dem  Luesanti¬ 
körpernachweis  eine  Rolle  spielen,  haben  Marie  und  Leva- 
diti  gezeigt,  welche  mit  normalem  Gewebe  in  allerdings 
höherer  Konzentration  dieselben  Resultate  erzielt  haben. 
Diese  quantitativen  Differenzen  können  darin  ihreii  Grund 
haben,  daß  im  norniaien  Gewebe  die  reaktionsfähigen  Sub¬ 
stanzen  in  zu  geringer  Konzentration  vorhanden  sind.  Daß 
normales  Serum  und  normale  Zerebrospinalflüssigkeit  bei  der 
Reaktion  versagen,  kann  darin  liegen,  daß  diese  Flüssigkeiten 
bei  Luetikern,  wo  sie  unter  dem  Einfluß  eines  entzündlichen 
Prozesses  stehen,  wie  insbesondere  bei  der  Paralyse,  eine 
ganz  andere  Reschaffenheit  haben  als  im  normalen  Zustand. 
Ferner  spricht  der  Umstand,  daß  sich  die  Extrakte  durch 
Kochen  inaktivieren  lassen,  sehr  zugunsten  der  Auffassung, 
.daß  die  aktive  Substanz  nicht  von  der  Spiroehaete  pallida, 
sondern  von  den  Zellen  des  Gewebes*)  stammt.  Wir 
möchten  hervorheben,  daß  sicli  unsere  Untersuchung  nur 
auf  das  Blut  vom  luetischen  Menschen  bezieht,  daß  uns 
die  jdelegenheit  fehlte,  den  Antikörpergehalt  von  künstlich 
infizierten  Affen  zu  untersuchen,  wobei  andere  Verhältnisse 
vorliegen  können. 

Wir  wollen  nicht  mit  voller  Bestimmtheit  die  Möglich¬ 
keit  verneinen,  daß  Wassermann  und  Bruck  und  deren 
Mitarbeiter  mit  ihrer  Methode,  den  Luesantikörper  im  Blute 
von  Luetikern  nachgewieseii  zu  haben.  Wir  halten  uns  aber 
auf  Grund  unserer  Versuche  berechtigt,  solange  daran  zu 
zweifeln,  bis  uns  die  genannten  Autoren  eine  befriedigende 
Erklärung  unserer  Experimente  gegeben  haben.  Da  nach 
diesen  die  Komplementbindung  eine  Reaktion  auf  gelöste 
Zellbestandteile  ist  und  diese  sich  auch  in  den  Extrakten 
von  Wassermann  und  Bruck  vorfinden  und  in  die 
Reaktion  eingreifen,  so  muß  es  den  genannten  Autoren  ge¬ 
lingen,  nach  Ausschaltung  derselben  eine  positive  Reaktion 
zu  erzielen.  Sollte  dies  gelingen,  dann  ist  alle  Wahrschein¬ 
lichkeit  vorhanden,  daß  es  sich  um  eine  Reaktion  auf  den 
Lueserreger  und  dessen  Gegenkörper  handelt.  Auch  dann 
haben  unsere  Experimente,  welche  jetzt  den  Luesantikörper¬ 
nachweis  anzweifeln,  dazu  beigetragen,  die  Basis  dieser 
für  die  Praxis  so  ungemein  wichtigen  Reaktion  zu  festigen. 

Literatur: 

')  Wassermann  und  Bruck,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1906, 
Nr.  12.  —  h  Leuchs,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1907,  Nr.  3  und  4  — 
h  Moreschi,  Berliner  kliu.  Wochenschrift  1906,  Nr.  38.  —  ")  Kolle 
und  Wassermann.  —  Citron,  Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  52,  Nr.  2. 
—  ®)  Bruck,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1906,  S.  1368.  —  ^Vannod, 
Deutsche  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  49.  —  ®)  Weil,  Zentralblatt  für 
Bakteriolog.,  Bd.  43,  H.  2.  —  Bruck.  —  Eitner,  Wiener  klin. 
Wochenschrift  1906,  Nr.  51.  —  Wassermann,  Neisser,  Bruck 
und  Schuch t,  Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  55,  H.  3.  —  Marie  und 
Levaditi,  Annales  de  ITnstit.  Past.,  Bd.  21,  Nr.  2.  —  Blaschko, 
Berliner  klin.  Wochenschrift  1937,  Nr.  12.  —  ’*)  Weit  und  Nakayama, 
Münchener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  21  und  1907,  Nr.  6.  — 
Pohl,  Hofmeisters  Beiträge  1906,  Bd.  7.  —  Centanni,  Zentral¬ 
blatt  für  Bakteriolog.,  Bd.  43,  H.  5  und  6.  —  Hoke,  Wiener  klin. 

Wochenschrift  1907,  Nr.  12.  —  Ranzi,  Wiener  klin.  Wohhenschrift 
1906,  Nr.  51.  —  'ß  Neisser  und  Sachs,  Berliner  klin.  Wochen¬ 
schrift  1906,  Nr.  3.  —  R  u  s  s,  Zentralblatt  für  Bakteriologie,  Bd.  43. 


Aus  der  gynäkologischen  Poliklinik  der  königl.  Charitö 
zu  Berlin.  (Direktor :  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  E.  Bumm.) 

Die  Heißluftbehandlung  in  der  Gynäkologie. 

Von  Dr.  Oskar  Haseiifeldj  Franzensbad,  zurzeit  Volontärassistent  der 

Klinik. 

In  neuerer  Zeit  kehrt  man  wie  in  der  gesamten  The¬ 
rapie,  so  auch  in  der  Gynäkologie  mehr  und  mehr  zu  einer 
konservativen  Behandlung  zurück.  Ein  recht  nützliches  und 
wegen  seiner  Wichtigkeit  nicht  zu  unterschätzendes  Hilfs- 

*j  Wir  möchten  bei  der  Gelegenheit  darauf  hinweisen,  daß 
Wassermann,  um  das  Luesantigen  im  Blute  nachzuweisen,  nicht  das 
Serum  benützen  kann,  sondern  einen  Extrakt  aus  den  roten  Blut¬ 
körperchen  herstellt,  wobei  selbstverständlich  ebenfalls  ein  Zellextrakt 
entsteht. 


mittel  bildet  dabei  die  Heißlulttherapic.  Sie  wurde  1901 
zuerst  von  Polano  beschrieben  und  damals  zur  Behand¬ 
lung  chronischer  Beckenexsudate  vorgeschiagen.  Polano 
wurde  zu  dieser  Therapie  angeregt  durch  die  von  A.  Bier 
inaugurierte  Heißlufttherapie  gegen  chronische  Gelenks¬ 
leiden.  Wie  es  hier  darauf  aokommt,  die  Exsudate  in  den 
Gelenkshöhlen  zu  beseiligen,  so  gibt  es  auch  in  der  Gynä¬ 
kologie  sehr  viele  Fiille,  in  denen  es  sich  darum  handelt, 
die  Resorption  eines  Exsudates  herbeizuführen.  Das  wird 
nun  am  besten  durch  gesteigerte  Blutzufuhr  und  Blutabfuhr 
bewirkt.  Die  Erzeugung  einer  Hyperämie  der  Beckenorgane 
wird  somit  viel  Nutzen  stiften  können.  Vor  dem  Jahre  1901 
wandte  man  zu  diesem  Zwecke  die  Belastungs-  und  Hydro¬ 
therapie  und  andere  Resorptionsmethoden  an.  Den  von  der 
Hydrotherapie  zu  erfüllenden  Anforderungen  wird  aber  die 
Heißluftmethode  in  noch  höherem  Maße  gerecht.  Denn  um 
eine  recht  intensive  thermische  Beeinflussung  zu  erzielen, 
ist  die  Luft  dem  Wasser  vorzuziehen,  da.  man  hier,  ohne 
die  Gewebe  zu  schädigen,  viel  höhere  Wärmegrade  zur 
xVnwendung  bringen  kann  als  beim  Wasser,  sei  es  nun, 
daß  man  dies  in  seiner  flüssigen  Form  oder  in  Gestalt  des 
Dampfes  appliziert. 

Kehrer  hält  nach  den  Angaben  von  Fritsch  den 
Polano  sehen  Apparat  wegen  seiner  Schwere,  Breite  und 
wegen  der  F'euersgefahr  für  schlecht  anwendbar.  Deshalb 
hat  er  einen  seiner  Meinung  nach  praktischeren  und  ein¬ 
facheren  konstruieren  lassen. 

Thomson  will  schon  früher  mit  dem  Dehivschen 
Schwitzapparat  gute  Erfolge  bei  gynäkologischen  Erkran¬ 
kungen  erzielt  haben.  Der  Apparat  bestand  aus  einem  weiten 
Rohre,  das  mit  den  gegen  Verbrennung  nötigen  Schutzma߬ 
regeln  versehen  war.  Es  wurde  zwischen  die  Beine  der 
Patientin  gelegt.  An  dem  einen  Ende  des  Apparates  war 
eine  Art  von  Spiritusofen  angebracht,  durch  den  allerdings 
nur  eine  Wärme  von  50  bis  60®  erreicht  wurde.  Im  ganzen 
stellt  der  Dehivsche  Apparat  eine  primitive  Form  des 
Quinckeschen  Schwitzbettes  dar,  das  wohl  hinreichend 
bekannt  sein  dürfte. 

Im  Jahre  1903  wurde  in  Würzburg  ein  ebenfalls  durch 
eine  Spirituslampe  heizbarer  Heißluftapparat  von  Hil- 
zinger  konstruiert.  Er  läßt  sich  am  Fußende  jeder  Bett¬ 
stelle  anbringen  und  ist  für  eine  rasche  Erwärmung,  zum 
Beispiel  hei  Laparotomierten,  sehr  nützlich.  Ueber  Fälle, 
die  mit  einem .  ganz  ähnlichen  Apparat  behandelt  wurden, 
referiert  Bürger,  der  den  von  Ke i tier  angegebenen 
Trockenheißluftapparat  verwendete.  Dieser  wird  durch  eine 
Spiritusflamme  geheizt  ist  also  auch  unabhängig  von  Elek¬ 
trizität  oder  Gasanschluß  und  außerdem  leicht  transportabel. 
Um  die  Luft  zu  trocknen,  ist  hier  ein  Rehälter  mit  Chlor¬ 
kalzium  zwischengeschaltet. 

Ein  weiterer  Bericht  liegt  von  Frankl  über  eigene 
Erfolge  vor.  Dieser  verwendete  auch  erst  einen  Kasten¬ 
apparat,  sah  aber  bald  ein,  daß  diesem  Fehler  in  der  Tem¬ 
peraturbestimmung  anhaften :  daß  z.  B.  eine  starke  Patientin 
mit  ihren  Bauchdecken  dem  Deckel  des  Kastens  viel  näher 
ist  als  eine  magere  und  daß  somit,  wenn  die  Hitze  nicht 
in  dem  ganzen  Apparat  überall  gleich  ist,  die  starke  Pa¬ 
tientin  in  heißeren  Luftschichten  liegt  und  die  Behandlung 
viel  schmerzhafter  empfindet  als  eine  magere.  Außerdem 
können  durch  eine  oder  mehrere  Abzugsöffnungen  immer 
große  Temperaturschwankungen  entstehen.  Aus  diesen  und 
anderen  Gründen  sah  sich  Frankl  daher  veranlaßt,  seine 
Versuche  mit  dem  vorhin  von  uns  erwähnten  Hilzinger- 
schen  Apparat  fortzusetzen,  der  ja  nicht  zu  den  kasten¬ 
artigen  gehört.  Er  hat  den  Apparat  in  verschiedenen  Formen 
erprobt  und  folgenden  Rir  den  besten  befunden :  Ein  50  cm 
hohes  und  fast  ebenso  breites  Gestell,  besteht  aus  aus¬ 
einanderziehbaren  Bogen  aus  gekrümmtem  Holze.  Es  wird 
über  den  auf  ungefähr  25  cm  hohen  Kissen  liegenden  Körper 
gestellt.  Der  dadurch  gebildete  kleine  Raum  wird  durch 
poröses  Material,  z.  B.  Naturwolldecken,  rings  abgeschlossen 
und  mittels  Spiritus-  oder  Gasflamme  erwärmt.  Die  er¬ 
zeugte  heiße  Luft  sammelt  sich,  durch  ein  Rohr  gehend, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


zuerst  in  einem  Bleclisammelkaslen  und  geJit  erst  von  hier 
aus  in  den  Liegerauni.  Bei  dieser  Anordnung  sind  nun 
die  BaucJidecken  nur  wenige  Zentimeter  von  der  Kuppe 
des  Sciiwitzraumes  entfernt  und  die  Temperaturdifferenzeil 
sciiwanken  daher  in  dem  seJir  kleinen  Baume  nur  um  ganz 
wenige  Grade.  Chlorkalzium  in  den  Liegeraum  zu  bringen, 
hält  Frankl  nicht  für  nötig,  da  keine  störenden  Schweiß- 
niengen  Zurückbleiben.  Er  glaubt  vielmehr,  daß  die  von 
Clilorkalzium  aufgesogene  Flüssigkeit  nicht  nur  Schweiß, 
sondern  durch  den  YerbrennungSi»rozeß  entstandenes 
W'asser  ist.  [  i  .  ^ 

iYach  all  diesem  scheint,  wie  auch  viele  Autoren 
sagen,  der  P o lau o -Klapp sehe  Apparat  am  votteilhaf- 
testen  zu  sein,  da  er  bei  seiner  großen  Einfachheit  eine 
gleichmäßige  Hitzewirkung  von  allen  Seiten  her  gestattet, 
wenn  er  auch  im  Bette  nicht  gut  zu  verwenden  ist. 

Ebenso  wie  eine  definitive  Einigung  unter  den  Autoren 
noch  nicht  darüber  erzielt  ist,  welches  der  beste  Apparat 
ist,  ebenso  sind  die  Meinungen  über  die  Art  der  Anwen¬ 
dung  desselben  noch  sehr  geteilt. 

So  schlägt  Polano  als  erste  Sitzungsdauer  20  Mi¬ 
nuten  bei  P20‘’  vor  und  will  in  den  nächsten  Tagen  Tem¬ 
peratur  und  Zeit  weiter  erhöhen  bis  jiu  drei  Viertelstunden 
bei  140".  Die  Abkühlung  hat  dann  innerhalb  fünf  Minuten 
zu  geschehen,  worauf  die  Patientin  in  Watte  eingewickelt 
wird  und  eine  Stunde  im  Bette  ruhen  muß.  Die  Behandlung 
dauert  also  mit  der  Bettruhe  ungefähr  zwei  Stunden.  1902 
aber  empfiehlt  Polano,  da  in  Greifswald  ein  Fall  von 
oberllächlicher  Verbrennung  und  in  Gießen  vier  derartige 
l'iille  vorgekommen  waren,  mit  llö"  zu  beginnen  und 
bis  125"  zu  steigen.  Bei  Anwendung  dieser  Art  sind  keine 
Verbrennungen  mehr  vorgekommen.  Wenn  während  der 
Anwendung  selbst  über  Brennen  an  den  Oberschenkeln 
geklagt  wird,  so  muß  man  mit  der  Temperatur  herunter¬ 
gehen,  da  kein  Bepudern  oder  Befeuchten  dagegen  hilft. 
Auch  das  Schwitzen,  das  länger  als  eine  luilbe  Stunde 
dauert,  ist  nach  den  späteren  Bemerkungen  von  Polano 
ganz  überflüssig.  Durch  diese  Aenderungen  sind  alle  un- 
beciLiemen  Nebenerscheinungen  beseitigt,  ohne  die  ilesul- 
tate  zu  beeinträchtigen.  Außerdem  soll  man,  so  gibt  Po¬ 
lano  an,  um  die  Wirkung  zu  verstärken,  die  übrigen  be¬ 
kannten  hydrotherapeutischen  und  medikamentösen  Ma߬ 
nahmen  gleichzeitig  anwenden;  besonders  für  eine  Nach¬ 
behandlung  ist  das  zu  beachten.  Es  genügt  dann  gewöhn¬ 
lich  10-  bis  IPmaliges  Schwitzen. 

Kehrer  schreibt  für  seinen  mit  Elektrizität  geheizten 
Apparat,  der  etwa  100"  Temperatur  erzeugt,  15  Minuten 
für  die  erste  Sitzung  vor;  schon  am!  vierten  Tage  läßt  er 
die  Patientin  eine  Stunde  darin.  Auch  er  empfiehlt  nach 
dem  Bade  Einwicklung  u.  zw.  in  Wolldecken. 

Thomson  appliziert  seinen  D eh iv sehen  Apparat 
(dne  Stunde  bei  50  bis  60".  Alle  Autoren  sind  dafür,  daß 
die  Frauen  während  der  Schwitzbadl.)ehandlung  gleichzeitig 
gut  ernährt  werden  und  daß  man  möglichst  die  lokale 
Iherapie  mit  der  Heißluftbeliandlimg  individualisierend 
verbindet. 

Auch  Frankl  ist  nicht  für  so  hohe  Temperaturen 
wie  Polano.  Er  behauptet,  daß  nur  Maximaltemperaturen 
von  80  bis  90"  ertragen  werden  und  glaubt,  die  Angaben 
der  anderen  Autoren  beruhen  auf  Messungsirrtümern,  von 
denen  vorhin  die  Rede  war  und  die  durch  die  Wärme¬ 
schwankungen  in  den  Kastenapparaten  bedingt  sind.  Im 
übrigen,  sagt  Frankl,  kommt  es  gar  nicht  auf  möglichst 
hohe  Temperaturen  an,  denn  der  Hauptwert  ist  nicht  auf 
die  Hyperhidrosis  zu  legen,  sondern  auf  die  Hyperämie 
und  die  tritt  schon  bei  60  bis  70"  auf. 

Salem  berichtet  über  Erfahrungen,  die  er  bei  An¬ 
wendung  des  Keitl ersehen  Apparates  gemacht  hat.  Er 
(‘mplieldt  hohe  Temperaturen  u.  zw.  185".  Wenn  dann  bei 
schwächlichen  Personen  Angstgefühle  und  andere  Be¬ 
schwerden  auftreten,  so  empfiehlt  er  kalte  Umschläge  auf 
den  Kopf  und  die  Herzgegend.  Erst  wenn  dies  nicht  hilft, 
soll  jiian  die  Behandlung  unterbrechen.  Am  beslen  indivi¬ 


dualisiert  man  die  Höhe  der  Temperatur  nach  dem  Gefühl 
der  Patieiitin.  Die  erreichte  Wärme  muß  aber  dann  kon¬ 
stant  sein. 

Heinsius,  der  auch  mit  dem  Klappschen  Apparat 
vielfach  gearbeitet  hat,  sagt:  Die  Frauen  gewöhnen  sich 
bald  an  hohe  Temperaturen,  so  daß  man  in  der  ersten 
Sitzung  bereits  120"  erreicht,  in  einigen  weiteren  über  150". 
Dabei  nimmt  er  ebenfalls  individualisierend  so  hohe  Tem¬ 
peraturen,  wie  die  Pätientinnen  vertragen  können.  Ge¬ 
wöhnlich  genügen,  na.di  seinen  Angaben,  115  bis  125"  und 
eine  Anwendungsdauer  von  einer  Viertelstunde  bis  zu  einer 
halben  Stunde.  Auch  er  ist  dafür,  daß  man,  sobald  die 
Kranke  über  Brennen  klagt,  sofort  die  Temperatur  er¬ 
niedrigt.  Daß  an  dem;  Apparat  keine  guten  Wärmeleiter, 
also  auch  kein  harzlialtiges  Holz,  sein  dürfen,  ist  wohl 
selbstverständlich.  Auch  das  eventuelle  Einführen  eines 
Spekulums  in  die  Scheide  und  das  nachherige  Einwickeln 
in  Watte  oder  wollene  Tücher,  sowie  die  einstündige  Ruhe¬ 
pause  danach  empfiehlt  er  ebenso  wie  die  anderen. 

Keilmann  empfiehlt  100"  bei  einstündiger  täglicher 
Anwendung. 

.Steffeck  wieder  empfiehlt  tägliche  Sitzungen  bei 
80  bis  110"  u.  zw.  1  bis  IV2  Stunden  lang. 

.Jeder  Autor  also  macht  andere  Angaben  über  die 
Temperatur  und  die  Dauer  der  Anwendung. 

Ueber  die  direkte  Wirkung  der  Methode  auf  die  Be¬ 
handelte  indessen  sind  die  Meinungen  nicht  so  geteilt.  Wenn 
wir  hier  zusammenfassend  aufzählen  wollen,  so  ergibt  sich 
folgendes :  Die  Wirkung,  wenigstens  die  direkte  —  von 
der  indirekten  Wirkung,  d.  h.  von  den  Erfolgen  der  An¬ 
wendung,  spreche  i,ch  später  —  ist  .eine  große.  Es  tritt 
zunächst  ei, ne  starke  Rötung  der  Haut  und  Schweißsekretion 
auf.  Die  Frauen  fühlen  ein  leichtes  Prickeln  auf  der  Haut, 
das  jedoch  bald  spontan  zurückgeht.  Man  kann  dagegen  ein 
feuchtkaltes  Tuch  auf  die  Stirn  legen.  Ferner  tritt  Puls¬ 
beschleunigung  ein,  vorhandene  Schmerzen  hören  schnell 
auf  und  ein  starkes  Durstgefühl  macht  sich  bemerkbar. 
Aus  der  Zervix  entleert  sich  viel  schleimiges  Sekret.  Bei 
längerer  Anwendung  der  Methode  tritt  eine  allgemein  auf¬ 
fallende  Besserung  in  dem  sid^jektiven  Befinden  der  Pa¬ 
tientin  ein,  der  Appetit  und  in  den  meisten ,  Fällen  auch 
das  Körpergewicht  nehmen  zu.  Ueberhaupt  gehen  die  ob¬ 
jektiven  Veränderungen  nicht  so  rasch  vor  sich  wie  die 
Besserung  im  subjektiven  Befinden.  Nur  bei  besonders 
schwächlichen  Patientinnen  treten  als  unangenehme  Neben¬ 
wirkungen  Müdigkeit,  Herzklopfen,  Augenflimmern  und 
Brechreiz  auf. 

iWir  koiAmen  jetzt  zu  den  Indikationen,  die  für  die 
Heißluftbehandhmg  angegeben  worden  sind  und  damit  zu¬ 
gleich  zu  dem  Punkte,  der  das  Wesentliche  dieser  Zeilen 
darstellen  soll,  nämlich  zu  den  Erfolgen,  die  mit  dieser 
Methode  erzielt  worden  sind.  Denn  die  Indikationen,  sowie 
die  Kontraindikationen,  die  folgen  werden,  sind  ja  zumeist 
nach  der  Erfahrung  aufgestellt.  Bep  den  meisten  also  liegen 
vielfache  gufe  Erfolge  der  liidikation  zugrunde;  allerdings 
will  ich  weiter  unten  noch  auf  einzelne  bemerkenswerte 
Fälle  eingehen. 

Polano  sah  vor  allem  als  Indi.kation  die  chronischen 
Beckenexsudate  an.  Da  diese  allseitig  im  Bereiche  größerer 
Blut-  und  J^ymphbahnen  liegen,  so  ist  die  Möglichkeit  einer 
ausgiebigen  Resorption  dadurch  gegeben.  Das  Hauptgewicht 
für  die  Anwendung  der  Heißluftbehandlung  hilden  alte, 
steinharte  Exsudate,  die  jeder  anderen  Therapie  zu  trotzen 
pflegen,  ob  sie  nun  tief  im  Don  glas  sehen  Raume  oder  in 
höher  gelegenen  Teilen  des  Beckens  sitzen.  Auch  para- 
metritische  und  perimetritische  Exsudate,  Adhäsionen,  die 
durch  diese  zustande  kommen,  Hämatokelen,  entzündliche 
Schwellungen  der  Tuben  und  Ovarien  sind  als  Indikationen 
von  Le  wins  ki,  Kehrer,  Polano  u.  a.  angegeben. 

Fett  kommt  zu  dem  Schlüsse:  Entzündliche  Adnex¬ 
erkrankungen  sind  unter  allen  Umständen  konservativ  zu 
beliandeln;  während  man  bei  dem  akuten  Stadium  ex- 
spektativ  verfahren  soll,  sind  im  chronischen  Stadium  re- 


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sorl)ioreii(le  Mittel,  vor  allem  das  Heißliiftverfahren,  zu 
Hilfe  zu  nehmen. 

Auch  Bürger  sagt:  Fülle  von  chronisch-entzünd¬ 
lichen  Veränderungen  in  den  Adnexen  gehen  .hei  konser¬ 
vativen  Mitteln  gute  Resultale  und  hilden  sich  zurück. 
Streng  davon  zu  trennen  sind  die  Fälle,  in  denen  größere 
Kiteransammlungen  vorliegen.  Diese  gehen  stets  Indika¬ 
tionen  zur  lladikaloperation. 

Kehrer  empfiehlt  die  Heißlufttherapie  auch  bei  ad¬ 
häsiver  Beckenperitonitis,  speziell  bei  Parametritis  posterior, 
namentlich  zur  Lockerung  golider,  peritonealer  Adhäsionen, 
die  den  retroflektierten  Uterus  oder  dessen  Adnexe  an  das 
hintere  Peritoneum  fixieren.  Pol  a  no  hält  zwar  diese  Me¬ 
thode  bei  Perimetritiden  für  nicht  so  geeignet  wie  andere 
therapeutische  Maßnahmen.  Er  glaubt,  hier  bringe  die 
Methode  nur  eine  zeitweilige  Beseitigung  der  Schmerzen, 
aber  keine  dauernde  Heilung. 

Carmichael  hält  die  Heißlufthehandlung  für  sehr 
wirksam  bei  Verwachsungen  und  Verdickungen  der  Pära- 
inetrien.  Auch  Bürg-er  u.  a.  halten  die  Krankheiten  für 
die  Heißluftbehandlung  am  geeignetsten,  bei  denen  es  sich 
um  eine  diffuse,  entzündliche  Infiltration  des  Beckenhinde- 
gewehes  handelt;  besonders  glänzend  sind  die  Erfolge  hei 
Parametritis. 

Auch  Kehrer  sagt:  Zwar  hat  man  parametritische 
Exsudate  durch  Inzision  eröffnet  und  damit  günstige  Re¬ 
sultate  erzielt,  aber  95 ^/o  aller  Paranietritiden  enden  durch 
Resorption.  Daher  muß  man  auch  hier  die  Heißlufttherapie 
versuchen.  Kehrer  ist  es  auch,  der  als  Indikation  die  so 
schmerzhaften  Netzadhäsionen  nach  Laparotomien  angiht. 
Ferner  schreibt  er:  Ist  nach  länger  dauernden  Laparotomien 
mit  starkem  Blutverlust  eiue  größere  Wärmezufuhr  geboten, 
so  ist  auch  der  Heißluftapparat  besser  zu  verwenden  als 
der  früher  gebräuchliche  Wärmekasten.  Es  kommt  dadurch 
eine  gleichmäßige  Durchwärmung  des  ganzen  Körpers  zu¬ 
stande,  die  von  größter  Bedeutung  für  die  frisch  Operierte 
ist.  Auch  für  Bauchdeckenfisteln,  die  durch  Fadeneiterung 
entstanden  sind,  schlägt  er  den  Apparat  vor. 

Auch  von  großem  diagnostischen  Werte  kann  die 
Heißluftbehandlung  sein,  wenn  es  sich  um  die  Entscheidung 
handelt,  ol)  in  hestinnnten  Fällen  ein  Infiltrat  des  Becken- 
Ijindegewehes  oder  eine  Adnexentzündung  voiiiegt.  Denn 
die  Exsudate  schrumpfen,  nach  der  Aussage  von  Wagner- 
Hohenlohhese,  zusehends,  der  Beckeninhalt  wird  ge¬ 
radezu  skelettiert.  Keil  mann  sagt  dazu:  Wo  frische  Ex¬ 
sudate  die  Lokalisation  der  Erkrankung  verdecken,  das 
Tastbild  zu  einem  diffusen  machen,  da  war  der  Befund 
nach  einmaliger  Behandlung  klar  und  eindeutig. 

Außerdem  ist  die  Heißluftbehandlung  auch  als  vor¬ 
bereitende  Therapie  anstatt  der  langsamer  wirkenden,  heißen 
Kataplasmen  zu  verwerten.  Dies  trifft  besonders  zu  hei 
Exsudaten,  die  mit  eitriger  Einschmelzung  einhergehen. 
i\Ian  erreicht  durch  die  Behandlung  eine  sehr  schnelle  Ein- 
schmelzung  und  dadurch  Inzisionsfähigkeil  solcher  frischer, 
eitriger  Affektionen.  Natürlich  muß  die  Behandlung  hier 
wie  immer  unter  strengen  ärztlichen  Kontrollen  stattfinden, 
denn  man  darf  in  einem  ßolchen  Falle  den  geeigneten  Mo¬ 
ment  zur  Inzision  nicht  verpassen.  Auch  wenn  schon  ver¬ 
sucht  wurde,  durch  Inzision  von  den  Bauchdecken  aus 
einen  etwa  vorhandenen  Eiterherd  zu  entleereu,  kann  zur 
Besorption  des  zurückgehliebenen  Exsudates  hei  noch  gra¬ 
nulierender  Wunde  die  Heißluftbehandlung  angewendet 
werden.  i\Ian  nmß  nur  die  Wunde  trocken  halten,  damit  nicht 
ein  eventuelles  Wundsekret  verljrühend  wirkt. 

Polano  empfiehlt  die  Heißluftbehandlung  noch  bei 
Amenorrhoe,  falls  die  lokale  Behandlung  überhaupt  indiziert 
ist.  Er  seihst  wenigstens  hat  hei  gleichzeitiger  Einführung 
eines  Vaginalspekulums  nach  kurzer  Behandlung  eine  ein- 
bis  zweiwöchige  Anteposition  der  Menses  fesl gestellt.  Es 
ist  ja  auch  einleuchtend,  daß  durch  die  starke  Hyperämie 
des  Endo-  und  Myometriums  die  anteponierte  Blutung  her¬ 
beigeführt  werden  kann. 


Polano  wie  Kehrer  hoffen  endlich,  durch  wochen¬ 
lang  fortgesetzte  lleißluftbehandlung  hei  infantilen  Formen 
der  inneren  Genitalien  gute  Erfolge  zu  erzielen.  Bisher 
hat  man  in  solchen  Fällen  mit  keiner  BehandJung  etwas 
ansrichten  können.  Es  kommt  darauf  an,  daß  der  Organis- 
nnis  gekräftigt  und  daß  eine  gesteigerte  Zuführung  gesunden 
Blutes  zu  den  Beckenorganen  hergestellt  wird.  Dieser  ein¬ 
zige  Weg  kann  durch  unser  Verfahren,  zusammen  mit  den 
früher  angewendeten  Mitteln,  heschritten  werden. 

Eine  Indikation  ist  noch  hinzuzufügen:  Bürger 
schlägt  die  Methode  für  Heilung  von  Narben  und  xVdhäsionen 
vor,  die  von  einer  Entbindung,  oder  Operation  herrüliren. 
Er  meint,  die  aktive  Hyperämie  würde  erweichend  und 
lockernd  wirken. 

Allerdings  erhebt  sich  noch  hie  und  da  Widerspruch 
gegen  diese  oder  jene  Indikation  und  gegen  die  ])ehaup- 
teten  Erfolge.  Manch  einer  sieht  keinen  Vorteil  in  dieser 
Methode  gegenüber  anderen  oder  gegenüber  der  sonst  viel- 
geühten  Hydrotherapie;  das  eine  aber  ist  nicht  zu  leugnen, 
daß  ])ei  der  Heißluftbehandlung  wenigstens  das  fortwäh¬ 
rende  Herummanipulieren  an  den  Genitalien,  die  Irritation 
und  die  damit  verhundene  Schädigung  des  Nervensystems 
vermieden  wird. 

Schauta  empfiehlt  als  Indikationsstellung  vor  allem 
das  Individualisieren,  man  kann  in  den  in  Betracht  kom¬ 
menden  Fällen  nie  sagen:  hier  muß  operiert,  hier  muß 
konservativ  behandelt  werden. 

iSteffeck  sagt  und  das  scheint  als  zutreffend  Be¬ 
achtung  zu  verdienen:  Ist  nach  drei-  bis  vierwöchiger  Be¬ 
handlung  ein  Erfolg  nicht  erkennbar,  so  ist  es  zwecklos, 
dann  noch  länger  konservativ  behandeln  zu  wollen.  Fett 
meint,  man  solle  dann  aber  möglichst  konservativ  operieren, 
d.  h.  unter  Zurücklaissung  noch  funktionsfähiger,  gesunder 
Organe. 

Einige  Kontraiudikationen  stehen  aber  von  vornherein 
fest:  Es  muß  vor  .Anwendung  der  Heißluftbehandlung  ge¬ 
warnt  werden  in  allen  Fällen  frischer  Entzündungen,  so¬ 
dann  ])ei  Gegenwart  von  Eiter  in  den  Adnexen,  ferner  ist 
die  Methode  l)ei  allen  tuberkulösen  Prozessen  an  den  Geni¬ 
talien  kontraindiziert,  bei  Fieber,  weiter  hei.  hochgradigen 
Herzfehlern  oder  stark  erkranktem  Gefäßsystem  und  end¬ 
lich  heim  Vorhandensein  von  uterinen  Blutungen,  wenn 
auch  diese  indirekt  durch  die  Methode  günstig  beeinflußt 
werden  können. 

Nachdem  wir  so  die  verschiedenen  Indikationen  und 
Kontraindikationen  betrachtet  haben,  kommen  wir  zu  den 
Erfolgen,  die  mit  der  Heißlufthehandlung  bereits  erzielt 
wurden.  Diese  sind  so  viele,  daß,  wollte  man  nur  von  jeder 
Art  einen  Fall  beschreiben,  das  Material  zu  groß  sein  würde 
für  den  Ijescheidenen  Rahmen  dieser  kleinen  Arbeit.  Wir 
wollen  uns  daher  hier  auf  einzelne  bemerkenswerte  Fälle 
beschränken,  aus  denen  man  noch  diese  oder  jene  Indikation 
folgern  kann.  Die  alltäglichen  Erfolge  wollen  wir  nur  kurz 
streifen. 

Die  Behandlung  mit  heißer  Luft  erstreckt  sich,  wie  ge¬ 
sagt,  zum  größten  Teil  auf  Exsudate  chronischer  Art.  Alle 
xAutoren,  die  über  die  Heißluftbehandlung  überhaupt  be¬ 
richtet  haben,  haben  bei  Beckenexsudaten  davon  Gelwauch 
gemacht  und  gute  Erfolge  erzielt.  So  schreibt  zum  Beispiel 
Dützniann  dazu:  Frische  Exsudate  schmelzen  schnell  ein 
und  können  dann  früh  inzidiert  werden,  alte  Exsudate  ver¬ 
schwinden  ganz  oder  bis  auf  geringe  Reste.  Nach  anderen 
Angaben  schwinden  diese  Exsudatreste  nach  weiterer  Be¬ 
handlung  gänzlich.  Keilmann,  Polano  u.  a.  berichten, 
(laß  kindskopfgroße,  steinharte  Exsudate  im  Beckeidunde- 
gewebe  nach  zwei  bis  drei  Wochen  durch  die  Behand¬ 
lung  völlig  zum  Schwund  gebracht  worden  sind  und  nor¬ 
malen  Tasthefund  hintcrließen. 

Manche  Autoren  allerdings  wollen  bemerkt  hal)en, 
(laß  in  ungefähr  vier  Fünfteln  aller  Fälle,  d.  h.  nicht  nur 
bei  der  Anwendung  gegen  Exsudate,  sondern  auch  bei 
anderen  Indikationen,  eine  subjektive  und  objektive  Besse¬ 
rung  eintrat,  in  einem  Fünftel  aber  nur  subjektive  Besse- 


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rung  lind  nur  in  vereinzelten  Fällen  sah  man  den  Erfolg 
ganz  aiisbleiben.  Jung  macht  darüber  genaue  Angaben. 
Es  waren  unter  seinen  beobachteten  Fällen  auch  solche  Ex- 
sudatbildnngen  oder  eitrige  Adnexerkrankungen,  bei  denen 
der  Eiter  zuerst  per  vaginam  entleert  worden  war.  Die  Ent¬ 
zündungsprodukte  kamen  teils  ganz  ohne  Operation,  teils 
nach  einfacher  Eiterentleerung  definitiv  zum  Schwinden. 

Ganz  ähnliche  Berichte  gibt  Keilmann,  der  auch, 
eine  Statistik  von  einer  großen  Reihe  von  Fällen  der  Heiß- 
luflbehandlung  aufgestellt  hat.  Ganz  ohne  Erfolg,  also  auch 
ohne  die  subjektive  Besserung  blieb  bei  ihm  nur  ein  Fall 
u.  zw.  eine  Salpingitis  duplex  chronica. 

Pol  an  0,  Kehrer  und  viele  andere  rühmen,  wie 
schon  erwähnt,  sehr  den  großen  diagnostischen  Wert  der 
Trockenluftheizung. 

Ebenso  viele  Erfolge  wie  bei  Exsudaten  und  oft  gleich¬ 
zeitig  mit  ihnen  erreicht  man  bei  Adnexerkrankungen.  Sa¬ 
lem  und  Thomson  sprechen  von  eklatanten  Wirkungen 
nach  der  Anwendung  von  Heißlufttherapie  bei  chronischen 
und  subakuten  Fällen  von  Adnexerkrankungen.  Bürger 
und  Fett  sagen:  Bei  eitrigen  Adnexerkrankungen  dauert 
eine  erfolgreiche  Behandlung  bisweilen  sehr  lange  und  dann 
tritt  zwar  subjektiv  immer,  objektiv  aber  mit  Ausnahmen 
die  Besserung  ein.  Lewinski  .führt  als  besonders  bemer¬ 
kenswert  an,  daß  er  sogar  einen  Fall  von  beiderseitiger 
schwerer  Pyosalpinx  durch  das  Verfahren  geheilt  hat. 

Ganz  im  Gegensatz  zu  den  eben  erwähnten  Autoren 
stellt  sich  Bürger,  der  die  Besserung  der  Adnextunioren 
nur  auf  die  Resorption  des  entzündlichen  Oedems  beruhend 
ausieht.  Er  hält  daher  die  Erfolge  auch  nur  für  vorüber¬ 
gehende  und  ist  im  Falle  eines  Rezidivs  für  die  Radikal¬ 
operation. 

Einen  recht  guten  Erfolg  des  Verfahrens  schildert 
Kehrer. 

Polano  erwähnt  einen  Fall  von  Gonorrhoe  der  Ad¬ 
nexe,  die  auch  durch  fleißluftbehaudhnig  schon  nach  zwölf- 
maligem  Schwitzen  einer  schnellen  Heilung  entgegengeführt 
wurde.  Bürger  hat  mehrere  Fälle  von  schmerzhaft  retro- 
pöniertem  Uterus  dieser  Methode  unterworfen.  Es  traten 
liier  mit  einer  Ausnahme  nur  Besserungen  des  subjektiven 
Beiindens  ein,  daher  empfiehlt  er  für  diese  Fälle  mehr  die 
Massage  und  die  Belastungstherapie.  ln  dem  einen  Falle, 
wo  auch  objektive  Besserung  eintrat,  geschah  offenbar  eine 
spontane  Lockerung  der  die  Retroposition  bedingenden  Ad¬ 
häsionen. 

Jung  und  Salem  haben  bei  Parametritis  gute  Erfolge 
mit  der  Heißlufttherapie  erzielt;  nach  Kehrer  beseitigte 
die  Methode  bei  Parametritis  posterior  wenigstens  die 
Schmerzen  und  gestattete  so  die  zur  Heilung  nötige  Massage 
ohne  Schmerzen.  Auch  bei  Perimetritis  und  chronischer 
adhäsiver  Beckenperitonitis  sind  oft  wenigstens  subjektive 
Besserungen  erreicht  worden;  die  Schmerzen  sistierten  sehr 
bald.  Eine  objektive  Besserung  aber  trat  nur  in  weniger 
als  der  Hälfte  aller  Fälle  ein. 

Salem  hat  zwar  auch  zwei  Fälle  von  abgekapselten 
piu'itonitischen  Exsudaten  nach  22,  bzw.  30  Sitzungen  zur 
Heilung  gebracht;  und  Thomson  teilt  mit,  daß  er  Fälle 
von  Pelveoperitonitis,  von  Endometritis  und  Oedemen 
günstig  beeinflußt  hat.;  im  allgemeinen  scheint  die  Heißluft- 
therapie  aber  doch  bei  den  intraperitoneal  sich  abspielenden 
chronisch  entzündlichen  Prozessen  nicht  solche  tiefe  Wir¬ 
kungen  zu  entfalten,  wie  man  zuerst  beim  Aufkommen  der 
Methode  annahm. 

Polano  berichtet  ferner  von  einer  Infiltration  der 
Bauchdecken,  die  von  einer  Laparotomie  herrührte  und  die 
nach  Behandlung  mit  heißer  Luft  schwand.  Auch  jene 
anderen  lästigen  Folgen  von  Jaiparotomien,  die  Bauchdecken- 
fisteln,  sind  der  Heißluftbehandlung  unterzogen  worden  und 
da  hat  man  oft  recht  gute  Erfolge  erzielt.  Die  Fisteln 
schließen  sich  nach  wenigen  Sitzungen  durch  Aufschich¬ 
tung  kräftiger  Granulationen.  Eine  Bauchdeckenfistel,  die 
von  einer  Probelaparotomie  bei  tuberkulöser  Peritonitis 
zurückgel)li(d)eii  war  mul  sezernieiie,  schloß  sich  ttx)tz 


aller  möglichen  anderen  Behandlungen  nicht.  Die  dann  an¬ 
gewandte  Wärmeapplikation  regte  sie  aber  bald  zur  Granu¬ 
lationsbildung  und  Verschluß  an.  Gleichzeitig  wurde  übri¬ 
gens  eine  Besserung  der  tuberkulösen  Allgemeinerschei¬ 
nungen,  z.  B.  Schwund  des  profusen  Nachtschweißes  wahr¬ 
genommen.  Schließlich  sind  noch  ein  paar  Einzelfälle  von 
Erfolgen  zu  verzeichnen:  Polano  und  Bürger  berichten 
über  je  einen  Fall  von  einer  durch  heiße  Luft  geheilten 
Aktinoniykose  der  Bauchdecken.  Keilmann  wandte  in 
einem  Falle  die  Heißluftbehandlung  gegen  Amenorrhoe  an. 
Es  handelte  sich  um  ein  Ißjähriges  Mädchen,  das  bereits 
regelmäßig  menstruierte  und  dann  die  Regel  verloren  hatte. 
Der  Befund  war  bei  virginellen  V erhältnissen  normal.  Nach 
zweimaliger  Behandlung  trat  die  Periode  wieder  ein.  Ueber 
diese  Indikation  haben  wir  ja  schon  oben  eingehender  ge¬ 
sprochen.  Salem  hat  bei  derselben  Erkrankung  nicht  so 
gute  Resultate  erzielt.  Auch  bei  einer  drei  Monate  alten 
Hämatokele,  die  er  auf  dieselbe  Weise  behandeln  wollte, 
sah  er  keinen  Erfolg,  während  Fett  bei  clironischen 
Hämatokelen  durchaus  günstige  Resultate  erzielt  haben  will. 

Nachdem  wir  von  so  vielen  Erfolgen  der  Heißluft¬ 
behandlung  gehört  haben,  wollen  wir,  um  gerecht  zu  sein, 
auch  noch  über  Fleischmanns  Aeußerungen  berichten, 
der  gar  nicht  recht  mit  dem  Lobe  der  Methode  einver¬ 
standen  ist.  Er  sagt:  Es  schwinden  ja  bei  der  Behandlung 
oft  überraschend  schnell  die  Infiltrate,  die  z.  B.  einen  Tumor 
umgeben,  die  Patientinnen  erholen  sich  auch  zusehends,  bei 
richtiger  Nebenbehandlung,  sobald  sie  aber  wieder  ihre 
Arbeit  aufnehmen,  so  kehren  die  alten  Beschwerden  wieder. 
Und  davon  werden  die  Patientinnen  dann  erst  durch  Be¬ 
seitigung  des  Eiterherdes  geheilt.  Wieweit  diese  An¬ 
schauung  berechtigt  ist,  wird  die  Zukunft  lehren. 

Ich  möchte  nun  noch  kurz  der  Anwendung  der  heißen 
Luft  als  Dusche  für  den  Uterus  ein  paar  Worte  widmen. 
Um  die  heiße  Luft  als  Dusche  anzuwenden,  hat  Doktor 
Rudolph  einen  geeigneten  Apparat  berste  11  en  lassen.  Der¬ 
selbe  hat  eine  Trompetenform,  ist  aus  Metall  und  der  ver¬ 
jüngte  Teil,  der  von  den  übrigen  durch  Asbest  gelrennt  ist, 
besteht  aus  Holz.  Der  Spekularteil  ist  auch  mit  Asbest  über¬ 
kleidet.  Auf  dem  Spekularteil  kann  ein  Milchglasspekulum 
aufgesetzt  werden.  Auf  diese  Weise  kann  der  Apparat  ein¬ 
geführt  werden,  ohne  daß  das  Spekulum  heiß  wird.  Der 
Spekularteil  ist  durch  eine  Wand  in  eine  untere  und  eine 
obere  Etage  geschieden.  In  der  oberen  Etage  befindet  sich 
eine  Oeffnung,  durch  die  die  heiße  Luft  zurück  an  die 
Außenluft  gelangt.  Eine  Heißluftkammer,  wie  sie  bei  anderen 
Heißluftapparaten  zum  Teil  zur  Verwendung  kommt,  spart 
man  in  diesem  Falle,  da  die  Vagina  selbst  eine  schlauch¬ 
förmige  Heißluftkammer  darstellt.  Es  wird  durch  diese  Me¬ 
thode  nicht  nur  Blut-,  sondern  auch  Wärmestauung  erzielt, 
die  sich  auf  allen  Organen  des  Beckens  geltend  macht. 

Diese  Heißluftdusche  ist  nach  Rudolph  überall  da 
anzuwenden,  wo  bisher  die  Heißwasserspülung  für  ange¬ 
zeigt  erachtet  wurde.  Rudolph,  der  nur  über  wenig 
spezielle  Fälle  und  deren  Erfolge  berichtet,  hat  mit  der 
Dusche  recht  gute  Erfolge  erzielt.  So  sah  er  einmal  zwei 
fingerdicke  Stränge  im  Douglas,  nach  zehn  Sitzungen  zur 
Auflockerung  und  Erweichung  kommen,  so  daß  sie  dann 
durch  Massage  völlig  beseitigt  werden  konnten. 

Wenden  wir  uns  nun  wieder  zu  der  eigentlichen  An¬ 
wendung  von  Heißlufiapparaten  zurück  und  betrachten  die 
neuesten  Berichte  auf  diesem  Gebiete,  so  kommt  hier  haupt¬ 
sächlich  die  Anwendung  in  der  Frauenpoliklinik  in  der 
königlichen  Charite  in  Betracht. 

Prof.  Stoeckel  trat  1905  in  der  Gesellschaft  für  Ge¬ 
burtshilfe  und  Gynäkologie  zu  Berlin  auch  für  die  Hei߬ 
lufttherapie  ein  und  demonstrierte  hier  den  Apparat  von 
Kehrer,  der  in  der  Poliklinik  ausgiebig  zur  Verwendung 
kommt.  Stoeckel  ist  der  erste,  der  die  Heißluftbehand¬ 
lung  ambulant  in  der  Poliklinik  anwendete.  Er  will  auf  diese 
Weise  operative  Eingriffe,  die  zur  Erzielung  möglichst 
baldiger  Arbeitsfähigkeit  oft  gewünscht  werdmi,  durch  die 
nutzbringenden  konservativen  Maßnahmen  der  Heißluft- 


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beliandluiig  ersetzen.  Die  bisiierigeii  Versuche  sind  sehr 
befriedigend  ausgefallen;  insbesondere  liat  sich  die  Kom¬ 
bination  von  Ileißluftbehandlnng  mit  der  vaginalen  Bc- 
lastmigstherapie  in  Beckenhochlagerung  bewährl,  und  zwar 
wieder  am  besten  bei  chronischen  parametritischen  Ex¬ 
sudaten  und  chronischen  Adnextumoren. 

Im  folgenden  will  ich  nunmehr  im  einzelnen  über  die 
Erfolge  berichten,  die  an  der  Universihäts-Frauenklinik  der 
königlichen  Charite  mit  der  Heißluftbehandlung  erzielt 
wurden. 

In  den  letzten  zwei  Jahren  wurden  in  der  Frauenpoli¬ 
klinik  hierselbst  auf  Veranlassung  von  Prof.  Stoeckel  im 
ganzen  231  Fälle  mit  Heißluft  behandelt,  davon  betrafen: 
Status  post  vaginal  Operation  11,  Status  post  Laparotomie 
(Adhäsionsbeschwerden  und  Hernien)  59,  Parametritiden  43, 
Adnextumoren  34,  Salpingo-Oophoritis  35,  Exsudate  17, 
chronische  Pyosalpinx  4,  Hämatokele  6,  Pelveoperitonitis 
cliron.  6,  Amenorrhoe  mit  Infantilismus  3,  andere  Be¬ 
schwerden  11. 

Die  Anzalil  der  Sitzungen  betrug  im  Durchschnitt  10, 
die  höchste  Zahl  war  52,  die  kleinste  5.  Die  Behandlung 
dauerte  durchschnittlich  zwei  Monate,  im  kürzesten  Falle 
drei  Wochen,  im  längsten  4V2  Monate,  lieber  subjektive 
Beschwerden  nach  der  Behandlung  wurde  in  elf  Fällen  ge¬ 
klagt  u.  zw.  über  Brennen  siebenmal,  verschlimmert  wurde 
der  Zustand  viermal. 

Im  allgeiueinen  scheinen  die  Erfolge  durchaus  be¬ 
friedigend  zu  sein.  Aber  wie  wohl  jeder,  der  viel  mit’ poli¬ 
klinischem  Material  zu  tun  gehabt  hat,  weiß,  ist  es 
sehr  schwer,  bei  jedem  einzelnen  Fall  zu  bestimmen,  ob 
derselbe  geheilt  worden  ist.  Denn  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  bleiben  die  Patientinnen,  wenn  sie  sich  nur  irgend¬ 
wie  gesund  fühlen  und  keine  Beschwerden  mehr  haben, 
einfach  aus  der  poliklinischen  Behandlung  weg.  Daher  wird 
man  in  der  Poliklinik  nur  ganz  selten  dazu  kommen,  in 
das  Journalbuch  die  Notiz  eintragen  zu  können  ,, geheilt 
entlassen“,  während  dies  im  Krankenhaus  oder  in  der 
Privatpraxis  ein  leichtes  ist. 

Infolgedessen  ist  es  auch  sehr  schwer,  in  bezug  auf 
unsere  vorliegenden  Fälle  anzugeben,  ob  die  Patientinnen 
völlig  geheilt  wurden.  Aber  man  wird  im  allgemeinen,  glaube 
ich,  nur  um  ein  wenig  zu  günstig  urteilen,  wenn  man  die 
Fälle,  die  weggeblieben  sind,  wenigsteiis  als  subjektiv  ge¬ 
heilt  betrachtet.  Höchstens  müßte  man  hievon  die  Zahl 
derjenigen  Fnauen  in  Abzug  bringen,  die  nur  eine  ganz 
kurze  Zeit  sich  der  Behandlung  unterzogen  liaben,  die  also 
weniger  als  fünf-  bis  siebenmal  behandelt  worden  sind. 
Und  in  diesen  Fällen  werden  vielleicht  auch  schon  einige 
sein,  die  schon  geheilt  sind,  so  daß^  dadurch  wohl  ein  Aus¬ 
gleich  hergestellt  ist  gegenüber  denjenigen  Patientinnen,  die 
auch  nach  längerer  Behandlung  ungeheilt  oder  nur  gebessert 
weggeblieben  sind. 

Endlich  will  ich  nur  noch  sagen,  daß  imsere  Beobach¬ 
tungen  in  der  Poliklinik  genau  mit  den  Angaben  anderer 
Autoren  übereinstimmen ;  also  auch  wir  haben  als  Kontra¬ 
indikation  Fieber,  eitrige  Exsudate,  Tuberkulose  usw.  ge¬ 
funden.  Die  Dauerresultate,  die  mit  der  Heißlufttherapie 
erzielt  wurden,  können  sich  mit  den  besten  Resultaten  der 
operativen  Verfahren  messen.  Auch  bei  schweren  Verände¬ 
rungen  ist  bisweilen  eine  Heilung  möglich,  sogar  spätere 
Gravidität  ist  beobachtet  worden.  Und  wenn  auch  in  vielen 
stark  entzündlichen  Veränderungen  keine  Restitutio  ad  inte¬ 
grum  hergestellt  werden  kann,  so  gelingt  es  doch  wenig¬ 
stens,  die  Kranken  von  oft  jahrelang  vergeblich  behandelten 
Beschwerden  zu  befreien. 

.Daher  dürfte  die  Behandlung  mittels  Heißluft  unter 
strenger  Einhaltung  der  Indikationen  und  sorgfältiger  ärzt¬ 
licher  Kontrolle  in  vielen  Fällen  von  großem  Nutzen  sein 
und  kann  auch  anderen  Kollegen  in  Kliniken  und  in  der 
Privatpraxis  zur  Nachprüfung  empfohlen  werden. 

Literatur 

P  0  I  a  n  0,  Zentralbl.  f  Gyn.  1901,  Nr.  30  u.  34;  1902,  Nr.  37.  — 
Kehrer,  Zentralbl.  f.  Gyn.  1901,  Nr.  52.  —  Thomson,  Zentralbt  f. 


Gyn.  1901,  Nr.  20.  —  Derselbe,  Petersburger  med.  Wochenschr.  1896, 
Nr.  23.  —  Dützinann,  Monatsschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  16,  H.  1. 

—  Derselbe,  Zeitschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  56.  —  P  i  n  k  u  s,  Berliner 
klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  13  u.  15.  —  T  u  s  z  k  a  i,  Zentralbl.  f.  Gyn. 

1903,  Nr.  43.  —  Bürger,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1903,  Nr.  2S.  — 
Koslenko,  Med.  Woche  1903,  Nr.  32.  —  Frankl,  Zentralbl.  f. 
Gyn.  1904,  Nr.  16.  —  Derselbe,  Blatt  f.  klin.  Hydrother.  Wien.  — 
Garmichael,  Journ.  obst.  gyn.  brit.  empire  1903,  September.  — 
Salem,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1904,  Nr.  23.  —  H  e  i  n  c  i  u  s,  Berliner 
Klinik  1904,  H.  194.  —  K  e  i  1  m  a  n  n.  St.  Petersburger  med.  Wochenschr. 

1904,  Nr.  28.—  Steffeck,  Zentrabi,  f.  Gyn.  1905,  Nr.  36.  —  Der¬ 
selbe,  Zeitschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  56.  —  Rudolph,  Zentralbl.  f. 
Geb.  u.  Gyn.  1905,  Nr.  39.  —  Jung,  München,  med.  Wochenschr.  1905, 
Nr.  52.  —  Lewitzky,  Przeglad  lekarski  1905,  Nr.  20.  —  Fett, 
Monatsschr.  f.  Gen.  u.  Gyn.,  Bd.  22,  H.  5.  —  Stoeckel,  Zentralbl. 
f.  Gyn.  1905,  Nr.  48.  —  Derselbe,  Zeitschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  56. 

—  Derselbe,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  48  u.  49. 

Aus  der  11.  Universitäts-Augenklinik.  (Vorstand:  Hof  rat 

Prof.  E.  Fuchs.) 

Ein  Konturschuß  entlang  der  Orbita. 

Von  Dr.  Rudolf  Berg-meister,  Assistenten  an  der  II.  Augenklinik  in  Wien. 

Bekanntlich  ist  das  Auge  den  mannigfaltigsten  Ver¬ 
letzungen  so  stark  ausgesetzf,  wie  kaum  ein  anderes  Organ. 
Man  möchte  fast  glauben,  daß  es  von  der  Natur  mit  keinerlei 
wirksamen  Schutzvorrichtungen  ausgestattet  ist.  Dennoch 
kennen  wir  mehrfache  Schutzvorrichtungen,  teils  anatomi¬ 
scher,  teils  physiologischer  Natur,  die  schädigende  Einflüsse 
vom  Auge  abzuhalten  imstande  sind. 

Bekannt  ist  der  Schutz,  den  die  Zilien  gegen  kleine 
Fremdkörper,  Staub  usw.  gewähren,  ebenso  die  Wichtigkeit 
des  reflektorisch  erfolgenden  Lidschlages,  der  im  Vereine 
mit  der  Tränensekretion  das  Auge  vor  Austrocknung  schützt 
und  kleine  Fremdkörper  wegschwemmt. 

Unter  den  anatomischen  Schutzvorrichtungen  ist  der 
Bau  der  Orbita  von  hervorragender  Bedeutung.  Betrachtet 
man  ein  Schädelskelett,  so  fällt  einem  auf,  daß  die  den 
äußeren  Orbitaleingang  begrenzenden  Knochen  am  Rande 
eine  bedeutende  Verstärkung  erfahren.  Besonders  ausge¬ 
bildet  ist  diese  am  oberen  Orbitalrand,  der  vorwiegend  vom 
Stirnbein  gebildet  wird.  Durch  letzteres  wird  das  Auge 
vor  allen  Angriffen,  die  von  oI)enher  drohen,  beschützt.  Auch 
die  übrigen,  die  Orbitalumrahmung  bildenden  Knochen  und 
(las  Nasengerüst  tragen  viel  zum  Schutze  des  Auges  bei.*) 
Was  für  eine  wichtige  Rolle  speziell  der  Arcus  superciliaris 
des  Stirnbeines  als  Schutzvorrichtung  gespielt  hat,  möge  der 
vorliegende  Fall  zeigen,  der  an  der  11.  Augenklinik  in  Wien 
zur  Beobachtung  kam. 

Aus  der  xAiiamiiese  konnte  nur  entnommen  werden,  daß  der 
24jähr.  Pat.  am  5.  März  1.  J.  mit  einem  Revolver  hantierte  und 
sich  dabei  in  sitzender  Stellung  mit  etwas  vorgebeugtem  Kopfe 
befand.  Bei  dieser  Gelegenheit  soll  sich  der  scharf  geladene  Re¬ 
volver  aus  ziemlicher  Nähe  (genau  weiß,  der  Patient  es  nicht  an¬ 
zugeben)  entladen  haben  und  das  Ih'ojektil  in  das  linke  Auge 
gedrungen  sein.  Ein  Selbshnordversuch  wird  bestimmt  in  Abrede 
gestellt.  ;  1 

Status  praesens  vom  7.  März:  Die  linke  S timhälfte, 
etwas  über  die  Mittellinie  nacb  rechts  reichend,  vollständig  bedeckt 
mitPulverscbmauch  und  in  die  Haut  eingedrungenen  Pulverkörnern. 
Nach  Wegwischen  des  Pulverschpiauchs  und  der  aufgelagerten 
Ihilverkörner  kommt  etwa  V4  cm  ober  der  Augenbraue  eine  kaum 
1  cm  lange,  mehr  lineare,  von  einem  elliptischen  Verbrennungshof 
umgebene,  verklebte  Einsebußöffnung  zum  Vorschein. 

Die  Lider  sind  geschwollen,  suffundieit.  Durch  das  Unter¬ 
lid  tastet  man  außen,  unten  einen  harten  Fremdkörper. 

Nach  Oeffnen  der  Lidspalte  findet  man  den  Bulbus  etwas 
protrudiert,  die  Beweglichkeit  nach  unten  fast  aufgehoben,  sonst 
frei.  Die  Conjunctiva  bulbi  blutig  suf fundiert.  Außen  unten,  etwa 
15  mm  vom  Limljus  entfernt  eine  ziemlich  große,  unregelmäßige 
Wunde,  Ausschußöffnung  in  der  Conjunctiva  hulhi,  die  bis  in 
den  Förnix  reicht.  In  dem  untersten  Wundwinkel,  größtenteils 


*)  Ein  weiterer  Schutz  für  das  Auge  ist  in  dem  reichlichen  Fett¬ 
polster  gegeben,  in  welchem  der  Bulbus  in  die  Orbita  eingebettet  ist, 
ferner  auch  in  dem  etwas  geschlängelten  Verlauf  des  orbitalen  Teiles 
des  Optikus;  beides  Umstände,  die  eine  Dislokation  oder  Verschiebung  des 
Bulbus  oft  in  bedeutendem  Grade  ohne  bleibende  Schädigung  erlauben. 


WIENER  KLINISCHE,  WOCTTENSCHRIFT.  1907 


Nr.  18 


urilci'  (1(31'  Küiij'jiiklivu  oiii  Freiiidkürpcr,  clor  iiocli  die  koi'ui  eines 
Rc'vol ver] n’t! j<‘k tils  crkeiiiieii  läßt.  Korireii  khir,  in  dei  Vetdei- 
kaminer  frisclies  Illut  fast  bis  zur  IMitte,  Iris  grünlich  verfärbt. 
Mit  dem  Augenspiegel  kein  rotes  Liebt.  Tension  nonnal.  Licbt- 
enipfindung  in  G  m  -  Projektion  nach  innen  und  oben  unsicher. 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


Da  die  Tension  des  Auges  normal  war,  konnte  mit  lle- 
slimmlheit  die  Verletzung  des  Auges  als  nicht  perforierend  an- 
ges(‘ben  werden  und  die  Diagnose  auf  Glasköriierblidung,  Ilämor- 
j'hagie  in  die  \’orderkammer,  Contusio  ball/i,  geslellt  werden. 

8.  .März.  Exiraklion  des  Projeklils  nach  Inzision  der  llinde- 
liaut.  Das  Projektil  lag  mit  der  deformierten  Spitze  unter  der 
lÜndebaul.  In  den  nächsten  Tagen  ging  unler  llurowumschlägen 
die  Suffusion  der  Lider  und  der  Konjunkliva  zurück,  der  llulbus 
war  nach  allen  Richtungen,  auch  nach  unten  frei  beweglich. 
Am  10.  März  frische  Ifämorrhagie  in  die  Yordeikammer,  die  sich 
aber  nach  wenigen  'kagen  resorbierle.  Es  kam  nur  eine  zarte 
'l’rülmng  unler  (hu-  Linsenkapsel,  sowie  eine  feine  Fältelung  in 
dem  äiißeivn,  olteren  Quadranten  der  Einsenkapsel  zum  \or- 
schein,  die  auch  weiterhin  bestehen  blieb.  Dm-  Patient  zählt  Finger 
bis  zu  (“inem  Vieler  Enlfernung.  Vlit  dem  Spiegel  ist  noch  Rlut 
im  Glaskörper  zu  konstatieren.  Außerdem  leichtes  Linsen- 
.scblotlern. 

Am  Stirnhein  und  entlang  dem  äußeren  Grbilalrand  nirgends 
eiiH'  schnnu'/.bafle  Stelle,  kc'inerU'i  Anzeichen  für  eine  Infraktion. 

Wir  liaben  also  den  \vold  einzig  dasteimnden  Fall 
«dues  Koidursclmsses  entlang  dem  äußeren  Drbitalrand  vor 
uns,  ohne  Perforation  der  Bulbuskapsel. 


Daß  diese  Annahine  riciitig  ist,  beweist  das  Aussehen 
des  Projektils.  Es  ist  ein  innen  hohler  Bleizylinder,  dessen 
Spitze  eine  Delle  (Vertiefung)  aufweist  und  dessen  Ränder 
aufgekrenii)ell  sind  (a). 


Fig.  3. 


Die  Außenseile  weist  seichte  Längsriffung  auf,  wie 
sie  einem  gezogenen  Laufe  entspricht.  Die  wichtigste  Form¬ 
veränderung  des  Projektils  ist  bedingt  durch  eine  breite 
Furche  mit  scharfen  Rändern,  die  etwa  das  Aussehen  eines 
Schraubenganges  mit  steiler  Windung  hat  (b).  Diese  Furche 
erweist  sich  als  Abdruck  des  äußeren  oberen  Orbitalrandes, 
Avovon  man  sich  leicht  am  Skelett  überzeugen  kann. 

Nach  Aussage  Fachkundiger  handelt  es  sich  nur  um 
den  Bleimaiitel  des  Projektils.  Dieser  soll  sich  mitunter, 
wenn  auch  selten,  von  dem  Projektil  loslösen.  Es  handelt 
sich  dann  um  Konstruktionsfehler  der  Projektile.  In  einem 
solchen  Falle  soll  das  Vorhandensein  einer  Luftblase  das 
Abspringen  des  Bleimantels,  gleich  nachdem  das  Projektil 
den  Lauf  verlassen  hat,  begünstigen. 

Wir  gelangen  nun  zur  Frage:  Welche  Bedingungen 
brachten  es  mit  sich,  daß  es  in  diesem  Falle  zu  einem 
Konturschuß  der  Orbita  kommen  konnte? 

Zunächst  ist  zu  berücksichtigen,  daß  die  Wirkung  des 
Projektils  sich  äußert  durch  Eindringen  desselben  in  das 
Ziel ;  dieses  wird  zerschmettert  oder  auch  nur  erschüttert. 


Es  klcfnimt  also  zunächst  die  lebendige  Kraft  des 


Geschosises  zur  Geltung.  Diese  ist 


mv“ 


=  halbes  Produkt 


aus  Masse  und  Quadrat  der  Geschwindigkeit.  Sie  wächst 
also  mit  der  Masse  und  insbesondere  mit  der  Geschwindig¬ 
keit  des  Geschosses.  Von  der  lehendigen  Kraft  des  Geschosses' 
muß  die  Perkussionskraft  unterschieden  werden.  Diese  ist 


vorwiegend  von  der  Konstruktion  des  Geschosses  abhängig. 
Ein  spitzes  und  hartes  Geschoß  hat  unter  sonst  gleichen 
Verhältnissen  eine  größere  Durschlagskraft  als  ein  stumpfes 
und  weiches. 

Ferner  ist  sie  abhängig  von  dem  Auftreffswinkel  des 
Geschosses.  Wenn  das  Geschoß  nicht  im  rechten  Winkel 
auftrifft,  so  vergrößert  sich  nicht  allein  die  getroffene  Fläche, 
sondern  auch  die  auftreffende  Fläche  des  Projektils.  Es 
nimmt  daher  die  Eindringlingstiefe  mit  der  Abnahme  des 
Auftreffswinkels  ab.  Für  die  Gestaltung  der  Schußwunde 
ist  außer  des  lebendigen  Kraft  des  Geschosses  der  Wider¬ 
stand  des  getroffenen  Gewebes  maßgebend.  Dieser  Wider¬ 
stand  ist  verschieden,  je  nach  der  Festigkeit  und  der  rück¬ 
wirkenden  Kraft  des  geti’offenen  Gewebes.  Letztere  spricht 
sich  in  der  Deformierung  des  Geschosses  aus  und  ist 
proportional  der  lebendigen  Kraft  des  Geschosses. 

Die  Richtung  des  Schußkanals  braucht  nicht  immer 
der  Schußrichtung  zu  entsprechen.  So  kann  es  möglich 
sein,  daß  ein  Projektil  an  einem  Knochenteil,  der  eine 
Festigkeit  besitzt  wie  der  Arcus  superciliaris  des  Stirn¬ 
beins,  abprallt,  unter  einem  Winkel  ,,rikoschettiert“  oder 
im  Bogen  abgelenkt  und  selbst  entlang  eines  Knochens  um 
ganze  Köriierteile  .herumgeht  (Bogen-Kontur-Ringelschuß). 
Der  Schußkanal  eines  Konlurschusses  verläuft  in  einer 
bogenfönnigen  oder  spiralförmigen  Linie  um  eine  Körper- 
liöble,  ohne  dieselbe  zu  eröffnen  (Fischers  Handbuch  der 
Kriegschirurgie,  1882).  Konturschüsse  entstehen  dadurch, 
daß  ein  Projektil  durch  widerstandsfällige  Gewebe  wieder¬ 
holte  Ablenkungen  erfährt,  in  den  lockeren  Schichten  des 
Bindegewebes  verläuft,  während  es  den  Sehnen,  Faszien  und 
Knochen  ausweicht. 

Dafür,  daß  im  vorliegenden  Falle  der  Schuß  aus  der 
nächsten  Nähe  abgegeben  wurde,  spricht  der  Befund.  Die 
Schwärzung  der  Stirnhaut  durch  Pulverschmauch  und  auf- 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  190?. 


SB? 


gelagerte  Piilverkönier  bieten  genügend  Anliallspunkte  für 
diese  Annahme. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Einschußöffnung. 
Diese  war  ziemlich  unbedeutend,  annähernd  schlitzförnng, 
wie  dies  bei  spitzen  Ilevolverprojektilen  der  Fall  zu  sein 
pflegt. 

Von  ausschlaggebender  Bedeutung  für  den  Verlauf  der 
Verletzung  mögen  zwei  Momente  gewesen  sein.  Zunächst 
die  Loslösung  des  Bleimantels  vom  Projektil.  Dieses  in 
seiner  Masse  verringerte  Geschoß  hat  wohl  die  Kraft  gehabt, 
die  Weichteile  zu  perforieren,  nicht  aber  den  darunter 
liegenden  Knochen  zu  durchd ringen.  Es  tritt  also  eine  plötz¬ 
liche  Hemmung  in  der  Bewegung  des  Priojektils  ein,  wodurch 
Wärme  erzeugt  wird. 

Aus  Beobachtungen  an  Bleigeschossen,  die  auf  eiserne 
Scheihenständer  aufschlugen,  konnte  man  schließen,  daß 
die  Wärmemengen,  die  hei  der  Vernichtung  der  Geschwin¬ 
digkeit  erzeugt  werden,  so  groß  sind,  daß  sie  den  Schmelz¬ 
punkt  des  Bleies  erreichen.  (Dieser  beträgt  330®  C;  siehe 
Fischers  Handbuch  der  Kriegschirurgie,  1882.) 

Wärme  wird  überdies  schon  im  Laufe  erzeugt  und 
durch  Reibung  des  Projektils  an  der  Luft. 

Wärmeentwicklung  und  Aufprallen  auf  ein  festes, 
widerstandsfähiges  Gewebe  müssen  eine  Formveränderung 
des  Projektils  zur  F'olge  haben. 

Bei  den  Versuchen  von  Fl  a  ge  nb  ach  stellte  sich  noch 
konstant  neben  der  Abschmelz nng  am,  Projektil  eine  eigen¬ 
tümliche  konische  Form  des  überbleibenden  Teiles  heraus. 
Er  erklärte  dieselbe  aus  der  Umstülpung  des  hohlen  Gescho߬ 
teiles,  welches  infolge  des  beim  Aufschlagen  entstehenden 
Druckes  völlig  wie  ein  Handschuhfinger  umgekehrt  wird. 
So  ein  überzeugte  sich  von  der  Richtigkeit  dieser  Erklä¬ 
rung  dadurch,  daß  er  Versuche  mit  Kugeln  anstellte,  deren 
Hohlraum  mit  verschiedener  FWrbe  und  ein  gravierten  Zeichen 
vorher  versehen  wurde.  Die  Farbe,  sowie  die  eingravier¬ 
ten  Zeichen  fanden  sich  nach  dem  Schuß  auf  der  Außen¬ 
seite  des  konischen  Ueberbleibsels. 

Trotzdem  sind  z.  B.  deformierte  Spitzkugeln  leicht  zu 
erkennen,  da  sich  meist  eine  basale  Delle  und  ein  sie 
umgebender  Ring  erhält,  wie  dies  ja  auch  in  unserem  Falle 
sichtbar  war  (Fig.  3a). 

Nach  dem  Abprallen  hatte  das  Projektil  trotz  der  Ab¬ 
lenkung  der  Schußrichtung  noch  so  viel  Kraft,  daß  es  eine 
Strecke  weit,  entlang:  dem  äußeren  Orbital rand  verlaufen 
konnte.  Hiebei  erhielt  das  weich  gewordene  Blei 
den  Abdruck  des  vorspringenden  Knochenran¬ 
des.  Diese  Furche  mußte  eine  leichte  Drehung  aufweisen, 
da  sich  das  Geschoß  in  rotierender  Bewegung  befand  (siehe 
Fig.  3  b). 

Nach  Wahl  kommt  bei  Schüssen  mit  erlöschender 
Kraft  des  Projektils  fast  nur  die  rotierende  Bewegung  des 
Geschosses  zum  Ausdruck.  Solche  Projektile  erzeugen  daher 
Erschütterungen  und  Quetschungen  der  Gewebe.  Diese  Er¬ 
scheinungen  zeigte  auch  unser  FAill,  bei  dem  der  Bulbus 
deutliche  Zeichen  der  Kontusion  aufwies. 

Trotzdem  gelangte  das  Projektil  bis  unter  die  Con¬ 
junctiva  bulbi,  die  eine  besonders  große  Ausschußöffnung 
zeigte.  Nach  Aufsaugen  des  Blntes  und  Rückgang  der  In¬ 
jektion  zeigte  die  Umgebung  der  verheilten  Wunde  eine 
schwärzliche  Verfärbung. 

Von  Interesse  sind  die  Kontusionswirkungen  in  der 
Umgebung  des  Schußkanals,  speziell  die  Erscheinmigen,  die 
der  Bulbus  zeigte. 

Wie  schon  oben  hervorgehoben  wurde,  konnte  eine 
Perforation  der  Sklera  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden. 

Welches  ist  die  Quelle  der  Vorderkammerblutimg? 

Blut  in  der  Vorderkammer  stammt  häulig  aus  dem 
rupturierten  Sc  hie  mm  sehen  Kanal,  aus  zerrissenen  Iris¬ 
gefäßen  (Iridodialyse)  oder  Rissen  des  Ziliarkörpers. 

Die  Glaskörperblutung  stammt  aus  geborstenen  Netz¬ 
oder  Aderhautgefäßen,  auch  aus  Rißstellen  der  Aderhaut 
und  wird  als  indirekte  Schußläsion  beohachtet. 


Sind  wir  nun  wirklich  berechtigt,  diesen  Bogenschuß 
um  die  uneröffnete  Bulbuskapsel  als  Konturschuß  anzu¬ 
sehen?  ^  ’ 

Praun  spricht  von  solchen  Schußverletzungen,  ins¬ 
besondere  zitiert  er  einen  Falt  von  .Tolivet  (1875,  referiert 
nach  Michel-Nagel),  bei  dem  ein  Schrotkorn  zwischen 
Conjunctiva  bulbi  und  Sklera  den  Bulbus,  ohne  ihn  zu  per¬ 
forieren,  umkreist  hat.  Eingedrungen  war  dasselbe  am 
oberen  Lid  in  der  Höhe  des  Nervus  frontalis. 

Nach  Zander  und  Geißler  finden  sich  diese  Kontur- 
schüsse  vorwiegend  an  der  äußeren  Seite  des  'Augapfels 
wegen  der  Konvergenzstellung  des  Auges,  bei  welcher  die 
äußere  Bindehautflcäche  der  Verletzung  ausgiebiger  zugäng¬ 
lich  ist. 

Ich  möchte  den  vorliegenden  Fall  als  Konturschuß 
der  Orbita  bezeichnen,  weil  der  knöcherne  Orbitalrand  ma߬ 
gebend  war  für  die  von  deih  Projektil  einzuschlagende 
Richtung. 

Die  Fascia  tarsoorbitalis  hatte  auf  die  Verlaufsrich¬ 
tung  des  Projektils  keinerlei  Einfluß,  im  Gegenteil  hatte 
letzteres  noch  Kraft  genug,  die  Faszie  zu  durchbohren  und 
so  unter  die  Conjunctiva  bulbi  zu  gelangen. 

Benützte  Literatur: 

Siehe  Fischers  Kriegschirurgie,  Deutsche  Chirurgie  1882, 
17a  und  17b.  —  Eduard  v.  Hoffmanns  Lehrbuch  der  gerichtlichen 
Medizin.  Herausgegeben  von  Prof.  Kolisko,  1903.  —  Praun,  Die  Ver¬ 
letzungen  des  Auges,  1899. 


Referate. 

Sammlung  klinischer  Vorträge. 

Leipzig  1907,  ßreitkopf  &  Härtel. 

* 

Nr.  441  (Gynäkologie  169): 

Shakespeares  Gynäkologie. 

Von  F.  V.  Wiiickel. 

21  Seiten. 

In  zahlreichen  Zitaten  zeigt  uns  Winckel,  daß;  Shake¬ 
speare,  der  Zeitgenosse  Harveys,  Wiseman  ns,  Ambroise 
Pares  und  Bacon  v.  Veriilams,  ,,üher  ein  für  die  damalige 
Zeit  auffälliges  und  bedeutendes  medizinisches  Wissen  verfügte; 
daß  er  ferner  offenbar  bei  der  Darstellung  von  Befunden  und 
Vorgängen,  die  ihn  besonders  interessierten,  vielleicht  mit  Hilfe 
ärztlicher  Freunde  und  Studiengenossen,  sich  auf  das  eingehendste 
unterrichten  ließ.  Vor  allem  aber  lernen  wir  aus  seinen  Werken, 
daß  er  immer  dem  Grundsatz  huldigte :  Homo  sum,  liumani  nil  a 
me  alienum  puto.“ 

* 

Nr.  443  (Gynäkologie  161): 

Neuere  Bestrebungen  auf’ dem  Gebiete  der  exakten 

Beckenmessung. 

Von  F.  Ahlfeld. 

15  Seiten. 

Eine  Widmung  zu  Kehrers  70.  Gebuitslag. 

Die  große  Mehrzahl  der  Instrumente  zur  direkten  Mess  ans 
der  Conjugata  vera  geht  von  der  Idee  aus,  zuerst  den  Punkt 
am  Promontoi’ium  zu  fixieren  und  von  da  aus  den  Punkt  an 
der  hinteren  Symphysenfläche  aufzusuchen;  dies  genau  auszu¬ 
führen  ist  unmöglich,  ohne  den  am  Vorherge  hestimmten  Punkt 
mit  dem  Finger  wieder  zu  verlassen. 

Ahlfeld  ging  von  dem  Gedanken  aus,  zuerst  den  Punkt 
an  der  hinteren  Wand  der  Symphyse  mit  dem  Finger  aufzusuchen 
und  zu  hestimmen,  dann  dort  das  Instrument  anzusetzen  und 
von  diesem  fixierten  vorderen  Endpunkte  aüs  das  Promontorium 
aufzusuchen.  Das  Instrument,  S-förmig  gebogen,  kommt  dicht 
unter  den  Symphysenwinkel  zu  liegen.  Die  äußere  Hand  hält 
durch  einen  Zug  am  Handgriff  des  Instrumentes  das  innere  Ende 
de.sselhen,  das  zu  dem  Zrvecke  etwas  abgeplattet  ist,  scharf  gegen 
die  hintere  Symphysenwand  angezogen,  während  mit  dem  Zeige¬ 
finger  der  anderen  Hand  ein  Seidenfaden,  der  durch  das  •[ristrument 
hindurchläuft,  gegen  den  Vorberg  hin  herausgezogen  wird.  Ein 
Fingei'druck  der  äußeren  Hand  arretiert  den  Faden  an  der  Stelle, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


wo  er  nach  aiilJeii  die  llolilkaiiüle  des  liislrtinieides  verliißl. 
Nun  kann  der  innere  Zeigefinger  wieder  das  Proinontoriuin  ver¬ 
lassen  und  man  zieht  ihn  mit  dem  Instrumente  zugleich  aus 
der  Scheide  hei'aus.  Streckt  man  nun  den  Finger  und  damit 
den  Faden,  so  zeigt  die  Entfernung  der  Fingerspitze  his  zur 
äußeren  Seite  der  kleinen  Endplatte  des  Inslrunientes  die  Lkinge 
der  Conjugata  vera,  oder,  wenn  man  will,  der  Ohstetricia,  an. 

Ahhilclungen  erläutern  das  Instrument. 

* 

Nr.  444/5  (Gynäkologie  162/3): 

Die  Zystoskopie  des  Gynäkologen, 

Von  Leop.  Thnmiin,  Berlin. 

33  Seiten. 

In  äußerst  flüssiger  Form  und  anregender  Weise  erörtert 
Ferf.  die  Notwendigkeit  und  Vorteile  der  Zystoskopie  in  der 
Gynäkologie  an  zahlreichen  praktischen  Beispielen  eigener  Er¬ 
fahrung  und  solchen  aus  der  Literatur. 

* 

Geburtshilfe  und  Strafrecht. 

V^on  Dr.  G.  Radbriicli,  Piivatdozenten  der  Rechte  in  Heidelberg. 

34  Seiten. 

Jena  1907,  Fischer. 

Um  dem  in  medizinischen  ebenso  wie  in  Juristenkreisen 
ernstlich  gefühlten  Mangel  einer  ausdrücklichen  Rechtmäßigkeits¬ 
erklärung  der  Perforation  (darunter  versteht  Verf.  alle  jene  Opera¬ 
tionen,  durch  die  das  Leben  der  Frucht  vernichtet  wird,  um 
das  der  Mutter  zu  erhalten)  ahzuhelfen,  erörtert  Radbruch 
drei  Möglichkeiten. 

Die  erste  Aväre,  sie  durch  die  in  ein  künftiges  Strafgesetz¬ 
buch  vielleicht  aufzunehmende  Bestimmung  über  die  Recht¬ 
mäßigkeit  chirfirgischer  Operationen  zu  decken.  Die  zweite  l\Iög- 
lichkeit  wäre  eine  besondere  Bestimmung  über  die  Rechtmäßig¬ 
keit  der  Perforation.  Eine  solche  Bestimmung  würde  uns  folgende 
Fragen  auferlegen:  die  hinsichtlich  des  Zweckes  (Bewahrung  der 
Mutter  vor  dem  Tode?  oder  auch  vor  Siechtum?);  zweitens  hin¬ 
sichtlich  des  Verhältnisses  der  Perforation  zu  jenem  Zwecke.  (1st 
sie  rechtmäßig,  nur  wenn  sie  notwendig  war  zu  jenem  Zwecke, 
oder  schon,  wenn  sie  überhaupt  nur  um  seinetwillen  vorgenommen 
wurde?  Muß  sie  das  einzige,  oder  braucht  sie  überhaupt  nur 
ein  Mittel  zu  jenem  Zwecke  gewesen  sein?)  Drittens  hinsicht¬ 
lich  des  Subjektes  der  Perforation  (soll  sie  nur  Medizinalpersouen; 
oder  jedermann  erlaubt  sein?).  Viertens  hinsichllich  iler  Ein¬ 
willigung  dei'  Mutter  (soll  sie  zur  Rechtmäßigkeit  der  Perforation 
erforderlich  sein  oder  nicht?). 

Sämtliche  dieser  Fragen  wären  aber  leicht  beantwortet, 
wenn  aus  der  Notstandsbestimmung  des  Deutschen  Strafgesetz¬ 
buches  (§  54),  welche  Handlungen,  ,,die  in  einem  uiwerschuldeten. 
auf  andere  Weise  nicht  zu  heseitigenden  Notstände,  zur  Rettung 
aus  einer  gegenwärtigen  Gefahr  für  Leih  oder  Leben  des  Täters 
oder  eines  Angehörigen  begangen  worden  sind“,  deckt,  die  Be¬ 
schränkung  des  Nothilferechtes  auf  Angehörige  gestrichen  würde. 

Nach  diesem  modifizierten  Wortlaut  wäre  die  Perforation 
rechtmäßig  nicht  nur,  wenn  sie  die  Mutter  vor  dem  Tode,  sondern 
auch  vor  dem  Siechtum  bc'wahren  soll;  sie  müßte  das  einzige, 
das  notwendige  Mittel  zur  Rettung  der  Mutter  sein;  sie  würde 
aber  auch  die  von  einem  Laien  vorgenommene  Perforation,  wenn 
sie  indiziert  war,  rechtfertigen  (dies  erscheint  dem  Verfasser 
unbedenklich,  so  lange  die  Gewerbefreiheit  auch  für  das  ifeil- 
gewerbe  gilt  l).  Schließlich  würde  es  nicht  der  Einwilligung  der 
Schwangeren  zu  dem  Eingriffe  hedürfen  —  was  allerdings  ver¬ 
schiedenen  Einwendungen  begegnen  kann.  Doch  könnte  durch 
einen  Zusatzparagraphen  eventuell  die  Zustimmung  dei'  Mutter 
für  erforderlich  erklärt  werden. 

Die  Mittel  zur  Verhütung  der  Konzeption.  Eine  Studie 
für  Aerzte  und  Geburtshelfer. 

Von  Haus  Fordy. 

In  zwei  Teilen:  1  Die  Mittel;  2.  Die  Stellungnahme  des  Arztes  gegen¬ 
über  dem  Verlangen  der  Konzeptionsverhütung  im  Volke. 

175  Seiten,  8.  Auflage. 

Leipzig  1907,  S  p  o  h  r. 

Tm  orslen,  umfangreicheron  Teile  bespricht  Fei'dy  die 
Dignität  der  veiscduedenen  anlikonzei)tionellen  Mittel  und  Ma߬ 


nahmen;  in  erster  Linie  empfiehlt  er  den  G(d)rauch  verläßlitduu- 
Kondoms.  Im  zweiten  Teil  spricht  sich  der  \'erfasser  für  das 
weitestgehende  Eidgegenkomnven  des  Arztes  gegenüber  den  Ver¬ 
langen  nach  antikonzeptionellen  Mitteln  aus. 

Die  sachlichen  Erörterungen  des  Verfassers,  wehdier  bekannt¬ 
lich  Laie  ist,  sind  von  solchen  i)olemischer,  vehementester  Natur 
unterhroclien ;  oder  letztere  bilden  vielmehr  den  Hauplh(*standt(Ml 
der  beiden  Hefte.  Wenige  unter  den  namhaften  Gynäkologen 
der  letzten  Jahrzehnte  kommen  ohne  Beschimpfungen  davon.  Es 
genügt  dem  Referenten,  ein  in  dem  Buche  ahgedrucktes  Zitat 
zu  wiederholen,  welches  aus  einem  g(“gen  Fei'dy  gerichteten 
Vorträge  eines  reichsdeutschen  Kollegen  stammt.  Es  lautet:  ,,Die 
Besprechung  der  antikonzejdionellen  Mittel  nach  Indikation,  Wert 
nnd  Anwendungsweise  gehört  mit  zum  Lehrthema  der  Frauen¬ 
heilkunde  und  sollte  auch  in  den  betreffenden  Lehrfächern  eine 
besonders  eingehende  Würdigung  erfahren,  auf  daß  wir  Aerzte 
nicht  vor  Scham  rot  werden  über  die  Schund-  nnd  Schand- 
literatur  Unberufener.“ 

* 

Der  plazentare  Stoffaustausch  in  seiner  physiologischen 
und  pathologischen  Bedeutung. 

Von  E.  Kehrer,  Heidelberg. 

Würzburger  Abhandlungen,  VH,  2—3. 

73  Seiten. 

Würzburg  1 907,  Stüber. 

Ein  mit  außerordentlichem  Fleiße  verfaßtes,  sehr  übersicht¬ 
liches  Sammelreferat,  welches  dem,  der  über  einschlägige  Fragen 
arbeiten  will,  die  ausgiebigste  Orientierung  bietet.  Das  Literatur¬ 
verzeichnis  umfaßt  462  Nummern. 

Reformen  in  der  Therapie  des  engen  Beckens. 

Von  Dr.  C.  Baiscli,  Tübingen. 

Mit  16,  zum  Teil  farbigen  Kurventafeln. 

160  Seiten. 

Leipzig  1907,  T  h  i  e  m  e. 

Die  interessante,  von  dem  Standpunkte,  daßi  das  Kind  das 
gleiche  Recht  auf  Lehen  habe  wie  die  Mutter,  ausgehende  Arbeit 
ist  die  gi'ößte  nach  der  bekannten,  den  Z  w  e  i  f  e  1  sehen  Stand¬ 
punkt  vertretenden  Publikation  Krönigs.  . 

Entgegen  den  meisten  statistischen  Arbeiten  über  die  Gehurt 
beim  engen  Becken  hat  Baisch  das  Problem  der  zweckmäßig¬ 
sten  Therapie  heim  engen  Becken  in  folgende  Einzelfragen  auf¬ 
gelöst  : 

1.  Wie  groß  ist  die  kindliche  Mortalität,  wenn  die  Geburt 
streng  exspektativ,  nur  im  Interesse  der  IMutter  geleitet  wird? 

2.  Wie  groß,  ist  die  Häufigkeit  der  Spontangeburt  hei  dieser 
ausschließlich  die  Mutter  berücksichtigenden  Gehurtsleitung  ? 

8.  Wie  vejschieht  sich  die  Mortalität  und  Morbidität  von 
Mutter  und  Kind,  wenn  in  dies  streng  ahwartende  Verfahren, 
das  nur  Sjiontangeburt  und  Perforation  kennt,  hohe  Zange,  pro])hy- 
laktische  Wendung  und  künstliche  Frühgeburt  eingeschaltet  wird? 

4.  Sind  diese  Operationen  imstande,  die  Perforation  des 
lebenden  Kindes  zu  ersetzen  oder  wenigstens  einzuschränken 
und  den  relativeti  Kaiserschnitt,  sowie  die  heckenerweiternden 
Operationen  zu  umgehen? 

5.  ln  welchem  Umfange  müssen  wir  vom  Kaiserschnitt  und 
von  der  Hebotomie  Gebrauch  machen,  wenn  wir  das  ideal  der 
Geburtshilfe,  auch  das  Kind  in  jedem  einzelnen  Falle  zu  retten, 
erieichen  wollen? 

Die  nach  diesen  Prinzipien  detailliej't  erfolgte  Gegenüber¬ 
stellung  großer  Statistiken  über  Gehurtem  hei  engem  Becken  voni 
Material  der  1)  ö  der  1  e i  n scheu  untl  anderer  großen  Kliniken 
ergibt  die  Tatsache,  daß'  das  ahwartende  Verhalten,  wie  es 
Litzmann,  Michaelis  und  Spiegelherg  gelehrt  haben,  den 
anderen  Methoden  sicher  übei'legen  ist.  Aber  dort,  wo  die  Alten 
das  Kind  perforieren  mußten,  hat  heute,  wo  uns  alle  Hilfsmittel 
dei'  Asepsis  und  Technik  zu  Gebote  stehen,  auch  dem  nngehorenen 
Kinde  das  Recht  auf  Leben  gewalut  zu  werden. 

Die  sogenannten  prophylaktischen  Methoden  sind  nur  halhe 
Methoden,  die  einer  Zeit  entstammen,  wo  man  bestrebt  war, 
die  Pei'foi'alion  hdjender  Kinder  nach  Tunlichkeit  einzuschräidu'u, 
zugleich  aber  auch  die  mütterliche  Mortalität  zu  verringern. 


Nr.  18 


539 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


lleuk'  ist  uiisero  Therapie  —  so  sag!  Hai  sell  — 
cine  kausale  geworden :  das  enge  Hecken  wird  geöffnet 
oder  umgangen.  Hebolomie,  Kaiserschiiitt  aus  relativer  In- 
dikalion  und  Syinphysioloinie  gehen  für  die  Mutter  absolut 
keine  scblecldere  Prognose,  als  die  sogenannten  propby- 
laklischen  Operationen.  Die  Konsequenzen  der  modernen  geburts¬ 
hilflichen  Bestrebungen  lassen  sich  aber  nicht  mehr  )nit  der 
alten  Meinung  vereinen,  die  Geburtshilfe  sei  die  Domäne  der 
allgemeinen  Ih'axis.  Die  Frau  mit,  engem  Hecken  gehört  in  die 
vom  fachmännisch  ausgebildeten  Geburtshelfer  geleit(do  Anstalt. 

Die  Arbeit  zeichnet  sich  durch  besondere  Uebersicbtlichkeit 
aus,  wozu  die  zahlreichen  Kurven  tafeln  beitragen.  Der  Verfasser 
weih  durch  interessante  Darstellungsweise  den  bekannt  spröden 
Sloff  fesselnd  zu  behandeln.  Seine  Folgerungen  sind  entschieden 
veiduhreriscb.  Man  muß  jedoch  den  Einwand  erbeben,  daß,  selbst 
worn  man  Haischs  Methode  der  Statistik  als  die  richtige  be¬ 
zeichnet,  ein  Vergleich  der  Erfolge  verschiedener  Kliniken  unter¬ 
einander  nie  einwandfrei  sein  kann.  Mau  müßite  an  einer  und 
derselben  Klinik  große  Reihen  von  Geburten  nach  den  ver¬ 
schiedenen  Prinzipien  behandeln,  um  vollwertige  Vergleichs¬ 
ubjekte  zu  erhalten. 

♦ 

Handbuch  der  Gynäkologie. 

Bearbeitet  von  Anton  (Halle),  Bumm  (Berlin),  Döderlein  (Tübingen), 
Franz  (Jena),  Fro  m  m  e  (Halle),  Kleinhans  (Prag),  Koblanck 
(Berlin),  Küstner  (Breslau),  Menge  (Erlangen),  R.  Meyer  (Berlin), 
Olshausen  (Berlin),  Pfannen  stiel  (Gießen),  v.  Ros  thorn  (Heidel¬ 
berg),  Sarwey  (Rostock),  Schaffer  (Berlin),  Spuler  (Erlangen), 
Stoeckel  (Berlin),  Veit  (Halle),  Winter  (Königsberg). 

Herausgegeben  von  J.  Veit,  Halle. 

Zweite,  völlig  umsearbeitete  Auflage. 

Wiesbaden  1907,  Bergmann. 

I.  Band: 

Franz,  Die  Verhütung  der  Infektion  in  der  Gynäkologie;  Küstner, 
Lage-  und  Bewegungsanomalien  des  Uterus  und  seiner  Nachbarorgane; 
R.  Meyer,  Die  Myome  und  Fibrome  des  Uterus;  Veit,  Aetiologie, 
Diagnostik,  Prognose,  Symptomatologie  der  Myome;  R.  Schäffer, 
Die  elektrische  Behandlung  der  Uterusmyome;  Veit,  Die  palliative  Be¬ 
handlung  und  die  vaginalen  Operationen  der  Ulerusmyome;  Olshausen, 
Die  abdominalen  Myomoperationen,  Myom  und  Schwangerschaft. 

Zehn  Jahre  sind  seit  dem  Erscheinen  der  ersten  Auflage 
des  Handbuches  der  Gynäkologie  verstrichen.  Wenngleich  um¬ 
wälzende  Entdeckimgen,  fiiiidanieutale  Neuerungen  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  Frauenheilkunde  seit  dieser  Zeit  nicht,  zn  verzei(dmen 
sind,  so  sind  doch  namentlich  in  der  Operationsteclmik  zahlrei(die 
Modifikationen  angegeben  Avorden,  auch  ist  die  einschlägige 
Literal ur  zu  einem  solchen  Umfange'  gediehen,  daß  eine  N('u- 
auflage  des  Handbuches  ein  Bedürfnis  geworden  ist. 

Unter  den  Namen  der  Mitarbeiter  vermissen  wir  )h(dit  wenige. 
Gebhard,  Gessner,  Löh  lein  und  Viertel  weilen  nicht  nu'br 
unter  den  Lebenden.  Fritsch,  Frommei,  Nagel  und  Winter¬ 
nitz  haben  ihre  Kapilel  abgegeben.  Gleictnvobl  sind  die  von 
den  genannten  Ausscheidenden  bearbeiteten  Kapitel  als  Basis 
für  die  beti'effenden  Neubearbeitungen  gedacht.  Das  alle  Bcbema 
der  Einteilung  des  Stoffes  soll  in  der  Neuauflago -annähernd  bei¬ 
behalten,  neue  praklisrdie  Fragen,  die  besonders  durch  die 
soziale  Gesetzgebuirg  aufgeAvorfen  werden,  sollen  berücksiclitigt 
AA'erden;  für  diese  Kapitel  ist  auch  die  Mitarbeit  eines  Neurologen 
gesichert. 

Der  erste  Band  liegt  nunmehr  im  Umfange  von  fast  840  Seiten 
vor  uns. 

Eine  Abhandlung  über  Verhütung  der  Infektion  in  der  Gynä¬ 
kologie  eröffnet  —  Avie  in  der  ersten  Auflage  —  auch  diesmal; 
für  Löhlein  ist  Franz  eingelreten.  Im  Umfange  ziemli(di  gleich 
der  Löhleins  ist  die  Abhandlung  naturgemäß  eine  vollkommen 
selbständige.  Sie  ist  —  was  man  bekanntlich  bei  diesem  Thema 
selten  sagen  kann  —  ganz  außerordentlich  flüssig,  fesselnd  und 
inhaltlich  dem  modernsten  Standpunkt  entsprechend  geschrieben. 
Die  Aveitei'en  Bestrebungen,  die  Wundbeilung  zu  bessern,  liege.n 
nach  Franz  in  der  Richtung,  die  Sicherheit  der  Operalionen 
unreiner  Fälle  zu  erhöben  und  Verfahren  zu  erfinden,  die  die 
Sebutzkräfte  des  Organismus  gegen  eindringende  oder  schon  vor¬ 
handene  Infektionserreger  stärken  könnten. 

Küslners  l\a|)il(‘l  ist  von  Ißt)  Sr'ilen  auf  im'bi’  als  das 
Doppelte  angoAvaebsen.  Die  Anoi-dnung  des  Stoffes  ist  die  gleiche 


geblieben.  Neu  ist  die  Besprechung  der  intraabdominalen  Drnck- 
verhällnisse,  in  der  die  kürzlich  publizierten  Unlersucbnngen  Hör¬ 
manns  wieder-gegeben  werden.  Bei  der  Parametritis  posterior 
Avird  auch  die  operative  Behandlung  angefübri.  Die  Torsion  er¬ 
fährt  eine  ausfübrlichei’e  Besjueebung.  Zwei  neueingefügte  Bilder 
illustrieren  die  durch  peihnetriliscbe  VerAvaebsuugen  verursachte 
Retroflexio  fixata.  Mil  Entschiedenheit  betont  Küstner,  daß  bei 
außerordentlich  vielen  Frauen  das  ,,Heer  der  hysterischen  Sym¬ 
ptome“,  Kardialgie,  Globus,  Klavus,  Tachykardie  usav.  nach  einer 
metliodiscb  durchgefübrten  korrekten  Behandlung  eines  gefnndenei) 
Genitalleidens  Amrschwindel,  Avelches  oft  in  einer  ‘Retroversio 
flexio  besteht.  Von  Pessarien  Averden  solche  aus  Hartglas  em¬ 
pfohlen.  Noch  energischer  als  früher  Avendet  sich  Küstner  gegen 
1 )  1  tr  au  t  ei'i  np  essa  r  e . 

Die  —  selbstverständlich  ausführlicher  bearbeiteten  —  Ab¬ 
schnitte  über  Alexander-Adams,  Ventrofixation,  Vaginäfixalion 
haben  Abbildungen  erhalten.  Auch  der  suprasymphisäre  Querschnitt 
ist  natürlich  schon  angefülnd.  Eine  Illustration  zeigt  eine  von 
Küstner  angegebene  Vorrichtung  zum  aseptischen  Gebrauch  des 
Paquelins.  Eine  Zusammenfassung  und  kritische  BeAvertung  be¬ 
schließt  die  Besprechung  der  verschiedenen  (Jperations-  und  kon¬ 
servativen  Methoden  zur  Fixation  des  Uterus.  Neu  ist  ein  um¬ 
fangreiches  Kapitel  über  Betroflexio  und  -versio  uteri  gravidi. 

In  das  Kapitel  über  Uterusprolaps  sind  zahlreiche  photo¬ 
graphische  Darstellungen  einschlägiger  Beobachtungen  eingefügt 
worden.  Seinen  Standpunkt  in  der  Frage  der  Aetiologie  des 
Prolapsus  hat  Küstner  nicht  geändert.  Auch  bei  der  (»atbo- 
logiscben  Anatomie  des  Prolapsus  und  der  Besprechung  der  Pro¬ 
lapsoperationen  finden  Avir  zahlreiche  neue  Bilder.  Daß  bei  der 
Schau  laschen  Operation  der  Uterus  prinzipiell  mit  Sebeiden- 
schleimhaut  überkleidet  wird,  ist  Küstner  entgangen.  Die 
Schauta  sehe,  We  r  t  hei  m  sehe,  und  Fritschsche  Operation  er¬ 
fahren  eine  zusammenfassende  Besprechung,  ebenso  Sclnvanger- 
schaft,  Geburt  und  MWchenbett  bei  Vorfall  des  Uterus  und  der 
Scheide.  Neu  ist  ein  zehn  Seiten  langes  Kapitel  über  die  Lage¬ 
veränderungen  der  Aveiblichen  Genitalien  in  ihrer  Beziehung  zur 
Unfallsgesetzgebung.  Bei  der  Besprechung  der  Wester  mark- 
scheu  Operation  finden  Avir  neue  Bilder. 

Abweichend  von  der  ersten  Auflage,  in  deren  erstem  Bande 
im  Anschluß  au  die  LagcAmränderungen  des  Uterus  die  Erkran¬ 
kungen  der  Vagina,  die  Gonorrhoe  und  die  Entwicklungsgeschichte 
der  weiblichen  Geschlecditsorgane  behandelt  wurden,  folgt  auf 
Küstners  Kapilel  in  der  Neuauflage  ein  Abschnitt  über  die 
Anatomie  und  Histogenese  der  Myome  von  B.  Meyer. 

Früher  von  Gebhard  behandelt,  konnte  dieser  Abschnitt 
keinen  berufeneren  Bearbeiter  erhallen  als  R.  Meyer. 

Wenngleich  kurz  gefaßt  und  nur  tlas  Wesenlliche  enthal¬ 
tend,  ist  dieses  Kapitel  dennoch  um  ein  Drittel  länger  als  das 
Gebhards.  Ini  großen  und  ganzen  ist  die  Anordnung  des  Stoffes 
ähnlich  der  der  ersten  Auflage,  obAvohl  Meyers  Bearbeitung 
eine  selbständige  ist.  Er  stellt  sich  von  vornherein  auf  ^lallorys 
Standpunkt  über  die  Nomenklatur  und  spricht  nui'  von  (Myomen, 
ignoriert  die  BindegeAvebswucherung  geringen  Grades  oder  kenn- 
zciclmet  eine  solche  höheren  Grades  durch  den  Zusatz  ,,fibro- 
plastisch“  oder  ,, fibrös“.  Er  spricht  ferner  von  ,,fibromatösen 
Myomen“,  ,, Myoma  durum“,  ,, Myoma  molle“  und  reserviert  den 
Ausdruck  ,,Fibromyom“  für  echte  (Misch-  und  Kombinations- 
gescIiAvülste.  Bezüglich  der  Aetiologie  äußert  sich  Meyer  ab¬ 
lehnend  gegen  die  Annahme,  daßi  die  Gefäße  hier  eine  besondere 
Rolle  spielen.  Hinsichtlich  der  Adenomyome  mußte  sich  Meyer 
Avescntlich  auf  die  Hauptpunkte  beschränken,  da  eine  eingehende 
Würdigung  dieser  GescliAvülste  nicht  möglich  Aväre,  ohne  den 
Rahmen  des  Buches  zu  sprengen.  Der  besondere  Standpunkt 
Meye  rs  in  dieser  Frage  ist  bekannt. 

Veits  Kapitel  (Aetiologie,  Symptomatologie,  Diaguoslik 
und  Prognose  der  Myome)  ist  Avenig  verändert  worden.  Bei 
der  Aetiologie  der  Myome  bat  er  seiner  Zusammenfassung  einen 
Aveiteren  Absatz  hinzugefügt,  in  welchem  er  nochmals  der  erb¬ 
lichen  Anlage  und  den  frühzeitigen  uterinen  Erkraidcungen  kli¬ 
nisch  eine  Prädisposition  zur  Myombildung  zuerkennt;  das  ent¬ 
spreche  dem  anatomiseb  geführten  NacliAveis  von  der  Bedeutung 
kongenital  abgesprengter  oder  im  extranicrinen  Leben  aus  ihrem 
Zusaninienbang  gerissener  Keime  oder  Gewebsteile.  Hiezu  treti'u 


WIENER  KLINISCHE  WüCllENSCllRlET.  1ÜÜ7. 


Nr.  18 


noch  abnorme  oder  abnorm  starke  Reize  als  weiteix; 
auslösende  Ursache  dazu. 

Schaeffers  elektrische  Behandlung  der  Myome  ist 
von  sechzig  auf  fünfzehn  Seiten  zusammengesclirumpft,  ent¬ 
sprechend  dem  Umstand,  daß  diese  Behandlungsart  fast  aus¬ 
schließlich  historisches  Interesse  bietet.  Auch  das  von  Veit 
bearbeitete  Kapitel  über  palliative  Behandlung  und  vaginale  Myom¬ 
operationen  ist  gegenüber  der  ersten  Auflage  wenig  verändert. 
Döderleins  Spaltungsprinzip  wird  bei  der  vaginalen  Total¬ 
exstirpation  warm  empfohlen. 

01s hausen  bat  seinen  Beitrag  um  60  Seiten  vermehrt, 
obwohl  inhaltlich  eigentlich  keinerlei  wesentliclie  Aenderungen 
vorgenommen  wurden.  Noch  immer  empfiehlt  er  für  gewisse 
Fälle  die  versenkte  elastische  Ligatur.  Seinen  Standpunkt  in 
der  Frage  der  Enukleation  präzisiert  er  dahin,  daß  er  im  großen 
und  ganzen  die  Enukleation  auf  junge  Individuen  beschränkt 
wissen  will,  denen  an  Nachwuchs  gelegen  ist  und  wo  anscheinend 
ein  einzelnes  Myom  vorhanden  ist  oder  nur  wenige  und  für  die 
Enukleation  gut  zugängliche  Myome  vorliegen.  Olshausen 
macht  ferner  auf  die  nicht  seltenen,  oft  recht  großen  Fundus- 
myoine  aufmerksam,  die,  besonders  auch,  weil  sie  fast  immer 
solitär  sind,  sich  vorzüglich  zur  Enukleation  eignen.  Üas  Ver¬ 
fahren  von  Fan  re  wird  für  manche  Fälle  von  kleinen  und  mittel¬ 
großen  Tumoren  ziemlich  warm  empfohlen.  In  der  Frage  über 
das  Zurücklassen  der  Eierstöcke  nach  Exstirpation  des  Uterus 
spricht  sieb  Olshausen  für  dasselbe  aus.  Die  elastische  Dauer¬ 
ligatur  wird  ganz  besonders  für  die  seltenen,  telcangiektatisclieji 
Myome  empfohlen.  Die  Methoden  der  abdominalen  Totalexstir- 
pation  werden  ausführlicher  als  in  der  ersten  Auflage  besprochen. 
Statt  der  Kastration,  welche  Olshausen  nicht  mehr  anvvenden 
will,  befürwortet  er  die  atrophisierende  Arterienunterbindung,  die 
nach  seiner  Ansicht  lange  nicht,  die  Anerkennung  gefunden  hat, 
welche  sie  verdient.  Vor  der  Hautnaht  reibt  Olshausen  die 
llautoberfläche  mit  Alkohol  ab  und  sieht  seither  kaum  noch  eine 
Eiterung  der  Stichkanäle. 

Die  Ausstattung!  der  Neuauflage  ist  als  tadellos  zu  bezeichnen  ; 

nur  der  starke  Glanz  des  Papieres  wirkt  störend. 

* 

Praktische  Geburtshilfe  für  Studierende  und  Aerzte, 

In  zwanzig  Vorlesungen  von  Prof.  K.  A.  Herzfeld. 

Zweite  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 

Mit  154  Abbildungen. 

448  Seiten. 

Wien  1907,  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Als  die  erste  Auflage  von  Herzfelds  Geburtshilfe  erschien, 
wurde  allgemein  ein  Buch  freudig  begrüßt,  welches,  ohne  sich 
in  theoretische  Details  einzulassen,  die  rein  praktiische  Seite  des 
Faches  in  kurzer,  außerordentlich  übersichtlicher  und  klarer  Weise 
zur  Darstellung  brachte,  ohne  dabei  irgendwie  in  die  Klasse  der 
Kompendien  eingereiht  werden  zu  müssen.  Nach  nunmehr  zehn 
Jahren  liegt  uns  die  zweite  Auflage  des  sympathischen  L,ehr- 
buches  vor,  welches  Chrobak  gewidmet  ist. 

Im  großen  und  ganzen  ,ist  das  Buch  ziemlich  unverändert 
geblieben.  Die  Fortschritte  der  Wissenschaft  sind  entsprechend 
berücksichtigt,  so  z.  B.  die  Arbeiten  von  Peters  und  Spec. 
Die  Figuren  43  bis  84  sind  neu.  Die  Schädeleinstellungen  werden 
im  Phantom  dargestellt,  nicht  wie  früher  im  skelettierten  Becken. 
Die  Resultate  der  Seil  heim  sehen  Untersuchungen  über  den 
Geburtsmechanismus  erfahren  —  entsprechend  dem  Interesse  des 
Verfassers  für  dieses  Kapitel  —  eine  ausführliche  Besprechung. 
Bei  der  Therapie  des  Puerperalfiebers  wird  bereits  das  Paltauf- 
sche  Serum  versuchsweise  empfohlen.  Die  bildlichen  Darstel¬ 
lungen  der  geburtshilflichen  Operationen  wurden  durch  iieue  Auf¬ 
nahmen  ersetzt,  die  im  allgemeinen  besser  gelungen  sind  als 
die  alten.  Im  Kapitel  ,, Eklampsie“  findet  auch  der  vaginale  Kaiser¬ 
schnitt  als  therapeutische  Maßnahme  Erwähnung,  ln  der  Dar¬ 
stellung  der  Symj)hyseotomie  sind  keine  Aenderungen  vorgetioni- 
men  worden,  dagegeji  wird  die  Pubeotomie  besprochen,  welcher 
Herzfeld  sympathisch  gegenübersteht.  Auch  der  Frit  sch  sehe 
quere  Fundalscbnitt  wird  empfohlen.  Bei  den  Komplikationen 
der  Schwangerschaft  mit  Erkrankungen  wild  auch  die  Blind¬ 
darmentzündung  abgehamlelt.  Leider  wird  das  maligne  Deziduoin 
noch  immer  als  eine  sarkomähnliche  Proliferation  der  Dezidua- 


zellen  definiert;  auch  wird  die  Möglichkeit  einer  primären  Bauch- 
höhlenschwangerscbaft  noch  immer  zugegeben.  Unter  den  Me¬ 
thoden  der  Frühgeburteinleitung  fehlt  die  Hystreiiryse,  dagegen 
wird  zum  .Blasenstich  die  bekannte  zugespitzte  Gänsekielfeder 
empfoblen. 

Wenn  auch  in  der  Neuauflage  die  letztangefülirten  Punkte  zur 
Kritik  veranlassen,  so  müssen  anderseits  die  bekannten  Vor¬ 
züge  des  beliebten  Lebrbuches  aufs  vollste  anerkannt  werden. 
Dem  Studierenden  wird  es  in  erster  Linie  von  Wert,  aber  auch 
dem  praktischen  Arzte  als  schnell  orientierendes  Nachschlage- 
buch  willkommen  sein.  Keil  1er. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitsehriften. 

230.  (Aus  Dr.  Fromms  Ambulatorium  für  Kinderkrank¬ 
heiten  in  München.)  Zur  Prophylaxe  der  I  n  f  e  k  t i  o  n  c  n  i  n 
(1  e  n  W  a  r  t  e  r  ä u  m  e  n  v  o  n  K  i  n  d  e  r  a  m  b  u  1  a  t  o  r  i  e  n.  V''on  Dok¬ 
tor  Eugen  Fromm.  Zur  Infeklionsverhütung  in  dem  von  F romm 
aus  eigenen  Mitteln  erhaltenen  Kinderambulatorium  hat  er  fol¬ 
gende  Einrichtung  getroffen.  Er  hat  ein  der  Eingangstür  seines 
Ambulatoriums  zunächst  gelegenes,  geräumiges  Zimmer  derart  aus¬ 
gestattet,  daß  er  in  demiselben  eine  Anzahl  von  Zellen  errichten 
ließ,  in  denen  bequem  für  ein  bis  zwei  Kinder  mit  ihren  Begleit¬ 
personen  Platz  ist.  Die  Hinterwände  der  zwei  Zellreihen  werden 
durch  die  gegenüberliegenden  Zimmerwände  gebildet,  die  mit 
Oelfarbe  gestrichen  sind.  Die  Seitenwände  bestehen  aus  1-80  m 
hohen,  mit  Oelfarbe  imprägnierten,  spanischen  Wänden.  Die 
Vorderwand  ist  zugleich  Tür;  sie  ist  durch  ein  Schnappschloß 
verschließbar  und  besitzt  in  Zweidrittelhöhe  ein  Fenster,  das 
genügend  Licht  einläßt.  Nach  oben  sind  die  Zellen  durch  einen 
in  steiler,  schiefer  Ebene  ausgespannten,  vom  oberen  Ende  der 
Türwand  nach  der  Mauer  bis  zu  einer  Höhe  von  2-50  m  ziehenden, 
dicht  gewebten  Nesselstoff,  der  auch  die  Fortsetzung  der  Seiten¬ 
wände  bildet,  gegeneinander  und  gegen  den  freien  Raum  des 
Zimmers  abgeschlossen,  damit  nicht  durch  den  in  die  Hölu' 
gehenden  Luftstrom  Infektionserreger  im  Zimmer  verteilt  wer¬ 
den.  Zwischen  den  Zellen  führt  von  der  Zimmertür  aus  ein 
Gang  zum  Fenster,  wo  die  Inspektion  dos  Patienten  erfolgt.  Zur 
Mund-  und  Racheninspektion  dienen  dem  Verfasser  Mundspatel 
nach  Escherich  und  Pirquet.  Jede  ankommende  Partei  er¬ 
hält  von  der  Wärterin  eine  Messingblechmarke  mit  Nummer, 
neue  Patienten  werden  sofort  in  das  Isolierzhnmer  gewiesen 
und  Verf.  oder  sein  Assistent  unverzüglich  benachrichtigt.  Das 
Kind  wird  inspiziert  und  falls  Masern,  Diphtherie,  Keuchhusten, 
Schafblattern  konstatiert  werden,  in  die  betreffende  Zelle  ex¬ 
pediert.  Leichte  Anginen  und  andere,  nicht  sofort  erkennbare, 
fieberhafte  Krankheiten  kommen  in  die  Beobachtungszelle.  Für 
Scharlach  hat  Verf.  keine  eigene  Zelle,  weil  ja  diese  Krankheit 
die  Kinder  sofort  bettlägerig  macht.  Wenn  die  Nummer  eines 
mit  einer  der  genannten  Infektionskrankheiten  behafteten  Kindes 
fällig  ist,  wird  dasselbe  in  das  von  den  anderen  Kindern  in¬ 
zwischen  geräumte  Ordinationszimmer  eingelassen.  Die  nächst¬ 
folgende  Partei  darf  erst  kommen,  Avenn  die  vorige  außerhalb 
des  Ambulatoriums  ist,  die  Untersuchungspolster  mit  Sublimat- 
lösimg  abgewischt  und  die  Mäntel  der  Aerzte  gewechselt  sind. 

—  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,'  Nr.  2.)  G. 

* 

231.  Ueber  einen  Fall  von  Mydriasis  mit  Ilebe)'- 
gang  in  Myosis  bei  Beugung  des  Kopfes.  Von  H.  Coppez. 
Die  subjektiven  Beschwerden  der  19jährigen  Patientin  bestehen 
darin,  <laß  sie  bei  der  Beugung  des  Kopfes  einen  heftigen  stechen¬ 
den  oder  ziehenden  Schmerz  im  linken  Auge  empfindet.  Die  Unter¬ 
suchung  zeigt,  daß  die  linke  Pupille  größer  ist,  als  die  rechte 
und  sich  in  der  Dunkelheit  weniger  erweitert.  Die  Konvergenz¬ 
reaktion  ist  bei  Enifernungen  von  25  cm  an  beiden  Pupillen 
annähernd  gleich,  mit  geringer  Verspätung  der  rechten  Pupille, 
bei  Konvergenz  für  Enifernungen  von  Aveniger  als  25  cm  Averdoi, 
beide  Pupillen  gleich.  Linkerseits  ist  der  motorische  Pupillen¬ 
reflex,  soAvie  die  Reaktion  aiif  KonAxu’genz  und  Akkommodation 
herabgesetzt.  Es  ist  die*  Annahme  einer  spastischen  Mydriasis 
des  linken  Auges  durch  Reizung  der  Sympathikusfaseru  der  Bu- 
pille  begründet.  Besonders  bemerkensAAX'rl  ist  die  Enistelumg  aus¬ 
gesprochener  linksseitiger  IMyosis  bei  Beuigung  des  Kopfes.  B('i 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCIlEiNSCHRIET.  1907. 


5il 


Wiederkehr  in  die  aufrechte  Haltung  dauert  die  Myosis  noch  zehn 
Sekunden  an,  dann  erweitert  sich  die  Pupille  immer  mehr  und 
nimmt  nach  35  Sekunden  ihre  früheren  Dimensionen  an.  Die 
Pupille  des  rechten  Auges  zeigt  unter  den  gleichen  Bedingungen, 
normales  Verhalten.  Nach  Einträufelung  von  2*^/oiger  Kokainlösung 
erweitert  sich  die  linke  Pupille  rasch  und  es  tritt  beim  Beugen 
des  Kopfes  dann  keine  Myosis  auf.  Sonst  erfolgt  an  der  linken 
Pupille  bei  Beugung  des  Kopfes  ein  Uebergaiig  von  spastischer 
Mydriasis  in  paralytische  Myosis,  der  Schmerz  wird  durch  die 
plötzliche  Kontraktion  des  Sphinkters  hervorgerufen.  Der  Aus- 
gaugspunkt  des  Phänomens  ist  am  Hals  oder  im  oberen  ßrustraum 
zu  suchen,  da  die  Erscheinung  bei  Lageverä.nderung  der  Hals¬ 
organe  auftritt.  Als  hauptsächlichste  Ursachen  sind  Vergrößerung 
der  Schilddrüse,  Lymphdrüsenschwellung  und  Aneurysmen  an¬ 
zuführen.  Die  radioskopische  Untersuchung  ergab  in  diesem  Falle 
das  Bestehen  einer  multiplen  Lymphdrüsenschwellung,  besonders 
im  hinteren  Mediastinum,  wahrscheinlich  durch  Tuberkulose  be¬ 
dingt,  mit  Verschiebung  der  Aorta  nach  links.  Bei  der  Beugung 
des  Kopfes  erfolgt  Kontraktion  der  Sternokleidomastoidei,  wo¬ 
durch  die  vergrößerten  mediastinalen  Lymphdrüsen  gegen  den 
Sympathikus  gedrängt  vmrden  und  durch  Kompression  dieiLeitung 
unterbrechen.  In  der  Literatur  ist  ein  analoger  Fäll  von  IMyosis 
bei  Flexion  des  Kopfes  nicht  beschrieben.  Therapeutisch  leistet 
die  Anwendung  von  Kokain  gute  Dienste,  weil  danach  bei  der 
Beugung  des  Kopfes  die  schmerzhafte  Kontraktion  des  Schließ.- 
muskels  der  Pupille  ausbleibt.  —  (Journ.  med.  de  Brux.  190t), 
Nr.  49.)  a.  e. 

232.  Z  u r  F r  a  ge  der  I  m p  o t e  n  z  t  h  e  r  a  p  i  e.  Von  S.  W.  K o- 

lomojzew,  Kasan.  Als  richtige  Vorbedingung  jeder  Therapie 
der  Impotenz  betrachtet  Verf.  ein  vertrauensvolles  Zusamnien- 
arheiten  von  Arzt  und  Patient.  Verf.  rät  für  einige  Zeit  nicht 
nur  die  Enthaltung  vom  Koitus,  sondern,  Avenn  möglich,  von 
weiblicher  Gesellschaft  üherhaupt;  an  Stelle  dessen  soll  ästheti- 
tische  Zerstreuung,  Besuch  Amn  Konzerten,  Theatern  usav.  treten, 
sofern  sie  den  Patienten  nicht  ermüden  und  ihm  nicht  den  Schlaf 
rauben.  Weiters  empfiehlt  er  regelmäß'ige  Spaziergänge  in  frischer 
Luft,  blande  Diät  Usav.  Freiluftbäder  Avirken  nach  den  Erfahnmgen 
KolomojzeAvs  besser  als  Wannenbäder.  Eis  Averden  nun  AÜer 
sehr  gut  beobachtete  Fälle  beschrieben,  in  denen  die  Impotenz 
rein  funktioneller  Natur,  ohne  jedAvede  organische  Grundlage 
Avar.  In  sämtlichen  vier  Fällen  waren  auch  deutliche  Symptome 
allgemeiner  Neurasthenie  vorhanden.  Nach  Einleitung  des  oben 
beschriebenen  Regimes,  das  in  jedem  einzelnen  Falle  individuell 
modifiziert,  bzAV.  ergänzt  Avurde,  besserten  sich  Avohl  die  Sym¬ 
ptome  der  Neurasthenie,  ohne  daß  jedoch  die  Impotenz  gebessert 
AAUirde.  Dies  trat  erst  ein,  als  Verf.  Muiracithin  aiiAvendete,  Avelches 
sichere  Wirkung  zeigte.  Zur  Illustration  dessen,  daß  das  Mnir- 
acithin  nicht  Avahl-  und  gedankenlos  bei  jeder  Art  von  Störung  des 
KohabitationsAmrmögens  anzuwenden  ist,  sondern  nur  dort,  avo 
es  sich  um  herabgesetzte  Ereklionsfähigkeit  handelt,  führt  Ver¬ 
fasser  zAvei  Fälle  von  Ejaculatio  praecox  an,  in  Avelchen  durch 
das  Muiracithin  die  Symptonie  insofem  verschlechtert,  als  die 
Erektionen  der  beiden  Patienten  häufiger  und  anhaltender  Aviirden. 
Aid“  Grund  seiner  Erfahrungen  hält  KolomojzeAV  das  Muir¬ 
acithin  für  ein  Spezifikum  zur  Hebung  der  Libido  sexualis.  — 
(Praktischeskij  Wratsch  1906,  Nr.  48.)  J.  Sch. 

* 

233.  Ueber  pendelnde  Lipome  des  Sinus  traus- 
versus  pericardii.  Von  Dr.  Theodor  Struppler.  Ob  Herz- 
gescliAvidste  als  solche,  seien  es  intramuskuläre,  endokardiale 
oder  perikardiale,  ein  eigenes  Krankheitsbild  hervorrufen,  hallen 
viele  Autoren  für  ausgeschlossen.  Dies  ist  nm  so  scliAvieriger, 
wenn,  Avie  in  dem  vom  Verfasser  mitgeteilten  Falle,  mehrein 
pathologische  Prozesse  den  Herzbefund  komplizieren,  Jiämlich : 
Dilatation  des  Herzens,  schwielige  Aortitis  mit  Aneurysmabitdung 
und  zAvei  je  hühnereigroße,  pendelnde  Lipome.  Es  handelt  sich 
um  einen  62jährigen  Ingenieur.  Die  Anamnese  vom  21.  Juni  1906 
ergibt:  heftige  Schmerzen  im  Rücken  beim  Sitzen  und  Gehen, 
BeAAmgungen  der  Wirbelsäule  fast  unmöglich;  viel  Husten,  Atem¬ 
not,  Auswurf,  in  den  letztcui  Tagen  Fieber,  Schwellung  der  Beine, 
erscliAvertes  Gelien.  Im  .fahrt'  1901  linksseitige  Rippenfelletdzüii- 
dung,  Entleerung  von  1100  enP  Exsudat.  Status :  Zyanose,  Oedeme, 


spontaner  und  Druckschmerz  cter  Brust-  und  Lendeinvirhelsäule, 
beiderseitige  Lungentuberkidose.  Herz  nach  rechts  und  oben  ver¬ 
größert.  Leber  der  Mitralis  und  Pnlmonalis  langes,  systolisches 
Geräusch.  ZAveiter  Pulmonalton  akzentuiert.  Herzaklion  regel¬ 
mäßig,  Puls  86  bis  90.  Leber  und  Milz  vergrößert.  ITemor  der 
Arme  und  der  Zunge,  tm  Urin  Spuren  von  Ehveiß,  roichlicl) 
Urobilin,  kein  Zucker.  22.  Juni:  Temperatur  39-4®,  Puls  108. 
Zunahme  der  Dyspnoe.  Parese  des  rechten  Beines.  24.  .Tuni: 
Komplette  Paraplegie.  Unruhe,  Delirien,  leichte  Nackensteifheit. 
29.  Juni:  Exitus  durch  Respirationslähmung.  Klinische  Diagnose: 
Tuberculosis  pultnon.  clironica,  Miliartnherknlose  (?),  Spondy¬ 
litis.  Akute,  aufsteigende  Myelitis.  Meningitis.  Hypertrophie  und 
Dilatatio  cordis.  Aus  dem  Obduktionsbefund  sei  nur  der  sehr 
seltene  Befund  am  Herzen  erAvähnt:  Nach  Eröffnung  des  Herz¬ 
beutels  sieht  man  in  demselben  von  der  Anheftungsstelle  des 
Perikards  am  Herzen  ZAvei  große  Tumoren  von  gelber  Farbe  hin¬ 
einragen,  die  Avie  enorm  Amrgrößcrtie  Herzohreii  den  größten  Teil 
der  Ventrikel  bedecken;  sie  sind  am  Sinus  transversus  pericardii 
fest  fixiert  und  nehmen  hier  ihren  Ausgangspunkt  in  Form  einer 
breiten  Brücke.  Beide  Tumoren  haben  fast  Keilform,  nach  unten 
spitz  zulaufend.  Der  rechte  ist  von  Hühnereigröße,  der  linke 
Avenig  kleiner.  Die  Tumoren  bestehen  aus  FettgeAvehe.  Das  Herz 
in  beiden  Ventrikeln  erweitert,  Klappen  intakt,  Aorta  sclnvielig 
verändert,  erweitert.  Anatomische  Diagnose:  Allgemeine  Miliar¬ 
tuberkulose,  Karies  des  dritten  BrustAvirbelkörpers,  des  zAveiten 
und  dritten  LendeiiAvirbels,  Senkungsabszeß  rechts.  Akute,  auf- 
steigende  Myelitis.  Chronische  Endaortitis  thoracica  mit  Dila¬ 
tationsaneurysma  in  der  Pars  ascendens.  Große  Lipome  des  Peri¬ 
kards  USAV.  Ob  nun  die  konstatierte  Dilatation  des  Herzens  auf 
Rechnung  des  Aneurysmas  oder  auf  die  Adhäsivi)leuritis  zu  setzen 
ist  oder  oh  dieselbe  im  Zusammenhang;  steht  ,mit  den  zAvei  ab¬ 
norm  großen  Lipomen,  kann  Verf.  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden. 
Für  die  Entstehung  der  Lipome  läßt  sich  nach  Auffassung  des 
Verfassers  nur  eine  kongenitale  Anlage  annehnieii.  —  (Münchener 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  10.)  G. 

* 

234.  (Aus  der  königlichen  Universitätspoliklinik  für  ortho¬ 
pädische  Chirurgie  in  Berlin.)  Therapeutische  Sauerstoff¬ 
einblasungen  in  das  Kniegelenk.  Von  Dr.  LudAvig  R a u e Ji- 
busch,  Assistenten.  Zur  besseren  Diagnostik  haben  Werii- 
dorf  und  Robinsohn  (1905)  die  Gelenke  mit  Sauerstoff  ge¬ 
füllt  und  dann  Röntgenbilder  hergestelll.  Hoff  a  und  Wolleii- 
berg  haben  den  erforderlichen  Sauerstoffapparat  verbessert.  An 
obgenannter  Poliklinik  A\mrde  nun  beohachtet,  daß  an  chronischen 
Entzündungen  des  Kniegelenkes  leidende  Personen  einige  Tage 
nach  der  Einblasung  eine  Wiederholung  derselben  wünschten, 
da  ihre  Schmerzen  erheblich  nachgelassen  hätten.  Nun  Avurden 
die  Sauerstoffeinhlasungen  in  therapeutischer  Absicht  in  Fällen  von 
chronischer  Arthritis  und  Arthritis  deformans  vorgenommen  und 
ausnahmislos  günstige  Resultate  erzielt.  Die  Besclnverden  der 
Kranken  nahmen  meist  schon  nach  der  ersten,  bei  anderen  nach 
der  zAveiten  oder  dritten  Einblasung  ab,  nicht  nur  in  leichteren, 
sondern  auch  in  schwereren  Fällen.  Bei  strenger  Asepsis  ist 
das  Verfahren  ganz  ungefährlich,  es  ist  einfach  und  wenig  schmerz¬ 
haft.  Man  sticht  eine  dünne  Kanüle  an  einer  beliebigen  Stelle 
des  Gelenksspalties,  oder  in  den  oberen  Rezessus'  ein  und  füllt 
das  Gelenk  prall.  Nach  ein  bis  zwei  Tagen  ist  der  Sauerstoff 
aus  dem  Gelenke  gescliAvunden.  Nach  ein  bis  drei  Wochen  Avird 
die  Injektion  Aviederholt.  Das  Verfahren  Avurde  auch  bei  einigen 
Fällen  von  Synovialtuberkulose  in  AnAAmndung  gehracht.  Mit  einer 
dickeren  Kanüle  Avurdo  der  Erguß  ahgelassen  und  dieselbe  Kanüle 
zur  Füllung  des  Gelenkes  mit  Sauerstoff  benützt.  Kein  Verband. 
Die  Schmerzen  sclnvanden  auch  'in  diesen  Fällen  meist  schnell 
und  der  Erguß  verkleinerte  sich,  resp.  blieb  aus.  Der  Verfasser 
teilt  nun  fünf  Krankengeschichten  über  Fälle  von  Arthritis  defor¬ 
mans,  Gonarthritis  chronica  mit  und  sagt,  daß  die  schnellen 
Besserungen  meist  nicht  von  allzu  langer  Dauer  seien,  daß  die 
Einblasungen  nach  Wochen  Aviederholt  Averden  mußten,  tm  ersten 
Falle  innerhalb  eines  halben  Jahres  zehn  Sauerstoffeinhlasungen, 
zeitweilig  Heißluftbäder  und  Massage, 'sehr  guter  Erfolg;  Röntgen- 
hefund  Unverändert.  Eine  Beeinflussung  der  knöchernen  Wuche¬ 
rungen,  dei-  Kapsel-  und  Synovialveränderungen  ist  nicht 
unmittelbar  zu  erAvarten,  das  ganze  Verfahren  ist  vor- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


liUilig  rc‘iu  oinpiriscli  l)Og)'üiidel,  kann  abor  g] 'ichwolil  cin- 
pfohlon  weiden.  Das  Verfahren  kam  auch  in  di  ?i  Fällen  von 
Kniegelenksluhmkulose  (Krankengeschichten)  in  Anwendung.  Suh- 
jeklive  Hessei'ung,  giinslige  Beeinflussung  des  Ei'gusses.  Im  ei'ston 
Falle  k(dn  Erguß,  nach  fünf  Einhlasungen,  seil  einem  hallxm 
.lahre  keine  Behandlung;  in  den  zwei  anderen  Fällen  Erguß  we- 
senllich  verringert,  nach  zehn,  res)).  atdil  Einhlasungen,  Behand¬ 
lung  wird  fortgesetzl.  üh  damil  eine  definitive  Heilung  der  Syno- 
vialtuherkulose  zu  erzielen  sein  werde,  müssen  weiter.''  Versuche 
lehren,  lloffa  hat  ein  Hämarlhus  imnkliert  und  das  Kniegelenk 
prall  mit  Sauerstoff  gefüllt  und  man  könnte  diese  rein  mechanisclu“ 
Wirkung  der  Siiannung  und  Entfaltung  der  Kapsel  vielleicht  nach 
einer  gewaltsamen  Spannung  fibröser  Ankylosen  benützen,  um 
eine  Wiederverwachsung  zu  verhindern,  indem  man  alle'  drei 
his  vier  Tage  einhläst.  Freilich  dürfte  dahei  die  Kapsel  nicht 
eingerissen  sein,  da  sonst  der  Zweck  der  Einblasung  nicht  er¬ 
reicht  Averden  würde.  Verf.  stellt  schließlich  weitere  Mitteilungen 
über  diese  (Methode  in  Aussicht.  — ■  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  18.)  E.  F. 

* 

285.  (.Vus  dem  Eahoratorium  der  inneren  .Vhteilung  des 
städtischen  Krankenhauses  Altona.)  Die  Beziehungen  des 
(i  ly  kok  oils  zur  Harnsäure.  Von  Dr.  E.  Hirsclisteih, 
Hamburg.  Glykokollausscheidungen  finden  sich  vorzüglich  nur  hei 
drei  pathologischen  Zuständen:  bei  der  Leukämie,  hei  der  Bneu- 
nionie  in  der  Kidse  und  hei  der  Gicht,  deren  einzig  Gemeinschaft¬ 
liches  die  Harnsäure  bildet.  Glykokoll  ist  also  möglicherweise  in 
diesen  Fällen  kein  Spaltprodukt  eines  Eiweißköriiers,  sondern 
der  Harnsäure.  Dr.  Hirschstein  ging  nun  von  diesem  Ge¬ 
sichtspunkte  aus  und  macdite  experimentelle  Studien  auf  Grund 
folgender  Feherlegung:  Ist  das  Glykokoll  wirklich  ein  Spalt¬ 
produkt  der  Harnsäure,  so  müßte  es  möglich  sein,  durch  <dne 
Feherschwemmung  des  Organismus  mit  Harnsäure,  hzw.  Harn- 
säurehildnein  experimentell  eine  Glykokollausscheidung  im  Harne 
hervorzurufen,  anderseits  müßten  sich  hei  den  genannten  Krank¬ 
heiten  gesetzmäßige  Bedingungen  zwischen  Glykokoll-  lind  Harn- 
säureaiisfuhr  ergehen.  Tatsächlich  konnte  der  Verfasser  in  allen 
Fällen  im  Haiaie  der  Versuchspersonen  Glykokoll  nachweisen  als 
Folge  von  Harnsänrezufuhr  iier  os.  Im  allgemeinen  gehen  Glyko¬ 
koll-  und  Harnsäureausfuhrzahlen,  wie  aus  heigefügten  Tabellen, 
lesp.  Kurven  ersichtlich,  einander  parallel.  Nicht  so  bei  Insuffi¬ 
zienz  der  Harnsäure  ausscheidenden  Kräfte  (Gicht),  wo  die  Harn¬ 
säure  im  Blute  zurückgehalten  wird  und  dafüi'  das  intermediäre 
.\hhauprodukt  Glykokoll  im  Harne-  erscheint.  Im  Gichtanfall  tritt 
plötzlich  gewaltsam  Harnsäureenlladung  ein,  dafür  verschwindet 
wieder  das  Glykokoll  aus  dem  Harne.  Wenn  auch  nicht  in  jedem 
Falle  von  Gicht  Glykokoll  im  Harne  gefunden  wird,  so  ist  sicher 
der  umgekehrte  Schluß  gerechtfertigt,  daß,  wo  ohne  sonstige  Fr- 
sache  Glykokoll  vielleichl  noch  in  Verhindung  mit  (*inem  auf¬ 
lallend  niedrigen  endogenen  HarnsäureAvert  auftritt,  mit  hoher 
Wahrscheinlichkeit  die  Diagnose  ,, Gicht“  gestellt  Averden  kann. 
Die  experimentelle  Hervorrufung  einer  Glykokollausscheidung 
heim  Gesunden  durch  Harnsäure-  und  Nukleinzufuhr,  die  geselz- 
niäßigen  Beziehungen  des  Glykokolls  zur  Harnsäure  unter  patho¬ 
logischen  Verhältnissen,  dazu  die  v()n  Wiener  und  Schitten- 
helm  erhobenen  Glykokollhefunde  hei  der  iturcli  Grgantermente 
heAvirkten  Harnsäurezersetzung  lassen  keinen  ZAveifel  aufkommen, 
daß  das  Glykokoll  ein  Spallprodukt  der  Harnsäure  ist  und  daß 
auch  in  der  Norm  der  Harnsäureahhau  über  die  Glykokollstufe 
geschieh  1.  —  (Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  The¬ 
ra  [)ie  1907,  Bd.  4,  H.  1.)  K.  S. 

♦ 

28G.  Feber  eine  neue  Formel  des  graui'u  Oi'les. 
Von  L.  Oueyrat.  Das  graue  Oel  bildet  in  neuesler  Zeit  den 
Gegensland  mehrfacher  .\ngiiffe,  doch  ist  nicht  das  Medikament 
seihsl,  sondern  die  gehräuchliche  .Methode  der  Anwendung  anzu- 
sidmldigen.  .Man  bedient  sicdi  gewöhnlich  eines  grauen  Oeles  A'on 
solcher  Zusammenselzung,  daß  es  hei  15°  feste  Konsistenz  besitzt 
und  vor  der  Anwendung  im  Wasserhade  auf  8ü°  erhitzt  Averden 
muß.  Diese  Prozedur  hat  den  Nachteil,  daß  das  Quecksilber  sich 
niederschlägt  und  die  unlerste  Partie  des  Gefäßes,  Avenn  nicht 
gut  dui-chgeschül l(*li  Avird,  <'ine  exzessive  .Mimge  von  Quecksilber 
milhäll.  Wenn  man  das  Gid'äß,  Avie  es  manclumij  geschiehl,  zur 
\  erflüssigung  des  Inhaltes  in  siedendes  Wasser  taucht,  so  ist  die 


Präzipitation  des  (fuecksilhers  noch  slärker.  Die  Fntersuclumg  hat 
in  einem  derartigen  Fall  gezeigt,  daß'  die  oberste  Schichte  des 
in  4()”oiger  Konzenlration  zuhereiteten  grauen  Oeles  IS"»,  die 
unterste  Schichte  ()5'’o  Quecksilber  enthielt.  Zur  Verhülung  der 
Präzipitation  emiifiehlt  es  sich,  ein  graues  Oel  herzuslellen,  Avelches 
schon  hei  15°  flüssige  Konsistenz  aufweist.  Die  Empfehlung  der 
bei  15°  festen  .Mischung  beruhte  auf  der  Voraussetzung,  daß  da¬ 
durch  Embolien  verhütet  Averden  und  die  Stabilität  der  Mischun.g: 
geAvährleistet  erscheint.  Die  Gefahren  der  Embolie  sind  hei  zwei¬ 
zeitiger  Injektion  des  grauen  Oels  überhaupt  nicht,  vorhanden 
und  das  Ziel  der  Stabilität  der  Mischung  Avird  nicht  erreichl, 
Aveil  schon  eine  Erhitzung  auf  80°  hinreicht,  um  eine  Präzi¬ 
pitation  des  Quecksilbers  herheizuführQU.  ^Es  empfiehlt  sich  rlie 
.-liiAvendung  einer  Mischung,  die  aus  40  g  Quecksilber,  1314  g 
reinem,  slerilisiertem  und  Avasserfreien  Lanolin  und  46Va  g  Oleo- 
naphthin,  einem  reinen,  in  seiner  Dichte  stets  gleichhleihenden 
Vaselinöl  hergestellt  wird.  Dieses  graue  Oel  ist  homogen  und 
zeigt  bei  12°  beginnende,  bei  15°  vollständige  Verflüssigung,  eine 
Präzipitation  des  Quecksilbers  tritt  nicht  ' ein.  Die  Injektionen 
dieses  grauen  Oeles  Averden  sehr  gut  vertragen  und  rufen  keine 
Präzipitation  des  (luecksilhers  hervor.  Die  Prozedur  des  Er- 
Avärmens  fälll.  Aveg,  ebenso  die  Gefahr  von  Int.oxikalion  infolge 
des  zu  starken  Q)uecksilberge]ialtes  eines  Teiles  der  Mischung. 
—  (Bull,  et  Mein,  de  la  Soc.  nied.  des  Hop.  de  Paris  1907, 
Nr.  5.)  a.  e. 

* 

287.  (Aus  dem  kgl.  Krankenhaus  zu  Glasgow.)  Eine  Ope¬ 
ra  I  i  o  n  s  m  e  t  h  od  e  zur  Behandlung  des  Prolapsus  ani 
und  innerer  Hämorrhoiden.  Von  David  NeAvman.  Das 
Prinzip  der  Oiieration  besteht  in  der  Verschorfung  von  sechs 
parallel  liegenden  Streifen  der  Rektalschleimhaut.  Jeder  dieser 
Streifen  ist  vier  Zoll  lang  und  Ve  bis  V4  Zoll  breit.  Die  Operation 
Avird  mittels  folgenden  Instrumentes  aüsgeführt:  Ein  S])ekulum 
hat  in  seiner  WTind  sechs  parallele, längsgestellte  Fensterchen  ein¬ 
geschnitten.  Die  Länge  eines  jeden  beträgt  Ader  Zoll,  die  Breite 
(4  his  Vg  Zoll.  In  das  Spekulum  paßt  ein  Obturator  hinein,  der 
einen  Handgriff  hat.  Der  Patient  Avird  narkotisiert,  in  Stein¬ 
schnittlage  gebracht,  das  Spekulum  mit  dem  darin  liegenden  Ob¬ 
turator  in  das  Rektum  eingeführt.  Ist  das  Spekulum  ganz  ein¬ 
geführt,  so  Avird  der  Ohlurator  entfernt.  IMan  sieht  letzt  hei 
entsprechender  Beleuchtung,  Avie  durch  die  sechs  Fenster  des 
Spekulums  die  (Mastdarmschlehnhaut  in  das  Lumen  des  Spekulums 
hineinquillt.  Hierauf  AAurd  an  einem  langen  Stiele  eine  Scheibe 
in  das  Spekulum  geschoben,  um  die  durch  die  proximale  Speku- 
himöffnung  in  das  Lumen  A'orquellende  Schleimhaut  vor  Ver¬ 
schorfung  zu  schützen.  Nun  Averden  mittels  eines  Thermokauters 
die  sechs  Schleimhautstreifen  A'erschorfl.  Sollte  sich  das  Spekulum 
dabei  allzusehr  erAvärmen,  so  kann  os  ZAvi, sehen  je  zwei  Ver¬ 
schorfungen  durch  einen  Strahl  kalten  Wassers  irrigiert  Averden. 
Nach  beendeter  Operation  sieht  man  sechs  schmale  Sl reifen  von 
verschorfter  Schleimhaut,  deren  Oherfhüdie  ungefähr  in  gleicher 
Höhe  mit  der  Innenfläche  des  Spekulums  liegt.  Jetzt  Avird  die 
gestielte  Scheibe  enlfernt,  ein  (Morphinsuppositorium  eingeführt 
und  das  Rektum  mit  Vaselinegaze  austamponiert,  so  daß  ein 
Stück  derselben  aus  der  Analöffnung  herausragt.  Die  Nachbehand¬ 
lung  besteht  in  kleinen  Opiumdosen  per  os  und  sehr  kleinen 
Nahrungsmengen  durch  eine  WMche.  Der  Tampon  bleibt,  so¬ 
lange  er  keine  Besclmerden  Am  rursacht,  liegen.  Nach  Ablauf  einer 
Woche  Avird  ein  Laxans  gereicht.  Verf.  sieht  die  VTirteile  seiner 
Methode  in  folgendem:  Der  Patient  leidet  Aveniger  als  hei  anderen 
Methoden.  Die  Kauterisation  Avird  ausgeführt,  Avährend  die 
Schleimhaut  und  die  Muskulatur  sich  in  einem  annähernd  nor¬ 
malen,  gegenseitigen  Lageverhältnis  befinden.  Die  Adhäsionen 
zwischen  Schleimhaut  und  Muskelschicht  sind  einerseits  aus¬ 
gebreitet,  anrierseits  hesteht  keine  Gefahr  einer  Striktur  des 
Bektums,  da  die  Narben  longitudinal  gestellt  sind.  Da  ferner  die 
.Vnalgegend  durch  den  untersten,  nicht  gefensterten  Teil  des 

Spekulums  geschülzt  ist,  so  Avird  der  Sphincler  ani  nicht  in 
Mith'idenschaft  gezogen.  Verfasser  beohachtete  auch  nie  Sepsis 
oder  Harnslöningen,  ehensoAvenig  machte  der  ersle  Stuhlgang 
nach  der  Operation  Avi'senlliche  BeschAverden.  Rezidive  der 

innermi  I lämonhoid'Mi  oder  di's  Prolapses  tralen  nii'  auf.  - 
(Lancet,  22.  Dezember  190Ü.)  J.  Sch. 


r.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCIIRH'T.  1907. 


54H 


238.  I'd)  0  1'  ;i  II  I)  ()  le  a  a  S  1  r  i  k  I.  u  re  ii  d  e  r  Jla  r  n  r  ö  h  ce. 
\  on  Prol.  Dr.  (  .  J'osac'r  in  Dci'liu.  Neben  der  aagelioreaeii 
Verengerung  am  Orificiiim  nrelbrae,  .der  hochgradigen  Phimosis, 
der  kongeniialen  FaUenhildung  in  der  Fossa  navieulaiis  kommen 
auch  an  der  ladK'rgangsslelle  zwischen  der  Pais  indhosa  und 
meniliranacea,  an  <ler  klassischen  Stelle  der  ervvorhenen  Siriklur, 
allerlei  Veränderungen,  ahnorme  Klappenbildungen,  sodann  auch 
wirkliche  angeborene  Verengerungen  der  Harnröhre  vor.  Ver¬ 
fasser  teilt  die  in  der  Literatur'  niedergelegten  Deohachtungen, 
sodann  einen  Fall  eigener  Erfahrung  mit.  Ein  elfjähriger  Knabe, 
hat.  Schaj'lach  iiherstauden,  eikrankte  1905  unter  Ersclic'inungen 
der  Pyelitis;  heftige  Schmerzen  in  der  reidden  Nierengegend, 
Trübung  des  Urins,  Harndrang;  einmal  starke  Hämaturie;  diese 
schwand,  der  eitrig  getrübte  Urin  enthielt  aber  immer  etwas 
Blut.  Verdacht  auf  Nderenstein.  Höntgenuntersuchung  und  Pal¬ 
pation  vom  Rektum  aus  ergaben  keine  positiven  Anzeichen  dafür. 
Die  Untersuchung  Posners  ergab  viel  Residualharn  (1100  cnr\ 
trüb,  stark  eiterhaltig),  heim  wiederholten  Katheterisieren  analoge 
Befunde.  In  der  Bulhusgegend  ein  ziemlich  leicht  zu  übeiwindemles 
Hindernis.  Einführung  immer  stärkerer  Katheter,  Blasenspüluug ; 
gVhiiahme  der  Menge  des  Rcsidualharnes,  der  Harn  wird  klar, 
das  Drängen  hört  auf,  das  Kind  wird  entlassen,  mit  der  Weisung, 
daß  die  Katheterisierung  noch  durch  längere  Zeit  fortgesetzt  wer¬ 
den  möge.  Posner  sieht  den  Fall  als  den  einer  angeborenen 
Harnröhrenstriktur  an,  glaubt  nicht,  daß  die  Striktur  etwa  durch 
<tic  Scharlacherkrankung  hervorgerufen  worden  sei  (Fehlen  von 
Zystitis  und  Urethritis),  führt  die  Hämaturie  auf  eine  luimäre 
Pyelitis  zurück  (Nierenbeckenhlutung),  indem  es  bei  der  llarn- 
staiiung  zu  einer  endogenen  Infektion  der  rechten  Niere  gekommen 
war.  In  der  H  u  f  e  1  a  n  d  sehen  Gesellschaft,  in  welcher  P  o  s  n  e  r 
seinen  Vortrag  hielt,  teilten  die  DDr.  Frank  und  Mankiewicz 
je  einen  Fall  mit.  Im  ersten  Falle  bestand  Phimose  und  punkt¬ 
förmige  Verengerung  des  Orificium  externum,  nach  dei'en  Spal¬ 
tung  im  mittleren  Drittel  der  Harnröhre  eine  ringförmige,  binde¬ 
gewebige  Striktur  konstatiert  wmrde.  Der  12jährige  Junge  hatte 
vor  sechs  Jahren  Scharlach  i'djerstanden,  ebenfalls  einmal  eine 
ludtige  Hämaturie  gehald,  die  nicht  zu  erklären  Avar  und  von 
selbst  sistierte.  Der  Urin  war  istets  klar.  Da  ein  Trauma  und 
eine  Infektion  ausgeschlossen  sind,  zieht  Frank  den  überstan¬ 
denen  Scharlach  als  ätiologisches  Moment  heran.  Eine  Striktur 
hei  einem  Envachsenen  führte  er  auf  eine  Influenza  zuiück, 
ghudd,  daß  diese  und  andere  schwere  Infektionskrankheiten  (wie. 
Typhus,  Cholera,  Diphtherie)  als  ätiologische  Momente  fi'ir  derlei 
Strikt  Liren  (sicherer  Ausschlußi  jeder  Infektion)  angesehen  werden 
können.  —  IMankiewicz  herichtete  über  den  Fall  eines  2tljäh- 
rigen  Mannes.  Seit  fünf  bis  sechs  Jahren  häufige  Enuresis,  keine 
richtige  Ejakulation,  im  Bulbus  eine  Striktur.  Niemals  eine  In¬ 
fektion,  überhaupt  vor  der  Verheiratung  niemals'  geschlecldliclien 
Vmkehr  gehabt.  Katheterisierung,  voller  Erfolg.  Im  Schlußwort 
sagte  Posner,  er  habe  in  seinem  Falle  den  Scliarlach  nicht  als 
ätiologisches  Moment  beschuldigt,  weil  aus  der  Zeit  des  Schar¬ 
lachs  und  aus  der  unmittelbar  uachfolgenden  Zeit  ideht  die  ge¬ 
ringste  Affektion  des  Urogenilalappara.tes  beobachtet  wurLhv 
Immerhin  wird  man  in  Zukunft  allen  diesen  Verhältnissen  eine 
erhöhte  Aufmerksamkeit  zuwenden  müssen.  —  (Berliner  klinische 

Wochenschrift  1907,  Nr.  13.)  E.  F. 

* 

239.  Ueher  die  Klassifikation  der  Psychosen, 
insbesondere  der  p  e  r  i  o  d  i  s  c  h  e  n .  Von  Dr.  F r.  Geist  in 
Zschadrass.  In  einem  in  der  Versammlung  der  mitteldeutschen 
Psycdiiater  und  Neurologen  im  Oktober  190(1  gehaltenen  Vortrage 
zeigte  Geist  zunächst,  daß  wir  bisnun  in  der  Psychiatrie  mit 
den  einzelnen  psychiatrischen  Krankheitstypen,  einheitliche,  uns 
allerdings  noch  fast  vollständig  unbekannte  Krankheitsvorgänge 
bezeichnen.  Wie  die  verschiedensten  Krankheitsprozesse  eine 
Anzahl  gleicher  Symplomenkomplexe  hervorbringen,  so  kann  der 
gleiche  Krankbeitsvorgang  vielgestaltige  klitdsche  Zustandsbilder 
zeitigen,  so  daß  die  heutige  Psychiatrie  nur  mit  Hilfe  anderer 
Faktoi'en,  wie  Aetiologie,  Verlauf,  Prognose  etc.  die  psychischen 
Zustandshilder  zu  einer  Klassifikation  derselben  verwerten  kann, 
(übt  es  auch  jetzt  schon  eine  Anzahl  von  Geisteskrankheiten, 
die  ihre  Siedlung  als  einheitliche  Krankheilsvorgänge  uidiestreit- 
har  liehaupten  können,  so  ist  immerhin  noch  die  Klassifikation 


der  IGyediosen  (dmu’  drr  wundeshm  Punkte'  eler  wisse*nschafl- 
lie'he'ii  l^sye-luatrie'.  Geist  wemh't  sich  scbließlie-b  be'sonders  elen- 
jenige'ii  Kratd<be'ilslyi)en  zu,  eieren  Klassifikalie)n  eine  e'inlie'itlicbe 
Auffassung  neicb  nicht  erfahren  bat,  uiile'r  ibnem  beseindei's  eh'r 
Grupiie  eler  pc'iiodise-hen  Psychosen.  Es  bamlell  sieb  um  e'inen 
Krankheilsvorgang,  eler  klinisch  in  dem  essentie'llen  pe'rioelischen 
Irresein  zum  Ausdruck  ke)mml.  Uharakterisieit  elure'b  liesonderen 
periodischen  VeiJauf,  verhältnismäßige  Gulai'ligkeit  und  elurch. 
ziemliche  Gleichheit, der  Anfälle,  Irill  es  in  der  manisch-ele'])ressiven, 
paranoiden  und  katatonen  Foiin  aiuf.  Geist  siniclil  dann  imch 
ülxu'  die  Mania  sinijilex,  die  er  elem  akuten  halluzinatorischen 
Irresein  an  die  Seite  stellt  und  über  die  verschiedenen  Formen 
der  Denietdia  ])raecox.  ln  einer  Reihe  chronisch  verlaufender 
Psychosen  sieht  er  chronische  Formen  akuter  Geistesstörungen. 
—  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie  und  psychisch-gericht¬ 
liche  Medizin,  Band  64,  Heft  1.)  S. 

* 

240.  Ueher  R  e  a  k  t  i  o  n  s  p  h  ä  n  o  m  e  n  e  i  n  d  e  r  J'  h  e  r  a  p  i  e. 
Von  R.  Lepine  in  Lyon.  Ein  in  den  Organismus  eingeführtes 
Arzneimittel  oder  Gift  erzeugt  daseihst  eine  Reaktion  und  es 
kommt  hei  allen  therapeutischen  Bestrehungen  wn'sentlich  auf 
die  Hervorrufung  einer  nützlichen  Reaktion  an.  Auch  hei  der 
Serumtherapie  liegt  nicht  nur  einfache  passive  Immunisierung  vor, 
man  beobachtet  z.  B.  nach  der  Injektion  von  Diphtherieheilserum 
Veränderungen  im  Knochenmark  mit  Bildung  zahlreicher  kern¬ 
haltiger  Erythrozyten.  Auch  nach  Immunisierung  mit  virulenten 
Bakterienkulturen  oder  sterilisierten  Toxinen  wird  eine  lebhafte 
Reaktion  der  hlulhildenden  Organe  beobachtet.  Auch  die  in  einem 
Heilserum  enthaltenen  Antikörper  rufen  im  Organismus  wieder 
die  Bildung  von  Antikörpern  hervor.  Wenn  man  einem  Hunde 
mehr  als  die  Hälfte  des  Blutes  entzieht  und  durch  die  gleiche 
Menge  physiologischer  Kochsalzlösung  ersetzt,  so  erreichen  die 
Erythrozyten  nach  16  bis  20  Tagen  etwa  normale  Zahl  u.  zw. 
rascher,  als  wenn  man  dem  Tier  sein  eigenes  defihriniertes  Blut 
oder  das  Serum  eines  Tieres  der  gleichen  Art  injiziert  hätte. 
Bei  einer  Patientin  mit  1,875.000  Erythrozyten  im  mnU  und 
40O>  Hämoglobin,  hei  Avelcher  Arsen  und  Subkutane  Injektionen 
von  zitronensaurem  Eisen  ohne  jeden  Erfolg  angewendet  worden 
waren,  genügte  eine  einmalige  Injektion  von  400  cm^  0-7®'oiger 
Kochsalzlösung,  um  eine  zur  Heilung  der  schweren  Anämie 
führende  Reaktion  einzuleiten.  In  der  Literatur  findet  sich  ein 
Fall  von  scliwerer  Anämie,  wo  die  Arsenhehandlung  erfolglos 
war,  dagegen  die  Anwendung  von  Röntgenstrahlen  die  gi'mstige 
Reaktion  dei’  blutbildenden  Organe  bewirkte.  In  gleichem  Sinne 
ist  die  Heilwirkung  des  Aderlasses  hei  Anämien  zu  deuten.  Be¬ 
merkenswert  ist  die  ganz  beträchtliche  Steigerung  der  glykolyti- 
schen  Würkung  des  Blutes  nach  Aderlaß  und  Infusion  von  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung.  Die  intravenöse  Injektion  von  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung  übt  eine  abschwächende  Wirkung  auf 
die  Infektionen  mit  Kolihazillen  und  andere  Infektionen,  zum 
Beispiel  Pneumonie.  Doch  können  die  Kochsalzlösungen  dort, 
wo  bereits  Retention  von  Chloriden  besteht,  schädigend  Avirken. 
Die  fermentartige  Wirkung  der  Metalle  im  kolloidalen  Zustande 
ist  bei  verschiedenen  Infekliousprozessen  mit  Erfolg  verAverlet 
Avorden.  Bemerkenswert  ist  die  Würkung  eines  organischen  Fer¬ 
mentes,  des  Invertins,  Avelches  die  Ausscheidung  der  Purinkörper 
mit  dem  Haiai  und  die  glykolytische  AVirkung  des  Blutes  lieträcht- 
lich  steigert.  Aus  den  angeführten  Tatsachen  geht  hervor,  daß 
auch  nicht  spezifische  Agenzien  eine  gegen  Infektionsprozesse 
Aviiksame  Reaktion  hervorzurufen  imstande  sind  und  daher  dort, 
Avo  spezifische  Agenzien  noch  nicht  zur  Verfügung  stehen,  ver¬ 
sucht  AAmrden  sollten.  Es  gibt  aber  allerdings  auch  Fälle,  avo  der 
Organismus  nicht  mehr  imstande  ist,  die  Reaktion  zu  i'iberstehen. 
So  trat  in  einem  Falle  Amn  schwerer  Anämie,  Avelche  bisher  fieber¬ 
los  verbilden  Avar,  nach  Injektion  von  5  enU  einer  3Toigen  Lösuug 
von  zitronensaurem  Eisen  Fieber  auf,  zu  dem  sich  Dyspnoe  und 
Delirien  hinzugesellten,  Avorauf  in  kurzer  Zeit  Exitus  erfolgte. 
Es  ist  sehr  Avahrscheinlich,  daß  die  an  sich  nicht  große  Dosis 
des  Eisensalzes  eine  Reaktion  JierAmrgemfen  hat,  die  der  Orga¬ 
nismus  nicht  mehr  übersli'hen  konnte.  —  (Sem.  med.  1907,  x\r.  5.) 

a.  e. 


VVIL^NER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  18 


241.  (Aus  dt!in  Sl.  Barlholouiew-HospiUil.)  Zur  KcMinluis 
(l(*r  A  rleriosklcM’OSc.  Von  W.  J\  Horringliam.  Die  Größe 
der  arteriosklei'oliscdien  Veränderungen  ist  Ijei  den  verschiedenen 
Körperarlei'ien  versehiedeJi.  So  werden  die  Arterien  der  Niere 
und  Milz  tiäufig  und  in  tiolieni  Grade,  die  der  Leber  und  Äluskeln 
selir  selten  sklerotisch  verändert  gefunden.  Verf.  schreibt  an¬ 
haltend  hohem  Blutdruck  eine  wichtige  ätiologische  Rolle  für 
die  Entstehung  der  Arteriosklerose  zu.  Er  fand  hei  postmortalen 
Ihitersuchungen  von  Individuengruppen,  die  nach  Dekaden  ein- 
geteilt  waren,  —  mit  dem  20.  Lebensjahre  beginnend  —  daß 
die  Arterien  nicht  nur  konlinuicrlich  unelastischer,  sondern  auch 
kontinuierlich  weiter  wurden.  Für  die  Behandlung  kommen  in 
Betracht;  allgemeine  Regelung  der  Lebensweise,  Medikamente  und 
Diät.  Einer  regelmäßigen,  individuell  angepaßten  Körperbewegung 
und  dem  Frühaufstehen  Avird  eine  wichtige  Rolle  zugeschricbcn. 
Von  Medikamenten  werden  Jodide  und  Nitrite  empfohlen.  Be¬ 
sonders  gut  soll  der  tägliche  Crebrauch  von  Kalomel  —  in  nicht 
abführenden  Dosen  von  Va  bis  1  Gran  täglich  und  perioden¬ 
weise  —  wirken.  Von  Milchdiät  hat  Verf.  gute  Erfolge  gesehen, 
doch  tritt  er  dafür  ein,  daß  bei  einzelnen  Fällen  auch  ein  mäßiger 
Fleischgenuß  zu  gestatten  sei.  —  (British  medical  Journal, 

12.  Januar  1907.)  .1.  Sch. 

+ 

242.  0  V  o  g  a  1,  ein  neues  Cholagogum.  Von  Doktor 
A.  Rahn  in  Dresden.  Ovogal,  durch  Bindung  der  Säuren  der 
frischen  Rindergalle  an  Eiweiß  hergestellt,  soll  nach  Versuchen, 
die  im  Berliner  pathologischen  Institut  an  Fistelhunden  an¬ 
gestellt  wurden,  eine  hervorragende,  gallentreibende  Wirkung 
haben.  Letztere  wird  auch  durch  Beobachtungen  Prof.  Zinns 
bei  einer  Gallenfistelpatientin  bestätigt.  Das  Ovogal  Avird  als 
loses  Pulver,  soAvie  in  Gelatinkapseln  ä  0-5  g  in  den  Handel 
gebracht.  Um  sich  von  der  Unschädlichkeit  des  Mittels  zu  über¬ 
zeugen,  probierte  es  Verf.  zunächst  an  sich  selbst.  In  relatiAr 
hohen  Gaben  a-oii  1  bis  iVs  Teelöffel  während  des  Frühstücks 
Avirkte  es  appetitanregend  und  insbesondere  stuhlbefördernd.  Dar¬ 
aufhin  prüfte  er  es  an  ca.  30  Fällen  seiner  Praxis.  Zunächsti 
in  zAvei  Fällen  von  Gallensteinkolik  ließ  Verf.  dreimal  täglich', 
einen  Teelöffel  Ovogal  nehmen.  Es  kam  bald  zum  Nachlassen 
der  Schmerzen  ohne  Morphium  und  zur  Anregung  des  Stuhl¬ 
ganges.  Bei  Darmkatarrhen,  bei  chronischer  Obstipation,  bei  typi¬ 
schen  Hämorrhoidalbeschwerden  mit  unausstehlichem  Zwängen 
und  Drängen  AAmrden  durch  Ovogal,  dreimal  täglich  eine  Messer¬ 
spitze,  die  Besclnverden  behoben.  In  einem  Falle  von  mittel- 
scliAAmrem  Diabetes  Avurde  durch  Ovogal  eine  appetitanregende 
und  stuhlbefördernde  Wirkung  erzielt.  Der  Zuckergehalt  des 
Urins  ging  von  l^.o  auf  0-2 °/o  herab,  ohne  daß  die  Lebensweise 
geändert  Avorden  AAnäre.  In  zwei  Fällen  von  Magendarmkatarrh 
mit  Salzsäureüberschuß  schAvanden  durch  Ovogalgebraiich  die 
(ßiäfenden  Sensationen,  das  Aufstoßen,  Völlegefühl,  das  Sod¬ 
brennen  und  das  Spannungsgefühl  über  dem  ganzen  Abdomen. 
Bei  drei  Patienten  mit  chronischem  Leberkatarrh,  mit  starker 
Vergrößerung  und  Druckempfindlichkeit  der  Leber,  init  lästigen 
StuhlbeschAverden  Avurde  nach  Avenigen  Ovogalgaben  (dreimal 
einen  halben  Teelöffel)  eine  Besserung  und  nach  längerem  Ge¬ 
brauche  eine  völlige  Beseitigung  der  Beschwerden  erzielt.  Bei 
Neurasthenikern,  chlorotischen  Alädchen  gelang:  es  dem  Verfasser, 
die  Stuhlträgheit  vollkommen  zu  regulieren.  In  zwei  Fällen  von 
katarrbaliscliem  Ikterus  traten  die  subjektiAmn  Erscheinungen  durch 
Ovogal  (vier-  bis  sechsmal  am  Tage  eine  Kapsel)  kaum  zutage. 
—  (Müncbener  medizinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  10.)  G. 

* 

243.  Aus  der  Heidelberger  chir.  Klinik  (Vorstand  :  Geh.  Bat 
Prof.  Dr.  Czerny,  Exz.).  Zur  Frage  der  Naht  bei  Patella¬ 
frakturen.  Von  Dr.  Richard  Lewisohn.  Seit  1878  bis  1905 
kamen  in  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik  40  Patellafrakturen 
zur  Behandlung,  Aren  Avelchen  26  Fälle  einer  Nachuntersuchung 
unterzogen  wurden.  Von  diesen  Avaren  18  konservativ,  acht  opera¬ 
tiv  behandelt  Avorden.  Von  den  18  konservativ  behandelten  (Heft¬ 
pflaster,  FixationsAmrhände,  Massage,  BeAvegungs-  und  Geh¬ 
übungen)  konnten  bei  acht  Patienten  ein  ,,v o rz ü  g  1  i c h e s“  Dauer¬ 
resultat  festgestellt  werden,  trotzdem  in  sechs  Fällen  nur  eine 
fibröse  und  keine  knöcherne  Vereinigung  der  Fragmente  besteht. 
Bei  sieben  Fällen  ist  das  Dauerresultat  ,,mäßig“  oder  ,,mittel“. 


in  drei  Fällen  ,, schlecht“.  Unter  den  acht  operativ  beliandelton 
(Naht  der  Patella  meist  mit  Silberdraht  in  Allgemein-  oder  Lumbal¬ 
anästhesie,  ohne  Esmarchsche  Blutleere)  Avurde  ,,ein  vorzüg¬ 
liches“  (u.  ZAV.  trotz  deutlicher  Dehlszenz  der  Fi'agmente,  infolge 
Durchsclineiden  des  Drahtes),  zAvei  ,,sehr  gute“,  zwei  „gute“, 
drei  ,,sch lochte“  Dauerresultate  festgestclit.  Aus  dieser  Zu¬ 
sammenstellung  ergibt  sich,  „daß  für  das  Gesamtresultat  die  feste 
Vereinigung  der  Fragmente  keineswegs  die  Hauptrolle  spielt“. 
Die  Patella  scheint  für  den  Gelenksmechanismus  nicht  die  große 
Rolle  zu  haben,  AAÜe  das  von  Auelen  Seiten  angenommen  Avird; 
und  in  Hinsicht  auf  das  Dauerresultat  ist  daher  die  Verletzung 
des  Bandapparates  (Quadrizepssehno,  Lig.  pat.  inf.  etc.)  von 
mindestens  ebensogroßer  Bedeutung,  Avic  die  Verletzung  der  Pa¬ 
tella  selbst.  Verf.  hält  die  Patellanaht  für  geAvisse  Fälle  (starke 
Diastase,  Kantung  der  Fragmente,  starker,  auf  konservative  Mittel 
nicht  zurückgehender  Bluterguß',  komplizierte  Fraktur)  indiziert, 
erklärt  aber  den  Slandpimkt,  prinzipiell  jede  Patellarfraktur 
zu  nähen,  für  ungerechtfertigt;  nach  den  Nachuntersuchungen 
der  Heidelberger  Klinik  verdient  die  konservative  Methode  keine 
so  s  lief  mütterliche  Behandlung,  wie  sie  ihr  in  den  Publikationen 
der  letzten  Jahre  fast  ausnahmslos  zuteil  geworden  ist. 

(v.  Bruns’  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie  1906,  Bd.  52,  H.  1.) 

F.  H. 

♦ 

244.  (Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Laboratorium  der 

k.  k.  Krankenanstalt  „Rudolf-Sliftung“  in  Wien.)  Ueber  d'tui 
0 r t  d es  beginnen d e n  E i av 'C i ß' a b b a u e s  im  gefütterte n 
und  hungernden  Organismus.  Von  Dr.  Ernst  Freund. 
Wo  und  Avie  aus  den  Eiweißkörpern  die  ersten  Zerfallsprodukte 
entstehen,  darüber  mangeln  uns  Amllkommen  die  Kenntnisse.  Nach 
den  Untersuchungen  von  V oit  und  Pflüger  allerdings  entwickelte 
sich  die  herrschende  Lehre,  daß  der  EiAveißkörperabbau  zu  den 
untrennbaren  Lebensfunktionen  gehöre,  'doch  sind  die  näheren 
Modalitäten  dieses  Abbaues  ganz:  unklar  geblieben.  Dr.  Freund 
suchte  nun  durch  seine  Versuche  (im  Vereine  mit  Dr.  Toepfer, 
Dr.  F.  Kraus,  Dr.  Neck  er  und  Dr.  Baum  garten)  diese  Ver¬ 
hältnisse  zu  klären,  indem  er  an  einzelnen  Organen  Durchblutungs¬ 
versuche  machte,  um  aus  der  Untersuchung  des  durchgeleiteten 
Blutes  zu  ersehen,  ob  und  Avie  die  Eiweißköiirer  abgebaut  wurden. 
Faßt  man  die  Resultate  dieser  Arbeiten  zusammen,  so  ergibt 
sich  nach  Freund,  daß  die  bisherigen  Ansichten,  daß  die  Zellen 
die  Eigenschaft  besitzen,  das  ihnen  im  Blute  zugeführte  Eiwei߬ 
material  abzubauen,  unrichtig  sind.  Nur  Avenn  der  Darm  in  die 
Durchblutung  eingeschaltet  Avird,  finden  sich  die  Vermehrungen 
der  Eiweißabbauprodukte  u.  zav.  in  geringem  Grade,  wenn  Hunger¬ 
pfortaderblut  durchgeleitet  Avurde,  in  reichlicherem  Grade  bei  Be¬ 
nützung  von  gefüttertem  Pfortaderblut.  Die  Benützung  von 
anderem  als  Pfortaderblut,  Beifügung  von  fremdartigem  Blute, 
auch  inaktiviertem  Blute,  von  Globulinen,  von  Wittepepton  bleil)t 
ohne  Einfluß  auf  den  EiAveißabbau  der  in  denselben  enthaltenen 
Eiweißkörper.  Die  Abbaufähigkeit  des  Pfortaderblutes  beruht  auf 
dem  Gehalt  an  EiAveiß'resorptionsprodukten  aus  dem  Darme,  die 
unter  normalen  Verliältnissen  größ'tenteils  in  koagulierbare  Form 
und  der  Pseudoglobulinfraktion  angehörig  vorhanden  sind.  Es 
nötigt  dies  zur  Annahme,  daß  auch  im  Hunger  aus  dem  Blute 
in  den  Darm  EiAveiß  ausgeschieden  Avird,  das  in  gespaltener 
Form  Avieder  zur  Resorption  gelangt.  Der  Darm  stellt  den  Ort 
dar,  Avo  nicht  nur  das  EiAveiß  in  leichter  resorbierbare  Form  ge¬ 
bracht  Avird,  sondern  auch  der  erste  und  nach  Umständen  auch 
der  größte  Teil  jenes  dem  Energiehedürfnisse  dienenden  EiAveiß- 
abbaues  vor  sich  geht,  den  man  bisher  den  Zellen  des  Organis¬ 
mus  zugeAviesen  bat.  Das  Vorkommen  der  reichlichen  Fäulnis- 
und  Fett-,  soAvie  der  Eisen-  und  Kalkmengen  im  Hungerdarme 
und  Kote  lassen  es  als  sehr  Avahrscheinlich  annehmen,  daß  über¬ 
haupt  zum  ZAvecke  vieler  Abbauvorgänge  das  aus  den  Zellen  an 
das  Blut  abgegebene  Material  dem  Darme  behufs  Abbaues  zuge¬ 
führt  Avird.  —  (Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  The¬ 
rapie  1907,  Bd.  4,  H.  1.)  K.  S. 

* 

245.  (Aus  der  Tübinger  medizinischen  Klinik.)  Ueber  die 
Vasomotoren  des  Gehirnes.  Untersuchungen  am  Tiere  und 
.Menschen  von  Dr.  Olfried  Müller  und  Richard  Sieix'ck.  Die 
Frage  na(di  (hun  V(MhaTidensein  vor  Gefäßnerven  innerhall)  des 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


545 


Gi’hinies  iiiul  Riickeimiaiki's  ist  seit  langer  Zeit  Gogonstatul  aus- 
geklehnter  Kontrovcrseu  luul  nocli  Lingclöst  trotz  zahlreicher  He- 
niühiingen,  den  enipirischen  Nachweis  für  das  Vorhandensein 
von  Gehirngefäßnerven  zu  erbringen.  Verff.  suchten  der  Saclie 
näherzutreten  u.  zw.  auf  dem  Wege  verschiedener  Untersuchung's- 
methoden,  nicht  einer  einzelnen,  um  erst  dann  nur  aus  den 
ühereinstimmenden  Resultaten  verschiedener  Äfethoden  hindende 
Schlüsse  zu  ziehen.  So  unlersuchten  sie  experimentell  die  Ver¬ 
änderungen  der  Ilirnzirkulation  nach  Sympathikusidurchsclmeidung 
und  -reizung  und  solche,  die  durch  reflektorische  Einflüsse  oder 
Arzneimittel  bedingt  waren  und  führten  nach  Möglichkeit  auch 
am  Menschen  entsprechende  Versuche  aus.  Aus  den  Arheiteu  der 
Verfasser  resultiert,  daß  es  keinem  Zweifel  unterliegen  kann, 
daß  die  Gehirngefäße  geradeso  wie  die  der  meisten  anderen 
Organe  eine  nervöse  Seihsteuerung  besitzen,  welche  imstande  ist, 
die  Blutverteilung  nach  den  jeweiligen  lokalen  ßedürfnisseji  zii 
regulieren.  Doch  ist  diese  reflektorische  Regulierung  nach  vieler 
Richtung  hin  anders  angeordnet  als  in  anderen.  Körperprovinzen. 
Während  es  für  die  Körperperiplierie  sehr  zahli'eiche  kontra¬ 
hierende  Gefäßreflexe  gibt  und  nur  in  der  Minderzahl  primär 
dilatierende,  so  ist  es  im  Gehirne  gerade  umgekehrt,  da  hier 
die  dilatierenden  Reflexe  vorwiegen.  Dies'  scheint  in  der  Tat 
au(di  sehr  zweckmäßig  eingerichtet  zu  sein,  da  so  unter  allen 
Umständen  gesorgt  ist,  daß  die  lebenswichtigen  Zentren  keine 
Not  an  Blutziiflußi  leiden.  Die  Auffassung  einer  rein  mechanischen 
Beeinllussung  der  Hirnzirkulation  durch  die  Schwankungen  des 
arteriellen  und  venösen  Druckes  im  allgemeinen  Kreisläufe  ist 
mithin  nicht  mehr  haltbar.  Die  physiologischen  Verhältnisse  sind 
auf  diesem  Gebiete  durch  die  Untersuebungen  der  Verfasser  wenig¬ 
stens  in  großen  Zügen  geklärt  und  wird  es  die  Aufgabe  weiterer 
Untersuchungen  sein,  die  kraidvhafte.i  Veränderungen  der  Gefä߬ 
reflexe  zu  studieren  und  diese  für  die  Klinik  nach  diagnosti¬ 
scher,  symjytomatologischer  und  therape'uliscber  Seite  hin  nutz¬ 
bar  zu  machen.  —  (Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und 
Therapie  1'907,  Bd.  4,  H.  1.)  K.  S. 


flekrolog. 


Albert  Ritter  v.  Mosetig-Moorhof 

geh.  zu  Triest  26.  Januar  1838  —  gest.  zu  Wien  26.  April  1907. 


Nemini  sciens  nociii 
Prodesse  qxiamphiribiis  curavi. 

M'enn  das  vulgäre:  De  mortuis  nil  nisi  bene,  an  dem  noch 
oflenen  Grabe  der  Menschen  gleichsam  als  vorhauende  Mahnung 
an  die  versöhnende  Wirkung  des  Todes  erinnern  soll,  so  hat  es 
dort  seine  Bedeutung  verloren,  wo  wir  einem  Manne  schmerz- 
bewegt  den  Ahschiedsgruß  widmen,  dessen  ganz(is  Leljen  und 
Wirken  einer  milTeundlichen  Gesinnung  auch  nicht  den  geringsten 
Anhaltspunkt  darhieten  konnte,  einem  Manne,  der  sich  durch 
ein  von  aufopfernder  Arbeit  ausgefütltes  Dasein,  durcli  reinste 
Betätigung  edler  Menschlichkeit  den  Unbestrittenen  Ansprueb  auf 
die  allgemeinste  Verebrung  erworben  bat.  Es  genügte,  ihn  auch 
nur  flüchtig  kennen  zu  lernen,  um  ihm  aufrichtig  .zugetan  zu 
sein.  Wenn  man  ihn  so  sah  mit  seinem  sympathischen,  milden 
Zügen,  so  ungezwungen  und  ungesucht  würdevoll  in  AVort  und 
Gebärde,  für  sich  einnehmend  durch  seine  so  gefällige  Erschei¬ 
nung,  da  hatte  man  auch  das  getreue  Spiegelbild  seines  ganzen 
W  es(uis,  das  im  besten  Sinne  des  Wortes  ein  adeliges  war. 

Die  narkoselose,  traurige  Zeit  legte  dem  Cbirurgen  die  grau¬ 
same  Notwendigkeit  auf,  seine  Eingriffe  unter  dem  schmerzvollen 
Widerstände  des  Patienten  auszuführen.  Die  Verhältnisse  machten 
den  Chirurgen  zum  virtuoseu  Schnelloperateur  oder  zum  Bän¬ 
diger.  Bt'ides  blieb  bei  längerer  Uehung  nicht  ohne  Rückwirkung 
auf  die  rein  menschliche  Seile  des  wundärztlichen  Wirkens;  die 
Viiluosität  entartete  zum  Selbstzweck  und  die  Gewöhnung  an 
die  Aeußeiungen  des  Schmerzes  führte  zur  Abstumpfung.  Alan 
nannte  nicht  mit  Unrecht  einst  die  o])erative  Heilkunde  die  Chirur- 
gia  crudelis  und  mancher  rüde,  wimdärztliche  Typus  aus  jener  Zedt 
ragte  noch  in  unsere  Tage.  v.  Mosetig  hatte  in  seinen  Lehr- 
lingsjahren  noch  reichlich  Gelegenheit,  solchen  Typen  zu  be¬ 
gegnen,  (hmen  gegenüber  seine  Eigenart  geradezu  den  Gegenpart 
bildete;  denn  sein  ganzer,  zaj’t  besaiteter  innerer  Mensch  sträLd)tc 
sich  gegen  die  Rolle  des  kaltblütigen  Bändigers.  Er  hatte  eine 


förndichc  Hyperästhesie  für  den  Schmerz  der  anderen  und  wenn 
er  in  hervorragendem  Maße  die  leichte  Hand  des  Chirurgen  be¬ 
saß;,  so  war  auch  dies  ein  charakteristisches  Symptom  seines 
ganzen  Wesens. 

Er  war  Schüler  und  Assistent  v.  Diimreichers,  des  letzten 
Wiener  Repräsentanten  der  rein  anatomischen  Bichtüng  in  der 
Chirurgie.  Nebst  v.  Alosetig  sind  aus  dieser  Schule  lu'rvor- 
i'agende  Äleister  lu'rvorgegangen,  wi(!  Wenzel  v.  L  i  e  n  h  a  r  t,  Eduai'd 
.Vlhert,  Karl  Nicoladoni  • —  jeder  von  ihnen  <‘ine  ausgeprägte 
Individualität  in  der  Geschichte  der  Chirurgie.  Auch  v.  Alosctig 
rei)räsentiert;e  einen  eigenartigen  Typus.  So  meisterhaft  er  die 
chirurgisclie  Technik  heherrschte,  so  schien  ihm  doch  das  chirur¬ 
gische  Messer  nur  ein  Notbehelf  in  der  Therapie.  Er  war  davon 
durchdrungen,  daß  es  für  jede  Krankheit  auch  ein  Heilmitlel 
gehen  müsse.  Sein  ganzes  Strehen  war  darauf  gerichtet,  es  aus¬ 
findig  zu  machen;  von  solchen  Gedanken  schien  er  fortwährend 
gefangen  genommen.  So  kam  er  auch  auf  das  Jodoform,  das  er 
sofort  erprobte,  nachdem  es  durch  Aloleschotts  Aufsehen  er¬ 
regende  erste  Puhlikationen  bekannt  wurde.  Er  verwandte  es  zu¬ 
nächst  und  vor  allem  als  spezifisches  Alittel  hei  chirurgischer 
Lokaltuherkulose  und  glaubte  tatsächlich  ein  Heilmittel  geg(m  den 
tuberkulösen  Prozeß  gefunden  zu  haben,  um  nach  und  nach 
zur  Erkenntnis  zu  gelangen,  daß  es  sich  hei  dessen  günstigem 
Wirkungen  nicht  um  therapeutische  Eernwirkungen  handelte,  daß 
diese  vielmehr  durch  die  Beeinflussung  der  Gewebe  am  Orte  der 
Einbringung  zu  erklären  waren.  Die  Billrothsche  Schule  hat 
sich  des  Mittels  warm  angenommen  und  ihm  bald  zu  allgemeiner 
Verwendung  in  der  Wundbehandlung  verholfen,  in  der  es  sich 
auch  heule,  in  der  aseptischen  Aera,  noch  innerhalh  seines  In- 
dikalionsgebietes  behauptet.  Es  Avar  eine  merkwürdige  Ueher- 
raschung,  als  die  bakteriologische  Nachi)rüfung  es  erwies,  daß 
Jodoform  als  Antiseptikum  im  landläufigen  Sinne  des  Wortes  nicht 
angesehen  Averden  konnte.  Viele  experimentelle,  chemische  und 
histologische  Nachprüfungen  Avurden  angestellt,  eine  ganze  Litera¬ 
tur  ist  erstanden,  um  den  scheinbaren  Gegensatz  zAvischen  prak¬ 
tischer  und  theoretischer  Erprobung  aufzuklären.  Ueher  allem 
Widerstreit  der  Aleinungen  hleiht  aber  das  große  Verdienst  v.  Alo- 
setigs  unangefochten,  die  AVundbehandlung  um  ein  höchst  Avert- 
volles  Alittel  bereichert  zu  haben. 

Seine  so  ausgedehnte  operative  'Tätigkeit  auf  dem  Gebiete 
der  tuberkulösen  Knochen-  und  Gelenkserkrankungen  führten 
ihn  dann  weiterhin  zu  einer  eigenen  Methode -der  Behandlung 
der  nach  den  Operationen  geschaffenen  Knochenhöhlen.  Der  Ge¬ 
danke,  daß  man  durch  ein  Ausfüllungsmittel,  das  sich  organ iscli 
in  das  Gewebe  einfügen  ließe,  über  das  langAvierige  Stadium 
des  allmählichen,  durch  die  Granulationen  beigestellten  GeAvehs- 
ersatzes  himvegkommen  könnte,  hatte  zu  verschiedenen  Versuchen 
geführt,  die  mit  teils  festen,  teils  flüssigen  Materialien  das  er- 
Avünschte  Ziel  zu  erreichen  suchten.  Die  günstigsten  AVirkungen 
sah  man  nocli  von  Schedes  feuchtem  Blutschorf,  v.  Mosetig 
verAvendete  zu  diesem  ZAvecke  eine  Jodoformplomhe.  Indem  er 
sich  darüber  klar  Avunle,  daß  die  Avichtigste  Vorbedingung  des 
Haftens  seiner  Plombe  in  der  suhtilsten  Präparierung  der  Höhle 
im  Sinne  der  Blutstillung,  der  Asepsis  und  in  der  möglichst  voll¬ 
kommenen  Entfernung  alles  kranken  GeAvehes  gelegen  sei,  schuf 
er  zugleich  auch  die  besten  Chancen  für  die  Erfolge  seiner 
Knochenoperationen  als  solcher.  Eine  Einheilung  seiner  Plomlie 
im  histologischen  Sinne  des  AVortes  erfolgte  Avoid  nur  äußerst 
selten;  er  seihst  sah  die  Plombe  nur  als  „Lückenbüßer“  au, 
die  in  demselben  Alaße  als  die  organische  Ausfüllung  dm'  Höhle 
Amnstatten  ging,  nach  und  nach  auch  durch  diese  ersetzt  Avurde. 
.fedenfalls  bietet  tlieso  seine  Älethode  manche  nicht  utiAvesentliche 
Voi'teile,  zum  mindesten  für  die  Nachhehandlung  nach  Knochen¬ 
operationen. 

Das  Problem  der  Tuberkulosebehandlung  beschäftigte  ihn 
unausgesetzt.  Flin  Produkt  dieser  Bestrebungen  Avar  auch  das 
,,Teucrin“,  ein  Extrakt  der  trockenen  Kräuter  von  Teucriuni  Sc(yi-- 
diuni,  vo}i  dem  er  ähnliche  AVirkungen  erAvartele  Avie  vom  Kocli- 
schen  Tuberkulin,  ferner  die  Alilchsäure,  die  sich  als  .Vetzmittel 
bei  tuberkulösen  Ulzeralionen  der  Schleimhäute,  namentlich  in 
der  Laryngologie  als  ebenso  dienlich  Avie  allgemein  gebräuchlich 
erhalten  hat. 

Auch  der  Krehstherapie  ist  er  nähergetreten.  Er  hoffte,  die 
Prolifei'ationsfähigkeit  der  GescliAvulslzelteii  durch  Imhihilion  ihrer 
Kerne  mit  Alethylenhlau  zu  zei-stören  und  so  einen  therapeutischen 
Angriffspunkt  für  eine  nichtoperative  Krebshchandlung  zu  ge- 
Avinnen.  Er  gab  seine  therapeutiscdien  Ideen  fast  schon  in  statu 
nascendi  der  Oeffentlichkeit  preis,  um  möglichst  viele  Mitarbeiter 
in  seinen  Bestrebungen  zu  gewinnen.  Kein  Wunder,  wenn  da  auch 
manches  unterlief,  Avas  der  d\j'itik  nicht  Stand  hielt  und  seinen 
Emartungen  nicht  entsprach. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


F,r  war  durch  und  durch  Arzt.  Sein  Le])en  bowc9:lc  sich 
zwisclien  Krankenhaus  und  Süidierstube.  Er  schrieh  als  einer 
der  erfahrensten  Kriegschirurgen  —  er  hatte  das  Jahr  1866, 
den  dentscli- französischen  Krieg,  die  liosnische  Okkupation,  den 
serhiscdi  -  bulgarischen  Krieg  mitgemacht  —  seine  Vorlesungen 
über  Kriegschirurgie  nieder,  ein  in  vielen  Auflagen  erschienenes 
Buch  über  chirurgische  Technik,  entstammte  seiner  Feder,  als 
Mitbegründer  und  Förderer  der  Wiener  freiwilligen  .Rettungsgesell- 
schaft  verfaßte  er  ein  vortreffliches  Buch  über  die  erste  Hilfe, 
ln  den  Fachzeitschriften  las  man  immer  wieder  -seine  lehrreichen 
Aufsätze  über  die  verschiedensten  Themen  der  Chirurgie  und 
wenn  er  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  das  Wort  ergriff,  horchte 
alles  auf,  denn  man  Avußte,  daß  von  ihm  Belehrung  und  An¬ 
regung  zu  erwarten  war.  So  hat  er  immer  strebend  sich  bemüht, 
unermüdlich  im  Wirken,  erfolgreich  auch  im  Schaffen. 

Er  führte  ein  einsames  Lehen.  Doch  einsam  war  er  nicht 
alleine.  Ueherall  hin  begleiteten  ihn  auf  seinen  Wegen  seine 
auf  das  IMenschenwohl  gerichteten  Gedanken.  So  mag  er  sich  auch 
mit  manchem  ahgefunden  haben,  was  ihm  sonst  am  Herzen 
lag.  Nur  auf  seinem  letzten  Spaziergange,  dort,  dem  Ufer  der 
Donau  entlang,  da  hat  ihm,  dem  Helfer  in  so  vielen  Nöten,  in 
seinen  eigenen  Nöten  eine  hilfreiche  Hand  gefehlt. 

Er  ist  unsichtbar  unseren  Augen  entschwunden,  sein 
Leih  wird  von  den  Wellen  getrieben,  unbekannt  wo  Und  avo- 
hin.'  Die  AÜelen,  die  ihn  geliebt  und  verehrt,  Averden  seiner  nicht 
vergessen,  auch  AAmnn  sein  Körperliches  für  immer  irgendwo  im 
Aveiten  Weltenraume  sich  Amrloren  hätte.  Denn  er  hat  sich  durch 
sein  Wirken  tief  eingeprägt  ins  Gedächtnis  seiner  Zeitgenossen 
und  in  der  Geschichtie-  seines  Faches  bleibt  seinen  Verdiensten 
ein  Ehrenblatt  gesichert.  Alex.  Fraenkel. 


Therapeutisehe  Notizen. 

Ueher  Benzosalin.  Von  Dr.  R.  Freund.  Der  Verfasser 
hat  dieses  Ersatzpräparat  für  Salizylsäure  im  Hansasanatorium 
in  Danzig  an  einigen  Fällen  Amrsucht  und  berichtet  eingehend 
über  die  damit  erzielten  Resultate.  Benzosalin  Avird  im  Magen 
fast  gar  nicht  gelöst,  zerfällt  aber  im  Darme  leicht  in  seine 
beiden  Komponenten  —  die  Salizylsäure  und  Benzoesäure  — , 
es  greift  also  den  Magen  nicht  an,  ruft  auch  selbst  hei  4  g  täg¬ 
lich  kein  Ohrensausen  hervor.  Er  gab  das  Mittel  vorerst  l)ei 
Herzgesunden,  um  dessen  Einfluß  auf  das  Herz  zu  studieren  (Hin- 
Aveis  auf  die  ischädigende  Wirkung  aller  sonstigen  Salizylpräparaic 
auf  das  Herz),  sodann  verabfolgte  er  es  in  Fällen  Amn  Neuritis, 
chronischem  Gelenksrheumatismus,  lanzinierenden  Schinerzen  der 
Tabiker,  Polyneuritis  und  Schmerzen  unbestimmter  Art.  Stets 
machte  sich  die  schmerzstillende  Wirkung  geltend.  Einzelne 
Kranke,  Avelche  nach  Einnahme  von  Aspirin  über  Herzdruck, 
Herzklopfen,  starke  ScliAveiße  u.  dgl.  klagten,  Amrtrugen  dieses 
iMittel  besser,  indem  nunmehr  keine  Störung  von  seiten  des 
Herzens  auftrat.  In  einer  Arbeit  aus  der  Klinik  Leydens  Avurde 
Benzosalin  als  ein  Salizylpräparat  empfohlen,  das  niemals  Stö- 
ningen  des  Verdauungstraktes,  der  Nieren  und  des  Herzens  her- 
Amrruft.  Die  in  Danzig  behandelten  Fälle  (fünf  Krankengeschich¬ 
ten)  erhielten  0-5  Benzosalin  drei-  bis  sechsmal  täglich  in 
Tablettenform.  Das  Mittel  A\mrde  selbst  bei  ausgesprochenen  Herz¬ 
störungen  gut  vertragen.  Es  ist  schließlich  auch  billig.  —  (Deutsche 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  9.)  E.  F. 


Vermisehte  Naehriehten. 

Ernannt:  Dr.  Jaroslav  0  k  u  n  i  e  av  s  k  i  zum  Marine-Ober¬ 
stabsarzt  und  die  Dr.  Paul  Schmidt  und  Dr.  Robert  Li  oh  in  zu 
Marinestahsärzten.  —  Im  militärärztlicben  Offizierskorps:  Zu  Oher- 
stabsärzten  I.  Klasse:  Dr.  Bronislaus  Majewski  und  Dr.  Her¬ 
mann  Widrich;  zu  Oberstabsärzten  11.  Klasse  die  Doktoren: 
Nikolaus  Thomän,  Konrad  IMajeAvski,  Franz  Radey,  Josef 
S  t  r  a  §  i  r  i  b  k  a  ;  zu  Stabsärz len  die  Doktoren  :  Lauibert  G  e  r  s  1 1 , 
Anton  SkisloAvicz,  LudAvig  Hoffmann,  Theodor  Feßler,  Karl 
Wolfgang,  1141116101  Raschofszky,  Leopold  Deutsch,  Albert 
Latzei,  Cyriak  HlaArtcka.  —  Im  landAvehrärztlichen  Offiziers¬ 
korps:  Zu  Oberstabsärzten  H.  Klasse  die  Doktoren:  Bernhard 
Dub  und  Gustav  Weil.  —  Prof.  ScliAvalhe  in  Heidellierg  zum 
Prosektor  am  städlischen  Krank(‘uha.us  in  Karlsruhe. 

* 

Verliehen:  Der  Orden  dtu-  Eisernen  Krone  HI.  Klasse 
den  Oberstabsärzten  DDr. :  Adolf  Spiegel,  Franz  Kosmelj 
und  Franz  Jaeggh';  das  Ritterkreuz  des  Franz  -  Joseph- 
Ordens  dem  Stabsarzt  Dr.  Bruno  Drastich  und  dem 
Regimentsarzt  l)r.  Wladimir  Michl;  das  Goldene  Verdienst¬ 
kreuz  mil  der  Krone:  den  Hegimentsärzimi :  DDr.  Eduard 
Krall,  Richard  Pfeffers,  Jakob  Arzt,  Gotllieb  Eibichl, 


Josef  Reu  s  s,  Wilhelm  Fröhlich;  aus  gleichem  Anlasse  wurde 
der  Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekanntgegeben  den 
Regimentsärzten  DDr.  Ludwig  Ritter  Zapsky  v.  Zap,  Stephan 
Lengsfeld,  Josef  Huhka.  —  Dr.  ined.  G.  Günther  an  der 
Tierärztlichen  Hochschule  in  Wien  der  Titel  und  Charakter  eines 
ordentlichen  Professors. 

Gestorben:  Geh.  Med. -Rat  Dr.  Hugo  IM  a g  n u  s  a.  o.  Pro¬ 
fessor  der  Augenheilkunde  in  Breslau. 

* 

In  der  Zeit  von  Donnei-stag  den  10.  bis  Sams  lag  den  26.  Ok¬ 
tober  inklusiAm  1907,  AAÜrd  in  Breslau  ein  fortlaufender  Zyklus 
von  Vorlesungen  und  praktischen  Uehungen  für  Aerzte,  in  den 
Instituten  und  Kliniken  der  Universität  Breslau,  stattfinden. 

* 

Aus  dem  S  a  n  i  tä  t  s  b  e  r  i  c  h  t  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  15.  Jahreswoche  (vom  7.  bis 
13.  April  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  660,  unehelich  284,  zu¬ 
sammen  944.  Tot  geboren,  ehelich  62,  unehelich  30,  zusammen  92. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  802  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  209  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  9, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  25,  Scharlach  5,  Keuchhusten  5, 
Diphtherie  und  Krupp  2,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  7, 
Lungentuberkulose  138,  bösartige  Neubildungen  46,  Wochenbett¬ 
lieber  2.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  34  (+ 13),  Wochen¬ 
bettfieber  6  (-(-  6),  Blattern  1  (-j-  1),  Varizellen  71  (-|-  23),  Masern  359 
(-1--41),  Scharlach  104  (-{- ßl)>  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  20  (-j- 15), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  72  (—  4),  Keuch¬ 
husten  44  ( —  19),  Tracliom  2  (-j-  2),  Influenza  1  (-j-  2). 


Eingesendet. 

Vom  Vorstände  des  Zentralverbandes  der  Balneologen 

Oesterreichs. 

Geehrter  Herr  Redakteur! 

Wollen  Sie  so  freundlich  sein,  folgende  auf  die  in  Nr.  3  der 
Deutschen  medizinischen  Wochenschrift  gebrachte  Zuschrift  des  Herrn 
Prof.  Dr.  H.  Oppenheim  bezügliche  Erklärung  in  Ihr  geschätztes  Blatt 
aufzunehmen.  Oppenheim  beabsichtigte  durch  seine  Mitteilungen 
vom  standeswidrigen  Benehmen  einzelner  Badeärzte  einem  Mißsiande 
entgegenzutreten,  was  nach  seiner  Meinung  generell  nur  durch  seine 
Brandmarkung  in  der  medizinischen  Presse  geschehen  könne.  Wir 
finden  diese  Absicht  nur  im  Interesse  aller  Badeärzte  gelegen  und  wenden 
uns  nur  gegen  die  Bemerkung  Oppenheims,  daß  es  ihm  nach  seinen 
Erfahrungen  scheint,  als  ob  die  ihm  gemachten  Geschenkanbietungen 
eine  Gepflogenheit  einiger  in  österreichischen  Bädern  praktizierenden 
Aerzte  wäre.  Wenn  Oppenheim  eine  solche  Erfahrung  gemacht 
hat,  so  müssen  wir  sie  als  Tatsache  hinnehmen,  da  er  keine  Unwahrheit 
sagen  wird;  aber  eine  andere  Frage  ist,  ob  es  nicht  zu  weit  geht,  bevor 
man  andere  gangbare  Wege  versucht  hat,  sich  an  die  Presse  und  sei  es 
auch  nur  die  medizinische  zu  wenden,  daß  sie  tadelnd  und  zurückweisend 
eingreife.  Es  liegt  dabei  denn  doch  die  Gefahr  zu  nahe,  daß  solche  Aus¬ 
nahmsfälle  in  der  öffentlichen  Meinung  verallgemeinert  werden  und  dann 
der  Unschuldige  mit  dem  Schuldigen  in  einen  Topf  geworfen  werde, 
insbesonders  aber,  daß  die  Badeärzte  Oesterreichs  gegenüber  den  deutschen 
badeärztlichen  Kollegen  in  einen  gewissen  Nachteil  dadurch  kommen, 
daß  man  ihnen  eher  eine  derartige  Handlungsweise  zutraut;  semper  aliquid 
haeret.  Wir  brauchen  wohl  nicht  erst  zu  versichern,  daß  ein  derartiges 
Geschenkanbieten  durchaus  nicht  Sitte  unserer  österreichischen  Kollegen 
ist  und  von  niemandem  schärfer  als  von  uns  verurteilt  wird. 

Es  wäre  ein  anderer  Weg  Vorgelegen,  welcher  noch  immer,  wie 
es  scheint,  zu  wenig  ins  Auge  gefaßt  wird.  Wir  haben  in  Oesterreich 
ebensogut  offizielle  und  andere  Standesvertretungen  wie  in  Deutschland 
und  speziell  dürfte  auch  im  Deutschen  Reich,  wo  unser  Zentralverband 
der  Balneologen  schon  öfters  mit  der  Deutschen  balneologen  Gesellschaft 
wissenschaftliche  Kongresse  abhielt,  unsere  Vereinigung  nicht  so  unbekannt 
sein.  Wie  unsere  Aerztekammer,  besitzt  auch  unser  Verein  —  lokale 
ärztliche  Vereine  finden  sich  übrigens  in  allen  größeren  Kurorten  Oester¬ 
reichs  —  keine  Disziplinargewalt,  aber  soviel  moralische  Kraft  wohnt 
dennoch  unserer  Organisation  bereits  inne,  daß  sie  imstande  ist,  dem 
gerügten  Uebel  zu  steuern,  wenn  sie  nur  ‘von  jedem  Fall  unter¬ 
richtet  wird. 

Das  offene  Schreiben  Oppenheims  wird  den  Diskussionsgegen¬ 
stand  unserer  nächsten  Beratungen  im  Vereine  bilden  und  sind  wir 
allen  Aerzten,  insbesonders  denen  mit  akademischem  Rang,  dankbar, 
wenn  sie  uns  irgendwelche  Mißstände  im  badeärztlichen  Stande  mit- 
teilen,  uns  aber  zugleich  helfen,  sie  zu  beseitigen.  Kein  Zweifel,  es  wird 
intra  muros  gesündigt  —  aber  man  möge  bedenken,  auch  extra  muros! 
—  auf  letzteres  wollen  wir  indessen  hier  nicht  eingehen.  Es  ist  nicht 
nur  die  Publikation  Oppenheims,  welche  uns  zu  dieser  Erklärung 
veranlaßt,  sondern  auch  die  jüngst  in  der  Münchner  medizinischen 
Wochenschrift  erschienenen  Eingesendet,  welchen  ähnliche  Vorkomm¬ 
nisse  zugrunde  liegen  und  aus  denen  auch  wieder  hervorgeht,  daß  die 
aufgeworfenen  Fragen  eine  große  Bedeutung  besitzen  und  nicht  von 
einzelnen  gelöst  werden  können,  sondern  von  Organisation  zu  Organi¬ 
sation. 

Für  den  Zentralverband  der  Balneologen  Oesterreichs: 

Hofrat  Prof.  Dr.  W.  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  m  p.,  Obmann. 

Dr.  L.  Wie  k,  m.  p.,  Dozent  der  Balneologie,  Vereinssekretär. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


5-47 


Yerhandlnngen  ärztlicher  desellschaften  und  Eongreßberichte. 


Oflizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  26.  April  1907. 

Gesellschalt  für  innere  Medizin  und  Kinderlieilknnde  in  Wien. 

Sitzung  vom  18.  April  1907. 

llericlit  über  den  III.  Kongreß  der  deulscheii  Röntgeiigesellschaft 
in  Berlin  am  30.  März  und  1.  April  1907. 


Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden.  15.  bis 
18.  April  1907. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zn  Berlin. 
2.  Sitzungstag  4.  April  1907. 

Aerztlicher  Tereiu  in  Brünn.  Sitzung  vom  6.  und  16.  März  1907. 


T  NM  ALT: 

Der  24. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  26.  April  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Finger. 

Scdiriftftthrer :  Dr.  v.  Haberer. 

Präsident  Hofrat  R.  Chrobak  teilt  der  Gesellschaft  mil, 
daß  Gerüchte  zirkulieren,  die  zu  der  schweren  Besorgnis  Ver¬ 
anlassung  geben,  daß  Hofrat  R.  v.  Mosetig  durch  einen  Un¬ 
glücksfall  betroffen  worden  sei,  der  seinem  reichen  Leben  allzu 
früh  ein  Ende  setzle.  Er  gibt  der  Hoffnung  Raum,  es  möge  sich 
doch  eben  bloß  um  Gerüchte  handeln  und  v.  Mosetig  zur  Freude 
der  ganzen  Gesellschaft  zurückkehren. 

Der  Vorsitzende  Prof.  Finger  macht  Mitteilung  von  dem 
Ableben  des  Mitgliedes  Herrn  Dr.  Severin  Goldner,  Sanitäts- 
konsidentslellverlreters  der  k.  k.  Slaatsbahndirektion  in  Wien. 
Die  Mitglieder  erheben  sich  ziim  Zeichen  der  Trauer  von  ihren  Sitzen. 

Ferner  berichtet  der  Vorsitzende  über  eine  vom  ärztlichen 
Vereine  im  IX.  Bezirke  an  die  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  er¬ 
gangene  Eitdadung  zu  der  am  Donnerstag  den  2.  Mai  1907  irn 
,, Hotel  de  France“,  L,  Schottenring,  stattfindenden  Plenarver¬ 
sammlung. 

Dr.  Alfred  Saxl  dcmonslnert  ans  dem  orthopädisch-chirnr- 
gischeu  Ambulatorium  des  Herrn  Prof.  Lorenz  eine  Patientin 
mit  Crura  vara.  Von  besonderem  Interesse  ist  die  hochgradige  Fett¬ 
leibigkeit  der  Patientin ;  obwohl  erst  acht  Jahre  alt,  wiegt  sie 
über  44  kg  bei  einer  dem  Alter  entsprechenden  Korperlänge.  Von 
sechs  Geschwistern  der  Patientin  ist  eine  16jährige  Schwester 
ebenfalls  sehr  dick,  sonst  weist  kein  Familienmitglied  einen  der¬ 
artigen  Zustand  auf.  Abgesehen  von  einer  Lungenentzündung 
und  Diplitheritis  im  vierten  Lebensjahre  war  Pat.  niemals  krank. 
Sie  begann  im  ersten  Lebensjahre  zu  gehen;  bis  dahin  waren 
ihre  Körperproportionen  normal. 

Bemerkenswert  ist  noch,  daß  Pat.  den  peripheren  Teil  des 
rechten  stärker  abgekrümraten  Unterschenkels  gewöhnlich  mit  dem 
Fuß  zusammen  als  Trittfläche  benützt,  indem  sie  das  Bein  ein 
wenig  außenrotiert,  im  Knie  beugt  und  mit  der  äußeren  Fu߬ 
kante  auftritt;  offenbar  ist  es  ihr  wegen  der  stärkeren  Ver¬ 
krümmung  des  Unterschenkels  beschwerlich,  längere  Zeit  planti- 
grad  zu  stehen.  Bei  bekleidetem  Fuß  wird  dadurch  eine  hoch¬ 
gradige  Klumpfnßbildung  vorgetäuscht. 

Die  Korrektur  der  Verkrümmungen  wird  durch  eine  sub¬ 
kutane  Osteotomie  erfolgen ;  auch  nach  Abnahme  der  Gips- 
verhände  wird  Pat.  zum  Schutze  gegen  ein  Rezidiv,  das  sich 
unter  dem  Einflüsse  der  Körperlast  unfehlbar  einstellen  würde, 
Stützapparate  erhalten. 

Diskussion:  Hofr.  v.  Eiseisberg:  Ich  möchte  niir  dar¬ 
auf  aufmerksam  machen,  daß  häufig  derartige  rachitische  Diftor- 
ndtäten  spontan  zur  Ausheilung  kommen  können.  Speziell  in 
einer  ans  der  v.  Bergmann  sehen  Klinik  hervorgegangenen  Arheil 
ist  auf  diese  Tatsache  aufmerksam  gemacht  worden.  Ich  seihst 
hin  seilher  viel  vorsichtiger  geworden  mit  der  Indikation  zu 
chirurgischen  Eingriffen  hei  rachitischen  Difformitäten.  Ich 
möchte  auch  in  dem  eben  vorgestellten  Falle  die  Difformität  nocli 
idcht  für  ausreicherul  halten,  um  daraus  die  Indikation  zu  einer 
Osteotomie  abzuleiten. 

Dr.  Saxl:  Mit  Rücksicht  darauf,  daß  Patientin,  wie  erwähnt, 
rechterseits  habituell  mit  der  Außenkante  des  Fußes  auftritt  und 
sogar  die  Fibula  zum  Auftritt  benützt  wird,  erscheint  mir  in 
diesem  Falle  die  Vornahme  der  Operation  indiziert,  um  so  mehr, 
als  das  Kind  bereits  acht  Jahre  alt  ist  und  die  gewaltige  Körper¬ 
last  im  Sinne  der  Vermehrung  der  Deformität  wirkt. 

Prof.  V.  Eisei  sh  erg:  Gerade  auf  die  Möglichkeit  einer 
spontanen  Heilung  solcher  Fälle  ist  in  der  genannten  Arbeit 
aufmerksam  gemacht.  Ich  kann  natürlich  im  vorliegenden  Falle, 
in  Anbetracht  der  Schwere  und  Dicke  der  Palienlm, 
nicht  entscheiden,  ob  es  zn  einer  Spontanheilung  kommen  wird, 
wollte  al)er  doch  zur  Vorsicht  hei  der  Indikalionsstellnng  chirur¬ 
gischer  Eingriffe  in  solchen  Fällen  anffordern. 

Prof.  Paschkis  demonstrierl  eine  meikwürdigc  D(d’oiirde- 
rung  von  menschlichen  Haaren.  Es  handelt  sich  um  eine  Zer- 


schleißnng,  so  daß  das  Haar  etwa  umgekehrt  wie  eine  Vogelfeder 
anssieht.  Während  die  Haare  bei  der  Trichoptilosis  von  der  Spitze 
an  gegen  den  Schaft  in  zwei,  drei  und  selten  mehr  ungleiche 
Stücke  gespalten,  bei  Trichorrhexis  an  ihrem  Ende,  d.  i.  an  der 
Bruchstelle  eines  Knötchens  in  zahlreiche  minimale  Fäserchen, 
besenförmig  zerfasert  sind,  werden  in  diesen  Fällen  vom  Haare 
im  Verlaufe  des  Schaftes  und  zwar  in  der  Richtung  von  der 
Wurzel  gegen  die  Spitze  zahlreiche  Stücke  abgelöst.  Es  muß  das 
immerhin  mit  einer  größeren  Gewalt  geschehen,  da  ja  die  Faserung 
des  Rindengewehes  im  gleichen  Sinne  gerichtet  ist.  Diese  Art 
der  Zerschleißung  des  Haares  ist  sicherlich  selten.  Der  Demon¬ 
strierende  hat  sie  bis  jetzt,  bis  zu  den  zwei  demonstrierten  Fällen 
nicht  gesehen. 

Priv.-Doz.  Falta  hält  seinen  angekündigten  Vortrag.  Er  be¬ 
richtet  über  gemeinsam  mit  Priv.-Doz.  Staehelin  und  Dr.  Grote 
an  der  medizinischen  Klinik  in  Basel  ausgeführte  Respirations¬ 
versuche  an  pankreasdiabetischen  Hunden.  Die  Versuche,  welche 
mit  dem  modifizierten  J  a  q  u  e  t  sehen  Apparat  ausgeführt  worden 
sind,  lassen  sich  in  folgender  Weise  kurz  zusammenfassen :  Die 
Hungereiweißzersetzung  ist  bei  pankreasdiabetischen  Hunden,  wie 
sich  auch  aus  in  der  Literatur  bereits  vorliegenden  Versuchen 
berechnen  läßt,  enorm  gesteigert.  Die  Steigerung  beträgt  das 
3-  bis  dVriache  des  normalen  Hungereiweißumsatzes.  Die  Größe 
der  Steigerung  zeigt  gesetzmäßige  Beziehungen  zum  Körpergewicht 
und  zur  Körpergröße  entsprechend  ähnlichen  Verhältnissen  beim 
normalen  Tier;  ferner  gesetzmäßige  Beziehungen  zum  Quotienten 
D/n.  Mit  dem  Ansteigen  dieses  Quotienten  nach  der  Pankreas¬ 
exstirpation  steigt  auch  der  Hungerei weißnmsatz  und  erreicht 
sein  Maximum  auf  der  Höhe  der  Störung  des  Zuckerstoffwechsels, 
wenn  das  Verhältnis  D  :  n  den  Wert  2'8  erreicht  hat.  Sinkt  bei 
unvollständiger  Exstirpation  des  Pankreas  das  Verhältnis  D  :  n  ah 
und  verschwindet  der  Zucker,  so  sinkt  auch  der  Hungereiweiß- 
uinsatz  und  kehrt  mit  dem  Verschwinden  des  Zuckers  zur  Norm 
zurück.  Bemerkenswert  ist  ein  Versuch  mit  Einfuhr  abundanter 
Mengen  von  Traubenzucker.  Wie  sich  aus  dem  respiratorischen 
Quotienten  ergab,  sind  höchstens  Spuren  von  Zucker  verbrannt 
worden.  Da  die  Analyse  des  C  im  Kot  eine  gute  Verwertung  des 
Traubenzuckers  ergab  und  die  Steigerung  der  Zuckerausscheidung 
weit  hinter  der  Zuckereinfuhr  zurückblieb,  so  muß  an  eine  Re¬ 
tention  von  Zucker  und  so  an  eine  Vermehrung  des  Zucker¬ 
gehaltes  des  Blutes  und  der  Gewebe  gedacht  werden.  Eine  solche 
Retention  von  Zucker  dürfte  auch  das  Heruntergehen  des  Quo¬ 
tienten  D/n  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  Verenden  der  Tiere 
erklären.  Die  Ansicht  Lüthjes,  ,daß  das  Vermögen,  Trauben¬ 
zucker  zu  verbrennen,  sich  auch  nach  vollständiger  Exstirpation 
wieder  hersteilen  könne,  ist  aus  diesem  Grunde  noch  nicht  als 
bewiesen  anzusehen. 

Der  Gesamtumsatz  erwies  sich  im  Gegensatz  zu  den  bisher 
in  der  Literatur  vorliegenden  Versuchen  als  gesteigert.  Schon  die 
Steigerung  des  Eiweißumsatzes  ließ  nach  der  R  u  b  n  e  r  sehen 
Lehre  von  der  spezifisch-dynamischen  Wirkung  des  Eiweißes  eine 
Steigerung  des  Gesamtumsatzes  erwarten.  Die  tatsächlich  be¬ 
obachtete  Steigerung  war  aber  noch  wesentlich  größer,  da  auch 
eine  Steigerung  der  Fettzersetzung  vorhanden  war.  Die  Frage,  oh 
diese  Steigerung  der  Fettzersetzung  durch  die  bei  den  Versuchs¬ 
tieren  vorhandene  Infektion  der  Stichkanäle  allein  bedingt  war 
oder  ob  sie  eine  für  den  Ausfall  der  Pankreasfnnktion  spezifische 
Stoffwechselstörung  darstellt,  ließ  sich  nicht  mit  voller  Sicherheit 
entscheiden,  da  die  Versuche  nicht  weiter  fortgesetzt  werden 
konnten. 

Diskussion;  Dr.  Salomon:  Für  den  menschlichen  Dia¬ 
betes  liegen  bereits  Angaben  vor,  welche  durch  die  Befunde 
F  alias  nunmehr  eine  neue  Beleuchtung  finden.  So  hat  Magnus- 
Le  v  y  bei  schweren  Diabetikern  eine  Steigerung  der  Sauerstolf- 
zehrimg  um  ca.  10  bis  30”/o  konstatiert.  Die  Erklärung,  die  er 
dafür  bot,  kann  wohl  kaimi  befriedigen.  Er  nahm  an,  daß  ein¬ 
mal  der  Älehrverbrauch  irn  Einklang  mit  den  Feststellungen  von 
Buhn  er  durch  die  verhältnismäßig  große  Oberfläche  der  mageren 
Diabetiker  veranlaßt  sei.  Zweitens  führte  .er  die  starke  Nahrungs¬ 
aufnahme  der  Zuckerkranken  ins  Feld.  Möglicherweise  körqie 
durch  die  Ueberfütterung  der  Ruheumsatz  gesteigert  werden. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


In  zu  amlerem  Zwecke  geführten  Untersuchungen  —  es 
handelte  sich  um  den  Einfluß  der  IMuskelarheit  auf  den  respi¬ 
ratorischen  Quotienten  der  Diabetiker  —  bin  ich  ebenfalls  auf¬ 
fällig  hoher  Sauerstoffzehrung  bei  einem  schweren  Diabetiker  be¬ 
gegnet.  Die  Zahlen,  die  in  v.  Noordens  Pathologie  des  Stoffwechsels, 
Dd.  11  sich  finden,  betragen,  wenn  ich  mich  recht  erinnere, 
ca.  280  cm^  Sauerstoff  pro  Minute  bei  einem  ca.  GO  kg  schweren 
Diabetiker,  als  Ruhe-  und  Nüchternwert. 

V.  Noorden:  IlerrF  alt  a  erwähnte,  daß  in  älteren  Fällen  von 
Diabetes  ein  viel  höherer  Blutzuckergehalt  gefunden  wird,  als  in 
frischen  Fällen.  Diese  Tatsache  wurde  auf  meiner  Krankenabteilung 
fesigestellt  und  es  hat  wohl  einiges  Interesse,  wenn  ich  hier  etwas 
näheres  darüber  mitteile.  Bei  normalen  Menschen  findet  man 
0'7  bis  0‘85'Voo  Zucker  im  Blut,  selten  eine  Kleinigkeit  mehr  oder 
weniger.  In  frischen  Fällen  von  Diabetes  tritt  schon  bei  zirka 
l'Vüo  Blutzuckergehalt  Glykosurie  auf.  Die  Niere  ist  also  äußerst 
empfindlich  gegenüber  einer  höchst  geringen  Steigerung  des  Blut¬ 
zuckers.  In  älteren  Fällen  von  Diabetes  liegen  die  Dinge  anders. 
Da  Irifft  man  zunächst  viel  höhere  Zuckerwerte  im  Blute  an; 
Und  wenn  man  durch  Entziehung  von  Kohlehydraten  die  Leute 
aglykosiirisch  macht,  so  kann  man  die  überraschende  Tatsache 
feststellen,  daß  sie  trotz  des  Verschwindens  der  Glykosurie  zu¬ 
nächst  einen  weit  über  die  Norm  gesteigerten  Blutzuckergehalt 
aufweisen.  Wir  fanden  unter  diesen  Verhältnissen  oft  2'Voo  Blut¬ 
zucker  und  mehr.  Dies  zeigt,  daß  im  Verlaufe  des  Diabetes  die 
Nieren  an  Zuckerdichtigkeit  gewinnen.  Das  ist  eine  Art  selbst¬ 
tätiger  Regulation,  eine  Art  Schutzvorrichtung,  durch  die  sich 
der  Organismus  vor  exzessiven  Zuckerverlusten  schützt.  Besonders 
auffallend  ist  nun,  daß  bei  Komplikation  mit  Morbus  Brightii  die 
Zuckerdichtigkeit  der  Nieren  noch  weit  höher  steigt.  Man  kann 
da  bis  5  und  6“/oo  Blutzucker  antreffen,  ohne  daß  mehr  als 
Spuren  von  Glykose  in  den  Harn  übertreten;  in  den  letzten 
Stadien  der  Nephritis,  heim  Ausbruch  urämischer  Erscheinungen, 
wurden  sogar  bis  lO'Vo-.  Blutzucker  gefunden,  während  im  Harn 
entweder  gar  kein  Zucker  auf  trat  oder  nur  höchst  unbedeutende 
Mengen,  die  zu  der  Höhe  des  Blutzuckers  in  gar  keinem  Verhält¬ 
nisse  standen.  Dies  erinnert  an  die  alte  Lehre  von  F  r  e  r  i  c  h  s 
und  S  t  o  c  V  i  s,  die  berichteten,  daß  ein  Diabetes  manchmal 
durch  Uebergang  in  Granularatrophie  der  Nieren  ausheilen  könne. 
Von  Ausheilen  sollte  man  freilich  nicht  reden,  denn  erstens  verrät 
die  Hyperglykämie,  daß  die  diabetische  Erkrankung  noch  fort¬ 
besteht  und  zweitens  nehmen  die  Fälle  von  Diabetes,  wenn  eine 
vollentwickelte  Schrumpfniere  sich  hinzugestellt  hat,  in  der  Regel 
einen  recht  üblen  und  schnellen  Verlauf.  (Näheres  über  die  hier 
mitgeteilten  Befunde  ist  in  v.  Noordens  Handbuch  der  Patho¬ 
logie  des  Stoffwechsels  1907,  Band  H,  Seite  7,  veröffentlicht.) 

Priv.-Doz.  Pauli  richtet  an  Prof.  v.  Noordeu  die  Fiage, 
wie  sich  die  Diabeliker  mit  so  hochgradiger  Hyperglykämie  ohne 
Glykosurie  sonst  physisch  befunden  haben. 

Prof.  V.  Noorden:  Ausgezeichnet;  wenn  man  in  solchen 
Fälk'ii  forllahii,  die  Kohlehydrate  zu  '(Uitziehen,  so  sinkt  in 
einigen  Tagen  der  Blutzuckergehalt  ebenfalls. 

Dr.  Artur  Weiß  demonstriert  einen  auf  Grund  seiner  ge¬ 
meinsam  mit  D).  .Mautner,  dem  Assistenten  des  Ih'of.  Mouti, 
in  dessen  Laboralorium  durchgeführten  bakteriologischen  Unler- 
suchungen  von  ihm  koirstruierten  Desinfeklionsapparat  für  Ka- 
llieler,  Zystoskope  und  anderweitige  iirologische  Instrumente  mit 
(dnem  neuen,  A'utan  genannten  Formaldehy(lpräi)arate.  Das  Wesen 
dieser  Art  der  Desinfektion  beiaiht  darin,  daß  das  aus  Paraform 
und  i\Ietalls'ui)eroxyden  bestehende  Pulver  einzig  und  allein  duixdi 
Zusatz  der  ghdehen  Menge  Wassers  in  gasförmigc's  Foriualdeliyd 
und  \\'asserdam])f  zerlegt  wird,  welche  in  dichten  Dämpt'en  bald 
den  zu  desinfizierenden  Baum,  resp.  das  Gefäß  erfüllen.  Die 
vom  Vortragenden  und  Dr.  Mautner  durchgeführten  informa 
tiv('n  Desinfektionen  großer  Räume,  in  denen  infizierte  fSeiden- 
fädeii,  Läi)pchen,  Katheter  etc.  aufgehängt  waren,  ergaben  ver¬ 
hältnismäßig  gute  Resultate.  Fs  gelang  in  den  meisten  Fälkm, 
die  mit  24  Stunden  alten  Bouillonkulturen  getränkten  und  so¬ 
dann  gcdrockneten  Gewebsstindve  zu  sterilisieren,  während  die 
Kontrollpiaxben  üpi)ig  wuclierten  ;  zum  mindesten  gelang  (>s  aber, 
s(dir  resisleid(‘  Baklerienstämme  in  ihrem  Waclislum  wesentlich 
zu  lummien  und  selbst  Anthraxbazillen  und  Sporen  bei  einer 
beti’äcldliclien  Peberdosierung  des  Desiid'ektionsi)rä]iarates  auf 
Tage  hinaus  in  ihrem  Wachstum  aufzubalten.  Diese  Frfabrungen 
benützend  und  von  der  Erwägung  ausgc'hend,  daß  eine  Ueber- 
dosierung  des  Mittels,  die  im  Baume  des  Koslimpind-ites  ■wegen 
kaum  ausfühlbar  wäre,  in  kleinen  Gefäßen  sicdi  jedoidi  nur  un- 
wesimtliidi  vertmiern  könnte,  aiudi  sehr  resislenli'  Stämme  zur 
\crnichlung  bringen  dürfte,  übertrug  der  Vortragende  seine  \'er- 
suche  auf  Zylindergläser  nach  .\rt  deijenigen,  in  denen  die  Uro¬ 
logen  ihre  Katheter  und  Zystoskope  steril  aufbewahren  und  er 


fand,  daß  tatsächlich  sämtliche  Stämme  bei  einer  sechs  bis  sieben 
Stunden  dauernden  Desinfektion  abgelötet  weialen  konnten.  Dem 
Römer  sehen  Veilang'en  Rechnung  tragend,  wurden  die  Gewebs-, 
resp,  Kaiheterstücke  nach  der  Desinfektion  mit  Ammoniakdämpfen 
gewaschen,  um  das  überflüssige  iFormaldehyd  zu  entfernen  und 
sodann  in  Bouillon  oder  auf  Agariiährböden,  mit  denen  sie  in 
innige  Berührung  gebracht  wurden,  übertragen.  Fs  gelangten  Ba¬ 
cillus  pyocyaneus,  Bacterium  coli,  Staiihylococcus  pyogenes  aureus, 
Typhusliazillus,  Diphtheriebazillus,  Anthraxhazillus  mit  Sporen, 
Gonokokken  und  Tuberkelbazillen  zur  Anwendung.  Bezüglich  der 
letzten  zwei  Baklerienartmi  stehen  die  abschließenden  Kultur-, 
resp.  Tierversuche  noch  aus.  Bei  den  vorgenannten  Bakterienarten 
gelang  es,  dii'selbeii  dauernd  abzutöten,  da  bei  einer  achttägigen 
bis  viiu'wöchigen  Beobachtungsdauer  sämtliche  beschickte  Nähr¬ 
böden  bisher  steril  blieben.  Die  mit  desinfizierten  Anthraxkulturen 
beschickten  und  bisher  steril  gebliebenen  Nährböden  bedürfen 
mit  Rücksicht  auf  die  nur  vier  Tage  währende  Beobachtung  noch 
einer  weiteren  Kontrolle  (Demonstration  der  Kulturen).  Der  Vor- 
tj'agende  geht  nun  zur  Besprechung  des  von  ihm  konstruierten 
Ap[)arates  über  (Demonstration).  Derselbe  besieht  aus  einem 
Glasgefäße,  in  dem  die  Autandämpfe  zur  Entwicklung  gebracht 
Averden,  indem  7  cnP  des  Pulvers  mit  10  cm^  Wasser  verrührt 
werden  und  .sodann  ein  (dren  verschlossener  Glaszylinder  darauf¬ 
gestülpt  wird,  in  dem  die  zu  desinfizierenden  Instrumente  sich 
befinden.  Dieselben  Averden  den  sich  nun  entwickelnden  Dämi)fen 
durch  drei,  sicherer  jedoch  bis  zu  sechs  Stunden  ausgesetzt.  Fine 
nur  eine  Stunde  Avährende  Desinfektion  vermochte  nur  Bacterium 
coli  sicher  abzu tüten,  Avährend  Bacillus  pyocyaneus  und  Staphylo¬ 
coccus  pyogenes  aureus  nur  in  ihrem  Wachstum  gehemmt  Avurden. 
Die  Dose  bleibt  bis  zur  Gebrauchseidnahme  geschlossen,  ln  die 
Dose  können  auch  Vaginalspekula  und  andere  Instrumente  zur 
Desinfektion,  bzw.  sterilen  AufhoAvahrung  hineingehängt  Averden. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  18.  April  19'07. 

S.  Erben  stellt  den  \mn  H.  Salomon  in  der  Sitzung  vom 
7.  Älärz  d.  J.  demonstrierten  Fall  von  eigentümlicher  Kon¬ 
traktil  r  s  te  1 1  u  n  g  einer  Hand  nochmals  vor,  indem  i>r  auf 
die  IMomente  hinAveist,  welche  für  die  hysterische  Natur  der 
Affektion  sprechen.  Die  Kontraktur  Avird  dujxh  physikalische  Ein¬ 
griffe  nicht  beeinflußt,  Hirn-  oder  Rückenmarkssymptome  fehlen 
bei  derselben,  sie  ist  auf  Druck  nicht  schmerzhaft,  dagegen  ent¬ 
steht  Schmerz  beim  Veisuche,  dieselbe  zu  lösen.  Die  Zuckungen 
sind  als  Klonus  aufzid'assen,  Avelcher  ausgelöst  wird,  Avenn  der 
Ellbogen  spitzAvinklig  gebeugt  Avird  und  aufhört,  Avenn  letzterm¬ 
gestreckt  wird.  Für  Hyslei’ie  sprechen  Aveiter  noch  die  Anam¬ 
nese  (hereditäre  Belastung,  Zittern  im  20.  Lebensjahre,  Kopf¬ 
schmerz,  aufgeregtes  Wesen)  und  eine  umschriebene  unterem¬ 
pfindliche  Stelle  an  einem  Fiiiger. 

H.  Salomon  bemerkt,  daß  er  bei  der  Vorstellung  des 
Falles  als  Ursache  der  Erkrankung  eine  in  den  subkortikahm 
motorischen  Zenli'en  lokalisierte  Enzephalitis  als  möglich  erAvähnt, 
aber  als  Avahrscheijilicher  Hysterie  angenommen  habe. 

A.  Fuchs  reka])ituliert  nochmals  die  Gründe,  die  ilm  zur 
Annahme  einer  organischen  Läsion  als  Ui-sache  des  Krankheits¬ 
bildes'  und  zur  Bezeichnung  dei-  ScliüttelbeAvegung  als  Athetose 
geführt  haben. 

J.  Hoffmann  sieht,  als  pj’ädisponierendes  J\loment  für  eine 
funktionelle  Erkrankung  den  nachgeAviesenen  Abusus  in  venere 
an  und  hebt  den  Temperaturunterschied  ZAvischen  der  gesunden 
und  kranken  Hand  herAmr.  Der  von  ihm  unternommene  Versuch, 
die  Kontraktur  durch  Thermomassage  zu  beeinflussen,  hat  als 
Resultat  eine  größere  BeAveglichkeit  in  den  Fingergelenken  lind 
im  Handgelenke  ergeben.  Er  bält  ilen  Fall  für  besserungsfähig. 

Herrn.  Schlesinger  stellt  einen  23jährigen  Mann  mill 
multiplen  A  u  gen  m  u  s  k  e  1 1  ä  h  m  u  n  g  e  n  u  n  d  ,  s  c  h  w  e  r  e  m 
Diab(‘t('S  insipidus  im  Verlaute  a' o  n  Skorbut  vor.  Pal. 
erkraidde  vor  acht  Wochen  an  Skorbut.  Als  er  Avc'gen  ju-ofusmi 
Nasenblutens  tamponiert  Aveiilen  sollte,  Avurde  (u-  beAvußtlos  und 
nach  dem  Erwachen  hatte  er  eine  doiipelseilige  Abduzens-  und 
Okuloinoloj'iuslälimung,  die  PuiiiHen  Avaren  abnorm  weil,  dii' 
Spieg(duntersuchung  ergab  Blutungen  im  Augenfundus.  Allmäh¬ 
lich  bildeten  sich  die  Augenmuskellähmungen  zurück.  In  un- 
mitbdbarem  .\nsclilusse  an  dieselben  sicdlle  sich  ein  schweriu' 
Diaheles  insijiidus  ein,  die  illarnmenge  stii'g  für  einige  Zeit  bis 
auf  20  Liter  täglich,  sank  dann  auf  10  his  15  Liter  und  ist 
erst  in  den  letzten  Tagen  auf  5  Liter  täglich  zurückgegangen. 
Im  Harne  Avar  nie  Zucker  zu  finden.  Als  Ursache  des  Diabetes 


Nr.  18 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


insipidus  ist  nacli  den  klinischen  Erfalnungeii  eine  Läsion  im 
Hereiclie  der  Gebilde  der  hinteren  Sehädelgi;uhe  anziinelmien ; 
eine  genauere  Lokalisation  ist  unmöglich.  Im  vorgestellten  ILdle 
scheint  Polytlipsie  der  Polyurie  zeitlich  vorausgeeilt  zu  sein. 
Letztere  konnte  durch  verschiedene  therai)eutische  iMaßnalmum 
nur  wenig  beeinflußt  werden,  Strychnininjektionen  halten  auf 
dieselbe  fast  gar  keinen  Einflußi,  unmitlelhar  nach  ihrem  Aiis- 
selzen  fiel  aber  die  Haruahsonderung  rapid  ah. 

U.  Schmidt  (h'monstriert  mikroskopische  Präparate  von 
M  i  1  c  h  s  ä  u  r  e  1)  a  z  i  1 1  (Ml  in  den  Fäzes.  Vortr.  hat  diesen  l!c- 
fund  konstant  hei  Magenkarzinoin,  ferner  auch  in  Fällen  von 
Ei'krankungen  des  Dünndarmes  (z.  B.  Tuberkulose,  Lymphosarkom) 
erheben  können.  Der  Umstand,  daß  in  einigen  Fällen  die  Alilch- 
säurehazillen  in  den  Fäzes,  dagegen  nicht  im  Atageninhall,  zu 
linden  waren,  spricht  dafür,  daß  diese  Vegetation  intestinaler 
Provenienz  sei.  Der  Befund  von  Milchsäurehazillen  im  Stuhle 
gestatte,  t  den  Schluß  auf  eine  Erkrankung  des  Alagens  und  Dünn¬ 
darmes. 

Auf  eine  Anfrage  von  11.  Schlesinger  teilt  R.  Schmidt 
mit,  daß  die  Diät  keinen  Einfluß  auf  den  Befund  der  Alilchsäure- 
hazillen  hatte. 

Zack  bemerkt,  daß  sich  ihm  die  Älethode  hei  mehreren 
Fällen  von  Alagenkarzinom  gut  bewährt  habe,  er  fand  die  Alilch- 
säurehazillen  auch  in  zwei  Fällen  von  schwerer  Enteroi'rhagie 
mit  Indikan  im  Harn.  In  einem  Falle  verschwanden  die  Alilch- 
säurehazillen  aus  den  Fäzes  durch  Verringerung,  der  Eiweißsloffe 
in  der  Nahrung.  Auf  eine  Anfrage  von  B.  Schmidt  hemerkt 
er,  daß  er  in  den  erwähnten  zwei  Fällen  keinen  Kulturversuch 
gemacht  habe. 

B.  Schmidt  hezeichnot  die  Kultivierung  der  Alilchsäure- 
hazillen  als  erwünscht,  um  Verwechslungen  vorzuheugen.  Daß 
.Ausnahmen  von  der  Regel  Vorkommen  können,  gebe  er  zu.  Einen 
Einflußi  der  Diät  auf  das  Wachstum  der  Alilchsäurebazillen  hat 
er  bisher  nicht  heohachten  können. 

K.  Glaessnor;  Ueber  die  Funktion  der  normalen 
und  pathologischen  Leber.  Bekanntlich  ist  die  Lei)or  die 
Bildungsstätte  des  Harnstoffes.  Früher  hat  man  angenommen, 
daß  nur  die  Endprodukte  der  Eiweißspaltung  —  Ammoniak  in 
Form  von  kohlensaurem  oder  karbaminsaurem  Ammoniak  —  die 
Vorstufen  des  Harnstoffes  darstellen.  Durch  Tierexperimente  und 
Dur(dd)lutungsversuche  ist  aber  feslgeslellt,  daß  auch  hölune  Ei- 
weißahkömmlinge,  die  Aminosäuren,  das  Alaterial  für  die  Harn- 
stoffhildung  ahgehen  können.  Da  klinische  und  oxperimenlelle 
Erfahrungen  darauf  hindeuien,  daß,  bei  Schädigungen  der  Leber 
die  Fähigkeit,  aus  Aminosäuren  Harnstoff  zu  bereiten,  leide,  wurde 
dieser  Umstand  zur  Ausarbeitung  einer  funktionellen  Prüfung 
der  Leherarheit  benützt.  Da  es  keine  zuverlässige  quarditative 
Bestimmung  der  Aminosäuren  im  Harne  gibt,  so  hat  Verf.  eine 
solche  —  allerdings  nur  für  die  von  ihm  untersuchten  Amino¬ 
säuren  —  aiisgearheitet.  Ihr  Prinzip  besteht  darin,  daß  die  meisten 
stickstoffhaltigen  Körper  des  Harnes  bis  auf  Harnstoff  und  Amino¬ 
säuren  durch  Phosphor  -  AVolframsäure  gefällt  werden;  nur  Harn¬ 
stoff  und  Aminosäuren  gehen  ins  Filtrat.  Dieses  wird  getrocknet 
und  der  Harnstoff  mit  Alkohol  -  Amylalkohol  extrahiert.  Die  Amino¬ 
säuren  bleiben  zurück.  Die  funktionelle  Prüfung  wurde  nun  so 
vorgenonnnen,  daß  die  Versuchspersonen  (Gesunde  und  Kranke) 
nach  einer  Vorperiode  20  bis  30  g  der  Aminosäuren  ])er  os  er¬ 
hielten.  Bei  Gesunden  fand  kein  Ausschlag  statt.  Audi  bei  Er¬ 
krankungen  des  Herzens,  der  Lungen,  der  Nerven,  ferner  hei 
Infektionskrankheiten  war  die  Verwertung  eine  normale.  Boi  Leher- 
krankheiten  ergaben  sich  interessante  Differenzen.  Während  Stau¬ 
ungslehern  und  einfacher  Ikterus,  sowie  merkwürdigerweise  auch 
Karzinome  der  Leber  in  jeder  Hinsicht  sich  wie  normale  Lebern 
verhielten,  zeigten  Fettlobem  Ausscheidungen  der  Aminosäuren 
bis  30"/o,  schwerer  Ikterus  bis  50"/o,  Zirrhose  50  bis  TO'V»  und 
Phosphorlebern  solche  von  50  bis  GO^/o  der  zugeführten  .Vmino- 
säuren. 

Bauer  betont  die  Wichtigkeit,  welche  jeder  neuen  Alethode 
für  die  Prüfung  der  Leberfunktion  zukommt,  da  keines  der  bis¬ 
herigen  Verfahren  ein  dezidiertes  Urteil  über  die  Prognose  einer 
voi’Iiegenden  Leherstörung  zu  läßt.  Nach  seinen  Untersuchungen 
über  Galaktosurie  scheinen  diejenigen  Fälle,  bei  welchen  die¬ 
selbe  trotz  Abklingens  des  Ikterus  anhält.,  eine  relativ  schlechte 
Prognose  zu  gehen. 

Al.  Strassor  frägt,  oh  hei  Leuzinfülterung  ebenfalls  eine 
Abweichung  zu  finden  war  und  ob  Bestimmungen  des  Harnstoffes 
vo rgen  ommen  wurd en. 

K.  Glacssner  erwidert,  daß  letztere  ausgeführt  wurden; 
nach  Leuzinfütlemng  wurde  nicht  untersucht. 


Bericht  über  den  III.  Kongreß  der  deutschen 
Röntgengesellschaft  in  Berlin 

am  30.  Alärz  und  L  Aiiril  1007. 

Referent:  Dr.  Do  hau. 

Das  Hauptthema  des  unler  dem  Vorsilze  von  .Vlhers- 
S  c  h  ö  n  1)  e  r  g  -  Hamhurg  lagendeu  Hl.  Kongresses  hehandeih'  di(‘ 
Frage:  Welchen  Einfluß  hat  die  R  ö  n  tg  e  ii  d  i  a  g  n  o  s  i  i  k 
auf  die  Erkennung  und  Behandlung  der  KiK^cheu- 
hrüche  gchahl  ?  Reteixmt  Wen  dt- Halle  li(d)t  alle  früher  zu¬ 
meist  vei'kannten  oder  nur  seilen  erkannten  Konliiiuitätslrennun- 
gen  am  Knochen  hervor,  die  uns  durch  die  Btintgenstraiden  zur 
Anschauung  gebracht  werden,  wie  Fissuren,  Brüche  der  lland- 
und  Fußwurzelknochen  usw.  Plr  betont  ferner  die  Wicdiligkcdf 
der  Bcistimmung  einer  vorhandenen  Dislokation  der  Hruclumden 
und  anschließend  daran  die  ilurch  das  Röudgenverfahreu  ('runjir- 
lichte  genaue  Konirolle  nach  der  Reposilion. 

Korroferent  Immelmann-Berlin  weist  an  4000  Knocheii- 
])rüchen  die  Verschiebung  der  früheren  Prozentzahlen  l)ei  den  ein¬ 
zelnen  F'rakturtypen  nach.  In  der  sich  diesem  Vortrage  anschließen¬ 
den  lebhaften  Diskussion  wurden  viele  Radiogramme  selten  vor- 
koimnender  Frakturen  demonstriert.  . 

Graeßner-Köln  liefert  Beiträge  zu  den  Fjukturen,  Avelclu' 
sicher  nur  im  Rönlgeid)ilde  zu  diagnostiziei'en  sind,  .Ia({uet- 
Rerlin  hebt  neue  Gesichtspimklc  hei  der  Behandlung  beider  Vordm'- 
armbrüche  im  mittleren  Drittel  —  im  Sinne,  eines  Verhamh'S 
des  extendierten  Vorderarmes  in  Alittelstellung  —  hervor. 

Jacob s oh n -Breslau  bespricht  einen  Todesfall  hei  Sauer 
stoffinsufflation  in  ein  Kniegelenk.  H  ol  z  kn  ec  h  t- Wien  warnt 
mit  Rücksicht  auf  einen  zweiten  ähnlichen  Fall  vor  den  gefahr¬ 
vollen  Folgen  dieser  Alethode,  während  andere,  wie  Wollen¬ 
berg-Berlin,  Eherlein-Berlin,  H  o f  f  a-Berlin  die  Gefahr  niclil 
hoch  anschlagen,  die  entsprechenden  Vorsichtsmaßregeln  hei  der 
Anwendung  vorausgesetzt,  zu  welchen  auch  die  von  Schwarz- 
Wien  empfohlene,  zentral  anzulegende  Esmarch  sehe  Binde 
gehört. 

G  r  u  n  m  ach-  Berlin  bespricht  die  Ergebnisse  seiner  Röntgen- 
untersuchung  der  Alund-,  Schlund-  und  Nasenhöhle  hei  der  Pho¬ 
nation  und  Cohn -Berlin  liefert  einen  Beitrag  zur  Topographie 
der  Leber  hei  allgemeinem,  durch  luetische  Dic-kdarmstriktur  her- 
v  0  r  ge  ru  f  e  n  e  m  AI ete  o  r  i  s  m  u  s . 

Schwarz- Wien  bespricht  die  Salzsäürehestimnumg  des 
Alagens  auf  Grund  einer  verschluckten, ' mit  Wismut  und  Pepsin 
gefüllten  Bindegewehskapsel,  l)ei  welcher  der  Zeitpunkt  der  Lösung 
mit  Hilfe  des  Röidgenschirmes  genau  nachgewiesen  werden  kann 
und  vor I ritt  diese  Alethode  gegenüber  dem  Einwande  von  Krause- 
Breslau  auch  im  Falle  von  Hypermotilität  und  Anazidität  des 
Alagens.  Al  exander- Kesmark  bcschreiht  an  der  Hand  voi'tvelt- 
lich  gelungener  plastischer  Bilder  die  Alethode  der  Herstellung 
derselben. 

Holzknecht-AVien  spricht  über  den  derzeitigen  Stand  der 
röntgenologischen  Diagnostik  der  Alagenlumoren  und  weist  an 
schematischen  Zeichnungen  nach,  daß  es  durch  die  von  ihm 
angowendole  llntersuchungsmethode  nu’iglich  sei,  nicht  nur  üheu* 
Form,  Lage,  Größe  und  Alotilität  des  Alagens  sich  Aufklärung 
zu  verschaffen,  sondern  auch  darüber,  oh  ein  Tumor  innerhalb 
oder  außei'halh  des  Alagens  sitze. 

Gr ödel- Alünchen  spricht  zu  demselben  Thema  und  erörtert 
die  Röntgenwismutmethode  Rieders  bei  Alagenuntersuclnmgen 
mit  Hilfe  des  Ortbodiagraphen.  Die  Auffassung  Holzknechts 
vom  ,, Normalmagen“  wird  von  ihm  bezweifelt,  von  ersterem 
durch  die  konstante  Form  desselhen  begründet. 

D oh  an- Wien  berichtet  über  das  Ergebnis  seiner  Röntgen¬ 
untersuchungen  hei  klinisch  ,, latenten“  Fällen  von  Lungenspitzen¬ 
infiltrationen  und  betont  die  Wichtigkeit  dieser  Uidersuchungs- 
methode  hei  allen  Fällen  von  Spitzenkatarrh  oder  Verdaedd.  aid: 
einen  solchen.  Sträter- Aachen  zeigt  äußerst  gelungene  Bilder 
von  normalen  und  pathologisch  veränderten  Nieren,  die  er  durch 
Kompression  eines  zwischen  Blende  und  Körper  eingescholienen 
Luffaschwammes  erzielt  hat.  Gottschalk-Stutigart  demon¬ 
striert  (las  Röntgenogramm  eines  Gclnrntumors,  dessen  diagiio- 
stische  Verwertung  aber  von  Holzknecht  bestritten  wird. 

Den  physikalischen  Teil  der  Verhandlungen  bildeten  die  Vor¬ 
träge  von  AV  e  r  th  e  i  m  -  S  a  1  am  o  n  s  o  n  -  Amsterdam  über  Erkhi- 
rung  der  Widerstandsreduktion  in  der  Selenzelle  bei  jeder  Röntgeu- 
ciitladung,  Al  ex  ander- Kesmark  über  Röntgenslrahlen,  hei  denen 
er  auf  Grund  seiner  Untersuclmugen  im  Gegensätze  zur  hisherig(m 
Anschauung  Ahlenkharkeit  und  Resorptionsfähigkeit  vermutet,  was 
von  A\"e rth e i m - S a  1  am  o n s o n  aber  hcslrilten  wird.  W  erne  r- 
Heidelherg  demonstiiert  einen  Beslrahlungskonzentratoi'  lür  die 
Röntgentherapie,  der  es  ermöglicht,  bis  zu  sechs  Röhren  auf 


WIENER  KLINISCPIE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  18 


einem  Träger  unzuordiien,  und  Scli  warz- Wien  zeigt  sein  Fäl- 
lungsradiometei-,  dessen  Prinzip  darin  liegt,  daß  bei  einer  Mischung 
von  Annnoniumoxalat  und  Suldimat  durch  Einwirkung  von  Rönt- 
genstralden  Kalomel  ausgeschieden  wird  und  eine  genau  zu 
messende  Trübung  der  Flüssigkeit  bedingt.  Diese  :\lethode  der 
Rönlgenlichlmessung  wird  von  Kowalski-Freiburg  befürworlet. 
Kienböck- Wien  beweist  an  einem  Beispiel  von  Röntgen  Ver¬ 
brennung,  daß  nicht  Idiosynkrasie,  sondern  üeberbclichtung  Ur¬ 
sache  derselben  sei  und  möchte  seine  Maße  Ihr  die  Lichtenergie 
aus  praktischen  Gründen  eingeführt  wissen.  Gergö-Rudapest 
weist  auf  Grund  seiner  photographischen  Arbeiten  nach,  daß  die 
Röntgenbilder  keine  Silhouetten,  sondern  perspektivische 
Bilder  sind. 

Experimentelle  Vorträge  hielten  :  K  r  a u  s  e  -  Breslau. über 
Einwirkung  der  Röntgenslrahlen  auf  menschliches  und  tieiäsches 
Blut  im  Sinne  einer  Hyperleukozytose,  Förs  terlijig-Ilannover 
über  W'aehstumsstörungen  infolge  Röntgenbestrahlungen, 
Schmidt- Berlin  über  den  Einfluß  der  Röntgenstrahlen  auf  Em¬ 
bryonen,  bei  denen  mikroskopisch  schwere  Störungen  im  Zentral¬ 
nervensystem  bemerkbar  waren. 

Ueber  therapeutische  Resultate  berichteten  Gr  unmach-Ber- 
lin,  der  in  einem  Falle  von  substernaler  Struma  Besserung  erzielte, 
I) oh  an- Wien,  der  in  vier  Fällen  von  Morbus  Basedowii  und 
in  acht  Fällen  von  Struma  parenchymatosa  ein  günstiges  Re¬ 
sultat  zu  verzeichnen  hat.  In  einem  Falle,  den  Ur.  v.  Decastello- 
Wien  und  Kienböck- Wien  beschreiben,  war  nach  Bestrahlung 
der  Struma  Schrumpfung  und  anschließend  daran  Thyreoidismus 
aufgetreten.  Gottschalk- Stuttgart  spricht  über  die  Behandlung 
mehrerer  Leukämiefälle  und  Eberlein -Berlin  über  erfolgreiche 
Bestrahlung,  bei  Botryomykose  des  Pferdes. 

An  Demonstrationen  von  technischen  Apparaten  heteiligten 
sich  Häni  sch -Hamburg  mit  einem  Tische  für  spaltblendenfönnige 
Orthodiagraphie,  Gill  et- Schöneberg  und  Fürs  tenau-Cbarlotten- 
burg  mit  Apparaten  für  stereoskopische  Mesisungen,  ferner  I  ui  m  el- 
mann- Berlin  mit  der  Lepp ersehen  Spaltblende  für  sehr  lange 
Bilder.  Grisson-Berlin  besprach  sein  Instrumentarium. 

_P  r  0  j  e  k  t  i  o  n  s  b  i  1  d  e  r  zeigten :  H  ä  n  i  s  c  h-Hamb u rg  (Gumma 
am  Humerus),  Krause- Berlin  (Myositis  ossificans),  Fraenkel- 
Hamburg  (Morbus  Barlowi), .  Sette  gas  t-Berlin  (Arthritis  de¬ 
formans)  und  zum  Schlüsse  demonstrierte  K ö h l  e  r- Wiesbaden 
zwei  k  i  n  e  m  a  t  o  g  r  a  p  h  i  s  c  h  e  Thoraxbilderserien. 


Der  24.  Kongreß  für  j  innere  Medizin 

zu  Wiesbaden,  15.  bis  18.  April  1907. 

Referent:  N.  Meyer- Bad  Wildungen. 

Der  XXIV.  Kongreß  für  innere  Medizin  brachte  zugleich 
dessen  25jähriges  Jubiläuni.  Ein  künstlerisch  ausgeführtes  Gedenk- 
hlatt  mit  den  Bildern  der  Gründer  Kußmaul,  v.  Leyden, 
Gerhardt,  Seitz  und  des  ersten  Vorsitzenden  v.  Frerichs 
Avurde  den  Teilnehmern  überreicht.  Die  eigentliche  Seele  des 
Kongresses,  der  seine  Gründung  angeregt  hatte  und  so  außer¬ 
ordentlich  an  seinem  guten  Gedeihen  mitarbeitete,  Exzellenz 
V.  Leyden,  war  zum  Vorsitzenden  gewäblt  worden  und  hielt 
<lie  Eröffnuiigsrede.  Er  schilderte  die  Schicksale  der  inneren 
Medizin  in  den  letzten  25  Jahren,  die  durch  die  Bakteriologie 
und  die  Lehre  der  Infektionskrankheiten  auf  eine  diagnostisch; 
und  therapeutisch  festere  Gimndlage  gestellt  Avurde.  Die  Dia¬ 
gnostik  ist  durch  eine  Fülle  neuer  Apparate  und  Untersuchungs- 
methüden  bereichert  Avorden,  so  durch  die  Sphygmographie,  Spii'o- 
metrie,  Probemahlzeiten,  Elektrodiagnostik,  durch  die  bakterio¬ 
logische  Färbung,  die  Agglutination,  Züchtung,  Ueberimpfung  usav. 
Da  die  innere  Klinik  um  die  Zeit  der  Gründung  des  Kongresses 
der  lange  Zeit  in  Vlißkredit  geratenen  Therapie  sich  Avieder  zu- 
Avandte,  hat  auch  der  Kongreß  für  die  ob.iektive  Förderung  wissen¬ 
schaftlicher  Therapie  viel  getan.  Alle  ZAveige  der  Therapie  Avur- 
den  gepflegt.  Neben  Medikamenten  kamen  Hydrotherapie,  Gym¬ 
nastik,  Elektrolherapie,  Bäderbehandlung,  Licht-,  Lufttherapie,  Er- 
nähnmg  und  die  Kranken fürsorge  in  Betracht.  Die  heute  als 
untrennbar  angesehene  Chemie  und  Medizin  hat  in  letzter  Zeit 
den  größten  Einfluß  auf  die  innere  Medizin  gehabt.  So  zeigt  die 
große  Trias  der  Hauptarbeitsgebiete  Emil  Fischers,  der  Zucker- 
arien,  der  Harnsäurereihe  und  der  Ehveißchemie  durchweg  bio¬ 
logische  Ziele  und  Resultate.  Und  die  Chemie,  schließt  v.  Leyden 
s(nne  geistvollen  Ausführungen,  Avird,  Avie  Ehrlich  es  jüngst 
ausführte,  in  Zukunft  einen  näheren  Einblick  in  das  Wie  und 
Warum  (ier  IleilAAÜrkung  geben  müssen.  Die  Verteilung  chemi¬ 
scher  Körper  iin  Organismus  stellt  das  Bindeglied  ZAvischen  chemi¬ 
scher  Konstitulion  und  therapeutischer  Wirkung  dar  und  zu  c-r- 
streben  ist  eine  spezifische  Chemotherapie. 


Die  Referate  des  diesjährigen  Kongresses  betrafen  ein  Ge¬ 
biet  der  Nervenkrankheiten,  das  auch  nicht  zuletzt  des  Inter¬ 
esses  der  praktischen  Aerzte  sicher  ist.  Zunächst  sprach: 

Schnitze- Bonn  über  Neuralgien  und  ihre  Behand¬ 
lung. 

Der  Redner  hatte  sich  die  Aufgabe  gesetzt,  in  seinem  Re: 
ferat  nur  allgemeine  Gesichtspunkte  und  neue  Errungenschaften 
zu  bringen.  Er  A'ersteht  mit  Freud  unter  Neuralgie  die  Krank¬ 
heit,  hei  der  Schmoj'zen  innerhalb  geAvisser  Teile,  sensibler  Nerven- 
Iiahncn  entstehen,  •dem  Verlaufe  der  sensiblen  Nervenbahnen 
folgen  und  sich  durch  große  Intensität  und  anfallsAAmises  Auf- 
trehm  auszeichnen.  Vom  klinischen  Standi)unkt  ist  es  dabei  gleich¬ 
gültig,  ob  pathologische  Veränderungen  im  Nerven  vorhanden 
sind  oder  nicht.  Wh)  dies  aber  der  Fall  ist,  müssen  sie  im  Vorder¬ 
grund  des  Interesses  stehen.  Für  die  Aetiologie  kommen  in 
Betracht : 

1.  Mechanische  Ursachen,  Avie  Druck  und  Zerrungei..  Aus¬ 
nahmen  bilden  oft  Tumoren,  die  trotz  erheblichen  Druckes  keine 
Neuralgien  liervorrufen.  Da  müssen  denn  Avohl  besondere  Fak¬ 
toren  im  Spiele  sein,  vielleicht  VerAvachsungen,  wie  sie  bei  Am- 
putationsstümpfen  beobachtet  sind  und  bei  Ischiasfällen  angeno'm-  ■ 
men  Averden  könnten.  Daß  bloßp  Hyperämie  selbst  in  engen 
Knochenkanälen  eine  Neuralgie  iiervormfen  kann,  bleibt  frag¬ 
lich.  _  Auch  Gallenstein-  und  Darmkoliken  Averden  neuerdings  auf 
Neuralgien  durch  Zerrungen  zurückgeführt.  Es  wird  angenommen, 
daß  Darm  und  Gallenblase  an  den  in  den  Gängen  und  im  Mesen¬ 
terium  A'erlaufenden  Nerven  zerren  und  so  die  Schmerzanfälle 
hervorrufen. 

2.  Spielen  bei  Neuralgien  die  Neuritis  und  Perineuritis  eine 
große  ätiologische  Rolle,  Avie  z.  B.  bei  den  neuralgischen  Schmer-  . 
zen  der  Tabiker,  der  geAvöhnlichen  rheumatischen  Ischias,  bei 
der  Neuralgie  der  Gichtiker,  Diabetiker,  Alkoholiker  und  der  hei 
Infektionskrankheiten.  Rätselhaft  bleibt  die  Malarianeuralgie,  auch 
die  nach  Erkältungen  ist  nicht  leicht  zu  deuten,  doch  gehört  sie 
AAmhl  in  das  Gebiet  der  entzündlichen  Neuralgien. 

3.  Die  durch  seelische  Einflüsse,  durchi  Hysterie  und  Neur¬ 
asthenie  bedingten  Neuralgien  kommen  geAvülmlicli  in  Betracht 
bei  inneren  und  Gelenksneuralgien.  Ui  diese  Gruppe  gehören 
ferner  die  Beschäftigungs-  und  Ueberarbeitungsneuralgien.  Bei 
diesen  ist  es  fraglich,  oh  eine  Degeneration  vorliegt  oder  ob 
Ermüdungsstoffe  die  Erkrankung  bedingen. 

4.  Können  Gifte,  die  von  außen  in  den  Körper  cingebracht 
werden  oder  in  ihm  entstehen,  Neuralgien  veranlassen.  So  ist 
die  Verstopfung,  hei  der  Avohl  Toxine  in  den  Körper  übergehen, 
als  Ursache  für  Neuralgien  bekannt. 

5.  Müssen  Arteriosklerose  und  Neuralgien  in  Zusammen¬ 
hang  gebracht  Averden,  wenngleich  der  genaue  Zusammenhang 
unbekannt  ist;  das  gleiche  ist  der  Fall  bei 

6.  den  Neuralgien  auf  anämischer  und  sklerotischer  Basis; 
der  Zusammenhang  ist  Avohl  meist  psychischer  Art.  Die  oft  be¬ 
schriebenen  schweren  Formen  von  Neuralgie  bei  Sklerose  sah 
der  Referent  nie. 

Ueber  die  Pathogenese  und  pathologische  Anatomie  ist  Avenig 
bekannt.  Das  liegt  zum  Teil  daran,  daß  meist  nur  resezierte  Stücke 
A''on  Nerv’en  untersucht  Averden  und  eine  genaue  Untersuchnng 
der  Nerven  Amn  den  Endigungen  an  bis  zu  den  Ganglien  und 
Aveiter  zentralwärts  noch  aussteht.  Für  die  geAvöhnliche,  rheuma¬ 
tische  Ischias  liegen  einige  Befunde  vor  von  Rötungen  und  feinen, 
spinn Avebarti gen  Adhärenzen,  die  den  Nerven  A'erdickten.  In 
anderen  Fällen  sind  Obliterationen  der  Vasa  vasorum  und  ent¬ 
zündliche  Veränderungen  um  die  Nerven  gefunden  Avorden.  Bar¬ 
den  heu  er  fand  Oedem  und  Hyperämie  in  seinen  Fällen  und 
W'^itzel  Narbenmassen,  die  bei  AmputalionsneUralgien  die  Nerven 
mit  den  Knochen  verbanden. 

Bezüglich  der  Symptomatologie  ist  zu  bemerken,  daß  die 
bekannten  Druckpunkte  fehlen  oder  vorhanden  sein  können.  Man 
darf  sich  nicht  auf  die  verschiedemm  angegebenen  Stellen  be¬ 
schränken,  sondern  muß  auch  die  Nachbarschaft  absuchen.  Zu 
starker  Druck  ist  zu  vermeiden.  Die  Feslstellung  soll  niemals 
durch  direktes.  Fragen,  sondern  durch  die  Beobachtimgen  von 
Zuckungen,  AbAA'ehrbewegungen  und  Ihdsveränderungen  ge¬ 
schehen.  Das  Vorhandensein  von  Hyper-  oder  Anästhesien  deutet 
Avohl  stets  auf  organische  Veränderungen  im  Nerven  hin.  Die 
Reflexe  fehlen  in  vielen  Fällen. 

Die  Diagnose  der  heftigen  Neuralgien,  Avie  Ischias  und 
scliAA'erer  Trigeminusneuralgie  ist  einfach.  Nicht  echte,  reine 
Neuralgien  sind  die  Bernhard  sehe  iNeuralgie  paraesthetica  im 
Bereiche  der  Fascia  lata,  die  Achyllodynie,  eine  Erkrankung  eines 
in  der  Nähe  der  Achillessehne  gelegenen  kleinen  Schleimbeulels, 
die  Tarsalgie  und  Metatarsalgie,  geAvöhnlich  im  Bereiche  des  Meta- 
tarsophnlangealgelenkes  der  vierten  Zehe. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


.'iöl 


Die  Dinereniiiüdiagnose  bei  Ischias  hat  mit  Coxa  vara  zu 
rechnen,  die  durch  eine  Rontgenanfnalune  sichergestellt  wird. 
Die  Venvechslnngen  mit  Erkrardamgen  der  Symphyse,  des  Kreuz¬ 
beines  usw.  werden  sich  leichter  vermeiden  lassen,  als  1.  mit 
dem  intermediäi’en  Hinken  (Erb)  —  hier  leiden  die  Schmerzen 
in  der  Ruhe  und  ejiislehen  beim  flehen  — ,  2.  mit  der'  jüngst 
von  Wilms  hescdiriebenen  Lymphangitis  rheumatica  chronica 
—  kommt  Avesenllich  im  Bereiche  des  Nervus  tibialis  und  meist 
bei  Frauen,  die  einen  Gelenksrheumalismus  überstanden  haben, 
vor.  Auch  Plattfüße  können  Ischias  vortäuschen.  Bei  doppel¬ 
seitiger  Ischias  ist  an  eine  Erkrankung'  der  Caüda,  eciuina,  zu  denken. 

Bei  der  Trigeminusneuralgie  kommt  diffcrentialdiagnostisch 
am  heäufigsten,  die  Stirnhöhle, iierkrank'ung  in  Betracht.  In  2Vu.hihren 
sind  dem  Vortragenden  unter  16  Fällen  sechsmal  Katarrhe  der 
Stirnhöhlen  begegnet.  Ferner  ist  auf  Symptome  zu  achten,  die 
für  ein  meningeales  oder  zerebrales  Leiden  sprechen. 

Brachiale  Neuralgien  können  durch  Erkrankungen  der 
Schulter  und  der  Wirbel  vorgetäuscht  werden.  Verwechslungen 
mit  Paralysis  agitans  sind  nicht  selten.  Häufig  sind  die  Schmerzen 
psychischer  Natur. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Trennung  der  hysteri¬ 
schen  und  neurasthenischen  Neuralgien  von  den  übrigen  Formen. 
Dabei  ist  zu  berücksichtigen,  daßi  1.  die  klassischen  Druckpunkte 
meist  fehlen,  2.  die  Erscheinungen  von  seelischen  Einflüssen 
verändert  werden  und  3.  infolge  beliebiger  Heilwirkungen  schwin¬ 
den,  4.  die  Lokalisation  nicht  dem  Nervenlauf  entsprechend  an¬ 
gegeben  wird. 

Bei  der  Therapie  sind : 

1.  Chemische  Mittel  wie  x4konitin,  Strychnin,  Abführmittel 
und  so  weiter  zunächst  am  Platze;  versagen  sie,  dann  ist  an 

2.  physikalische  Methoden  zu  denken.  Am  einfachsten  sind 
die  Na egeli sehen  Handgriffe,  die  allerdings  bei  schweren  Fällen 
im  Stiche  lassen.  In  vielen  Fällen,  doch  meist  zu  unsicher,  hat 
sich  der  galvanische  Strom  bewährt.  Wärme  und  Hitze  in  vielen 
Formen  leisten  mehr.  So  hat  Bier  mit  beißen  Luftduschen  und 
Massagen  sehr  gute  Erfolge.  Von  20  schweren,  zur  Oi)eration  ihm 
zugesandten  Fällen  ist  er  bei  12  ohne  Operation  zu  gutem  Resul¬ 
tate  gelangt.  Warme  Sandbäder,  schottische  Duschen  haben  dem 
Vortragenden  gute  Erfolge  gegeben.  Dehnungen  sind  bei  allen 
Fällen  mit  perineuritischen  Veiwachsungen  am  Platze,  doch  ist 
an  das  Auftreten  von  Lähmungen  nach  ihrer  Anwendung  zu 
denken. 

3.  Eine  gemischte,  physikalisch -chemische  Therapie  stellt 
die  Einspritzung  von  Morphin,  Akonitin,  Argent,  nitr.,  Alkohol, 
Kochsalz,  Osmiumlösung,  Methylenblau,  Luft,  Wasser,  x-Vntipyrin 
u.  a.  in  die  Nervenbahnen  dar.  Besonders  sind  hier  das 
Schlösser  sehe  und  Lang  sehe  Verfahren  zu  erwähnen .  Der 
Vortragende  hat  in  vier  Fällen  nach  zweimal  24  Stunden  volle 
Schmerzfreiheit  erzielt.  Es  empfiehlt  sich  nach  eingetretener 
Schmerzfreiheit  Dehnungen  anzuschließen. 

4.  Trotz  dieser  vielen  Mittel  ist  die  chirurgische  Operation 
in  einzelnen  Fällen  nicht  zu  umgehen.  Die  Durchschneidung  und 
Resektion  der  Nerven  führt  bald  zu  Rezidiven.  Die  Kr  aus  eschen 
Ganglienresektionen  sind  die  einzig  rationellen  Operationen,  doch 
hat  Krause  11  “/o  Mortalität,  andere  Operateure  22  bis  26%. 
Außerdem  sind  Mißerfolge  beobachtet  worden  (Garre).  Em¬ 
pfohlen  wurde  zur  Erreichung  sicherer  Resultate,  die  Knochen¬ 
austrittsöffnungen  zu  plombieren  oder  die  Nerven  bei  Resektionen 
nicht  glatt  zu  durchschneiden,  sondern  herauszureißen.  Barden¬ 
heuer  hat  bei  fünf  Fällen  von  Ischias  in  vier  Fällen  dauernde 
Heilungen  erhalten,  dadurch,  daß  er  die  Nerven  aus -den  Knochen¬ 
kanälen  entfernte  und  sie  in  Weichteile  bettete.  Der  Theorie 
von  Bardenheuer,  daß  diese  Operation  den  Nerv  von  seiner 
Hyperämie  befreie,  kann  sich  der  Vortragende  insofern  nicht  an¬ 
schließen,  als  er  die  Hyperämie  als  Aetiologie  nicht  anerkennt'. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin. 

Referent;  Dr.  Alax  Litthauer. 

2.  Sitzunigstag,  4.  April  1907. 

Wen  del -Magdeburg:  Beitrag  zur  endo  thorakalen 
0  e  s  0  p  h  ag  u  s  c  h  i  r  u  r  g  i  e. 

Wendel  betont  die  Bedeutung  des  Sauerbruch  sehen  und 
Brauer  sehen  Verfahrens  für  die  endothorakale  Freilegung  des 
Oesophagus  und  berichtet  über  zwei  Fälle,  welche  er  mittels  der 
Brauer  sehen  Methode  operiert  hat.  In  dem  ersten  Falle  handelte 
es  sich  um  einen  Patienten  von  29  Jahren,  bei  dem  wegen 
einer  Oesophagusstriktur  eine  Magenfistel  angelegt  war.  Es  war 
eine  gutartige  Striktur  angenommen  worden.  Eine  mittels  des 


Oesophagoskops  voi  genonmiene  l/'robeexzisiou  aus  der  striktu- 
rierten  Stelle  ergab,  daß  es  sich  um  ein  Zylinderzellenkarzinom’ 
handelt.  Der  Oesopbagus  wunle  unter  Anwendung  des  Brau  er¬ 
sehen  Apparates  in  rechter  Seitenlage  vom  fünften  und  sechsten 
Interkostalraum  aus  freigelegt,  der  üeberdruck  wurde  nach’  Er¬ 
öffnung  der  Pleura  eingeschaltet.  Es  zeigte  sich,  daß  das  Kar¬ 
zinom  mit  der  xlorta  fest  verwachsen  war  und  bereits  die  Lunge 
ergriffen  hatte.  Da  soinit  eine  radikale  Enlfernuiig  nicht  mehr 
möglich  war,  wurde  die  Wunde  wieder  geschlossen.  Patient 
verließ  am  zehnten  Tage  nach  der  Operation  das  Bett  und  er¬ 
lag  vier  Monate  später  seinem  Karzinom. 

Beim  zweiten  Falle,  der  einen  älteren  Herrn  betraf,  bestand 
die  Stenose  seit  sechs  Monaten.  Pat.  wurde  in  der  gleichen 
Weise  operiert  wie  der  erste  Kranke.  Nach  Freilegung  der  Speise¬ 
röhre  zeigte  es  sich,  daß  die  Stenose  die  Kardia  betraf.  Das 
Zwerchfell  wurde  ringsherum  von  der  Kardia  und  dem  Oeso¬ 
phagus  ahpräpariert  und  die  Kardia  in  den  Thoraxraum  hinein¬ 
gezogen.  Magen  und  Oesophagus  wurden  geschlossen  und  dann 
wurde  eine  x4nastomose  zwischen  Magen  und  Oesophagus  an¬ 
gelegt,  was  leicht  gelang.  Pät.  starb  am  zweiten  Tage  nach  der 
Operation  an  einer  Nachblutung.  Der  Brustteil  der  Vagi  war 
bei  der  Operation  erhalten  worden;  die  abdominelle  Partie  da¬ 
gegen  war  beiderseits  d\irchtrennt  worden.  Einen  Einfluß  auf 
die  Herztätigkeit  hatte  diese  Durchschneidung  der  Vagi  nicht 
gehabt. 

Kölliker-Leipzig  demonstriert  die  von  ihm  hei  der  Oeso- 
phagoskopie  angewandten  Instrumente.  Er  empfiehlt,  um  die  Aus¬ 
führung  der  Oesophagoskopie  zu  erleichtern,  elastische  Rohre 
anzuwenden. 

E.  Kü  ster- Marburg :  lieber  Divertikel  und  zirku¬ 
läre  Narben  des  Oesophagus. 

Küster  operierte  vor  einigen  Monaten  einen  Speiseröhren¬ 
divertikel  bei  einer  57jährigen  Frau  nach  einer  neuen  Methode, 
wie  er  ursprünglich  meinte,  die  aber,  wie  sich  später  zeigte, 
bereits  von  Nicoladoni  empfohlen  und  von  Girard  ausge¬ 
führt  w'orden  ist.  Er  schnitt  den  größten  Teil  des  Sackes  ab, 
vernähte  den  Stumpf  der  Wundfläche  gegen  Wundfläche,  stülpte 
ihn  in  die  Lichtung  der  Speiseröhre  ein  und  erreichte  den  Schlitz 
im  Oesophagus.  Die  Ernähmng  erfolgte  durch!  tägliche  Einfüh¬ 
rung  des  Schlundrohres,  die  Heilung  erfolgte  per  primam  inten- 
tionem,  doch  bildete  sich  acht  Tage  später  noch  einmal  eine 
feine  Oesophagusfistel,  welche  noch  einmal  eine  längere  Behand¬ 
lung  nötig  machte,  schließlich  aber  heilte. 

Infolge  dieser  Fistelbildung  nahm  sich  Küster  vor,  in  Zu¬ 
kunft  die  Divertikel  vollständig  einzustülpen.  Die  (Gelegenheit 
schien  sich  bald  zu  bieten,  indem  ein  45jähiäger  Mann  mit  der 
Diagnose  eines  Divertikels  und  mit  einem  iVktinogramm  der 
Göttinger  Klinik  sich  aufnehmen  ließ.  Ein  neu  angefertigtes  Ak- 
tinogramm  schien  die  Bestätigung  zu  bringen,  nur  fiel  ein  vom 
unteren  Ende  des  Sackschattens  ausgehender,  fadenförmiger 
Schatten  auf.  Weitere  Untersuchungen  'mußten  unterbleiben,  da 
Pat.  seit  vielen  Tagen  keine  Nahiamg  mehr  zu  sich  genommen 
hatte.  Bei  der  Operation  fand  sich  eine  Dilatation;  als  diese 
eröffnet  war,  fühlte  man  unter  der  oberen  Bimstapertur  eine 
harte  Striktur,  in  w^ eiche  unter  Fingerleitung  ein  Katheter 
mittlerer  Dicke  eingeführt  werden  konnte,  durch  den  die  E,r- 
nährung  gut  vor  sich  ging.  Als  dieses  aber  endlich  fortgenommen 
werden  mußte,  begann  eine  stetige  Erschwerung  der  Nahrungs¬ 
aufnahme;  und  da  Pat.  die  iVnlegung  einer  Magenfistel  verwei¬ 
gerte,  so  war  die  Sondeneinführung  mehr  und  mehr  peinlich'. 
iVm  15.  Tage  post  operationem  war  die  Sondierung  besonders 
schwierig,  am  Abend  trat  Fieber  ein  und  während  der^  Nacht 
starb  Pat.  unter  den  Erscheinungen  des  Lungenödems.  Die  Sek¬ 
tion  ergab  das  Vorhandensein  einer  Doppelstriktur,  deren  Innen¬ 
fläche  aber  noch  mit  Epithel  bekleidet  war.  Um  den  Oesophagus 
fand  sich  eine  mehrere  Zentimeter  dicke,  enorm  harte  Narben¬ 
masse,  im  Oesophagus  mehrere  Fisteln,  welche  in  Gängen  durch 
die  Narbenmassc  führten.  Links  die  Pleurablätter  verwachsen, 
oben  und  unten  im  Bereiche  dieser  Verwachsungen  je  eine  Höhle, 
mit  flüssigem  Milchkakes  gefüllt.  Lungenödem.  In  die  Narbe 
eingeschlossen  finden  sich  wenige  kleine,  unveränderte  Bronchial¬ 
drüsen. 

Küster  erklärt  den  Fall  als  einen  sehr  alten,  wahrschein¬ 
lich  aus  der  Kindheit  herrührend.  Den  Ausgang  bildeten  ver¬ 
eiternde  Bronchialdrüsen ;  der  Eiter  senkte  sich  im  hinteren  Me¬ 
diastinum  und  brach  an  verschiedenen  Stellen  durch.  (Selbst¬ 
bericht.) 

Reisinger-Mainz:  Ueber  die  operative  Behand¬ 
lung  der  Erweiterung  des  Oesophagirs. 

Re  is  in  ge  r  berichtet  über  einen  Fall,  in  dem  ein  Oeso- 
phagusdivertikel  vermutet  worden  war.  Zunächst  wurde  die  Magen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  IB 


I'islel  gfiiuvclit.  Einige  Wochen  später  Freilegung  des  verniulelen 
Oesophagnsdivertikels  von  liinten  durch  Kippeliresektion  links. 
Da  ein  Kollajis  einlrat,  wurde  die  Operalion  unterhrochen,  nach- 
(h'in  man  sich  des  Oesopluigns  durch  zwei  Eadenschlingen  ver- 
sicherl  hatte.  Nach  einigen  Wochen  erfolgte  die  zweite  Oiieration, 
hei  der  mittels  der  Leitfäden  der  Oesophagus  leicht  gefunden 
wurde.  Es  zeigte  sich,  daß  lediglich  eine  spindelförmige  Er- 
weitiM'ung  eim's  Teiles  des  Oesophagus  vorhig,  kein  Divertikel. 
Es  wurde  ein  Stück  aus  <ler  erweiterten  Oesophaguswand  heraus- 
gesclinilten,  dann  der  Oesophagus  genäht.  Es  elahlierte  sich  eine 
Oeso])hagusfistel  und  es  waren  zu  der  Schließung  mehrere  Nach- 
opei'ationen  nötig.  Die  Patientin,  welche  sich  seit  der  Operation 
sein-  erholt  hat,  ward  vorgestellt.  Bei  der  Operation  wurde  Aveder 
die  Sauerhruchscho  Kammer,  noch  der  Branersche  xVpparat 
angewendet. 

Diskussion  ü  h  e  r  <1  i  e  Oes  o  p  h  a  g  u  s  c  h  i  r  u  r  g  i  e. 

V.  Hacker-  Graz  ist  der  Äleinung,  daß|  der  M  i  k  u  1  i  c  z  sehe 
Kardiospasmus  als  Ursache  für  die  Oesophagusdilatation  nicht 
immer  in  Betracht  kommt.  In  seinen  Fällen  habe  er  gefehlt. 
Dagegen  sei  in  einem  seiner  Fälle  eine  setnvere  Diphlhorio  mit 
.Muskellähmungen  vorangegangen;  das  müsse  daran  denken  lassen, 
daß  in  solchen  Fällen  von  idiopathischer  Oesophagusdilatation 
])rimäre  Schädigungen  der  Muskulatur  vorlicgen  könnten.  Er 
habe  seine  Fälle  nach  Anlegung  der  Magenfistel  mit  Sondierung 
ohne  Ende  hehandelt  und  damit  gute  Besultato  erzielt. 

Czerny -Heidelberg  hat  einen  Fall  von  Ocsophagusenveitc- 
rung  nach  einem  Trauma  Ijeohachtet;  auch  er  glaubt  nicht  daran, 
(laß  der  Kardiospasmus  die  Ursache  der  Oesophagusdilatation 
sei.  Er  glaube,  daß  nervöse  Ursachen  bei  der  Entstehung  der 
Krankheit  eine  Bolle  spielen. 

Glücksmann-Berlin  hat  mehrere  Fälle  von  spindelför¬ 
miger  Erweiterung  des  Oesopliagus  gesehen,  ohne  daß  Kardio- 
si)asmus  bestanden  hat;  die  Einführung  der  Sonde  sei  ihm  immer 
gelungen.  Er  habe  in  diesen  Fällen  gute  Besultate  erzielt  durch 
systematische  Ausspülungen  und  Faradisation  der  Oesophagus- 
muskulatnr,  wobei  die  eine  Elektrode  in  den  Oesophagus  ein¬ 
geführt  wurde. 

Gaben -Köln  berichtet  über  einen  Fall  von  Oesophagus- 
enveitemng  mit  schweren  Erscheinungen,  bei  denen  er  die  retro¬ 
grade  Sondienmg  ausgeführt  hat,  nachdem  alle  konservativen 
Verfahren  erschöpft  waren.  Zunächst  Avurde  durch  die  Operation 
eine  Avescntliche  Besserung  erzielt.  Später  traten  dieselben  Er¬ 
scheinungen  Avieder  auf.  Der  Patient  hat  gelernt,  sich  seihst  zu 
sondieix'ii  und  führt  dabei  ein  erträgliches  Dasein. 

H  e  n  1  e  -  Dortmund,  Graf-  Bonn  und  Kausch-  Schöneherg 
treten  für  die  Anschauung  Amn  Mikulicz  ein,  daß  ein  Kardio¬ 
spasmus  die  Ursache  der  Oesophaguisdilatation  sei. 

A d  1er- Pankow :  Uehor  die  Torsion  des  Netzes., 

Adler  stellte  einen  Kranken  vor,  der  Avegon  Perityphlitis¬ 
verdachtes  operiert  Avorden  ist.  Es  bestand  zugleich  eine  rechts¬ 
seitige  Leistenhernie.  Es  stellte  sich  bei  der  Operation  heraus, 
daß  eine  Netztorsion  vorlag.  Das  Netz,  Avar  in  einen  klumpigen 
'rumor  Amnvandelt,  der  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
lipomatöse  und  niyxomatöse  Degeneration  erkennen  ließ. 

T ietze- Breslau :  ZavcI  Präparate  \mn  Netztorsion.  Es 
Averden  ZAvei  Präparate  demonstriert  Avie  das  von  Adler  gezeigte. 

Bakes-Trehitsch :  Eine  neue  Operation  des  Sand¬ 
uhrmagens,  ucl)st  Bericht  über  70  operierte  benigne 
M  a  g e  n  a  f  f  e  k ti  o  n  e u. 

Bakes  hat  einen  Fall  Amn  Sanduhrmagen  heohachtet.  Er 
versuchte  zunächst  eine  Ma,genplastik  nach  Art  der  Heineke- 
-M  i  k  u  1  i  cz  sehen  Pylorusplastik  anzulegen,  die  mißlang.  Eine 
Anastomose  ZAvischen  den  beiden  Teilen  des  Sanduhrmagens  an¬ 
zulegen,  ging  auch  nicht  an,  da  der  eine  Teil  des  Magens  an  der 
Leber  und  am  Pankreas  fest  fixiert  Avar.  DesAA'egen  hat  er  ZAvischen 
jcHler  der  Hälften  des  Sanduhrmagens  und  einer  lleumschlinge 
je  ('ine  Gastroenteroanastomose  angelegt.  Der  Patient  Avurde 
geheilt. 

Er  hat  hei  benignen  Magenerkrankungen  im  ganzen  72mal 
operiert.  Da\mn  haben  sich  sechs  Fälle  später  als  Karziiiotn 
<‘rwi('scn,  diese  scheiden  aus,  ebenso  Avie  die  acht  Fälle  des 
letzten  Jahres;  A'on  drei  Patienten  ist  er  ohne  Nachricht  geblieijen; 
fünf  Patient, en  sind  an  interkurrenten  Kraidvheiten  gestorben.  Es 
hleihen  für  die  Beurteilung  also  noch  50  Fälle  übrig.  Von  denen 
haben  ca.  76"/o  gute  Dauererfolge  ergehen  durch  völlige  Heilung 
oder  sehr  Avesentlicho  Besserung.  A'iermal  A\mr  ein  totaler  Miß^ 
erfolg  zu  konstalieren.  Fünf  Patienten  starben  in  urimittelharem 
-\nscldusse  an  die  Operation,  drei  später  an  ulzerösen  Prozessen 
des  Älagens. 

Paul  ÄI  a  nas  se  -  Berlin  :  Die  Bedeutung  der  arteri¬ 
ellen  G  e f ä ß  V e r s o r g u n  g  <1  e s  S.  r o  m  a n  u  m  f  ü i'  (.lie  o p c  r a- 
tive  Verlagerung  desselben. 


Manas se  Aveist  an  der  Hand  von  Korrosionspräparaten, 
Avelche  den  Darm  in  Verhindung  mit  den  Gefäßen  zeigen,  auf 
die  große  AVichtigkeit  hin,  die  den  verschiedenen  typischen  und 
atypischen  VerlaufsAveisen  der  Arteriae  sigmoideae  und  des  von 
ihnen  gelnldeten  „Bandgefäßes“  für  die  Schnittführung  hei  der 
Durchtrenmmg  des  ,,Mesosi,gmoi(leums“  zukonnnt  und  die  genauer 
als  bisher  zu  heachB'u  ist,  Avill  man  nach  Exstirpation  des  obersten 
lU'ktuniahschnittes,  hzAV.  des  (dlon  pelvinum  die  gefürchtete  post¬ 
operative  Gangrän  des  zum  Ersätze  des  Defektes  heruntergehollen 
S.  romanum  Amrmeiden.  Die  letzte  Arleria  sigmoidea  (Arteria 
sigmoidea  ima)  ist  unbedingt  zu  schonen,  da  sie  nach  der  not- 
AAmndigen  Durchschneidung  der  Arteria  mesenterica  inferior  die 
Verhindung  des  ernährenden  Bandgefäßes  mit  der  Arteria  hämor¬ 
rhagica  superior  aufrecht  erhält.  In  Auelen  Fällen  muß  das 
S.  romanum  aus  seinen  normalen  Verklebungen  auf  der  linken 
Darmheinschaufel  gelöst  Averden,  teils  um  das  Bandgefäß  genügend 
zu  ül)ersehen,  teils  um  für  den  Defekt  nacli  der  Exstirpation 
des  Colon  ])clvinum  ausreichendes  Material  herunterzubekommen. 
Bei  mangelnder  Uchersicht  über  den  Verlauf  des  Bandgefäßes 
ist  das  Älesosigmoideum  in  der  Höhe  des  5.  LendenAvirbels,  unter 
Schonung  des  unteren  Astes  der  Aiferia  colica  sinistra  zu  durch- 
schneiden.  Auf  Grund  der  genaueren  topographischen  Kenntnisse 
hat  Manasse  hei  inoporahlen  Stenosen  des  Mastdanns  (Lues, 
maligne  GeschAvülste)  zur  Vermeidung  des  Anus  praeter  nat.uralis 
am  Bauche  eine  neue  Alethode  ausgeführt,  um  die  Stenosen  zu 
umgehen:  Leihschnitt  parallel  dem  linken  Ligamentum  l^oupartii, 
quere  Durchtrennung  des  S.  romanum  oberhalb  der  Stenose, 
Vernähung  des  abführenden  Darmendes,  Durchschneidung  des 
Mesosigmoideums  soAveit,  daß  das  S.  romanum  in  geradliniger  Fort¬ 
setzung  des  Colon  descendens  aus  der  Bauchhöhle  über  das  linke 
Ligamentum  Poiipartii  bis  an  das  Bektum  herangebracht  Averden 
konnte.  Darauf  ZAveiter  Schnitt,  ausgehend  von  der  BaucliAvunde 
über  das  linke  Ligamentum  Poupartii  ZAviseben  Damm  und  linken 
Oberschenkel  durch  das  linke  Cavuin  ischiorectale  bis  an  die 
Scitenvvand  dos  Bekliims  und  genaue  Vernähung  des  in  diese 
AVunde  eingelagerten  S.  romanum  mit  dem  Mastdarm.  Zwei  Fälle. 

(Selbstbericht.) 

(Fortsetzung  folgt.) 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzungen  vom  6.  und  16.  März  1907.  (Schluß.) 

Primarius  Dr.  AAE  Bittner:  Der  therapeutische  AVert 
des  Heilserums  gegen  Di])htheiäe  ist  Avohl  über  jeden  ZAveifel 
erhaben,  so  daß  ich  mich  darauf  beschränken  kann,  Ihnen  einige 
interessante  Daten  aus  meinen  Erfahrungen  mitzuteilen.  Den 
hohen  AA^ert  dieser  AAumderbaren  Entdeckung  Behrings  kann 
besonders  derjenige  ermessen,  der,  Avie  ich,  die  Diphtherie  an 
einem  großen  Krankenmateriale  zu  einer  Zeit  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  bevor  das  Behring, sehe  Serum  in  Anwmmdung 
kam.  Die  Diphtherieslationen  Avaren  damals  ein  Ort  des 
Schreckejis  und  Sterbens  für  die  armen  Kinder.  Die  Situation 
änderte  sich  mit  einem  Schlage,  als  die  ersten  Seruminjektionen' 
in  Veiwendung  traten.  Die  Sterblichkeit  sank  sofort  auf  tiefe 
Zahlen,  die  schrecklichen  Pinselungen,  die  ich  ührigens  immer 
perhorresziert  habe,  A^erscliAvanden  von  der  Bildfläche,  zum  Woble 
und  Segen  der  kleinen  Patienten,  die  Dip'htherieabteilungen 
wurden  friedliche  Stätten,  in  denen  jetzt  die  Kleinen  nach  über¬ 
standener  Injektion  unbclästigt  und  fröhlich  ihrer  Genesung  ent¬ 
gegensehen.  Nur  ab  und  zu  unterbricht  eine  Larynxstenose  oder 
ein  ,,zu  spät“  zur  Injektion  eingehrachter  Fall  die  Buhe  der 
Abteilung.  Man  muß  das  mitgeniacht  hahen,  um  sich  dieser 
epochalen  Entdeckung  Behrings  recht  zu  freuen. 

Auf  der  D  i  p  h  t  h  e  r  i  e  a  b  t  e  i  1  u  n  g  des  B  r  ü  n  n  e  r  Kinde  r- 
spi tales  Avurden  seit  Bestand  dieser  Anstalt,  seit  1899  bis 
Ende  1906,  im  ganzen  1515  Kinder  mit  Serum  behandelt.  Unh'r 
diesen  Fällen  Avaren  Avohl  einige  Kinder,  bei  denen  sich  die 
Erkrankung  nicht  als  Diphtherie  erwiesen  hat.  Die  Zahl  dieser 
Fälle  ist  aber  so  gering,  daß  sie  bei  der  Berechnung  nicht  iu 
Frage  kommt. 

Gerade  diese  Avenigen  Fälle  bcAviesen  aber  den  hohen  prophy¬ 
laktischen  AATrt  des  Serums,  auf  den  ich  noch  zurückkommen 
Avill,  indem  sie  durch  das  Serum  alle  vor  der  Infektion  hcAvahrt 
hlh'hen.  Ich  Avill  nur  zAvei  dieser  Fälle  kurz  erAvälmen,  da  sie 
auch  in  anderer  Beziehung  interessant  Avaren.  Der  eine  Fall 
betraf  einen  vierjährigen  Knaben,  der  mit  den  Erscheinungen 
zunehmender,  scliAverer  Stenose  auf  die  Diphtherieabteilung  kam. 
Bei  einer  Intnhation  AAUirde  ein  kleines  Gewehsstück  expekterieif, 
das  sich  bei  der  bistologischen  Unfersuclumg  als  ein  Schleim- 
hautpolyp  erwies.  Durch  die  nun  Amrgenommene  Laryngo- 
fissur  entfernte  ich  zAvei  kirschkerngroße  Polypen  des,  Larynx, 
die  das  Lumen  desselben  fast  vollständig  oblitcriert  halten.  Der 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCHllIFT.  1907. 


zweite  Fall  betraf  ein  zebnjähriges  Mädchen,  das  ebenfalls  jnit 
zuncbniender  Stenose  des  Larynx  ins  Kinderspiüvl  gel)rachL  wurde. 
Bei  der  sofort  vorgenonnnenen  Tracheotomie  fand  ich  als  Ur¬ 
sache  der  Stenose  eine  Mnstersäckclienklammer,  die  aspi- 
ricrl,  sich  iin  Larynx  festgekeilt  hatte.  Das  Kind  erholte  sich 
darauf  sehr  rasch.  Beide  Kinder  Ijliehen  von  der  Diphtherie 
verschont. 

Von  den  1515  Kindern  star  hon  135,  i.  e.  8-9P/o,  nach 
A  h  z  n  g  d  0  r  2G  s  t  e  r  h  e  n  d  E  i  n  g e  h  r  a  c h  t  e  n  bleiben  109  f  o  d c  s- 
fällo,  i.  0.  7-T9ho. 

Hiebei  ist  zu  erwägen,  daß,  die  meisten  Kinder  nicht  am 
ersten  Tage  der  Erkrankung,  sondern  am  zweiten,  drilton,  ja 
noch  später  eingehracht  wurden,  meist  mit  schweren  Kompli¬ 
kationen,  denen  sie  dann  erlagen. 

Ein  operativer  Eingriff  erwies  sich  hei  357  Kindern 
als  notwendig,  davon  starben  76,  i.  e.  21-29ho,  ein  Ergebnis, 
das  nach  Heubner  mit  zu  den  besten  gehört  und  .das  um  so 
erfreulicher  ist,_  wenn  man  erwägt,  daß  die  Sekundarärzte  des 
Kindei-spitales,  in  deren  Hand  ja  hauptsächlich  speziell  die  Intn- 
hationstherapio  liegt,  relativ  rasch  wechseln.  Der  operative  Ein¬ 
griff  bestand  in  der  Intubation  (249  Fälle  mit  35  Todes¬ 
fällen:,  i.  e.  140/0),  der  sekundären  Tr  ach  eo  to  mie  (95  Kinder 
mit  !35i  i.  e.  36-8  "/o  Todesfällen),  der  j)  r  i  m  ä  r  e  n  T  r  a  c  h  e  0 1  o  m  i  e 
(13  Fälle  mit  6,  i.  e.  46To/o  Todesfällen).  Unter  die  operierten 
Fälle  sind  bloß  die  Diphtheriekranken  gezählt 

Bei  287  (44-5 0/0)  Ki  ndern,  die  mehr  oder  minder 
stenotisch  eingebracht  wurden,  ging  die  Stenose 
zurück  u.  zw.  unter  Anwendung  des  Serums  und  der 
Dampfkammer,  die  ich  nach  dem  Muster  des  Leipziger  Kinder- 
spitales  im  Jahre  1901  einrichten  ließ.  Sie  bewährt  sich  hei 
den  stenotischen,  aber  besonders  inluhiertcn  und  tracheotomieilen 
Kindern  vorzüglich,  indem  die  feuchte  Luft  das  Ein  trocknen  der 
Sekrete  verhindert  und  damit  schon  eine  hedeütende  Erleich¬ 
terung  durch  Beförderung  der  Expektoration  verschafft.  Die  Dampf¬ 
kammer  dürfte  besonders  dort  wertvoll  sein,  wo,  wie  hei  uns, 
die  Beheizung  der  Krankenzimmer  mittels  Dampfheizung  geschieht, 
deren  Nachteil  besonders  darin  liegt,  daß  die  Zimmerluft  stark 
der  Austrocknung  unterliegt. 

Noch  eines  Umstandes  will  ich  Erwähnung  tun,  der  ge¬ 
eignet  ist,  den  Wert  des  Diphtherieserumsi  hervorzuhehen,  das 
ist  der  sogenannten  septischen  oder  gangränösen  Diph¬ 
therie.  Diese  Form  der  Diphtherie  glaubte  man  früher  als  eine 
besondere  Erkrankung  ansehen  zu  können,  hervorgerufen  haupt¬ 
sächlich  infolge  einer  Art  Symbiose  des  Löf  fl  ersehen  Diphtherie- 
hazillus  mit  Staphylo-  und  Streptokokken.  Neuere  Untersuchungen 
haben  aber  ergehen,  daß  wir  es  nur  mit  einer  besonders  schweren 
und  bösartigen  Form  der  Diphtherie  zu  tun  haben.  Bekanntlich 
zeichnet  sich  die  septische  Diphtherie  durcli  den  bösartigen  Ver¬ 
lauf  aus,  wobei  es  zur  Bildung:  von  rasch  sich  ausbreitenden, 
fötid  riechenden  Belägen,  zu  .septischen  Erscheinungen  und  bal¬ 
digem  Exitus  kommt. 

Diese  Form  der  Diphtherie  hat  man  in  früheren  Jahren, 
vor  der  Anwendung  des  Serums,  viel  häufiger  gesehen;  sie  tritt  auch 
jetzt  mitunter  auf  u.  zw.  nur  bei  Fällen,  die  nicht  sofort  unter 
Serumbehandlung  genommen  werden.  Ich  wenigstens  habe 
das  Auftreten  der  septischen  Diphtherieform  nie¬ 
mals  bei  Kindern  gesehen,  die  rechtzeitig  der  Serum¬ 
behandlung  unterworfen  wurden,  daher  es  für  mich 
f es ts teilt,  daß'  die  rechtzeitige  Anwendung  des  Se¬ 
rums  verhindert,  daß  die  D  i  p  h  the  ri  e  f  äl  1  e  „septisch“ 
werden. 

Nachdem  nun  die  gangränöse  Form  schon  am  zweiten  odei- 
dritten  Tage  der  Erkrankung  bei  einem  nicht  injizierten  Kinde 
ein  treten  kann,  heißt  es  eben,  sclmell  handeln,  sobald  man  die 
Diphtherie  konstatiert.  Jede  Stunde  ist  da  kostbar.  Es  empfiehlt 
sich  daher,  nicht  erst  das  Ergebnis  einer  a  k  t  e  r  i  o- 
logischen  Untersuchung  abzuwarten,  sondern  zu¬ 
erst  injizieren,  dann  eventuell  abimpfen.'  Ich  will 
aber  hie  mit  keineswegs  den  Wert  der  bakteriologi¬ 
schen  Untersuchung  in  Abrede  stellen.  Theoretisch  ge¬ 
nommen,  wäre  es  ja  richtig,  in  jedem  Falle  zunächst  das  Ergeb¬ 
nis  der  bakteriologischen  Untersuchung  abzuwarten  und  dann 
erst  zu  injizieren.  In  der  Praxis  sieht  es  aber  anders  aus.  Zur  Er¬ 
zielung  eines  richtigen  bakteriologischen  lUntersuchungsergebnisses 
gehören  vor  allem  zwei  Faktoren.  Erstens  eine  richtige  Ent¬ 
nahme  des  Sekretes,  zweitens  die  richtige  Untersuchung:  mit  allen 
ihren  Hilfsmitteln.  Gesetzt  den  Fall,  daß  der  letztere  Faktor, 
wie  bei  uns  in  Brünn,  wo  wir  einen  hervorragenden  Bak¬ 
teriologen  haben,  tadellos  ist,  ;so  ist  es  mit  dem  ersten  Faktor, 
der  Sekretentnahme  in  der  Praxis,  oft  recht  schlecht  bestellt. 

Wie  schwer  wird  es  oft  bei  mangelhaftem  Lichte,  bei  einem 
ungebärdigen  Kinde,  bei  oft  unvernünftiger  Umgebung  eine  hin¬ 


reichende  Inspektion  des  Rachens  vorzunehmen !  Wie  leicht  kann 
da  ein  Fehler  bei  der  Abimpfung  unterlaufen. 

Ich  möchte  ferner  bemerken,  daß'  ich  auch  bei  klinisch 
zweifellos  sicheren  Diphtheriefällen  (Reaktion  auf  das  Serum  etc.) 
ein  negatives  bakteriologisches  Ergebnis  an  unserem  Material 
erlebte.  Dies  war  z.  B.  besonders'  bei  einer  gefährlichen  Diph¬ 
therieform  der  Fall,  bei  dem  sogenannten  primären  Larynxkrupj), 
bei  dem  die  Erkrankung  primär  im  Larynx  auftritt,  während  die 
Uiitersuchung  des  Rachens  nichts  Auffallendes  ergibt.  Gerade 
bei  diesen  Fällen  kann  die  bakteriologische  Untersnehung  des 
Rachensekretes  ein  negatives  Resultat  ergeben.  Ich  habe  erst 
vor  kurzem  einen  solchen  Fall  gesehen. 

Die  h  a k  te  r  i  o  1  o  g  i  s  c h e  U  n  t e  r  s  u  c  hu  n  g  t  r i  1 1  a  1)  e  r  b  e- 
sonders  in  jenen  Fällen  in  ihre  vollen  Rechte,  wo 
es  sich  um  lakunäre  Diphtherieformen  handelt.  Ich 
habe  auf  der  chirurgischen  Abteilung  des  Kinderspitales'  im  vorigen 
Jahre  eine  Reihe  von  follikulären  Halsentzündungen  auf  treten 
gesehen,  bei  denen  die  bakteriologische  Untersuchung  Löffler¬ 
bazillen  fast  in  Reinkultur  ergab.  Die  sofort  durchgeführten 
Seruminjektionen,  teils  zU  therapeutischem,  teils  zu  prophylak¬ 
tischem  Zwecke,  machte  der  Endemie  ein  Ende. 

Es  empfiehlt  sich  ferner,  zur  ersten  Injektion 
in  der  überwiegenden  Zahl  der  Fälle  gleich  eine 
höhere  Zahl  von  Antitoxincinh  ei  ten  zu  verwenden. 
Wir  injizieren  in  der  Regel  1500  A.-E.  bei  der  ersten  Injektion 
und  lassen  die  anderen  Injektionen  nach  Bedarf  in  den  ersten 
12  bis  24  Stunden  folgen.  Bei  sohweren  Fällen,  bei  Anzeichen 
von  Larynxkrupp  etc.  werden  sofort  2500  bis  3000  A.-E.  injiziert. 

Was  nun  die  eventuellen  Folgen  der  Ser  uminj  ek  tio  n 
.anbelangt,  lokale  Abszesse,  Serumexantheme,  so 
möchte  ich  bezüglich  der  Abszesse  bemerken,  daß  sie  bei  ent¬ 
sprechend  aseptischem  Vorgehen  in  der  Regel  vermieden  werden 
können.  Wir  erlebten  sie  sehr  selten. 

Die  Serumexantheme,  die  in  der  Regel  am  zehnten 
Tage  post  injectionem  in  Form  von  masem-  O'der  urtikariaähnlichen 
xAusschlägen,  manchmal  unter  Fieber,  rheumatiseben  Schmerzen, 
geringen  Eiweißausscheidungen,  auftreten,  sind  harmlose  Erkran¬ 
kungen  und  wohl  nicht  so  sehr  auf  die  Zahl  der  injizierten 
Antitoxineinheiten,  sondern  vielmehr  auf  den  Umstand  zurück¬ 
zuführen,  daßi  ein  artfremdes  Serum,  das  ist  .ein  Serum  aus  einem 
fremden,  tierischen  Körper,  injiziert  wird.  Es  würde  sich  also 
empfehlen,  wenigstens  in  Fällen,  wo  man'  eine  hohe  Zahl  von 
Antitoxineinheiten  injizieren  muß',  die  sogenannten  hochwertigen 
Sera  in  Anwendung  zu  ziehen,  die  auf  eine  relativ  geringe 
Menge  von  Serum  eine  hohe  Zahl  von  Antitoxineinheiten  ent¬ 
halten. 

Die  Serumexantheme  können  allerdings  mitunter  unter  einem 
schweren  Krankheitsbilde  —  hohes  Fieber,  Prostration,  Delirien, 
heftigen  rheumatiseben  Schmerzen,  Eiweiß  im  Urin  —  auftreten, 
wie  ich  dies  in  einem  Falle,  bei  dem  3000  A.-E.  injiziert  wurden, 
sah.  Es  scheint  in  dieser  Beziehung  die  individuelle  Disposition' 
eine  große  Rolle  zu  spielen.  Ein  Todesfall  infolge  des  Serums 
ist  nicht  hekannt,  das  Auftreten  von  Lähmungen  etc.  als  Folge 
des  Serums  gehört  in  das  Bereich  der  Fabel.  Die  Lähmungen  etc. 
sind  Folgen  der  Diphtherie  u.  zw.  der  zu  spät  der  Serumtherapie  . 
unterworfenen  Diphtherie,  nicht  der  Seruniinjektionen. 

Nun  noch  einige  Bemerkungen  zu  den  prophylaktischen 
D  i  p  h  t  h  e  r  i  e  s  e  r  u  m  i  n  j  e  k  t  i  o  n  e  n . 

Ich  habe  die  prophylaktiscben  Injektionen  mit  Behring- 
schem  Serum  seit  dem  Jahre  1899  wiederholt  auf  meinen  Ab¬ 
teilungen  des  Kinderspitales  in  Venvendung  gezogen,  z.  B.  bei 
Auftreten  von  Diphtheriefällen  auf  der  chirurgischen  Abteilung. 
Jedesmal  wurden  sämtliche  Zimmergenossen  des  Erkrankten  pro¬ 
phylaktisch  injiziert  und  i  m  m  e  r  gelange  s,  d e  r  Krankheit 
Einhalt  zu  tun  und  einer  Hausendemie  vor zubeugen. 

Als  ich  nun  im  Laufe  der  Jahre  wiederholt  die  Erfahrung 
inacbte,  daß  die  dem  Kinderspitale  überbrachten  Diphtberiekranken 
ihre  Geschwister  daheim  infizierten,  sobald  sie  nach  Hause,  auch 
nach  niehi*vd)chentlichem  Spitalsaufenthalte,  entlassen  wurden,  ein 
Umstand,  der  uns  merkwürdigerweise  öfters  in  Konflikt  mit  den 
Behörden  brachte,  beschloß  ich,  die  prophylaktischen  Injektioneh 
auch  auf  externe  Fälle,  das  ist  auf  die  Geschwister  der  dem 
Kinderspitale  e  i  n  g  e  1  i  e  f  e  r  t  e  n  D  i  p  h  t  h  e  r  i  e  k  r  a  n  k  e  n, 
a  u  s  z  u  d  e  h  n  e  n. 

Seit  dem  30.  Mai  1905  bis  jetzt  wurden  246  Kinder 
prophylaktisch  injiziert  u.  zw.  mit  vorzüglichem  Erfolge,  indem 
kei n  ei n z  i  ges  di e  s  e r  Kinder  an  1)  i  p  h  th e rie  erkrank  te. 

Diese  wunderbare  Wirkung  des  Serums  wurde  um  so  augen¬ 
fälliger,  als  ich  im  November  1906  versuchsweise  die  prophylakti¬ 
schen  Injektionen  bei  den  Geschwistern  von  drei  ins  Kinder¬ 
spital  eingebrachten  Dipbtheriekranken  (aus  drei  Familien)  ein¬ 
stellte.  Sämtliche  sieben  Geschwister  dieser  drei  Patienten  er- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  18 


.=  ■  i  ■ 

krankten  an  Diphllierio.  Nachdem  wir  die  Kinder  zur  tägliclien 
Revision  vorsichtshalber  in  die  Anstalt  bestellt  hatten,  konnte  hei 
allen  das  Senim  rechtzeitig  in  Anwendung  gezogen  werden,  so 
daß  alle  sieben  Kinder  genasen! 

Von  da  an  führe  ich  die  prophylaktischen  Injektionen  syste- 
niatiscli  durch  und  dies  auch  in  finanzieller  Hiusicht  inn  so 
leichter,  als  die  Stadlgemeinde  Brünn  sich  bereit  erklärt  hat, 
hei  armen  Kindern  die  Auslagen,  welche  diese  Injektionen  dem 
Spitale  venirsachen,  der  Anstalt  zu  ersetzen,  wie  dies  übrigens; 
mit  dem  Diphtherieserum,  das  hei  stationär  Behandelten  in  An¬ 
wendung  kommt,  schon  seit  Jahren  geübt  Avird. 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  bemerken,  daß  ich  die  pro¬ 
phylaktischen  Injektionen  mit  dem  Behringschen 
Seiaim  auch  hei  a  1 1  e n  K i n d e r n  an w ende,  h e i  d e n e n  Oper a- 
l.ionen  in  der  Nasen-,  Rachen-  und  Mundhöhle  dmreh- 
geführt  werden. 

Zu  dieser  IMaßregel  veranlaßte  mich  ein  Fall  Amn  töd¬ 
lich  e  r  D  i  p  h  t  h  e  r  i  e,  d  i  e  hei  einem  sechsjährigen  Kinde 
nach  einer  T  o  n  s  i  1 1  o  -  A  d  e  n  o  t  o  m  i  e  a  u  f  t  r  a  t.  Das  Kind 
Avurde  A'on  einem  meiner  Sekundarärzte  im  Juli  1905  toTisillo- 
adenotomiert.  Bei  der  Revision  am  folgenden  Tage  Avar  außer 
dem  üblichen  Wundl)elag  an  den  Tonsillen  nichts  Auffalhnides 
AvahrAiehmhar.  Am  vierten  Tage  nach  der  Operation  Avurde  das 
Kind  mit  einer  aiisgebreiteten  gangränösen  Diphtherie,  in  schwer¬ 
krankem  Zustande  eingehracht  und  starb  am  sechsten  Tage  post 
Operationen!.  Die  Seruminjektionen  blieben  ohne  Erfolg,  sie  kamen 
leider  zu  spät!  Seit  dieser  traurigen  Erfahrung  Avurde  eine  große 
Zahl  von  Kindern,  hei  denen  Operationen  in  obenerAvähnten  Höhlen 
durchgeführt  Avorden  Avaren,  prophylaktisch  gegen  Diphtherie  in¬ 
jiziert.  Das  Gros  der  Fälle  betraf  Tonsillo-  und  Adenotomien.' 
ln  einem  Falle  handelte  es  sich  um  eine  Wolfsrachenoperalion, 
ein  anderer  Fall  betraf  eine  ziemlich  schAvierige  Nasenoperation 
(Entfernung  von  Exostosen  der  Nasenhöhlen)  etc.  etc. 

Ich  machte  hiebei  die  Wahrnehmung,  daß  der 
Wund  verlauf  bei  diesen  Fällen  viel  reaktionsloser 
Avar,  als  vorher.  Die  üblichen  Wundheläge  z.  B.  nach  den 
Tonsillotomien  traten  spärlich  auf,  AmrschAvanden  rasch,  die 
Kinder  fieberten  nicht,  Erscheinungen,  die  in  mir  die  Ver¬ 
mutung  Aveckten,  daß  es  sich  bei  den  Wundboi ägon, 
die  ich  vorher  l)oi  Tonisillotomien  und  ähnlichen! 
Operationen  beobachtete  und  die  oft  ziemlich  in¬ 
tensiv  Avaren,  Avobei  die  Kinder  fieberten,  mitunter 
um  leichte,  aber  echte  Diph  ther  ieerkrankungeii 
handelte! 

Jedenfalls  haben  Avir  in  dem  herrlichen  Serum,  das  Behring 
uns  geschenkt,  ein  sicheres  und  harmloses  Mittel,  um  die  Patienten 
vor  einer  gefährlichen  Erkrankung  zu  beAvahren,  die  um  so  leichter 
übersehen  Averden  kann,  da  ja  die  üblichen  Wundbeläge,  zum 
Beispiel  nach  Tonsillotomien,  leicht  eine  echte  Diphtherie  ver¬ 
schleiern  können. 

Prim.  Dr.  Mager  hebt  im  Anschluß  an  die  Bemerkungen 
des  Herrn  Dr.  JMüller  die  Wichtigkeit  der  guten  Erfolge  der 
amhulatorischen  Tuherkulosebehandlung  mit  Kochschom  Tuber¬ 
kulin  hcr\mr,  da  hier  alle  sonst  eine  Besserung  herbeiführenden 
Alomente,  Avie  sie  bei  der  Spitalsbehandlung  in  Betracht  kommen, 
Avegfallen  und  die  spezifische  AVirkung  des  Mittels  deutlich  her- 
A'orlritt.  Dr.  Mager  Aveist  ferner  auf  die  guten  Erfolge  der 
Heilsenunbehandlung  heim  Tetanus  hin;  er  hat  bei  dieser  Therapie 
auch  von  sehr  scliAveren  Fällen  keinen  verloren  und  hält  dos- 
Avegen  entgegen  anderen  Angahen  an  der  spezifischen  AVirkung 
dieses  Heilmittels  fest.  Bezüglich  der  Bekämpfung:  der  Lyssa 
gibt  Redner  die  Anregung,  es  möge,  da  alljährlich  eine  große 
Zahl  Gebissener  aus  Mähren  in  das  Wiener  Pa;steurinstitut  ge¬ 
schickt  AA'crden,  analog  Avie  in  CzernoAvitz,  auch  in  Brünn  im 
Anschlüsse  an  die  Prosektur  eine  Schutzimpfungsanstalt  gegen 
Wut  errichtet  AA'erden. 

Prim.  Dr.  Engel  mann  berichtet  über  zehn  Scharlachfälle, 
die  er  in  den  Jahren  1904  und  1905  im  hiesigen  Kinderspitalo  mit 
j\I OS  erschein  Scharlachserum  behandelt  hat.  Alle  zehn  Fälle 
gehörten  in  die  Kategorie  des  scliAveren,  septischen  Scharlachs 
und  zAvar  Avaren  darunter  vier  mit  Prognose  IV  und  sechs  mit 
Prognose  HI  (nach  Moser).  Die  ersteren,  besonders  scliAveren' 
Fälle  zeigten  keine  EiiiAvirkung  des  Serums  und  endeten  letal, 
Avährend  die  übiigen  sechs  deutlich  reagierten,  indem  die  Tem¬ 
peratur  unmittelbar  nach  der  Injektion  steil  abfiel  im  Gegensatz 
zu  der  sonst  meist  lytisch  Amrlaufenden  Scharlachfieberkurve 
und  sich  die  übrigen  scliAAmren  Symptome  rapid  besserten,  ln 
einem  Falle  fiel  die  Temperatur  von  40-8  auf  37-8  hinnen  Aderzehn 
Stunden.  Einmal  trat  15  Tage  nach  der  Injektion  Serumkrankheit 
auf,  in  der  Form  eines  fiber  den  ganzen  Körper  Amrhreiteten 
hämorrhagischen  Exanthems,  Amrbunden  mit  einer  Temperatur- 
steigcning  bis  auf  40-2.  Nach  drei  Tagen  yerscliAvand  mit  dem 


Sinken  der  Temperatur  das  Exanthem.  Mit  Rücksicht  auf  die 
überaus  günstigen  Berichte  der  Wiener  Autoren  über  das  Serum 
und  die  demonstrierte,  in  die  Augen  fallende  Beeinflussung  des 
Verlaufes,  empfiehlt  der  Vortragende  die  AiiAAmndung  desselben 
in  jedem  Falle  scliAvercr  Scharlacherkrankung. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Sternberg  (SchlußAvort)  faßt  die 
Ergebnisse  der  Diskussion  zusammen  und  bemerkt  speziell  zu 
den  Ausführungen  Müllers,  daß'  in  jenen  Fällen,  die  mit  zu 
starken  Fiebererscheinungen  reagierten,  vielleicht  -der  Beginn  mit 
Avcsentlich  kleineren  Dosen  angezeigt  Aväre.  Ferner  teilt  er  die 
in  einem  Wiener  Krankenhause  gemachte  Erfahrung  mit,  daß 
bei  Aussetzen  der  Tuberkulininjeklionen  bäufig  Avieder  bald  eine 
Rückkehr  der  früher  bestandenen  Lungenerscheinungen  beobachtet 
Avurde.  Bezüglich  der  AnAvendung  des'  Tetanusheilserums  Aveist 
er,  Avie  bereits  in  seinem  Vortrage,  ausdrücklich  auf  die  prophy¬ 
laktische  AiiAAmndung  desselben  hin  und  Avendet  sich  gegen  die 
(auch  neuestens)  in  der  Literatur  vorgebrachte  Angabe,  es  könnte 
die  Amvendung  des  Heilserums  hei  bestehendem  Tetanus  schäd¬ 
lich  sein.  Bezüglich  des  Rates  Bittners,  das,  Heilserum  anzu- 
AAmnden,  ohne  den  bakteriologischen  NacliAveis  der  Diphtherie 
abzuAvarton,  betont  AMrtr.  den  Wert  der  ätiologischen  Diagnose 
auch  für  die  Therapie  und  Avünscht,  daß  endlich  einmal  die 
nötige  Anzahl  von  Untersuchungsanstalten  errichtet  Averde,  damit 
es  jedem  Arzt  möglich  Averde,  sofort  und  schnell  die  nötigen 
bakteriologischen,  histologischen  und  chemischen  Untersuchungen 
ausführen  zu  lassen.  Auf  den  Vorschlag  Mager s,  betreffs  Er¬ 
richtung  einer  Schutzimpfungsanstalt  gegen  Wut  in  Brünn,  Avill 
Vortr.  nicht  näher  eingehen,  sondern  nur  bemerken,  daß  es  zu¬ 
nächst  Avohl  viel  Avichtiger  geAvesen  Aväre,  nicht,  Avie  es  vor  kurzem 
in  Brünn  geschah,-  den  MaulkorhzAvang  ahzuschaffen. 

Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Stern  her  g  )demonstriert  im  An¬ 
schlüsse  an  die  letzte  Diskussionsbemerkung  Prim.  Bittners 
einige  Präparate  von  septischer  und  gangränöser  Diphtherie  und 
erörtert  in  Kürze  die  hier  in  Betracht  kommenden  anatomisclien 
und  bakteriologischen  Verhältnisse. 

Dr.  Artur  F  o  g  e  s  -  W ien  (als  Gast) :  U  e  b  e  r  K  o  1  p  o-  und 
Proktoskopie. 

Vortr.  bespricht  eingehend  die  Technik  des  von  ihm  ge¬ 
übten  Verfahrens,  demonstriert  die  hiezu  erforderlichen  Appa¬ 
rate  und  schildert,  zum  Teil  an  sehr  instruktiven  Wandtafeln 
und  Präparaten,  den  Wert  dieses  einfachen  Verfahrens  für,  die 
Diagnose  Amn  Erkrankungen  des  Rektums  und  namentlich  der 
Flexur;  so  sind  Tumoren  derselben,  die  mit  dem  Finger  nicht 
erreichbar  sind,  mit  Hilfe  des  Apparates  sehr  gut  sichtbar  zu 
machen;  auch  lassen  sich  auf  diese  Weise  kleinere  chirurgische 
Eingriffe  ausführeri.  Schließlich  demonstriert  Vortr.  an  geeigneten 
Fällen  sein  Verfahren. 

Programm 

der  am 

Freitag  den  3.  Mai  1907«  7  Flir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Chrobak  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Primarius  Dr.  A.  v.  Gleicli:  Vorläufige  Mitteilung. 

2.  Primarius  Dozent  Dr.  Latzko :  Die  chirurgische  Therapie  des 
Puerperalprozesses. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet:  Herr  Prof.  Benedikt. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Noordeu  Donnerstag 
den  2.  Mai  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Professor  v.  Noorden. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Doz..  Dr.  Al.  Strasser  und  Dr.  Blumenkranz ;  Zur  physiolo¬ 
gischen  Therapie  der  Nephritis. 

3.  Dr.  L.  Schweiger:  Ueber  tabetiforme  Veränderungen  der 

Hinterstränge  bei  Diabetes.  Das  Präsidium. 

Wiener  med.  Doktoren-Kollegium. 

Programm  der  Montag  den  6.  Mai  1907,  7  Uhr  abends,  im  Sitzungs¬ 
saale  des  Kollegiums,  L,  Rotenturmstraße  19,  unter  Vorsitz  des  Herrn 
Priv.-Doz.  Dr.  A.  Bum  stattfindenden 
wissenschaftlichen  Versammlung. 

Prim.  Dr.  L.  MoszkoAvicz:  Ueber  Fehldiagnose  der  Perityphlitis. 

Die  nächste  Avissenschaftliche  Versammtung  findet  im  Herbste  statt. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Nächste  Sitzung  Mittwoch  den  8.  Mai  1907,  Anfang  7  Uhr. 

Programm: 

Demonstrationen.  Der  Sekretär. 


Vtrantwortlichtr  Rtdakteur:  Adalbert  Karl  Trupp,  Vtrlag  Ton  Wilhelm  Branmfiller  in  Wien. 

Druck  Ton  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  TbereBiengasBe  8. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Eolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  y.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Sohrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 

Telephon  Nr.  17.618. 

XX.  Jahrgang.  Wien,  9.  Mai  1907.  Nr.  19. 


INHALT: 

5.  Berichtigung  zu  Hasenfelds  Aufsatz :  „Die  Heißluftbehandlung 
in  der  Gynäkologie.“  Von  Primararzt  Dr.  Pleischmarin,  Wien. 

II.  Sammelreferat:  Entwicklung  und  Ergebnisse  der  Lumbal¬ 
anästhesie.  Sammelreferat  von  Dr.  E.  Venus,  Assistenten  der 
chirurgischen  Abteilung  der  Wiener  Poliklinik. 

III.  Therapeutische  Notizen. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

y.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


1.  Originalartihel:  1.  Aus  der  gynäkologischen  Abteilung  des 
k.  k.  Krankenhauses  Wieden.  Die  chirurgische  Therapie  des 
Puerperalprozesses.  Von  Dozent  Dr.  W.  Latzko,  k.  k.  Primararzt. 

2.  Aus  dem  hygienischen  Institute  der  k.  k.  Universität  Wien. 
Ueber  die  Spezifität  des  Kotes  und  die  Unterscheidung  ver¬ 
schiedener  Kotarten  auf  biologischem  Wege.  Von  Dr.  Ernst 
Brezina. 

3.  Zwei  Leprafälle  in  Tirol.  Von  Prof.  Dr.  Ludwig  Merk  in 
Innsbruck. 

4.  Aus  der  Budapester  Rettungsgesellschaft.  Bromoformvergiftun- 
gen.  Von  Dr.  Wilhelm  Löbl,  Kontrollarzt  der  Budapester 
Rettungsgesellschaft. 


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„Wiener  kllulsclie 
Woclieusclirlfl“ 

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Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


Aus  der  gynäkologischen  Abteilung  des  k.  k.  Kranken¬ 
hauses  Wieden. 

Die  chirurgische  Therapie  des  Puerperal¬ 
prozesses.*) 

Von  Dozent  Dr.  W.  Latzko,  k.  k.  Primararzt. 

Das  Wochenbettfieber  ist  wahrscheinlich  die  in  bezug 
auf  Aetiologie  und  Prophylaxe  am  erfolgreichsten  studierte 
Volksseuche.  Wenn  trotzdem  alljährlich  viele  Tausende 
blühender  Menschenlehen  derselben  zum  Opfer  fallen,  so 
liegt  dies  wohl  in  erster  Linie  daran,  daßi  die  Lehren,  die 
Semmel  weis  vor  bald  60  Jahren  an  dieser  historischen 
Stätte  verkündet  hat,  noch  immer  nicht  Gemeingut  der  Aerzte 
und  Hebammen  geworden  sind.  In  zweiter  Linie  kommt  aber 
der  hemerkenswerte  Umstand  in  Betracht,  daßi  die  Behand¬ 
lung  der  einmal  ausgebrochenen  Krankheit  in  dieser  ganzen 
Zeit  keinen  Fortschritt  aufzuweisen  bat,  der  imstande  ge¬ 
wesen  wäre,  die  Statistik  wirksam  zu  beeinflussen. 

Die  Antisepsis,  von  der  man  eine  UmWälzung  in  der 
Therapie  des  Puerperalprozesses  hätte  erwarten  sollen,  hat 
in  jeder  Form  —  als  Spülung,  Aetzung,  Anwendung  von 
Dauerantiseptizis  usw.  —  dem  eigentlich  septischen,  das 
heißt  durch  Eitererreger  erzeugten  Wochenbettfieber  gegen¬ 
über  vollständig  versagt. 

Kein  Wunder,  daß  die  Ohnmacht  konservativer  Be- 
handlungsmetlioden  bald,  dazu  geführt  hat,  im’  chirurgischen 
Vorgehen  gegen  den  Herd  der  Erkrankung  das  Heil  zu 
suchen. 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
in  Wien  am  3.  Mai  1907. 


Gestatten  Sie,  daß  ich  heute  in  gedrängter  Kürze  die 
wichtigsten  jener  Eingriffe,  welche  in  ihrer  Gesamtheit  die 
chirurgische  Therapie  des  Puerperalprozesses  aiismachen, 
vor  Ihnen  erörtere.  Es  wird  das  vielleicht  um  sO'  weniger 
überflüssig  erscheinen,  als  dieses  Thema  an  dieser  Stelle 
noch  nie,  in  den  ärztlichen  Gesellschaften  des  Auslandes, 
aber  schon  wiederholt  den  Gegenstand  eingehender  De¬ 
batten  gebildet  hat.  Sollte  mein  Referat  andere  Vertreter 
meines  Faches  zur  Mitteilung  ihrer  Erfahrungen  anregen, 
so  hat  es. seinen  Zweck  erfüllt. 

Ich  werde  nur  solche  Operationen  in  den  Kreis  meiner 
Besprechung  ziehen,  die  konteovers  sind.  Von  allen  jenen 
Eingriffen,  deren  Nutzen  feststeht,  die  seit  jeher  regelmäßig 
geübt  werden,  wie  Eröffnung  parametraner  Exsudate,  meta- 
statischer  Abszesse,  sehe  ich  ab.  Das  Wochenhettfieber 
an  und  für  sich  kann  natürlich  nicht  Objekt  chirurgischen 
Handelns  sein.  Als  solches  kommen  nur  die  einzelnen,  mehr 
weniger  streng  umschriebenen,  anatomischen  Krankheits- 
bilderin  Betracht,  deren  Zugehörigkeit  zum  Pnerperalprozeß 
auf  einer  gemeinsamen  Aetiologie  beruht,  insofern  sie  näm¬ 
lich  alle  einer  bakteriellen  Invasion  des  Geburtssohlauches 
ihre  Entstehung  verdanken.  Von  diesen  sind  es  hauptsäch¬ 
lich  drei:  die  Endometritis,  die  Metrophlebiti|S  und  die  Peri¬ 
tonitis,  welche  den  modernen  operativen  Maßnahmen  ziim 
Angriffspunkt  dienen. 

Die  Erkenntnis,  daß  in  der  weitaus  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  die  Uterusinnenfläche  die  Eintrittspforte 
der  Infektion,  den  Ausgangspunkt  der  Erkrankung  darstellt, 
hat  sich,  wenn  auch  unter  Widerspruch,  frühzeitig  Bahn  ge¬ 
brochen.  In  Verkennung  tatsächlicher  Verhältnisse  ist  hiebei 
zurückgehaltenen  Plazentar-  und  Eihautresten  eine  wesent¬ 
lich  größere  Bedeutung  zugehilligt  worden,  als  ihnen  wirk- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  19 


lieh  zukommt.  Ihre  Entfernung  galt  lange  Zeit  als  wichtigstes 
Postulat  jeder  Puerperalprozeßibehandlung.  Man  bediente 
sich  hiezu  des  Fingers,  der  Kornzange  oder  zumeist  der 
Kürette.  Leider  hat  man  die  Erfolge,  die  durdi  Kurettenient 
in  frühen  Schwangerschaftsmonaten,  hei  fieherhaftem  Abor¬ 
tus  erzielt  wurden,  auf  die  puerperale  Endometritis  am  Ende 
der  Schwangerschaft  übertragen  zu  können  geglaubt  und  fast 
bei  jedem  Wochenbettfieber  die  Ut.erusinnenfläche  glatt  zu 
schaben  versucht. 

Wie  aber  klinische  Erfahrung  und  theoretische  Ueber- 
legiing  zeigt,  liegen  die  Verhältnisse  hei  Ahorlus  und  Geburt 
grundverschieden. 

Sie  sehen  hier  eine  Temperaturkurve,  die  für  die  Ex- 
kochleati'on  hei  sogenanntem  septischen  Abortus  charakteri¬ 
stisch  ist.  Eine  blutende  Frau  mit  retiniertem  Ei  oder  Pla¬ 
zentarresten  wird  mit  erhöhter  Temperatur  eingeliefert.  Der 
Ausräumung  ■ —  manchmal  der  spontanen  Ausstoßung  — 
folgt  als  typische  Reaktion  hoher  Temperaturanstieg  mit 
Schüttelfrost;  am  nächsten  Tage  Abfall  zur  Norm.  Der¬ 
artige  Fälle  habe  ich  117  beobachtet.  Der  am  weitesten  vor¬ 
geschrittene  befand  sich  im  fünften  Lunarmonat.  Gegen  Ende 
der  normalen  Zeit  kann  ja  ähnliches  bei  Zersetzung  von 
Nachgeburtresten  infolge  saprämisclier  Infektion  Vorkommen, 
ln  den  lälleii  aber,  in  welchen  nicht  Fäulniskeimo,  sondern 
Eitererreger  Lfrsache  des  Wochenhettfiehers  sind,  d.  h.  in 
der  übergroßien  Mehrzahl  der  Puerperalprozesse  nach  recht¬ 
zeitiger  Geburt,  stiftet  die  Kürette  fast  nie  Nutzen,  oft  aber 
Schaden ;  und  das  auch  dann  ,wenn  Plazentar-  oder  Eihaut- 
resle  zurückgeblieben  sind.  Das  ist  in  der  deutschen  Ge¬ 
burtshilfe  wohl  allgemein  anerkannt. 

Daraus  ergibt  sich  die  Konseciuenz,  die  Kürette  regel¬ 
mäßig  nur  hei  septischem  Abortus,  nach  rechtzeitiger  Geburt 
aber  nur  in  Ausnahmefällen  zu  verwendon,  wenn  die  An¬ 
wesenheit  von  Eitererregern  durch  Keimenlnahme  ausge¬ 
schlossen  oder  durch  vorhandene  Fäuluis  unwahrscheinlich 
gemacht  ist. 

Ich  komme  zur  Besprechung  der  eingreifenderen 
Operationsmethoden,  unter  welchen  die  sogenannte 
Rad  ikaloperation,  das  ist  die  Exstirpation  der 
kranken  Gebärmutter  a  priori  am  meisten  Aus¬ 
sicht  auf  Erfolg  hätte.  Es  ist  klar,  daß  es  einen 
Zeitpunkt  gehen  muß,  in  welchem  die  Gebärmutter  allein 
Sitz  der  Infektion  ist,  in  welchem  also  das  Wochen- 
bettfieher  einen  quasi  lokalen  Prozeß  darstellt.  Eine  Aus¬ 
rottung  des  Infektionsherdes  in  diesem  Zeitpunkt  müßte 
—  theoretisch  genommen  —  von  Erfolg  begleitet  sein.  Prak¬ 
tisch  beginnt  aber  sofort  die  Schwierigkeit,  zu  entscheiden, 
wann  die  Infektion  noch  auf  den  Uterus  beschränkt  ist. 
Wir  können  eine  Thrombophlebitis  der  Vena  spermatica,  eine 
Eymphangoitis  nie  mit  Sicherheit  ausschließen.  Noch  schwie¬ 
riger  gestaltet  sich  die  Beantwortung  der  Frage,  welcher 
Fall  prognostisch  so  ungünstig  zu  bewerten  ist,  daß  wir 
das  Recht  haben,  durch  eine  schon  mit  Rücksicht  auf  den 
Allgemeinzusland  nichts  weniger  als  ungefährliche  Opera¬ 
tion  den  Uterus  zu  opfern,  ohne  dabei  Gefahr  zu  laufen, 
dieses  Opfer  überflüssigerweise  gebracht  zu  hahen.  Wir 
dürfen  ja  nicht  vergessen,  daß  die  große  Mehrzahl  der 
Puerperalprozesse  spontan  ausheilt,  u.  a.  auch  solche,  die 
mit  stürmischen  Erscheinungen  eiiisetzen.  Einen  bis  mehrere 
läge  wird  man  wohl  in  jedem  Fälle  zuwarlen  wollen,  um 
ein  klinisches  Bild  zu  gewinnen.  Inzwischen  kann  es  aber 
zur  Operation  zu  spät  geworden  sein. 

Relativ  einfach  lagen  die  Verhältnisse  —  natürlich 
vom  heutigen  Standiumkte  aus  —  in  den  ersten  derart 
operierten  Fällen;  bei.  Schnitze  (1886),  wo  eine  auf  eine 
andere  Weise  nicht  zu  entfernende,  verjauchte  Plazenta,  \ind 
hei  Stahl  (1889),  wo  ein  gangräneszierendes  Myom  im 
\\  ochenbett  die  Indikation  zur  supravaginalen  Amputation 
gaben.  Wenn  eine  derartige  Komplikation  fehlt,  also  ins- 
hesondere  hei  reiner  Streptokokkenendonietrilis,  wird  die 
Indikation  vorderhand  nur  aus  der  Schwere  des  Falles, 
d.  h.  aus  seiner  üblen  Prognose  bei  konservativer  Behand¬ 
lung  gestellt  werden  können.  Derart  ist  zum  ersten  Male 


Sippel  (1894)  vorgegangen.  Er  hat  nach  Erschöpfung  der 
üblichen  Methoden  zur  supravaginalen  Amputation  des  sep¬ 
tischen  Uterus  als  Ultimum  refugium  gegriffen.  Seither  ist 
von  verschiedenen  Seiten  über  Uterusexstirpationen  bei 
Wochenbettiieber  nach  verschiedenen  Methoden  berichtet 
Wörden ;  das  Thema  wurde  auf  Kongressen  von  den  hervor¬ 
ragendsten  Faclunännern  diskutiert;  immer  aber  mußte  die 
Frage  der  Indikationsstellung  offen  gelassen,  resp.  ihre 
enorme  Schwierigkeit  betont  werden.  Es  gibt  kein  einziges 
klinisches  Symptom,  das  an  sich  oder  in  Verbindung  .mit 
anderen  eine  verläßliche  Voraussage  zu  einer  Zeit  gestatten 
würde,  zu  welcher  die  Operation  noch  mit  guten  Aussichten 
ausgeführt  werden  könnte.  Puls,  Temperatur,  Leukozyten¬ 
zählung,  Keimentnahme,  bakteriologische  und  zytologische 
Blutuntersuchung,  sie  alle  können  uns  im  Stiche  lassen. 
Immer  besteht  die  Möglichkeit,  entweder  über¬ 
flüssig  zu  operieren  oder  zu  spät  zu  kommen. 

Die  Unsicherheit  der  Indikationsstellung  hat  hervor¬ 
ragende  Gynäkologen  dazu  veranlaßt,  von  der  Radikal¬ 
operation  bei  septischer  Endometritis  ganz  abzusehen.  Ein¬ 
zelne  haben  erklärt,  nie  die  Notwendigkeit  des  Eingriffes 
empfunden  (Küstner),  resp.  bei  der  Nekroskopie  die  Unter¬ 
lassung  des  Eingriffes  nie  bereut  zu  haben  (Pinard).  Prüfe 
ich  mein  Material  in  dieser  Beziehung,  so  finde  ich  unter 
112  von  Herrn  Prosektor  Zemann  ausgeführten  Sektionen 
neun  reine  Endometritiden,  also  Fälle,  die  an  der  Aufnahme 
von  Keimen  oder  Giften  vom  Endometrium  aus  zugrunde 
gegangen  sind.  Die  theoretische  Möglichkeit,  derartige  Fälle 
durch  rechtzeitige  Ausschaltung  der  Resorptionsfläche  zu 
retten,  kann  man  kaum  bezweifeln. 

Ich  selbst  habe  mich  fünfmal  bei  Endometritis  zu 
dieser  Operation  bestimmen  lassen.  Fälle,  die  mit  Uterus¬ 
ruptur,  Peritonitis,  puerperalen  Adnextumoren  kompliziert 
sind,  habe  ich  als  nicht  hieher  gehörig  außer  acht  gielassen. 

Von  den  fünf  Fällen  sind  zwei  geheilt,  drei  gestorben. 
Bei  den  Verstorbenen  ergab  die  Sektion  zweimal  Thrombo¬ 
phlebitis  der  Vena  spermatica  bis  zur  Vena  cava,  einmal 
parenchymatöse  Verblutung  infolge  septischer  Blut¬ 
beschaffenheit.  Von  den  geheilten  Fälle  ist  der  erste 
Fall  A.  im  Jahre  1904  durch  vaginale  Totalexstiiiiation  ope¬ 
riert  worden;  der  Verlauf  schien  gar  nicht  beeinflußt. 
Pat.  hatte  nachher  noch  30  Schüttelfröste  und  genas  dann 
langsam.  Der  entfernte  Uterus  zeigte  septische  Endometritis 
mäßigen  Grades.  Ob  hier  die  Operation  zum  günstigen  Aus¬ 
gang  beigetragen  hat,  ist  fraglich.  Wahrscheinlich  wäre  die 
Kranke  auch  ohne  Eingriff  genesen. 

Der  zweite  Fall  G.  ist  am  20.  Januar  d.  J.  operiert 
worden,  u.  zw.  mittels  supravaginaler  Amputation  mit  extra¬ 
peritonealer  Stielbehandlung.  Es  bestand  jauchige  Strepto- 
kokkenendometritis ;  die  Umgebung  des  Uterus  schien  frei. 
Ich  entschloß  mich  zur  Operation  wegen  des  schlechten 
Gesamteindruckes,  hoher  Temperaturen  über  40“  durch  zwei 
Tage  mit  häufigen  Schüttelfrösten  (am  Vortage  der  Opera¬ 
tion  drei),  hoher  Puls-  und  Atemfrequenz.  Bei  der  Operation 
erwies  sich  die  rechte  Sperniatika  als  thrombosiert.  Der 
Thrombus  enthielt  Streptokokken.  Die  Patientin  erkrankte 
noch  an  metastatischer  Pneumonie  und  schwerer  septischer 
Angina  und  wurde  erst  drei  Wochen  post  operationem  nach 
Durchbruch  und  Aushusten  eines  Lungenabszesses  fieber¬ 
frei.  Schüttelfröste  sind  nach  der  Operation  nicht  mehr 
eingetreten.  Dieser  Patientin  hat  wohl  der  Eingriff  das 
Leben  gerettet. 

Sie  sehen,  meine  Herren,  ich  habe  mich  seit  dem  Be¬ 
stände  meiner  Abteilung  selten  genug  zu  diesem  heroischen 
Eingriff  entschlossen ;  fünfmal  in  4V2  Jahren  unter  470  Puer¬ 
peralprozessen.  Die  Ursache  liegt  weder  darin,  daß  ich 
übertrieben  konservativ  oder  vorsichtig  bin,  noch  in  dem 
Umstande,  daß  ich  die  Operation  für  nicht  leistungsifähig 
oder  für  zu  gefährlich  halte,  noch  in  dem  Mangel  geeigneter 
Fälle  - —  die  Sektionsprotokolle  weisen  ja,  wie  früher  er- 
erwähnt,  mehrere  Fälle  aus,  die  jiiit  Aussicht  auf  Erfolg 
hätten  operiert  werden  können  — ;  die  Ursache  liegt  einzig 
in  dem  Umstande,  daß  ich  stets  den  richtigen  Zeitpunkt  zur 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


557 


Operation  verpaßl  habe.  Wenn  ich  sicher  war,  daß  die 
Prognose  ohne  Operation  schlecht  sei,  dann  war  es  in  der 
Regel  zur  Operation  zu  spät  —  sei  es,  daßi  der  Allgeniein- 
zushand  schon  zu  sehr  gelitten  oder  daßi  der  Prozeß  den 
Uterus  schon  zu  weit  überschritten  hatte,  was  sich  aus  dem 
Nachweis  von  ausgedehnter  Metrophlebitis  oder  Metastasen 
ergab.  Einfach  stünde  die  Sache,  wenn  man  sich  an  den 
Ausspruch  Vine  bergs,  des  begeisterten  amerikanischen 
Vorkämpfers  der  operativen  Therapie  halten  könnte,  der 
an  einer  Stelle  sagt:  95%  der  Püerperalprozesse  heilen 
durch  Exkochleation  und  Spülung,  die  übrigen  5%  soll  man 
unbedenklich  laparotonneren.  Die  Schwierigkeit  liegt  leider 
darin,  herauszufinden,  welches  die  gewissen  5%  unter  den 
100%  sind.  Trotzdem  ist  an  dem  paradoxen  Ausspruch 
ein  Körnchen  Wahrheit. 

Ich  zähle  unter  470  Puerperalprozessen  112  Todesfälle. 
Das  heißt,  es  stirbt  ungefähr  jeder  vierte  Puerperalprozeß, 
der  an  meine  Abteilung  kommt.  Zieht  man  von  diesen  Zahlen 
die  117  septischen  Abortus,  die  in  ein  bis  zwei  Tagen  ent- 
fiebert  sind,  42  Fälle  mit  Temperaturen  unter  38-5^,  alle  kurz¬ 
dauernden  Fieber,  dann  die  parametranen  Exsudate  und 
sonstige  lokalisierte  Prozesse,  natürlich  auch  die  Peritoni¬ 
tiden  mit  ihren  Todesfällen  ab,  so  bleibt  eine  verhält¬ 
nismäßig  kleine  Grup])e  hochfiebernder  Puer¬ 
peralprozesse  mit  sehr  hoher  Mortalität  von 
zirka  30%.  Es  erscheint  doch  fraglich,  ob  man 
bei  einer  Kranken  in  so  gefährlicher  Situation 
das  Eintreten  einer  Indicatio  vitaTis  abwarten 
mußi,  bevor  man  zum  Messer  greift,  wie  das  Sippel 
verlangt.  W  ü  r  d  e  man  sich  innerhalb  der  o  b  e  n  e  r- 
w ä h  11 1 e  n  Gr u p  p  e  i n  j  e  d  e  m  ¥  alle,  d  e r  e  i  n  bis  zwei 
Tage  lang  konstant  Temperaturen  von  39®  bis  40® 
oder  darüber  aufweist,  oder  überhaupt  nach 
48  Stunden  keine  entschiedene  Wendung  zu m 
Besseren  zeigt,  zur  Gpe ration  entschließen,  so 
käme  man  vielleicht  unter  noch  näher  zu  formu¬ 
lierenden  Bedingungen  zur  Erfüllung  jener  For¬ 
derung,  welche  für  die  Behandlung  der  Appendi¬ 
zitis  aus  analogen  Ursachen  von  allen  Chirurgen 
akzeptiert  ist,  nämlich  der  Forderung  der  Früh¬ 
operation. 

Damit  wäre  die  Möglichkeit  zur  Stellung  einer  bestimm¬ 
ten  Indikation  gegeben,  allerdings  einer  relativen  Indikation 
im  Gegensätze  zu  der  absoluten,  deren  Festlegung  durch 
zehnjährige  Forschung  und  Erfahrung  allseits  als  Utopie 
erkannt  worden  ist. 

In  erster  Linie  sind  natürlich  solche  Infektionen  zur 
Operation  geeignet,  die  wirklich  noch  auf  den  Uterus  Ije- 
'.schränkt  zu  sein  scheinen.  Doch  bilden  Thrombosen  und 
nicht  zu  ausgebreitete  Metastasen,  sowie  Rakterämie,  bei 
gutem  Kräftezustand  keine  Kontraindikation.  Das  zeigt  mein 
Fall  G.  und  das  hat  auch  Asch  an  der  Hand  einer  Serie 
von  Operationen  ausgesprochen.  Der  Wegfall  des  Ilaupt- 
giftherdes  kann  in  solchen  Fällen  dem  Organismus  erst  die 
Möglichkeit  verschaffen,  durch  Entfaltung  seiner  Schutz- 
kräfte  den  Kampf  mit  den  eingedrungenen  Bakterien  und 
Giften  zu  seinen  Gunsten  zu  entscheiden. 

Als  Methode  käme  für  große  Uteri  zunächst  die  supra- 
vaginale  Amputation  unterhalb  der  Ringvene  mit  extraperi¬ 
tonealer  Stielbehandlung,  für  kleine  Uteri  eventuell  die  vagi¬ 
nale  Totalexstirpation  in  Frage. 

Etwas  leichter  als  für  die  Uterusexstirpation  ist  für 
die  Operation  hei  puerperaler  Pyämie,  für  die  der  Ohren¬ 
heilkunde  entlehnte  Unterbindung  oder  eventuell 
Exstirpation  der  abführendem  Venen  eine  In¬ 
dikation  zu  stellen;  nicht  nur  deswegen,  weil  wir 
uns  leichter  zu  einem  Eingriff  entschließen,  welcher 
nicht  mit  dem  Opfer  eines  Organes  verbunden  ist, 
sondern  weil  wir  vor  allem  Zeit  zur  Ueberlegung  haben. 
Wenn  auch  die  Venenunterbindung  hie  und  da  in  akuten 
Fällen  praktiziert  worden  ist,  sO'  einmal  von  Bumrn  mit 
günstigem  Erfolge,  sO'  werden  doch  vorwiegend  die  chroni¬ 
scher  verlaufenden  Fälle  von  Metrophleljilis  die  Domäne 


dieser  Operation  bleiben.  Die  Fälle,  die  rasch  sterben,  gehen 
an  den  Folgeerscheinungen  der  Bakteriämie,  und  Toxämie, 
im  Anschluß  an  Endometritis  und  Peritonitis  zugrunde’.  Auch 
wenn  wir  dann  bei  der  Sektion  eine  Metrophlebitis  finden, 
beherrscht  nicht  sie,  sondern  einer  der  eben  erwähnten 
Prozesse  das  Bild.  Wo  die  Metrophlebitis  in  den  Vorder¬ 
grund  tritt,  dort  handelt  es  sich  um  langsamer  verlaufende 
Prozesse. 

Als  erster  hat  im  .fahre  1899  W.  A.  Freund,  angeregt 
durch  die  Erfolge  der  Jugularisunterhindung  ‘  und  Sinus¬ 
ausräumung  bei  otogener  Pyämie,  die  Unterbindung  der 
Venae  spermaticae  versucht.  Zwei  derartige  Operationen 
blieben  erfolglos.  Ebenso  ungünstig  war  das  Resultat  von 
drei  etwas  weiter  gehenden  Operationen  Bumins  im  Jahre 
1900.  Erst  Trendelenburg  hat  1902  durch  extraperito¬ 
neale  Ligatur  der  thrombosierten  Vena  hypogastrica  und 
nachträglich  hinzugefügte,  ebenfalls  extraperitoneal  ausge¬ 
führte  Ligatur  der  thrombosierten  Vena  spermatica  eine 
Heilung  bei  chronischer  Metrophlebitis  mit  zahlreichen 
Schüttelfrösten  erzielt.  Von  der  zweiten  Operation  ange- 
fangen  blieben  die  Schüttelfröste  aus  und  die  Kranke 
genas. 

Seit  Trendelenburgs  erfolgreicher  Operation  hat 
Bumm  1904  die  transperitoneale  Venenunterbindung,  die 
den  Vorteil  besserer  Uebersicht  für  sich  hat,  unter  Bei¬ 
bringung  zweier  geheilter  Fälle  empfohlen  und  sind  von 
zahlreichen  Operateuren  teils  einzelne  Beohachtungen,  teils 
kleine  Serien  von  solchen  mitgeteilt  worden. 

Volle  Befriedigung  gewährt' auch  hier  weder  die  Ope¬ 
rationstechnik,  noch  die  Indikationsstellung.  Wünschens¬ 
wert  wäre  ■ —  das  wissen  wir  aus  der  Analogie  mit  den 
Operationen  der  Ohrenärzte  —  nicht  nur  die  Unterbindung, 
sondern  auch  die  Exstirpation  der  thrombosierten  Venen, 
die  sonst  ihre  septischen  Produkte  auf  dem  Wege  der 
Kollateralen  ahführen  können.  Ausführbar  ist  aber  nach 
den  anatomischen  Verhältnissen  —  wenigstens  mit  Hilfe 
der  Methoden  von  Trendelenburg  und  Dumm  —  nur 
die  Exstirpafion  der  Spermatika.  Der  Throinbophlebilis  des 
utero-vaginalem  Plexus  gegenüber  muß  man  sich  auf  die 
Ligatur  der  Vena  hypogastrica  beschränken;  das  geben  beide 
Autoren  selbst  an. 

ln  der  Indikationsstelhing  stehen  die  meisten  Autoren 
auf  dem  Standpunkte,  daß  die  Metrophlel)itis  eine  außer¬ 
ordentlich  gefährliche  Krankheit  sei,  der  ca.  60  bis  70% 
der  Wöchnerinnen  erliegen,  daß  also  hei  andauernd  hohen 
Temperaturen  mit  stetig  v/iederkehrenden  Schüttelfrösten 
ein  Eingriff  gewagt  werden  könne,  wenn  der  Kräftezustand 
ein  zureichender  ist.  Trendelenhurg  meinte,  daß  zwei 
Schüttelfröste  genügen,  um  die  Diagnose  zu  sichern  und 
die  Indikation  zur  Operation  zu  stellen.  Dieser  Standpunkt 
wird  wohl  von  niemandem  mehr  geteilt,  seit  Bucura  aus 
dem  Materiale  der  Klinik  Chrohak  den  Nachweis  erbracht 
hat,  daß  erst  bei  fünf  Schüttelfrösten  mit  Sicherheit  das 
Bestehen  einer  Thrombophlebitis  angenommen  werden  darf. 
Es  ist  aher  überhaupt  mißlich,  die  Diagnose  der  Metro- 
phlehitis  auf  die  Zahl  der  Schüttelfröste  zu  stützen,  weil 
diese  Krankheit  häufig  ganz  ohne  Schüttelfröste  einher¬ 
geht.  Von  23  auf  dem  Sektionstische  diagnostizierten Metro- 
phlehitiden  waren  sechs  ohne  Schüttelfrost  verlaufen;  das 
wäre  ein  Viertel.  Tatsächlich  liegen  die  Verhältnisse  noch 
ganz  anders.  Bei  den  Fällen,  die  zur  Heilung  kommen, 
überwiegen  nämlich  sicher  die  ohne  Schüttelfrost.  Die  Dia¬ 
gnose  muß  sich  hier  im  wesentlichen  a,uf  den  Tästbefund 
stützen,  dem  im  allgemeinen  eine  viel  zu  geringe  Bedeu¬ 
tung  beigelegt  worden  ist,  s^ielleicht  deshalb,  weil  der  Nach¬ 
weis  der  thromhosierten  Venen  für  schwierig  oder  unzu¬ 
verlässig  gilt.  Man  kann  aber  sagen,  daß  fast  alle  im  Ver¬ 
laufe  eines  Puerperalprozesses  entstehenden,  von  der  Zer¬ 
vix -Uteruskante  gegen  die  Beckenwand  ziehenden,  derben 
oder  derbteigigen,  ein  bis  drei  Finger  dicken  Stränge  auf 
Phlebitis,  resp.  Periphlebitis  beruhen.  Das  hat  mich  der 
Vergleich  meiner  klinischen  mit  den.  Sektionsbefunden  mul 
das  Ergebnis  meiner  Operationen  gelehrt. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  19 


üu8 


Ich  habe  seit  dem  Jahre  1905  siebenmal  wegen Metro- 
plilebitis  operiert.  In  derselben  Zeit  sind  noch  fünf  Fälle 
zur  Sektion  gekommen,  von  denen  keiner  zur  Operation 
geeignet  war.  Von  den  sieben  Operierten  sind  zwei  ge¬ 
heilt  und  fünf  gestorben.  Den  ersten,  nach  der  Methode 
Burnm  operierten  und  geheilten  Fall  K.  habe  ich  an 
dieser  Stelle  vor  zwei  Jahren  demonstriert.  Im  Jahre  1905 
habe  ich  dann  noch  zwei  Fälle  nach  derselben  ]\Iethode 
operiert;  beide  Fälle  sind  gestorben. 

Am  17.  Januar  1906  trat  nun  an  meine  Abteilung 
eine  Kranke  mit  schwerer,  beiderseitiger  Metrophlebitis  ein, 
die  mir  Gelegenheit  zur  Anwendung  einer,  wie  ich  glaube. 


neuen,  erfolgreichen  Operationsmethode  bot. 

Fall  P.,  am  6.  Januar  1906  spontan  entbunden;  am 
11.  Januar  Fieber,  Schüttelfrost;  am  17.  Januar  Spitals¬ 
eintritt,  Temperatur  39-2°,  Puls  10.0,  in  beiden  Parametrien 
derbe  Infiltrate.  Diagnose:  Metrophlebitis  bilateralis.  Täg¬ 
lich  Schüttelfrost.  Am  21.  Januar  Operation.  Ich  beschloß, 
den  Versuch  zu  machen,  den  thrombosierten  Venenplexus 
per  vaginam  auszuräumen.  Ich  schnitt  zuerst  das 
rechte  Scheidengewölbe  längs  des  Infiltrates 
ein,  arbeitete  stumpf,  nur  dem  Tastsinne  fol¬ 
gend,  mit  F  i  11  g  e  r  .  u  n  d  geschlossener  S  c  h  e  e  r  e 
gegen  das  Infiltrat  los,  das  sich  unter  mäßiger 
B 1  u  t  u  n  g  1  e  i  c  h  t  i  11  e  i  n  z  e  1  n  e,  b  1  e  i  s  t  i  f  t  d  i  c  k  e  Stränge 
auf  lös  eil  ließ,  die  ich  teils  d  urchs  chnitt,  teils 
exstirpierte.  Dieselben  erwiesen  sich  schon 
makroskopisch  als  thrombosier te  Venen  mit  ent¬ 
zündeter  Wand,  was  die  histoFogische  Unter¬ 
suchung  bestätigte.  Links  ging  ich  in  gleicher  Weise 
vor.  Nach  der  Operation  ivaren  die  Infiltrate  verschwun¬ 
den,  an  ihrer  Stelle  beiderseits  große  Höhlen  mit  zerfetzten 
Wänden.  Die  Blutung  war  durch  feste  Tamponade  leicht 
zu  beherrschen.  Die  Patientin  genas  unter  lytischem  Tem¬ 
peraturabfall  ;  Schüttelfrost  trat  keiner  mehr  auf. 

Der  nächste  analog  operierte  Fall  ging  zwölf  Tage 
nach  der  Operation  zugrunde.  Die  Sektion  zeigte  einen 
Thrombus  in  der  Vena  iliaca,  der  bis  in  die  Kava  reichte. 


Dieses  Vmrkonimnis,  das  wohl  immer  tödlich  sein  dürfte, 
hätte,  wenn  vorher  die  Diagnose  möglich  gewesen  wäre, 
die  Operation  natürlich  als  aussichtslos  erkennen  lassen. 

Ein  dritter  Fall,  A.,  aus  dem  Jahre  1906  ist  gleich¬ 
falls  u.  zw.  unter  bemerkenswerten  Umständ  m  gestorben. 
Ich  hatte,  um  die  Analogie  mit  der  Operation  der  otogenen 
Pyämie  zu  einer  möglichst  vollständigen  zu  machen,  zuerst 
per  laparotomiam  die  Hypogastrika  der  thrombosierten  Seite 
unterbunden  u.  zw.  aus  technischen  Gründen  sowohl  Ar¬ 
terie  als  Vene.  Dann  war  ich  nach  Schluß  des  Abdomens 
in  vorhin  beschriebener  Weise  vaginal  vorgegangen.  Zwölf 
Stunden  nach  der  Operation  trat  noch  ein  Schüttelfrost 
auf,  dann  keiner  mehr.  16  Tage  später  war  die  Krankel 
entfiebert  und  blieb  es  mit  Ausnahme  einer  Temperatur¬ 
steigerung  infolge  Serumexanthems  bis  zu  ihrer  fünf  Wochen 
post  operationem  wegen  akuter  Manie  erfolgten  Transferie¬ 
rung  auf  die  psychiatrische  Klinik.  Dort  erlag  sie  inner¬ 
halb  weniger  Minuten  einer  profusen,  arteriellen  Blutung 
aus  der  Vagina,  als  deren  Quelle  auf  dem  Sektionstische 
das  vereiterte,  ligiert  gewesene,  zentrale  Ende  der  Arteria 
hypogastrica  erkannt  wurde. 

Einen  vierten  Fall,  P.,  habe  ich  am  2.  Februar  d.  J. 
operiert.  Es  handelte  sich  um  beiderseitige  Metrophlebitis 
bei  Diplokokkeninfektion.  Am  Tage  vor  der  Operation  noch 
vier  Schüttelfröste,  eine  Stunde  nachher  noch  einer,  dann 
kritischer  Temperaturabfall  auf  36®.  Zwei  Tage  später  hoher 
Temperaturems  lieg  mit  Schüttelfrost.  Erscheinungen,  die  schoia 
am  Tage  nach  dem  Eingriffe  eingetreten  waren,  wurden 
zunächst  falsch  gedeutet  ,imd  führten  erst  am  9.  Februar 
zur  Diagnose  Peritonitis,  deren  Operation  den  am  13.  Februar 
erfolgten  Tod  nicht  mehr  abwenden  konnte. 

Was  lehren  uns  die  von  anderen  und  mir  mitgeteilten 
lälle  bezüglich  der  Indikationsstellung  und  Technik? 

Die  Gefahr  der  septischen  Infektion  der  Bauchhöhle, 
die  Trendelenburg  zu  extraperitonealem  Vorgehen  ver- 


anlaßte,  scheint  auch  bei  medianer  Laparotomie  nicht  ins 
Gewicht  zu  fallen,  wenn  man  entsprechende  Vorsicht  übt. 
Die  Unterbindung  der  V'enen  wird  daher  am  besten  jiach 
Bumms  Methode  ausgeführt.  Allerdings  ist  der  Eingriff 
nur  an  der  Spermatika  leicht.  Die  Isolierung  der  Vena 
hypogastrica  ist  aber  bei  bestehender  Phlebitis  ein  tech¬ 
nisch  schwieriger  Eingriff,  ja  die  stumpfe  Trennung  der 
Vene  von  der  Arterie  kann  ganz  unmöglich  sein.  Die  Unter¬ 
bindung  der  Arterie  als  Hilfsoperation  ist  aber,  wie  mein 
Fall  A.  lehrt,  ernstlich  zu  widerraten,  da  man  Eitenmg 
um  die  Ligatur  nicht  mit  Sicherheit  vermeiden  kann.  Bei 
bestehender  Thrombophlebitis  des  utero-vagi- 
nalen  Plexus  ist  die  von  mir  geübte  Methode  der 
vaginalen  Venenausräumung  leistungsfähig  und 
wohl  geeignet,  die  Ligatur  der  Vena  hypogastrica 
zu  ergänzen  oder  zu  ersetzen.  Sie  wirkt  dadurch, 
daß  die  durchschnittenen  Thromben  eitrig  einschmelzen  und 
sich  gegen  die  Vagina  entleeren.  Der  Effekt  ist  ein  ähn¬ 
licher,  wie  ihn  die  Ohrenärzte  durch  Anlegung  einer  Jugu- 
larishautfistel  nach  Alexander  erzielen.  Die  Technik  der 
Operation  ist  verhältnismäßig  einfach.  Natürlich  muß  man 
sich  auskennen,  um  Arterien  und  Ureter  zu  vermeiden. 
Die  Blutung  aus  den  nicht  thrombosierten  Venen  war  in 
allen  Fällen  mit  Ausnahme  des  ersten  bedeutend,  ihrem 
Charakter  nach  unheimlich  schwammartig;  sie  ließ  sich 
aber  stets  durch  Tamponade  so  sicher  beherrschen,  daß 
nicht  ein  Tropfen  naehsickerte. 

Was  die  Indikationsstellung  anbelangt,  so  würde  ich 
empfehlen,  nicht  allzulange  zuzuwarten.  Andauernd  hohe 
Temperaturen,  Häufung  von  Schüttelfrösten,  Verschleclite- 
rung  des  Allgemeinbefindens  drängen  zur  Operation,  ob¬ 
wohl  man  auch  hier  nie  Avird  sagen  können,  daß  eine 
Patientin  ohne  Operation  verloren,  daß  also  die  Operation 
lebensrettend  war. 

Zur  Illustration  diene  die  Kurve  des  Falles  J.,  der 
wegen  täglicher  Schüttelfröste  bei  einer  Temperatur  von  41® 
zur  Operation  bestimmt  war.  Dieselbe  wurde  aus  äußeren 
Gründen  verschoben.  Vom  nächsten  Tage  an  war  die  Patien¬ 
tin  fieberfrei  und  blieb  es.  Solche  Fälle  sind  mehrfa,ch  mit¬ 
geteilt.  .Von  Herff  stammt  diesbezüglich  das  bezeichnende 
Wort:  Jeder  Schüttelfrost  kann  der  letzte  sein.  Ich  habe 
eine  Kranke  nach  mehr  als  60  Schüttelfrösten  ohne  Ope¬ 
ration  genesen  gesehen. 

Auf  sichererem  Boden  bewegen  wir  uns  bei  Betra,chtung 
der  puerperajen  Peritoni  tis  und  ihre  r  operativen 
Behandlung.  Allerdings  reichen  die  ersten  Anfänge  einer 
solchen  weit  zurück.  Abgesackte,  peritoni  tis  che  Exsudate, 
jedenfalls  auch  solche  puerperalen  Ursprunges,  sind  schon 
von  altersher  operiert,  seit  Recamier  (in  der  ersten  Hälfte 
des  vorigen  Jahrhunderts)  sogar  auf  vaginalem  Wege  er¬ 
öffnet  worden.  Die  Operation  der  diffusen  septischen  Peri¬ 
tonitis  implicite  der  puerperalen  gehört  allerdings  der 
neueren  Zeit  an.  Als  einer  der  allerersten  berichtet  ein  Ge¬ 
burtshelfer,  nämlich  Schröder,  im  Jahre  1879  über  fünf 
dureb.  Laparotomie  behandelte  Fälle,  darunter  eine  puer¬ 
perale  Peritonitis,  die  alle  starben.  Seither  hat  man  noch 
oft  versucht,  der  puerperalen  Peritonitis  durch  Operation 
Herr  zu  werden  —  mit  seltenen  Ausnahmen  bis  jn  die 
jüngste  Zeit  ohne  Erfolg. 

Es  blieb  Bumm  Vorbehalten,  als  erster  über  eine 
Serie  von  fünf  geheilten  Fällen,  vor  allem  über  Heilung 
eines  bakteriologisch  sichergestellten  Falles  von  puerperaler 
Streptokokkenireritonitis  durch  Laparotomie,  Spülung  und 
Drainage,  im  Jahre  1905  zu  berichten. 

Eine  größere  Reihe  von  zum  Teil  erfolgreich  operier¬ 
ten  Fällen  von  Peritonitis  —  fünf  freie  und  fünf  abgosackte 
—  liegt  auch  einer  Arbeit  von  Leopold  aus  dem  Jahre  1906 
zugrunde.  Ich  habe  im  Jahre  1905  an  dieser  Stelle  meinen 
ersten,  durch  Operation  geheilten  Fäll  von  diffuser,  puer¬ 
peraler  Peritonitis  vorstellen  können. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Erfolge 
der  Chirurgen  auf  dem  Gebiete  der  vom  Appendix  aus¬ 
gehenden  Peritonitis  dafür  maßgebend  waren,  daß  sich  auch 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907."" 


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die  Gynäkologen  wieder  mehr  der  Frage  der  puerperalen 
Peritonitis  zugewandt  haben.  Es  ist  dies  um  so  mehr  zu 
begrüßen,  ajs  die  Peritonitis  in  der  Pathologie  des  Puerporal- 
prozesses  einen  hervorragenden  Platz  einnimmt.  Ich  komme 
liier  auf  mein  eigenes  Material  zurück.  Von  470  Puer- 
peralprozesson  waren  88  an  Peritonitis  erkrankt, 
also  fast  ein  Fünftel,  und  bei  112  Verstorbenen 
bestand  ÖGinal  Peritoni  tis,  also  in  der  Hälfte  aller 
zur  Sektion  gekommenen  Fälle.  Operiert  habe 
ich  55  Fälle  von  Peritonitis  u.  zw.  28  freie  und 
27  ab  gesackte. 

Letztere  geben  naturgemäß  eine  bessere  Prognose.  Es 
wurden  23  Wöchnerinnen  geheilt;  vier  starben  u.  zw.  eine 
an  puerperaler  Sepsis  infolge  von  Metrophlebitis  und  drei 
an  allgemeiner  Peritonitis,  die  keinesfalls  durch  den  Ein¬ 
griff  veranlaßt  war.  Die  Operation  der  Wahl  war  die  vagi¬ 
nale  Inzision  und  Drainage;  doch  wurde  je  nach  der  Sach¬ 
lage  auch  vom  Bauche  aus  operiert.  Nach  dem  Eingriffe 
trat  in  der  Regel  rasche  Entfieberung  ein. 

Ganz  anders  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  bei  den 
Fällen,  von  diffuser,  puerperaler  Peritonitis.  Von  28  ope¬ 
rierten  Wöchnerinnen  starben  19  und  konnten  nur  neun 
gerettet  werden  (darunter  allerdings  die  Mehrzahl  Strepto¬ 
kokkenfälle).  •  Hier  ist  der  Ausdruck  gerettet  wohl  am 
Platze, '  denn  die  diffuse  Peritonitis  im  Wochenbette  be¬ 
deutet  fast  stets  ein  Todesurteil. 

Als  Operationsmethode  kam  anfangs  einige  Male  die 
Colpotomia  posterior  zur  Ausführung;  stets  mit  tödlichem 
Ausgange.  Die  Operation  der  Wahl  war  später  immer  die 
Laparotomie  mit  Kochsalzauswaschung  und  Drainage. 

Bezeichnend  für  die  Entwicklung  der  Peritoni tisopera- 
tion,  vor  allem  aber  ihrer  Indikationsstellung  ist  die  Ver¬ 
teilung  der  Fälle  auf  die  einzelnen  Jahre.  Es  kamen  zur 
Operation :  Im  Jahre  1903  zwei  Fälle  (beide  gestorben) ; 
im  Jahre  1904  vier  Fälle  (alle  gestorben) ;  im  Jahre  1905 
sieben  Fälle  (drei  geheilt);  im  Jahre  1906  dreizehn  Fälle 
(fünf  geheilt)  und  zu  Beginn  des  Jahres  1907  zwei,  Falle 
(einer  geheilt). 

Es  kommen  also  immer  mehr  Fälle  zur  Operation, 
nicht  weil  mehr  aufgenommen  werden,  sondern  weil  wir 
die  Peritonitis  besser,  d.  h.  früher  zu  diagnostizieren  ge¬ 
lernt  haben,  bevor  sie  sich  zum  Schulfall  entwickelt  hat;  denn 
dann  ist  es  gewöhnlich  zur  Operation  zu  spät.  Die  In¬ 
dikation  ist  jetzt  eine  vollkommen  klare.  Jede 
Peritonitis  mit  annähernd  regelmäßigem,  wenn 
auch  hoch  frequentem  Puls  wird  sofort  operiert. 
Das  Vorgehen  ist  genau  wie  bei  einer  geplatzten  Extra¬ 
uteringravidität.  Wird  eine  PeritonitiiS  eingeliefert,  so  wird 
sie,  wenn  es  das  Allgemeinbefinden  erlaubt,  in  nächster 
Stunde  —  ob  Tag  oder  Nacht  —  operiert.  Nach  dem  Trans¬ 
porte  befinden  sich  die  Kranken  allerdings  oft  in  kolla¬ 
biertem  Zustande,  der  erst  durch  Analeptika  und  Kochsalz¬ 
infusionen  überwunden  werden  muß,  bevor  man  zur  Ope¬ 
ration  schreitet.  Als  Beispiel  demonstriere  ich  Ihnen  die 
Kurve  der  Patientin  Z.,  die  elf  Tage  post  partum,  anderthalh 
Tage  nach  Einsetzen  der  ersten  Peritonitissymptome  ein¬ 
geliefert  wurde.  Um  V23  Uhr  nachmittags  bei  der  Aufnahme : 
Temperatur  39®,  Puls  150,  fadenförmig,  Pat.  so  blaß  wie 
eine  ausgeblutete  Extrauteringravidität,  macht  den  Eindruck 
einer  Moribunden.  Um  Vsö  Uhr  nach  Kampfer,  Digalen, 
Kochsalz,  Puls  136,  von  etwas  besserer  Qualität.  Laparotomie 
ohne  Narkose.  Puls  .nach  der  Operation  120,  am  zweiten 
Tage  nachher  90.  Glatte  Genesung. 

Bei  aussetzendem  Puls  ist  es  besser  zuzuwarten.  Die 
Fälle  sterben  zwar  fast  durchweg,  hie  und  da  kommt  es  aber 
doch  noch  zur  Abkapselung  und  die  Kranken  erholen  sich, 
während  die  soforlige  Operation  bei  desolatem  Zustand  des 
Herzens  nicht  ertragen  wird.  Hier  entscheidet  die  persön¬ 
liche  Erfahrung. 

Die  Fälle  mit  langsamerem  Verlauf,  sowie  Fälle,  die 
längere  Zeit  post  partum  oder  abortum  erkrankt  sind,  geben 
im  allgemeinen  eine  bessere  Prognose.  Das  ist  bekannt 
und  drückt  sich  in  der  Tatsache  aus,  daß  meine  operierten 


28  Fälle  0  bis  30  Tage,  durchschnittlich  10  Tage  post  i;)artum 
erkrankten,  während  dieselbe  Durchschnittszahl  für  die  ge¬ 
heilten  Fälle  17,  für  die  27  Fälle  von  ahgesackter  Peritonitis 
gar  23  beträgt;  das  heißt,  je  später  post  partum  eine  Wöch¬ 
nerin  an  Peritonitis  erkrankt,  desto  besser  ist  sie  daran. 

Im  speziellen  Falle  ist  die  Prognose  direkt  abhängig  vom 
Zustand  des  Herzens,  indirekt  vom  Grade  der  Darmlähniung 
und  von  der  Schwere  der  übrigen  puerperalen  Prozesse. 
Meteorismus,  schwere  Endometritis  sind  fatale  Komplika¬ 
tionen.  Alle  meine  Versuche,  in  solchen  Fällen,  durch  En- 
terostomie,  bzw.  Uterusexstirpation  zu  helfen,  *sind  bisher 
gescheitert.  Meine  neun  Enterostomien  bei  puerperaler  Peri¬ 
tonitis  sind  alle  gestorben.  Das  mag  wohl  darauf  beruhen, 
daß  die  Darmlähmung  hier  durch  die  gleichzeitige  uterine 
Sepsis  besonders  intensiv  ist  und  daß  die  Erschlaffung  der 
Bauchdecken  im  Wochenbett  besonders  zu  Meteorismus  dis¬ 
poniert.  !  .  ' 

Die  Diagnose  der  puerperalen  Peritonitis  weist  einige 
Besonderheiten  auf,  die  sie  gelegentlich  zu  einer  schwierigen 
machen.  Temperatur,  Pulsfrequenz  und  Leukozytenzahl 
pflegen  schon  infolge  der  puerperalen  Infektion  erhöht  zu 
sein;  die  reflektorische  Baiichdeckenspannung,  die  für  die 
Diagnose  der  vom  Darm  ausgehenden  Peritonitis  von'  aus¬ 
schlaggebender  Bedeutung  ist,  fehlt  oft  —  doch  keineswegs 
immer,  wie  dies  Barth  behauptet;  Erbrechen  und  Druck¬ 
empfindlichkeit  pflegen  allerdings  selten  zu  fehlen.  Erbricht 
eine  Kranke  mit  Puerperalprozeß,  ohne  daß  hiefür  eine 
andere  plausible  Ursache  zu  finden  ist,  so  denke  man  nicht 
nur  an  Peritonitis,  sondern  bereite  gleich  die  Operation  vor. 

Die  Diagnose  der  abgesackten  Peritonitis  im  Wochen¬ 
bett  ist  gewöhnlich  leicht.  Sie  erfordert  ganz  besondere 
Beachtung,  weil  sich  nicht  allzu  selten  an  ganz  kleine  ab- 
gekapselte  Eiterherde  im  kleinen  Becken,  besonders  in  der 
Umgebung  der  Adnexe,  diffuse  Peritonitis  anschließt.  Jede 
derartige  Exsudation  verlangt  sofortige  Operation  vom  hin¬ 
teren  Scheidengewölbe  aus,  eine  Förderung,  die  zum  Teil 
schon  von  Jakobs,  Pryor  und  Leopold  entschieden  er¬ 
hoben  wurde. 

Die  Technik  der  Laparotomie  bei  puerperaler  Peritonitis 
ist  die  der  diffusen,  eitrigen  Peritonitis  überhaupt.  Man 
trachtet,  den,  Eiter  möglichst  vollständig  zu  entleeren  und 
sein  Wiederansammeln  zu  verhindern.  Zur  Erfüllung  des 
ersten  Zweckes  genügt  es  nicht,  nur  die  Bauchhöhle  zu 
eröffnen  und  mit  Kochsalzlösung  zu  spülen;  man  muß  mit 
der  Hand  bis  zur  Leber  und  Milz  Vordringen,  um  .eventuelle 
Verklebungen  zu  lösen,  hinter  welchen  große  Mengen  von 
Flüssigkeit  verborgen  sein  können.  Dapn  machen  wir 
von  ausgiebigen  Kochsalzspüluiigen  Gebrauch.  Das  Wieder¬ 
ansammeln  des  Eiters  verhindern  wir  durch  sogenannte 
Drainage.  Ich  sage  ,, sogenannte“,  weil  ich  an  die  Möglich¬ 
keit,  die  freie  Bauchhöhle  durch  Gummi,  Glas  oder  Gaze 
zu  drainieren,  nicht  glaube.  Wohl  aber  machen  wir  aus¬ 
giebigen  Gebrauch  von  der  Eigenschaft  des  Peritoneums, 
in  der  Umgebung  der  eingeführten  Gaze  zu  verkleben.  Wir 
benützen  diese  Eigenschaft,  um  nicht  nur  den  Douglas- 
schen  Raum  (was  ja  seit  langem  geschieht)  sondern  auch 
die  beiden  Lendengruben  von  der  übrigen  Bauchhöhle  aus¬ 
zuschalten.  In  die  Lendengruben,  die  eine  Hauptsammel¬ 
stelle  des  Eiters  sind,  wird  Gaze  und  ein  Drain  bis  zur 
Leber,  resp.  zur  Milz  eingeführt;  das'  Drain,  damit  nach 
Entfernung  der  Gaze  die  abgekapselte  Höhle  drainiert  bleibe. 
Ich  verdanke  diesem  Verfahren  nicht  nur  gute  Heilerfolge, 
sondern  konnte  auch  bei  Seklionen  konstatieren,  daß  die 
Peritonitis  im  Ausheilen  begriffen  war  und  daß  alle  Buchten 
und  Nischen  ganz  trocken  lagen. 

Ich  halte  ührigens  die  Technik  der  Peritonitisoperation 
nicht  für  abgeschlossen,  auch  nicht  für  den  wichtigsten  Teil 
der  Frage.  Entscheidend  für  den  Erfolg  sind  Früh- 
diagnose  und  sofortige  Operation.  Es  scheint  mir 
bei  allgemeiner  Durchführung  dieser  Prinzipien  nicht  aus¬ 
geschlossen,  daß  die  Erfolge  der  Geburtshelfer  im  Kampfe 
gegen  die  puerperale  Peritonitis  sich  denen  der  Chirurgen 
bei  Perforationsperitonitis  einmal  nähern  werden. 


500 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCIIIUET.  1907. 


Nr.  19 


Olj  eine  Ausdehnung  der  oi)erailiven  Tätigkeit  bei  Endo¬ 
metritis  und  Metrophlebitis  geeignet  ist,  die  Mortalität  des 
Wochejibettt'ieljers  wesentlich  herabzudrücken,  darüber  wird 
erst  die  Arbeit  künftiger  Jaliro  Aufschluß'  geben  können. 
Docli  würde  schon  die  sichere  Abgrenzung  der  Indikationen 
der  Itadikaloperation  und  der  Venenunterbindung  oder  -aus- 
räuinung  gegen  die  konservativen  Behandlungsmethoden  des 
Puerperalprozesses  einen  erheblichen  Fortschritt  bedeuten. 


Aus  dem  hygienischen  Institute  der  k.  k.  Universität  Wien. 

Ueber  die  Spezifität  des  Kotes  und  die  U.iter- 
scheidung  verschiedener  Kotarten  auf  biologi¬ 
schem  Wege. 

Von  Dr.  Ernst  Brezina. 

Die  Sekrete  und  Exkrete  des  Tierkörpers  waren  hin- 
sichtlicb  ihres  Antigengehaltes  bisher  lange  nicht  so  häufig 
Gegenstand  der  Untersnchimg,  als  das  Blut  und  die  zelligen 
(h'gane.  Wenn  man  von  dem  im  wesentlichen  aus  zelligen 
Elementen  bestehenden  Sperma  absieht,  wurde  bisher  nur 
die  Milch  aus  praktischen  Gründen  eines  eingehenden  Stu¬ 
diums  in  dieser  Richtung  gewürdigt. 

Im  Harn  wurden  zuerst  von  Sc  hatte  nf  roh, 
dann  von  Ruffer  und  Crendiropoulus^)  lysogene 
und  agglutinogene  Stoffe  für  rote  Blutkörperchen 
nachgewiesen,  ihre  Herkunft  wurde  aber  bisher  noch 
nicht  näher  verfolgt.  Präzipitogen  wirkt  der  Harn, 
wenn  er  eiweißhältig  ist,  nach  Leclainche  und 
Valle,®)  Mertens,^)  Zülzer,®)  Dieudonne®)  und 
Schütze’');  nach  L  a n  d  s  t  e  i  n  e  r  und  v.  E  i  s  1  e  r  ®)  auch  nor¬ 
maler,  also  praktisch  als  eiweißfrei  geltender  Harn.  Michae¬ 
lis  und  FTeis  chmann®)  dagegen  erzielten  durch  Harn- 
iiijcktionen  kein  präzipitierendes  Serum.  Ueber  d_as  wechsel¬ 
seitige  Verhalien  der  Blut-  und  Blutserum-Seren  und  der 
homologen  Harnseren  lauten  die  Angaben  der  genannten 
Autoren  verschieden.  Während  einige  ans  der  älinlichen 
Wirkung  des  Vollblut-  (Mertens,  Zülzer)  oder  des  Serum- 
serums  (Dieudonne)  auf  Serum  und  Harn  des  homologen 
Organismus  den  Schluß  p,bleiten,  daß  Harn-  und  Blut-,  be¬ 
ziehungsweise  Serumeiweiß  vollkommen  oder  wenigstens 
teilweise  identisch  seien,  bleibt  nach  Leclainche  und 
Valle,  sowie  nach  Landsteiner  und  v.  Eisler  beim 
Versetzen  von  Blutserum  mit  homologem  Hariiimmun- 
seruni  ,die  Präzipitatbildung  ganz  oder  fast  ganz  aus.  Letztere 
Autoren  nehmen  daher  an,  daß  das  Harnpräzipitogen  nicht 
aus  dem  Blutserum  des  betreffenden  Organismus  stammt. 

Bei  einigen  der  genannten  Forscher  finden  sich  auch 
Angaben  über  eine  ähnliche  Präzipitogenwirkung  patholo- 
scher  Transsudate,  ferner  bei  Bioridi^®)  über  Niederschlags¬ 
bildung  beim  Versetzen  einer  Reihe  der  verschiedensten 
Körperflüssigkeiten  mit  einem  durch  Injektion  homo¬ 
logen  Blutserums  hergestellten  Immunserum.  Deut¬ 
lich  positiv  reagierten  mit  diesem:  Eiweißharn,  Speichel, 
Tränen,  Nasenschleim,  Schweiß,  vaginales  Sekret.  Exkre¬ 
mente  gaben  dagegen  nur  eine  schwache  Trübung. 

Eine  besondere  Stellung  nimmt  der  Darminhalt  ein, 
interessant,  weil  er  durch  die  Nahrung  verschiedene  Arten 
fremder  Eiweißkörper  enthält,  miderseits  aber  ihm  in  Form 
der  Verdauungssäfte  arteigene  Eiweißkörper  zugeführt 
werden,  welche  als  Sekretionsprodukte  der  Verdauungs¬ 
drüsen  hinsichtlich  ihres  Antigengehaltes  mit  dem  Blutserum 
zunächst  nicht  ohne  weiteres  zu  identifizieren  sind. 

Daß  das  N a h r  u  n  g s e  i  w e  i  ß  i in  V e  r  d a u u  n  g s  tr  a k  t 
II.  zw.  schon  im  Magen,  seines  Artcharakters  ent¬ 
kleidet  wird,  wurde  bald  bekannt  und  ist  von  Hani- 
hiirger,^^)  Haml)urger  und  Sperk,^^)  Jakusche- 
witsch^®)  u.  a.  nachgewiesen  worden,  während  das  Auf¬ 
finden  von  Nahrimgseiweiß  im  Milchbrustgang,  im  Blute 
Oller  gar  im  Nephritisharn  nur  in  Ausnahmsfällen  gelang 
(A  scol  i,^'^)  iMoro,^®)  Bauer.^®)  Bei  den  zwei  letztgenann¬ 
ten  Aulori'ii  helrafen  die  Befunde  atrophische  Säuglinge, 
also  Kinder  mit  minderwertigem  Verdauungstrakte. 


Oh  der  Abhau  des  Nahrungseiweißes  durch  die  Pepsin- 
und  Trypsinverdauung  bloß  so  weit  geht,  daß  dieses  seinen 
Artcharakter  verliert,  ohne  deshalb  die  Fähigkeit  der  Anti- 
körperhildung  überhaupt  einzubüßen,  oder  ob  auch  dieses  der 
Fall  ist,  darüber  sind  die  Meinungen  geteilt.  Mi cliae  1  i s,’’^) 
Michaelis  und  Oppenheimer,^®)  Oppenheimer^®) 
konnten  weder  mit  peptischen,  noch  mit  tryptischen  Spal¬ 
tungsprodukten  Antikörperbildung  hervorrufen,  Obermayr 
und  Pick“®)  mit  peptischen  nicht,  wolil  aber  mit  trypti¬ 
schen  (gerichtet  gegen  diese  selbst,  nicht  aber  gegen  das 
entsprechende  native  Eiweiß).  Nach  P.  Th.  Müller“^)  ge¬ 
lingt  die  Immunisierung  mit  peptischen  oder  tryptischen 
Spaltungsprodukten  des  Kaseins  nicht. 

Daß  auch  die  unresorbiert  bleibenden,  in 
den  Fäzes  enthaltenen  Reste  des  Nahrungs¬ 
eiweißes  ihren  Artcharakter  nicht  bei  behalten, 
hat  Knöpflmacher“^)  an  dem  Kote  mit  Kuhmilch  er¬ 
nährter  Kinder  naclige wiesen.  Beim  Versetzen  des  Kot¬ 
extraktes  mit  Laktoserum  trat  ein  Niederschlag 
nicht  auf.  Wie  Passini^®)  im  hiesigen  Institute  nach¬ 
gewiesen  hat,  vermag  ein  regelmäßiger  Bewohner  unseres 
Dickdarnis,  Bacillus  putrificus  (Biens t o ck),  durch  sein 
Wachstum  in  Alilcli  das  Alilcheiweiß  derarlig  ahzubauen, 
daß  dieser  nach  einiger  Zeit  die  Antigenwirkung  ver¬ 
loren  geht. 

Den  äußeren  Anläße  zu  den  voiTiegenden  Untersuchungen 
bot  die  Anfrage  eines  Lederfabrikanten,  ob  es  möglich  sei, 
Beimengungen  fremden  Kotes  zu  Hundekot  zu 
erkennen.  Als  Beize  heim  Gerben  gewisser  feiner  Leder¬ 
sorten  wird,  wie  bekannt,  Hundekot  verwendet,  und  auf 
eine  Verfälschung  dieser  Substanz  mit  anderem  Kot,  wahr- 
scheinlicli  Schweinokot,  glaubte  jener  Industrielle  die 
Sebädigung  einer  Partie  Leder  in  seinem  Betriebe  zurück¬ 
führen  zu  müssen. 

Nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  über  den  Nach¬ 
weis  der  Artzugehörigkeit  tierischer  Substanzen  auf  biolo¬ 
gischem  Wege  mußte  es  aussichtsreich  erscheinen,  die  Her¬ 
kunft  von  Kot  in  dieser  Weise  zu  bestimmen.  Reste  biolo¬ 
gisch  reaktionsfähigen  Nahrungseiweißes,  welche  einen  der¬ 
artigen  Nachweis  erschweren  könnten,  waren  nach  den  oben 
genannten  Untersuchungen  im  Kote  nicht  zu  erwarten,  da¬ 
gegen  war  es  wahrscheinlich,  daß  der  Kot  durch  seinen 
Gehalt  an  Verdauungssäften  unabgebaute  artspezifische 
Eiweißkörijer  enthielt.  Weniger  Sicherheit  bestand  bezüglich 
des  einzuschlagenden  Weges.  Wenn  die  spezifisch  reagie- 
renden  Stoffe  des  Kotes  von  denen  des  Blutserums  nicht 
oder  nur  wenig  verschieden  waren,  sO'  konnte  die  Identifi¬ 
zierung  des  Kotes  am  einfachsten  in  der  Weise  gelingen, 
daß  man  d  u  r  c  h  B 1  u  t  s  e  r  u  m  i  n  j  e  k  t  i  o  n  e  n  h  e  r  g  e  s  t  e  1 1 1  e 
Ininiunseren  auf  Kotextrakt  einwirken  ließ  und 
die  Bildung  von  Präzipitaten  beobachtete.  Bestanden  jedoch 
zwischen  Verdauungssekret  und  Blutscrun  ö- -selben  Tieres 
binsicbtlich  ihrer  Wirkung  als  Antigen  grö  e  Differen¬ 
zen,  so  war  dieser  Weg  nicht  gangbar  und  man  mußte  den 
technisch  schwierigeren  und  langwierigeren  Weg  gehen  und 
Tiere  mit  Kotextrakt  selbst  immunisieren.  Da 
die  letztere  Möglichkeit  a  priori  nicht  ausgeschlossen  werden 
konnte,  u.  a.  auch  auf  Grund  des  oben  erwähnten  Versuches 
von  Bi  o  n  di,  begann  ich  die  Versuche  gleich  in  doppelter 
Weise.  I ch  behandelte  Kaninchen  mit  H  u  n  d  e  s  e  r  u  m  und 
anderseits  solche  mit  Extrakten  von  Hunde  ko  t. 

Die  Herstellung  des  Extraktes  erfolgte  in  nachstehender 
W eise :  Der  Kot  wurde  niit  der  sechs-  bis  achtfachen  Menge 
physiologischer  Kochsalzlösung  gründlich  verrieben,  die 
Mischung  über  Nacht  stehen  gelassen,  dann  zentri¬ 
fugiert  und  durch  Päpierfalten filter,  hierauf  durch  Berke- 
felilfilter  geschickt.  Die  in  dieser  Weise  erhaltene, 
dunkelgelbe,  klare  Flüssigkeit  war  sehr  arm  an  Eiwei߬ 
körpern.  Die  nach  dem  Ansäuern  durch  Zusatz  von 
Terrocyankaliumlösung  auftrei  ide  Trübung  war  nicht 
stärker  als  jene,  welche  bei  der  gleichen  Probe  in 
etwa  SOOfach  verdünntem  Hundeserum  auftrat.  —  Bei 
den  innigen  Beziehungen  zwischen  Antigen  und  Eiweiß  war 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


demnach  zu  vermuten,  daß  auch  der  Antigengelialt  des  Ex¬ 
traktes  ein  sehr  geringer  sein  werde.  Die  Lösung  wurde 
daher  im  Vakuumexsikkator  durch  Schwefelsäure  und 
Dhosphorpentoxyd  auf  den  dritten  bis  sechsten  Teil  ihres 
ursprünglichen  Volumensl  eingeengt  und  von  der  so  erhaltenen 
dunkelbraunen  Flüssigkeit  wurden  anfangs  5  bis  6  cnF,  später 
bis  zu  20  cnF  subkutan  injiziert,  nachdem  sich  gleich  an¬ 
fangs  gezeigt  hatte,  daß  die  Tiere  intravenöse  Injektionen 
—  auch  in  geringerer  Menge  —  schlecht  vertrugen. 

Von  dem  Hunde  serum  genügten  drei  Injektionen 
bei  Kaninchen,  um  ein  so  weit  wirksames  Immunserum 
herzuslellen,  daß  heim  Mischen  der  beiden  Flüssigkeiten 
in  den  für  die  Reaktion  günstigsten  Mengenverhältnissen 
sofort  in  der  Kälte  e i n  rei chli ch e r  Ni e d ers ch  1  a g 
auf  trat.  Wurde  das  Immunserum  mit  Kotextrakt  vom 
Hunde  (verschiedene  Mengen)  versetzt,  so  trat  erst  nach 
zweistündigem  Aufentlialt  hei  37°  C  eine  leichte  Trü¬ 
bung  auf,  die  sich  am  folgenden  Morgen  in  Form  eines 
feinsten  Flöckchens  zu  Boden  setzte.  Das  Sem  in- Immun¬ 
serum  erschien  demnach  wenig  geeignet,  um  Re¬ 
aktionen  mit  Kotextrakten  herzustellen. 

Ein  reziprokes  Verhalten  zeigte  das  Serum  der 
mit  Hundeko  textrakt  behandelten  Kaninchen. 

Nach  viermaliger  Injektion  dieses  Extraktes  be¬ 
wirkte  ein  derart  gewonnenes  Serum,  in  der  Menge  von  0-5  cnF 
mit  Kotextrakt  versetzt,  deutliche  Trübung  nach  15  Mi¬ 
nuten;  am  folgenden  Tage  hatte  sich  bei  Zusatz  einer  ge¬ 
nügenden  Menge  Kot  ein  zwar  nicht  reichlicher,  doch 
deutlicher,  flockiger  Niederschlag  gebildet.  Mit 
normalem  Hundeserum  versetzt,  blieb  dieses  Extrakt¬ 
immunserum  entweder  dauernd  völlig  klar,  oder  es  bildete 
sich  eine  kaum  merkliche  Trübung. 

Nach  diesen  Vorversuchen  schien  es  demnach  mög¬ 
lich,  mittels  Injektionen  von  Hundekotextrakt  bei  Kaninchen 
ein  wirksames  Immunserum  lierzustellen. 

Obwohl  es  nach  den  früheren,  zum  Teil  oben  zitierten 
Versuchen  nahezu  sicher  war,  daß)  die  mit  der  Nahrung  aufge- 
nommenen,  der  Verdauung  entgangenen  Eiweißkörper  im  Kote 
nicht  mehr  in  einer  Modifikation  Vorkommen,  in  der  sie  zur 
Bildung  ihnen  homologer,  die  Hauptreaktion  störender 
Antikörper  führen  könnten,  wurden  vorsichtshalber  ver¬ 
schiedene  Kaninchen  mit  dem  Extrakte  von  Kotportionen 
behandelt,  welche  ein  Hund  nach  verschiedenarliger  Er¬ 
nährung  geliefert  hatte,  u.  zw.  erhielt  der  Hund :  a)  vege¬ 
tabilische  Kost,  b)  gemischte  Kost,  c)  rohes  Rindfleisch 
in  übermäßiger  Menge  (ca.  5°/o  seines  Körpergewichtes  pro 
Tag).  Bei  Nahrung  a)  kamen  demnach  andere  tierische 
Eiweißkörper  als  die  vorn  Hunde  stammenden  überhaupt 
nicht  in  Betracht. 

In  allen  drei  Fällen  lieferten  die  Kaninchen  ungefähr 
gleich  stark  ide  Immuuseren,  gleich  stark  reagierend 

auf  alle  drei  von  Hundekot.  Sämtliche  Immim seren 

blieben  o h ne  W i r k u n g  auf  Schweine-,  P f e r d e-, 
Affen-,  Menschen-  und  Rinderkot,  .besonders  hervor¬ 
zuheben  wäre  namentlich,  daß  letzterer  mit  Immimserum  c) 
durchaus  nicht  reagierte.  Es  wurde  daher  später  auf  die 
Verwendung  eines  von  speziell  ausgewählter  Nahrung  stam¬ 
menden  Kotes  verzichtet  und  die  Kaninchen  mit  Extrakt  von 
beliebigem  Hundekot  weiter  behandelt.  Auch  das  Serum 
eines  mit  Rindfleischextrakt  hehandelten  Kaninchens,  mit 
diesem  stark  (sowie  auch  in  geringerem  Grade  mit  Rinder¬ 
kot)  positiv  reagierend,  blieb  völlig  wirkungslos  auf  Hunde¬ 
ko  textrakt  c). 

Um  die  Artspezifität  des  Kotextraklserums  weiter  zu 
prüfen,  wurden  Proben  desselben  mit  den  nach  gleichem 
Verfahren  gewonnenen  Auszügen  des  Kotes  derjenigen 
Tiere  versetzt,  welche  in  der  Tierreihe  dem  Hunde  am 
nächsten  stehen,  also  des  Wolfes,  des  Fuchses,  des 
Schakals,  weiterhin  der  Hyt"  ^e.  Der  Kot  des  Wolfes  erwies 
sich  als  kaum  zu  unterscheiden  von  dem  des  Hundes.  Auch 
durch  wiederholte  Ausfällung  des  Serums  mit  WoJfkotextrakt 
und  nachfolgendem  Zusatz  von  Hundekotauszug  gelang  die 


Unterscheidung  der  beiden  Kotarten  nur  undeutlich.  Schwä¬ 
cher  schon  reagierte  das  Immunserum  mit  Fuchskotexlrakt, 
kaum  mit  dem  Kote  des  Schakals,  gar  nicht  mit  dem  der 
Hyäne,  kür  die  Reaktion  mit  Fuchskotextrakt  wäre  beson¬ 
ders  zu  bemerken,  daß  die  dem  Optimum  entsprechende 
Niederschlagsmenge  zwar  nur  wenig  geringer  war  als  die 
bei  Hunde-  und  Wolfskot  auftretende;  wurde  jedoch  diese 
Menge  nur  um.  das  Doppelte  überschritten,  so  trat  rasch 
eine  Minderung  des  Niederschlages  —  anscheinend  durch 
spezifische  Lösung  (Dehne^^l  —  ein,  während  vom  Hunde- 
Lind  WoF  kotauszug  ein  größerer  Ueberschuß,  nötig  war, 
um  diese  Erscheinung  hervorzurufen. 

Es  sei  noch  bemerkt,  daß'  es  auch  durch  Vermehrung 
der  Injektionen  bisher  nicht  gelang,  hochwertige  Seren  her¬ 
zustellen,  wie  dies  bei  Injektion  von  Blutserum,  Milch  usw. 
möglich  ist.  Geringere  Mengen  als  0-04  cnF  Serum  gaben 
niemals  eine  deutliche^ Trübung.  Bei  Anwendung  von  0-5  cnF 
des  höchstwertigen  meiner  Immunseren  und  Zusatz  der 
optimalen  Menge  des  homologen  Extraktes  (l-o  bis  2  cm°) 
wurde  ein  Niederschlag  von  V40  ciiF  Volum  (nach  kurz¬ 
dauerndem  Zentrifugieren)  erzielt. 

Das  oben  erwähnte,  zur  Prüfung  eiugesandte  Leder¬ 
beizmaterial,  in  gleicher  Weise  wie  der  Kot  behandelt, 
gab,  in  verschiedenen  Verhälluissen  mit  dem  Immunserum 
gemischt,  eine  um  vieles  schwächere,  jedoch  deut¬ 
liche  Reaktion.  Da  es  natürlich  ausgeschlossen  war,  daß 
das  Untersuchungsmaterial  etwa  Wolfs-  oder  Fuchskot  eut- 
halte,  so  war  damit  bewiesen,  daß  es  zwar  Hundekot  ent¬ 
hielt,  doch  wahrscheinlich  nicht  solchen  allein.  Um  über 
diesen  Punkt  genaueren  Aufschluß  zu  bekommen,  wurde 
in  einer  Menge  von  5  cm^  Hundekotextrakt,  sowie  in  einer 
gleichen  Menge  des  Extraktes  aus  dem  fraglichen  Kote  der 
Glühverlust  bestimmt  und  die  Differenz  zwischen  den  beiden 
Extrakten  durch  Verdünnen  der  konzentrierten  Lösung  mit 
physiologischer  Kochsalzlösung  ausgeglichen.  Bestand  nun 
das  genannte  Material  lediglich  aus  Hundekot,  so  mußten 
jetzt  gleiche  Mengen  des  Extraktes  aus  diesem  und  aus- 
sicherem  Hundekot,  mit  gleichen  Mengen  des  Immunserums 
versetzt,  annähernd  gleich  starke  Fällungen  ergeben.  Es 
wurden  zwei  Reihen  von  jo  fünf  Röhrchen  in  den  Versuch 
gestellt,  alle  erhielten  0-3  cm^  Immunserum,  die  erste 
Reihe  aufiierdem  auf  die  Hälfte  des  ursprünglichen  Volums 
eingeengten  Himdekotextrakt  u.  zw.  steigend  von  Röhrchen 
zu  Röhrchen:  003,  0  1,  0-6,  1,  2  cnF,  die  andere  Reihe 
erhielt  den  Auszug  aus  dem  Beizmaterialo  in  gleichen  stei¬ 
genden  Mengen  (berechnet  auf  Glühverlust).  Das  Volum 
des  ge])ildeten  Niederschlages  betrug  in  der  ersten  Reihe 
(Hundekot)  10,  1-5,  2-0,  2-0,  1-5,  in  der  zweiten  Reihe 
(zu  bestimmender  Kot)  00,  0-5,  1  0,  2-0,  20  Teilstriche 
(1  =  ^/lo  cm^).  Daß  das  fragliche  Material  Hundekot 
enthält,  konnte  auch  aus  diesem  Versuche  mit  Sicherheit 
geschlossen  werden,  doch  dürfte  dieser  nur  einen  Teil,  etwa 
ein  Drittel  seiner  Gesamtmenge  ausmachen  und  sonst  aus 
einer  anderen  Kotart  oder  aus  mehreren  solchen  bestehen. 
Zusatz  eines  fremden  Extraktes  zu  der  Mischung  Immun¬ 
serum-homologer  Extrakt  wirkt  in  keiner  Weise  störend 
auf  den  Ablauf  der  Reaktion,  wie  ich  in  mehreren  Versuchen 
feststellen  konnte. 

Da  das  fragliche  Beizmittel  angeblich  durch  Schweine¬ 
kot  verfälscht  sein  sollte,  trachtele  ich,  ein  spezifisches 
Schweinekotimmunserum  lierzustellen.  Doch  sind  die  be¬ 
treffenden  Versuche  liisher  zu  einem  definitivem  Abschlüsse 
noch  nicht  gelangt. 

Die  günstigen  Resultate  der  Versuche  mit  Hundekot 
ließen  es  aussichtsreich  erscheinen,  auch  die  Identifi¬ 
zierung  anderer  K  o  t  a  r  t  e  n  auf  d iesem  Wege  vorzu¬ 
nehmen.-  Praktisch  wichtig  erschien  es  hauptsächlich,  den 
Nachweis  von  menschlichen  Fäzes  auf  diesem  Wege 
vorzimehmen,  der  uider  Umsländen  forensisch  von  Be¬ 
deutung  sein  könnte.  Die  Erkennung  des  Menschen¬ 
kotes  mittels  eines  .Serum-Immunserums  war  nach  den  oben 
erwähnten  Erfahrungen  mit  Hundeseruni-Serum  und  Hunde¬ 
kot  und  nach  den  Befunden  Biondis  nicht  mit  Sicherheit 


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JÜ^ 


zu  erwarten.  Es  wurden  daher  Kaninchen  mit  reichlichen 
i\Iengen  in  der  beschriebenen  Weise  liergestellten  Menschen¬ 
kotextraktes  behandelt.  Da  die  mit  dem  .  Blute  oder  Serum 
des  Menschen  liergestellten  Immunseren,  wie  bekannt,  auch 
mit  Affenblut  und  Affen  serum  reagieren  (und  um¬ 
gekehrt),  wurden,  um  gegen  die  daraus  sich  ergebenden 
diagnostischen  Schwierigkeiten  in  mannigfacher  Weise  ge¬ 
rüstet  zu  sein,  gleichzeitig  Kaninchen  mit  Affenkot 
behandelt. 

Die  Gewinnung  der  Immunseren  war  hier  schwie¬ 
riger  als  beim  Hundekote.  Die  Präzipitine  traten  erst  nach 
sieben  bis  acht  Injektionen  größerer  Mengen  der  Auszüge 
auf  u.  zw.  etwas  weniger  reichlich  als  dort;  ein  Kaninchen 
zeigte  sich  sogar  vollkommen  refraktär  nach  sechs  Injek¬ 
tionen  mit  Menschenkotextrakt.  In  einigen  Fällen  gelang 
es  jedoch,  Seren  zu  erzielen,  die  ziemlich  kräftig  mit 
dem  homologen  Kotextrakte  (0-5  cm^  Serum  +  1-0 
bis  1-5  Extrakt)  reagierten.  Die  Menschenseren  erwiesen 
sich  als  genügend  spezifisch  für  praktische  Zwecke, 
sie  präzipitierten  außer  dem  homologen  in  geringem  Maße 
auch  Affenkotextrakt,  ferner  spurenweise  Schweinekot,  gar 
nicht  Hunde-,  Pferde-  und  Riuderkot. 

Die  Affenseren  dagegen  fällten  in  gleichem  Maße 
Affen-  und  Menschenkot,  in  sehr  geringem  Grade  auch 
Schweinekot. 

Das  langsame  und  einmal  sogar  ganz  ausbleibendei 
Auftreten  der  Präzipitine  bei  den  so  behandelten  Kanin¬ 
chen  legte  den  Gedanken  nahe,  daß  dip  im  Menschen-  und 
Affenkote  zweifellos  vorhandenen,  spezifisch  wirksamen 
Stoffe  bei  der  Herstellung  des  Extraktes  großenteils  vom 
Filter  zurückgehalten  wurden.  Es  fehlt  nicht  an  Angaben 
in  der  Literatur,  welche  ein  derartiges  Verhalten  der  Anti¬ 
gene  wahrscheinlich  machen,  und  bei  der  so  verschiedenen 
Beschaffenheit  des  Kotes  verschiedener  Tiere  im  allge¬ 
meinen  war  es  wohl  möglich,  daß  auch  in  dieser  Richtung 
Differenzen  zwischen  Hundekot  einerseits,  Menschen-  und 
Affenkot  anderseits  bestehen,  deren  Ursache  einstweilen 
nicht  zu  ergründen  ist.  Es  wurde  daher  einigen  mit  Ex¬ 
trakt  l)ereits  vorbehandelten  Tieren  eine  möglichst 
konzentrierte  Aufschwemmung  vom  Menschen-, 
bzw.  Affenkot  injiziert,  nachdem  diese  lediglich  zentri¬ 
fugiert,  nicht  aber  filtriert,  hierauf  aber  zur  Abtötung  der 
vegetativen  Bakterienformen  mit  Chloroform  durchge¬ 
schüttelt  worden  war.  Da  die  Tiere  mit  Filtraten  bereits  vor¬ 
behandelt  waren,  bestand  die  Hoffnung,  daß  sie  gegenüber 
einer  eventuellen  Infektion  schon  immunisiert  seien.  Eine 
lokale  Reaktion  trat  nach  der  Behandlung  mit  dieser  Sub¬ 
stanz  tatsächlich  in  keinem  Fälle  auf,  doch  gingen  die 
Tiere  wenige  Tage  nach  der  ersten  oder  zweiten  Injektion 
ein.  Nur  ein  Tier  lebte  bis  zum  fünften  Tage  nach  der 
zweiten  Einspritzung,  wurde  an  diesem  Tage  in  moribundem 
Zustande  aufgefunden  und  rasch  entblutet.  Obwohl  dieses 
Tier  früher  nur  zweimal  mit  Extrakt,  also  im  ganzen  vier¬ 
mal  mit  Affenkot  behandelt  worden  war  pnd  die  Entblutung 
bereits  am  fünften  Tage  nach  der  letzten  Injektion  statt¬ 
finden  mußte,  gab  sein  Serum  einen  deutlichen  Nieder¬ 
schlag  mit  Affen-  und  Menschenkotextrakt.  Die  Ueberlegen- 
heit  dieser  IMethode  gegenüber  der  Anwendung  filtrierter 
Extrakte  ist  demnach  evident  und  überwiegt  wohl  den 
Nachteil  der  größeren  Gefährlichkeit,  auch  deshalb,  weil 
Tierverluste  bei  den  Injektionen  des  filtrierten  Extraktes 
gleichfa.lls  nicht  selten  sind.  Vielleicht  gelingt  es,  durch 
Vorbehandlung  der  antigenhaltigen  Flüssigkeit  (Fällung  etc.) 
noch  bessere  Erfolge  zu  erzielen. 

Mit  menschlichem  Plazentar  serum  gaben 
die  untersuchten  Meu  schenk otimmun seren 
keinerlei  Reaktion,  nicht  einmal  die  geringste 
T  r  ü  b  u  n  g. 

Aus  den  Versuchen  ergeben  sich  folgende  Resultate : 

1.  Es  gelingt,  durch  Injektionen  von  Kotextrakt 
(bzw.  Kotaufschwemmung)  bei  Kaninchen  Immun¬ 
seren  zu  erzeugen,  welche  spezifisch  mit  dem 


Kote  der  homologen  Tierart,  in  quantitativ  gleicher 
Weise  außerdem  höchstens  noch  mit  dem  Kote  der  nächsten 
Verwandten  in  der  Tierreiho  reagieren,  so  daß  die  Her¬ 
kunfteiner  Kotprobe  auf  diesem  Wege  praktisch 
in  den  meisten  Fällen  sicher  zu  entscheiden  ist. 

2.  Die  Nahrung  des  den  Hundekot  liefernden  Tieres 
ist  für  seine  Wirkung  als  Antigen  bedeutungslos,  der 
Kot  enthält  demnach  nur  das  arteigene  Eiweiß  in 
biologisch  reaktionsfähigem  Zustande. 

3.  Da  Kotextraktimmunseren  mit  dem  homo¬ 
logen  Blutserum,  Blutserum  immunseren  mit  dem 
homologen  Kotextrakte  nur  ganz  schwach  oder 
gar  nicht  reagieren,  ist  es  wahrscheinlidi,  daß  den 
reagierenden  Substanzen  des  Kotes  eine  andere  „Zustands¬ 
spezifität“  zukommt  als  denen  des  homologen  Blutserums. 

Ueber  das  Verhalten  von  Blutserum-,  Vollblut-Serum 
und  anderen  Immunseren  gegenüber  dem  homologen  Kot¬ 
extraktserum  geben  die  vorliegenden  Versuche  wegen  Mangel 
an  Material  noch  kein  vollkommen  abschließendes  (Blut¬ 
serum-Seren),  bzw.  überhaupt  noch  kein  (andere  Immun¬ 
seren)  Resultat,  doch  sollen  womöglich  in  dieser  Richtung 
weitere  Versuche  angestellt  werden. 

Was  die  Herkunft  der  biologisch  wirksamen  Stoffe 
des  Kotes  betrifft,  welche  Drüsen  des  Verdauungstraktes 
an  ihrer  Bildung  in  erster  Linie  beteiligt  sind,  darüber  be¬ 
halte  ich  mir  vor,  sobald  als  tunlich  weitere  Untersuchungen 
anzustellen.  Es  würde  sich  dadurch  die  Gelegenheit  er¬ 
geben,  einer  Reihe  von  Fragen  näherzutreten,  die  für  die 
Physiologie  und  Pathologie  der  Verdauungsorgane  von 
Wichtigkeit  sind  (Fünktionsslörungen  des  Pankreas  etc.). 

Der  k.  u.  k.  Menagerieinspektion  in  Schönbrunn  ge¬ 
bührt  mein  verbindlichster  Dank  für  die  freundliche  Ver¬ 
mittlung  des  nötigen  Untersuchungsmateriales. 

Literatur:  h  Schattenfroh,  Arch,  für  Hyg.  1902,  Bd,  44,  S.  339. 

—  *)  Ruff  er  u.  Greiidiropoulos,  C.  r.  d.  I.  soc.  d.  biol.  1903,  ref. 
Zentralbl.  f.  Bakt.,  I.  Abtlg.  1902,  BL  33,  S.  743.  —  Leclä'inche 
u.  Vallö,  ebenda.  1901.  —  ß  Mertens,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
1901,  Nr.  14.  —  ®)  Zülzer,  ebenda.  — ®)  Dieudonn6,  München,  med. 
Wochenschr.  1901,  Nr.  14.  —  ’)  Schütze,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1901, 
Bd.  36,  S.  5;  1901,  Bd.  38,  S.  487.  —  ®)  Landsteiner  u.  v.  Eisler, 
Wiener  klin.  Rundsch.  1903.  —  ®)  Michaelis  u.  Fleischmann, 
Fortschr.  d.  Med.  1904,  ref.  Biochem  .Zentralbl.  1904/5,  Bd.  3. —  B  i  o  n  d  i, 
Vierteljahrschr.  f.  ger.  Med.  u.  ö.  Gesundheitspfl.  1901,  Bd.  23,  Spl,  1,  S.  1. 

—  Hamburger,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  1905,  Bd.  62,  S.  479.  — 
Hamburger  u.  Sperk,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1904,  S.  216. 

—  Jakuschewitsch,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1904,  Bd.  48,  S.  328.  — 

—  Ascoli,  Boll.  d.  A.  R.  d.  Genova,  ref.  Zentralbl.  f.  Biochemie 
1904,  Bd.  2.  —  Moro,  München,  med.  Wochenschr.  1906,  S.  2383.  — 

Bauer,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1906,  S.  701.  —  Michaelis, 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1902,  S.  41.  —  *®)  Michaelis  u.  Oppen¬ 
heimer,  Arch.  f.  Anatomie  u.  Physiol.  1902,  Suppl.  —  Oppen¬ 
heimer,  Hofmeisters  Beitr.,  Bd.  4,  S.  259.  —  Obermayer  und 
Pick,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1904,  S.  265.  —  P.  Th.  Müller, 
Zentralbl.  f.  Bakt.  1902,  Bd.  32,  S.  7.  —  Kn öp  fl  mach  er,  Wiener 
med.  Wochenschr.  1904.  —  P  a  s  s  i  n  i  Zeitschr.  f.  Hyg.  1905,  Bd.  49, 
S.  135.  —  Dehne,  Wiener  klin.  Wochenschr.  iOÄ 


Zwei  Leprafälle  in  Tirol. 

Von  Prof.  Dr.  Ludwig  Merk  in  Innsbruck. 

Von  den  Schrecken,  welche  einstmals  die  Lepra,  in 
unseren  Ländern  verursacht  hat,  macht  man  sich  nur  eine 
Vorstellung,  wenn  man  in  den  Schriften  alter  Autoren  zu 
blättern  in  die  Lage  kommt.  Speziell  in  tirolischen  Landen 
mahnen  überdies  die  oft  ruinenhaften  Reste  von  Leprosen- 
häusern  an  das  Wüten  der  Seuche.  So  ist  z.  B.  heute  noch 
ein  derartiges  Asyl  in  der  nächsten  Umgebung  von  Bruneck 
und  Bregenz  Leprosenhaus  genannt.  Diese  Erinnerungen 
machen  es  dem  Arzte  und  der  Behörde  zur  Pflicht,  wach- 
.sam  zu  sein,  damit  die  vergessenen  Zustände  nicht  wieder 
aufleben.  Die  Richtung,  aus  welcher  für  Tirol  —  und  viel¬ 
leicht  auch  für  andere  Länder  —  diese  Gefahr  droht,  möge 
durch  die  Mitteilung  über  zwei  Fälle  illustriert  sein,  die 
ich  im  vergangenen  Herbste  im  Verlaufe  weniger 
Wochen  —  wohl  nur  ein  ganz  außerordentlicher  Zufall 
—  zu  konstatieren  Gelegenheit  hatte. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


563 


1.  Fall.  R.  F.  war  zu  Begiiui  des  Jahres  1906  in  Südtirol 
aufgetaticht.  Ei  füldto  sicdi  krank  mid  wollte  in  Levico  Genesung 
finden.  Dort  nannte  er  sein  Leiden  „Morfea“  (bekanntlich  in 
gewissen  Ländern  Südamerikas  ein  Synonyinon  für  Lepra)  und 
Ijezeiclniete  es  als  eine  Abart  von  Lepra.  Er  wurde  vom  Kur¬ 
gebranch  ausgeschlossen  und  dadurch  verbreitete  sich  das  Ge¬ 
rücht,  in  Südtirol  gäbe  es  einen  Leprösen.  Man  wußte  aber 
nicht,  wohin  er  sich  gewendet  und  so  war  es,  zumal  sein  Name 
unbekannt  blieb,  unmöglich,  exakt  feslzustellen,  ob  seine  Krank¬ 
heit  wirklich  Lepra  wäre.  Mittlerweile  war  es  dem  Bezirksarzte 
in  Mezzolombardo  gelungen,  in  seinem  Amtsbereiche  einen  Mann 
zu  eruieren,  dessen  Leiden  bedenklich  schien,  auf  welchen  das 
Signalement  paßte  und  er  sandte  ihn  nach  Innsbruck  zur  Fest¬ 
stellung  der  Diagnose.  Hier  gelangte  er  am  3.  November  1906 
zur^  Aufnahme  und  mühelos  konnte  die  Diagnose  Lepra  tuberosa 
gesichert  werden. 

_  Die  Anamnese  ergab,  daß  bis  Weihnachten  1888  seine  ganze 
Familie  in  Südtirol  ansässig  gewesen  war  und  damals  nach  Bra¬ 
silien  u.  zw.  in  die  nächste  Nähe  der  Stadt  Serra  Negra  in 
der  Provinz  San  Paolo  auswanderte.  Er  selbst  war  am  16.  Ok¬ 
tober  1875  noch  in  Südtirol  geboren  und  führt  den  Beginn  seines 
Leidens  auf  August  1905  zurück.  Innerhalb  kurzer  Zeit  —  Patient 
meint  in  acht  bis  zehn  Tagen  —  bildete  sich  der  Zustand  im 
Gesichte  und  an  den  Handrücken  so  aus,  wie  er  zur  Zeit  der 
Aufnahme  sich  darbot.  Einige  Knoten  hatten  sich  sogar  mittler¬ 
weile  zurückgebildet,  indes  z.  B.  am  Kinn  allmählich  neue,  kleine 
entstanden  waren.  Noch  in  seiner  zweiten  Heimat  begannen  diese 
zu  ulzerieren.  Man  riet  ihm,  wohl  nur  um  ihn  los  zu  werden, 
die  erste  Heimat  aufzusuchen,  wo  er  am  10.  Januar  1906  ankam. 

Bezüglich  des  zur  Zeit  seines  Eintrittes  erliobenen  Befundes 
verweise  ich  auf  die  in  Nr.  51  (1906)  dieser  Wochenschrift 
gegebene  Beschreibung.^) 

Hier  sei  nur  einiges  wiederholt  und  aus  dem  Dekursus 
vermerkt.  Es  handelte  sich  um  eine  voinviegend  tuberöse  Form. 
Vorwiegend;  denn  an  der  Brusthaut  sließ  man  auf  die  typischen, 
teils  einzelstehenden,  teils  zn  Netzlinien  konfluierenden  braunen 
Flecke  der  Lepra  maculosa;  amd  sowohl  am  linken  Unterarme, 
wie  am  rechten  Unterschenkel,  konnten  hypästhetische  Gebiete 
Andeutungen  der  Lepra  anaesthelica  —  nachgewiesen  werden. 

An  den  Hüften  waren  während  der  ersten  Tage  fast  völlig 
symmetrisch  verteilte,  hellrote,  zu  serpiginösen  Linien  angeordnete 
Erytheme  zu  sehen,  welche  aber  bald  spurlos  schwanden.  Ob 
diese  Erytheme  essentiell  zum  leprösen  Prozeß  hinzuzurechneu 
waren,  kann  ich  um  so  schwerer  entscheiden,  als  in  der  Folge¬ 
zeit  an  ihrer  Stelle  keine  weiteren  typisch  leprösen  Veränderungen 
auftraten. 

Was  dem  Falle  vom  klinischen  Standpunkte  aus  immer¬ 
hin  nicht  unerhebliches  Interesse  beifügte,  war  die  Lokali¬ 
sation  der  Knoten  an  gewissen  Hautstellen,  welche  im  all¬ 
gemeinen  den  Ruf  genießen,  seltener  ergriffen  zu  sein.  In 
der  Zusammenfassung  von  Babes  aus  dem  Jahre  1901 
heißt  es  in  dieser  Beziehung:^)  ,,Der  Handteller  und  die 
Fußsohle  sollen  nach  einigen  Autoren  frei  sein,  doch  habe 
ich  selbst  sowie  alle  Beobachter,  welche  ein  größeres 
Lepramaterial  untersucht  haben,  auch  hier  Knoten  oder 
flache,  oberflächliche  oder  tiefe  Infiltrate  mit  rötlicher  oder 
blasser  Verfärbung  der  Haut  beobachten  können.“  Ferner; 

,, Stellen,  an  welchen  sich  die  Knoten  seltener  finden,  sind 
...  die  behaarte  Kopfhaut,  namentlich  an  kahlen  Stellen 
derselben.“  Und :  ,,Am  Penis  sind  Infiltrationen,  Knoten 
und  Verfärbungen  nicht  selten,  dieselben  scheinen  bloß  an 
der  Glans  und  an  der  Innenseite  des  Präputiums  vielleicht 
infolge  des  Einflusses  des  Harnes  zu  fehlen.  Allerdings 
habe  ich  an  der  Spitze  der  Eichel  manchmal  Lepromo 
gesehen.“ 

Ungefähr  zur  selben  Zeit  beschäftigten  sich  Glück 
und  Rille  mit  demselben  J  hema.^) 

Glück  fand  im  Gegensätze  zu  einer  Reihe  von  Be¬ 
obachtern  an  seinem  Materiale  (40  Eälle)  in  25  «/o  deutlich 
ausgeprägte,  lepröse  Veränderungen  an  der  Glans  penis. 
Rille  weist  aus  der  Literatur  nach,  daß  zwar  Lepraknoten 

b  E  i  t  n  e  r,  Ueber  den  Nachweis  von  Antikörpern  im  Serum 
eines  Leprakranken  mittels  Komplementablenkung,  1906. 

0  Babes,  Die  Lepra.  Wien  bei  Hölder  1901;  Teil  der  speziellen 
Pathologie  und  Therapie  von  Nothnagel,  S.  192  und  193. 

0  Glück,  Zur  Kenntnis  der  leprösen  Affektionen  an  der  Glans 
penis.  Lepra.  Bibliotheca  internationalis.  Volumen  I,  Leipzig  bei  Barth  1900. 
—  Rille,  J.  H.,  Ein  Fall  von  Lepra  tuberosa  mit  Lokalisation  an  den 
Fußsohlen.  Ebenda,  Volumen  H,  1902. 


und  Infiltrate  an  den  Fußsolilen  von  versciiiedetien  Beob¬ 
achtern  beschrieben  seien,  daß  aber  bis  auf  ilin  noch  kein 
fall  mitgeteilt  wurde,  wo  die  fragliche  Veränderung  unter 
den  Augen  des  Beobachters  auftrat  und  ihre  Entwicklung 
jahrelang  verfolgt  werden  konnte.  Zum  Teile  von  diesem 
Gesichtswinkel  aus  beschreibt  er  seinen  Fall. 

Angesichts  solcher  Angaben  hört  es  sich  als  etwas 
ganz  Besonderes  an,  wenn  der  von  mir  beobachtete  Kranke 
nicht  nur  an  den  beiden  Fußsohlen,  sondern  auch  an  der 
Glans  penis  Knoten  und  Infiltrate  hatte.  Jene  'der  Glans 
waren  bis  linsen-  und  kirschkerngroß,  etwa  sechs  an  der 
Zahl,  zum  Teile  einzeln  sitzend,  zum  Teile  konfluierend. 
Sie  nahmen  das  Gebiet  von  der  Harnröhrenmündung  und 
rechts  heim  frenulum  vorbei  bis  an  die  Corona  glandis 
ein.  Im  Verlaufe  der  Beobachtung  zerfiel  einer,  der  Knoten; 
die  Wunde  heilte  aber  rasch  aus. 

Die  Haut  der  Fußsohlen  fiel  zunächst  durch  ihre 
weiß -glänzende,  schilfrige  Beschaffenheit  auf.  In  diesem 
fast  gleichmäßigen  Kolorit  unterschieden  sich  runde  bis 
linsengroße  f  lecke,  in  deren  Bereich  eine  mattrote  Fär¬ 
bung  wahrgenommen  werden  konnte.  Ließ  man  den  Kranken 
die  Füße  ausgiebig  waschen  und  baden,  so  trat  —  insbe¬ 
sondere  knapp  danach  —  der  Glanz  in  der  Fußsohlenhaut 
zurück  und  die  Flecke  kamen  äußerst  deutlich  hervor. 
Ueber  manchen  derselben  war  die  Hormnasse  leicht  ein- 
gedellt  und  die  meisten  derselben  ließen  mehr  minder  deut¬ 
lich  ein  Infiltrat  tasten.  Ihre  Zahl  war  beträchtlich;  die 
ganzen  Fußsohlen  waren  reichlich  damit  besät.  Auch  dieses 
Bild  änderte  sich  während  der  viermonatlichen  Beobach¬ 
tung  nicht  wesentlich. 

Zu  irgendwelchen  differenlialdiagnostischen  Bedenken 
bot  das  deutliche  und  klare  Verhalten  des  Zustandes  an  der 
Glans  und  an  den  Fußsohlen  um  so  weniger,  als  ja  eine 
lange  Beobachtungszeit  zur  Verfügung  stand. 

Anfangs  März  1907  begehrte  der  Patient  die  Ent¬ 
lassung  und  da  keine  gesetzlichen  Bestinnnungen  vorliegen, 
welche  eine  Internierung  solcher  Kranken  vorschreiben,  so 
wurde  seiner  Forderung  entsprochen.  Ich  gebrauchte  nur 
die  Vorsicht,  die  Behörde  von  dieser  Absicht  des  Kranken 
zu  informieren. 

Ueber  den  zweiten  Fall  kann  ich  mich  gleichfalls  sehr 
kurz  fassen.  Ich  entdeckte  ihn  zufällig  in  einem  hiesigen  öffent¬ 
lichen  Lokale.  Die  typische  Facies  leonlina,  der  Anblick  der 
Haut  der  Handrücken,  ganz  ähnlich  jenem  des  im  Spitale  beob¬ 
achteten  Kranken,  ließen  an  der  Diagnose  trotz  der  Oberflächlich¬ 
keit,  mit  welcher  ich  die  Betrachtung  vornehmen  konnte,  keinen 
Zweifel  aufkommen.  Ich  bemerkte  überdies,  daß  Bat.  von  seinem 
Schnupftuchc  reichlichen  Gebrauch  machte.  .Zu  einer  genaueren 
Untersuchung  wußte  ich  den  Kranken  nicht  zu  bringen.  Die  sofort 
eingeleiteten  Nachforschungen  ergaben,  daß  es  sich  um  einen 
etwa  30jährigen  jungen  Mann  aus  dem  oberen  Lechtale  handelte, 
der  seine  Jugend  in  Brasilien  —  wahrscheinlich  in  der  von 
Deutschen  stark  besiedelten  Provinz  Bio  grande  del  Sul  —  zu¬ 
gebracht  hatte  und  in  seine  Tiroler  Heiznat  zurückgekehrt  war. 
Die  Behörden  und  Aerzte  des  Heimatortes  hatten  von  der  Existenz 
des  Krankheitsfalles  keine  Kenntnis  erlangt.  Erst  über  meine 
Intervention  wurde  amtlich  von  ihm  und  seiner  Quartiergeberin 
Nasensekret  zur  mikroskopischen  Untersuchung  an  die  Klinik 
eingesendet.  Ers teres  war  reich  an  Leprabazillen.  Im  weiteren 
Verlaufe  der  amtlichen  Nachfragen  ergab  es  sich  denn,  daß  der 
nicht  mittellose  Patient  des  öfteren  München  besucht  liatte  Und 
auch  eine  Zeitlang  im  allgemeinen  Krankenha.use  in  Wien  auf¬ 
genommen  war.  Selbstredend  war  dort  aiich  die  Diagnose  Lepra 
gestellt  worden,  aber  zu  einer  sanitätspolizeilichen  Anzeige  des 
Falles  fand  znan  sich  nicht  veranhißt.  So  kazn  es,  daß  auch 
die  heimischen  Behörden  erst  durch  die  geschilderten  Vorgänge 
auf  den  Fall  aufmerksam  wurden. 

Wie  man  sieht,  handelt  es  sich  um  zwei  sogenannte 
importierte  Fälle.  Trotz  der  sonderbaren  Umstände,  welche 
zur  Feststellung  beider  geführt  haben,  trotzdem  also  Aerzte, 
welche  in  den  Fleimatgemeinden  mit  ihnen  in  direkte  Be¬ 
ziehung  gekommen  sind,  nicht  zur  Aufdeckung  der  Fälle 
beigetragen  haben,  geht  es  wohl  nicht  an,  zu  vermuten, 
daß  eine  wesentlich  größere  Zahl  von  Leprösen  irgendwo 
—  und  das  gilt  selbstredend  nicht  für  Tirol  allein  —  in 
unseren  Ländern  verborgen  sei.  In  der  Erwartung,  daß 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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diese  Hoffnung  sich  nicht  trügerisch  erweisen  möge,  scheint 
mir  angesichts  dieser  Fälle  am  wichtigsten,  die  Frage  zu 
erörtern,  wie  dieselben  sanitätspolizeilich  zu  behandeln 
wären. 

Es  läßt  sich  sehr  wohl  hehaiipten,  daß  Aerzte,  selbst 
wenn  sie  sich  mit  dem  Problem  der  Lepra  näher  befaßt 
haben,  solchen  singulären  Formen  wenig  Bedeutung  zu¬ 
zumessen  geneigt  sind.  Demgegenüber  sind  aber  auch  Stim¬ 
men  laut  geworden,  welche  einer  Vorsicht  für  die  Umgebung 
nicht  eindringlich  genug  das  Wort  reden.  Theoretisch  be¬ 
trachtet,  muß  bezüglich  jedes  frei  lebenden  Leprösen,  ins¬ 
besondere  des  an  tuberöser  Form  leidenden  und  mit 
gelegentlich  zerfallenden  Knoten  behafteten  zugegeben  wer¬ 
den,  daß  er  die  Bildung  eines  Lepraherdes  veranlassen 
kann.  Diese  Annahme  erhält  praktischen  Wert,  wenn  auch 
nur  einige  Fälle  oder  auch  nur  ein  Fall  bekannt  wii'd, 
in  welchem  die  Ausbreitung  von  einem  solchen  ,, impor¬ 
tierten“  Kranken  stattgefun  len  hat. 

Mit  Uebergehung  älterer  Angaben  (siehe ;  Mitteilungen 
mul  Verhandlungen  der  internationalen  wissensichaftlichen 
Lepra-Konferenz  zu  Berlin  im  Oktober  1897,  Berlin 
1897,  bei  Hirschwald.  Speziell  z.  B. :  1.  Vierte  Abteilung, 
Seite  195 ff. ;  A.  B  lasch  ko.  Die  Lepra  in  Deutschland) 
verweise  ich  hier  nur  auf  einen  Bericht  aus  der  neuesten 
Zeit,  den  ich  wörtlich  zitiere:'*) 

,,Die  Meinung,  ....  daß  noch  niemals  ein  Leprafall 
konstatiert  worden  ist,  der  durch  einen  importierten  Lepra¬ 
kranken  in  einer  bisher  leprafreien  Gegend  verursacht 
werden  ist,  kann  durch  eine  Beobachtung,  die  ich  im  Elsaß 
gemacht  habe,  widerlegt  werden.  Ich  halte  meinen  Fall 

für  unanfechtbar . Am  2.  November  1893  stellte  sieh 

auf  der  Klinik  ein  Patient  vor,  welcher  an  ausgesprochener 
Impra  litt.  Er  war,  nachdem  er  fünf  Jahre  in  Tonkin  ver¬ 
bracht  hatte,  in  seinen  Heimatsort  Urbach  zurückgekehrt 
und  nachdem  er  dort  zwei  Mrnate  bei  seiner  Familie  zu¬ 
gebracht  hatte,  zuerst  in  das  Spital  von  Urbach  getreten, 
dann  nach  Straßburg  gereist,  um  sich  an  der  Klinik  be¬ 
handeln  zu  lassen.  Er  wurde  in  der  Klinik  behalten  und 
verstarb  am  4.  Juli  1898  an  Lepra. 

Am  2.  Februar  1902  kam  der  Neffe  des  Vorigen,  ein 
kräftiger  junger  Mann  von  19  Jahren  an  die  Klinik.  Er 
war  bis  vor  kurzer  Zeit  immer  gesund,  erst  seit  einigen 
Monaten  will  er  an  heftigen  Rückenschmerzen  gelitten  haben. 
Er  hatte  nie  Urbach  verlassen,  in  welchem  Ort  auch  nie¬ 
mals  ein  Fall  von  Lepra  beobachtet  worden  war.  Während 
des  zweimonatlichen  Aufenthaltes  seines  Onkels  im  elter¬ 
lichen  Hause  soll  dieser  oft  mit  ihm  gespielt,  ihn  häufig 
geküßt  haben.  Die  Untersuchung  ergibt  eine  ausgesprochene 
Lepra  (Demonstration  von  Photographien  der  beiden  Fälle). 

Ich  glaube,  daß  ein  Kommentar  überflüssig  ist  und 
daß  hier  nur  von  Ansteckung  gesprochen  werden  kann.  .  .  .“ 

Dieses  positive  Faktum  spricht  eindringlicher  als  De¬ 
kaden  von  Beobachtungen,  denen  zufolge  ein-  oder  rück¬ 
gewanderte  Lepröse  für  ihre  Umgebung  ungefährlich  blieben. 
Man  wird  seine  Lehren  um  so  mehr  beherzigen,  als  ja  die 
Unterdrückung  der  Seuche  kaum  besondere  Schwierigkeiten 
bereitet.  Sachgemäße  Behütung  der  Fälle  —  es  ist  nicht 
einmal  Isolierung  derselben  erforderlich  —  führt  unschwer 
an  das  Ziel. 

Am  bedenklichsten  erscheint  bei  diesem  Bestreben  der 
Umstand,  daß  die  Mehrzabl  der  praktischen  Aerzte  am  I.ande 
die  Lepra  während  der  Ausbildungszeit  an  den  Hochschulen 
kaum  zu  Gesicht  bekommt.  Erwägt  man  überdies,  daß  der 
KraukdJange  Zeit  ambulant  bleibt  und  die  Hilfe  des  Arztes 
nicht  '-bedijigt  zu  suchen  gezwungen  ist,  so  erhöhen  sich 
solche  Bedenken. 

Deshalb  soll  im  Unterrichte  speziell  bei  klrörterung 
differentialdiagnostischer  Momente  die  Lepra  möglichst 
häufig  u.  zw.  nicht  vom  Dcrinatologen  allein,  in  Betracht 

9  A.  Wolff,  Straßburg,  Ein  Fall  von  Lepraansteckung.  V.  Inter¬ 
nationaler  Dermatologenkongreß,  abgehalten  in  Berlin  vom  12.  bis 
17.  September  1904.  Bd.  2,  I.  Teil,  S.  81.  Berlin  1905  bei  Hirschwald. 


gezogen  werden.  Die  Verwendung  von  Abbildungen,  vor¬ 
nehmlich  von  Moulagen,  liefert  hiebei  vorzügliche  Resultate. 

Weiters  wäre  von  den  Landes  Verwaltungsbehörden  im 
Verordnungswege  darauf  zu  dringen,  daß  Ankömmlinge  aus 
Lepragegenden  von  seiten  der  loLalen  Aemter  dem  Bezirks¬ 
arzte  mit  dem  Beifügen  namhaft  gemacht  werden,  ob  sich 
solche  voller  Gesundheit  erfreuen.  Vorkommenden  Falles 
wäre  der  Kranke  bezüglich  seiner  Verhaltungsmaßregeln 
und  Lebensgewohnheiten  aufzuklären  und  er,  sowie  die 
nächste  Umgebung  sorgfältig  zu  überwachen.  V^or  allerii 
ist  allen  Aerzten  die  strenge  Anzeigepflicht  dieser  Krankheit 
in  gewissen  Intervallen,  namentlich  in  solchen  Ländern  in 
Erinnerung  zu  bringen,  in  welchen  ein  Verkehr  der  Ein¬ 
wohner  mit  Lepraländern  eine  Erfahrungstatsache  ist.  Sache 
der  Landesbehörde  wird  es  dann  sein,  für  die  Evidenthaltung 
der  Kranken  Sorge  zu  tragen. 

Was  die  beiden  in  Rede  stehenden  Fälle  anlangt, 
so  ist  der  Mann  aus  dem  Lechtale  in  der  Lage,  für  allen 
hygienischen  Komfort  aus  eigenem  zu  sorgen.  Der  Mann 
aus  Südtirol  hingegen  lebt  in  ärmlichen  Verhältnissen  und 
hier  wird  die  Ueberwachung  eine  besonders  sorgfältige  sein 
müssen. 


Aus  der  Budapester  Rettungsgesellschaft. 

Bromoformvergiftungen. 

Von  Dr.  Wilhelm  Lobl,  Kontrollarzt  der  Budapester  Rettungsgesellschaft. 

Das  Bromoform  (CHB;^)  ist  eine  farblose,  charakteri¬ 
stisch  riechende,  süßliche  Flüssigkeit,  die  sich  in  Spiritus 
gut,  in  Wasser  schwerer  löst. 

Nunnely  und  Suchard  haben  es  gegen  1840  ent¬ 
deckt  und  zuerst  empfohlen.  Systematisch  und  dauernd 
trat  es  kaum  unter  die  allgemein  gebräuchlichen  Medika¬ 
mente;  selbst  auf  dem  Gebiete  der  Narkose  konnte  es  kein 
Bürgerrecht  erlangen,  obzwar  es  nach  Hennoeques  Er¬ 
fahrungen  bei  längeren  Narkosen  nicht  so  gefährlich  ist,  als 
das  •.Chloroform,  und  Rabuteau  sich  darüber  —  als  Nar¬ 
kotikum  —  im  Jahre  1876  folgendermaßen  äußerte :  ,,  .  .  .  il 
semle  que  cet  agent  doit  etre  egal  ou  memo  superieur  au 
chloroforme.“ 

Zur  Narkose  wird  es  trotz  Albert,  Bonome,  Mazza 
und  noch  mehreren  Empfehlungen  nicht  verwendet;  heute 
wird  es  in  der  Therapie  hauptsächlich  nur  bei  Behandlung 
der  Pertussis  und  als  Sedativum  benützt.  Gegen  Pertussis 
empfahl  es  zuerst  Stepp  im  Jahre  1889,  nach  ihm  referierten 
über  günstige  Erfolge  Neumann,  Löwenthal,  Cassel 
und  noch  viele  andere.  Zweifellos  ist  es  erklärlich,  daß  nach 
Stepps  Mitteilungen  die  Anwendung  des  Bromoform  in  der 
Therapie  der  Pertussis,  die  bis  dahiu  über  ein  Mittel  zur 
Stillung  oder  Herabminderung  der  Konvulsionen  kaum  ver¬ 
fügte,  einen  großen  Aufschwung  nahm. 

Aufeinander  folgten  die  lobenden  Mitteilungen,  bis  die 
immer  häufiger  auf  tretenden  Vergiftungen  das  Augenmerk 
der  Aerzte  dahin  richtete,  daß  Bromoform  ein  starkes  Gift 
sei,  und  schon  einige  Tropfen  über  der  gebräuchlichen  Dosis 
Vergiftungssymptome  verurs:ichen.  Das  Bromoform  wird, 
wenn  auch  schon  seltener,  noch  immer  angewandt,  obzwar 
die  Nützlichkeit  mit  dem  gefährlichen  Wesen  des  Mittels 
kaum  im  Verhältnisse  steht.  Daher  scheint  es  mir  zeitgemäß, 
einige  jüngsthin  beobachtete  Bromoformvergiftungen  zu 
publizieren,  um  so  mehr,  da  einige  der  in  leUteren  Zeiten 
gegen  Pertussis  empfohlenen  Spezifika  auch  Bromoform  ent- 
iialten. 

Am  8.  Mai  1904  bekam  ich  folgenden  Fall  unter  meine 
Beobachtung : 

S.  B.  ein  Knäblein  von  sieben  Monaten  war  —  laut  An¬ 
gabe  der  Mutter  —  bisher  vollkommen  gesund ;  vor  drei  bis  vier 
Tagen  bemerkte  die  Mutter,  daß  das  Kind  zu  hüsteln  beginne, 
bald  traten  unverkennbare,  mit  Erbrechen  verbundene  Keuch¬ 
hustenkonvulsionen  auf,  die  es  zweifellos  von  der  acht  Jahre 
alten,  an  Pertussis  leidenden  Schwester  geerbt  hatte.  Dem  acht¬ 
jährigen  Mädchen  wurde  vor  vier  Tagen  Bromoform  ordiniert 
und  die  Mutter,  sehend,  daß  das  Mittel  in  kurzer  Frist  die 


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Konvulsionen  herabsetzte  und  verminderte,  gab  auch  dem  sieben 
Monate  alten,  mit  künstlicher  Nahrung  erzogenen  Knaben  fünf 
Tropfen  in  einem  Löffel  gezuckerter  Milch.  (Das  größere  Kind 
bekam  dreimal  täglich  sieben  Tropfen.)  Einige  Minuten  nach  der 
Anwendung  wird  das  bis  dahin  weinende  Kind  plötzlich  still, 
es  erbleicht,  der  Kopf  fällt  zurück;  Rütteln  und  Begießen  mit 
kaltem  Wasser  bringen  es  auch  nicht  zu  Bewußtsein. 

Ich  sah  den  Patienten  ungefähr  15  bis  20  Minuten  nach 
Darreichen  des  Medikamentes.  Das  schwach  genährte,  magere 
Kind  liegt  ganz  matt,  unbeweglich;  die  Haut  ist  blaß,  trocken, 
etwas  kühl;  Lippen,  Ohren  und  Fingerspitzen  etwas  zyanotisch. 
Puls  kaum  fühlbar,  die  Herztätigkeit  ist  eine  rasche,  sehr 
schwache,  unregelmäßige;  die  Atemzüge  sind  sehr  oberflächlich, 
rasselnd,  zeitweilig  ausbleibend.  Aus  dem  Munde  strömt  Bromo- 
formgeruch. 

Pupillen  sind  eng,  reagieren  nicht.  Korneal-  wie  auch  die 
übrigen  Reflexe  fehlen.  Die  Aussage  der  Mutter,  der  Bromoform- 
geruch,  die  übrigen  Symptome  lassen  die  Bromoformvergiftung 
zweifellos  feststellen. 

Während  ich  Vorbereitungen  zur  Magenauswaschung  traf, 
machte  der  Kollege  Dr.  S.  an  dem  kaum  atmenden  Kinde 
künstliche  Atembewegungen  (nach  Howard)  und  wendete  Haut¬ 
reize  an.  Die  Atemzüge  sind  nach  der  künstlichen  Atmung  und 
den  Hautreizmitteln  (Abgießen  mit  kaltem  Wasser,  Reiben) 
tiefere.  Magenauswaschung  mit  lauem  Wasser,  mittels  eines  dickeren 
englischen  Katheters;  die  ausgehobene  Flüssigkeit  ist  anfangs  nach 
Bromoform  riechend, '  später  geruchlos;  sodann  führen  wir  un¬ 
gefähr  einen  halben  Deziliter  Milchkaffee  durch  den  Katheter  in 
den  Magen.  Nach  der  Magenauswaschung  ist  das  Atmen  zwar 
etwas  tiefer,  aber  noch  immer  sehr  oberflächlich  und  zeitweilig 
ausbleibend.  Puls  und  Herztätigkeit  haben  sich  etwas  gebessert. 
Temperatur  35‘9“  C  (im  After).  Einige  Minuten  hindurch  noch¬ 
malige  künstliche  Atmung,  sodann  abwechselnd  warme  und  kalte 
Bäder,  Hautreize  und  Reibungen. 

Auf  Anwendung  schwachen  faradischen  Stromes,  treten  in 
den  Extremitäten,  bald  auch  in  den  Gesichtsmuskeln  Zuckungen 
auf,  späterhin  krampfhafte  Zusammenziehungen.  Nach  neun 
Minuten  langem  Elektrisieren  tritt  der  Kornealreflex  wieder  ein, 
Hautreflexe  sind  noch  schwach,  aber  das  Atmen  ist  gut,  die 
Herztätigkeit  stärkt  sich,  Zyanose  ist  kaum  mehr  vorhanden, 
Muskulatur  noch  immer  schlaff.  Pat.,  der  das  Aussehen  eines 
normalen,  schlafenden  Kindes  hat,  schläft  unter  steter  Beobachtung 
ungefähr  noch  eine  Stunde,  nachher  ist  er  leicht  zum  wecken 
und  weint  heiser;  er  ist  noch  etwas  matt,  Hustenanfall  ist  auf 
Pharyngealreiz  nicht  hervorzurufen.  Puls  120,  Temperatur  37‘2“  C. 
Das  Kind  schläft  bald  wieder  ein.  Fünf  Stunden  nach  der  Ver¬ 
giftung  ist  das  Befinden  des  Kindes  zufriedenstellend,  es  ist 
noch  matt,  somnolent,  Nahrung  nahrn  es  noch  keine  zu  sich, 
urinierte  und  hatte  Entleerung.  Der  erste  Keuchhustenanfall  trat 
nächsten  Morgen,  ungefähr  20  Stunden  nach  der  Vergiftung  ein. 
Nächsten  Tag  ist  das  Befinden  des  Kindes  —  von  katarrhalen 
Symptomen  der  Pertussis  abgesehen  —  zufriedenstellend. 

In  dem  Wirkungskreise  der  Buda, pester  Freiwilligen 
Rettungsgesellschaft  kamen  bis  Ende  1903  zwei  Bromoform- 
vergiftimgen  zur  Beobachtung. 

1.  1900.  I.  H.,  der  2jährige  Sohn  eines  Schlossermeisters 
bekam  irrtümlich  zweimal  nacheinander  je  vier  Tropfen  Bromo¬ 
form.  Mattigkeit,  Schwäche,  Blässe  und  Erbrechen  sind  im  Journal 
als  Symptome  notiert.  Auf  symptomatische  Behandlung  besserte 
sich  der  Zustand  des  Kindes. 

2.  1902.  P.  K.,  der  vierjährige  Sohn  eines  Bedienten  bekam 
von  der  Bromoform  enthaltenden  Arznei  die  vorgeschriebene 
Dosis  —  einen  Kaffeelöffel  —  worauf  Vergiftungssymptome: 
tonische  Krämpfe,  Sopor  eintraten.  Der  Zustand  besserte  sich 
nach  Anwendung  von  Exzitantien.  Dieser  Fall  ist  auch  deshalb 
besonders  interessant,  weil  er  uns  darauf  aufmerksam  macht, 
daß  sich  Bromoform  im  Wasser  schwer  löst  und  zu  Boden  sinkt. 
Wenn  das  Aufschütteln  der  Mischung  versäumt  wird,  befindet 
sich  am  Boden  der  Flasche  eine  konzentrierte  Bromoformlösung 
und  bei  den  letzten  Löffeln,  wie  auch  in  diesem  Falle,  treten 
Vergiftungssymptome  auf. 

Auch  Burtons  und  K  i  w  u  1 1  s  Fälle  erinahnen  uns, 
(laß  es  gefährlich  sei,  Bromoform  in  aufzuschüttelnden 
Mischungen  oder  Emulsionen  zu  verordnen,  da  es  schwer  sei 
und  sinkt.  Burtons  Fall  bezieht  sich  auf  ein  neunjähriges 
Kind,  hei  dem  nach  dem  letzten  Löffel  der  Bromoform  ent¬ 
haltenden  Arznei  mittelschwere  Vergiftungssymplome  ein¬ 
traten,  während  im  Falle  Kiwulls  das  dreijährige  Kind 
unter  den  Symptomen  einer  Bromoformyergiftung  starb. 


Deshalb  empliehlt  Gay,  daß  das  löffelweise  zu  nehmende 
Bromoform  vorher  in  Chloroform  aufgelöst  werde;  selbst 
dann  ist  die  Umgehung  des  Patienten  auf  das  Aufschütteln 
strenge  aufmerksam  zu  maidien. 

Die  Bromoformvergiftung  gleiclit  sehr  derjenigen  des 
Chloroforms,  ln  kleineren  Dosen  verursacht  es  Kopf¬ 
schmerzen,  Schwindel,  Mattigkeit;  nach  größeren  Dosen  sind 
nach  trunkenheitsähnlichem  Zustande,  Bewußtlosigkeit  und 
bleiche  Gesichts-  und  Hautfarbe,  zyanotische  Lippen,  küble 
Haut,  enge,  nicht  reagierende  Pupillen  (bei  schweren  Chloro¬ 
formvergiftungen  sind  die  Pupillen  sehr  erweitert!),  An¬ 
ästhesie,  das  Fehlen  der  Reflexe,  schlaffe  Muskulatur,  nur 
die  Masseter  sind  in  Kontraktion  (in  unserem’  Falle  fehlte 
dieses  Symptom),  schwache,  arrhythmische,  unregelmäßige, 
rasche  Herztätigkeit,  oberflächliche,  rasselncle,  ausldeibende 
Atemzüge,  Bromoformgeruch  die  charakteristischen  Sym¬ 
ptome.  Der  Urin  gibt  laut  Börgers  Untersuchungen  Brom¬ 
reaktion.  Von  diesen  Symptomen  fehlen  sehr  häufig  die 
engen  Pupillen;  van  Bö  mine  1,  Müller  und  Czygan 
heben  besonders  die  Anwesenheit  sehr  enger  Pupillen  her¬ 
vor,  in  den  Fällen ‘Szegvärys  und  Pannovitz’  waren 
die  Pupillen  mittelmäßig,  im  Falle  Schliepers  aber  ad 
maximum  erweitert.  Der  Bromoformgeruch  hält  recht  lang 
an,  laut  Husernanns  Mittiulungen  ist  er  noch  nach 

24  Stunden  merkbar.  Einige  Autoren  erwähnen  klonische 
und  Starrkrämpfe  der  Extremitäten.  Lokal  verursacht  Bromo¬ 
form  Hyperämie  der  Schleimhaut.  Die  Autopsien  —  laut 
Leurns,  Müllers  und  van  Bömmels  Mitteilungen  • — 
ergaben  außer  Hyperämie  des  Gehirns,  der  Magen-  und 
Darmschleimhaut  nichts  besonders  Charakteristisches. 

Die  Größe  der  Dosis  toxica  ist  allgemein  kaum  zu  he- 
stimmen,  denn  sehr  viel  hängt  von  der  individuellen  Em¬ 
pfindlichkeit,  vom  Alter  des  Kindes,  von  der  Art  und  Weise 
des  Darreichens  usw.  ab.  In  den  oben  angeführten  Fällen 
traten  bei  einem  sieben  Monate  alten  Kinde  nach  fünf 
Tropfen  Vergiftungssymptome  ein,  während  beim  anderen 
zweijährigen  Kinde  acht  Tropfen  Bromoform  die  Vergiftung 
verursachten.  Die  durchschnittliche  Dosis  toxica  der  bisher 
publizierten  Fälle  beträgt  ungefähr  3  bis  4  g,  15  bis 

25  Tropfen.  Charpentier  veröffentlichte  'einen  Fall,  wo 
ein  zweijähriges  Kind  34  Tropfen  pro  die  ohne  die  geringsten 
Ver giftungssymp  tome  einnahm . 

In  der  Literatur  sind  seit  1890  vereinzelt  Bromoform- 
vergiftungsfälle  publiziert,  die  meisten  im  Jahre  1896.  Von 
den  ungarischen  Mitteilungen  verdient  Ladislaus  Szeg¬ 
värys  Fall  besondere  Erwähnung.  In  diesem  Falle  trank  das 
4V2jährige  Kind  auf  einmal  4-5  g  Bromoform;  Somnolenz, 
Betäubung,  Taumelu,  nach  Bromoform  riechender  Atem, 
mittelweite  Pupillen,  136  Pulsschläge  'waren  die  Symptome. 
Nach  Verabreichung  von  Brechmitteln  und  schwarzem  Kaffee 
kam  das  Kind  zu  sich. 

Gewöhnliche,  selbst  kleine  Dosen  können,  wenngleich 
selten,  Vergiftungen  verursachen. 

Löwenthal  wandte  das  Bromoform  in  hundert  Fällen 
an  und  sah  nur  einmal  typische  Vergiftungssymptome.  In 
der  mir  zur  Verfügung  gestandenen  Literatur  fand  ich 
24  Mitteilungen  über  Bromofornivergiftungen ;  die  nennens¬ 
werteren  sind  folgende:  Sachs  sah  bei  einem  vierjährigen 
Kinde  nach  IV2  g  Bromoform  schwere  Vergiftung,  Pann- 
witz  bei  einem  4V2jährigen  Kinde  auf  20  Tropfen,  No  Iden 
referiert  über  zwei  Fälle,  im  Falle  Schliepers  erlitt  ein 
5V2jähriger  Knabe  nach  15  Tropfen  schwere  Vergiftung  (ad 
maximum  erweiterte  Pupillen),  in  einem  Falle  Börgers  er¬ 
litt  ein  fünfjähriges  Kind  auf  15  bis  20  'Tropfen  leichtere, 
während  ein  dreijähriges  Kind  auf  ungefälir:  5  g  schwcre^Ver- 
giftung,  wmbei  di{3  langanhalteiide,  krampfartige  Koiiif-»-’  tion 
der  Masseter  besonders  charakteristisch  war. 

van  Bönimel  sah  bei  einem  zehn  Monate  alten  Kinde 
auf  zweimal  drei  Tropfen  eine  Vergiftung ;  auch  hier  trat 
Trismus  auf  und  in  den  Extremitäten  waren  fortwährende 
krampfhafte  Kontraktionen  wahrnehmbar.  Czygan  sah  bei 
einem  3V2jährigen  Kinde  auf  5  bis  7  g  sclnvere  Symptome, 
die  Zyanose  währte  beinahe  fünf  Stunden;  er  sah  den 


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Vergifleleii  sofort  nach  dem  Eiimelimeii,  konnte  aljer  Er¬ 
brechen  selbst  mit  Apomorphin  nicht  erzielen. 

Reinecke  stellte  bis  einschließlich  1898  16  Vergif- 
timgsfälle  aus  der  Literatur  zusammen,  einen  publiziert 
er  selbst. 

Neueslens  (1903)  verülfentlichte  Dillard  eine  Bromo- 
formvergiftung.  ln  diesem  Falle  bekam  ein  17  Monate  altes, 
an  Pertussis  erkranktes  Kind  zweimal  in  zweistündigen 
Zwischenpausen  je  vier  Tropleii  Bromoform;  obzwar  es  die 
zweite  Dosis  erbrach,  traten  plötzlich  Bewußtlosigkeit,  Zya¬ 
nose  ein,  die  Pupillen  verengten  sich  ad  minimum,  Bromo- 
formgeruch.  Auf  Magenwaschung,  Exzitantien,  kalte  Ab¬ 
reibungen  besserte  sich  der  Zustand. 

Letal  endeten  drei  von  den  publizierten  24  Fällen 
und  zwar  die  des  Darling-Brown,  Kiwull  und  Müller. 
In  letzterem  Falle  bekam  ein  zweijähriges  Kind  ungefähr 
5  bis  6  g  Bromoform;  nach  trunkenheitähidichem  Zustand 
bekam  es  Schwindelanfälle.  Obzwar  es  einige  Minuten  später 
auf  warmes  Wasser  und  Pharyngealreize  erbrach,  fällt  es 
bald  in  tiefe  Bewußtlosigkeit;  Krämpfe,  Zyanose,  sehr 
enge  Pupillen,  schlaffe  Muskulatur,  keine  Reflexe,  kaum 
einige  Atemzüge :  dies  waren  die  Symptome ;  nach  vier 
Stunden  letales  Ende  infolge  Asphyxie. 

Autopsiebefund :  Der  Magendarmtrakt  enthielt  noch 
1-16  g  Bromoform,  Herz  und  Blutgefäße  mit  dunkelrotem, 
Ilüssigen  Blute  gefüllt,  Hyperämie  des  Hirns,  und  des 
Magens. 

Die  Behandlung  der  Vergiftung  ist  eine  ausschließlich 
symptomatische ;  natürlich  muß  vorerst  'die  Entleerung  des 
Magendarmtraktes  mittels  Magenwaschung,  Brechmittel 
(Emetika),  Darmwaschung  oder  Abführmittel  (Pürgaiitia)  vor¬ 
genommen  werden.  Ist  der  Patient  zyanotisch  und  atmet 
kaum  oder  schlecht  oder  überhaupt  nicht,  sind  künstliche 
Atembewegungen  vorzunehmen,  bei  kleineren  Kindern  nach 
Howard,  bei  größeren  nach  Sylvester  oder  nach  anderen 
Methoden;  Hautreize,  Abreibungen,  kalte  Abwaschungen, 
abwechselnd  warme  und  kalte  Bäder,  Oxygeneinatmung, 
Massage,  Essigklystier,  faradischer  Strom  oder  andere  Ex¬ 
zitantien,  wie  Aether,  Kampfer,  Koffein  etc.,  können  nach 
Gutdünken  appliziert  werden.  Czygan  und  Dellvig  sahen 
nach  Strychnininjektionen  die  sehr  herabgeminderte  oder 
ganz  aufgehörte  Beflexreizbarkeit  sich  bessern. 

Die  Prophylaxis  der  Bromofoimvergiftung  erfordert  hei 
Verordnung  des  Medikamentes  die  größte  Vorsicht  und  Auf¬ 
merksamkeit. 

Literatur: 

Stepp,  Rromoform  ein  Mittel  gegen  Keuchhusten.  Münchn.  med. 
Wochenschr.  1889.  —  Le  win,  Die  Nebenwirkungen  der  Arzneimittel, 
11.  Aufl.  1893.  —  Sachs,  Ein  Fall  von  Rromoformvergiftung.  Therap. 
Monatshefte  1890.  —  Pannwitz,  Ein  Fall  von  Rromoformvergiftung. 
Therap.  Monatshefte  1890.  —  No  Iden,  Zwei  Fälle  von  Bromoform- 
vergiftung.  Therap.  Monatshefte  1892.  —  Schlieper,  Beitrag  zur 
Kasuistik  der  Bromoformvergiftung.  Therap.  Monatshefte  1894.  — 
Szegvari  Läszlö,  Bromoform-m6rgez6s  esete.  Gyögyäszat  1897,  20.)  — 
Börger,  Ein  Beitrag  zur  Kasuistik  .der  Bromoformvergiftung.  Münchn. 
med.  Wochenschr.  1896.  —  VanBömmc;!,  Ein  Fall  von  Bromoform¬ 
vergiftung.  Deutsche  med.  Wochenschr.  1896.  —  Schmidt,  Ein  Fall 
von  Vergiftung  mit  Bromoform.  Münchn.  med.  Wochenschr.  1899.  — 
Müller,  lieber  Bromoformvergiftung.  Münchn.  med.  Wochenschr.  1898. 
—  Stockes  C.  E.,  Two  cases  of  bromoform  poisoning.  Brit.  med. 
Journ.  1900.  —  Burton-Fanning,  Poisoning  by  bromoform.  Brit, 
med.  Journ.  1901.  —  Kiwull,  Bromoformvergiftung  bei  einem  drei¬ 
jährigen  Kinde  mit  tödlichem  Ausgang.  Zentralbl.  f.  inn.  Med.  1902.  — 
Dillard,  Bromoformvergiftung.  Therap.  Monatshefte  1903. 


Berichtigung  zu  Hasenfelds  Aufsatz;  „Die 
Heißluftbehandlung  in  der  Gynäkologie.“ 

(Wiener  klin.  Wochenschrift  1907,  Nr.  18.) 

Von  Primararzt  Dr.  Fleiscliinanii,  Wien. 

Herr  Pr.  Haseufold  hat  niicli  in  seinen  Erörterungen 
über  die  I leißlulllrehandhing  in  der  Gynäkologie  zu  den  i\.n- 
hiingern  <lieser  Methode  in  Gegensatz  gestellt,  indem  er  sclu-eibt: 

,, Nachdem  wir  von  so  vielen  Erfolgen  der  Heißhiltbohand- 
hmg  gcdiört  haben,  wollen  wir,  um  gerecht  zu  sein,  auch  noch 
idler  F  I  (‘ i^c  h  in  a  n  n  s  .kiMiherungen  Ix'richteu,  der  gar  nicdit  recht 


mit  (lein  Lolie  der  Methode  einverstanden  ist.  Er  sagt:  Es 
schwinden  ja  hei  der  Behandlung  oft  überraschend  schnell  die 
Infiltrate,  die  z.  B.  einen  Tumor  umgeben,  die  Patientinnen  er¬ 
holen  sich  auch  zusehends,  bei  richtiger  Nebenbehandlung,  so¬ 
bald  sie  aber  wieder  ihre  Arbeit  aufnehmen,  so  kehren  die  alten 
Beschwerden  wieder.  Und  davon  werden  die  Patientinnen  dann 
erst  durch  Beseitigung  des  Eiterherdes  geheilt.  Wieweit  diese 
Anschauung  berechtigt  ist,  wird  die  Zukunft  lehren.“ 

Diesen  in  einer  Diskussion  der  Wiener  gynäkologischen  Ge¬ 
sellschaft  (Zentralblatt  für  Gynäkologie  1906,  S.  1075)  vertretenen 
Standpunkt  halte  ich  auch  heute  für  richtig,  aber  wie  damals  nur 
ill  bezug  auf  die  Behandlung  chronischer  Tübeneiterungen  und 
befinde  mich  mit  dieser  Anschauinig  in  Uebereinstimmung  mit 
zahlreichen  Fachmännern,  wie  Schauta,  Bürger  u.  a.  Das 
hindert  mich  aber  durchaus  nicht,  die  Heißluftbehandlung  bei 
Exsudaten,  chronisch  entzündlichen  Adnexschwellungen  und  ande¬ 
ren  gynäkologischen  Affektionen  in  ausgedehntem  Maße  zu  ver¬ 
wenden  und  mich  als  .einen  überzeugten  Anhänger  derselben 
zu  bekennen.  AVäre  Herr  Dr.  Hasenfeld  ebenso  gründlich  als 
,, gerecht“  gewesen,  hätte  er  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  meine 
Berichtigung  ersparen  können. 


Sammelreferat. 

Entwicklung  und  Ergebnisse  der  Lumbalanästhesie. 

Sammelreferat  von  Dr.  E.  Venus,  Assistent  der  chirurgischen  Abteilung 

der  Wiener  Poliklinik. 

Im  August  1899  hat  Bier  zunächst  an  sich  selbst  und  seinem 
Assistenten  Ilildebrandt  den  ersten  Versuch  unternommen, 
durch  Injektion  von  Kokain  in  den  Duralsack  eine  An¬ 
ästhesie  zu  erzielen.  Mittels  einer  sehr  dünnen  Hohlnadel 
wurde  die  Lumbalpunktion  nach  Quinke  ausgeführt  tind 
durch  diese  dann  0  005  bis  0  015  Kokain  in  den  Duralsack  ge¬ 
spritzt.  Bei  Bier  selbst  mißglückte  der  Versuch,  da  ihm  soviel 
wie  kein  Kokain  einverleibt  wurde,  dafür  aber  sehr  viel  Liquor 
cerebrospinalis  abfloß,  worauf  Bier  auch  die  schweren  Nach¬ 
erscheinungen,  unter  denen  er  zu  leiden  hatte,  zurückführt.  In 
seiner  ersten  diesbezüglichen  Mitteilung  verfügt  Bier  nun  über 
die  Versuche  an  sich,  seinem  Assistenten  und  fünf  Kranken.  Fünf 
Minuten  nach  der  Injektion  des  Kokains  ,,trat  eine  großartige 
Lähmung  des  Schmerzgefühles“  ein,  die  gegen  drei  Viertelstunden 
lang  andauerte.  Ueber  den  Wert  dieser  Anästhesiemngsmethode 
sprach  sich  Bier  in  seinen  Publikationen  immer  sehr  skeptisch 
aus  und  warnte  zu  wiederholten  Malen,  besonders  eindringlich 
am  Chirurgenkongresse  im  Jahre  1901 :  ,,Mein  Urteil  über  den 
Wert  der  Rückenmarksanästhesie  —  geht  dahin,  daß  es  ein  Ver¬ 
fahren  ist,  welches  noch  durchaus  nicht  für  den  allgemeinen 
Gebrauch  reif  ist,  sich  noch  gänzlich  in  der  Entwicklung  befindet. 
So,  wie  es  in  der  überwiegenden  Mehrzald  der  operierten  Fälle 
angewandt  ist,  ist  es  noch  völlig  ungenügend.  Ich  halte  es  für 
sehr  verhängnisvoll,  daß  trotz  meiner  zweimaligen  Warnang  vor 
Uebereilungen,  von  verschiedenen  Seiten  die  Sache  so  dargestellt 
ist,  als  handle  es  sich  hier  um  ein  verhältnismäßig  harmloses 
und  ungefährliches  Verfahren.“  Die  nächste  Mitteilung  nach 
Biers  erster  Publikation  kam  von  S  e  1  d  o  w  i  t  s  c  h,  der  sowohl 
Kokain  als  auch  Eukain  gebrauchte.  Nach  der  Operation  beob¬ 
achtete  Seldowitsch  öfters  Frostanfälle  mit  raschem  Tempe¬ 
raturansteigen  bis  auf  40“  und  nachfolgendem  Herabsinken  der 
Temperatur. 

Während  die  Rückenmarksanästhesie,  oder  wde  sie  auch 
genannt  wmrde :  ,,die  Kokainisierung  des  Rückenmarkes“,  in 
Deutschland  zunächst  keine  Anhänger  fand,  wurde  sie  von  den 
Franzosen,  zunächst  von  Tuffier  und  den  Amerikanern,  rasch 
und  in  zahlreichen  Fällen  angewandt.  Besonders  Tuffier  wmrde 
ihr  begeisterter  Anhänger  und  schrieb  bereits  in  seiner  ersten 
diesbezüglichen  Mitteilung,  daß  die  mit  Vorsicht  ausgeführten  sub¬ 
arachnoidalen  lumbalen-  Kokaininjektionen  nach  seinen  bisherigen 
Erfahiamgen  ungefährlich  erscheinen  und  ihre  Indikation  in  allen 
Fällen  finden,  in  denen  bei  Operationen  an  den  unteren  Extiemi- 
läten  eine  Allgenieinnarkose  nicht  angebracht  erscheint. 

Als  die  Methode  der  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  all¬ 
gemeiner  wurde,  entbrannte  ein  Priorilälsstreit,  in  dem  der  Ameri¬ 
kaner  Corning  die  Methode  für  sich  in  Anspruch  nahm.  Da 
Harley  gi'zeigt  hatte,  daß  Gifte  durch  Vennittlung  der  Gefäß(“ 


Nr.  19 


WIENER  Kl.lNlSCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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auf  (las  Rttckoiiinark  eiuwiikeu  koiiiieu,  so  ging  Corning  von 
der  Annahme  aus,  daß  Gifte  auf  dem  Umwege  des  Kreislaufes 
auf  das  Rückenmark  einwirken  können  und  injizierte  deshalb 
Kokain  zwischen  die  Dornfortsätze  der  untersten  RrUstwirbel, 
weil  hier  heim  Menschen  die  Venae  spinosae  zahlreiche  Ana- 
stoniosen  mit  dem  Plexus  spinalis  internus  haben  und  so  durcli 
den  ausgedehnten  Venenplexus  die  rasche  Resorption  des  Mithds 
gefördert  wird.  Sowohl  seine  Versuche  am  Hunde  als  aucli  am 
Menschen,  ließen  ihn  eine  Anästhesie  der  unteren  Körperhälfto 
erzielen,  gleichzeitig  konnte  man  die  von  Hier  her  hekannten 
Folgeerscheinungen  des  Kokain,  wie  Kopfschmerz,  Schwindel, 
beobachten.  Corning  wies  auch  auf  den  therapeutischen  Wert 
des  Verfahrens  hin,  wenn  man  statt  Kokain  andere  Mittel  inji¬ 
zieren  würde  und  beschreibt  auch  in  seiner  nächsten  Mitteilung 
im  Jahre  1888  vier  Fälle  von  ,,Spinalirrita1ion“,  die  er  durch 
Einspritzen  von  Kokain  und  Pyrogallussäure  in  das  Rückenmark 
behandelt  hatte.  Auch  darauf,  daß  diese  Methode  die  Narkose 
ersetzen  könnte,  weist  Corning  hin.  Risher  hatte  Corning 
vermieden,  die  Medikamente  in  das  Rückenmark  selbst  zu  bringen. 
Aber  in  seinem  im  Jahre  1894  erschienenen  Ruche  ,,Pain“,  spricht 
Corning  die  Absicht  aus,  die  Medikamente  direkt  in  den  Lumbal¬ 
sack  und  damit  auf  die  Cauda  equina  und  das  Rückenmark 
zu  bringen,  gleichzeitig  wird  hier  auch  eine  Reschreibung  der 
Technik  gegeben.  Comings  Ideen  und  Versuche  blieben  gänz¬ 
lich  unbekannt.  Daß  er  sich  selbst  der  Tragweite  seiner  Ver¬ 
suche  nicht  bewußt  war,  beweist,  wie  Bier  schreibt,  daß  es  ihm 
nie  einfiel,  einen  Chirurgen  zu  veranlassen,  eine  Operation  unter 
seinem  Verfahren  auszuführen.  Es  geht  nun  nicht  an,  Bier, 
der  ebenfalls,  ohne  von  den  Versuchen  Comings  zu  wissen, 
ganz  selbständig  nicht  nur  die  Idee  hatte,  durch  Kokaininjektionen 
in  den  Duralsack  eine  Anästhesie  der  uftteren  Körperhälfte  her¬ 
beizuführen,  sodann  diese  Idee  praktisch  durcharbeitete  und  für 
den  Chirurgen  verwendbar  machte,  die  Priorität  seiner  genialen 
Erfindung  streitbar  zu  machen.  Die  Lumbalanästhesie  ist  das 
geistige  Eigentum  Biers  und  wird  stets  mit  seinem  Namen  ver¬ 
knüpft  bleiben.  Uehrigens  haben  sich  sowohl  ein  iVmenkaner 
selbst,  Robinson,  als  auch  Reclus  und  Hahn  energisch  für 
die  Rückenmarksanästhesie  als  das  geistige  Eigentum  Biers  ein¬ 
gesetzt.  In  der  allerletzten  Zeit  haben  die  Berliner  Aerzte  Hilde¬ 
brandt,  Bosse  und  Bockenheimer  versucht,  die  Erfindung 
und  Einführung  der  Rückenmarksanästhesie  Corning  zuzu¬ 
schreiben,  dem  sich  aber  Bier  durch  klare  und  objektive  Literatur¬ 
nachweise  widersetzte. 

Sic  card  (im  Jahre  1899)  injizierte  zunächst  aus  experi¬ 
mentellen  Gründen  Tieren  subarachnoidal  Toxine,  Toxalbumine, 
Mikroben,  später  aber  auch  in  therapeutischer  Absicht  Medika¬ 
mente,  Chlor-  und  Jodsalze,  Tetanusserum,  bei  einer  tuberkulösen 
Meningitis  Jodoformemulsion,  doch  war  das  Ergebnis  dieser  Ver¬ 
suche  ein  negatives.  Siccard  versuchte  drei  Wege,  den  kra- 
nicllen,  den  atlantiko-okzipitalen  und  den  luinbalen  Weg,  von 
denen  sich  die  beiden  ersten  als  ungeeignet  und  nur  der  letzte 
als  brauchbar  erwies.  Fast  gleichzeitig  machten  ähnliche  Versuche 
Jakob  und  Jaboulay.  Jakob  wies  auch  nach,  daß  die  sub¬ 
arachnoidale  Einführung  größerer  Flüssigkeitsmengen  heim  Ge¬ 
sunden  zu  einer  Drucksteigerung  im  Rückenmarkskanal  führe. 

Die  ersten  Mitteilungen  über  die  Erfolge  der  Lumbalan¬ 
ästhesie  waren  auch  von  seiten  der  Franzosen  mit  Ausnahme  von 
Tuffier  keine  sehr  begeisterten.  Bouebard  stellte  nur  sehr 
beschränkte  Indikationen  für  die  Kokainisierung  des  Rücken¬ 
markes.  Chaput  hatte  bei  seinen  ersten  zwei  Fällen  nur  bei 
dem  einen  Erfolg,  bei  dem  anderen  gelang  es  ihm  nicht,  in  den 
Rückgratskanal  zu  gelangen.  Auch  am  internationalen  medi¬ 
zinischen  Kongresse  in  Paris  im  August  1900  sprachen  sich 
Racoviceanu  und  Severer anu  noch  sehr  skeptisch  aus. 
Dumont  sprach  sich  nun  allerdings  auf  Grund  von  drei  Fällen 
gegen  die  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  aus. 

Reclus  sprach  sich  sehr  gegen  die  günstige  Meinung 
Tuffiers  aus,  indem  er  auf  2000  Lumbalanästhesien  mit  Kokain 
die  hohe  Zahl  von  sechs  Todesfällen  zusammenstellte. 
Tuffier  war  es,  der  immer  und  immer  wieder  von  den  Erfolgen 
meldete,  die  er  mit  der  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  er¬ 
zielte.  Im  Jahre  1900  verfügte  Tuffier  über  250  Fälle 
von  Lumbalanästhesie,  hatte  aber  darunter  bereits  einen  Todes- 


lall.  Die  Kranke  war  am  Tage  nacb  dc'r  ()|)ei'ation  an  iierz- 
affektion  gestorben.  Von  den  Todesfälleu,  weiche  Reclus  an¬ 
führt,  sind  nach  Tuffier  nudirere  zu  enlki'äflen,  weil  die 
Patienten  an  ihrem  Innenleiden  und  nicht  am  Kokain  zugrunde 
gingen.  Bemaleci,  Lecrenier,  .Lugers,  Doleris,  Tedi'- 
prado,  Chipault,  Ziembicki,  Francesco,  Vlinz,  Meero- 
witz  äußern  sich  über  die  Kokainisierung  des  Rückenmarkes 
im  allgemeinen  günstig.  Vincent,  Villar,  Dickiason  sind 
mit  dem  Erfolge  der  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  sehr  zu¬ 
frieden.  Morton,  der  den  Licpior  cerebrospinalis  als  Lösungs¬ 
mittel  für  das  Kokain  gebrauchte,  erzielte  in  673  Fällen,  davon 
60  Operationen  an  der  oberen  Körperhältte,  jedesmal  vollen  Erfolg. 

Von  den  österreichischen  Aerzten  hat  vor  allem  Schwarz 
die  neue  Methode  aufgenommen  und  propagiert.  Da  aber  doch 
die  Folgeerscheinungen  der  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  oft 
schwerer  waren,  der  Erfolg  unsicher,  häufig  Versagen  vorkam, 
so  daß  man  doch  dann  noch  zur  Narkose  greifen  mußte,  so  konnte 
sich  die  Methode  keinen  rechten  Platz  erobern  oder  behaupten  und 
Hahn  war  berechtigt,  im  Jahre  1901  zu  schreiben:  „Falls  nicht 
neue  Gesichtspunkte  in  die  Diskussion  gebracht  werden,  dürfte 
die  Bewegung  ihren  Höhepunkt  bald  überschritten  haben.“ 

Da  waren  es  zwei  Momente,  die  die  Bewegung  in  ganz 
andere  Bahnen  lenkten  und  neue,  günstigere  Perspektiven  eröffneten. 
Zunächst  fand  Braun  in  Leipzig,  daß  es  gelingt,  dem  Kokain 
seine  Intoxikationsgefahr  zu  nehmen  und  gleichzeitig  die  Inten¬ 
sität  seiner  Wirkung  bedeutend  zu  erböhen,  so  daß  man  mit 
viel  kleineren  Kokaindosen  viel  höhere  Grade  von  Anästhesie 
erzeugen  kann,  wenn  man  der  Kokainlösung  Nebennierenpräparate, 
Adrenalin,  Suprarenin  oder  Paranephrin  zusetzt.  Nicht  nur  in 
der  Lokalanästhesie,  sondern  auch  in  der  Spinalanästhesie  be¬ 
währten  sich  diese  Beobachtungen  Brauns  und  damit  war  ein 
großes  Hindernis,  ein  Stein  des  Anstoßes  aus  dem  Wege  ge¬ 
räumt.  Das  zweite  Moment,  das  gerade  in  den  allerletzten  Jahren 
den  Grund  zur  allgemeinen  Verbreitung  der  Spinalanalgesie  gab, 
liegt  darin,  daß  man  auf  der  Suche  nach  ungefährlicheren  Ersatz¬ 
mitteln  für  das  Kokain,  auch  wirklich  solche  fand. 

Kaum  daß  die  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  bekannt 
war,  suchte  man  auch  schon  ungefährlichere  Ersatzmittel  für  das 
Kokain.  Engel  mann  versuchte  das  Eukain,  Braun  warnt  aber 
nach  einem  Versuche  an  sich  selbst  dringend  vor  dessen  Gebrauch. 
Außer  leichten  Parästhesien  kam  es  zu  keiner  Anästhesie,  hingegen, 
traten  Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Temperatursteigerimg,  kleiner 
unregelmäßiger  Puls,  Dyspnoe,  sowie  tagelang  andauernde  Kreuz¬ 
schmerzen  auf.  IVIeerowitz  versuchte  ebenfalls  das  Eukain, 
neben  dem  Kokain,  ohne  aber  einen  Vorzug  des  ersteren  gegen¬ 
über  dem  Kokain  finden  zu  können.  Andere  wiederum  sind  mit 
Eukain,  sei  es  Erdcainum  lacticum,  Eukainum  hydrochloricum 
oder  Eukainunr  ß  als  weniger  toxisches  Ersatzmittel  des  Kokains 
zufriedener,  doch  wird  cs  im  allgemeinen  nicht  zu  sehr  geloht. 
Silbermark  wendete  von  ö®/oiger  Lösung  2  cnP  an  und  ist 
im  allgemeinen  zufrieden.  Unter  100  Fällen  waren  41  Störungen 
vorgekommen;  die  Neben-  und  Nacherscheinungen  waren  meist 
milde;  die  toxischen  Erscheinungen  standen  unter  dem  Zeichen 
der  bulbären  Reizsymptome.  Ferner  gebrauchte  es  öfter  .led- 
licka  (400  Fälle  ohne  Neben-  und  Nacherscheinungen),  Pre- 
leiter,  Zahradnicky,  Schnurpfeil,  Trzehicky,  Plata- 
now  mit  allgemein  günstigem  Erfolge.  Dönitz  und  Prcindels' 
herger  haben  keine  guten  Erfahrungen  mit  dem  Eukain  ge¬ 
macht  und  es  deshalb  rasch  wieder  aufgegehen;  Kopfstein  gibt 
dem  Tropakokain  vor  dem  Eukain  den  Vorzug.  Schiassi  inji¬ 
zierte  neben  dem  Kokain  auch  Chloralhydrat  und  Morphin.  P  r  e  i  n- 
delsberger  versuchte  Anästhesin,  gab  es  aber  wegen  seiner  ge¬ 
ringen  Löslichkeit  wieder  ganz  auf.  Marx  versuchte  die  Injektionen 
von  Salzlösung,  konnte  zwar  das  Ausbleiben  übler  Folgeerschei¬ 
nungen,  aber  keine  Analgesie  heobachten.  Fowler  erzielte  mit 
einer  l°/oigen  Antipyrinlösung  Analgesie  bis  zu  den  Brustwarzen. 
Haubold  und  Melzer  empfehlen  auf  Grund  ihrer  Versuche  am 
Affen  Und  sieben  Beobachtungen  an  Menschen  zur  Spinal¬ 
anästhesie  das  Magnesiumsulfat.  Zwei  Stunden  vor  der  Operation 
wird  1  cm^  einer  25‘’/oigen  Lösung  auf  je  20  Pfund  Körpergewicht 
eingespritzt,  außerdem  eine  kleine  Menge  Chloroform.  Nach  der 
Spinalanalgesie  waschen  sie  den  Spinalkanal  aus.  In  fast  allen 
Fällen  trat  nachher  Erbrechen  und  Temperatursteigerung  auf.  In 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCIIRIET.  1907. 


Nr.  19 


einigen  Fällen,  in  welchen  nach  der  Spinalanalgesie  nicht  aus¬ 
gewaschen  worden  war,  trat  einige  Stunden  später  Bewußtlosigkeit 
mit  dieselbe  überdauernder  Blässe  und  Dannlähmung  ein.  Dau- 
ej'iide  schädliche  Folgen  haben  die  Autoren  zwar  nicht  beob¬ 
achtet,  doch  hat  ihr  Verfahren  keine  Aveitere  Verbreitung  gefunden. 

Die  beiden  Präparate,  Avelche  der  Lumbalanästhesie  zu  ihrem 
Aufschwünge  verholfen  haben,  sind  das  Stovain  und  iropakokain. 
In  letzter  Zeit  wird  auch  das  Novokain  und  Alypin  als  Ersatz¬ 
mittel  für  das  Kokain  angewandt ;  auch  die  Verbindung  der  fmmbal- 
anästbesie  mit  dem  Morphin  -  Skopolamindämmerschlaf,  speziell 
in  der  Geburtshilfe,  wurde  in  neuester  Zeit  versucht. 

Viele  Autoren  beschäftigen  sich  auch  mit  der  theoreti¬ 
schen  Frage  der  Wirkung  des  An  ä  s  th  e  ti  k  u  m  s  auf  das 
zentrale  Nervensystem. 

Corning  ist  der  Meinung,  daß  das  Kokain  nicht  vom 
Liquor  cerebrospinalis  absorbiert  wird,  sondern  das  Rückenmark 
ausschließlich  auf  dem  Umwege  durch  den  Kreislauf  beeinflußt 
wird,  welcher  Meinung  sich  ganz  vereinzelt  nur  Eskridge  an¬ 
schließt. 

Die  analgesierende  Wirkung  des  Kokains  sucht  Corning 
auf  eine  Affinität  dieses  Mittels  zu  den  sensiblen  NervenfasernI 
zurückzuführen.  Marx  ist  der  Ansicht,  daß  die  Kokainlösung 
durch  direkten  Kontakt  die  Empfindlichkeit  des  Plexus  lumbalis 
abstumpft,  während  es  gleichzeitig  zu  einer  molekularen  Re¬ 
sorption  des  Kokains  vom  Rückenmarke  aus  kommt,  woraus 
sich  die  Aveitere  Ausdehnung  der  Analgesie  auf  die  Partien, 
Avelche  höher  oben  Amm  Rückenmarke  aus  versorgt  werden,  erklärt. 

Nach  Bier  Avirkt  das  Kokain  nicht  auf  die  Markssubstanz, 
sondern  auf  die  scheidenlosen  Spinalwurzeln  und  Ganglien. 

de  Nigris  und  Valliet  hetrachten  die  Analgesie  als  eine 
Folge  der  direkten  KokaiiiAvirkung  auf  die  sensiblen  Fasern  der 
Cauda  equina.  Nach  Tuffier  und  Hallion  beruht  die  Analgesie 
auf  einer  transitorischen,  physiologischen  Aktion  der  hinteren 
Wurzeln.  Die  Lähmung  der  intraarachnoidalen  Nervenelemente, 
die  mit  dem  Kokain  in  Berührung  kommen,  führt  Aveiterhin  zu 
einer  vasomotorischen  Paralyse  der  SAibdiaphragmatischen  Gefäße 
und  dadurch  zu  einem  konstanten  Sinken  des  Blutdruckes  durch 
eine  allgemeine  Vasokonstriktion.  Nach  Tuffier  und  Hallion 
vollzieht  sich  die  Wirkung  ^des  Kokains  in  drei  Stadien.  Zunächst 
nach  der  Einführung  des  Kokains  in  den  Subarachnoidalraum 
Avirkt  das  Kokain  lähmend  auf  die  Medulla  spinalis  und  erzeugt 
dadurch  Analgesie.  Weiterhin  kommt  es  zu  einer  Diffusion  durch 
den  ganzen  Spinalkanal  bis  in  die  Gehirnvontrikel,  wodurch  sich 
teihveise  die  Nebenerscheinungen  erklären  lassen,  die  eher  als 
Reiz-,  denn  als  Lähmungserscheinungen  aufzufassen  sind  und 
schließlich  geht  das  Kokain  in  den  Kreislauf  über,  wodurch  ein 
anderer  Teil  der  üblen  Folgeerscheinungen  bedingt  ist. 

Nicoletti  stellte  TierAmrsuche  an,  um  festzustellen,  Avie 
und  in  Avclcher  Ausdehnung  das  Kokain  im  Rückenmarkskanal 
Avirkt  und  ob  histologische  Veränderungen  in  den  Nervenelementen 
auftreten.  Letztere  konnten  nicht  gefunden  Averden.  Die  Wirkung 
des  Kokains  erklärt  Nicoletti  als  eine  vasomotorische,  zunächst 
konstriktojisch,  dann  dilatatorisch.  Hiedurch  kommt  es  zu  Er¬ 
nährungsstörungen  im  Marke  und  infolgedessen  zu  Funktions¬ 
störungen,  die  sich  iji  Form  der  Anästhesie  äußern.  Nico¬ 
letti  erreichte  mit  anderen  vasokonstriktorisch  Avirkenden  Älilteln 
Avie  Ergotin,  Chinin,  Antipyrin,  bei  gleicher  AnAA^endungsAveise 
el)enfalls  Anästhesie.  Nach  .lakob  ist  die  Analgesie  die  Folge 
einer  Leituiigsunterbrechung  in  den  intraduralen,  schmerzleitenden 
Wurzelfasern;  erst  im  Aveiteren  Verlaufe  Avurden  die  übrigen 
sensiblen  NerAmnfasern  getroffen. 

Golel)ski  stellte  seine  experimentellen  Untersuchungen  an 
Hunden  und  Fröschen  an.  Was  die  Reihenfolge  aidretrifft,  in 
Avelcher  die  Reaktion  auf  die  verschiedenen  Reize  erlosch,  so 
vi'i'lor  beim  Frosche  der  stärkste  Reiz  (Betupfen  der  Haut  mit 
Säure)  zuerst  seine  Wirkung,  AAÜhrend  die  Empfindung  für  ein- 
fache  Beiäibrung  am  längsten  erhalten  blieb.  Beim  Hunde  über¬ 
dauerte  flie  elekti’ische  Reizbarkeit  die  Schmeizemi)findung.  Beim 
ScliAvinden  der  Anästhesie  kehrte  die  Empfindung  von  der  Peri¬ 
pherie  g(!gen  das  Zentmm  fortschreitend  Avieder.  Die  Temperatur- 
Steigerung  faßt  Golebski  ausschließlich  als  eine  Intoxikationsi- 
erscheinung  des  Kokains  auf,  die  sich  durch  gleichzeitige  Injektion 
von  Kokain  und  Antipyrin  vermeiden  läßt. 


Auf  Veranlassung  Biers  versuchte  Eden  durch  Injektion 
A^erschiedener  Medikamente  in  den  Duralsack  von  Katzen,  deren 
anästhesierende  Wirkung  zu  erproben.  Sehr  gute  Resultate  er¬ 
gaben  Kokain  (noch  in  sehr  kleinen  Dosen,  0  0005  in  i  cnU 
Wasser  gelöst),  Kokain  mit  Eukain  zusammen  (O-OOOI),  0-2äoige 
Kochsalzlösung,  1  cnU  einer  öo.oigen  Karbolsäurelösung,  Veronin 
(O-Ol),  Akoin  (Va  mg),  Tropakokain  (0-075),  destilliertes  Wasser 
(zAvei  bis  drei  Spritzen).  Eukain  allein  ergab  dem  Kokain  gegen¬ 
über  keine  Vorzüge.  Tinctura  opii  simplex  und  Anästhesin  er¬ 
gaben  ZAvar  gute,  aber  nur  sehr  kurz  dauernde  Anästhesien. 
Aether  in  kleinen  Dosen  erzeugte  eine  gute  Anästhesie,  Avurde 
er  aber  in  größeren  Dosen  AmrAvendet,  so  kam  es  zu  bleibenden 
Lähmungen,  Kollaps,  eventuell  auch  zum  Tode.  lOVoiger  Alkohol 
ergab  zAvar  gute  Resultate,  doch  traten  öfters  rasch  vorübergehende 
Lähmungen  auf.  Morphium  und  Chloroform  hatten  ein  negatives 
Resultat  zur  Folge.  Physiologische  Kochsalzlösung  hatte  keinen 
guten  Erfolg.  Nirvanin  ist  nicht  zu  empfehlen,  da  schon  bei 
0-05  plötzlicher  Tod  eintrat. 

Im  Anschlüsse  an  die  Untersuchungen  von  Eden  stellte 
Dönitz  an  Katzen  experimentelle  Versuche  an,  um  die  Wirkung 
des  Kokains  zu  prüfen,  Avenn  es  mit  Adrenalin  zusammen  injiziert 
Avird.  Die  tödliche  Dosis  Kokain  für  Kaizen  betrug  nach  den 
Untersuchungen  von  Eden  0-018  cg.  Dönitz  fand  nun,  daß, 
wenn  man  dem  Kokain  drei  Tropfen  Adrenalin  beimengt,  die  Dosis 
letalis  0-06  betrug;  AAmrden  vorher  0-5  cnU  Adrenalin  injiziert, 
so  war  die  tödliche  Dosis  des  Kokains  0-11.  Der  gleichzeitige 
Gebrauch  von  Adrenalin  drückte  also  die  Toxizität  des  Kokaiiis 
auf  ein  Drittel,  die  vorhergehende  Adrenalininjektion  auf  ein 
Fünftel  der  von  Eden  beobachteten  tödlichen  Dosis  herab.  Das 
Adrenalin  verminderte  dauernd  die  Giftigkeit  des  Kokains  und 
erhöhte  gleichzeitig  dessen  anästhesierende  Kraft  nach  Zeit,  Aus¬ 
dehnung  und  Intensität. 

Ausgedehnte  experimentelle  Studien  über  die  Lumbalan¬ 
ästhesie  AAmrden  auch  von  Klapp  vorgenommen.  Klapp  Avies 
nach,  daß  das  intradural  injizierte  Gift  AÜel  toxischer  Avirkt  als 
das  subkutan  injizierte,  da  die  Resorption  des  Giftes  vom  Dural¬ 
säcke  aus  viel  schneller  vor  sich  geht.  Klapp  Avies  dies  durch 
quantitative  Harnuntersuchungen  nach,  die  er  an  Hunden  vor¬ 
nahm,  AA'elche  subkutan,  bzAV.  intradural  1  r  Milchzucker  injiziert 
worden  Avar.  Bei  der  intraduralen  Einverleibung  des  Milchzuckers 
erfolgte  dann  Resorption  zum  größten  Teile  bereits  in  den  erstoji 
Stunden  nachher,  während  bei  der  subkutanen  Einverleibung  sich 
die  Resorption  auf  mehrere  Stunden  gleichmäßig  verteilte.  Zusatz 
von  Adrenalin  zur  Injektionsflüssigkeit  vermag  ihre  Resorption 
vom  Duralsacke  aus  erheblich  zu  verlangsamen;  ebenso  ver¬ 
langsamt  Zusatz  Amn  schleimigen  Stoffen,  z.  B.  Gelatine  die 
Resorption,  doch  ist  dieses  Alittel  bei  Menschen  Avegen  seiner 
schlechten  Sterilisierbarkeit  nicht  zu  empfehlen.  Da  außer  der 
schnellen  Resorption  des  Kokains  vom  Duralsacke  aus  auch  die 
direkte  Berührung  des  Kokains  mit  dem  Rückenmarke  und  Geliirnc 
in  Betracht  kommt,  so  vermag  auch  eine  Verlangsamung  der 
Resorption  des  intradural  injizierten  Kokains  bei  Vlenschen  die 
schädliche  Nebemvirkung  nicht  ganz  zu  hescitigen.  Doch  kann  man 
nach  Klap])  hier  entgegenAvirken,'  AAmnn  man  das  Kokain  in  einer 
Flüssigkeit  (z.  B.  Oel)  gelöst  injiziert,  welche  sich  mit  dem  Liquor 
cerebrospinalis  schlecht  vermischt.  Da  sich  Kokainum  hydro- 
chloricum  aber  in  Oel  nicht  löst,  so  gelang  cs  nach  langem  Suclien 
Klapp  endlich,  eine  Oellösring  zu  bekommen,  das  Kokainum 
oleinicum,  welche  Lösung  hei  Menschen  aussichtsvoll  zu  sein 
scheint. 

Im  Gegensätze  zu  Klapp  fanden  Heinecke  und  LäAven, 
daß  der  Verlauf  der  Vergiftung  hei  intraduraler  Verabreichung  nicht 
durch  die  ResorptionsgeschAvindigkeit,  sondern  durch  die  dii'ckte 
Wirkung  des  Giftes  auf  die  Substanz  des  Zentralnervensystems 
bedingt  Avird.  Um  zu  erfahren,  ob  das  Anästhetikum  durch  direkte 
Berührung  mit  Rückenmark  und  Gehirn  oder  erst  durch  Re¬ 
sorption  im  Kreisläufe  toxisch  wirkt,  Avurde  die  giftige  Grenz¬ 
dosis  erst  iidi'avenös  und  intramuskulär  injiziert,  ehe  die  iiitra- 
durale  Mdrkung  geprüft  Avurde.  Dabei  fanden  Heinecke  und 
LäAven,  daß  hei  gleicher  Dosis  und  Konzentration  bei  inti'a- 
duraler  AuAvendung  der  Blutdruck  sofort  intensiv  und  lange  ab¬ 
sinkt,  häufig  sogar  der  Tod  eintritt,  AAdihrend  bei  intraAmnöser 
Injektion  der  Blutdruck  nur  auf  kurze  Zeit  sinkt  und  nur  bei 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


grölKor  Iiijoklioiisgesclnvindigkeil  iMiiliilt  mul  bei  iiilramuskulürer 


Einverleibung  überluvupL  keine  Einwirkung  auf  den  Bin  Id  nick 
stattfindet.  In  ihren  weileren  Versuclien  Iracbtelen  die  Auloren, 
die  Resorplion  von  der  Kontaklwirkung  getrennt,  zu  unlersuehen. 
Dazu  wurde  der  Duralsack  in  der  Höhe  des  obersten  Bi'uslinarkes 
nacli  einer  eigenen  Methode  abgesclinürt.  Die  Grenzdosis  von 
Novokain  und  Kokain,  mit  welchen  Mitteln  experimentiert  wurde, 
führte  dann  zu  keiner  Verminderung  des  Blutdruckes,  gleicbgüllig, 
ob  man  hohe  oder  niedrige  Konzentration  der  Gifllösung  anwandte, 
während  wenn  der  Duralsack  nicht  ahgeschnürt  war,  bei  höliorer 
Konzentration  der  Lösung  der  Grenzdosis  des  anästhesierenden 
Giftes  bei  Injektion  in  den  Duralsack,  die  Giftwirkung  langsam 
ein  trat. 

Oelige  Lösungen  des  Anästhetikums  wirkten  nicht  anders  als 
wässerige.  Auch  danach  spielt  die  Resorption,  die  zur  Anästhesie 
erforderliche  Dosis  vorausgesetzt,  keine  vergiftende  Rolle,  sondern 
ausschließlich  der  Kontakt  mit  dem  Zentralnervensystem. 

Guinard  fand,  daß  Wasser,  subdural  injiziert,  ein  heftiges 
Gift  für  Nerven  und  Rückenmark  bildet,  da  es  in  den  Subarach¬ 
noidalraum  injiziert,  zwar  eine  anästhetische  Wirkung  zur  Folge 
hatte,  aber  äußerst  schwere  Nebenerscheinungen,  vor  allem  heftige 
Zephalalgie,  Erbrechen,  hohe  Temperaturen  nach  sich  zog.  Des¬ 
halb  ist  jeder  Zusatz  von  reinem  Wasser  zum  Anästhesierungs¬ 
mittel  als  unzulässig  zu  bezeichnen.  Auch  die  von  manchen 
Chirurgen  an  Stelle  des  Wassers  gebrauchte  isotonische  Kochsalz¬ 
lösung  wirkte  nicht  milder  als  destilliertes  Wasser.  Guinard 
benützte  nun  als  erster  als  Lösungsmittel  für  das  Kokain  den 
Liquor  cerebrospinalis  in  der  Weise,  daß  er  dem  abgelaufenen 
Liquor  einige  Tropfen  Kokain  hinzufügte  und  dann  die  Mischung 
wieder  in  den  Duralsack  einspritzte.  Nach  Guinards  Mitteilung 
verliefen  seine  ersten  70  auf  diese  Weise  durchgeführten  Rücken¬ 
marksanästhesierungen  ohne  die  geringsten  Neben-  oder  Nach 
erscheinungen.  Auch  Lazarus  fand  durch  66  an  Menschen  vor¬ 
genommene  Untersuchungen,  daß  eine  Herabsetzung  der  mole- 
kulären  Konzentration  der  Zerebrospinalflüssigkeit  durch  Injektion 
mit  destilliertem  Wasser  Schmerz  hervorrief. 

Das  Verhalten  des  Blutdruckes  bei  der  Lumbalanästhesie 
wurde  von  Mori  genauer  studiert,  indem  bei  50  mittels  Suprarenin 
und  Kokain  durchgeführten  Spinalanästhesien  der  Blutdruck  be- 
slimmt  wurde.  Am  öftesten  (16  Fälle)  wurde  eine  Erhöhung  des 
Blutdruckes  im  Beginne  und  darauf  ein  geringes  Sinken  unter 
den  normalen  Druck  beohachtet.  Zwölfmal  blieb  der  Blutdruck 
während  der  ganzen  Zeit  erhöht,  achtmal  war  überhaui)t  kein 
Einfluß  bemerkbar,  neunmal  fiel  der  Blutdruck  ab  und  bei  diesen 
Kranken  traten  leichte  Kollapszustände  auf. 

Cathel  in  sucht  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Zirku¬ 
lation  den  Zerebrospinalflüssigkeit  den  Beweis  zu  bringen,  daß  diese 
ähnlich  dem  Lymphgefäßsystem  ein  besonderes  Zirkulationssystem 
bildet.  Cathel  i  n  nimmt  an,  daß  die  perivaskulären  Lymph- 
stornata  Mündungen  des  von  ihm  behaupteten  Zirkulationssystems 
darstellen,  das  sich  bis  in  das  periphere  Nervensystem  fortsetzt. 
Basiert  ist  die  Theorie  einerseits  auf  Untersuchungen,  welche  die 
Plexus  als  Entstehungsort  des  Liquor,  infolge  einer  sekretorischen 
Tätigkeit  dieses  Gebildes  annehmen,  anderseits  auf  experimentellen 
Untersuchungen,  welche  den  Strom  der  Zerebrospinalflüssigkeit 
in  allen  Gängen  des  Körpers  nachwiesen,  schließlich  auf  der  öfter 
von  Chirurgen  gemachten  Beobachtung  kontinuierlichen  fVbflusses 
von  Liquor  cerebrospinalis  nach  Verletzungen. 

In  einer  Reihe  von  Arbeiten  suchten  verschiedene  Autoren 
den  Nachweis  a n a  t  o m i  s c h er  V e  r  ä n  d e r u n g  e  n  i  m  Rück e n- 
marke  infolge  der  Lumbalanästhesie  zu  erbringen,  aller¬ 
dings  eigentlich  erfolglos. 

Carini  tötete  die  Versuchstiere  verschieden  lange  Zeit  nach 
der  subarachnoidalen  Kokaininjektion  und  untersuchte  dann  das 
Rückenmark  nach  der  N  i  s  s  1  sehen  Methode.  In  den  Ganglien¬ 
zellen  des  Rückenmarkes  der  drei  bis  vier  Stunden  nach  der 
Lumbalanästbesie  getöteten  Tiere  fand  sich  eine  leichte,  granuläre 
Veränderung  der  chromatischen  Substanz,  die  bei  acht  Ins  neun 
Stunden  später  getöteten  Tieren  bereits  zu  Fragmentation,  even¬ 
tuell  vollständiger  Dissolution  und  vakuolären  Degeneration  der 
Zelle  vorgeschritten  war;  wurden  die  Tiere  24  bis  48  Stunden 
später  getötet,  so  waren  die  Veränderungen  nunmebr  ganz  im- 
be<leutend  und  bei  nach  20  Tagen  getöteten  Tieren  gleicli  Null. 


Ö6Ü 


Dievs  beweisl  auch  Carini,  daß  es  sieb  hier  iiirlit  um  gcnuMalive 
Verämlerungen  handelt,  sondern  um  einbudie  reaktive  Vorgänge. 

va)t  L  i  e  r  unlei'sucbte  ebenfalts  histologisch  Stücke  aus  d(Mii 
Rückenmark,  der  Medulla  oblongata  und  den  Inlerverlebralganglimi 
von  Kairincben  nach  Nissls  Methode,  welchen  ‘Acnr'’  Stovain  und 
Adrenalin  suhdural  injiziert  worden  war.  Inder  Nähe  iler  Injektions¬ 
stelle  und  bei  einem  gewissen  Abstande  von  dieser  fanden  sich 
bei  gleich  nachher  getöteten  Kaninchen  hydropische  Schwellung 
der  Zellen  und  Veränderungen  ihrer  feinen  Struktur,  Zerfall  der 
Tigroidkör]ierchen,  dei‘  Kern  zeigte  sich  wie  aufgeblasen,  die 
aclnomatische  Substanz  schwach  blau  gefärbt,  während  im  Rücken¬ 
mark  von  12  bis  14  Stunden  nach  der  Injektion  getöteten  Tieren 
sich  diese  Veränderungen  nur  mehr  in  Spuren  fanden.  24  Stunden 
nachher  fanden  sich  nur  ausnahmsweise  in  vereinzelten  Zellen 
Färbung  des  Kernes  und  leichte  Färbung  der  Zellperipherie;  die 
Nisslkörperchen  waren  wieder  ganz  normal.  In  den  peripheren 
Nerven  wurden  keine  Veränderungen  gefunden. 

Falkner  suchte  auf  experimentellem  Wege  die  späteren 
Folgen  der  Lumbalanästhesie  anatomisch  nachzuweisen.  Es  wurden 
a.usgewachsene  Kaninchen  gebraucht  und  Tropakokain  als  An- 
ästhetikum  in  Verwendung  gezogen.  Die  Tiere  wurden  bis  zu 
vier  Monaten  am  Leben  gehalten  und  dann  teils  durch  Entbluten, 
teils  dureb  Chloroform  getötet.  Bei  allen  wurde  das  Rückenmark, 
bei  zweien  auch  das  Gehirn  in  stufenweisen  Serien  untersucht. 
Das  Resultat  war  ein  vollständig  negatives,  indem  weder  ein 
frischer,  noch  ein  alter  Degenerationsvorgang  gefunden  werden 
konnte. 

Genaue  Untersiichimgen  über  das  Verhalten  des  Nerven- 
status  während  und  nach  der  Lumbalanästhesie  verdanken  wir 
Finkelnburg,  der  seine  genauen  neurologischen  Beobachtungen 
bei  50  Spinalanalgesien  anstellte.  Es  wurde  004  bis  0-06  Stovain 
mit  Adrenalin,  gemischt  mit  Liquor  injiziert.  Bei  gut  gelungener 
Stovaininjektion  batte  der  Kranke,  abgesehen  von  dem  Hautstiche 
während  und  nach  der  Injektion  keine  unangenehmen  Empfin¬ 
dungen.  Nur  in  vereinzelten  Fällen  Avurde  über  einen  kurzen, 
stechenden  Schmerz  in  einem  Beine  geklagt  und  in  diesen  Fällen 
wurde  auffallenderAveise  das  vorübergehend  schmerzhafte  Bein 
früher  und  in  höherem  Grade  anästhetisch  als  das  andere  Bein. 
Der  Gang  der  sich  entwickelnden  Funktionsstörungen  des  Nerven¬ 
systems  ist  kurz  folgender:  1.  Neben  Frühsymptomen  der  unteren 
(dritten  bis  fünften)  Sakralnerven  findet  man  als  frühestes  Sym¬ 
ptom  eine  Herabsetzung,  bzw.  ein  Fehlen  des  Patellar-  und 
Achillessehnenreflexes;  2.  die  im  Verlaufe  weniger  Minuten  auf 
die  unteren  Extremitäten  und  den  Rumpf  sich  erstreckenden  Ge¬ 
fühlsstörungen  betreffen  anfangs  nur  die  Schmerzempfindung.  Das 
Berührungs-  und  Temperaturgefühl  erlischt,  wenn  es  überhaupt 
schwindet,  erst  später.  Das  Lagegefühl  war  stets  noch  deutlich 
erhalten,  wenn  schon  alle  anderen  Gefühlsqualitäten  aufgehoben 
waren;  3.  abgesehen  vom  Hodenreflexe  verschwinden  die  Haut¬ 
reflexe  verhältnismäßig  spät;  4.  als  letztes,  wohl  hauptsächlich 
infolge  der  anatomischen  Lage  der  Wurzeln  in  der  vorderen 
Hälfte  des  Rückenmarkes,  setzten  Störungen  der  Motilität  ein; 
5.  die  elektrische  Prüfung  ergibt  weder  bei  direkter  noch  indirekter 
Reizung  für  beide  Stromarten  Aveder  quantitatiAm,  noch  qualitatiAm 
Aenderungen  der  Erregbarkeit.  Die  Wiederkehr  der  einzelnen 
Funktionen  erfolgte  viel  langsamer  als  das  Eintreten  der  An¬ 
ästhesie.  Die  zeitliche  Reihenfolge,  in  der  die  einzelnen  Funktionen 
sich  wieder  einstellen,  vollzieht  sich  jnit  einer  geAvissen  Gesetz¬ 
mäßigkeit,  indem  zunächst  Motilität,  dann  die  Sensibilität  und 
als  letztes  die  Reflexe  Aviederkehren.  Bezüglich  der  Reihen¬ 
folge,  in  der  sich  die  Motilität  Avieder  einstellt,  ist  insoferne  eine 
gewisse  Gesetzmäßigkeit  zu  erkennen,  als  in  typischen  Fällen 
diejenigen  Muskclgruppen,  die  zuerst  gelähmt  Avaren,  als  letzte  ihre 
Gelenkigkeit  Avieder  erlangten.  Demnach  bleiben  Bauchmuskeln 
und  Fußbeuger  am  längsten  paretisch.  Die  Wiederkehr,  der  Sen¬ 
sibilität  setzt  annähernd  gleichzeitig  ein  mit  der  Motilität,  nuü 
vollzieht  sie  sich  langsamer  und  außerdem  zeigt  sich  hierin  ein 
sehr  Avechselvolles  Bild.  Der  Ausfall  der  Sehnen-  und  Hautreflexe 
zieht  sich  am  längsten  hin.  Das  Vriedererscheinen  der  Flaut- 
reflexe  geht  mit  dem  der  Sehnenphänomen  zeitlich  etwa  parallel. 
Das  Kokain  ergab  ein  in  mancher  Beziehung  AAmsentlich  anderes 
Bild.  Bei  Kokain  -  Spinalanalgesie  zeigten  hei  ausgesprochener  Anal¬ 
gesie  vom  Nabel  abwärts  die  Sehnen-  und  Hautreflexe  stets  ein 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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normales  Verhältnis,  das  Berührungs-  und  Temperaturgefühl  war 
nur  verhältnismäßig  im  geringen  Grade  gestört,  das  Lagegefühl 
und  die  Mobilität  blieben  meist  ungestört  und  die  bisweilen  beob¬ 
achteten  Parästhesicn  waren  viel  weniger  ausgedehnt.  Nach 
Pitres  wird  die  obere  Grenze  der  Analgesie  'nicht  durch  eine 
zur  Köi'perachse  senkrechte  Ebene  gebildet,  sondern  reicht  rück¬ 
wärts  immer  höher  hinauf  als  vorne,  außerdem  ist  sie  durch  eine 
zwei  bis  drei  Querfinger  breite  Zone  verminderter  Sensibilität  von 
den  normal  sensiblen  Teilen  geschieden. 

Die  Technik  der  Lumbalanästhesie,  welche  Bier 
in  seiner  letzten  Arbeil  auf  Grund  seiner  an  über  1000  Fällen 
von  Lumbalanästhesie  gemachten  Erfahrung  angibt,  ist  folgende: 
Der  Kranke  sitzt  quer  auf  dem  Operationstische,  die  Beine  hängen 
seitlich  herunter,  der  Kopf  ist  vorne  übergebeugt,  die  Wirbelsäule 
stark  kyphotisch  gekrümmt.  Jetzt  wird  zwischen  dem  ersten  und 
zweiten,  oder  zweiten  und  dritten  Lendenwirbel  mit  der  Kanüle, 
welche  eine  kurz  abgeschrägte  Spitze  hat,  genau  in  der  Median¬ 
linie  unter  mehrfachem  Ansaugen  von  Liquorflüssigkeit  das  An- 
ästhetikum  langsam  eingespritzt.  Um  eine  hoch  hinauf  reichende 
Anästhesie  zu  erzielen,  empfiehlt  Bier  zwei  Wege:  Entweder 
man  löst  das  Anästhetikum  in  viel  Liquor  (6  bis  10  cm^)  und 
spritzt  die  Gesamtmenge  ein,  oder  man  bringt  den  Kranken  sofort 
in  K  ad  ersehe  Beckenhochlagerung.  Gefahren  sind  nach  Bier 
in  drei  Fällen  möglich.  1.  Man  wählt  ein  ungeeignetes  Mittel 
(Kokain);  2.  j\Ian  überschreitet  die  zulässige  Dosis  des  An- 
ästhelikums;  3.  Man  macht  eine  fehlerhafte  Punktion  und  Ein¬ 
spritzung.  Nie  soll  man  das  Anästhetikum  früher  inji¬ 
zieren,  bevor  nicht  der  Liquor  in  rascher  Tropfen- 
folge  oder  im  Strome  hervorquillt.  Den  rechten  Punkt 
zum  Einstiche  findet  man  am  besten,  wenn  man,  nachdem  der 
Kranke  in  der  angegebenen  Stellung  sitzt,  eine  die  Höhe  der 
Dannbeinkämme  verbindende  Querlinie  zieht,  welche  bei  stark 
kyphotischer  Haltung  der  Wirbelsäule  den  vierten  Lendenwirbel 
schneidet.  Der  nächsthöhere  Zwischenwirbelraum  (zwischen  dem 
dritten  und  vierten  Lendenwirbel)  oder  der  darauffolgende 
(zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Lendenwirbel)  wird  dann 
in  der  Regel  zur  Punktion  gewählt.  Manche  Chirurgen  lassen 
den  Kranken  zur  Punktion  nicht  sitzen,  sondern  in  stark 
gekrümmter  Seitenlage  liegen.  Den  Einstich  machen  viele  ohne 
jede  Lokalanästhesie,  manche  unter  Aethylchloridspray  oder  unter 
Schleichscher  Lokalanästhesie;  manche  machen  zuerst  unter 
Lokalanästhesie  mit  dem  Skalpell  eine  kleine  Inzision  und  stoßen 
erst  dann  in  diese  die  Nadel.  Läuft  nach  der  Injektion  kein 
Liquor  ab,  oder  ersebeint  er  rosa  oder  gar  stärker  blutig  tingierL 
dann  liegt  die  Nadel  nicht  in  der  Cysterna  terminalis.  Nun  ver¬ 
suche  man  durch  Drehen,  vorsichtiges  Vorschieben  oder  Zurück- 
zichen  der  Nadel,  eventuelle  Erneuerung  des  Einstiches,  einen 
kontinuierlichen  Liquorabfluß  zu  erzielen.  Gelingt  dies  nicht,  so 
versuche  man  im  nächsthöheren  Intervertebralraume  zu  punk¬ 
tieren.  Auf  keinen  Fall  darf  man  nach  übereinstimmender  Ansicht 
aller  Autoren  das  Anästhetikum  injizieren,  bevor  nicht  klarer, 
absolut  nicht  blutig  tingierter  Liquor  abtropft.  Das  Rückenmark 
endet  ja  mit  seinem  Conus  terminalis  in  der  Höhe  des  Bogens 
des  zweiten  Lendenwirbels,  während  der  Duralsack  bis  zu  dem 
zweiten  Kreuzbeinwirbel  sich  nach  abwärts  erstreckt.  In  letzteren 
verlaufen  die  beiden  Hälften  der  Cauda  equina  u.  zw.  nicht 
(licht  nebeneinander,  sondern  einen  schmalen,  langgestreckten, 
liquorhaltigen  Raum  von.  2  bis  5  mm  Rreite  zwischen  sich  lassend, 
in  dessen  Tiefe  die  Spitze  des  Conus  terminalis  und  das  Eilum 
terminale  liegen,  welchen  Spaltraum  Dönitz  die  Cysterna  tor- 
minalis  nennt.  Er  ist  oben  gewöhnlich  etwas  breiter  als  unten. 
Wichtig  ist  es,  daß  in  der  Cauda  ecpiina  sensible  und  motorische 
Nervenfasern  noch  ganz  getrennt  voneinander  verlaufen,  so  zwar, 
daß  die  motorischen  Faseinbündel  die  vordere  Seite,  die  sen¬ 
siblen  dagegen  die  hintere  Seite  der  Kauda  einnehmen.  Das  Liga¬ 
mentum  dendiculatum  trennt  den  Rückenmarkskanal  ziemlich  scharf 
in  eine  voi’dere  motorische  und  eine  hintere  sensible  Hälfte  und 
der  Durchtritt  der  Wurzelfasern  des  Bandes  gestaltet  die  Scheidung 
ziemlich  vollkommen.  Um  hohe  Anästhesie  zu  erzielen,  wurde 
nach  Biers  Angabe  auch  die  Kopfstauung  durch  Anlegen  der 
('lastiseben  Binde  um  den  Hals  versucht.  Nach  Dönitz  kann 
man  sie  auf  dreierlei  Art  gebrauchen:  a)  nach  der  von  Bier 
ursprünglich  angegebenen  Methode,  d.  h.  Anlegen  der  Binde  und 


Liegenlassen  derselben  nach  der  subarachnoidalen  Injektion;  b)  An¬ 
legen  der  Binde,  hierauf  Injektion  und  dann  Abnahme  der  Binde ; 
c)  Injektion  und  dann  Anlegen  der  Binde.  Im  ersten  Falle  bleibt 
das  Anästhetikum  an  Stelle;  der  absteigende  Liquorstrom  soll 
lediglich  die  langsame  Ausbreitung  nach  oben  bezwecken.  Im 
zweiten  Falle  verschiebt  sich  ylas  injizierte  Anästhetikum  sofort 
in  toto  nach  oben.  Die  Wirkung  ist  ähnlich,  aber  anscheinend 
geringer  als  bei  der  Beckenhochlagerung.  Im  dritten  Falle  wird 
das  Anästhetikum  sofort  nach  abwärts  gedrückt.  Doch  ist  die 
bisher  auf  diesem  W''ege  gewonnene  Erfahrung  eine  zu  geringe, 
als  daß  Dönitz  schon  ein  Urteil  fällen  würde. 

Ueber  den  Wert  der  extremen  Beckenhochlagerung  nach 
Kader,  die,  wie  schon  erwähnt,  ebenfalls  zur  Erzielung  hoher 
Anästhesien  angewandt  wird,  sind  die  Meinungen  der  Autoren 
noch  verschieden.  Während  manche  von  ihrer  Anwendung  üble 
Folgeerscheinungen  sehen  und  sie  deshalb  wieder  verließen, 
rühmen  andere,  besonders  Gynäkologen,  ihre  guten  Erfolge.  Für 
ihre  WTrksamkeit  ist  nach  Dönitz  unbedingt  notwendig,  daß 
das  Anästhetikum  in  einen  Teil  der  Liquorsäule  eingespritzt  wird, 
die  auch  wirklich  frei  verschieblich  im  Duralsacke  liegt.  Gelangt 
man  bei  der  Punktion  in  den  zwischen  beiden  Kaudahälften 
liegenden,  mit  Liquor  gefüllten  Spaltraum,  was  stets  an  dem 
raschen,  reichlichen  Liquorabfluß  erkenntlich  ist,  so  kann  dus 
injizierte  Anästhetikum  nach  allen  Richtungen  hin  sich  frei  ver¬ 
breiten  und  durch  Lagerung  verschoben  werden.  Verliert  sich 
hingegen  bei  Abweichung  von  der  Medianebene  die  Nadelspitze 
zwischen  den  Fasern  der  einen  Kaudahälfte,  so  kann  sich  das 
injizierte  Anästhelikum  sehr  schwer  ausbreiten,  da  die  Nerven¬ 
bündel  dicht  nebeneinander  liegen  und  zwischen  sich  einen  längs- 
verlaufenclen,  röhrenförmigen  Hohlraum  einschließen.  Dönitz 
wies  nach,  daß  Mißerfolge  der  Spinalanästhesie,  wie  Hemian- 
ästhesie,  unvollkommene  oder  ganz  ausbleibende  Anästhesie,  so¬ 
genannte  Versager,  nicht  von  der  individuellen  Disposition  oder 
dem  refraktären  Verhalten  des  Patienten  gegenüber  dem  An¬ 
ästhetikum,  sondern  von  der  Ausbreitung  der  anästhesierendcTi 
Flüssigkeit  abhängt.  Injizierte  Dönitz  an  der  Leiche  in  die 
eine  Hälfte  der  Cauda  e'quina,  dicht  unterhalb  des  Conus  ter¬ 
minalis  Tusche,  so  lief  dieselbe  zwischen  den  Nerven  nach  auf¬ 
wärts  und  färbte  ausschließlich  diese  eine  Seite  des  Rückenmarkes, 
während  die  andere  Seite  ungefärbt  blieb.  Vorbedingung  f  ü  r 
ein  sicheres  Eintreten  hoher  Anästhesie  ist,  daß 
die  Injektion  in  den  L i q u o r r a u m  an  der  h i n t e r e nl 
Seite  der  Cauda  equina  gemacht  wird. 

Von  den  Einflüssen  auf  eine  hohe  Ausdehnung  der  An¬ 
ästhesie  sind  nach  Dönitz:  1.  Lageveränderungen;  2.  das  Blut¬ 
druckverhältnis  im  Innern  der  Schädelkapsel ;  3.  die  Menge  des 
Lösungsmittels  für  das  Anästhetikum.  Es  gibt  drei  verschiedene 
Methoden  der  Lagerung:  a)  Injektion  des  Anäslhetikums,  während 
der  Kranke  liegt  und  nachher  Liegenbleiben  des  Kranken;  b)  In¬ 
jektion  im  Sitzen,  darauf  Horizontallagerung  des  Kranken;  c)  In¬ 
jektion  im  Sitzen  und  dann  starke  Beckenhochlagerung.  Dönitz 
erklärt  dies  auf  folgende  Weise;  Vertauscht  man  die  liegende 
Stellung  mit  der  sitzenden  Position,  so  läuft  der  Liquor  cerebro¬ 
spinalis  aus  der  Schädelhöhle  in  den  Spinalkanal  hinein;  legt 
man  sich,  so  läuft  er  wieder  in  die  Schädelhöhle  zurück;  bei 
Beckenhochlagerung  fließt  natürlich  eine  noch  größere  Liquor¬ 
menge  kopfwärts.  Es  handelt  sich  also  um  Verschiebung  der  Gleich- 
gewicbtslage  des  Liquor,  die  im  Augenblicke  des  Lagewechsels 
ein  tritt.  Im  Falle  a)  reicht  die  Anästhesie  bis  zum  Leislen- 
bande;  im  Falle  b)  fast  stets  über  das  Leistenband  (aber  doch 
nicht  immer  für  Herniotomien  ausreichend);  im  Falle  c)  bis  zum 
Nabel;  von  hier  aufwärts  wird  die  Anästhesie  unsicher.  Besonders 
wichtig  scheint  nach  Dönitz  die  Wechselbeziehung  zwischen 
Venenfüllung  und  Liquordruck  im  Schädel  zu  sein.  Der  Schädel 
bildet  eine  stari-e  Kapsel;  wird  Blut  in  seine  Bahnen  und  Sinus 
gebracht,  so  entweicht  eine  entsprechende  Menge  Liquor  in  den 
Spinalkanal;  wird  das  Blut  wieder  angesaugt,  so  geht  der  Iii([uor 
wieder  schädelwärts.  Als  Beispiel  führt  Dönitz  hiefür  Herz¬ 
kranke  mit  venöser  Stauung  an. 

Einem  Manne  mit  schwerem  Vitium  wurde  behufs  Kastratio 
004  Stovain  injiziert;  darauf  Beckenhochlagerung.  Dabei  wurde 
der  Kranke  ganz  blau  im  Gesichte  und  die  Anästhesie  reichte 
gegen  sonstige  Erfahrungen  nur  bis  zum  Leistenbande. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  igO?. 


Auch  hei  (iesuiulen  scheint  eine  ul)iioi'male  Füllung  der 
Schädelvenen  hei  ßeckenhuchlagerung  die  ludie  Aushreilung  der 
Anästiiesie  zu  heschränken  und  vielleichl.  kann  tlie  sicldhare 
Blaufärbung  des  Gesicldes  hei  Beckenhochlagerung  als  Alaßstab 
der  \ enenerweilerung  im  Schätlelinnern  angesehen  werden.  Sollte 
dies  richlig  sein,  dann  konnte  man  Kranke,  die  bei  versuchs¬ 
weiser  Beckenhochlagerung  blau  im  Gesichle  werden,  als  zur 
Lumbalanästhesie  ungeeignet,  von  dieser  ausschalLen.  Aehnliche 
Vorgänge  kann  man  bei  Gesunden  durch  Halsslauung  willkürlich 
erzeugen.  Verniinderl  man  den  Blutdruck  in  der  Schädelhöhle, 
so  fließt  der  Liquor  mehr  kopfwärts.  Tritt  also  die  Ctehirnanämie 
erst  nach  der  Injektion  aus,  so  nimmt  der  aufsteigende  Liquor¬ 
strom  das  Anästhelikum  mit,  was  eine  höher  hinaufreichende 
Anästhesie  zur  Folge  hat.  Legt  man  die  Stauungsbinde  am  Halse 
an,  so  daß  vor  der  Injektion  Stauung  entsteht  und  entfernt  sie 
hierauf,  so  fließt  das  überflüssige  Blut  ab  und  der  Liquor  steigt 
dementsprechend  in  die  Höhe.  Ferner  kann  man  den  Einfluß 
der  Atmung  auf  den  venösen  Blutdruck  ausnützen.  .ledes  Ein¬ 
atmen  wirkt  nämlich  wie  eine  Säugpumpe  auf  die  Schädelvenen. 
Am  stärksten  ist  der  Einfluß.,  Avenh  man  gewaltsam  inspirieren' 
läßt  und  dabei  den  Zutrilt  von  Luft  durch  gewaltsames  Zuklemmen 
der  Nasenflügel  erschwert,  während  man  das  Ausalmen  frei  läßt. 
Die  hochreichenden  Anästhesien  geben  nach  Dönitz  auch  den 
Beweis  für  seine  Anschauung  ab,  daß  die  Begleiterscheinungen: 
der  Lumbalanästhesie  (Erbrechen,  Schweiß-,  Blässe  etc.)  als  eine 
Intoxikationserscheinung,  ausgehend  von  seiten  des  Blutes  zu 
betrachten  sind.  Da  bei  hohen  Anästhesien  die  Medulla  geradezu 
von  vergiftetem  Liquor  unispült  wird,  so  müßten,  wenn  das 
Anästhetikum  direkt  auf  das  Gehirn  wirken  würde,  die  schwersten 
Intoxikationserscheinungen  die  Folge  sein.  ^Aber  gerade  hier  ist 
dies  nicht  der  Fall,  im  Gegenteile  gerade  hier  hatte  Dönitz  nie 
Erbrechen  heobachtet. 

Kroner  nimmt  an,  daß  bei  der  Spinalanalgesie  ein  Teil 
der  eingebrachten  Flüssigkeit  eine  Verbindung  mit  der  nervösen 
Substanz  eingeht,  während  der  Rest  für  die  Anästhesie  nicht 
verwertet  wird.  Von  dieser  Annahme  ausgehend,  sucht  Kroner 
einen  Weg,  um  die  schädlichen  Nachwirkungen  der  Lumhalan- 
ästhesie  zu  beseitigen.  Während  z.  B.  das  Stovain  sich  nur 
sehr  langsam  verbreitet,  tritt  die  Anästhesie  sehr  schnell  ein; 
daraus  schließt  Kroner,  daß  schon  eine  geringe,  ])ald  nach 
der  Injektion  in  die  Nerven  eintretende  Stovainmenge  zum  Her¬ 
vorrufen  der  Anästhesie  genügt.  Die  großen  Dosen,  die  injiziert 
werden,  dienen  nur  dazu,  die  Spinalflüssigkeit  zu  verdrängen 
und  einen  Teil  des  Alittels  an  die  Nervenwurzeln,  tlie  wir  nicht 
direkt  erreichen  können,  heranzubringen.  Da  also  zum  Hervor¬ 
rufen  der  Anästhesie  kleinere  Mengen  hinreichen,  so  muß  es 
auch  möglich  sein,  den  überschüssigen  Rest  zum  Teile  wieder 
zurückzugewinnen.  Gelingt  dies,  so  ist  der  Weg  gegeben,  die 
Nachwirkungen  auf  ein  Minimum  zu  beschränken.  Dies  suchte 
Kroner  durch  Ablassen  der  Flüssigkeit  unmittelbar  nach  Eintritl 
der  Anästhesie  zu  erreichen.  Nach  Injektion  von  008  Stovain 
wurde  die  Nadel  und  Spitze  in  ihrer  Lage  belassen,  bis  nach 
zwei  bis  fünf  Minuten  die  gewünschte  Anästhesie  eingetreten 
war,  dann  wurde  die  Oeffnung  der  Nadel  frei  gegeben  und  5  bis 
10  cm^  Spinalflüssigkeit  abgelassen,  Ausbreitung,  Intensität  und 
Dauer  der  Anästhesie  hatten  dadurch  nicht  gelitten.  Die  Erfolge 
waren  zufriedenstellend. 

Hof  mann  zeigte,  daß  man  mit  einer  viel  kleineren  Dosis 
Anästbetikum  als  bisher  ausreichende  Anästhesien  erzielt,  wenn 
man  es  in  dünner  Lösung  verabreicht;  Utwli  seiner  Erfahrung 
erzielt  man  mit  einer  verhällnis'mäßiig  kleinen  Dosis  eine  mindest 
ebenso  gute,  wenn  nicht  bessere  Anästhesie  wie  früher  mit  einer 
größeren  Dosis.  Mit  Herabsetzung  der  Konzentration  steigt  natür¬ 
lich  das  Quantum  der  einzuspritzenden  Flüssigkeit,  ein  äWrzug, 
der  für  die  Spinalanalgesie,  besonders  für  eine  Höhenwirkung 
günstig  zu  sein  scheint.  Im  allgemeinen  gibt  Hofinann  ein 
Drittel  oder  die  Hälfte  dei'  sonst  usuellen  Dosis. 

Kokain  mit  dem  Zusatze  von  Adrenalin,  Suprarenin  oder 
Paranephrin  wurde  von  mehreren  Chirurgen  in  Anwendung  ge¬ 
bracht,  mit  gutem  Erfolge.  (Bier,  Braun,  Dönitz,  Kurzwelly, 
Marlin,  Mori,  Müller,  Stumme).  Doch  Avurde  es  nach  und 
nach  ganz  verdrängt  durch  Stovain  und  Tropakokain,  in  allcj'- 
letzler  Zeit  auch  Novokain  und  Alyj)in,  alle  mit  oiler  ohne  Zu¬ 


satz  von  Nelienniereiipräparalen  in  Gebrauch  gezogen.  Das  Slo- 
vain  AVii'd  l)esonders  von  den  Franzosen  und  Deutschen,  das 
I  roiiakokain  insbesondere  von  den  Oesterreichern  angewandt,  doch 
erobert  sich  in  letzter  Zeit  das  Tropakokain  auch  in  Deutschland 
immer  mein'  Anhänger  auf  Kosten  des  Stovaius. 

Das  Stovain  wurde  von  dem  französischen  Chemiker 
F  o  u  r  n  i  e  r  dargestelll,  von  Reel u  s  zuerst  als  lokales  Anästhetikum 
hei  dem  Menschen  benützt  und  von  Cbap  u  t  zuerst  in  der  Rücken- 
marksanäslbesie  angewandt.  Seine  phannakologischen  Eigen- 
schaRen  Avurden  zuerst  von  Billon  und  Pouchet-am  Tierver¬ 
suche  studiert.  Billon  und  Pouchet  fanden,  daß  bei  Herhivoreti 
Einverleibung  toxischer  Dosen  von  Stovain  in  einigen  Fällen 
allgemeine  Analgesie  oder  andere  nervöse  Störungen  eintratem 
Diese  treten  in  Gestalt  von  Lähmungen  der  Extremitäten,  Inkoor- 
ilination  der  BeAvegungen,  tonischen  und  klonischen  Krämpfen, 
die  unmittelbar  oder  nach  einem  komatösen  Stadium  durch  Respi- 
rationslähniung  zum  Tode  führen,  bei  Hunden  und  Katzen  in 
den  Vordergrund.  Nach  Billon  wirkt  das  Stovain  auf  den  Herz¬ 
muskel  erregend,  auf  die  Blutgefäße  dilatierend.  Nach  Pouchet 
macht  die  anfängliche  Gefäßeiweiterung  und  Blutdruckveränderung 
bald  Avieder  normalen  Verhältnissen  Platz.  LäAven  stellte  ver¬ 
gleichende,  experimentelle  Untersuchungen  über  die  Wirkung  von 
Novokain,  StoAuin  und  Alypin  mit  isotonischen,  Lösungen  dieser 
Mittel  am  Ischiadikus  des  Frosches  an  und  fand,  daß  alle  drei 
die  Erregbarkeit  der  Nerven  in  gleiche-m  Grade  auf  ungefähr  40% 
herabsetzen.  Die  Wirkung  blieb  hinter  der  des  Kokains  etwas 
zurück,  was  für  StOAuain  auch  Billon  fand.  GeAvölmlich  ist  die 
nach  Injektion  solcher  Lösungen  in  den  Duralsack  des  Menschen 
auftretende  starke  Wdrkung  auf  motorische  Nervenstämme  nur 
eine  Folge  davon,  daß  die  Mittel  in  höherer  Dosis  und  Konzen¬ 
tration  eiiiAmrleibt  Averden,  als  dies  beim  Kokain  der  Fall  ist. 
Die  Wiederherstellung  der  Erregbarkeit,  d.  h.  also  die  Entgi flung 
tritt  am  ehesten  beim  Novokain  ein,  bedeutend  länger  dauert 
es  beim  Alypin,  Avährend  beim  Stovaain  die  Erregbarkeit  der 
Nerven  nie  ganz  wiederkehrte,  Aveil  Avahrscheinlich  durch  die 
AiiAvesenheit  dissoziierter  Salzsäure,  eine  materielle  Nervenschädi- 
gung  eintritt.  Es  sind  also  beim  Stovain  materielle  Nervenver- 
ändenmgen  am  ehesten  am  xknAAmndungsorte  zu  befürchten,  avo 
das  Mittel  in  verhältnismäßig  hoher  Konzentration  die  intra¬ 
duralen  Nervenbündel  trifft.  Die  Urteile  über  das  Stovain  als 
lumbales  xVnästhetikum  sind  im  allgemeinen  günstig.  Gebraucht 
Avird  das  Stovain  in  der  Dosis'  von  004  bis  006  cg;  höhere 
D-osen  Avurden  zAvar  öfter  in  AuAvendung  gezogen,  scheinen  aber 
nicht  ungefährlich  zu  sein. 

Caplescu  sieht  die  Vorzüge  des  Stovain  darin,  daß  es 
weniger  toxisch  Avirkt  und  dabei  bessere  Resultate  als  andere 
Aniästhetika  gibt;  Lazarus  ebenfalls  darin,  daß  es  Aveniger 
toxisch  ist  und  keine  Vasokonstriktion  erzeugt.  Dean  zieht 
es  Avegen  seiner  gefäßerweiternden  und  auf  das  Herz  tonisierend 
Avirkenden  Eigenschaften  vor.  Tuffier  führt  das  fast  gänzliche 
Fehlen  der  Nebenerscheinungen  hei  Stovain  auf  eine  geringe 
Diffusion  des  StoAmin  zurück.  Ueber  gute  Erfahrungen,  die  Stovain 
hei  der  Spinalanalgesi-e  ergab,  berichten  unter  anderen:  Anghe- 
lovici,  Bai  sch,  Becker,  Bier,  ,  Bonachi,  Boeckel, 
Brehni,  Deetz,  Hacke nbruch,  Hermes,  H ohmeier,  Kin- 
dirdy  und  Burgand,  Kümmel,  Pforte,  Pochhammer, 
Rusch  hau  pt,  Saxdorf,  Steiner,  Tillmann,  Varvaro. 

Nach  Dönitz  ist  das  Stovain  ZAvar  ungiftiger,  seine  Wir¬ 
kung  hat  aber  eine  kurze  Dauer,  doch  kann  diese  durch  Zusatz 
von  Nebennierenpräparaten  verlängert  Averden.  Urban  verließ 
Avegen  mehrmals  vorgekommener  Atemstörungen  das  Stovain  und 
ging  zum  Tropakokain  über.  Her  esc  u  gebrauchte  das  Stovain  in 
zehn  Fällen  bei  Operationen  im  Bereiche  der  Haiaiorgane,  ist 
aber  mit  den  Erfolgen  .unzufrieden ;  ebenso  ist  P  r  e  i  n  d  e  1  s  b  e  r  g  e  r 
mit  dem  Resultate  der  Stovainlumbalanästhesien  nicht  zufrieden. 
x-Vlessandri  empfiehlt  für  lange  dauernde  Anästhesien  folgende 
Lösung:  StoAuin,  Kochsalz  aa  1-0,  Acid.  lact.  gtt.  I,  Acpia 
destillata  10-ü. 

Fast  allgemein  wird  jetzt  das  Tropakokain  dem  Stovain 
vorgezogen.  x4n  der  Klinik  Bier  selbst  Avird  jetzt  Tropakokain 
zur  Spinalanästhesie  gebraucht.  Bier  wendet  es  in  der  Ri'gel 
in  der  Dosis  von  0  05  cg  in  isotonischer  Lösung  ohne  Zusatz 
von  Nel)enniemq)räparatien  an.  Die  gewöhnliche  Dosis,  die  meist 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  19 


bei  Tropakokain  gebraucht  wird,  ist  0  06  bis 0  08 cg.  Nacli  J)önit/. 
l)estehen  die  ^'orzüge  des  Tropakokain  gegenüber  dem  Stovain 
in  folgendem:  1.  Avirkt  das  Tropakokain  bedeutend  geringer  auf 
<]ie  Äfemmuskulatur  ein ;  2.  fallen  die  Augenmuskellälimungen, 
Avelche  bei  StOAmin  und  Novokaingebrauch  beobaclitet  Avnrden, 
fort;  3.  sind  Begleit-  und  Nacherscheinungen  viel  geringer.  Er- 
hrechen  Avährend  der  Opei’ation  gehört  zu  den  größiten  Seltenheiten, 
ln  der  CieburLshilfe  Aväre  das  Tropakokain  noch  besonders  des¬ 
halb  Amrzuziehen,  Aveil  es  durch  seinen  geringen  Einfluß  auf 
die  Muskelkräfte  die  PreßA\mhen  am  geringsten  heeinflußt.  Spe¬ 
ziell  in  der  Geburtshilfe  Avuiale  es  von  Stolz  und  Trautenrot 
empfohlen.  Nach  letzterem  ist  es  dem  Stovain  Aveitaus  vorzu¬ 
ziehen.  Trautenrot  injizierte  sogar  012  und  einmal  0-21  Tropa¬ 
kokain  ohne  fnloxikationserscheinungen.  Die  größte  Erfahrung 
über  Tropakokain  in  der  Lumbalanästhesie  besitzen  Avohl 
ScliAvarz  und  Slajmer.  Sclnvarz  Avandte  nach  seiner  letzten 
l’ublikation  das  Tropakokain  in  1000  Fällen  mit  dem  hesten  Er¬ 
folge  an,  so  daß  er  schreibt:  „Die  Erzielung  der  Anästhesie  ist 
nichts  als  eine  Frage  der  Technik.  Bei  richtiger  Technik  gibt 
es  keine  Versager.“  Slajmer  hatte  unter  1200  Fällen  nur  54 
minder  gute  Residtate.  Fitster  hatte  unter  235  Fällen  in  74”/o 
vollständiges  Gelingen,  in  5-6°/o  eine  gerade  ausreichende  An¬ 
ästhesie,  in  6-3 “/o  mangelhafte  Anästhesie,  21  Fälle  versagten 
vollständig.  Es  äußern  sich  üher  ihre  Erfahrungen  mit  Tropa¬ 
kokain  sehr  günstig:  Colombani  ,(100  Fälle),  Preindels- 
l)erger  (331  Fälle),  Defranceschi  (420  Fälle),  Neugebauer 
(170  Fälle),  PlatanoAv  (238  Fälle),  ferner  Bosse,  v.  Karas, 
K  o  p  f  s  t  e  i  n,  M  ü  1 1  e  r,  S  t  u  m  m  e,  V  ö  1  k  e  r,  Z  a  h  r  a  d  n  i  c  k  y. 

lieber  den  Wert  des  Novokain  sind  die  Meinungen  noch 
sehr  geteilt.  Sonnen  bürg  findet  es  dem  Stovain  ebenbürtig; 
Pantovits  stellt  es  dem  StoAuain  an  Wert  gleich,  ohne  daß 
es  dessen  unangenehme  Nachwirkungen  im  anästhetischen  und 
l)Ostanästhetischen  Stadium  besitzt.  Henkiny,  Stein  und  Kolk 
mann  sind  mit  seiner  Wirkung  zufrieden;,  Liiidenstein  gibt 
ihm  den  Vorzug  vor  dem  Stovain,  weil  es  keinen  Einfluß  auf 
die  GeAvebe  ausübt  und  seine  NachAvirkungen  einerseits  selten, 
anderseits  sehr  gering  isiiid.  Dem  entgegen  fand  Hofmeier  die 
gelindeste  NacliAvirkung  gerade  bei  Stovain.  Brunner  rübmt 
dem  NoAmkain  nach,  daß  es  Aveniger  toxisch  sei  als  das  Kokain 
und  zwei  bis  dreimal  Aveniger  als  die  anderen  Ersatzmittel  des 
Kokain.  Dagegen  fanden  Heinecke  und  Läwen  bei  ihren  ex¬ 
perimentellen  Untersuchungen,  daß  der  Unterschied  der  Giftig¬ 
keit  ZAvischen  Novokain  und  Kokain  bei  subduraler  Injektion 
ein  sehr  geringer  ist.  Die  Grenzdosis  beträgt  für  das  Novokain 
003  cg,  für  das  Kokain  002  cg  pro  Kilogramm  TiergeAvicht. 
Dagegen  ist  die  Dosis  minima  letalis  bei  der  subkutanen  Injektion 
des  Novokain  0-75  cg,  für  das  Kokain  schon  0-2  cg  pro  Kilogramm 
TiergeAvicht.  Subdural  injiziert  ist  also  das  Novokain  in  seiner 
Wirkung  viel  toxischer.  Auch  fanden  Heinecke  und  UäAven, 
welche  das  Novokain  in  400  Fällen  zur  Lumbalanästhesie  herati- 
zogen,  daß  es  2Vi-’mal  öfter  Neben-  und  Nachersclieinungen  her- 
Au)rruft  als  das  Stovain,  daß  es  die  stärksten  NacliAvirkungen, 
mit  sich  bringt,  insbesondere  die  Kopf-,  Nacken-  und  Kreuz¬ 
schmerzen  viel  stärker  sind.  Bier  selbst  nennt  das  Novokain 
für  die  Spinalanalgesie  ungeeignet.  Baisch  empfiehlt  Novokain 
nicht,  Aveil  man  von  ihm  eine  viel  höhere  Dosis  hraucht,  die 
Apästhesie  sehr  langsam  eintritt,  dann  aber  sehr  rasch  ansteigt, 
so  daß  es  öfters  v_zum  Kollaps  kommt. 

Auch  bezüglich  des  Alypin,  das  erst  Avenig  Chirurgen 
und  diese  noch  nicht  an  einer  großen  Anzahl  von  Fällen  prüften, 
sind  <lie  Meinungen  geteilt.  Die  größte  Erfahrung  mit  Alypin 
hat  Prein  d  elsberger,  der  es  emi)fiehlt,  da  die  Folgeerschei¬ 
nungen  eher  leichter  als  scluverer  als  heim  Gebrauche  von  Stovain 
sind.  Baisch  erklärt  es  dem  Stovain  für  gleichAvmrtig.  Dagegen 
halten  es  Bier,  Heinecke  und  LäAven  fürdie  Lumbalanästhesie 
ungeeignet. 

Krönig  versuchte  zuerst  die  Lumbalanästhesie  mit 
dem  Sk o }) ol am i n  m o r  j) h i  n  d  äm  m  e r s c h  1  a  f e  zu  koml)i- 
nieren.  Maßgebend  Avar  hiefür,  idaß  die  Kranken  bei  den  unter 
Lumbalanästhesie-  A'orgenommenen  Operationen  zAvar  keine 
Schmerzen  empfinden,  aber  doch  mit  vollem,  klaren  BeAVußtsein 
der  ()])eralion  folgen  können,  Avas  oft  für  den  Kranken  sowohl 
als  auch  für  den  Operateur  sein'  peinlicdi  ist.  Um  dem  Kranken 


den  unangenehmen  Eindruck  und  die  Erinnerung  an  die  Operation 
zu  ersparen,  griff  Krönig  zu  dieser  Verhindung  zweier,  eigent¬ 
lich  verschiedener  Anästhesierungsmethoden.  Nach  den  Vor¬ 
schriften  Krönigs  bekommt  die  Patientin  (Krönig  sammelte 
nämlich  seine  Erfahrungen  in  der  Gynäkologie)  ZAvei  Stunden 
vor  der  Operation  0  0003  Skopolamin  und  001  Mor]Dhin  subkutan 
injiziert;  nach  einer  Stunde  jvird  eventuell  dieselbe  Dosis  noch 
einmal  injiziert,  Avenn  nötig,  bekommt  die  Kranke  nach  einer 
Aveiteren  Stunde  noch  allein  0  00015  Skopolamin.  Bei  herahgekom- 
menen  Frauen  wird  dies  als  zweite  Dosis  allein  gegeben.  Gleich¬ 
zeitig  kommt  die  Kranke  in  ein  dunkles  Zimmer,  in  das  keine 
Geräusche  dringen,  bekommt  Antiphone  in  die  Ohren,  schwarze 
Gläser  vor  die  Augen.  An  die  letzte  Skopolamininjektion  wird 
sofort  die  Lumbalanästhesie  angeschlossen.  Zur  Vermeidung  Amn 
Atmungsstörungen  läßt  Krönig  nicht  sofort  die  Kranke  in  Becken- 
hocblagerung  l)ringen,  nimmt  aber  eine  größere  Dosis  Stovain 
(bis  zu  0  10  bis  012).  Die  Vorteile  dieser  Anästhesierungsweisc 
erblickt  Krönig  darin,  daß  sie  die  humanste  Analgesie  bildet, 
die  Gefahren  der  postoperativen  Bronchitiden  und  Pneumonien 
verringeit,  dadurch  die  Sicherheit  des  Lebens  bei  Laparotomien 
erhöht,  eine  bessere  Entspannung  der  Bauchdecken  herbeiführt, 
die  Rekonvaleszenz  abkürzt,  Nausea  und  Erbrechen  nach  der 
Operation  kaum  beobachtet  Avird.  Peukert  arbeitete  eine  eigene 
Technik  für  die  Lumbalanästhesie  'in  Verbindung  mit  dem  Skopo¬ 
laminmorphindämmerschlafe  in  seiner  Amvendung  Lei  der  Ab¬ 
dominalchirurgie  aus,  durch  Avelche  starke  Druckerscheinungen 
vermieden  Averden  und  eine  viel  langsamere,  allmählich  chemische 
Verbindung  des  Giftes  an  die  Rückenniarksubstanz  eintritt,  so- 
Avie  ein  Aufsteigen  des  Stovain  zum  Atemzentrum  vermieden 
wird.  Peukert  empfiehlt  größere  , Dosen  von  Stovain,  001  bei 
vaginalen  Operationen  mit  Eröffnung  des  Peritoneums,  0-12  für 
Laparotomien.  Das  Stovain  ist  nach  Peukert  deshalb  besonders 
empfehlenswert,  weil  nur  durch  das  Stovain  die  vollkommenste 
Entspannung  der  Bauchdecken,  Ruhigstellung  des  Darmes  und 
vollkommenste  Analgesie  und  Anästhesie,  soAvie  kein  erheblicher 
Einfluß  auf  das  Atemzentrum  konstatiert  Averden  konnte. 

Busse  Avandte  ebenfalls  die  Kombination  des  Skopolamin- 
rnorptiindämmerschlafes  mit  der  Spinalanalgesie  zusammen  an 
und  gebrauchte  mit  Ausnahme  von  zehn  Stovainfällen  in  170  Fällen 
Novokain.  Der  Erfolg  war  im  allgemeinen  befriedigend.  Die  Skojm- 
laminwirkung  äußerte  sich  heim  Einschlafen  in  mehr  oder  weniger 
starkem  Erröten  des  Gesichtes,  Pulsbeschleunigung,  gelegentlicher 
Unruhe  und  VerAvirrung,  die  sich  bis  zu  typischen  Halluzinationen 
steigerte.  Ein  großer  V^orteil  liegt  nach  Busse  darin,  daß  oft 
am  ersten  oder  zAveiten  Tage  nach  der  Operation  die  Darmtätig- 
keit  Avieder  spontan  einsetzte.  Die  Nachteile  sind  nach  Busse 
von  seiten  der  Lumhalanästhesie  die  subtile  Technik,  Unsiclier- 
heit  des  Erfolges,  das  Auftreten  einiger  lästiger  Begleiterschei¬ 
nungen  Avährend  dei'  Operation,  von  seiten  des  Skopolamin  die 
Unsicherheit  seiner  Wirkung  und  Nacherscheinungen. 

Baisch  tritt  Avarm  für  die  Methode  ein  und  zieht  der 
reinen  Lumbalanästhesie  die  vorherige  Injektion  von  Skopolaniin- 
morphin  vor.  Die  Dauer  der  Anästhesie  ist  hei  allen  Mitteln 
ziemlich  die  gleiche;  sie  schwankt  durchschnittlich  zwischen  einer 
halben  und  drei  bis  vier  Stunden;  in  der  Regel  hält  sie  eine  bis 
zAvei  Stunden  an. 

Ein  sehr  Avichtiges  Kapitel  in  der  Besprechung  der  Lumbal¬ 
anästhesie  sind  die  Neben-  und  Nacherscheinungen.  Unter 
Nebenerscheinungen  verstehen  wir  die  während  der  Operation, 
unter  Nacherscheinungen  die  nach  der  Operation  auftretenden 
Folgeerscheinungen  der  Lumhalanästhesie.  Ihre  Erklärung  Avird 
eigentlich  in  zAvei  Amrschiedenen  Gründen  gesucht.  Die  einen 
nehmen  eine  direkte  Intoxikation  des  Gehirnes  und  verlängerten 
Markes  an,  Avährend  die  anderen  sie  als  eine  Folge  der  Aufnahme 
des  Giftes  in  die  Blutbahn,  also  als  eine  allgemeine  Intoxikation 
an  nehmen. 

Bier  selbst  hält  in  seiner  ersten  Mitteilung  die  Nachwirkun¬ 
gen  der  Lumhalanästhesie  Aveniger  für  Intoxikalionserscheinungen 
als  für  die  Folgen  von  Kreislaufstörungen  im  Zentralnervensystem. 
Doch  schon  SeUloAvitsch,  der  bereits  Experimente  an  Hunden 
Amrgenommen  hatte,  schiebt  die  Neben-  und  Nachersclieinungen 
direkt  der  toxischen  Wirkung  des  Kokain  zu.  In  seinen  näclislen 
Arbeiten  erklärt  Bier  sellisl  die  Folgeerscheinungen  als  toxische 


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Wirkiingei),  olieuso  Tiiffior  mid  Kamiuercr.  Jakob  orklärto 
(lie  Nelieii-  iiiid  Nachersclieiiiimgeti  dor  Spinalaiialgcsie  als  Folge 
eines  cliemischeii  Reizes  der  freindarügen  Flüssigkeit  aid  das 
zenirale  Ncn^ensystem.  Nach  Klapp  kommen  sowohl  die  rasche 
Resorption  der  Kokainlösimg  vom  Duralsacke  aus  als  auch  die 
direkte  Berührung  des  Kokains  mit  dem  Rückenmarke  und  Ge¬ 
hirn  in  Betracht.  Dönitz  betrachtet  die  Intoxikalionserschei- 
nimgen  als  von  seiten  der  Blutbahn  ansgehend.  Jedlicka  er¬ 
blickt  die  Gefahren  der  Lmnhalanästhesie  in  vier  Gründen:  1.  in 
der  Toxizität  der  Gifte;  2.  in  der  lokalen,  speziellen  Nebenwirkung 
der  injizierten  Substanz  in  Form  einer  Veränderung  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  der  Medulla  und  Nerven  u.  zw.  zuerst  der  sensiblen, 
hei  stärkeren  Dosen  auch  der  motorischen  Nerven;  3.  in  der 
Störung  des  Flüssigkeitsdruckes  irn  Lumhalkanal  oder  im  Shock; 
4.  in  Veränderungen  im  Piaarachnoidalraume  infolge  des  injizier¬ 
ten  Fremdkörpers.  Dem  dritten  Grunde  läßt  sich  vorheugen,  wenn 
man  dem  Kranken  die  Injektion  langsam  in  sitzender  Stellung 
macht  und  die  Flüssigkeit  vorher  auf  den  kryoskopischen  Punkt 
gebracht  und  auf  38**  C  erwärmt  hat.  Dem  vierten  Grunde  läßt 
sich  entgegenwirken,  wenn  man  eine  kleine  Menge  Liquor  entleeid. 

AVenn  es  auch  noch  nicht  ganz  klar  und  aufgeklärt  ist,  worin 
in  jedem  Falle  die  Ursache  für  die  Neben-  und  Folgeerscheinungen 
zu  suchen  ist,  so  sind  sie  doch  gewiß  in  den  meisten  Fällen  In¬ 
toxikationserscheinungen,  venirsacht  durch  das  injizierte  An- 
ästhelikum,  manchmal  Avird  von  dem  einzelnen  Autor  ein  reich¬ 
liches  x4hströmen  der  Zerebrospinalflüssigkeit  beschuldigt,  manch¬ 
mal  auch  die  veränderten  Druckverhältnisse  im  Wirbelkanale. 
Technische  Fehler  spielen,  Avie  Dönitz  erst  jüngst  Avieder  nach¬ 
drücklich  betonte,  gewiß  auch  eine  Rolle.  Wichtig  ist,  Avie  Liebl 
nachweist,  daß  die  suprareninhaltigen  Lösungen  rein  seien.  Die 
Verwendung  gehrauchsfähiger  Ampullen  hezeichnet  Liebl  als 
unzulässig.  Liebl  hezeichnet  es  auch  als  unrichtig,  immer  nur 
von  Stovain-Novokainschädigungen  zU  sprechen  und  das  (juoad 
Nachwirkung  sicher  nicht  harmlose  Suprarenin  so  vollständig 
hei  der  Beurteilung  zu  vernachlässigen,  wie  es  bisher  immer  ge¬ 
schah.  Die  richtige,  vollwirksame,  Suprarenin  enthaltende  Lösung 
muß  vollständig  farblos  sein,  während  gefärbte  Lösungen  in  der 
Intensität  und  Verläßlichkeit  der  anästhesierenden  AVirkung  varia¬ 
bel  und  unzuverlässig  sind  Und  konstant  Reizerscheinungen  setzen. 
Farblose,  wasser klare  Lösung  ist  nach  Liebl  ein  ab¬ 
solutes  Kriterium  der  Güte  und  Brauchbarkeit  der 
Lösung.  Auch  Biberfeld  hält  die  AiiAvendung  von  Supra¬ 
renin  zur  Lumbalanästhesie  in  den  geluäuchlichsten  Dosen  für 
nicht  ganz  ungefährlich  und  sicherlich  ist  nicht  in  allen  Fällen  von 
Nebenerscheinungen  das  Anästhetikum  zu  beschuldige]i,  sondern 
oft  auch  das  Suprarenin  schuldtragend.  Weniger  gefährlich  scheint 
das  synthetisch  hergestellte  Suprareninderivat;  Dioxyphenylätba- 
nolamin  zu  sein. 

Die  häufigsten  und  nicht  gefährlichen  Neben¬ 
erscheinungen  Av  äh  rend  der  Operation  sind  Sin- 
g  u  1 1  u  s,  E  r  b  r  e  c  h  e  n,  G  ä  h  n  e  n,  J\I  u  s  k  e  1  z  i  1 1  e  r  n  u  n  d 
ScliAveißausbrucb.  In  zwei  von  Kümmel  beobachteten 
Fällen  Avar  das  Muskelzittern  so  intensiv,  daß  man  nicht  operieren 
konnte.  Senni  sah  einmal  bei  Lumbalanästhesie  mit  Kokain 
tetanische  Kontraktion  der  gesamten  Kör])ermuskulatur,  die  jedoch 
durch  eine  Morphininjektion  zum  Schwinden  gebracht  Averden 
konnte,  so  daß  man  die  Operation  fortsetzen  und  beenden  konnte. 

Die  häufigsten  und  nicht  bedrohlichen  N ac h er¬ 
sehe  i  nun  gen  sind  Singultus,  Nausea,  Erbrechen, 
Kopfschmerzen,  Schmerzen  im  Nacken  und  leichte 
Nackensteifigkeit,  K  r e u  z  s  c  h m  e  r  z  e  n  und  T e  m  p  e  r  a  t u  r- 
stei  gerungen.  Diese  Erscheinungen  treten  meist  am  Tage  der 
Operation  selbst  oder  am  Tage  nach  ihr,  selten  in  den  nächsten 
zwei  Tagen  auf,  dauern  Av^enige  Stunden  bis  zu  ein  bis  ZAvei 
Tagen  an  und  halten  sich  meist  in  engen  Grenzen.  Die  Kopf¬ 
schmerzen  können  aber  auch  sehr  heftig  und  direkt  (|ualvoll 
Averdeii  und  Tage,  ja  manchmal,  allerdings  in  abgeschAvächtem 
Grade,  ein  bis  ZAvei  Wochen  andauern.  Opitz  z.  B.  Imobacbtele 
einen  Fall,  in  dem  nach  mit  Novokain  vorgenommener  Lumbal¬ 
anästhesie  die  Kopfschmerzen  in  fast  unerträglichem  Grade  über 
acht  Tage  anhiellen.  Opilz  gibt  hier  einem  zu  reichlichen  Ab¬ 
flüsse  von  Liquor  die  Schuld.  Deetz  beobachtete  nach  einer 
Stovain- Lumbalanästhesie  einen  sechs  Wochen  lang  andauernden. 


intensiven  Kopfschmerz.  Chai)ut  empfiehlt  gegen  diese  inten- 
siAmn  Ko])fscbmerzen  die  neuerliche  Lumbalpunktion  und  das 
Ablassen  einiger  Kubikzentimeter  Spinalflüssigkeit;  wurden  deii 
Kranken  schon  vorher  10  enP  Liquor  abgelassen,  so  beobachtete 
Chaput  nie  nachherige  Klagen  über  Kopfschmerzen.  Gegen  die 
Koi)fschmerzen  wurden  auch  die  üblichen  Medikamente,  wie  Brom, 
Chinin,  Antipyrin,  Phenazetin,  Migränin,  Pyramidon  etc.  em¬ 
pfohlen,  ohne  jedoch  Avesentlichen  Erfolg  zu  haben.  Offer  ge  Id 
sah  manchmal  günstigen  Erfolg  von  Coffeinum  nalrio  benzoicum 
(0-25  bis  0-3),  nie  aber  Erfolg  von  Morphin.  Offergeld  gibt 
für  den  Kopfschmerz  nach  Lumbalanästhesie  folgende  Flrklärung : 

Infolge  akuter  Drucksteigerung  kommt  es  in  der  Endolymphe 
des  Gehirnes  zu  einer  Reizung  der  sensiblen  Fasern  der  Dura. 
Es  scheint,  daß  eine  Resorption  der  in  dem  Duralsacke  injizierten 
Flüssigkeit  nur  in  sehr  'geririigem  Maße  erfolgt  und  daher  lauge 
Zeit  erforderlich  ist,  bis  die  ganze  Mejige  Avieder  ausgesebiedeui 
ist.  Hier  wirkt  nun  die  Lumbalpunktion  sehr  druckentlastend. 
Offergeld  empfiehlt  nun  eine  möglichst  geringe  Menge  zu  in¬ 
jizieren  und  vor  der  Injektion  schon  1-5  bis  2  0  cm^  Liquor 
abzulassen.  Treten  trotzdiem  Kopfschmerzen  auf,  so  ist  eine  Iloch- 
lagerung  des  Kopfes  Und  Lumbalpunktiou  immer  günstig. 

Das  Erbrechen  ist  nur  in  seltenen  Fällen  andauernd 
und  intensiv.  Chaput  erwähnt  zwei  Fälle  von  fünf  Tage  lang 
anhaltendem,  sehr  scliAverem,  durch  nichts  zU  stillendem 
Erbrechen.  In  der  Regel  dauerte  das'  Erbrechen,  wenn 
es  überbaujrt  auftritt,  einige  Stunden,  höchstens  noch' 
(len  der  Operation  folgenden  Tag  an.  Die  Temperatur¬ 
steigerungen  sind  eine  sehr  häufige,  Avohl  die  häufigsten) 
Nacherscheinungen  der  Lumbalanästhesie.  Meist  gebt  dann  die 
Temperatur  noch  am  Tage  der  Operation  atif  37-8'’  bis  38-5'’  empor, 
seltener  auf  39‘’,  aber  auch  Fälle  bis  zu  40'’  Temperatur  sind 
beobachtet  Avorden.  Die  Temperatursteigerung  kehrt  in  der  Regel 
am  nächsten  oder  zAveitnäc listen  Tage  der  Operation  wieder  zur 
Normalen  zurück  Und  ist  ganz  ungefährlich  und  folgenlos. 

Oefters  AAUirde  nach  Lumbalanästhesie  Incontinentia 
urinae  et  alvi  beobachtet  (Preleiter,  Henking,  Herescu) 
u.  ZAV.  soAVohl  nach  Anwendung  von  Kokain  und  Stovain,  als 
auch  von  Novokain  Und  Alypin.  Die  Inkontinenz  dauerte  meistens 
zwei  bis  drei  Tage  an.  Henking  sab  zwei  Fälle,  in  denen  die 
inkontinenz  acht  bis  zehn  Tage  dauerte;  Racoviceanu  beob¬ 
achtete  eine  einen  Monat  andauernde  BlasenlähniUng  nacliKokaini- 
sierung  des  Rückenmarkes.  Aber  auch  Har iiAmr halten  Avurde 
einige  Male  beobachtet  (Bier  und  Dönitz,  Bai  sch,  Beckei-, 
Herescu);  aueb  diese  ging  meist  raseb  zurück  und  machte  nur 
in  sehr  Avenigen  Fällen  den  Katheterismus  notwendig. 

Starke  Erektionen  des  Gliedes  nach  Lumbalan- 
ästbesien  Aväbrend  des  Heilungsverlaufes  beobachtete  Urban 
und  führt  diese  auf  eine  Ueberreizung  des  Goltz  sehen  Erektions¬ 
zentrums  im  Lendenmarke,  respektive  der  Nervi  errigentes  zurück. 

Zu  den  sclnveren  Nebenerscheinimgen  der  Lumbalanästhesie 
gehören  Re  s  p  i  r  a  ti  o  n  s  1  ä  h  ni  u  n  gen  Und  Kollaps.  Kopf¬ 
stein  beobachtete  Respirationsläbmungen  öfters  bei  Eukain  und 
zieht  schon  aus  diesem  Grnude  das  Tropakokain  vor.  Die  Respi¬ 
rationslähmungen  kommen  besonders  bei  Gebrauch  von  Stovain 
vor.  Greiffenhagen  beobachtete  unter  30  Rückenmarksan- 
ästliesien  mit,  Stovain  ZAvei  schwere  Respirationsläbmungen.  Ein¬ 
mal  bandelte  es  sich  um  einen  46jährigen  Mann,  dem  Avegen 
doppelseitiger  Inguinalhernie  ein  Bassini  gemacht  werden  sollte. 
Unmittelbar  nach  der  Injektion  von  OTO  Stovain  trat  sclnvere 
Ohnmacht  ein.  Nach  dem  Erwachen  aus  ihr  Avar  die  Atmung 
erscliAvert;  bald  darauf  hörte  die  rein  kostale  Atmung  auf,  der 
Kranke  Avurde  zyanotisch,  der  Puls  klein,  es  trat  Amllkonnnene 
Lähmung  der  unteren  Extremitäten,  des  ZAverchfelles  und  der 
Interkostalmuskeln,  sowie  eine  komplette  Anästhesie  bis  zur 
ZAveiten  Rippe  reichend,  ScbAvächc  in  den  Armen  und  erscliAverte 
Sprache  auf,  Aväbrend  das  BeAvußtsein  erhalten  blieb.  Nach  un¬ 
gefähr  20  Minuten  trat  auf  künstliche  Atmung  Besserung  ein. 
Im  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  46jährigen  Mann 
mit  einem  Nierentumor.  Gleich  nach  der  Injektion  von  0064 
Stovain  traten  AtembeschAA^erden  auf;  die  Sprache  Avurde  ruck¬ 
weise,  der  Puls  kliün  Und  unter  .\usdelinung  der  Anästhesie 
bis  zur  Mamillarlinie  scdiwindet  die  Brust-  und  Bauebatmung, 
uni  unter  künstlicher  Atmung  nach  15  ^Minuten  Aviederzukehren. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Steiner  beol)aclitete  bei  einer  37jährigen  Frau,  welche  wegen 
einer  freien  Kniralhernie  operiert  werden  sollte,  sechs  Minuten 
nach  der  Jnjektion  von  006  Stovain  Respiralionsparalyse,  die 
erst  nach  33  Minuten,  nach  künstlicher  Atiiiung  sistierte.  Hier 
erstreckhi  sich  die  Analgesie  bis  zum  Halse  hinauf,  die  oberen 
Exlremitälen  waren  paraplegisch,  das  Sensorium  blieb  frei  lind 
der  Puls  zeigte  keine  Veränderung,  so  daß  Steiner  anniinint, 
daß  nicht  das  medulläre  Respiraiionszenlrum  getroffen  war, 
sondern  dieser  Zustand  durch  die  Einwirkung  des  Stovains  bis 
zum  obersten  Halssegmentc  verursacht  Avorden  war.  Sandberg 
beoliachtete  in  einem  Falle  von  unilateraler  Nieren  tuberkulöse 
nacli  der  Injektion  von  0075  Stovain  eine  25  Minuten  anhaltende 
Respirationslähmung,  die  ebenfalls  durch  künstliche  ^  Ahnung 
wieder  hehoben  Avurde.  Dünitz  beobachtete  an  der  Klinik  Hier 
nach  0;04  Stovain  Atmungslähmung. 

Der  Kollaps  tritt  meist  nach  der  Injektion,  manchmal 
unini  fiel  bar  im  Anschlüsse  an  diese  auf.  Gleich  nach  der  Respi- 
rationslähmung  wird  auch  Kollaps  am  häufigsten  bei  Stovain- 
gebrauch  beobachtet.  Racoviceanu  sah  öfters  hei  Kokaini- 
sierung  des  Rückenmarkes  scluvere  Synkopen.  Nach  Stovaini- 
salion  des  Rückenmarkes  Avurde  von  verschiedenen  Chirurgen 
Kollaps  beobachtet.  Einen  sehr  schweren  Kollaps  sah  Greiffen- 
hagen,  ZAvei  sehr  scliAAmre  Fälle  von  Kollaps  sah  Decker  unter 
137  Rückenmarksanästhesien  mit  Stovain,  leichtere  Kollapse  beob¬ 
achteten  Kümmel  unter  131  Fällen  einmal,  Freund  unier 
209  Fällen  viermal,  Rai  sch  unter  85  Fällen  zAveimal,  Hermes 
unter  205  Fällen  fünfmal.  He  in  ecke  Unter  70  Fällen  zAveimal. 
Ronachi  beobachtete  bei  einem  Neurastheniker  Avährend  der 
Operation  Auftreten  von  kaltem  Sclweiß,  Erbrechen,  Präkor¬ 
dialangst. 

Rei  TropakokainanAvendung  wurde  Kollaps  selten  beob¬ 
achtet.  Sc  h  Avar  z  sah  unter  1000  Füllen  hier  nur  fünf  Kollapse, 
davon  zwei  bei  sehr  herabgekonimenen,  ausgebluteten  Frauen 
und  ZAvei  bei  bereits  durch  längere  Zeit  inkarzerierten  Hernien. 
Preindelsberger  beobachtete  einen  schweren  und  sechs 
leichtere  Kollapse  unter  430  iFällen;  Füster  beobachtete  unter 
233  Fällen  4mal  am  Schlus'se  der  Injektion  Kollaps  ;  2  von  diesen 
AA’aren  sehr  schwerer  Natur,  doch  scheint  in  einem  von  diesen 
die  bereits  mebrtägige  bestehende  inkarzerierte  Hernie  Schuld 
geAvesen  zu  sein.  Zahradnicky  sah  unter  14  Fällen  einen 
Kollaps. 

Bei  Gebrauch  von  Eukain  sah  Silbermark  unter  un¬ 
gefähr  200  Fällen  fünfmal  Kollaps  auftreten;  Preleiter  einmal, 
Zahradnicky  unter  88  Anästhesien  fünfmal. 

Reim  Gebrauch  Amn  Novokain  beobachtete  Hermes  unter 
150  Fällen  mehrere  leichte  Kollapszustände,  die  aber  nie  be- 
droblicben  Charakter  annahmen.  Heinecke  und  Läwen  sahen 
unter  70  Anästhesien  Auer  Kollapse,  K recke  unter  zehn  Fällen 
ZAvei  scliAvere  Kollapse,  Henking  unter  100  Fällen  einen  sehr 
scliAveren  Kollaps. 

Rei  den  mit  Alypin  ausgeführten  Lund)alanästhesien  sah 
P  r  e  i  n  d  e  1  s  b  e  r  g  e  r  unter  96  F älleh  viermal  leichten  Kol  taps, 
Bai  sch  unter  37  Fällen  zAvei  leichtere  Kollapse. 

Stumme,  Avelcher  Kokain  0015g  einer  2Coigen  Lösung 
gibt,  sah  ZAveimal,  stets  vom  Peritoneum  ausgetösten  Kollaps. 
Leichte  Kollapszuslände  nach  Kokainaiwendiing  erwähnen  auch 
KurzAvellig,  Mori,  Senni. 

Hermes  beohachtete  bei  der  AiiAvendung  von  Stovain  zAvei- 
mal  Aväbrend  der  Operation  vorübergebend  Amaurose,  die  in 
einem  Falle,  allerdings  einem  Neurastheniker,  mit  starken  Auf¬ 
regungszuständen  verbunden  Avar.  In  beiden  Fällen  wirkte  die 
Anästhesie  bis  zur  Klavikula  hinauf. 

Puls  Verlangsamung  Avird  öfters  beschrieben.  Colom- 
bani  beobachtete  einmal  ein  Herabgehen  der  Pulsschlägo  bis  auf 
50  Schläge  in  der  Minute.  Finkelnburg  beolnuditete  in  lOCo 
der  Fälle  eine  selten  länger  als  zwei  Stunden  nach  der  Luinbal- 
auästhesie  andauernde  PulsA’erlangsamung ;  einmal  hei  einem 
54jährigeu  Manne  mit  intaktem  Herzen  eine  starke  Irregularität 
des  Pulses. 

Feber  scluvere  Nachblutungen  mudi  Luml)alanästhesien 
beiüdden  Hohmeier  und  Kopfstein.  H  o  h  m  ei  c  r  beobaclilete 
zweimal  Jiach  mit  Stovainadrenalin  ausgeführter  Lundjalanästhesie 


schAvere  Nachblutungen.  Das  eine  Mai  handelte  es  sich  um  einen 
bilateralen  Rassini,  das  zAveite  Mal  um  die  Exzision  eines  hand¬ 
tellergroßen  Ulkus  am  Unterschenkel.  Die  Avährend  der  Operation 
auffallend  geringe  Blulung  führt  Hohmeier  auf  die  Wirkung 
des  Adrenalins  zurück,  Avährend  die  scliAA’ere  folgende  Nachblutung 
auf  die  gefäßerAA^citerndc  Wirkung  des  Stovains  zu  beziehen  ist. 
Irn  Falle  von  Kopfstein  handelt  es  sich  um  einen  56jährigen, 
sonst  gesunden  Epileptiker,  dem  der  Amputationsstumpf  tlei’  Tibia 
reseziert  Avurde.  Zur  Lumbalanästhesie  AAUirde  005  Treqiakokain 
gebraucht.  Fünf  Minuten  nach  der  Injektion  trat  vollständige 
Anästhesie  und  Parese  beider  Beine  ein,  gleichzeitig  Avurde  die 
Haut  beider  Beine  his  zu  den  Hüften  hinauf  rasch  hellrot,  Avährend 
der  Kranke  •  gleichzeitig  über  heftigen  ScliAAnndel  klagte.  Nach 
drei  Minuten  AVurde  die  Haut  allmählich  wieder  normal  gefärbt. 
Die  Resektion  des  Amputationsstumpfes  wurde  ohne  nennenswerte 
Blutung  durchgeführt.  Drei  Viertelstunden  nach  der  Operation 
trat  eine  sehr  scliAA^erc  parerichymatöse  Nachblutung  auf,  Avährend 
Avelcher  die  Haut  beider  Beine  gerade  so  rot  gefärbt  war  Avie  eine 
Stunde  Amrher.  Die  Blutung  konnte  nur  scliAver  gestillt  werden. 
Diese  parencbymatöse  Blutung  steht  nach  Kopfstein  sicher 
ini  kausalen  Zusammenhänge  mit  der  spinalen  Injektion.  Kop'f- 
stein  erklärt  sie  durch  vasomotorische  Störungen,  Erschlaffungen 
oder  Lähmungen  der  Vasokonstriktoren.  Da  der  Kranke  ein  Epi¬ 
leptiker  Avar,  so  ist  es  nach  Kopfstein  nicht  ausgeschlossen, 
daß  dieser  Zustand  unter  dem  Einflüsse  der  spinalen  Injektion 
zur  EntAvickelung  der  vasomotorischen  Störungen  beigetragen  hat. 

Ueber  den  Einfluß  der  Lumbalanästhesie  bei  Diabetes 
liegen  Avenig  Mitteilungen  Amr.  Nach  Klemperer  scheint  bei 
Diabetes  die  Chloroformnarkose  Avie  die  Lumhalanästhesic  gleich 
schädlich  zu  Avirken.  Becker  beobachtete  einen  Diabetiker,  bei 
dem  der  Zuckergehalt  vor  der  Operation  (Fistel  eines  Amputations¬ 
stumpfes)  nur  sehr  gering  Avar  und  nach  der  Operation  auf 
3-65 h<>  und  der  EiAveißgehalt  auf  4V2'Vo  stieg.  Gleichzeitig  bestanden 
SchAvindelgefühl,  Koi)fschnierzen,  Erbrechen,  die  jede  Nahioings- 
aufiialmie  unmöglich  machten  und  Schlafloisigkeit;  erst  am  vierten 
Tage  nach  der  Operation  trat  Besserung  ein.  Becker  gibt  hier 
dem  Umstande  die  Schuld,  daß  der  Kranke  gleich  nach  der 
Operation  heirafuhr  Und  nicht,  Avie  Bier  verlangt,  Avenigstens 
24  Stunden  ruhig  liegen  blieb.  Gebraucht  Avurde  006  Stovain. 
Hohmeier  exstirpierte  einem  Diabetiker  unter  Lumbalanästhesie 
(006  Stovain)  ein  großes  GescliAvür  der  linken  großen  Zehe.  Am 
Tage  nach  der  Operation  trat  schweres,  drei  Tage  anhaltendes 
Erhrechen  auf;  infolge  der  durch  das  Erbrechen  bedingten  Unter¬ 
ernährung  entging  der  Kranke  nur  knapp  einem  letalen  Endo. 

Hermes  sowohl  als  auch  Bai  sch  berichten  über  je  einen 
Fall  Amn  Nephritis,  die  nach  Lumbalanästhesie  eine  Steigerung 
erfuhr.  Baischs  Kianker  hatte  vor  der  Operation  etAvas  Ehveiß 
im  Harne.  Nach  der  Lumbalanästhesie  mit  Alypin  trat  eine  starke 
hämorrhagische  Nephritis  auf,  welche  aber  nacb  einigen  Tagen 
wieder  scliAvand.  In  dem  Amn  Hermes  mitgeteilten  Falle  Avurdo 
zur  Lund)alanästhesie  Stovain  verwendet.  A.  Schwarz  unter- 
siicbte  in  ungefähr  50  Fällen,  bei  denen  zur  Rückenmarksan¬ 
ästhesie  stets  0  04  Stovain  angeAAumdet  wurde  und  vor  der  Lumbal¬ 
anästhesie  normalen  Harn  aufAviesen,  nachher  denselben.  In  den 
meisten  Fällen  konnten  bereits  vier  bis  fünf  Stunden,  in  einigen 
erst  ZAVei  bis  drei  Tage  nachher  im  Harne  für  eine  Nephritis 
charakteristische  Bestandteile  gefunden  Averden.  ln  leichtenm 
Fällen  Avar  der  Urin  in  zAvei  bis  Auer  Tagen  Avieder  Amllständig 
normal,  in  schweren  Fällen  konnten  noch  nach  acht  Tagen  und 
später  Zylinder  usav.  im  Sedimente  nachgeAviesen  Averdem  Ein 
Fall  zeigte  beinahe  drei  Wochen  lang  pathologischen  Harn  und 
Avies  tagelang  EiAveißgehalt  von  7Fo  auf.  Bleibende  Niereii- 
schädiguugen  Avurden  bis  jetzt  nicht  beobachtet. 

Schlaflosigkeit  Avird  öfters  als  Folgeerscheinung  der 
Lumbalanästhesie  heobachtet.  E  p  i  1  e  p  t  i  f  o  r  m  e  K  r  ä  m  p  f  e  nach 
Lumbalanästhesie  beschreiben  Löffler,  Slajmer.  Löffler  sah 
ZAveimal  bei  Kranken  im  Anschlüsse  an  die  Injektion  von  006 
Stovain  in  den  Duralsack  mit  folgender  Beckerdiochlageniug,  epi- 
leptiforme  Krämpfe  auftreten.  Slajmer  beobachtete  eine  Stunde 
nach  Injektion  von  004  Tropakokain  eineti  epileptiformeii  Anfall. 

Rsychos(‘n  mudi  Lumhalanästhesic'  Avenh'ii  von  lre,u- 
dois  und  von  Zahradnicky  bescdirieben.  Im  Falle  von 
Landois  trat  die  Psychose  am  neunten  Tage  nach  Kokainisierung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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dos  Riickoiiinarkes  auf  und  dokuiuenlierte  sicdi  als  inauiakalischei' 
Zuslaud.  abwccliselnd  mit  der  Domeulia  und  Bewußtlosigkeil. 

Finkelnburg  konnte  häufig  eine  pathologische 
Steigerung  der  S  e  h  ne  n  r  e  f  1  e  x  e  nach  Slovainisation  des 
Rückenmarkes  beobachten,  einmal  sogar  vorübergehenden  leichten 
Fußklonus. 


Parästhesien  nach  Injektion  in  den  Duralsack  werden 
öltei-s  beobachlel.  Chienne  und  Saxtorph  sahen  Irritalious- 
erscheinungen  in  Form  von  Spiiialanalges  ie  nach  Slovain- 
injeklionen. 

Paresen  kamen  nach  Lumbalanästhesie  öfter  vor.  Füster 
beobachtete  nach  Tropakokainanästhesien  zweimal  Paresen  der 
oberen  Extremitäten;  Lang  sah  nach  Novokainverwenduug  zwei¬ 
mal  Paresen;  in  einem  Falle  eine  linksseitige  Peroneuslähmung 
und  Atrophie  des  rechten  Thenar,  im  zweiten  Falle  eine  leichte 
Parese  beider  oberen  Extremitäten.  Henking  beobachtete  nach 
Novokaingebrauch  eine  Parese  des  linken  Beines.  Die  Paresen 
waren  stets  leichter  Natur  und  gingen  immer  in  kurzer  Zeit 
zurück.  Th  orbecke  sah  eine  Deltoideus-  und  eine  Peroneus- 
parcse  nach  Novokaingebrauch. 

Meningitis  spinalis  nach  Lumbalanästhesie  wurde  von 
11  ohmeier.  Traute  nrotli  nach  Stovainanwendung  gesehen, 
von  Füster  nach  Tropakokaingebrauch,  von  Henking  nach 
Novokainanwendung,  von  Walther  nach  Kokainisienmg.  Im  Falle 
II  ohmeier  wurde  bei  einem  21jährigen  Manne  006  Stovain 
injiziert;  am  dritten  Tage  nach  der  Lumbalanästhesie  bot  der 
Kranke  bei  leichter  Benommenheit  das  Bild  einer  Meningitis  spi¬ 
nalis,  am  neunten  Tage  begannen  die  Symptome  derselben  wieder 
abzuklingen  und  14  Tage  nach  der  Operation  war  der  Patient 
wieder  bescl-iAverdefrei,  nur  bestanden  noch  zehn  Wochen  nach 
der  Operation  Kopfschmerzen  und  leichte  Ermüdung  der  Beine. 
Trautenroth  sah  14  Tage  nach  einem  bei  unter  Lundjal- 
anästhesie  (0-06  Stovain)  ausgeführten  Forzeps  die  Zeichen  lo¬ 
kaler  Meningitis  spinalis  und  Wurzelneuritis.  Im  Falle  Henking 
dauerte  die  aseptische  Meningitis  vier  Tage. 

Eine  bisher  noch  nicht  wieder  beobachtete  Folgeerscheinung 
der  Spinalanalgesie  beschreibt  Goldmann.  Einem  ö2jährigen 
iManne,  der  außer  Arteriosklerose  mäßigen  Grades  weiter  keine 
abnormen  Veränderungen  seines  Organismus  zeigte,  wurde  uider 
Lumbalanästhesie  (Novokain)  eine  Hernie  operiert.  Die  Anästhesie 
überdauerte  die  Operation  um  fünf  Stunden,  dann  .1  raten 
Schmerzen  in  den  Fersen  und  Waden  auf,  welche  in  den  nächsten 
Tagen  Zunahmen,  allmählich  traten  auch  Schmerzen  in  den  Armen 
auf,  welche  14  Tage  lang  anhielten.  Am  zweiten  Tage  nach 
der  Operation  trat  eine  schneeweiße  Verfärbung  der  Haut  über 
den  Fersen  auf,  welcher  eine  symmetrische  Gangrän  an 
der  Fersenhaut  folgte.  Da  jede  andere  allgemeine'  oder  lokale 
Ursache  fehlt,  so  führte  Go  Id  mann  die  Gangrän  auf  trophische, 
durch  die  Lumbalanästhesie  bedingte  Störungen  zurück  und 
fordert,  daß  bei  alten  Leuten  und  Kranken,  welche  durch  Gefä߬ 
oder  anderweitige  Erkrankung  zu  Spontangangrän  prädisponiert 
sind,  jenen  Körperteilen  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken, 
wo  dann  eine  Druckgangräu  am  leichtesten  zustande  komnd. 


Den  schwersten  Fall  von  folgender  Lumbalanästhesie  be¬ 
schrieb  König.  Einem  35jährigen  Manne  wurde  behufs  Naht 
der  vor  sieben  Tagen  frakturierten  Patella  0  06  Stovain  zur  Lum¬ 
balanästhesie  injiziert.  Von  der  Stunde  der  Operation  kehrten 
die  erloschenen  Funktionen  vom  Nabel  abwärts  (d.  h.  Blase, 
Mastdarm  und  untere  Extremitäten)  nicht  mehr  zurück.  Der  Patient 
hatte  eine  für  Motilität  und  Sensibilität  gleichmäßige,  komplette 
Lähmung,  Haut-  und  Sehnenreflexe  waren  erloschen.  Für  einige 
Tage  reichte  die  Lähmung  sogar  bis  zum  Zwerchfell  hervor  und 
beeinträchtigte  die  Atmung;  im  übrigen  blieb  das  Gefühl  vom 
siebenten  Dorsalwirbel  an  von  abwärts  tot,  wie  bei  einer  Total- 
läsion  des  Rückenmarkes.  Unter  den  gewöhnlichen  Folgeerschei¬ 
nungen  einer  solchen  starb  der  Kranke  vier  Monate  später. 
H ohmeier  berichtet  noch  ausführlicher  über  diesen  Fall.  Die 
Autopsie  ergab:  Meningitis  spinalis,  Myelitis  diffusa  lumbalis  et 
dorsalis.  Durch  den  Sturz  hatte  der  Kranke  sich  wahrscheinlich 
eine  Kommotio  des  Rückenmarkes  zugezogen  und  so  hier  einen 
Locus  miuoris  resisleutiae  geschaffeu.  Daher  soll  Jiian  nach  H oh¬ 
meier  bei  bestehendem  Verdachte  auf  eine  Rückenmarksläsion 


die  Lumbalanästhesie  ganz  unterlassen  oder  erst  dann  vornehmen, 
wenn  eine  genaue  neurologische  Untersuchung  normale  Verhült- 
nisse  ergehen  hat. 

Eine,  besonders  in  der  letzten  Zeit  verhältnismäßig  häufig 
beobachtete  Nacherschieiuuug  der  Lumbalanäslhesie  sind  Augen¬ 
muskellähmungen.  Solche  wurden  erwähnt  von  Ach,  Adam, 
Bai  sch,  Becker,  Deetz,  Fe  i  1  che  n  f  e  1  d.  Ha  über,  Hen¬ 
king,  Hermes,  H  ohmeier,  Landois,  Lang,  Loeser, 
M ü h s am,  Rausche r,  R  ö der,  T h o r  b e c k e.  Die  Lähmungen  be¬ 
trafen  vor  allem  den  Abduzens,  aber  auch  derTTochlearis  undOkku- 
lomotorius  waren  betroffen  und  traten  meist  in  der  ersten  Woche, 
manchmal  aber  auch  in  der  zweiten  und  dritten  Woche  nach  der 
IJumbalanästhesie  auf  und  erstreckten  sich  über  einige  Tage,  bis 
zur  Dauer  mehrerer  Wochen.  Alle  gingen  ohne  jede  Therapie 
von  selbst  wieder  in  Heilung  über,  so  daßi  sie  zwar  als  eine  un¬ 
angenehme,  aber  keine  gefährlichere  Folge  der  Lumbalanästhesie 
zu  betrachten  sind. 

Hohmeier  erwähnt  nur,  daß  er  mehrere  Male  nach 
Rachistovainisation  des  Rückenmarkes  Augennmskellähmungen 
fand,  die  besomlers  den  Nervus  abducens,  aber  auch  den  Troch- 
learis  helrafen,  gibt  aber  keine  genauen  Zahlen  an.  Sonst  findet 
man  betroffen  den  Nervus  abducens  allein,  einseitig  19mal,  iloppel- 
seitig  viermal,  die  Nervi  abducens  und  occulomotorius  zusammen 
einmal,  den  Nervus  trocblearis  allein  einmal.  Bei  V^erwenduug 
von  Stovain  wurden  elf  einseitige  Abduzenslähmungen  und  einmal 
die  Lähmung  des  Abduzens  uml  Okkulomotorius  beobachtet,  nach 
Novokain  fünf  einseitige  und  fünf  doppelseitige  Abduzens¬ 
lähmungen,  sowie  die  Lähmung  des  Trochlearis  nach  Alypiii 
eine  doppelseitige  Abduzensparese,  nach  Tropakokain  eine  einzige 
Augenmuskellähmung.  Zweimal  trat  Abduzensparese  nach  Sko¬ 
polamin -Morphin -Stovainisierung  auf.  Die  Aetiologie  der  Augen¬ 
muskellähmungen  nach  Lumbalanästhesie  ist  noch  nicht  ganz 
klargestcHt.  Adam  führt  sie  zurück  auf  eine  Kontaktwirkung  des 
Stovains  der  Nerven,  eventuell  auf  seinen  Kern,  wahrscheinlich 
aber  auf  kleine  Blutungen  im  Innern  des  Abduzens,  etwa  als 
eine  Folgeerscheinung  der  Druckherabsetzung  durch  den  Abfluß 
von  Liquor  cerebrospinalis.  Röder  und  andere  sind  aber  gegen  die 
Annahme,  daß  Blutungen  im  xUbduzenskerne  die  Ursache  der 
Augenmuskellähmungen  seien.  Gerade  das  spätere  Auftreten  der 
Lähmungen  spricht  nach  Röder  mit  viel  mehr  Wahrscheinlichkeit 
für  eine  toxische  Wirkung  des  Stovains.  Auch  Laeser  faßt 
die  Lähmungen  als  eine  toxische  Paralyse  auf.  Lang  ist  auch 
der  Meinung,  daß  die  Lähmungen  viel  eher  in  das  Gebiet  der 
toxischen  Neuritis  gehören,  als  daß  Blutungen  im  Kerninnern  die 
Ursache  wären  und  gilrt  in  seinem  Falle  einem  eigenartigen  toxi¬ 
schen  Spätwirken  des  Novokains  die  Schuld.  Gerstenberg 
glaubt  auch,  daß  die  Abduzensparesen  durch  Einwirkung  des 
Anästhetikums  auf  den  in  der  Basis  des  vierten  Ventrikels  ge¬ 
legenen  Abduzenskern  zustande  kommt.  Kroner  sieht  zwei  Mög¬ 
lichkeiten,  wie  das  Stovain  zu  dem  Abduzens  gelangen  kann. 
Die  erste  Möglichkeit,  daß  der  Transport  durch  die  Spinalflüssig¬ 
keit  bis  zu  den  Nerven  gelange,  ist  die  unwahrscheinlichere.  Viel 
wahrscheinlicher  ist  nach  Kroner  die  zweite  Möglichkeit,  daß 
nämlich  das  unzersetzt  oder  gespalten  in  das  Blut  auf  genommene 
Anästhetikum  an  einer  Stelle  der  nervösen  Substanz,  die  einen 
Locus  minoris  resistentiae  bildet,  wieder  ausgeschieden  wird  und 
hier  zu  einer  vorübergehenden  oder  bleibenden  Schädigung  führt. 
Daß  gerade  der  Abduzens  am  häufigsten  getroffen  wird,  ist  nach 
der  Meinung  mehrerer  Chirurgen  gerade  nicht  auffallend,  wenn 
man  an  die  Häufigkeit  von  Abduzenslähmungien  bei  der  Lues 
denkt.  Gewiß  hat  die  Annahme,  daß  die  Augenmuskellähmungen 
die  Folge  toxischer  Wirkung  des  Anästhetikums  seien,  die  meiste 
Berechtigung.  Ach  macht  darauf  aufmerksam,  daß  derzeit  nur 
Lähmungen  zu  verzeichnen  sind  bei  Gehirnnerven,  die  in  einer 
Zysterne  liegen  und  einen  längei’en  Verlauf  innerhalb  der  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  im  Subarachnoidalraume  aufweisen  und  nicht 
sehr  schnell  die  Dura  durchbrechen.  Das  späte  Auftreten  in  den 
Lähmungen  ist  nach  Ach  vielleicht  einesteils  mit  dem  langsamen 
Fortschreiten  der  Flüssigkeit  durch  die  physiologischen  Engen 
zu  erklären,  anderseits  damit,  daß  die  Flüssigkeit  durch  die 
Ai'achnoidea  diffundiert  und  auf  die  Nerven  noch  während  ihres 
Verlanfes  zwischen  Dura  und  Araclmoidea  einwirkl  öderes  handelt 
sich  um  die  Wirkung  von  Abbauprodukten  des  Anästhetikums, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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die  auf  die  relativ  dünnen  Nerven  in  langer  Ausdehnung  chemisch 
eiuwirken  und  vielleicht  eine  Art  Neuritis  erzeugen. 

Ein  nichtiges  Kapitel  in  der  Besprechung  der  Lumbal¬ 
anästhesie  bilden  die  Todesfälle.  Hahn  hat  im  Jahre  1901  in 
seinem  ausführlichen  Sammeh’eferate  über  Kokainisierung  des 
Uückenmarkes  auf  1708  Kokainisierungen  acht  Todesfälle  be¬ 
richtet,  also  dcj'  hohe  Prozentsatz  von  einem  Todesfall  auf  200  An¬ 
ästhesien.  Die  von  Hahn  damals  zitierten  Todesfälle  sind 
folgende : 

1.  Fall  von  Tuffier.  Tod  am  Tage  der  Operation.  Die 
Sektion  zeigte  sclwere  Veränderungen  in  Herz  und  Lungen,  so 
(Iah  nach  Tuffier  die  Lumbalanästhesie  nicht  direkt  beschuldigt 
werden  darf. 

2.  Fall  von  Dumont.  Tod  sechs  Tage  nach  der  hei  einem 
17jährigen  Knaben  ausgeführten  Kniegelenksresektion.  Die 
Autopsie  ergab  allgemeine  Tuberkulose,  das  Rückenmark  war 
sehr  anämisch  ;ider  Tod  ist  wohl  keine  direkte  Folge  '-1er  Anästhesie, 
hat  aber  durch  sie  eine  Beschleunigung  erfahren. 

3.  Der  hei  Dumont  einvätmte  Fall  von  Hacker.  Nach 
einer  hei  einem  Knaben  ausgeführten  Füßgelenksresektion  trat 
])ald  darauf  der  Tod  unter  den  Erscheinungen  einer  Menin¬ 
gitis  ein. 

4.  Fall  von  Cavazzoni.  Der  Tod  trat  unter  Erscheinungen 
von  seitC^i  des  Zerehrums  ein,  Rückenmarkserscheinungen  fehlten. 

5.  Fall  von  Foote.  Eine  sehr  altersschwache  Frau  starb 
drei  Tage  nach  der  Operation,  wohl  infolge  der  Schwäche. 

(5.  Fall  von  Lilienthal.  Gehirntumor,  keine  Autopsie. 

7.  Fall  von  Goilav.  Bei  einem  67jährigen  Manne  wurde 
wegen  arteriosklerotischer  Gangrän  die  Amputation  des  Beines 
aus  geführt.  Tod. 

8.  Fall  von  Draghenn.  Nähere  Details  fehlen. 

Die  Angaben  sind  zu  kurz,  daß  man  die  Fälle  ganz  genau 
kritisch  besprechen  und  jedesmal  beurteilen  könnte,  inwiefei'ue 
der  Tod  direkt  der  Lumbalanästhesie  zuzuschreihen  ist,  gewiß 
sind  ihr  aber  nicht  alle  Fälle  zur  Last  zu  legen.  Am  ehesten  dürfte 
der  von  Dumont  envähnte  Fall  Hacker  und  der  Fall  Cavaz- 
zoni  auf  die  Lumbalanästhesie  zuriickzuführen  sein,  während 
dies  in  den  Fällen  1,  2,  5,  6,  7  noch  sehr  fraglich  ist  und  man 
wegen  IMangel  der  Angaben  über  Fall  8  überhaupt  nicht  disku¬ 
tieren  kann.  Wenn  jemand  nach  der  Operation  stirbt  und  es 
finden  sich  schwere  Veränderungen  in  Herz  und  Lungen,  so 
ist  es  doch  wohl  sehr  unwahrscheinlich,  daß  die  Lumbalanästhesie 
für  den  Exitus  verantwortlich  'gemacht  werden  kann;  viel  eher 
muß  man  annehmen,  daß  solch  ein  Patient  einer  fnhalations- 
narkose  erst  recht  erlegen  wäre.  Aebnlicbes  gilt  von  dem  Falle 
Dumont.  Daß  eine  schwache  Greisin  am  dritten  Tage 
nach  der  Operation  an  Sclnväche  stirbt,  dürfte  wohl  auch  nicht 
die  Folge  der  Lumhalanästhesie  sein.  Der  Fall  Li  lien  that 
ist  auch  nicht  einwandfrei,  denn  erstens  ist  wohl  Tumor  cerebri 
schon  an  und  für  sich  genug  Ursache  für  einen  Exitus,  außer¬ 
dem  fehlt  die  Autopsie.  Und  im  Falle  von  Goilav  ist  ja  hoi 
einem  67jährigen  Manne,  dem  wegen  arteriosklerotischer  Gangrän 
das  Bein  amputiert  werden  mußite,  die  Prognose  von  vornherein 
(une  sehr  zweifelhaRe  und  die  Frage  wohl  eine  berechtigte,  wie 
hätte  ein  67jähriger  Arteriosklerotiker  mit  diesem  Leiden  eine 
lidialatiousnarkose  vertragen ? 

Seit  dem  Erscheinen  von  Hahns  Saminelreferate  konnten 
wir  in  der  Literatur  17  Todesfälle  im  Anschlnsse  oder  währeud 
der  Lumhalanästhesie  mitgeteilt  finden.  Bei  diesen  wurde  die 
Lumhalanästhesie  ausgeführt:  fünfmal  mit  Kokain,  oiiimal 
mit  Eukain,  sechsmal  mit  Stovain,  einmal  mit  Stovain 
und  Skopolaminmori)hin,  dreimal  mit  Tropakokain, 
einmal  mit  Novokain. 

Die  Todesfälle,  welche  der  Kokainisierung  d  es 
Rückenmarkes  zur  Last  geschoben  werden,  sind:  ein  Fall  von 
(’ha])ut,  zwei  Fälle  von  Legneu,  ein  Fall  von  Hildebrand, 
ein  Fall  von  Michel  is.  Chai)ut  führt  in  dem  \mn  ihm  mit¬ 
geteilten  Falle  den  Tod  aber  nicht  auf  die  Kokaininjektion  zu¬ 
rück,  sondern  nach  seiner  eigenen  Ansicht  dürfte  der  Exitus 
auf  die  jilötzlicdie  Entleerung  eines  großen  Pleuraexsudates  zu- 
rückzufiihren  sein.  Tiegne  u  s  Inddc  Kranke,  die  nach  Kokainisie¬ 
rung  des  Rückenmarkes  starben,  waren  schon  vor  der  Operation 
in  einem  so  desolaten  Zustande,  daß  von  einer  Chloroformnarkose 


von  vornherein  Abstand  genommen  werden  mußte.  Tm  Falle 
von  Hildebrand  starb  die  Patientin,  bei  der  der  vaginale 
Kaiserschnitt  vorgenonimen  wurde,  plötzlich  während  der  Opera¬ 
tion.  Michelis  ist  im  Zweifel,  oh  der  von  ihm  heobachteto 
Todesfall  der  Lumbalanästhesie  mit  Kokain  zuzuschreihen  ist 
oder  nicht.  Nach  einer  Hernienoperation  trat  am  dritten  Tage 
unter  hohem  Temperaturanstiege  unter  Auftreten  eines  Erythems 
um  die  Einstichstelle  der  Exitus  ein.  Da  sich  bei  der  Autopsie 
der  Leiche  keine  objekfiven  Veränderungen  nachweisen  ließen, 
so  wurde  der  Tod  einer  beginnenden  Infektionskrankheit  zuge¬ 
schrieben. 

Also  aucli  in  diesen  weiteren  fünf  Todesfällen  nach  Kokaini¬ 
sierung  des  Rückenmarkes  ist  es  sehr  zweifelhaft,  wie  oft  dabei 
diese  die  Ursache  des  Todes  war.  Chaput  selbst  schließt  in 
seinem  Falle  die  Lumbalanästhesie  aus;  daß  in  den  beiden  Fällen 
von  Legneu  der  Tod  eintrat,  dürfte  auch  kaum  dem  Kokain 
zuzuschreiben  sein,  denn  wenn  ICranke  schon  vor  der  Operation 
so  herabgekommen  sind,  daß  man  vor  einer  Narkose  zurück¬ 
schreckt,  so  wäre  es  wohl  unbillig,  den  nach  der  Operation  ein- 
fretenden  Exitus  der  Lumbalanästhesie  zuzuschreihen.  Wahr¬ 
scheinlicher  ist  der  Fäll  Hildebrand  und  wohl  auch  der  Fall 
Michelis  der  Lumbalanästhesie  zuzuschreihen.  Schnurpfeil 
erlebte  bei  einem  sehr  herabgekommenen  Menschen  mit  Eukain 
einen  Todesfall ;  auch  dieser  ist,  weil  es  sich  um  ein  dekrepides 
Individuum  handelt,  nicht  mit  Bestimmtheit  der  Spinalanalgesie 
zur  Last  zu  schieben. 

Die  nacli  Sto  vainisier  ung  des  Rückenmarkes  beobach¬ 
teten  Todesfälle  sind;  ein  Fall  von  Sonnenburg,  ein  Fall 
von  Freund,  ein  Fall  von  Deetz,  ein  Fall  von  Krecke,  ein 
Fall  von  Urban,  ein  Fall  von  König. 

Sonnen  bürg  beobachtete  im  Anschlüsse  an  die  bei  einem 
pyämischen  Kranken  ausgeführte  Lumbalanästhesie  eine  aufstei¬ 
gende  eitrige  Meningitis,  die  wahrscheiidich  mit  der  Pyämie  in 
Zusammenhang  zu  bringen  ist.  Nach  Sonnenburg  ist  die  In¬ 
fektion  beim  Einstiche  eine  unwahrscheinliche;  wahrscheinlich 
wurde  durch  sie  im  Rückenmarke,  resp.  in  dessen  Häuten 
ein  Locus  minoris  resistentiae  geschaffen,  an  dem  sich  dann 
die  Meningitis  als  Teilerscheinung  der  Pyämie  etablierte.  Freund 
sah  bei  einer  73jährigen  asthmatischen  Frau  acht  Vlinuten  nach 
der  Injektion  des  Stovains  in  den  Duralsack  plötzlich  starkes 
Erbrechen  und  Eintritt  des  Todes  Unter  Atmungsstillstand.  Ebenso 
starb  im  Falle  Deetz  ein  72jäbriger,  elender  Mann  vier  Minuten 
nach  dem  Eintritte  der  Anästhesie  plötzlich  unter  dem  Bilde 
der  Respirationslähmung.  Deetz  selbst  läßt  die  Frage  offen, 
ob  hier  der  Tod  durch  das  Stovain  und  Adrenalin  oder  durch 
die  bestehende  Peritonitis  herbeigeführt  wurde,  was  auch  durch 
die  Obduktion  nicht  festgestellt  werden  konnte.  Krecke  ope¬ 
rierte  einen  70jährigen  Mann  mit  IleuserscheinUngen  infolge  einer 
inkarzerierten,  fast  mannskopfgroßen  Hernie,  deren  Inhalt  (Dünn¬ 
darm)  schon  zum  Teile  gangränös  war.  Als  die  Bruchpfoite 
eröffnet  werden  sollte,  trat  plötzlich  Kollaps  und  Exitus  ein. 
Die  Sektion  wurde  verweigert.  Bei  der  Punktion  des  Wirbel¬ 
kanales  war  ziemlich  viel  blutig  fingier te  Flüssigkeit  abgelaufen. 
Der  von  Urban  beobachtete  Falt  ist,  was  seinen  Zusammenhang 
mit  der  Stovainisierung  des  Rückenmarkes  anbelangt,  nach  Urban 
selbst  sehr  fraglich.  Am  dritten  Tage  nach  einer  Bassinioperation 
frat  bei  einem  sonst  gesunden  Manne  Temperatursteigerung  bis 
zu  40'^,  Kollaps  und  am  24.  Tage  nach  der  Operation  der  Exitus 
ein.  Die  Sektion  ergab  keine  Verändenmg  im  Gehirn  und  Rücken- 
niarke,  leicht  fettige  Degeneration  der  parenchymatösen  Organe. 
Ferner  ist  der  bereits  besprochene  Fall  von  König,  auch  wenn 
der  Tod  erst  mehrere  IMonate  nach  der  Rückenmarksanästhesie 
eintrat,  doch  gewiß  hieber  zu  rechnen,  weil  ja  hier  bestimmt  die 
Lumbalanästhesie  die  eigentliche  Grundursache  des  tödlichen  Aus¬ 
ganges  war. 

Bei  der  Kondnnation  des  Morphinskopolamindäm¬ 
merschlafes  und  der  Rachistova  inisation  heschreil)t. 
König  einen  Todesfall.  Bei  einer  65jähngen  PTau,  welche  wegen 
Carcinoma  uteri  operiert  wurde,  trat  während  der  Operation  der 
Tod  unter  dem  Bilde  der  Respirationslähmung  ein.  Bei  Tropa¬ 
kokain  gebrauch  zur  Lumhalanä.slhesie  finden  wir  drei  Todes¬ 
fälle  herichtel.  1)  ö  ii  i  t  z  sah  einen  Fall  an  der  Klinik  Bier 
(den  ersten  Todesfall  an  dieser  Klinik).  Einem  75jährigen  Manne 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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wurden  beluit's  Enllernuiig  eines  Carcinoina  penis  018  Trona- 
kukain,  mil  10  cnr^  Liquor  vermengl,  in  den  Duralsaek  inji/deiL 
Cileicdi  daran!'  i)i'eileto  sieh  ^dic  Aiiäslhesie  rapid  l)is  zum  Halse 
ans  und  nach  mehreren  Minuten  trat  nnter  Aussetzung  der  Atmung 
und  des  Pulses  der  Exitus  ein.  Die  heiden  anderen  Todesfälle 
nach  Tropakokainanwendimg  werden  von  Urhan  mitgeteill.  ln 
einem  Falle  handelte  es  sich  um  einen  kräftigen,  Sljähiigen 
Mann,  dem  eine  doppelseitige  Leistenhernie  operiert  wurde.  Am 
dritten  Tage  nach  der  Operation  starh  der  Mann  unter  dem  Bilde 
einer  akuten  Infektionskrankheit.  Dem  entsprach  der  Ohduktions- 
hefund ;  im  zentralen  Nervensysteme  waren  weder  makroskopisch, 
noch  mikroskopisch  irgendwelche  pathologische  Veränderungen 
zu  finden.  Ini  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  24jährigen 
Mann  mit  geringer  Zystitis  und  Nephritis,  dem  seine  narbige 
Harnröhrenstriktur  durch  forcierte  Dilatation  der  Urethra  in  Lum- 
halanästhesie  operiert  wurde.  Vier  Stunden  nach  der  Operation 
traten  Schüttelfrost,  Kollaps,  später  Delirium,  aber  keine  Kon¬ 
vulsionen  auf  und  am  Tage  nach  der  Operation  starb  der  Kranke. 
Auch  hier  fanden  sich  keinerlei  pathologische  Veränderungen 
im  Gehirne  und  Rückemnai’ke ;  dafür  fand  man  hei  der  Sektion 
chronische  Pyelonephritis  und  akutes  iLungenödem,  so  daß  sich 
hier  der  Tod  nur  mit  Rücksiiclit  auf  die  bestehende  Nephritis  auf 
eine  akute,  alleixiings  atypische  Urämie  (Fehlen  der  Krämpfe) 
zurückführen  ließ.  Den  ersten  Fall  erklärt  sich  U  r  h  a  n  mit  Rück¬ 
sicht  auf  das  klinische  Bild  und  den  Obduktionsbefund  (starke 
Fragmentierung  der  Muskelfasern  des  Herzens)  als  erstes  Stadium 
beginnender  Metamorphose,  Veri'ettung  der  Leber  und  Nieren  am 
ungezwungensten  durch  toxische  Wirkung  des  Tropakokains,  ana¬ 
log  dem  protrahierten  Chloroformtode.  Da  die  einzelnen  Zentren 
gelähmt  werden  können,  konnte  man  sich  auch  eine  komhinierte 
Lähmung  u.  zw.  des  Atem-  und  Herzzentrums  einerseits,  der  vaso¬ 
motorischen  und  trophischen  Zentren  anderseits  vorstellen. 

(Schluß  folgt. 


Therapeutisehe  JJotizen. 

Aus  der  medizinischen  Universitätspoliklinik  in  Leipzig 
(Direktor  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Hoffmann).  Hydrargyrum 
p r a e c i p i  t  a t u  m  a  1 1) um  p u  1 1  i f  o r m e.  Von  Dr.  Hans  V ö r n e r. 
Wie  bei  der  gelben  Quecksilhersalhe  (Hydrargyr.  oxydat.  flav^. 
Pagenstecher)  der  Niederschlag  auf  nassem  Wege  hergestellt  wird, 
um  eine  möglichst  feine  Verteilung  des  Medikamentes  zu  erzielen, 
ließ  Vörner  auch  das  Hydrargyrum  praecipitatum  album  auf 
nassem  Wege  iierstellen.  Der  Niederschlag  wird  so<lann  getrocknet 
und  verarheitet;  man  kann  aber  auch  den  noch  feuchten,  aus 
äußerst  feinen,  gleichgroßen,  reichen  Elementen  bestehenden 
Niederschlag  direkt  mit  weißem  Vaselin  in  gewünschtem  Prozent¬ 
satz  verarbeiten.  Die  so  dargestellte  Salbe  wurde  in  allen  Fällen 
angewandt,  in  welchen  die  weiße  Präzipitatsalhe  bisher  gebraucht 
wurde;  sie  wies  aber  geringere  Reizbarkeit,  also  bessere  Ver¬ 
träglichkeit  und  raschere  Wirkung  auf.  Er  benützte  sie  auch 
zu  Schmierkuren,  indem  er  SOToige  Salbe  herstellen  nnd  8  bis  9  g 
pro  die  verreiben  ließ.  Man  könnte  auch  öü^/oige  Salben  ver¬ 
wenden  und  weniger  pro  dosi  verordnen.  In  Fällen  von  sekun¬ 
därer  Rezidivlues  und  frischer,  sekundärer  Lues  wurden  derlei 
Schmierkuren  vier  bis  sechs  Wochen  lang  durchgetührl,  wobei 
die  Symptome  ebenso  schwanden  wie  bei  Verwendung  von  grauer 
Salbe.  Die  weiße  Salbe  hat  den  Vorteil,  daß  sie  nicht  sclunutzt. 
Das  hat  auch  zur  Empfehlung  des  Uniguentum  Heyden  (Verwen¬ 
dung  des  kolloidalen  Kalomels)  geführt.  —  (Deutsche  medizinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  10.)  E.  F. 


\/0rmisehte  Kaehriehten. 

Ernannt:  Dr.  A.  R.  Bielka  v.  Karl  treu  in  Wien  zum 
k.  u.  k.  Hofarzte  11.  Klasse.  —  Dr.  Rernedi  zum  a.  o.  Professor 
der  Chirurgie  in  Modena.  —  Dr.  Roncoroni  zum  a.  o.  Professor 
für  Nervenheilkunde  in  Parma.  —  Dr.  Vicarelli  zum  a.  o.  Pro- 
b'ssor  der  Geburtshilfe  in  Turin. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberstabsärzte  Dr.  .losef  D  u  h  s  k  y  der 
Titel  und  Charakter  eines  Generalstabsarztes.  —  Dr.  Klaudius 
Schmid  in  Wien  das  Ritterkreuz  des  französischen  Ordens  der 
Ehrenlegion.  —  Dr.  Demetrius  Galatti  in  Wien  das  Ritterkreuz 
des  griechischen  Erlöserordens. 


Habilitiert:  Dr.  M.  Koch  m  a  n  n  in  Greifswald  für 
Pharmakologie.  —  Privatdozent  Dr.  Mangold  in  Jena  für 
Physiologie  in  Greifswald.  —  Dr.  Purpura  für  externe  Patho¬ 
logie  in  Pavia.  —  Dr.  M  e  m  m  i  für  interne  Pathologie  in  Siena. 
—  Dr.  Fon  tan  a  für  operative  Medizin  in  Pisa. 

* 

Gestorben:  Prof.  Dr.  Poirier  in  Paris.  —  Dr.  Gabri- 

ischewsky,  Piivatdozent  für  Bakteriologie  in  Moskau. 

* 

Der  bekannte  Meraner  Arzt,  Sanitätsral  Dr.  B.  Hausmann, 
erreicht  am  9.  d.  M.  sein  70.  Lebensjahr.  Der  Jubilar  hat  siidi 
im  Jahre  ,1866  in  Meran  niedergelassen  und  wurde  bald  einer 
der  angesehensten  Aerzte  dieses  Kurortes.  Wiegen  seiner  .sitrengen 
Rechtlichkeit,  seiner  humanen,  edlen  Gesinnung  und  seines  ernsten 
wissenschaftlichen  Strehens  ist  er  ebensosehr  von  seinen  Patienten 
als  von  seinen  Kollegen  geschätzt.  — r. 

* 

Die  Generalversammlung  der  Writwen-  und  Waisen¬ 
sozietät  des  Wiener  medizinischen  1)  o  k  tore  n  k  o  1 1  e- 
giums  vom  12.  März  1907,  hat,  dem  Sachverständigengutachten 
gemäß,  den  einstimmigen  Beschluß  gefaßt,  die  Prämientabellen 
auf  Grundlage  eines  niedrigeren  Zinsfußes  und  der  neuen  Sterb- 
licbkeitstabellen  und  mit  Sicherstellung  einer  Jahrespension  von 
K  1400,  umrechnen  zu  lassen.  Mit  dieser  Umrechnung  ist  eine 
Prämienerhöhung  verbunden,  welche  nach  Genehmigung  durch 
das  k.  k.  Ministerium  voraussichtlich  im  Laufe  des  nächsten  Jahres 
in  Kraft  treten  wird.  Die  Direktion  der  Sozietät  folgt  einer  alten 
Gepflogenheit,  wenn  sie  die  Aerzteschaft  von  der  bevorstehenden 
Prämienerhöhung  rechtzeitig  in  Kenntnis  setzt.  Die  Sozietät  sichert 
den  Witwen  ihrer  iVlitglieder  eine  Jahrespension  von  K  1400 
und  nach  dem  Tode  der  Mutter,  den  Waisen  eine  Pension  in 
der  gleichen  Höhe,  so  lange  noch  eine  minderiährige  Waise  vor¬ 
handen  ist,  bei  einem  Tarife,  wie  ihn  keine  Assekuranzgesell¬ 
schaft  gewährleisten  kann;  es  liegt  daher  im  eigenen  Inter¬ 
esse  der  Kollegen,  der  Writwen-  und  Waisensozietät  des 
Wiener  medizinischen  Doktorenkollegiums  beizutreten,  insbe¬ 
sondere,  so  lange  noch  der  niedrigere  Tarif  in  Geltung  ist.  Aus¬ 
künfte  erteilt  die  Kanzlei:  Wien  1.,  Rotentunnstraße  19. 

* 

Verordnung  des  Justizministeriums  im  Ein¬ 
vernehmen  mit  den  Ministerien  des  Innern  und  für  Kultus  und 
Unterricht  vom  23.  März  1907,  V.-BI.  d.  J.-M.  Nr.  14,  an  sämt¬ 
liche  Gerichte  und  Staatsanwaltschaften,  betreffend  die 
biochemische  Untersuchung  von  Blutspuren  im 
Strafverfahren.  Mit  der  Verordnung  vom  13.  August  1903, 
J.-M.-V.-Bl.  Nr.  25,  wurde  den  Gerichten  und  Staatsanwaltschaften 
bekanntgegeben,  daß  vorläufig  in  dem  gerichtlich-medizinischen 
Institute  der  Wiener  Universität  Einrichtungen  getroffen  wurden, 
um  die  neue  biochemische  Methode,  Blutspuren  auf  ihre  Her¬ 
kunft  zu  untersuchen,  für  strafgerichtliche  Zwecke  zu  verwerten. 
Die  hier  und  in  anderen  in-  und  ausländischen  Instituten  durch¬ 
geführten  zahlreichen  wissenschaftlichen  Untersuchungen  haben 
ergeben,  daß  die  Eiweißdifferenzierung  in  der  Form  der  bio¬ 
chemischen  Methode  tatsächlich  ein  verläßliches  Mittel  sei,  um 
frisches  sowie  eingetrocknetes  Blut  nach  seiner  Herkunft  zu  be¬ 
stimmen,  Menschenblut  vom  Tierblut  und  Blut  verschiedener 
Tiergattungen  zu  unterscheiden.  Um  die  Benützung  dieser  Methode 
für  gerichtliche  Zwecke  zu  erleichtern,  werden  vom  1.  Mai  d.  J. 
angefangen  auch  die  gerichtlich-medizinischen  Institute  der  Uni¬ 
versitäten  Prag,  Krakau,  Lemberg,  Graz  und  Innsbruck  derartige 
Blutuntersuchungen  auf  Ersuchen  der  Gerichte  vornehmen  und 
es  werden  sich  die  Gerichte  der  Oberlandesgerichtssprengel  Wien,. 
Prag,  Krakau,  Lemberg,  Graz  und  Innsbruck  an  die  gerichtlich¬ 
medizinischen  Institute  der  in  ihrem  Oberlandesgerichtssprengel 
gelegenen  Universitäten,  die  Gerichte  des  Oberlandesgerichts- 
sprengels  Brünn  an  die  Institute  der  Universitäten  Wien  oder 
Prag  und  die  Gerichte  der  Oberlandesgerichtssprengel  Triest  und 
Zara  an  das  Institut  der  Universität  Graz  zu  wenden  haben. 
Die  Zahl  der  an  das  gerichtlich-medizinische  Institut  der  Wiener- 
Universität  gelangten  Ersuchen  war  eine  verhältnismäßig  geringe 
und  es  werden  die  Gerichte  angewiesen,  in  allen  Fällen,  in  denen 
Blutspuren  auf  ihre  Provenienz  zu  prüfen  sind  und  nicht  be¬ 
sondere  Umstände  eine  Ausnahme  rechtfertigen,  die  vorgenannten 
Universitätsinstitute  wegen  Vornahme  der  Untersuchung  in  An¬ 
spruch  zu  nehmen.  Bei  diesem  Ersuchen  sind  die  in  Absatz  3 
der  Verordnung  vom  13.  August  1903  gegebenen  Direktiven  über 
die  Verwahrung  und  Bezeichnung  der  einzelnen  Gegenstände, 
über  die  Bekanntgabe  der  für  die  wissenschaftliche  Untersuchung 
relevanten  Ergebnisse  des  Verfahrens  und  die  dem  Institute  vor- 
1  zulegenden  Fragen  zu  beachten.  Die  Institute  werden  neben  der 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  19 


biocliemischen  Methode  auch  noch  die  mikroskopische  oder  die 
spektroskopische  Älethode,  nach  Erfordernis  alle  drei  Methoden 
anwenden,  um  dadurch  eine  erhöhte  Garantie  zu  erreichen.  Das 
erforderliche  Serum  wird  von  dem  staatlichen  serotherapeutischen 
Institute  in  Wien  heigestellt.  Die  Vorschrift  des  letzten  Absatzes 
der  Verordnung  vom  13.  August  1903  über  die  Vergütung  der 

Kosten  hat  für  alle  Institute  zu  gelten. 

* 

In  Mannheim  findet  Freitag  den  24.  Mai  und  Samstag 
den  25.  Mai  1907  im  Versammlungssaale  des  „Rosen¬ 
garten“  der  dritte  Kongreß  der  Deutschen  Gesell¬ 
schaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechtskrank¬ 
heiten  statt.  Die  Tagesordnung  ist  folgende:  1.  Ein¬ 
leitung  :  Dr.  B  1  a  s  c  h  k  o  (Berlin) :  Die  Aufgaben  der  Deut¬ 
schen  Gesellschaft  auf  dem  Gebiete  der  Sexualpädagogik. 
Prof.  Fr.  W.  F  o  e  r  s  t  e  r  (Zürich) :  Hauptgesichtspunkte  für  die 
Jugenderziehung  auf  sexuellem  Gebiete.  2.  Sexuelle  Aufklärung. 
Frau  Prof.  Krukenberg  (Kreuznach) :  Die  Aufgabe  der  Mutter, 
des  Hauses.  Hauptlehrer  E  n  d  e  r  1  i  n  (Mannheim)  und  Lehrer 
Holler  (Hamburg):  Sexuelle  Aufklärung  in  der  Volksschule. 
Direktor  Prof.  Ke  ms  i  es  (Berlin)  und  Prof.  Schäfenacker 
(Mannheim):  Sexuelle  Aufklärung  in  den  höheren  Schulen.  Doktor 
von  den  Steinen  (Düsseldorf)  und  Dr.  Fürstenheim  (Ber¬ 
lin)  :  Sexuelle  Aufklärung  für  Abiturienten.  Hauptlehrer  Lacroix 
(Mannheim) :  Sexuelle  Aufklärung  für  Seminaristen.  Prof.  K  o  p  p 
(München)  und  Regierungs-  und  Gewerbeschulrat  Beckert 
(Schleswig):  Sexuelle  Aufklärung  für  die  schulentlassene  Jugend. 
Lehrer  Köster  (Hamburg) :  Jugendliteratur.  3.  Sexuelle  Diätetik. 
Geh.  Medizinalrat  Prof.  Eulenburg  (Berlin)  und  Frau  Dr.  rned. 
Adams-Lehmann  (München).  Die  Verhandlungen  des  Kon¬ 
gresses  sind  öffentlich.  Der  Zutritt  zu  denselben  und  die  Be¬ 
teiligung  an  den  Diskussionen  ist  jedermann  gestattet.  Für  die 
Teilnahme  am  Kongreß  als  Mitglied  ist  der  Betrag  von  M.  10  zu 
entrichten. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Mitteilung:  Internationaler 
Laryngo-Rhinologen  - Kongreß  (Türck-Czermak- 
Feier).  Laryngo-Rhinologische  Ausstellung  in 
Wien,  21.  bis  25.  p  r  i  1  1908.  Gleichzeitig  mit  dem  in  Wien 
vom  21.  bis  25.  April  1908  tagenden  „Internationalen  Laryngo- 
Rhinologen-Kongreß“  wird  in  den  Räumen  der  k.  k.  Universität 
eine  Ausstellung  von  Objekten,  welche  auf  die  Laryngologie  und 
Rhinologie,  Oesophagoskopie  und  Bronchoskopie  Bezug  haben, 
stattfinden.  Die  Interessenten,  welche  sich  an  der  Ausstellung 
zu  beteiligen  wünschen,  wollen  ihre  Beteiligung  dem  Sekretär 
des  Kongresses  (Herrn  Prof.  Dr.  Michael  Großmann,  Wien  IX., 
Garnisongasse  10)  bis  spätestens  31.  Dezember  1907  unter  genauer 
Beschreibung  jedes  einzelnen  auszustellenden  Gegenstandes  an¬ 
melden,  damit  danach  der  Katalog  zusammengestellt  werden  kann. 
Die  Ausstellungsobjekte  sind  bis  spätestens  15.  Februar  1908  an 
Herrn  Oberingenieur  Jaroschka,  Inspektor  des  k.  k.  Universitäts¬ 
gebäudes  in  Wien,  zu  senden,  der  dieselben  in  Verwahrung  nimmt. 
Gegen  Feuersgefahr,  Diebstahl  und  Beschädigung  werden  die  ein¬ 
gesandten  Objekte  durch  das  geschäftsführende  Komitee  versichert. 
Die  zollfreie  Ein-  und  Ausfuhr  ist  von  den  kompetenten  Behörden 
bewilligt  und  wollen  die  Herren  Aussteller  die  dazugehörigen 
Dokumente  vom  obgenannten  Sekretär  ansprechen.  Wien,  im 
April  1907.  Für  das  geschäftsführende  Komitee:  Der  Präsident: 
Prof.  Dr.  0.  Chiari,  Wien  I.,  Bellariastraße  12.  Der  Sekretär: 
Prof.  Dr.  M.  G  r  o  ß  m  a  n  n,  Wien  IX.,  Garnisongasse  10. 

* 

Nach  dem  ärztlichen  Berichte  über  das  Rath  sehe  x\  11  ge¬ 
rn  ei  ne  öffentliche  Krankenhaus  in  Baden,  erstattet  von 
Prim.  Jaegermayer  und  Prim.  Stuchlik,  sind  daselbst  im 
.lahre  1906  1548  Kranke  in  Pflege  gestanden.  Zahl  der  vorge¬ 
nommenen  größeren  Operationen  151,  der  ambulanten 
Kranken  2239. 

* 

Im  x4uftrage  der  niederösterreichischen  Statthalterei  hat 
Maler  Erwin  Pen  dl  einige  A  (ju  ar  e  1 1  b  i  1  d  e  r  aus  der  neuer- 
baulen  Pollacks  eben  K  i  n  d  e  rsp  i  ta  1  sab  l  e  i  1  u  n  g  im  Franz- 
loseph- Spital  in  Wien  ausgeführt.  Dieselben  stellen  einen  der 
Krankensäle,  das  Säuglingszimmer,  Einrichtung,  Terrasse  zum 
Aufenthalte  der  Kinder  im  Freien  und  eine  perspektivische  An¬ 
sicht  beider  Pavillons  von  außen  dar. 

♦ 

Von  der  Enzykopädie  der  praktischen  Medizin, 
welche  von  Dr.  Schn i rer- Wien  und  Prof.  Vier  ordt-Tübingen 
im  Verlage  von  A.  H  öl  der  in  Wien  herausgegeben  wird,  ist 
die  13.  Lieferung  (.Muskelatrophien  —  Nikotianavergiftung) 
schienen. 


11  a  n  d  1)  u  c  h  d  e  r  t  o  p  o  g  r  a  p  h  i  s  c  h  e  n  A  n  a  t  o  m  i  e,  heraus¬ 
gegeben  von  Prof.  xM e rk e  1  - Götlingen.  Verlag  von  Fr.  Vieweg 
in  Braunschweig.  Vom  genannten  Handbuebe  ist  die  vierte 
Lieferung  (Schluß  des  dritten  Bandes)  erschienen,  welche  die 
Schilderung  der  unteren  Extremität  enthält.  Preis  .Mk.  10. 

* 

In  J.  D.  Sauerländers  Verlag  in  Frankfurt  a.  M.  sind 
Heft  5  bis  9  des  zweiten  und  Heft  1  und  2  des  dritten  Jahr¬ 
gangs  der  Zeitschrift  „Mutterschutz“,  Zeitschrift  zur  Reform  der 
sexuellen  Ethik  (Publikationsorgan  des  Bundes  für  Mutterschutz), 
herausgegeben  von  Dr.  phil.  Helene  Stöcker,  Berlin-Wilmers¬ 
dorf,  erschienen.  Preis :  Halbjährlich  (6  Hefte)  M.  3 ;  Einzelhefte 
60  Pfg. 

* 

Dr.  .Josef  Jirsa,  gewesener  Primarius  und  Kurarzt  in 
Meran,  ordiniert  im  Sommer  in  Grado  (Sand-  und  Seebäder). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstelle  für  den  neusystemisierten  Sanitäts¬ 
sprengel  Stawezan  mit  dem  Amtssitze  in  Stawezan  (Bukowina).  Die 
mit  diesem  Posten  verbundene  Jahresdotation  beträgt  K  1200.  Für 
Dienstreisen  erhält  der  Gemeindearzt  die  normierten  Gebühren.  Bewerber 
um  diesen  Posten  haben  nachzuweisen:  1.  Die  Berechtigung  zur  Aus¬ 
übung  der  Heilkunde  in  den  im  Reichsrate  vertretenen  Königreichen 
und  Ländern;  2.  die  österreichische  Staatsbürgerschaft;  3.  daß  ^ie  der 
Sprache,  welche  von  der  Mehrzahl  der  Bevölkerung  gesprochen  wird, 
d.  i.  in  diesem  Falle  der  ruthenischen  Sprache,  in  hinreichendem  Grade 
mächtig  sind.  Die  hienach  ordnungsmäßig  instruierten  Gesuche  sind  bis 
zum  25.  M  a  i  1.  J.  an  die  Bezirkshauptmannschaft  Kotzman  einzusenden. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanitätssprengel  1 1  li- 
s  c  h  e  s  t  i  e  (Bukowina).  Die  Jahresdotation  beträgt  K  1200.  Bewerber 
um  diesen  Posten  haben  nach  §  5  des  bezogenen  Gesetzes  nachzuweisen: 
1.  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  Heilkunde  in  den  im  Reichsrate 
vertretenen  Königreichen  und  Ländern;  2.  die  österreichische  Staats¬ 
bürgerschaft  ;  3.  daß  sie  der  deutschen  und  rumänischen  Sprache  in 
hinreichendem  Grade  mächtig  sind.  Die  entsprechend  instruierten  Gesuche 
sind  im  vorschriftsmäßigen  Wege  binnen  vier  Wochen,  vom  Tage  der 
ersten  Einschaltung  dieser  Kundmachung  in  der  »Czernowitzer  Zeitung« 
an  gerechnet,  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  in  Gurahumora 
einzubringen. 

Hil  fs  ar  zt  e  s  s  t  e  1  le  in  der  Kaiser-Franz-Joseph-Landes- 
Heil-  und  Pflegeanstalt  zu  Mauer-Oehling  (Niederösterreich). 
Mit  dieser  Stelle  ist  ein  Honorar  monatlicher  K  100,  das  Kostrelutum 
von  monatlich  K  50  und  der  Genuß  einer  Dienstwohnung  samt  Be¬ 
heizung  und  Beleuchtung  verbunden.  Bewerber  um  diesen  Posten  haben 
die  Erlangung  des  Doktorgrades  der  gesamten  Heilkunde  an  einer 
inländischen  Universität,  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  die  deutsche 
Stammesangehörigkeit,  ferner  die  bisherige  Tätigkeit  im  ärztlichen  Dienste 
nachzuweisen  und  ihre  mit  einer  1  K-Stempelmarke  versehenen  Gesuche 
unter  Anschluß  des  Tauf-  und  Heimatscheines  sowie  eines  amtsärztlichen 
Gesundheitszeugnisses  bis  längstens  15.  Mai  1.  J.,  2  Uhr  nachmittags, 
tunlichst  im  Wege  persönlicher  Vorstellung  beim  Landesausschusse  des 
Erzherzogtums  Oesterreich  unter  der  Enns  in  Wien,  I.,  Herrengasse  13, 
einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Gemeinde  Cittanova  in 
Istrien.  Mit  der  Stelle  sind  zugleich  die  Funktionen  eines  Klosterarztes 
von  Daila  und  Krankenkassenarztes  der  »Socielä  operaia«  verbunden. 
Jahresremuneration  K  3000.  Ueber  die  näheren  Vertragsbedingungen 
erteilt  das  Gemeindeamt  in  Cittanova  Auskunft. 

Gemeindearztesstelle  im  Sanitätssprengel  Vigo  Rendena 
(politischer  Bezirk  Tione,  Tirol),  bestehend  aus  den  Gemeinden  Dare, 
Javre,  Pelugo,  Yerdesina,  Vigo  Rendena  und  Villa  Rendena.  Jahresgehalt 
K  3600.  Der  Dienst  ist  im  Sinne  der  Instruktion  für  Gemeindeärzte 
(L.-G.  und  V.-Bl.  Nr.  8  ex  1885)  auszuüben.  Gesuche  sind  bis 
10.  Mai  1.  J.  an  die  Gemeindevorstehung  von  Rigo-Rendena  zu  richten. 

Bei  der  k.  k.  Tabakfabrik  in  Monasterzyska  gelangt  die 
Stelle  eines  Fabriksarztes  II.,  eventuell  vorläufig  HI.  Kategorie 
(Jahreshonorar  K  2200,  bzw.  K  1600)  und  Fuhrenpauschale  jährlicher 
K  360  zur  Besetzung.  (Konkurstermin  22.  Mai  1907.)  Die  vollständige 
Kundmachung  kann  bei  der  k.  k.  Tabakfabrik  in  Monasterzyska,  beim 
Sanitätsdepartement  der  k.  k.  Statthalterei  in  Lemberg  und  bei  der 
k.  k.  Generaldirektion  der  Tabakregie  in  Wien  IX.,  Porzellangasse  51, 
eingesehen  werden.  Wien  am  20.  April  1907.  K.  k.  Generaldirektion 
der  Tabakregie. 

Spezialarztesstelle  für  Radiographie  bei  der  Arbeiter- 
Unfallversictierungsanstalt  für  Niederösterreich  in  Wien  I.,  Schotten¬ 
bastei  10,  mit  zweistündiger  Arbeitszeit  an  allen  Wochentagen;  Gehalts¬ 
ansprüche  sind  bekauntzugeben.  Gesuche  mit  Angabe  der  bisherigen 
Tätigkeit  im  genannten  Fache  sind  bis  15.  Mai  1907  an  die  Direktion 
der  Anstalt  einzubringen. 

Im  Wiener  Sanatorium  Dr.  Anton  Loew  gelangt  die  Stelle 
eines  Assistenzarztes  zur  Besetzung.  Auskünfte  erteilt  die  Direktion 
des  Sanatoriums. 


er- 


Nr.  lü 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


579 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Kongreßberichte, 


INH 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  3.  Mai  1907. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzuno- 
vom  6.  März  1907. 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in  Böhmen. 


ALT: 

Der  24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom 
26.  April  1907. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  Berlin. 
2.  Sitzungstag  4.  April  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  3.  Mai  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  R.  Chrobak. 

Schriftführer:  Prof.  R.  Paltauf. 

Der  Präsident  teilt  mit,  daß  der  Venvaltungsrat  als  Dele¬ 
gierten  der  k.  k.  Gesellschaft  in  die  neugegründete  Gesellscliaft 
zur  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten  Herrn  Hofrai  Pro¬ 
fessor  Mracek  nominiert  hat.  Ferner  verliest  der  Präsident 
ein  Schreiben  des  Chefarztes  des  österreichischen  Lloyd,  Doktor 
Castiglione,  nach  welchem  der  österreichische  Lloyd  Aerzten, 
welche  an  der  nächsten  Vergnügungsfahrt  des  Dampfers  „Thalia“ 
nach  Griechenland  und  Konstantinopel  teilnehmen,  eine  20Toige 
Preisermäßigung  gewährt. 

Prim.  Dr.  Lotheissen  demonstriert  zunächst  zwei  Patienten, 
die  wegen  ausgedehnter  Lungengangrän  operiert  wur¬ 
den.  Die  Frau  (sie  ist  33  Jahre  alt  und  wurde  von  Prim.  Türk 
der  chirurgischen  Abteilung  zugewiesen)  hat  viel  auf  einmal  durch¬ 
gemacht:.  Zuerst  hatte  sie  Typhus  mit  starken  Bildungen,  aliorti’orte, 
da  sie  im  vierten  Monat  schwanger  war  und  bekam  endlich  in¬ 
folge  von  Pneumonie  noch  Lungengangrän.  Ihr  Sputum  betrug 
damals  täglich  600  cm^  war  aashaft  stinkend,  die  Temperatur 
Avar  stets  um  39°.  Die  Frau  war  höchstgradig  ahgemagert  und 
mußte  als  verloren  gelten.  Trotz  ihres  elenden  Zustandes  wagte 
man  doch  noch  die  Operation  in  Lokalanästhesie.  Nach  der 
Resektion  der  Rippen  stieß  man  auf  einen  zirka  faustgroßen 
Gangränherd,  der  entleert  und  tamponiert  wurde.  Im  Eiter  Avurdcn 
Typhusbazillen  nachgewiesen.  Später  müßte  noch  ein  zweiter 
Herd  eröffnet  Averden,  der  erst  jetzt  ganz  ausgeheilt  ist.  Hier 
fanden  sich  nur  Streptokokken. 

Der  Vortragende  hat  schon  vor  drei  Jahren  hier  über  sieben 
Fälle  von  operiertem  Lungenhrand  berichtet  (13.  Mai  1904);  in- 
ZAvischen  sind  ZAvölf  neue  Fälle  dazugekommen,  von  denen  zAvei 
direkt  die  chirurgische  Abteilung  aufsuchten,  zwei  von  Primarius 
Türk,  die  übrigen  acht  von  Prof.  Schlesinger  transferiert 
Avurden.  Wenn  diese  Menge  sich  auch  nicht  mit  der  imposanten 
Zahl  Amn  60  Operationen  messen  kann,  die  Lenhartz  Amr  kurzem 
aus  seinen  Hamburger  Abteilungen  veröffentlichte,  so  ist  die 
Zahl  doch  nicht  klein,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  19  Operationen 
aus  vier  Jahren,  die  60  Fälle  aus  sieben  Jahren  stammen.  Wesent¬ 
licher  erscheint  aber  der  Umstand,  daß  Lotheissens  Fälle  nur 
Herde  A^on  Faustgröße  und  darüber  betreffen.  Bei 
dem  ZAveiten  Patienten,  den  der  Vortragende  Prof.  Schlesinger 
verdankt,  Avar  der  ganze  rechte  Unterlappen  gangrä¬ 
nös  zerstört.  Es  mußten  Teile  der  siebenten,  achten,  neunten 
und  zehnten  Rippe  reseziert  Averden.  Die  Wundheilung  ging  sehr 
langsam  von  statten,  doch  erholte  sich  der  Kranke  rasch  und 
nahm  um  18  kg  (von  53  auf  71)  zu. 

Die  restierende  gesunde  Lunge  zieht  sich  immer  stark  an  die 
IVunde  heran  und  meist  ist  nach  acht  bis  zehn  Wochen  bei 
kleineren,  drei  bis  vier  Monaten  bei  größeren  Höhlen  die  Wunde 
geschlossen.  Hier  blieb  eine  Höhle  zurück.  Es  wurde  alles.  Mög¬ 
liche  versucht:  die  Lunge  durch  Naht  an  die  Haut  fixiert,  ver¬ 
schiedene  plastische  Deckungen  gemacht;  die  Ausdehnung  der 
Lunge  durch  das  Aspirations  verfahren  nach  Perthes  zu  er¬ 
zielen  versucht,  man  erreichte  nur,  daß  der  Lungendefekt  sich 
überhäutete.  Der  Mann  ist  aber  in  keiner  Weise  in  seiner  Arbeit 
als  Tischler  gehindert.  Vorderhand  verrichtet  er  nur  leichtere 
Arbeit;  er  legt  sich  selbst  einen  Schutzverband  mit  Zinksalbe  auf. 

Es  ist  begreiflich,  daß  so  ausgedehnte  Herde  eine  Aveniger 
günstige  Prognose  geben  als  kleinere.  Wenn  man  sogar  einen 
Fall  mitrechnet,  der  .völlig  sep lisch  eingebracht  wurde  und  noch 
am  selben  Tage  starb,  naebdem  noch  rasch  ein  kleines  Fenster 
zur '  Drainage  gemacht  umrden  Avar,  hat  der  V ortragende  trotz¬ 
dem  mit  etwa  40%  Morhalität  fast  die  Resultate  von  Lenhartz, 
der  37%  aufweist,  erreicht.  Dabei  sind  multiple  i\bszes:se  ein¬ 
gerechnet.  Für  die  einfachen  Abszesse  (Lenhartz  hat  viele, 
die  nur  Avalnußgroß  waren)  erreicht  auch  er  etwa  25%  der  Mor¬ 
talität.  Das  sind  ganz  erfreuliche  Resultate,  Avenn  man  erfährt, 
daß  früher  (nämlich  ohne  Operation)  75  bis  80%  starben.  In 


den  Berliner  Kranketdiäusern  Avurden  von  1897  bi^  1900  ohne 
Operation  sogar  nur  7%  der  Lungengangränkranken  geheilt. 

Keiner  der  Todesfälle  kann  der  Operation  zur  Last  gelegt 
werden.  Insbesondere,  da  der  Vortragende  seit  drei  Jahren  alle 
Thorakotomien  nur  mit  Lokalanästhesie  ausführt,  Avas  freilich 
mehr  Zeit  und  Mühe  kostet,  sieht  man  unmittelbar  nach  der 
Operation  nur  günstige  Markung.  Der  Auswurf  verliert  sogleich 
seinen  aashaflen  Geruch,  die  Kranken  bekommen  Avieder  Appetit. 
ZAvei  Kranke  bekamen  drei  Wochen  nach  der  Operation,  der  eine 
hei  einer  anstrengenden  Defäkation,  eine  Gehirnembolie  uml 
starben  später  an  den  Gehirnabszes'sen. 

Das  Wichtigste  ist  bei  der  operativen  Behandlung  der  Lungen¬ 
gangrän  entschieden,  die  Lokaldiagnose  richtig  zu  stellen.  Nur  bei 
sicher  lokalisiertem  Herde  darf  man  operieren. 
Kleinere  Herde  sind  fast  nur  unter  Zuhilfenahme  des  Röntgen- 
i  Verfahrens  zu  finden.  Der  Vortragende  hofft,  bald  auch  mehr 
solche  kleine  Herde  zur  Operation  zu  erhalten,  die  Aveit  günstigere 
Prognose  geben. 

Prim.  Lotheissen  stellt  im  Anschlüsse  an  <liese  aus¬ 
gedehnte  Thoraxresektion  Avegen  Lungengangrän  noch  einen 
Patienten  vor,  der,  nachdem  er  ein  Jahr  lang  eine  stark  eiternde 
Empyemfistel  getragen,  in  seine  Behandlung  kam.  Es  lag  ein 
Totalempyem  der  linken  Brusthälftc  vor.  In  zAvei  Sitzun¬ 
gen  wurde  soviel  Amn  den  Rippen  und  auch  die  untere  Hälfte 
der  Skapula  reseziert,  daß  sich  der  größte  Teil  der  Höhle  mit 
Haut  überkleiden  ließ',  der  Rest  wurde  durch  Transplantation 
nach  Thiersch  gedeckt.  Der  anfangs  recht  elende  Patient,  der 
auch  eine]i  kariösen  Herd  an  der  rechten  Klavikula  zeigte,  erholte 
sich  Amllständig  und  ist  nun  seit  Ader  Jahren  vollkommen  geheilt 
und  arbeitsfähig. 

Von  einer  Patientin,  die  \mr  dVs  Jahren  AA'egen  Totalempyem 
operiert  Avurde,  Averden  Bilder  heiumgereicht.  Hier  ließ  sich  die 
linke  Mamma  sehr  gut  zur  Deckung  der  Höhle  verAvenden.  Die 
Patientin  lebt  in  Spitz  a.  d.  D.  und  befindet  sich  sehr  Avohl. 

Diese  beiden  Fälle  dürfen  deshalb  etAvas  Interesse  bean¬ 
spruchen,  da  heutzutage  so  ausgedehnte  Empyeme,  daidc  früh¬ 
zeitiger  Behandlung,  selten  geAvor.Um  sind. 

Prim.  Dr.  A.  v.  Gleich:  Ueber  M^undbehandlun  g  mit 
0  z  0  n .  (V orl  äuf ige  Mitteilung. ) 

In  der  vorantiseptischen  Zeit  Avaren  manche  Heilanstalten 
als  besonders  günstige  Heilplätze  bekannt  und  viele  hervorragende 
Chin,irgen  AAUirden  durch  die  Güte  ihres  Heilplatzes  zur  Ausfüh¬ 
rung  kühner  Eingriffe  ermutigt.  So  Avar  in  Deutschland  zum  Bei¬ 
spiel  Kiel  als  guter  Heilplatz  bekannt. 

Nach  Listers  epochaler  Entdeckung  und  nach  Aveiterer 
Einführung  der  Asepsis  trat  zwar  eine  AA-esentliche  Aenderung 
der  Verhältnisse  ein,  doch  mehren  sich  die  Antiseptika  von  Tag 
zu  Tag. 

In  der  neuesten  Zeit  hat  sicli  eine  besondere  Vorliebe  für 
jene  Antiseptika  gezeigt,  deren  Avirksames  Prinzip  der  Saucj’- 
stoff  in  statu  nascendi  ist. 

Die  bekannte  unerreichte,  bakterientötende  Eigenschaft  des 
Ozons  hat  zur  Wiederaufnahme  der  Versuche  mit  dem  (Avie  icli 
glaube)  von  Neudörfer  in  die  Chirurgie  eingeführten  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  geführt. 

Die  Idee  nun,  das  AA’irksame  Prinzip,  nämlich  Ozon  ohne 
Wasser,  also  gewissermaßen  die  Seele  allein  zu  verAverten,  hat 
mich  zu  dem  Versuche  gebracht,  Ozon,  Avenn  nicht  in  der  Wunde 
selbst,  so  doch  in  unmittelbarer  Nähe  derselben  darzustellen 
und  in  möglichst  aktivem  Zustande  zu  verAvenden. 

Ich  habe  daher  Ozon  in  der  Weise  erzeugt,  daß  ich  durch 
Induktionsstrom  käuflichen  Sauerstoff  aktivierte  und  Wunden, 
resp.  Wundhöhlen  mit  Ozon  beblies.  Der  Vorgang  ist  eigentlich 
derselbe  Avie  bei  der  zeitlichen  oder  permanenten  Irrigation,  nur 
ohne  AnAvendung  einer  Flüssigkeit.  Bei  dem  heutigen  Stande 
der  Elektrotechnik  ist  es  leicht  mügliclr,  mittels  hoch  gespannter 
Ströme  bei  gleichzeitiger  Zufuhr  von  Sauerstoff  in  jeder  Tiefe 
Ozon  in  regulierbarer  Menge  zu  erzeugen  und  hoffe  ich  dadurch 
die  VerAvertungs weise  eines  bekannt  kräftigen  Antiseptikums  zu 
erweitern. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  19 


iMannigfaclio  Versiiclie,  welclie  iiiil  gewülinliclieiu  Sauer- 
slolfo  angeslelll  wurden,  haben  Ei'folge  gehal)l,  doch  hoffe  ich 
.seihe  durch  aktiven  Sauerstoff  zu  verbessern. 

In  mir  klingen  noch  die  Worte  unseres  großen  Kleisters 
Theodor  Dillrotli  nach,  welcher  in  der  aseptischen  Zeit  anläßi- 
li(di  schwerer  Eiferungsprozcsse  ausgesprochen  hat:  ,,lch  inöchte 
am  liebsten  mit  <len  nötigen  Kautelen  zur  offenen  Wundbeliand- 
lung  zurückkehren!“  Billroth  verdankte  seine  guten  Heilerfolge 
mit  der  offenen  Wundbehandlung,  vielleicht  auch  ilem  Ozonreich- 
tume  der  Luft  in  dem  als  gutem  Heilplatze  bekannten  Zürich. 

Ich  werde  mir  erlauben,  zu  geeigneter  Zeit  die  hohe  Gesell¬ 
schaft  zu  einer  Demonstration  auf  meine  Spilalsahteilung  ein- 
zu  laden. 

l)r.  Hans  Lorenz:  Das  Präparat,  das  zu  demonstrieren  ich 
mir  erlaube,  sfammt  von  einem  17jährigen  Patienten  der  Klinik 
Höchen  egg,  der  an  dieser  .Klinik  vorher  schon  zweimal  operiert 
wmrden  war.  Am  28.  Februar  1906  war  hei  ihm  ein  großer 
perityi)hlitischer  Abszeß  inzidiert  und  isechs  Wochen  später  war 
der  Wurmfoj'tsatz  cxstirpiert  \vorden.  Jn  der  von  der  Abszeß'- 
inzision  herrührenden,  im  Bereiche  der  schiefen  Bauchmiiskulatur 
befindliche  Narbe  war  anfangs  dieses  Jahres  eine  tauheneigroße, 
leicht  reponihle  Ventralhernie  entstanden  und  obwohl  diese  dem 
jungen  Manne  keine  nennenswerten  Beschwerden  verursachte, 
fand  er  sich  doch  am  8.  April  d.  J.  mit  der  Bitte  um  Operation 
ein.  Er  wurde  aufgenommen.  Bei-  der  Nachmittagsvisite  desselben 
Tages  sah  ich  ihn  -das  erstemal.  Er  hatte  Fieber,  38-5.  Im  Ab¬ 
domen  war  dafür  keine  Ursache  zu  finden,  wohl  aber  fanden 
sich  über  beiden  Lungen  Giemen,  Schnurren  und  zahlreiche 
feuchte  Rasselgeräusche.  Am  nächsten  Morgen  wurde  mir  ge¬ 
meldet,  der  Kranke  hätte  nachts  um  1  Uhr  ]jlötzlich  über  sehr 
starke,  kolikartige  Leibschnierzen  und  Brechreiz  geklagt  und  bald 
darauf  hätte  er  mehrmals  erbrochen.  Ich  fand  ihn  schwer  kolla¬ 
biert,  das  Gesicht  zyanotisch,  von  kaltem  Schweiße  bedeckt.  Der 
Puls  war  ziemlich  kräftig  und  merkwürdigerweise  nicht  frequent, 
das  Abdomen  aber  in  toto  etwas  aufgetrieben,  überall  druck- 
schmerzhaft,  namentlich  in  der  rechten  Unterbauchgegend,  medial 
von  der  kleitien  Ventralhernie  und  dort  konnte  ich  hinter  dem 
rechte]!  Musculus  rectus  einen  ^wurstfönnigen,  helltympanitisch 
schallenden  Tumor  palpieren.  Diesen  sprach  ich  als  lokalmeteo- 
ristisch  geblähte  Darmschlinge  an  und  in  Anbetracht  der  ganzen 
Vorgeschichte  des  Falles  diagnostizierte  ich  Dünndarmstrangu- 
hvtion  durch  ein  peritonitisches  Pseudoligament.  Ich  mußte  mich 
daher,  trotz  der  vorhandenen  fieberhaften  Lungenaffektion,  zur 
unverzüglichen  Laparotomie  entschließen.  Sie  bestätigte  die  Dia¬ 
gnose.  Sofort  nach  Eröffnung  des  Peritoneums  floß  hämorrhagi- 
sclies,  fade  riechendes  Exsudat  in  größerer  Menge  aus,  von  dem 
auch  das  ganze  kleine  Becken  ausgefüllt  war  und  vor  mir  lag 
eine  tiefdunkelblaurote,  zum  Teil  schon  schwarz  verfärbte,  mächtig 
geblähte  Dünndarmschlinge,  deren  Fußpunkte  durch  ein  faden¬ 
förmiges  Pseudoligament  bis  zur  Unwegsamkeit  abgeschnürt  waren. 
Jlit  größter  Vorsicht  entwickelte  ich  die  zum  großen  Teil  im  kleinen 
Becken  liegende,  bereits  stinkende,  mißfärbige  Schlinge,  deren 
Mesenterium  gleichfalls  hochgradige  hämorrhagische  Infarzierung 
zeigte. 

Es  war  klar,  daß  die  ganze  abgeschnürte  Partie,  obwohl 
die  Sirangulation  erst  wenige  Stunden  alt  war,  dem  Untergange 
geweiht  war  und  daß  ich  nur  durch  Resektion  Hilfe  bringen  konnte. 
Ich  resezierte  daher  die  ganze  brandige  Schlinge  und  aus  tech¬ 
nischen  Gründen  auch  das  anstoßende  Cökum  mit  nachfolgender 
Implantation  des  Ileumstumpfes  ins  Querkolon,  wodurch  ich  ein 
sehr  instruktives  Präparat  gewann  (Demonstration  desselben;  man 
sieht,  Avie  scharf  der  Dünndami  und  sein  Älesenterium  durch  das 
vorhandene  Fseudoligament  abgeschnürt  sind,  sieht  das  mitrese¬ 
zierte  Cökum  und  ein  Stück  des  zuführenden  Darmes,  das  gleich¬ 
falls  aus  opei'ationstechnischen  Gi-ünden  noch  mitentfernt  wurde, 
übrigens  auch  eine  Gruppe  hirsekorngrofier  Knötchen  zeigte,  deren 
histologische  Untersuchung  Tuberkulose  ergab). 

Das  Pseudoligament,  das  unstreitig  auf  die  seinerzeitige 
schwere  Appendizitis  zunickzuführen  ist,  entsprang  am  Ileum, 
knapp  ober  der  Ileocökalklappe,  inserierte  sich  mit  seinem  zweiten 
Ende  gleich  neben  der  Ursprungstelle,  am  Mesenterialansatze  und 
bildete  dergestalt  eine  lose  Schleife.  Diese  hatte  eine  Drehung 
um  180°  erfahren  und  in  den  so  entstandenen  Ring  war  der  an¬ 
stoßende  Dünndarm  hineingekrochen  und  hatte  sich  so  gewisser¬ 
maßen  selbst  stranguliert. 

Der  Vei'lauf  schien  anfangs  ein  günstiger  zu  sein.  Nicht 
ein  einziges  iMal  nach  der  Operation  mußte  der  Kranke  erbrechen 
und  schon  am  zweiten  Tage  nach  dem  Eingriff  erfolgte  reichlicher 
Stuhl.  Leider  machte  aber  der  schon  vorher  vorhandene  Lungen¬ 
prozeß,  der  sich  durch  die  Sputumunlersuchung  und  durch  den 
Verlauf  als  progrediente  Phthise  entpuppte,  rapide  Fortscliritte, 


so  daß  ich  heute,  fast  vier  Wochen  nach  dem  Eingriffe,  ein  ,\uf- 
kommen  des  Patienten  nicht  mehr  erhoffe. 

Im  Verlaufe  der  letzten  dVa  Jahre  war  ich  dreimal  gezwungen, 
wegen  Strangulationsileus  nach  Appendizitis  einzugreifen.  Meinen 
ersten  derartigen  Fall  operierte  ich  im  Oktober  1902.  Auch  da¬ 
mals  war  Abszeßinzision  und  spätere  Appendektomie  vorherge¬ 
gangen.  Der  Fall  ist  mir  in  sehr  lebhafter  Erinnerung  geblieben, 
schon  wegen  des  ganz  ungewöhnlichen  Befundes,  der  sich  damals 
ergab.  Eine  Dünndarmschlinge  war,  schon  eine  ganze  Anzahl  von 
wand  durchgekrochen  uml  dadurch  aus  der  Blutzirkulation  aus¬ 
geschaltet  worden.  Ich  fand  einen  mächtig  geblähten,  papierdünuen 
Zylinder,  von  stinkendem  Eiter  umspült,  fast  so  durchsichtig 
wie  Glas  und  von  einer  mißfärl)igen  Jauche  erfüllt,  in  der  man 
Obstkerne  schwimmen  sah.  Muskularis  und  Vlukosa  waren  gan¬ 
gränös  zugrunde  gegangen,  zerflossen,  nur  die  Serosa  Avar  er¬ 
halten  gehlieben.  Um  bei  dem  elenden  Allgemeinzustande  mit 
der  Operation  rasch  fertig  zu  Averden,  verAvendete  ich  nach  der 
Darmresektion  zur  Darmvereinigung  den  Murphyknopf.  Leider! 

Die  Patientin,  ein  junges  Mädchen,  überstand  überraschen- 
denveise  die  diffu.se  Peritonitis.  Aber  es  entstand  eine  Darm¬ 
fistel  und  der  Knopf  ging  nicht  ab.  Neuej'liche  Laparotomie  zeigte, 
daß  der  Knopf  auf  seiner  Wanderung  von  der  Resektionsstelle 
zum  Anus  durch  Adhäsionen,  die  den  Darm  abknickten,  aufge¬ 
halten  worden  Avar,  es  Avar  zum  Dekubitus  und  zur  Kotfistel  ge¬ 
kommen.  Auch  nach  dieser  Operation  entwickelten  sich  neuer¬ 
lich  Dünndarmfisteln  und  einem  'dritten  Eingriffe  ist  die  furcht¬ 
bar  geschwächte  Patientin  erlegen. 

Der  zAveite  Fall,  eine  39jährige  Frau,  die  längere  Zeit  vor¬ 
her  an  der  Klinik  Gussenbauer  mit  bestem  Erfolge  Avegen 
vorgeschrittener  Appendixperforationsperitonitis  operiert  Avorden 
Avar,  bekam  ich  im  Juli  1906  unters  Messer.  Auch  diesmal  gab 
es  einen  sehr  interessanten  Operationsbefund.  Die  Fußpunkte 
einer  tiefen  Ileumschlinge  Avaren  breit  miteinander  verwachsen  und 
dadurch  Avar  zwischen  den  zwei  verAvachsenen  Schlingenschenkeln, 
ihren  Mesenterien  und  der  GekrösAvürzel  ein  schmaler  Spalt  ent¬ 
standen,  der  für  die  nächsthöhere  Ileumschlinge  zur  Fälle  Averden 
sollte.  Sie  kroch  durch  den  Spalt  hindurch  und  konnte  nicht 
mehr  zurück.  In  diesem  Falle  Avar  ich  so  glücklich,  die  Verän¬ 
derungen  an  der  inkarzerierten  Schlinge  so  geringfügig  zu  finden, 
daß  ich  mit  der  Lösung  der  VerAvachsungen  und  einigen  Ueber- 
nähungen  alrskam  und  so  mit  einfachen  Mitteln  in  kurzer  Zeit 
Heilung  erzielte. 

.Mancher  Amn  den  AiiAvesenden  Avird  sich  vielleicht  gefragt 
haben,  Aveshalb  ich  über  diese  Fälle  Bericht  erstatte.  Daß  auch 
nach  jeder  noch  so  umschriebenen  Peritonitis  Pseudoligamente 
sicli  ausbilden  können,  daß  jedes  Pseudoligament  in  irgendeiner 
W-eise  zur  inneren  Inkarzeration  führen  kann  und  daß  man  bei 
gangränösem  Darme  resezieren  muß,  das  alles  ist  ja  sattsam 
bekannt. 

Meine  drei  Fälle  ereigneten  sich  bei  Patienten,  die  wegen 
Amrschleppten  Appendizitiden  operiert  Avorden  Avaren;  sie  liefern 
den  BeAveis,  daß  hei  verschleppten  Appendizitiden  selbst  durch 
die  Appendektomie  nicht  alle  Gefahr  für  die  Zukunft  gebannt 
werden  kann.  Denn  daß  in  solchen  Fällen  eher  Pseudoligamente 
Zurückbleiben  Averden,  die  ihrem  Träger  eine  lebensgefährliche, 
ständige  Gefahr  l)edeuten,  als  nach  glatteren  Appendektomien  in 
einem  früheren  Stadium,  Avird  wohl  von  niemandem  angezweifelt 
Averden. 

Ich  glaube  also  auch  die  eben  mitgeteilten  Beobachtungen 
für  die  frühzeitige  Operation  der  Appendizitis  ins  Feld  führen 
zu  können  und  das  Avar  der  Hauptgrund,  Aveshalb  ich  sprach. 

Prim.  Dr.  Latzko  hält  seinen  angekündigten  Vortrag;  Die 
chirurgische  Therapie  d  es  Tue rp  e  r  al p  r  o  z  e s  s e  s.  (Siehb 
unter  den  Originalien  dieser  Nummer.) 

Zum  Worte  melden  sich  Prim.  Dr.  Fahricius  und  Privat¬ 
dozent  Dr.  Halban.  Letzterer  stellt  gleichzeitig  den  Antrag, 
die  Diskussion  auf  die  Tagesordnung  der  nächsten  Sitzung  zu 
setzen.  Wird  angenommen. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  am  6.  März  1907. 

V orsitzender :  Finge  r. 

Schriftführer :  B  r  a  n  d  av  e  i  n  e  r. 

S  p  i  e  g  1  e  r  demonstriert : 

1.  eine  45jährige  Frau  mit  Psoriasis  vulgaris, 
welche  hauptsächlich  die  Beugeseiten  betrifft  und  deren  Handteller 
und  Fußsohlen  auch  in  ihrem  größeren  Anteil  in  zusammen¬ 
hängendem  Herde  von  Psoriasis  vulgaris  ergriffen  sind. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


.581 


2.  eine  SOjährige  Frau,  welche  an  der  VVangenschleimhaut 
und  an  der  Zungensclileimhaut  Lichen  ruber  planus  hat. 
Obwohl  an  der  äußeren  Haut  nicht  die  geringste  Eruption  vor¬ 
handen  ist,  so  ermöglicht  das  charakteristische  Aussehen  der 
Krankheitsherde  doch  leicht  die  Diagnose.  In  der  Mitte  des 
Zungenrückens  befindet  sich  nämlich  eine  ca.  kronengroße  leicht 
vertiefte  Stelle,  deren  Schleimhaut  vollkommen  narbig  atrophisch 
ist,  deren  steile  Ränder  jedoch  deutlich  die  ursprüngliche  Zu¬ 
sammensetzung  aus  kleinsten  Knötchen  erschließen  lassen.  Aehn- 
liche  Herde  befinden  sich  an  der  Wangenschleimhaut.  Die 
wünschenswerte  histologische  Bestätigung  war  aus  äußeren 
Gründen  untunlich. 

3.  einen  Fall  von  Herpes  labialis  von  besonderer 
Ausbreitung  an  der  äußeren  Haut  um  den  Mund,  an  der  Lippen-, 
Zungen-  und  Wangenschleimhaut. 

E.  Spitzer  bemerkt,  er  habe  in  der  letzten  Woche  drei 
ähnliche  Fälle  von  Herpes  faciei  im  Ambulatorium  des  Dozenten 
Oppenheim  gesehen.  Einer  habe  die  vordere  und  rückwärtige 
Seite  der  Ohrmuschel  eingenommen,  der  zweite  das  ganze  Ge¬ 
sicht  ohne  jede  Einhaltung  eines  Nervenverlaufes,  der  dritte  be¬ 
stand  nur  in  zwei  kronengroßen  Plaques  an  der  Wange.  Wie¬ 
wohl  die  mikroskopische  Untersuchung  des  Bläscheninhaltes 
keinen  Aufschluß  ergab,  scheint  das  Auftreten  dieser  Herpes- 
effloreszenzen  unter  Fieber,  Abgeschlagensein  und  Kreuzschmerzen 
epidemischer  Natur  zu  sein. 

E  h  r  m  a  n  n  demonstriert  einen  Fall  von  Acne  varioli¬ 
formis. 

Reines  demonstriert  einen  Fall  von  Lupus  verru¬ 
cosus. 

E.  Spitzer  demonstriert  aus  dem  Ambulatorium 
des  Doz.  Oppenheim  einen  Farbenarbeiter,  bei  dem  im  Nacken 
und  an  beiden  Stirnscheiteln  auf  geröteter,  infiltrierter  und 
schuppender  Haut  sich  das  Auftreten  von  follikulären  Knötchen 
zeigt.  Im  Bereiche  dieser  entzündeten,  ziemlich  scharf  begrenzten 
Hautpartie  ist  ein  starker  Haarausfall  eingetreten.  Die  Hautstellen 
an  den  Augenbrauen  und  an  der  Oberlippe  unter  dem  Schnurr¬ 
bart  und  die  Kinngegend  haben  schuppenden  ekzematösen 
Charakter  und  sind  mit  kleinen  Eiterpusteln  um  die  Haare  be¬ 
setzt.  Der  Mann  hat  bereits  vorher  an  seborrhoischem  Ekzem 
der  Kopfhaut  gelitten;  im  Verlaufe  der  Zeit,  vielleicht  begünstigt 
durch  die  Beschäftigung  in  der  Farbenfabrik  mit  Anilin  und 
Glyzerin,  ist  es  zu  einer  Infektion  an  diesen  seborrhoischen 
Stellen  gekommen,  so  daß  wir  heute  das  kombinierte  Bild  eines 
Ekzema  sycosiforme  vor  uns  haben. 

E  h  r  m  a  n  n  möchte  nicht  Ekzem  und  Sykosis  als  zwei 
gleichwertige  Erkrankungen  betrachten,  die  sich  gegenseitig  er¬ 
setzen.  Ekzem  der  Kopfhaut  und  des  Bartes  gibt  nur  die  Ver¬ 
anlassung  zur  Sykosis.  Ekzem  entsteht  durch  Jucken,  Sykosis 
durch  Ueberimpfung  der  Streptokokken  durch  den  kratzenden 
Finger.  Zuerst  entsteht  ein  Furunkel;  dessen  Eiter  wird  aus¬ 
gebreitet. 

Spitzer  erwidert,  daß  zuerst  Ekzem  bestanden  und  sich 
dann  durch  das  chemische  Agens  Ekzema  sycosiforme  ge¬ 
bildet  habe. 

No  bl  demonstriert:  1.  Das  singuläre  Vorkommnis  eines 
erworbenen  lymphatischen  Var  ix  am  Genitale  eines 
jungen  Mannes.  Die  seit  acht  Tagen  unverändert  fortbestehende 
Formation  soll  im  Anschlüsse  an  eine  forcierte  Kohabitation  zur 
Entwicklung  gelangt  sein  und  präsentiert  sich  als  federstieldicker, 
gewundener,  glasigtransparenter,  äußerst  derber,  nicht  komprimier¬ 
barer,  von  kleinsten  Einschnürungen  durchsetzter  Strang,  der  am 
Frenulum  beginnend,  den  Sulkus  rechts  umgreift  und  sich  all¬ 
mählich  am  Dorsum  des  Gliedes  verliert.  Zahlreiche  Seitenäste 
springen  gleichfalls  als  lympherfüllte  resistente  Reiser  stark  her¬ 
vor.  Der  im  subkutanen  Zellager  eingeschaltete,  plastisch  vor¬ 
gewölbte  Strang  ist  frei  verschieblich,  schmerzlos,  das  über¬ 
schichtende  innere  Präputialblatt  frei  von  entzündlichen  Er¬ 
scheinungen.  Es  besteht  keinerlei  venerische  Erkrankung.  In 
einer  die  erworbene  genitale  Lymphangiektasie 
behandelnden  Arbeit  (Wiener  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  47 
und  48)  hat  Vortr.  an  der  Hand  einer  Eigenuntersuchung  auch 
auf  das  anatomische  Substrat  der  Läsion  näher  einzugehen  ver¬ 
sucht;  dasselbe  ist  in  einer  einseitigen,  extremen,  mit  Rare¬ 
fizierung  der  Wandelemente  einhergehenden  Dilatation  der 
koronaren  und  dorsalen  Lymphäste,  sowie  Lymphgerinnung 
und  Endothelabstoßung  in  den  alterierten  Bahnen  ge¬ 
geben.  Stärkere  entzündliche  Veränderungen  oder  das  die 
Lymphabfuhr  aufhebende  Hindernis  waren  nicht  aufzufmden. 
Bei  andauernder  Unwegsamkeit  ist  die  Resektion  des  ektatischen 
Segments  der  einzig  indizierte  Eingriff. 


Finger  bemerkt,  daß  die  entzündliche  Aetiologie  die 
häufigere  ist.  Daß  die  entzündlichen  Erscheinungen  ephemer  sind 
und  die  Lymphangiektasie  zurückbleibt,  ist  ganz  gewiß.  Er  er¬ 
innert  an  einen  kürzlich  an  der  Klinik  beobachteten  Fall,  wo 
sich  entlang  dem  Sulcus  coron.  und  wo  die  beiden  Lymphäste 
zusammentlossen  ein  Strang  und  deutliche  Entzündung  vorfanden. 
Vielleicht  spielen  Traumen  eine  Rolle. 

2.  Einen  Fall  von  Bromexanthem.  Nach  einer  fünf¬ 
monatlichen  Brommedikation  (täglich  zwei  Kaffeelöffel  Bromnatroii) 
traten  bei  einem  30jährigen,  an  Epilepsie  leidenden  Manne  die 
typischen  akneiformen  Knötchenausbrüche  an  Armen  und 
Brust,  sowie  die  dem  Bromoderm  a  tubero-.ulcerosum 
zugehörigen  bis  ganseigroßen,  von  mißfärbigen,  fettigen  Krusten 
bedeckten  blauroten  und  lividen  Knoten  am  Rücken,  Nates  und 
Unterschenkeln  auf.  Mit  den  floriden  Infiltraten  alternieren 
dunkelbraun  pigmentierte  Narben  als  Residuen  abgeheilter  Akne¬ 
knoten. 

3.  Das  kombinierte  Symptomenbild  eines  skarlatini- 
formen  Erythems  mit  Ichthyosis  serpentina.  Das 
bei  einem  40jährigen,  mit  hochgradiger  Ichthyosis  hehafteten 
Kutscher  vor  wenigen  Tagen  zum  Ausbruch  gelangte  Exanthem 
setzte  mit  Fieber  und  fingernagelgroßen,  am  Stamm  lokalisierten 
lividroten  Flecken  ein,  die  bei  der  an  venerischen  Attacken 
reichen  Vergangenheit  (Ulc.  ven.  Lymphadenitis,  Phimosenoperation, 
Exstirpation  der  Leistendrüsen  beiderseits  etc.)  des  Patienten  für 
ein  Rezidivexanthem  imponierten.  Nach  24  Stunden  trat  margi¬ 
nale  Vergrößerung,  zentrale  livide  Verfärbung  und  alsbald  auch 
vielfache  Konfluenz  der  Herde  ein.  Nach  vier  Tagen  ein  univer¬ 
selles,  bis  zum  Hals  reichendes  saturiertes  Erythem,  Abfall  der 
Temperatur.  Bei  der  Demonstration  ist  ein  Abblassen  des  Aus¬ 
schlages,  sowie  enorme  Steigerung  der  im  übrigen  der  Ichthyosis 
zukommenden  Abschilferung  zu  gewahren.  Für  die  Annahme 
eines  medikamentösen  Ursprungs  des  Erythems  fehlen  alle  An¬ 
haltspunkte. 

Ul  1  mann  demonstriert  1.  einen  Fall  von  syphili¬ 
tischer  Sklerose  der  Nase  durch  Nasenbohren.  Skler- 
adenitis.  Beginnendes  Exanthem.  2.  einen  Fall  von  eigen¬ 
tümlicher  Alopecia  circumscripta  multiplex. 

Der  25jährige  Mann,  Postbeamter,  ist  seit  zwei  Jahren  mit 
fleckiger  Kahlheit  behaftet.  Einzelne  Plaques  im  Hintergründe  und 
an  den  Seitenteilen,  im  ganzen  sechs  oder  sieben,  sind  mehr 
weniger  kreisförmig  begrenzt,  glatt,  von  der  Beschaffenheit  der 
Alopecia  areata.  Auf  leichten  Zug  fallen  Haare  in  der  Begrenzungs¬ 
zone  aus. 

Am  Vorderhaupt  befindet  sich  ein  halbkreisförmiger  Plaque, 
der  eine  von  den  übrigen  abweichende  Beschaffenheit  zeigt.  Die 
Färbung  der  Haut  ist  hier  leicht  rosarot,  von  der  rasierten  Um¬ 
gebung  deutlich  different.  Ferner  einzelne  klaffende  Talgfollikel 
mit  Zeichen  einer  Seborrhoe,  die  auf  Druck  Sekretspuren  ent¬ 
leeren.  Die  Umgebung  dieser  Partie  ist  etwas  atrophisch.  Die 
Differenz  dieses  Plaque  von  den  übrigen,  ganz  im  Niveau  der 
Haut  liegenden,  blassen,  der  gewöhnlichen  Alopezie  ganz  glei¬ 
chenden  ist  auffallend.  Gesicht,  besonders  Ohren  und  andere 
Körperregionen  zeigen  keine  Alienationen.  Es  ist  fraglich,  ob 
diese  der  Alopecia  areata  ganz  ähnlichen  Formen  mit  dem  Plaque 
gleichen  Ursprungs  sind.  Ich  habe  Kombination  von  Alopecia 
areata  mit  anderen  zirkumskripten  Haarausfällen  bereits  be¬ 
obachtet.  In  der  französischen  Literatur  sind  solche  Fälle  von 
Besnier  u.  a.  beschrieben.  Es  besteht  bei  solchen  Individuen 
Neigung  zu  atrophischen  Prozessen  überhaupt. 

B  r  a  n  d  w  e  i  n  e  r  bemerkt,  daß  er  die  von  U 1 1  m  a  n  n  ge¬ 
stellte  Diagnose  Alopecia  areata  nicht  akzeptieren  könne. 
U  1 1  m  a  n  n  habe  selbst  hervorgehoben,  daß  an  den  alopezischen 
Plaques  Entzündung,  Ausgang  in  Atrophie  und  erweiterte  Follikel 
wahrzunehmen  seien.  Diese  Momente  sprechen  dafür,  daß  es  sich 
um  einen  Lupus  erythematodes  der  behaarten  Kopfhaut 
handle.  Die  Form  der  Plaques  —  sie  sind  unregelmäßig,  eckig 
begrenzt  —  spricht  gleichfalls  gegen  die  Diagnose  Alopecia  areata, 
bei  der  es  immer  zur  Bildung  kreisrunder,  höchstens  ovaler 
Herde  kommt. 

Spie  gier:  Die  Gründe,  die  gegen  Alopecia  areata 
sowohl  als  Lupus  erythematodes  sprechen,  wurden  bereits 
von  den  Herren  Vorrednern  auseinandergesetzt.  Gegenüber  Lupus 
erythematodes  füge  ich  noch  den  Mangel  der  entzündlichen  Er¬ 
scheinung  und  jeglicher  Schuppung  bei.  Hingegen  erscheint  mir 
an  der  Stelle,  an  der  der  Prozeß  noch  auf  der  Höhe  ist,  eine 
andere  Krankheit  in  Betracht  zu  kommen,  nämlich  die  Folli¬ 
culitis  decalvans.  Jeder  einzelne  Haarfollikel  ist  nämlich  um 
das  Haar  herum  deutlich  prominent  und  über  die  Oberfläche 
deutlich  erhaben;  dieses  klinische  Bild  entspricht  histologisch  dem 
kleinzelligen  Infiltrat,  welches  zur  Atrophie  des  Haarfollikels  und 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


damit  zur  lokalen  Kalvilies  und  Narbenbildung  führt,  ein  Prozeß 
der  eben  der  Folliculitis  decalvans  entspricht. 

Finger  schließt  sich  der  Diagnose  Folliculitis  decalvans 
nicht  an.  Da  müßten  an  den  Haaren  in  Kreisform  weiterschreitende 
Folliculitiden  bestehen.  Hier  sind  zwei  Herde  zu  sehen.  Der  eine 
ist  frisch,  zeigt  klaffende  Follikel,  deutliche  Schuppen,  wie  bei 
Lupus  erythematodes,  der  zweite  Herd  bietet  eine  atrophische  Haut 
dar,  wie  bei  Lupus  erythematodes.  Die  Diagnose  Lupus 
erythematodes  ist  mit  Rücksicht  auf  das  plaqueweise  Auftreten 
vorzuziehen. 

U  11  mann:  Das  Vorhandensein  allgemeiner  Seborrhoe  und 
der  Mangel  an  eigentlichen  Narben  neben  deutlicher  Atrophie  im 
vordersten  Plaque,  schließt  für  diesen  Fall  die  gewöhnliche  Form 
der  Alopecia  areata  gewiß  aus.  Eine  solche  habe  ich  ja  auch 
gar  nicht  angenommen  und  nur  von  zirkumskripter,  ev-entuell 
Kombinationsform  gesprochen.  Daß  die  übrigen  der  Alopecia 
areata  ganz  ähnlichen  Plaques  derselben  Provenienz  sein  können, 
wäre  ja  möglich;  ihr  Aussehen  spricht  jedenfalls  nicht  dafür  und 
deshalb  erfolgte  die  Vorstellung  des  Falles.  Histologische  Unter¬ 
suchung,  vielleicht  schon  die  weitere  Beobachtung  dürfte  den  jeden¬ 
falls  eigenartigen  Fall  vollständig  aufklären. 

U 11  mann  demonstriert  3.  einen  Fall  von  Atrophia 
cutis  idiopathica  mit  Akrodermatitis  vergesellschaftet. 
Eine  beginnende  Nekrose  an  dem  Malleolus  externus  ist  nach  vier 
Thiosinamininjektionen  wesentlich  zurückgegangen. 

Oppenheim  demonstriert  1.  einen  Fall  von  Lupus 
erythematosus.  Ein  hochgradiger  Fall  im  Gesichte  und  an 
den  Fingern,  der  dadurch  ausgezeichnet  ist,  daß  er  sich  im  An¬ 
schlüsse  an  die  große  Kälte  die  im  Dezember  herrschte,  besonders 
stark  verschlechterte;  Pat.  ist  Kutscher.  Gesicht,  Nase,  Ohren  sind 
von  stark  elevierten,  scharf  begrenzten,  lebhaften  roten  Plaques 
bedeckt.  An  den  Fingern  ist  die  Aehnlichkeit  mit  Perniones  be¬ 
sonders  hervorzuheben,  doch  besteht  zentrale  Narbenbildung. 

Finger  bemerkt  mit  Rücksicht  auf  die  Diskussion  in  der 
letzten  Sitzung,  daß  die  Veränderungen  an  den  Händen  typischer 
Lupus  pernio  Kaposi  sind. 

2.  einen  30jährigen  Arbeiter,  dessen  Haut  über  den  Schultern, 
der  Streckseite  der  Oberarme  und  über  der  Brust  ein  Exanthem 
zeigt,  bei  dem  differentialdiagnostisch  Ekzema  seborrhoi- 
cum,  Pityriasis  lichenoides  chronica  und  Pity¬ 
riasis  rosea  in  Betracht  kommen.  Die  Primärefloreszenzen 
stellen  hellrote  hirsekorngroße  Knötchen  dar,  welche  sich  zu 
ovalen  oder  kreisförmigen  Herden  gruppieren  und  leicht  braun 
gefärbte  Felder  begrenzen,  in  denen  stellenweise  die  Epidermis 
leicht  parallel  gefältelt  ist.  An  manchen  Stellen  sind  die 
Herde  mehr  flächenförmig,  unregelmäßig  begrenzt  mit  hellroter 
Peripherie  und  braungelbem  Zentrum,  beide  von  einander  durch 
einen  Schuppenkranz  begrenzt.  Diese  Herde  sind  sehr  spärlich. 
Ueber  der  linken  Hüfte  findet  sich  ein  doppeltflachhandgroßer 
Plaque,  zusammengesetzt  aus  einzelnen  Gruppen  von  hellroten 
schuppenden  Knötchen,  die  um  abgeheilte  Zentren  gestellt  sind. 
Dieser  ganze  große  Herd  zeigt  ebenfalls  geringere  Krankheits¬ 
erscheinungen  im  Zentrum  und  stärker  betonte  an  der  Peripherie. 

An  der  Streckseite  der  oberen  und  unteren  Extremitäten  zeigen 
sich  flach  linsengroße  Papeln,  über  denen  die  Epidermis  gelblich 
gefärbt  ist,  und  sich  mit  dem  Fingernagel  als  zusammenhängende 
Lamelle  abkratzen  läßt.  Die  Affektion  besteht  seit  sechs  Wochen 
und  juckt  mäßig.  Gegen  die  Diagnose  Ekzema  seborrhoicum 
spricht  hauptsächlich  die  Lokalisation,  Freibleiben  des  Kopfes 
und  der  Schweißrinnen,  sowie  die  klinische  Beschaffenheit  der 
spärlichen  Herde  mit  der  Schuppenkollerette;  gegen  die  Diagnose 
Pityriasis  lichenoides  chronica  ebenfalls  der  letztere  Umstand,  die 
Pigmentierungen  nach  Abheilung  und  die  Anamnese.  Für  die 
Diagnose  Pityriasis  rosea  sind  die  vereinzelten  flächenhaften,  gelh- 
roten  Herde  mit  Kollerette,  die  Tendenz  der  zentralen  Abheilung 
und  des  peripheren  Weiterschreitens  hei  den  einzelnen  und  zu¬ 
sammengesetzten  Herden,  sowie  der  Umstand  des  gegenwärtigen 
Bestehens  einer  Epidemie  von  Pityriasis  rosea  ins  Feld  zu  führen. 
Wir  halten  daher  den  Fall  für  einen  eigentümlichen  Fall  von 
Pityriasis  rosea  oder  Herpens  tonsurans  maculosus. 

U  1 1  m  a  n  n  :  Ich  habe  sehr  viele  Fälle  von  Pityriasis  rosea 
gesehen  und  systematisch  auf  Pilze  untersucht.  Schon  vor 
mehreren  Jahren  berichtete  ich  hier  über  190  solche  Fälle.  Sehr 
oft  findet  sich  ein  primärer  Plaque,  daß  aber  wie  hier  an  drei 
verschiedenen  Regionen  solche  elevierte  Kreise  entstehen,  sah 
ich  nur  bei  Herpes  tonsurans  orbicularis.  Nach  dem  Befunde  und 
nach  den  Ausführungen  des  Herrn  Vortr.  würde  ich  hier  — 
wenn  Pilzbefunde  fehlen  —  doch  eher  an  Parapsoriasis  ge¬ 
dacht  haben. 

Das  klinische  Bild  der  Pityriasis  rosea  ist  ein  sehr  mannig¬ 
faltiges.  Ich  habe  in  den  letzten  Jahren  zahlreiche  Fälle  klinisch 


und  bakteriologisch  genau  beobachtet.  Die  Pityriasis  rosea  kann 
auf  eine  Körperseite  streng  lokalisiert,  auf  eine  Körperstelle  be¬ 
schränkt  auftreten,  ohne  daß  eine  Universalität  der  Eruptiori  die 
Folge  ist  und  trotzdem  kann  diese  lokalisierte  Form  bei  einem 
anderen  Pat.  eine  generalisierte  Eruption  durch  Kontaktinfektion 
veranlassen,  wie  zwei  Fälle  lehren,  die  an  der  Klinik  Finger 
beobachtet  werden  konnten.  Das  Auftreten  der  Pityriasis  rosea 
hat  im  Frühjahre  und  im  Herbst  epidemischen  Charakter,  wenn 
die  Feuchtigkeit  der  Luft  eine  große  ist,  obwohl  natürlich  immer 
sporadische  Fälle  Vorkommen. 

In  diesem  Falle  ist  die  Diagnose  nicht  so  schwer,  weil  wir  ■ 
typische,  spindelförmige,  lachsfarbene  Herde  mit  deutlicher 
Kollerette  und  zentraler  Abheilung  sehen. 

S  p  i  e  g  1  e  r  hält  die  Affektion  für  Pityriasis  rosea. 

Oppenheim:  Schon  jetzt  ist  auf  Salizylspiritus  eine  be¬ 
deutende  Besserung  eingetreten,  während  Parapsoriasis  ja  als 
unheilbar  gilt. 

Kren  demonstriert  aus  der  Klinik  Prof.  Riehl: 

1.  Eine  34jährige  Patientin  mit  Lupus  erythema¬ 
todes  discoides  im  Gesicht.  Gleichzeitig,  bestehen  auch 
zwei  Herde,  die  von  der  Ober-  und  Unterlippe  auf  das  Lippenrot 
übergegriffen  und  hier  typische  Veränderungen  gesetzt  haben. 
Das  Lippenrot,  das  mit  blutig  durchtränkten,  sich  abblätternden 
Lamellen  bedeckt  war,  zeigt  jetzt  nach  Mazeration  derselben 
feine  weiße  Streifchen,  welche  dicht  gedrängt,  parallel  zu  ein¬ 
ander  verlaufen,  dazwischen  hie  und  da  weiße  Pünktchen.  Der 
Rand  dieser  Plaque  —  an  der  Lippenrot-Schleimhautgrenze  — 
ist  hellrot,  eleviert  und  zeigt  außerdem  einzelne  Gefäßektasien. 

2.  Eine  42jährige  Patientin  mit  Pemphigus  vulgaris 
chronicus,  der  auf  der  Haut  reichliche  Blasen  und  an  der 
Schleimhaut  des  weichen  Gaumens  leicht  blutende  Erosionen 
gesetzt  hat.  Auch  die  Blasen  auf  der  Haut  zeigen  in  diesem 
Falle  einen  häufig  blutig  imbibierten  Grund  und  geringe  Heilungs¬ 
tendenz,  was  den  Fall  in  die  Gruppe  der  maligner  verlaufenden 
einreihen  dürfte. 

Fasal  kennt  die  Patientin  seit  zwei  Jahren.  Die  Er¬ 
krankung  begann  mit  einem  krustös-ekzematösen  Herd  am  Kopfe. 
Erst  später  traten  Blasen  an  den  Extremitäten  auf. 

3.  Ein  zwei  Jahre  altes  Kind  mit  Ekthyma  gangrae- 
n  0  s  u  m  im  Gesicht.  Sowohl  durch  diese  Lokalisation  wie  durch 
gleiche  Effloreszenzen  an  der  Konjunktiva  palpebrarum  erscheint 
der  Fall  ungewöhnlich. 

4.  Einen  30jährigen  sehr  kräftigen  Patienten,  der  seit  fünf 
Jahren  an  prämykotischen  Exanthemen  leidet.  Am 
Stamm  und  an  den  oberen  Extremitäten  finden  sich  hellrosarote, 
ziemlich  derbe  Knötchen,  die  in  Kreisform  angeordnet  sind.  Sie 
umgeben  eine  etwas  braungefärbte,  sonst  aber  normal  aussehende 
Zone.  Solche  Plaques  finden  sich  in  geringer  Zahl ;  gehen  teils 
zurück  und  bilden  sich  an  anderen  Stellen  wieder  von  neuem. 

Mucha  demonstriert  aus  der  Klinik  Finger: 

1.  Einen  Fall  von  Psoriasis  vulgaris  mit  ausgebreiteter 
Arsenmelanose,  die  zu  einer  teils  flächenförmigen,  teils  herd¬ 
förmigen,  schiefer  grauen  Färbung  der  Haut  geführt  hat. 

2.  Einen  Fall  von  Hypertrichosis  circumscripta. 
Die  Patientin  zeigt  am  Rücken  zwischen  den  Angulis  scapulae 
eine  über  handtellergroße  behaarte  Stelle ;  das  Haar  ist  dem 
Kopfhaar  vollständig  analog. 

Ferner  heben  Mucha  und  Landsteiner  anläßlich 
der  Demonstration  von  lebenden  Spirochäten  hervor,  daß  sie  sich 
bei  Vergleichung  verschiedener  Apparate  für  Dunkelfeldbeleuchtung 
davon  überzeugen  konnten,  daß  der  von  Siedentopf  kon¬ 
struierte  Paraboloid -  Kondensor  optisch  dasselbe  leistet, 
wie  der  von  ihnen  empfohlene  und  bisher  verwendete  Kondensor 
von  Reichert. 

Mucha  und  Landsteiner  berichten  weiters  über  ihre 
Untersuchungen  betreffend  die  Einwirkung  verschiedener  Stoffe  auf 
die  lebende  Spirochaete  pallida.  Sie  fanden  dabei,  daß  Saponin, 
ein  Stoff,  dessen  Giftigkeit  für  eine  Anzahl  von  Protozoen  fest¬ 
steht  (L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r,  R  u  s  s,  v.  Prowazek),  auch  eine 
Schädigung  der  Spirochaete  pallida  und  refringens  hervorrufe. 

F  i  n  g  e  r  demonstriert  einen  30jährigen  Mann  mit  einem 
Ulzerationsprozeß  am  weichen  Gaumen,  der  bezüglich  der 
Differentialdiagnose  zwischen  Syphilis  und  Tuberkulose  Schwierig¬ 
keiten  bereitete.  Sprechen  einerseits  die  blaßrote  Farbe,  die 
scheinbar  anämische  Beschaffenheit  und  große  Oberflächlichkeit, 
der  zum  Teil  zarte,  zackige  Rand,  das  Vorhandensein  gelblich 
durchschimmender  Knötchen  am  Grunde  für  Tuberkulose,  so 
spricht  anderseits  ein  tiefer  zerfallendes,  eitrig  belegtes,  scharf- 
randiges  Geschwür  an  der  hinteren  Rachenwand,  der  partielle 
Defekt  der  Uvula,  das  Fortschreiten  des  Affektes  mit  einem 
braunroten,  nicht  zerfallenden  Infiltrate  nach  der  Richtung  des 


Nr.  19 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


harten  Gaumens,  der  hie  und  da  nachweisbare  infiltrierte  Rand 
für  Lues.  Pat.  hat  vor  zwölf  Jahren  eine  Sklerose  mit  Konsekutivis 
gehabt,  ist  mit  Tuberkulose  hereditär  belastet,  reagiert  auf 
Tuberkulin  weder  lokal  noch  allgemein.  Mit  Rücksicht  auf  einen 
Patienten,  der  vor  Jahren  an  der  Klinik  Neumann  zur  Beob¬ 
achtung  kam,  hei  welchem  zuerst  die  Diagnose  auf  Tuberkulose 
und  dann  auf  Lues  gestellt  worden  war,  antiluetische  Therapie 
dann  Heilung  brachte,  der  im  Vorjahre  mit  einem  Rezidive  des¬ 
selben  Krankheitsprozesses  einer  analogen,  oberflächlichen,  den 
ganzen  weichen  und  einen  Teil  des  harten  Gaumens  einnehmenden 
Ulzeration  auf  die  Klinik  zurückkehrte  und  durch  antiluetische 
Therapie  ausgeheilt  wurde,  dann  aber  mit  einer  luetischen,  auf 
Jod  prompt  reagierenden  Periostitis  des  Sternums  wiederkam  — 
sowie  unter  Berücksichtigung  des  negativen  Ausfalles  der 
Tuberkulinreaktion  —  stellte  Finger  die  Diagnose  Lues  und  ist 
auf  die  Darreichung  von  Jod  bereits  der  Beginn  der  Verheilung 
nachzuweisen.  (NB.  Pat.  wurde  am  21.  März  geheilt  entlassen.) 

Ullmann  bemerkt  zum  Protokoll  der  Sitzung  vom  20.  Fe¬ 
bruar  1907  (Wiener  klin.  Wochenschrift  Nr.  14),  daß  er  Lupus 
erythematodes  mit  irgendeiner  lokalen  Hauttuberkulose  keines¬ 
wegs  identifiziere,  sondern  nur  in  707o  seiner  Fälle  von  Lupus 
erythematodes  der  letzten  zehn  Jahre,  klinische  Beziehungen 
desselben  zur  Tuberkulose  u.  zw.  im  Vorhandensein  von  Organ¬ 
tuberkulose,  Koinzidenz  mit  anderen  papulo-nekrotischen  Tuber¬ 
kuliden  oder  wenigstens  mit  ausgesprochen  tuberkulöser  Heredität 
nachweisen  konnte.  In  mehreren  Fällen  von  Lupus  erythematodes 
konnte  er  allgemeine,  in  einzelnen  Fällen  auch  lokale  Tuberkulin¬ 
reaktion  nachweisen.  Niemals  behauptet  habe  er  aber  auch  den 
positiven  Ausfall  der  Tuberkulinreaktion  in  707()  seiner  Fälle, 
da  er  ja  nur  in  einem  kleinen  Teil  der  Fälle  überhaupt  Tuberkulin 
injiziert  hatte.  _ _ 

Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in 

Böhmen. 

19.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  5.  Dezember  1906. 

R.  V.  Zeynek:  lieber  den  Nachweis  kleiner  Brom¬ 
mengen  in  Organen.  Das  Prinzip  desselben  ist  die  elektro¬ 
lytische  Fixierung  von  Brom  (und  Jod)  als  Silberverhindung, 
unter  Verwendung  eines  elektrischen  Stromes,  dessen  Spannung 
nicht  hocli  genug  ist,  um  Chloride,  Sulfate  und  die  Mehrzahl 
etwa  vorhandener  organischer  Säuren  zu  zerlegen.  Dies  wird 
hei  Verwendung  einer  Silberanode  durch  ein  Strompotential  von 
0-45  Volt  erreicht.  Brom  i.wird  so  bis  zu  einer  Verdünnung  der 
Lösung  im  Bromgehalt  auf  000008 °/o  ausgefällt,  während  eine 
3-50/oige  chlorhaltige  Lösung  an  der  Elektrolyse  sich  noch  nicht 
beteiligt.  Die  Genauigkeit  dieser  Fällung  dürfte  der  direkten 
Silberfällung  entsprechen,  da  die  Löslichkeit  von  Bromsilber  durch 
die  Gegenwart  von  Salzen  beträchtlich  erhöht  ist.  Die  Fixierung 
des  Broms  wuide  nach  Specketers  in  Nernsts  Jjaboratorium 
ausgearbeitetem  Verfabren  unter  Einleitung  von  reinem,  elektio- 
lytischen  Wasserstoff  ausgefübrt.  Halogensilber  ist  leicht  durch 
Lauge  und  Hyclrazinhydrat  zersetzlich,  wobei  metallisches  Silber 
abgeschieden  wird.  Die  klare,  das  sämtliche  Brom  enthaltende 
Lösung  wird  durch  Destillation  mit  Eisenoxydsulfat  und  Schwefel¬ 
säure  von  etwa  vorhandenem  Jod  befreit  und  kann  nach  Aus¬ 
fällung  des  Eisens  direkt  auf  Brom  geprüft  werden. 

Untersuchte  Organe  Gesunder,  plötzlich  Verstorbener  er¬ 
wiesen  sich  sämtlich  frei  von  Brom  (auch  Scbilddrüsen). 

Durch  die  Methode  wären  etwa  0  002  g  Brom  zu  erkennen. 

Weiter  spricht  Zeynek:  Ueber  die  Abspaltung  dei 
prosthetischen  Gruppe  bei  den  Ei  weiß  färb  st  offen. 
In  den  Organismen  sind  in  reicblicher  Menge  sogenannte  kom¬ 
plexe  Eiweißkörper  enthalten,  die  bei  der  Spaltung  neben  Eiweiß 
eine  Gruppe  von  Nicbteiweißnatur,  von  Kos  sei  als  prosthetische 
Gruppe  bezeichnet,  geben.  Begreifljcberweise  wurde  in  erster 
Linie  dem  Studium  dieser  prosthetischen  Gruppe  Aufmerksam¬ 
keit  gewidmet.  Bei  den  meisten  komplexen  Eiweißarten  ist  ihre 
Bindung  an  die  Eiweißkomponente  als  recht  hartnäckig  erwiesen 
(so  bei  den  Nukleoproteiden,  den  Glykoproteiden,  Chondroniukoid) 
untl  bei  der  Spal  tung  bleibt  vorerst  ein  Teil  des  Eiweißes  _  noch 
in  Verbindung  mit  dem  prostbeliscben  Komplex.  Nur  die  Eiweißr 
farbstoffe  sollen  den  prostbetischen  Farbstoff  locker  gebunden, 
entbalten. 

Der  Vortragende  zeigt  an  zwei  Beispielen,  daß  diese  An- 
nabme  irrig  ist;  sie  ist  hervorgebracht  durch  die  Empfindlichkeit 
der  Farbkomplexe  gegen  Reagenzien.  Es  kann  allerdings  bei  der 
Reagenzienwirkung  eine  J^ockei'Ung  in  der  Bindungs weise  der 
Farbstoffe  mit  der  Eiweißkomponente  eintreten,  aber  eine  voll¬ 
kommene  Loslösung  findet  erst  nach  eingreifender  Zertrümme- 
laing  des  Eiweißmoleküls  statt. 


ln  der  Haut  des  Fisches  Crenilahrus  pavo  fiiulet  sich  zur 
Paaiungszeit  ein  blauer  Eiweißkörper,  dessen  Farbenänderungen 
liei  der  Pepsinsalzsäurcverdauiing  spoktrophotometrisch  gleich¬ 
zeitig  mit  der  Fällbarkeit  der  Verdauungsprodukte  durch  Neutral- 
salzc  beobachtet  wurden.  Dabei  wurde  erkannt,  daßi  der  Farb- 
komjilex  lange  an  Eiweiß  gebunden  bleibt. 

Anderseits  zeigt  sich  beim  Hämoglobin,  welches  der  Pepsin¬ 
salzsäurewirkung  unterworfen  wird,  daß  die  Hämalinkomponente 
lange  an  Eiweiß  gebunden  bleibt.  Es  zeig^  sieb  dabei  aber  eine 
auffallende  Empfindlichkeit  des  Hämatineisens  gegen  Säure.  Dieses 
wird  aus  der  ,, maskierten“  Bindungsform  zum  Teil  in  den  lonen- 
zustand  übergeführt.  Das  freie  Hämatin,  etwa  nach  Nencki 
oder  Schalfejew  dargestellt,  ist  gegen  0-5%ige  Salzsäure 
resistent.  Ein  ähnliches  Verhalten  hat  v.  Klaveren  bei  der 
Behandlung  von  Hämoglobin  mit  Alkalien  gefunden:  daß  näm¬ 
lich  aus  der  prosthetischen  HämatingiUppe  leicht  eine  Eiweißi- 
spaltung.  erfolgt. 

Diese  Beobachtungen  scheinen  physiologisch  interessant  zu 
sein  in  bezug  auf  die  Frage,  wie  Blutfarbstoff  noianalerweise  im 
Organismus  zersetzt  werde.  Noch  niemals  ist  als  normales  Ab¬ 
bauprodukt  von  Hämoglobin  im  Organismus  Hämatin  erhalten 
worden. 

Eine  auffallende  Reaktion,  durch  welche  das  gesamte  Eisen 
aus  Blutfarbstoff  und  Hämalin  ausgelöst  werden  kann,  wobei 
aus  Hämoglobin  ein  roter  Eiweißköaimr  mit  bämatoporphyrin- 
artigem  Spektmm,  anderseits  aus  Hämatin  eine  optisch  dem 
Hämatoporphyrin  nahestehende,  schwefelhaltige  Substanz  gebildet 
wird,  gibt  die  Einwirkung  von  schwefliger  Säure  im  Lichte  auf 
Hämoglobin,  resp.  Hämatin  (oder  Hämin).  Künstlicb  war  der 
Ersatz  des  Lichtes  weder  durch  hohe  Temperatur,  noch  durch 
viel  stärkere  Säuren  zu  erreichen.  Es  dürfte  dieser  Prozeß  die 
erste,  sicher  nachgewiesene  Lichtwirkimg  auf  Blutfarbstoff  sein; 
vielleicht  ist  er  auch  von  pharmakologischem  Interesse,  da  bei 
der  Einnahme  von  Schlafmitteln,  welche  die  Sulfogruppe  ent¬ 
halten,  oft  Hämatoporphyrinurie  eintritt. 

Schenk:  Neue  Beiträge  zur  Kenntnis  der  meta- 
stä tischen  Tumoren  der  Ovarien  und  des  Uterus. 
13  Monate  nach  Gastrektomie  wegen  Magenkarzinom  und  Ex¬ 
stirpation  der  metastatischen  Ovarialtumoren  suchte  die  Patientin 
wieder  die  Klinik  auf.  Die  Untersuchung  ergab  an  der  hinteren 
Muttermundlippe  einen  etwa  haselnußgroßen  Knoten  und  an  diesen 
anschließend  harte  Infiltration  des  Zervixgewebes.  Die  Probe¬ 
exzision  ergab  Karzinom.  Die  Operation  wurde  wegen  Verwach¬ 
sungen  und  Infiltration  der  Iliakaldrüsen,  sowie  der  Drüsen  ent¬ 
lang  der  Aorta  bis  hoch  hinauf  abgebrochen.  Pat.  ging  nach 
mehreren  Wochen  kachektisch  zugrande. 

Schenk  berichtet  über  einen  zweiten  ähnlichen  Fall,  bei 
welcbem  bei  der  Exstirpation  des  kleinfaustgreßcn  linken  und 
des  kindskopfgroßen,  zum  Teil  zystischen,  reebten  Ovariums  ein 
kleinfaustgroßes  Pyloruskarzinom  entdeckt  und  entfernt  wurde. 
Acht  Monate  nachher  traten  wieder  Beschwerden  auf,  denen  die 
Patientin  nach  weiteren  zwei  Monaten  erlag. 

Nach  Besprechung  der  einschlägigen  Literatur  befaßt  sich 
der  Voitragende  mit  der  Frage  nach  der  Art  und  Weise  der 
Metastasierung  im  Uterus  und  in  den  Ovarien. 

Nach  Ansicht  des  Vortragenden  sollten  die  Chirurgen  bei 
Exstirpation  von  Magen-  und  Dannkarzinomen  nicht  nur  ver¬ 
größerte  oder  verdächtig  erscheinende  Ovarien  entfernen,  sondern 
auch  Ovarien,  welche  makroiskopisch  noch  nichts  Verdächtiges 
aufweisen,  mit  entfernen,  sofern  es  sich  um  Frauen  im  geschlech  ts- 
reifen  Alter  handelt. 

Sitzenfrey:  a)  Demonstration  makro-  und  mikro¬ 
skopischer  Präparate  eines  sekundären,  die  Wan¬ 
dungen  fast  s  u  b  s  t  i  t  ti  i  e  r  e  n  d  e  n  G  a  1 1  e  r  t  k  a  r  z  i  n  o  m  s  des 
Uterus  bei  primärem  Magen-  und  sekundärem,  beider¬ 
seitigen  Ovarialkarzinom. 

b)  Vortr.  stellt  eine  50jährige  Frau  vor,  an  der  er^  vor 
214  Jaiiren  wegen  Carcinoma  ovarii  utriusque  die  abdominale 
Totalexstirpation  des  Uterus  vorgenommen  bat.  Bei  der  Operation 
worden  hämorrhagischer  Aszites  und  ausgedehnte,  flächenhafle 
Venvachsungen  mit  den  Nachbarorgmien,  insbesondere  der  Flexura 
sigmoidea  coli  nnd  Dünndarmschlingen  konstatiert.  Nach  drei¬ 
stündiger  mühsamer  Arbeit  gelang  die  Auslösung  der  Ovarial¬ 
tumoren  ohne  allzu  gefährliche  Nebenverletzungen.  Die  Frau  siebt 
blühend  aus;  ein  lokales  Rezidiv  ist  nicht  nachweisbar. 

20.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  12.  Dezember  1906. 

Springer  berichtet  über  experimentelle  Untersuchungen  be¬ 
treffs  Ueborpflanzungun  gestielter  Lappen  des  großen 
Netzes  beim  Hunde.  Es  gelingt,  große  Stücke  desselben  auf 
Darmschliitgon  zu  überpflanzen,  ohne  daß  sie  nekrotisc.li 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  19 


wenden.  Nach  48  Siundeii  siiul  dieselheu  sehr  fesl  ver¬ 
klebt  und  haben  bereits  ausgedehnte  (lefäßanastomosen  einge¬ 
gangen.  Nach  etwa  acht  Tagen  bilden  sie  eine  fest  verwachsene 
Auflagerung.  Springer  denionsiriert  Präparate:  intakte  und  nach 
Resektion  wieder  vereinigte  Darinschlingen,  eine  Cxastroentero- 
stoniie  nach  Wölf  1er,  eine  Leberresektion,  alle  mit  Netzlappen 
gedeckt,  die  bei  glattem  Verlaufe  fest  anheilten. 

Einen  Nachteil  haben  diese  Lieberpflanzungen;  sie  geben 
Anlaß  zur  Bildung  breiter,  peritonealer  Adhäsionen.  Springer 
sieht  den  Giaind  darin,  daß  bis  zur  Ausbildung  genügender  Ana- 
stoinosen  in  den  ersten  beiden  Tagen  der  unterernährte  Ivappen 
als  Fremdkörper  Avirke  und  fand  eine  Bestätigung  dieser  An¬ 
nahme  in  der  Tatsache,  daß  nach  experimenteller  Quetschung  des 
zentralen  Teiles  der  Netzschürze  diese  <lann  peripher  vielfach 
adhärent  Avurde.  Zur  Deckung  unsicherer  Nähte  ist  das  Verfahren 
nur  dann  geeignet,  Avenn  durch  Drainage  oder  Tamponade  Siche¬ 
rung  gegen  Insuffizienz  der  Naht  geschaffen  Avird. 

Springer  Aveist  weiter  darauf  hin,  daß  bei  der  Ueber- 
pflanzung  auf  die  parenchymatös  blutende  Leberresektionsstelle 
die  Blutung  auffallend  rasch  stand  und  empfiehlt  das  Ver¬ 
fahren  mit  gestielten  Netzlappen  nachzuprüfen.  Springer  spricht 
sich  über  die  praktische  Verwendbarkeit  der  ungestielten  Netz¬ 
lappen  skeptisch  aus,  hält,  aber  ihre  AiiAvendljarkeit  an  Blase, 
Dickdarm  und  Genitale  für  möglich  in  einzelnen  geeigneten  Fällen. 
Aus  der  bei  diesen  Experimenten  gemachten  Erfahrung,  daß  der 
zentrale  Nelzslumpf  bei  der  geAvöhnlich  geübten  einfachen  Ab- 
bindung  starke  Adhäsionen  macht,  empfiehlt  Springer  prin¬ 
zipiell  bei  allen  Netzresektionen  den  abgebundenen  Stumpf  durch 
einige  Nähte  nach  Lembert  einzustülpen. 

Pohl  berichtet  über  Versuche  aus  seinem  Laboratorium, 
die  das  Ziel  hatten,  den  Einfluß  der  Reaktion  auf  'lie  Wirkung 
des  D  i  g  i  t  a  1  i  s  i  n  f  u  s e  s  festzus teilen.  Es  ergab  sich  eine  Ueher- 
einstimmung  mit  den  Untersuchungen  von  D  eucher  für  das 
Digitalin,  daß  das  Digitoxin  enthaltende  Infus  durch  Digestion 
mit  Verdauungssalzsäure  beträchtlich  abgesclmächt  Averde.  Da 
beim  Stehen  eines  nativen  Digitalisinfuses  auch  dieses  in  seiner 
AVirkung  rasch  zurückgeht,  so  müßte  auclr  hiefür  die  Ursache 
gesucht  AA'erden  und  diese  fand  sich  in  einer  o  r  g  a  n  i  s  c  h  o  n, 
Säure  der  Digitalisblätter,  die  in  das  Infus  übergeht.  Neutra¬ 
lisation  des  Infuses  vermochte  des, sen  Wirksamkeit  andauernd 
zu  erhalten.  Zum  Schlüsse  Averden  einige  in  der  Praxis  übliche 
Aledikationsformen  Amn  Digitalis  mit  Rücksicht  auf  diese  Er¬ 
fahrungen  besprochen. 

Oskar  Adler  demonstriert  die  Amn  ihm  und  Rudolf  .4  dl  er 
angegebene  Benzidinprobe  zum  Naclnveis  Amn  Blut.  Der 
negative  Ausfall  dieser  empfindlichen  Probe  spricht  hei  rich¬ 
tiger  Ausführung  mit  großer  Sicherheit  für  die  Abwesenheit  von 
Blut.  Bei  Stuhluiitersuchungen  ist  die  Probe  bei  positivem  Aus¬ 
fall  AmrvA'ertbar,  Avenn  geAvisse  Kautelen  (mehrtägige  Probediät, 
Aufkochen  der  zu  untersuchenden  Prohe)  eingchalten  Averden. 

Oskar  Adler  bespricht  die  Wirkung'  der  Gl yoxyl  säure 
im  Tierkörper.  Mit  Hilfe  der  Glyoxylsäure  ist  man  imstande, 
den  beim  Menschen  zuerst  von  H.  E.  Hering;  beschriebenen 
Pulsus  alternans  mit  Sicherheit  experimentell  hervorzu rufen. 
Von  der  im  Tierkörper  aus  Glyoxylsäure  entstehenden  Oxalsäure 
gelangt  nur  ein  kleiner  Teil  mit  dem  Harn  zur  Ausscheidung, 
ein  großer  Teil  Avird  in  den  Organen  (Niere)  als  Kalziumoxalat 
zurückbehalten. 

* 

1.  Avis  sen  Schaft  liehe  Sitzung  vom  16.  Januar  1907. 

Chefarzt  Dr.  E 1  b  o,ge  n  -  Kladno  demonstriert  eine  26  Jahre 
alte  Patientin,  die  er  am  9.  November  1906  AA'egen  der  Erschei¬ 
nung  einer  vor  sechs  Jahren  ganz  allmählich  entstandenen  chro¬ 
nischen  D  ün  n  d  a  r  m  ste  n  OS  e  operiert- hat. 

Er  fand  in  einer  Ausdehnung  von  53  cm  drei  Jiaibige 
Stenosen,  die  das  Ileum  auf  Bleistift-  bis  Sondendicke  verengten; 
ol)eilialb  der  proximalen  Striktur  AAuar  der  Dünndarm  magen- 
älmlich  ei’AA’eitert,  die  Wandungen  hypertrophisch,  ZAvischen  der 
zAA’eiten  und  dritten  Striktur  Avar  der  Darm  sackartig  erweitert 
und  die  Wandungen  ebenfatls  hypertrophisch. 

Die  oberste  Striktur  Avar  mit  zahlreichen  Kirsch-  und 
Pflaumenkernen  gefüllt. 

Der  Appendix  Avar  seilartig  gespannt,  mit  dem  unteren, 
kollamartig  aufgetriebenen  Ende  mit  der  mittleren  Striktur  A^er- 
Avachsen.  Das  Netz  war  in  Strängen  abgeteilt  und  jeder  dieser 
zahlreichen  Stränge  Avar  an  dem  unteren  Ende  mit  dem  Peri¬ 
toneum  parietale  venvachsen. 

Dr.  Elbogen  resezierte  den  stenosierten  Darm  mit  dem 
Wurmfortsatz  in  einer  Ausdehnung  von  55  cm,  führte  die  laterale 
Enteroanaslomose  zAvischen  dem  oberhalb  der  ersten  und  unter¬ 
halb  der  dritten  Striktur  liegenden  Darmabschnitt  aus  und  ent- 
feride  die  Nelzslränge. 


Heilung  per  pi  imam ;  die  vorher  bestandenen  Beschwerden, 
Avie  Erbrechen,  Koliken,  Darmsteifung,  sind  nach  der  Operation 
gescliAvunden,  nur  die  schmerzhaften  Koliken  und  die  vermehrte 
Peristaltik  verschwanden  erst  allmählich  im  Verlaufe  der  zAveiten 
WWehe  nach  der  Operation. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  GescliAvüre  ergab,  daß 
es  sich  im  vorliegenden  Falle  um  Darmtuberkulose  gehan¬ 
delt  hat. 

Der  Vortragende  demonstriert  die  Patientin  and  das  makro- 
und  mikroskopische  Prä])arat  und  macht  besonders  auf  die  hoch¬ 
gradige  Anämie  aufmerksam,  die  er  als  Folge  der  Darmstenose 
auffaßt,  erzeugt  durch  ein  im  Intestinaltraktus  entstandenes  Gift, 
Avelchem  die  Destruktion  der  roten  Blutkörperchen  zu  Amrdanken 
ist.  Der  Fall  avird  anderweitig  ausführlich  publiziert  Averden. 

Vien  dl:  Zur  Frage  der  akuten  H  e  r  z  d  i  1  a  ta  t  i  o  n. 

Bekanntlich  ist  die  Frage,  oh  es  infolge  übermäßiger  Körper¬ 
anstrengungen  zu  einer  Dilatation  des  Herzens  kommt,  noch 
nicht  entschieden.  Während  Moritz,  Hoffmann,  de  la  Camp 
die  Existenz  der  akuten  Dilatation  des  Herzens  beim  gesunden 
Herzen  auf  Grund  orthoradiodiagraphischer  Untersuchungen  in 
ZAveifel  ziehen,  geben  Schilt  und  Stark  die  Möglichkeit  einer 
solchen  zu,  auch  die  letzteren  Autoren  bedienten  sich  des  Böntgen- 
verfahrens  zum  Naclnveise  ihrer  Untersuchungen.  Eine  zweite 
Reihe  der  Autoren  bedient  sich  jedoch  nur  der  physikalischen 
Untersuch'ungsmethoden  beim  Studium  der  obengenannten  Frage. 
Zu  diesen  Autoren  gehören  Alt,  C a s p a r i,  B a  1  d e s,  H e i c li e  1- 
heim  und  Metzger.  Auf  Grund  dieser  Untersuchungsmethoden 
allein  ist  man  jedoch  nicht  berechtigt,  eine  akute  Herzdilatation 
nach  forcierten  Muskelanslrengungen  annehmen  zu  können.  Zum 
sicheren  Nachweis  derselben  dient  nur  das  Röntgenverfahren, 
bzAv.  die  Orthoradiodiagraphie.  Dr.  Men  dl  und  Dr.  Selig  stu¬ 
dierten  an  ZAvei  Ringkämpfern,  die  sie  bis  zur  vollständigen 
Ermüdung  ringen  ließen,  die  Größe  des  Herzens  vor  und  nach 
dem  Ringkampfe,  außerdem  Avurden  dabei  Blutdruck,  Puls  und 
Harnausscheidung  kontrolliert.  Es  ergab  sich,  daß  sich  bei  keinem 
der  Ringkämpfer  eine  Herzdilatation  auf  orthoradiographischem 
W-ege  nacliAveisen  ließ,  die  Pulszahl  nahm  über  das  Doppelte  zu, 
Avährend  der  Blutdruck  in  beiden  Fällen  beinahe  um  ein  Drittel 
des  normalen  Wertes  sank.  Nach  dem  Ringkampfe  konnte  man 
hei  dem  einen  Ringkämpfer  EiAAmiß  nachweisen,  im  Harnsedimente 
hyaline  und  granulierte  Zylinder,  Leukozyten  und  rote  Blut¬ 
körperchen.  Das  spezifische  Gewicht  des  Harnes  Avar  in  beiden 
Fällen  nach  dem  Kampfe  erhöht. 

Redner  schließt  sich  auf  Grund  dieser  Untersuchungen  der 
Ansicht  von  de  la  Camp  an,  die  dahin  zielt,  daß  eine  akute 
Dilatation  des  Herzens  infolge  forcierter  Muskelarbeit  Avohl  nur 
dann  eintritt,  AAmnn  der  Herzmuskel  ernstlicher  erkrankt  ist. 

Dr.  Rotky:  Ueber  Viskosität  des  Blutes. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung  demonstriert  Rotky  das  von 
Hirsch  und  Beck  konstruierte  Viskosimeter  und  erklärt  die 
Methode  der  Viskositätshestimmung.  Das  Blut  Avurde  nach  J  a- 
koby  und  Bence  mit  Hirudin  ungerinnbar  gemacht.  Als  Normal- 
Averte  für  Blut  gibt  Rotky  R  =  503  und  für  das  Plasma 
R  —  1-77  an.  Hierauf  referiert.  Rotky  über  seine  auf  der  Klinik 
R.  V.  Jaksch  angestellten  Versuche  und  teilt  mit,  daß  bei 
Nephritischen  die  Viskosität  des  Blutes  immer  niedrigere  W^erte 
gab  als  bei  Normalen,  auch  bei  Schrumpfniere  und  Urämie  — 
letzteres  im  Gegensatz  zu  Hirsch  und  Beck.  Interessant  Avar 
die  Erhöhung  des  Plasmas  in  acht  Fällen  von  Nephritis,  mög- 
licherAveise  bedingt  durch  die  Anhäufung  exkrementieller  Stoffe. 
Bei  Anämien  Avar  die  Viskosität  des  Blutes  meist  stark  vermindert, 
nicht  konstant  die  des  Plasmas,  Avelche  mitunter  auch  eine  leichte 
Steigerung  erkennen  ließ.  Höhere  Vierte  AAmrden  bei  Leukämien 
gefunden,  bedingt  durch  die  hohe  Leukozytenzahl.  Durch  Zentri¬ 
fugieren  Avurden  die  Erythrozyten  ausgeschieden  und  so  ein  Plas¬ 
ma-Leukozytengemisch  (mit  350.000  Leukozyten  im  Kubikmilli¬ 
meter)  und  zellfreies  Plasma  erbalten.  Die  Viskositätsbestim- 
mungen  ergaben  R  =  5-33  und  R  =  2-62.  Bei  Ikterischen' 
wurde  stets,  außer  bei  gleichzeitiger,  durch  Karzinom  bedingter 
Kachexie,  höhere  Werte  für-Blut  und  Plasma  ei-mittelt,  desgleichen 
bei  Zyanotischen.  In  einem  dieser  Fälle  Avar  die  Viskosität  des 
Blutes  R  =  16-93,  Avelche  nach  vierzehntägiger  Sauerstoffinlia- 
lation  auf  R  “  10-79  gesunken  ist,  Avährend  die  Plasmawerte 
nur  eine  Verminderung  um  0-4  zeigten.  Ob  der  durch  Erhöhung 
der  Idskosität  gesteigerte  WTderstand  Avirklicli  auf  das  Herz  so 
rüclvAvirkt,  Avie  es  einzelne  Autoren  annehnien,  erscheint  frag¬ 
lich,  Avenn  man  den  Fall  Lommel  Avürdigt,  avo  man  bei  einer 
Polyzythämie  von  7  bis  10  Millionen  Erythrozyten  und  R  ~  11 
absolut  keine  Blutdrucksteigerung  und  Hypertrophie  des  Herzens 
Avahrnehmen  konnte.  Untersuchungen  bei  Phosphoiwergiftung  er¬ 
gaben,  daß  das  Plasma  konstant  eine  Viskositätserhöhung  zeigte*, 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


585 


die  Viskosität  des  Hlutes  dagegen  wecliseliide  Werte  erkennen  ließ, 
die  anch  Unabhängigkeit  von  der  EryUirozylenzahl  aufwiesen. 
Bei  Diabetes  mit  erböbler  Viskosität  des  Blutes  kann  man  die 
durch  Polyurie  bedingte  Eindickung  des  Blutes  verantwortlich 
machen,  in  ähnlicher  Weise  wie  auch  Lommel  und  üeterniann 
nach  energischen  Schwitzprozeduren  im  elektrischen  Lichtbade 
die  Viskosität,  wenn  auch  vorübergehend,  steigen  sahen.  Bei 
Pnemnonie,  Nervenkrankheiten,  Lues  etc.  läßt  die  Viskosität  keine 
Konstanz  erkennen.  Rotky  schließt  mit  der  Ansicht,  daß  man 
dieser  Methode  der  Blutuntersuchung  keine  wesentliche  klinische 
Bedeutung  prognostizieren  kann. 

* 

2.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  28.  Januar  1907. 

Li  eh  lein  stellt  einen  ISjährigen  jungen  Mann  vor,  bei 
Avelchem  er  wegen  einer  Schußverletzung  der  Milz  die  Exstir¬ 
pation  des  Organes  gemacht  hatte.  Trotzdem  sich  der  Einschuß> 
im  achten  Interkostal  raum  links,  nach  innen  von  der  Alamillar- 
linie  befand,  war  die  Milz  und  kein  anderes  Organ  verletzt. 
Operiert  wurde  unter  der  Annahme  einer  Magenverletzung.  Der 
postoperative  Verlauf  war  kompliziert  durch  sehr  schwere  Magen¬ 
darmblutungen,  welche  zu  einem  exzessiven  Orade  von  Anämie 
führten.  Trotzdem  trat  Heilung  ein,  nachdem  der  Patient  außer¬ 
dem  noch  eine  schwere  Thrombose  der  rechten  unteren  Extremität 
glücklich  Überstunden  hatte.  Der  Vortragende  macht  auf  die  Blu¬ 
tungen  nach  Milzexstirpation  aufmerksam,  bespricht  die  verschie¬ 
denen  Möglichkeiten  ihrer  Entstehung  und  macht  speziell  darauf 
aufmerksam,  daß  die  Arteriae  gastricae  breves  sehr  häufig  ihren 
Urspmng  nicht  vom  Stamme  der  Arteria  splenica,  sondern  von 
einem  ihrer  Aeste  nehmen  und  deshalb  bei  der  Unterbindung 
des  Milzstieles  sehr  leicht  mit  unterbunden  werden  können.  Die 
dadurch  gesetzte  Ernährungsstörung  eines  izirkumiskripten  Teiles 
der  Magenwand  kann  die  Gelegenheit  abgeben,  daß  es  unter  der 
Einwirkung  des  Magensaftes  zu  Geschwürsbildung  und  infolge¬ 
dessen  zu  Magenblutungen  kommt. 

D oberauer  stellt  eine  Kranke  vor,  bei  der  er  wegen 
zentralen  Sarkoms  des  Tibiakopfes  das  obere  Drittel 
der  Tibia  reseziert,  den  Defekt,  nachdem  Einpflanzung  der  Fibula 
in  das  Femur  keine  genügende  Tragfähigkeit  ergab,  durch  einen 
Knochenlappen  aus  der  Patella  zum  Teile  ersetzte  und 
gute  Konsolidation  und  Tragfähigkeit  des  Beines  erzielte. 

Doberan  er  bespricht  weiter  die  Indikationen  für  konser¬ 
vative  und  verstümmelnde  Operationen  bei  den  Sarkomen  der 
langen  Böhrenknochen,  lehnt  die  Exkochleation  und  subperiostale 
Besektion  als  allzu  unsicher  puncto  Dauerheilung  ab  und  stellt 
für  die  Besektion  die  beschränkende  Bedingung  auf,  daß  es  ge¬ 
lingt,  den  Defekt  funktionstüchtig,  wenigstens  so  weit  zu  er¬ 
setzen,  daß  keine  auffallende  Verkürzung  bleibt.  Für  die  untere 
Extremität  kommt  nur  autoplastisches  Verfahren  in  Betracht; 
an  der  oberen  Extremität  können  heteroplastiscbe  Methoden  mit 
Erfolg  angewendet  werden  und  kann  man  darum  hier  die  Grenzen 
für  dje  Besektion  wesentlich  weiter  stecken.  Dobe rauer  zeigt 
die  Böntgenbilder  von  einem  Falle,  wo  er  nach  Besektion  des 
Humeins  wegen  Karzinom  einen  14  cm  langen  ElfeidDeinstab 
implantierte,  welcher  bis  zu  dem  zwei  Jahre  später  erfolgten 
Tode  des  Patienten  (Carcinoma  ventriculi)  getragen  wurde  und 
eine  leidliche  Brauchbarkeit  des  Armes  vermittelte. 

G  a  r  k  i  s  c  h :  U  e  h  e  r  Tuberkulose  der  Portio  v  a- 

ginalis.  .  . 

G  a  r  k  i  s  c  h  demonstriert  makroskopische  und  mikroskopische 
Präparate  von  einer  28jährigen  Patientin,  die  nie  geboren,  nie 
menstruiert  hatte.  Bei  der  Untersuchung  im  Spekulum  fand  man 
eine  hanfkorngroße,  dunkelrot  verfärbte,  polypöse  Wucherung  im 
äußeren  Muttermund.  Man  dachte  zuerst  an  eine  sarkomatöse 
Degeneration  der  Zervixschleimhaut.  Die  histologische  Unter¬ 
suchungergab  Tuberkulose  der  Portio.  Vaginale  Totalexstirpation, 
der  Uterus  zeigt  deutliche  Hypoplasie.  Pat.  wurde  am  20.  Tage 
post  operationem  geheilt  entlassen.  Sechs  Monate  nachher  hatte 
sie  5  kg  an  Körpergewicht  zugenommen.  Die  histologische  Unter¬ 
suchung  des  übrigen  Genitaltrakies  ergab  ruberkulose  der  Zervix, 
des  Korpus  und  beider  Tuben.  Garkisch  glaubt,  daß  es  sich 
im  vorliegenden  Falle  wegen  der  in  allen  Abschnitten  des  Genilal- 
traktes  fast  gleich  starken  üdierkulöscn  Veränderungen  um  eine 
auf  hämatogenem  Wege  entstandene  sekundäre  Genitaltuberkulose 
handelt. 

* 

3.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  G.  Februar  1907. 

Ulbricb  schildert  eingehend  den  Befund  eines  Koloboms 
der  Iris,  welches  durch  eine  beweglicbe  Membran  verschlossen 
war.  Aus  den  Bewegungen  dieser  Membran  glaubt  der  Voitiagende 
einen  Beweis  gegen  die  von  Weiß  und  von  Hamliui  gei  \ei- 


Ireteiien  Ansiebten  ülier  die  Entstellung  des  Kammerwassers  ab¬ 
lei  ten  zu  können. 

Fick:  Demonstration  His-S  legerscher  Modelle, 
nebst  Bemerkungen  über  die  Bedeutung  derselben  für  Forschung 
und  Unterricht. 

* 

4.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  13.  Februar  1907. 

V.  Jak  sch:  Demonstration  eines  Mediastinal- 
tum  0  r  s. 

Das  28jährige  Mädchen  leidet  seit  mehreren  Wochen  an 
Atemheschwerden,  für  welche  weder  die  physikalische,  noch  die 
laryngoskopische  -und  tracheoskopische  Untersuchung  Aufklärung 
gaben.  Das  Blut  zeigt  außer  einem  geringen  Grade  von  klein¬ 
zeiliger  Lymphozytose  keine  Veränderungen.  Die  Böntgenunter- 
suchung  envies  das  Vorhandensein  eines  Tumors  hinter  dem 
Oesophagus,  den  Vortragender  wegen  seiner  scharfen  Abgrenzung 
nach  unten  für  eine  Zyste  hält. 

Sitzenfrey:  Zur  His  to  genese  der  Mammakarzi- 
11  o  m  e. 

Ein  primäres  Adenokarzinom  des  linken  Ovariums  hatte 
zur  Bildung  eines  metastalischen  Tumors  im  rechten  Ovarium, 
zu  vereinzelten  Lymphgefäßmetastasen  im  Uterus  und  möglicher¬ 
weise  zur  Bildung  eines  Krebsknotens  in  der  rechten  Mamma 
geführt,  in  der  sich  außerdem  ein  sicher  primäres  Karzinom 
entwickelt  hat. 

V.  Franciue:  Demonstration  zur  Diagnose  der 
Genital  tuberkulöse. 

1.  Es  wird  durch  Nebeneinanderstellung  eines  Präparates 
von  Tubenkarzinom  und  eines  solchen  von  Tubenluberkulose 
gezeigt,  daß  der  Tastbetund  die  Differentialdiagnose  meist  nicht 
erlaubt,  welche  jedoch  aus  den  Begleitumständen  und  gelegentlich 
per  exclusionem  möglich  ist  (hier  entzündlicher  Tubentumor  bei 
einer  Virgo) ; 

2.  frische  deszendierende  Tubentuberkulose,  entstanden  im 
W'^ochenbett  nach  Abortus,  bei  vorherbestehender  Bauchfelltuber¬ 
kulose  mit  großem  Erguß; 

3.  doppelseitige  Tubentuberkulose,  diagnostiziert  aus  dem 
gleichzeitigen  tuberkulösen  Aszites  und  der  Anamnese; 

4.  tuberkulöse  Pyosalpingen,  welche  durch  besonders  hohe 
Lagerung  im  großen  Becken  ausgezeichnet  waren,  aber  wegen 
der  gioßen  Beweglichkeit,  bei  vollständig  fehlendem  Einfluß  auf 
das  Allgemeinbefinden,  als  Ovarialdeimoide  betrachtet  worden 
waren; 

5.  typisches  Präparat  von  Tuberkulose  der  inneren  Geni¬ 
talien,  mit  ausgedehnten  Verwachsungen,  Pseudozystenbildung, 
Ovarialabszeß  (kein  Fieber  —  Unzuverlässigkeit  der  Temperatur¬ 
verhältnisse  für  die  Diagnose); 

G.  Obduktionspräparat  eines  tuberkulösen,  von  den  Adnexen 
ausgehenden  Abszesses  hinter  dem  Uterus,  mehrfach  in  das 
Rektum  und  in  die  Blase  durchgebrochen. 

Am  Schlüsse  tritt  der  Vortragende  unter  Hinweis  auf  die 
günstigen,  von  Birnbaum  aus  der  Göttinger  Klinik  mitgeteilten 
Erfahrungen  für  die  Anwendung  diagnostischer  Tuberkulininjek¬ 
tionen  ein,  um  eine  möglichst  frühzeitige  Operation  zu  ermöglichen. 

* 

5.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  20.  Februar  1907. 

Ulbrich:  Plastische  Bildung  eines  neuen  oberen 
Augenlides. 

Ulbrich  demonstriert  einen  durch  eine  plastische  Operation 
geheilten  Fall  von  vollständiger  Zerstörung  des  Olmrlides  durch 
Karzinom.  Deckung  des  Defektes  aus  dem  Unterlide,  Ersatz  der 
Haut  des  letzteren  durch  einen  ungestielten  Oberarmlappen. 

V.  Jak  sch  demonstriert: 

a)  Vermutliche  Manganvergiftung  bei  einem  Manne, 
der  im  Manganbetrieb  von  1902  bis  190G  beschäftigt  war.  Er 
zeigt  etwas  skandierende  Sprache,  ferner  den  für  Mangantoxikose 
charakteristischen  spastischen  Gang,  Steigerung  der  Sehnenreflexe 
und  das  Symptom  der  Retropulsion. 

b)  Lokale  elektrische  Lichtbäder.  Sie  bestehen  aus 
verschieden  gebogenen  Metallrahmen,  an  welchen  Gliddampen 
montiert  werden,  die  mit  Stoff  überzogen  werden. 

c)  Böntgenbilder  und  ndkroskopische  Präparate  eines  Falles 
von  N i e  r e  n  t u b  e r k u  1  o s e.  Im  Harnsediment  charakteristische 
Anhäufung  von  Tuberkelbazillen  in  Nestern;  im  Böntgenbild  ein 
Schatten  in  der  Gegend  der  rechten  Niere. 

d)  Färbung  von  Meningokokken  mit  Methylgrün- 
Pyronin  Merck. 

Münzer:  Objektive  Blutdruckmessung. 

Demonstration  zweier  Einrichtungen,  durch  welche  es  mög¬ 
lich  ist,  die  in  der  Ri va-Bocci sehen  Armmanschette  vor  sich 
gehenden  pvdsatorischen  Druckschwankiiugen  graphisch  zu  ver- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  19 


zcicliueii.  Die  eine  derseli)en  entspricht  im  Prinzip  jener  Er¬ 
langers,  die  andere  ist  dadurch  ausgezeichnel,  daß  die  von 
der  Puini)e  zur  [Manschette  führende  Lei  lung  auf  eine  kleine  SLrecke 
durch  ein  dünnes  Guinmirohr  ersetzt  erscheint.  Dieses  ist  von 
ein^m  kleinen  Glasgehäuse  luftdicht  umgehen  und  überträgt  die 
pulsatoris(dien  Druckschwankungen  auf  die  im  Glasgehäuse  be¬ 
findliche  LufI,  hzw.  auf  den  Tambour  und  Schreihhehel.  [Macht 
dieser  die  größten  Ausschläge,  so  entspricht  der  Manschettendruck 
dem  diastolischen  Blutdruck;  schreibt  der  Hebel  mehr  oder  minder 
gerade  Linien,  so  übersteigt  der  Manschettendruck  den  systolischen 
Blutdruck. 

11  o  k  e  ;  U  e  b  e  r  A  g  g  r  e  s  s  i  n  e  im  Bl  u  t  e  bei  P  n  e  u  m  o  n  i  e. 

Bei  einem  Falle  von  schwerer  Diidokokkenpnemnonie  konn  ten 
im  Senun  infektionshefördernde  Eigenschaften  nachgewiesen 
werden,  indem  die  mit  Serum  und  Kultur  geimpfte  Maus  zehn 
Stunden  früher  starb  als  das  Kontrolltier.  Das  mit  Semm  allein 
injizierte  Tier  blieb  am  Leben.  Derartiges  findet  sich  nur  bei 

sehr  schweren  Fällen  von  Pneumonie. 

* 

G.  wissenschaftliche  Sitzung  vom  27.  Februar  1907. 

Waelsch:  a)  Demonstration  eines  Falles  von  Ar  sen¬ 
ke  ratose. 

Der  jetzt  34jährige  Patient  leidet  seit  dem  14.  Lebens¬ 
jahre  an  Psoriasis,  die  seit  der  letzten  energischen  Teer-  und 
Arsenbehandlung  nur  mehr  in  rasch  und  spontan  verschwindenden 
Schüben  auftritt.  Jetzt  weist  er  die  Erscheinungen  einer  typischen 
Arsenkeratose  mit  Bildung  zahlreicher  Warzen  auf.  Auch  ein 
Versuch  mit  Rontgenbehandlung  blieb  in  diesem  Falle  erfolglos. 

b)  Demonstration  eines  Falles  von  Psoriasis  verrucosa. 

Die  Erkrankung  besteht  bei  dem  nun  36jährigen  Manne 
seit  22  Jahren.  Die  Psoriasis  war  von  Haus  aus  atypisch,  ging 
mit  starker  Entzündung  und  Exsudaten  einher  (Psoriasis  rupoides), 
war  im  Anfang  auf  der  rechten  Körperhälfte  stärker  entwickelt 
als  links.  Auch'  die  warzigen  Wucherungen  begannen  auf  der 
rechten  Seite,  um  sich  dann  auch  an  den  symmetrischen  Stellen 
links  zu  entwickeln.  Am'  Stamm  beginnen  sie  sich  in  Form 
von  Streifen  zu  erheben,  die  der  Interkostalnervenausbreitung  ent¬ 
sprechen. 

Kreibich:  1.  Demonstration  eines  Falles  von  Pseudo¬ 
leukämie  der  Haut. 

Die  Haut  des  Kranken  zeigt  eine  große  Zahl  von  Tumoren, 
die  nach  Klinik  und  Histologie  mit  den  wahren  leukämischen  Tu¬ 
moren  der  Haut  vollkommen  identisch  sind.  Dabei  besteht  keine 
absolute  Vermehrung  der  Leukozyten  (w:r  —  1:700),  wohl  aber 
eine  prozentuale  Vermehrung  der  Lymphozyten  (69 o/o).  Daraus  geht 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  hervor,  daß  Pseudoleukämie  und 
lymphatische  Leukämie  nur  verschiedene  Grade  derselben  Vege¬ 
ta!  ionsstömng  sind  und  beide  von  der  myelogenen  J^eukämie 
zu  trennen  sind. 

2. - Demonstration  eines  Falles  von  1  ymp ha  tisch- snyelo- 
gener  Leukämie,  mit  einem  Exanthem  des  Stammes, 
das  im  Aussehen  an  die  Tumoren  des  ersten  Falles  erinnert, 
nach  der  Aal  des  plötzlichen  fieberhaften  Auftretens,  nach  der 
Schmerzhaftigkeit,  der  raschen  Rückbildung  und  der  Histologie 
aber  als  Erythema  nodosum  zu  deuten  ist. 

3.  Eines  Falles  von  chronischer,  zwei  Jahre  lang  be¬ 
stehender  Urtikaria,  atypischer  Prurigo,  bei  welchem 
seit  einem  Jahre  mächtige  Lymphdrüsentumoren  in  der 
Achselhöhle  und  am  Halse  aufgetreten  sind.  Das  Blut  ergibt  Ver¬ 
mehrung  der  Leukozyten  (30.000),  aber  nicht  der  Lymphozyten, 
sondern  der  neutrophilen,  polynukleären  Zellen  (88o/o). 

4.  Eines  Falles  von  R  e  i  n  f  e  c  t  i  o  syphilitica. 

5.  Demonstration  eines  Präparates  der  Arteria  basi- 
laris  cerebri  mit  Heubnerscher  Endar  terii  ti  s.  Der 
Kranke  war  ein  Jahr  nach  der  Infektion  unter  den  Symptomen 
der  Pseudobulbärparalyse  gestorben.  Die  Arterie  zeigt  prolife- 
rierende  Endaiieriitis,  gummöse  Infiltration  der  Media  und  Ad¬ 
ventitia. 

6.  Demonstration  eines  Präparates  nach  T^evaditi  von 
Pemphigus  lueticus  mit  deutlichen,  zahlreichen,  echten 
Spirochäten  im  Blaseninhalt,  in  der  Kutis  und  in  der  Gefäßwand. 

Bohac:  Demonstration  des  L  i  c  h  t  i  n  s  t  i  t  ii  t  e  s  der 
Klinik. 


Der  24.  Kongreß  für  innere  Medizin 

Sitzung  vom  26.  April  1907.  (Fortsetzung.) 
Vorsitzender:  Prof.  Finger. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Haberer. 

Das  zweite  Referat  hatte  S c h  1  ö s se r- München :  Erfah¬ 
rungen  in  der  N  e  u  r  a  1  g  i  e  b  e  h  a  n  d  1  u  n  g  m  it  A 1  k  o  h  o  1  c  i  n- 
s  [)  r  it  z  u  n  gen. 


Schlösser  fand  nach  vielen  Versuchen,  daß  Alkohol,  in 
70  bis  80“/üiger  Konzent, ration  an  den  Nerven  gebracht,  diese 
Stelle  des  Nerven  zur  Degenerierung  und  alle  seine  Teile  mit 
Ausnahme  des  Neurilem  zur  Resorirtion  bringt.  Seine  Erfahrungen 
bendien  auf  209  Fällen,  zum  Teil  mit  mehreren  Rezidiven,  im 
Laufe  der  letzten  fünf  Jahre.  Die  Fälle  sind  durchweg  alte,  die 
psychischen  sind  ausgeschlossen  worden.  Die  Methode  besteht 
darin,  daß  möglichst  große  Strecken  des  erkrankten  Nerven  und 
möglichst  zentralwärts  injiziert  werden.  Zur  Vermeidung  von 
Nebenverletzungen  wird  eine  kräftige  Nadel  mit  möglichst  stumpfer 
Spitze  und  um  gut  am  Knochen  entlang  tasten  zu  können,  von 
möglichst  geradem  Verlauf  gewählt.  Bei  Erkrankungen  des  dritten 
Trigeminusastes  sind  allerdings  gebogene  Nadeln  erforderlich.  Nach 
der  Art  der  Nerven  ist  der  Einspritzungsmodus  verschieden  : 
1.  Sensible  Nerven  sind  mit  wiederholten  Einspritzungen  von 
2  bis  4  g- Dosen  zu  behandeln.  2.  Bei  motorischen  Nerven  muß 
ein  Zustand  der  leichten  Parese  durch  sukzessive  Injektion  kleiner 
Quantitäten  des  Alkohols  erzielt  werden,  indem  nach  Abwarten 
von  etwa  fünf  Minuten  immer  wieder  etwas  Alkohol  zugefügt 
wird.  3.  Die  gemischten  Nerven  sind  wie  die  motorischen,  nur 
etwas  energischer  zu  behandeln. 

Der  Redner  erläutert  sein  Verfahren  an  einem  supponierten 
Fall  von  Trigeminusneui’algie.  Um  sicher  den  dritten  Ast  zu 
treffen,  fühlt  er  vom  Munde  aus  mit  den  Fingerspitzen  das 
innere  Ende  des  großen  Keilbeinflügels,  durchbohrt  mit  einer 
langen  Nadel  die  Wange  und  kommt  etwas  unterhalb  der  innen 
liegenden  Fingerspitze  in  die  Mundhöhle,  tastet  sich  unter  dem 
Finger  an  dem  großen  Keilbeinflügel  in  die  Höhe  bis  zur  Schädel¬ 
basis.  Aus  der  nun  angeschraubten  Spritze  wird  0-5  g  Alkohol 
injiziert,  was  der  Patient  mit  der  Angabe  lebhaften  Schmerzes 
im  Unterkiefer  beantwortet  und  nach  kurzer  Zeit  erneute  0-5  bis 
10  g.  Der  Schmerz  läßt  allmählich  nach,  die  Dosis  wird  noch 
einmal  wiederholt.  Es  tritt  ein  Gefühl  von  Brennen  im  Unter¬ 
kiefer  auf,  doch  kann  der  Patient  schmerzlos  sprechen.  Kommt 
am  nächsten  Tage  der  Schmerz  wieder,  so  wird  am  Tage  darauf 
mit  der  Knienadel  von  dem  Unterkiefeinvinkel  aus  an  der  Innen¬ 
seite  des  Unterkiefers  bis  zum  Foramen  mandibulare  in  die  Höhe 
gegangen  und  hier  injizieil.  Die  Unterlippe  wird  gefühllos,  der 
Kiefer  fühlt  sich  geschwollen  an.  Die  Anfälle  kommen  nun  nicht 
mehr  wieder.  Wenn  der  Patient  aber  noch  über  eine  peinliche 
Empfindung  im  Oberkiefer  klagt,  so  wird  von  der  vorderen 
Massetergrenze  etwas  unterhalb  des  unteren  .Jochbeinrandes  ein¬ 
gegangen,  der  Masseter  umstochen  und  mit  der  Nadel  am  Ober¬ 
kiefer  entlang  nach  der  [Mitte  und  etwas  nach  oben  hinten  vor¬ 
gegangen.  Bei  4V2  cm  Tiefe  ungefähr  kommt  man  in  den  Engpaß 
der  Fossa  pterygomaxillaris,  in  welcher  man  noch  1  cm  vor¬ 
dringt.  Jetzt  wird  wegen  der  großen  Schmerzen  langsam  und 
sukzessive  injiziert. 

Die  Heilung  ist  nur  eine  zeitweise,  sie  hält  ungefähr  ein 
Jahr  an,  die  Behandlung  muß  dann  wiederholt  werden.  Wo  man 
bezüglich  der  Lokalisation  im  Zweifel  ist,  muß  in  den  Kauf 
genommen  werden,  daß  in  diesem  Fälle  ein  Nerv  zu  viel  injiziert 
wird.  Narkose  ist  nicht  ratsam,  da  ja  dann  die  für  die  Beurteilung 
der  Prozedur  so  wichtigen  Schmerzen  ausfallen.  Als  üble  Zufälle 
hat  der  Vortragende  Paresen,  in  einem  Falle  eine  Paralyse  gesehen, 
die  in  spätestens  drei  Monaten  geheilt  waren.  Ferner  kann  durch 
Bindegewelisentwicklung  zwischen  den  Kaumuskeln  und  an  der 
Schädelbasis  eine  Kieferklemme  zustande  kommen.  Hier  helfen 
mechanische  Uebungen  und  schließlich  Fibrolysineinspritzungen. 

Von  den  behandelten  Fällen  waren  123  Tregeminusneur- 
algien.  Die  Dauer  bis  zum  Auftritt  des  Rezidivs  betrug  im  Durch¬ 
schnitt  10-2  Monate.  Von  38  Ischiasfällen  sind  bei  36  bisher 
keine  Rezidive  aufgeti'eten,  bei  zwei  Fällen  nach  drei  bis  sechs 
Monaten.  Bei  46  Okzipitalneuralgien,  acht  Armneuralgien,  einer 
Interkostalneuralgie,  zwei  Neuralgien  nach  Amputationen,  zwei 
Fällen  von  lanzinierenden  Neuralgien  bei  Tabes  kein  Rezidiv. 
Von  elf  Fällen  von  Fazialisklonus  sind  in  neun  Fällen  Rezidive 
nach  drei  bis  sieben  Monaten  aufgetreten. 

I  Was  die  Endresultate  betrifft,  so  ist  die  Kr  a  use  sehe 
Operation  fraglos  vorzuziehen  bezüglich  des  Dauereffektes,  doch 
spricht  gegen  sie  die  hohe  Mortalität.  Schließlich  scheint  jetzt 
nach  fünfjähriger  Erfahrung  festzustehen,  daß  bei  wiederholten 
Einspritzungen  die  Rezidive  immer  später  auftreten. 

In  der  Diskussion  schilderte  zunächst  Lang  e- Leipzig 
die  Behandlung  der  Neuralgien  durch  Injektionen  unter  hohem 
Druck.  Die  injizierten  großen  Flüssigkeitsmengen  dehnen  Und 
lockern  den  Nerven.  75  bis  450  g  werden  direkt  in  den  Nerven 
gespritzt,  worauf  in  manchen  Fällen  sofortige  Schmerzlosigkeit 
eintritt.  Wenn  auch  mit  reinem  Kochsalz  wohl  dieselben  Resul¬ 
tate  zu  erzielen  sind,  so  empfiehlt  es  sich  doch,  wegen  der  ge¬ 
ringen  SchmerzhaRigkeit  zur  8%oigen  Kochsalzlösung  iVoo  Eukain 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


587 


zuzüsetzen.  Das  Verfahren  bei  Ischias  ist  folgendes:  Zunächst 
wird  zwischen  Trochanter  major  und  Tuber  ischii  eine  Schl  ei  ch- 
sche  Quaddel  angelegt,  dann  durch  allmähliches  Tiofergehcn  das 
darunterliegende  Gewebe  langsam  infiltriert  und  in  den  Nerven, 
der  sich  durch  eine  lebhafte  Schmerzäußerung  des  Patienten  als 
richtig^  getroffen  kennzeichnet,  eine  gewisse  Quantität  injiziert. 
Ein  his  zwei  Stunden  nach  der  Injektion  setzt  ein  lebhaftes 
Spannungsgefühl  ein,  das  allmählich  ahklingt.  Auffallend  ist,  daß 
Vs  aller  Fälle  eine  nur  Avenig  Stunden  anhaltende  Temperatur¬ 
steigerung  haben.  Ein  Nachteil  der  Methode  ist,  daßi  man  so  große 
Flüssigkeiten,  wie  zu  gutem  Gelingen  erforderlich  sind,  nicht 
an  alle  Nerven  heranbringen  kann.  Ambulant  darf  das  Verfahren 
nicht  ausgeführt  werden;  die  Rezidive  sind  erklärlich,  da  der 
Nerv  ja  durch  die  Injektion  keine  Veränderung  erleidet.  Der  große 
Vorteil  liegt  darin,  daß  die  Methode  von  jedem  aseptisch  ar¬ 
beitenden  Arzte  ausgeführt  werden  kann.  Von  zwölf  akuten  Fällen 
von  Ischias  sind  elf  geheilt,  von  zehn  subakuten  neun  und  von 
21  chronischen  Fällen  (bis  elf  Jahre  dauernd)  17  und  einer  ge¬ 
bessert.  Vier  Fälle  rezidivierten,  zwei  Fälle  von  Femoralisneu- 
ralgie,  drei  Peroneus-,  eine  Tibialis-,  zwei  Interkostalneurälgienl 
sind  glatt  geheilt  und  von  vier  Trigeminusneuralgien  drei. 

Alexander-Berlin  legt  keinen  Wert  darauf,  den  Nerven 
selbst  zu  treffen,  sondern  injiziert  10  cm^  der  Schleichschen 
Lösung  II  an  den  Ort  des  Schmerzes,  der  für  jeden  Fall  genau, 
bestimmt  werden  muß.  Die  Schmerzpunkle  bei  Ischias  z.  B. 
sitzen  oft  an  dem  Tuber  ischii,  dem  Trochanter  und  der  Kreuz¬ 
heinwand,  wo  gar  keine  größeren  Nerven  verlaufen  und  die 
Muskeln  und  ,  Aponeurosen  schmerzhaft  sind.  Von  zehn  Fällen 
sind  sieben  geheilt  und  zwei  gebessert  worden,  von  den  geheilten 
bestanden  einige  Jahre  lang  (bis  zu  20);  es  wurden  ein  bis 
sieben  Injektionen  in  den  einzelnen  Fällen  ohne  .alle  Neben¬ 
wirkungen  ausgeführt.  Die  Injektionen  lassen  sich  auch  mit  gutem 
Erfolge  bei  myalgischen  Schmerzen,  'wie  bei  Lumbago,  Nacken¬ 
myalgien  anwenden.  Da  bei  den  Neuralgien  stets  die  Mus¬ 
kulatur  beteiligt  ist,  ist  sorgfältige  Behandlung  derselben  zur  Er¬ 
reichung  guter  Resultate  unerläßlich. 

G  0 1  d  s  c  h  e  i  d  e  r  -  Berlin  glaubt,  daß  die  endoneurale  Be¬ 
handlung  stets  die  Domäne  'einzelner  Spezialisten  bleiben  wird. 
Er  hat  die  vom  Vorredner  mit  Schleichschen  Injektionen  belian- 
delten  Fälle  gesehen  und  rühmt  die  guten  Resultate.  Die  Wirkungs¬ 
weise  der  Injektionen  beruht  auf  einer  Herabsetzung  der  Erreg¬ 
barkeit  des  Nerven.  Ehe  man  sich  zu  den  endonc'uralen  Injektionen 
entschließt,  sollten  zunächst  die  von  Alexander  empfohlenen 
Injektionen  eventuell  bei  Ischias,  z.  B.  in  Kombination  mit  Dehnung 
und  Wärme  versucht  werden. 

F.  Krause -Berlin  wendet  sich  gegen  die  von  anderer 
Seite  aufgestellte  Behauptung,  daß  nach  guter  Entfernung  der 
Ganglien  jemals  Rezidive  der  Neuralgien  möglich  sind.  Es  werden 
trotz  aller  empfohlenen  Methoden  immer  Fälle  übrig  bleiben, 
wo  die  Ganglienresektion  die  letzte  Hilfe  ist.  Eine  doppelseitige 
Operation  ist  allerdings  der  Ausfallserscheinungen  wegen  unmög¬ 
lich.  Krause  hat  bis  jetzt  56  Resektionen  mit  acht  Todesfällen 
ausgeführt.  Die  Resultate  haben  sich  in  letzter  Zeit  verschlechtert, 
weil  außerordentlich  desolate  Fälle  zur  Operation  zugeschickt 
wurden,  bei  denen  Morphium  und  alle  anderen  Mittel  erfolglos 
blieben. 

Pe  ritz  -  Berlin  glaubt,  daß  ein  Teil  der  Neuralgien,  be¬ 
sonders  die  Brachialgien,  keine  echten  Neuralgien  sind.  Unter¬ 
sucht  man  Kranke  mit  derartigen  Schmerzen,  so  kann  man  immer 
feststellen,  daß  neben  den  Schmerzen  in  der  Haut  Druckschmerzen 
in  typischer  Verteilung  in  ganz  beslimmten  Muskelpartien  Amr- 
hanclen  sind.  In  akuten  Fällen  ist  die  Sonderung  scliAver  vorzu¬ 
nehmen,  weil  meistens  dann  viel  größere  Bezirke  des  Gliedes 
erkrankt  sind.  In  chronischen  Fällen  kann  man  immer  finden, 
daß  der  Deltoideus,  der  oberste  Teil  des  Korakoideus,  der  mittlere 
Bauch  des  Bizeps  und  der  Supinator  longus  schmerzhaft  sind 
u.  zw.  auch  in  der  anfallsfreien  Zeit.  Ueber  diesen  Stellen  ist 
die  Haut  hyperästhetisch,  hyperalgetisch  gegen  Nadelstiche  Und 
vor  allem  gegen  faradischen  Reiz.  Gegen  die  Diagnose  Neuralgie 
spricht  in  diesen  Fällen,  daß  die  Schmerzstellen  der  Muskeln 
von  anderen  Nerven  versorgt  werden  als  die  darüberliegenden 
Hautpartien.  In  Analogie  zur  Dermatomyositis  ist  es  Aveit  ver¬ 
ständlicher,  eine  Miterkrankung  der  über  den  Muskelpartien  liegen¬ 
den  Haut  als  eine  Neuralgie  der  verschiedensten  Nerven  an¬ 
zunehmen. 

Daß  die  Brachialgien  und  andere  derartige  Erkrankungen  auf 
IMyalgien  zurückzuführen  sind,  geht  ferner  aus  den  erfolgreich' 
in  die  Muskeln  und  nicht  in  die  Neiwen  ausgeführten  Injektionen 
von  0'20/oiger  Kochsalzlösung,  der  Novokain  und  Adrenalin  zu¬ 
gesetzt  ist,  hervor.  Was  den  Zusammenhang  von  Myalgien  mit 
Hysterie  betrifft,  so  ist  für  den  hysterischen  Charakter  die  Art, 


wie  das  Nervensystem  auf  die  i\Iyalgien  reagiert,  bestimmend. 
Der  einfache  Schmerz  ist  nicht  hysterisch.  Bildet  sich  aber  bei 
derartig  erkrankten  Individuen  die  Vorstellung  aus,  den  Arm 
nicht  bcAvegen  zu  können,  so  ist  das  hysterisch.  So  ist  eine 
Abasie,  eine  Astasie  hysterisch,  Avähreud  die  Myalgien,  die  die 
Vorstellung  des  Nichtgehenkönnens  erzeugen,  nur  rhcumalisch, 
nicht  hysterisch  sind. 

Brieger-Berlin  trilt  delu  Schemalismus  in  der  Nouralgie- 
behandlung  entgegen.  In  600  Fällen  von  Ischias  hat  er  bis  80^, o 
Heilungen  erreicht.  Schädlich  ist  die  kritiklose  Massage  akuter 
Fälle.  Neben  anderen  physikalischen  Prozeduren  ist  die  trockene 
Wärme  bei  oberflächlichen,  die  nasse  bei  tiefergelegenen  Neural¬ 
gien  Amn  guter  Wirkung. 

Han  au -Frankfurt  macht  auf  die  Saugbehandlung  mittels 
trockener  Schröpfköpfe  aufmerksam,  die  gut  Avirkt,  genau  lokali- 
sierbar  und  leicht  anwendbar  ist.  10  bis  15  Minuten  Averden  alle 
zAvei  bis  drei  Tage  bis  zum  VerschAvinden  der  Schmerzpunkte 
die  Schröpfköpfe  auf  den  genau  aufgesuchten  Druckpunkten  be¬ 
lassen.  Im  allgemeinen  sind  drei  bis  sieben  Sitzungen  nötig 
geAvesen. 

MinkoAvski-GreifsAvald  hat  gute  Erfolge  bei  Ischias  mit 
der  Stovainlumbalanästhesierung  gehabt. 

F  i  n  k  e  1  e  n  b  u  r  g  -  Bonn  hat  pathologisch  -  anatomische 
Studien  über  die  Einspritzung  von  Alkohol,  Kochsalz,  Kokain  etc. 
an  Tieren  gemacht  und  hat  starke  Degenerationen  bei  Alkohol, 
geringere  bei  den  anderen  Mitteln  gefunden.  Immer  haben  die 
Tiere  aber  Lähmungen  bekommen,  so  daß  der  Widerspruch  nicht 
erklärljar  ist,  daß  man  beim  Menschen  keine  Lähmungen  oder 
doch  nur  sehr  selten  sieht.  Auch  haben  sich  die  Injektionen 
in  den  Nerven  hinein  sehr  scliAvierig  gezeigt,  so  daß  die  Annahme 
gerechtfertigt  scheint,  die  meisten  Injektionen  Averden  nicht  in 
den  Nerven,  sondern  in  seine  Nähe  gemacht. 

V.  N  0  0  r  d  e  n  -  Wien  betont  nachdrücklichst,  daß  jeder  Patient 
einer  länger  dauernden  Bettruhe  bedarf.  Unbedingte  Bettruhe 
und  einige  Aspiringaben  verhüten  viel  späteres  Leiden.  Akute 
Neuralgien  im  Anschlüsse  an  akute  Infektionskrankheiten  Averden 
oft  in  zAvei  bis  drei  Tagen  durch  nicht  zu  kleine  Dosen  iMethylen- 
blau  geheilt. 

Stintzing- Jena  kann  nicht  zugeben,  daß  die  meisten 
Neuralgien  neUritischer  Natur  sind.  Eine  Entzündung  müßte  den 
ganzen  Querschnitt  des  NcrAmn  befallen  und  also  auch  die  mo¬ 
torischen  Fasern  und  diffuse  Symptome  hervorrufen.  Man  muß 
Störungen  toxischer  Natur  annehmen.  .Stoffwechselprodukte,  die 
eine  Affinität  zu  den  sensiblen  Fasern  haben.  Die  künftige 
Forschung  Avird  auch  hier  auf  dem  Gebiete  der  Chemie  anzusetzen 
haben. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Fortsetzung.) 

Referent :  Dr.  ]\Iax  L  i  t  th  a u e  r. 

2.  Sitzungstag,  4.  April  1907. 

Sudeck-Hamburg  hat  Injektionspräparate  mittels  Auf- 
schAvemmung  Amn  Älonninge  in  (3el  hergestellt  und  ist  zu  dem 
gleichen  Resultat  gelangt,  Avie  Manas se. 

Blumberg:  Zur  Bauchschnittechnik  (mit  Kranken¬ 
vorstellung). 

Da  die  aseptische  Heilung  bei  Laparotomien  etc.  besonders 
leicht  durch  ein  stark  entAvickeltes  Fettpolster  Störungen  erleidet, 
so  exstirpiert  Blumberg,  nachdem  ein  kleiner  Schnitt  durch 
Haut  und  Pannieuius  adiposus  geführt  ist,  das  subkutane  Fett- 
geAvebe  in  seiner  ganzen  Dicke  auf  einige  Zentimeter  hin  keil¬ 
förmig  .Amn  der  SchnittAAmude  aus.  Dadurch  Avird  zugleich  er¬ 
reicht,  daß  der  Schnitt  bei  starkem  Pannieuius  nicht  größer  zu 
sein  braucht  als  bei  mageren  Patienten.  Da  ferner  die  Festigkeit 
der  Bauchnarbe  fast  ausschließlich  Amn  der  lückenlosen  Verheilung 
der  Aponeurose  abhängt,  so  Avird  eine  postoperative  Hernie 
um  so  eher  vermieden,  je  kleiner  der  Aponeurosenschnitt  ist; 
deshalb  macht  Blumberg  nur  eine  kurze  Inzision  der  Aponeu¬ 
rose  und  unterminiert  dieselbe  stumpf  in  der  Umgebung  des 
Schnittes,  an  den  Schnilträndern  und  besonders  in  den  Wund- 
Avinkeln,  auf  einige  Zentimeter,  Avas  sehr  leicht  geschieht.  Durch 
diese  Mobilisierung  der  Aponeurose  Avird  die  Zugäng¬ 
lichkeit  zum  Abtlomen  erhöht.  —  Bei  der  primären  Vernähung 
Avird  bei  der  Aponeurosennaht  der  darunler  liegende  Muskel  ober¬ 
flächlich  mitgefaßt;  die  subkulane  Fettschicht  Avird  durch  isolierte 
fortlaufende  Naht  vereinigt.  Auf  den  Verband  kommt  für  einige 
Tage  ein  Sandsack  von  Va  bis  1  kg.  Alle  so  operierten  Fälle 
sind  per  piimain  inten tionem  geheilt.  Selbst  bei  starkem  Fett¬ 
polster  Avar  nur  ein  Schnitt  von  ca.  4cm  Länge  nötig  und 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  19 


r--  ■ 


Irolzdcni  es  sieli  bei  den  vorgestelUen  Palionteu,  bei  denen  Hluin- 
bei'g  die  InlerVallopeialion  der  Appendizilis  ausgefnhrl.,  ‘nni 
seluversie  fläclienballe  Adhäsionen  liandcUe,  koniiLe  der  Api)cndix 
trolz  (b'r  Khdidieit  des  Scdinittes  mit  (lern  Ange  anfgesucht  Averde}i. 

])i(3  Exstirpation  des  Fettg’ewej)es  hat  t5lnnil)org  iiicht 
nur  l)ei  Laparotomien,  sondern  ancdi  bei  Operationen  von  Hernien 
und  so  weiter  angewandt.  (Selbstberielit.) 

W 11 1 1  s  te  i  n  -  Halle  demonstriert  drei  Präparate.  Das  ('rste 
stellt  eine  gastrodnodenale  Erwciterüng  in  Sandnhrform  vor.  Heim 
Pylr)i'us  findet  sich  ein  Ulkns;  das  Dnodennm  ist  fixiert  und  ali- 
geknickt.  Das  zweite  Präparat  ist  ein  Sandnbrmagen,  der  von 
einer  Sollislmördcrin  stammt.  Die  sandnbrförmigc  Erscheinung 
ist  durch  starkes  Schnüren  hervorgerufen.  Das  dritte  ih'äparat 
stammt  von  einem  Patienten,  der  an  Oesophagnskarzinom  litt. 
Es  wurde  eine  Ciaslroslomie  gemacht,  ])ei  der  sich  der  Magen  nur 
s(dir  schwer  hervorziehen  lieh.  Hei  der  Sektion  zeigte  sich,  daß 
ein  Eiliromyom  der  liinteren  Magenwand  das  Hervorzieheii  ver¬ 
hindert  hatte. 

Schmitt-IMünchen  hat  in  14  Fällen  von  Sanduhrmagen 
oiteriei't  n.  zw.  wurden  verschiedene  Eingriffe  vorgenommen.  Die 
Noi'maloperation  ist  für  ihn  die  Gastroonteroanastomia.  retrocolica, 
mit  der  gute  HesPltate  erzielt  Avurden. 

Heerink-Fieibui'g  i.  H.;  Ueber  einige  Wirkungen 
des  sogenannten  i  n  t  r  a  a  b  d  om  i  ne  1 1  e  n  1)  ruck  es. 

Heer  ink  berichtet  über  Experimente,  durch  welche  er 
den  Nachweis  erhringen  konnte,  daß  in  der  Abdoniinalhöhle.  ab¬ 
gesehen  von  dem  Magendarmkanal,  ein  negativer  Druck  herrscht. 

S  c  h  in  it  t- München  :  Komplikationen  nach  Magen¬ 
resektionen. 

Schmitt  herichlet  zunächst  über  einen  Fall  von  Magen¬ 
resektion,  in  dem  mehr  als  die  Hälfte  des  Magens  reseziert! 
Avnrde.  Hat.  stand  am  zwölften  Tage  nach  der  Operation  auf, 
mit  gut  funklionierendem  Magenrest.  Einige  Tage  s[)äter  ging  die 
Laparotomiewunde  teilweise  auseinander.  Es  iirolabierte  das  Netz, 
das  abgetragen ^Avurde.  Dann  nochmaliger  Nelzprolaps,  der  wieder- 
nm  abgetragen  Avnrde.  Es  residtiertc  eine  Zeitlang  eine  Fistel, 
die  sich  nach  einiger  Zeit  spontan  schloß. 

Der  zweite  Fall  betrifft  eine  48jährige  Patientin,  bei  der 
eine  Pyloj'usresektion  gemacht  Avurde.  Es  mußte  ein  großes  Stück 
vom  Dnoilenüm  entfernt  AA^erden,  daher  konnte  das  Duodenum  nicht 
an  den  Magen  herangebracht  werden.  Es  Avurde  deshalb  die  ZAveite 
H  i  1 1  r  ot  h  sehe  Operation  ausgeführt.  IV2  Jahre  Avar  die  Kranke 
gesund.  Da  erkrankte  sie  an  einer  doppelseitigen  Pneumonie, 
die  kritisch  abheilte.  Während  dieser  Erkrankung  mußte  die 
Ikitientin  sehr  viel  husten.  Dadurch  entstand  in  der  Narbe  eine 
Vorwölbung;  schließlich  öffnete  sich  an  einer  Stelle  eine  Duo¬ 
denalfistel  an  der  Stelle,  avo  das  Duodenum  zirkulär  vernäht  Avar. 
Die  Fistel  Avurde  operativ  geschlossen. 

Heile- Wiesbaden:  Neue  H eo b ach  1  n  11  g e n  über  die 
Eilt  Stellung  und  Hehandlung  p  o  s  t  o  p  e  r  a  ti  v  e  r  Darm- 
s  t  ö  r  u  n  gen. 

Heile  macht  auf  hartnäckige  Darmkalarrhe  und  Diarrhoe 
aufmerksam,  Avelche  nach  Darmoperationen  auftraten.  Er  ist  auf 
Grund  seiner  Versucdie  und  Beohachtungen  zu  der  Anschauung 
gedangt,  daß  diese  Patienten  zu  viel'  Alkali  ausscheiden.  Durch 
diese  Alkaliarmut  Avird  der  dtarminhalt  nicht  genügend  neutrali¬ 
siert.  Der  nicht  neutralisierte  Darminhalt  reizt  zu  Diarrhöen. 
Schließlich  kommt  es  zu  vergiftungsähnlichen  Zuständen.  Man 
muß  bei  am  Darm  oder  Magen  zu  Operierenden  nach  früheren 
Diarrhöen  fahnden  und  nötigenfalls  schon  prophylaktisch  Alkaliim 
zuführen.  Auch  A\"enn  die  Zustände  eingetreten  sind,  müssen  sie 
diindi  Alkalien  bekämiift  Averden.  Eventuell  ist  es  erforderlich, 
Lösungen  von  NallCO^  in  die  Venen  einzuspritzen.  Die  erwähnten 
Darmstöiungen  kündigen  sich  durch  das  Auftreten  von  Azet- 
essigsäure  im  Urin  an.  Tritt  Heilung'  ein,  so  verscliAvindet  die 
Azetessigsäure  Avieder. 

P  a  y  r  -  G  raz  :  E  x  p  e  r  i  in  e  n  1  e  1 1  e  Unters  u  c  h  u  n  g  e  n 
über  Magenveränderungeil  als  Folge  von  Thrombose 
und  Embolie  im  Pf  o  r  t  ad  e  r  g  e  b  i  e  t. 

SoAvohl  durch  Vereisung  des  Netzes  mit  dem  Chloräthyl¬ 
strahl  als  auch  durch  hoho  Temperaturen  gelingt  es,  Venenthrom- 
bosc  zu  erzeugen  und  Averden  die  gebildeten  Pröpfe  leicht  t^e- 
lockert  und  lehciAvärts  verscliAvemmt.  Als  Folge  finden  sich  in 
einem  Teile  der  Fälle  Magenveränderungen. 

Eine  andere  \'ersuchsanortlnUng  besteht  darin,  daß  in  die 
\Mnen  des  Netzes  mittels  feiner  Kanide  korpuskuläre  Elemente 
in  Emidsion  (Tusidie,  Dermatol)  oder  fettige  Substanzen  (Oel, 

\  aseline,  Paraffin)  oder  endlich  Gelatine  eingespritzt  Averden. 
Diesellien  gelangen  auf  dem  Wege  der  retrograden  Embolie  in 
die  submukösen  und  präkapillaren  MageiiAxmen,  verstopfen 
diese  und  erzeugen  dadurch  Blutung,  hämorrhagische  Infarzierung, 
Erosionen  und  GescliAvüre. 


Auch  durch  fortgcleitete  Veiienthronibose  entstellen  älmiiche 
Veränderungen.  Hei  embolischer  Genese  sind  die  zu  beobachten¬ 
den  Magenveränderungen  meist  mulli])cl. 

Hei  Kindern  Averden  dieselben  fast  nie  beoliachtet;  hiefür 
sind  eigentümliidie  K 1  ap  pe  11  b  i  1  d  u n  ge  n  in  den  Magenvenen, 
die  nur  dem  kindlicben  Alter  zukominen,  Amrantworilich  zu  imachen. 

Endlich  berichtet  der  Vorlragende  noch  über  mehrere  ein¬ 
fache  Exjieriniente  an  den  Älesenterialvenen,  um  das  Wesen 
der  sogenannten  retrograden  Embolie  im  Pfortader- 
kroislaufe  zu  studieren.  Es  gelingt  durch  Verlegung  einer 
größeren  Gekrösveno  unmittelbar  nach  Vereinigung  zAveier  Aeste 
durch  Füllung  des  Gefäßes  mit  gefärliter  Flüssigkeit,  den  Vorgang 
derselben  direkt  der  Heobachtung  zugänglich  zu  machen  (Ver¬ 
schleppung  künstlicher  Emholic  in  periphere  Darmvenen). 

Die  so  geAvonnenen  Ergebnisse  lassen  sich  auch  auf  Netz- 
und  Magenvenen  übertragen. 

Der  Vortragende  erläutert  seine  Ausführungen  durch  Demon¬ 
strationen  von  Präparaten,  soAvie  makroskopischen  und  mikro¬ 
skopischen  Bildern  der  Vorgefundenen  Magenveränderungen  (Ab¬ 
bildungen  zabli'eicher  embolischer  Magenidzera).  (Selbstbericht.) 

Deutsch  1  än  der:  V  e r r e nk u n  g s  b r  ü c h e  des  Os  na- 
V  i  c  Li  1  a  r  e  pedis  und  deren  F  0  1  g  e  n. 

De  u  ts  c  h  I  ä  n  d  e  r  glaubt,  daß  diese  Fiaktnr  häufiger  vor¬ 
kommt,  als  man  bisher  angenommen  hat.  Er  hat  selbst  fünf  Fälle 
beobachtet.  Hei  allen  handelt  es  sich  um  geringfügige  Traumen, 
welche  die  Fraktur  hervorgerufen  haben.  Klinisch  stellt  sich 
die  Erkrankung  nur  als  eine  Distorsio  pedis  dar.  Die  Diagnose 
Fraktur  kann  erst  tlurch  das  Höntgenbild  gestellt  werden.  Die 
Entstehung  d(‘r  Fraktur  ist  leine  indirekte.  Die  Brüche  des  Os 
naviculare  haben  eine  praktische  Bedeutung.  Es  entwickelt  sich 
häufig  eine,  schwer  deformierende  lEiitzündung  des  Chopart- 
schen  Gelenkes  nach  diesen  Frakturen.  Für  die  Nachl)ehandlung 
em])fiehlt  er  unter  Umständen  auch  operativm  Eingriffe:  Talus- 
exstirpali’on  oder  Resektion.  Er  hat  damit  befriedigende  Erfolge 
erzielt.  Die  Patienten  sind  schmerzfrei  geworden  tmd  konnten 
den  Fußi  Avieder  •gehrauchen. 

S  e  ni  e  1  e  d  e  r  -  Wien  d emonstriert  einen  Schub  zur  H  e- 
handlung  des  Plattfußes. 

Durch  Ahbildungen  Avird  die  Wirkung  dieses  Schuhs  er¬ 
läutert;  es  handelt  sicdi  dabei  um  HebelAvirkungen.  Das  Avichtigste 
Prinzip  des  Schuhs  ist  ein  federnder  Absatz.  Semeleder  hat 
durch  die  Hehandlung  mit  diesem  Schuh  seihst  in  sehr  sclnveren 
Fällen  \mn  Plattfuß  noch  gute  Erfolge  erzielt. 

S  ch  1  o f  fe r  -  Innsbruck  :  Allmähliches  Entstehen 

einer  zentralen  11  ü  f  t  g  c  1  e  11  k  is  1  u  x  a  t  i  o  n. 

Sch  hoffe  r  herichlet  über  einen  Fall,  in  dem  eine  Hecken- 
fraktur,  welche  auch  die  l^faune  getroffen  hatte,  aufgetreten  war. 
Ohne  daß  eine  Dislokation  der  Fragmente  Vorgelegen  hätte,  Avar 
allmählich  der  Kopf  ties  Femurs  durch  die  Fraktur  in  die  Hecken- 
höhlo  eingedrungen.  Schl  offer  ist  der  Meinung,  daß  die  vom 
Hecken  zum  Oherschenkel  ziehenden  Muskeln  allmählich  den 
Schenkelkopf  durch  den  Bruchspalt  in  die  Beckenhöhle  hinein¬ 
gepreßt  hal)en. 

K ü ste r- Marbuj'g  protestiert  dagegen,  daß  man  in  diesem 
Falle  von  einer  Luxati(m  spricht.  Es  hat  sich  um  eine  Hecken- 
fraktur  gehandelt,  mit  sekundärer  Dislokation  des  Schenkelkopfes. 

Sc  hl  off  er  gibt  das  zu,  betont  aber,  daß  bei  der  von 
ihm  goAvählten  Bezeichnung  dem  allgemeinen  klinischen  Sprach- 
gebrauche  gefolgt  sei. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitas:  den  10.  Mai  1907,  7  Ulir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Professor  Dr.  Leopold  Königsteiu 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Diskussion  zum  Vortrage  des  Herrn  Primarius  Doz.  Dr.  Laizko : 
Die  chirurgische  Therapie  des  Puerperalprozesses.  (Zum  Worte  gemeldet: 
Primarius  Dr.  Fabriciiis  und  Priv.-Doz.  Dr.  Halban.) 

2.  Professor  Dr.  M.  Benedikt:  Physiologie  und  Pathologie  der 
Zirkulation. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Ophthalmolo gische  Gesellschaft  in  Wien. 

Programm  zu  der  am  MittATOch  den  15.  Mai  1907,  7  Uhr  abends 
im  Hörsaal  der  Klinik  Fuchs  staltfindenden  Sitzung. 

1.  V.  Hanke:  Ueber  einige  seltenere  Infektionen  des  Auges. 

2.  V.  lleiiß :  Ueber  eine  optische  Täuschung. 

Nach  der  Sitzung  gesellige  Zusammenkunft  im  Riedhof. 


V«rtntworUich«r  Radakttor:  Adalbert  Karl  Tmpp.  Yarlag  ron  Wilhelm  Branmfiller  in  Wien. 

Drnok  ron  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  Theresieneasse  8. 


rr  ^ 

Die 

„Wiener  klinische 
Wochenschrifl** 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 

^  . — ^ 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof,  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


- . 

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Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
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zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
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Telephon  Nr.  17.618. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  16.  Mai  1907.  Nr.  20. 


INH 

1.  Origiiialartibel;  1.  Erkältung.  Von  Prof.  Dr.  K.  Chodounsky 
in  Prag. 

2.  Aus  der  Prosektur  der  mährischen  Landeskrankenanstalt  in 
Brünn.  (Vorstand:  Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  Carl  Sternberg.) 
Zur  Kenntnis  des  myeloiden  Chloroms.  Von  Dr.  Karl  Meixner, 
Assistenten. 

•  3.  lieber  die  Frühdiagnose  des  Magenkarzinoms.  Von  Dr.  Ludwig 
V.  Äldor,  Karlsbad. 

4.  Ueber  den  Einfluß  der  Sänglingsernährnng  auf  die  körperliche 
Rüstigkeit  der  Erwachsenen  nebst  Bemerkungen  über  Still¬ 
dauer.  Von  Dr.  Josef  K.  Fried  jung. 


Erkältung. 

Von  Prof.  Dr.  K.  Chodounsky  in  Prag. 

Meine  letzte  Publikal.ion  über  Erkältung^)  liai,  in  der 
Presse  manche  Einwendungen  hervorgerufen,  welche  mir 
Anlaß  gehen,  nochmals  in  allgemeinen  Zügen  auf  diese 
wichtige  Frage  znriickziikommen. 

Unter  Erkältung  versteht  man  allgemein  den  krank¬ 
machenden  Einfluß  irgendeiner  Kältewirkimg,  aber  schon 
die  Deutung  des  Vorganges  ist  divergent  und  hypothetisch 
und  die  Ansichten  über  die  aiislösenden  k'äktoren  einander 
widersprechend.  Bezüglich  der  letzteren  werden  alle  Ah- 
stufungen,  was  Dauer  und  Intensität  von  Kältereizon  be¬ 
trifft,  angenommen  und  wieder  von  einzelnen  Autoren  ver¬ 
worfen,  je  nachdem  sie  zu  der  jeweiligen  Auffassung  paßten 
oder  nicht. 

Zu  den  Vertretern  der  Ansicht,  daß  schon  die  schwäch¬ 
sten  thermischen  Reize  eine.  Erkältung  bedingen  können, 
gehört  Rnbner,^)  der  ans  seiner  Arbeit  folgert:  „Die  ge¬ 
ringfügigste  Luftströmung  (Temperatur  hei  Menschenver¬ 
suchen  nicht  angegeben),  für  unsere  Instrnmeinle  nnmeß- 
har  und  für  die  Haut  nicht  wahrnehmhar,  wird  wirksam. 
Was  man  Zug  nennt,  sind  immer  schon  gröbere  Lyfthewc- 
giingen;  nach  meinen  Ergehnissen  kann  man,  also  von  einem 
,Zng‘  getroffen  werden,  den  wir  nicht  ahnen  und  dem  wir 
nicht  answeichen  können,  weil  wir  ihn  nicht  sofort,  son¬ 
dern  erst  an  den  Folgen  und  vielfach  za  spät  erkennen.* * 

Riihner  erklärt  die  scliädigende  Wirkung  insensibler 
Luftströmungen,  daß  diese  unter  der  Reizschwelle  des  regu- 

1)  Erkältung  und  ErkälUmgskrankheiten.  Wien  1907,  J.  Safdf. 

*)  Ueber  insensible  Luftströmungen.  Archiv  für  Hyg.,  Bd.  50. 


ALT: 

5,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Lehre  vom  Basalzellen¬ 
krebs.  Von  Dr.  Hermann  Coenen,  Assistenten  der  königl. 
chirurgischen  Universitäts  Klinik  in  Berlin. 

II.  Referat;  Der  Arzt.  Von  Ernst  Schweninger.  Besprochen 
von  Alex.  Fraenkel. 

III.  Sammelreferat:  Entwicklung  und  Ergebnisse  der  Lumbal¬ 
anästhesie.  Sammelreferat  von  Dr.  E.  Venus,  Assistenten  der 
chirurgischen  Abteilung  der  Wiener  Poliklinik. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nndKongreßberichte« 


latorisclien  Apparates  liegen,  wodurch  solche  Stellen,  die 
der  bewegten  Luft  ausgesetzt  waren,  nicht  genügend  mit 
Rillt  versehen  werden,  ,,was  natürlich  mit  Leichtigkeit  hätte 
geschehen  müssen,  wenn  die  Reize  richtig  emptundeii  und 
vorn  Körper  verarbeitet  worden  wären“. 

Das  Angeführte  involviert  zwei  Bohaiiptimgen  von  prin¬ 
zipieller  Redeutung  n.  zw.  erstens,  daß  thermische  Reize 
nur  dann  verarbeitet  werden,  wenn  uns  diese  bewußt 
werden,  und  zweitens,  daß  selbst  solche  unempfundene' 
Reize  pathogen  werden  können  (denn  kommen  dieselben 
nach  einer  Wirkungsdauer  znm  Bewußtsein,  dann  ist  schon 
nach  Ruhner  die  Erkältung  geschehen). 

Demgegenüber  stehen  bis  heute  unwiderlcgie  physio¬ 
logische  Lehren,  ,,daß  eine  jede  Aenderung  der  Aiißien- 
temperatur  eine  bewußte  oder  unbowußite  Reizung  er¬ 
zeugt  und  daß  das  Wäfnicgleichgewicht  dnrcli  eine  kon¬ 
stante,  automatische,  imhewußfe  Regulation  nnterhalten 
wird“  (Richet^).  Und  ,,das  Optimum  der  Anßentempciratur 
erzeugt  weder  Kälte-  noch  Wärmcempfindiing,  aliei  auch 
dann  ruht  die  Regulation, sfnnktion  nicht,  sondern  regelt  die 
11  i  c h tp  e  r  z  i  p  i  e  r  t e  n  W ärrneschwankungen  (Ti a ii  1  a n  i  6  ). 
Und  die  Bebaiiptimg  Rnbners,  daß  selbst  nicht  empfundene 
thermische  Reize  krankinachend  sein  könnten,  ist  eine  An¬ 
nahme,  für  welche  gar  keine  Stüteen  vorliogen.*) 

»)  Diet,  de  la  physiol.,  Bd.  3,  Paris  1899. 

h  Traitö  de  phys.  biolog.,  Paris  1901.  „  j  i. 

*)  Die  Kritik  meiner  Publikation  in  der  »Hyg.  Rundschau«  aus 
dem  Berliner  hyg.  Institut  von  K.  K iß  kalt  wirft  mir  mangelhafte 
Kenntnisse  über  Wärmeregulation  vor,  obzwar  da  ausdrücklich  bemerkt 
ist,  daß  nur  das  notwendige  kurz  hervorgehoben  werden  soll.  Auch 
zitiere  ich  nebst  R  i ch  e  t  und  Laulan iö  auf  den  weiteren  acht  Seiten 
noch  andere  Namen,  aber  zur  Widerlegung  der  obigen  Ansicht  Rubners 
reichen  schon  Rieh  et  und  Lau  1  an  i  4  allein  aus. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


jyu 


lliid  Ru  1)11  er  solbsi  liat  ja  auch  weder  hei  diesen, 
iiocli  anderen  zahlreichen  Versuchen  ini(.  Källereizen  nie¬ 
mals  schädliche  Folgen  heohachten  können  und  sagt  an 
einer  anderen  Stelle;^)  ,,Die  Ertragharkeit  hoher  und 
niederer  Teinperaturen  umfaßt  hier  volle,  38'^  für  dieselbe 
Bekleidungsweise.  Allerdings  sind  die  erregten  Emyiindun- 
gen  nicht  immer  behagliche,  aber  sie  wurden  von  uns  allen 

ohne  jeglichen  Schaden  ertragen .  Eine  Erkältung  ist 

niemals  trotz  dieser  niedrigen  Temperaturen  eingetrclen.“ 
Den  Kampf  gegen  Ahkiihliing  kann  der  Organisnius  wirklich 
l)is  zu  weiten  Grenzen  mit  Erfolg  führen,  ein  Tier  kann^ 
sich  spontan  und  folgenlos  erholen,  wenn  demselben  die 
Reklaltemperatur  bis  auf  2F’  bis  30'*  (je  nach  der  Tierarl) 
erniedrigt  worden  ist,  obgleich  seine  Wärmeregulation  weit 
unvollkommener  ist  als  die  des  Menschen,  dessen  Wärme¬ 
gleichgewicht  durch  Kältereize  imherührt  bleibt,  welche 
heim  Tiere  einen  Fall  von  lO'*  und  mehr  verursachen. 

Aber  auch  durch  stattgefundene  Störung  des  Wärme¬ 
gleichgewichtes  bis  zu  bestimmten  Grenzen,  welche  durch 
eintretendc  zentrale  Paralysen  scharf  gezogen  sind,  wird 
die  spontane  und  folgenlose  Wiederherstellung  des  Tieres 
nicht  beeinträchtigt,  was  erst  unter  dieser  kritischen  Tem¬ 
peratur  grenze  geschieht  und  von  welchem  Moment  an 
der  Erfrierungsvorgang  beginnt. 

Auch  heiin  Menschen  manifestiert  sich  der  Beginn  der 
Erfrierungsphase  mit  Depressionserscheinungen  (unbezwing¬ 
barer  Schlaf,  Paralysen)  fortschreitend  zum  Erlöschen  aller 
Reaktivität.. 

Auf  die  Frage,  in  welcher  Weise  Kälte  die  Tiere  tötet, 
welche  lebenswichtigen  Funktionen  durch  sie  betroffen 
werden,  und  in  welcher  Reihenfolge,  gibt  Giesc'’’)  folgende 
Antwort : 

,,Nach  Al)kühlung  auf  32*^  bis  30*^  wurde  nur  eine  unbe¬ 
deutende  Blutdrucksenkimg  beobachtet,  von  da  ah  erfolgte 
dieselbe  allmählich,  aber  konstant,  gleichzeitig  mit  Pulsver¬ 
langsamung  bis  zum  Tode.  Nach  Abkühlung  unter  32'*  nimmt 
die  Reaktion  auf  Aphyxie  graduell  ah,  auf  sensible  Reizung 
verschwindet  sie  ausnahmslos  bei  26*’;  periphere  Vaso¬ 
motoren  verlieren  die  Erregbarkeit  unter  29'*,  die  Respira¬ 
tion  wird  bei  28'*  oberflächlich  und  verlangsamt,  hei  19** 
steht  die  Atmung  still. 

Die  Motilität  zeigt  hei  28**  bis  26**  ausgesprochene 
Störung,  die  Sensibilität  bei  25**  für  Berührung  erloschen. 

ln  p  athobogis  ch-anatomis  eher  Hinsicht 
wurden  hei  Kältetieren  mikroskopisch  keine  be¬ 
merkenswerten,  bzw.  bestimmt  definierbaren 
pathologischen  V eränderun  gen  wahr genomm cn. 
D  e  r  T  o  d  d  u  r  c  h  E  r  f  r  i  e  r  u  n  g  t  r  i  1 1  e  i  n  d  u  r  c  h  L  ä  h  m  u  n  g 
des  Zentralnervensystems.“ 

Die  Ahkühlungsphasc  muß  man  also  yon  der 
Erfrierungsphase  auseinander  halten  und  es 
'■■■  •'  ‘1  Vorgänge,  welche  letztere  begleiten,  für  die  Erkäl- 
tun^oii.  je  nicht  verwertet  werden.  Das  Arrangement  und 
die  Ergebnisse  der  Mehrzahl  von  Versuchen  zum  Zwecke  des 
Studiums  des  Erkältungsvorganges  (wie  die  von  Reine- 
both,  Lassar,  Nebelthau,  Affanazjew  u.  a.)  sind 
analog  dem  Arrangement  und  den  Ergebnissen  der  Erfrie¬ 
rungsversuche  (Nikolski,  Wertheimer,  Giese)  und 
könnten  als  Beitrag  zu  letzteren  angesehen  werden.  Gar 
nichts  Gemeinschaftliches  mit  dem  Erkältungsvorgang  im 
klinischen  Simie  haben  Versuche  an  Tieren,  bei  denen  man 
die  Abkühlung  durch  Injektion  von  antii)yretischen  Mitteln, 
durch  Aether,  Marke! urchschneidung  erzielte,  und  kaum  zu 
verwerten  sind  die  \'ersuche  an  Tieren,  die  ihres  Jiatürlichen 
Schutzes  durch  Rasieren  oder  ,, sorgfältiges“  Ausrupfen  be- 
raubt  wurden  und  obendrein  vor  der  Abkühlung  längere 
Zeit  im  Thermostaten  gehalten  wurden.  Es  ist  ja  zweifellos, 
daß  Tiere,  deren  Vitalität  in  irgend  weicher  Weise  gröber 
gestört  worden  ist,  einer  Infektion  leichter  unterliegen,  als 

9  Die  Gesetze  der  Eiiergieverbr.  Leipzig  und  Wien  1902,  !S.  204. 

®)  Experim.  Untersuchungen  über  die  Erfrierungen.  Vieiteljahrschrift 
für  gerichti.  Med.  Berlin  1901. 


normale  Konlrolltiere,  aber  für  die  Deutung  eines  Erkältungs¬ 
vorganges  sind  solche  Versuche  ganz  belanglos. 

* 

Die  verschiedenen  Theorien  über  das  Wesen  der  Er¬ 
kältung  darf  ich  in  diesem  kurzen  Abriß  übergeheji  und 
will  nur  die  Frage  erörtern,  wie  man  sich  die  Wirkungs¬ 
weise  von  thermischen  Reizen  als  direkte  oder  indirekte 
Krankheitsursache  dachte. 

Es  werden  als  Ursache  einer  direkten  Wirkung  ange¬ 
führt:  Störung  des  Wärmogleichgewichtes,  lokale  Einwir¬ 
kung  von  Källereizen  auf  bestimmte  Stellen  der  Körperober¬ 
fläche  und  Auslösung  von  Veränderungen  ,a,uf  reflektori¬ 
schem  AVege. 

Störungen  des  Wärmegleichgewichtes  können  für  den 
Menschen  rundweg  ausgeschlossen  werden,  nachdem  solche, 
wie  experimentell  nachgewiesen  wurde,  durch  die  angenom¬ 
menen,  auch  intensiven  und  hinlänglich  dauernden  Erkäl¬ 
tungsfaktoren  nicht  zustande  kommeti. 

Die  lokale  Kälte  Wirkung  hetrachtet  man  als  Ursache 
von  peripheren  Erkältungsneuriliden  und  Paralysen  und 
lokale  Ahkühlung  durch  Einatmuugsluft  als  Ursache  von 
akuten  Affektionen  des  respiralorischen  Apparates.  Tier¬ 
versuche  bieten  hiefür  keine  Stütze.  Bezüglich  der  lokalen 
Einwirkung  von  Kälte  auf"  die  Funktion  von  peripheren 
Nerven  wurde  gefunden,  daß  man  durch  Abkühlung  der 
Haut  dieselbe  progressiv  abschwächen  kann  bis  zu  ihrem 
Erlöschen,  aber  daß  dieselbe  nach  Beseitigung  des  Kält.e- 
reizes  ganz  und  prompt  wieder  erscheint.  Und  Versuche  an 
Kaninchen,  welchen  Heiden  ha  in')  durch  eine  Kanüle 
eisige  Luft  oder  alternativ  eisige  und  heiße  luift  hat  einatmen 
lassen,  blieben  negativ  und  alle  Tiere  zeigten  ])ei  der  Sek¬ 
tion  ausnahmslos  die  Brouchialschleimhaut,  sowie  das 
Lungengewehe  intakt. 

Ebenso  blieben  meine  Selbstversucho  negativ  und 
über  die  Divergenz  der  ätiologischen  Ansichten  betreffs  der 
genannten  Krankheiten  verweise  ich  auf  meine  Publikation. 

Eine  viel  wesentlichere  Rolle  spielt  hei  der  Auffassung 
des  Erkältungsvorganges  die  -  Deutung  der  reflektori¬ 
schen  Hyperämie.  Ich  muß  es  mir  versagen,  in  theore¬ 
tische  Erwägungen  einzugehen  und  liehe  nur  folgendes 
hervor : 

Hyperämien  von  längerer  Dauer  (wie  sie  z.  B.  nach 
Durchtrennung  von  vasomotorischen  Nerven  zustande 
kommen)  sind  nach  Erkältungstrauma  imdenkhar  und  ein 
Wechsel  von  einer  mehr  oder  weniger  dauernden  Hyper¬ 
ämie  und  Anämie  in  den  verschiedensten  Gefäßbezirken 
findet  stets  auch  in  normalem  Zustande  statt.  Die  Blutzirku¬ 
lation  in  erweiterten  Bahnen,  eine  bloße  Hyperämie  oder 
Stase  können  unmöglich  einen  pathologischen  Prozeß  hervor- 
rufen,  denn  norm  ales  Blut  kann  keine  pathologischen  Ver¬ 
änderungen  des  Endothels  veranlassen,  es  ist  ja  kein  patho¬ 
logischer  Reiz-,  .la  Bier  benützt  sowohl  aktive  als  passive 
Hyperämie  zu  therapeutischen  Zwecken  mit  überraschendem 
Erfolg  und  man  muß  demnach  die  reaktive  Flyperämie  als 
eine  Schutzvorrichlung  des  Organismus  hetracliten. 

Eine  Reihe  von  Autoren  (8  trass  er,  Roßbach  und 
Aschonbrandt,  dvolinstamm  u.  a.)  nehmen  an,  daß  eine 
reflektorische  Hyperämie  nach  Abkühlung  insbesondere  zu 
Katarrhen  und  Entzündungen  führen  kann,  olme  Intervention 
von  Mikroorganismen.  Die  Ansicht  basiert  auf  Versuchen 
(Schüler,^)  Roßbach  und  A  s  che  nh  ran  dt**),  in  denen 
nach  Kältereizen  reflektorisciie  Erscheinungen  als  Hyper¬ 
ämie,  vermehrte  Sekretion  der  Schleimhäute  erzielt  wurden. 
Aber  pathologische  Veränderungen  sind  weder  in  den  ge¬ 
nannten,  noch  anderen  Versuchen  zustande  gebracht  worden, 
auch  dann  nicht,  wenn  man  die  Tiere  unter  die  kritische 
Temperatur  abgekühlt  hat  (Nebelthau,  Giese,  Zil- 
lesen,-***)  Mas  salon  go**).  Auch  sprechen  gegen  die 

9  Virchows  Archiv  Bd.  70. 

®)  Zit.  Winternitz,  Hydroth. 

9  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  15. 

*“)  Ueber  Erkältungen.  Marburg  1899. 

I  “)  Archiv  de  phys.  1855. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WÖCäENSCHRIF't.  1907. 


591 


obige  Amiahine  alle  die  Masseiiyersuclie  aii  Kranken,  bei 
denen  inan  nacli  den  intensiYSten  und  dauernden  Kälteappli¬ 
kationen  auf  die  verscliiedensten  Kori)eiTegionen  ausnalnns- 
los  niemals  Katarrhe  und  Entzündimgen  innerer  Organe  er¬ 
zeugt  hatte. 

Prof.  Win ter nitz sagt  hei  seiner  ohjektiven  Be¬ 
sprechung  meines  Buches  (obgleich  er  in  der  Frage  mein 
(legner  ist),  daß  nicht  so  leicht  für  reflektorische  Hyperämie 
als  für  reflektorische  Anämie  die  Genese  mancher 
Erkältungskrankheiten  zu  erweisen  ist.  Diese  Ansicht  he- 
gründet  Winter nitz  in  einer  anderen  Arbeit mit  den 
Worten  :  ,,Eine  lange  dauernde  Gefäßkonlraktion,  die  die 
Wechselwirkung  von  Blut  und  Gefäßwand  hemmt,  könnte 
zur  Alteration  der  Gefäßwand  fülmen.  Also  wäre  es'  möglich, 
daß  in  dieser  Weise  ein  Schnupfen  entstehen  könnte,  wenn 
die  Nasenschleimhaut  durch  thermisch  bewirkte  Gefäßr 
enge  anämisch,  die  Sekretion  spärlich  oder  ganz  versiegt  ist.“ 
Er  führt  weiter  aus,  daß  durch  die  verminderte  Zufuhr  des 
alkalischen  Blutes  das  Sekret  qualitativ  und  quantitativ  ver¬ 
ändert  werden  kann,  die  quantitative  Veränderung  bedeute 
den  trockenen  Stockschnupfen,  die  qualitative  (saure  Be- 
aktion)  fülne  zum  infektiösen  Schnupfen. 

Gegen  diese  Anschauung  muß  ich  anführen,  daß  nach 
Kältereizen  keine  dauernden  reflektorischen  Hyperämien 
folgen  und  daß  bei  eipfachen  Hyperämien  ein  nonnales 
Blut  die  Gefäßwand  nicht  schädigen  kann.  Quantitativ  kann 
die  Sekretion  der  Schleimhaut  verändert  werden,  aher  mit 
dem  Aufliören  des  Kältereizes  hört  die  Hypersekretion  wieder 
auf.  Ob  eine  qualitative  Aendernng  des  Schleimhautsekretes 
nach  Kältereizen,  insbesondere  saure  Reaktion  des  Nasen- 
schleimhautselcrets  eintreten  kann,  ist  meines  Wissens  experi¬ 
mentell  nicht  erwiesen,  während  anderseitis  daran  bei  schon 
erfolgtem  Schnupfen  nicht  zu  zweifeln  ist. 

Noch  allgemeiner  als  an  der  direkten  Wirkung  einer 
reflektorischen  Hyperämie,  wird  an  der  Lehre  festgehaltcn, 
daß  diesel  be  eine  Disposition  zu  I  n  f  e  k  t  i  o  n  s  k  r  a  n  k- 
heilen  schaffen  kann. 

Die  Versuche,  welche  dies  dartun  sollen,  basieren  auf 
der  Voraussetzung,  daß  eine  regionäre  Hyperämie  von  blei¬ 
bendem  Charakter  (was  freilich  hei  Erkältung  nicht  vor¬ 
kommt)  das  betreffende  (iewebe  schädige,  wodurch  dieses 
gegen  Invasion  von  Mikroorganismen  weniger  widerstands¬ 
fähig  wird.  Leider  widersprechen  die  angestellten  Versuchs¬ 
anordnungen  jeder  Analogie  mit  dem  Erkältungs Vorgang. 
Liparis  Versuche  bedeuten  einen  brutalen  Eingriff  in  die 
Vitalität  der  Tiere,  wodurch  schon  eine  gesteigerte  Dis¬ 
position  erklärt  ist  und  dasselbe  gilt  von  Fi  lehn  es  Ver¬ 
suchen  mit  Erysipelkokken.  Versuche  von  Becker,  Krause 
und  anderen  mit  intravenöser  Injektion  virulenter  Kulturen 
nach  Quetschung  und  subkutanen  Knochen frakturen  sind 
auch  unbegreiflicherweise  als  Beilrag  zur  Bedeutung  der 
reflektorischen  Hyperämie  nach  Kältereizen  herangezogen 
worden  und  ebensowenig  können  die  Versuche  von  Kiß- 
kalt  u.  a.  verwertet  werden,  der  die  Hyperämie  durch 

Durchtrennung  des  Nervus  ischia,dicus  erzielte. 

* 

Bei  brüsken  und  dauernden  Abkühlungs-,  resp.  Er¬ 
frierungsversuchen  wurden  Sugillationen  und  Ekchy- 
mosen  an  verschiedenen  Organen  vorgefunden,  die  man 
als  Folgewirkung  von  Kältereiz  auf  die  Köii)eroherfläche  er¬ 
klärt;  ausgetretenes  und  abgestorbenes  Blut  könnte  unter 
Umständen  pyrogen  werden.  Es  ist  aber  eine  Frage,  ob 
überhaupt  Ekchymosen  eine  Folge  von  KälteAvirkung  sind. 
Heinz^'^)  schreibt  u.  a. :  „Ursache  der  Ekchymosen  ist 
nicht  der  hohe  arterielle  Druck,  denn  bei  curarisierten  Tieren 
findet  man  beim  Erstickungsversuch  (wiewohl  der  arterielle 
Druck  sehr  hoch  ansteigt)  derartige  Ekchymosen  nicht.  Es 
ist  also  die  heftige  Zugwirkung  der  Brustwand  hei  den 
krami)fhaften  Inspirationen,  die  jene  Gefäßzerreißungen  zu¬ 
stande  bringt.“ 

Bl.  für  klin.  Hydrother.,  Bd.  17. 

BI.  für  klin.  Hydrother.,  Bd.  6. 

Handbuch  der  exper.  Pathol,  und  Pharm.,  Bd.  3,  Jena  1906. 


Reineboth,^^)  der  den  Entstehungsmodus  von  Su¬ 
gillationen  nach  Abkühlung  bespricht,  lAcmerkt,  daß  die 
morphinisierten  Tiere  ,,beim  Eintauchen  imd  während  des 
eiskalten  Bades  keine  Ahwehrhewegungen  rnacliten  und  sicli 
wie  leblose  Körper  verhielteu“  und  es  fanden  sich  bei  ihrer 
Sektion  auch  keine  Sugillationen  vor  oder  nur  in  Aus¬ 
nahmsfällen. 

Und  wenn  auch  hei  brüsken  und  äußerst  intensiven 
Kältereizen  durch  veranlaßte  heftige  Abwehr  nnd  infolge 
von  krampfhafter  Respiration  es  zu  Ekchymosierungen 
kommen  könnte,  wird  niemand  behaupten  wollen,  daß  ähn¬ 
liches  nach  den  angenommenen  Erkältnngsfaktoren  erfolgen 
könnte,  zumal  nach  solchen,  die  z.  B.  Kißkalt  anführt 
(ein  kalter  Luftzug,  der  uns  anfänglich  gar  nicht  gcnieii, 
die  unmerkhar  einwirkende  Kälte  eines  feuchten  Rasens, 
kalte  Füße  nach  längerem  Stehenbleihen  auf  der  Straße, 
nach  Haarschneiden  an  einem  kühlen  Tage). 

* 

Erkältung  als  direkte  Krankheitsursache  wurde  von 
einer  großen  Anzahl  Forscher  abgelehnt,  aber  dafür  hat 
man  sie  zur  disponierenden  Ursache  voui  Refrige¬ 
rationskrankheiten  erhoben,  Avomit  alle  vermeintlichen 
Erkältungsfaktoren  voll  rehabilitiert  wurden. 

Der  Kern  der  Theorie  beruht  auf  der  Annahme,  daß 
Erkältungseinflüsse  den  saprophytischen,  latenten  Mikro- 
Ijismus  virulent  machen  können,  was  experimentell  nicht 
erwiesen  ist. 

Meine  Tierversuche  mit  Infektion  durch  abgeschAvächte 
Kulturen  und  meine  Selbstversuche  sprechen  gegen  diese 
Annahme  und  diese  meine  Resultate  sind  auch  in  vollem 
Einklang  mit  Versuchsergebnissen  über  die  Wirkung  der 
Abkühlung  auf  die  natürlichen  Abwehrvorrichtungen  des 
ürganismus. 

Der  supponierten  Wirkung  von  Erkältungseinflüssen 
widerspricht  noch  eine  Reihe  anderer  Tatsachen.  Es  Avird 
angenommen,  daß  eine  Erkältungsursache  die-  Erkrankung 
prompt  und  rasch  auslöst  und  daß  also  die  auf  inneren 
Schleimhäuten  zufällig  Amgetierenden  Krankheitskeime 
prompt  und  rasch  virulent  werden  können.  Wie  schwer 
und  auf  welch  langen  Wegen  es  gelingen  kann,  sehr  ab¬ 
geschwächte  oder  sogar  avirulente  Keime  virulent  zu 
machen,  ist  aus  Versuchen  vmii  Pasteur,  Ch arain  und 
Vincent  zu  ersehen.  Und  das  sollte  durch  eine  EiiiAvirkung 
\mn  irgendwelchem  der  bekannten  Erkältungsfaktoren  prompt 
und  rasch,  ja  auch  unmittelbar  nach  ihrer  Einwirkung  zu¬ 
stande  gebracht  werden  können?  Das  ist  doch  nach  den 
bisherigen  Erfahrungen  in  dieser  Hinsicht  ganz  undenkbar. 

Aber  die  Erkältungs theorie  steht  so  unerschütterlich 
fest  im  Sinne  der  Aerzte,  daß  eine  jede  erklärende  An¬ 
nahme  willkommen  aufgenommen  Avird  und  so  überAviegt 
auch  heute  die  Vorstellung  Amn  der  ausnahmsvollen  Wir-^ 
kung  der  Erkältung  in  dieser  Hinsicht  und  es  Avirtl  gc  ojirt, 
daß  die  Morbidität  der  Refrigerationskrankheiten  in  erster 
Linie  durch  den  latenten,  saprophytischen  Mikrobismus  .be¬ 
dingt  wird  und  daß  die  direkte  Infektion  erst  in  zAveiter 
Linie  zur  Berücksichtigung  kommt.  Und  sichtet  und  ordnet 
man  eine  ausreichende  und  verläßliche  Statistik  von  allen 
Gesichtspunkten,  Avelche  die  Frage  erfordert,  dann  ergibt 
sich  zweifellos,  daß  die  Morbidität  der  Erkältungskrahkheiten 
mit  Infektions-,  aber  nicht  mit  Erkältungsgelegenheiten 
parallel  Amrläuft,  Avas  nicht  stattfinden  könnte,  wenn  die 
obige  Annahme  wahr  Aväre.  Uehrigens  leiden  auch,  Avie 
schon  erwähnt  wurde,  die  natürlichen  AhAvehrvor- 
r  ich  tu  Ilgen,  soAveit  diese  mitersucht  wurden,  nicht. 

Bezüglich  der  Blutzusammensetzung,  insbesondere  des 
Hämoglobingehaltes,  Leukozytose,  Alkaleszenz,  fand  nian 
selbst  nach  intensivsten  Kältereizen  keine  in  irgendeiner 
Hinsicht  helangreichercn  Veränderungen,  nur  hei  Erfrie¬ 
rungsversuchen  einen  sehr  unkonstanten  Befund  Amn  einem 
Grade  Hämoglobinämie,  der  sich  durcliAveg  in  den  mög¬ 
lichen  Fehlergrenzen  beAvegte. 


**)  Deutsches  Archiv  für  klin.  Med.  Separatabdruck. 


o92 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


Na  gel  Schmidt^®)  untersuchte  das  Verhallen  der 
flämolysine  nach  Kälteapplikation,  nach  denen  SOVo  der 
Tiere  in  den  nächsten  Stunden  eingegangen  sind  und  irolz- 
dem  waren  seine  Resultate  schwankend  und  ,,eine  erheb¬ 
liche  Anzahl,  wo  keine  Ahnahme  der  bakteriziden  Eigeii- 
schaft  des  Serums,  zuweilen  sogar  eine  Zunahme  nachzu¬ 
weisen  war“.  Ganz  negative  Resultate  bezüglich  der  Serum- 
hakterizidität  und  der  zellularen  Abwehr  halte  Lotle.^^) 

Störungen  der  W.ärmeökonomie  können  nicht,  weil  sie 
nach  Erkältungsformen  nicht  vorkonmien,  als  disponierend 
für  Infektion  herangezogen  werden  und  die  Redeulung  der 
reflektorischen  Hyperämie  wurde  bereits  in  den  oberen 
Zeilen  erledigt. 

* 

Die  Frage  der  ätiologischen  Bedeutung  der  Erkältung 
erfordert  auch  eine  ßeleuchtung  vom  klinischen  und  stati¬ 
stischen  Standpunkte,  worauf  ich  in  diesem  kurzen  Abrisse 
nicht  eingehen  kann  und  mich  beschränken  muß,  auf  das 
in  meinem  Ruche  zusammengestellte  Material  hinzuweisen. 
Es  sind  hier  die  betreffenden  Beziehungen  einzelner  ,, Er¬ 
kältungskrankheiten“,  sowie  das  Verhältnis  der  Witterung 
zu  ihrer  Morbidität  (S.  14  bis  37  und  43  bis  82)  erwogen. 

Es  sei  mir  nur  ein  Wort  über  die  geographische 
Verteilung  der  Krankheiten  erlaubt. 

Bis  zum  heutigen  Tage  wird  kaum  daran  gezweifelt, 
daß  ein  rauheres  Klima  gesundheitsschädigender  ist  als  ein 
milderes  und  daß  im  ersteren  mehr  Erkältungsgelegenheiten 
sind  und  deshalb  mehr  Erkältungskrankheiten  auftreten. 
Autoren,  die  sich  mit  geographischer  Verteilung  von  Krank¬ 
heiten  beschäftigen,  zwingen  sich,  wie  ich  dargetan  habe, 
dieser  Annahme  sich  anzupassen  und  finden  hei  wider¬ 
sprechenden  Resultaten  immer  eine  plausible  Deutung.  Das 
hat  mich  sowohl  zur  Revision  der  Angaben  als  auch  zur 
Zusammenstellung  einer  eigenen,  wie  ich  meine,  vielleicht 
hinreichenden  Statistik  bewogen  (S.  82  bis  112).  Das  Re¬ 
sultat  spricht  einheitlich  gegen  die  allgemein  geltende  Be¬ 
deutung  des  Klimaeinflusses. 

Bezüglich  meines  Materiales  dürften  kaum  Bemänge¬ 
lungen  erhöhen  werden,  naendem  es  nur  offiziellen  Quellen 
ontnommen  ist  und  auch  bezüglich  der  Quantität  dürfte  es 
ausreichend  sein,  da  z.  B.  nur  für  Oesterreich  und  Deutsch¬ 
land  alle  Krankheitsfälle  von  sämtlichen  Krankenhäusern 
und  Krankenkassen  von  drei  sich  folgenden  Jahren  meinen 
Berechnungen  zugrunde  liegen. 

Berücksichtigt  wurden:  akuter  Gelenksrheumatismus, 
akuter  und  chronischer  Bronchialkatanh,  Pneumonie,  Pleu¬ 
ritis,  Angina  und  Rachenenizündung.  Die  Einteilung  der 
klimatischen  Bezirke  in  Oesterreich  und  .Deutschland  ist 
der  betreffenden  Fachliteratur  entnommen. 

Ueher  diese  stalistischen  Ergebnisse  äußert  sich 
K  iß  kalt  in  seiner  Kritik:  ,,Die  Resultate  geben  gegenüJjer 
schon  oft  zitierten  und  wiilerlegten  Angaben  nichts  Neues 

. unmöglich  ist  deshalh,  aus  dieser  Statistik  Schlüsse 

zu.  ziehen,  weil  die  darin  angeführten  Krankheiten  auch 
ohne  Erkältung,  einfach  durch  Ansteckung  zustande  kommen 
können.“ 

Mir  ist  absolut  unbekannt,  daß  eine  ähnliche  Zusam¬ 
menstellung  oft  publiziert  gewesen  wäre  und  weiß  nur  aus 
einem  Referate  von  Sanders  (Atner.  Journ.  of  Med.  1882), 
welcher  nachwies,  daß  die  Pneumoniemorbidität  mit  der 
zLinelmienden  Durchsclmittswärme  bis  zum  Aeciualor  parallel 
gehl.  Ich  stehe  im  Gegenteil  mit  meiner  Zahleiizusammen- 
steltung  und  lolgerung  ziemlich  vereinsamt  in  der  Eitcratur 
und  es  konnte  eine  analoge  Statistik  daher  „weder  oft 
zitiert,  noch  widerlegt  werden“. 

Und  Schlüsse  sind  aus  dieser  Statistik  eben  deshalh 
zu  ziehen,  weil  es  notorische  Infektionskrankheiten  sind, 
hei  denen  es  sich  um  Belege  handelt,  daß  sie  nicht  weiter 
zu  l'..rkällungskrankheileji  gerechnet  werden,  weil  ihre  Mor¬ 
bidität  eben  als  von  Erkältung  unabhängig  dargetan  wird. 

'®)  Beiträge  zur  klin.  Med.  1904. 

Archiv  für  Hyg.  1897. 


Uehrigens  mache  ich  aus  meiner  Statistik  nicht  den 
Schluß,  daß  sie  die,  Unhaltbarkeit  der  Erkältungsannahme 
beweise,  sondern  nur,  daß  im  rauhen  Klima  nicht  mehr, 
sondern  durchgehends  merklich  weniger  ,, Erkältungskrank¬ 
heiten“  auftreten  und  daß  deshalb  die  Lohre  vom  gegen¬ 
teiligen  Einflüsse  des  Klimas  kaum  richtig  ist. 

Freilich  ist  das  besagte  Ergebnis  auch  ein  Argument, 
welches  hei  einer  allseitigen  Beurteilung  unserer  Fra, ge  mit 
in  die  Wage  fällt  und  seine  Bedeutung,  Im  Zusammenhänge 
mit  den  übrigen  Beweisführungen  erlangt.. 

♦ 

Um  zur  Lösung  der  Frage  weiter  beizutragen,  habe 
ich  sowohl  Tier-  als  auch  Selbstversuche  ausgeführt. 

Vor  allem  sollte  die  4 rage  heantwortet  worden,  ob 
Abkühlung  des  Tieres  vor  oder  nacli  einer  Infektion  einen 
Einfluß  auf  den  Verlauf  und  Ausgang  der  verursachten  Er¬ 
krankung  hat. 

Es  wurde  eine  gleiche  Anzahl  (100)  von  abgekühlten 
und  Kontrolltieren  verglichen,  welche  mit  Pneumokokkus 
F.  W.,  Bazillus  Friedländer,  Cholera  de  poule,  Bacillus  an- 
thracis,  Cladothrix  art.,  Asperg.  niger,  Bacillus  pyocyaneus 
und  Bazillus  diphtheriae  infiziert,  das  folgende  Resultat  er¬ 
gaben:  1.  Von  ahgekühlten  erlagen  der  Infektion  58-8)^/o, 
von  Kontrolltieren  62-7 Vo;  2.  der  Krankheitsverlauf  war  bei 
beiden  ziendich  gleich,  ln  sechs  Versuchsreihen  überlebten 
abgekühlte  die  Kontrolltiero,'in  zwei  erlagen  die  abgekühlten 
früher;  3.  die  Sektion  hatte  bezüglich  der  Intensität  der 
ürga,nveränderungen  keine  Unterschiede  aufgewiesen;  4.  es 
war  gleichgültig,  ob  die  Infektion  unmittelbar  yor  oder  bis 
zehn  Stunden  nach  der  Ahkühlung  erfolgte. 

Zweitens  sollte  untersucht  werden,  ob  Abkühlung  eine 
Steigerung  der  Virulenz  bei  Infektion  mit  ab  geschwäch¬ 
ten  Kulturen  verursachen  ka,nn.  Die  Abschwächung  der 
Kulturen  von  Bazillus  hriedländer,  Bacillus  diphtheriae,  Ba¬ 
cillus  diphtheriae  mit  Streptokokken  und  Pneumokokkus 
F.  W.  gc'schali  durch  Erwärmen  auf  einen  bestimmten  Grad 
und  von  einer  hestipimten  Dauer  und  die  Abkühlung  der 
Tiere  (B  Hunde  [per  tracheam],  18  Ratten  [subkutan], 
16  Meerschweinchen  [subkulaji],  11  Kaninchen  [intravenös]) 
durch  eiskalte  Bäder,  nach  welchen  sie  abgetrocknet  und 
bei  Zimmertemperatur  gehalten  wurden.  Der  Temperatur¬ 
verlust  war  nach  der  Tierart  verschieden  und  erreichte 
biis  10-5L 

Sämtliche  Versuchsreihen  ergaben,  daß  die  Virulenz 
durch  Ahkühlung  nicht  erhöht  wird. 

Obgleich  ich  auf  geringere  Differenzen  betreffs  des 
Verlaufes  und  Ausganges  der  verursachten  lufektionskrank- 
heit  kein  besonderes  Gewicht  lege,  bemerke  ich  doch,  daß 
die  abgekühlten  in  überwiegender  Anzahl  die  Kontrolltiere 
überlebten  und  daß  auch  die  Mortalität  der  ersteren  eine 
kleinere  war  [im  ganzen  erlagen  38-8 Vo  der  ahgekühlten 
gegen  62-ö^yo  der  Kontrolltiere). 

Ganz  recht  gebe  ich  Kißkalt  und  anderen,  daß 
Tierversuche  alleip  in  dieser  Frage  namentlich,  nicht  ent¬ 
scheiden  können,  a,her  auch  solche  tragen  zu  ihrer  Beurtei¬ 
lung  bei;  aber  es  gibt  viele,  auch  Kißkalt  nahestehende 
forscher,  welche  die  Realität  der  Erkältung  auf  Tierver¬ 
suchen  allein  zu  fundieren  suchten. 

Das  kann  aber  nach  meiner  Ansicht  mit  sicherem  Er¬ 
folge  durch  systematische  Mens  clienyer  suche  ge¬ 
schehen,  bei  denen  die  Versuchsanordnung  Mlen  Anfor¬ 
derungen  entsprechen  würde,  die  zur  Auslösung  des  Er¬ 
kältungsvorganges  als  hinreichend  angenommen  werden  und 
die  Reihe  derselben  habe  ich  begonnen. 

Ich  hoffe,  daß  es  leicht  sein  wird,  für  Versuche  mit 
den  geringfügigsten  Kältereizen  Menschenmaterial  zu  ge¬ 
winnen,  um  auch  jener  Anschauung  genug  zu  tun,  welche 
gerade  diese  als  gesundheitsschädigend  betrachtet.  Für 
meine  Person  sah  ich  davon  ab,  seitdem  ich  seit  meinen 
ersten  Versuchen  vor  sieben  Jahren  von  aller  Erkältungs- 
furclit  frei  geworden  bin  und  mich  mit  meiner  f  amilie  nebst 
einigen  Freunden  von  Tag  zu  Tag  allen  den  geringen  und 
auch  intensiveren  Erkältungsfaktoren  folgenlos  preisgebe. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCHRIET.  1907. 


59;  I 


Für  midi  erülirigten  Fersnchsbodiiiguiigen,  welche  die 
Forderungen  jener  erledigen  sollten,  welche  iiilensive, 
dauernde  Kältewirkungen  auf  die  gesamte. Körperoherfläche 
oder  auf  mnschrieheiie  Regionen  als  krankheitseiTegend  be¬ 
trachten.  Bezüglich  des  Details  muß  ich  auf  mein  Buch 
verweisen  und  erwähne  hier  nur  summarisch  folgendes : 

In  27  Selhstversuchen  habe  ich  mich  Kälteeiuflüssen 
ausgeselzt,  welche  von  der  üherwiegenden  Anzahl  von  For¬ 
schern  und  Aerzten  als  sicher  direkt  oder  indirekt  schädi¬ 
gend  erklärt  wurden.  Nach  eiskalten  und  heißen  (44*^)  Bädern 
hlieh  ich  nackt  und  naß  im  schärfsten  Luftzuge  der  Winter- 
temiieraturen  im  Durchschnitte  eine  Stunde  lang  am  kalten 
Steinpflaster  stellen  oder  nachdem,  ich  den  Körper  durch 
Laufen  in  Schweiß  gebracht  habe  oder  nachdem  ich  den 
eisigen  Luftzug  auf  den  nur  mit  vom  Wasser  (5*’)  triefenden 
Wollhemd  bedeckten  Körper  blasen  ließ  und  im  nassen 
Hemde  angekleidet  zur  Winterszeit  ins  in  die  Nacht  meinen 
Pflichten  nachgiug.  Ich  habe  Fazialis,  Ischiadikiis,  Nieren, 
Herz,  Nacken  und  Oberarmregion  denselben  schärfsten  Kälte¬ 
einwirkungen  durch  eine  Stunde  lang  ausgesetzt,  auch  nach¬ 
dem  ich  diese  durch  Danipfeinwirkung  vorher  erhitzt  hatte. 

Alle  diese  Versuche  wurden,  wie  zu  erwarten  war, 
‘abgelehnt,  es  wurde  Individualität  und  Ahhärtung  ins  Feld 
geführt  und  vor  der  Wiederholung  der  Versuche  gewarnt. 
Von  anderer  Seite  (Ruhe mann)  wurde  bedeutet,  daß 
meine  Schleimhäute  zu  den  Versuchszeiten  von  kultur¬ 
fähigen,  pathogenen  Erkältungserregern  sicher  frei  waren 
und  daß  ich  demnach  gegen  das  Erkältungstrauma  immun 
gehliehen  sei. 

Mit  neuen  Versuchen  konnte  ich  nur  auf  die  letzte  Ein¬ 
wendung  antworten  und  bin  zu  solchen  geschritten.  Un- 
miifclhar  vor  ihrem  Beginne  und  während  ihrer  Ausfüh¬ 
rung  wurden  aus  meinem  Sputum  (chronischer  Bronchial¬ 
katarrh)  und  aus  meiner  Mandelschleimhaut  von  Professor 
J.  Ho  ul  folgende  Kulturen  gezüchtet:  Pyozyaneus,  Eluores- 
zeiiz,  Streptokokkus,  Staphylococcus  aureus  und  albus, 
Sarcina  lutea,  B.  albus,  Microc.  albus  und  Saccharom.  albus. 

Also  waren  meine  Schleimhäute  mit  patho¬ 
genen  u  n  tl  k  u  1 1  u  r  f  ä  h  i  g  e  11  Bakterien  h  e  s  c  h  i  c  k  t 
u  n  d  d  i  e  V  e  r  s  u  c  h  e,  wie  die  E  0  r  d  e  r  u  n  g  lautet  e,  z  u  r 
Zeit  der  Akme  des  internen  Mi  kr  oh  i  sinus  im  Fe¬ 
bruar  und  März  ausgeführt. 

Die  Versuchsanordnung  war:  Bäder  von  diirch- 
stdmittlich  fünf  Minuten  Dauer  im  Wasser  von  2‘\  5'\  9°, 
40*^,  40*^,  und  41®;  umnittelhar  nach  dem  Bade  ließ  ich  auf 
den  nackten  und  nassen  Körper  den  schärfsten  Luftzug 
einwirken  von  Temperaturen  von  0®,  0-5®,  1®,  4-5‘’  und  10”  C. 
Versuchsdauer  54,  38,  50,  40,  38  und  38  Minuten. 

Das  Resultat  blieb  durchaus  negativ,  mein  Wohl- 
hefindeu  blieb  vollständig  ungestört. 

K  iß  kalt  spricht  auch  diesen  meinen  Versuchen,  weil 
sie  negativ  blieben,  alle  Bedeutung  ah,  ,, nachdem  dense! lien 
positive  Erfahrungen  gegenüberstehen  von  hervorragen¬ 
den  xVerzten,  an  deren,,  Selhstheobachtungen  nicht  zu  zwei¬ 
feln  ist“.  Das  ist  jedenfalls  eine  sonderbare  Argumentation; 
es  handelt  sich  doch  bei  der  ganzen  Frage  darum,  oh  gerade 
diese  klinischen  und  praktischen  Erfahrungen  nicht  auf 
Täuschungen  beruhen,  was  eben  nur  Llurch  systematische 
Menschenversuche  erwiesen  werden  kann,  nach  deren 
positiven  oder  negativen  Itrgebnissen.  Und  weiter  ist  es 
ja  ein  Prärogativ  wissenschaftlichei'  Forschung,  an  Lehren 
seihst  der  eminentesten  Autoritäten  zweifeln  zu  dürfen. 

Z  u  s  a  m  m  e  n  f  a  s  s  u  n  g. 

Die  Frage,  ob  Erkältung  eine  Disposition  zu  Infek¬ 
tionskrankheiten  schaffen  kann  u.  zw.  in  erster  Linie  da¬ 
durch,  daß  sie  den  latenten  Mikroliismus  zum  Lelien  anzu¬ 
fachen  imstande  wäre,  muß  ich  nach  meinen  Studieiiergeh- 
nissen  verneinend  beantworten. 

Die  Auslösung  einer  Erkältungskrankheit  nach  einem 
Erkältungstrauma  geschieht  nach  der  allgemein  geltenden 
Annahme  prompt,  was  eine  rasch  zu  erlangende  \  iruleuz 
des  latenten  Mikrobismus  voraussetzen  würde;  diese  Mög¬ 


lichkeit  ist  nach  dem  hisherigen  wissenschaftliohen  Ergeb¬ 
nisse  völlig  unwahrscheiidich,  ja  unmöglich. 

Durch  Versuche  wuirde  erwiesen,  daß  alle  natürlichen 
Ahwehrvorrichtuiigen  des  Orgauisnius  auch  durch  inten¬ 
sive,  die  Wärmoregidaliou  störende  Ahkühhmgen  nicht 
altericrt  werden. 

Meine  Tierversuche  haben  dargetan,  daß  auch  ahge- 
schwächte,  aber  noch  immer  ziemlich  virulente  Kulturen, 
entsprechend  dem  ürganismus  einverleiht,  durch  intensive 
Abkühlung  desselben  keine  erhöhte  Virulenz  erlangen  und 
meine  Selbstversuche  haben  gezeigt,  daß  ein  latenjer  Mikro- 
hismus  des  Menschen  (kulturfähige  und  pathogene  Bakterien) 
seihst  durch  solche  Kälteei uflüsse  unberührt  hleiht,  welche 
an  Intensität  und  Dauer  sämtliche  Erkältungsfaktoren  über¬ 
treffen. 

Weitere  Stützen  gegen  die  Bedeutung  der  Erkältung, 
als  für  Infektionskrankheiten  disponierend,  ist  die  außer 
allem  Zweifel  konstatierte  Unabhängigkeit  der  iMorbidität  der 
letzteren  von  Erkältungsgelegenheiten  (Witterung  u.  a.),  ihre 
Frühlingsakme  gegenüber  dem  Herhstminimum,  die  niedrige 
Morbidität  in  kalten  Monaten  (November,  Dezember,  .Tanuar) 
und  die  geographische  Verbreitung  mit  Hinsicht  zur  Rauhig¬ 
keit  oder  Milde  des  Klimas. 

Dagegen  ist  die  Verhreilung  der  infektiösen  ,, Erkäl¬ 
tungskrankheiten“.  in  vollem  Einklang  nnt  Infektionsgelegen¬ 
heiten,  wie  sie  der  menschliche  Verkehr  oder  die  günstigen 
Bedingungen  für  die  Entwicklung  des  extrahumanen  Mikro¬ 
bismus  schaffen. 

Die  Möglichkeit  einer  direkten  pathogenen  Wirkung 
der  Erkältung  erwies  sich  ebenso  unhaltbar.  Die  supponierte 
Bedeutung  der  reflektorischen  Hyperämie  nach  Kältereizen 
brach  durch  erhärtete  Versuchsergebnisse  und  durch  thera¬ 
peutische  Erfahrungen  zusammen,  eine  Störung  der  Wärme¬ 
ökonomie  als  Ursache  von  Krankheiten  kann  nach  Erkäl- 
lungsfaktoren  beim  Menschen  nicht  zustande  kommen  und 
eine  Auslösung  von  Krankheiten  durch  lokale  Kältewirkung 
(Neuralgien,  Paresen,  akute  Affektionen  der  Atemwege) 
konnte  durch  Versuche  nicht  annähernd  waihrscheiidich  ge¬ 
macht  werden.  Pathologisch-anatomische  Veränderungen  der 
inneren  Organe  wurden  auch  dann  nicht  zustande  gebracht, 
wenn  man  normale  Tiere  durch  Eishäder  zu  Tode  abge¬ 
kühlt  hat. 

Für  die  Erkältungstheorie  erübrigen  nur  die  über¬ 
raschend  positiven  Versuchsergebnisse  von  D  ü  r  c  k,  L  a  s  s  a  r, 
Affanazjew  u.  a.  an  Tieren,  deren  Vitalität  aufs  gröbste 
beeinträchtigt  wurde,  und  je.ner,  deren  Versuchsanordnung 
jeder  Analogie  der  Erkältung  widersprach  und  endlich  auf 
Krankenangahen  und  Selbstheohachtungen  die  unter  der 
Wucht  der  herrschenden  Theorie  registriert  werden. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort.  Kißkalt  sagt  in  seiner 
Kritik,  daß  ich  die  Bedeutung  der  Abhärtung  leugne,  wo¬ 
gegen  wahr  ist,  daß  ich  nur  die  Deutung  der  Ahhärtungs- 
maßregeln  als  Prophylaxe  gegen  Erkältungskrankheiten  voll¬ 
ständig  ahlelme ;  Abhärtung  involviert  Uehungsmethoden 
und  soweit  sie  dem  Ziele  zu  streben,  eine  normale  Funk¬ 
tionsfähigkeit  des  Organismus  zu  erhalten,  empfehle  ich 
dieselben  in  voller  Harmonie  mit  Anhängern  der  Erkällungs- 
theorie. 

Kißikalt  versagt  sich  nicht,  meine  Publikation  als 
überflüssig  in  der  ohnehin  so  anschwellenden  Literatur  zu 
hezeichnen,  nachdem  mir  ,, leider“  ein  tieferes  Eindringen 
in  den  hehandelten  Gegenstaml  versagt  war.  Dieses  Urteil 
überlasse  ich  getrost  dem  Urteile  der  Zukunft. 

Aus  der  Prosektur  der  mährischen  Landeskranken¬ 
anstalt  in  Brünn.  (Vorstand  :  Prosektor  Priv.-Doz.  Doktor 

Carl  Sternberg.) 

Zur  Kenntnis  des  myeloiden  Chloroms. 

Von  Dr.  Karl  Meixner,  Assistenten. 

Durch  eine  Reihe  jüngerer  Milleilungen  ist  die  Natur 
des  Chloroms  wesentlich  geklärt  worden,  so  dab  über  seine 
'  Zugehörigkeit  zu  den  Erkrankungen,  des  lymphatischen  Appa- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


rates  lieu  to  kaiiui  iiielir  ein  Zweifel  besieht,  ln  der  Arbeit 
von  liisel^)  und  der  kürzlich  erschienenen  von  Wein¬ 
berger^)  ist  die  Litera.tnr  über  diesen  (iegenstand  so  aus- 
fübiiich  wiedergegeben,  daß  ich  mir  eine  neLierliche  Bo- 
Siirechnng  der  einschlägigen  Fälle  ersparen  und  mich  auf 
die  IMilteilung  eines  Falles  heschränken  kann,  der  unlängst 
in  der  mährischen  Landesla’ankenanslalt  in  Brünn  beob¬ 
achtet  worden  ist.  Abgesehen  davoiii,  daß  die  Zahl  der 
liisber  bekannten  Fälle  von  Chlorom  sehr  gering  ist,  scheint 
gerade  dieser  Fall  von  Wichtigkeil,  weil  in  ihm  die  Eigen¬ 
art  dieser  seltenen  Erkrankung  mit  besonderer  Reinheit  zu¬ 
tage  tritt. 

Es  handelte  sicli  um  eine  Sljälirige  ledige  Taglölmerin, 
die  am  23.  Januar  1907  auf  die  innere  x\bteiliing  des  Herrn 
Primarius  Brenner  aufgenommen  wurde. 

Anamnese:  Seit  Herbst  Schwäche  in  den  unleren  Extremi- 
lälen,  Schmerzen,  auch  in  anderen  Körperteilen.  Seit  zwei 
.Monaten  Menopause,  in  den  lelzten  Tagen  Nasenbluten. 

Status  praesens:  Patientin  ist  von  mittlerem  Ernäh¬ 
rungszustand,  l)laßi,  Temperatur  38-3°.  Von  seiten  des  Zentral¬ 
nervensystems  keine  pathologischen  Erscheinungen.  Nasenlöcher 
mit  Blulborken  verstopft.  Zalinfleisch,  namentlich  an  den  oberen 
Sclmeidezäbnen,  aufgelockert,  von  den  Zahnhälsen  abgelöst, 
blutend.  Heber  den  Lungen  voller  Perkussionsscball.  Rechts  hinten 
unten  feuchtes,  großblasiges  Rasseln.  Abdominalorgane  ohne  be¬ 
sonderen  Befund.  An  der  inneren  Seite  der  Unterschenkel  einige 
|)is  bellerstückgroße  Hautbämorrbagien,  daneben  zahlreiche  Peto- 
ebien.  Gelenke  frei.  Patientin  geht  mühsam,  in  gebeugter  Stellung. 
Im  Harn  Si)uren  von  Eiweiß.. 

24.  Januar:  Kein  Eiweiß,  Nasenhluten. 

2.  Februar:  Lungenhefund  negativ.  Naseidjluten  heim  ge¬ 
ringsten  Anlaß.  In  der  Wangenschleimluud,  linsengroße  Blutextra¬ 
vasale.  Im  Stuhl  nie  Blut.  Zunebmende  Anämie  und  Mattigkeit. 
Gelalineinjektionen  in  die  Brust.  Intern  Licfu.  ferri  sesquichlorati, 
•Icpia  cinnamomi,  Tami)onade  des  rechten  Naseidoches  mit  Ferro- 
pyrinwattc. 

9.  Februar:  In  der  Nacht  ist  Bewußtlosigkeit  eingetreten. 
Pat.  ist  morgens  reftoxlos.  Rechts  Ptosis,  weite  Pupille,  Spasmen 
der  unteren  Extremitäten. 

11.  Februar:  Exitus. 

Mhlbrend  der  ganzen  Zeit  der  Beobachtung  hesland  Fieber. 
Die  Temperatur  stieg  täglich  über  38®,  nur  wenige  Male  über 
39®.  Am  Morgen  regelmäßiges  Absinken  fast  bis  zur  Norm. 

Sektionshefund  :  Körper  untermittelgroß,  von  kräftigem 
Knochenbau,  mäßig  eniwickelter  Muskulatur,  mäßig  genährt.  Die 
allgemeine  Decke  sehr  hlaßi,  rückwärts  kaum  angedeutete  hlaß- 
violetle  Totenfleckc.  Keine  Oedeme.  Konjunktiven,  Skleren  und 
Lii)i)cn  blaß.  Das  Zalnifleiscb  oherfialb  des  zweiten  linken 
Schneide-  und  des  Eckzahnes  rauchgrau  bis  grauschwarz  ver- 
färld.  und  ehvas  verdickt.  Oberhalb  dieser  Stelle  findet  sich 
ein  kleines,  etwa  stecknadelkopfgroßes,  hellrölliches  Gescbwülst- 
chen.  In  der  Haut  des  Thorax,  oherhalb  der  linken  Mamma, 
mehrere  punktfönnige  Stieböffnungen  (Injeklions'stellen) ;  in  ihrer 
Umgelntng  ist  das  Unterbau tzellgewelje  ausgedehnt  blutig  suf- 
fundiej't.  In  der  Haut  der  Unterhauchgegend  nach  links  unten 
vom  Nabel  ebenfalls  eine  Injektionsstelle,  in  deren  Umgebung 
sieb  gleichfalls  eine  blutige  Suffusion  des  ZellgeAvebes  findet,  die 
nacli  rechts  bis  über  die  Mittellinie  binüherreicht.  An  der  Streck¬ 
seite  des  rechten  Oberarmes  ist  die  Haut  ausgedehnt  blaurot 
verfärbt,  auf  dem  Einschnitte  erweisen  sich  das  Zellgewebe,  sowie 
die  olleren  Sebiebten  der  Muskrdatur  blutig  unterlaufen.  Ein¬ 
zelne  kleine  Ekcbymosen  finden  sieb  an  der  Innenseite  des  liidcen 
Unlerscbenkels.  Sonst  an  der  Haut  keine  Veränderung. 

Die  weichen  Scbädeldeckon  blaß,  das  Scbädeldacb  dünn, 
die  Spongiosa  erhalten.  Im  oberen  Teile  des  Stirnbeines,  sowie 
in  beiden  Scheitelbeinen  sebimmern  im  durcbfallendcn  läcbte 
(‘inige  durcbscbnilllicb  zebnbellerstückgroßie,  annähernd  runde, 
scheinbar  in  der  Di[)loe  gelegene  Herde  grün  durch  den  Knochen 
durcli.  AVeder  an  der  Innen-,  noch  an  der  Außenseite  des  Schädel¬ 
daches  ist  eine  Auftreibung  oder  anderweitige  Veränderung  sicht- 
bar.  Desgleichen  sind  auch  die  übrigen  Scbädelknochen  ohne 
\  eränderung.  Die  Dura  mater  stark  gespannt,  in  ihren  Rlutleitcrn 
dünnflüssiges  Blut.  Die  inneren  Hirnhäute  stellenweise  leicht  ge¬ 
trübt  und  veitlickl,  sonst  durchsicblig,  von  mittlerem  Blutgebaltei, 
lliiuwindtmgcn  stark  ahgeflacbt,  Fiiradien  verscbmälert.  Die  Mark- 
lag<'r  beider  Hemispbärrm  ziemlich  blaß,  etwas  zäher.  Das  Sple- 
nlmn  des  Balk(Mis  durch  eine  etwa  nußigroße  Blutung,  weiche 

9  Risel,  Ai’chiv  für  klinische  Medizin  Bd.  72,  S.  31. 

)  Weinbe’rger,  Zeitschrift  für  Heilkunde,  Bd.  28,  Abteilung 
für  interne  Medizin,  H.  1. 


beiderseits  in  die  Hemisphären  sich  bineiir  m'streckt,  vollständig 
zerstört.  Die  Fornix  erhaltejr.  Die  Seitenventrikel,  sowie  der  dritte 
und  vierte  Ventrikel  von  gewöhnlicher  Weile,  mit  blutiger  Flüssig¬ 
keit  erfülll,  ihre  Airskleidung  zart  und  glatt.  Sonst  die  Substanz 
des  Groß-  und  Kleinhirns  ohne  Veränderung;  insbesondere  sind, 
abgesehen  von  dom  hescbriebonen,  nirgends  kleinere  BlutaUs- 
tritte  wahrnelnnhar. 

Das  Unterhautzellgewebe  fettarm,  die  Muskulatur  welk  und 
blaß.  Die  Lagerung  der  Bauebeingeweide  normal. 

Beide  Lungen  frei,  ziemlich  groß,  ihre  Pleura  glatt  und 
glänzend,  von  der  Schniltfläcbe  beider  Lungen  fließt  reicblicb 
dünne,  schaumige  Flüssigkeit  ab,  das  Gewebe  von  mittlerem  Luft¬ 
gehalte,  sehr  hlaßi.  In  der  linken  Lunge  Ober-  und  Unterlappen 
mileinander  verwachsen,  das  Septum  zwischen  beiden  stark  ödema- 
tös  durchtränkt  und  gelb  gefärbt. 

Im  Herzbeutel  einige  Tropfen  klaren  Serums,  im  Epikard 
an  der  Rückfläche  des  Herzens  nahe  der  Ikuzbasis  eine  linsengroße 
Ekchymose.  Der  linke  Ventrikel  etwas  weiter,  die  Klappen  zart 
und  schlußfähig,  das  Herzfleisch  blaß,  sonst  ohne  Veränderung. 
Die  Aorta  in  ihrem  ganzen  Vculaufe  eng,  sehr  elastisch,  ihre 
Wand  sehr  dünn,  ihre  Innenfläche  im  aufsteigenden  Teile  fast 
durchwegs  glatt  und  glänzend,  nur  oherhalb  der  Klappen,  sowie 
nanientlicb  im  Bereiche  der  Aorta  descendens  mit  reichlichen 
hellgell)licben  Fleckchen  und  Streifchen  gesi)renkelt.  Auch  die 
größeren  Gefäße,  wie  z.  B.  die  Karotiden,  auffallend  eng  und 
elastisch. 

Die  Alilz,  auf  das  Zwei-  bis  Dreifache  vergrößert,  selir  plump, 
mit  glatter,  gespannter  Kapsel,  auf  dem  Durchschnitte  dunkelrot  ge¬ 
färbt.  Die  Pulpa  sehr  reichlich,  aber  ziemlich  fest,  wenig  aus¬ 
streifbar.  Nirgends  ii’gendwelcbe  Einlagerung  erkennbar.  Leber 
etwurs  größer  und  plumper,  namentlich  im  linken  Lappen  ver¬ 
größert,  ziemlich  schlaff,  mit  glatter,  blaßbrauncr  Oberfläche.  Die 
Farbe  auf  dem  Durchschnitte  ebenfalls  blaßbraun,  die  Azinus- 
zeichnung  deutlich,  keinerlei  Eitdagerung  wabrnelnnbar. 

Beide  Nieren  auffallend  blaß,  sonst  ohne  Veränderung. 

Der  Magen  ausgedehnt,  seine  Schleimhaut  blaß  und  ziemlich 
glatt,  im  Dünndarm  dünnhreiiger,  gallig  gefärbter  Inhalt,  seine 
SchleindiauL  in  ganzer  Ausdehnung  blaßi,  glatt,  ohne  jegliche 
Follikel-  und  Phutuesschwellung.  Im  Dickdarm  reichlich  wässeriger 
Inhalt,  die  Follikel  allenthalhen,  geschwellt,  annähernd  gleich  größt 
ettva  von  Hirsekorngröße.  Die  mesenterialen  Lymphdrüsen  leicht 
vergrößert,  bis  zu  Bohnengröße,  auf  der  Oberfläche  und  auf  dem 
Durchschnitte  grauweiß.  Die  retroperitonealen  sowie  die  inneren 
inguinalen  Lymphdrüsen  nicht  vergrößert. 

Die  Schleimhaut  des  weichen  Gaumens  und  der  hinteren 
Rachenwaml  blaß  und  zart,  die  Follikel  am  Zungengrund  und 
die  Tonsillen  voiv  gewöbnlicber  Größe,  ohne  jede  Veränderung.  Die 
Schleimhaut  des  Kehlkopfes  und  der  Trachea  blaß  und  glatt, 
Oesophagus  ohne  Befund.  Die  Lymphdrüsen  am  Halse  beiderseits 
leicht  vergrößert,  bis  bobnengroß,  ziendich  fest,'  scharf  begrenzt, 
auf  dem  Durebsebnitte  grauweiß  gefärbt.  Die  Lymphdrüsen  der 
Axillae  nicht  vcrgi'ößort,  die  äußeren  inguinalen  I^ympbdrüsen  bis 
höchstens  hobnengroß,  von  der  gleichen  Beschaffenlieit  wie  die 
Halslymphdrüsen.  > 

Das  Sternum  äußerlich  ohne  Veränderung,  auf  dem  Durch¬ 
schnitte  die  Spongiosa  etwas  rarefiziert,  in  den  Markräumen 
Aveiches  Mark,  das  auffallend  grasgrün  gefärbt  ist.  Sämtliche 
Ripi)en  schimmer]i  durch  das  Periost  grün  durch;  auf  der  Säge¬ 
fläche  findet  sich  in  allen  Rippen,  die  eröffnet  werden,  an  Stelle 
des  Markes  eine  grasgrüne  Gewebsinasse,  innerhalb  deren  spärliche 
Knochenbälkchen  sichtbar  sind.  Die  Korükalis  ist  überall  erhalten, 
stellenweise,  so  namentlich  gegen  das  sternale  Ende  der  Rippen  zu, 
sehr  dünn.  Bei  Hcj’ausnahme  der  Brust-  und  Baucheingeweide 
treten  überall  längs  der  ganzen  Wirbelsäule  an  der  vorderen 
Fläche  der  Wirbelkörper  grüne  Gewebsmassen  zutage,  die  zum 
Teil  flache,  beetartige,  bis  kronenstückgroßio  Herde  bilden,  welche 
mit  den  Wirhelkörpcrn  in  innigem  Zusammenhänge  stehen,  zum 
T(‘il  in  Form  schmaler  Streifen  allenthall)en  in  die  Muskulälur 
längs  der  Wirbelsäule  eindnngen  und  dieselbe  durchsetzen.  Im 
Zellgewebe  des  Douglas  sehen  Raumes,  sowie  hinter  dem  Rek¬ 
tum  finden  sich  ebeid'alls  große“,  flache,  grasgrüne  Placiues','  die 
mit  dem  Kreuz-  und  Steißbein  zusanimenbängen.  Auf  einer  media¬ 
nen,  durch  die  ganze  AVirbelscäule  und  das  Kreuzbein  geführten 
Sägefläcbe  finden  sich  in  allen  AVirhelkörpern  grasgrüne,  ziemlich 
Aveiche  Knot(“n,  die  oft  konfluiereu,  meist  bis  hart  an  die  Korti- 
kalis  hei'anreicben,  oft  auch  dieselbe  durchsetzen  ujid,  Avie  be¬ 
schrieben,  in  Form  Amn  flachen  Pb'Kiues  oder  schmalen  Streifen 
an  der  Außenfläche  der  Wirbel  sicldhar  sind.  Die  Spongiosa- 
bälkcben  der  Wirbel  sind  zum  Jeil  erbalteu,  zum  Teil  fehlen 
sie  in  größerer  Ausdehnung.  ZAAUSeben  den  grünen  Gewebsmassen 
findet  sich  rotes  Knochenmark.  Der  linke  Humerus  zeigt  an  seiner 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Aiil.k*nlläcli(>  in  der  l'iug(;l)uiig  dos  K()i)l’es  und  den  oberslen 
Anleih'ii  tier  Diapliyse  l'laelie,  giäuie  Aiil'lagerungen.  Auf  dem 
Dnrehselmil (y  enveisl  sich  die  Mai'kliölde  als  sehr  geräumig  und 
in  den  beiden  oljeivn  DriKeilen  ganz  von  mäßig  weiclicn,  gras¬ 
grünen  Massen  ausgel'ülU.  Die  Korlikalis  ist  daselbst  selir  dünn, 
slellenwadsc  von  dim  grünen  iMassen  dnrcliwachsen.  im  unteren 
Dritfidl  der  Diapliyse  findet  sich  weiches  rotes  Mark,  das  isolicrle, 
gut  umschrieliene,  kleine,  grüne  Knoten  einscldießit,  von  welchen 
einer  gut  bolmengroß  isl,  die  anderen  viel  kleiner  sind.  Der  litdce 
Femur  wird  an  seinem  Jlalso  von  einer  grasgrünen  Crewcbsmasse 
übei'lagert,  die  mit  den  Knochen  in  innigem  Zusammenhänge 
stehl.  Auf  der  Sägefiäche  ist  die  obere  Hälfte  des  Knochens  fast 
völlig  von  einem  grasgrünen  Gewebe  eingenommen,  das  an  meh- 
i’eren  Stellen,  so  namentlich  am  Schenkelhals,  die  Korlikalis 
durchselzt.  Im  übrigen  Anteil  <les  Knochens  teils  weiches,  rotes 
(,,lymphoides“)  Mark,  in  welchem  einzelne,  bis  erbsengroße,  grüne 
Knoten  zu  sehen  sind,  teils  (in  dem  distalen  Anteil)  noch  Fett- 
niark  erhalten.  Der  rechte  Femur  an  der  üherflächc  ohne  Ver¬ 
änderung.  Auf  dem  Durchschnitte  findet  sich  weiches,  rotes  Mark, 
Kopf  und  Hals  auffallend  grasgrün  gefärbt,  indem  in  den  Maschen¬ 
räumen  der  Spongiosabälkchen  weiche  grüne  Massen,  die  sich 
stellenweise  mit  dem  Skalpell  herausheben  lassen,  eingeschlossen 
sind.  Gegen  das  Kniegelenk  zu  ist  auch  hier  noch  Fettmark  er¬ 
halten.  Das  Becken  außen  ohne  Veränderung.  Auf  Sägeschnitlen 
durch  beide  Darmbeinschaufeln  erscheinen  dieselben  im  Innern 
intensiv  grün  gefärbt,  indem  ebenfalls  in  den  Maschenräunien  der 
Spongiosa  weiche  grüne  Massen  eingeschlossen  sind. 

Die  grüne  Farbe  sämllicher  Knochen  blaßt  bei  längerem 
Liegen  an  der  Luft  zusehends  ab  und  geht  in  ein  schmutzi,ges 
Hauchgrau  oder  blasses  Grasgrün  über. 

Einige  frisch  durchsägie  Knochen  wurden  in  Kai¬ 
ser  lingscher  Flüssigkeit  im  Dunkeln  konservieiä.  An  diesen 
Fräl)araLen  ist  das  Gescluvulslgewebe  wohl  deutlich  vom  roten 
Mark  zu  mderscheiden,  seine  Farbe  aber  ist  in  ein  schmutziges  Grau¬ 
grün  ühergegangen. 

Fassen  wir  (Jas  Wesentliclie  aus  Kraiikengeschiclile 
und  Sekt iousbef und  zusaiinmeu,  sO'  ergibt  sich: 

Eine  scliwere  Allgemeiuerkra,ukiiug,  die  wenige  Monate 
nach  dem  Auftreten  der  ersten  Symptome  zum  Tode  führt. 
Allmäldicb  entwickelt  sicli  unter  den  Erscbeimingen  einer 
bämorrhagisclien  Diatliese  eine  Irodigradige  Anämie,  doch 
erst  während  der  letzten  Woclien  ist  ein  rasch  znnelnnender 
Kräfteverfall,  begleitet  von  einem  remittierenden  Fieljer  zu 
verzeichnen.  Die  Leiche  bot  die  Zeichen  einer  schweren, 
clironischen  Anä,niie,  Hämorrhagien  der  Haut  und  einen 
chronischen  Milztnmor  mäßigen  Grades.  Fast  das  gesamte 
Knochenmark  ist  durch  ein  weiches  grasgrünes  Gewebe 
ersetzt,  das  in  den  Diaphysen  der  langen  Röhrenknochen 
bloß  in  Form  einzelner,  häufig  konfluierender  Knoten  in¬ 
mitten  roten  Alarkes  auf  tritt,  während  die  spongiösen  Teile 
der  Knochen  (Wirbel,  Rippen,  Becken,  Ei)iphysenenden  der 
Ilöbrenknochen)  nahezu  vollsländig  davon  'durchsetzt  sind. 
Nur  in  den  distalen  Enden  der  Röhrenknochen  sind  Reste 
gelben  Alarkes  zu  sehen.  Kein  einziger  Knochen  des  ganzen 
Skelettes,  soweit  es  der  Untersnehung  zugänglich  gewesen 
ist,  war  von  dieser  Veränderung  frei.  iVn  verschiedenen 
Stellen,  besonders  an  der  Vorderfläche  der  Wirbelkörper  und 
des  Kreuzbeines  und  an  den  Flals teilen  der  Röhrenknochen, 
findet  sich  die  grüne  Aftermasse  auch  an  der  Oberfläche 
der  Knochen  und  infiltriert  die  benachbaiden  Gewebe,  so 
daß  Geschwülste  in  Form  flacher  Knoten  und  Plalten  ent¬ 
stehen.  Wie  Sägeschnitte  erkennen  lassen,  ist  die  Korlikalis 
stellenweise  rarefiziert,  so  daß  die  grünen  Alassen  an  der 
Überfläche  mit  denen  im  Innern  der  Knochen  unmitlelbar 
Zusammenhängen. 

Nach  diesem  Befunde:  Entwicklung  mullipler,  grüner, 
weicher  Geschwülste  im  Periost  und  Knochemnarke,  kann 
wohl  kein  Zweifel  bestehen,  daß  wir  es  mit  einem  Fälle 
von  Chlorom  zu  tun  haben. 

Was  diesen  Fäll  aber  von  allen  bisher  Ijekannt  ge¬ 
wordenen  Fällen  unlerscheidet,  ist  der  ünisland,  daß  die 
Geschwulstbildung  ausschließlich  aut  das  Skelett  beschränkt 
ist  und  am  übrigen  lymphaliscben  Ai)i)arate,  abgesehen  von 
dem  Alilziumör,  mit  freiem  Auge  nirgends  eine  wesentliche 
Veränderung  zu  bemerken  war.  ln  allen  anderen  Fällen 
fanden  sich  an  einer  oder  der  anderen  Stelle  des  Körpprs 


Tumoren,  die  olfenlpir  vom  lympbatischen  Gewebe  atdler- 
halb  des  Skelettes  (Lymphdrüsen,  Thymus,  adenoidem  Ge¬ 
webe  der  Konjunkliva  usw.)  ihren  Ausgang  genommen 
hatten  oder  als  Metastasen  aufgefaßt  werden  junßten  und 
nebenbei  sehr  InUd'ig  eine  Schwellung  des  gesanden  oder 
einzelner  Teile  des  lymphatischen  Api)arales,  die  teilweise 
auch  durch  die  eigentümliche  grüne  Färl)nng  ausgezeiebnet 
war.  Von  den  allen  Fällen,  aus  der  Zeil,  in  der  das  Chlorom 
noch  als  ein  Rundzellensarkom  periostalen  Ursprunges  auf- 
gefaßt  wurde,  sehen  wir  hier  natürlich  ab.  Die  besi)rochene 
eigentümliche  Lokalisation  der  pathologischen  Voränderung 
berechtigt  in  unserem  Fälle  zu  der  Annahme,  daß  sie  vom 
Knochenmark  ihren  Ausgang  nehme,  und  es  handelt  sich 
nun  noch  um  die  Frage,  ob  von  der  lymphoiden  oder  niye- 
loiden  Komponente  dieses  Gewebes.  Während  nändich  in 
der  Mehrzahl  der  F'älle  von  Chlorom  die  Tünioren  eljeiiso 
wie  die  vergrößerten  Lymphdrüsen  und  die  grünen  Teile  des 
Knochenmarkes  aus  Anhäufungen  großer  lymphoider  Zellen 
bestanden,  sind  bisher  vier  Fälle  (Klein-Stein  h, aus, 
Türk,^)  Sternberg,^)  Weinberger)  bekannt  geworden, 
in  denen  die  cbloromatösen  Bildungen  aus  myeloiden  Zellen 
auf  gebaut  waren.  Möglich,  daß  diese  Art  nicht  so  selten 
und  der  myeloide  Charakter  der  Zellen  in  früheren  Fällen, 
die  nicht  mit  der  unserer  lientigen  Auffassung  vom  Wesen 
des  Chloroms  entsprechenden  Genauigkeit  untersucht  sind, 
übersehen  worden  ist.  Wir  unterscheiden  demnach  zwischen 
einer  lymphoiden  und  myeloiden  Form  des  Chloroms  (Chloro- 
dymphosarkomatose  und  Chloromyelosarkomatose),  die  beide 
in  der  Regel  wohl  auch  durch  einen  entsprechenden  Blut- 
Ijefund  zu  unterscheiden  sein  werden.  Im  anatomischen 
Befunde  läßt  sich  jedoch  ein  Unterschied  zwischen  diesen 
beiden  iVrten  maikroskopisch  einstweilen  noch  nicht  fest¬ 
stellen.  Im  vorliegenden  Fälle  war  es  nun  unsere  Aufgabe, 
durch  die  histologische  Untersuchung  zn  entscheiden,  ob 
es  sich  um  eine  lediglich  im  Knochenmark  lokalisierte  Chloro- 
lymphosarkomatose  oder  um  eine  Chloromyelosarkoma- 
tose  handelte. 

Zu  diesem  Zwecke  wurden  Stückchen  aus  den  roten 
und  grünen  Teilen  des  Knochenmarkes  der  Röhrenknochen 
in  Alkohol,  Formalin,  Alüllerformalin,  Pikrinsubliniat  und 
Flemming  scher  Lösung,  Stückchen  von  den  periostalen 
Geschwülsten,  Milz,  Lymphdrüsen,  Dickdarmschleimhaut, 
Leber,  Nieren  und  das  Geschwülstchen  im  Zahnfleisch  in 
Pikrins ublimat  fixiert. 

In  den  unlcrslicliten  Teilen  des  Knoclieinnaikes  erweist  sieh 
das  Feltmark  vollständig  ersetzt  durch  ein  sehr  zellreiches  Ge¬ 
webe.  jlasselhe  besitzt  ein  zartes  Helikulinn,  in  dessen  weite 
iMaschen  dichtgedrängte  Zellen  eingelagert  sind.  Nur  in  wenigen 
Präi)araten  sind  vereinzelt  Feltzellen  zu  sehen.  Schnitte  aus  ilen 
grünen  Markteilen  zeigen  niikroskopisch  ein  sehr  einförmiges  Bild. 
Die  Zellen,  die  das  Belikuluni  füllen,  sind  fast  alle  einkernig,, 
von  ziemlich  gleicher  Größe,  etwa  doppelt  so  groß  wie  ein  rotes 
Blutköiperchen  oder  etwas  größer,  rund,  oval  oder  leicht  gegen¬ 
einander  abgeplattet.  Ihr  Protoplasma  ist  trüb,  dicht  von  fcinslen 
Körnchen  durchsetzt.  Ihr  Kern  besitzt  etwa  den  halben  Durcli- 
niesser  der  Zelle,  ist  meist  rund  und  liegt  exzentrisch.  Er  färbt 
sich  mit  den  verschiedenen  Kernfärhen  zart  und  zeigt  ein  deutliches 
Kerngerüst.  Hie  und  da  besitzt  der  Kern  eine  leichte  Einschnü¬ 
rung  oder  es  liegen  zwei  getrennte,  runde  Kerne  gleicher  Art 
wie  in  den  eiidvernigen  Zellen  oder  etwas  kleiner  in  einer  Zelle. 
Mitosen  waren  nicht  mit  Sicherheit  nachzuweisen.  Zwischen  den 
bisher  heschi  liehe  neu  Zellen  sieht  man  spärlich  polynukleäre  Leuko¬ 
zyten  und  fast  noch  spärlicher  rote  Blutkörperchen.  Von  kern¬ 
halligen  roten  ließen  sich  in  allen  untersuchten  Schnitten  nur 
wenige  auffiuden.  Von  einkernigen  ungranulierten  und  Knochen- 
niarksriesenzellen  ist  in  diesen  Teilen  nichts  zu  sehen.  Die  Kapil¬ 
laren  sind  sehr  eng.  Soweit  sie  ühei'haupt  erkennbar  sind,  läßt 
sich  weder  ein  auffallender  [nhall,  noch  auch  eine  besondere 
Lageheziehung  tier  heschiiehenen  Zellarlen  zu  ihnen  beobachten. 
Vereinzelt  finden  sich  kleine,  unregelmäßig  begrenzte  Blutauslritte. 

K  1  e  i  n  -  S  t  e  i  n  h  a  u  s,  Zcntralhlatt  für  allgemeine  Pathologie 

v:m,  ßd.  2. 

b  Türk,  Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  in 
Wien  vom  12.  Februar  1903. 

b  S  t  e  r  n  b  e  r  g,  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie,  Bd.  37,  H.  3. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Bei  Triazidl'iirliiiiig  (.‘rsclioiiieii  die  eiiikci’iugi'ii  Zellen  last 
dimd)W<‘g  iieuli'epldl  graiudierl  (iieiili'ophilc  Myelozyten),  nur  sehr 
spärlicdi  findet  inan  <laz\vischen  Zellen  mit  azidophilen  (iranidis; 
ebenso  sind  die  [lolyimkleären  Leukozyten  neutrophil  granuliert. 

Ziemlich  zahlreiche  Retikulumzellen  erscheinen  dicht  erfüllt 
mit  Kügelchen  verschiedener  Größe  bis  zur  Größe  eines  roten 
Blutköi'perchens,  die  in  Eosin-  wie  in  Triazidpräparaten  intensiv 
rot  gefärbt  sind.  Einzeln  finden  sich  solche  Kügelchen  auch  im 
1'rotopla.sma  von  neutrophilen  IMyelozyten,  meist  von  einem  hellen 
Hofe,  ähnlich  einer  Vakuole,  umgehen,  ln  Eosinophilen  sind  solche 
Einschlüsse  nicht  zu  beobachten. 

Schnitte  aus  üen  roten  Teilen  des  Knochenmarkes  gewähren 
ein  viel  bunteres  xVussehen.  Auch  hier  finden  sich  reicldich  die 
eiid^ernigen  Zellen,  die  in  den  grünen  Anteilen  das  -  Bild  he- 
herr.schen.  Doch  ist  die  Zahl  der  Eosinophilen  hier  be- 
trächtlich  größer.  Während  diese  unregelmäßig  zerstreut  im 
Gewebe  liegen,  bilden  die  Neutrophilen  meist  kleinere 
o(h‘r  größere  Nester.  Ferner  sind  sehr  reichlich  kleine  Zellen 
mit  intensiv  dunkelgefärbtem  Kern  ohne  erkennbare  Struktur  und 
ganz  schmalem  Brotoplasmasaum  (kleine  Lymphozyten)  und  große 
Z(dlen  mit  rundem,  sehr  blalt  gefärbtem,  häufig  sehr  großem  Kerne 
und  Lingranuliertem  Brotoplasmasaum  von  wechselnder  Breite 
(gi'oße  Jjymphozylen  und  einkernige  Jjcukozyten  Ehrlichs) 
zu  sehen.  Die  polymorphkernigen  Leukozyten  sind  gegenüber  nor¬ 
malen  Vei'hältnissen  an  Zahl  vei'niindert,  jedoch  reichlicher  als  in 
den  grünen  Teilen,  die  eosinophilen  mder  ihnen  bleibim  an  Zahl 
hinter  den  eosinophilen  Einkernigen  bedeutend  zurück.  .Nebeir 
typischen  Knochenmarksriesenzellen  finden  sich  reichlich  große 
sc.liollige,  ahgernndele  Gebilde  von  gleicher  bis  zur  (ioppelten 
Größe  der  letztgenannten  Zellart.  Sie  zeigen  in  der  Mitte  des. 
homogenen,  mit  Eosin  sattrot  gefärbten  Leibes  diedd  gehäufte, 
runde  Chromatintröpfchen  von  wechselnder  Größe,  die  von  einem 
sehr  zarten,  gekrümmten,  Kernfarbstoff  annehmenden  Saum  imi- 
faßt  sind,  der  einer  schlauchförmig  gewundenen  Kernmembran 
zu  entsprechen  scheint  und  innerhalb  dessen  die  Grundfarbe 
heller  ist  als  das  umgebende  Protoplasma.  Er  ist  nicht  überall 
deutlich  erkennbar. 

Das  Zahlenverhältnis  der  einzelnen  Zellarten  zueinander 
we(diselt  in  verschiedenen  Präparaten  sehr  stark,  so  daßi  das 
mikroskopische  Bild  des  roten  ^Markes  sich  in  einzelnen  Teilen 
dem  eben  beschriebenen  des  gninen  Markes  sehr  nähert,  indem  die 
neutrophil  granulierten  einkernigen  Zellen  stellenweise  auch  im 
roten  Marke  die  IMehrzahl  ausmachen,  während  die  anderen  Ele¬ 
mente  an  Zahl  beträchtlich  zurücktreten. 

Irgendein  auffall rnder  Pigmentgehalt  ist  weder  an  unge¬ 
färbten  Schnitten,  noch  auch  nach  F.ärbung  mit  Scharlach  R  oder 
an  Gsmiumpräparaten  zu  bemerken.  Ebensowenig  sind  in 
Schnitten  Charco  t-Leyd  enschc  Kristalle  zu  finden,  nach  denen 
Under  im  fiischcn  Ausstrich  nicht  gesucht  worden  ist. 

Die  grünen  Geschwulstmassen,  die  sich  vor  der  Wirbel- 
säide  finden,  bestehen  aus  dichten  Anhäufungen  einkerniger,  in 
ein  feines  Ihdiknlum  eingelagerter  Rundzcllen,  die  Periost  und 
Bandmassen  in  breiten  Lücken  durchbrechen,  das  Fettgewebe 
größtenteils  'ei'setzen  und  in  Form  einzelner  gegen  die  Peripherie 
an  (.Iröße  immer  mehr  abnehmender  Stränge  und  Haufen  in  die 
.Muskulatur  eindiingen.  Die  Muskelhündel  werden  dadurch  aus- 
(ünandergedrängt  und  stellenweise  in  einzelne  Fasern  aufgespallen. 
die  dann,  vielfach  versclnnälert,  isoliert  innerhalb  der  Rund¬ 
zellenmassen  liegen.  Die  nähere  Beschreibung  der  Infiltrate  wäre 
eine  bloße  Wiederholung  des  über  das  grüne  Mark  Gesagten.  Sie 
bestehen  fast  ausschließlich  aus  neutrophilen  IMyelozyten. 

Zu  bemerken  ist  nur,  daß  hier  eosinophile  Zelten  nicht  mit 
Sichei'heit  nachzuweiseJi  waren  und  daß  die  Granulierung  der 
Z(dlen  an  einzelnen  Stückchen  überhaupt  undeutlich  ist  (anschei' 
nend  Folge  mangelhafter  Fixierung). 

Das  Geschwülstchen  im  Zahnfleisch  besteht  aus  einer  An¬ 
häufung  von  Rundzcllen,  die  in  den  mittleren  und  unteren 
Schichten  der  Schleimhaut  liegen.  Teilweise  sind  sie  sehr  dicht 
gedrängt  und  an  solchen  Stellen  in  ein  feines  Rclikulum  einge- 
lagerl,  teilweise  jedoch  ist  die  Anhäid'ung  weniger  dicht.  Sie 
ist  unscharf  begrenzt,  indem  SIränge  und  Haufen  von  Zellen 
sowohl  nach  oben  gegen  das  Epithel,  wie  auch  seitlich  in  das  an- 
gi’cnzendc  Gewebe  sich  erstrecken.  Der  überwiegenden  Älehrzahl 
nach  sind  es  große  einkernige  Zellen.  Reichlich  finden  sich  dar¬ 
unter  Zellen  mit  größerem  hellen  Kern  und  relaliv  schmälerem 
‘oplasma.  Giunnla  sind  hier  nicht  deutlich  zu  sehen.  Auch  in 
d(‘n  zahlreichen  Zellen,  die  die  Form  der  iMyelozylen  zeigen,  ist 
die  Granulation  größtenteils  undeutlich.  Einzelne  sind  eosinophil 
granuliert.  Dazwischen  finden  sich  spärlich  i)olymorphkernige 


]j(  ukozyten,  kleine  Lymphozylen,  Zellen  ähnlich  diesen,  jedoch 
mit  blassem  Kerne  verseilen  und  fleckenweise  reichlich  rote  Blut- 
körpei'chen. 

Die  Milz  ist  sehr  zellreich,  ihr  Stroma  von  normaler  Aus- 
hildung,  die  Follikel  stärker  entwickelt,  indem  sie  in  Form  kon- 
linuierlicher  Scheiden  die  Arterienästchen  umhüllen;  auch  ihr 
Durchmesser  ist  etwas  vergrößert;  sie  hestrdien  aus  kleinen 
Lymphozyten.  Die  Pulpa  enthält  sehr  reichlich  rote  Blutkörper¬ 
chen.  Außerdem  finden  sich  in  großer  Menge  regellos  verteilt  ein¬ 
kernige  granulierte  Zellen,  wie  sie  im  Knochenmark  beschrieben 
sind.  Sehr  zahlreich  sind  darunter  die  Eosinophilen.  Doch  ist 
hier  die  Entscheidung  über  die  Art  der  Granula  bei  der  IMehr¬ 
zahl  der  Zellen  sehr  schwielig,  indem  sie  sehr  häufig  von  un¬ 
gleicher  Größe,  dabei  aber  intensiv  i'ot  gefärbt  sind  (mangelhafte 
Fixierung?).  Von  anderen  Elementen  finden  sich  ziemlich  reichlich 
IMegakaryozylen  sowohl  intra-  als  cxtravaskulär.  Innerhalb  der 
weiten  Kapillaren  sind  häufig  kleine  nestförmige  Anhäufungen  von 
Zellen  mit  großem  runden  Kern  mit  deutlichem  Kerngerüst  und 
meist  schmalem,  scheinbar  ungranülierten,  oft  zackigen  Proto¬ 
plasmasaum  zu  beobachten.  An  der  Zusammensetzung  der  Pulpa 
nehmen  außerdem  kleine  Lymphozyten  und  reichlich  ])olyniorpli- 
kemige  Leukozyten  teil,  unter  denen  wiedorum  die  eosinophilen 
stark  vei'lreten  sind. 

Die  Lymphdrüsen  zeigen  normalen  Aufbau.  Nirgends  ist  eine 
Infillralion  der  Kapsel  wabrzunehmen.  In  geringer  Zahl  finden 
sich  in  IMarksträngen  und  auch  in  den  Follikeln,  die  gut  gegen¬ 
einander  abgrenzhar  sind,  einzelne  neutrophil  und  eosinophil 
granulieite  einkernige  Zellen  und  etwas  reichlicher  polymorph¬ 
kernige  Leukozylen  beiderlei  Granulation. 

Die  vergrößerten  Lymphfollikcl  des  Dickdarmes  bestehen 
nur  aus  Lymphozyten. 

Die  Niere  bietet  außer  degenerativen  Veränderungen  keinen 
■wesen  11  ic hen  Befund. 

Die  Leber  zeigt  noj'inale  Struktur.  Das  Protoplasma  der 
Leberzellen  ist  allenthalben  ziemlich  gleichmäßig  in  Zentrum  und 
Peripherie  der  Azini  von  feinen  hellen  Lücken  durchsetzt.  Weder 
im  inlerazinösen  Binilege’webe,  noch  innerhalb  der  Läppchen  sind 
Zellanhäufungen  zu  sehen.  Innerhalb  der  Gefäße  jedocli  scheinen 
die  'weißen  Blulkörpcrchcn  leicht  vermehrt  zu  sein  u.  zw.  sieht  man 
kleine  Lymphozyten,  große  einkernige  Zellen  mit  sehr  großem 
hellen  Kern  und  meist  sehr  schmalem  ungraiiulierten  Protoplasina- 
saum,  der  an  einzelnen  Exemplaren  wie  aüsgenagt  aussieht,  manch¬ 
mal  auch  vollkommen  fehlt,  polymorphkernige,  neutrophil  granu¬ 
lierte  Leukozyten,  neutrophile  und  eosinophile  einkernige  Zellen 
von  der  im  Knochenmark  vorherrschenden  Art  und  einzelne  Mega- 
karyozylen.  Ueber  das  Zahlenverhältnis  der  einzelnen  Zellarten 
zueinander  läßt  sich  nichts  aussagen,  denn  der  Versuch,  durch 
Auszählung  dieses  Ziel  zu  erreichen,  scheitert  daran,  daß  wohl 
bei  der  Hälfte  der  kernhaltigen  Blulzcllcn  eine  Bestimmung  ihrer 
Art  unmöglich  ist;  doch  gewinnt  man  den  Eindruck,  daß  die 
polymorphkernigen  Formen  den  einkernigen  ungefähr  das  Gleich¬ 
gewicht  halten,  daß  also  die  letzteren  im  strömenden  Blute  ver¬ 
mehrt  sind. 

In  Kürze  zusammengelaßl  ist  das  Ergebnis  der  histolo¬ 
gischen  Untersnchiing  folgendes:  Die  grünen  Teile  des 
Knochenmarks  bestehen  fast  ansschließlich  aus  Myelozyten, 
zwischen  denen  sich  nur  ganz  vereinzelt  andere  Elemente 
finden.  Doch  auch  im  roten  Marke  sind  die  Myelozyten  be¬ 
trächtlich  vermehrt.  Die  grünen  GescliwulsHnassen  an  der 
Oberfläche  der  Knochen  gleichen  in  ihrer  Zusammensetzung 
vollständig  den  grünen  Teilen  des  Markes  und' dringen  diffus 
infiltrierend  in  Binde-  und  Fettgewebe  und  in  die  benach¬ 
barte  Muskulatur  ein.  Ein  kleines,  aus  älndichen  Elementen 
l)estehendes  Infiltrat  findet  sich  im  Zahnfleisch,  ln  der 
Milz  sind  ziendich  reichlich  Myelozyten  und  Knochenmarks¬ 
riesenzellen  zu  sehen,  erstgenannte  Zellart  auch  vereinzelt 
in  den  Lymphdrüsen,  tlie  sonst  normalen  Aufl)au  zeigen. 
Die  Leber  ist  frei  von  Infiltraten.  Nach  dem  Inhalte  ihrer 
Kapillaren  zu  schließen,  sind  im  Blute  vor  dem  Tode  die 
weißen  Blutköiirerchen  gegenüber  der  Norm  vermehrt  ge¬ 
wesen.  Unter  den  einkernigen  Formen,  die  scheinbar 
in  mäßigem  (Irade  auch  relativ  vermehrt  waren,  finden  sich 
neutrophile  und  eosinophile  Myelozyten.  Außierdeni  waren 
Knochenniarksi'iesenzellen  zu  finden. 

Wdr  haben  es  also  hier  mit  einer  fast  ansschließilich 
am  Knochensystem,  sp0zi(dl  am  Knochenmark  lokalisierten 
Wucherung  zu  tun  und  jnüssen  nach  dem  histologischen 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1907. 


597 


Befiiiiclo  das  niyeloide  Gewebe  als  ihren  Ausgangspunkt  be- 
Iracdileu.  Die  Entstehung  der  periostalen  Geschwülste  läßt 
sich  zwanglos  in  der  Weise  (uhlären,  daßi  die  Wucdierung 
(uitweder  enllang  der  Knochengefäßie  aus  dein  Markraxinie 
an  die  Außienfläche  fortsclireitet,  wotür  sich  Hisel  aus- 
sprichl,  oder  die  IvortikaJis  einfach  durchbrochen  hat,  wofür 
in  unserem  Falle  nach  dem  obigen  anatomischen  Befunde 
der  teilweise  Schwund  der  Korükalis  spricht.  Die  zur  histo¬ 
logischen  Untersuchung  bestimmten  Geschwulstteile  wurden 
mit  scharfem  Messer  hart  am  Knochen  abpräpariert.  Sie 
zeigten,  wie  oben  beschrieben,  daßi  die  Infiltrate  die  unter¬ 
sten  Bindegewebslagen  in  breiten  Lücken  durchbrachen.  Das 
kleine  Infiltrat  im  Zahnfleisch  dürfte  wohl  auch  vom  Knochen 
ausgegangen  sein. 

Der  Aufbau  der  grünen  Geschwülste  aus  myeloiden 
Zellen  reiht  den  Fall  unter  die  Erki’ankungen  des  Myeloid- 
ge wehes  ein. 

Wir  kennen  drei  Kraukheitsprozesse,  die  durch  eine 
Wucherung  des  myeloiden  Gewebes  gekennzeichnet  sind, 
das  myeloide  Myelom,  die  niyeloide  Leukämie  und  das  mye- 
loide  Chlorom.  Das  erste  stellt  eine  meist  in  Form  um¬ 
schriebener  Knoten  auftretende  Hyperplasie  des  Myeloid- 
gowebes  dar,  die  myeloide  Leukämie  ist  eine  mehr  diffuse 
Hyperplasie  desselben  Gewebes  mit  Ausschwemmung  von 
Myelozyten  in  das  Blut  und  myeloider  Umwandlung  anderer 
Teile  des  lymphatischen  Apparates.  Bezüglich  der  Stellung 
des  Chloroms  .jedoch  sind  vlie  Meinungen  der  Autoren  ge¬ 
teilt.  Da  auch  beim  myoloirlen  Chlorom  bisher  noch  stets 
ein  myeloidleukäinischer  Bluthefund  beohachtet  wurde, 
rechnen  es  einige  zur  myeloiden  Leukämie,  von  der  es 
andere  scharf  getrennt  wissen  wollen. 

Sehen  wir  nun,  wie  weit  die  bisher  bekannten  Fälle, 
einschließlich  dem  unsrigen,  ein  Urteil  in  dieser  fhage  ge¬ 
statten.  Zweifellos  zeigen  sie  in  mancher  Beziehung  eine 
große  Aehnlichkeit  mit  der  myeloiden  Leukämie,  wie  jedoch 
gleich  betont  werden  soll,  bloß,  mit  der  akuten  Form  dieser 
Erkrankung,  von  der  auch  nur  wenige  Fälle  bekannt  sind. 
Die  Aehnlichkeit  äußert  sich  sowohl  im  Krankheits verlaufe, 
wde  auch  im  Blutbilde,  das  oft  erst  kurze  Zeit  vor  dem 
Tode  einen  krankhaften  Charakter  annimmt.  Das  Zahlen¬ 
verhältnis  der  einzelnen  Zellarten  zueinander  kann  bei 
beiden  Erkrankungen  beträchtlich  schwanken,  übereinstim¬ 
mend  jedoch  wird  der  Mangel  der  Mastzellen  und  das  spär¬ 
liche  Vorkommen  eosinophiler  Zellen  beschrieben. 

In  unserem  Falle  können  wir  leider  über  den  Blut¬ 
befund  nichts  berichten,  da  seine  Aufnahme  zu  Lebzeiten 
der  Patientin  unterblieben  ist.  Präparate  aus  dem  Leichen- 
blute,  das  fast  überall  geronnen  war,  erwiesen  sich  als 
ganz  unbrauchbar.  Doch  scheint,  nach  dem  Inhalte  der 
Leberkapillaren  zu  schließen,  eine  Vermehrung  der  ein¬ 
kernigen  Elemente  im  Blute  bestanden  zu  haben,  unter  denen 
Myelozyten  reichlich  vertreten  waren. 

Im  anatomischien  Befunde  aber  besteht  ein  wesentlicher 
und  konstanter  Unterschied  zwischen  dem  myeloiden  Chlo- 
'  rom  und  der  myeloiden  Leukämie.  Das  Wesen  dieser  liegt 
in  einer  Hyperx)lasie  der  myeloiden  Elemente  des  Knochen¬ 
marks  und  einer  myeloiden  Umwandlung  anderer  Teile  des 
lymphatischen  Apparates.  Auf  keinen  Fall  jedoch  koninit  es 
bei  der  Leukämie  zu  einem  Einwachsen  des  Myeloidgewebes 
aus  dem  Knochenmarke  oder  den  Lymphdrüsen  in  die 
Umgebung,  ,,in  fremde  Texturen“.  Dies  gilt  auch  für  die 
akute  myeloide  Leukämie,  bei  der  die  anatomischen  Ver¬ 
änderungen  meist  weniger  ausgesprochen  sind  als  bei  der 
chronischen  und  bei  der  besonders  der  Milz  tumor,  ähnlich 
wie  beim  Chlorom,  nur  einen  geringeren  Grad  erreicht.  Ver¬ 
gleichen  wir  damit  die  bisher  bekannten  Tälle  von  niyeloi- 
dem  Chlorom.  Im  Falle  von  Klein-S  teinhans  fanden  sich 
grüne  Geschwulstmassen  am  Sternum,  an  den  Hippen,  an 
I  der  Wirbelsäule  und  am  Schädel,  im  Fälle  Turks  an  den 
Lendenwirbelkorpern,  Sternbergs  lall  zeigte  eine  chloro- 
ftmatüse  Geschwulst  am  Perineum  und  einen  zerfallenden, 
sämtliche  Schichten  der  Wa.ud  infiltrierenden  Tumor  im 


untersten  Ileum!  und  an  der  B  a  u  h  i  n  scheu  Klappe  und  W  e  i  n- 
berger  beschreibt  eine  nekrotisch  ulzeröse  Wucherung  am 
Gaumen  mit  Zerfall  der  Gaumenbögen  und  der  Uvula,  die 
,, vielleicht  als  myclosarkonialös  gedeutet  werden“  kann,  ln 
den  beiden  letztangeführten  Fällen  fehlen  die  Wucheruugeii 
am  Perioste,  die  in  unserem  Fälle  an  der  Wirbelsäule  und 
auch  an  Höhrenknochen  reichlich  entwickelt  sind.  Durch 
dieses  eigentümliche  Wachstum,  das  bisher  in  keinem  Falle 
vermißt  wurde,  ist  das  Chlorom  scharf  von  der  Leukämie 
getrennt  und  verhält  sich  in  dieser  Hinsicht  wie  ein  maligner 
Tumor.  Mithin  dürfen  wir  das  myeloide  Chlorom  nicht  der 
myeloiden  Leukämie,  auch  nicht  ihrer  akuten  Form  zu¬ 
rechnen,  es  ist  nicht  als  eine  hyperplastisclie,  sondern  als 
eine  maligne  Wucherung  des  myeloiden  Gewebes  aufzu¬ 
fassen. 

Versuchen  wir,  ihm  eine  Stellung  im  Systeme  an¬ 
zuweisen,  so  ist  auf  die  volle  Analogie  mit  der  anderen, 
lymphoiden  Form  des  Chloroms  hinzuweisen,  von  der  es 
sich  nur  durch  die  Granulation  der  Zellen  unterscheidet, 
während  es  im  übrigen  als  Systemerikrankung  des 
lymphatischen  Apparates,  sowohl  in  Lokalisation  als 
auch  Art  des  Wachstumes  vollständig  mit  ihr  über¬ 
einstimmt.  Das  lymphoide  Chlorom  ist  nun  im  mikro¬ 
skopischen  Bilde  von  der  Lymphosarkomafose  (K\ind- 
r  at- Pal  tauf)  überhaupt  nicht  zu  unterscheiden.  Diesem 
Verhalten  trägt  schon  Pal  tauf  Hechnung,  indem 
er  in  seinem  Systeme  das  Chlorom  als  Anbang  zur 
Kund  rat  sehen  Lymphosarkomatose  stellt.  In  ähnlichem 
Sinne  äußert  sich  Hisel,  „daß  wir  es  hier  mit  einer  grün 
gefärbten,  der  Lymphosai-’koniatose  nahestehenden  Neu-, 
bildung,  Wiichemng  lymphadenoiden  Gewebes  zu  tun 
liaben,  die  in  ihrem  Verhalten  vielfach  Analogien  mit  den 
leukämischen,  bzw.  pseudoleukämischen  Tumoren  darbietet.“ 
Denselben  Standpunkt  vertritt  auch  Sternberg,  der  das 
Chlorom  als  ,,eine  atypische,  der  Lymphosarkomatose  nahe¬ 
stehende  Wucherung“  auffaßt.  Die  beiden  Prozesse  mit¬ 
einander  zu  identifizieren,  wäre  zu  weit  gegangen.  Denn 
auch  gegenüber  der  Lymphosarkomatose  zeigt  das  Chlorom 
Verschiedenlieiten,  vor  allem  das  Auftreten  einer  leukämi¬ 
schen  Blutveränderung. 

Halten  ,wir  uns  vor  Augen,  daß  das  myeloide  Chlorom 
sich  vom  lymphoiden  nur  dadurch  unterscheidet,  daß  die 
Geschwülste  anstatt  aus  ungranulierten,  aus  granulierten 
Zellen  bestehen,  die  auch  im  Blute  erscheinen,  so  folgt 
tlaraus,  daß  es  unter  den  Erkrankungen  des  myeloiden  Ge¬ 
webes  dieselbe  Stellung  einnimmt,  wie  das  lymphoide  Chlo- 
roni  unter  denen  des  lymphoiden  Gewebes.  Das  myeloide 
Analogon  der  Kundratschen  Lymphosarkomatose,  eine 
Sarkomatose  des  Myeloidgewebes  ohne  Grünfärbung  der 
Geschwülste  und  ohne  leukämischen  Blutbefund  kennen 
wir  derzeit  noch  nicht. 

Will  man  also  den  Chloromen  im  Systeme  der  Er¬ 
krankungen  des  lymphatischen  Apparates  eine  Stellung  ae- 
weisen,  so  scheint  es  jedenfalls  ungezwungener,  sie  zu  den 
Sarkomatosen  zu  rechnen  und  dementsprechend  die  lym¬ 
phoide  T'orni  als  Chlorolymphosarkomatose  (Hisel)  oder 
Chloroleukosarkomabose  (Sternberg)  zu  bezeichnen,  welch 
letzteres  Wort  dem  Symptome  des  leukämischen  Blut¬ 
befundes  Hechnung  tragen  soll  und  für  die  myeloide  Form, 
zu  der  unser  ball  gehört,  den  Namen  Chloromyelosarkonia- 
tose  zu  wählen. 

Wenn  Weinberger  sagt,  daß  erst  größere  Beob¬ 
achtungsreihen  entscheiden  werden,  inwieweit  die  Chlorome 
als  selbständige,  von  der  akuten  Leukämie  getrennte  Er¬ 
krankungen  zu  betrachten  seien,  so  spricht  unser  Fall,  ob¬ 
zwar  er  bei  Lebzieiten  hämatologisch  nicht  verfolgt  worden 
ist,  wegen  seines  x)rägnanten  anatomischen  Befundes,  wohl 
für  die  Verwandtschaft  der  Chlorome  mit  der  LymphosaU-  ' 
matose.  i  >  i  . 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


9» 


Ueber  die  Frühdiagnose  des  Magenkarzinoms."^) 

Von  Dr.  Ludwig  t.  Äldor,  Karlsbad. 

•  Das  Bestreben,  die  Diagnose  des  Magenkrebses  schon 
in  einem  Stadium  zu  ermöglichen,  wo  noch  kein  Tumor  zu 
l>alpieren  ist,  hat  im  Laufe  der  letzten  Jahre  eine  ganze 
Beihe  neuer  Untersuchungsvmrfahren  liervorgebracht.  Ich 
möchte  mich  hier  bloß  mit  denjenigen  unter  ihnen  beschäf¬ 
tigen,  über  deren  Wert  ich  Gelegenheit  hatte,  mir  mit  Hilfe 
systematischer  Untersuchungen  Erfahrung  zu  verschaffen. 

■  E/S  fiilden'  sich  unter  ,  diesen  neueren  Untersuchungs-. 
methoden  meJirere,  z.  13.  das  Salomon  sehe  Verfahren, 
welche  auf  diesem  Gebiete  in  kurzer  Zeit  eine  ähnliche  Popu¬ 
larität  gewonnen  haben,  wie  der  Nachweis  vorhandener 
Milchsäure  oder  der  mangelnder  freier  Salzsäure., 

In  erster  Linie  möchte  ich  auf  die  Bedeutung 
d  e r  A 1  b  u  m  o  s  u  r i  e  f  ü r  d  i  e  s  e  F r  a  g-e  die  Aufmerksamkeit 
lenken. 

Im  Wintersemester  1898/99  habe  ich  mich  in  Berlin 
im  Sal kow.sk i  sehen  Institute  mit  dem  Nachweise  der 
Albumose  im  Harne  beschäftigt.  Mein  nächstes  Ziel  war, 
ein  Verfahren  ausfindig  zu  tnachen,  mit  dessen  Hilfe  wir 
den  den  Wert  des  Salko  wski sehen  Albumosennachweises 
wesentlich  schmälernden  Umstand,  daß  nämlich  der  phos¬ 
phor-wolframsaure  Niederschlag  außer  der  Albumose  auch 
Urol)ilin  enthält  (welch  letzteres  gleichfalls  eine  positive 
Biuretreaktion  gibt),  nach  Tunlichkeit  zu  eliminieren. 

Dies  habe  ich  durch  eine  ganz  einfache  .Alodifikation 
des  Sal  ko  wski  sehen  Verfahrens  erreicht,  und  die  von 
mir  empfohlene  Methode^)  hat  alsbald  eine  ziemlich  weite 
Verbreitung  gewonnen.  Die  zur  .Ausführung  bloß  einige 
Minuten  beanspruchende  und  keineriei  komplizierteren  Vor¬ 
richtungen  eiTordernde  Methode  ist  folgende:  Einige  Kubik¬ 
zentimeter  Harn  säuern  wir  mit  ein  bis  zwei  Tropfen  Salz¬ 
säure  an  und  fügen  insolauge  5®/oige  Phosphorwolframsäure¬ 
lösung  hinzu,,  als  noch  Niederschlag  entsteht.  Nach  einer 
kurzen  Zentrifugierung  erhalten  wir  auf  dem  Grunde ^ des 
Reagenzröhrchens  ein  kompaktes  Sediment,  gießen  die  dar¬ 
über  stehende  Flüssigkeitssäule  ab  und  schütteln  den 
Niederschlag  mit  4  bis  5. ’cm^  absoluten  Alkohols  energisch 
durch.  Nach  wiederholter;  stets  nur  einige  Sekunden;  in 
Anspruch  nehmender  Zentrifugierung  erhalten  wir  wieder 
einen  Niederschlag  auf  dem  Grunde  der  Reagenzröhre  und 
der  darüber  stehende  Alkohol  zeigt  je  nach  dem  Urobilin¬ 
gehalte  des  Harnes  eine  gelbliche  Färbung  verschiedener 
Intensität.  Das  Durchschütteln  mittels  Alkohol  und  das  un¬ 
mittelbar  darauf  folgende  Zentrifugieren  setzen  wir  inso- 
lange  fort,  bis  Alkohol  und  Niederschlag  vollständig  farb¬ 
los  erscheinen..  Selbst  hei  stark  gefärbten  Harnen  genügt 
schon  eine  zwei-  bis  dreimalige  Wiederholung  dieses  Vor¬ 
gehens.  Schließlich  gießen  wir  den  Alkohol  ab,  suspendieren 
den  Niederschlaig  in  einer  geringen  Menge  Wasser,  wo¬ 
rauf  eine  mehr  oder  weniger  intensive  bläuliche  Färbung 
auftritt,  welche  jedoch  nach  energischem  Durchschütteln 
mit  Luft  vollkommen  verschwindet,  so  daß  wir  das  schwefel- 
saure  Kuijfer  zur  Heryorrufung  der  Endreaktion  (Biuret¬ 
reaktion)  einer  vollkommen  farblosen  Lösung  hinzufügen. 

Um  den  Wert  dieses  A^eifahrens  feststellen  zu  können, 
habe  ich  von  56  Kranken  stammende  Harne  geprüft  und 
mich  der  Fälle  ganz  wahllos  bedient.  Beim  Ueberblicken 
der  Untersuchungsergebnisse  zeigte  es  sich,  daß  die  Al- 
bumosereaktion  fast  bei  jedem  Fieberkranken  positiv  war 
und  überdies  bloß  noch  fünf  Fälle  Albumosurie  zeigten 
und  zwar  vier  an  Magenkrebs  und  ein  an  Bauchfellkrebs 
leidende  Individuen,  die  mir  der  Zufall  ins  Beobachtungs- 
material  gelangen  ließ.  Dies  will  so  viel  besagen,  daß  ich 
bei  diesem  Beobachtungsmaleriale  außer  bei  Fieberkranken 

*)  Der  Hauptinhalt  dieser  Mitteilungen  stammt  aus  Ausführungen, 
welche  der  Autor  im  Anschlüsse  au  einen  von  Prof.  A.  v.  Koränyi 
am  15.  November  1906  am  Landeskongreß  zur  Krebsforschung  unter  dem 
gleichen  Titel  gehaltenen  Vortrag  zur  Kenntnis  gebracht  hat. 

9  V.  Aid  or,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1899,  Nr.  28  (Vortrag 
im  Berliner  Verein  für  innere  Medizin,  Sitzung  vom  30.  Januar  1899) 
und  Orvosi  Hetilap  1899,  Nr.  16  und  17. 


bloß  bei  sämtlicheu  zur  Untersuchung  gelaugten  Krebs¬ 
kranken  Albumosurie  konstatieren  konnte. 

Sowohl  die  febrile  als  die  bistogene  Albumosurie 
mußte  icb  für  eine  Stoffvvechselanomalie  halten,  bei  welcher 
eine  Spaltung  des  Eiweißmoleküls  im  Sinne  einer  Hydration 
zustande  kommt. 

Auf  diesen  Befund  habe  ich  in  meinen  Mitteilungen, 
ohne  weitergehende  Folgerungen  zu  ziehen,  ganz  besonders 
die  Aufmerksamkeit  gelenkt;  während  aber  das  Verfahren 
selbst  eine  ziemlich  rasche  Verbreitung  gewann,  begegnete 
der  das  Karzinom  betreffende  Teil  meiner  Mitteilungen  bis 
zur  letzten  Zeit  einer  ziemlichen  Gleichgültigkeit.  Meines 
Wissens  geschah  bloß  in  der  im  Jahre  1893  erschienenen 
,, Diagnose  und  Therapie  der  Magenkrankheiten“  von.  Boas 
darüber  insoferne  eine  Erwälmung,  als  es  da  heißt:  ,,Äldor 
fand  Albuminurie  in  vier  Fällen  von  Magenkarzinom  und 
einem  Falle  von  Peritonealkarzinom.  Äldor  ist  geneigt, 
die  Albumosurie  beim  Karzinom  als  Stoffwechselanomalie 
zu  betrachten..  Eine  diagnostische  Bedeutung  kömmt  der 
Albumosurie  vor  der  Hand  nicht  zu.“ 

Meines  Wissens  waren  die  ersten  und  einzigen,  die 
den  das  Karzinom  betreffenden  Teil  meiner  Mitteilungen 
zum  Gegenstände  einer  direkten  Nachprüfung  gemacht 
haben:  Ury  und  Lilientha  1.“)  Sie  betonten,  daß  ich  der 
erste  war,  der  bei  Karzinom  in  einwandfreier  Weise  die 
Albumosereaktion  nach  wies  und  fanden  es  recht  auffallend, 
daß  mein  das  Karzinom  betreffender  Befund  bisher  von 
keiner  Seite  einer  Nachprüfung  unterzogen  wurde.  Ury 
und  Lilieiithal  erklären:  ,,Die  Resultate,  zu  welchen 
dieser  Autor  (Äldor)  gekommen  ist,  sind  recht  bemerkens¬ 
werte,  etc.“  Sie  benützten  zu  ihren  Untersuchungen,  die 
sie  an  dem  reichen  Kranken  materiale  der  Bo  as  sehen  Poli¬ 
klinik  auszuführen  in  der  Lage  waren,  zum  Nachweise  der 
Albumose  die  von  mir  empfohlene  Modifikation  des  Sal¬ 
ko  wski  sehen  Verfahrens  und  ihr  ausgesprochener  Zweck 
war  eben  die  Nachprüfung  meiner  das  Karzinom  betreffen¬ 
den  Untersuchungsergebnisse.  Unter  76  Fällen  —  so 
viele  haben  sie  untersucht  —  waren  40  karzi- 
nomatö  s  e  In  dividuen;  in  zwei  Drittel  dieser  Fälle 
(56  o/o)  konnten  sie  Albumosurie  nach  weisen.  Ihre 
Hauptschlußfolgerung  ist  folgende :  eine  die  Dia¬ 
gnose  zwei  fellos  bekräftigende  Bedeutung  .kann 
man  der  Albumosurie  bei  Karzinom  des  In- 
testinaltraktus  nicht  zuschreiben,  aber  ein 
wiederholter  positiver  Ausfall  der  Reaktion  be¬ 
kräftigt  wesentlich  einen  schon  vorhandenen 
Verdacht  auf  eine  Erkrankung  maligner  Natur. 

Derlei  Untersuchungen  habe  ich  seither  am  Materiale 
meiner  Privatpraxis  ohne  Unterbrechung  fortgesetzt  und 
zwar  in  der  Art,  daß  ich  beim  allergeringsten  Verdachte 
auf  einen  malignen  Hintergrund  nach  Albumosurie  gefahndet 
habe;  erleichtert  wurde  mir  dies  durch  die  einfache  Be¬ 
schaffenheit  des  Verfahrens,  deren  Ausführung  bloß  einige 
Minuten  in  Anspruch  nimmt.  Meine  Erfahrungen  decken 
sich  vollständig  mit  den  Ergebnissen  von  Ury  und  Lilien¬ 
thal;  ich  kann  dieselben  kurz  dahin  zusammenfassen,  daß 
die  Probe  auf  Albumosurie  ein  recht  wertvolles 
diagnostisches  Hilfsmittel  bei  Erkrankungen 
des  Intestinaltraktes  dar  stellt,  welchem  haupt¬ 
sächlich  im  Hinblicke  auf  Erkrankungen  des 
Verdauungskanales  bösartiger,  insbesondere 
krebsiger  Natur,  in  vielen  Fällen  eine  wesent¬ 
liche  differentialdiagnostische  Bedeutung  zu- 
z uschreiben  ist. 

Noch  zwei  neuere  Melhoden  gibt  es,  über  deren  Wert 
ich  meine  Erfahrungen  kurz  mitteilen  möchte.  Die  eine 
ist  die  Salomo  11  sehe  Probe, •'’)  die  andere  die  diagnostische 
Bedeutung  okkulter  Blutungen.  Das  Wesen  des  Salomo  ri¬ 
schen  Verfahrens  ist,  daß  ein  krebsiger  Magen  eiweißhalliges 
Sekret  ausscheidet  und  ihre  Ausführung  die  folgende :  Am 

*)  Ury  und  Lilienthal,  ArchivfürVerdauungskrankheilen  1905,  XI. 

Salomon,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  31. 


Nr.  20 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Vormittage  des  der  Untersiicliiing  vorangehenden  Tages  er¬ 
hält  der  Kranke  bloß)  flüssige  Nahrung  (Milch,  Suppe),  am 
Nachmittage  dagegen  eine  flüssige  und  eiweißfreie 
Nahrung  (Tee,  Kaffee).  Am  Abend  wird  der  Magen  des 
Kranken  insolange  gewaschen,  bis  das  Spülwasser  voll¬ 
kommen  rein  zurückfließt;  tags  darauf  mhält  der  Kranke 
kein  Frühstück  und  sein  Magen  wird  mit  500  cm'^  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  gründlichst  derart  gewaschen,  daß 
dieselben  500  cm^  physiologischer  Kochsalzlösung  drei-  bis 
viermal  in  den  Magen  hinein-  und  wieder  herausgelassen 
werden.  Die  zu  dieser  Spülung  verwendete  Flüssigkeit  gibt 
uns  das  Untersuchungsmaterial;  wir  prüfen  sie  mit  E߬ 
bachs  Reagens  und  bestiminen  nach  Kjeldhal  ihren  Stick¬ 
stoffgehalt.  Nach  Salomon  zeigt  sich  in  negativen  Fällen 
bei  dpr  Eßbachprobe  keine  Trübung  oder  nur  eine  ganz 
geringe  Opaleszenz  und  der  Stickstoffgehalt  beträgt  0  bis 
15  mg.  Positiv  ist  die  Probe  zu  nennen,  wenn  die  durch 
Eßbachs  Reagens  ausgeschiedene  Eiweißmenge  Vi6  bis 
V2V00  ond  die  Stickstoffmenge  10  bis  70  mg  beträgt.  Mit 
der  Restimmung  des  Wertes  dieser  Probe  haben  sich  meh¬ 
rere  Autoren  beschäftigt.  (Reicher,^)  Siegel,^)  Deren t 
und  Guttmann,®)  Tabora,^)  Sittenhelm  und  Lower®) 
Zirkelbach.^)  AIP  diese  Nachprüfer  schreiben  dem  Ver¬ 
fahren  eine  diagnostische  Bedeutung  zu.  Die  Erfahrungen, 
welche  ich  mit  Rücksicht  auf  das  Salomon  sehe  Verfahren 
teils  in  meiner  Privatpraxis,  teils  im  Laufe  der  Unter¬ 
suchungen,  die  ich  im  Budapester  poliklinischen  Labora¬ 
torium  des  Herrn  Priv.-Doz.  Bernhard  Vas  auszuführen 
Gelegenheit  hatte,  sprechen  gleichfalls  insgesamt  dafür,  daß 
wir  in  der  Salomon  sehen  Methode  ein  wertvolles  dia¬ 
gnostisches  Hilfsmittel  zu  erblicken  haben.  Ihre  diagnosti¬ 
sche  Bedeutung  möchte  icli,  wie  folgt,  zum  Ausdrucke 
bringen:  Die  Salomonprobe  ermöglicht  uns  einen 
im  Intestinaltraktus  sich  abspielenden  ulzerie- 
renden  Prozeß  auch  zu  einer  Zeit  zu  erkennen, 
als  ein  Tumor  noch  durchaus  nicht  palpabel  ist. 
Den  gutartigen  oder  bösartigen  Charakter  eines 
solchen  ulzerativen  Prozesses  selbst  kann  sie 
wohl  nicht  entscheiden.  Sie  ermöglicht  weiters 
beiAbwesenheiteinespalpablenTumors  die  Dia¬ 
gnose  eines  auf  alle  Fälle  geschwürigen  Magen¬ 
karzinoms  —  und  gerade  in  dieser  Hinsicht  er¬ 
weist  sich  der  besondere  diagnostische  Wert  der 
Probe  —  wo  die  klinischen  Symptome  auf  eine 
chronische  Gastritis  hinweisen.  Wo  aber  das 
Karzinom.mit  diffuser  Infiltration  beginnt,  wird 
uns  diese  Methode  vollständig  im  Stiche  lassen.. 

Die  Bedeutung  stärkerer  aus  dem  Intestinaltraktus  stam¬ 
mender  Blutungen  für  die  Diagnose  des  Karzinoms  ist  wohl 
seit  langem  bekannt;  ebensogut  wissen  wir,  daß  solche  inten¬ 
siveren  Blutungen  meistens  als  Spätsymptome  aufzutreten 
pflegen.  Unsere  Kenntnisse  hinsichtlich  der  sogenannten 
okkulten  Blutungen  knüpfen  sich  der  Hauptsache  nach  an 
den  Namen  von  Boas;^®)  mit  dieser  Bezeichnung  belegen 
wir  die  minimalen,  mit  freiem  Auge  nicht  konstatisrbaren 
Blutungen,  welche,  je  nachdem  sie  aus  höheren  oder  tieferen 
Anteilen  des  Verdauungskana  les  stammen,  im  Mageninhalte 
und  im  Kote  oder  nur  im  Kote  auftreten.  Zum  Nachweise 
dieser  von  Boas  bezeichnenderweise  ,, okkult“  genannten 
Blutungen  stehen  uns  recht  empfindliche  Reagenzien  zur 
Verfügung.  Erstens  die  von  Weber  empfohlene  Gua.jak- 
probe,  dann  die  empfindlichere  Rosse  Ische  Aloinprobe 
und  schließlich  als  die  empfindlichste  0.  Adlers  Ben- 


h  Reicher,  Archiv  für  Verdauungskrankheiten  1906,  Heft  3. 

Siegel,  Berliner  klin.  Wochenschrift  1904,  Nr.  12  bis  13. 

8)  Be  rent  und  Guttmann,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1904, 
Nr.  28. 

’)  T  a  b  0  r  a,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  15  bis  16. 

8)  Sittenhelm  und  Lower,  Zentralblatt  lür  Verdauungs¬ 
krankheiten  1905,  Nr.  98. 

9)  Zirkelbach,  Orvosi  Hetilap  1906  und  Archiv  für  Ver¬ 
dauungskrankheiten,  Bd.  12,  Heft  6. 

19)  Boas,  Volkmanns  Sammlung,  Neue  Folge,  Nr.  387,  und 
Gesammelte  Beiträge  1906,  Karger. 


zidinprobe.  Alle  diese  ziemlich  einfach  ausführbaren  Proben 
sind  Reaktionen  des  Hämatins;  ihr  Wesen  ist,  daß  wir 
mit  ihnen  das  Hämatin  jn  eine  in  Aether  vollkommen  lös¬ 
liche  essigsaure  Verbindung  überführen.  Infolge  ihrer  Uebor- 
empfindlichkeit  müssen  wir  die  Untersuchung  mit  ganz  be¬ 
sonderer  Vorsicht  einrichten.  Abgesehen  von  dem  Blute, 
welches  während  der  Mageauntersuchung  teils  von  oben 
(Nasen-  und  Mundhöhle,  Pharynx,  Oesophagus)  in  den  Magen 
gelangt,  teils  während  der  Uutersjuchung  durch  die  Sonde 
selbst  künstlich  hervorgerufen  wird,  können  wir,  falls  wir 
den  Mageninhalt  nach  eineni  Probefrühstück  untersuchon 
und  keine  wesentliche  Herabsetzung  der  Magenmolilität  vor¬ 
handen  ist  —  in  diesem  Falle  ist  der  Magen  vor  Verab¬ 
reichung  des  Probefrühstückes  gründlich  zu  säubern  — 
an  die  Ausführung  der  Untersuchung  ohne  besondere  Kau- 
telen  gehen. 

Strauß  hat  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
es  eine  bei  Magenkrebs  häufige  Erscheinung  ist,  daß  man 
im  Mageninhalte  kein  Blut  nachweisen  kann,  im  Kote  da¬ 
gegen  sich  okkulte  Blutungen  vorfinden.  Aus  dieser  voll¬ 
kommen  erwiesenen  Tatsache  folgt  wohl,  daß  in  Fällen, 
wo  nur  der  allergeringste  Verdacht  auf  Karzinom  besteht, 
einem  negativen  Ergebnisse  einer  Mageninhaltuntersuchung 
unbedingt  eine  Untersuchung  der  Fäzes  auf  okkulte  Blu¬ 
tungen  folgen  müsse.  Doch  muß  eine  solche  mit  Rücksicht 
auf  die  großie  Empfindlichkeit  der  erwähnten  Proben  und 
auf  die  Gegenwart  von  Blut  alimentären  Ursprungs  mit 
ganz  besonderer  Vorsicht  unternommen  werden. 

'  Unter  den  drei  oben  erwähnten  Proben  ist  wohl  die 
am  wenigsten  empfindliche  die  Guajakprobe,  doch  gibt  sie 
nach  den  Untersuchungen  Webers  schon  nach  Genuß  von 
3  g  rohen  Fleisches  ein  loositives  Resultat.  Ich  selbst  be¬ 
nütze  zum  Nachweise  des  Blutes  in  der  letzten  Zeit  die 
Aloin-  und  die  Benzidinprobe;  wo  ich  jedoch  die  Gegen¬ 
wart  okkulter  Blutungen  feststellen  will,  lasse  ich  dem 
Kranken  durch  drei  Tage  eine  Probekost  verabreichen,  von 
welcher  jegliches  rohe  Fleisch  ausgeschlossen  ist.  Aus  der 
großen  Zahl  meiner  Kotuntersuchungen  habe  ich  50  zu¬ 
sammengestellt,  wo  ich  die  Prüfung  auf  okkulte  Blutungen 
bald  ohne  Probekost,  bald  mit  Probekost  anstellte.  Bei 
20  Individuen  konnte  ich  im  Kote  Blut  nachweisen,  wobei 
die  Aloinprobe  bei  denselben  nach  Probekost  sich  zu  wieder¬ 
holten  Malen  als  negativ  erwiesen  hat. 

Was  die  praktische  Bedeutung  dieser  Blutungen  betrifft, 
so  muß  man  ihrem  Nachweise  wohl  hauptsächlich  vom 
Standpunkte  der  Prophylaxis  der  Blutungen  eine  wesentliche 
Wichtigkeit  zuschreiben ;.  denn  bei  allen  Zuständen,  wo 
okkulte  Blutungen  auftreten,  können  wir  stets  auch  mani¬ 
feste  Blutungen  gewärtigen.  Bei  der  Beurteilung  des  prophy¬ 
laktischen  Wertes  des  Nachweises  okkulter  Blutungen  ist 
wohl  der  Umstand  von  besonderer  Wichtigkeit,  daß  man 
gar  häufig  Mageinsaft  und  Darminhalt  zu  Gesicht  bekommt, 
deren  makroskopisches  Anssehen  nicht  nur  nicht  für  das 
Vorhandensein  von  Blut,  sondern  direkt  dagegen  spricht. 
Wer  viele  solche  Untersuchungen  a.uszuführen  Gelegenheit 
hat,  den  wird  in  solchen  Fällen  der  positive  Ausfall  der 
Aloin-  oder  einer  d.er  anderen  Hämatinprobeii  wohl  kaum 
überraschen.  Und  doch  müssen  wir  uns  in  solchen  Fällen, 
was  unser  therapeutisches  Vorgehen  betrifft,  ebenso  sehr 
nach  dem  Vorhandensein  solcher  Blutungen  richten,  als 
nur  irgend  bei  einer  manifesten  Blutung. 

Der  Nachweis  von  Blut  im  Magensafte  oder  irn  Kots 
spricht  für  die  Gegenwart  eines  mit  einer  Ulzeration  ver¬ 
bundenen  Prozesses.  Da  nun  das  Karzinom  sehr  rasch 
zur  Entwicklung  solcher  uizerativer  Prozesse  führt,  bei 
welchen  eben  bloß  minimale  Blutungen  zustande  kommen, 
so  hat  der  Nachweis  der  letzteren  in  bezug  auf  die  Dia¬ 
gnose  des  Karzinoms  hauptsächlich  nur  in  negativern 
Sinne  eine  Bedeutung,  indem  —  wie  dies  Boas,  A.  v.  Ko- 
ränyi  und  andere  betonen  —  derjenige  auf  Krebs  ver¬ 
dächtige  ball,  in  welchem  eine  wiederholt  auf  okkulte 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  20 


öOU 


rniilutig  goriclitete  llnl ersuch uiip;  l)estän(lig  negativ  ausfällt, 
mit  großer  Wahrsclieiiilielikeit  kein  Krebs  ist. 

Erwägen  wir  di(i  IJeileuLung  nur  dieser  drei  Unler- 
sncluingsinetliotlen,  so  müssen  wir  wohl  anerkennen,  daß 
auf  dem  (ielhete  der  Krehsdiagnose  jedes  dieser  Verfahren 
einen  Fortschritt  bedeutet.  Doch  können  wir  leider  der 
frage,  was  wohl  diese  Untersuchungsmetlioden  für  die  Früh¬ 
diagnose  dc-s  Magenkrebses  ^yert  sind,  ziemlich  pessimistisch 
begegnen.  Ausnahmsweise  A\ird  es  wohl  mal  Vorkommen, 
daß  es  uns  mit  Hilfe  der  einen  oder  anderen  neueren  Me¬ 
thode  gelingen  wird,  den  Magenkrebs  in  einem  Stadium  zu 
diagnostizieren,  wo  ein  radikaler  chirurgischer  Eingriff  noch 
einen  dauernden  Erfolg  erzielen  kann;  doch  wie  es  von 
Boas  mit  Bücksicht  auf  die  okkulten  Blutungen  vollkommen 
richtig  ist,  zu  behaupten,  daß  solche  iVusnalimserfolge  viel 
mehr  von  den  Launen  eines  günstigen  Zufalles  abhängig, 
als  das  Resultat  eines  zielbewußten  Vorgehens  sind,  so 
läßt  sich  mehr  oder  weniger  wohl  das  gleiche  im  Hinblicke 
auf  sämtliche  übrigen  Untersuchungsmetlioden  sagen,  in¬ 
sofern  e  wir  nämlich  eine  Frühdiagnose  im  strengen  Sinne 
des  Wortes  uns  vor  Augen  halten.  Bemerkenswert  ist  eine 
von  Boas  in  der  letzten  Zeit  mitgeteilte  Statistik.  Unter 
243  k rebskranken  Fällen  gelangten  GO,  also  24-7 Uo,  inner¬ 
halb  tier  ersten  tlrei  Alonate  seit  Beginn  der  Beschwerden 
zur  Beobachtung  und  Behandlung;  und  unter  diesen  kmii 
es  bloß  in  drei  Fällen  zum  radikalen  Eingriffe  der  Re¬ 
sektion. 

Die  Gründe,  weshalb  die  Frülidiagnose  des  Magen¬ 
krebses  heute  noch  eine  ziemlich  triste  Perspektive  bietet, 
sind  hauptsächlich  in  zwei  Umständen  zu  erblicken.  Ver¬ 
gleichen  wir  die  neueren,  als  wertvoll  erwiesenen  Unter¬ 
suchungsmethoden  (Salomons  Probe,  Giuziiiskys  Ver¬ 
fahren,  okkulte  Blutungen,  Albumosurie)  mit  den  älteren, 
schon  eingeltürgerten  (Nachweis  von  Alilclisäure,  Mangel 
an  freier  Salzsäure,  Gegenwart  von  Boas-Opp  ler sehen  Ba¬ 
zillen),  so  zeigt  sich  als  eine  sämtlichen  Methoden  gemein¬ 
same  bedauerliche  Bedingung,  daß  am  Karzinom  bereits 
sekimdäre  Vorgänge  Platz  gegriffen  haben.  So  annonciert 
uns  der  Nachweis  von  Milchsäuregärung,  die  Anwesenheit 
der  Boas-Opplerschen  Bazillen  eine  gestörte  Magemnoti- 
iität;  die  Salomonscbe  Probe  und  der  Nachweis  oldmlter 
BlutuiLgen,  das  Vorhandensein  eines  ulzerativen  Prozesses; 
die  Albumosurie  tritt  wahrscheinlich  bloß'  dann  auf,  wenn 
der  karzinomatöse  Prozeß  bereits  den  Gesamtstoffwechsel 
alteriert  hat.  Der  zweite  Umstand,  der  uns  erklären  kann, 
daß  wir  in  der  Frage  der  Frühdiagnose  des  Magenkrebses 
selbst  für  die  nächste  Zukunft  nicht  die  günstigsten  Aus¬ 
sichten  haben  —  hierauf  hat  meines  Vvhssens  bisher  bloß 
Boas  IhngeAviesen  ist  die  Tatsache,  daß  das  Stadium, 
in  weichem  die  frühzeitige  Erkemiung  des  Alaigeirkrebses 
noch  zu  einer  radikalen  Entfernung  führen  könnte,  meistens 
klinisch  vollkonunen  latent  ist.  Die  Verdauungsstörungen, 
weldie  das  Anfangsstadium  des  Karzinoms  begleiten,  pflogen 
den  Kranken  w'ohl  selten  zu  belästigen;  sind  die  Klagen 
des  Kranken  dagegen  bereits  heftiger  und  dauernder  ge¬ 
worden,  dann  schreitet  die  krebsige  Degeiieralion  wohl  schon 
rasch  vorwärts.  '  '  ’  '  4  ■ 

Haben  unsere  diagnostisfdieir.Verfabrr;H.,pn  Laufe  der 
letzten  Jahre  mit  Rücksicht  auf  deii)  Ahigeiijkrebs  wobl  eine 
ziemliche  Bereicberung  erfahren,  so  konnten  sie  keineswegs 
jene  Schwierigkeit  beseitigen,  welche'B  r  i  n  to  n  vor  mehreren 
Dezennien  in  den  klassischen  Worten  ausgedrückt  hat: 

,, Obscure  in  its  symptoms.“  Möchte  doch  .J.  C.  Hemmeters 
vor  kurzem  geäußerte  Ansicht,  diuß  wir  auf  dem  Wege  der. 
bio(diemischen  Fntersuchung  des  Blutpiasmas  und  der  Blut- 
körp('rchen  binnen  kurzem  daJiiii  gelangen  würden,  die  noch  . 
vorhamlenen  l)edeulendeii  Schwierigkeiten  auf  diesem  Ge-! 
bieP'  zu  überwinden,  sich  baldigst  als  berechtigt  erweisen. 


lieber  den  Einfluß  der  Säuglingsernährung  auf 
die  körperliche  Rüstigkeit  der  Erwachsenen 
nebst  Bemerkungen  über  Stilldauer. 

Von  Dr.  Josef  K,  Friedjuiig. 

Die  allerorts  aufgenoimnene,  namentlich  von  den 
Kinderärzten  geförderte  Propaganda  für  die  natürliche  Er¬ 
nährung  des  Säuglings  bezieht  ihre  überzeugejiden  Argu¬ 
mente  vor  allem  aus  den  Erhebungen  über  die  Säuglings¬ 
sterblichkeit,.  die  die  Ueberlegenheit  der  Alutterbrust  über 
jede  andere  Methode  unwideiTeglich  dartun.  Dazu  kommt 
die  Einzelerfahrung  des  Praktikers,  der  das  Brustkind  meist 
schon  an  seinem  berzerfreuenden  Ilabifus  erkennt,,  zum 
Unterschiede  vom  klaschenkinde,  das  häufig  die  Zeichen 
mannigfacher  Ernährungsschäden  aufweist.  Wie  sich  aber 
das  Schicksal  der  beiden  Typen  weiter  entwickelt,  nachdem 
das  unnatürlich  ernährte  Kind  alle  Klippen  des  Säuglings¬ 
alters  umschifft  hat,  ob  die  Fährlichkeiten  des  ferneren 
Lebens  den  anfangs  so  charakteristischen  Unterschied  all¬ 
mählich  verwischen  oder  ob  das  Flaschenkind  für  sein 
ganzes  Leben  mit  dem  Male  der  Mbiderwertigkeit  behaftet 
bleibt,  darüber  sind  bisher  mehr  tendenziöse  Vermutungen 
als  verwertbare  Beol)achtungen  geäußert  worden.  Was  ich 
in  der  Literatur  .ermitteln  kminte,  dreht  sich  eigentlich  fast 
immer  nur  um  die  eine  Alitteilung  Alonots,  aus  dem 
Jahre  1874,  daß  sich  im  ackerbautreibenden  Arondissement 
Chateau  Chi  non,  in  dem  wegen  ausgedehnter  Ammen¬ 
industrie  den  einheimischen  Kindern  die  Aluttermilch  vor- 
enthalten  wird,  auch  in  den  späteren  LebensalteTii  die 
mangelhafte  Säuglingspflege  noch  verrät,  ln  den  zehn  Jahren 
1860  bis  1870  sind  dort  von  5374  Rekruten  31  Vo  als  un¬ 
tauglich  befunden  worden,  in  dem  industriellen  Arondisse¬ 
ment  Nevers,  ohne  Ammenindustrie  dagegen  nur  18®/o.  Das 
Alittel  in  1  rankreich  ist  HU/o.  AI  o  no  t  kann  für  diesen  auf¬ 
fallenden  Unterschied  nur  zwei  Ursachen  angeben:  das 
Unterlassen  des  Selbstslilleiis  und  die  zeitweilige  Auswan¬ 
derung  der  AIütterA)  Die  von  Klose  (Archiv  für  Kinder¬ 
heilkunde,  Bd.  45,  Heft  3  und  4)  neuerdings  in  der  gleichen 
Sache  zitierten  Autoren  Schloßmann  und  Prinzing 
scheinen,  so  weit  ich  sehen  konnte,  nur  bei  der  Berliner 
Ausstellung  1906  Angaben  ähnlichen  Spines  gemacht  zu 
haben.  Dagegen  bezieht  sich  Prinzing  in  seinem  jüngst 
erschienenen  Handbuch  der  medizinischen  Statistik  auf 
A.  V.  Vogel,  der  in  einer  im  Jahre  1905  erschienenen  Arbeit 
über  die  wehrpfliebtige  Jugend  in  Bayern  ähnliche  Schlüsse 
zieht  wie  AI  o not. 

Verweilen  wir  einen  Augenblick  bei  diesen  AngaJien! 
Das  Ergebnis  der  militärischen  Assentierung  ist  gewiß  mit 
einer  ganzen  Reihe  von  Fehlerciuellen  behaftet:  Der  vorher 
festgestellte  Alannschaftsbedarf,  das  Subjektive  im  Urteile 
bei  einer  nur  oberflächlicben  Untersuchung,  die  Steigerung 
dieses  Fehlers  bei  der  gleichzeitigen  Tätigkeit  verschiedener 
Assenlkonimissionen  in  verschiedenen  Bezirken,  die  weit¬ 
verbreiteten  Versuche,  der  Dienstpflicht  zu  entgehen.  Dazu 
kommt,  daß  wir  nicht  erfahren,  wie  viele  denn  unter  den 
Nichtassentie|’tejti  etwa  doch  Brustkinder  waren,  und  ob 
nicht  noch  ancfqrä'Einflüsse  auf  die  Bevölkerung  von  Chateau 
Chinon  oder  Oberbayern  depravierend  wirkten  neben  der 
Stilhiot  im  erMbh  Lebensjahre.  Es  ist  doch  zu  vermuten,  daß 
die  Ammenindustrie  z,  B.  iiur  in  einer  armen  Bevölkerung 
solche  Ausdehnung  gewinnen  kann.  Wemi  also  die  dort  be¬ 
sprochenen  Assentieruiigscr^^ebnisse  auch  sO'  krasse  Unter¬ 
schiede  zeigen,  daß  man  '"binßh  Z.uf^Bl  nicht  leicht  an¬ 
schuldigen  kann,  so  muß  doch  zugegeben  worden,  daß  solche 
Angaben  dringend  weiterer  Bestätigungen  liedürfen,  um  vor 
einer  Vpraussetzungslosen  Kritik  bestellen  zu'  können. 
Der  idealen  Forderung  könnte  nüA'  eihd'  Ujnias- 
sendc  Baiimicifoi'schun  g  über  den  G e sani  ts  ta t'us 

-  fl 

‘b  Zitieit  nach  Pfeiffor  in  Gerhardts  Handbuch  für  Kinder¬ 
heilkunde.  I.  Die  KinderslerblichkeiL 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


einer  großen  Zahl  von  Individuen  von  minde- 
siciis  14  Jahren  genügen,  die  nach  dein  Abschluß 
der  11  r  ii  s  t-  o  d  e  r  F]  as  c  Ii  euer  näh  r  u  n  g  oh  ne  wesent¬ 
liches  toning  n  liter  gün  sti  gen  Verhall  niss  e  n  sich 
weiter  entwickelten.  Das  kann  ein  einzelner  nicht 
leisten.  Ich  ergriff  daher  gerne  eine  Geleigenheit,  die  auch 
auf  anderem  Wege  einen  hescheidenen  Beitrag  zu  der  hier 
behandelten  Frage  an  etwas  verläßlicherem  Materiale  ge¬ 
winnen  ließ. 

Der  größite  Arbeitertiirnverein  von  Wien,  der  unter 
einer  zielbe wußten  Leitung  steht,  hält  alle  Jahre  unter  den 
strengsten  Kautelen  Leistungsprüfungen  ab.  Eine  Reihe  so¬ 
genannter  volkstümlicher  Uelyungen  und  eine  weitere  Reihe 
von  oft  geübten  Geräteübungen,  im  ganzen  18  Aufgaben, 
werden  von  jedem  Türner  verlangt  und  von  einem  unab¬ 
hängigen  Richterkollegium  nach  Türnerart  mit  Punkten 
klassifiziert.  So  sollen  die  turnerischen  Leistungen 
und  Fortschritte  des  Vereines  und  der  einzelnen  Türner 
kontrolliert  werden.  Diese  Prüfungen  benützte  ich  zu  einer 
Umfrage  nach  verschiedenen  Richtungen,  namentlich  auch 
nach  der  Ernährung  im  Säuglingsalter.  Der  Zweck  der  Um¬ 
frage  wurde  den  Turnern  erklärt,  ihre  Gewissenhaftigkeit 
eindringlich  herausgefordert,  und  in  der  Tat  antworteten 
viele  erst,  nachdem  sie  daheim  Erkundigungen  eingezogen 
.hatten,  andere  erklärten,  keine  zuverlässige  Angabe  machen 
zu  können.  Folgendes  waren  die  Gründe,  die  mir  ein  so^  ge¬ 
wonnenes  Material  besonders  schätzenswert  erscheinen 
ließen:  Hier  hatten  wir  keine  oberflächliche,  höchst  subjek¬ 
tive  Beurteilung  des  Körperzusfandes,  sondern  eine  gleich¬ 
mäßige,  mannigfaltige  Prüfung  von  physischen  Leistungen; 
allerdings  ist  auch"  da  die  Klassifizierung  mit  Punkten  ein 
subjektives  Moment,  da  sie  aber  nach  einheitlichen  Grund¬ 
sätzen  und  immer  von  denselben  Urteilern  geschieht,  so 
vermindert  sich  die  F'ehlerbreite.  Dann  wird  hier  keine  so 
unnatürliche  Scheidung  in  Taugliche  und  LIntauglicdie  vor¬ 
genommen,  sondern  das  Prüfungsergebnis  mit  seinen  Ab¬ 
stufungen  von  der  besten  bis  zu  der  schwächsten  Leistung 
spiegelt  die  natürlichen  Verhältnisse  viel  getreuer  wider. 
Ferner  wird  hier  die  individuelle  Leistung  mit  der  indi¬ 
viduellen  Ernährung  im  Säuglingsalter  verglichen,  während 
bei  den  Assentierungen  nur  Prozentzahlen,  aus  großem  Ma¬ 
teriale  gewonnen,  gegeneinander  gehalten  werden.  Ein 
weiterer  Vorteil  schien  mir  in  der  Aehiilichkeit  der  wift- 
schaitlichen  Verhältnisse  zu  liegen,  in  denen  die  Prüflinge 
leben,  meist  qualifizierte  Arbeiter  und  kleine  Beamte,  so 
daß  krasse  Unterschiede  hier  nicht  so  ins  Gewicht  fallen 
wie  etwa  bei  der  Assentierung  der  allgemeinen  Wehrpflicht. 
Selbstverständlich  sind  meine  Zahlen  nur  klein  und  wollen 
nichts  weiter  sein,  als  der  Anfang  einer  exakteren  Sammel¬ 
forschung,  zu  der  ich  gerne  die.  Anregung  gegelien  hahen 
möchte. 

Die  PrüRmg  und  Umfrage  erstreckte  sich  auf  155 
Turner.  Davon  sind  nach  ihren  Angaben  100  längere  oder 
kürzere  Zeit  aiusschliießlich  mit  der  Brust  genäbrt  worden, 

1  eiliielt  neben  der  Brust  Zukost,  13  wuchsen  lieipler  Flasche 
heran,  41  konnten  keine  verläßlichen  Angaben  machen. 
Wenn  man  alle  diese  noch  den  Flaschenkindern  zurechnen 
will,  wofür  ja  eine  ‘gewisse  psychologische  Wahrscheinlich¬ 
keit  spricht,  so  machen  die  reinen  Brustkinder  64-5 ®/o  aus, 
eine  nicht  gerade  ungünstige  Zahl,  wobei  allerdings  zu  ber 
denken  ist,  daß  die  Stillzeit  in  einzelnen  Fällen  nur  IV2  bis 

2  Monate  betrug. 

Die  beste  turnerische  Leistung  erzielte  49  Punkte, 
die  schwächste  einen  Punkt.  Ich  teilte  danach  die  Turner 
■in  drei  Kategorien :  die  guten  mit  30  bis  49  Punkten,  33  an 
der  Zahl,  die  mi;ttehnäßigen  mit  15  bis  29V2  Punkten  zählten 
66  Älann,  die  schlechten  mit  1  bis  14 V2  Punkten,  im  ganzen 
56  Mann.  Lhrd  nun  war  zu  ermitteln,  welchen  Anteil  diese 
Kategorien  an  der  Brusternährung  hatten,  nicht  nur  hin¬ 
sichtlich  der  Za, hl  der  Gestillten,  sondern  auch  der  Zahl 
der  Stillmonate.  Da  ergaben  sich  denn  folgende  Verhältnisse 
(Tafel  1) : 


fiOl 


Tafol  1. 


Kategorie 

Davon 

wurden  als  Säuglinge 
genährt  mit 

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Daraus 

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Dnrc-h 

schnitte 

1 

Insgesamt 

155 

100 

1  • 

13 

41 

6i.-5 

731 

7-3 

6 

Gute  Turner 

H3 

24 

— 

1 

8 

72 

240 

10 

9—10 

Mittelmäßige 

Turner 

G6 

44 

— 

7 

15 

66 

289'5 

6-6 

3 

Schlechte 

Turner 

56 

32 

1 

5 

18 

57 

201 -h 

6-3 

3 

Beste  Turner 

11 

10 

— 

— 

1 

91 

72 

7-2 

6 

Schlecht.  » 

11 

5 

— 

1 

5 

45-5 

38 

7-6 

8 

Von  den  33  guten  Turnern  waren  demnach  24  Brust¬ 
kinder,  also  72^/0.  Sie  waren  insgesa,mt  240  Alonate  an  der 
Brust,  das  sind  im  Durchschnitte  zehn  Monate  oder,  wenn 
wir  die  Mittelzahl  nach  Kräpelin^)  als  exakter  vorziehen, 
neun  bis  zehn  Monate.  Mittelmäßige  Türner  gab  es  66; 
davon  waren  44  oder  in  Prozenten  66  an  der  Brust  g'O- 
nährt.  Ihre  Stilldauer  umfaßte  289-5  Monate,  so  daß  im 
Durchschnitte  auf  einen  Mann  6-6  Stillmonate,  entfallen. 
Das  Zahlenmittel  beträgt  aber  nur  drei  Monate.  Von  den 
sclilechten  Turnern,  56  an  der  Zahl,  waren  nur  32  Brust¬ 
kinder,  das  sind  57 0/0.  Die  Slilldauer  dieser  32  betrug  im 
ganzen  201-5  Monate,  es  entfielen  also  auf  einen  6-3  Monate 
im  Durchschnitte.  Die  Mittelzahl  betrug  auch  hier  drei 
Monate. 

Wir  sehen  also  ein  Ergebnis  zutage  treten,  das  den 
Vorkämpfern  natürlicher  Säuglingsemährung  gewißi  Freude 
bereiten  kann.  Weist  die  Gesamtzahl  der  geprüften  Turner 
einen  Prozentsatz  von  64-5  Brustkindern  auf  und  entsprechen 
die  mittelmäßigen  Turner  mit  ihren  66”/o  natürlich  Ernährten 
diesem  Durchschnittswerte  recht  gut,  so  erheben  sich  die 
guten  Turner  mit  ihren  72Ao  nicht  unwesentlich  über  diesen 
Durchschnitt,  während  die  schlechten  Turner  mit  ihren  57  ^/o 
weit  unter  ihm  bleiben.  Diese  Unterschiede  werden  aber 
noch  krasser,  wenn  wir  unter  den  Gestillten  schlechtweg 
noch  Umschau  halten  nach  der  Stilldauer:  alle  100  an  der 
Brust  Genährten  erfreuten  sich  dieser  Wohlta.t  zusammeai 
731  Monate,  im  Mittel  7-3  oder  nach  der  exakteren  Alethode 
6  Monate.  Die  24  guten  Turner  aber  allein  nahmen  fast  ein 
Drittel  der  Stillzeit,  240  Mona,te,  für  sich  in  Anspruch,  so- 
daß  auf  einen  von  ihnen  10  oder  ge.nauer  9  bis  10  Still¬ 
monate  entfielen.  Die  44  mittelmäßigen  Turner  waren  nur 
mit  289-5  Mona.ten  beteiligt,  einer  also  im  Mittel  mit  6-6 
oder  richtiger  mit  3  Monaten.  Und  die  32  schlechten  Turner 
gar  sahen  auf  nur  201-5  Stillmonate  zurück,  sO'  daß  einer 
im  Mittel  mit  6-3  oder  wieder  genauer  mit  3  Monaten  zu¬ 
frieden  sein  mußte.  Wir  sehen  .also,  daß  unter  den  guten 
Turnern  nicht  nur  relativ  die  meisten  als  Säuglinge  natür¬ 
lich  genährt  worden  waren,  sondern  daß  diese  Ernährung 
auch  zumeist  in  ausreichendem  Maße  geschah,  daß  dagegen 
den  ahnehmenden  turnerischen  Leistungen  nicht  bloß  immer 
weniger  Natüiiiichgenährte  entsprechen,  sondern  daß  auch 
diese  vielfach  nur  durch  allzu  kurze  Zeit  der  Mutterbiaist 
teilhaftig  wurden.  In  beiden  Beziehungen  erkennen  wir  also 
eine  gleichsiimig  abfallende  Linie,  ihre  Kombination  kann 
nur  eine  Verstärkung  der  supponierten  IVirkimg  zur  Folge 
haben.  In  der  letzten  Zeile  der  Tabelle  wurden  noch  die 
Daten  der  11^)  besten  Türner  mit  37  bis  49  Punkten  zu- 

h  Diese  Mittelzalil  wird  erhalten,  wenn  man  alle  zugehörigen 
Posten  in  aufsteigender  Reihe  neben  einander  stellt  und  die  Zahl  auf¬ 
sucht,  welche  von  beiden  Zahlenreihenenden  gleich  weit  entfernt  ist. 
Man  macht  sich  so  von  einzelnen  abnorm  hohen  oder  niedrigen  Werten 
unabhängig. 

h  11  deswegen,  weil  bis  dorthin  eine  fast  lückenlose  Reihe  von 
Angaben  über  die  Säuglingszeit  reicht. 


Nr.  20 


j02  wiener  klinische  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


sammengefaßit  und  den  11  schlechtesten  mit  1  l)is  dVs  Punk¬ 
ten  gegeniibergestellt:  hier  nur  5  Brustkinder  unter  11, 
dort  doppelt  so  viele.  Die  Stilldauer  ergibt  keinen  nennens¬ 
werten  Unterschied.  Bei.  der  Kleinheit  der  Zahlen  ist  diese 
(Jegenüberstellung  natürlich  von  mehr  agitatorischem  als 
wissenschaftlichem  Werte . 

Ich  bin  weit  entfernt,  die  Bedeutung  dieser  kleinen 
Umfrage  zu  überschätzen  und  habe  mir  selbst  alle  wich¬ 
tigeren  Einwände  gemacht.  Vor  allem  sind  die  verarbeiteten 
Zahlen  viel  zu  klein,  um  das  Spiel  des  Zufalls  auszuschalten. 
Darum  ist  es  notwendig,  weiteres  Material  dieser  Art  zu 
sammeln.  Ferner  aber,  und  das  ist  noch  wichtiger,  ist  die 
turnerische  Leistungsfähigkeit  gewißi  von  mannigfachen  Fäk- 
toren  abhängig,  die  neben  der  Säuglingsernährung  nicht 
vernachlässigt  werden  dürfen.  So  bemühte  ich  mich  also, 
einige  andere  biographische  Daten  zu  gewinnen,  die  hier 
von  Bedeutung  sein  könnten.  Von  ausschlaggebender  Wich¬ 
tigkeit  ist  vor  allem,  wie  lange  einer  schon  das  Turnen 
pflegt;  man  kann  erst  nach  mehrjähriger  Entwicklung  gute 
Leistungen  erzielen.  So  sind  auch  in  meinem  Materiale 
die  alten  Turner  zumeist  unter  den  guten  zu  finden,  während 
die  schlechten  auch  zumeist  junge  Turner  sind.  Der  Zufall 
spielt  aber  dabei  nur  scheinbar  eine  Rolle.  In  Wahrheit 
fallen  von  den  neu  eingetretenen  Turnern  immer  wieder 
viele  nach  kurzer  Zeit  unbefriedigt  ab,  weil  sie  in  dieser 
körperlichen  Betätigung  keine  Befriedigung  finden  und  weil 
sie  zu  geringe  Fortschritte  machen  und  nur  eine  kleine 
Truppe  harrt  treu  aus  und  rückt  allmählich  unter  die  guten 
Turner  vor,  eine  einem  jeden  Turner  bekannte  Auslese  der 
Rüstigsten.  Meine  Erhebung  ergäbe  also,  daß  sich  der  Abfall 
vornehmlich  aus  früheren  Flaschenkindern  rekrutiert,  so 
daß  der  Prozentsatz  der  Brustkinder  mit  dem  turnerischen 
Alter  und  damit  im  allgemeinen  mit  der  turnerischen 
Leistung  steigt.  Diese  Betrachtung  spricht  also  gleichfalls 
im  Sinne  einer  größeren  Tüchtigkeit  der  Brustkinder. 

Bei  dieser  Erörterung  wird  auch  verständlich,  warum 
die  guten  Turner  durchschnittlich  an-  Jahren  die  ältesten 
sind,  im  Durchschnitte  24  Jahre  gegen  22^/ii  bei  den  mittel¬ 
mäßigen  und  19-3  bei  den  schlechten  Turnern. 

Ich  habe  ferner  nachgefragt,  wie  lange  etwa  jeder 
Turner  auf  dem  Lande  gelebt  hat,  weil  nach  Prinzing 
tatsächlich  die  ländlichen  Bezirke  bessere  Assentierungs¬ 
ergebnisse  liefern  als  die  städtischen.  Da  zeigte  sich,  daß 
von  guten  Turnern  30%  durchschnittlich  7^/5  Jahre,  von 
den  mittelmäßigen  12%  durchschnittlich  Jahre,  von 

den  schlechten  25%  durchschnittlich  10^/7  Jahre  auf  dem 
Lande  gelebt  haben.  Wenn  also  die  kleinen  Zahlen  auch 
keine  sicheren  Schlüsse  zulassen,  —  keinesfalls  sprechen 
die  Zahlen  in  dem  Sinne,  als  wäre  das  mehrjährige  Land¬ 
leben  von  einem  erheblichen  Einflüsse  auf  die  turnerischen 
Leistungen. 

Die  Nachfrage  nach  dem  Alkoholgenuß  ergab,  daß 
sich  26  von  den  155  Turnern  als  abstinent,  3  als  starke, 
126  als  mäßige  Trinker  bekannten.  Schon  wegen  der  Un¬ 
bestimmtheit  der  zwei  letzten  Bezeichnungen  ist  ihre  Ver¬ 
wertung  nicht  zu  empfehlen.  Immerhin  darf  man  vermerken, 
daß  unter  den  33  guten  Turnern  allein  9  abstinent  sind. 
Auch  Erkundigungen  über  das  sexuelle  Verhalten  ergaben 
nichts,  was  für  unsere  Frage  von  Belang  wäre. 

Auf  frühere  Erkrankungen  konnte  sich  die  Umfrage 
leider  ebensowenig  erstrecken  wie  auf  Verhältnisse  der  Here¬ 
dität.  Von  den  ökonomischen  Lebensbedingungen  wurde 
nur  der  Beruf  jedes  Türners  notiert.  Dabei,  ergaben  sich 
keine  irgendwie  bedeutsamen  Unterschiede  in  den  von  mir 
gebildeten  Gruppen,  die  qualifizierten  Berufe  sind  da  ziem¬ 
lich  gleichmäßig  verteilt;  allerdings  ist  damit  nicht  ausge¬ 
schlossen,  daß  mancher  der  Turner  in  früheren  Jahren  unter 
schweren  Entbehrungen  zu  leiden  hatte.  Alle  diese  Betrach¬ 
tungen  aber  konnten  den  früher  gewonnenen  Eindruck,  als 
wären  die  Turner  im  allgemeinen  leistungsfähiger,  die  als 
Säuglinge  an  der  Brust  lagen,  nicht  abschwächen. 

Weim  ich  noch  einen  Augenblick  bei  der  Stilldauer 
verweile,  so  ergeben  sich  einige  Aufschlüsse  über  Still¬ 


sitten  in  unseren  Ländern,  die  ich  nicht  übergehen  möchte, 
obgleich  sie  nicht  unmittelbar  zum  Thema  gehören.  Die 
Tabelle  2  zeigt  die  Stilldauer  nach  den  mir  gewordenen  An¬ 
gaben  aufsteigend  geordnet. 

Tabelle  2. 


Stilldauer  in 
Monaten 

IV2 

2 

3 

5 

6 

8 

9 

10 

11 

12 

13|l4jl5 

16 

I8I22 

2436 

Zahl  der 

zugehöiigen  Fälle 

2 

3 

43 

1 

7 

4 

5 

5 

3 

19 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

Die  größte  Ai^^ahl  der  Kinder  wurde  drei  Monate  ge¬ 
stillt;  gewiß  nicht  mit  Unrecht  scheint  im  Volke  vielfach 
die  Meinung  zu  gelten,  im  ersten  Vierteljahre  brauche  das 
Kind  die  Brust  am  dringendsten.  Der  nächste  Zeitpunkt 
häufiger  Abstillungen  ist  das  Ende  des  ersten  Halbjahres, 
sieben  Fälle.  In  den  folgenden  Monaten  ist  das  Entwöhnen 
nicht  selten,  aber  erst  am  ,  Ende  des  ersten  Jahres  kommt 
wieder  eine  große  Zahl,  19.  Noch  längere  Stilldauer,  bis 
zu  36  Monaten,  kommt  dann  nur  noch  vereinzelt  vor.  Be¬ 
merkenswert  ist  immerhin,  daß  die  von  uns  Aerzten  im 
allgemeinen  empfohlene  Stilldsuer  von  etwa  neun  Monaten 
in  der  Bevölkerung  wenig  praktiziert  wird. 


Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Lehre  vom 

Basalzellenkrebs. 

Von  Dr.  Hei'inaiiii  Coeiicu,  Assistenten  der  königl.  chirurgischen  Univer¬ 
sitäts-Klinik  in  Berlin. 

Der  auf  dem  36.  deutschen  Chirurgenkongreß  (Berlin  1907) 
von  C 1  a  i  r  m  o  n  t  -  Wien  gehaltene  Vortrag  über  Diagnose  und 
Therapie  des  Basalzellenkrebses  und  die  sich  daran  anschließende 
Diskussion  gibt  mir  Veranlassung,  auf  die  Geschichte  des  Basal¬ 
zellenkrebses  näher  einzugehen. 

Im  Jahre  1900  (Zieglers  Beitr.,  28.  Bd.)  wies  Krem¬ 
pe  eher  auf  eine  drüsenartige  Form  des  oberflächlichen  Haut¬ 
krebses  hin,  die  bis  dahin,  wenn  auch  nicht  ganz  unbekannt, 
doch  nicht  in  der  richtigen  Weise  gewürdigt  war.  Diese  Arbeit 
wurde  im  allgemeinen  mit  Verständnis  aufgenommen  und  die  be¬ 
schriebene  Krebsform  von  da  ab  als  K  r  o  m  p  e  c  h  e  r  scher  Krebs 
bezeichnet.  In  einer  späteren  Monographie  (Jena  1903)  baute 
Krompecher  die  mikroskopische  Anatomie  und  die  klinischen 
Merkmale  dieser  Basalzellengeschwülste  mehr  aus  und  ging  darin 
auch  wohl  etwas  zu  weit. 

Inzwischen  hatte  sich  in  der  Onkologie  die  Lehre  von  den 
Endotheliomen,  die  in  ihrem  Ursprung  weiter  zurück  lag,  ziemlich 
rein  auskristallisiert.  Sie  hatte  sich  langsam  aus  der  Lehre  von 
den  Zylindromen  (Billroth,  1854),  namentlich  seit  der  Arbeit 
Kösters  in  dieser  Frage  (1867),  entwickelt,  obwohl  die  Be¬ 
zeichnung  „Endotheliom“  nicht  von  Anfang  an  bestand,  sondern 
erst  allgemeiner  wurde,  seit  Golgi  ein  Psammom  der  harten  Hirn¬ 
haut  so  benannte  (1869).  Von  da  ab  wurden  die  Endotheliome  immer 
häufiger.  Diese  Endotheliomliteratur  entstand  hauptsächlich  auf 
Grund  der  Speicheldrüsen-  und  Gaumentumoren.  (C.  Fried¬ 
länder,  Virchows  Archiv  1876;  Kaufmann,  Langen- 
becks  Archiv  1881 ;  Felix  Franke,  Virchows  Archiv  1890 ; 
Nasse,  Langenbecks  Archiv  1892;  Marchand,  Zieglers 
Beiträge  1893;  v.  Ohlen,  ebenda;  Eisenmenger,  Deutsche 
Zeitschr.  f.  Chirurgie  1894;  Rudolf  Volk  mann,  ebenda  1895  u.  a.) 
Als  charakteristische  Zeichen  der  Endotheliome  galten  ihre  ab¬ 
gekapselte  Umgrenzung,  ihr  langsames  Wachstum,  ihr  strang¬ 
artiger,  oft  drüsenartiger  Bau,  ihr  Mangel  an  Drüsenmetastasen, 
ihre  hyaline  Entartung. 

Diese  Lehre  übertrug  man  nun  auch  auf  die  Hautgeschwülste. 
Eine  der  ersten  dieser  Arbeiten  stammt  von  H.  Braun  (Langen¬ 
becks  Archiv  1892).  Mulert  beschrieb  1897  (Langenbecks 
Archiv)  eine  multiple  Geschwulstform  der  Kopfhaut,  die  drüsen¬ 
ähnlich  gebaut  war,  aber  für  ein  Endotheliom  gehalten  wurde; 
und  P  u  p  o  V  a  c  bildet  in  seiner  Arbeit  über  die  Histologie  der 
sogenannten  Hautendotheliome  (Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.  1898) 
Geschwülste  mit  hohen  zylindrischen  Drüsenzellen  als  Endothe¬ 
liome  (!)  ab.  Der  Japaner  Tanaka  (Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir. 
1899)  betrachtet  als  Merkmale  der  Hautendotheliome  das  pilz¬ 
förmige  Wachstum,  den  Sitz  nicht  an  den  Schleimhäuten  oder 
deren  Uebergängen.  So  hielt  man  denn  lange  Zeit  fast  alle  kuge¬ 
ligen,  von  normaler  Haut  überzogenen  und  alle  tief  liegenden, 
leicht  verschieblichen  Gesichtstumoren  von  gutartigem  Charakter 
für  Endotheliome.  Diese  Annahme  und  Lehre  hielt  sich  fa,st  hift 


Nr.  20  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  :  6üji 


heute  allgemein.  Nach  und  nach  ist  aber  von  dem  großen  hypo¬ 
thetischen  Gebäude  der  Endotheliome  vor  unseren  Augen  manches 
abgebröckelt. 

Es  ist  ein  großes  Verdienst  der  B  o  r  r  m  a  n  n  sehen  Arbeit 
(Zeitschr.  f.  Krebsforschung  1904),  daß  sie  uns  das  Wachstum 
der  kleinen  Hautkarzinome  an  der  Hand  zahlreicher^ Serien  klar 
vor  Augen  führt.  Dies  sind  aber  gerade  die  Hautgeschwülste, 
die  man  für  Endotheliome  nahm  und  Bi»  rr  mann  stimmt  in  der 
Hauptsache,  nämlich  der  epithelialen  Natur  dieser  Tumoren,  völlig 
mit  Krompecher  überein,  wenn  auch  die  Autoren  in  den 
Details  der  Histogenese  auseinandergehen.  Während  nämlich 
Krompecher  diese  Geschwülste  durch  kontinuierliches  Tiefen¬ 
wachstum  der  basalen  Zellen  des  Rete  Malpighi  erklärt  und  dabei 
der  embryonalen  Gesichtsspaltenbildung  eine  ätiologische  Rolle 
zumißt,  erklärt  Borrmann  alle  diese  Geschwülste  aus  em¬ 
bryonal  ins  Korium  versprengten  Basalzellen  und  schlägt  deshalb 
hiefür  den  Namen  Koriumkarzinom  vor;  auch  er  glaubt  der 
fötalen  Gesichtsspaltenbildung  eine  ätiologische  Rolle  für  ihre 
Entstehung  zuerkennen  zu  müssen. 

Seit  ich  in  die  v.  Bergmann  sehe  Klinik  eingetreten  bin 
(1901),  habe  ich  auf  die  Geschwulstgruppe  der  Endotheliome, 
namentlich  auf  die  der  Gesichtshaut,  besonders  geachtet.  Es 
wurde  damals  im  allgemeinen  ein  Endotheliom  im  Gesichte 
diagnostiziert,  wenn  man  einen  gutartigen,  kugeligen,  von 
normaler  Haut  überzogenen  Tumor  von  glatter  glänzender  Ober¬ 
fläche  vor  sich  hatte.  Auf  Grund  vielfacher  Studien  an  diesen 
Geschwülsten  —  besonders  an  kleinen,  nicht  ulzerierten  —  bildete 
ich  mir  die  Ansicht,  daß  diese  sogenannten  Endotheliome 
fälschlich  ihre  Bezeichnung  trügen,  daß  es  im  Gegenteile  Epi¬ 
theliome  seien  und  daß  sie  mit  den  epithelialen  Anhangsorganen 
der  Haut  —  den  Talgdrüsen,  Schweißdrüsen  und  Haarbälgen  — 
einen  genetischen  Zusammenhang  hätten ;  daß  sie  also  ähnlich 
wie  die  mikroskopisch  ihnen  ähnlichen  Parotistumoren,  deren 
endotheliale  Auffassung  inzwischen  durch  H  i  n  s  b  e  r  g  (Deutsche 
Zeitschr.  f.  Chir.  1899)  und  R  i  b  b  e  r  t  (Geschwulstlehre  1904) 
erschüttert  war,  zu  den  Hautdrüsen  ein  ähnliches  Verhältnis 
hätten,  wie  die  Parotistumoren  zur  Ohrspeicheldrüse.  Für 
manche  Gaumentumoren,  die  man  wegen  ihres  submukösen  ab¬ 
gekapselten  Sitzes  für  Endotheliome  hielt,  hatte  ich  vorher  schon 
die  epitheliale  Genese  erwiesen  und  die  Bezeichnung  „Adeno¬ 
karzinom“  gewählt.  (Langenbecks  Archiv  1904.) 

Ich  hatte  meine  Studien  über  die  ,,Hautendotheliome“  noch 
nicht  ganz  abgeschlossen,  als  die  zitierte  hochbedeutende  Arbeit 
Borrmanns  erschien.  Ich  war  mit  ihm  in  der  epithelialen 
Auffassung  dieser  Tumoren  völlig  einig;  er  suchte  aber  die 
Genese  ausschließlich  auf  embryonalem  Gebiete  und  nahm 
embryonale  Versprengung  von  Basalzellen  oder  zu  Drüsengewebe 
differenzierten  Basalzellen  in  das  Korium  an,  die  bei  der  Drüsen¬ 
oder  Haarbalgbildung  oder  beim  Schlüsse  der  fötalen  Gesichts¬ 
spalten  vor  sich  gegangen  wäre. 

Am  13.  März  1905  konnte  ich  in  der  Freien  Vereinigung 
der  Chirurgen  Berlins  eine  größere  Anzahl  dieser  fälschlichen 
Endotheliome  demonstrieren  alsZystepitheliome,  Trichoepitheliome, 
einfache  und  drüsige  oder  zystische  Basalzellenkrebse  und 
Zylindrome.  (Langenbecks  Archiv,  Bd.  76.)  Die  Basalzellen¬ 
wucherung  war  für  alle  diese  Tumoren  das  Entscheidende,  mit 
dem  Oberflächenepithel  des  Gesichtes  hatten  sie  nichts  zu  tun ; 
sie  trieben  im  Gegenteil  dasselbe  verdünnt  vor  sich  her.  ln 
weiteren  Arbeiten  (Bericht  über  poliklinische  Geschwülste, 
Langenbecks  Archiv  1905,  Bd.  78,  und  Zur  Kasuistik  und 
Histologie  des  Hautkjebses,  Langenbecks  Archiv  1906,  Bd.  78, 
und  in  einer  Demonstration  in  der  Berliner  medizinischen  Ge¬ 
sellschaft,  referiert  in  Berliner  klin.  Wochenschrift  1906,  Nr.  28) 
konnte  ich  weitere  Fälle  dieser  Basalzellengeschwülste  vorführen, 
von  denen  die  nicht  ulzerierten  die  histologischen  Verhältnisse 
am  klarsten  vor  Augen  führen. 

So  hatten  wir  allmählich  in  der  v.  B  e  r  g  m  a  n  n  sehen 
Klinik  die  übliche  Lehre  von  den  Gesichtsendotheliomen  ganz 
fallen  gelassen  und  uns  gewöhnt,  diese  Geschwülste  als  Epi¬ 
theliome  zu  bezeichnen,  als  Basalzellengeschwülste,  an  deren 
Entstehung  wir  den  epithelialen  Anhangsorganen  der  Haut,  den 
Drüsen  und  Haarbälgen  eine  genetische  Grundlage  zuerkannten. 
Wir  haben  auch  andere  als  ,, Endotheliome“  angesprochene 
Tumoren  in  dieser  Beziehung  revidiert  und  deren  histologische 
Bezeichnung  klargestellt. 

G  u  1  e  k  e  konnte  in  der  Festschrift  für  Exzellenz  v.  B  e  r  g- 
mann  (Langenbecks  Archiv  1906)  eine  Serie  von  sub¬ 
kutanen,  leicht  verschieblichen  Geschwülsten  des  Gesichtes  be¬ 
schreiben,  die  sich  aus  abgesprengten  Keimen  der  Parotis  oder 
der  Tränendrüse  entwickelt  hatten,  dieselben  Typen,  die 
Pupovac  (1.  c.)  fälschlich  als  Endotheliome  bezeichnet  hatte. 


Somit  war  es  für  mich  eine  willkommene  Bestätigung,  daß 
C  1  a  i  r  m  o  n  t  in  dem  erwähnten  Vortrag  hinsichtlich  der  Gesichts- 
endotheliome  zu  ganz  denselben  Resultaten  gekommen  war  und 
auch  fast  dieselben  Typen,  wie  ich,  wieder  gefunden  hatle.  Be¬ 
züglich  der  Histogenese  blieb  er  auf  dem  Standpunkt  Krom- 
pechers,  daß  sie  sich  kontinuierlich  aus  wuchernden  Basalzellen  des 
Rete  Malpighi  entwickelt  hätten,  stehen,  während  ich  den  Hautdrüsen  ^ 
und  seltener  den  Haarbälgen  bei  ihrer  Entstehung  eine  ätiologische 
Rolle  einräume  und  jedenfalls  annehme,  daß  die  Basalzellenkrebse 
subepithelial  entstehen  und  die  Verbindungen  der  Ausläufer  dieser 
Geschwülste  mit  den  Basalzellen  der  Deckschicht  der  Haut,  die 
Krompecher  als  deren  Ausgangspunkt  betrachtete,  sekundär 
sind.  Leitet  man  nun  diese  Basalzellenkrebse  von  fertig  ent¬ 
wickelten  postembryonalen  Hautdrüsen  oder  Haarbälgen  ab,  so 
muß  man  annehmen,  daß  infolge  der  Entdifferenzierung  oder 
Anaplasie  die  Drüsenzellen  oder  Haarbalgzellen  sich  wieder  rück¬ 
bilden  zu  ihren  Ausgangszeilen,  das  sind  die  Basalzellen;  dabei 
bildet  ihre  Wucherung  häufig  drüsenartige  Hohlräume,  kurz  das 
Zerrbild  einer  Drüse.  Wenn  man  aber  die  Genese  auf  embryonalem 
Geriet  sucht,  entsprechend  der  jetzt  in  der  Onkologie  herrschenden 
Anschauung,  so  kann  man  mit  Borrmann  annehmen,  daß  sich 
bei  der  Bildung  der  epithelialen  Anhangsgebilde  der  Haut  Basal¬ 
zellen  aus  dem  Verbände  auslösten  und  ins  Korium  verschlagen, 
hiör  zum  Geschwulstkeim  wurden.  Im  großen  und  ganzen  ent¬ 
spricht  aber  auch  dies  dem  Zerrbild  einer  Drüsenentwicklung, 
denn  diese  ist  in  ihren  primitivsten  Anfängen  charakterisiert  durch 
sprossendes  Tiefenwachstum  des  Basalepithels  ins  Korium.  Wir 
können  also  auf  jeden  Fall  sagen,  daß  der  Basalzellenkrebs  ein 
Drüsenkrebs  der  Haut  ist,  deren  drüsenartige  Struktur  ja  auch 
für  die  erste  Bezeichnung  Krompechers  „drüsenartiger  Ober¬ 
flächenkrebs“  bestimmend  war.  Es  ist  Tatsache,  daß  dieser  Krebs, 
der  Basalzellenkrebs  (Krompecher)  oder  das  Koriumkarzinom 
(Borrmann),  auch  tiefes  Adenoidkarzinom  genannt,  der  häufigste 
Ki^bs  im  Gesicht  ist  und  daß  das  Ulcus  rodens  meist  diesen 
Typus  zeigt,  wenn  auch  oft  der  drüsige  Bau  einem  strangartigen 
gewichen  ist,  was  ja  oft  bei  Tumoren  der  drüsigen  Organe  vor¬ 
kommt,  z.  B.  auch  beim  Brustkrebs.  Ob  der  Basalzellenkrebs  mit 
einer  Störung  in  der  Bildung  oder  dem  Schluß  der  fötalen  Ge¬ 
sichtsspalten  zusammenhängt,  ist  fraglich.  Dafür  könnte  sprechen, 
daß  diese  Krebse  im  Bereich  der  schrägen  Gesichtsspalte  sehr 
häufig  sind.  Anderes  spricht  dagegen.  Die  häufigste  Störung  in 
dem  Schluß  der  Gesichtsspalten  spielt  sich  nämlich  in  der  Spalte 
zwischen  äußerem  und  innerem  Nasenfortsatz  ab  und  führt  dann 
zur  Hasenscharte.  Nun  müßte  man,  wenn  die  fötale  Spaltbildung 
eine  ätiologische  Rolle  für  das  Entstehen  der  flachen  Hautkrebse 
spielte,  auch  im  Bereich  dieser  Spalte  häufig  Basalzellenkrebse 
sehen.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall,  Oberlippenkarzinome  sind 
selten. 

Die  Karzinome,  die  von  der  Deckschicht  der  Haut,  dem 
verhornenden  Epithel,  ausgehen,  sind  die  Kankroide ;  sie  haben 
keinen  drüsenartigen  Bau,  zahlreiche  Hornperlen  und  sind  bös¬ 
artiger.  Die  Unterlippenkrebse,  die  Zungenkrebse,  die  Wangen¬ 
schleimhaut-Krebse,  die  Nasenschleimhaut-Krebse  sind  alles 
Kankroide. 

Natürlich  gibt  es  zwischen  den  Kankroiden  und  Basalzellen¬ 
krebsen  Uebergänge.  Diese  beiden  Typen  kann  aber  jeder 
Mikroskopiker  aus  den  Gesichtskarzinomen  herausfinden. 

Berlin,  14.  April  1907. 


{Referate. 


Der  Arzt. 

Von  Ernst  Schweninger. 

Frankfurt  a.  M.  1907,  Rütten  u.  L  o  e  n  i  n  g. 

Besprochen  von  Alex.  Eraenkel. 

Das  Arztthema  ist  gerade  häufig  genug  literarisch  abge¬ 
handelt  Wörden.  Im  Dämmerscheine  des  sinkenden  Lebeustages, 
wenn  es  Abend  werden  will,  die  Stimmung  sich  einstellt  für  rück¬ 
schauende  Prüfung,  das  Bedürfnis  nach  ehrlicher  Rechenschalt, 
die  des  Lebens  Summe  und  Lehre  ziehen  läßt,  da  haben  Aeizte 
seit  jeher  gerne  zur  Feder  gegriffen,  um  sich  über  Sinn  und  Zweck 
ärztlichen  Wirkens  zu  äußern.  Pts  ist  von  recht  verschiedenem 
Werte,  was  in  diesem  Sinne  niedergeschricben  wurde. 

Wenn  aber  der  Mann  seine  Anschauungen  über  den  ärzt¬ 
lichen  Beruf  vor  der  Oeffentlichkeit  darzulegen  sich  entschlielh, 
der  den  Vorzug  hatte,  eines  Bismarcks  Arzt  zu  sein,  als  solcher 
dessen  vertrautem  Kreise  anzugehören,  so  ist  einem  solchen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


Unternehmen  von  vornlicrein  die  allgemeinste  Beachtung  ge¬ 
sichert.. 

Der  Schluß,  daß  hedeutende  Menschen  sich  wieder  nur  von 
hedeutenden  Aerzten  beraten  ließen,  ist  zwar  erfahmngsgemäß 
durchaus  nicht  gerechtfertigt  und  die  Bewertung  des  Arztes  nach 
der  geistigen  Hölie  des  Pat.  gewiß  itii  allgemeinen  nicht  zulässig,. 
Daß  aber  Bismarcks  ärztlicher  Berater  eine  scharf  ausgeprägte 
Persönlichkeit  und  durch  eine  geistige  Eigenart  ausgezeichnet  er¬ 
scheint,  die  es  ausschließt,  ihn  nach  dem  gewöhnlichen  Durch¬ 
schnittsmaße  zu  beurteilen,  dessen  wird  man  —  wenigstens  hei 
der  Lektüre  dieses  Buches  —  schon  auf  den  ersten  Seiten  ge¬ 
wahr.  In  diesem  Falle  stimmt  also  die  Voraussetzung  und  der 
Verfasser  fesselt  uns,  auch  ganz  abgesehen  von  seinen  Be¬ 
ziehungen  zU  seinem  berühmten  Klienten,  sozusagen,  ganz  auf 
eigene  Kosten,  nicht  am  wenigsten  auch  durch  die  vollendete 
Beherrschung  der  Form  der  Darstellung. 

iSchweninger  will  in  dem  ^Verhältnis'  Arzt^ — Patient  zu¬ 
nächst  und  vor  allem  Austausch  und  Betätigung  von  Humanität 
sehen  u.  zw.  dieser  im  wöilliclisten  Sinne.  Das  istund  bleibt  für  ihn 
die  Gnmdlage  dieses  Verhältnisses.  Auf  der  einen  Seite  Schwäche, 
hilflose  Not,  Betrübnis,  Furcht  und  Schmerz,  die  sich  mitzuteilen, 
eine  geängstigte  Seele,  die  sich  zu  erschließen  sehnen ; 
auf  der  anderen  Seite  verständnisvolle  Aufnahmsfähigkeit,  durch 
Anlage  und  Begabung  vorbereitete,  durch  Erziehung  und  Er- 
fahrang  erworbene  Fähigkeit  und  Kraft,  der  körperlichen  und 
seelischen  Not  des  anderen  abzuhelfen. 

Nicht  jedermann  kann  jedermanns  Arzt  sein  und  mit  jedem 
neuen  Kranken  ist  dem  lArzte  auch  eine  neue  Aufgabe  gestellt, 
in  die  er  sich  erst  einzuleben  hat.  Er  muß  Verständnis  für  die 
Individualität  seines  Kranken  zu  gewinnen  verstehen  und  diesen 
durch  die  freudige  Einsicht,  daß  er  an  den  richtigen  Mann  ge¬ 
kommen,  dazu  bringen,  ihm  sein  Innerstes  aufzutun,  sich  ihm 
ganz  anzuvertrauen,  aus  freier  Entschließung,  aus  Ueberzeugung 
sich  ihm  zu  unterwerfen. 

So  wird  der  'Arzt  zum  Herrn  seines  Kranken,  zum  Führer 
seines  Lebensschiffes,  wie  es  der  Steuermann  auf  offenem  Meere 
ist,  der  die  Zeichen  kennt,  die  auf  Sturm  deuten,  und  es  durch 
Erfalirung  gelernt  hat,  sein  Fahrzeug  vor  Schaden  und  Irrgang 
zu  bewahren.  Um  es  auch  bei  wogender  See  dem  sicheren  Hafen 
zuzuführen.  ^ 

Freilich  schließt  diese  Auffassung  .des  ärztlichen  Berufes 
und  des  Verhältnisses  zwischen  Arzt  und  Patient  jede  Art  von 
Massenbehandlung  aus;  das  ärztliche  Wirken  wird  zur  intim¬ 
sten  Angelegenheit  zwischen  zwei  Menschen,  die  für  einander 
gestimmt  sind.  Einem  'Arzte,  der  sich  ein  solches  Maß  von  Ver¬ 
trauen  Zu  erwerben  weiß,  braucht  auch  um  den  Lohn  nicht 
hange  zu  sein. 

Gestehen  wir  nur,  daß  die  Formen  und  die  Art  ärztlichen 
Wirkens,  wie  man  sie  heutigen  Tages  eingebürgert  sieht,  weit 
entfernt  sind  von  dieser  idealen  Gestaltung  des  Verhältnisses 
Arzt — Patient.  Wenn  wir  aber  davon  hören  und  lesen  und  hie 
und  da  auch  heute  noch  einem  derartigen  Verhältnisse  begegnen, 
dann  winkt  es  wie  aus  alten  Zeiten  und  in  der  Erinnerung 
taucht  der  alte  Hausarzt  auf,  der  die  Menschen  auf  all  ihren 
Lebenswegen  begleitet,  „vom  ersten  Bad  bis  zum  Begräbnis“, 
und  über  allem  Wechsel  der  Beziehungen  für  seinen  Kreis  von 
Schutzbefohlenen  der  Fels  blieb,  an  dem  Generationen  Halt  und 
Stütze  in  allen  Lebenslagen  suchten  und  fanden. 

Dieser  menschlich  schöne  Typus  ist  in  unserer  Zeit  durch 
andere  ersetzt  worden.  Der  Arzt  für  viele  und  der  Spezialist. 
Behandlung  von  Krankheiten,  Von  Erkrankungen  bestimmter 
Körperteile  und  Spezialisierung  nach  bestimmten  Heilme¬ 
thoden.  Zumal  die  Entwicklung  des  Spezialistentums  wird 
vielfach  als  Fortschritt  gepriesen,  indem  man  darin  den  Ausdruck 
der  wissenschaftlichen  Veiiiefung  der  Heilkunde  sehen  will.  Das 
mag  ja  bis  zu  einem  gewissen  Grade  stimmen;  zweifellos  wird 
Fertigkeit  und  Sicherheit  durch  Beschränkung  auf  ein  begrenztes 
Arbeitsgebiet  gefördert  und  namentlich  die  wissenschaftliche  For¬ 
schung  kann  der  Kleinarbeit  des  Spezialisten  nicht  entbehren.  Aber 
ebenso  klar  ist  es,  wie  sehr  hiebei  Erfahrung,  Urteil  und  Leistungs- 
fälrigkeit  der  Einseitigkeit  zu  verfallen  Und  das  ärztliche  Wirken 
zur  Ilandwerksniäßigkeit  herabzusinken  bedroht  sind.  Das  gilt 
in  gleichem  Maße  für  diagnostisches  und  tlierapeutisches  Spezia¬ 


listentum,  denn  beide  verstoßen  gegen  das  individualistische 
Grundgesetz  ärztlichen  Wirkens.  Vom  Ziele  aber,  Krankheiten 
zu  behandeln,  sind  wir  noch  recht  weit  entfernt  und  wir  dürfen 
uns  auch  die  Bedenken  nicht  verhehlen,  die  in  der  Verfolgung 
dieses  Zieles  liegen.  Die  Gefahr  der  Schablonisiening  und  Sche¬ 
matisierung,  der  künstlichen  Schaffung  von  Systemen  und 
hiemit  des  Rückfalles  in  jene  Zeiten,  wo  man  die  Krankheiten 
als  etwas  dem  Körper  Fremdes  betrachtete,  ihnen  besondere 
Wesenheit  zuschrieb  und  die  Krankenbehandlung  zum  Kampfe 
gegen  die  vermeintlichen  Eindringlinge  ausartete.  „Krankheit“ 
ist  —  das  müssen  wir  uns  mit  Schweninger  gegenwärtig 
halten  —  im  Grunde  genommen  nur  eine  Abstraktion  von  Vor¬ 
gängen  im  Leben  des  Organismus,  eine  Vorstellung,  der  Ter¬ 
minus  für  einen  Begriff,  den  das  Bedürfnis  geschaffen  hat,  nach. 
Verständigung  über  eine  große  Anzahl  in  ihren  Aeußerungen 
und  Wirkungen  zum  Teil  ähnlicher,  zum  Teil  verschiedener 
Lehensvorgänge.  Begriffe  sind  aber  keine  Angriffspunkte  ärzt¬ 
licher  Behandlung,  behandeln  sollen  und  können  wir  nur  den 
kranken  Menschen. 

Die  Bedingungen  für  diese  Aufgabe  sind  aber  seit  jeher 
nahezu  unverändert  dieselben  gehlieben;  seit  jeher  hat  sich  der 
Menschen  tausendfaches  Weh  und  Ach  in  denselben  Formen 
geäußert  und  diejenigen  waren  immer  die  berufenen  Berater  und 
Helfer,  die  die  Erfahrensten  waren,  das  reifste  „Wissen  vom  Leben“ 
hatten.  Die  wissenschaftliche  Forschung  'hat  uns  dabei  mächtig 
gefördert  —  wer  könnte  dies  leugnen!  —  aber  nur  insofern 
hat  sie  den  Arzt  auch  vor  neUe  Aufgaben  und  zu  neuen  Lösungen 
dieser  Aufgaben  geführt,  als  sie  die  krankmachenden  Bedingungen 
genauer  kennen  gelehrt  hat  und  hiemit  auch  die  Mittel  und  Wege 
wies,  vor  diesen  zu  schützen.  Ist  aber  der  Mensch  einmal  diesen 
krankmachenden  Bedingungen  verfallen,  ist  er  krank  geworden, 
dann  steht  der  Arzt  von  heute  vor  denselhen,  ewig  gleich  bleiben¬ 
den  Situationen,  wie  sein  beruflicher  Vorfahre  vor  Jahrtausenden; 
ihm  stehen  andere  Erklärungen  und  Deutungen,  aber  im  wesent¬ 
lichen  keine  anderen  wirksamen  Mittel  zur  Verfügung,  um  dem 
kranken  Menschen  zu  helfen,  wie  dem  Hcilkünstler  in  grauer 
Vorzeit.  Mag  die  Mode  in  der  Anwendung  der  Heilmittel  und 
Heilmethoden  noch  so  wechseln,  mehr  oder  weniger  ist  auch 
das  Allerneueste,  womit  wir  unsere  Kranken  behandeln,  in  irgend¬ 
einer  Fonn  schon  einmal  dagewesen.  Trotz  aller  vorgeschrittenen 
Wissenschaft  können  wir  nichts  anderes  tun,  als  in  jedem  ein¬ 
zelnen  Falle  die  Angriffspunkte  suchen,  um  das  Kräfteverhältnis 
der  Organe  und  ihrer  Funktionen  zu  regeln,  hier  ein  Zuviel  zu 
mindern,  dort  ein  Zuwenig  zu  mehren,  um,  wenn  wir  mit  unserem 
Latein  zu  Ende  sind,  wo  es  angeht,  zum  Messer  zu  greifen  und 
nach  dem  bekannten  hiblischen  Rezepte  radikale  Therapie  zu 
treiben. 

Das  letztere  können  wir  allerdings  heutzutage  weit  besser 
und  sicherer  als  je  und  daß  wir  das  können,  verdanken  wir  ge¬ 
wiß  nur  der  Wissenschaft,  es  ist  eine  ihrer  glänzendsten  Errungen¬ 
schaften.  Dürfen  wir  aber,  ira  Grunde  genommen,  eine  solche 
Therapie  eine  wissenschaftliche  nennen  ?  Dürfen  wir  ihre  Er¬ 
folge  —  so  groß  und  erfreulich  sie  auch  sind  —  als  Heilungen 
bezeichnen  ? 

Noch  ehe  es  eine  Wissenschaft  gab  und  vor  aller  Ueher- 
lieferung,  in  prähistorischen  Zeiten,  wurden  kranke  .Menschen 
operiert..  Die  Idee,  das  Auskunftsmittel,  einen  kranken  Menschen 
dadurch  gesund  machen  zu  wollen,  daß  man  ihm  einen  offen¬ 
baren  Krankheitsherd  entfernt,  gehört  gewiß  zu  den  überhaupt 
allerältesten  tlierapeutischen  Einfällen.  Sie  entsprang,  wie  die 
größte  Mehrzahl  u.  zw.  gerade  der  wirksamsten  Heilmethoden, 
teils  instinktiven  Handlungen,  teils  naiv  empirischer  Ueberlegung, 
etwa  so,  wie  man  darauf  kam,  Feuer  durch  Wasser  zu 
löschen,  den  Durst  durch  Trinken  zu  stillen,  einen  bewußtlos 
und  hilflos  Daliegenden  durch  allerlei  äußere  Reize  zum  Leben 
zurückzUrufen  u.  a.  m.  Es  wäre  ein  Leichtes  für  den  medizinisclien 
Historiker,  den  Ursprung  fast  unserer  gesamten  Therapie  auf 
diese  reine  Empirie  zurückzu  führen.  Unser  S  treben  ist  es  und 
soll  es  sein,  für  all  das  die  wissenschaftliche  Grundlage  zu 
finden,  um  unsere  Anordnungen  zu  ziel-  und  zweckbewußten  zu 
machen  und  darauf  eine  Lehre  zu  gründen,  durch  welche  das 
empirisch  Erreichte  mit  der  Wissenschaft  in  Einklang  gebracht 
werden  kann  und  soll;  kurz,  das  zu  erreichen,  was  man  seit 


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WIENER  KJ.INMSCHE  WOejIENSCnRTFT..'1907. 


jeher  erstrcbL  nml  schon  so  oft  erreicht  zn  hahen  glaubte:  eine 
rationelle  Heilkunde. 

Hie  Lehre,  die  Schuhneinnng,  die  ,, ratio“  ändert  sich  aber 
im  Laufe  der  Zeiten  oft  so  rasch,  daß  man  in  einem  Älenschenlehen 
dem  raschen  Wechsel  der  wissenschaft'ichen  Anschauungen  kaum 
irachkommen  kann.  Die  wissenschaftlichen  Gründe  und  Voraus¬ 
setzungen  für  die  Anwendung  kalter  und  warmer  Umschläge  sind 
seit  jeher  immer  wieder  andere  gewesen,  das  einzig  bleibende  im 
Wechsel  ist  die  Anwendung  des  Umschlages'  und  die  Tatsache 
seiner  wohltätigen  Wii'kung.  Der  eine  Arzt  verahreiclito  seiner¬ 
zeit  ein  Abfühnnitlel,  weil  er  eine  „ahleitende“  Wirkung  er¬ 
zielen  wollte,  der  andere  verordnet  es  heute,  um  den  Blutdruck 
herabzusctzen,  der  dritte,  um  damit  toxische  Substanzen  aus 
dem  Köi-per  zu  entfernen  —  ein  vierter  aus  der  einfachen  humani¬ 
tären  Ueberlegung,  daß  den  Leib  offen  zu  halten,  erfahrungsgemäß 
kranken  Menschen  noch  immer  zum  Vorteil  gereicht  hat.  So 
war  es  mit  dem  Aderlaß,  den  man  noch  übte,  ehe  man  vom 
Blutkreislauf,  so  war  es  mit  der  Trepanation,  die  man  aus¬ 
führte,  noch  ehe  man  von  der  physiologischen  Bedeutung  des 
Gehirns,  geschweige  denn  vom  Hirndruck  auch  nur  eine  Ahnung 
hatte,  so  war  es  mit  der  Impfung,  noch  ehe  man  sich  von 
einer  Lehre  der  aktiven  oder  passiven  Immunität  etwas  1  räumen 
ließ  und  so  war  es  fast  mit  jeder  Art  von  Therapie. 

Auch  hier  gilt  das  Wort;  „Ist  es  der  Sinn,  der  alles  wirkt 

und  schafft?  — •  Im  Anfang  war  die  Tat!“ . Der  Sinn  ist 

es’,  den  nachträglich  unser  KaUsalitätshedürfnis  hinter  den  Dingen 
sucht  oder  nachträglich  mit  mehr  oder  weniger  Berechtigung 
diesen  hinzufügt.  Die  Vorgänge,  ihre  Beobachtung,  die  Erfahrung, 
die  ziel-  und  zweckbewußte  Ausnützung  der  Erfahrung,  die 
Leistung,  die  Tat  und  ihr  Erfolg,  das  sind  die  bleibenden  Grund¬ 
lagen  des  ärztlichen  Handelns,  nicht  die  Wissenschaft,  mit  ihrem 
wechselnden  Inhalt  und  ihren  strittigen  Interpretalionen.  Darum 
ist  auch  das  Ärzten  nicht  Wissenschaft,  es  hat  vielmehr  die 
Bedeutung  einer  empirisch  geübten  Kunst,  bei  der  es  vor  allem 
darauf  ankommt,,  eine  gegebene  Aufgabe  auf  Grund  einer  durch 
verständnisvolle  Beobachtung  erworbenen  Erfahrung  zweckent¬ 
sprechend  zu  lösen. 

Wissenschaft  betreibt  der  Anatom,  der  Physiolog,  der  Bak- 
teriolog  etc.  ■ —  der  Arzt,  der  ausübende  Arzt  vollfübrt  „Täten“, 
er  verwertet  Erfahrungen,  die  aus  der  Beobachtung  des  Lebens 
sich  ergeben,  zu  Nutz  und  Frommen  des  kranken  Menschen. 
Die  Wissenschaft  bringt  die  Erläuterung  für  das  in  der  Erfahrung 
begründete  äi’ztliche  Handeln,  sie  soll  diesem  auch  neue  Ziele 
und  neue  Wege  weisen,  um  die  Grenzen  des  Könnens  möglichst 
zu  weiten  —  sic  hat  dies  auch  geleistet  —  trotzdem  aber  wurzelt 
das  eigentliche  Ärzten  derzeit  noch  in  der  naiven  Empirie  und 
besteht  in  deren  kunsl gerechter  Uehung. 

* 

Der  Gelehrte,  der  Mann  der  Wissenschaft,  ergründet  die 
Voi'gänge  in  der  Natur,  der  Künstler  beobachtet  sie,  um  sie  für 
seine  Zwecke  zu  nützen.  Das  Ärzten  ist  eine  aus  der  Be- 
ohachtung  schöpfende  Kunstübung,  vor  allem  schon  deshalb,  weil 
im  Begriffe  selbst  schon  der  Zweck  entlialten  ist.  Der  Arzt, 
der  sich  etwas  darauf  zugute  hält,  vor  allem  ein  ,, Wissenschaftler“ 
zu  sein,  verkennt  die  raison  d’etre  seines  Berufes. 

Es  ist  geboten,  eine  reinliche  Scheidung  vorzunehmen, 
Grenzen  aufzurichten,  wenn  man  praktischen  Zielen  zustrebt  und 
sich  bewähren  will.  Nur  für  die  Leistungsfähigkeit  gottbegnadeter 
Geister  gibt  es  keine  abgesteckten  Gebiete.  Will  man  aber  einem 
Beiaife  seine  naturgemäße  Richtung  weisen,  so  muß  das  Ziel 
klargestellt  werden.  Der  Arzt  muß  vieles  wissen,  noch  mehr 
aber  muß  er  können.  Auf  das  Können  kommt  es  an,  auf  ein 
Können,  das  sich  im  richtigen  Momente  und  in  richtiger  Weise 
betätigt,  das  bei  dem  einen  schon  in  der  Anlage,  der  eigenartigen 
Begabung  w'urzelt,  der  andere  aber  erst  durch  emsige  Hebung 
sich  ei’werhen  muß.  Der  Arzt  hat  eine  Leistung  aufzubringen. 
Er  muß  im  richtigen  Moment  das  richtige  Wort,  die  geeignete 
Verordnung,  die  erfahrungsgemäß  beste  Verrichtung  wirken  lassen. 
Es  ist  nicht  seines  Amtes,  Probleme  zu  lösen.  Er  hat  im  gegebenen 
Falle  das  zu  leisten,  was  dieser  von  ihm  erheischt,  auf  Grund  er¬ 
worbener  oder  überlieferter  bewährter  Empirie  von  ihm  erheischt. 
Seines  Amtes  ist  es,  die  Vorgänge  zu  beobachten,  für  ihre  semio- 


tische  Bedeutung  das  richtige  Maß  zu  suchen  und  wo  es.  gestört 
erscheint,  all  das  vorzunehmen,  ,was  zum  Ausgleich  erfahrungs¬ 
gemäß  dienlich  ist. 

Soll  dies  also  eine  Absage  an  die  Wissenschaft  sein?  Nichts 
wäre  unerwünschter,  ja  verhängnisvoller.  Aber  es  ist  Zeit,  uns 
zu  besinnen,  damit  wir  die  Aufgaben  des  Arztes,  die  vorwiegend 
humanitären  Verpflichtungen  seines  Berufes,  besser  und  schärfer 
ins  Auge  fassen;  Zeit,  Uns  zu  besinnen,  daß  das  Ärzten  eine  Kunst 
ist,  welche  zwar  die  intimsten  Berührungspunkte  mit  der  Wissen¬ 
schaft  suchen  muß,  von  dieser  und  aus  dieser  die  Förderung  ihrer 
Leistungsfähigkeit  erhofft,  aber  es  ist  und  bleibt  Kunst  und  ist 
derzeit  wenigstens  noch  nicht  oder  nur  zUm  sehr  geringen  Teile 
Wissenschaft.  Wir  müssen  uns  vor  allem  besinnen,  daßi,  wer 
als  Arzt  seinen  Alann  stellen  will,  wer  die  redliche  Absicht  hat, 
von  Berufs  wegen  kranken  Menschen  zu  helfen,  dies  nur  erlernen 
und  erreichen  kann  im  ununterbrochenen  Verkehr  mit  den  Kranken, 
durch  vertiefende  Beobachtung  der  wechselvollen  seelischen  und 
körperlichen  Zustände  des  kranken  Menschen,  durch  intensive 
Berücksichtigung  seiner  Bedürfnisse. 

Die,  Wissenschaft  und  die  ärztliche  Kunst  —  das  Reich 
beider  ist  heute  zu  groß’,  um  gleichwertig  von  einem  beherrscht 
werden  zu  können;  der  eine  wäre  denn  ein  Leonardo  oder  ein 
Goethe.  Es  ist  schon  viel,  wenn  der  Arzt  und  der  medizinische 
Wissenschaftler  sich  gegenseitig  immer  verstehen.  Das  soll  sein, 
darüber  hinaus  beginnt  aber  die  Trennung,  die  unerläßliche  Teilung 
der  Arbeit.  Wer  Wissenschaft  betreiben  will,  der  verbringe  seine 
Tage  im  Laboratorium,  im  Seziersaal,  im  Institute.  Der  Arzt  ge¬ 
hört  in  den  Krankensaal,  dort  gibt  es  für  ihn  Arbeit  die  Fülle. 
Hat  er  Scharfsinn,  so  kann  er  ihn  nirgends  besser  betätigen  als 
liier  und  er  verschwende  ihn  nicht  auf  Dinge  und  Arbeiten,  die  sieb 
nicht  so  nebenbei  ahtun  lassen,  zu  denen  andere  berufen  sind, 
weil  diese  sie  viel  besser  verstehen.  Er  verliere  seine  kostbare 
Zeit  nicht  in  dilettantischer  Uebung  von  Wissenschaften,  die  er 
nicht  fördern  kann,  um  darüber  'die  Kunstübung  zu  vernachlässigen, 
die  seines  Lebensberufes  Inhalt  und  Zweck  ist. 

Unser  Studium  sei  so  eingerichtet,  daß  dem  Anwärter  für 
<len  ärztlichen  Beruf  der  bestmöiglichste  und  breiteste  Untergrund 
wissenschaftlicher  Ausbildung  geboten  werde,  zur  Sicherung  des 
tieferen  Verständnisses  und  der  richtigen  W^ürdigüng  der  innigen 
Beziehungen  seines  Beiärfes  zu  den  W^issenschaften.  Diese  Aus¬ 
bildung  soll  ihm  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  vermitteln,  ihn  in 
natui*wissenschaftlicher  Denkmethodik  erziehen,  zur  unvorein¬ 
genommenen  Beobachtung  befähigen  und  ihm  zur  Grundlage 
werden,  um  von  der  Beobachtung  zur  Erfahrung  zu  gelangen. 
Der  junge  Arzt  aber,  der  zur  richtigen  Erkenntnis  gelangt  ist, 
daß  zu  dem  erworbenen  Doktorhüte  ihm  noch  gar  manches 
Rüstzeug  fehlt,  um  wohlgewappnet  vor  den  Förderungen  seines 
Berufes  bestehen  zu  können,  dem  möge  es  auch  klar  werden, 
wo  und  wie  dieses  zu  holen  ist.  Zu  Kimstleistungen  be¬ 
rufen,  muß  er  vor  allem  in  seiner  Kunst  sich  üben,  sich 
üben,  intrner  wieder  den  Situationen  ins  Auge  zu  seheii,  die  von 
ihm  dereinst,  wenn  er  auf  sich  seihst  gestellt  ist,' eine  Tat  erfordern. 
Möge  es  ihm  an  Vorbildern  nicht  fehlen  in  der  Vollführung  von 
ärztlichen  Leistungen,  an  nachahmungswürdigen  Beispielen  künst¬ 
lerischer  Ausübung  des  Berufes.  Möge  er  den  Blick  sich- schärfen, 
um  das  Wesentliche  zu  erfassen,  um  ihn  nicht  über  die  Bedürfnisse 
und  die  Not  des  Kranken  hinaus  in  weite  Ferne  schweifen  zu 
lassen,  aus  denen  nur  die  Inspiration  zu  allerlei  Gedanken  sich 
einstellen  mag,  nicht  aber  der  kategorische  Imperativ  der  beraif- 
lichen  Pflicht  vernehmbai'  wird.  Er  verbringe  seine  Tage  in  der 
Klinik  und  sehe  sich  im  Laboratorium  um,  so  weit  es  das  drin¬ 
gende  Interesse  seiner  Kranken,  so  weit  es  das  Verständnis 
der  Klinik  erfordert.  Was  darüber  hinaus  im  Laboratorium  zu 
leisten  ist,  bleibe  Sache  derer,  die  sich  der  Wissenschaft  er¬ 
gehen  haben  und  durch  Forschung  die  Ergänzung  zum  ,, Wissen 
vom  Lehen“  beibringen  wollen  und  sollen.  Aber  aus  der  Klinik 
ein  Laboratorium  machen  und  die  Klinik  in  das  Laboratorium 
verlegen,  heißt,  die  Zwecke  um!  Ziele  beider  verkennen.  Freilich 
sollen  beide  Arbeitsstätten  Zusammenwirken,  einem  großen  ge¬ 
meinsamen  Ziele  in  gegenseitiger  Fördeiaing  dienstbar,  hier  der 
Theoretiker,  der  Forscher,  dort  der  Praktiker,  der  Arzt  des  kranken 
Menschen  —  aber  jeder  fülle  seinen  Platz  ganz  aus,  an  den  ihn 
Wissen  und  Können  weist,  wo  er  hingchört  vermöge  seines  Be- 


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rufes,  vermöge  der  eigenartigen  Pflichten,  die  jedem  sein  Beruf 
auferlegt. 

»C 

Da-s  ist  die  Lehre,  die  aus  Schweningers  Buch  zu  holen 
ist.  j\Ian  sollte  nicht  achtlos  daran  vorühergehen,  dieses  Mannes 
Winke  und  Mahnungen  beherzigen.  Man  mißversteht  ihn,  wenn 
man  in  ihm  einen  Gegner  der  Wissenschaft  sieht.  Aber  den  ärzt¬ 
lichen  Beruf  will  er  nicht  als  wissenschaftlichen  aufgefaßt  und 
betrieben  und  dadurch  in  seinen  Zielen  ,  und  Zwecken  verkannt 
wissen.  Für  Schweninger  ist  das  Ärzten  Verstandes-  und  er¬ 
fahrungsgemäße,  aus  künstlerischen  Impulsen  geübte  Humanität. 
Der  Vorwurf  scheint  nicht  unbegründet,  daß  die  zeitgenössische 
Richtung  der  Heilkunde  diese  Ziele  vernachlässigt  und  andere 
höher  hält,  die  nicht  die  eigentlichen  des  ärztlichen  Beiaifes 
sind  und  sich  mit  dessen  vorwiegend  humanitären  Aufgaben 
nicht  decken. 


Sammelreferat. 

Entwicklung  und  Ergebnisse  der  Lumbalanästhesie. 

Sammelreferat  von  Dr.  E.  Yemis,  Assistent  der  chirurgischen  Abteilung 

der  Wiener  Poliklinik. 

(Schluß.) 

Der  von  Hermes  mitgeteilte  Todesfall  nach  Novokain¬ 
gebrauch  kam  an  der  Klinik  Sonnenburg  vor  und  ist  dem 
von  Sonnenburg  beschriebenen  Falle  nach  Stovaininjektibn 
ganz  analog.  Auch  im  Falle  von  Hermes  handelte  es  sich  um 
eine  im  Anschlüsse  an  die  Lumbalanästhesie  auftretende,  auf- 
steigende,  eitrige  Meningitis  bei  einem  pyämischen  Kranken. 

Da  ja  heute  das  Kokain  als  Anästhesierungsmittel  für  sub¬ 
durale  Injektionen  kaum  mehr  gebraucht  wird,  so  betrachten  wir 
die  Todesfälle  nach  Anwendung  von  Stovain,  Tropakokain  und 
Novokain  genauer.  Es  sind  dies  elf  Todesfälle.  Von  diesen  starben 
plötzlich  während  der  Operation  fünf  Fälle  (Freund,  Deetz. 
K  recke,  Krönig,  Dönitz)  unter  dem  Bilde  der  Respi¬ 
rationslähmung  und  des  Kollapses ;  von  diesen  drei  nach 
Injektion  von  Stovain,  einer  ibei  der  Kombination  von  Stovain- 
injektion  mit  dem  Skopolamimnorphindämmerschlafe,  einer  nach 
Tropakokaininjeklion.  Diese  fünf  Fälle  sind  wohl  mit  ziemlicher 
Sicherheit  der  Lumhalanästhesie  zur  Last  zu  legen,  aber  doch 
nicht  so,  daß  man  sagen  könnte,  diese  fünf  Fälle  hätten  eine 
Narkose  sicher  tadellos  überstanden,  denn  es  handelte  sich  regel¬ 
mäßig  um  alte,  herabgekommene  Individuen;  in  einem  Falle  läßt 
Deetz  z.  B.  selbst  die  Frage  unentschieden,  ob  die  Stovain- 
injektion  oder  die  Peritonitis  aii  dem  plötzlichen  Exitus  Schuld 
war.  Daß  z.  B.  in  dem  Falle  Kr  ecke  bei  einem  70jährigen 
Manne  mit  einer  so  großen,  inkarzerierten  Hernie,  bei  welcher 
der  Dünndarm  zum  Teile  gangränös  ist,  die  Prognose  da  nicht 
schon  an  und  für  sich  eine  sehr  ungünstige  ist  und  die  Möglich¬ 
keit  nahe  liegt,  daß  so  ein  Kranker  auch  in  der  Inhalationsnarkose 
stirbt,  wird  kein  Chiiurg  bestreiten.  Wenn  man  von  Todesfällen 
infolge  der  Lumbalanästhesie  spricht,  um  die  Gefahren  dieser 
mit  jenen  der  Allgemeinnarkose  'zu  vergleichen,  so  ist  es  wohl 
nur  recht  und  billig,  wenn  man  nicht  einfach,  jeden  Exitus  während 
einer  Lumbalanästhesie  dieser  zur  Last  legt  und  sich  nicht  frägt, 
wie  denn  dieser  Patient  voraussichtlich  eine  Allgemeinnarkose 
überstanden  hätte. 

Es  kommen  auf  ungefähr  10.000  mit  Stovain,  Tropakokain 
und  Novokain  ausgeführte  Lumbalanästhesien  fünf  plötzliche 
Todesfälle  während  der  Operation;  von  diesen  ist  einer  von  Deetz 
selbst  nicht  ganz  bestimmt  der  Lumbalanästhesie  zuzuschreiben 
und  besonders  in  dem  iFalle  von  K recke  ist  es  auch  zweifel¬ 
haft,  ob  nicht  schon  die  Inkarzeration,  Gangrän  des  Darmes  und 
der  Ileus  an  sich  die  Ursachen  plötzlichen  Todes  waren.  Bleiben 
also  als  mit  Sicherheit  der  Lumbalanästhesie  zuzuschreiben 
drei  Fälle  (Dönitz,  Freund  und  Krönig). 

Von  den  anderen  sechs  Fällen,  die  nach  der  Lumbal¬ 
anästhesie,  als  deren  Folgeerscheinungen  zum  Tode  führten,  sind 
drei  von  Urban,  einer  von  König  und  je  einer  von  Sonnen¬ 
burg  und  Hermes  mitgeteilt.  Ganz  sicher  trat  der  Tod  als 
Folge  von  Liimbalanästhesie  in  dem  Falle  von  König  ein,  wohl 
auch  in  den  von  Sonnenburg  und  Hermes  mitgeteilten  Fällen; 


die  drei  von  Urban  mitgeteilten  Fälle  sind  fraglicher  Natur, 
besonders  der  Fall,  in  dem  Rückenmarksanästhesie  mit  Stovain 
ausgeführt  wurde.  Mehr  Wahrscheinlichkeit  haben  die  beiden 
anderen  Fälle  für  sich.  Resümieren  wir,  so  haben  wir  auf  Un¬ 
gefähr  10.000  Spinalanalgesien  sicher  drei  Todesfälle  während 
der  Operation  und  drei  als  Folgeerscheinungen  der  Lumbal¬ 
anästhesie.  Von  diesen  werden  sich  pach  den  aus  ihnen  hervor¬ 
gehenden  Erfahrungen  manche  in  Zukunft  vermeiden  lassen;  so 
wurde  z.  B.  im  Falle  Dönitz  wahrscheinlich  die  Dosis  des 
Tropakokains  zu  hoch  genommen  (013  g)  und  nach  den  Erfah¬ 
rungen  von  Sonnenburg  und  Hermes  wird  man  in  Hinkunft 
die  Lumbalanästhesie  bei  pyämischen  Kranken  vermeiden. 

Es  dürfte  also  die  Zahl  der  während  der  Operation  infolge 
der  Lumbalanästhesie  eingetretenen  Todesfälle  kaum  mehr  größer 
sein  als  die  plötzlichen  Narkosetode;  worin  sich  aber  die  Be¬ 
urteilung  der  Lumbalanästhesie  gegenüber  der  Narkose  sehr  zu¬ 
gunsten  der  ersteren  verschiebt,  das  ist,  wenn  wir  die  Todes¬ 
fälle  nach  der  Lumbalanästhesie  gegenüber  denen  der  Narkose 
vergleichen.  Vollständig  fallen  schon  die  postoperativen  Bronchi¬ 
tiden  und  Pneumonien  weg,  die  ja  trotz  aller  Verbesserung  der 
Narkosetechnik  noch  lange  nicht  geschwunden  sind  und  selbst 
wenn  wir  die  drei  von  Urban  erwähnten  Todesfälle  als  Folgen 
der  Lumbalanästhesie  kritiklos  anerkennen  wollen  und  sie  der 
Spätwirkung  des  Chlorofonns  gleichsetzen,  so  haben  wir  hier 
drei  Fälle,  w.ährend  jeder  Chirurg  weiß',  wie  viele  seiner  Kranken, 
speziell  der  Laparotomierten,  in  den  nächsten  Tagen  nach  der 
Operation  an  Herzinsuffizienz  zugrunde  gehen,  an  Herzinsuffizienz 
infolge  der  Einwirkung  des  ^Narkotikums. 

Die  sogenannten  ,,Versager“,  d.  h.  jene  Fälle;  in  welchen 
die  Anästhesie  entweder  gar  nicht  oder  nur  mangelhaft  eintritt, 
sind  fast  immer  auf  eine,  von  den  meisten  Autoren  auch  offen 
zugestandene,  mangelhafte  Technik  der  Ausführung  der  Injektion 
zurückzuführen,  sind  daher  auch  in  der  Regel  nur  so  lange  zu 
verzeichnen,  als  der  betreffende  Operateur  mit  der  Technik  noch 
nicht  ganz  vertraut  ist.  Wer  einmal  die  Technik  der  subduralen 
Injektion  ganz  beherrscht,  dem  kommen  „Versager“  auch  selten 
vor.  Und  selbst  wenn  man  infolge  mangelnder  oder  nicht  lange 
genug  anhaltender  Anästhesie  während  der  Operation  zur  In¬ 
halationsnarkose  übergehen  muß,  so  ist  dann  in  diesen  Fällen 
der  Gebrauch  des  Anäs  the tikums,  wie  allgemein  betont  wird, 
ein  sehr  geringer. 

Wenn  man  auf  Grund  der  mitgeteilten  Neben-  und  Nach¬ 
erscheinungen  die  jetzt  gebräuchlichsten  Anästhetika,  Stovain, 
Tropakokain,  Novokain  und  Alypin,  vergleicht,  so  muß  man  dem 
Tropakokain  vor  allen  anderen  den  Vorzug  geben  und  auch  dem 
so  viel  gebrauchten  Stovain  vorziehen.  Kollapszustände,  speziell 
die  schweren  Kollapse,  kommen  bei  Stovainanwendung  ungleich 
häufiger  als  bei  TTopakokaingebrauch  vor;  Respirationslähmungen 
werden  nur  nach  Stovaininjektion  erwähnt.  Augenmuskellähmun¬ 
gen  kamen  nach  Stovain  dreizehnmal,  nach  Kokain  sechsmal  und 
nach  Tropakokain  einmal  vor.  Die  noch  sonst  bei  Stovaininjek- 
tionen  verzeichneten  Neben-  und  Nacherscheinungen,  wie  vorüber¬ 
gehende  x4maurose,  Nachblutungen,  Incontinentia  urinae  et  alvi, 
Querschnittmyelitis,  wurden  bei  Tropakokain  nicht  beobachtet  und 
doch  wurde  das  Tropakokain  noch  häufiger  als  das  Stovain  ge¬ 
braucht.  Das  Novokain  scheint  den  mitgeteilten  Erfahrungen  nach 
zur  Lumbalanästhesie  wenig  geeignet.  Bei  einer  verhältnismäßig 
noch  geringen  Anzahl  von  Rückenmarksanästbesien  mit  Novokain 
werden  häufig  Kollapszustände  berichtet,  aber  auch  Augenmuskel¬ 
lähmungen,  die  im  Vergleiche  zu  dem  viel  häufigeren  Gebrauche 
des  Stovains  beim  Novokain  prozentual  viel  öfter  verkommen. 
Auch  das  Alypin  scheint,  so  gut  es  sich!  in  der  Lokalanästhesie 
bewährt,  in  der  Lumbalanästhesie  keine  guten  Resultate  zu  geben ; 
kann  man  doch  unter  133  mit  Alypin  ausgeführten  Spinalanal¬ 
gesien  sechs  Kollapszustände  verzeichnen. 

Ein  großer  Vorteil  der  Lumbalanästhesie  liegt  darin,  daß 
sie  gerade  von  alten,  idekrepiden  Individuen  sehr  gut  vertragen 
wird,  also  von  Menschen,  bei  denen  die  sonst  für  die  Operation 
nötige  Narkose  mit  besonderer  Gefahr  verbunden  ist.  Die  Alters¬ 
grenze  für  die  Spinalanalgesie  ist  nach  oben  hin  unbeschränkt, 
denn  es  vertragen  70-  und  SOjälirige  Menschen  die  Lumbal¬ 
anästhesie  sehr  gut,  während  man  im  allgemeinen  nach  unten 
hin  die  Altersgrenze  mit  14  bis  16  Jahren  zieht.  Allerdings  wurde 


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die  Rückenmarksanästhesie  auch  in  einigen  Fällen  bei  Kindern 
iin  Alter  von  sieben  bis  zehn  Jahren  mit  günstigem  Erfolge  an¬ 
gewandt,  jedoch  geht  die  allgemeine  Ansicht  der  Chirurgen  dahin, 
bei  Operationen  an  Individuen  unter  16  Jahren  die  Allgemein¬ 
narkose  vorzuziehen. 

Die  Indikationen  der  Lumbalanästhesie  sind:  höheres  Alter 
oder  besonderes  herabgekommenes  Allgemeinbefinden,  Arterio¬ 
sklerose,  Herz-  und  Lungenkrankheiten,  Nierenerkrankungen,  also 
Erkrankungen,  bei  welchen  die  Narkose  entweder  kontraindiziert 
ist,  oder  wenn  schon  unumgänglich  notwendig,  so  doch  eine 
schwere  Komplikation  bedeutet.  Kurz  welly  findet  die  Lumbal¬ 
anästhesie  auch  indiziert  bei  allgemeinen  oder  lokalen,  ebenso 
wie  bei  latenter  oder  okkulter  Tuberkulose,  die  durch  eine  Nar¬ 
kose  wieder  aufflackern  könnte. 

Als  Kontraindikationen  zur  Vornahme  der  Lumbal¬ 
anästhesie  gelten :  akute,  septische  oder  pyämische  Erkrankungen, 
sowie  überhaupt  akute  Infektionskrankheiten,  im  Körper  vor¬ 
handene  Eiterungen,  schlechte  Pulsfüllung  (Busse),  Lues  im 
ersten  oder  im  zweiten  Stadium  (Lin  den  stein),  Erkrankungen 
des  zentralen  Nervensystems  (Jedlicka),  Verdacht  auf  llücken- 
marksläsion  (H  ohmeier),  große  Fettleibigkeit,  da  diese  technisch 
große  Hindernisse  bereitet  (Busse).  Gerstenberg  erblickt  in 
einer  druckempfindlichen  Wirbelsäule  eine  Kontraindikation  zur 
Vornahme  der  Lumbalanästhesie,  da  sie  vielleicht  das  einzige 
Symptom  chronischer  Verändeiamgen  im  Arachnoidalsacke  bildet: 
Synechien,  Meningitis  sicca  potatoram  etc. 

Bezüglich  des  Diabetes,  des  Potus,  der  Hysterie  und  der 
Neurasthenie  divergieren  die  Ansichten  über  Indikation  und 
Kontraindikation  noch.  So  bildet  z.  B'.  vorhandener  Diabetes  für 
Braun  und  Steiner  die  Indikation  zur  Lumbalanästhesie,  wäh¬ 
rend  H ohmeier  bei  Diabetikern  die  möglichst  ausgedehnte  An¬ 
wendung  der  Lokalanästhesie,  eventuell  des  Aetherrausches  em¬ 
pfiehlt.  Potus  halten  die  meisten  für  eine  Indikation  (Braun, 
Füster,  Hildebrand,  Tillmann).  Silbermark  erblickt  in 
ihm  eine  Kontraindikation  zur  Vornahme  der  Lumbalanästhesie. 
Hysterie,  sowie  sehr  ängstliches,  aufgeregtes  Wesen  halten  viele 
für  eine  Kontraindikation  der  Spinalanalgesie  (Bai sch,  Braun, 
Henking,  Pforte,  Steiner,  Steim),  während  z.  B.  nach 
Füster  und  Sandberg  Hysterie  keine  Kontraindikation  bildet. 

Die  Lumbalanästhesie  bildet  einen  vollständigen  Ersatz  der 
Allgemeinnarkose  bei  allen  Operationen  am  Damme,  dem  äußeren 
Genitale  und  am  After,  sowie  bei  allen  Operationen  an  den  unteren 
Extremitäten.  Ferner  wurden  unter  Lumbalanästhesie  mit  gutem 
Erfolge  Hernien  operiert;  hier  war  öfters  das  Zerren  am  Perito¬ 
neum  oder  am  Samenstrange  schmerzhaft  empfunden.  Aehn- 
liches  gilt  von  Laparotomien;  auch  hier  empfanden  die  Patienten 
oft  das  Ziehen  und  Zerren  am  Peritoneum  schmerzhaft,  besonders 
ist  dies  bei  gynäkologischen  Laparotomien  der  Fall,  wenn  die 
entzündlichen,  veränderten  Adnexe  aus  festen  Adhäsionen  her- 
ausges'chält  werden  müssen.  Doch  wurden  viele  Laparotomien,  wie 
Ovariotomien,  Exstirpationen  des  karzinomatösen  oder  myoma- 
tösen  Utems,  Appendizitiden,  Gastroenterostomien  etc.,  ganz 
schmerzlos  unter  Lumbalanästhesie  ausgeführt.  Fernei  wai  dies 
auch  der  Fall  bei  Rektumexstiiiiationen,  Nephrektomien,  Nephro¬ 
tomien  etc.;  doch  scheint  die  Anästhesie  vom  Nabel  aufwärts  nicht 
mehr  ganz  zuverlässig  zu  sein.  L  ee  r  e  nie  r  machte  untei  voll¬ 
ständiger  Anästhesie  eine  Amputatio  mammae  mit  Ausräumung 
der  Achselhöhlen.  Doch  gehören  solche  Operationen,  unter  Lum¬ 
balanästhesie  ausgeführt,  zu  den  Seltenheiten  und  es  dürfte 
sich  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  nicht  empfehlen  und  zu 
gefahrvoll  sein,  die  Anästhesie  so  hoch  hinauf  zu  treiben,  um  an 
dem  Thorax  operieren  zu  können. 

Eine  besondere  Besprechung  verlangt  noch  die  Anwendung 
der  Spinalanalgesie  in  der  Geburtshilfe. 

Kreis  hat  auf  Anregung  Bumms  die  Lumbalanästhesie 
mit  Kokain  bei  sechs  Gebärenden  versucht.  Die  Analgesie  reichte 
nach  0-01  g  Kokain  bis  zum  Nabel.  Die  Wehen,  welche  mit  der¬ 
selben  Frequenz  und  Intensität  als  vor  der  Injektion  erfolgten, 
wurden  nur  als  Spannung  im  Abdomen  perzipiert.  Als  einzige 
unangenehme  Erscheinung  zeigte  sich  das  Sistieren  der  spon¬ 
tanen,  reflektorischen  Aktion  der  Bauchpresse.  Die  Nachphurts- 
periode  verlief  normal  ohne  Komplikationen.  Marx  war  in  allen 
40  Fällen,  in  denen  er  bei  Entbindungen  die  Lumbalanästhesie 


anwandte,  mit  dem  Erfolge  derselben  sehr  zufrieden;  in  einem 
Falle  gelang  cs  ihm,  die  Frau  durch  acht  Stunden  schmerzfrei 
zu  erhalten.  Nach  Doleris  steigert  das  Kokain  die  Dauer, 
Frequenz  und  Intensität  der  Wehen,  wodurch  der  Gehurtsverlauf 
eine  wesentliche  Beschleunigung  erfährt  und  versetzt  die  IJterus- 
mUskulatur  vielleicht  durch  vasomotorische  Einflüsse  auf  die  Blut¬ 
gefäße  in  einen  besonderen  Spannungszustand,  den  Doleris 
als  pseudotetanisch  bezeichnet.  Gleichzeitig  wirkt  nach  Doleris 
das  Kokain  auch  hämostätisch,  wovon  er  sich  bei  einer  Sectio 
caesarea  einmal  überzeugen  konnte.  'Der  Uterus  war  besonders 
hart  und  kontrahiert  und  die  Blutung  minimal.  Auf  diese  Er¬ 
fahrung  gestützt,  versuchte  Doleris,  das  Kokain  zur  Einleitung 
des  künstlichen  Ahortus  und  der  Frühgeburt  zu  verwerten.  In 
ztvei  Fällen  gelang  es  auch,  durch  subarachnoidale  Injektion  von 
OOl  g  Kokain  die  Entbindung  in  vier  bis  sechs  Stunden  herbei¬ 
zuführen.  Zugunsten  der  subarachnoidalen  Kokainanwendung  in  der 
Geburtshilfe  sprechen  sich  auch  Dupäigne,  Dudley,  Stouffs 
und  Gueniot  aus.  Sehr  zurückhaltend  äußern  sich  Ehren¬ 
fest,  Gran  dis,  Poruk,  Dumont;  ebenso  ziehen  Goldan 
und  Adams  das  Chloroform  in  der  Geburtshilfe  vor.  Hawley 
und  Taussig  beobachteten  in  fünf  Fällen  toxische  Einflüsse 
äes  Kokains  auf  den  Fötus,  darunter  drei  schwere  Asphyxien. 
In  letzter  Zeit  liegen  Mitteilungen  von  Anwendungen  der  Lumbal¬ 
anästhesie  in  der  Geburtshilfe  vor  von  Bai  sch,  Dönitz,  Mar¬ 
tin,  Müller,  Offergeld,  Stolz,  Trautenroth.  Die  Erfah¬ 
rungen  sind  im  allgemeinen  sehr  günstige,  nur  wurde  von  ver¬ 
schiedenen  Autoren  als  Uebelstand  angegeben,  daßi  die  Austrei- 
jjungsperiode  infolge  Mangels  der  Bauchpresse  eine  verlängerte 
sei,  da  wegen  Lähmung  der  Bauchmuskulatur  die  Preßiweh'en  weg¬ 
fallen.  Deshalb  empfiehlt  Dönitz  besonders  in  der  Geburts¬ 
hilfe  das  Tropakokain  wegen  seines  geringen  Einflusses  auf  die 
Muskulatur.  Martin  gebraucht  die  Lumbalanästhesie  in  der  Ge¬ 
burtshilfe  in  ausgesprochenen  pathologischen  Fällen,  bei  ordent¬ 
licher  Schmerzhaftigkeit  der  Uteruswehen,  bei  Entbindungen 
Eklaprptischer  und  überall  dort,  wo  wegen  Flerz-  und  Lungen¬ 
erkrankungen  der  Allgemeinnarkose  Bedenken  entgegenstehen. 
Ueble  Folgen,  besonders  in  der  Nachgeburtsperiode  (Atonien), 
oder  toxische  Einflüsse 'auf  die  Kinder  (Asphyxien)  wurden  nicht 
beobachtet.  Manche,  wie  Bai  sch,  Busse,  Henking  und  Krö- 
hig  haben  auch  in  der  Geburtshilfe  die  Kombination  der  Lumbal¬ 
anästhesie  mit  dem  Skopolaminmorphindämmerschlafe  angewandt. 
Neugebauer  empfiehlt,  die  Spinalanalgesie  für  die  Diagnose 
und  Therapie  der  Erkrankungen  des  Anus  und  des  Rektums 
heranzuziehen.  Infolge  der  Parese  klafft  in  der  Regel  der  Anus 
soweit,  daßi  man  ohne  weiteres  den  unteren  Teil  des  Rektums  he- 
sichtigen  kann. 

In  der  internen  Medizin  wurde  bereits  die  Lumbal¬ 
anästhesie  diverse  Male  herangezogen.  Monega  gelang  es,  durch 
Injektionen  von  0-015  g  Kokain  in  den  Duralsack  die  hartnäckigen 
Schmerzen  eines  Hemiphlegikers  zu  beseitigen.  Gegen  Ischias 
haben  mit  Erfolg  die  Lumbalanästhesie  angewandt:  Pulle, 
A  c  h  a  r  d,  T  i  1 1  m  a  n  n ,  L  a  u  b  e  r  g  und  L  a  z  a  r  u  s ;  die  Schmerzen 
blieben  bei  Ischias  oft  mehrere  Tage  ganz  weg.  Tillmann 
führte  in  fünf  Fällen  von  Ischias  unter  Lumbalanästhesie  schmerz¬ 
los  die  unblutige  Dehnung  des  Nerven  aus.  In  einem  Falle  wurde 
'vollständige  Heilung  erzielt,  andere  wurden  bedeutend  gebessert, 
während  ein  Fall  rezidiv  wurde.  Bei  den  lanzinierenden  Schmer¬ 
zen  der  Tabiker  hat  schon  Pitres  mit  Erfolg  die  Kokainisierung 
des  Rückenmarkes  vorgenommen.  Linden  stein  und  Lazarus 
haben  bei  den  tabischen  Krisen  Lumbalanästhesie  empfohlen. 
Lazarus  wandte  außerdem  die  Spinalanalgesie  zur  Mobilisie¬ 
rung  eines  versteiften,  gonorrhoischen  Kniegelenkes,  zurSchmerz- 
betäuhung  bei  hochgradigen,  motorischen  und  sensiblen  Reiz¬ 
zuständen,  bei  welchen  die  Lokalanästhesie  oder  die  üblichen 
Analgetika  nicht  ausreichten,  z.  B.  bei  multipler  Sklerose,  in 
einem  Falle  von  Paraplegia  dolorosa  infolge  von  Rücken märks- 
kompression  durch  ein  Wirbelkarzinom.  Auch  für  die  Diagnostik 
empfiehlt  sie  Lazarus,  weil  durch  die  Lumbalanästliosie  eine 
Erschlaffung  der  Bauchmuskel  eintritt,  die  eine  genaue  Palpation 
der  Bauchorgane  gestattet.  A  chard  und  Lau  berg  versuchten 
die  Kokainisierung  des  Rückenmarkes  zu  therapeutischen  Zwecken 
außer  bei  Tabes  und  Ischias,  bei  chronischem  Lumbago,  Herpes 
zoster  in  allen  Partien  unterhalb  des  Zwerchfelles  und  bei  Blei- 


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kolik.  Spczioll  in  einigen  Fällen  von  Herpes  zoster  alxloniinalis, 
in  (lenen  selbst  006  g  Älorpliin  keine  Erleichterung  der  (pialvollen 
Schmerzen  bringen  konnten,  konnte  nach  snbarachnoiflalei’  Kokain¬ 
injektion  ein  anffallencler  Erfolg  konstatiert  werden.  Wilms  Imd 
E obrer  heilfen  mit  Lumbalanästhesie  hysterische  Kontrakturen, 
Wil  ms  eine  schwere  hysterische  Kontraktion  des  Beines,  Löh  rer 
(‘inen  hysterischen  Pes  equinovaitis. 

Sicher  ist  die  Lumbalanästhesie  hetite  noch  kein  indifferen¬ 
tes  Anästhesierungsmittcl  und  hirgt  unleughar  ihre  Gefahren  in 
sich.  Wenn  wir  diese  aber  mit  jenen  der  Narkose  in  Vergleich 
ziehen,  so  wird  derselbe  zugunsten  der  Lumbalanästhesie  aus- 
fallen  müssen.  Die  Todesfälle  der  Lumbalanästhesie  haben  wir 
bereits  kritisch  besprochen.  Was  die  anderen  Zwischenfälle,  be¬ 
sonders  Respirationslälnnungen  und  Kollapse,  die  wieder  behoben 
werden  konnten,  betrifft,  so  kommen  gewiß  ebenso  häufig,  wenn 
nicht  öfter,  Asphyxien  und  Kollapse  in  der  Narkose  vor,  nur 
daß  niemand  davon  spricht.  Gerade  solange  man  die  Narkose 
immer  den  jüngsten  unter  den  Aerzten  an  der  Klinik  c)der  Ah- 
teilung  anvertrauen  wird,  die,  wie  dies  so  richtig  Witzei  sagt, 
das  Narkotisieren  höchstens  als  ein  lästiges  Amt  auf  sich  nehmen, 
werden  die  Zwischenfälle  bei  der  Narkose  nie  aufhören,  während 
die  Lumbalanästhesie  immer  in  ihrer  Ausführung  in  der  Hand  des 
Chefs  oder  des  Assistenten  liegen  wird.  Infolgedessen  wird  die 
Beherrschung  der  Technik,  und  darauf  kommt  es  ja  vor  allem  an, 
eine  immer  sicherere  werden  und  damit  die  üblen  Folge-  und 
Nel)enerscheinungen  auf  ein  Minimum  heraljgedrückt  werden. 

Erbrechen  und  Kopfschmerzen  sind  nach  Lumbalanästliesie 
häufig,  aber  nach  einer  Narkose  bilden  sie  die  Hegel,  so  daß 
wir  höchst  erstaunt  sind,  .wenn  einmal  ein  Patient  nach  der  Nar¬ 
kose  nicht  erbricht.  Das  Erbrechen  nach  der  Lumhalanästhesie 
dauert  in  der  Regel,  wenn  es  überhaupt  eintritt,  einen  Tag,  nacli 
der  Narkose  ist  Erbrechen  in  der  Dauer  von  zwei  bis  vier  Tagen 
sehr  häufig.  Wie  verhältnis'mäßig  oft  kommen  hei  jungen,  unge¬ 
schickten  Narkotiseuren  Verschorfungen  des  Gesichtes  oder  des 
Halses,  sowie  auch  der  Kornea  des  Kranken  mit  dem  Anästheti- 
kum  vor,  Narkoselälnnimgen  worden  immer  wieder  beobachtet  usw. 

Den  Wegfall  der  postoperativen  Bronchitiden  und  Pneumo¬ 
nien,  sowie  der  Herzschwäche  infolge  der  Narkose  haben  wir 
schon  erwähnt. 

Will  man  das  Pro  und  Kontra  der  Lumbalanästhesie  gegenüber 
der  Narkose  abwägon,  so  darf  man  nicht  auf  der  einen  Seite  alle 
genau  vorzeichneten  Zwischenfälle  und  Folgen  der  Lumbal¬ 
anästhesie  nehmen,  aber  auf  der  anderen  Seite,  Avie  dies  gerne 
geschieht,  die  Zwischenfälle  der  Narkose  vergessen  und  sich 
höchstens  einiger  Narkosestatistiken  erinnern,  in  denen  mif  so 
und  so  viele  tausend  Narkosen  ein  Todesfall  ausgerechnet  wurde. 
Die  Lumhalanästhesie  hat  sich  auch  schon  einen  dominierenden 
Platz  in  der  Chirurgie  erobert  und  Avird  diesen  Amraussichtlich 
im  Laufe  der  nächsten  Zeit  festigen  und  sich  neue  Anhänger 
geAvinnen. 

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Öasop.  lek.  1906.  (Ref 
-  Schwarz,  Liecniiki 


viestnik  1900,  Nr.  11  (Ref.  Zentralbl.  f.  Chir.  1900,  Nr.  54.)  —  Sch  war z, 
Wiener  med.  Wocheiischr.  1900,  Nr.  48.  —  Schwarz,  Zeiitialbl.  lür 
Chir.  1901,  Nr.  9.  —  Schwarz,  Wiener  klin.  Wocheiischr.  1906,  Nr.  30. 
—  A.  Schwarz,  Zentralbl.  f.  Chir.  1907,  Nr.  13.  —  S  e  1  d  o  w  i  t  s  ch, 
Zenlralbl.  f.  Chir.  1894,  i\r.  41.  —  Senni,  Malphigi  1902,  Nr.  17.  (Ref. 
Zentialb!.  1.  Chir.  1902,  Nr.  52.)  —  Severanu,  Interiialion.  med.  Kon¬ 
greß  in  Paris  1900.  (Ref.  Zentralbl.  f.  Chir.  1900,  Nr.  48.)  —  Sicca rd, 
Compt.  rend,  des  i-^ances  de  la  Soc.  de  biologie  1898,  30.  April. ^ 
Siccard,  Ibidem,  29.  Oktober  1898.  —  Siccard,  Ibidem,  11.  Nov.  1898. 


—  Siccard,  Ibidem,  20.  Mai 


1899.  —  Siccard,  La  Presse  inedicah- 
1899,  Nr;  39.'  —  Siccard,  These  de  Paris  1899.  —  Silber  mark, 
Wiener  klin.  Wocheiischr.  1904,  Nr.  46.  —  Slajmer,  Wiener  med. 
Presse  1906,  Nr.  22.  —  Sonnenburg,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
1905,  Nr.  9.  —  Sonnen  bürg,  Denkschr.  f.  B.  y.  Le  uh  o  1  d  1906,2.  Bd 

—  Steim,  Münchener  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  50.  —  Steiner, 
Orvosi  helilap  1906,  Nr.  37.  —  S  t  o  1  z,'  Zehiitet^  Kongreß  der  deutschen 
Gesellschaft  f.  Gyn.  (Ref.  Münchener  med,  Woehehschr.  1903,  Nr,  28.)  — 
Stolz,  Arch.  f.  Gyn.,  73.  Bd.,  Heft  3.  —  Sltruthers,  Edinb.  med. 
Journ,.,  Nov.  1906.  —  Stumme,  Beilr.  zur  klin.  Chir.,  35.  Bd.,  Heit  2. 
Teleprado,  These  de  Paris  1901.  (Ret.  Zentralbl.  1.  Chir.  1901,  Nr.  4i.) 

—  Tilmahn,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  34.  —  Trautenroth, 


klin. 
la 


Deutsche  med.  Wochenschr.  I9ü6,  Nr.  7.  —  Trzebicky,  Wiener 
Wochenschr.  1901,  Nr.  22.  —  Tuffier,  Compt.  rend,  des  seances  de 
Soc.  dp  biologie,  11.  Nov.  1899.  Tuffier,  Bull,  et  mem.  de  la  Soc, 
de  Chir.  de  Paris,  29.  Nov.  und  13.  Dez.  1899.—  Tuffier,  Internation, 
med.  Kongreß  in  Paris  1900.  (Ref.  Zenlralbl.  f.  Chir.  1900,  Ni.  48.)-— 
Tuffier,  Presse  med.  1899,  Nr.  91.  —  Tuffier,  La  semaine  medic 
1900,  Nr.  51—52.  —  Tuffier,  La  semaine  medic.  l900. 


Tuffier,  Presse 


16.  Mai.  — 
medic.  1901, 


Tuffier,  Presse  medic.  1901,  Nr.  33.  -  ,  m  ee- 

Nr.  46.  —  Tuffier,  Ref.  Zentralbl.  f.  Chir.  1903,  Nr.  11.  —  Tuffier, 
Wiener  klin.  theiap.  Wochenschr.  1905,  Nr.  15.  —  Tutfier  und 
Hallion,  Sociele  de  biologie,  stances,  3.  Dez.  1900.  •—  Urban,  Wiener 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  52  und  1907,  Nr.  1.  —  Valle,  La  riforma 
medica  1901,  Nr.  43.  —  Val  lieh,  Therap.  Monatshefte, 

Tiidschr.  voor  Geneeskunde  1900,  Nr.  21.  —  *  «“  - 

Beitr.  zur  klin. 'Chir.,  53.  Bd.,  ^  _  V^rv^ro  II  nolichmco.  Juli- 

August 


Dez.  1900.  — 

Van  Lier,  Tiidschr.  voor  Geneeskunde  1900,  Nr.  21.  —  Van  Lier, 

'  Heft  2.  —  Varvaro,  II  policlinico, 

P9(jß  —  Villar,  Ref.  Z^mtralbl.  f.  Chir.  1902,  Nr.  9.  ^ 

cenz,  Ref.  Zentralbl.  f.  Chir.  1903,  Nr.  11.  -  Völker,  Monatsschr  für 
c.pburtsh.  ...  Gyi...  44.  Bd.,  Nr.  4.  -  Wir II  her,  R.f. 

1905,  Nr.  36.  —  Wilms,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  — 


Zahradnicky,  Ref.  Zentralbl.  f.  Chir.  1901,  Nr.  11.  — Ziembicky, 
XIII.  polnischer  Chirurgenkongreß  1901.  (Ref.  Zenlralbl.  f.  Chir.  1901, 
Nr.  51.)  —  Nachtrag  bei  der  Korrektur:  Th  or  b  ecke,  Naturwissen- 
schalll.-hisl.-med.  Verein  in  Heidelberg.  (Ref.  Münch,  med.  Wochenschr. 
1907,  Nr.  17.) 


Aus  versehiedenen  Zeitsehriften. 

246.  Aus  der  I.  inediziii.  Universitätsklinik  in  Hudaiiest 
(Direktor :  Prof.  Ur.  Fr.  v.  K  o  r  ä  n  y  i.)  Weitere  Beil  r  ä  g  e  z  n  r 
Behandlung  inedias  tinaler  Tumoren  mit  Böntgen- 
s  trail  len.  Von  Dr.  J.  v.  E  lisch  er,  Assistenten  und  Doktor 
K.  Engel,  Internem  der  Klinik.  Wir  liahen  Ende  des  Vorjahres 
(siehe  Nr.  48,  1906,  dieser  Wochenschrift)  üher  die  Puhlikalion 
der  Verfasser,  welche  drei  durch  Ilöntgenbestrahlungen  gehesserle 
Fälle  von  Mediastinal tumoren  helraf,  ausführlich  herichtet.  ln 
vorliegender  Arheitwird  üher  das  weitere  Schicksal  zweier  Kranken 
—  sie  starhen  beide  —  über  den  Sektionsbefund  und  über  das 
Ergebnis  der  histologischen  Untersuchung  referiert.  Bei  lieiden 
Kranken  waren  die  Symptome  einer  mediastinalen  Geschwulst 
so  deutlich,  daßi  die  Diagnose  mit  Sicherheit  gestellt  wurde.  Im 
ersten  Falle  bedrohte  das  Leiden  bereits  unmittelbar  das  Leben, 
er  wurde  mit  Röntgenstrahl-en  behandelt  und  so  wesentlich  ge¬ 
bessert,  daß  er  objektiv  als  heinalie  geheilt  betrachtet  werchui 
konnte.  Ein  Jahr  lang  ging  es  gut,  Pat.  arlieitete  fleißig,  llann 
kehrte  aber  die  Atemnot  wieder,  es  stellte  sich  Paraplegie  der 
unteren  Extremitäten  ein,  heftige  Schmerzen,  Drüsenschvvellungeu, 
Vergrößierung  des  Tumors  etc.,  einem  Erstickungsanfalle  erlag 
der  Kranke.  Der  zweite  Fall  verlief  ähnlich,  nur  daß  die  Besse¬ 
rung  nach  der  Böntgenhehandlung  nicht  so  lange  Zeit  anhielt. 
Die  Sektion  zeigte,  daß'  an  Stelle  des  mediastinalen  Tumors  sich 
Narhengewehe  befand,  daher  die  Verkleinerung  der  Geschwulst, 
die  Abnahme  der  bedrohiiehen  Symptome.  Das  Narhengewehe  war 
stark  vaskularisiert,  die  Vaskularisation  entsprach  einerseits  dem 
gefäßreichen  Stroma  des  Sarkoms,  war  anderseits  auch  für  die 
durch  Röntgenstrahlen  verursachten  Veränderungen  cluirak- 
teristisch.  Auch  im  zweiten  Falle  war  an. Stelle  des  mediastinalen 
Tumors  das  Narhengewehe,  danehen  waren  infolge  Einwirkuug 
der  neueren  Bestrahlungen  an  der  das  Brustbein  durchwachsenden 
Gesclnvulst  die  verschiedensten  nekrohio tischen  Veränderungen 
(Karyorrhexis  und  Karyoschisis,  die  Zellen  werden  gekörnt,  unför¬ 
mig,  zerfallen  schließlich  in  strukturlo.se,  körnige  Massen)  bis  zur 
ausgesprochenen,  wenn  auch  strangförmig  auftretenden  Narhen- 
hiklung  wahrzunehmen.  In  der  Literatur  finden  die  Verfasser 
nur  einen  Fall  (Torrey),  wo  das  Endergebnis  der  Röntgenbehand¬ 
lung  eines  Sarkoms  durch  die  histologische  Untersuchung  kon¬ 
trolliert  Averden  konnte.  Ein  Sarkom  der  Brusthaut  heilte  nach 
mehrmonatlicher  Behandlung  vollständig.  D'er  Kranke  starb  an 
Typhus,  hei  der  Sektion  fand  man  an  Stelle  der  Geschwulst 
bloß  NarbengeAvebe.  Auch  Kienböck  hat  sich  dahin  geäußert, 
daß  tatsächlich  die  zellreichen,  rasch  Avachsenden  Sarkome  am 


meisten  durch  die  Röntgenstrahlen  beeinflußt  Averden  können. 
Die  Analogie  der  Wirkungsweise  der  Röntgenstrahlen  auf  Krebse 
und  Sarkome  ist  eine  vollstlüidige.  Anfangs  Averden  mir  die 
Zellkerne  verändert  (Karyorrhexis,  Karyoschisis),  dann  schwillt 
die  Zelle  an,  kann  nicht  mehr  gefärbt  Averden  und  zerfällt  endlicli 
in  eine  körnige  Masse.  Diese  Neki'obiose  vei’ursacht  eine  leak- 
tive  Entzündung  mit  nachfolgender'  Narhenhildung.  Die  Kranken 
erlagen  der  Rezidive  und  den  Metastasen  (in  beiden  Fällen  neben 
dem  derben,  festen  Tumor  auch  große,  Aveiche  GescliAvillste,  dann 
Kompression  des  Rückenmarkes  durch  medulläre  Gescluvulst- 
niassen,  resp.  Uchergreifen  auf  die  IlerzAvand,  auf  eine  Lunge), 
und  es  ist  zu  bedauern,  daß  die  Behandlung  infolge  Weigeiung 
der  Kranken  nicht  genügend  lange  Zeit  fortgeführt,  resp.  nicht 
zeitlich  genug  wieder  aufgenommen  A\mrden  konnte.  (Deidsche 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  13.)  E.  1. 


247.  Ueher  psychische  Störung  depress  iver  Na¬ 
tu  r,  entstanden  auf  dem  Boden  der  gegenwärtigen 
politischen  Ereignisse.  Von  Dr.  J.  S.  Hermann,  Direktor 
des  Irrenhauses  des  Goirverrrernents  Orel.  \erf.  hatte  Gelegenheit, 
auf  Grund  eines  ziemlich  reichen  Materiales  der  frage  des  Ein- 
fhrsses  aktueller  polilisclrer  Ereignisse  auf  die  EntAvicFlung  vorr 
Psychosen,  ferner  der  Forrir  und  des  Charakters  der  letzteren 


WIE^IER  KLINISCHE  WOCIIENSCIHUET.  1907: 


Nr.  20 


luiherzntreten.  Er  .  fand  in.  klassischen,  sämtliche  Symptome 
hietenden  Fällen  ein  Krankheitshild,  welches  charakteristisch  war 
durch  den  unmittelbaren,  oder  doch  baldigen  Beginn  der  Bsy- 
chose  nacli  der  Einwirkung  <les  psychischen  Traumas,  durch  hoch- 
gra<lige  Angst,  Wahnideen  der  drohenden  Gefahr,  sowie  des  un¬ 
vermeidlichen  Zugrundegehens,  ohne  daß  sich  jedoch  diese  Wahn¬ 
ideen  systematisierten,  durch  Seelenangst,  optische  und  akustische 
Halluzinationen  beängstigender  Natur,  endlich  durch  den  Aus¬ 
gang  in  Heilung.  Bei  sämtlichen  Kranken,  mit  Ausnahme  eines 
einzigen,  waren  körperliche  Degenerationszeichen  vorhanden,  rf— 
(Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie  und  psychisch-gerichtliche 
Medizin,  Band  64,  Heft  1.)  S. 

* 

248.  Ein  Fall  von  multipler,  tuberkulöser  M  y  o- 

sitis  hei  einem  Kinde.  Von  E.  Kirmisson.  Der  10jährige 
Patient  zeigt  hei  der  Untersuchung  der  unteren  Extremitäten 
eine  große  Anzahl  unregelmäßig  geformter  Knoten  in  den  Mus¬ 
keln,  außerdem  multiple  Lymphdrüsenschwellung  am  ganzen 
Köiirer.  Gleichzeitig  mit  den  Lymphdrüsenschwellungen  und  intra¬ 
muskulären  Tumoren  ist  eine  schmerzhafte  Schwellung  des  Meta- 
tarsophalangealgelenkes  der  kleinen  Zehe  des  linken  Fußes  aüf- 
ge treten.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  traten  auch  Tumoren 
in  den  Muskeln  der  oberen  Extremität  und  des  Stammes  auf. 
Die  Untersuchung  mehrerer  exstirpierter  Tumoren  ergab,  daß 
diese  aus  Knötchen  zusammengesetzt  waren,  welche  im  intra¬ 
muskulären  BindegeAvebe  saßen  oder  auch  die  Muskelfasern  selbst 
auseinander  drängten.  Histologisch  bestehen  die  Knötchen  zuiil 
größten  Teil  aus  epitheloiden  Zellen,  im  Zentrum  einer  Anzahl 
dieser  Knötchen  fand  sich  eine,,  ausnahmsweise  auch  zwei  Riesoif- 
zellen.  Käsige  Degeneration  Avar  niemals  nachweisbar,  an  der 
Peripherie  waren  die  Knötchen  von  einer  feinen,  stellenweise 
durch  embryonale  Zellen  infiltrierten  BindegeAAmbszone  umgehen. 
Die  Vorgefundene  Läsion  der  Muskelfasern  war  sekundär  durcfi 
Kompression  oder  Irritation  bedingt.  Die  Tuberkeln  hatten  sich 
im  inter-  und  intrafaszikulären  Bindegewebe  entwickelt  und  es 
begann  die  Erkrankung  mit  einer  Rundzelleninfiltration  um  die 
Gefäße.  Tuberkefbazillen  oder  andere  Mikroorganismen  konnten 
in  dem  untersuchten  Tumor  nicht  nachgeAviesen  werden,  ebensö 
gab  die  Ueberimpfung  auf  zwei  Meerschweinchen  ein  negatives 
Resultat.  Trotz  des  negativen  Ausfalles  der  bakteriologischen 
Untersuchung  und  der  Impfversuche  liegt  eine  tuberkulöse  Er¬ 
krankung  vor,  Avofür  der  histologische  Befund  von  Riesenzellen, 
die  multiple  LymphdiüsenschAvellung  und  der  Charakter  der  G^- 
lenkserkrankung  am  Fuße  spricht.  Als  Ausgangspunkt  kann  die 
Gelenkserkrankung  betrachtet  Averden,  von  avo  aus  die  Infektion 
auf  dem  Wege  der  Lymphbähnen  erfolgte  und  einerseits  die 
multiple  LymphdrüsenschAvellung,  anderseits  die  intramuskulär 
sitzenden  Tuberkeln  produzierte.  Die  Ablagerung  des  tuberkulösen 
Materials  erfolgte  um  die  Gefäße  und  im  intrafaszikulären  Binde¬ 
geAvebe,  Avährend  die  Muskelfasern  auseinandergedrängt  wurden 
und  dann  der  sekundären  Degeneration  anheimfielen.  —  (Bull, 
de  TAcad.  de  Med.  1907,  Nr.  6.)  a.  e. 

;  i  •  :  * 

249.  Ueher  frustrane  H  e  r  z  k  o  n  tr  ak  t  i  o  n  e  n.  Von 
Prof.  Dr.  H.  Hochhaus  in  Köln  a.  Rh.  Diese  eigentümliche 
Herzstörung  besteht  darin,  daß  trotz  einer  energischen  Herz¬ 
kontraktion,  die  durch  einen  besonders  kräftigen  Spitzenstoß  aus¬ 
gezeichnet  ist,  kein  entsprechender  Puls  gefühlt  werden  kann. 
Dagegen  konstatiert  man  häufig  statt  dessen  einen  deutlichen 
Venenpuls;  gleichzeitig  hört  man  über  Spitze  und  Basis  nur  einen 
stark  paukenden,  systolischen  Ton,  Avährend  der  zAveite  fehlt.; 
denselben  Ton  hört  man  seihst  auch  dann,  AAmnn  systolische  Ge¬ 
räusche  an  der  Spitze  normalerweise  vorhanden  sind.  Damit  sind 
häufig  auffallende  subjektiAm  Sensationen  verbunden.  Manche 
Patienten  bemerken  schon  an  einem  eigentümlichen  beklommenen 
Gefühle,  Avann  eine  frustrane  Kontraktion  herannaht,  die  dann 
sellrst  als  ein  heftiger  Stoß  in  der  Herzgegend  verspürt  Avird. 
Andere  haben  bei  dem  unregelmäßigen  Schlage  das  Gefühl,  als 
ob  dius  Herz  plötzlich  stillsteht;  zugleich  geht  damit  ein  Ruck 
am  Halse  die  Karotiden  entlang  bis  zum  Kopfe  und  ein  leichtes, 
momentanes  ScliAvindelgefühl  ist  häufig  die  Folge.  Die  Art  und 
Meise  des  Auftrotens  ist  sehr  A'erschieden ;  häufig  fühlt  man  am 


Pulse  den  sonst  ganz  regelmäßigen  Rhythmus  ah  und  zu  einmal 
durch  eine  Inte.nnission,  herrührend  von  einer  solchen  Kontrak¬ 
tion,  ujiterbrochen ;  andere  IMale  tritt  die  Erscheinung  mit  einer 
geAvissen  Regelmäßigkeit  auf;  nicht  selten  ist  jede  zweite  Kontrak¬ 
tion  frustran,  so  daß  jeiler  zAveibe  Puls  ausfällt  und  eine  ausge¬ 
sprochene  Bradykardie  vorgetäuscht  werden  kann.  Dasselbe  kann 
auch  bei  jeder  dritten,  vierten  oder  fünften  Systole  regelmäßig 
der  Fall  sein  und  dann  entstehen  die  sogenannten  Allorhythmien, 
die  Bigemie,  Trigemie  ustv.  Bei  Herzfehlern,  besonders  bei  in- 
kompensierten,  ist  die  Zahl  nicht  selten  eine  sehr  große  und 
das  Auftreten  ein  ganz  unregelmäßiges.  Das  Vorkommen  dieser 
Herzstörung  ist  außerordentlich  häufig.  Man  findet  dieselbe  so- 
Avohl  bei  organischen  als  auch  bei  den  sogenannten  funktionellen 
Herzkrankheiten  und  bei  den  letzteren  sind  die  subjektiven  Be¬ 
gleiterscheinungen  in  der  Regel  am  ausgesprochensten.  Bei  der¬ 
artigen  Menschen  genügt  oft  schon,  ohne  daß  Krankhaftes  am 
Herzen  nachgeAviesen  werden  kann,  eine  leichte  Aufregung;  mäßiger 
Weingenuß  oder  eine  starke  Zigarre,  um  ausgesprochene  frustrane 
Kontraktionen  hervorzurufen.  Eine  bestimmte  Prognose  läßt  sich 
aus  dem  Auftreten  dieser  HerzalLeration  nicht  stellen.  Als  Er¬ 
klärung  für  diese  Merzanomalie  schien  dem  Verfasser  auf  Grund 
früherer  Arbeiten  schon  am  einleuchtendsten,  daß  hier  eine  Ko¬ 
ordinationsstörung  des  Herzens  zugleich  mit  einer  qualitativen 
Verändenmg  der  Muskelzuckung  Arorliege.  Quincke  meinte,  daß 
vielleicht  der  Reiz  in  der  Ventrikelmuskulatur  selbst  einsetzt, 
aber  nicht,  Avie  der  normale,  an  der  Atrioventrikulargrenze  Und 
dann  in  die  Ventrikehnuskulatur  fortschreitend,  sondern  an 
mehreren  Stellen  gleichzeitig  oder  doch  an  einer  ganz  anderen 
Stelle,  z.  B.  an  der  Herzspitze  einsetzend.  Diese  Erklärung  deckt 
sich  mit  der  derzeit  allgemein  gültigen  Auffassung  über  die  Ent¬ 
stehung  der  sogenannten  Extrasystolen,  wie  sie  durch  Engel¬ 
mann  und  Hering  bekannt  geworden  sind.  Die  Natur  der 
Reize,  Avelche  diese  Herzstörang  hervorrufen,  kaun  eine  ver¬ 
schiedene  sein :  die  Reize  können  mechanischer  Natur  sein,  sie 
können  von  chronisch  entzündlichen  Prozessen  im  Herzfleische 
herrühren,  sie  können  auch  durch  das  Blut  zugeführt  werden. 
Verf.  ist  jedoch,  im  Gegensatz  zu  Hering,  geneigt,  anzunehmen, 
daß  auch  auf  nervösem  Wege  direkt  frustrane  Kontraktionen 
hervorgerufen  werden  können.  Die  Therapie  dieser  Herzstörang  fällt 
mit  der  Behandlung  des  Grandleidens  zusammen.  Bei  organischen 
Herzaffektionen  schAvindet  dieselbe  durch  Anwendung  der  be¬ 
kannten  Herzmittel  oft  auffallend  schnell.  Bei  allgemeiner  Ner¬ 
vosität  kann  Verf.  nach  vielfacher  Erfahrung  besonders  das  Chinin 
empfehlen,  das  ihm  in  Verbindung  mit  geringen  Dosen  Kampfer 
oder  Digitalis  häufig  sehr  gute  Dienste  geleistet  hat.  Zuweilen 
hat  aber  auch  diese  Medikation  wenig  Einfluß.  —  (Münchener 
medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  9.)  G. 

>1« 

250.  (Aus  dem  Isolations-Hospital  für  Hinckley  und  den  um¬ 

gebenden  Distrikt.)  U  e  b  e  r  d  i  e  Inkubationszeit  des  Schar¬ 
lachs.  Von  E.  L  ynn  -  Jenkins.  Im  allgemeinen  wird  die  In¬ 
kubationszeit  des  Scharlachs  mit  24  Stunden  bis  zu  einer  Woche 
angenommen.  Nur  einige  Autoren  halten  dieselbe  für  länger. 
Lynn-Jcnkins  ist  geneigt,  sich  letzteren  anzuschließen.  Durch 
die  besonderen  räumlichen  Verhältnisse  seines  Spitals  mußten 
hie  und  da  Kinder,  die  mit  scharlachähnlichen  Erkrankungen 
aufgenommen  Avuiden,  mangels  eines  speziellen  Beobachtungs¬ 
zimmers  zAAÜschen  die  sicher  scharlachkranken  Patienten  gelegt 
werden.  13  so  behandelte  Patienten  erkrankten  drei  bis  vier 
Wochen  nach  der  Aufnahme  an  tyiiischen  und  unzAveifelhaften 
Scharlachsymptomen.  Der  Charakter  der  Erkrankung  Avar  bei 
diesen  Fällen  ziemlich  bösartig.  Verf.  glaubt  wegen  der  relativ 
großen  Zahl  der  Fälle  ein  Rezidiv  und  zufälliges  Zusammen¬ 
treffen  der  Umstände  ausschließen  zu  können.  —  (British  medical 
Journal,  26.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

* 

251.  Kont  usion  spneumonie.  Von  Professor  Doktor 
M.  Litten  in  Berlin.  ZAvei  Fälle  aus  der  jüngsten  Zeit.  Im 
ersten  Falle  fiel  ein  Sljähriger  Arbeiter  von  einer  Leiter  und 
mit  dem  Thorax  auf  eine  scharfe  Holzrinne  auf.  Er  wurde  sofort 
schwindelig,  taumelte  und  erbrach,  arbeitete  nicht  am  nächsten 
Tage,  bekam  am  Morgen  des  dritten  Tages  einen  Frostanfall; 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


611 


der  Arzt  konstatierte  abends  den  Beginn  einer  Pneumonie.  Am 
vierten  Tage  stürmische  Erscheinungen,  ^m  Morgen  des  fünften 
Tages  Exitus.  Der  Kassenarzt  erklärte  den  Fall  für  eine  Kon- 
tusionspnenmonie  und  sprach  den  Hinterbliebenen  die  ünfalls- 
rente  zu.  Ein  anderer  Arzt  begutachtete,  daß  ein  Zusammenhang 
zwischen  Unfall  und  Pnetimonie  nicht  bestände,  ein  solcher  Unfall 
könne  keine  Pneumonie  zur  Folge  haben;  der  Mann  habe  auch 
äußerlich  keine  Zeichen  eines  Unfalles  aufgewiesen.  Nun  appel¬ 
lierte  die  Witwe,  Litten  erstattete  vor  dem  Schiedsgerichte  ein 
Obergutachten.  Er  gibt  den  Zusammenhang  zu.  In  diesem  Sinne 
wurde  auch  entschieden.  Der  Verfasser  spricht  von  einer  „Kon¬ 
tusionspneumonie“,  um  im  Gegensätze  zur  traumatischen  Pneu¬ 
monie  (Eindringen  von  scharfen,  resp.  spitzen  Gegenständen  und 
Projektilen  in  den  Thorax)  zum  Ausdruck  zu  bringen,  daß  es 
sich  hier  lediglich  um  die  Einwirkung  stumpfer  Gewalten,  vor¬ 
zugsweise  eine  plötzliche  und  ausgiebige  Kompression  des  Lungen¬ 
gewebes,  um  rein  physikalische  Bedingungen  handelt,  ln  diesen 
Fällen  treten  fast  ausnahmslos  keinerlei  körperliche  Erscheinungen 
auf  der  äußeren  Haut  auf,  selbst  bei  den  schwersten  inneren 
Läsionen  (Zerreißung  ganzer  Lungenlappen  und  des  Herzens) 
brauchen  keine  äußeren  Zeichen  des  stattgehabten  Traumas  nach¬ 
weisbar  zu  sein.  Anderseits  sah  man  ausgedehnte  Sugillationeri 
auf  dei-  Brust,  wo  die  Lunge  absolut  nicht  Schaden  gelitten  bat. 
Die  Pneumonie  braucht  auch  nicht  da  zu  sein,  wo  der  Stoß  direkt 
eingewirkt  hat,  sie  kann  selbst  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
auftreten.  Aeltere  Veränderungen  (tuberkulöse  Infiltrationen) 
können  als  Loci  minoris  resistentiae  gelten.  Sie  kommt  fast 
nur  bei  jüngeren,  schwer  arbeitenden  Männern  vor.  Neben  den 
bekannten  Traumen  (Fall,  Stoß,  Hufschlag,  Ueberfahrenwerden, 
Verschüttung,  Mißhandtung  des  Thorax  durch  Daraufknien,  Faust¬ 
schläge  etc.)  ist  als  ätiologisches  Moment  das  Heben  von 
schweren  Gegenständen  zu  betonen.  Der  zweite  ball 
Lit  tens  betrifft  diese,  noch  vielfach  stark  bestrittene  Ursache) 
der  Kontusionspneumonie.  Auf  einem  Bahnhofe  sollte  eine  schwer 
beladene  Lowry  wieder  auf  die  Schienen  gebracht  werden.  Ein 
Mann  half  mit,  klagte  sofort  über  heftige  Bruststiche,  mußte  zu 
Boden  gelegt  werden.  Er  war  sehr  bleich.  Er  kränkelte  am  zweiten  |, 
Tage  zu  Hause,  am  dritten  Tage  konstatierte  der  Arzt  eine  Pneu- . 
monie.  Er  starb.  Zwischen  dem  Unfall  und  dem  Tode  lagen 
fünf  Tage  und  eine  Nacht.  Es  wiederholte  sich  das  oben  Berichtete. 
Der  behandelnde  Arzt  erkannte  auf  Unfall  und  Zuspruch  einer 
Rente  an  die  Hinterbliebenen,  der  Arzt  der  Berufsgenossenschaft 
negierte  den  Zusammenhang  mit  dem  Unfälle;  Litten  sprach 
sich  in  seinem  Obergutachten  dafür  aus,  daß  nach  seinen  Ei- 
fahrungen  die  Pneumonie  sehr  wohl  mit  dem  schweren  Heben 
in  ursächlichem  Zusammenhänge  stünde,  daß  die  Rente  zu  zahlen 
sei.  Litten  weiß  nicht,  wie  der  Fall  endgültig  entschieden 
worden  ist.  Er  hat  aber  schon  drei  derartige  Fälle,  in  welchen 
das  Heben  von  schweren  Gegenständen,  z.  B.  von  bteinplatten, 
zur  Pneumonie  geführt  hatte,  zu  begutachten  gehabt.  Einmal  war 
sogar  eine  profuse  Hämoptoe  (Zerreißung  eines  Lungenab¬ 
schnittes?)  erfolgt.  Es  muß  nicht  immer  eine  richtige  kruppöse 
Pneumonie  gewesen  sein,  es  kann  sich  auch  um  eine  hämoriba- 
gische  Infiltration  der  Lungen  gehandelt  haben.  Der  Verfasser 
teilt  sodann  einen  von  der  medizinischen  Fakultät  in  Beilin 
begutachteten  Fall  von  Kontusionspneumonie  mit  und  begründet 
es,  wie  nach  schwerem  Heben  selbst  eine  gesunde  Lunge  ein 
reißen  könne.  Der  Mann  inspiriert  tief,  seine  Glottis  ist  ge¬ 
schlossen,  er  hebt  also  bei  angehaltenem  Atem  nach  tiefer  In¬ 
spiration  die  schwere  Last;  die  Lunge  ist  ad  maximum  mit 
Luft  .gefüllt,  wie  eine  Blase  ausgedehnt.  Eine  solche  Lunge  kann 
gelegentlich  einreißen,  es  kann  eine  Pneumonie  entstehen  und 
zwar  infolge  der  starken  Kompression  des  Lungengewebes  bei 
fixiertem  Thorax.  Wenn  Gerhardt  sich  auf  einen  Ausspruch 
von  Demuth  beiuft,  daß  man  nur  dann  von  einer  Kontusions¬ 
pneumonie  sprechen  sollte,  wenn  der  Betreffende  voihei  eine 
gesunde  Lunge  besessen  habe,  so  sieht  Litten  nicht  ein,  waium 
ein  Mann,  der  eine  Bronchiektasie  besessen  und  dabei  ganz  arbeits¬ 
fähig  war,  wenn  er  plötzlich  einen  Stoß  vor  die  Brust  und  da¬ 
nach  eine' tödliche  Pneumonie  bekommen  hat,  anders  begutachtet 
werden  sollte.  Soll  man  etwa  deshalb,  weil  der  Mann  schon  vorher 
lungenkrank  gewesen,  den  Hinterbliebenen  die  Rente  verweigern? 
Sehr  viele  Arbeiter  leiden  an  Bronchitis  oder  Emphysem,  an  pleu- 


ritischen  Verwachsungen  oder  tuberkulösen  Infiltrationen,  sie  sind 
aber  arbeitsfähig  und  die  Rentenenlschädigung  ist  keine  Prämie 
für  die  Krankheit,  sondern  für  die  A  r  he  i  tsu  n  f  ä  h  i  g  k  ei  I !  Man 
könnte  höchstens  sagen,  der  Mann  dürfe  früher  keine  Pneumonie 
gehabt  haben,  denn  es  kommt  sogar  das  vor,  daß  jemand  mit 
einer  Pneumonie  arbeitet  (Fall).  Eine  zweite  Forderung  ist  die, 
daß  ein  Trauma  von  gewisser  Art  eingewirkt  habe  und  daß  die 
Zeit  zwischen  Trauma  (Unfall)  und  Pneumonie  keine  allzulange 
sei.  Gemeinhin  sind  es  ein  bis  zwei  Tage,  die  kürzeste  Zeit 
betrug  zehn  Stunden,  doch  sollten  nach  Litten  auch  Pneumo¬ 
nien,  die  am  vierten,  eventuell  auch  am  fünften  oder,  gelegentlich 
sechsten  Tage  nach  dem  Unfall  einsetzen,  noch  als  Kontusions¬ 
pneumonien  angesehen  werden  dürfen,  v.  Leyden  hat  sogar  in 
einem  Falle,  wo  die  Pneumonie  14  Tage  nach  dem  Unfälle  ein¬ 
setzte,  sie  als  Kontusionspneumonie  anerkannt  und  demgemäß 
begutachtet.  Senator  hebt  hervor,  ,daß  man  im  Gutachten  be¬ 
tonen  solle,  daß  selbst  in  dem  Fälle,  wenn  man  annehme,  die 
(spät,  einmal  zehn  Tage  nach  dem  Unfälle  einsetzende)  Pneu¬ 
monie  wäre  aus  anderen  Ursachen  entstanden,  müsse  man  sagen, 
daßi  der  schnelle  und  tödliche  Verlauf  durch  den  Umstand  herbei¬ 
geführt,  resp.  begünstigt  worden  sei,  tlaßi  hier  ein  traumatischer 
Shock  eingewirkt,  also  der  Körper  durch  den  Unfall  geschwächt 
und  in  seiner  Arbeitsfähigkeit  ^wesentlich  herabgesetzt  gewesen  sei. 
IVlinisch  unterscheidet  sich  die  Kontusionspneumonie  wenig  von 
jeder  anderen  Pneumonie.  Vielleicht  ist  charakteristisch,  daß  der 
blutige  Auswurf  sehr  profus  sein  kann.  Sie  verläuft  häufig  auch 
mit  einer  trockenen  Pleuritis.  ,  Die  Sterblichkeit  solcher  Fälle 
ist  groß',  doch  schwanken  die  von  den  einzelnen  Beobachtern 
angegebenen  Zahlen  stark.  Die  Kontusionspneumonie  ist  eine  sehr 
schwere  Krankheit,  der  Tod  tritt  rasch  ein;  die  Kranken  gehen 
ungleich  schneller  zugrunde,  als  andere  Pneumoniker ;  Shock- 
\yirkung  und  Verfettung  des  Herzens.  —  (Deutsche  medizinische 

Wochenschrift  1907,  Nr.  13.)  E.  F. 

♦ 

252.  Die  Entlassung  geisteskranker  Rechts¬ 
brecher  aus  Irrenanstalten.  Von  Oberarzt  Dr.  v.  Ku- 
11,0 wski  in  Leubus.  Zur  Lösung  der  Frage  bezüglich  der  Ent¬ 
lassung  geisteskranker  Rechtsbrecher  aus  Irrenanstalten  liefert 
die  vorliegende  Arbeit  insofeme  einen  Beitrag,  als  der  Verfasser 
an  der  Hand  eigener  Erfahrungen  schildert,  wie  die  gegenwärtig 
ip.  Preußen  geltenden  Bestimmungen  über  die  Entlassung  geistes¬ 
kranker  Rechtsbrecher  sich  bewähren  und  an  diese  Schilderung 
kritische  Betrachtungen  knüpft.  ■ —  (Allgemeine  Zeitschrift  für 
Psychiatrie  und  psvchisch  -  gerichtliche  Medizin,  Band  64,  Heft  1.) 

S. 

^T' 

* 

253.  Ueber  die  Heilbarkeit  des  Krebses  im  all¬ 
gemeinen  und  die  Behandlung  des  Zungenkrebses 
im  besonderen.  Von  Fournier.  In  der  Aetiologie  der  Mund¬ 
höhlenkarzinome,  insbesondere  des  Zungenkrebses,  ist  die  Syphilis 
von  wesentlicher  Bedeutung.  Die  Syphilis  produziert  in  der  Mund¬ 
höhle  nicht  nur  spezifische  Läsionen,  sondern  ist  auch  die  Ur¬ 
sache  einer  gleich  der  Tabes  und  progressiven  Paralyse,  para¬ 
syphilitischen  Erkrankung,  nämlich  der  Leukoplakia  buccalis  et 
lingualis,  welche  ein  besonders  günstiger  Boden  für  die  Ent¬ 
wicklung  von  Karzinom  ist.  Diese  Leukoplakie  entwickelt  sich 
besonders  bei  solchen  Syphilitikern,  welche  zugleich  starke 
Raucher  sind.  Bei  Kranken  mit  Mundhöhlenkarzinomen  konnte 
Syphilis  in  84o/o  der  Fälle  mit  Sicherheit  festgestellt  werden.  Das 
Zungenkarzinom  ist  in  der  überwiegend  großen  Mehrzahl  eine 
Erkrankung  des  männlichen  Geschlechtes  und  des  mittleren  und 
vdrgerückten  Lebensalters,  woraus  sich  der  Schluß'  ergibt,  daß 
das  Zungenkarzinom  erst  nach  langem,  manchmal  jahrzehnte¬ 
langem  Bestand  der  Syphilisinfektion  auftritt..  Für  sich  allein 
ruft  die  Syphilis  jedoch  nur  -selten  Zungenkrebs  hervor,  es  muß 
noch  ein  zweiter  Faktor  mitwirken,  nämlich  intensives  Tabak- 
rauchen,  so  daß'  das  Zungenkarzinom  eine  Erkrankung  der  syphi¬ 
litischen  Raucher  ist.  Die  große  Seltenheit  des  Zungenkarzinoms 
bei  Frauen  erklärt  sich  daraus,  daß  diese  gar  nicht  oder  nui 
wenig  rauchen.  Von  den  beiden  ätiologischen  Faktoren  ist  die 
Syphilis  insoferne  wichtiger,  als  Zungenkarzinom  manchmal  bei 
syphilitischen  Nichtrauchern,  dagegen  nur  höchst  selten  beistaiken 
Rauchern  auftritt,  wenn  dieselben  nicht  syphilitisch  sind.  Be- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


sonders  beweisend  ist  der  Fall  eines  starken  Rauchers,  welcher 
keinerlei  \’eränderungen  der  i\rundschlciinhaut  aufwies,  sich  dann 
mit  Syphilis  infizierle  und  schon  nach  zwei  .lahrcui  (dne  starke 
Leukoplakie  hekani.  Die  Syphilis  führt  auf  dem  Wege  der  Leuko¬ 
plakie  zum  Karzinom,  doch  ist  zu  bemerken,  daß  auch  echte 
Leukoplakie  ausnahmsweise  ohne  voraugegaugene  Syphilis  ;iuf- 
Iritt.  Remerkenswert  ist  die  Häufigkeit  vorangegangener  Syphilis 
hcdin  Karzinom  des  jMastdarms  und  der  Vulva,  hei  welcher  gleich¬ 
falls  Leukoplakie  als  Vorstadium  des  Karzinoms  heohaclitet  wird 
und  es  fragt  sich,  oh  die  Syphilis  nicht  eine  allgemeine  Frädis- 
position  für  Karzinomentwicklung  schafft.  Das  ZungenkarzinPni 
beginnt  hoi  der  Leukoplakia  huccalis  als  kleines  Knötchen.  Sobald 
ein  solches  Knötchen  nacliweishar  ist,  darf  keine  Zeit  mit  Ver¬ 
suchen  spezifiscligr  Therapie  verbracht  werden,  wxdl  die  Leuko¬ 
plakie, .  gleich  den  anderen  parasyphili tischen  Affektionen,  Tabes 
und  progressive  Paralyse  einer  antisyphilitischen  Therapie  nicht 
zugänglich  ist.  Sobald  in  einem  Fall  von  Leukoplakie  ein  Knötchen 
manifest  wird,  so  ist  sofortige  Operation  indiziert,  weil  hei  Zungen¬ 
karzinom  nur  ein  möglichst  frühzeitig  vorgenommener  Eingriff 
Aussichten  auf  Erfolg  bietet.  — ■  (Bull,  de  l’i-Vcad.  de  Med.  19()ü, 
Nr.  40.)  a;  e. 

Vermisehte  l^aehriehten. 

Ernannt:  Prof.  Dr.  Rudolf  K  1  a  p  p,  Assistent  der  chirur¬ 
gischen  Klinik  in  Bonn,  zum  a.  o.  Professor  der  Chirurgie  an  der 
medizinischen  Fakultät  in  Berlin  und  zum  Leiter  der  chirurgischen 
Poliklinik.  — ■  Pi’of.  Klapp  ist  bis  zur  definiliven  Dehernahme 
der  ehcmialigen  Bergmannschen  Klinik  durch  Prof.  Bier  mit 
dessen  Sliellvertretung  betralut. 

* 

Verliehen:  Dem  Direktor  des  Kaiserin-Elisabeth-Spitais 
in  W' ien  Dr.  Josef  Novak  der  Orden  der  Eisernen  Krone  dritter 
Klasse.  —  Dem  Oberbezirksarzt  kais.  Rat  Dr.  Heinrich  Mayr- 
gündter  in  Graz  anläßlich  der  erbetenen  Versetzung  in  den 
dauernden  Ruhestand  der  Titel  eines  Landessanitätsinspektors.  - 
Dem  Bürgermeister  der  Stadt  Böbrka,  prakt.  Arzt  Dr.  Thaddäus 
Gabryszowski,  der  Titel  eines  kais.  Rates.  —  Dem  praktischen 
Arzte  Dr.  S.  Aronsohn  in  Podgorze  der  Titel  eines  kais.  Rates. 
—  Dem  Privatdozenlen  für  innere  Medizin  in  Berlin  Dr.  xVd.  La¬ 
zarus  der  Professorlitel. 

* 

11  a  b  i  1  i  ti  e  r  t :  Dr.  Alia  r  d  für  innere  VIedizin  in  Greifs¬ 
wald. 

Gestorben:  Dr.  F.  Klug,  Privatdozent- für  Ohrenheilkunde 
in  Budapest.  —  Dr.  J.  Nassilow,  ehern.  Professor  der  Chirurgie 

an  der  militärmedizinischen  Akademie  in  Petersburg. 

* 

In  der  am  4.  Mai  1907  abgehaltenen  Sitzung  des 
Obersten  Sanitäts  rates  wurden  nachstehende  Gegen¬ 
stände  in  Beratung  gezogen:  1.  Feststellung  der  Grundsätze  einer 
Regelung  des  Verkehrs  mit  sero-  und  organottierapeutischen  Prä¬ 
paraten.  (Referent:  Hofrat  v.  Vogl;  Korreferenten:  Professor 
Paltauf  und  Hofrat  Wagner  v.  Jauregg.)  2.  Referat  über 
die  spezialistische  Ausbildung  der  Aerzte.  (Referent :  Hofrat 
E  X  n  e  r.)  3.  Gutachten  über  die  Verwendung  des  zur  Bekämpfung 
der  Tuberkulose  aus  Staatsmitteln  gewidmeten  Kredits.  (Referent: 
Hofrat  W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  m.)  4.  Referat  über  das  Gesuch  eines 
Eaboratoriumsinhabers  um  Bewilligung  zur  Vornahme  von  Unter¬ 
suchungen  menschlicher  Se-  und  Exkrete.  (Referent:  Derselbe.) 
5.  Gutächtliche  Aeußerung  über  die  Zulässigkeit  des  Vertriebes 
eines  Apparats  zur  Beseitigung  von  Zahnschmerzen.  (Referent: 
Hofrat  Ludwig.)  ß.  Gutächtliche  Aeußerung  über  die  Qualifi¬ 
kation  der  Bewerber  um  mehrere  erledigte  Stellen  im  staatlichen 
Sanitiltsdiensle  (Niederösterreich,  Böhmen  und  Galizien).  (Referent: 
Ministerialrat  D  a  i  m  e  r.)  7.  Referat  betreffend  das  von  einer 

Landesstelle  vorgelegte  Programm  der  Bekämpfung  der  Pellagra 
für  1908.  (Referent:  Derselbe.) 

* 

Die  diesjährige  ärztliche  S  t  u  d  ie  u  r  c  i  s  e,  welche 
am  ß;  September  beginnt,  verbindet  mit  dem  Besuche  der  deutschen 
Ost  Seebäder  zugleich  den  von  Kopenhagen  und  Stock- 
iiolm.  Da  die  Teiluehmerzahl  aus  technischen  tiründen  eine 
begrenzte  sein  muß,  ist  recht  baldige  Anmeldung  dringend  zu 
emj)fehleu.  .\lles  Nähere  wird  binnen  kurzem  bekanntgegeben 
werden.  .Anträgen  sind  zu  richten  an  das  Komitee  zur  Veran- 
sial.nng  ärz'licher  Studienreisen,  zu  Händen  des  Generalsekretärs 
Dr.  .A.  Oliven,  Berlin,  Luisenplatz  2/4  (Kaiserin -Friedrich- 
Haus). 


Dr.  Siegfried  Frankl,  einer.  1.  Sekundararzt  des  k.  k. 
Stephaniespitals,  gewesener  Opeia'.eur  der  Hl.  Universitätsfrauen- 
ktinik  in  Wien,  wurde  zum  Badearzt  in  Luhatsidiowitz  ernannt 
und  übt  dasellist  (Altdeutsches  Haus)  ab  1.  Mai  1907  seine 
Praxis  aus. 

♦ 

Dr.  Ludwig  Mandl,  Privatdozent  für  Geburtsbilfe  und  Gynä¬ 
kologie,  ordiniert  ab  ß.  Mai  1907  Wien  VHI.,  Alserstraße  41. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  16.  Jahreswoche  (vom  14.  bis 
20.  April  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  694,  unehelich  300,  zu¬ 
sammen  994.  Tot  geboren,  ehelich  59,  unehelich  23,  zusammen  82. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  734  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  19T  Todesfälle),  an  Bauchlyphus  0, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  21,  Scharlach  0,  Keuchhusten  0, 
Diphtherie  und  Krupp  9,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  4, 
Lungentuberkulose  130,  bösartige  Neubildungen  46,  Wochenbett¬ 
fieber  5.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlaul  55  (-J- 21),  Wochen- 
betlfieber  3  ( —  3),  Blattern  0  ( —  1),  Varizellen  51  ( —  20),  Masern  427 
(-1-68),  Scharlach  106  (-j- 2),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  11  ( — 9), 
Ruhr  3  (-j- 3))  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  85  (-L  13),  Keuch¬ 
husten  52  (-j-  8),  Trachom  4  (-f-  2),  Influenza  0  ( —  1). 

17.  .lahreswoche  (vom  21.  bis  27.  April  1907).  Lebend  geboren, 
ehelich  611,  unehelich  278,  zusammen  889.  Tot  geboren,  ehelich  53, 
unehelich  27,  zusammen  80,  Gesamtzahl  der  Todesfälle  800  (i.  e.  aul 

1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden  208  Todesfälle),  an 
Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  18,  Scharlach  4,  Keuch¬ 
husten  3,  Diphtherie  und  Krupn  8,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0, 
Rotlauf  2,  Lungentuberkulose  138,  bösartige  Neubildungen  56,  Wochen- 
hettfieber  6.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  45  ( —  10), 
Wochenbettfieber  5  (-)-  2),  Blattern  0  (0),  Varizellen  86  (-j-  35),  Masern 
450  (4-  23),  Scharlach  93  ( —  13),  Flecktyphus  0  (0),  Banchtyphus 
6  ( — 5),  Ruhr  0  (—3),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  64  ( —  21), 
Keuchhusten  54  (-^  2),  Trachom  1  ( —  3),  Influenza  0  (^0). 


Eingesendet, 

Internationaler  Kongreß  für  Rettungswesen. 

Unter  dem  Ehrenpräsidium  des  Staatssekretärs  des  Deutschen  Reiches 
Grafen  Posadowsky  und  des  Geh.  Rates  Exzellenz  Piof.  v.  Es  m  a  rch 
hat  sich  ein  Komitee  der  bedeutendsten  Männer  aus  Deutscliland  und 
Oesterreich  zur  Abhaltung  eines  internationalen  Kongresses  für  Retiungs- 
wesen  gebildet.  Als  Ort  des  Kongresses  wurde  über  Einladung  der  Sladt- 
repiäsentanz  die  Stadt  Frankfurt  a.  M.  gewählt  und  die  Pfiiigstwoche  1908 
für  die  Abhaltung  des  Kongresses  festgesetzt. 

Lleberall  wo  Menschenleben  und  Gesundheit,  auf  dem  Spiele  stehen, 
hat  das  moderne  Reltungswesen  einzuselzen.  Was  aber  diesen  Be¬ 
strebungen  bislang  fehlt,  ist  die  gegenseitige  Berührung  und  der  gegen¬ 
seitige  Austausch  der  Erfahrungen. 

Auf  dem  Gebiete  des  Rettungswesens  können  und  müssen  alle  von¬ 
einander  lernen.  Das  Komitee  wendet  sich  an  alle  maßgebenden  Faktoren 
mit  der  Bitte,  ihr  Interesse  dem  Kongresse  zuzuwenden  und  an  den  Ar¬ 
beiten  teilzunehmen. 

Der  Organisationsausschuß  hat  folgenden  Arbeitsplan  für  die  ein¬ 
zelnen  Abteilungen  festgesetzt: 

1.  Erste  ärztliche  Hilfe  bei  Unglücksfällen;  2.  Ausbildung  von  Nicht¬ 
ärzten  in  der  ersten  Hilfe  (Samariterunterrichti;  3.  Rettungswesen  in 
Städten;  4.  Rettungswesen  auf  dem  Lande,  in  Industriezentren  und  in 
kleinen  kommunalen  Verbänden;  5.  Reltungswesen  im  Landverkehr 
(Eisenbahn-,  Automobilverkehr  usw.);  6.  Reltungswesen  auf  See-,  Binnen- 
und  Küslengewässern;  7.  Rettungswesen  in  Bergwerken  und  verwandten 
Betrieben;  8.  Rettungswesen  bei  den  Feuerwehren;  9.  Reltungswesen  im 
Gebirge;  10.  Rettungs wesen  und  Sport. 

Die  Vertretung  für  Oesterreich  wurde  dem  Chefärzte  der  Wiener 
Freiwilligen  Reltungsgesellschaft,  Herrn  kais.  Rat  Dr.  Heinrich  Charas 
übertragen  und  wurde  derselbe  gleichzeitig  zum  korrespondierenden  Mil- 
gliede  des  Kongresses  ernannt. 

Die  hohe  Entwicklung,  welche  das  Reltungswesen  in  Oesterreich 
genommen  und  die  es  an  die  Spitze  aller  diesbezüglichen  Bestrebungen 
gestellt  hat,  läßt  mit  Zuversicht  erwarten,  daß  die  Beteiligung  aller  hieran 
interessierten  Kreise  eine  recht  zahlreiche  sein  und  daß  unser  Vaterland 
auf  diesem  Kongresse  in  würdiger  Weise  vertreten  sein  wird. 

Mit  der  Anssendung  der  Einladungen  wird  demnächst  begonnen 
werden.  Der  Chefarzt  der  Reltungsgesellschaft  Dr.  Charas  erklärt  sich 
zu  allen  weiteren  Auskünften  gerne  bereit. 


Freie  Stellen. 

Bei  der  k.  k.  Tabakfabrik  in  Joachimsthal  gelangt  die 
Stolle  eine  Fabriksarztes  III.  Kategorie  (Jahreshonorar  K  1600  und 
Fnhrenpauschale  jährlicher  K  400)  zur  Besetzung.  Konkurstermin  31.  Mai 
1907.  Die  vollständige  Kundmachung  kann  bei  der  k.  k.  Tabaklabrik  in 
Joachimsthal,  beim  Sanitätsdeparlement  der  k.  k.  Stalthallerei  in  Prag 
und  Brünn  sowie  bei  der  k.  k.  Generaldireklion  der  Tabakregie  in  Wien 
IX..  Porzellangasse  51  (Dep.  I),  eingesehen  werden.  Wien,  am  29.  April 
1907.  K.  k.  Generaldirektion  der  Tabakregie. 

Im  Wiener  Sanatorium  Dr.  Anton  Loew  gelangt  die  Stelle 
eines  Assistenzarztes  zur  Besetzung.  Auskünfte  erteilt  die  Direktion 
des  Sanatoiiums. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Glä 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 

INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  10.  Mai  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  vom  2.  Mai  1907. 


Der  24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom 
15.  bis  18.  April  1907. 

30.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  Ileriin. 
2.  Sitzungstag  4.  April  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  10.  .Mai  1907. 

Vorsitzender:  Orof.  I)r.  L.  Königsiein. 

Sehril'tfülirer :  l’riv.-Doz.  Dr.  K.  Stejskal. 

Präsident  llofrut  Clirobak  teilt  mit,  datt  er  lieute  llertn 
Priv.-Doz.  Dr.  Fieber  zum  70.  Cieburtstage,  im  Namen  d('r  (Ic- 
sells(diat't  beglückwünscht  bat. 

llol'rat  Clirobak  teilt  ferner  mit,  daß  im  lieurigcn  Sommer 
eine  Anzahl  französischer  Aerzte  unter  Patronanz  von  Prof.  Roux 
auf  ilirer  Studienreise  nacli  Wien  kommen  werden,  um  liier 
klinische  und  Krankenanslalten  zu  besuchen.  Nach  dem  Pro¬ 
gramme  werden  sich  die  französiseben  Gäste  vom  15.  Iiis 
18.  August  hier  aufballen,  es  wäre  nun  wünschenswert,  daßi  eine 
Anzahl  zu  dieser  Zeit  in  Wien  Aveilender  Kollegen  sich  bereit 
(M'klären  würde,  den  Gästen  zur  Erfüllung  ihres  Zweckes  l)c- 
bilflicli  sein  zu  wollen  und  ihre  Lokalkenntnisse  ihnen  zur  Ver¬ 
fügung  zu  stellen,  begreiflicherweise  ist  es  erwünscht,  daß  die 
betreffenden  Herren  der  französiseben  Sprache  mächtig  sind. 

Der  Präsident  erlaubt  sich,  einen  diesbezüglichen  Api)ell 
an  die  Mitglieder  zu  richten,  daß  sich  .jene  Herren  freiwillig 
melden  möchten  (im  Bureau  der  Gesellschatt),  welche  den  aus¬ 
ländischen  Gästen  sich  zu  widmen  bereit  sind,  damit  ein  Komitee 
konstituiert  werden  könnte,  welches  über  das  Programm  der 
den  Gästen  zu  bietenden  Veranstaltungen  schlüssig  werden  sollte. 

Es  meldeten  sich  freiwillig  Prof.  v.  Zeißl,  Prof.  AVinter- 
nitz,  Prof.  Königstein,  Dr.  Kapsammer,  Privatdozent  Doktor 
Eisenschii  I  z. 

Prof.  Dr.  Königstein  daidvt  für  die  ihm  durch  die  AVahl 
zum  A^orsitzenden  erwiesene  Ehre. 

Prof.  V.  Zeißl:  Meine  Herren!  Das  AVeib,  welches  ich 
Ihnen  hier  vorstelle,  zeigt  einen  schönen  Fall  von  Lichen  ruber 
verrucosus  der  linken  unteren  Extiemität.  An  den  übrigen  Körper¬ 
stellen  sind  keine  Erscheinungen  dieser  Dermatose  zu  sehen. 
Die  Kranke  wird  .seit  acht  Tagen  einer  Arsenkur  untei'zogen. 

Der  zweite  Fall  betrifft  ein  Jahre  altes'  Kind.  Bei  diesem 
möchte  ich  die  Diagnose  in  suspenso  lassen.  Nach  Angaljo  der 
Alutter  soll  das  Alädchen  seit  der  ersten  Januarwoche  1907  krank 
sein.  Schon  damals  soll  das  liidce  große  und  kleine  Labium,  so¬ 
wie  das  Praepulium  clitoridis  gerötet  und  geschwollen  gewesen 
sein  und  das  Kind  beim  Harnen  über  Beschwerden  geklagt  haben. 
Ein  <lamals  zu  Rate  gezogener  Arzt  applizierte,  ohne  Erfolg  zu 
erzielen,  graues  Pflaster. 

Am  10.  A])ril  kam  das  Kind  das  erstemal  in  das  Kaiser-Franz- 
Josepb-Ambidatori’um.  Die  erwälmten  Genilalr)artien  boten  den¬ 
selben  Anblick  wie  heute,  nur  fanden  sich  noch  am  großen  und 
kleinen  Labium  je  sechs  hanfkoi'ngroße,  hellrote  Knöteben,  von 
welchen  vier  oberflächlich  exkoriiert  waren.  In  der  liid<en  Leisten¬ 
beuge  waren  drei  Lynii)hknoten,  in  der  rechten  ein  Lymphknoten 
geschwellt,  letzterer  etwas  elastisch.  Punktion  dieses  Lymph¬ 
knotens  behufs  Untersuchung  wurde  verweigert. 

Das  Sekret  der  exkoriierten  Knötchen,  der  Vagina  und  der 
Urethra  ergab  bei  wiederholter  Untersuchung  keinerlei  patho* 
gene  Organismen.  _  ■  j 

Mehrere  Tage,  ehe  this  Kind  zu  mir  kam,  soll  es  getieber'n 
und  gehustet  haben.  Außer  dem  Genitalbefunde  bestanden  an 
der  Zunge  und  an  der  AVangenschleimhaut,  mehrere  cpitlu^lialü 
Ahhebungen,  ähnlich  den  Alundkatarrhen,  wie  man  sie  bei  In¬ 
fluenza  zu  sehen  pflegt.  Die  Alundalfeklion  schwand  unter  Aus- 
spiden  mit  Wasser  und  Borax.  Die  Genitalaffektion  hlieb  so, 
wie  sie  heute  erscheint,  trotz  Reinigung  und  Anfstreuen  von 
AToform  und  Dermatol. 

Seither  schAvollen  die  Inframaxillarlymphknoten  an  und 
entwickelten  sich  an  der  Haut  des  Stammes  die  in  Gruppen 
angeordneten  Knötchen.  Da  bisher  keinerlei  Allgemeinerschei¬ 
nungen  der  Lues  auftraten,  wird  das  Kind  weiter  (jxspektalivi 
behandelt  und  die  Rückenhaut  mit  Schmierseife  gewaschen.  Die 
Ernährung  ist  eine  möglichst  roboricreude. 

Alöglicherweise  steht  die  Genitalerkrankung  mit  einem  In¬ 
fluenzaanfall  in  Zusammenhang  und  scheint  sich  dem  Kinde 


jetzt  ein  Lichen  scrophulosorum  zu  mitwickeln.  Mehr  über  diesen 
Fall  auszusagen,  wage  icb  jetzt  nicht  und  werde;  ich  das  Kind 
in  einiger  Zeit  wieder  vorstellen. 

Da  die  Erkraideung  seit  nahezu  vier  Monaten  besteht,  midi 
die  Vermutung,  eiaß  doch  noch  Allgemeinerscheinungen  der  Sy¬ 
philis  auf  treten  können,  mit  Reserve  im  Auge  behalten  werden, 
doch  dürfte  es  sich  vielleicht  um  Tuherkulosc,  welche  sich  an 
die  Influenza  anschloß,  handeln.  Ich  werde  den  rechten  Lymph¬ 
knoten  exstirpieren,  vielleicht  liefert  die  mikroskopische  Pnler- 
suchung  desselben  eine  entscheidende  Diagnose. 

Prof.  Dr.  Urbantschitsch  stellt  eine  27jährige  Frau  vor, 
die  seit  zehn  Monaten  Anfälle  von  Schmerzen  der  linken  Schulter, 
parctisebe  Erscheinungen  der  linken  oberen  und  unteren  Extremi¬ 
tät  und  leiebtes  Stottern  aufweist.  Als  in  einem  dieser  Anfälle 
aus  den  liidcen  Mittelobrräumen,  die  vor  zebn  Jahren  operativ 
eröffnet  wordem  waren,  eingedickte  Ei'.erniassen  entfernt  wurden, 
waren  die  genannten  Erscheinungen  unmittelbar  nach  der  Rei¬ 
nigung  des  Obres  verschwunden.  Dieselbe  Beobachtung  ergab 
sich  im  V'erlaufe  der  folgenden  AA'ochen  zu  wiederholten  Malen. 
Anderseits  konnte  außerhalh  des  Anfalles  durch  Einiräufeln  von 
Spiritus  und  dem  dadurch  erregten  Brennen  im  Ohre,  der  ge¬ 
nannte  Anfall  ausgelöst  werden,  während  wieder  eine  xAnästhesie- 
rung  des  Ohres  mit  Kokain  einen  vorhandenen  Anfall  zu  kui)ieren 
vermochte.  Demzufolge  sind  in  diesem  Falle  die  Schulter¬ 
schmerzen,  die  Paresen  der  linken  oberen  und  unteren  Extre¬ 
mität,  sowie  das  Stottern  als  vom  linken  Alittelohre  ausgelöst 
zu  betraebten  und  gehören  der  Gruppe  von  Fällen  an,  über  die 
Urbantschitsch  bereits  vor  drei  Jahren  in  dieser  Gesellschatt 
berichtete. 

Urban  tschitsch-  hat  in  letzter  Zeit  noch  zwei  weitere 
Fälle  von  Reflexparesen  der  Extremitäten  infolge  eines  Mittel¬ 
ohrleidens  beobachtet.  In  dem  einen  Falle  trat  an  einem  Manne 
des  mittlei’en  Lebensalters  nach  einer  eitrigen  Mittelohrentzün¬ 
dung  des  rechten  Ohres  an  der  linken  Ober-  und  Unterextremi- 
tät  eine  auffällige  Muskelschwäche  ein,  die  mehrere  AVochen 
aidiielt  und  nur  durch  Lufteintreihungen  in  das  rechte  Mittelohr 
vorübei’gehend  günstig  beeinfkdk  wurde.  Nach  ahgelaufener  Ohr¬ 
entzündung  schwanden  die  Paresen.  Der  andere  Fall  betraf  einen 
sechsjährigen  Knaben,  der,  an  einer  bilateralen,  akuten  tMittelohr- 
eiterung  erkrankt,  von  einer  Parese  beider  Unterexlremitäteu  be¬ 
fallen  wurde,  die  nach  Ablauf  der  Ohrentzündung  bleibend  zu¬ 
rückging. 

U  rban  tschif  sch  stellt  ferner  eine  öljährign  Frau  vor, 
die  iAiifälle  von  sensorischer  Aphasie  und  Agraphie  aufgewiesen 
hatte,  die  nach  Ausspülung  der  eitrig  erkrankten  rechten  Kieter- 
höhle  jedesmal  wesentlich  gebessert  wurden,  bei  erneuter  Eiter¬ 
ansammlung  in  der  Kieferböhle  wieder  stärker  hervortraten  und 
seit  Eröffnung  der  Kieferhöhle  vollständig  geschwunden  sind. 
Urbantschitsch  erinnert  aidäßlich  dieses  Falles  an  einen  von 
ihm  vor  drei  Jahren  erwähnten  Fall,  wo  eine  Alitfelohrentzünduiig 
anfallsweise  ai)hasische  Erscheinungen  hervorgerufen  hatte,  die 
sich  als  eine  vom  Ohre  ausgelüste  Reflexerscheinung  erwiesem 

Schlicßlich  demonstriert  Urbantschitsch  die  Schrilt- 
proben  eines  Mannes,  der  jetlesmal  beim  Tami)onieren  der  rechten 
Nasenhöhle  von  einem  heftigen  Zittern  der  rechten  Hand  be¬ 
fallen  wird,  so  daßi  er  kaum  leserlich  oder  überhaupt  nicht  zu 
schreiben  vermag.  Unmittelbar  nach  Entfernung  des  Tampons 
aus  der  rechten  Nase  tritt  wieder  die  gut  leserliche  Schrift  ohne 
Spur  von  Zitterbewegungen  auf. 

Prof.  Dr.  Maximilian  Sternberg  stellt  einen  Fall  voii 
Tetanie  vor,  der  sowohl  in  bezug  auf  den  Verlauf,  als  in 
bezug  auf  die  Aetiologie  bemerkenswert  ist.  Der  Fall  spricht 
für  die  /Annahme  einer  Ueberti’agbarkeit  der  Krankheit.  (Erscheint 
ausführlich.) 

Diskussion:  Hofrat  Prof.  Dr.  E  scher  ich:  Der  von  dem 
Vorredner  vorgestellto  Fall  ist  in  der  Tat,  namentlich  in  bezug 
auf  den  /Ausgang  in  si)aslische  Lähmung,  so  eigenartig,  daßi  man 
wohl  die  Frage  aufAverfen  kann,  ob  es  sich  hier  wirklich  um 
einen  Fall  von  idiopathischer  /Arbeiterletanie  und  nicht  etwa 
um  eine  symptomatische  Tetanie  im  Amrlaute  einer  anderen 
'  Nervcnki'ankhoit  handelt.  Daß  solche  Fälle  Vorkommen,  kann  ich 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


(luicli  {jiiic  j|(“(»l)aclüuiig  orliärieiij  die  wir  kürzlich  auf  der  Kinder¬ 
klinik  zd  nlaclieh  (ielegeiilielt  hatleil.  Eiil  -elwd  siebenjähriger 
Knabe  wii’d  mil  den  Erscheinnngen  einer  sehweren  'rctanie,  iniL 
.Muskelkräni])fen,  leichler  Nackonslarre,  Oiiis'liotonus  und  leichtem 
Eicher  in  das  Spiial  gebracht.  Die  Erkrankung  ist  plötzlich  ausge- 
hr<jch(‘n,  es  isl das  C h  v  o  s  tek  sehe, das  E  r fische  undT r  o  u  s  se a  u- 
sche  l’hänoinen  auf  das  deut'ichste  nachweisbar,  also  ein  Zweifel 
in  d(*r  Diagnose  Telanie  ausgeschlossen.  Der  Verlauf  zeigt  jedoch 
in  ilen  nächsten  Tagen  nicht  die  erwarlele  günslige  Wendung, 
vielmehr  stelll  sich  ein  zUiKdimendcr  Soiior  und  deulliche  Sym¬ 
ptome  einer  KiherkulösMi  Meningitis  ein,  die  nach  und  nach 
(las  liild  voilslfindig  heherrschen  nnd  in  der  Zeit  vüil  etwa  acht 
Tagen  zum  Exitus  führen.  Jedoch  is'  i)d  zum  Tode  die  elektrische 
Uehei'erregharkeit  vorhanden.  Die  Obduktion  ergab  eine  typische 
tuberkulöse  IMeningilis.  In  den  anscheinend  iidaklen  Epithel¬ 
körperchen  fimlen  sich  nach  der  von  Dr.  Jana  s  se  yorgenommenen 
Untersuchung  dtmtliche  Anzeichen  einer  afigcdaufeuen  Erki’ankung, 
die  sehr  wohl  zu  einer  F’unktionsschwäche  Veranlassung  ge¬ 
geben  haben  kann. 

Daß  es  sich  in  dem  Falle  Sternbergs  um  echte  Tetanie 
gehamlelt  hat,  wurde  datlurch  wahrscheinlich,  daß  auch  der  andere 
tnil  ihm  zUsainlneiiVvolnu'iide  Lehrjunge  an  typischer  Telanie  er¬ 
krankte.  Ich  kann  mich  aber  der  Annahme,  daß  hier  eine  Koidakt- 
infektioli  vorliegl,  nicht  anscldk^ßeii.  Ich  hatte  zwar  wiederholt 
flelegeiiheit,  zU  lieobachteu,  wie  im  Krankenhause  plötzlich  hei 
einer  größeren  Anzahl  von  Kindern  tetaliolile  Symidome  in  Er¬ 
scheinung  treten,  <lie  sie  augenscheinlich  im  Spilale  erworben 
hallen.  Allein  <1ieso  Tatsache  kann  nicht  ■ —  und  dies  gilt  auch 
für  deii  Stern  h  e  t^gsdien  Fall  ohne  weiteres  für  die  An- 
nalime  einer  Konlaklinfeklion  verwertet  Werden,  da  alle  Kinder 
auch  den  gleichen  respiratorischen  Schädlichkeilen  ausgesetzt 
waien.  .'\uffallend  ist  ja  auch,  daß  diese  Infektionen  stets  in 
den  Friihjahrsmonalen,  fast  niemals  im  Sommer  zur  Boohachtung 
kommen.  Nach  ausgedehnten  Uidersuchungen,  die  an  meiner 
Klinik  gegenwärtig  an, gestellt  werdem,  zeigt  sich  eine  ausge- 
spi'ochene  Abhängigkeit  der  elektrischen  Erregbarkeit  der  kind¬ 
lichen  Nerven  nach  der  Jahreszeit,  so  daß  ich  geneigt  hin,  den 
kl i malischell  Faktoren  die  hervorragendste  Rolle  in  der  Aus¬ 
lösung  der  Tetanie  z'uzuschreihen. 

Prof.  V.  Frau  kl-IIochwart  sieht  in  den  Fällen  Sterii- 
hergs  einen  wichtigen  Beitrag  zur  Hypothese  von  der  Infek- 
liosilät  der  Tetaule.  BcU  der  Zusatiimenstellung  der  Literatur 
und  der  eigenen  Fälle  für  die  Neuauflage  der  Tetaniemonographie 
hat  V.  Frankl -II  och  wart  nicht  wenige  Fälle  von  gemein¬ 
samem  Vorkomlnen  der  genannten  Krankheit  in  einer  Familie 
gefunden.  So  sah  er  eine  mit  'retanie  behaftete  Fiaiu,  deren 
beide  Söhne  (‘henfalls  die  Krämpfe  hatten.  kTir  diese  Art  Fälle 
kann  aber  auch  die  Hypothese  slatthahen,  daß  es  eine  ange¬ 
borene  Disiiosilion  für  Telanie  gälx;  —  z.  B.  eine  angeborene 
Unl(n'werligkeit  der  Epithelkörperchen  (Uhvostek  jun.).  Viel 
wichtiger  sind  die  Beohachtungen  von  N.  Weiß  und  V au g haus. 

Weiß  demonstrierte  einmal  in  einem  Ahleilungszimmer, 
wo  21  Nerveidu'anke  (darunter  drei  Telanhdälle)  lagen,  das  Vor- 
haiiihmsi'in  des  Fazialisphänomens  hei  letzteren.  An  den  übrigen 
(daruid<“r  auch  hei  einem  Epileptiker)  war  es  nicht  zu  finden. 
Am  Ahmid  hekain  der  letztgenannte  Kranke  Krämid'e  und  Par- 
äslhesitm;  den  anderen  Morgen  konnte  W  e  i  ßi  hei  ihm  typische 
Telanii^  und  Clivoslekphtinomen  nachweisen.  Noch  wichtiger  ist 
die  B(‘ohachlung  Vaughans  aus  New- York,  einer  Stadt,  wo 
sonst  kaum  je  Malerniläts-  und  Arheitertelanic*  konslatiert  wurde, 
ln  eituMu  italienischen  Ar])eilerc[uarliere  tauchlen  jdötzlich  der¬ 
artige  Fälle  auf;  Vaughans  konnte  in  einer  lichllosen  Sou¬ 
terrainwohnung  sieben  Tetaniekranke  auffinden:  fünf  gehörten 
einer  Familie  an,  zwei  standen  außerhalb  der.selhen. 

V.  Fra  n  k  I  -  II  ochwa  rt  kann  den  Ihnfluß  von  Wohnung 
und  Klima  nicht  als  genügend  für  <lie  Erklärung  derarliger  Fälle 
anselum.  Die  Wolmungsverhällnisse  der  Schuster  und  Schneider 
sind  auch  außerhalt)  Wiens  besonders  schlechte;  auch  sind  na- 
tüilich  di('  klimatischen  Verhällnisse  an  vielen  anderen  Orten 
ganz  ähnli(die,  ohne  daß  es  zu  (diun'  Häufuug  derartiger  Fälle 
kommt.  .Man  wird  unwillkürlich  daher  zur  Hypothese  der  An¬ 
nahme  eiiK's  infektiösen  Agens  gedrängt. 

Prof.  Dr.  Maximilian  Sternberg:  Die  Häufung  der  Telanie 
im  .März  und  .\])ril  spi'i(dd.  nicht  geg(m  die  Infektionsl heorie, 
w(m1  die  großsiädlische  .Morhidilälskurve  in  diesem  Monaten  üher- 
haupt  ihi-  Maximum  hat.  Es  gibt  hiefür  ve'rschiedene  Erklärungen. 
Sehr  i)lausihel  klingt  ji'iu“,  <lie  die  Häufung  der  Kraidvlunlen  da- 
flurch  (uklärt,  daß  es  siedt  nichl  sowohl  um  den  .'\nfang  des 
Eridilings,  als  um  das  Lude  des  Mhnters  tind  die  Summations¬ 
wirkung  aller  sciiu'r  Schädlichkeiten  handelt. 

Prof.  Dr.  S.  Ehrmann  stellt  drei  Fälle  vor,  hei  welchen 
er  ilen  Einfluß  des  an  ultravioletten  Strahlen  reichen  Oueck- 


silherhogenlichtes  (Uviollampe)  auf  die  Abheilung  von  Psoriasis 
demonstriert. 

Dell  Ausgangspunkt  für  seine  Versuche  liildete  ein  Fall, 
hei  welchem  der  iKdreffende  Patient  nach  (unem  Bade  in  der 
See  sich  am  Strande  in  die  Sonne  lagerte,  dann  ein  Erythema 
solare  bekam,  wehdies  mmdi  M'o'dien  in  eine  braune  Haul|)ig- 
mentic'rung  übeigiiig,  die  länger  als  ein  Jahr  andauerte  und  von 
rundlicdicn  konfluiereiHleii,  pigmentarmen  Stellen  durchsetzt  war. 
Der  anfangs  rätselhafte  Fall  zeigle  dann  an  den  wenig  oder 
gar  nicht,  belichteten  Stellen,  Rasen  von  Pityriasis  versicolor, 
die  an  (liöße  und  Verteilung  den  pigmenllosen  Flecken  ehlsprach. 
Mithin  war  es  klar,  daß  die  Wirkung  der  Sonnenslralilen  an  der 
normalen  Haut  Erythem  mit  nachfolgejider  Pigmentierung,  aid' 
den  Pilzrasen  dagegen  eine  Ahhehung  der  Epidermis  ohne  Pig¬ 
mentierung  und  Aveiterhin  eine  definitive  Heilung  der  Pityriasis 
versic  o  I  or  1  le  w  i  rk  te. 

Danach  unterzog  der  Vortragende  einen  jungen  Mann  in 
denselben  Jahren  wie  der  ersterwähnte  der  Bestrahlung  mit  Uviol- 
licht.  Der  Effekt,  war  dei'selhe  wie  der  (h'r  Sonnenstrahlen.  Er  be¬ 
schloß  nun,  Fälle  von  Psoriasis  derselben  Behandlung  zu  unter¬ 
ziehen,  in  welchem  Besclilusse  er  durch  eine  kurze  Angabe  Ax- 
manns  über  den  günstigen  Einfluß  des  Uviollichles  auf  Pso¬ 
riasis  bestärkt  wurde,  wenn  auch  Joseph  und  einige  amerikani¬ 
sche  Autoren  angx'hen,  daß  durch  starke  Sonnenwirkung  auf  un- 
hedeckte  Körperstelhm  (wie  im  Fädle  Josc|)h,  ilie  Produktion 
Von  Psoriasis  auf  Hals  Und  Brust  einer  dekolletierten  Dame)  her- 
vorgerufen  wird. 

Die  Versuche  nun,  die  in  15  Fällen  bisher  durchgeführt 
wuixhui,  zeigten  folgendes:  Durch  das  Uviollicdit  wird  ein  mäßiges 
(hei  einiger  Vorsicht  nicht  blasenhildendes)  Erythem  erzeugt,  das 
mit  Pigmentierung  ahheilt,  während  die  Psoriasisphuiue  sich  ab¬ 
schilfert  und  an  dei'cn  Stelle  bleibt  eine  pigmentarme  Area,  die 
genau  der  früheren  Psoriasiseffloreszenz  entspricht.  Die  dem 
Erythem  folgende  Pigmentieiung  ist  um  so  intensiver,  je  brünetter 
die  Haut  des  betreffenden  Individuums  ist.  Es  entspricht  das 
der  Fhtahrung,  welche  wir  bei  Sonnenerythem,  nameid.lich  bei 
sogenanntem  (1  letscherb  rand  machen.  Besonders  das  vom 
Cdetschereis  reflekliorte  Sonnenlicht  ist  reich  an  ultravioletten 
Strahlen,  und  wir  wissen,  daß  hellhäutige,  hellblonde  Indivi¬ 
duen  nach  einer  Gletscherwanderung  eine  leichte,  gelblichhräun- 
liche  Färbung  bekommen,  die  etwa  in  14  Tagen  schwindet,  während 
Brünette  dauernd  fi'ir  viele  IMonate  eine  dunkle  Färbung  bei- 
behalten.  Auch  bei  Albinismus  partialis,  sowie  bei  der  Vitiligo 
macht  man  die  Flrfahrung,  daß  ij'geudwelche  erylhemerze'ugende 
Flinflüsse,  chemischer  oder  ])hysikalischer  Natur,  also  nicht  bloß 
Vesikantien,  sondern  auch  Sonnen-  und  Röntgenlicht  nur  eine 
vorübergehende  Rötung  Und  gelbliche  Tingierung  der  weißen 
Stellen  erzeugen,  die  bald  schwindet,  Avährend  die  Umgebung 
der  weißeji  Stellen  für  lange  Zeit  dunkel  pigmentiert  wird. 

Die  Abheilung  der  Psoriasis  mit  Hinteriassuug  vt)n  weißen 
Stellen,  also  ein  Leukoderma  irsorialicum,  älndich  wie  das  Leuko¬ 
derma  syphiliticum,  ist  'uus  ja  in  den  letzten  Jahren  bekannt 
geivorden  —  auch  unter  gewöhidichen  Umständen  und  nach  .An¬ 
wendung  der  verschiedenslen  Mittel.  Anderseits  wissen  wir  aber, 
daß  langdaueriule  Psoriasisphuiues  l)ci  ihrer  Ahheilung  eine  duidde 
Pigmenüeruug  hiiderlassen,  besonders,  Avenn  die  Kraidcen  auch 
Arsen  genommen  hatt(m.  Diesidbe  Flrfahrung  machte  Vortr.  hei 
Bestrahlung  mit  Uviollicht.  Bei  psoriatischen  Fdächen,  die  von 
einem  älteren  Phujue  durch  periphere  Zunahme  entstanden  sind, 
konnte  der  Vortragende  nach  der  Bestrahlung  drei  Zonen  finden. 
Im  ältesten  Zentrum  eine  duidvle  Pigmeidierung,  dann  eine  iiig- 
mentlose  Zone,  die  Perii)hene  vom  Erythem  Aviedejum  pigmentiert. 
In  jenen  FTillen,  wo  ein  lokales  Rezidiv  eintrat,  schossen  gerade 
an  der  Gicmze  zwischen  der  i)igmeutierlen  Umgehung  und  der 
pigmentlosen  Haut,  neue  liiiseugroße  EffloJ'eszenze'n  hervor;  in 
den  meisten  Fällen  blieben  <Iiese  aus.  Der  ältesle  Fall  ist  jetzt 
seit  der  Behandlung  zwei  IMonate  alt. 

Von  einer  Provokalion  neuer  Psoriasis  Avar  in  keinem  dieser 
F’älle  etwas  zu  merken,  so  daß'  man  zu  dem  Schluß  gedangen 
mußi,  daß'  die  Provokation  nur  (hm  tief  ins  GoAvadie  dringemhm 
Wäimestrahlen  und  dem  Strahlen  vom  i'olen  Ende  des  Souiien- 
si)ektnnns  zu  danken  ist,  wekdie  im  Uviollicdite  vollständig  fehlen. 
Diese  dringen  bekanntlich  dunh  die  ganze  Haut  oft  bis  an  den 
Kmadien,  Avährend  die  ulti'aviohdlen  und  die  dem  A'ioletteu  Finde 
des  Spektrums  näheitiegenden  S'j’ahlen  nur  auf  die  oberen  llaiil- 
schichien  eiiiAvirken. 

'Auf  alh^  Fälle  habim  Avir  mit  dem  Uviollicht  ein  sehr 
becpiemes  Mittel  der  lokalen  'l'herapie,  wehdies  wedei'  dem 
Patienten,  no(di  der  Umgehung  lästig  fällt.  Verbände  unuölig 
macht  und  M’äsche  und  Kleidung  spart.  Nur  für  ganz  invetiuierte, 
jahrelang  dauernde  Plaques,  Psoriasis  Amrrucosa,  Averden  Avohl 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


61b 


intensivere  Wirkungen  notwendig  sein,  mit  deren  tStudiuin  man 
sieli  auf  der  Abteilung  des  Redners  beseliäl’ligt. 

l’rof.  Dr.  Spiegler:  Verehrte  Versammlung!  Der  elfjährige 
Knabe,  den  vor/aislellen  ieli  mir  erlaube,  ist  seit  fünf  Tagen 
(‘rkrankl.  Die  Möglicdikcdl,  ihn  hier  vorzustellen,  verdanke  ich 
ilci’  Lielwmswürdigkeit  dc's  Kollegen  Dr.  Siegmund  Adler.  An 
seiner  Unterlippe  fehlt  die  Sebleimbaul,  die  Oberfblcbe  ist  leicht 
gewncherl,  oberflächlich  mit  sednnierigem  Relag,  heim  Ahwischen 
mit  dem  feuchten  Tupfer  blutet  sie  leicht,  Reim  ersten  Anblicke 
könnte  man  an  luetische  Rapedn  denken,  ein  Irrtum,  vor  dem 
man  indes  durch  nähere  Relrachtung  lei(dit  bewahrt  wird.  Der 
harte  Raumen  ist  mit  schlappen,  trüben  Rlasen  belegt,  das  ganze 
Rild  dem  des  beginnenden  Pem[)higus  mucosae  oris,  d('r  be¬ 
kanntlich  häufig  das  Inilialsladiuin  des  gefürchteten  Pemphigus 
vegetans  bildet,  sehr  ähidich.  Ebenso  finden  wir  Epilhclverlustc 
an  der  K  o  n  j  u  n  k  t  i  v  a  de  r  u  n  t  e  r  e  ii  A  u  g  e  n  1  i  d  e  r  beiderseits, 
ja  an  einer  Stelle  ein  seichtes  Geschwürchen.  Dieses  Kivinkheits- 
hild  ist  von  einem  heginnenden  Pemphigus  klinisch  mir  sehr 
schwer  unteischeidhar.  iVuf  <!ie  diesbezüglichen  differenlialdia- 
gnostischen  Momente  will  ich  hier  nicht  näher  eingelien.  In¬ 
dessen  finden  wir  glücklicherweise  ein  Symptom,  das  die  Dia¬ 
gnose  mit  einem  Schlage  klä.rt:  der  Knabe  hat  nämlich  au  den 
Streckseiten  beider  Unterarme  typische  Effloreszenzen  eines  Ery¬ 
thema  niultiforme,  speziell  jener  Form,  welche  als  Erythema 
ins  bekannt  ist.  Es  handelt  sich  also  hier  um  ein  Erythema, 
niultiforme  mit  Be!<‘iligung  der  Lippen,  der  Mundschleimhaut  und 
was  als  hesonders  seltenes  Vorkommnis  namentlich  hervorgehohen 
sei,  der  Konjunktiven.  Die  Prognose  ist  daher  eine  sehr  gute. 

Dr.  Artur  Foges:  Uemonstration  einer  Ovarientransplan¬ 
talion  in  die  Milz. 

Im  vorigen  Jahre  hat  Payr  über  gelungene  SchiUldrüsen- 
transplantalionen  in  die  Milz  henchtet  und  in  ausgezeichneter 
AVeise  dargelegt,  dah  die  Milz  infolge  ihrer  besonderen  Rlutzirku- 
lationsverhältnisse  für  die  Ein])flanzung  anderer  Organe  sehr  gün¬ 
stige  Redingungen  hietet.  Ich  liahe  diesen  Gedanken  Payrs  auf- 
genomnien  und  hehufs  Süidium  einiger  Fragen  der  inneren  Se¬ 
kretion  in  die  Milz  Eierstöcke  und  Hoden  implantiert. 

Als  vorläufiges’  Resultat  dieser  im  Wiener  physiologisclien 
Institute  angcstellten  Versuche  erlaube  ich  mir,  ein  Präparat 
zu  demonstrieren,  an  welchem  man  die  gelungene  Einheilung 
eines  Ovariums  in  die  Milz  sehen  kann. 

Bei  einer  Häsin  wurde  das  linke  Ovarium  entfernt  und 
hierauf  die  Milz  vor  die  Bauchdecke  vorgezogen;  nach  den  .An¬ 
gaben  Payrs  wurde  die  Kapsel  gespalten  und  duridi  stumpfes 
Wegkratzen  der  Puljia  eine  Tasche  gebildet,  in  welche  das  Ovarium 
.geschoben  wurde;  durch  einige  Seidensuturen  wurde  die  Wunde 
geschlossen  und  mit  Netz  ühernäht.  Bei  iler  sechs  Wochen  später 
vorgenoinmenen  Sektion  zeigte  es  sich,  daß  die  Milz  mit  dem 
.Ma  gen  und  dem  Darme  fest  verwachsen  war;  ents])rech(Mid  der 
Operalionsstellc  war  eine  leichte  Anschwellung  der  Alilz  sichthar, 
auf  deren  Durchschnitt  das  eingelieilte  Ovarium  sich  scharf  ah- 
grenzte. 

Ich  will  auf  histologische  Details  heute  hier  nicht  eingehen, 
sondern  nur  das  eine  bemerken,  daß,  wenn  aücli  ein  Teil  der 
Follikel  verändert  erscheint,  zahlreiche  Follikel  ein  vollkommen 
normales  Aussehen  zeigen.  Es  spricht  schon  dieser  eine  positive 
Versuch  an  der  wegen  ihrer  Kleinlieit  nicht  sehr  geeigneten 
Kaninchenmilz  für  die  Anschauung  Payrs,  daß  die  Milz  für 
Einheilung  von  Organen  ausgezeichnete  Ernährungsliedingungen 
aufweist.  Vielleicht  werden  mm  auch  Heleroplastiken,  die  üeher- 
IragLing  der  Keimdri’ise  von  einem  Tiere  auf  das  anderi*,  so  noch 
besser  gelingen  als  hei  den  peritonealen  Transplantationen 
Knauers  und  Hai  bans;  vielleicht  wird  es  z.  B.  nun  durch 
.Austausch  von  Hoden  und  Ovarien  möglich  sein,  Hai  bans  Hypo- 
Ihese  zu  pri’ifen,  <laß  mäiinliidie  und  weibliche  Keimdrüsen  in 
bezug  auf  <lie  innere  Sekretion  identisch  seien.  Zum  Schlüsse 
möchte  ich  nur  noch  bemerken,  daßi  es  wohl  der  Mühe  wert  sein 
könnte,  hei  den  so  oft  gescheiterten  Versiudien  maligne  Neo- 
plasnien  auf  Tiere  zu  übertragen,  die  Milz  als  Einiiflanzungsstellc 
zu  verwerten,  was  meines  W'issens  bisher  noch  nicht  ge¬ 
schehen  ist. 

Diskussion:  Prof.  Kreidl  berichtet  über  Versuche  von  Im¬ 
plantationen  von  Nebennieren  in  die  Alilz.  Drei  Monate  nach  der 
0{)cration  ergab  die  histologische  Untersuchung  normales  Nehen- 
nierengewehe.  Die  Versuche,  die  in  Gemeinschaft  mit  Privaldozent 
Dr.  Mandl  ausgeführt  wurden,  werden  fortgesetzt. 

Prof.  Dr.  Biedl:  Im  .Anschlüsse  an  die  intoressaide  Demon¬ 
stration  von  Kollegen  Dr.  Foges  möchte  ich  auch  fiber  einige 
Transplantalionsversuche  von  Organen  mit  innerer  Sekretion  he- 
ricliten,  welche  ich  nach  der  Methode  von  E.  Payr  ausgeführt 
habe.  Schon  vor  mehreren  Jahren  habe  ich  anläßlich  meiner 
Untersuchungen  über  die  funktionelle  Bedeutung  der  Schilddrüsen 


und  der  Glandulae  parathyrisoideae  Transplantationen  der 
Epithelkörperchen  versucht,  allerdings  mit  wenig  hetrie- 
digendtm  Erfolge.  Mdr  wissen  ja,  daß  auch  die  erstell  VenSüdie 
V.  Eiselshergs,  Scliilddrüscn  in  (bis  subkutane  und  suhfasziah! 
Gewebe  zU  Iransiiiaulieren,  nur  in  wenigen  Füllen  gelungen  sind; 
diesen  mUß  allerdings  eine  große  Beweiskraft  zuerkannt  werden. 
Das  Payrsche  A^erfahrcu,  die  Organe  in  die  Milz  zu  implantieren, 
habe  ich  nun  an  mehreren  Tieren  (Hunden  und  Kaizen)  mit 
je  zwei  Eiiithelkörperchen  ausgeführt  und  konnte  stets  ihn 
promptes  Einheilen,  das  sich  durch  die  ausreiidiende  Funktion  der 
transplantierten  Ejiithelkörperchen  feststellen  ließ,  beobachten.  Ich 
verfüge  gegenwärtig  über  zwei  Hunde,  welchen  Vor  uugeführ 

einem  Monatie  zwei  eigene  Eiiithelkörperchen  in*  die  Milz 

verpflanzt  wurden.  Das  eine  Tier  üherstand  die  dreizehn 

Tage  später  vorgenommene  Tolale.xslirpalion  der  Schild¬ 
drüsen  und  der  anderen  zwei  Parathyreoiden  ohne  irgend¬ 

welche  Störungen.  Der  zweite  Hund  zeigte  vier  Tage  nach  der 
Exstirpation  der  Schilddrüsen  ilas  Bild  der  schwersten  Tetanie. 
Auf  Grund  meiner  früheren  Erfahrungen  habe  ich  dem  Tiere 
große  Dosen  von  vSchilddrüsentahleiten  (30  Stück  im  Laufe  des 
Tages)  mittels  Schlundsonde  in  den  Magen  eingeffihrt.  Nach  einer 
vorühei'gehenden  Besserung  traten  noch  am  selben  Ahmid  aus- 
gehreitete  klonische  Aluskelzuckungen  und  Iclanische  Respirations- 
muskelkrämpfe  auf,  so  daß  <Ias  Tier  als  verloren  gelten  mußte. 
Am  nächsten  Morgen  war  aher  der  Hund  ganz  frisch,  zeigte 
keinerlei  Symptome  von  Tetanie,  hingegen  große  Freßlust  und 
er  befindet  sich  nunmehr  seit  einer  Woche  vollkommen  wohl, 
hat  an  Körpergewicht  zugenommen.  Icli  helmchte  diese  transi¬ 
torische  Tetanie  als  ein  Zeichen  der  funktionellen  Insuffizienz 
der  in  der  Alilz  eingeheilteii  Epithelkörperchen,  gegenülier  den 
erhöhten  Anforderungen,  welche  an  ihre  Tätigkeit  mit  der  Ent¬ 
fernung  der  zwei  anderen  Eiiithelkörperchen  plötzlich  gestellt 
wurden. 

Außer  diesen  Autotransplanlationen  habe  ich  noch  je  zwei 
Epithelkörperchen  von  anderen  .Tieren  derselhen  Art  in  die  Alilz 
verpflanzt  und  liesitze  jetzt  einen  Hund  und  eine  Katze  mit 
je  zwei  überschüssigen,  in  die  Alilz  implantierten  Epithelkörpcr- 
•cheii.  .An  diesen  Tieren  ist  bisher  nichts  Besonderes  wahrzu¬ 
nehmen. 

Weiters  habe  ich  auch  die  Transplantation  der  einem  frisch 
getöteten  Tiere  steril  entnommenen  Hypophyse  in  die  Alilz  einer 
Katze  ausgeführt. 

Transplantationen  von  Nebenniere  in  die  Alilz  endlich  sind 
in  der  Absicht  unternommen  worden,  um  die  von  mir  vertretene 
Anschauung  von  der  funktionellen  Bedeutung  der  Nebennieren- 
rinde  auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen.  Wie  ich  vor  fi’inf  Jahren 
an  dieser  Stelle  auseinandergesetzt  habe,  kommt  die  wohlbekannte 
physiologische  Wirkung,  welche  wir  dem  Extrakte  der  Neben¬ 
nieren  schlechtweg  zuschreihen,  nur  der  Alarksuhstanz  dieses 
Organes,  oder  richtiger  nur  den  chromaffinen  Zellen  zu.  Die 
letzteren  sind  eben  im  Nehennierenniarke  zu  einer  größeren  Gruiipe 
vereinigt,  finden  sich  aber  zerstreut  aueb  in  den  sympathischen 
Ganglien.  Die  Rinde  der  Nebenniere  hingegen  ist  ihrer 
Struktur  nach  eine  Drüse  mit  innerer  Sekretion  und  der  für 
die  Erhaltung  des  Lehens  unei'Iäßlich  notwendige 
.Anteil  des  Organes.  Die  bekannten  Tatsachen,  daß  einerseits 
hei  den  meisten  Tierarten  die  Entfernung  beider  Nebennieren 
nach  wenigen  Tagen  sicher  zum  Tode  fi’ihrt,  während  die  Exstir¬ 
pation  einer  Nebenniere  ohne  weitere  Folgen  bleibt  und  daß 
anderseits  bei  jenen  Tieren,  welche  nach  der  Totalexstirpation 
des  Organes  am  Leben  geblieben  sind,  stets  akzessorische  Nehen- 
nieixm  anzulreffen  waren  —  z.  B.  die  fast  immer  überlebenden 
weißen  Ratten  haben  in  ßöAo  der  Fälle  gewöhnlich  an  den 
Hoden  schon  makroskopisch  sichtbare  akzessorische  Neliennieren 
—  diese  Tatsachen  haben  zur  Untersuchung  der  Frage  Veran¬ 
lassung  gegeben,  welche  Alenge  von  Nchennierensubstanz  zur 
Eihaltung  des  Lebens  notwendig  sei.  Alan  fand  Vn,  Vs,  ja  ^/u 
des  Gesamtgewichtes  der  Nebennieixm  hinreichend,  ohne  näher 
zu  herücksichtigen,  welcher  Teil  des  Organs  ziirückgehliehen  ist. 

.Auch  das  wiederholt  festgesicllle  völlige  Versagen  der  Sub- 
stitulionslherapie,  die  Fütterung  oder  subkutane  Einverleibung 
von  Nelieiinierenoxtrakt  hei  nebennierenlosen  Tieren,  blieb  iin- 
heachtel.  Von  der  Erwägung  ausgehend,  daß  die  echten  akzc'ssori- 
schen  Nehimnieren  ihrem  Baue  nach  der  Rindensuhstanz  ghdehen, 
daß  weiters  stets  nur  die  Rindensuhstanz  eine  kompensatorische 
Hypertrophie  aufweist,  habe  ich  zunächst  an  Selachiern,  die,  den 
zwei  Teilen  der  Nebenniere  entsprechend,  zwei  voneinander  ge¬ 
trennte  Organe  hesilzen,  die  der  Rinde  der  Neliennieren  analogen 
Interrenalkörper  exstirpiert  und  feslstellen  können,  daß  die 
Tiere  nach  einiger  Zeit  unter  allgemeiner  Prostration  in  gleicher 
Weise  zugrunde  gehen,  wie  die  Säugetiere  nach  Thitfernung  der 
Nebennieren.  Später  habe  ich  unter  Zuhilfenahme  einer  voran- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


"clicndon  Traiis]danfalif)ii  oder  ricdilis«'!'  Dislokation  der  (diieii 
.N(diciiiii(“io  zwistdien  Haul  und  Aluskulalur  des  Ilückens  aucli 
itei  einigen  Hunden  zeigen  können,  daß'  die  Tiere  ülierlelien 
können,  wenn  sie  nur  ein  Stückchen  Rindensubslanz  nocli  tie- 
halten. 

Hei  der  Transplantation  in  die  Alilz  liatie  icli  nun  ge- 
Iractdel,  aus.scldi(dilicti  Rindensubstanz  einzupfropfen,  in  der 
Weise,  daß  icli  eine  Netienniere  durcti  einen  Sektionssctinill  lial- 
bierti',  die  sicdifbai'e  Alatksulislanz  mit.  A'Iesser  und  scliarfem  laiffel 
enifernte  und  dann  erst  beide  NetiennicrenliälfLen  an  zwei  ver- 
sctiiedenen  Stellen  in  die  Alilz  versenkte.  Die  Kntfernung  der 
anderen  Netienniere  und  die  liislologisclie  Untersu(dnnig  der  ein- 
g(di('illen  Stücke  tvird,  wie  icli  lioffe,  den  eiiuvandfreien  Rcweis 
ertiringen,  daß  die  Tiere  zuin  Ueberleben  keine  AI  a  r  k  s  u  ti  s  ta  n  z, 
sondi'rn  tiloß  Rinde  der  Nebenniere  lienötigen. 

Zum  Scldusse  niöctite  icli  nochmals  hervorhehen, *daß  die 
Aletliode  von  Payr  auch  nach  meinen  Erfahrungen  ein  äußerst 
einfache.s,  sehr  leicht  ausführhares  und  sicheres  Transplantations¬ 
verfahren  darstellt.  DieRluhmg  aus  der  Alilzwunde  kann  wenigstens 
hei  der  sehr  muskelreichen  Alilz  von  Hunden  und  Katzen  schon 
dnndi  eine  Naht  leicht  gestillt  werden;  eine  plastische  Deckung 
durch  Annähen  des  Netzes  war  niemals  notwendig. 

Dr.  Ruciira:  Da  Dr.  Foges  in  seiner  vorläufigen  Alit- 
teilung  die  Frage  der  heteroplaslischen  Transplantation  und  der 
Ih'berpflanzung  von  Hoden  auf  weihliche  Tiere  lierührl  hat,  so 
(“i'lauhe  ich  mir,  über  meine  diesbezüglichen  A^ersuche  Alilteilung 
zu  maidien.  Auch  ohne  nach,  der  Alethode  Payrs  zu  operieren, 
ist  es  mir  gelungen,  sowohl  ein  Aleerschweinchenovar  als  auch 
Kaniiudienhoden  auf  kastrierte  weibliche  Kaninchen  mit  Erfolg 
zu  lraiis])lanlieren.  R:  i  der  he'eroplastischen  Trans[)lanl.ation  des 
Ovars  heilte  dassellx'  ein  und  bei  Tötung  ties  ßieres  zu  einer 
Zeit,  wo  an  Konirolllieren  die  Kastrationsalropbie  weit  vorge- 
schrithm  war,  zeigte  der  Uterus  absolut  keine  Zeichen  von 
.Atrophie.  Im  auf  das  Kaninchen  überpflanzten  Aleerschweinchen¬ 
ovar  fanden  sich  wohlentwickelte,  tadellos  erhaltene  Follikel.  Es 
vermochte  also  das  artfremde  Ovar  die  Kastra.lionsatrophie  des 
Uterus  aufzuhalten.  Auch  die  Hodeniransplantation  gelang  inso- 
ferne,  als  nach  einem  ungefähr  zweimonatigen  Zeiträume  ein’ 
Teil  der  Hodenkanälchen  intakten,  zelligen  Inhalt  aufwies  Und 
Spermatozoen  iii  densedben  iiachgewiesen  werden  konnten.  Die 
Kaslrationsairophie  des  Uterus  wurde  aber  ilurch  die  eingeheilten 
Hodeidvanälchen  nicht  aufgehalten. 

Pi'iinararzt  Dr.  Fabricius;  Ich  hatte  schon  gelegentlich  der 
Demonstration  der  Präparate  von  Extrauteringravidität  erwähnt, 
daß  wir  nicht,  selten  A'erwachsungen  der  Adnexe  mit  dem  Appendix 
finden.  Das  henlige  Prä|)arat,  das  ich  Ihnen  vorstelle,  stammt 
von  einer  ßUjähiigen  Ikilientin,  rvelche  mir  von  einem  Kollegen 
zugeschickt  wurde,  weil  die  Patieniin  starke  Rlutungen  hatte  und 
nebenbei  auch  über  Kreuzschmerzen  klagte.  Die  gynäkologische 
Untersuchung  ergab,  daß  es  sich  um  ein  ungefähr  kindskopf¬ 
großes  Alyom  handelte..  Ich  machte  hei  der  ziemlich  anämiscdien 
Patientin  die  Laparotomie  u.  zw.  die  supravaginale  Amputation 
des  Uterus,  wobei  ich  in  solchen  Fällen  nur  einen  kleinen  Rest 
der  Zervix  zurücklasse.  Der  Verlauf  war  ein  vollkommen  nor¬ 
maler.  Interessant  ist  am  Prä])arate  die  A'^erwachsung  des  Ova- 
riums  mit  dem  .Appendix,  dim  ich  mitenifernte.  Beide  sind  durch 
einen  ungefähr  2  mm  dicken  und  2  cm  langen  Strang  mitein¬ 
ander  vei’hunden.  Im  Appendix  waren  die  Erscheinungen  eines 
Kalari'hes  vorhanden.  Den  Grund,  warum  ich  Ihnen  das  Prä¬ 
parat  hier  vorslelle,  wird  Ihnen  der  nächste  Fall  heweisen.  Er 
erinnerte  mich  in  mancher  Hinsicht  an  jenen,  den  Herr  Kollege 
Lorenz  vor  acht  Tagen  hier  besprach. 

Ich  wurde  am  5.  April  1904  von  Herrn  Dr.  Pollak  zu 
einer  ()7.jährigen,  schwächlichen,  anämischen  Patientin  geiufen, 
welidie  fünfmal  gelmren  halte  und  bis  auf  eine  Erkrankung  vor 
20  Jahren,  die  eine  Retroversion  des  Uterus  zur  Folge  halle,  stets 
gesund  war.  Seit,  einigen  AVochen  litt  Pal.  an  Diarrhöen.  Am 
2.  Aiuäl  traten  heftige  Koliken  auf,  am  4.  April  intensives 
galliges  und  <lann  kolartiges  Erbrechim,  es  gingen  keine  AVindc 
ab  mul  auf  Klysma  nur  Stuhl  aus  den  unteren  Darnribscimitlen, 
der  Pauidi  war  mcleoristisch  aufgetrieben.  Da  sich  das  Refinden 
weseidlich  verschlimmerte,  wurde  iidi  am  5.  April  zugezogen. 

Ich  fand  die  Patientin  sehr  schwach,  das  Abdomen  slaik 
meleoristisch  aufgelrieben,  die  Gegend  des  Appendix  wmr  imi- 
])findli(di,  ich  hatte  hier  das  Gefühl,  als  oh  auch  eine  leichte 
Dämpfung  vorhanden  sei.  Die  Untersuchung  per  rectum  ergab, 
daß  (mtsiu’echend  der  recblen  Seite  ein  über  faustgroßer,  ]n'all 
gespannter  Tumor  vorhanden  sei,  wehdier  das  Rektum  kompri¬ 
mierte.  Dil'  Ti'inperatur  betrug  am  Abend  ßSo”,  Puls  120  bis  125. 

Alil.  Rücksicht  auf  diesen  Refund  und  das  kontinuierliche 
gallige  Erbrechen  hielt  ich  die  Operation  für  angezeigt  und  nahm 
diesi'  noch  am  selben  .Abend  im  Sanatorium  Löw  vor. 


•  Bei  der  Lajiarotomie  entleerte  sich  aus  der  freien  Bauch¬ 
höhle  eine  große  Alenge  blutig  seiüser  Flüssigkeit,  hdi  ging  gleich 
auf  den  in  der  rechten  ReckenhäUäe  vom  Rektum  aus  gefaßten 
Tumor  los  und  da  zeigtii  sich,  daß  dieser  Tumor,  der  wie  eine 
slielgedrehle  Zyste  aussah,  einer  stark  gehlähten,  dunkel  hiaurot 
gefärhten  Dünndarmschlinge  entsprach,  welche  hier  inkarzeriert 
\var.  Diese  iid^arzerierle  Darmschlinge  w'ar  von  normalen  Därmen 
üheriagerl.  Ich  zog  die  Därme  auf  die  Seite  und  fand,  daß  unge¬ 
fähr  25  cm  Dünndarm  inkarzeriert  waren;  die  Inkarzeralion  wurde 
dundi  einen  dümren  Strang  hedingt,  welcher  von  der  Spitze 
des  Apjiendix  zu  <len  Adnexen  zog.  Die  Dünndarnischlinge  war 
von  der  Seite  der  rechten  Heckenwand  durch  den  zwischen  Appen¬ 
dix  und  Adnexen  gebildeten  Spalt  nach  der  Reckenmilte  getreten. 
Der  Darm  war  so  intensiv  dunkel  verfärhl,  daß  ich  eine  (langrän 
hefüi'chlete.  Das  hohe  Aller  und  der  elende  Zustand,  in  dem 
sich  die  Patieniin  befand,  veranlaßten  mich,  die  Operation  schnell 
zu  Ende  zu  führen.  Diese  bestand  darin,  daß  ich  die  .Adhäsion 
durchlrennte  und  den  Appendix  samt  der  Adhäsion  entfernte. 
Der  Heilungsverlauf  war  ein  vollkommen  ungestörter  und  glatter. 
Es  war  also  in  diesem  Falle  die  Adhäsion  zwischen  Appendix 
und  Adnexen  die  Ursache  der  Inkarzeralion. 

Dr.  Rudolf  Pollak  berichtet  über  einen  Fall,  den  er  vor 
drei  Wochen  an  der  Kinderspitalsahteilung  tier  allgemeinen  Poli¬ 
klinik  (Vorstand:  Prof.  Alonti)  zu  heobaclilen  Gelegenheit  halte. 
Es  handelte  sich  um  einen  Ißjährigen  Knahen,  der  seit  zirka 
zw’ei  Alonaten  über  Appetitlosigkeit,  zunehmende  Schwäche  klagte; 
auch  bemei'kte  er,  daß  das  Abdomen  in  der  letzten  Zeit  sich 
auffällig  vergrößerte.  Aus  dem  klinischen  Status  seien  hervor- 
gehohen :  Auffallende  Blässe  der  Haut  und  Schleindiäule,  systo¬ 
lisches  Geräusch  an  der  llerzsiiitze ;  eine  exquisite  Druckem¬ 
pfindlichkeit  des  Sternums  und  der  langen  Röhrenknochen;  ein 
kolossaler  Alilzlumor,  der  nach  rechts  bis  in  die  recht  verlängerte 
Alamillarlinie  unit  nach  abwärts  bis  ins  kleine  Becken  reichte. 
Lehe)-  gleichfalls  vei'größert,  die  Drüsen  zu  heiden  Seiten  des 
Halses,  in  der  Achsel-  und  Leistengegend  his  pflauniengroß.  Rlut- 
befund :  2,200.000  rote  Blutkörperchen,  Hämoglohingehalt  dOT» 
(Sahli),  11.200  Leukozyten.  Unter  diesen  fanden  sich  97 Vo 
Lymphozyten  und  von  diesen  waren  68A'o  große  atypische,  <'in- 
kernige  Zellen,  mit  großem,  hie  und  da  leicht  eingebuchteten 
Kern  und  schmalem,  basophilen  Protoplasma.  Die  roten  Rlut- 
kör))i‘)-chen  zeigen  leichle  Größendifferenzen,  keine  Polichromato- 
philie.  In  sämtlichen  durchmusterten  Präparaten  konnte  nur  ein 
kerid)altiger  Erythrozyt  (Normohlast)  gefunden  wei’den. 

Alit  Rücksicht  aut  die  geringgradige  Vermehrung  der  Ge- 
samtleukozylenanzahl  und  die  hochgiadige  re'aüve  Lymijhozytose 
wäre  der  Fall  als  ,,sublymphämische  Lymiihomatose“  ('Pürk) 
zu  hezeiclmen.  Im  weiteren  Verlaufe  trat  nun  eine  bedeutende 
Verminderung  der  Leukozytenzahl  bis  zu  beträchtlicher  Leuko¬ 
penie  ein,  so  daß  am  dritten  Tage  5200,  am  fünften  Tage  3000 
und  am  sieben tmi  Tage  bloß  1400  Leukozyte)i  gezählt  wurden. 
Das  pi'ozeiduale  A'erhältnis  hielt  sich  dabei  in  den  oben  ange¬ 
führten  Grenzen.  Am  achten  Tage  der  Spitalsheobachtung  kam 
es  zu  einem  Anstieg  der  Leukozytenanzahl  i(l3,500).  Am  sellien , 
Tage  ging  der  Knaho,  der  die  ganze  Reohachtungszeit  hindurch 
kontinuierlich  hoch  fieberte  (zwischen  39*’  und  dO**)  unter  Stau- 
ungs-  und  Herzinsuffizienzerscheinungen  zugrunde.  Bei  der  Ob¬ 
duktion  (Prof.  Albrecht)  fanden  sich  sämllich'C  Drüsen  be¬ 
deutend  vergrößert ;  die  enorm  große  Alilz  hat  ein  Gewicht  von 
2500  g,  die  Leber  ein  solches  von  2300  g.  Die  Nieren  hedeu- 
tend  vei'gi'ößerl  (9X7X5  cm)  und  infil liiert.  Das  Knochenmark 
dunkelbluti'ot  mit  kleinen  grauen  Herden. 

Die  histologische  Untersuchung  (Pi'of.  Alhrecht)  ergibt 
nicht  nur  eiidache  lymphozytärc  Infiltration  der  Organe  (Drüsen, 
Alilz,  Leher,  Niere,  Dura  mater,  Darmschleimhaut,  A[)pendix), 
sondern  auch  überall  sarkomatöses  Uebergreifeu  auf  die  Um¬ 
gebung.  Die  Zellen,  große  Rundzellen  mit  großem  Kerne,  ent- 
sprechen  dui'cbaus  den  im  Blute  gefundenen  grolk'ii  einkei-nigen 
Zellen. 

Vortr.  weisl  darauf  hin,  daß  derartige  Fälle  von  Lymph- 
ämie,  wie  die  der  oben  beschriebene,  mit  Rücksicht  .auf  den 
hämalologische)!  (niakrolymi)hozytäre  Form)  und  den  hislologi- 
sidien  Befund  (aggressives  sai’komal.öses  AVachslum),  von  Slern- 
herg  als  selbständiges  Krankheilsbild  von  der  lymphatischen 
Leukämie  abgelrennl  und  als  Leukosarkomalose  hezeicluiet 
wui-ilen.  Lehnd  orf  konnte  in  vier  Fällen  von  großzelliger  Lymph- 
ämie  schon  makrosko])isch  oder  wenigstens  histologisch  Sarkoni- 
hildung  nachweisen.  Gegen  die  Auffassung  Sl.ej' n  h  e  i' g  s  wenden 
sich  Pap  pen  heim  und  Türk.  Letzterer  hat  Fälle  von  miki'O- 
lymphozytäii'i'  Form  ndt  aggi'cssivem  Wachstum  beobachtet,  andei’- 
seils  bei  der  großzelligen  Form  manchmal  nur  reine  Hyper¬ 
plasie  gefunden. 


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Dio  in  deni  ohigini  l)ool);tclil(ete  l^oukoiK'nio  findet 

unter  undereni  ein  Analogon  in  zwei  Fällen  Türks  ((mikm'  mit 
einer  Leukozytenanzalil  von  1700)  lind  in  einem  jüngst,  von 
Sluka  aus  der  Fseheric  lisclien  Klinik  deinonstrimlen  Fall. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  2.  Mai  1907. 

A.  S  c  h  ü  1 1  e  r  stellt  eine  F rau  mit  Spondylitis  der 
L  e  n  d  e  n  w  i  r  b  e  1  s  ä  u  1  e  vor.  Pat.  bekam  Schmerzen  im 
Kreuz  und  in  den  Beinen,  beide  Patellarreflexe  fehlen, 
alle  übrigen  ReQexe  sind  lebhaft.  Dqi’  3.  bis  5.  Lenden¬ 
wirbel  sind  druckempfindlich.  Die  Röntgenuntersuchung  ergab 
eine  Destruktion  des  4.  Lendenwirbels,  welche  zur  Ver¬ 
schiebung  des  3.  Lendenwirbels  geführt  hat.  Der  Destruktions¬ 
prozeß  hat  das  4.  lumbale  Nervenwurzelpaar  in  Mitleidenschaft 
gezogen.  Die  Behandlung  wird  im  Tragen  eines  geeigneten  Mieders 
bestehen. 

Ferner  demonstriert  A.  Schüller  das  Röntgenbild  eines 
Falles  von  asymmetrischer  Assimilation  des 
5.  Lendenwirbels  an  das  Kreuzbein.  Der  linke  Quer¬ 
fortsatz  ist  normal,  der  rechte  ist  massiv  entwickelt  und  hängt 
mit  dem  Kreuzbein  zusammen.  Diese  Abnormität  ist  bei  dem 
20jährigen  Mädchen  seit  2' Io  Jahren  die  Ursache  von  Kreuz¬ 
schmerzen,  welche  namentlich  das  Gehen  sehr  erschweren 
und  früher  von  einer  Spondylitis  oder  von  Hysterie  hergeleitet 
wurden. 

Al.  Strasser  weist  darauf  hin,  daß  von  Jul.  Braun  im 
Jahre  1875  zahlreiche  ähnliche  Fälle  beschriehen  worden  sind  ; 
dieser  führt  die  Aetiologie  des  Leidens  auf  eine  rheumatische 
Affektion  zurück,  welche  zur  Osteophytenbildung  und  durch 
Druck  derselben  zu  Reizerscheinungen  an  den  Nerven¬ 
wurzeln  führt. 

Herrn.  Schlesinger  bemerkt,  daß  die  pathologisch-ana¬ 
tomische  Stellung  der  Affektion  noch  nicht  sichergestellt  sei. 

Al.  Strasser  und  Pu.  B  1  u  m  e  n  k  r  a  n  z :  Z  u  r  p  h  y  s  i- 
kalischen  Therapie  der  Nephritis.  Gestützt  auf 
onkometrische  Studien  über  die  Blutversorgung  der  Bauchorgane, 
insbesondere  der  Niere,  welche  von  Strasser  und  Wolf 
durchgeführt  worden  sind,  dachten  die  Vortragenden  die  besten 
Bedingungen  für  den  Nierenkreislauf  dann  gefunden  zu  haben, 
wenn  jedweder  Reiz  von  der  Körperoberfläche  ferngehalten  wird, 
also  z.  B.  in  einem  indifferenten  Wasserbade.  Die  Auffassung 
von  der  Wirkung  der  Hautreize  im  Sinne  einer  ,, Ableitung“  von 
der  Niere  halten  die  Vortragenden  für  unrichtig,  da  die  Haut¬ 
reize  in  der  Niere  stets  dieselben  Kreislaufveränderungen  hervor- 
rufen  wie  in  der  Haut  selbst,  speziell  Kälte  ruft  in  der  Niere 
dieselbe  Gefäßkontraktion  hervor  wie  in  der  Haut  und  bei 
dauernder  Kälte  (auf  die  Haut  appliziert)  sind  lange  dauernde 
Krämpfe  der  Nierengefäße  zu  sehen,  welche  wahrscheinlich  Kreis¬ 
laufstörungen  im  Sinne  von  Ischämie  oder  Stase  machen.  In 
gleichmäßig  warmer  Umgehung  findet  in  breiten  Bahnen  eine 
unbehinderte  gute  Durchströmung  der  Niere  statt.  Die  Vortragenden 
prüften  an  einer  Anzahl  von  Nephritikern  verschiedener  Art  den 
Einfluß  von  Bädern  von  34  his  35"  C  und  einer  Dauer  von  1  bis 
172  Stunden  u.  zw.  den  Einfluß  auf  die  Diurese,  auf  die  Stick¬ 
stoff-,  Eiweiß-  und  Kochsalzausscheidung  und  kamen  zu  dem 
Resultate,  daß  die  genannten  Bäder  alle  Ausscheidungen  der 
Niere  ganz  wesentlich  bessern.  Die  Versuche  im  Nahrungs-  und 
Wassergleichgewicht,  in  Tages-  und  Stundenperioden  unter  viel¬ 
facher  Kontrolle  ergaben  stets  dasselbe  Resultat.  Auch  haben 
die  Vortragenden  die  üblichen  Wasser-  und  Kochsalzbelastungs¬ 
proben  auf  Verdünnungs-  und  Verdichtungsfähigkeit  der  Niere 
angestellt  und  sie  fanden,  daß  die  Bäder  die  Niere  in  ihrer  Be¬ 
strebung,  bei  übermäßiger  Zufuhr  von  Wasser  und  Kochsalz  das 
Gleichgewicht  dennoch  aufrecht  zu  erhalten,  bedeutend  unter¬ 
stützen.  Die  Erörterung  der  Wirkungsweise  führt  die  Vor¬ 
tragenden  in  eine  Kontroverse  mit  der  gangbaren  klinischen  Auf¬ 
fassung  über  die  ,, Ablenkung“  des  Wassers  etc.  von  der  Haut 
zur  Niere  oder  umgekehrt.  Sie  beweisen  an  der  Hand  der  er¬ 
haltenen  Versuchsresultate,  daß  man  die  Erscheinungen  mit  der 
„Ablenkung“  nicht  erklären  könne,  sondern  vielmehr  annehmen 
müsse,  daß  die  Bäder  eine  echte  Funktionssteigerung  Besserung 
der  Niere  —  bewirken.  Ein  Schweißversuch  zeigt  sehr 
interessante  Resultate.  Es  wurde  wieder  festgestellt,  daß  Schwitz¬ 
bäder  trotz  des  Wasserverlustes  durch  die  Haut  die  Diurese  noch 
heben  können  und  daß  die  Stickstoff-  und  Salzausscheidung  im 
Harn  durch  Schwitzbäder  bedeutend  gesteigert  wird.  Die  Vor¬ 


tragenden  sahen  aber,  daß  im  Verlaufe  der  Schwitzbäder  bei 
vollständigem  Wasser-  und  Kochsalzgleichgewicht  unter  urämischen 
Erscheinungen  ein  deutliches  HauLödem  auftrat.  Da  die  neuer¬ 
dings  für  das  Entstehen  von  Hautödem  in  Anspruch  genommene 
Betention  von  Wasser  oder  Kochsalz  sicher  nicht  vorlag,  glauben 
die  Vortragenden,  daß  es  sich  in  dem  beobachteten  Falle  um  ein 
Gedern  handelte,  welches  durch  Gefäßschädigung  entstand,  und 
sic  suchen  den  Grund  für  diese  letztere  in  der  Richtung  der 
urämischen  Intoxikation.  Die  Wirkung  der  verschiedenen  Bäder 
auf  die  Albuminurie  ist  in  kurzen  Versueben  nicht  ersichtlich ; 
lange  dauernde  Behandlung  mit  indifferenten  Bädern  hatte  eine 
sehr  gute  Wirkung,  die  Albuminurie  verschwand  in  mehreren 
Fällen.  Die  Vortragenden  zeigen  noch  an  der  Hand  eines  genau 
beobachteten  Falles  von  akuter  hämorrhagischer  Nephritis  die 
ausgezeichnete  Wirkung  von  indifferenten  Bädern  auf  Diurese, 
Stickstoff-  und  Kochsalzausscheidung.  Zuletzt  hesprechen  sie  die 
Technik  der  verschiedenen  Bäder  (indifferente  Bäder,  1  bis  1 V2  Studen) 
und  heben  die  Notwendigkeit  der  systematischen  Anwendung 
indifferenter  Bäder  hervor.  Bei  Schwitzbädern  ist  es  wichtig, 
darauf  zu  achten,  daß  die  Körpertemperatur  nicht  rasch  und 
nicht  für  lange  Zeit  wesentlich  in  die  Höhe  getrieben  werde. 

K.  V.  N  o  o  r  d  e  n  bemerkt,  daß  vieles  bisher  empirisch 
in  der  Therapie  Bekannte  durch  den  Vortrag  eine  Erklärung  ge¬ 
funden  hat. 

H.  Schur  bemerkt,  daß  sich  Kochsalz  zur  Probe  auf  die 
Verdichtungsfähigkeit  der  Niere  nicht  eigne,  da  es  ihm  bei  seinen 
Versuchen  nicht  gelungen  ist,  durch  Verabreichung  von  Kochsalz 
die  molekulare  Konzentration  des  Harnes  zu  erhöhen.  Vortragender 
habe  über  die  Herkunft  des  Wassers  bei  dem  Oedem  nach 
Schwitzbädern  nichts  erwähnt;  da  vollständiges  Wassergleich¬ 
gewicht  bestand,  könnte  diese  geringe  Flüssigkeitsmenge  inner¬ 
halb  der  Ver.suchsfeblergrenze  liegen.  Schur  hat  ebenfalls  die 
günstige  Wirkung  der  Schwitzbäder  auf  die  Nierenfunktion  her¬ 
vorheben  können. 

K.  V.  Stejskal  weist  darauf  hin,  daß  bei  seinen  Unter¬ 
suchungen  über  Diuretinwirkung  bei  Nephritis  durch  dieses 
Mittel  die  Albuminurie  herabgesetzt  wurde. 

K.  V.  No  Orden  bemerkt,  daß  das  Diuretin  bei  ver¬ 
schiedenen  Menschen  und  auch  bei  demselben  Individium  zu 
verschiedenen  Zeiten  einen  wechselnden  Effekt  zeigen  kann,  man 
kann  auch  die  Untersuchungsergebnisse  nicht  vom  Gesunden  auf 
Kranke  übertragen. 

L.  Hofbauer  betont,  daß  auf  das  Ergebnis  eines  Ver¬ 
suches  auch  das  Alter  der  Tiere  einen  Einfluß  hat.  Es  wäre  die 
Beantwortung  der  Frage  wichtig,  ob  es  eine  Erkältungsnephritis 
gibt  oder  nicht. 

A.  Strasser  erwidert,  daß  er  die  Verdichtungs-  und  Ver¬ 
dünnungsproben  nur  nebenbei  ausgeführt  und  auf  dieselben  kein 
großes  Gewicht  gelegt  habe ;  übrigens  sprachen  sie  in  seinem 
Sinne.  Das  Wasser  in  den  Oedemen  nach  protrahierten  Schwitz¬ 
bädern  rührt  nicht  von  retinierter  Flüssigkeit  her,  welche  infolge 
eines  Versuchsfehlers  der  Beachtung  entgangen  wäre,  da  der 
Körper  immer  in  sich  so  viel  Wasser  hat,  daß  ein  Oedem  ent¬ 
stehen  kann.  Die  Tierversuche  vieler  Autoren  kann  man  nicht 
auf  die  Therapie  übertragen,  da  sie  unter  Bedingungen  angestellt 
waren,  durch  welche  die  so  empfindliche  Niere  geschädigt  werden 
mußte.  Das  Vorhandensein  einer  Erkältungsalbuminurie  ist  fest¬ 
gestellt,  sie  beruht  wahrscheirdich  auf  Zirkulationsstörungen  und 
geht  vorüber.  Wahrscheinlich  existiert  auch  eine  Erkältungs¬ 
nephritis.  Abgekühlte  Tiere  bekommen  durch  Erkältung  nicht  nur 
Albuminurie,  sondern  auch  Nephritis.  Es  ist  andrerseits  aber 
auch  festgestellt,  daß  Erkältung  nicht  von  Albuminurie  gefolgt 
sein  muß,  hier  zeigt  sich  ein  deutlicher  Einfluß  bei  der  Abhärtung, 
wie  dies  auch  bezüglich  der  Albuminurie  nach  Muskelanstrengung 
der  Fall  ist. 

K.  V.  No  Orden  hat  bei  seinen  Versuchen  gefunden,  daß 
Kaninchen,  welche  an  Wärme  gewöhnt  waren  und  dann  der  Kälte 
ausgesetzt  wurden,  Albuminurie  bekamen,  dagegen  abgehärtete 
Tiere  nicht.  Die  Möglichkeit  einer  Erkältungsnephritis  läßt  sich 
nicht  leugnen ;  ob  dieselbe  durch  Zirkulationsstörungen,  welche 
sich  von  der  Haut  auf  die  Niere  übertragen,  oder  durch 
Toxine,  welche  durch  die  Kälte  in  der  Haut  analog  wie  bei  Haut¬ 
verbrennungen  gebildet  werden,  entsteht,  ist  noch  fraglich. 

W.  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  hat  wiederholt  vorübergehende  Albuminurie 
nach  Erkältung  beobachtet.  Nach  den  Selbstversuchen  von 
C  h  0  d  o  u  n  s  k  y  kommt  die  Erkältungsalbuminurie  nicht  hei 
jedem  Individuum  zustande,  es  müssen  da  noch  andere  Verhält¬ 
nisse  eine  Rolle  spielen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


Der  24.  Kongreß  für  innere  Medizin 

zu  Wiesbaden,  15.  bis  18.  April  1907. 

Referent:  N.  Äleyer-Bad  Wildlingen. 

(Forlselzuiig.) 

Treu  pol -Frankfurt  hat  in  den  refraktärsten  Fällen  mit 
<l(Mi  La  n  gesellen  Injektionen  Heilungen  erzielt. 

G  ara-Pistyan  bat,  veranlaßt  durch  die  häufig  anamnestische 
.Milteihing  der  Palieiden,  daß,  ihrer  Ischias  Tage,  oft  Wochen 
vorhei'  heftige  hexenscbußarlige  Kreuzscbmerzen  vorangingen,  an 
(li('  sich  ei'sl  die  Schmerzen  in  einer  unteren  Fxlreinität  an- 
schlosscn,  die  Kreuzschmorzen  einer  .genauen  Prüfung  unterzogen. 
El-  fand  nämlich  konstant,  daß  der  Dornfortsatz  des  letzten 
Lendenivirbels  ungemein  druckempfindlich  war,  der  nächst  höhere 
schon  Aveniger,  alle  weiteren  Dornfortsätze  jedoch  schmei'zlos 
waren.  Diesen  Druckpunkt  zeigten  auch  jene  Patienten,  welche 
ülier  keine  vorangehenden  Kreuzschraerzen  klagten.  Auf  Grund 
von  Krankengeschiclvten  weist  er  den  differentialdiagnostisclien 
Wei  t  dieses  Symptoms  nach  .jenen  Krankheitsformen  gegenüber, 
welche  der  Ischias  ähnliche  Symptome  zeigten,  wie  z.  11.  hei 
Metastasen  in  den  Lendenwirbeln  bei  Mammakarzinom,  bei 
Schenkelhalsfraktnr,  bei  Prostatatumor.  Anderseits  war  es  dadurch 
mögliidi,  die  Ischiasdiagnose  dort  zu  sichern,  wo  .das  Ilild  eine 
amlerci  Krankheit  vortäuschte. 

Th.  Schill ing-Nürnherg  berichtet  über  Erfolge  hei  Trige¬ 
minusneuralgie  schwerster  Art,  wo  alle  chemischen  und  jihysi- 
kalischen  Mittel  versagt  hatten,  ,wo  die  Patienten  mit  extrahierten 
oder  der  Nerven  heraubten  Zähnen  kamen,  bei  Anwendung  der 
Hier  schon  Stauung.  Der  Erfolg  .tritt  ziemlich  rasch  ein  und 
('S  seien  wohl  auch  ,Dauerresultale  zu  erzielen  (ein  Fall  rezidiv¬ 
frei  41/2  Monate).  Vorsichtig  und  unter  ärztlicher  Kontrolle  an¬ 
gewandt,  seien  ivohl  seihst  bei  älteren  Patienten  Schädiguhgen 
v(*rmeidbar. 

Ouincke-Kiel  hat  bei  42  Fällen  von  Ischias  mit  den 
Langeschen  Injektionen  in  60Tu  Heilungen  erzielt.  Der  Effekt 
kommt  Avohl  durch  Einwirkung  -auf  die  äußere  Nervenscheide 
zustande.  Die  Methode  scheint  ihm  von  jedem  Arzte  aiiAvendbar 
zu  sein. 

11  u  i  s  m  a  n  s  -  Köln  hat  als  ungeAvöhnliche  Aetiologie  bei  einer 
Trigeminusneuralgie  (HL  Ast)  ein  Odontom  in-  einem  Zahne  durch 
eine  Rontgenaufnahme  entdeckt.  Die  Schmerzen  verschwanden 
nach  Exiraklion  des  Zahnes.  i 

Bäum  1er- Freiburg  hält  die  Neuralgien  für  Affektionen  der 
Vasomotoren  der  Neiwen.  Es  handelt  sich  dahei  um  die  ersten 
Anfänge  einer  Neuritis. 

11  i  s  -  Göttingen  glauht,  daß  es  eine  Reihe  von  Neuralgien 
gibt,  die  durch  angeborene  oder  ei’Avorbene  Dispositionen  aiiliri- 
tischer  Natur  bedingt  sind  (etat  arthrilique  der  Franzosen). 

Le nh art z -Hamburg  erinnert  an  die  Rehandlung  mit  Vesi- 
katoren  und 

Sternberg- Wien  an  die  mit  Blutegel;  beide  gäben  oft 
ausgi'zeichnete  Resultate. 

1 1.  Sitzung:  Montag  15.  April  1907,  nachmittags. 

Pel-  Amsterdam  :  Myasthenia  pseudoparalytica 
und  H  y  p  e  r  1  e  u  k  o  z  y  t  o  s  e. 

P  e  1  hat  diese  Krankheit  hei  einer  38jährigen  Frau  heobachlet, 
die  seit  7  Jahren  die  Zeichen  der  Erbschen  Krankheit  hat 
(typische  Physiognomie  nebt  Asthenie,  Ptosi.s,  Diplegia  facialis, 
Dysphagie,  ersclnverte  Sprache,  myasthenische  Reaktion,  Anfälle 
von  Dyspnoe,  keine  Muskelatrophie).  Aetiologisch  kommen  hier 
kolossale  Ueberanstrengung  und  psychisch  deprimierende  Um¬ 
stände  in  Betracht.  An  den  Tagen,  avo  die  Kranke  sich  matt  und 
elend  fühlte,  fand  sich  eine  Leukozytose  (bis  IG. 000  Leukozyten 
im  Kubikmillimeter),  während  in  guten  Tagen  die  Zahl  kaum 
GOOO  —7000  betrug.  Diese  Leukozytose  sieht  P  e  1  als  die  Folge 
positiv  chemotaktisch  Avirkender  Gifte  an,  die  das  subjektive  Be¬ 
finden  der  Kranken  beeinträchtigen.  Die  Möglichkeit  einer  Er¬ 
krankung  der  lymphatischen  Gewebe  hält  er  allerdings  neben  der 
Intoxikation  nicht  für  ausgeschlossen. 

V.  J  a  k  s  c  h  -  Prag  :  Uelier  chronische  Manga  n- 
toxi  kosen,  v.  Jak  sch  hat  bereits  1901  drei  Fälle  von  Man- 
gantoxikose  beschrieben  (Zwangslachen,  ZAvangsweinen,  Rück¬ 
wärtsgehen,  sehr  stark  gesteigerte  Reflexe  und  starke  Alterationen 
der  Psyche).  1902  Avar  ein  neuer  Fall  zur  Beobachtung  gekommen, 
der  an  der  Stelle  des  ZAvangslachens  und  -weinens  maskenartige 
Gesichtsverzerrungen  zeigte.  Krankmachend  Avirkt  nur  das  Man- 
ganoxydulsalz.  Wenn  hei  Tieren,  denen  der  Vortr.  lange  Zeit 
(Ixydulsalze  durch  Einatmung  heigebracht  hatte,  auch  keine  Ver¬ 
giftung  einirat,  so  ist  doch  die  Zeit  der  Versuche  zu  kurz  geAvesen. 
Im  Februar  1907  stellte  sich  eia  Arbeiter  aus  derselben  Fabrik 


vor,  aus  der  die  ersten  Fälle  stammten,  der  hochgradige  psy¬ 
chische  Erregung,  Rückwärtsgehen  und  den  für  Mangantoxykose 
verdächtigen  Gang  hatte.  Zwangslachen-  und  -weinen  fehlte.  In 
20  Tagen  Avar  dieser  Pat.  durch  die  Behandlung  mit  hochfre- 
(fuenten  Strömen  geheilt.  Allerdings  ist  zu  bemerken,  daß  das 
Gesichtsfeld  hochgradig  eingeengt  Avar.  Vielleicht  lag  hier  eine 
funktionelle  Neurose,  eine  Manganophohie,  vor. 

Fedor  K  r  a  u  s  e  -  Berlin :  Zur  Kenntnis  der  Rücken¬ 
mark  s  1  ä  h  m  u  n  g  e  n.  Krause  hat  acht  Fälle  in  Behandlung 
gehabt,  bei  denen  die  schwersten  Lähmungen  bedingt  Avaren 
durch  Ansammlung  von  Liquor  cerehrospinalis  im  Wirhelkanal. 
So  fand  er  hei  einer  Frau  mit  deutlichen  Tumorerscheinungen 
nach  Entfernung  von  vier  Bögen  der  Halswirbelsäule  an  der 
Arachnoidea  eine  eigentümliche  Hervorwölbung  mit  deutlichem 
Lichtrellex.  Es  handelte  sich  um  eine  chronische  Arachnitis.  Die 
Symptome  schwanden  nach  Entleerung  der  Flüssigkeit.  Die  an¬ 
deren  Fälle  lagen  ähnlich.  Die  Ansammlung  kann  auch  durch 
Gicht  oder  Lues  bedingt  sein.  In  einem  dieser  Fälle  hatte  sich 
eine  Eiteransammlung  gebildet,  nachdem  infolge  einer  Schu߬ 
verletzung  eine  Nekrose  aufgetreten  war,  die  aber  unmittelbar 
keine  Eiterung  in  dem  Duralkanal  veranlaßt  hatte.  Da  diese  acht 
Fälle  unter  20  derartigen  Operationen  vorkamen,  kann  die  Er¬ 
krankung  nicht  als  seltene  bezeichnet  Averden. 

II.  G  u  t  z  m  a  n  n  -  Berlin :  Zur  Behandlung  der 
Aphasie.  Die  Regel,  daß  die  Uebungsbehandlung  der  Aphasie 
bei  älterenLeuten  keine  günstige  Prognose  habe,  ist  in  dieser 
allgemeinen  Fassung  nicht  richtig.  Die  Indikation  für  die 
U  e  b  u  11  g  s  t  h  e  r  a  p  i  e  muß  sorgfältig  geprüft  werden.  Außer 
von  manchem  anderen  hängt  sie  ab  : 

1.  Von  dem  allgemeinen  Zustande  des  Pat. 
im  Anschlüsse  an  die  Attacke.  Es  müssen  sämtliche  akute  Er¬ 
scheinungen  abgeklungen  sein,  ein  chronischer  Zustand  relativen 
Wohlbehagens  bestehen,  der  sprachliche  Zustand  mindestens 
'U — V2  Jahr  unverändert  gebliehen  sein.  Zu  früher  Beginn  der 
Uebung  ist  wegen  der  schweren  Ermüdungs-  und  Reizzustände 
gefährlich. 

2.  Vom  Zustande  des  Intellekts.  Bei  größeren  in- 
telektuellen  Defekten  ist  es  zAvecklos,  die  Uebungstherapie  zu  be¬ 
ginnen,  die  ja  von  seiten  des  Pat.  einen  hohen  Grad  von  Auf¬ 
merksamkeit  und  Verständnis  erfordert. 

3.  Von  der  Affektlahilität  des  Pat.  Wenn  diese 
direkt  abhängig  ist  von  unlustbetonten  Vorstellungen,  so  stellen 
sich  bei  der  Uebung  Schwierigkeiten  ein,  und  man  hat  oft  große 
Mühe,  die  Pat.  hei  guter  Stimmung  zu  erhalten.  Es  ist  daher 
sehr  wesentlich,  das  Fortschreiten  in  den  Uebungen  dement¬ 
sprechend  einzurichten. 

4.  Vom  Alter.  Es  ist  natürlich,  daß  selbst  schAvere  Aus¬ 
fallserscheinungen  bei  Kindern  und  jugendlichen  Personen  sich 
überaus  häufig  spontan  ausgleichen.  Man  soll  sich  aber  auch  bei 
älteren  Personen  von  der  systematischen  Uebung  nicht  abhalten 
lassen.  Gutzmann  erwähnt  eine  Anzahl  von  Pat.  zwischen 
40 — 50  Jahren,  die  mit  gutem  Erfolg  behandelt  wurden,  einen 
Prediger  von  65  Jahren,  der  nach  IV2  Jahren  bestehender  Aphasie 
Avieder  dienstfähig  geAvorden  ist  und  seit  mehreren  Jahren  wieder 
seinen  Amtshandlungen  obliegt,  einem  74jährigen  Herrn,  der  nach 
4  Jahre  lang  unverändert  bestehender  kortiko-motorischer  Aphasie 
Avieder  zum  Sprechen  einfacher  Worte  und  kleiner  Sätze  gebracht 
Avurde,  so  daß  er  seinen  Wünschen  Ausdruck  verleihen  konnte 
und  anderes  mehr. 

5.  und  6.  Die  Dauer  des  Bestehens  der  Aphasie 
beschränkt  die  Indikation  zur  Uebungsbehandlung  ebensowenig, 
wie  der  Grad  der  ap  basischen  Störung. 

Auf  die  Therapie  selbst  geht  Vortr.  nur  insoAveit  ein, 
als  er  die  systematischen  Schreibübungen  mit  der 
linken  Hand  noch  besonders  hervorhebt.  In  einem  Falle 
mußten  die  Uebungen,  da  rechts  komplette  Lähmung  bestand, 
links  die  Hand  aus  Holz  Avar,  mit  dieser  Holzhand  gemacht 
Averden :  mit  günstigem  Erfolge,  wie  die  Vorlage  der  Schrift¬ 
proben  erweist. 

H  o  n  i  g  m  a  n  n  -  Wiesbaden :  UeberKriegsneu  rosen. 

Unter  dem  Namen,, Kriegsneurosen“  beschreibt  Vortr.  nervöse 
Erscheinungen,  die  er  hei  einer  größeren  Anzahl  von  russischen 
Offizieren  nach  im  japanischen  Kriege  erlittenen  Traumen  be¬ 
obachtet  hat.  Die  Störungen  verliefen,  Aviewohl  die  Traumen 
unter  zum  Teil  ganz  anderen  Bedingungen  den  Verletzten  be¬ 
trafen,  als  es  bei  den  geAverblichen  Unfallneurosen  zu  geschehen 
pflegt,  doch  in  vielfacher  Hinsicht  ganz  im  Rahmen  dieser 
Störung,  teils  in  Gestalt  von  neurasthenisch-hysterischen  und 
hypochondrischen  Allgemeinerscheinungen,  teils  als  hysterische 
Monoplegien,  Hyperästhesien  und  Hemianästhesien.  Die  Mehrzahl 
der  Fälle,  die  sich  an  schwere  Gehirnemotionen  anschlossen, 


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hatte  dagegen  einen  von  dem  bei  traumatischen  Neui'osen 
üblichen  Krankheitshild  abweichenden  Verlauf.  Bei  ihnen  handelte 
es  sich  nicht  allein  um  Zustände,  die  als  rein  psychogenen 
Ursprungs  aufgefaßt  werden  dürfen  und  deren  Veranlassung  nur 
in  der  lebhaften  Erschütterung  des  Vorstellungslebens  gesucht 
werden  kann,  sondern  auch  um  nervöse  Folgeerscheinungen,  die 
auf  physikalische  Veränderung  des  Zentralorgans  zurückgeführt 
werden  müssen,  wenn  es  sich  auch  nicht  um  ausgesprochene 
llerderscheinuungen  handelte.  Die  Behandlung  der  fraglichen 
nervösen  Erscheinungen  wies  viel  größere  Erfolge  auf,  als  dies 
hei  den  gewerblichen  Unfällen  der  Fall  zu  sein  pflegt,  wahr¬ 
scheinlich,  weil  die  meisten  psychischen  Momente,  die  sich  bei 
jenen  einer  Heilung  in  den  Weg  stellen,  hier  in  Wegfall  kommen. 

V  e  r  a  g  u  t  h  -  Zürich :  Ueher  eine  Methode  des 
objektiven  Nachweises  von  Anästhesien. 

Die  Methode  beruht  auf  den  Tatsachen  des  psycho-galvanischen 
Retlexphänomens.  Wenn  man  eine  galvanische  Batterie  von  nie¬ 
derer  aber  konstanter  Spannung  leitend  verbindet  mit  einem 
Drehspulengalvanometer  mit  Nebenschlußwiderstand  einerseits 
und  dem  menschlichen  Körper  in  bestimmter  Kontaktanordnung 
anderseits,  so  zeigt  nach  Schließung  dieser  Kette  und  bei  Ver¬ 
meidung  von  willkürlicher  Aenderung  des  Kontakts  das  Galvano¬ 
meter  Schwankungen,  die  in  kausalem  Zusammenhang  stehen  mit 
Vorgängen  im  Körper  des  eingeschalteten  Menschen.  Zu  den  Ur¬ 
sachen,  welche  eine  solche  Galvanometerdrehung  provozieren 
können,  gehören  u.  a.  auch  sensorielle  Reize.  Dem  auf  diese 
Weise  manifest  werdenden  Phänomen  kommt  der  Name  psycho- 
galvanischer  Reflex  zu.  Die  Eignung  dieses  Phänomens  zur 
objektiven  Sensibilitätsuntersuchung  gründet  sich  auf  die  Tat¬ 
sachen,  daß  die  Galvanometerschwankungen  der  Willkür  der 
Versuchspersonen  entzogen  sind  und  daß  es  nicht  die  Reizung 
der  sensiblen  Nervenbahnen  tiefer  Ordnung  ist,  welche  die 
Galvanometerschwankung  provoziert,  sondern  der  Affekthetrag, 
der  sich  in  der  Psyche  der  gereizten  Versuchspersonen  an  den 
Reiz  heftet.  Die  Galvanometerdrehungen  werden,  durch  Spiegel¬ 
vorrichtungen  meßbar',  ln  Millimetern  einer  Skala  ausgedrückt. 
Bei  der  Anwendung  von  sensiblen  Reizen  sind  unter  Beobachtung 
der  nötigen  Kautelen  klare  positive  Resultate  zu  erlangen, 
indem  heim  Reiz  anästhetischer  Hautslellen  keine  oder  kleine 
Galvanometerausschläge,  beim  Reiz  normaler  H  au  t  s  t  e  1 1  e  n 
größere  und  heim  Reiz  hyperästhetischer  Stellen  noch  größere 
resultieren.  Dies  wird  an  Tabellen  über  Untersuchungen  von 
Fällen  von  künstlicher  lokaler  Anästhesie,  peripherer  Nerven¬ 
durchtrennung,  Plexusdurchtrennung,  Syringomyelie,  Druck¬ 
schmerzhaftigkeit  nach  Kontusionen  und  Druck  auf  V  a  1 1  e  i  x- 
sche  Druckpunkte  bei  Neuralgie  demonstriert.  Vortr.  schildert 
auch  sein  photographisches  Verfahren,  mittels  dessen  die  Galvano¬ 
meterbewegungen  automatisch  registriert  und  zeitlich  gemessen 
werden  können. 

Auf  den  Prioritätsanspruch  Stickers  antwortet  V  e  r  a- 
g  u  t  h  mit  dem  Hinweis  auf  die  Tatsache,  daß  dieser  Autor  mit 
einer  elektrologisch  grundsätzlich  anderen  Methode  (keine 
körperfremde  Stromquelle,  keine  Metallelektroden)  negative 
Resultate  erzielt  und  die  Verwertbarkeit  seiner  Untersuchungen 
für  die  objektive  Registrierung  von  Sensibilitätsstörungen  selbst 
ausdrücklich  verneint  hat. 

Sternberg  -  Wien :  D  y  n  a  m  o  m  e  t  r  i  s  c  h  e  Studien. 

Stern  b  erg  demonstriert  ein  verbessertes  D  y  n  a  m  o- 
meter  und  bespricht  die  Ergebnisse  von  Untersuchungen,  die 
damit  ausgeführt  worden  sind.  Wenn  ein  Gesunder  in  jede  Hand 
je  ein  Dynamometer  nimmt  und  maximal  drückt,  so  ist  die  Kraft¬ 
leistung  die  gleiche,  ob  nun  abwechselnd  oder  gleichzeitig  ge¬ 
drückt  wurde.  Die  maximale  Innervation  der  einen  Extremität 
beeinflußt  die  der  anderen  normalerweise  so  gut  wie  gar  nicht. 
Bei  H  e  m  i  p  1  e  g  i  k  e  r  n  soll  nach  einer  Angabe  von  Pitres 
eine  Verstärkung  der  Leistung  auf  der  gelähmten  Seite  eintreten. 
Diese  Angabe  bestätigt  sich  bei  genauerer  Untersuchung  nicht. 
Der  Effekt  der  gleichzeitigen  maximalen  Innervation  beider  oberen 
Extremitäten  (Simultaneffekt)  ist  in  verschiedenen  Fällen  von 
Hemiplegie  verschieden,  er  kann  in  einer  Erhöhung  der  Leistungen 
bestehen,  er  kann  aber  auch  eine  Verminderung  u.  zw.  von  be¬ 
trächtlicher  Größe  ausmachen  (positiver  und  negativer  Simultan- 
elfekt).  Entweder  werden  durch  das  ,, Schisma“  im  Sinne  v.  Mo¬ 
nakows  Hemmungen  und  Bahnungen  frei,  die  sich  sonst  im 
Gleichgewicht  befinden  oder  es  wird  die  Art  der  Beanspruchung 
der  doppelseitigen  Hemisphäreninnervation  durch  den  Hirnherd 
geändert.  Mit  der  Angabe  von  Pitres  fallen  manche  Theorien 
der  hemiplegischen  Kontraktur. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Fortsetzung). 

2.  Sitzungstag,  4.  April  1907. 

L  amp  c  -  Brom  borg :  Ueher  das  funktionelle  Resuf 
t  a  t  n  a  c  h  a  u  s  g  e  d  (\  hüte  r  Resektion  des  d  i  s  t  a  1  e  n  F  c  nn i  i'- 
endes  wegen  Sarkom. 

Redner  stellt  einen  Kranken  vor,  lici  dem  er  das  unlere 
l''eniurende  wegen  eines  Sarkoms  reseziert  ha(.  Nach  der  Be- 
seklion  hat  er  das  reslierende  Fenuirendi^  ni<'lit  in  die  d'ihia 
eingepflanzt,  wie  es  gc'wöhnlich  gemacht  wird,  da  das  lesezierte 
Stück  dazu  zu  groß  war.  Er  hat  die  Wnnd(!  unter  ExUmsion 
(leis  Beines  zuheilen  lassen.  Dadurch  ist  das  Bein  ganz  schloticnig 
geworden;  Durch  einen  Schienenhülsenappai'at  ist  der  Patient 
aber  imstande,  sehr  gut  zu  gehen. 

Ri  edel -Jena  warnt  auf  Grund  scdncr  Erfahrungen  vor 
diesen  Dperationen,  er  hat  immer  Rezidive  hekommen  und  (^x- 
artikuliert  daher  immer  im  Hüftgelenk. 

Demgegenüber  treten,  K  ö  r  t  e  -  Berlin  und  B  o  r  c  h  a  r  d  t  -  Posen 
für  die  Opeiation  ein  und  berichten  von  Fällen,  die  nach  dei’ 
Dperalion  sieben,  bzw.  secbs  Jahre  völlig  gesund  sind. 

V  oel  ke  rs-Heidelb(‘rg  bmäclitet  über  einen  Fall  von  so¬ 
genanntem  schiefen  Biß,  bei  dem  der  Unterkieferast  der  einen 
Seite;  2  cm  länger  war  als  der  andere.  Die  Verlängerung  war 
bedingt  durch  eine  Hyperostose  des  llnterkieferkiöpfchons.  Ans 
welchen  Grümlen  cs  zu  der  Bildung  der  llyiierostosc  gekommen 
war,  ist  nicht  aufzuklären.  Durch  die  Resektion  des  byperostoti- 
schen  UnlerkicTcrköpfchens  erzielte  er  ein  gutes  funktionelles 
Resultat. 

R  a  n  z  i  -  Wien  demonstriert  d  e  s  i  n  f  i  z  i  e  r  b  a  r  e  P  r  o  t  h  e  s  e  n 
z  u  m  E  r  s  at  z e  des  Mittelst ü  c. k  e  s  d  c  s  Unterkiefers  o  d e  r 
des  aufsteigenden  Astes  desselben  nach  Resektion. 

Da  die  Prothesen  leicht  desiidizierbar  sind,  so  können  sie 
unmittelbar  nach  der  Operation  eingefügt  werden.  Dadurch  wird 
eine  Narbenverziehung  verhindert,  ohne  die  Heilung  der  Wunde 
zu  gefährden.  Nach  vollendeter  Heilung  werden  diese  Immediat- 
du'othesen  durch  definitive  Ersalzstücke  ersetzt.  Ranzi  bej’ichtet 
über  versebiedene  Fälle,  in  denen  bei  Anwendung  der  geschilderten 
Prothesen  an  der  v.  E  i  se  1  s b  e r  gschen  Klinik  sehr  gute  Resultate 
erzielt  wurden.  • 

G  0  e  b  c  1 1  -  K  iel ;  Ueher  die  T  o  t  a  1  c  x  s  t  i  r  p  a  t  i  o  n  von 
P  a  n  k  r  e  a  s  z  y  s  t  e  n. 

Da  nach  der  G  u  s  s  e  n  b  a  u  e  r  sehen  Operation  —  Einnähen 
der  Zyste,  Eröffnung  derselben  und  Drainage  — •  häufig  langdau¬ 
ernde  Fisteln  Zurückbleiben,  so  empfiehlt  Go  ehe  11  in  geeigneten 
Fällen,  die  Zysten  zu  exstirpierem.  Freilich  tlürfe  die  Exstirpation 
luir  ausgeführt  werden  bei  echten  Zysten  und  nicht  bei  Zystidem, 
welch  letztere  nach  Traumen  oder  nacli  Entzündungen  des  Pan¬ 
kreas  sich  bildeten.  Er  bat  in  einem  Falle,  bei  dem  es  sich  um 
einen  23jährigen  jungen  Mann  gehandelt  hat,  die  Exstirpation 
der  Zyste  mit  sehr  gutem  Iri'folge  gemacht.  Er  batte  mit  Sicher¬ 
heit  angenommen,  daß  es  sich  in  diesem  Falb;  um  eine  echte 
Zyste  gehandelt  hätte,  da  in  der  Anamnese  nichts  von  einem 
Trauma,  auch  nichts  von  entzündlichen  Prozessen  in  abdomine 
zu  eruieren  war.  Trotzdem  ergab  die  mikroskopisebe  Untersuchung, 
daß  es  sich  nicht  um  eim;  Zyste  handelte.  Es  waren  in  den 
Präparaten  weder  Epithel  nach  sonst  Irinkreasgewehe  nach¬ 
zuweisen. 

E  h  rb  a  r  dt- Königsberg  :  Echte  und  falsche  Diver¬ 
tikel  der  Gallenblase.  Ein  Beitrag  zur  Aetiologie  der  Pseudo¬ 
rezidive  nach  Gallcnsteinoperationen. 

In  der  Gallenblasenschleimhaut  kommen  zwei  Arten  von 
Drüsen  vor,  einmal  die  Schleimdrüsen  und  zweitens  die  soge¬ 
nannten  Luschka  sehen  Gänge,  welche  Einstülpungen  der 
Schleimhaut  darstellen  und  bis  unter  die  Serosa  der  Galierd:)lase 
reichen.  Diese  Gänge  kommen  schon  normalerweise  vor,  ver¬ 
mehren  sich  aber  Ixd  der  Cbolelitbiasis  sehr  reichlich.  Diese  nor¬ 
malerweise  vorkommenden  Schleindiautausbuchtungen  erinnern  an 
Darmdivertikel  und  es  können  sich  aus  ihnen  Gallenblasendiver¬ 
tikel  entwickeln.  Die  Bedeutung  der  L  u  s  c  h  k  a  sehen  Gänge  nun 
sieht  Redner  darin,  daß'  sich  in  ihnen  Schleim,  Eiter  und  auch 
kleinste  Steinchen  ablagern  können.  Läßit  man  bei  der  Operation 
der  Gallensteine  die  ganze  Gallenblase  oder  Teile  derselben  zu¬ 
rück,  so  kann  es  durch  Steinbildung  in  den  Krypten  zu  ecblen 
Rezidiven  kommen,  aber  auch  zu  Pseudorezidiven,  dadurch,  daß 
in  den  Krypten  zurückbleibender  Eiter  neue  Entzündungen  der 
Gallenblase  und  damit  Schmerzanfälle  hervorruft.  Ehrhardt  rät 
daher,  die  Gallenblase  bei  Gholelithiasiso])erationen  stets  zu 
entfernen. 

Sprengel -Braunschweig:  Ueher  den  retroperito¬ 
neal  en  Abszeß  der  Gallenwege. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  20 


b;iO 


Die  retroperitonoiil  gelegenen  Abszesse  ini  Ansclilusse  an 
Kikrankungen  der  Gallenwege  sind  sehr  selten.  In  der  Literalur 
sind  bisher  nur  secdis  Fälle  hekannt  geworden  uml  in  den  großen 
.Monograj)hien  von  Kürte,  Kehr  und  Riedel  wird  diese  Er¬ 
krankung  ül)erha:upt  nicht  erwähnt.  Redner  hat  170inal  Gallen- 
sleinoperalionen  ausgeführt,  nur  einmal  hat  er  unter  allen  diesen 
Fällen  einen  retroperilonealen  Abszeß  beobachtet.  Es  liandelte 
sich  um  eine  42jährige  Frau,  die  fast  15  Jahre  Lehersymptome 
darhi(‘1el.  14  Tage  vor  der  Aufnahme  erkrankte  sie  akut  mit 
hohem  Fieber.  Rci  der  Aufnahme  Temperatur  39'’;  Puls  100; 
Erin  ikterisch.  Im  Abdomen  Symptome  von  einer  Entzündung 
unter  der  Lel)er.  Die  Diagnose  wurde  auf  Cholelithiasis  mit  Ent¬ 
zündung  der  Gallenhlasenumgehung  gestellt.  Rei  der  Operation 
war  die  Gallenblase  ganz  mit  Steinen  angefüllt  und  es  fand  sich 
zugleich  ein  retroperitonealer  Tumor  unter  der  Leber;  der  retro- 
])eriloneale  Tumor  wird  inzidiert  und  erweist,  sich  als  stark  galle¬ 
haltiger  Abszeß.  Die  Ikatientin  erlag  der  Krankheit.  Rei  der  Ob¬ 
duktion  fand  sich  eine  Perforation  des  Choledochus  gleich  hinter 
der  Einmündungsstelle  des  Zystikus.  Sprengel  stellt  sich  den 
Vorgang  so  vor,  daß  eine  Verlütung  des  Gallenganges  mit  dem 
Peiitoneum  stattgefunden  hat.  Allmählich  findet  eine  Ein¬ 
schmelzung  der  verlöteten  Gewebe  statt,  so  daß  nunmehr  der 
infektiöse  Inhalt  der  Gallenwege  zum  retroperitonealen  Gewebe 
Zutritt  findet  und  die  retroperitoneale  Eiterung  entstehen  kann. 
Auch  alle  sonst  in  der  Literatur  bekannten  Fälle  endigten  tödlich. 

H  a  a  s  1  e  r  -  Halle ;  lieber  Cholezystektomie. 

H  a  a  s  1  e  r  hat  das  Material  der  Hallenser  Klinik  bearbeitet. 
Aus  den  daselbst  mit  Cholezystektomie  operierten  50  Fällen  ergibt 
sich,  daß  die  Gefahren,  welche  nach  den  Angaben  anderer  der 
Cholezystektomie  anhaften  sollen,  nicht  bestehen.  Man  solle  die 
Cholezystektomie  entweder  vom  Pol  der  Gallenblase  aus  be¬ 
ginnen  oder,  wo  das  nicht  angängig  ist,  vor  den  Gallengängen  be¬ 
ginnen,  diese  freilegen,  unterbinden  und  von  hier  aus  die  Aus¬ 
lösung  der  Gallenblase  vornehmen.  Er  schlägt  vor,  in  geeigneten 
Fällen  die  subseröse  Methode  der  Gallenblasenexstirpation  vor¬ 
zunehmen. 

A  n  s  c  h  ü  t  z -Breslau :  Beiträge  zur  Leberresektion. 

Bei  den  Operationen  an  der  Leber  sind  drei  Punkte  zu 
berücksichtigen :  1.  Die  Blutstillung.  2.  Die  Freilegung  des  Opera¬ 
tionsfeldes.  3.  Die  Versorgung  der  Leberwunde.  Auf  Grund  von 
20  •  Fällen,  welche  Anschütz  beobachtet  hat,  kommt  er  zu 
dem  Schluß,  daß  es  keiner  komplizierten  Methode  bedarf,  um  den 
oben  genannten  Forderungen  gerecht  zu  werden.  Er  hat  niemals 
nötig  gehabt,  die  Leber  extraperitoneal  zu  lagern,  noch  hat  es  in 
seinen  Fällen  der  Anwendung  von  irgendwie  gearteten  Koin- 
pressorien  bedurft.  Anschütz  ist  immer  mit  den  einfachen 
und  gewöhnlichen  Mitteln  ausgekommen.  Man  müsse  sich  vor 
allem  der  Tatsache  erinnern,  daß  die  Lebergefäße  Gefäße  wie 
andere  auch  seien,  daß  man  sie  daher  ebenso  unterbinden  könne 
wie  andere  Gefäße.  Nur  müsse  man  das  Lebergewebe  nicht 
zerreißen,  sonst  ziehen  sich  die  der  Stütze  beraubten  Gefäße 
elastisch  zurück  und  werden  den  fassenden  Instrumenten  unzu¬ 
gänglich.  Man  müsse  das  Lebergewebe  mit  scharfen,  raschen 
Schnitten  durchtrennen  und  die  Gefäße  auf  der  Schnittfläche 
fassen  (G  a  r  r  e),  oder  man  kann  die  Gefäße  vorher  intra¬ 
hepatisch  abklemmen  und  das  Gewebe  dann  durchtrennen,  wie 
es  Mikulicz  getan  habe.  Zu  den  intrahepatischen  Ligaturen 
kann  man  gewöhnliche  Deschamp  sehe  Nadeln,  elastische 
Sonden  oder  sonst  geeignete  Instrumente  verwenden.  Auch  können 
die  Leberwunden  durch  Naht  verschlossen  werden. 

Die  Bauchwunde  wurde  gewöhnlich  ganz  geschlossen. 

Zur  Freilegung  sind  die  Bauchschnitte  groß  anzulegen. 
Eventuell  müßte  der  Rippenbogen  reseziert  werden ;  auch  könne 
man  ohne  Gefahr  die  Leberbänder  durchtrennen. 

W  u  1 1  s  t  e  i  n  -  Halle  empfiehlt  ebenfalls  die  Resektion  des 
Rippenbogens. 

Braun-  Göttingen  warnt  vor  der  Durchschneidung  der 
Leberbänder ;  er  habe  damit  sehr  schlechte  Erfahrungen  gemacht. 

Schöne  bestätigt  die  Angabe  von  A  n  s  c  h  ü  t  z  über  die 
intrahepatische  Ligation.  Er  habe  unter  ihrer  Anwendung  ein 
Gallenhlasenkarzinom  unter  Resektion  eines  Stückes  der  Leber 
mit  gutem  Erfolge  entfernen  können. 

Riedel-  Jena  hat  bei  schweren  Leberoperationen  auch 
von  der  Resektion  des  Rippenbogens  Gebraueb  gemacht,  doch 
tut  er  das  nur  im  Notfall.  Es  kann  nämlich  bei  einer  eventuellen 
Infektion  zu  Entzündungen  und  Nekrosen  der  Rippenknorpel 
kommen,  die  sehr  langwierig  seien  und  der  Heilung  große 
Schwierigkeiten  bereiten. 


Zur  Frage  der  Gallenblasenexstirpation  bemerkte  er,  daß 
die  subseröse  Methode  nur  bei  aseptischen  Gallenblasen  in  Frage 
käme ;  sie  habe  nach  seiner  Meinung  keine  wesentliche  Bedeutung. 

Kotze  nberg  -  Hamburg :  Füllung  der  Knochen- 
h  ö  b  1  e  n  mit  W  a  1  r  a  t  g  e  m  i  s  c  h. 

Bei  früheren  Versuchen  mit  der  Mose  tig sehen  Jodoform¬ 
plombe  hatte  man  im  Hamburger  Krankenhause  schlechte  Er¬ 
fahrungen  gemacht.  In  der  neueren  Zeit,  wo  sie  sich  streng  an 
die  M  o  s  e  t  i  g  sehe  Vorschrift  hielten,  wären  die  Resultate 
wesentlich  bessere  geworden. 

Die  VVundhöblen  werden  zunächst  sorgfältig  ausgekratzt, 
dann  mit  konzentrierter  Karbolsäure  ausgetupft,  darauf  mit 
Alkohol  ausgespült  und  endlich  mit  heißer  Luft  völlig  ausge¬ 
trocknet.  Dann  wird  das  Walratgemisch  eingegossen  und  nach 
der  Erstarrung  die  Haut  vernäht.  Auf  diese  Weise  hätten  sie  in 
sieben  Fällen  gute  Erfolge  erzielt. 

L  i  n  d  h  o  r  s  t  hat  die  Methode  auch  zur  Füllung  von 
Weichteilhöhlen  angewendet  und  gute  kosmetische  Resultate  erzielt. 

B  o  c  k  e  n  h  e  i  m  e  r  -  Berlin :  lieber  die  Behandlung 
des  Tetanus  auf  Grund  klinischer  und  experi¬ 
menteller  Studien. 

Die  Antitoxinbehandlung  des  Tetanus  ist  nach  Ausbruch 
der  Krankheit  erfolglos.  Das  haben  auch  die  Fälle  der  v.  B  e  r  g- 
mann  sehen  Klinik  gezeigt.  Von  19  mit  Antitoxin  behandelten 
Fällen  sind  16  gestorben.  Die  drei  Ueberlebenden  wurden  ampu¬ 
tiert  und  durch  die  Amputation  geheilt.  Bezüglich  der  prophy¬ 
laktischen  Behandlung  liegen  Gutachten  von  Tierärzten  vor.  Aus 
ihnen  geht  hervor,  daß  die  frühzeitig  einsetzende  prophylaktische 
Behandlung  Erfolg  haben  könnte,  doch  müßten  die  Schutzdosen 
wiederholt  werden.  Dieses  Verfahren  wäre  aber  zu  kompliziert 
und  zu  teuer.  Es  würde  auch  unmöglich  sein,  alle  verdächtigen 
Wunden  so  häufig  einzuspritzen;  das  würde  zuviel  Arbeit  ver¬ 
ursachen.  Es  wurde  nun  verschiedentlich  versucht,  ob  man  unter 
den  tetanusverdächtigen  Wunden  nicht  die  wirklich  tetanus¬ 
infizierten  Wunden  herausbekommen  könnte.  Alle  Methoden  waren 
aber  zu  zeitraubend  und  kompliziert.  Nun  war  aus  dem  russisch¬ 
japanischen  Kriege  bekannt  geworden,  daß  die  Japaner,  welche 
das  Antitoxin  lokal  anwandten,  bessere  Resultate  erzielt  hatten 
als  die  Russen.  Bockenheimer  hat  seine  Versuche  an  Meer¬ 
schweinchen  angestellt.  Eine  Anzahl  von  Tieren  wurde  durch 
mit  Tetanusbazillen  getränkte  Holzsplitter  infiziert.  Ein  Teil  der 
infizierten  Tiere  wurde  nun  behandelt.  Das  Antitoxin  wurde  mit 
lipoiden  Substanzen  zusammengebracht  und  entweder  auf  die 
infizierte  Wunde  direkt  gebracht  oder  in  ihrer  Nähe  eingespritzt. 
Bei  diesem  Vorgehen  zeigten  sich  gute  Erfolge ;  das  Inkubations¬ 
stadium  wurde  verlängert ;  der  Tetanus  verlief  milder.  In  der 
letzten  Zeit  hat  Bockenheimer  das  Antitoxin  mit  Salben 
zusammen  angewendet;  dann  trat  entweder  gar  kein  Tetanus 
auf  oder  die  Erkrankung  verlief  sehr  leicht.  Auch  diese  Versuche 
ergaben,  daß  man  die  Behandlung  frühzeitig  beginnen  müsse, 
bevor  die  Krankheit  zum  Ausbruch  gekommen  sei.  Diese  Salben¬ 
behandlung  empfehle  sich  besonders  da,  wo  sich  tetanusver¬ 
dächtige  Fälle  häufen;  die  Verbände  müßten  häufiger  gewechselt 
werden.  (Fortictzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  17.  Mai  1907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  V.  v.  Ebner  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Diskussion  zum  Vortrage  des  Herrn  Primarius  Doz.  Dr.  Latzko : 
Die  chirurgische  Therapie  des  Puerperalprozesscs.  (Zum  Worte  gemeldet; 
Fabricius,  Halban,  Peliam  und  Scliauta.) 

2.  Professor  Dr.  M.  Benedikt:  Physiologie  und  Pathologie  der 
Zirkulation. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet:  Herr  Prof.  S.  Stern. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Escliericli  Donnerstag  den  16.  Mai  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 
Vorsitz:  Professor  Dr.  Unger. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr.  Schick :  Ueber  die  Nagelfurchen  beim  Neugeborenen. 

Das  Präsidium. 


VtrantwortlichvT  Bidakttur:  Adalbert  Karl  Trapp«  Vtrlag  Ton  Wilhelm  Braamftller  in  Wien. 

Drnok  tob  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  Thereaiensaaae  3. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Sohrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 

Telephon  Nr.  17.618. 

XX.  Jahrgang.  Wien,  23.  Mai  1907.  Nr.  21. 


Ce  — - .  ^ 

Die 

„Wleuer  kliulsclie 
'Woclieuscbrlfl*) ** 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

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sendungen  an  die  Verlags- 
handlung. 


ALT: 


INH 

1.  Originalartikel:  1.  Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Innsbruck. 
Erfolgreiche  Operation  eines  Hypophysentumors  auf  nasalem 
Wege.  Von  Prof.  Dr.  H.  Schloffer. 

2.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie.  II.  Das  kausale  und  die 
auslösenden  Momente.  Der  akute  Anfall  von  Tetanie  nach 
Tuberkulininjektion.  Von  Prof.  Dr.  P.  Chvostek. 

3.  Aus  der  chirurgischen  Abteilung  der  mähr.  Landeskranken¬ 
anstalt  in  Olmütz.  lieber  einen  Fall  von  intraabdominaler 
Netztorsion  bei  gleichzeitiger  Brucheinklemmung  einer  Appendix 
epiploica.  Von  Primararzt  Dr.  F.  S mol  er. 

4.  lieber  Silberimprägnation  von  Bakteriengeißeln.  Von  Professor 
Dr.  K.  Kreibich. 

5.  Aus  der  Prosektur  des  Kaiser-Franz-Joseph-Spitales  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  Kretz.)  Geißeln  bei  vom  Jahre  1904  bis 
1907  in  zugeschmolzenen  Eprouvetten  aufbewahrten  Kulturen. 
Von  Dr.  Alexander  Hinterberger,  Wien. 


II.  Referate:  Sonnenstrahlen  als  Heil-  und  Vorbeugungsmittel 
gegen  Tuberkulose.  Von  W.  Graff.  Die  Bekämpfung  der 
Tuberkulose  innerhalb  der  Stadt.VonErnst  Pütt  er.  Behringwerk- 
Mitteilungen.  Ref  :  J.  Sorgo  (Alland).  —  Beitrag  zur  gefechts¬ 
sanitären  Applikatorik  im  Gelände.  Von  Regimentsarzt  Doktor 
Franz  Kroath.  Der  operative  und  taktische  Sanitätsdienst 
im  Rahmen  des  Korps  nebst  einer  Aufgabensammlung.  Von 
Maximilian  Ritter  v.  Hoen.  Ref.:  Johann  Steiner.  —  Aerzt- 
liche  Wirtschaftskimde.  Von  Dr.  Alexander  Rabe.  Ref.: 
Ellmann  (Wien).  —  Die  Trunksucht  und  ihre  Abwehr.  Von 
Dr.  A.  Baer  und  Dr.  B.  Laquer.  Ref.:  Sofer. 

III.  Ans  verschiedeueu  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

y.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  uudEougreßberichte. 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Innsbruck. 

Erfolgreiche  Operation  eines  Hypophysen¬ 
tumors  auf  nasalem  Wege.^) 

Von  Prof.  Dr.  H.  Schloffer. 

Die  bi'sherige  Diskussion  über  die  Exstirpation  von 
Hypophyseiitumoreü  hat  sicli  vor  allein  nni  zwei.,  Punkte 
bewegt,  um  die  prinzipielle  Bereclitiguiig  solcher  Opera¬ 
tionen  und  um  den  We,g,  der  zur  F'reilegiiug  der  Hypo^- 
pliyse  diene|n  sollte.  In  eine'r  im  vorigen  Sommer  erschie- 
nejnen  Arbeit^)  habe  ich  die'  wichtigsten  Angaben,  die  über 
den  Gegehstaiid  in  der  Literatur  vorliegen,  znsammerigestellt 
und  aln  der  Hand  von  pathologisch-anatomischen  Präparaten 
und  auf  Gruind  von  Leichenversuchen  meine  Anschauungen 
über  die  Berechtigung  U(nd  übeb  die  Technik  von  Hypoi- 
physenoperatioinen  niodetgeiegt.  Da  die  Untersuchungen 
namhafter  Antorejn  die  funktionelle!  Bedeutung  der  Hypo¬ 
physe  noch  keineswegs  klargestellt  haben  und  vor  allem 
der  Beweis  für  die  Entbehrlichkeit  dieses  Orgajnes  noch 
nicht  vorliegt,  schiein  mir  beim  Adenom  der  Hypophyse',  dem 
weitaus  häufigsten  Tumor  derselben,  die  Totalexstirpation 
—  wenigstens  derzeit  —  noch  nicht  gerechtfertigt.  Aber  eine 
partielle  Exstirpation  schien  mir  in  jenen  Fällen  angezeigt, 
bei  denen  eine  Beseitigung  der  durch  die  Geschwulst  be¬ 
dingten  Druckwirkung  durchaus  wünschenswert  ist,  zurrial, 
wenn  sich  bewahrheiten  sollte,  dah  bestimmte  Krankheits- 

*)  Vorgestellt  in  der  Sitzung  der  wissenschaftlichen  Aerztegesell- 
sehaft  in  Innsbruck,  vom  26.  Aprü  1907. 

b  Zur  Frage  der  Operationen  an  der  Hypophyse.  Beiträge  zur 
klinischen  Chirurgie  Bd.  60,  Heft  3. 


ersclieiiiungen  in  solchen  l'ällen  mit  einer  Hyperfimktion ' 
der  vergrößerten  Hypophyse  in  Zusammenhang  stehen. 

Zur  k'reilegung  der  .H7pophyse  waren  bereits  zahl¬ 
reiche  Methoden  vorgeschiagen  worden,  extrakranielle 
mit  Vordringen  zur  Hypophyse  von  der  Keilbeinhöhle  aus 
und  intrakranielle,  bei  denen  man  durch  die  vordere 
oder  mittlere  Schädelgrube  zur  Sella  turcica  gelangt.  Unter 
den  letzteren  schien  mir  damals  die' von  Krause  empfohlene 
Methode,  bei  der  das  Stirnliirn  samt  der  Dura  e'mporgehoben 
werden  soll,  noch  die  beste. 

J  edenfalls  aber  mußte  d ie  e  x  t  r  a  k  r  a  n  i  e  1 1  e  Freilegung 
der  Hypophyse  nach  temporärer  Aufklappung  der  äußieren 
Nase,  eventuell  vereiiit  mit  der  temporären  llesektioii  ein- 
I  zehier  Teile  des  Oberkiefers  oder  —  bei  Erblindimg  eines 
i  Auges  —  mit  Ausräumung  einer  Orbita,  als  das  techriisclj^ 
einfachere  Verfahren  bezeichnet  werden.  Gegen  dies.es  Ver¬ 
fahren  sprach  nur  eines,  die  nach  der  Operation  unver¬ 
meidliche  Kommunikation  der  Wunde  an  der  Schädelbasis 
mit  dem  Nasenracheinraume  und  die  damit  verbundene  Ge^ 
fahr  einer  postoperativen  Meningitis.  Aber  auf  Grund  ver¬ 
schiedener  Erwägungen  konnte  ich  mich  nicht  entschließen, 
diese  Gefahr  allzuhoch  einzuschätzen  und  so  habe  ich  mich 
damals  dafür  ausgesprochen,  dem  extrakraniellen  Verfahren 
iiisolange  den  Vorzug  zu  geben,  als  keine  ungünstigen  Er¬ 
fahrungen  uns  eines  Besseren  belehren  sollten. 

■  Nunmehr  kann  ich  Ihnen  einen  Patienten  vorstellen, 
bei  dem  die  extrakranielle  Freilegung  und  partielle  Exstir¬ 
pation  eines  Hypophysentumors  tatsächlich  gelungen  ist. 
Ich  hähe  die  Operation  vor  acht  Wochen  ausgeführt  und 
die  Meningitis  ist  bisher  nicht  eingetreten.  Es  handelte 
sich  um  keine  Akromegalie,  sondern  um  klinische  Erschei- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


nmigen,  die  vorwiegend  durch  den  lokalen  Druck  des  Tu-  j 
mors  auf  seine  Umgebung  erklärt  werden  müssen. 

Der  Mann  (Franz  R.,  SOjähriger  Schneider  aus  Prag,  Prot.-  | 
Nr.  217,  aufgenommen  25.  Februar  1907)  datiert  sein  Leiden  auf  j 
etwa  sieben  Jahre  zumck.  Schon  1900  litt  er  oft  durch  mehrere  ! 
Wochen  an  anhaltenden  Kopfschmerzen.  Seit  1901-,  nach  einem  \ 
fünf  bis  sechs  Wochen  dauernden  ,, Ikterus“  stets  schlechter  Appetit, 
zeitweise  Kopfschmerzen.  Seit  zwei  bis  drei  Jahren  sei  er  „bleich¬ 
süchtig“  geworden,  er  sehe  seitlier  schlecliler  ans  als  vorher. 
Bald  darauf  soll  sich  Ohrenfluß  eingestellt  haben,  eine  Otitis 
media  supp.,  nach  einer  Narbe  zu  schließen,  die  am  rechten 
Trommelfell  zu  finden  ist.  Vor  sechs  Jahren  begannen  die  Kopf¬ 
haare  auszufallen,  später  die  Haare  am  übrigen  Körper,  so  daß 
nun  Brust  und  Achselhöhlen  ganz  haarlos  sind;  Kopf-  und  Bart¬ 
haare  haben  wesentlich  abgenommen,  der  Backenbart  ist  fast 
ganz  ausgegangen.  Am  wenigsten  sind  die  Schamhaare  betroffen. 
Seit  Beginn  des  Jahres  1906  ist  der  Kranke  seiner  Kopfschmerzen 
wegen  arbeitsunfähig;  Mai  1906  nahmen  dieselben  an  Heftigkeit 
noch  wesentlich  zu;  sie  dauerten  fast  beständig  an.  Tag  und 
Nacht,  exazerbierten  aber  anfallsweise  zwei-  bis  dreimal  des  Tages. 
Die  Anfälle  dauerten  10  bis  20  Minuten  und  waren  oft  vorf*' 
Schwindel  und  Ohrensausen,  seltener  von  Erbrechen  begleitet. 


K  =  verengte  Keilbeinhöhle,  H  =  Hypophysentumor,  f  =  Sinus  frontalis, 
0  =  Orbitaldach,  sm  =  Sulcus  für  die  arteria  meningea  media, 
sph  =  Fossa  sphenomaxillaris.  . 

Die  Schmerzen  begannen  dabei  oft  im  Nacken  und  verhinderten 
dann  jede  Bewegung  des  Kopfes  oder  wurden  in  der  Tiefe  quer 
durch  den  Kopf,  von  einem  Ohre  zum  anderen  empfunden. 

Seit  Februar  1906  besteht  eine  hitemporale  Hemianopsie. 
Nach  der  Schilderung  des  Patienten  ist  sie,  nachdem  er  vorher  ein 
halbes  Jahr  etwas  schlechter  gesehen  hatte,  plötzlich  gekommen 
und  gleich  von  Anfang  an  haarscharf  gewesen.  Er  hemerkte 
mit  einem  Male  auf  der  Straße  die  neben  ihm  gehenden  Leute 
nur,  wenn  er  den  Kopf  entsprechend  drehte.  Während  die  Seh¬ 
störungen  unverändert  blieben,  sind  die  Kopfschmerzen  in  den 
letzten  drei  Monaten  etwas  besser,  die  Anfälle  etwas  seltener 
geworden. 

Auch  die  Potenz  hat  im  Verlaufe  der  Krankheit  gelitten. 
Geschlechtlicher  Verkehr  wurde  mit  16  bis  17  Jahren  begonnen. 
Mit  24  Jahren  Gonorrhoe,  die  ohne  Folgen  ausheilte.  x\bnahme 
der  Potenz  seit  Beginn  des  Jahres  1905.  Während  vordem  der 
Koitus  wöchentlich  zwei-  bis  dreimal  ausgeübt  wurde,  fehlte  jetzt 
die  Lust  und  die  Kraft,  wie  der  Kranke  sagt.  Irn  Jahre  1905  kam 
es  noch  dreimal  zum  Beischlaf,  1906  gar  nicht  mehr,  Erektionen 
fehlten.  Die  Hoden  sollen  kleiner  geworden  sein. 

Die  Verschlimmerung  der  Kopfschmerzen  im  Mai  1906  führte 
den  Kranken  zum  erstenmal  in  Spitalsbehandlung.  Er  will  da¬ 
mals  vier  Wochen  im  Hedwigs-Krankenhause  in  Berlin  gelegen 
sein;  hernach  ging  es  ihm  durch  ein  paar  Wochen  besser,  aber 
der  Sommer  1906  sah  ihn  wieder  für  mehrere  Monate  im  Kranken- 
hause  am  Urban.  Später  stand  er  in  seiner  Heimat  Prag  in 
ärztlicher  Behandlung,  von  wo  er  mir  durch  Herrn  Privatdozent 
Dr.  Margulies  zur  Operation  zugeschickt  wurde. 


Das  Ergebnis  der  in  Prag  von  seiten  verschiedener  Kliniker 
und  Aerzte  vorgenommenen  Untersuchung  des  PatioJiten  deckt 
sich  mit  dem  bei  uns  erhobenen  Befund.  Der  Kranke  war  sehr  blaß 
und  sah  recht  leidend  aus.  Die  Behaarung,  dünne  Augenbrauen, 
fast  kein  Schnur-  und  Backenbart,  war  in  der  Tat  danach  angetan, 
einen  fast  puerilen  Eindruck  zu  erwecken.  Die  inneren  Organe 
holen  nichts  Abnormes.  Pulsfrequenz  zwischen  72  und  80.  Der 
neurologische  Befund  (Piiv.-Doz.  Dr.  Mar  g  u  1  i  e s- Prag  und  Pro¬ 
fessor  May  er- Innsbruck)  ergab  nur  eine  leichte  rechtsseitige 
Fazialisparese,  auffällige  Beklopfungsemplindlichkeit  der  Tubern 
frontalia,  besonders  rechts  und  des  rechten  Scheitelbeines.  All¬ 
gemeine  Kraftlosigkeit  der  Muskelleistung,  ohne  daß  etwa  eine 
umschriebene  Lähmung  nachweisbar  wäre. 

Die  ophthalmologische  Untersuchung  (Priv.-Doz.  Hirsch- 
Prag  und  Prof.  Bernheim er-Innsbruck)  ergab  hitemporale 
Hemianopsie.  Die  Sehschärfe  betrug  am  4.  März  1907  am  rechten 
Auge  Vo  bis  Ve  mit  +0-5  D,  am  linken  ®/i2  bis  Va  mit  +0-5  D; 
Der  Spiegel befund  bot  normale  Verhältnisse. 

Die  Diagnose  Hypophysentumor  war  durch  die  Hemi¬ 
anopsie  und  durch  das  Höntgenhild  gegeben.  Dieses  zeigte 
eine  deutliche  Erweiterumg  der  Sella  turcica  zu  einer  fast 
nuß'großen  Höhle,  deren  Inhalt  einen  gleich  tiefen  Schatten 
gab,  wie  das  benachbarte  Gehirn  (siehe  Fig.  l). 

Daß  die  Vergrößerung  der  Seile  turcica  auf  guten 
Röntgeinbildern  deutlich  zum  Ausdruck  kommt,  hat  Oppen¬ 
heim  gezeigt.  Aber  die  Äusdehnung  und  Form  der  Sella 
am  Bilde  gestatten  auch  ziemlich  weitgehende  Schlüsse  in 
bezug  auf  die  Größe  und  Wächstumsrichtung  des  Tümors 

Fig.  2. 

Schematische  Darstellung  der  Sella  turcica  am  Röntgenbilde,  a  =  normale 
Verhältnisse ;  b,  c,  d  =  die  verschiedenen  Formen  der  erweiterten  Sella  turcica. 

Ich  möchte  hier  kurz  auf  diesen  Gegenstand  eingehen. 
Die  Vergrößerung  der  Hypophyse  kann  zunächst  in  der 
!  -  Weise  erfolgen,  daß  dieselbe  zu  einer  Erweiterung  der 
Sella  turcica  nach  unten  führt,  der  Eingang  der  Sella  aber 
ziemlich  unverändert  bleibt  (big.  2  b).  Die  zweite  Möglich¬ 
keit  liegt  in  einem  Emporwachsen  der  Hypophyse  gegen  das 
Gehirn,  wobei  die  Sella  turcica  verbreitert,  namentlich  aber 
ihr  Eingang  erweitert  ist  (Fig.  2  c).  In  der  Mitte  zwischen 
diesen  beiden  extremen  Formen  stehen  jene  Fälle,  in  denen 
eine  Vergrößerung  der  Sella  turcica  und  eine  Erweiterung 
ihres  Einganges  vorhanden  ist  (Fig.  2d).  Zweifellos  eignen 
sich  für  die  Operation  Hypophysentumoren  vom  Typus 
Fiig.  2  b,  während  Fig.  2  c  exquisit  inoperable  Tumoren  dar¬ 
stellt.  Bei  Fällen,  die  Verhältnisse  wie  Fig.  2d  aufweisen, 
scheint  die  Beurteilung,  inwieweit  der  Tumor  gegen  das 
Gehirn  emporwächst,  von  vornherein  schwierig.  Da  aber 
Hypophysentumoren,  welche  das  Dach  der  Sella  turcica 
nur  unwesentlich  nach  oben  verdrängen  und  nicht  gegen 
das  Gehirn  emporragen,  doch  sehr  häufig  im  ITöntgenbilde 
neben  einer  Erweiterung  der  Sella  selbst  auch  eine  solche 
ihres  Einganges  zeigen,  sind  Fälle  mit  solchem  Röntgen¬ 
befund  keineswegs  von  vornherein  als  inoperabel  zu  be¬ 
zeichnen.  Ich  konnte  im  Gegenteil  schon  in  meiner  obeji 
erwähnten  Arbeit  an  der  Hand  von  anatomischen  Prä¬ 
paraten  darauf  hinweisen,  daß  das  Dach  der  Sella  nicht 
wesentlich  nach  oben  verdrängt  zu  sein  pflegt,  wenn  der 


(Schüller,  Erdheim). 


c. 


Nr  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


623 


Sagittaldurehiniesser  der  Sella  am  Bilde  2  cm  nicht  über¬ 
steigt  ;  es  eignen  sich  also  solche  Fälle  ganz  gut  zur  Opera¬ 
tion  und  es  kann  hiebei  der  Hypophysentumor  von  der  Keil¬ 
beinhöhle  aus  exstirpiert  werden.  Die  Röntgenbilder  in 
unserem  Fälle  (Fig.  l)  zeigen,  daßi  auch  er  in  diese  Gruppe 
gehört.* 

Die  Indikation  zur  Operation  war  bei  meinem  'Patienten 
durch  die  unerträglichen  Kopfschmerzen  gegeben ;  sie 
raubten  dem  Kranken  jede  Lebensfreude  und  er  iwünschte 
die  Operation,  obwohl  er  über  ihre'  Schwere  genau  orientiert 
war.  Er  hatte  auch  ohne  Bedenken  seine  Zustimmung  dazu 
gegeben,  dah.  Wenn  dies  zum  Herankommen  an  die  Ge¬ 
schwulst  sich  nötig  erweisen  sollte,  ein  Bulbus  geopfert 
werde. 

Ich  beabsichtigte,  nach  temporärer  Aufklappung  der 
äußeren  Nase,  Ausräumung  der  inneren  Nase  und  Entfernung 
der  inneren  'Wand  der  linken  Orbita  und  Highmorshöhle,  die 
Entfernung  des  Tumors  zu  versuchen  und  nur  im  Notfälle 
diese  Orbita  auszuräumen.  Der  Kranke  war  nämlich  in 
einem  zu  elenden  Zustande,  als  daß)  ich  eine  ausgedehntere 
Resektion  am  Oberkiefer  ins  Auge  fasisen  wollte  und  zur 
Entfernung  eines  ^Bulbus  konnte  ich  mich  mit  Rücksicht 
auf  die,  abgeseihen  von  der  Hemianopsie,  doch  gute  Seh¬ 
kraft  beider  Augen  schwer  entschließen. 

Die  Operation  wurde  am  16.  März  ausgeführt.  Nar¬ 
kose  mit  Billrothmischung.  Aufklappung  der  ganzen  Nase 
(v.  Bruns)  nach  rechts.  Exzision  sämtlicher  Muscheln  und  des 
Septums.  Tamponade,  worauf  die  anfangs  ziemlich  beträchtliche 
Blutung  bald  sisüerte.  Entfernung  der  inneren  Wand  der  linken 
Orbita,  bis  nahe  an  das  Foramen  opticum;  Entfernung  der 
inneren  Wand  der  linken  Highmorshöhle  und  eines  Teiles  des 
Nasenfortsatzes  des  linken  Oherkiefers.  Die  Blutung  dabei  war 
unbeträchtlich.  Es  folgte  die  Eröffnung  und  Ausräumung  der 
Siebbeinzellen  und  Eröffnung  der  Keilbeinhöhle. 

Das  Schwierigste  wmr  nun  die  Orientieruug  darüber, 
wie  nalhe  man  schon  der  Sella  turcica  gekommen  sein 
mochte  und  ob  die  vorliegenden  Hohlräume  noch  Siebbein¬ 
zellen  oder  schon  die  durch  die  Ausweitung  der  Sella  turcica 
verengte  Keilbeinhöhle  waren.  Hier  erwies  sich  die  von 
mir  schon  'früher  als  Hilfsmittel  empfohlene  genaue  Be¬ 
stimmung  der  Distanz  zwischen  der  knöchernen 
Nasenwurzel  und  der  vorderen  Wand  der  Sella 
turcica  (siehe  Fig.  Id)  als  unerläßjich  für  den  Fortgang 
der  Operation.  Wir  hatten  im  Röntgenbilde  diese  Distanz 
mit  6  cm  gemessen.  Da  aber  das  Röntgenbild  die  wahren 
Verhältnisse  in  etwas  vergrößerter  Weise  wiedergibt,  mußten 
diese  erst  durch  Umrechnung  bestimmt  werden,  wobei  sich 
die  wahre  Distanz  zwischen  den  genannten  Punkten  mit 
5-3  ein  ergab.  Beim  Arbeiten  in  der  Tiefe  brauchte  ich  mich 
bloß  davon  'überzeugen,  ob  ich  schon  5-3  cm  hinter  der 
Nasenwurzel  mich  'befand ;  solange  dies  nicht  der  Fäll  war, 
konnte  ich  getrost  weiter  eindringen.  In  der  Tat  kam  ich  in 
der  angegebenen  Entfernung  von  der  Nasenwurzel  auf  eine 
quergestellte,  'dünne  Knochenwand,  die  sich  mit  der  Pin¬ 
zette  wie  ein  Schale  losbrechen  ließ  und  hinter  der  sich 
eine  kugelige  Geschwulst  zeigte,  die  deutlich  pulsierte.  Nun 
wurde  mit  Kneipzangen  die  Oeffnung  in  dieser  Knochenwand 
nach  unten  und  nach  den  Seiten  vergrößert  und  hernach 
ein  Fenster  von  etwa  IV2  cm  Breite  und  1  cm  Höhe  in 
den  Duraüberzug  des  Tumors  geschnitten ;  sofort  wölbte  sich 
die  bläuliche  Geschwulst  aus  dem  Fdnster  hervor. 

Zur  Entfernung  der  Geschwulst  hatte  ich  mir  Spatel 
aus  biegsamem  Blech  konstruieren  lassen,  welche  sich 
mit  ihren  stumpfen  Rändern  sehr  gut  dazu  eigneten,  Scheiben 
und  Stücke  vom  Tumor  abzuschneiden,  ohne  daßi  man  eine 
unbeabsichtigte  Verletzung  der  Dura  und  der  benachbarten 
Gefäße  zu  fürchten  brauchte.  Es  wurde  auf  diese  Weise 
der  Tümor  stückweise  abgetragen  und  herausbefördert,  er 
war  aber  so  weich,  daß  er  zum  Teile  zerbröckelte.  Die 
Bröckel  fielen  auf  den  im  Nasenrachenraum  liegenden  Tam¬ 
pon  mischten  sich  mit  Blut  und  gingen  der  Untersuchung 
verloren ;  mehrere  größere  Stücke  wurden  aber  erhalten.  Die 
Ausräumung  des  Tumors  gelang  fast  'O'hne  jede  Blutung. 
Als  man  dabei  aber  nach  oben  an  das  Dach  der  Sella 


turcica  gelangte,  floß  eine  größere  Menge  blutig  fingierter 
Flüssigkeit  ab,  offenbar  Liquor  cereljrospinalis.  Man  konnte 
sich  über  die  Förm  und  Größe  der  Sella  turcica  sehr  gut 
orientiereu,  indem  eingeführte  Sonden  nach  obenhin  das 
Konvergieren  der  Wände  (ukennen  ließen.  Nur  bis  in  die 
Gegend  des  Hypopyhsenstieles  wagte  ich  beim’  Sondieren 
nicht  vorzudringeii,  weshalb  ich  über  die  Dicke  desselljen 
nichts  angeben  kann.  Ich  ließ  auch  in  jener  Gegend  einen 
Rest  des  Tumors  zurück,  meiner  Schätzung  nach  ein 
Fünftel  'der  Ges,amtmasse  der  Geschwulst,  gewiß  nicht  mehr 
als  ein  Viertel  derselben.  ^ 

Die  große  Höhle  in  der  Sella  turcica  wurde  nun  mit  in 
PerubalsanU)  getauchter  Gaze  ausgeslopft,  ein  ebensolcher 
Tampon  weiter  vorne  an  die  Schädelbasis  gelegt,  beide  Tampons 
durch  die  Nase  herausgeleitet.  •  Die  aufgeklappte  Nase  wurde  zu¬ 
rückgelagert  und  in  gewöhnlicher  Weise  durch  Weich  teilnähte 
in  normaler  Lage  fixiert.  Dauer  der  Operation .  fünf .  Viertel¬ 
stunden. 

Die  ganze  .Operation  in  der  Tiefe,  für  welche  ein  Stirn¬ 
reflektor  vorbereitet  war,  konnte  ohne  diesen  vorgenommen 
werden,  was  um  so  be'merkenswerter  ist,  als  während  der 
Operation  ein.  mir  gerade  gegenüber  liegendes  Südfenster 
meines  provisorischen  Operationssaales  (die  Operation  wurde 
an  eiimm  Nordfenster  gemacht)  unerwarteterweise  vO'ii  der 
Sonne  beschienen  wurde,  was  vorübergehend  recht  störte ; 
aber  dennoch  war  der  Einblick  auch  ohne  Reflek¬ 
toren  für  eine  genaue  Orientierung  in  der  Tiefe 
vollkommen  genügend. 

Histologisch  erwies  sich  der  Tumor  als  Adenom.  , 

Was  den  Verlauf  nach  der  Operation  betrifft,, 
so  schicke  ich  voraus,  daß  irgendwelche  Ausfallsersche.U 
nun  gen,  welche  auf  den  Verlust  von  Hyp'ophysengewebe 
zu  beziehen  wären,  nicht  aufge treten  sind.  .  ; 

In  den  ersten  Tagen  nach  der  Operation  floßi  hesländig 
Liquor  cerebrospinalis  ah.  Alle  paar  Minuten  tropfte  cs  von 
der  Nasenspitze.  Dabei  war  der  Kranke  ziemlich  schmerzfrei 
und  bald  hei  entsprechemlem  x4ppe;it.  Temperatur  im  allgemeinen 
unter  37,  Puls  um  80.  . 

Der  Tampon  in  der  Nase  belästigte  den  Kranken.  Am 
sechsten  Tage  wurde  der  vordere  Gazestreifen  entfernt,  am  neunten 
Tage  jener  in  der  Sella  turcica.^)  Die  Entfernung  des  zweiten 
Streifens  verursachte  Schmerzen,  die  auch  an  den  nächsten  beiden 
Tagen  anhielten,  aber  mit  den  seinerzei  igen  Kopfschmerzen  nichts 
gemein  hatten. 

Am  14.  Tage  nach  der  Operation  versiegte  der  Liquor¬ 
abfluß.  Die  Kopfschmerzen  geringer.  Kein  Fieber,  guter  Appetit. 

Am  2.  April,  17  Tage  nach  der  Operation,  Kopfschmerzeh 
etwas  stärker,  Appetit  schlecht,  Brechreiz.  Nachts  darauf  zwei¬ 
mal  Erbrechen,  desgleichen  an  den  beiden  folgenden  Tagen.  Am 
Nachmittage  des  4.  April  verschAvanden  .  die  Kopfschmerzen, 
Appetit  wurde  gut  und  von  da  ab  gab  es  keine  Störungen,  außer 
zeitweise  ganz  geringen  Kopfschmerzen,  die  vom  10.  April  ab 
vollkommen  verschwanden. 

16.  April.  Leichte  Anschwellung  der  rechten,  Tags  darauf 
auch  der  linken  Gesichtshälfte,  speziell  der:  oberen  Lider.  NoiTiiaip 
Temperatur.  ... 

18.  April.  Schüttelfrost,  Erbrechen,  39-6,  starke  Anschwellung 
und  scharf  begrenzte  Rötung  der  Unken  Gesichtshälfte.  Keine 
Kopfschmerzen.  Es  handelte  sich  zweifellos  um  ein  Erysipel, 
das  aber  in  zwei  Tagen  unter  Abfall  der  Temperatur  zurück¬ 
ging;  ausgegangen  ist  dasselbe  offenbar  von  einer  Borke  an 
der  Narbe  im  Gesichte,  an  der  der  Kranke  zu  kratzen  pflegte. 

Von  nun  an  ungestörtes  Wohlbefinden,  vollkom, 
mener  Wegfall  der  Kopfschmerzen,,  der  Kranke  geht  umher,  hat 
guten  Appetit  und  wird  wieder  des  Lebens  froh.  Die  Hemianopsie 
hat  sich  nicht  geändert.  Die  Untersuchung  am  2.6.  April  (Bro- 
fessor  -Bernheim er)  ergibt  die  gleiche  Gesichtsfeldeinschrän¬ 
kung  wie  vor  der  Operalion.  Außerdem  besteht  eine  leiehte 
Schwächung  des  Rectus  internus  am  linken  Auge,  infolge  des 
Eingriffes  an  der  Orbita  (gekreuzte  Doppelbilder  bei  extremer 
Blickrichtung  nach  rechts). 

9  Schl  offer,  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 
1905  und  Suter,  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie. 

Der  in  die  Sella  eingelegte  Tampon  roch,  als  er  neun  Tage  später 
entfernt  wurde,  intensiv  nach  Perubalsam.  Es  sind  also  wohl  auch  dann 
noch  an  der  Wand  der  Sella  Reste  von  Balsam  hängen  geblieben.  Es 
ist  deshalb  wohl  möglich,  daß  die  Balsamwirkung  anhielt,  solange  über¬ 
haupt  Liquor  cerebrospinalis  abfloß. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


Die  sechs  Wochen  nacli  der  Operation  antgenonnnonen 
Röntgenhihler  zeigen  keinen  nennenswerten  Unterschied  gegen¬ 
über  jenen  vor  der  Operation;  nur  ist  die  knöcherne  Begrenzung 
der  Sella  turcica  nach  vorne  undeutliclier  geworden,  vielleicht  ist 
aucli  der  Schatten,  den  der  Inhalt  der  Sella  gibt,  etwas  weniger 
dicht. 

Das  wichtigste  Ergebnis  dieser  Operation  knüpft  sicli 
an  die  Tatsache,  daß.  der  H  y  p  o  p  h  y  s  e  n  t  u  mo r  a  u  f  d  i  e  a n- 
gegehene  Weise  unerwartet  leicht  frei  gelegt  und 
entfernt  werden  konnte.  Ich  hatte  wohl  schon  seiner¬ 
zeit  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  man  an  die  ver¬ 
größerte  Hypophyse  am  Lebenden  ungleich  leichter  heran- 
kommen*werde,als  an  die  normale  Hypophyse  an  der  Leiche, 
aber  ich  konnte  damals  noch  nicht  ermessen,  ob  nicht  viel¬ 
leicht  die  am  Lebenden  zu  gewärtigende  Blutung  diesen  Vor¬ 
teil  wieder  in  Frage  stellen  würde.  Die  Blutung  war  in 
meinem  Falle  aber  lediglich  bis  zur  vollendeten  Ausräumung 
der  inneren  Nase  nennenswert;  dann  konnte  man  fast 
ohne  jede  Blutung  operieren,  kaum  unbequemer  als  an  der 
Leiche.  Speziell  die  Entfernung  des  Tumors  selbst  ging  wie 
an  einem  blutleeren  Organe  vor  sich.  Die  Sella  turcica 
konnte  mittels  des  oben  beschriebenen  Kunstgriffes  leicht 
aufgefunden  werden.  Chiasma  und  Karotiden  Icamen  mir  dabei 
überhaupt  nicht  zu  Gesicht.  Ich  bin  der  Ueberzeugung,  daß 
die  Entfernung  eines  Hypophysentumors  nach  der  geschil¬ 
derten  Methode  keineswegs  ein  Kunststück  ist  und  kaum 
schwieriger  als  etwa  die  Exstirpation  des  Ganglion  Gasseri. 
Die  Operation  kann  gewiß  von  jedem  geschulten  Chirurgen 
ausgeführt  werden. 

Als  ein  zweites  wichtiges  Ergebnis  meines  Falles  be¬ 
trachte  ich  es,  daß  der  Patient  den  Eingriff  überstanden  hat, 
ohne  daß,  es  zur  Meningitis  kam.  Seitdem  der  Kranke 
vor  kurzem  von  seinem  Erysipel  genesen  ist,  ohne  eine 
Meningitis  zu  bekommen,  habe  ich  in  Anbetracht  der  acht 
Wochen,  die  seit  der  Operation  verstrichen  sind,  in  dieser 
Richtung  wenig  Sorge  mehr.  Offenbar  ist  die  Narbe  an  der 
Schädelbasis  schon  derb  genug,  um  einer  Infektion  der 
Meningen  Widerstand  zu  leisten. 

Es  stellt  somit  fest,  daß  die  nach  der  Exstirpation 
an  der  Schädelbasis  zurückbleibende  Wunde  keineswegs 
zu  einer  Infektion  der  Meningen  zu  führen  braucht.  Damit 
aber  wird  die  Exstirpation  von  Hypophysentumoren  von 
der  Keilbeinhöhle  aus  zu  einer  Methode,  die  praktisch  immer¬ 
hin  in  Betracht  kommt. 

Für  die  Frage  der  Berechtigung  des  operativen  Ein¬ 
griffes  an  Hypophysentumoren  von  einschneidender  Bedeu¬ 
tung  ist  auch  die  Tatsache,  daß  nach  der  partiellen  Ex¬ 
stirpation  in  meinem  Fälle  .Ausfallserscheinungen  in  keiner 
Weise  eingetreten  sind.  Da  etwa  ein  Fünftel  des  Tumors 
zurückgelassen  wurde,  so  heweist  dies  natürlich  nichts  für 
die  physioloigische  Bedeutung  oder  Bedeutungslosigkeit  des 
Organes,  aber  doch  so  viel,  daßi  man  ohne  Rücksicht  auf 
eine  etwaige  bestimmte  Funktion  der  Hypophyse  Adenome 
derselben  —  um  .  ein  solches  handelte  es  sich  in  meinem 
Falle  ■ —  ohne  Schaden  zum  .größeren  Teil  abtragen  kann, 
ähnlich  wie  dies  ja  auch  bezüglich  der  Schilddrüse  gilt. 

Hypophysentumoren  galten  bisher  als  inoperabel.  Auch 
neuere  Arbeiten  und  Lehrbücher  teilen  diese  Auffassung, 
z.  B.  eine  in  jüngster  Zeit  erschienene  Arbeit  von  Braun^) 
aus  dem  Krankenhause  im  Friedrichshain  in  Berlin  über 
diesen. Gegenstand  und  ein  im  März  1907  erschienenes  Hand¬ 
buch  über  Hirnchirurgie  von  Ballance,^)  der  neben 
Horsley  als  Chirurg  am  National  hospital  in  London 
tätig  ist. 

Dennoch  muß  ich  aus  einigen  kurzen  Mitteilungen  aus 
dem  JaJire  1906  entnehmen,  daß  Horsley  Hypophysen¬ 
operationen  bereits  ausgeführt  hat.  Es  handelt  sich  um 

■*)  Zur  Freilegung  der  zentralen  Teile  der  mittleren  Schädelgrube 
(Ganglion  Gasseri  und  Sinus  cavernosus)  und  der  Hypophyse.  Deutsche 
Zeitschrift  für  Chirurgie,  87.  Band,  1.  bis  3.  Heft. 

0  Some  points  in  the  sugery  of  the  brain  and  its  membrans. 
London,  Mac  Millan  and  Co.  1907. 


das  Referat  über  einen  Vortrag  Horsleys  in  Plymouth*’) 
und  eine  Arbeit  über  die  Technik  ,der  Hirnoperationen. ’^) 
Leider  ist,  was  Horsley  zur  Sache  mitteilt,  nur  sehr  knapp 
gehalten  und  zur  Beurteilung  der  näheren  Einzelheiten  un¬ 
zureichend.  Es  ist  in  dem  genannten  Referate*’)  von  neun 
Hypophysenot)erationen  mit  zwei  Todesfällen  die  Rede,  an 
einer  Stelle  in  der  zwei  (genannten  Arbeit^)  sogar  von 
zehn  intrakraniellen  Operationen  an  der  Hypophyse.  Dann 
werden  in  ebendieser  Arbeit  in  einer  Tabelle  über  den 
weiteren  Verlauf  bei  55  Fällen  exstirpierter  Hirntumoren 
aus  dem  National  hospital  drei  Fälle  von  Adenom,  be¬ 
ziehungsweise  Adenosarkom  der  Hypophyse  registriert,  wor¬ 
unter  einer  mit  Rezidiv.  Bezüglich  der  Technik  wird  der 
Weg  von  vorne  mit  Emporheben  des  Stirnhirns  erwähnt, 
aber  jenem  von  der  mittleren  Schädelgrube  aus  mit  Empor¬ 
heben  des  Schläfelappens  der  Vorzug  gegeben.  Horsley 
erwähnt  zwei  Fälle,  in  denen  er,  nachdem  er  die  Hypophyse 
auf  diesem  Wege  entfernt  hatte,  die  Hirnbasis  mittels  eines 
in  clie  Sella  turcica  geführten  rhiiioskopischen  Spiegels  be¬ 
sichtigte. 

Bei  dem  Mangel  näherer  Angaben  verbietet  sich  natür¬ 
lich  jedes  Polemisieren;  nur  möchte  ich  bemerken,  daß 
mir  die  Freilegung  der  Hypophyse  von  der  mittleren  Schädel¬ 
grube  aus  denn  doch  ein  un gleich  schwierigerer  und  wahr¬ 
scheinlich  auch  weit  gefährlicherer  Eingiff  scheint,  als  die 
extrakranielle  Operation.  Namentlich  hätte  ich  Bedenken, 
das  erstere  Verfahren  einer  allgemeinen  Anwendung 
zu  empfehlen;  nur  unerwartet  ungünstige  weitere  Er¬ 
fahrungen  in  bezug  auf  die  Meningitisgefahr  nach  der 
extrakraniellen  Operation  könnten  dies  rechtfertigen. 

Nachtrag.  Erst  nach  der  Demonstration  des  Kranken 
in  der  wissenschaftlichen  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck 
hat  uns  der  Patient  auf  eine  interessante  Erscheinung  auf¬ 
merksam  gemacht;  es  sprießt  dem  Kranken  seit  kurzem 
ein  dichter  Flaum  an  den  unteren  Teilen  der  Backe,  wo 
vorher  nur  spärliche  Härchenreste  des  verloren  gegangenen 
Backenbartes  gestanden  waren. 

Vielleicht  ist  diese  Tatsache  geeignet,  eine  Vorstellung 
über  die  Ursachen  gewisser  trophischer  Störungen  zu  geben, 
die  bei  vielen  Hypophysentumoren  gefunden  werden.  Ich 
glaube  nämlich  nicht,  daß  man  für  diesen  Umschwung  in 
bezug  auf  den  Haarwuchs  einfach  den  Wegfall  der  Kopf¬ 
schmerzen  oder  die  besseren  Ernälirungsverhältnisse  nach 
der  Operation  verantwortlich  machen  kann ;  eher  wird  man 
denselben  so  erklären  dürfen,  daß  früher  eine  Hyperfunk¬ 
tion  der  vergrößerten  Hypophyse  zu  einem  Ausfall  ider  Haare 
geführt  hat,  während  jetzt,  nach  der  partiellen  Exstirpation 
des  Organes  die  den  Haarwuchs  schädigenden  Momente  in 
Wegfall  gekommen  sind.  Vlit  dem  histologischen  Befunde 
des  exstirpierten  Tumors  wäre  die  Annahme  insofern  in 
Einklang  zu  bringen,  als  es  sich  dabei  lediglich  um  eine 
Vermehrung  des  Hypoi)hysengewebes  gehandelt  hat;  wenig¬ 
stens  unterschied  sich  das  Gewebe  der  Geschwulst  nicht 
wesentlich  von  dem  des  drüsigen  Vorderlappens  der  nor¬ 
malen  Hypophyse.  Und  die  Vorstellung,  daß  die  Hyper¬ 
funktion  in  einem  gewissen  Verhältnisse  steht  zur  Masse 
des  vorhandenen  Drüsengewebes  ist  zwar  primitiv  aber 
plausibel.  Bei  der  Akromegalie  hat  man  bekanntlich  sogar 
den  gesamten  Symptomenkomplex  auf  eine  Hyperfunktion 
der  Hypophyse  zurückgeführt  (Benda  u.  a.). 

Auf  das  WTedereinsetzen  des  Bartwuchses  werde  ich 
zugleich  mit  einer  Reihe  anderer  klinischer  Details  und  einer 
näheren  Würdigung  des  histologischen  Befundes  nach  Ab¬ 
lauf  längerer  Zeit  in  einer  ausführlichen  Publikation  des 
Falles  zurückkommen. 


9  Brit.  med.  Journ.  1906,  II,  p.  325. 
9  Brit.  med.  Journ.  I,  p.  411. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


625 


Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie. 

II.  Das  kausale  und  die  auslösenden  Momente.  Der  akute 
Anfall  von  Tetanie  nach  Tuberkulininjektion. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Chvostek. 

Wenn  die  Tetanie  eine  typische  Erkrankung  sui  generis 
ist,  woran  wohl  nicht  gezweifelt  werden  kann  und  nicht  bloß 
ein  Symptomenkomplex,  der  im  Verlaufe  verschiedener  krank¬ 
hafter  Störungen  auftritt,  dann  ist  es  aber  auch  zweifellos, 
daß  für  pathogenetische  Erwägungen  nur  zwei  Möglichkeiten 
in  Betracht  kommen ;  entweder  liegt  der  Erkrankung  ein 
ganz  spezifischer  Erreger  zugrunde,  der  allein  imstande  ist, 
die  Erkrankung  hervorzurufen,  oder  aber  die  Eigenart  der 
Erkrankung  ist  durch  Veränderungen  ganz  bestimmter  Organe 
bedingt,  deren  gestörte  Funktion  dann  das  charakteristische 
Krankheitsbild  der  Tetanie  zur  Folge  hat.  Für  die  erste  Mög¬ 
lichkeit  ist  bisher  auch  nicht  im  entferntesten  der  Nachweis 
erbracht  worden,  die  einfache  Ueberlegung  muß  allein  schon  die 
Suche  nach  solchen  Erregern  als  aussichtslos  erscheinen  lassen. 
Wie  kann  der  Tetanie  ein  spezifischer  Erreger  zugrunde 
liegen,  wenn  wir  sehen,  daß  sie  sich  bei  den  verschiedensten 
Infektionen  und  Intoxikationen,  bei  Erkrankung  verschiedener 
Organe  mannigfachster  Art,  im  Anschlüsse  an  körperliche 
und  psychische  Insulte,  nach  Erkältungen  etc.  findet,  wenn 
unter  Umständen  eine  Ausheberung  des  Magens,  eine  Morphin¬ 
injektion  imstande  ist,  die  Erscheinungen  der  Tetanie  zutage 
treten  zu  lassen  ?  Alle  diese  Momente  können  nur  als  auslösende, 
nie  als  kausale  in  Betracht  kommen.  Das  wesentliche  der  Erkran¬ 
kung  muß  in  den  Individuen  selbst  gelegen  sein,  Störungen  ganz 
bestimmter  Organe  nur  können  es  bewirken,  daß  auf  die 
verschiedensten  auslösenden  Ursachen  hin,  immer  dieselben 
Erscheinungen  sich  einstellen.  Nicht  ein  spezifischer 
Erreger  kann  es  sein,  der  die  typischen  Erschei¬ 
nungen  der  Tetanie  hervorruft,  sondern  ein  kon¬ 
stitutionelles  Moment  bewirkt  es,  daß  -die  ver¬ 
schiedensten  auslösenden  Faktoren  eine  spezi¬ 
fische  tetanische  Reaktion  der  so  beschaffenen 
Individuen  zur  Folge  haben. 

Sprechen  die  angeführten  Umstände  schon  a  priori  gegen 
die  Möglichkeit,  für  die  Tetanie  einen  spezifischen  Erreger  zu 
supponieren  und  muß  notwendigerweise  die  zweite  Möglich¬ 
keit,  daß  dieser  Erkrankung  Veränderungen  ganz  bestimmter 
Organe  zugrunde  liegen,  zu  Recht  bestehen,  so  können  für 
diese  außerdem  noch  eine  Reihe  gewichtiger  Beweismomente  an¬ 
geführt  werden.  Vor  allem  ist  es  erwiesen,  daß  es  ganz  be¬ 
stimmte  Organe  gibt,  die  Glandulae  parathyreoideae,  deren 
Ausfall  dieselben  Erscheinungen  setzt,  die  wir  bei  der  Tetanie 
beobachten.  Die  Kongruenz  der  Erscheinungen  der  parathyreo- 
priven  Tetanie  des  Tieres  und  der  Erscheinungen  beim 
Menschen  ist  eine  vollständige.  Die  Differenzen  sind  nur 
solche,  wie  wir  sie  durch  die  Verschiedenheit  der  Tierspezies 
bedingt  auch  im  Experimente  sehen  können.  Wenn,  wie 
Schnitze^)  hervorhebt,  thyreoidektomierte  Tiere  im  Gegen¬ 
satz  zur  elektrischen  Erregbarkeit  keine  oder  nur  geringe 
Steigerung  der  mechanischen  Erregbarkeit  aufweisen,  Pineles-j 
häufiger  bei  tetaniekranken  Katzen  als  bei  Affen  eine  Steigerung 
der  mechanischen  Erregbarkeit  nachweisen  kann,  fibrilläre 
Muskelzuckungen  bei  epithelkörperlosen  Tieren  intensiver 
findet  als  bei  tetaniekranken  Menschen  und  konstatiert,  daß 
die  Tetanie  bei  Katzen  mehr  akut  verläuft,  bei  diesen  Tieren 
die  Krämpfe  prävalieren,  während  beim  Affen  die  Krämpfe 
in  den  Hintergrund  treten,  das  Muskelflimmern  stärker  aus¬ 
gesprochen  und  der  Verlauf  ein  mehr  chronischer  ist,  so  sind 
das,  wie  Pineles’^)  mit  Recht  hervorhebt,  keine  auffallenden 
Erscheinungen,  da  sie  durch  die  Verschiedenheit  der  Tier¬ 
spezies  ihre  Erklärung  finden  können.  Im  wesentlichen 
stimmen  die  Erscheinungen  bei  allen  Tiergattungen  überein. 
Diese  Differenzen  sind  um  so  weniger  von  Belang,  als  sie 
sich  nicht  nur  bei  den  bisher  gesondert  angeführten  Formen 
menschlicher  Tetanie  finden  können,  sondern  auch  bei  Indi¬ 
viduen,  die  an  derselben  Art  von  Tetanie  leiden,  zur  Beob¬ 
achtung  gelangen.  Wenn  wir  z.  B.  nur  Fälle  von  so¬ 


genannter  Arbeitertetanie  ins  Auge  fassen,  so  sehen  wir 
auch  hier,  ebenso  wie  bei  den  übrigen  Formen,  eine 
ungemeine  Variabilität  der  Erscheinungen.  Es  gibt  Fälle, 
bei  welchen  die  Krampferscheinungen  stürmisch  ver¬ 
laufen,  Fälle,  bei  welchen  nach  jahrelanger  Latenz  ein  An¬ 
fall  von  enormer  Heftigkeit  durch  kurze  Zeit  auftritt,  um 
dann  wieder  vollständig  zu  zessieren,  wofür  wir  einen  Beleg 
in  den  folgend  angeführten  Krankheitsgeschichten  finden 
können,  oder  Fälle  bei  welchen  sich  Krämpfe  überhauj)t 
nicht  oder  höchstens  ganz  sporadisch  und  ganz  geringfügig 
einstellen.  Ebenso  sehen  wir,  daß  in  einzelnen  -Fällen  das 
Muskelllimmern  stark  ausgesprochen  und  ausgebreitet  auf¬ 
tritt,  oft  das  einzige  motorische  Symptom  der  Tetanie  vor¬ 
stellt,  in  anderen  Fällen  wieder  vollständig  fehlt.  Bei 
anderen  Kranken  kann  die  mechanische  Uebererregbarkeit 
hochgradig  seiOj  die  elektrische  kaum  nachweisbar  oder 
überhaupt  fehlen,  in  einem  anderen  Falle  gelingt  es  nur 
bei  wiederholter  Untersuchung,  das  Fazialisphänomen  nach¬ 
zuweisen.  Wir  können  von  der  weiteren  Anführung  des  diffe¬ 
renten  Verhaltens  der  Erscheinungen  im  Verlaufe  der  Tetanie 
füglich  absehen,  weil  wir  bereits  wiederholt  Gelegenheit  hatten, 
darauf  hinzuweisen. Daraus  erhellt  aber,  daß  derartige 
Differenzen  im  Verlaufe  und  in  den  Erscheinungen  nicht 
herangezogen  werden  dürfen,  um  eine  durchgreifende  Ver¬ 
schiedenheit  der  parathyreopriven  Tetanie  des  Tieres  und 
der  Tetanie  des  Menschen  darzutun,  oder  auf  Grund  solcher 
die  Identität  der  verschiedenen  Gruppen  menschlicher  Tetanie 
abzulehnen. 

Wenn  wir  uns  anschließend,  um  späterhin  Wieder¬ 
holungen  vermeiden  zu  können,  die  Frage  vorlegen,  ob  die  bisher 
übliche  Sonderung  der  Tetanie  in  die  verschiedenen  Formen :  die 
Tetanie  der  Arbeiter,  die  Tetanie  bei  Magendarmaffektionen, 
nach  Infektionskrankheiten,  nach  Intoxikationen,  die  Tetanie 
der  Schwangeren,  die  Tetanie  nach  Kropfexstirpationen  etc. 
vom  klinischen  Standpunkte  aus  gerechtfertigt  erscheint,  so 
muß  dies  unbedingt  verneint  werden.  Diese  Einteilung  ver¬ 
dankt  einzig  und  allein  der  Unkenntnis  über  die  Pathogenese 
der  Erkrankung  ihre  Entstehung,  da  man  sich  nicht  klar 
war,  ob  den  einzelnen  für  die  Differenzierung  herangezogenen 
Momenten,  in  deren  Anschluß  man  das  Auftreten  der  Tetanie 
beobachtete,  eine  direkt  ursächliche  Bedeutung  zukomme, 
oder  ob  sie  nur  als  auslösende  in  Betracht  kämen.  Vom 
rein  klinischen  Standpunkte  aus  ist  eine  solche  Trennung 
der  einzelnen  Formen  undurchführbar.  Wenn  Pineies  bei 
Analyse  der  einzelnen  Symptome  der  verschiedenen  Tetanie¬ 
formen  zu  dem  Schlüsse  kommt,  daß  bei  allen  Arten  der 
menschlichen  Tetanie  mit  ihren  mannigfachen  Symptomen- 
komplexen  ihre  klinische  Uebereinstimmung  sehr  auffallend 
erscheint,  so  können  wir  dem  nur  zustimmen,  glauben  aber, 
daß  eine  schärfere  Fassung  den  Tatsachen  mehr  entspricht. 
Eine  letal  verlaufende  Tetanie  nach  Kropfexstirpation  unter¬ 
scheidet  sich  in  ihren  Erscheinungen  in.,  nichts  von  den  akut 
verlaufenden  Fällen  der  Tetanie  bei  Magenaffektionen  oder 
von  letal  verlaufenden  Graviditätstetanien.  Eine  chronisch 
verlaufende  »thyreoprive«  Tetanie  gleicht  in  ihren  Erscheinun¬ 
gen  vollständig  den  chronisch  verlaufenden  Arbeitertetanien. 
Wir  sind  nicht  imstande,  auch  nur  ein  maßgebendes 
Differenzierungsmoment  zu  erheben,  das  uns  ermöglichen 
würde,  eine  Tetanie  der  Schwangeren  von  einer  Tetanie 
nach  Phosphorintoxikation  oder  bei  Hirntumor  zu  erkennen. 
Die  klinische  Beobachtung  spricht  strikte  für  die 
Zusammengehörigkeit  aller  dieser  Fälle  und 
nötigt  uns  zu  der  Annahme,  daß  allen  als  kausal 
in  Betracht  gezogenen  Faktoren  nur  die  Bedeu¬ 
tung  auslösender  Momente  zu  kommen  kann,  sie 
zwingt  uns  ein  einheitliches  kausales  Moment 
für  alle  diese  Fälle  anzunehmen. 

Wenn  nun  aber  die  einfache  Ueberlegung,  die  wir  ein¬ 
gangs  angeführt  haben,  zu  dem  Schlüsse  führt,  daß  das 
wesentliche  der  Erkrankung  in  den  Individuen  selbst  gelegen 
sein  muß,  daß  alle  bisher  angenommenen  Faktoren  nicht 
als  kausale,  sondern  nur  als  auslösende  in  Betracht  kommen 


WIENER  KLINISCHE  WOCIJENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


können,  wenn  die  Beobachtung  der  Klinik  uns  zwingt,  ein 
einheitliches  kausales  Moment  für  alle  Fälle  von  Tetanie 
anzunehmen,  wenn  der  Nachweis  geführt  ist,  daß  es  Organe 
gibt,  deren  Ausfall  die  typischen  Erscheinungen  der  Tetanie 
setzt,  wenn  nachgewiesen  werden  kann,  daß  diese  Erschei¬ 
nungen  mit  denen,  die  wir  bei  der  Tetanie  des  Menschen 
sehen,  identisch  sind,  dann  ist  wohl  auch,  glauben  wir, 
der  Schluß  gerechtfertigt,  daß  die  Epithelkörper  für  die 
Pathogenese  der  Tetanie  der  Menschen  von  Belang  sein 
müssen. 

Die  Uebereinstimmung  der  Symptome  der  parathyreo- 
priven  Tetanie  der  Tiere  und  der  Symptome  der  Tetanie  beim 
Menschen  ist  nun,  worauf  P  i  n  e  1  e  s  zuerst  hingewiesen 
hat,  eine  vollständige. 

Wenn  wir  auf  die  Ergebnisse  der  bisher  vorliegenden 
Tierexperimente  rekurrieren,  so  finden  wir  dieselben  Krämpfe, 
dieselben  Anklänge  an  Intentionskrämpfe,  dasselbe  fibrilläre 
Zittern  der  Muskulatur,  die  mechanische  und  elektrische  Ueber- 
erregbarkeit,  das  Trousseau  sehe  Phänomen,  Parästhesien, 
mitunter  schlaffe  Paresen,  epileptiforme  Anfälle  etc.,  wie  wir 
sie  auch  bei  der  Tetanie  des  Menschen  sehen.  Auch  dasselbe 
Fluktuieren  der  Erscheinungen  wie  bei  der  menschlichen 
Tetanie,  beobachten  wir  beim  parathyreopriven  Tiere.  Ebenso 
ist  der  Nachweis  erbracht  (Erdheim®),  daß  Exstirpation 
der  Epithelkörper  trophische  Störungen  verursachen  kann  und 
Yon  demselben  Beobachter  konnte  das  Vorhandensein  einer 
Katarakte  bei  einer  tetaniekranken  Ratte  konstatiert  werden. 
Auch  kachektische  Zustände  auf  die  v.  Fr  an  kl-H  o  ch  w  ar  t’) 
bei  der  Tetanie  des  Menschen  neuerdings  aufmerksam 
gemacht  hat,  finden  sich  beim  Tiere.  Wohl  in  seltener  Ueber¬ 
einstimmung  stehen  die  Ergebnisse  des  Tierexperimentes  mit 
den  Verhältnissen  beim  Menschen  für  die  Maternitätstetanie. 
Vassales®}  Hündin  mit  einem  Epithelkörper  hat  vorüber¬ 
gehend  einige  Anfälle  von  Tetanie,  die  dann  zessieren,  um 
ein  Jahr  später  während  der  I.aktation  in  Erscheinung  zu 
treten  und  mit  dem  Aussetzen  des  Stillens  wieder  zu 
schwinden.  Erdheim,  Adler  und  Thaler®)  konnten  bei 
partiell  parathyreoidektomierten  Ratten  mit  dem  Eintritte  der 
Gravidität  (ein-  bis  mehrmals)  den  Ausbruch  der  Tetanie 
beobachten.  Bei  zwei  Kranken  M  e  i  n  e  r  t  s  ^®)  und  v.  E  i  s  e  1  s- 
bergs^^),  tritt  nach  Schilddrüsenoperation  während  der  Gra¬ 
vidität  Tetanie  auf  oder  exazerbierte  während  derselben. 

Daß  nicht  die  Exstirpation  oder  Schädigung  der  Schild¬ 
drüse  das  maßgebende  für  das  Auftreten  der  Tetanie  ist,  wird, 
abgesehen  von  dem  Tierexperiment,  auch  durch  die  Ergebnisse 
der  Pathologie  des  Menschen  immer  mehr  erhärtet.  Dafür 
spricht  das  von  Pineies  herangezogene  Verhalten  von 
Kranken  mit  Thyreoaplasie,  bei  welchen  das  Fehlen  von 
Tetanie  nur  auf  das  Vorhandensein  der  Epithelkörperchen 
bezogen  werden  kann,  sowie  der  Umstand,  daß  bei  Exstir¬ 
pation  von  Zungenkröpfen,  wohl  Ausfallserscheinungen  von 
Seiten  der  Thyreoidea,  nicht  aber  Tetanie  zur  Beobachtung 
gelängte,  weil  bei  dieser  Operation  die  Epithelkörper  ge¬ 
schont  werden.  Kocher  spricht  sich  dahin  aus,  daß 
die  Erfahrungen  am  Menschen  geeignet  sind,  die  Anschauung 
zu  stützen,  daß  nicht  der  Ausfall  der  Schilddrüse,  sondern 
der  Parathyreoidea  es  ist,  welcher  die  akute  Tetanie  zur 
Folge  hat.  Dafür  spricht  ihm  unter  anderen  das  von  Pineies 
zuerst  betonte  Moment,  daß  besonders  bei  Entfernung  der  beiden 
unteren  Schilddrüsenhälften  das  Auftreten  der  Tetanie  beobachtet 
werden  kann,  ferner  die  seltene  Kombination  von  Myxödem 
und  Basedow  mit  Tetanie.  Er  faßt  seine  Auffassung  dahin 
zusammen,  daß  der  für  das  Tier  festgestellte  Ausgangspunkt 
der  Tetanie  von  der  Parathyreoidea  durch  eine  Anzahl  von 
Beobachtungen  und  Erwägungen  auch  für  den  Menschen  als 
der  wahrscheinlichste  angesehen  werden  kann.  Erdheim 
konnte  in  drei  Fällen  von  Tetanie  nach  Kropfexstirpation  das 
Vorhandensein  ausreichender  und  genügend  mit  Blut  ver¬ 
sorgter  Schilddrüsenreste  konstatieren,  so  daß  nur  das  Fehlen 
der  Epithelkörperchen  für  das  Auftreten  der  Tetanie  verant- 
w’ortlich  gemacht  werden  konnte.  In  zwei  Fällen  von  Tetania 
infantum  konnte  er  Blutungen,  resp.  deren  Residuen  in  den 


Epithelkörpern  nach  weisen.  Mac  Callum*^)  fand  in  einem 
Falle  tödlicher  Magentetanie,  Veränderungen  an  den  Epithel¬ 
körpern  (zahlreiche  Mitosen  und  besondere  Größe  der 
eosinophilen  Zellgruppen),  die  ihm  im  Sinne  einer  Hyperplasie 
als  Folge  von  zu  großen  an  die  Drüse  gestellten  Anforderungen 
sprechen. 

Hieher  gehört  vielleicht  auch  eine  Beobachtung  König- 
steins.  ^‘‘)  ICr  fand  in  einem  Falle  von  Tetanie  eine  auffallende 
Braunfärbung  durch  Jod  in  den  Epithelkörpern  im  Gegensatz 
zu  Kontrollgeweben,  bei  welchen  diese  Reaktion  teils  gar 
nicht,  teils  in  geringem  Maße  nachweisbar  war.  Die  ver¬ 
sprochene  ausführliche  Mitteilung  steht  noch  aus.  Ebenso 
muß  hier  angeführt  werden  die  in  der  vorigen  Mitteilung 
erwähnte  Beobachtung  der  Klinik  Hocheneggs  mit 
Tuberkulose  der  Epithelkörper  und  mechanischer  Uebererreg- 
barkeit  der  Nerven. 

Gegen  die  Abhängigkeit  der  Tetanie  von  Erkrankungen 
der  Schilddrüse  sprechen  dann  noch,  worauf  wir  bereits  an 
a.  0.  hingewiesen  haben,  das  Fehlen  von  Tetanie  bei  ende¬ 
mischem  Kropf  und  Kretinismus  (v.  Wagner,  v.  E  i  s  e  l  s- 
b  e  r  g),  die  Seltenheit  von  Tetanie  in  Kropfgegenden  (v.Frankl- 
H  och  wart),  das  seltenere  Vorkommen  von  Tetanie  bei 
Frauen  gegenüber  dem  häufigeren  Vorkommen  von  Strumen 
bei  diesen,  das  seltene  Vorkommen  von  Schilddrüsen  Verände¬ 
rungen  bei  tetaniekranken  Männern)  die  relative  Seltenheit 
von  Tetanie  bei  Schwangeren  gegenüber  der  Häufigkeit  von 
Veränderungen  der  Schilddrüse  bei  solchen. 

Dazu  kommt,  daß  wir  durch  die  Annahme,  der  Tetanie 
liege  eine  Funktionsstörung  der  Epithelkörper  zugrunde, 
für  eine  Reihe  von  Beobachtungen  eine  Erklärung  zu  geben 
imstande  sind,  die  uns  bei  der  Annahme  einer  Schilddrüsen¬ 
affektion  unverständlich  blieben.  Hieher  gehören  die  Fälle 
von  Tetanie,  bei  welchen  rezidivierende  Kropfgeschwülste,  oft 
jahrelang  nach  der  Kropfexstirpation  die  Erscheinungen  der 
Tetanie  hervorrufen,  die  Fälle,  wo  bei  nahezu  vollständiger 
Entartung  der  Schilddrüse  die  Erscheinungen  der  Tetanie 
fehlen  und  erst  nach  dem  operativen  Eingriff  auftreten,  ferner 
der  Umstand,  daß  das  Auftreten  der  Tetanie  nach  operativen 
Eingriffen  unabhängig  ist  von  der  Größe  des  zurückgelassenen 
Restes  (v.  Eiseisberg  ^^). 

Die  bisher  gegen  die  Bedeutung  der  Epithelkörper  für  die 
Pathogenese  der  Tetanie  von  verschiedenen  Seiten  an¬ 
geführten  Momente,  können  wohl  kaum  als  beweiskräftig 
angesehen  werden.  So  findet  der  Umstand,  daß  Trans¬ 
plantation  der  Schilddrüse  das  Auftreten  der  thyreopriven 
Tetanie  verhindert,  vermutlich  durch  die  gleichzeitige  Ein¬ 
pflanzung  der  Epithelkörper  seine  Erklärung.  Der  Ueber- 
gang  von  Tetanie  in  Kachexie,  wie  er  nach  Kropfexstirpation 
beobachtet  werden  kann,  ist  kein  Beweis  für  die  Zusammen¬ 
gehörigkeit  beider  Erkrankungen  und  ist,  wie  Erdheim 
annimmt,  in  der  verschiedenen  Inkubationsdauer  beider  be¬ 
gründet.  Gegen  die  Zusammengehörigkeit  beider  sprechen  — 
wie  wir  früher  angeführt  haben  —  die  Erscheinungen  bei 
Thyreoaplasie  (P  i  n  e  1  e  s),  die  Seltenheit  von  Myxödem  und 
Basedow,  Erkrankungen  sicher  thyreoidalen  Ursprunges  mit 
Erscheinungen  von  Tetanie,  das  Vorkommen  von  Tetanie  ohne 
Kachexiesymptome  (Kocher).  Daß  bei  Tetanie  trophische 
Störungen  und  auch  kachektische  Zustände  gelegentlich  zur 
Beobachtung  gelangen  können  (v.  Fra  n  kl-H  o  ch  w  art), 
deren  Vorhandensein  auf  eine  Beteiligung  der  Schilddrüse 
hinweisen  könnte,  bei  welcher  derartige  Veränderungen  sicher 
nachgewiesen  sind,  ist  richtig.  Nun  ist  aber  durch  E  r  d  h  e  i  m 
der  Nachweis  von  trophischen  Störungen  nach  Epithelkörper¬ 
ausfall  erbracht  worden,  so  daß  auch  dieser  mögliche 
Einwand  seine  Bedeutung  verliert. 

Als  gewichtigstes  Beweismoment  gegen  den  Zusammen¬ 
hang  der  Epithelkörper  mit  Tetanie  kämen  die  bisher  in 
einzelnen  Fällen  erhobenen  negativen  Befunde  an  diesen 
Organen  in  Betracht.  Aber  auch  diesen  kann  eine  strikte 
Beweiskraft  wohl  kaum  zugesprochen  werden.  Grob  ana¬ 
tomischen  Befunden  kommt  natürlich  gar  kein  Wert  zu. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Nr.  21 


Aber  auch  histologische  Untersnchungsergebnisse  —  selbst 
wenn  sie  alle  Epithelkörperchen  berücksichtigten  —  be¬ 
rechtigen  derzeit  zu  keinen  weitergehenden  Schlüssen. 
Es  geht  nicht  an,  aus  allem  Anscheine  nach  histologisch 
normalen  Epithelkörpern  auch  auf  eine  normale  Funktion 
dieser  Organe  zu  schließen.  Dazu  sind  vor  allem  unsere 
Kenntnisse  über  die  feinere  Struktur  dieser  Gebilde  und 
die  Veränderungen  ihrer  Gewebe  bei  pathologischen 
Prozessen  zu  gering.  Aber  abgesehen  davon,  wissen  wir 
ja,  daß  selbst  histologisch  hochgradig  veränderte  Organe 
noch  über  genügendes  Funktionsvermögen  verfügen  können 
und  zu  keinen  Ausfallserscheinungen  führen,  während  histo¬ 
logisch  intakte  Organe  sich  durch  die  klinische  Beobachtung 
als  in  hohem  Grade  funktionsuntüchtig  erweisen  ließen. 
Positiven  Befunden  können  wir  im  allgemeinen  eine  größere 
Beweiskraft  zusprechen,  können  sie  aber  auch  nur  dann  zu 
Schlüssen  verwenden,  wenn  entweder  ihre  Konstanz  oder 
die  Möglichkeit,  sie  mit  den  klinischen  Erfahrungen  und  den 
Ergebnissen  der  experimentellen  Forschung  in  Einklang  zu 
bringen,  uns  hiezu  berechtigt. 

Legen  wir  uns  die  Frage  vor,  ob  wir  bei  der  Tetanie 
des  Menschen  grobe,  sicher  erkennbare  Veränderungen  an 
den  Epithelkörpern  erwarten  dürfen,  so  können  wir  dies  für 
die  Mehrzahl  der  Fälle  als  unwahrscheinlich  annehmen.  Aus 
rein  klinischen  Erwägungen  müssen  wir  zu  dem  Schlüsse 
kommen,  daß  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  von 
Tetanie  nur  eine  Insuffizienz  dieser  Organe  zugrunde  liegen 
kann.  Wie  anders  könnten  wir  uns  erklären,  daß  bei 
einzelnen  Fällen  die  Einwirkung  der  Kälte  oder  intensivere 
Muskelarbeit  den  tetanischen  Anfall  auslöst,  der  dann  inner¬ 
halb  kurzer  Zeit  bei  Bettruhe  schwindet.  Eine  Angina,  ein 
Anfall  von  Cholelithiasis  kann  die  Erscheinungen  manifest 
machen  und  mit  dem  Schwinden  dieser  klingen  auch  alsbald 
die  Erscheinungen  der  Tetanie  ab.  In  einem  oder  dem  anderen 
Falle  mag  uns  dann  vielleicht  das  Fazialisphänomen  die  Per¬ 
sistenz  der  Veränderung  in  der  Funktion  der  Epithelkörper 
anzeigen.  Aber  selbst  dieses  kann  vollständig  fehlen,  even¬ 
tuell  nur  zur  Zeit  der  Menstruation  zutage  treten  und  eine 
Schwangerschaft  ruft  bei  dem  scheinbar  ganz  normalen 
Individuum  die  Erscheinungen  der  Tetanie  in  vollem  Umfange 
wieder  hervor.  Das  sind  äußerst  milde  Formen  des  schweren 
letalen  Krankheitsbildes  bei  parathyreopriver  Tetanie  des 
Tieres  und  der  Tetanie  nach  Kropfexstirpation  beim  Menschen. 
Bei  ihnen  bedarf  es  eines  oder  mehrerer  auslösender 
Momente,  um  die  deutlichen  Erscheinungen  der  Tetanie  zu¬ 
tage  treten  zu  lassen  und  mit  dem  Schwinden  dieser  gehen 
auch  die  Erscheinungen  wieder  zurück.  Die  Epithelkörper 
sind  suffizient,  so  lange  keine  erhöhten  Anforderungen  an  sie 
gestellt  werden  oder  die  Verhältnisse,  an  die  sich  ihre 
Funktion  angepaßt  hat,  nicht  geändert  werden.  Ihre  Labilität 
und  Minderwertigkeit  —  auch  wenn  sie  uns  sonst  keine 
erkennbaren  Erscheinungen  dafür  bieten  —  wird  manifest,  wenn 
erhöhte  Anforderungen  an  ihre  Funktion  gestellt  werden  und 
sie  sich  den  geänderten  Verhältnissen  nicht  mehr  anpassen 
können.  Für  diese  Formen  dürfen  wir  wohl  kaum  mit  unseren 
derzeitig  verfügbaren  Hilfsmittel  nachweisbare  Veränderungen 
der  Epithelkörper  erwarten.  Bei  der  Gutartigkeit  des  Ver¬ 
laufes  dieser  Fälle  verfügen  wir  auch  über  keine  histologi¬ 
schen  Befunde. 

Günstiger  dürften  die  Verhältnisse  für  den  histologischen 
Nachweis  in  jenen  Fällen  chronisch  rezidivierender  Tetanie 
liegen,  bei  welchen  die  Erscheinungen  eigentlich  nie  zur  Ruhe 
kommen,  mehr  oder  weniger  häufig  Krämpfe  auftreten  oder 
wenigstens  die  Neigung  zu  Krämpfen  persistent  bleibt,  bei 
welchen  Parästhesien,  Neigung  zum  Einschlafen  der  Extre¬ 
mitäten  anhalten  und  eines  oder  das  andere  der  Kardinal- 
symptomo  —  in  der  Regel  die  mechanische  und  elektrische 
Uebererregbärkeit  —  sich  nachweisen  läßt.  Für  diese  Formen 
liegt  —  so  weit  ich  die  Literatur  übersehe  —  bisher  keine 
anatomische  Untersuchung  vor.  Am  sichersten,  sollte  man 
annehmen,  müßten  sich  Veränderungen  an  den  Epithel¬ 
körpern  in  den  letal  verlaufenden  Fällen  von  Tetanie  bei 


Magendarmaffektionen  finden.  Wenn  es  richtig  ist,  daß  der 
Tod  in  diesen  Fällen  auf  die  Tetanie  allein,  also  auf  den 
Funktionsausfall  dieser  Organe  ganz  oder  wenigstens  zum 
großen  Teile  zu  beziehen  ist,  dann  sollte  man  —  wenn 
unsere  Hilfsmittel  nicht  ganz  unzulängliche  sind  —  wenn 
schon  nicht  in  allen,  so  doch  in  einer  größeren  Anzahl  von 
Fällen  Veränderungen  an  den  Epithelkörpern  finden.  Und 
gerade  für  diese  Gruppe  von  Fällen  liegen  bisher  ein  positiver 
und  drei  negative  Befunde  vor.  Dieser  scheinbare  Wider¬ 
spruch  findet  seine  Aufklärung,  wenn  wir  der  Frage  näher¬ 
treten,  ob  denn  —  wie  bisher  vielfach  angenomjnen  wird 
—  die  Tetanie  als  eigentliche  causa  mortis  angesehen 
werden  kann. 

Dieser  Nachweis  erscheint  nun  keineswegs  erbracht  und 
es  bedarf  diese  Frage  dringendst  einer  Revision.  Für  viele  der 
in  der  Literatur  als  hieher  gehörig  angeführten  Fälle  ist  die 
Diagnose  der  Tetanie  keineswegs  sichergestellt.  In  anderen 
steht  wohl  die  Diagnose  fest,  aber  die  Tetanie  steht  hier 
völlig  im  Hintergründe  gegenüber  dem  Grundleiden  und 
dieses  und  nicht  die  Tetanie  führt  den  Tod  herbei,  oder  ein 
operativer  Eingriff  muß  als  Todesursache  angesehen  werden. 
Für  diese  Fälle  gilt  das  für  die  gutartigen  Formen  der  Tetanie 
vorher  angeführte.  Gelingt  es,  die  die  Tetanie  auslösende 
Magenaffektion  zu  beseitigen,  dann  schwinden  mit  ihr  auch 
die  Erscheinungen  der  Tetanie.  Das  den  Tod  bedingende 
Moment  kann  nicht  in  einer  Funktionsstörung  der  Epithel¬ 
körper,  sondern  in  anderweitigen,  durch  die  Magenaffektion 
bedingten  Störungen  gelegen  sein. 

Nur  in  einem  kleinen  Bruchteil  der  Fälle  sind  die  Er¬ 
scheinungen  so,  daß  an  einen  kausalen  Zusammenhang  des 
Todes  mit  der  Tetanie  gedacht  werden  könnte.  Doch  auch 
in  diesen  Fällen  ist  das  wesentliche  Moment  die  durch  das 
Grundleiden,  das  ja  an  sich  meist  den  letalen  Ausgang  be¬ 
dingt,  gesetzte  Kachexie  des  Individuums,  bei  dem  schon 
das  Hinzutreten  geringfügiger  Störungen  genügt,  das  Ende  zu 
beschleunigen.  Dieselbe  Tetanie  die  von  einem  sonst  gesunden 
kräftigen  Individuum  ohne  wesentliche  Schädigung  vertragen 
worden  wäre,  kann  bei  einem  dekonstituierten  Organismus 
den  Tod  herbeiführen,  weil  eben  dieser  den  Störungen,  die 
durch  das  Hinzutreten  der  Tetanie  bedingt  sind,  nicht  mehr 
gewachsen  ist.  Also  nicht  die  Intensität  der  Scliädigung  der 
Epithelkörper  ist  in  diesen  Fällen  das  maßgebende,  den  Tod 
bedingende  Moment,  sondern  die  durch  das  Grundleiden  be¬ 
dingte  Kachexie.  Es  ist  daher  die  Annahme  nicht  zutreffend,  daß 
in  diesen  letalen  Fällen  von  Tetanie  bei  Magenaffektionen  der 
Funktionsausfall  der  Epithelkörper  die  alleinige  Ursache  des 
Todes  ist,  analog  dem  Tode  des  Versuchstieres  nach  Exstir¬ 
pation  dieser  Organe  und  es  ist  der  Schluß  nicht  gerecht¬ 
fertigt,  daß  wir  in  solchen  Fällen  bei  so  schweren  Störungen 
der  Funktion,  die  den  Tod  herbeizuführen  imstande  sind, 
auch  nachweisbare  Veränderungen  an  den  Epithelkörpern  er¬ 
warten  müssen. 

Noch  eine  andere  Möglichkeit,  die  für  die  Beurteilung 
histologischer  Befunde  nicht  ohne  Belang  ist,  muß  hier  er¬ 
wähnt  werden.  Eine  an  sich  gleiche  Störung  der  Epithel¬ 
körper  wird  bei  einem  gesunden,  kräftigen  Individuum  und 
bei  einem  kachektischen  Kranken  einen  total  verschiedenen 
Effekt  haben  können  und  vielleicht  in  dem  ersten  Falle  zu 
leichten  tetanischen  Erscheinungen,  in  dem  anderen  zur 
stürmisch  verlaufenden  Tetanie  führen.  Daraus  erhellt  aber 
schon,  in  wie  beschränktem  Maße  verwertbar  die  histologische 
Untersuchung  der  Epithelkörper  für  die  Entscheidung  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Fragen  ist.  Dazu  kommt  noch, 
daß  selbst  schwere  Schädigungen  eines  Organes  durch  einige 
Zeit  vorhanden  sein  und  schwere  Störungen  der  Funktion 
setzen  können,  ohne  daß  wir  zu  dieser  Zeit  Veränderungen 
der  Struktur  nachzuweisen  in  der  Lage  sind.  Erst  in  einem 
späteren  Zeitpunkte  kann  uns  der  Nachweis  auch  dieser 
gelingen.  Wir  verweisen  hier  nur  auf  die  Schmausschen 
Ergebnisse  der  experimentellen  Rückenmarkerschütterung,  wo 
zunächst,  trotz  ausgesprochener  Lähmungen  des  Tieres,  am 
Rückenmark  negativer  Befund  zu  erheben  ist  und  erst 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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späterhin  an  diesem  die  Erscheinungen  des  Zerfalles  der 
nervösen  Elemente  zutage  treten.  Wir  müssen  daher  auch 
bei  der  Beurteilung  solcher  histologischer  Befunde  immer 
darauf  Rücksicht  nehmen,  ob  genügend  Zeit  für  das  Auf¬ 
treten  nachweisbarer  Veränderungen  an  den  Epithelkörpern 
gegeben  war.  Es  ist  dieses  Moment  vielleicht  für  die  Be¬ 
urteilung  solcher  Fälle  mit  negativem  Befunde  an  den  Epithel¬ 
körpern  von  Belang,  in  welchen  die  Erscheinungen  der  Tetanie 
kurze  Zeit  vor  dem  Tode  auftraten. 

Von  bisher  erhobenen  negativen  Befunden  an  den 
Epithelkörpern  bei  Tetanie,  teilt  E  r  d  h  e  i  m  einen  Fall  von  Hirn¬ 
tumor  mit  Tetanie  mit,  bei  dem  leider  genauere  Angaben  der 
klinischen  Beobachtung  fehlen,  um  eine  Beurteilung  zu 
ermöglichen.  Dann  drei  Fälle  von  Tetania  gastrica.'  In  dem 
einen  Falle  traten  am  letzten  Tage  vor  dem  Tode  zwei 
Krampfanfälle  auf ;  mechanische  Uebererregbarkeit  negativ, 
elektrische  Untersuchung  fehlt.  Für  diesen  Fall  ist,  glauben 
wir,  die  Diagnose  Tetanie  nicht  sicher  festgestellt.  Der  Tod 
scheint  durch  Unterernährung  bedingt  gewesen  zu  sein  und 
die  Krampferscheinungen  traten  erst  einen  Tag  vor  dem 
Tode  auf.  In  dem  zweiten  Falle  ist  die  Todesursache  Lungen¬ 
tuberkulose.  Ob  der  Fall  als  Magentetanie  aufgefaßt  werden 
kann,  ist  wenigstens  nach  den  vorliegenden  Angaben  fra^  ’ch. 
Bei  der  Untersuchung  wurden  nur  die  _  beiden  oberen 
Epithelkörper  normal  gefunden,  die  beiden’ unteren  wurden 
nicht  aufgefunden.  Wie  weit  diese  eventuell  verändert  waren 
und  für  die  Tetanie  verantwortlich  gemacht  werden  können, 
entzieht  sich  dadurch  der  Beurteilung.  Im  dritten  Falle,  mit 
Karzinom  des  Magens,  treten  vier  Wochen  vor  dem  Exitus 
Parästhesien  in  den  unteren,  dann  Krämpfe  der  oberen  und 
unteren  Extremitäten  auf,  mechanische  Uebererregbarkeit  an¬ 
gedeutet,  Trouseau  negativ,  Angaben  über  elektrische  Unter¬ 
suchungen  fehlen.  Es  traten  dann  Krampfanfälle  mit  Bewußt¬ 
seinstrübung  und  unter  zunehmendem  Kräfteverfall  der  Tod 
ein.  Nach  den  vorliegenden  Angaben  müßte,  auch  wenn  die 
Tetanie  als  sichergestellt  angenommen  wird,  als  Todesursache 
das  Magenkarzinom  angesehen  werden.  In  diesem  Falle,  dem 
einzigen  von  den  drei  angeführten,  der  überhaupt  in  Diskussion 
zu  ziehen  wäre,  finden  sich  die  vier  Epithelkörper  histologisch 
normal.  Eine  Deutung  dieses  Falles  zu  geben,  ist  bei  dem 
Umstande,  daß  es  keine  eigene  Beobachtung  ist  und  die 
mitgeteilten  Angaben  über  den  klinischen  Verlauf  sehr  dürftige 
sind,  wohl  kaum  möglich.  Es  muß  also  zunächst  die  Tat¬ 
sache  hingenommen  werden,  daß  in  einem  Falle  von  Tetanie 
negativer  Befund  an  den  Epithelkörpern  erhoben  werden 
konnte. 

Ferner  teilt  Thiemich^*^)  drei  Fälle  von  negativen 
Befunden  an  den  Epithelkörpern  bei  Kindertetanie  mit.  Für 
diese  Fälle  ist  das  Vorhandensein  einer  Tetanie  mindestens 
fraglich.  In  dem  einen  Falle  mit  Stimmritzenkrampf  und  Konvul¬ 
sionen  fehlen  Angaben  über  die  mechanische  und  elektrische 
Uebererregbarkeit,  über  das  Tr o u s s e a u sehe  Phänomen; 
der  zweite  Fall,  der  unter  Krämpfen  starb,  ist  ärztlich  über¬ 
haupt  nicht  beobachtet  und  nur  in  dem  dritten  Falle  ist  das 
Fehlen  der  mechanischen  Uebererregbarkeit,  das  Vorhanden¬ 
sein  von  Krämpfen  und  der  elektrischen  Uebererregbarkeit 
konstatiert.  T  h  i  e  m  i  c  h  selbst  bemerkt,  daß  keines  der  Kinder 
an  manifester  Tetanie  litt.  „Ob  eine  latente  Tetanie  in  dem 
Sinne  bestand,  daß  durch  Druck  auf  die  Nerven  die  typische 
Krampfstellung  der  Hände  hätte  hervorgerufen  werden  können, 
wurde  nicht  untersucht  und  ist  nicht  einmal  sehr  wahrschein- 
liclL*'  Inwieferne  daher  die  Annahme  Thiemichs  berechtigt 
ist,  „diese  Fälle  ebenso  zu  beurteilen  und  zu  verwerten  als 
ob  sie  an  Tetanie  gelitten  hätten“,  wollen  wir  hier  nicht  er¬ 
örtern,  eines  muß  nur  festgehalten  werden,  daß  nur  sicher¬ 
gestellte  Fälle  von  Tetanie  für  Schlüsse  auf  die  Pathogenese 
dieser  Erkrankung  verwertet  werden  können.  Abgesehen  da¬ 
von  könnten  wir  aber  seinen  Befunden  auch  aus  einem 
anderen  Grunde  keine  Beweiskraft  zusprechen.  Es  fehlen 
alle  Angaben  in  diesen  Fällen  über  die  Zahl  der  vorhan¬ 
denen  und  untersuchten  Epithelkörper  und  über  die  histolo- 
gischeh  Befunde.  Wenn  T  h  i  e  m  i  c  h,  um  aus  seinen  Befunden 


Schlüsse  ziehen  zu  können,  Serienschnitte  nicht  für  nötig 
hält,  so  ließe  sich  vielleicht  darüber  noch  diskutieren,  wenn 
er  aber  annimmt,  daß  „wir  keine  Veranlassung  haben  anzu¬ 
nehmen,  daß  eine  nicht  durch  Operation  gesetzte  Erkrankung 
einige  Epithelkörperchen  ergreifen,  andere  verschonen  könnte“, 
so  müssen  wir  die  Berechtigung  einer  derartigen  Annahme 
in  Abrede  stellen.  Ebensowenig  ist  es  begründet,  wenn  er  weiter 
meint :  „zweitens  gilt  es  durch  die  experimentellen  Studien 
festgestellt,  daß  das  Intaktbleiben  auch  nur  einer  Drüse  die 
Ausfallserscheinungen  verhindert“.  Durch  das  Tierexperiment 
ist  bloß  erwiesen,  daß  bei  Intaktsein  auch  nur  eines  Epithel¬ 
körpers  beim  Tiere  keine  Tetanie  aufzutreten  braucht. 
E  r  d  h  e  i  m  konnte  nach  Exstirpation  eines  einzigen  Epithel¬ 
körpers  bei  Batten  in  Vs  der  Fälle  Tetanie  beobachten,  wenn 
auch  die  Erscheinungen  nur  flüchtiger  Art  waren.  Das  Hinzu¬ 
treten  irgendwelcher  auslösender  Momente  (Gravidität,  Laktation) 
bewirkt  bei  solchen  Tieren  wieder  manifeste  Tetanie  (Vas  a  He, 
Erdheim,  Adler  und  Thaler). 

Auch  die  bisher  erhobenen  Befunde  von  Veränderungen 
an  den  Epithelkörpern  ohne  Tetanie,  können  nicht  gegen 
die  pathogenetische  Bedeutung  dieser  Organe  verwertet  werden. 
Für  diese  Fälle  muß  die  Möglichkeit  zugegeben  werden, 
daß  noch  genügend  funktionsfähiges  Gewebe  vorhanden  war, 
um  das  Auftreten  der  Erscheinungen  zu  verhindern.  Vielleicht 
hätte  eine  darauf  gerichtete  Untersuchung  eines  oder  das 
andere  Symptom  der  latenten  Tetanie  (Fazialisphänomen) 
ergeben  oder  hätte  das  Hinzutreten  irgend  eines  schädi¬ 
genden  Momentes  genügt,  um  ihre  Insuffizienz  darzutun. 
Hieher  gehört  die  Beobachtung  von  Königstein  mit 
miliaren  tuberkulösen  Knötchen  in  den  Epithelkörpern  und 
eine  Beobachtung  desselben  Autors  von  Karzinom  mit  aus¬ 
gedehnten  Metastasen  an  den  Halsorganen,  bei  welcher  nur 
ein  Epithelkörperchen  auffindbar  und  auch  dieses  zum  Teil 
karzinomatös  entartet  war. 

Ueberblicken  wir  alle  bisher  vorliegenden  Ergebnisse 
der  experimentellen  Forschung,  der  klinischen  Beobachtung 
und  der  pathologischen  Anatomie,  so  liegen  eigentlich  bisher 
nur  Tatsachen  vor,  die  zugunsten  der  pathogenetischen  Be¬ 
deutung  der  Epithelkörper  für  die  Tetanie  des  Menschen 
sprechen,  während  irgendwelche  Beweismomente,  die  gegen 
eine  solche  Auffassung  sprechen  könnten,  bisher  nicht  er¬ 
bracht  werden  konnten.  Der  geringen  Anzahl  von  negativen 
histologischen  Befunden  an  den  Epithelkörpern  bei  Tetanie 
können  wir,  abgesehen  von  dem  Umstande,  daß  auch  positive 
Befunde  an  diesen  Organen  vorliegen,  aus  den  früher  angeführten 
Gründen  keine  Beweiskraft  zuerkennen.  Vielleicht  gelingt  es 
späteren  Untersuchungen  stichhältige  Gegenbeweise  zu  er¬ 
bringen;  vorläufig  ist  das  nicht  der  Fall.  Im  Gegenteile,  je 
mehr  Beobachtungen  das  Aktuell  werden  der  Frage  nach  dem 
Zusammenhänge  der  Tetanie  mit  den  Epithelkörpern  uns 
brachte,  desto  mehr  gesichert  wurde  dadurch  die  Berechtigung 
der  Anschauung ;  die  Tetanie  ist  eine  einheitliche,  typische 
Erkrankung,  der  eine  Funktionsstörung  der  Glandulae  para- 
thyreoideae  zugrunde  liegt. 

Ist  diese  Anschauung  richtig,  dann  kann  all  den  bisher 
für  die  Tetanie  als  ursächlich  angesehenen  Momenten,  wie 
Erkältungen,  Intoxikationen,  Infektionen,  den  verschiedenen 
Erkrankungen  ganz  differenter  Organe,  der  Gravidität  etc., 
nur  die  Bedeutung  auslösender  Faktoren  zukommen,  die  bei 
vorhandener  Insuffizienz  der  Epithelkörper  zu  den  Er¬ 
scheinungen  der  Tetanie  führen. 

So  naheliegend  diese  Auffassung  ist,  die  sich  uns  auf¬ 
drängen  muß,  wenn  wir  die  Verhältnisse,  wie  sie  bei  der 
Tetanie  liegen,  überblicken,  so  wenig  Rücksichtnahme  fand 
sie  bisher.  *  Die  Mehrzahl  der  Autoren  steht  immer  noch  auf 
dem  strikten  Standpunkte,  in  den  verschiedenen  ätiologischen 
Momenten  das  kausale  Moment  für  die  Tetanie  zu  sehen  und 
muß  dann  zu  den  gewagtesten  Hypothesen  greifen.  Nur  eine 
geringe  Anzahl  gibt  die  Möglichkeit  zu,  sieht  sie  aber  nicht  als 
erwiesen  an.  So  spricht  v.  Frankl-Hochwart  der  Umstand, 
daß  die  Tetanie  bei  Infektionskrankheiten  nur  in  Städten 
vorkommt,  in  welchen  die  Tetanie  endemisch  ist,  fast  nur 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


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stets  in  den  sogenannten  Tetaniemonaten  und  bei  Personen, 
die  auch  sonst  zu  Tetanie  neigen,  für  die  Annahme,  »daß 
den  genannten  Zuständen  wahrscheinlich  nur  ein  auslösendes, 
kaum  aber  ein  kausales  Moment  zuzuschreiben  ist«. 

Es  mußte  uns  daher  daran  gelegen  sein,  Beweis¬ 
momente  zu  erbringen,  welche  die  Richtigkeit  dieser  Auf¬ 
fassung  auch  für  den  Menschen  erhärten.  Für  das  Tier¬ 
experiment  liegen  ja  Beobachtungen  vor,  die  kaum  anders 
zu  deuten  sind,  wenn  sie  auch  in  diesem  Sinne  nicht  allseitig 
anerkannt  werden.  Die  Beweisführung  für  den  Menschen 
konnte  naturgemäß  keine  direkte  sein,  wie  wir  das  im  Tier¬ 
experimente  durch  das  Gravidwerden  einer  der  Epithel¬ 
körperchen  beraubten  Ratte  perlustrieren  können.  Aber  wenn 
die  Auffassung  zu  Recht  besteht,  daß  bei  den  tetanie¬ 

kranken  Menschen  eine  Funktionsstörung  der  Epithelkörper 
das  Wesen  der  Erkrankung  vorstellt,  die  bewirkt,  daß  sie 
auf  verschiedene  äußere  Momente  mit  einer  tetanischen 

Reaktion  antwortet,  dann  müßte  es  uns  wenigstens  in  dem 

einen  oder  anderen  Falle  bei  solchen  Menschen  mit  insuffi¬ 
zienten  Epithelkörpern  gelingen,  einen  Anfall  von  Tetanie 
auszulösen,  wenn  wir  sie  ähnlichen  Schädigungen  aussetzen, 
wie  sie  eventuell  durch  das  Auftreten  einer  Angina  und 

Cholelithiasis  gesetzt  werden  konnten.  Da  bei  diesen  Affek¬ 
tionen  wahrscheinlich  doch  nur  die  Einwirkung  toxischer 
Substanzen  oder  die  durch  sie  bedingten  febrilen  Prozesse 
in  Frage  kommen  konnten,  wurde  der  Versuch  nahegelegt, 
durch  Injektion  von  Tuberkulin  einen  Anfall  von  Tetanie 
zu  provozieren.  Es  wurden  daher  Kranke,  bei  welchen  das 
Vorhandensein  einer  Tetanie  festgestellt  worden  war,  nach 
dem  A-bklingen  der  Erscheinungen,  oder  solche  Personen,  die 
ein  oder  das  andere  Symptom  der  Tetanie  aufwiesen,  ohne 
daß  die  Diagnose  Tetanie  mit  Sicherheit  festgestellt  werden 
konnte,  mit  Tuberkulin  injiziert.  Zur  Anwendung  gelangte 
Kochsches  Alttuberkulin  in  Dosen,  die  das  Auftreten  einer 
febrilen  Reaktion  erwarten  ließen.  Im  folgenden  sind  die 
Krankheitsgeschichten,  soweit  sie  für  die  Beurteilung  von 
Belang  sind,  auszugsweise  angeführt. 

I.  B.  J.,  18  Jahre  alt,  Tischler.  Dezember  1906  Krämpfe  in 
den  Händen,  die  seither  nach  Erkältungen  wiederholt  aufgetreten 
sind.  Auch  nach  Mißhandlungen  von  seiten  seines  Meisters  an¬ 
geblich  das  Auftreten  solcher  Krämpfe.  4.  Februar  Durchfälle. 
6.  Februar  bei  kalter  Witterung  auf  der  Straße  so  heftiger  Krampf, 
daß  er  nicht  weiter  konnte  und  von  der  Rettungsgesellschaft  in 
das  Spital  transportiert  wurde. 

6.  Februar  1907.  Typische  Krämpfe,  Fazialisphänomen 
beiderseits  deutlich.  Trousseau  beiderseits.  Erb  positiv, 
Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  105  mm  Zuckung,  100  mm 
Tet.,  Ka.  S.  Z.  l'O  M.-A.,  Ka.  Ö.  Z.  5  M.-A.,  Nervus  ulnaris  rechts 
Ka.  S.  Z.  10  M.-A.,  Ka.  S.  Z.  2'5  M.-A.,  Nervus  acusticus  rechts 
Ka.  S.  Kl.  bei  5  M.-A. 

15.  Februar.  Seit  8.  Februar  keine  Krämpfe  mehr,  Fazialis¬ 
phänomen  noch  nachweisbar,  Nervus  ulnaris  und  Nervus  peroneus 
mechanisch  nicht  erregbar.  Trousseau  negativ. 

20.  Februar.  Leichte  Angina.  Zunahme  des  Fazialisphänomens, 
Ueberregbarkeit  des  Nervus  ulnaris.  Trousseau  negativ. 

27.  Februar.  Fazialis  angedeutet.  Trousseau  negativ, 
Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z.  2'5  M.-A., 
Nervus  ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  3’8  M.-A. 

28.  Februar.  Injektion  von  O'OOl  Tuberkulin. 

1.  März.  Temp.  38’2,  spontan  wieder  Krämpfe  in 
beiden  Händen,  in  dem  injizierten  Arm  stärker,  Fazialis¬ 
phänomen  deutlicher,  Nervus  ulnaris  und  pero¬ 
neus  mechanischübe  rer  regbar.  Trousseau  negativ. 
Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z.  10  M.-A., 
Nervus  ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  1  8  M.-A. 

12.  März.  Nach  dem  Abklingen  der  eintägigen  Temperatup 
Steigerung  keine  Krämpfe  mehr,  die  mechanische  Uebererregbarkeit 
abnehmend  (Ulnaris,  Peroneus  negativ,  Fazialisphänomen  rechts 
noch  vorhanden).  Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  110  mm, 
Ka.  S.  Z.  1'8  M.  A.,  Nervus  ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  4’0  M.-A. 

H.  R.  J-,  16  Jahre  alt,  Drechsler.  Seit  Jpuar  wiederholt 
Magendarmerscheinungen,  Jetzt  Erbrechen,  Appetitlosigkeit,  Obsti¬ 
pation,  Schmerzen  in  der  Magengegend,  wegen  welcher  Beschwerde 
Pat.  das  Spital  auf  sucht. 


5.  März.  Druckempfindlichkeit  der  Magengegend,  belegte 
Zunge,  Brechreiz,  Erbrechen  von  schleimigen  Massen.  Fazialis¬ 
phänomen  deutlich.  Ueber  Befragen  gibt  er  jetzt  an,  daß  er  öfter 
an  Krämpfen  in  den  Händen  und  Waden  leidet,  die  Krämpfe 
zwei  bis  drei  Minuten  dauernd.  Trousseau  negativ.  Erb 
negativ. 

16.  März.  Erbrechen  seit  8.  März  geschwunden,  Stuhl 
normal,  Fazialisphänomen  kaum  angedeutet.  Trousseau 
negativ.  Nervus  facialis  Stamm  links  faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z. 
3'8  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  Ka.  S.  Z.  3  6  M.-A. 

17.  März.  Injektion  von  0  001  Tuberkulin. 

18.  März.  Keine  febrile  Reaktion.  F  azialisphänomen 
deutlich.  Trousseau  negativ.  Nervus  facialis-Stamm  links 
Ka.  S.  Z.  18  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  Ka.  S.  Z.  2'4  M.-A., 
keine  Krämpfe. 

25.  März.  Fazialisphänomen  kaum  angedeutet. 

4.  April.  Nervus  facialis-Stamm  Ka.  S.  Z.  3‘0  M.-A.,  Nervus 
ulnaris  Ka.  S.  Z.  2’4  M.-A.  Injektion  von  0‘005  Tuberkulin. 
Trousseau  negativ,  Fazialisphänomen  rechts  angedeutet,  links 
negativ. 

5.  April. Temp.  38T  Trousseau  nach  längerer  Kom¬ 
pression,  Fazialisphänomen  rechts  deutlich,  links 
negativ.  Nervus  facialis-Stamm  Ka.  S.  Z.  2’6  M.-A.,  Nervus  ulnaris 
Ka.  S.  Z.  3  0  M.-A.,  Ka.  Ö.  Z.  6  M.-A. 

HI.  H.  L.,  16  Jahre  alt,  Tischler.  Früher  gesund.  10.  Fe¬ 
bruar  1906  Krämpfe  in  beiden  Händen.  13.  Februar  Krämpfe  in 
den  unteren  Extremitäten.  Seither  Krämpfe  häufig  auftretend, 
Zucken  in  den  Augenlidern. 

15.  Februar.  Typische  Krämpfe,  mechanische  Uebererreg¬ 
barkeit  des  Nervus  facialis,  Nervus  ulnaris.  Fazialis-Stamm  links 
faradisch  110  mm,  Ka.  S.  Z.  1  M.-A.,  Ka.  Ö.  Z.  21  M.-A.,  Nervus 
ulnaris  links  faradisch  125  mm,  Ka.  S.  Z.  1'2  M.-A.,  Ka.  Ö.  Z. 
3  M.-A.,  Nervus  acusticus  Ka.  S.  Kl.  9  M.-A.,  Trousseau 
positiv. 

16.  Februar.  Keine  Krämpfe  mehr,  Fazialisphänomen  und 
Trousseau  kaum  angedeutet. 

21.  Februar.  Weder  Fazialisphänomen  noch  Trousseau. 
Seither  keine  Krämpfe  mehr. 

27.  Februar.  Fazialis-Stamm  links  faradisch  98  mm,  Ka.  S.  Z. 
2  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  3’6  M.-A. 

28.  Februar.  Injektion  von  O'OOl  Tuberkulin. 

1.  März.  Keine  Temperatursteigerung,  keine  Krämpfe. 
Nervus  facialis,  Nerv  usperoneus,  Nervusulnaris 
deutlich  übererregbar.  Trousseau  negativ.  Nervus 
facialis-Stamm  links  faradisch  115  mm,  Ka.  S.  Z. 
1'4  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  faradisch,  105  mm 
Ka.  S.  Z.  2'4  M.-A. 

3.  März.  Typische  Krämpfe  in  beiden  Händen, 

12.  März.  Seither  keine  Krämpfe  mehr,  Fazialisphänomen 
angedeutet,  Ulnaris  negativ.  Trousseau  negativ.  Fazialis- 
Stamm  links  faradisch  116  mm,  Ka.  S-  Z.  1.8  M.-A.,  Nervus 
ulnaris  links  faradisch  85  mm,  Ka.  S.  Z.  4  M.-A.  Injektion  von 
0'002  Tuberkulin. 

13.  März.  Zunahme  der  mechanischen  Uebererregbarkeit. 
Keine  Temperatursteigerung. 

14.  März.  Deutliche  mechanische  Uebererreg¬ 
barkeit  des  Nervus  facialis  und  Nervus  ulnaris. 
Trousseau  positiv,  typische  Krämpfe.  Fazialis- 
Stamm  links  faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z.  1'2  M.-A., 
Nervus  ulnaris  links  faradisch  95  mm,  Ka.  S.  Z.  3  M.-A. 

IV.  T.  L.,  25  Jahre  alt,  Dienstmagd.  Vorher  nie  ähnliche 
Erscheinungen.  5.  Januar  1907  Magen  verdorben,  Schmerzen  im 
Magen.  6.  Januar  Krämpfe  in  den  Händen  durch  einige  Minuten 
anhaltend.  Krämpfe  seither  öfter  auftretend. 

15.  Januar.  Temp.  38'7®,  Magen-Darmkrämpfe,  Diarrhöen. 
Tagsüber  mehrere  typische  Krämpfe.  Mechanische  Uebererregbar¬ 
keit.  Trousseau  positiv.  Alte  Lungenspitzenaffektion. 

18.  Januar.  Langsames  Abklingen  der  Erscheinungen. 
Krämpfe  seltener. 

23.  Januar.  Fieberfrei,  Diarrhöen  geschwunden,  keine  spon¬ 
tanen  Krämpfe.  Trousseau  und  mechanische  Uebererregbarkeit 
vorhanden,  wenn  auch  nur  angedeutet. 

3.  Februar.  Menses.  Fazialisphänomen  wieder 
sehr  deutlich.  Trousseau  leicht  auslösbar,  spon¬ 
tane  K  r  ä  m  p  f  e. 

13.  Februar.  Seither  keine  Krämpfe  mehr,  die  Erscheinungen 
der  Tetanie  abklingend.  Mechanische  Uebererregbarkeit  geschwunden. 
Trousseau  negativ.  Injektion  von  0'005  Tuberkulin. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  21 


14.  Februar.  Temp.  SS",  spontane  Krämpfe,  Fazialis- 
phänomen  deutlich;  Trousseau  positiv.  Nervus 
facialis-Stamm  links  faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z.  2'5  M.-A., 
Ka.  Ö.  Z.  12  M.-A.  Nervus  ulnaris  links  faradisch  115  mm, 
Ka.  S.  Z.  1’4  M.-A.  Nervus  acusticus  links  Ka.  S.  Kl.  5  M.-A. 

17.  Februar.  Bis  heute  Krämpfe,  heute  keine  Krämpfe  mehr. 
Fazialisphänomen  links  angedeutet. 

21.  Februar.  Angina.  Zunahme  d  er  E  r  s ch e inungen, 
häufigere  K  r  ä  m  p  f  e. 

25.  Februar.  Seit  2  Tagen  Temp,  normal.  Trousseau 
angedeutet,  Fazialisphänomen  weniger  deutlich,  keine  Krämpfe 
mehr. 

7.  März.  Seither  Wohlbefinden,  Trouseau  negativ,  Fazialis¬ 
phänomen  fehlt. 

8.  März.  Menses.  Typische  K  r  ä  m  p  f  e,  T  r  o  u  s  s  e  a  u 
positiv,  Fazialisphänomen  deutlich. 

14.  März.  Während  der  Zeit  der  Menses  die  Er¬ 
scheinungen  anhaltend.  Nervus  facialis-Stamm  links 
faradisch  105  mm,  Ka.  S.  Z.  1‘2  M.-A.,  Ka.  ().  Z.  5  M.-A.  Nervus 
ulnaris  links  faradisch  100  mm,  Ka.  S.  Z.  1*2  M.-A.  Nervus 
acusticus  links  Ka.  S.  Kl.  4  M.-A.  Mit  dem  Zessieren  der  Menses 
Schwinden  der  Erscheinungen,  keine  Krämpfe  mehr. 

23.  März.  Fazialisphänomen  schwach  auslösbar.  Trouseau 
negativ.  Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  100  mm,  Ka.  S.-Z. 
2  M.-A.  Nervus  ulnaris  links  faradisch  96  mm,  Ka.  S.  Z.  2'2  M.-A. 
Nervus  acusticus  links  Ka.  S.  Kl.  10  M.-A. 

V.  St.  Th.,  38  Jahre  alt,  Magd.  Vier  Geburten,  während  des 
Säugens  des  letzten  Kindes  im  November  1906,  Krämpfe  in  den 
Händen  und  Füßen  mit  Verziehen  des  Gesichtes,  Schwere  der 
Zunge,  Atemnot.  Solche  Krämpfe  die  meist  Vi  Stunde  anhielten, 
traten  besonders  hei  schnellem  Gehen  und  nach  Aufregungen  auf. 

13.  Februar.  Momentan  keine  Krämpfe.  Fazialisphänomen 
deutlich.  Trousseau  positiv.  Nervus  facialis-Stamm  links 
faradisch  115  mm,  Ka.  S.  Z.  2  M.-A.,  Ka.  S.-Te.  3  M.-A.,  Nervus 
ulnaris  links  faradisch  115  mm,  Ka.  S.  Z.  0'6.  Nervus  acusticus 
Ka.  S.  Kl.  10  M.-A.  An  den  Muskeln  des  Daumenballens  und  der 
Streckseite  der  Vorderame  fibrilläres  Muskelwogen.  Ahgelaufener 
linkseitiger  Lungenspitzenprozeß. 

18.  Februar.  Nachts  Parästhesien  und  vorübergehende  Krampf¬ 
stellung  in  den  Händen. 

20.  Februar.  Nachmittags  kurzdauernder  Krampf  in  den 
Händen. 

28.,  Februar.  Seither  kein  Krampf  mehr.  Fazialisphänomen 
negativ.  Trousseau  negativ.  Injektion  von  O’OOl  Tuberkulin. 

1.  März,  8  Uhr  früh.  Temp,  im  Ansteigen,  leichte 
K  r  a  m  p  f  s  t  e  1 1  u  n  g  in  beiden  Händen,  10  Uhr  vormittags 
Temp.  37'6°,  halbstündiger  Krampf  in  den  Händen  und 
unteren  Extremitäten,  Atemnot,  Schmerzen  in  der  Magengegend. 
Fazialisphänomen  links  angedeutet,  rechts  negativ.  V2IO  abends 
Temp.  38'6’.  Krampf  in  den  oberen  und  unteren  Extremitäten. 
Trousseau  beiderseits  positiv. 

2.  März.  Temp.  37‘1°,  keine  Krämpfe  mehr.  Trousseau 
beiderseits  positiv,  Fazialisphänomen  negativ,  Nervus  ulnaris 
schwach  erregbar.  Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  100  mm, 
Ka.  S.  Z.  2'5  ]\I.-A.  Nervus  ulnaris  links  faradisch  100  mm, 
Ka.  S.  Z.  0  8  M.-A. 

5.  März.  Seither  keine  Krämpfe  mehr.  Abnahme  der  elektri¬ 
schen  Erregbarkeit.  Trousseau  und  Fazialisphänomen  negativ. 

16.  März.  Seither  keine  Krämpfe.  Fazialisphänomen  vor¬ 
handen.  Ueber  Verlangen  entlassen. 

VI.  ZI.  K.,  48  Jahre  alt,  Kartonnagearbeiter.  Pat.  wird  von 
der  Bettungsgesellschaft  am  27.  März  in  das  Spital  gebracht. 
Als  er  zur  Arbeit  ging,  spürte  er  plötzlich  ein  schmerzhaftes 
Spannen  in  Händen  und  Füßen  und  konnte  sich  nicht  mehr  weiter 
bewegen,  da  er  am  ganzen  Körper  ganz  steif  wurde.  Gleichzeitig 
trat  Zittern  der  Gesichtsmuskulatur  auf.  Bei  seiner  Einbringung 
am  ganzen  Körper  starr  wie  ein  Stock,  die  Hände  in  Fausf 
stellung.  Er  mußte  in  das  Bett  gehoben  werden,  da  er  nicht  fähig 
war  irgend  eine  Bewegung  auszuführen.  Nach  ca.  \'4  Stunde 
Schwinden  des  Krampfes,  Dauer  des  Krampfes  im  Ganzen 
ca.  IV2  Stunden. 

Bei  der  höchstens  V2  Stunde  nach  Zessieren  der  Krämpfe 
vorgenommenen  Untersuchung  keine  Krämpfe  mehr,  kein  Muskel¬ 
wogen,  Trousseau  negativ,  Fazialisphänomen  kaum  angedeutet. 
Nervus  facialis-Stamm  links  faradisch  108  mm,  Myoklonie, 
Ka.  S.  Z.  r3  M.-A.  Nervus  ulnaris  links  faradisch  88  mm, 
Ka.  S.  Z.  1’6  M.-A.  Ueber  Befragen  gibt  er  jetzt  an,  daß  er  seit 
seinem  14.  Jahre  zirka  alle  2  Jahre  an  Krampfanfällen  leidet, 
die  immer  im  März  oder  April  aufgetreten  sind.  Die  letzten  Anfälle 
hatte  er  vor  2  Jahren. 


28.  März.  Keine  Anfälle  mehr,  Fazialisphänomen  negativ. 
Trousseau  negativ. 

4.  April.  Keine  Krämpfe  mehr,  kein  T  r  o  u  s  s  e  a  u,  kein 
Fazialisphänomen,  Nervus  facialis-Stamm  links  103  mm,  Ka.  S.  Z. 
2'2  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  faradisch  90  mm,  Ka.  S.  Z. 

3  M.-A.  Injektion  von  0  005  Tuberkulin  10  Uhr  vormittags.  7  Uhr 
abends  Temp.  39‘1",  Parästhesien  in  den  Händen, 
10  U  h  r  abends  Beginn  der  Krämpfe,  zuerst  in  den 
Händen,  dann  in  den  unteren  Extremitäten,  die  die  ganze  Nacht 
anhielten. 

5.  April,  9Uhrfrüh.  Trousseau  positiv,  Fazialis¬ 
phänomen  rechts  deutlich.  Nervus  facialis-Stamm 
links  faradisch  100  mm,  sofort  Tetanus.  Ka.  S.  Z. 
1'4  M.-A.,  Nervus  ulnaris  links  faradisch  95  mm,  Ka.  S.  Z. 
1-5  M.-A. 

Es  mögen  hier  noch  zwei  Krankheitsgeschichten  angeführt 
werden,  die  für  die  Beurteilung  der  hier  in  Betracht  kommenden 
Fragen  von  Belang  erscheinen.  In  den  angeführten  zwei 
Fällen  wurden  keine  Tuberkulininjektionen  gemacht. 

VH.  Cz.  M.,  21  Jahre  alt,  Köchin.  Vor  einem  Jahre  hie  und 
da  leichte  Krämpfe  mit  Streckstellung  der  Finger.  Diesen  Winter 
öfter  solche  Zustände,  letzter  Anfall  vor  2  Tagen. 

24.  März.  Fazialisphänomen  beiderseits  deutlich,  Trousseau 
positiv. 

26.  März.  Trousseau  negativ,  Fazialisphänom.en  rechts 
deutlich,  links  angedeutet. 

27.  März.  Trousseau  negativ,  Fazialisphänomen  rechts 
angedeutet,  links  negativ.  Erb  positiv. 

28.  März.  Eintritt  der  Menses.  Fazialisphänomen 
beiderseits  lebhaft.  Trousseau  negativ. 

VHI.  Su.  Ad.,  18.  Jahre  alt,  Schneider.  Immer  gesund.  Seit 
8  Tagen  Magenheschwerden,  „indem  jeder  verschluckte  Bissen 
wieder  heraufgestoßen  wurde“,  vor  3  Tagen  Schmerzen  in  der 
Magengegend.  Spitalsaufnahme  wegen  Krämpfe  in  den  Gedärmen. 

24.  März.  Am  Tage  der  Aufnahme  Puls  120.  Tremor  der 
Hände  und  Zunge,  belegte  Zunge,  Druckempfindlichkeit  des  Magens. 
Fazialisphänomen  positiv.  Trousseau  negativ.  Ueber  Befragen 
gibt  er  an,  vor  14  Tagen  vorübergehend  einen  Krampf  in  den 
Händen  gehabt  zu  haben. 

27.  März.  Auf  Regelung  der  Diät  Wohlbefinden. 

28.  März.  Temp.  38'7“.  Angina.  Zweimal  durch  zwei 
Stunden  anhaltende  Krämpfe  in  den  oberen  Ex¬ 
tremitäten,  deutliche  Steigerung  des  Fazialis- 
phän omens,  Nervus  ulnaris  rechts  deutlich  über¬ 
erregbar,  Trousseau  rechts  positiv.  Erb  positiv,  Acusti¬ 
cus  positiv. 

30.  März.  Mit  dem  Abklingen  der  Angina  keine  Krämpfe 
mehr.  Zurückgehen  der  Tetaniesymptome  und  Fazialisphänomen 
persistent. 

Ueberblicken  wir  die  hier  angeführten  Beobachtungen, 
so  finden  wir  durch  sie  in  ganz  eindeutiger  Weise  dargetan, 
daß  unsere  auf  dem  Wege  einfacher  Ueberlegung  gewonnene 
Anschauung  richtig  ist :  daß  allen  bisher  als  kausal  ange¬ 
sehenen  Momenten  nur  die  Bedeutung  auslösender  zukommen 
kann.  Sie  zeigen,  daß  bei  einem  tetaniekranken  Menschen 
das  Eintreten  der  Menstruation  genügt,  um  die  akuten  Er¬ 
scheinungen  des  tetanischen  Anfalles  auszulösen,  ein  Ver¬ 
halten,  auf  das  auch  Raymond^’)  hinweist.  Sie  zeigen, 
daß  denselben  Effekt  das  Hinzutreten  einer  Angina  hat.  S  i  e 
zeigen  uns  endlich,  daß  es  gelingt,  durch  Injek¬ 
tion  von  Tuberkulin,  dessen  Wirkungen  für  den 
Menschen  uns  vollständig  geläufig  wird,  eine 
Reaktion  zu  erzielen,  die  wir  bei  anderweitig 
Kranken  nicht  beobachten  können.  Das  Auf¬ 
treten  typisch  tetanischer  Erscheinungen  kann 
daher  gewiß  nicht  an  die  schädigende  Noxe 
als  solche  gebunden  sein,  sondern  muß  in  der 
andersartigen  Beschaffenheit  des  Individuums, 
seiner  spezifischen  Reaktionsfähigkeit  ihren 
Grund  haben.  Und  für  diese  den  Tetaniekranken  eigen¬ 
tümliche,  konstitutionelle  Reaktionsfähigkeit  müssen  wir 
als  ursächlich  auf  eine  Funktionsstörung  der  Epithelkörper 
rekurrieren. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  erscheint  auch  das 
gehäufte  Auftreten  der  Tetanie  besonders  in  den  Frühjahrs¬ 
und  Herbstmonaten  dem  Verständnisse  näher  gerückt.  Gerade 


i 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  G3l 


das  gehäufte  Auftreten  der  Erkrankung  in  diesen  Zeiten 
mußte  den  Gedanken  nahelegen,  daß  der  Tetanie  ein  infek¬ 
tiöses  Agens  zugrunde  liege,  das  bei  dem  typischen  Krank¬ 
heitsbilde  nur  als  ein  spezifisches  gedacht  werden  konnte. 
Nun  läßt  sich  aber  dieses  Verhalten  auch  auf  andere  Weise  ganz 
ungezwungen  erklären.  Die  Tetanie  ist,  wie  v.  Frank  1-Hoch- 
wart  zahlenmäßig  nachgewiesen  hat,  durchaus  keine  so 
rasch  abklingende  Erkrankung,  sondern  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  bleiben  Erscheinungen  einer  oder  der  anderen  Art 
persistent.  In  v.  F ran k  1  -  H o  ch  w  ar  ts  Fällen  blieben  über 
V5  der  Fälle  permanent  leidend,  indem  sich  in  mehr  als 
Vs  der  Fälle  chronische  Tetanie,  in  mehr  als  der  Hälfte 
tetanoide  Zustände  und  bei  etwa  Vg  der  Kranken  eine  Art 
von  chronischem  Siechtum  noch  jahrelang  nach  der  ersten 
Beobachtung  nach  weisen  ließ.  Das  konstitutionelle 
Moment  bleibt  also  bei  der  überwiegenden  Mehr¬ 
zahl  der  Kranken  mit  Tetanie  bestehen.  Wenn 
aber  bei  derartigen  Personen  das  Hinzutreten  irgendeiner 
infektiösen  Erkrankung,  wie  z.  B.  einer  Angina,  eines 
infektiösen  Magen darmkatarrhs,  eines  febrilen  Katarrhs  der 
Atmungsorgane  etc.,  für  welche  Erkrankungen  das  gehäufte 
Auftreten  gerade  in  den  Frühjahrs-  und  Herbstmonaten  be¬ 
kannt  ist,  genügt,  um  die  Erscheinungen  der  Tetanie  manifest 
zu  machen,  dann  ist  uns  auch  das  gehäufte  Auftreten  der 
Tetanie  zu  diesen  Zeiten  verständlich.  Wir  führen  in  den 
Statistiken  über  die  Häufigkeit  der  Tetanie  zu  bestimmten 
Jahreszeiten  eigentlich  Zahlen  über  die  Häufigkeit  mannigfach 
verschiedener  infektiöser  Erkrankungen,  die  sich  zu  denselben 
Zeiten  auch  für  anderweitige  Individuen  nur  mit  anderen 
Erscheinungen  geltend  machen  und  die  bei  den  hiezu  disponierten 
Individuen  die  Erscheinungen  der  Tetanie  zutage  fördern.  Der 
Aufklärung  bedürftig  bleibt  eigentlich  nur  mehr  der  Umstand, 
daß  das  Auftreten  der  Tetanie  an  bestimmte  Orte  gebunden 
ist.  Und  zur  Erklärung  dieses  können  wir,  uns  auf  die  Ver¬ 
hältnisse  beim  endemischen  Kropf  stützend,  annehmen,  daß 
irgendwelche,  uns  vorläufig  ganz  unbekannte  Momente  an 
bestimmten  Orten  zu  endemisch  auftretenden  Veränderungen 
der  Epithelkörper  führen. 

Die  Analogie  in  dem  Auftreten  der  endemischen  Struma 
und  der  Tetanie  ist  eine  so  weitgehende,  daß  wir  ähnliche 
Störungen,  wie  wir  sie  für  das  gehäufte  Auftreten  der  endemi¬ 
schen  Struma  zu  bestimmten  Zeiten  (in  den  Sommer-  und 
Herbstmonaten)  supponieren,  auch  für  die  Epithelkörper  als 
vorhanden  annehmen  können.  Daß  dadurch  ebenfalls  eine 
Zu-  und  Abnahme  der  Tetaniefälle  bedingt  wird,  ist  ohne 
weiters  zuzugeben.  Sind  die  durch  uns  unbekannte  Faktoren 
bedingten  Veränderungen  der  Epithelkörper  ausreichend, 
eine  genügende  Funktionsstörung  dieser  Gebilde  zu  setzen, 
so  wird  in  diesen  Fällen  die  Tetanie  spontan  zutage 
treten,  oder  es  wird  eventuell  nur  ganz  geringfügiger  An¬ 
lässe  (stärkere  Muskelarbeit,  Einwirkung  von  Kälte  etc.) 
bedürfen,  um  die  Erscheinungen  manifest  zu  machen.  In 
den  anderen  Fällen,  bei  welchen  keine  so  hochgradige 
Funktionsstörung  gesetzt  wird,  bedarf  es  eines  intensiver 
wirkenden  äußeren  Anlasses,  wie  das  Hinzutreten  einer 
Infektionserkrankung,  oder  des  gleichzeitigen  Zusammen¬ 
wirkens  mehrerer,  um  die  Erscheinungen  der  Tetanie 
hervorzurufen.  Für  das  Auftreten  der  Tetanie  maßgebend 
sind  beide  Faktoren :  das  konstitutionelle  Moment,  die 
Funktionsstörung  der  Epithelkörper  und  die  auslösenden. 
Nur  bei  Berücksichtigung  der  Valenz  beider  wird  es  uns 
verständlich,  warum  bei  ein  und  demselben  Individium  ein¬ 
mal  eine  Gravidität  oder  sonst  eine  Störung  zu  Tetanie  führt, 
ein  anderes  Mal  die  Erscheinungen  fehlen. 

Auch  für  die  sogenannte  Arbeitertetanie  sind  wir  ge¬ 
nötigt,  ähnliche  Ueberlegungen  Platz  greifen  zu  lassen.  Von 
den  in  eine  Tetaniegegend  eingewanderten  Handwerkern  er¬ 
kranken  mit  Vorliebe  bestimmte  Berufe.  Es  sind  das  solche, 
bei  welchen  die  andauernde  Haltung  des  Kopfes  nach  vorne 
Zirkulationsstörungen  an  den  Halsorganen  und  so  auch  eine 
Schädigung  der  Epithelkörperchen  bedingt.  Das  in  der 
Tetaniegegend  gelegene,  der  endemischen  Erkrankungen  der 
Epithelkörper  zugrunde  liegende  Agens  wird  an  diesem 


Locus  minoris  resisteiitiae  leichter  zur  Wirkung  gelangen 
als  an  normalen  resistenten  Organen.  Dazu  kommt  noch, 
daß  gerade  bei  den  Schustern  und  Schneidern  die  In¬ 
anspruchnahme  der  Hände  eine  sehr  intensive  und  eigen¬ 
artige  ist  und  das  Auftreten  der  Krampferscheinungen  be¬ 
günstigt.  Bei  einem  Individium  mit  derartig  kranken  Epithel¬ 
körpern  genügt  dann  schon  die  Einwirkung  der  Kälte  oder 
eine  anstrengende  Beschäftigung  um  die  Erscheinungen  des 
tetanischen  Anfalles  zutage  treten  zu  lassen.  Der  einfache 
Aufenthalt  im  Spital,  die  Bettruhe,  die  Ausschaltung  der 
beruflichen  Kopfhaltung  genügt,  um  die  Erscheinunge-n  innerhalb 
kurzer  Zeit  zum  Verschwinden  zu  bringen.  Die  durch  die 
endemische  Noxe  gesetzte  Veränderung  der  Epithelkörper 
aber  ist  persistent,  die  Tetanie  ist  nur  latent.  Eine  früh¬ 
zeitige  Aufnahme  des  Berufes  mit  seinen  Schädigungen  ruft 
neuerdings  die  schweren  Erscheinungen  hervor.  Hat  sich  der 
Kranke  genügend  erholt,  ist  die  Restitution  der  Epithelkörper 
halbwegs  eingetreten,  sei  es  durch  länger  währende  Fern¬ 
haltung  der  beruflichen  Schädigung,  sei  es,  daß  die  endemi¬ 
sche  Veränderung  in  günstigem  Sinne  schwankt,  so  hält  er 
sich  weiterhin,  nur  Parästhesien  vielleicht  und  leichte  Neigung 
zu  Krämpfen,  das  Vorhandensein  des  Fazialis-  oder  Erb  sehen 
Phänomens,  läßt  die  Persistenz  des  Leidens  erkennen.  Der 
leidliche  Zustand  hält  vielleicht  an  bis  zum  nächsten  Früh¬ 
jahr  oder  Herbst,  zu  welcher  Zeit,  bei  dem  Uebergang  von 
der  kalten  zur  warmen  Jahreszeit  oder  umgekehrt,  bei  der 
größeren  Empfänglichkeit  der  Menschen  zu  diesen  Zeitphasen 
wieder  Störungen  im  Organismus  auftreten,  die  die  Funktions¬ 
störung  der  Epithelkörper  deutlich  zutage  treten  lassen,  oder 
die  in  diesen  Zeiten  auftretenden  infektiösen  Erkrankungen 
sind  Veranlassung  eines  neuerlichen  tetanischen  Anfalles. 

Wie  dem  auch  sei,  wenn  die  Verhältnisse,  die  hier  in 
Betracht  kommen,  vielleicht  noch  viel  komplizierterer  und  sub¬ 
tilerer  Art  sind  als  wir  uns  vorstellen,  wenn  unser  Wissen 
in  dieser  Frage  auch  noch  gro’ße  Lücken  aufweist  und  es  noch 
mancher  eingehender  Untersuchungen  bedarf,  eines  können  wir 
als  gesichert  ansehen:  Durch  die  Erkenntnis,  daß  wir  in  einer 
Funktionsstörung  der  Epithelkörper  das  wesentliche  patho¬ 
genetische  Moment  der  Tetanie  zu  suchen  haben  und  daß 
allen  übrigen  als  maßgebend  für  das  Zustandekommen  dieser 
Erkrankung  angesehenen  Faktoren  nur  die  Bedeutung  aus¬ 
lösender  Momente  zukommt,  sind  wir  um  vieles  dem  Ver¬ 
ständnisse  dieser  eigenartigen  Erkrankung  näher  gerückt.  Wir 
sind  durch  sie  in  die  Lage  Versetzt,  uns  klarere,  naturwissen¬ 
schaftlichem  Denken  nicht  widersprechende  Vorstellungen  zu 
bilden  und  Verhältnisse  zu  erklären,  die  uns  früher  einfach 
unverständlich  waren. 

Zusammenfassend  die  zur  Stütze  dieser  Auffassung  vor¬ 
handenen  Beweismomente,  können  wir  sagen :  Die  klinische 
Beobachtung  zeigt,  daß  alle  bisher  getrennt  geführten  Formen 
der  Tetanie,  wie  die  Arbeitertetanie,  die  Tetanie  nach  In¬ 
fektionen  und  Intoxikationen,  die  Tetanie  der  Graviden  und 
die  Tetanie  nach  Kropfexstirpationen  in  ihren  Erscheinungen 
vollständig  identisch  sind,  daß  eine  Differenzierung  dieser 
Formen  nach  ihren  Symptomen  undurchführbar  ist.  Gering¬ 
fügige  Abweichungen  sind  durch  die  Akuität  des  Prozesses, 
die  Konstitution  des  Individuums  und  durch  die  Veränderungen 
bedingt,  in  deren  Verlauf  die  Tetanie  auftritt.  Es  kann  für 
alle  Fälle  von  Tetanie  nur  ein  einheifliches  kausales  Moment 
in  Betracht  kommen.  Diesem  ganz  eigenartigen  Krankheits¬ 
bilde  kann  dann  nur  ein  ganz  spezifischer  Erreger  zugrunde 
liegen,  oder  das  maßgebende  ist  die  spezifische  Reaktionsfähig¬ 
keit  des  Individuums,  auf  verschiedene  einwirkende  Schädigun¬ 
gen  hin  mit  der  spezifisch  tetanischen  Reaktion  zu  antworten. 
Die  einfache  kritische  Sichtung  der  vorliegenden  Beobachtungen 
über  das  Auftreten  der  Tetanie  läßt  erstere  Annahme  von  der 
Hand  weisen  und  konnte  auch  für  sie  bisher  nicht  das  min¬ 
deste  stichhältige  Beweismaterial  erbracht  werden.  Dagegen 
sprechen  alle  bisner  vorliegenden  Erfahrungen  zugunsten 
der  zweiten  Möglichkeit,  daß  in  den  an  Tetanie  leiden¬ 
den  Individuen  selbst  das  Wesentliche  der  Erkrankung 
gelegen  sein  muß.  Es  gibt  Organe,  deren  Funktionsausfall 
das  typische  Krankheitsbild  der  Tetanie  bedingt:  die  Epithel- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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körper.  Diese  'J’atsache  muß  durch  das  Tierexperiment  als 
gesichert  angesehen  werden.  Die  Tetanie  des  seiner  Epithel¬ 
körper  beraubten  Tieres  ist  in  allen  Zügen  übereinstimmend 
mit  der  Tetanie  des  Menschen.  Auch  für  den  Menschen 
sprechen  alle  bisher  vorliegenden  Ergebnisse  der  klinischen 
Beobachtung  der  internen  Medizin  und  Chirurgie,  sowie  die 
Ergebnisse  der  pathologisch-anatomischen  Untersuchung  in 
diesem  Sinne.  Irgendwelche  stichhältige  Gegengründe  gegen 
diese  Auffassung  liegen  für  den  Menschen  bisher  nicht 
vor.  Auch  den  vereinzelten  negativen  histologischen  Befunden 
an  den  Epithelkorpern  bei  Tetanie  kommt  eine  solche 
Bedeutung  nicht  zu.  Der  akute  Anfall  von  Tetanie  nach 
Tuberkulininjektion  zeigt,  daß  all  den  bisher  für  die 
Tetanie  als  ursächlich  angesehenen  Momenten,  wie  Er¬ 
kältungen,  Intoxikationen,  der  Gravidität  etc.  nur  die  Be¬ 
deutung  auslösender  Faktoren  zukommen  kann.  Das  sind, 
glauben  wir,  Beweisgründe  genug,  um  die  Auffassung,  daß 
der  Tetanie  des  Menschen  eine  Funktionsstörung  der  Glandulae 
parathyreoidea  zugrunde  liegt,  als  wohl  fundiert  ansehen 
zu  können. 

Literatur: 

b  S  c  h  u  1 1  z  e,  Neurol.  Zentralbl.  1889,  S.  217.  •—  Pineies, 
Sitzungsber.  d.  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  1904.  —  =*)  P  i  n  e  1  e  s 
Deutsches  Arch,  f  klin.  Med.,  Bd.  85.  —  *)  Chvostek,  Zeitschr.  für 
klin.  Med.  1891,  Bd.  19;  Wr.  klin.  Wochenschr.  1905,  Nr.  38;  Wr. 
klin.  Wochenschr.  1907,  Nr.  17.  —  Pineles,  Mitteil,  aus  den  Grenz¬ 
gebieten  1904,  Bd.  14.  —  E  r  d  h  e  i  m,  Mitteil,  aus  den  Grenzgebiet.  1906, 
Bd.  16.  —  V.  F  r  a  n  k  1  -  H  0  c  h  w  a  r  t,  Neurol.  Zentralbl.  1906, 
Nr.  14,  15.  —  Vas  a  Ile,  Arch.  ital.  di  biol.  1898.  —  »J  Adler  und 
Thaler,  Sitzungsber.  d.  k.  k.  Gesellsch.  d.  Aerzte;  Wr.  klin.  Wochen¬ 
schrift  1906,  S.  779.  —  1«)  M.einert,  Arch.  f.  Gynäkol.  1898,  Bd.  55. 

—  V.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g,  Krankheiten  der  Schilddrüse.  Deutsche  Chirurgie. 

—  '^)Kocher,  Ber.  d.  23.  Kongress,  f.inn.  Med.  1906.  —  Mac  C  al  1  u  in, 
Zentralbl.  f.  allgem.  Patholog.  1905.  —  ’b  K  ö  n  i  g  s  t  e  i  n,  Wr.  klin. 
Wochenschr.  1906,  S.  779.  —  v.  E  i  s  e  I  s  b  e  r  g,  Wr.  klin.  Wochen¬ 
schrift  1906,  S.  780.  —  Thiemich,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.  1906, 
Bd.  5.  —  1^)  Raymond,  Med.  Klinik  1905,  Nr.  44. 


Aus  der  chirurgischen  Abteilung  der  mähr.  Landes¬ 
krankenanstalt  in  Olmütz. 

lieber  einen  Fall  von  intraabdominaier  Netz¬ 
torsion  bei  gleichzeitiger  Brucheinklemmung 
einer  Appendix  epiploica. 

Von  Primararzt  Dr.  F.  Suioler. 

Seit  dem  .fahre  1882,  in  welchem  Oberst  den  ersten 
Fall  von  Nelztorsion  beschrieb,^)  haben  sich  die  Mittei¬ 
lungen  über  diese  immerhin  recht  seltene  Erkrankung  erst 
in  längeren,  dann  in  immer  kürzeren  Zwischenräumen 
wiederholt,  so  dah  Rudolf  i'm  Jahre  1903  schon  über 
29  Fälle  von  Netztorsion  berichten  konnte.^)  Im  Jalire  1905 
kamen  zu  diesen  lallen  neue  Beobachtungen  von  Simon^) 
und  von  lloche.^)  Die  letzte  größere  Arbeit  über  Netz¬ 
torsion  von  Pretzsch,®)  aus  Küttners  Klinik,  zitiert  die 
Zusammenstellung  Roches  und  fügt  zu  den  dort  genannten 
29  Fällen  15  weitere  und  bringt  ehie  eingehende  Beschrei¬ 
bung  der  pathologischen  Anatomie  und  Klipik  dieses  eigen¬ 
artigen  Krankheitsbifdes. 

Der  Vollständigkeit  halber  möge  erwähnt  werden,  daß 
seit  der  Arbeit  von  Pretzsch  wipder  über  einzelne  Fälle 
von  Nelztorsion  berichtet  wurde  u.  zw.  von  Scudder,*') 
von  Pinches  und  Corner^)  und  jüngst  von  Adler®) 
auf  dem  diesjährigen  Chirurgenkongreßi. 

Somit  läge  für  mich  kein  Grund  vor,  die  relativ  reiche 
Eiteralur  dieser  l’älle  um  einen  kasuistischen  Beitrag  zu 
bereichern,  wenn  nicht  der  Fall,  den  i,ch  kürzlich  zu  be- 

9  Zentralbl.  für  Ghir.  1882,  Nr.  27,  S.  441. 

Wiener  klin.  Wochenschrift  1903,  S.  459. 

Münchener  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  41,  S.  1979 

0  Ref.  Zentralbl.  für  Ghir.  1905,  Nr.  32,  S.  841. 

h  Beiträge  zur  klin.  Ghir.  1906,  Bd.  48,  Heft  1. 

•■’)  Ref.  Zentralbl.  für  Ghir.  1905,  Nr.  7. 

h  Ref.  Zentralbl.  für  Ghir.  1907,  Nr.  5. 

9  Zeitschrift  für  ärztl.  Fortbildung  1907,  Nr.  8,  S.  243. 


obachlen  Gelegenheit  hatte,  sich  von  den  bisher  beschrie¬ 
benen  Fällen  dadurch  unterscheiden  würde,  daß  es  sich 
bei  demselben  um  Netztorsion  bei.  gleichzeitiger  Bruchein¬ 
klemmung  einer  Appendix  epiploica  handelte,  somit  um 
das  gewiß  auffallende  Zusammentreffen  zweier  seltener 
Krankheitsbilder. 

Der  Krankengeschichte  des  Falles  entnehme  ich  fol¬ 
gende  Notizen; 

R.  R.,  37jäliriger  Beamter,  kam  am  21.  Februar  1907  in 
meine  Sprechstunde  und  klagte  über  seit  drei  Tagen  bestehende 
Uebelkeit  und  Schwäche.  Vor  zwei  Tagen  hatte  er  bemerkt, 
daß  ein  seit  vielen  Jahren  bestehender  rechtsseitiger  Leisteri- 
bruch  nicht  mehr  zurückging;  trotz  seiner  recht  heftigen  Be¬ 
schwerden  schleppte  sich  Pat.  noch  herum  und  blieb  erst  seit 
gestern  abends  zu  tiause.  Sein  Hausarzt,  Herr  Dr.  Mrazek, 
der  heute  fräh  geholt  wurde,  maclite  einen  leichten  Taxisversuch 
und  schickte,  als  dieser  erfolglos  blieb,  den  Kranken  behufs 
Operation  in  die  Landeskrankenanstalt..  Pat.  bat  nur  einmal,  vor¬ 
gestern,  erbrochen,  hat  gestern  noch  Stuhl  gehabt,  Flatus  sind 
heute  noch  abgegangen. 

Großer,  kräftiger  ■  Mann ;  Gesicht  blaß,  die  Slirne  mit  kaltem, 
klebrigen  Schweiße  bedeckt;  die  Bauchdecken  sehr  fett  und  stark 
gespannt. 

In  der  rechten  Skrotalhälfte  eine  etwa  gänseeigroße  Hernie, 
die  sich  wie  ein  Netzbruch  anfühlt.  Die  Inkarzeration  scheiid. 
nicht  sehr  fest  zu  sein,  trotzdem  geht  der  Bruch  nicht  zurück. 

Die  Operation,  die  gleich  nach  Aufnahme  des  Kranken  vor¬ 
genommen  wird,  beginnt  als  Herniotomie.  Der  Bruchsack  stark 
verdickt,  in  ihm  blaurot  verfärbtes  Netz  mit  beginnender  Nekrose; 
neben  cleni  Netzstrange  tritt  an .  der  medialen  Seite  der  Bruch¬ 
pforte  ein  ca.  2  cm  langes,  kleinfingerdickes  Gebilde  aus,  welches 
sich  bei  näherer  Untersuchung  als  Appendix  epiploica  erweist. 
Wegen  der  bestehenden  Verändeiamgen  des  vorgefallenen  Netzes 
wird  die  Herniotomie  zur  Laparotomie  erweitert  und  es  zeigt 
sich,  daß  der  vorgefallene  Netzstrang  das  Ende  eines  durch  Netz¬ 
torsion  bedingten,  etwa  zweimannsfaustgroßen  Netztumors  dar¬ 
stellt.  Die  Torsion  beträgt  etwa  360°  und  hat  entgegen  dem  Sinne 
des  Uhrenzeigers  stattgelünden.  Der  in  den  Bruch  eingetretene 
Netzzipfel  ist  nicht  mit  dem  Bruchsacke  verwachsen,  dagegen 
besteht  eine  Verwachsung  des  Netzes  mit  dem  parietalen  Bauch¬ 
felle  in  der  Nähe  des  inneren  Bruchringes.  Die  inkarzerierte 
Appendix  epiploica  gehört  der  stark  gegen  die  rechte  Leisten¬ 
gegend  hingezogenen  Flexura  sigmoidea  an.  Der  angewachsene 
Teil  des  Netzes  wird  nach  doppelter  Ligatur  durchschnitten,  ebenso 
das  gedrehte  Netz,  weil  es  nach  versuchter  Retorsion  in  die 
Torsionsstellung  zurückkehrt,  auch  seine  Zirkulationsstörungen 
sehr  hochgradige  sind.  Desgleichen  wird  die  Appendix  epiploica 
ligiert  und  abgetragen.  Nunmehr  folgt  Bauchnaht  und  Radikal¬ 
operation  der  Hernie. 

Am  .Nachmittage  nach  der  Operation  ist  Pat.  wohlauf  und 
munter;  am  nächsten  Tage  (22.  Februar)  sieht  der  Kranke  wieder 
verfallen  aus;  der  Puls  ist  klein  und  sehr  frequent;  der  Bauch 
etwas  aufgetrieben,  aber  nicht  druckempfindlich;  auf  Klysma  er¬ 
folgt  Abgang  von  Winden.  Am  nächsten  Tage  ungefähr  das  gleiche 
Verhalten;  am  ,24.  Febmar  spontaner  Abgimg  von  Winden  und 
Stuhl  auf  Klysma;  der  Puls  andauernd  schlecht,  weshalb  Patient 
Koffein-  und  Kampferinjektionen  erhält.  Am  25.  Februar  zu¬ 
nehmender  Verfall;  Koffein  und  Digalen  ohne  Erfolg;  große  Un¬ 
ruhe;  am  26.  Februar,  früh  1  Uhr,'  Exitus  letalis  unter  dem 
Bilde  der  Herzinsuffizienz. 

Die  Sektion  ergab  Lipomatosis  oordis  destruens  und 
Bright  sehe  Nieren;  ip,  der  Bauchhöhle  außer  leichten  peri- 
tonitischen  Veränderungen  nichts  Besonderes. 

Der  bei  der  Operation  abgetragene  Netzanteil  zeigte 
folgende  Verhältnisse: 

350  g  schwerer  Netzklurapen;  derselbe  besteht  im  auf¬ 
gerollten  Zustande  aus  einem  kompakteren  Netzanteile,  wel¬ 
cher  10  cm  lang,  10  cm  breit  und  4  cm  dick  ist  und  die 
Operationsabtrennungsfläche  aufweist.  Mit  demselben  steht 
durch  eine  stielartige,  ca.  6  cm  lange,  meist  nur  aus  Ge¬ 
fäßen  und  Bindegewebe  ohne  besondere  F'etteinlagerung 
bestehende,  Partie  verbunden,  ein  proximales,  mehr  loses, 
8X4  cm  großes  Netzstück  im  Zusammenhänge.  Bei  der 
üebernahme  des  Präparales  erscheint  das  ganze  Gebilde 
zu  einem  einheitlichen,  über  zweifaustgroßen  Klumpen  zu- 
sammengerollt;  dies  ist  dadurch  bedingt,  daß  der  Stiel  mit 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


üoö 


dem  distalen  Abschnitte  um  360'^  gedreht  und  so  verkürzt 
ist.  Die  Stielgefäßie  sind  stark  mit  Blut  gefüllt.* *) 

Es  handelte  sich  also  nm  einen  Fall  von  intraabdomi¬ 
naler  Netztorsion  bei  gleichzeitiger  Hernie,  bei  welchem 
liehen  einem  Netzstrange  auch  eine  Appendix  epiploica 
durch  die  Brnchpforte  vorgefallen  und.  eingeklemmt  worden 
war;  seltsamerweise  eine  Appendix  der  Flexura  sigmoidea 
in  einer  rechtsseitigen  Leistenhernie.  Die  Netztorsion,  welche 
zur  Zeit  der  Operation  wohl  mindestens  drei  Tage  hestanden 
hatte  und  die  mit  ihr  verbundenen  Störungen  hatten  den 
in  hezng  auf  Herz  und  Nieren  schwer  geschädigten  Kranken 
so  stark  hergenommen,  daß.  der  operative  Eingriff  den  Ver¬ 
fall  nicht  mehr  aufzulialten  imstande  war. 

Was  die  Art  und  Genese  der  Netztorsion  betrifft,  so 
lag  ein  ähnlicher  Fäll  vor  wie  der  von  Pretzsch  geschil¬ 
derte  und  er  gehört  in  die  zweite  Gruppe  der  Einteilung 
Pretzsch’. 

Auch  hei  unserem  Falle  war,  wie  dort,  ein  großer 
Teil  des  Netzes  in  die  Drehung  einbezogen,  wie  dieses 
Verhalten  für  die  Fälle,  bei  denen  die  Drehung  zwischen 
zwei  fixen  Punkten,  nämlich  der  Netznrsprungsstelle  und 
der  peripheren  Anheftungsstelle,  welche  auch  hier  in  der 
Nähe  der  Bruchpforte  lag,  stattfindet,  charakteristisch  ist. 

Das  seltene  und  eigen tümliche  des  Falles  lag,  wie 
schon  erwähnt,  in  dem  Zusammentreffen  von  Netztorsion 
mit  Appendixeinklelmmung. 

lieber  Brucheinklemmungen  von  Appendices  epiploicae 
ist  bisher  wenig  bekannt  geworden;  ich  fand  in  der  mir 
zugänglichen  Literatur  nur  drei  Arbeiten,  die  sich  mit  diesem 
Krankheitshilde  beschäftigen.  Als  erster  beschrieb  es 
Bi  edel,®)  welcher  in  seiner  Publikation  über  pathologische 
Störungen,  deren  Ursache  die  Appendices  epiploicae  ah- 
gehen,  berichtet,  daß  er  zweimal  das  Eintreten  von  Appen¬ 
dizes  in  linksseitige  Bruchsäcke  beobachtet  hat ;  er  macht 
darauf  aufmerksam,  daß  ein  solches  Vorkommnis  ganz  be¬ 
deutende  Störungen  im  Organismus  herbeiführen  kann,  so 
daß  man  geneigt  ist,  an  eingeklemmten  Netzbruch  oder  an 
Li  ttre sehen  Bruch  zu  denken.  Eine  weitere  Mitteilung 
stammt  von  v.  Bruiis,^®)  der  einen  Fäll  von  isolierter  Ein¬ 
klemmung  einer  Appendix  epiploica  der  Flexura  sigmoidea 
in  einem  linksseitigen  Leistenbruche  beobachtete ;  die  Ein¬ 
klemmung  muß  in  diesem  l  alle  eine  ziemlich  feste  gewesen 
sein,  denn  es  fa,nd  sich  die  Appendix  hei  der  Operation 
schon  in  gangränösem  Zustande ;  freilich  hatten  die  Schmer¬ 
zen  auch  eine  Woche  lang  bestanden. 

Der  V.  Bruns  sehen  Mitteilung  folgte  bald  eine  von 
Mus catello,^^)  welche  über  zwei  Fälle  von  Einklemmung 
von  Appendices  epiploicäe  in  Bruchx)forten  berichtet,  von 
denen  der  eine  Fall  ebenfalls  recht  heftige  Symptome  in¬ 
folge  der  Einklenhnung  darh.ot,  während  der  andere  inso- 
ferne  für  die  Aus'gestailtnng  des  Krankheitsbildes  von  Inter¬ 
esse  ist,  als  er  zeigt,  daß  infolge  von  Appendixeinklemmung, 
auch  wenn  der  akute  Prozeß  für  den  Kranken  ohne  Avesent- 
liche  Schädigung  ahläuft,  doch  dadurch,  daßi  es  durch  die 
Einklemmung  zu  entzündlicher  Verwachsung  kommt,  für 
den  Befallenen  später  pathologische  Störungen  eintreten 
können. 

Eine  weitere  Mitteilung  verdanken  wir  Schwein- 
burg,^^)  der  aus  Ne  dopili^  chirurgischer  Abteilung  über 
einen’ Fäll  berichtet,  bei  dem  drei  Appendices  epiploicae 
der  Flexur  in  einem  linksseitigen  Leistenbruche  einge¬ 
klemmt  waren.  Die  subjektiven  Beschwerden  waren,  trotz¬ 
dem  die  Tnkarzeration  sechs  Tage  dauerte,  recht  gering 
gewesen. 

Es^sind  somit  im  ganzen  bisher  sechs  Fälle  von  Ein¬ 
klemmung  der  Aiipendices  epiploicae  in  Bruchpforten  he- 
schriehen  worden. 

*)  Für  die  Vornahme  der  Sektion  und  die  Beschreibung  des 
Präparates  sage  ich  hiemit  Herrn  Prosektor  Dr.  Berka  meinen  besten  Dank. 

®)  Münchener  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  48,  S.  2.808. 

Münchener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  1.  S.  16. 

“1  Münchener  med.  Wochenschrift  1906,  Nr.  38,  S.  1868. 

*2)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1906,  Nr.  50,  S.  1522. 


Den  Fall  von  Lorenz^®)  ließ  ich  absichtlich  in  obiger 
Zusammenstellung  aus,  weil  es  sich  bei  diesem  eigentlich 
tun  eine  Strangnlation  einer  Appendix,  nicht  um  eine  Bruch¬ 
einklemmung  handelte. 

Trotz  der  geringen  Anzahl  der  Beobachtungen  läßt 
sich  aus  der  Aelmlichkeit  der  Symptome,  welche  die  iuille 
darboten,  ein  typisches  klinisches  Krankheitsbild  kon¬ 
struieren.  Leider  sind  aber  die  Symptome  nicht  eindeidig 
genug,  um  die  strikte  Diagnose  auf  ,,Appendix  epi¬ 
ploic  a-Einklemmung“  zu  ermöglichen,  was  übrigens 
auch  V.  Bruns  und  Muscalello  hervorheben,  .v.  Bruns 
macht  speziell  darauf  aufmerksmn,  daß  die  Symptome  einer 
Hernieneinklemmung  ohne  Darmverschluß  auch  bei  der  In- 
karzeration  von  Netz,  bei  der  Einklemnumg  des  Wurmfort¬ 
satzes,  wohl  auch  heim  Darmwandbruche  bestehen  können. 
Immerhin  scheint  für  die  Einklemmung  unserer  Appendizes 
gemeinsaan  zu  sein,  daß  die  Einklemmungserscheinungen 
weniger  heftig  sind  als  hei  Darm-  und  Netzeinklemmungen 
und  es  läßt  sich  wohl  auch  annehmen,  daß  Spontanheilung 
hei  der  Appendixeinklemmung  leichter  möglich  ist  als  hei 
der  Einklemmung  wichtigerer  und  größerer  Organe. 

In  dem  von  mir  beschriebenen  Fälle  lagen  im  Vorder¬ 
gründe  des  Krankheitsbildes  die  Symptome,  welche  durch 
die  Netztorsion  bedingt  waren  und  es  ist  deshalb  für  die 
Erweiterung  der  Symptomatologie  des  Krankheilsbildes  der 
Appendixeinklemmungen  nicht  zu  verwerten.  Trotzdem 
glaube  ich,  daß  sich  seine  Mitteilung  rechtfertigt,  einmal, 
weil  er  einen  neuen,  kleinen  Beitrag  zur  Kenntnis  dieses 
seltenen  Krankheitshildes  liefert,  und  weiter,  weil  er  zeigt, 
daß  sich  AppendixeinklemrnVmgen  gelegentlich  auch  mit 
anderen  intraahdominalen  Erkrankungen  kombinieren  und 
diese  komplizieren  können. 


Ueber  Silberimprägnation  von  Bakteriengeißeln„ 

Von  Professor  Dr.  K,  Kreibicli. 

In  Nr.  14  der  Berliner  klinischen  Wochenschrift  be¬ 
richtet  Stern  über  eine  Methode  zur  Darstellung  der  Spiro- 
chaete  pallida  im  Aufstrichpräparate.  Er  setzte  den  mit 
Reizserum  beschickten  Objektträger,  nachdem  er  einige 
Stunden  im  Brutschränke  gelegen,  in  einer  lOVoigen  Ar¬ 
gentum  nitricunt- Lösung  durch  mehrere  Stunden  dem 
diffusen  Tägeslichte  bis  zur  Braunfärbung  des  Aufstriches 
aus.  Die  Spirochäten  erscheinen  tief  schwarz  auf  bräun¬ 
lichem  Grunde,  Niederschläge  sind  zwar  vorhanden,  aber 
nicht  immer  störend ;  Reduktion  mit  Pyrogallus  verbessert, 
die  Imprägnation  nicht.  Wir  haben  seither  mit  dieser  Me¬ 
thode  vielfach  gute  Resultate  erzielt  u.  zw.  entgegen  der 
obigen  Mitteilung  nicht  bloß  mit  diffusem  Tages-,  sondern 
auch  mit  direktem  Sonnenlichte  und  mit  dem  Lichte  der 
Finsenlampe;  in  beiden  letzteren  Fällen  erfolgt  die  Im¬ 
prägnation  schon  nach  10  bis  20  Minuten. 

Es  war  nun  der  Gedanke  naheliegend,  mit  dieser 
Methode  andere  schwer  darstellbare  Bakterienteile  zur  Dar¬ 
stellung  zu  bringen  und  dachten  wir  zunächst  an  die  Bak- 
teriengeißoln.  Tatsächlich  erzielten  wir  sofort  bei  dem  ersten 
Versuche  hei  Typhusbazillen,  die  von  einer  frisch  aus  Meer¬ 
schweinchen  geimpften  Agarkultur  stammten,  ganz  nach  den 
Angaben  Sterns  verfahrend,  die  schönste  Imprägnation 
von  Geißeln  u.  zw.  sowohl  von  solchen,  die  in  der  typischen 
Art  am  Bakterium  hafteten,  als  auch  von  zahlreichen^  ab¬ 
gerissenen  Geißelfäden.  Leider  erwies  sich  Typhusb^illen 
gegenüber  auch  diese  Silbermethode  nicht  zuverlässig,^  in¬ 
sofern  wir  erst  nach  mehreren  Mißerfolgen  wieder  einen 
positiven  Befund  erzielten.  Da  auch  in  diesem  letzteren 
Fälle  ein  Bakterienmaterial  unmittelbar  vom  Tiere  auf  Agar 
verimpft  genommen  wurde,  so  glauben  wir,  daß  neben 
den  Unsicherheiten,  die  jeder  Silbermethode  anhaften,  vor¬ 
wiegend  das  Untersuchungsmaterial  an  den  Mißerfolgen 
Schuld  trug. 

>3)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  Nr.  51,  S.  1:867. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  21 


Cicliiigt  die  liiii)räg'iiatioii,  so  gibt  sie,  wie  der  später 
zu  besciireibeude  Bei'uiid  zeigt,  aiisgezeieliiiete  Bilder  und 
hat  vor  der  Methodik  von  van  Erniengeni  den  Vorzug 
der  größten  Einfacddieit  voraus. 

Viel  leichter  und  zuverlässiger  gelang  uns  die  Geißel- 
iinprägnation  beim  llausclibrandbazillus.  Boigegebenes 
Bliologrannn  stainmt  von  einem  Präparate,  das  in  folgender 
Weise  gewonnen  wurde.  Reichlich  hazillenhaltiges  Exsudat 
aus  dem  Meerschweinchen  wird  auf  den  onifetteten,  zuletzt 
mit  destilliertem  Wasser  nnd  einem  trockenen  Tuche  ab¬ 
geriebenen  Objektträger  dümi  aiifgeslrichen,  lufttrocken  ge¬ 
lassen  und  kurz  durch  die  Elainme  gezogen.  (Vielleicht 
sind  noch  regelmäßigere  Residtate  zu  erzielen,  wenn  man 
die  Präparate  nach  Stern  im  Brutschränke  trocknen  läßt.) 


\ 


Der  so  beschickte  Objektträger  wurde  bis  zur  Braunschwarz- 
färbung  in  öOToigor  Argentum  nitricurn- Lösung  dem  direkten 
Sonnenlichte  oder  Finsenlichte  ausgesetzt.  Die  oüToige 
Lösung  hat  den  Vorteil,  daß  sie  die  Bakterien  und  Geißeln 
schwärzer,  das  umgehende  Medium  nur  wenig  imprägniert; 
doch  ist  auch  dies  nicht  als  Regel  anzusehen,  denn  wieder¬ 
holt  erzielten  wir  ebenso  schöne  oder  schönere  Bilder  hei 
Verwendung  von  lOT^iger  Lösung,  welche  das  ganze  Prä¬ 
parat  viel  rascher  bräunt.  Ist  der  Aufstrich  schwarzbraun 
gefärbt,  dann  ist  das  Präparat  aus  der  Silberlösung  zu 
nehmen,  sind  die  Geißeln  nicht  imprägniert,  dann  scheinen 
sie  sich  auch  hei  längerem  Belassen  nicht  mehr  zu  imprä¬ 
gnieren,  während  immer  reichlichere  Niederschläge  auf- 
treten.  ln  unseren  besten  Präi)araten  finden  sich  partien¬ 
weise  fast  um  alle  Bazillen  zahlreiche,  radiärgesleille,  spiralig 
beschaffene  Geißeln.  Die  Bazillen  selbst  sind  durch  die 
Imprägnation  deutlich  verbreitert.  Aus  Kaninchenexsudat 
hergestellte  Präparate  zeigen  die  Bazillen  kürzer,  an  den 
Embui  weniger  scharf  ahgeschrägt  und  mit  zahlreichen 
Geißeln,  mehr  nach  Art  der  Typhushazillen  besetzt,  daneben 
fambui  sich  Pebei-gänge  zu  obigen  spii’aligen  Formen,  so 
daß  der  Gedanke,  daß  es  sich  hei  den  Gebilden  überhaupt  um 
Kmistprodukte  handelt,  nicht  aufkonnnen  konnte. 

Dies  erscheint  uns  wichtig  mit  Rücksicht  auf  die 
freien  Geißeln.  Freie  Geißeln  hat  schon  Löffler  mit  seiner 
Methode  bei  Rauscbbrand  aus  Blutserumkulluren  beob- 
acbbd;  er  fand  spiralig  gedrehte,  haarzopfähnliche  Gebilde 
von  verschiedener  Größe,  die  sich  nach  seiner  Geißelfärbe- 
methode  gefärbt  zeigten,  a.her  auch  it)i  h.'iugenden  Tropfen 
zu  sehen  wa.riui,  <n*  hält  diese  Gebilde  für  abgerissene,  zu¬ 
sammengedrehte  Geißeln.  Wie  die  Abbildung  zeigt,  bringt 


obige  Methode  auch  einzelne  Geißelfäden,  in  der  verschie¬ 
densten  Länge,  zur  Darstellung,  nianchmal  sind  zwei  zu- 
sannnengedreht  und  es  entstehen  dazwischen  kleine  Lücken; 
manchmal  sind  die  Windungen  nur  auf  der  Höhe  und  da¬ 
zwischen  nicht  imprägniert,  so  daß  man  geradlinig  hinter¬ 
einander  gelegene,  konnnaartige  Gebilde  sieht. 

Da  nun  diese  abgerissenen  Geißeln  an  beiden  Enden 
zugespitzl  sind,  so  erinnern  sie  in  ihrem  Aussehen  sehr 
an  Spirochäten.  W'ir  haben  zweimal  mit  negativem  Re¬ 
sultate  versucht,  diese  Gehibfe  jiiit  Giemsalösung  zu  färben, 
ob  sie  Eigenbewegung  zeigen,  wurde  nicht  nnteüsucht. 

Es  könnte  angesichts  dieser  Aelndichkeit  der  Gedanke 
auftauchen,  daß  auch  die  Spirochaete  pallida  nicht  eine 
schwer  färbbare  Bakterien-,  wohl  al)er  eine  leichter  färb¬ 
bare  Protozoengeißiel  sei,  zumal  es  bis  jetzt  noch  nicht 
mit  Sicherheii  gelang,  in  ibr  eine  Differenzierung  in  Kern 
und  Membran  vorzunehmen.  Dagegen  spricht,  abgesehen 
von  der  besseren  Färbbarkeit,  Eigenbewegung,  Besitz  eigener 
Geißeln,  die  Talsache,  daß  bis  jetzt  noch  kein  zur  Geißel 
gehöriger  Prolozoenleib  nachgewiesen  wurde. 


Aus  der  Prosektur  des  Kaiser -Franz- Joseph -Spitales 
in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  Kretz) 

Geißeln  bei  vom  Jahre  1894  bis  1907  in 
zugeschmolzenen  Eprouvetten  aufbewahrten 

Kulturen. 

Von  Dr.  Alexander  Hinterberger,  Wien. 

Im  vierten  Hefte  des  oG.  Bandes  (li)04)  des  Zentral¬ 
blattes  für  Bakteriologie,  Abt.  1,  Orig.,  zeigte  ich  an,  daß 
es  mir  gelang,  in  Deckgiassauslrichen  von  einer  fünf  Monate 
alten  Kultur  von  Proteus  vulgaris  und  einer  IOV2  Monate 
alten  Kultur  von  Micrococcus  agilis  Geißeln  sichtbar  zu 
machen.  Ich  erwähnte  dabei  in  einer  Anmerkung,  daß  beide 
Kulluren  dasselbe  Resultat  nach  weiteren  sieben  Monaten 
(also  im  Alter  von  einem'  Jahre,  resp.  I7V2  Monaten)  er¬ 
gaben.  Die  Möglichkeit,  daß  diese  geißeltragenden,  alten 
Kulturen  nur  aus  wühlerhalten en  Leichen  der  hetreffenden 
Organismen  hestanden,  wurde  dadurch  sehr  unwahrschein¬ 
lich  gemacht,  daß  einerseits  die  Kulturen  sich  beide  Male 
leicht  üherimpfen  ließen,  anderseits  bis  heute  von  Dauer¬ 
sporen  bei  Proteus  vulgaris  und  Micrococcus  agilis  nichts 
bekarmt  ist. 

Daß  diese  LTeherimi)fbarkeit  nach  so  langer  Zeit  viel¬ 
leicht  auf  Sporenhildung  beruhte,  ist  ja  dadurch  gewiß  nicht 
ausgeschlossen,  aber  jedenfalls  nicht  näherllegend,  als  das 
Erhaltenbleihen  der  Geißeln  an  alten  Individuen  unter  be¬ 
stimmten  Bedingungen  u.  zw.  in  erster  Linie  dann,  wenn 
die  Austrocknung  des  Nährbodens  möglichst  verhindert  wird. 

Ich  habe  in  diesem  und  im  vorigen  Frühjahre  (190G 
und  1907)  die  von  den  genadinten  alten  Kulturen  im 
Jahre  1904  ahgeimpften  Kulturen  wieder  auf  Geißeln  ge¬ 
prüft,  fand  sie  l)eide  Male,  also  im  Alter  von  zwei  uird 
drei  Jahren,  geißedt ragend,  konnte  sie  aber  durch  IJeber- 
impfen  auf  Agar  1907  nicht  mehr  zum  AVachstum  bringen. 

Da  es  mich  nun  interessierte,  ob  denn  andere  alte 
Kulturen  auch  ihre  Geißeln  hehalten  und  üherimpfbar 
bleiben,  erbat  ich  mir  von  der  hotanischen  Abteilung  des 
Wiener  Ifofmuseums,  welche  seit  dem  Jahre  1894  eine 
derselben  von  Priv.-Doz.  Dr.  Kräl  geschenkte  Sammlung 
von  in  zugeschmolzenen  Eprouvelten  aufhewahrten,  also  v.)r 
Wasserverlust  ganz  geschützten  Kulturen  besitzt,  eine  An¬ 
zahl  dieser  alten  Kulturen  aus  und  prüfte  dieselben  auf 
Gestall  und  Tleberimpflyarkeit.^) 

Die  ütdersuchung  ergab,  was  ich  erwartet  hatte:  Es 
ließen  sich  tadellose  Geißeln  darstellen  hei  folgenden,  un¬ 
gefähr  l.ß  Jahre  :ilten,  hierauf  unlorsuchlen  Stämmen:  Bac- 

9  Ich  spreche  hiemit  dem  Kustos  derselben,  Herrn  Dr.  Alexander 
Zahlbruckner,  meinen  Dank  für  sein  liebenswürdiges  Entgegen¬ 
kommen  aus. 


Nr.  21 


63Ü 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


teriuni  lyi)]ii,  Proteus  vulgaris,  Bacillus  pyogenes  foetiilus 
uiul  gelber  KarloiTelbazillus. 

Minder  gut  erhaltene,  aber  volikonnnen  deutliche 
Geißeln  waren  zu  sehen  bei:  Bacillus  cyanogenes  (viele  ab¬ 
gerissen  und  infolgedessen  zu  Kreisen  gerollt,  einzelne  aber 
auch  ganz  schön  als  eiidsländige  Büschel  erhalten),  Bac¬ 
terium  Zopfii  (kleine,  sehr  kurze  Körper,  ziemlich  zahl¬ 
reiche,  lange,  dünne  Geißeln),  Vibrio  Metschnikovv  (spärliche, 
aber  deutliche  Geißeln,  zahlreiche  Ein^elvihrionen,  einzelne 
lange  Schrauhenladen)  und  Vibrio  berolinensis. 

Bacillus  (megatherium  zeigte  kurze,  dicke  Körper,  keine 
Geißeln,  wohl  aber  hie  und  da  die  Fädennetze,  welche  ich 
seinerzeit  als  ,,Mycele“  benaniite  und  beschrieh.^)  Die 
gleichen  Fadennetze  neben  deutlich  entwickelten  Geißeln 
zeigte  Bacillus  pyogenes  foetidus. 

Weder  Geißeln,  noch  kadennetze  konnten  bei  Bacillus 
pyocyaneus,  Sarcina  mobilis  und  Micrococcus  agilis  dar¬ 
gestellt  werden.  Bei  Bacillus  pyocyaneus  war  auch  die 
Kultur  farblos,  kaum  mehr  sichtbar,  das  Deckglaspräparat 
zeigte  kleine,  verkümmerte  Körper. 

Ueberimpfbarkeit  auf  aewöhinlichen  alkalischen  Agar 
fand  ich  hei :  Bacterium  typhi,  Proteus  vulgaris,  Bacillus 
megatherium  und  Bacillus  pyogenes  foetidus. 

Man  kann  annehmen,  daß  diejenigen  Kulturen,  welche 
keine  Ueberimpfbarkeit  auf  gewöhnliche  alkalische  Agar¬ 
nährböden  zeigten,  irgend  einmal  während  dieser  13  Jahre 
durch  die  Veränderung  des  in  der  verschmolzenen  Fprou- 
vette  ihnen  zur  Verfügung  stehenden  Gasgemisches  gestor¬ 
ben  sind.  Eine  Stütze  für  diese  Vermutung  kann  ich  darin 
finden,  daß  der  Figengeruch  der  Kulturen  beim  Oeffnen 
mancher  Eprouvetten  auffallend  kräftig  war,  indem  man, 
ohne  zur  Eprouvette  zu  riechen,  den  Geruch  beim  Arbeiten 
am  Laboratoriumstische  nach  der  Eröffnung  der  verschmol¬ 
zenen  Röhren  wabrnahm,  was  doch  sonst  nicht  in  auf¬ 
fallender  Weise  der  Fäll  ist,  außer  etwa  hie  und  da  zum 
Beispiel  hei  Tuherkulose,  Koli  etc. 

Der  Nährboden  dieser  alten  Kulturen  war  gewiß  noch 
nicht  erschöpft,  denn  die  Kulturen  bedeckten  nie  die  ganze 
Agaroberfläche,  was  ja  bei  beweglichen  Organismen  häufig 
geschieht,  sondern  meist  nur  ungefähr  die  Hälfte  oder  ein 
Drittel. 

Es  dürften  also  die  Kulturen  zuerst  durch  ihre  eigene 
Tätigkeit  in  hezug  auf  Gasbilduag  am  Fortschreiten  auf- 
gehalten  worden  sein  und  später  dann  die  Ueberimpfbarkeit 
verloren  haben,  alsO'  in.  den  Zustand  versetzt  worden  sein, 
den  wir  mit  dem  Worte  ,,tot“  bei  der  Kultur  bezeichnen. 

Jene  Kulturen,  welche  üherimpfbar,  also  vollkommen 
lebenskräftig  waren,  dürften  sich  in  einer  Winterschlaf 
befunden  halren,  in  einem  Zustande,  wo  alle  Lebensäuße- 
rungen  (Wachstum,  also  auch  eventuelle  Fdrmveränderung, 
Stoffwechsel  etc.)  in  einem  dem  Stillstände  nahe  kommen¬ 
den  Tempo  vor  sich  gehen,  aber  die  Lebensenergie  voll¬ 
kommen  erhalten  ist,  um  bei  eintretenden  besseren  äußeren 
Bedingungen  in  voller  Kraft  wieder  einzusetzen. 

Die  Virulenz  der  Kulturen  habe  ich  nicht  geprüft. 
Das  Auftreten  der  Fädennetze  hei  Bacillus  megatherium 
und  der  Fädennetze  hei  Bacillus  pyogenes  foetidus  macht 
es  wahrscheinlich,  daß  der  Nährboden  von  vornherein  etwas 
wasserarm  war,  was  ja  im  Interesse  der  als  Museums¬ 
präparate  gedachten  Kulturen  nur  richtig  gewählt  war,  denn 
sehr  wasserhaltige  Nährhöden  hilden  in  der  Schrägstellung 
keine  so  haltbaren  Oberflächen  wie  wasserärniere  Nälir- 
l)öden,  hahen  viel  Kondenswasser  und  pressen  allmählich 
viel  Wasser  aus,  wodurch  die  GlasfUlchen  einerseits  an 
sich  trüher  wertlen,  anderseits  heim  nötigen  Al)gießien  des 
Wassers  vor  dem  Zuschmelzen  weiters  die  Reinheit  der 
freien  Flächen  der  Glaseprouvctte  leicht  gestört  wird  und 
die  Kulturen  schlechter  sichtbar  werden. 

Das  Fehlen  der  Geißeln  und  Fadennetze  bei  Bacillus 
])yocyaneus,  Sarcina  rnbbilis  und  Micrococcus  agilis  kann 
darauf  beruhen,  daß  diese  Kulturen  gerade  in  dem  Stadium 

D  Zentralblatt  für  Bakt.,  I.  Abt.,  Orig.,  Bd.  30,  S.  417. 


ihr  Wachstum  einstellten,  wo  der  Uebergang  der  Bildung 
von  Geißeln  zum  Entstehen  von  Fädennetzen  statttänd.  Ich 
habe  in  der  erwähnten  Mitteilung  über  Fädennetze  bei  Milz¬ 
brandbazillen  angegeben,  daß  in  länger  im  Brutschränke 
stehenden  Kulturen  geißieltragender  Bakterien  mit  der  Zeit 
statt  der  Geißeln  Fadennetze  sich  hilden. 

Das  Wahrscheinlichere  ist  aber,  daß  diese  Kulturen 
auf  dem  steifen  Agar  auch  i,m  Anfänge  ihres  Wachstinnes 
keine  Geißeln  gebildet  hatten,  sondern  gleich  Fädennetze 
trieben^)  und  daß  diese  Fadennetze  noch  zu  wenig  ent¬ 
wickelt.  waren,  als  der  Wachstumstillstand  eintrat,  um  mit 
der  Technik  der  Färbung  durch  kolloidales  Silber  sichtbar 
zu  werden. 

Ich  habe  keine  weiteren  dieser  alten  Kulturen  unter¬ 
sucht,  um  nicht  mehr  als  nötig  von  diesem  wertvollen  Ma¬ 
teriale  zu  zerstören  oder  richtiger  gesagt,  irgendwie  zu  ver¬ 
ändern. 

Sobald  so  eine  verschmolzene  Eprouvette  geöffnet 
ist  und  Kultur  enlnommen  wird,  drlugt  ja  neue  Luft  ein, 
die  Gase  strömen  teilweise  aus,  von  der  Nährbodenober¬ 
fläche  dunstet  Wasser  ah,  man  kann  also  nicht  mehr  von 
einer  unveränderten  Kvdtur  sprechen.  Ich  bezweifle, 
daß  viele  so  alte  Kulturen  in  Laboratorien  oder  Sammlungen 
erhalten  sind  und  halte  es  für  möglich,  daß  noch  manche 
Uiitersucher  die  Schonung  dieses  Materiales  angenehm  em¬ 
pfinden  werden. 

Es  war  mir  auch  der  Befund  der  erhaltenen  Geißeln 
bei  acht  unter  zwölf  untersuchten  genügend  zur  Feststellung 
der  Tatsache,  daßi  die  Geißeln  über  ein  .Jahrzehnt  an  Kul¬ 
turen  erhalten  hleiben.  können,  wofern  die  Nährhöden  vor 
denjenigen  äußeren  Einflüssen  bewahrt  hleiben,  welche  das 
Zuschmelzen  der  Eprouvetten  a,bhält,  also  wohl  vor  allem 
vor  Wasserverlust. 

Ferner  war  mir  der  Nachweis  der  Ueberimpfbarkeit 
bei  vier  Stämmen,  wobei  drei  sicher  Geißeln  gebildet  hatten, 
genügend,  um  mir  zu  zeigen,  daß  geißeltragende  Kulturen 
so  lange  auf  gewöhnlichem'  Nährboden  fortpflanzungsfähig 
erhalten  bleiben  können. 

Ich  sage  ausdrücklich  ,,auf  gewöhnlichem  Nährboden 
fortpflanzungsfähig“,  denn  zwischen  ,,tot“  und  „fort¬ 
pflanzungsfähig  auf  gewöhnlichem  Agar“  gibt  es  ja  sicher 
eine  ganze  Reihe  von  Zwischenstufen  erhaltener  Lehens¬ 
energie.  Es  ist  ja  gar  nicht  unmöglich,  daß  mir  Versuche 
mit  anderen  Nährböden  aucli  bei  so  mancher  der  unter¬ 
suchten  übrigen  Kulturen  noch  ,, erhaltene  Förlpflanzungs- 
fähigkeit“  gezeigt  hätten. 

Wien,  im  Mai  1907. 

{Referate. 


Sonnenstrahlen  als  Heil-  und  Vorbeugungsmittel  gegen 

Tuberkulose. 

Von  W.  Gtraff. 

34  Seiten. 

Heidelberg  1907,  Karl  Winter. 

Die  Broschüre  verfolgt  den  Zweck,  zwei  französische  Ar- 
heifen,  welche  Graff  in  Uehersetzung  bringt,  weiteren  Kreisen 
Ijekanntziimachen.  Die  eine  Arbeit  betitelt  sich:  Sonnenlicht¬ 
kur  bei  chronischer  Lungentuberkulose,  nach  Doktor 
11.  te  Malgat,  Nizza.  Vortrag  auf  dem  internationalen  Tul)er- 
kulosekongreß  in  Paris  1907. 

Mal g at  läßt  seine  Kranken  mit  enthlößiten  Bücken  täglich 
20  Minuten  bis’  eine  Stunde  den  direkten  Sonnenstrahlen  sich 
aussetzeu  und  während  des  übrigen  Teiles  des  Tages  mit  weißem 
Linnen  l)ekleidet  herumgehen.  Seide  reflektiert  die  Sonnenstrahlen 
fast  vollständig.  Neigungen  zu  Blulungen  und  stärkere  lemper.a- 
lursteigeiungen  während  der  Bestrahlung  sollen  zur  Voi'sicht 
juahnen  und  erheischen  kurze  Sitzungen,  höchstens  20  Minuten. 
Ebenso  ist  wälirend  der  Menstruation  Vorsicht  geboten.  Ver¬ 
fasser  berichtet  von  100%  Heilungen  oder  Besserungen  im  ersten 


Ö  Siehe  auch  Reitmann  und  Hinterberger,  Zentralbl.  für 
Bakt.,  I.  Abt.,  Orig.,  Bd.  37,  S.  169. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


und  66-6  °/o  im  dritten  Stadium.  Zwei  Krankengeschichten  ohne 
objektiven  Befund,  aber  mit  dem  Ergebnis,  daß  nach  zwei-  bis 
viermonatiger  Beobachtung  die  Älischflora  aus  dem  Sputum 
schwand  und  die  Tuberkelbazillen  sich  verminderien,  bieten  nichts 
Besonderes.  Mal g at  stellt  sich  vor,  daß  die  Sonnenstrahlen  den 
ganzen  Körper  durchdringen  und  die  Tuberkelbazillen  abtöten. 
Unsere  heutigen  Kenntnisse  über  die  Durchlässigkeit  der  Gewebe  für 
die  chemisch  wirksamen  Strahlen  des  Lichtes  und  die  Absorption 
derselben  von  seiten  des  roten  Blutfarbstoffes  sprechen  dagegen. 
Trotzdem  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  daß  eine  solche 
Sonnenkur  sowohl  auf  die  Tätigkeit  der  Haut  als  auch  auf  das 
Allgemeinbefinden  von  wohltätigem  Einflüsse  sein  und  daher  in¬ 
direkt  und  als  Bestandteil  einer  rationell  durchgeführten,  physi¬ 
kalisch-diätetischen  Behandlungsmethode  den  Heilungsprozeß  för¬ 
dern  könne. 

Die  zweite  übersetzte  AzUeit  lautet :  Sanitätshäuser- 
register  und  der  Kampf  gegen  die  Tuberkulose,  nach 
Dr.  Lucien-Graux,  Paris,  und  bringt  aus  dem  Sanitätshäuser¬ 
register  von  Paris  den  statistischen  Nachweis  der  größeren  Tuber¬ 
kulosesterblichkeit  der  Bewohner  solcher  Wohnungen  oder  Straßen, 
die  Mangel  an  Luft,  und  Licht  haben.  Interessant  ist  der  Nachweis, 
daß  auch  die  freieren  'Plätze  nUr  einen  sehr  lokalen  Einfluß 
haben;  schon  eine  Häuserwand  hebt  ihren  Einfluß  auf.  .Teden- 
falls  verdienen  solche  Sanitätshäuserregister,  welche  die  sani¬ 
tären  Verhältnisse  jedes  Hauses  und  jeder  Straße  genau  beschrei¬ 
ben,  mit  Berücksichtigung  der  'voi'kommenden  Todesfälle  an  in¬ 
fektiösen  Erkrankungen  in  allen  größeren  Städten  Nachahmung. 
Sie  können  wertvolle  Erfaliiaingen  liefern,  wenn  auch  aus  ökono¬ 
mischen  Gründen  es  noch  auf  lange  Zeit  hin  nicht  möglich 
sein  wird,  aus  diesen  Erfahrungen  die  äußersten  Konsequenzen 
zu  ziehen. 

* 

Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  innerhalb  der  Stadt, 

Erfahrungen  aus  den  Berliner  Auskunfts-  und  Fürsorgestellen  für 

Lungenkranke. 

Von  Ernst  Pütter. 

28  Seiten. 

Berlin  1907,  Richard  S  c  h  o  e  t  z. 

Die  Broschüre  bringt  in  großen  Zügen  ein  Bild  der  Tätig¬ 
keit  der  Berliner  Auskunfts-  und  Fürsorgestelle.  Es  wurden  vom 

1.  Oktober  1904  bis  März  1907  34.819  Pei'sonen  untersucht, 
18.262  Wohnungen  Lungenkranker  in  bestmöglichen  sanitären 
Zustand  vei'setzt  und  ständig  kontrolliert,  569  Betten  geliefert, 
24.500  Mark  an  Geldunterstützungen  gegeben,  1192  Kinder  in 
Kinderheilstätten  und  1451  Kinder  in  Walderholungsstätten  unter¬ 
gebracht. 

Die  weiteren  Ausführungen  über  die  Tätigkeit  der  einzelnen 
Organe  der  Auskunfts-  und  Füi*sorgestelle  (Lehrer,  Arzt,  Für- 
sorgeschwestei')  bringen  nichts  Neues. 

* 

Behringwerk-Mitteilungen. 

Heft  2. 

Stuttgart  und  Leipzig,  Deutsche  Verlagsanstalt. 

1.  Sufonin,  ein  neues  DesinPektionsmittel. 

Sufonin  enthält  Wasserstoffsuperoxyd  und  Formaldehyd  iji 
einem  Verhältnisse,  welches  v.  Behring  nicht  nzitteilt.  Außerdem 
enthält  Sufonin  noch  andere  Körpei’,  die  nicht  genannt  werden 
und  durch  welche  die  Leistungsfähigkeit  des  Sufonins  noch  ge- 
steigeil  Averden  soll.  Diese  Mischung  soll  die  Tatsache  illustrieren, 
daß  aus  dem  Zusammenwirken  zweier  oder  mehrerer  Körper  mit¬ 
unter  ein  Desinfeklionswert  resultiert,  welcher  größer  ist  als  die 
Summe  der  Desinfektionswerfe  jedes  einzelnen  Körpers.  Das  Sufo¬ 
nin  wird  l)is  auf  weiteres  vom  geschäftsmäßigen  Vertriebe  noch 
ferngehalten.  Die  lüshei'igen  Prüfungen  im  Behringwerk  ergaben 
in  z'elativ  schwachen  Konzentrationen  einen  außerordentlich  hohen 
Desinfektionswert.  Als  Testobjekte  dienten  verschiedene  patho¬ 
gene  Bakterien,  vor  allem  .Milzbrandsporen.  Die  relative  Un¬ 
giftigkeit  des  Mittels  läßt  ,es  auch  geeignet  erscheinen  zur  Koii- 
servieiamg  von  Heilseren,  von  Wasser  an  verseuchten  Orten  und 
von  Naluamgs-  und  Genußmitteln  .(Fzuchtsäften,  Milch). 

Römer  und  Much  haben  unlängst  ein  Verfahren  ])ul)Iiziert 
zur  Gewinnung  steriler  Milch.  Das  Verfahren  beruht  auf  Zusatz 
von  M  assei’stoffperoxyd  zur  Milch  (1:500  bis  1000),  nach  einigen 


Stunden  einstündiges  Erhitzen  auf  52®  und  Entfernung  des  ^Vasser- 
stoffperoxyd  durch  einen  katalytisch  wirkenden  Körper,  das  im 
Behringwei’ke  hergestellte  Hepin.  Die  so  behandelte  Milch  heißt 
Perhydrasemilch.  Perlsuchtbazillen  sollen  auf  .diese  Weise  sicher 
abgetötet  werden.  Der  Zusatz  ,des  Wasserstoffperoxyd  erfolgt 
schon  beim  Melken,  um  eine  Vermehnmg  der  Milchbakterien 
zu  hindern.  Die  Bereitung  der  Sufoninmilch  geschieht  auf  die¬ 
selbe  Weise,  nur  daß'  statt  Wasserstoffperoxyd  Sufonin  verwendet 
Avird.  In  der  Sufoninmilch  sollen  die  Perlsuchtbazillen  noch 
sicherer  zerstört  Averden  als  in  der  Perhydrasemilch. 

2.  K  u  h  m  i  1  c  h  k  o  n  s  e  r  V  i  e  r u  n  g. 

Der  Artikel  begründet  zunächst  Wichtigkeit  der  Ge¬ 
winnung  einer  sterilen,  nicht  durch  höhere  Hitzegrade  \'e ränderten 
Kuhmilch  für  die  Säuglingsemährung.  Durch  die  Siedehitze  wird 
das  EiAveiß  denaturiert  Und  in  solche  Körper  umgewandelt,  Avelche 
gleich  den  Albumosen  in  die  Kaseinfällung  übergehen;  der  Gehall 
an  Kühneschem  Pepton  nimmt  zu;  die  in  der  genuinen  Roh¬ 
milch  in  kolloidaler  Lösung  vorhandenen  Erdalkalien  geben  in 
der  erhitzten  Milch  in  wahre  Lösung  über,  da  ihre  organischen 
Verbindungen  denaturiert  Averden,  das  Kasein  erleidet  eine  Säure¬ 
abspaltung,  Avahrscheinlich  auf  Kosten  des  Nukleinsäurephospbors 
und  auch  das  Lezithin  wird  denaturiert. 

Die  Herstellung  einer  genuinen,  .sterilen  Rohmilch  ist  nach 
V.  Behring  durch  das  S'ufoninveriahren  möglich. 

Ein  ausführliches  gerichtliches  Formaldehydgutachten  kenn¬ 
zeichnet  die  Stellung  v.  Behrings  in  dieser  Frage  zu  sanitäts¬ 
polizeilichen  Vorschriften,  v.  Behring  Avürde  die  Freigabe 
eines  geringen  Formaldehydzusatzes  zur  Milch,  die  zur  Ernährung 
menschlicher  Individuen  bestimmt  ist,  nur  dann  befürworten,  Avenu 
der  DeklarationszAvang  eingeführt  würde;  die  Höchstgrenze  des 
Formaldehydzusatzes  gesetzlich  festgelegt  sei  und  die  Erlaubnis 
zur  Herstellung  von  Formaldehydmilch  .gebunden  sei  an  gesetzlich 
vorgeschriebene  Molkereieinrichtungen,  deren  tadellose  Be¬ 
schaffenheit  durch  sachverständige  Kontrollbeamte  fortdauernd 
beaufsichtigt  Avird. 

3.  U  e  b  e  r  künstliche  S  äu  g  1  i  n  g  s e r n ä  h  r  u  n  g. 

Da  dem  Säuglinge  nicht  nur  Gefahren  drohen  durch  tuberkel¬ 
bazillenhaltige  Kuhmilch,  sondern  auch  ,die  tuberkulöse  Infektion 
durch  tuberkelbazillenhaltige  Mutter-  und  Ammenmilch  nach  von 
Behring  häufiger  ist  als  man  gemeiniglich  annimmt  und  auch 
von  der  Hautoberfläche  tuberkulöser  Mütter  oder  Ammen  eine 
Infektion  erfolgen  kann,  so  sieht  vom  Standpunkte  der  Tuber¬ 
kulosebekämpfung  aus  V.  Behring  das  Heil  nicht  in  einer  Rück¬ 
kehr  zur  Brusternährung,  sondern  in  einer  hygienisch  einAvand- 
freien  Flaschenmilchernährung  der  Säuglinge.  Es  sollen  Säug¬ 
lingsheime  geschaffen  Averden. 

4.  Die  Bovo  vakzinati  on  in  der  1  an dAvirtschaf  fliehen 

Praxis. 

Der  Aufsatz  enthält  u.  a.  das  statistische  Material  über  die 
bisher  in  den  Impf  bezirken  in  Meklenburg,  dem  Herrschaftsbesitze 
des  Erzherzogs  Friedrich  bei  Tesclien  und  auf  den  Gütern 
des  Prinzen  LudAvig  von  Bayern  in  Ungarn  bovovakzinierten 
Rinder. 

M  e  k  1  e  ]i  b  u  r  g  (E  b  e  1  i  n  g) ;  Vor  Einfühlung  der  Impfun g 
reagierten  80  bis  100®/p  der  zAAuijährigen  und  älteren  Rinder 
auf  Tuberkulin.  Von  37  Impflingen  erAAÜesen  sich  bei  der  Schlach¬ 
tung  36  absolut  tuberkulosefrei.  Von  nicht  Aukzinierten  Rindern 
aus  denselben  Beständen  hatten  30 "/o  Tuberkulose. 

Herrs ch afts besitz  E rzher z og  Fr iedri c h  (R ösler) : 
Vor  Irinführung  der  Scbulzimpfung  reagierten  67  bis  87”, 'o  der 
Rinder  auf  Tuberkulin. 

Nach  ZAAuijähriger  Schutzimpfung  eines  Teiles  der  jungen 
Rinder  ergab  der  an  624  Rindern  Aurgenonunene  Tuberkulin- 
prüfungsversuch :  Von  95  mit  Rohmilch  in  tuberkulosedurch¬ 
seuchten  Stallungen  aufgezogenen,  nicht  liovovakzinierten  Rin¬ 
dern  reagierten  40”,'» ;  Aun  253  ebensolchen,  aber  bocoAuakzinier- 
ten  nur  6-4”/o ;  von  .84  mit  sterilisierter  IMilch  nach  Bung  aufge¬ 
zogenen,  nicht  boAmvakzinierien  Rindern  reagierten  8'4”/o  und 
Amn  212  ebensolchen,  aber  bovovakzinierten  7T”/(i.  Ebenso  gün¬ 
stig  lauten  die  Mitteilungen  aus  den  Gütern  des  Prinzen  LudAvig 
von  Bayern  in  Ungarn  (S  t  r  e  1  i  n  g  e  r). 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


637 


llerücksiclitigt,  mau  auch  Höhe  und  die  Dauer  der  He- 
aktiüu,  dann  hält  der  Uulerschied  zwischen  geimpften  und  nichl. 
geimpften  Rindei'ii  noch  deutlicher  ^utage,  wie  an  zwei  Kurven¬ 
tafeln  gezeigt  wird. 

Der  Aufsatz  enthält  einen  pehr  polemischen  Anhang  gegen 
Bi  auch  Oll,  Thomassen,  Schütz,  Val  lei,  Mießner  und 
Moussu. 

6.  Tierärztliche  und  menschenärztliche  Tulase¬ 
la  k  t  i  n  t  h  e  r  a  p  i  e. 

Tulaselaktin  sind  durch  C’diloralhydrat  und  andere  Salze 
emulgierte  und  dadurch  resorptionsfähig  gemachte  Tüberkel- 
bazillen,  welche  zur  Zeit  der  Emulsionierung  noch  unversehrt 
und  zur  Bovovakzinafion  geeignet  .sind.  Die  Mitteilungen  der 
von  Zinke  und  Kr  ans  vorgenommenen  quantitativen  Analysen 
und  die  in  20  Leitsätzen  wiedergegebenen  Hypothesen  v.  Be  hi¬ 
rings  für  das  Zustandekommen  der  Tuberkuloseimmunisierung 
bei  Rindern  mit  Hilfe  seines  Bovovakzins  eignen  sich  nicht  für 
eine  kurze,  referierende  Wiedergabe. 

Das  Tulaselaktin  wird  an  einigen  Kliniken  und  Heilstätten 
bereits  einer  Prüfung  unterzogen.  Die  bei  der  Anwendung  dest- 
selben  bei  fieberfreien  Patienten  zu  beobachtenden  Vorschriften 
und  Bedingungen  werden  ausführlich  wiedergegeben.  Vor  Ab¬ 
schluß  der  im  Gange  befindlichen  klinischen  Prüfungen  wird  der 
geschäftliche  Vertrieb  des  Mittels  zurückgehalten  (Ref.). 

6.  Die  Tau ro  Vakzination. 

In  einer  Kommission  des  Reichsgesundheitsamtes,  welche 
über  immunisierende  Perlsuchtbekämpfung  berichtet,  kam  man 
zu  dem  Ergebnisse,  daß  solche  neugeborene  Kälber  nicht  der 
Schutzimpfung  unterworfen  werden  sollen,  deren  Fleisch  niög- 
licheiuveise  zu  Ernährungszwecken  für  den  Menschen  nutzbar 
gemacht  werden  könnte,  bevor  sie  das  Alter  von  einem  Jahre 
überschritten  haben.  Die  Kommission  gibt  zu,  daß  dadurch  der 
günstigste  Zeitpunkt  für  die  Impfung  verpaßt  wird. 

Neuerdings  hati  nün  v.  Behring  ein  von  der  Bovovakzination 
durchaus  abweichendes  Schutzimpfungsverfahren  (Taurovakzina.- 
tion)  ausgearbeitet  und  an  seiner  eigenen  Viehlrerde  erprobt, 
von  welchem  er  annimmt,  daß  bei  dessen  Anwendung  der  Ver¬ 
trieb  des  Fleisches  nicht  wird  beanstandet  werden  können  und 
welches  voraussichtlich  auch  zur  präventiven  Bekämpfung  der 
menschlichen  Tuberkulose  werde  nutzbar  gemacht  werden  können. 
Nähere  Angaben  über  dieses  Verfahren  werden  nicht  mitgeteilt. 

J.  Sorgo  (Alland). 

* 

Beitrag  zur  gefechtssanitären  Applikatorik  im  Gelände. 

Bearbeitet  von  Regimentsarzt  Dr.  Franz  Kroatin 
Mit  7  Skizzen. 

67  Seiten. 

Wien  1907,  Josef  S  a  f  ä  f. 

Vorliegende  Arbeit  bereichert  in  wertvoller  Weise  die  Lite¬ 
ratur  über  den  taktischen  Sanitätsdienst,  eine  Disziplin,  die  sich 
nun  seit  mehr  als  einem  Jahrzehnte  mit  Recht  sorgfältiger  Pflege 
von  seiten  der  Militärärzte  aller  Heere  erfreut.  Unter  den  Mitteln 
zur  Schulung  in  den  Aufgaben  der  Sanitätstaktik  sind  die  im 
Gelände  durchgeführten  Arbeiten  zweifellos  die  wertvollsten,  weil 
sie  sich  eben  dort  abspielen,  wo  der  Militärarzt  im  Ernstfälle 
zu  wirken  berufen  sein  wird.  Doch  ist  nicht  zu  leugnen,  daß 
die  Anlage  und  Durchführung  von  gefechtssanitären  Themen  ge¬ 
rade  im  Terrain  recht  schwierig  ist  und  wir  heute  noch  nicht 
sehr  viele  Militärärzte  besitzen,  die  solche  Aufgaben  wirklich 
instruktiv  und  interessant  zu  gestalten  wissen.  Von  einem  können 
wir  aber  ndiig  behaupten,  daß  er  dies  vortrefflich  versteht,  das 
ist  Oberstabsarzt  Cr  on.  Unter  seinem  Einflüsse  ist  denn  auch 
vorliegende  Arbeit  zustandegekommen,  was  jedoch  keineswegs 
das  Verdienst  des  Verfassers  schmälert,  der  die  seinerzeit  im 
Gelände  durchgefühlte  Aufgabe  in  leicht  faßlicher,  knapper  und 
<loch  erschöpfender  Weise  in  Buchform  darzustellen  gewußt  hat. 

Der  Inhalt  des  Büchleins  zerfällt  in  zwei  Abschnitte.  Der 
erste  besteht  aus  den  ,, Winken  betreffs  Anlage  und  Durchführung 
applika torischer  Besprechungen  aus  dem  Gebiete  des  Gefechts- 
sanitätsdienstes“,  der  zweite  umfaßt  die  detaillierte  Ausführung 
eines  Beispieles  über  den  Sanitätsdienst  bei  einer  Infanterie- 


truppendivisiou  während  der  Näcliligung,  des  Marsches  und  eines 
Begeg.nungsgefechtes. 

Auf  (len  eiuten,  von  Cron  herrührenden  Abschnitt  sei  ins¬ 
besondere  aufmerksam  gemacht.  Hier  findet  man  auf  reiche  Er¬ 
fahrungen  gegründete  Weisungen  über  Anlage  und  Durchführung 
sanitätstaklischer  Uebungeii  im  Terrain,  wie  sie  meines  Wissens 
überhaupt  noch  nirgends  veröffentlicht  wurden. 

Aber  auch  das  Beispiel  ist  so  instruktiv  gestaltet,  daß  es 
von  jedem  Militärärzte  nur  mit  großemi  Nutzen  gelesen  werden 
wird.  Der  volle  Schatz  der  Lehren  wird  allerdings  nur  jenen 
zuteil,  denen  es  möglich  ist,  die  Aufgabe  im  Gelände ‘selbst  durch¬ 
zunehmen.  Jedenfalls  kann  die  fleißige  und  verdienstliche  Arbeit 
Kr  oaths  allen  ärztlichen  Kameraden  a.uf  das  angelegentlichste 
empfohlen  werden. 

* 

Der  operative  und  taktische  Sanitätsdienst  im  Rahmen 
des  Korps  nebst  einer  Aufgabensammlung. 

Von  Maximilian  Ritter  V.  Hoen,  k.  u.k.  Major  des  Generalstabskorps  etc. 

Mit  4  Karlen  und  6  sonstigen  Beilagen. 

162  Seiten. 

Wien  1907,  Josef  Safäf. 

V.  Hoens  neueste  Studie  bewegt  sich  auf  dem  gleichen 
Gebiete  wie  die  eben  besprochene  Arbeit,  nur  in  weiterem  Rabmen. 
Sie  ist  in  gewisser  Hinsicht  eine  Ergänzung  der  im  Jahre  1903 
erschienenen  trefflichen  ,, Vorschule  zur  Lösung  sanitätstaktischer 
Aufgaben“.  Dabei  wurden  nun  auch  jene  Veränderungen  in  Be¬ 
tracht  gezogen,  die  durch  das  im  Jahre  1904  ausgegebene  neue 
Reglement  für  den  Sanitätsdienst  im  Kriege  notwendig  geworden 
sind.  Desgleichen  blieben  die  Erfahrungen  des  russisch- japani¬ 
schen  Krieges  nicht  unberücksichtigt. 

Indem  sich  die  Arbeit  v.  Hoens  aber  auch  an  jene  mili¬ 
tärischen  Faktoren  wendet,  denen  bei  den  sanitätstaktischen  An¬ 
ordnungen  das  entscheidende  Wort  zusteht,  nämlich  die  Kom¬ 
mandanten  und  Generalstabsoffiziere,  fördert  sie  in  höchst 
dankenswerter  Weise  die  einheitliche  Auffassung  sani¬ 
tärer  Probleme  im  Felde  bei  allen  in  Betracht  kommenden 
Funktionären.  Denn  es  könnte  sich  im  Kriege  bitter  rächen, 
wenn  —  wie  der  Verfasser  sagt  — ■  ,,die  mit  dem  Rechte  der 
Entscheidung  ausgestatteten  Befehlshaber  infolge  geringer  Ver¬ 
trautheit  mit  der  Ausgestaltung  der  sanitäts taktischen  Lehren 
die  wohlgemeinten  Vorschläge  ihrer  Sanitätsreferenten  durch¬ 
kreuzen  würden“. 

Dem  Inhalte  nach  umfaßt  das  Buch:  1.  eine  Theorie  des 
operativen  und  taktischen  Sanitätsdienstes,  nämlich:  Ei^vä^ungen 
und  Maßnahmen  des  Korpschefarztes,  Divisionschefarztes  und  des 
Kommandanten  der  Divisionssanitätsanstalt  während  Operations¬ 
stillständen  (Kantonierungen),  Mäi’schen  und  Gefechten,  sowie 
eine  Skizzierung  der  sanitären  Tätigkeit  bei  der  Truppe,  dann 
2.  eine  Aufgabensammlung  —  im  ganzen  14  Aufgaben  inner¬ 
halb  des  Rahmens  einer  Truppendivision  und  eines  Korps. 

Wie  nicht  anders  zu  erwarten,  sind  alle  Ausfübrungen  des 
auf  dem  Gebiete  der  Sanitätstaktik  als  Autorität  geltenden  Ver¬ 
fassers,  dem  überdies  eine  mehrjährige  Tätigkeit  als  Lehrer  an 
der  militärärztlichen  Applikationsschule  zugute  kommt,  ebenso 
nutzbringend  als  fesselnd  und  verdienen  von  den  Militärärzten 
auf  das  genaueste  studiert  zu  werden.  Und  doch  hat  noch  jedes, 
ausschließlich  von  Generalstabsoffizieren  verfaßte  sanitäts  taktische 
Werk  — •  auch  das  vorliegende  wieder  ■  den  Referenten  in 
seiner  Ansicht  bestärkt,  daß  es  nicht  angezeigt  wäre,  den  Aus¬ 
bau  der  Sanitälstaktik  dem  Generalstabe  allein  zu  überlassen,  wie 
von  mancher,  auch  militärärztlicher  Seite  befürwortet  wurde.  D(?r 
Arzt  wird  jn  seinen  Maßnahmen,  bei  aller  Anpassung  an  die 
militärische  Situation,  doch  immer  mehr  das  Interesse  des 
Kranken-,  bzw.  Gesundheitsdienstes  wahrerr  als  der  Generalstabs¬ 
offizier,  der  selbst  bei  größerer  Vertrautheit  mit  den  borderungen 
des  Sarritätsdierrstes  ganz  irnbewußt  das  rein  taktisch-operative 
Element  stärker  hervortreten  lassen  wird.  Bei  der  ,,banitäts- 
taktik“  soll  aber  der  JTauptton  auf  dem  ersten  Worte  liegen. 

Johann  Steiner. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr  21 


Aerztliche  Wirtschaftskunde. 

Von  Dr.  Alexander  Rabe. 

Leipzig  1907,  Verlag  von  Dr.  Werner  Klinkhardt. 

Es  erscheint  fraglich,  oh  nach  den  vorzüglichen  Büchern 
Peipers  nnd  11  u nd cs h  a  g  e ns,  in  welchen  die  ärztlichen  wirt¬ 
schaftlichen  \  erhältnisse  mehr  weniger  ausführlich  hehandelt 
werden,  ein  Bedürfnis  nach  einem  derartigen  Buche  vorlag.  Immer¬ 
hin  muß  aber  zugestanden  werden,  daß  dieses  Buch  gut  ist 
und  auch  einige  neue  Gesichtspunkte  enthält.  Vor  allem  sei 
der  erste  Abschnitt  hervorgehoben,  der  den  volkswirtschaft¬ 
lichen  Begriff  ,,AVirtschaft“  auf  den  Aerztestand  anwendet. 

W  ohltuend  wirkt  die  ruhige  Sachlichkeit,  mit  der  Verfasser 
die  Gründe  des  wirtschaftlichen  Niederganges  des  ärztlichen 
Standes  beleuchtet.  Den  „Führern“  der  österreichischen  Aerzte 
können  diese  Auseinandersetzungen  auf  das  dringlichste  zum 
Studium  empfohlen  werden,  ebenso  das  Kapitel,  in  welchem  die 
sozialen  und  psychologischen  Momente  behandelt  werden,  welclie 
naturgemäß  zur  Organisation  der  deutschen  Aerzte  führen  mußten. 
Den  breitesten  Raum  nimmt  die  Besprechung  der  Stellung  der 
Aerzte  innerhalb  der  Arbeiterversicherung  ein.  Selbstverständ¬ 
lich  steht  der  \  erfasser  auf  dem  Boden  der  organisierten,  freien 
Arztwahl.  Alles,  was  der  Arzt  von  der  Arbeiterversicherung 
wissen  muß',  ist  in  den  betreffenden  Abschnitten  enthalten.  Auch 
die  sonstige  sozialhygienische  Tätigkeit  der  Aerzte  wird  ent¬ 
sprechend  behandelt. 

Charakteristisch  für  die  Bedeutung  der  sozialen  Verhält¬ 
nisse  ist  es,  daß  die  privatärztliche,  wirtschaftliche  Tätigkeit  ajii 
kürzesten  behandelt  wird. 

Das  ganze  Buch  drückt  den  Gedanken  aus,  daß  die  Aerzte 
sich  organisieren  und  sich  mit  den  sozialhygienischen  Fragen 
der  Gegenwart  auf  das  eingehendste  beschäftigen  müssen. 

Wer  ein  Bild  über  den  heutigen  Stand  der  wirtschaftlichen 
Verhältnisse  der  deutschen  Aerzte  gewinnen  will,  dem  kann  dieses 
Buch  wärmstens  empfohlen  werden. 

Ellmann  (Wien). 

* 

Die  Trunksucht  und  ihre  Abwehr. 

Beiträge  zum  gegenwärtigen  Stand  der  Alkoholfragen  von  Dr.  A.  Baer 
Berlin  und  Dr.  B.  Laquer,  Wiesbaden. 

Berlin  und  Wien  1907,  Urban  uni  Schwarzenberg. 

Die  erste  Auflage  dieses  W^erkes  erschien  im  Jahre  1890. 
Seitdem  hat  sich  unser  WTssen  über  den  Alkohol  außerordentlich 
vermehrt  und  vertieft,  so  daß  eine  zweite,  umgearbeitete  Auflage 
notwendig  wurde.  Es  ist  nun  sehr  interessant,  an  der  Hand  des 
sorgfältig  gearbeiteten  Buches  zu  verfolgen,  wie  in  gewissen 
Belangen  dem  Angeklagten  Alkohol  gegen  früher  mildernde  Um¬ 
stände  zugesprochen  werden,  während  nach  dem  heutigen  Stande 
des  Wissens  in  anderen  Belangen  erschwerende  Umstände  gegen 
ihn  geltend  gemacht  werden.  So  stellt  Rosenfeld  1905  fol¬ 
gende  Thesen  auf;  ,,1.  Es  ist  sicher,  daßi  der  Alkohol  im  Körper 
zumindest  zu  90 «/o  verbrannt  wird.  2.  Es  ist  sicher,  daß  nach  Alkohol 
die  Kohlensäure-  und  Sauerstoff  mengen  gar  nicht  oder  nur  un¬ 
erheblich  steigen.  Größere  Differenzen  beruhen  auf  der  Muskel¬ 
uni  uhe,  resp.  Muskelruhe  der  Tiere.  3.  Damit  ist  bewiesen,  daß 
der  Alkohol  für  unseren  Körper  auch  nahrungssparend  eintritt. 
4.  Es  ist  sicher,  daß  der  Alkohol  immer  Fett  .spart.  5.  Es  ist 
siidier,  daß  der  Alkohol  Eiweiß  sparen  kann.“  Dagegen  sagen 
die  Autoren:  „Der  Alkohol  ist  durchaus  kein  Stoff,  welcher 
den  menschlichen  Körper  in  gedeihlicher  Verfassung  zu  erhalten 
vermag,  wie  das  von  anderen  Nahrungsmitteln  verlangt  wird 
und  tatsächlich  auch  geschieht.  Mit  der  Verbrennung  des  Alkohols 
ist  immer  eine  Zerstörung  von  Geweben  und  lebendem  Zell- 
proloplasma  und  bei  langem  Gebrauche  immer  eine  krankhafte 
Vi'i'änderung  aller  Gewehshestandleile  verbunden.  Dieser  Um- 
slaud  alh'in  licwirkt  es,  daß  der  Alkohol  kein  Nahrungsmittel 
sein  kann  (sondern  er  soll,  wie  die  Autoren  an  anderer  Stelle 
h(‘in(*i ken,  einzig  und  allein  ein  Genuß'-  oder  Erfrischungsmittel 
sein).  Er  ist  in  kleinen  Dosen  als  Wärmequelle  von  zu  geringer 
Ihaleulung  und  in  großen  Dosen,  wcmti  er  auf  die  Dauer  als  Ersatz- 
od('r  Siiannitlel  ('inirefeu  sollte,  hat  er  so  entschiedene  toxi¬ 
sche  Virkungen,  daß  er  mehr  einem  Gifte  als  einem  Nahrungs- 
mitlc'l  gh'icht.“  —  Die  Nieren  findet  man  bei  Trinkern  relativ 
selten  und  meist  nur  in  sehr  vorgeschrittenem  Stadium  der 


Trunksucht  erkrankt.  Dagegen  ist  in  neuerer  Zeit  bei  (dewohn- 
heitsbiertrinkern  das  Auftreten  von  Diabetes  beobachtet  worden 
(alimentäre  Glykosurie  und  Strümpells  Bierdiabetes).  Das  Auf¬ 
treten  abnormer  Mengen  von  Fett  im  Blute,  wie  es  ältere  Autoren 
angaben,  wird  in  der  Neuzeit  nirgends  bestätigt;  hingegen  gibt 
Vas  eine  Abnahme  des  Hämoglobingehaltes  bei  Alkoholikern' 
an.  Das  sind  einige  Proben  aus  dem  reichen  Inhalte  des  Buches, 
das  in  drei  Abschnitte  zerfällt:  I.  Die  physiologischen  und  patho¬ 
logischen  Wirkungen  des  Alkohols.  11.  Die  Trunksucht  und  ihre 
Folgen.  HI.  Die  Abwehr  der  Trunksucht.  —  Es  sei  allen  Aerzten 
bestens  empfohlen.  Sofer. 


Aus  versehiedenen  Zeifcsehriften. 

254.  (Aus  dem  städtischen  Kaiser-  und  Kaiserin-Friedrich- 
Kinderkrankenhause  Berlin.)  Ueber  Meningitis  cerebro¬ 
spinalis  pseudo  epidemica.  Von  Adolf  Baginsky.  Es 
werden  fünf  Fälle  mitgeteilt,  in  welchen  alle  klinischen  Erschei¬ 
nungen  für  den  Bestand  von  Grenickstarre  sprachen,  während 
der  Verlauf  und  das  Ergebnis  der  Lumbalpunktion  zeigten,  daß 
man  es  hier  nicht  mit  dem  Meningococcus  intracellularis  jnenin- 
gitidis  zu  tun  hatte.  Gleich  der  erste  Fall:  Ein  sieben  Jahre 
alter  Junge  erkrankt  plötzlich  mit  heftigen  Kopfschmerzen  und 
Erbrechen.  Nackenstarre,  ausgesprochenes  Kernigsches  Sym¬ 
ptom  (flektierte  Spannung  der  unteren  Extremitäten  und  Unver¬ 
mögen  der  Streckung  im  Kniegelenke  beim  Versuche,  den  Kranken 
aufzurichten);  Steigemng  der  Reflexerregbarkeit,  eine  gewisse 
Eingenommenheit  des  Sensoriums  und  Prostration,  später  Auf¬ 
treten  von  Herpes  labialis ;  alle  diese  Erscheinungen  sprechen 
für  Meningitis  cerebrospinalis.  Erste  Lumbalpunktion  negativ,  die 
zweite  am  nächsten  Tage  ergibt  3  cm^  einer  trüben  Flüssigkeit, 
die  langsam  abtropft;  in  derselben  zahlreiche  polynukleäre  und 
mononukleäre  Leukozyten,  färberisch  nachweisbar  vereinzelte 
Diplokokken,  ein  paar  intrazelhüär  gelagert.  Am  sechsten  Krank¬ 
heitstage  kritischer  Temperaturabfall,  rasche  Besserung,  dann 
Heilung.  Schon  im  direkten  Präparate  waren  also  keine  Meningo¬ 
kokken,  in  der  Kultur  jedenfalls  kein  Wachstum  von  Meningo¬ 
kokken.  Im  zweiten  Falle  (wieder  Fieber,  Erbrechen,  Nacken¬ 
steifigkeit,  Kernigsches  Symptom  etc.)  entfieberte  das  Kind  unter 
Remissionen,  die  Kultur  aus  der  Lumbalflüssigkeit  blieb  steril; 
es  genas  rasch  unter  starker  Gewichtszunahme.  Auch  dieser  Fall 
ist  durch  die  Rapidität  des  Auftretens  zerebrospinaler  Symptome 
(Nackenstarre  bis  zum  Opisthotonus,  Kernigsches  Symptom) 
unter  hohem  Fieber  bemerkenswert,  unterscheidet  sich  aber  ätio¬ 
logisch  völlig  von  der  epidemischen  zerebrospinalen  Erkrankung. 
Zwei  weitere  Fälle  wurden  schon  im  Vorjahre  beobachtet.  Die 
Krankheit  sieht  im  dritten  Falle  wieder  täuschend  ähnlich  der 
Epidemika  aus,  der  Verlauf  spricht  dagegen.  Us  besteht  tatsäch¬ 
lich  ein  entzündlicher  Vorgang  im  Rückenmarke  (trübe  Punktions¬ 
flüssigkeit  mit  Gehalt  an  Leukozyten  und  Mikrokokkenbefund), 
indes  hat  derselbe  ebensowenig  den  Krankheitserreger,  noch  den 
Verlauf  der  Epidemika.  Die  gefundenen  Kokken  werden  mit  Wahr¬ 
scheinlichkeit  als  Coccus  crassus  angesprochen.  Die  Symptome 
schwinden,  das  Kind  wird  geheilt  entlassen.  Im  vierten  Falle 
(dieselben  Symptome),  der  durch  eine  Otitis  kompliziert  war, 
die  aber  nach  Parazentebe  völlig  in  den  Hintergrund  trat,  ergab 
die  Lumbalpunktion  eitrige,  trübgelbliche  Flüssigkeit  und  als  patho¬ 
gene  Mikrobe  den  Staphylokokkus  (Kultur).  Vielleicht  hat  die 
Ohrenentzündung  zu  der  an  den  Meningen  des  Rückenmarkes  zu¬ 
tage  getretenen  Entzündung  den  Anlaß  gegeben,  sie  induziert.  Auch 
dieses  Kind  genas  völlig.  Es  steht  also  fest,  daß  mitten  unter 
epidemischen  Fällen  und  auch  zu  einer  Zeit,  wo  an  vieleti  Orten 
epidemische  Fälle  von  Meningitis  auftreten,  auch  solche  Fälle 
Vorkommen,  die  trotz  aller  Aelmlichkeit  mit  der  epidemischen 
Form  einen  nicht  spezifischen  Krankheitserreger  (Diplococcus 
crassus,  Strepto-  und  Staphylokokken)  zur  Ursache  haben.  Die 
Behandlung  bestand  in  Verabreichung  von  Jodkaliuni,  reichlichen 
Einreibungen  mit  grauer  Salbe  und  abwechselnd  in  heißen  Bädern 
(36.  his  37”  C)  unter  gleichzeitiger  Kühlung  des  Kopfes  (Eis¬ 
blase).  Bei  besonders  hoher  Reflexerregbarkeit,  hohem  Fieber 
und  großer  llnnihe  liegen  die  Kinder  auf  w  as se r  d  u  r c  h  s  |)  ü  1  te  n 
K  ü hl m a t r a  t z e n,  welche  Baginsky  eingeführt  hat.  Zum 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCllKIET.  1907. 


Sclilusso  lolg-l  eiii  ITuiHer  Fall,  in  welclictii  wieder  f>;anz  extiuisil 
das  Bild  der  ('i)ideinisclieii  Mciiiiigilisforni  iii  Ers(dveituing  (ral, 
wobei  das  Kind,  das  sich  schon  iin  Koma  befand,  am  driften 
Tage  starb.  Die  Sektion  ergab  ausgebreitete  eitrige  Meningitis 
der  gesamten  Konvexität  des  Geliirnes,  weniger  der  Hirnbasis, 
nictits  von  TLil)erkulose,  das  Bnckemnark  frei  von  eitrigen  Be- 
scldägen,  die  Pia  mir  etwas  trüb,  gell)rosa  glänzend.  Jieiclde, 
l)eiderseitige  Otitis  (feuchter  Intialt).  In  den  Kulturen  famlen 
sich  Streptokokken,  Staphylokokken,  Pneumokoklven  und  der  JMicro- 
coccus  flavus.  Also  wieder  die  charakteristischen  klinischen  Er¬ 
scheinungen  der  zerebrospinalen  Meningitis  —  und  doch  war 
der  Fall  keine  Epidemika,  echte  Meningokokken  waren  nicht  vor¬ 
handen,  auch  keine  Influenzabazillen.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  14.)  E.  F. 

255.  Ueher  zwei  Fälle  von  chirurgischer  Behand¬ 

lung  während  eines  Typhus.  Von  W.  Thomas  Thelwal. 
In  der  Sitzung  der  „Liverpool  medical  Institution“  vom  20.  De¬ 
zember  1906  berichtete  Verf.  über  zwei  Fälle  von  cbirurgischer 
Bebandlung  im  Verlaufe  eines  Typbus  mit  günstigem  Ausgang. 
Der  erste  Patient  legte  sieb  erst  einige  Tage  vor  dem  Auftreten 
akuter  Perforationssymptome  zü  Bett.  Der  Fäll  wurde  als  Appen¬ 
dizitis  mit  Perforation  diagnostiziert.  Bei  der  Operation  zeigte 
sieb,  daß  eine  Perforation  eines  Typbusplaques  vorlag.  Der  zweite 
Fall  betraf  eine  junge  FraU,  bei  welcber  in  der  dritten  Woche 
eines  Typhus  die  Diagnose  auf  Perforation  eines  Typhusplaques 
gestellt  wurde.  Bei  der  Operation  wurde  eine  Appendizitis  mit 
Perforation  gefunden.  Zwei  ähnliche  Fälle,  die  Verf.  früher  be¬ 
obachtet  hatte,  gingen  letal  aus.  Die  Behandlung  der  Perforation 
hesteht  entweder  in  Vernähung  der  Perforationsöffnung  oder  in 
Anlegung  einer  Darmfistel.  Letzteres  Verfahren  hat  den  Vorteil, 
daß  ein  Teil  des  Darmes  ruhiggestellt  wird.  Von  der  Enterektomie 
mit  ,,Ende  zu  Ende“-Anastoniose  rät  Verf.  ab.  —  (Lancet,  12.  Ja¬ 
nuar  1907.)  J-  Sch. 

♦ 

256.  Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Freiburg  i.  B.  (Geh. 
Rat  Prof.  Dr.  Bäumler).  Ueher  den  Verlauf  der  Uro- 
bilinurie  beim  Typ  bus  abdominalis.  Von  Dr.  J.  Rubin, 
Assistenzarzt  der  Klinik.  Verf.  berichtet,  angeregt  durch  die 
Arbeit  Hildebrandts,  über  den  Verlauf  der  Urobilinurie  in 
acht  von  ihm  beobachteten  Typhusfällen.  Er  bediente  sich  zum 
Urobilinnachweise  des  Schlesin  ge  r  sehen  Reagens,  einer 
10°/üigen  alkoholischen  Zinkazetatlösung,  die  zu  gleichen  Teilen 
mit  dem  Harne  versetzt  wird.  Das  Reagens  mußi  ungelöstes  Zink- 
azetat  im  Heberschusse  enthalten,  da  sonst  die  Umwandlung  des 
als  Urobilinogen  präformierten  Farbstoffes,  in  eine  deutlich  fluores¬ 
zierende  Substanz  niebt  vor  sich  gebt.  Nach  der  Stärke  der 
Fluoreszenz  wird  die  Probe  beurteilt  und  eventuell  bei  deut- 
lieber  Fluoreszenz  sclion  als  pathologische  Steigerung  angesehen. 
Darüher  hinaus  bildet  die  Breite  des  Absorptionsstreifens  .zwischen 
E  und  F  des  Spektrums  den  weiteren  Maßstah.  Dahei  zeigte 
sich,  wie  schon  Hildehrandtfand,  eine  gewisse  Gesetzmäßigkeit; 
Geringe  oder  fehlende  Urobibnurie  von  der  Zeit  des  Irieber- 
austieges  bis  weit  in  die  Kontinua;  oft  hoebgradigo  Steigerung 
mit  dem  Eintritte  der  ersten  großen  Remissionen  und  mehr  oder 
weniger  lange  Fortdauer  während  der  Rekonvaleszenz.  Selbst¬ 
redend  finden  sich  oft  geringe  Ahweichungen.  Aus  der  beige- 
gehenen  Kurve  eines  Falles  sieht  man  die  früher  vollkommen 
negative  Urobilinurie  vorn  27.  bis  30.  Krankheitstage  an  stark 
positiv  werden  und  in  unverminderter  Stärke  bis  in  den  vierten 
Tag  der  Fieberlosigkeit  bestehen.  In  einem  anderen  Falle  beginnt 
die  pathologische  Urobilinausscheidung  ani  26.  Tage,  besteht  in 
gleicher  Intensität  bis  zum  zwölften  fieberfreien  Tage  und  dauert 
deutlicb  positiv  bis  zum  20.  Tage  an,  um  erst  weitere  25  Tage 
später  ganz  abzuklingen.  Hobe  Urobilinwerte  finden  sich  meist 
in  jenen  Krankheitsfällen,  die  mit  Verstopfung  oder  spärlichen 
Entleerungen  einhei'gingen ;  niedere  Werte  decken  sich  mit  zahl¬ 
reichen  Durchfällen.  Dieser  Parallelismus  wird  nach  Verfassers 
Ansicht  begreiflich,  wenn  jnan  bedenkt,  daß  die  Vorbedingung 
für  die  Urobilinurie  neben  der  Schädigung  der  Leberzellen  deren 
I,  ebersebwemmung  mit  den  vom  Darm  resorbierten  Massen  ist. 
Auch  die  Schwere  der  Erkrankung  spielt  eine  wesentliche  Rolle, 
da  mit  der  Stärke  dei'  Iidektion  die  Scliädigung  des  Lehei- 


l)ai'enchyms  glei(dien  Schiitt  hüll.  Datier  eircdcld  in  den  Ieichl(M'(m 
Eällen  die  Urobilinausscbeidung  nur  geringe,  in  den  mili.elsidtwcrcn 
mäßige  Werte.  Den  Einfluß  schwerer  Komiilikalion  sielil  man 
in  eineiii  Typhuslälle,  der  mit  einer  schweixm  hämorrhagiscli(m 
Nephritis  einherging.  Hier  kam  es  nur  während  eines  einzigem 
Tages,  nach  Aufhöreii  der  Diarrhöen  zu  einer  spektroskopisch 
nachweisbaren  Urobilinurie.  Während  der  ganzen  übrigen  Zeit 
waren  nur  sehr  geringwertige  UrobilinaUsscheidimgen.  Die  Ur¬ 
sache  sind  offenbar  die  durch  die  Nephritis  geschädigtrm  Nieren. 
Was  nun  die  praktische  Verwenung  des  Urobilinnachweises  brdm 
Typhus  anlangt,  so  Mmrden  nach  Verf.  exzessive  Proben  im  Be¬ 
ginne  einer  fieberhaften  Krankheit,  die  den  Verdacht  eines  Tyi)ims 
erweckt,  in  der  Regel  gegen  ihn  sprecdien;  ebenso  ausgesprochen 
negative  bei  lytisch  entfiebernden  Kranken.  Prognostisch  kann 
man  das  Auftreten  stärkerer  Urobilinurie  im  Beginne  der  Lysis 
als  Zeichen  eines  regelrechten,  also  günstigen  Verlaufes  auffassen. 
Plötzliches  Verschwinden  der  Urobilinurie  in  der  Rekonvaleszenz 
sollte  in  der  AusAvahl  der  Kost  und  der  Erlaubnis  zum  Aufstehen 
die  größte  Reserve  auferlegen.  Spitäler  sollen  einen  Typhus¬ 
kranken,  dessen  Harn  lange  in  die  Rekonvaleszenz  hinein  deut¬ 
liche  Urobilinurie  zeigt,  nicht  eher  entlassen,  als  bis  die  Probe 
ganz  negativ  ist.  —  •  (Münebener  mediz.  Wochenschrift  1907, 
Nr.  11.)  G. 

257.  Pathologie,  Therapie  und  Prophylaxe  der 
elektrischen  Unfälle.  Von  S.  Jellinek,  Wien.  Die  elektri¬ 
schen  Unfälle  nehmen  sowohl  in  klinischer  als  auch  in  patho¬ 
logisch-anatomischer  Hinsicht  in  der  Medizin  eine  Sonderstel¬ 
lung  ein.  Was  die  Aetiologie  betrifft,  wird  in  knappen  Zügen 
auf  die  Identität  von  atmosphärischer  und  technischer  Elektrizität 
und  der  durch  dieselben  bedingten  Gesundheitsslörungeu  hinge¬ 
wiesen.  Nicht  weniger  als  acht  Momente  sind  dafür  verantwort¬ 
lich  zu  machen,  ob  die  Berührung  eines  stromführenden  Gegen¬ 
standes  zum  Unfälle  Avird  oder  nicht;  eine  Hauptrolle  spielen 
dabei  aber  zunächst  der  Schutz  widers  t and  des  Individuums 
und  die  Bodenverhältnisse  der  Unfallstälte  (daher  strom¬ 
sichere  und  stromgefährlicbe  Räume).  Die  Symptome  Averden 
eingeteilt  in  lokale  imd  allgemeine;  zu  den  ersteren  ge¬ 
hören:  Brandwunden  Und  brandAvundenartige  Verletzungen,  Vei’- 
sengungen,  mechanische  GeAvebstreimungen,  Nekrosen,  Blutaus¬ 
tritte,  Erytheme,  Oedeme,  oberflächliche  Imprägnierungen  der  all¬ 
gemeinen  Decke  mit  Metalloxyden,  Pigmentbildung  und  schlie߬ 
lich  spezifisch  elektrische  Hautveränderungen.  Als  Seltenheiten 
unter  den  Lokalsymptomen  werden  eiwähnt  eine  Urethritis  catar- 
rhalis  (elektrische  Stromvermitthing  durch  den  Harnstrahl)  \iml 
eine  sogenannte  Spätfonn  einer  Haiitverletzung.  Unter  den  Alt¬ 
gemeinsymptomen  ist  zu  unterscheiden  zAvischen  Früh¬ 
symptomen  und  Spätsymptomen.  Zu  den  Frühsymptomen 
gehören  die  sogleich  nach  einem  Unfälle  Amrhandeneu  Gesund¬ 
heitsstörungen,  die  sich  von  seiten  der  meisten  Organsyslcme 
geltend  machen  können,  als  da  sind;  BcAAnißtseinsstörungen,  Läh¬ 
mungserscheinungen,  Blutungen,  Albuminurie,  Ikterus,  Fiebor- 
beAvegung,  Oedeme  usw.  S  p  ät  s  y  m  p  t  o  me,  die  erst  nach  Monaten 
und  Jahren  in  Ei-scheinung  treten,  finden  sich  voiwiegend  im 
Bereiche  des  Neiwensystemes.  Die  diesbezüglichen  Krankheits¬ 
bilder  sind  nicht  einheitlicher  Natur;  sie  lassen  Adehnehr,  Avi(^ 
an  einigen  Beispielen  dargetan  Avird,  sehr  unterschiedlichen  Cha¬ 
rakter  erkennen;  es  kam  unter  den  75  Blitzverletzten  und  den 
57  elektrischen  Starkstromunfällen,  die  der  Autor  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte  —  sein  Material  umfaßt  zumeist  die  scliAversten 
Unfälle  —  in  etwa  einem  Drittel  aller  Fälle  zu  Spätsymptomeu. 
als  da  sind:  Geistesstörungen,  motorische  Lähmungserscheinuu- 
gen  mit  Sensibilitätsstörungen,  trophoneurotische  Veränderungen, 
ebroniseb  atrophisierende,  ankylosierende  Gelenksprozesse,  epi- 
leptiforme  Anfälle,  Embolia  cerebri,  paralyseäbnlicbe  Zustände 
und  so  Aveiter.  Vier  Krankengesebichten  Averden  kurz  skizzieiä. 
Die  pathologische  Anatomie  der  elektrischen  V erletzungen 
ist,  von  den  lokalen  Verändenmgen  abgesehen,  makroskopisch 
A'öllig  negativ.  Erst  die  mikroskopische  Untersuchung  hat  kapil¬ 
läre  Gefäßzerreißuiigen  vorAviegend  an  der  Grenze  der  giuuen 
und  Aveißen  Substanz  im  Zentralnervensystem  aufgedeckt,  ferner 
Blutausti'ilte,  Zellzertrümmerungen  oft  ganz  eigenartiger  Natur, 
Kernverlagerungen,  Chromatolyse  usav.  Bei  Ueherlehenden  (Tier- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


versuch)  etablieren  sich  später  im  zentralen  und  peripheren 
Nervensysteme  Degenerationen.  Der  Tod  durch  Elektrizität  ist 
nicht  durch  einen  einheitlichen,  sich  in  allen  Fällen  gleich- 
hleihenden  Mechanismus  zu  erklären;  er  erfolgt  bald  vom  Herzen, 
bald  vom  Respirationstrakte,  bald  vom  Grehirne  aus.  Die  Erfah¬ 
rungen  der  Unfallpraxis  und  die  Ergebnisse  der  Tierversuche 
lassen  es  als  höchst  wahrscheinlich  gelten,  daßi  der  Tod  durch 
Elektrizität  nur  ein  Scheintod  ist,  der  erst  infolge  mangelnder 
oder  nicht  kunstgerechter  Hilfeleistung  in  wirklichen  Tod  über¬ 
geht.  ln  experimenteller  Hinsicht  werden  diesbezüglich  drei  Ver¬ 
suche  envähnt;  der  N  a  rk  ose  ver  s  u  c  h,  der  Herz  versuch  und 
die  intradurale  Drucksteigerung  nach  elektrischen  Trau¬ 
men.  Für  die  Diagnose  kommen  in  Betracht:  die  charakteri¬ 
stischen  Hautveränderungen  (spezifisch -elektrische  Veränderun¬ 
gen),  die  Zerstörungen  der  Kleidungsstücke,  der  Zustand  der 
elektrotechnischen  Objekte,  die  äußeren  Verhältnisse  (Erdl)oden 
und  so  weiter)  und  endlich  die  Anamnese.  Die  Prognose  ist 
im  allgemeinen  günstig,  doch  ist  wegen  der  Spätsymptome  Zu- 
i'ückhaltung  geboten.  Nach  den  bisherigen  Erfahrungen  ist  anzu- 
nehinen,  daß  Spätsymptome  nur  bei  jenen  Fällen  zu  erwarten 
Avaren,  welche  seit  dem  Unfälle  ununterbrochen  durch  Wochen 
und  Monate  Krankheitssymptome  allgemeiner  Natur  zu  erkennen 
gaben.  Die  Therapie  der  akuten  Fälle  besteht  in  sofortiger 
Hefreiung  der  Opfer  aus  dem  Stromkreise  und  der,  wenn  nötig, 
sonst  üblichen  Beeinflussung  von  Herz-  und  Lungentätigkeit.  In 
schweren  Fällen  wäre  die  Lumbalpunktion  auszuführen,  in  ver¬ 
zweifelten  Fällen  die  neuerliche  Einwirkung  der  tödlichen  Strora- 
spannung.  Im  übrigen  ist  die  Behandlung  symptomatisch.  Die 
Prophylaxe  hat  zu  bestehen  in  Aufklärung  über  das  Wesen 
der  Elektrizität  und  in  weiteren  Studien  der  schädlichen  Wir¬ 
kungen  der  Elektrizität,  deren  indirekte  Wirkungen  zum  großen 
Teile  noch  unerfomcht  und  Aveiter  reichend  sind,  als  mau  Amr- 
mutet.  So  Avurde  z.  B.  BleiA^ergif tung  konstatiert  durch  Ge¬ 
nuß  von  Leitungswasser,  Avelches  aus  Röhren  stammte,  deren 
mit  Mennige  (Bleisuperoxyd)  versehene  Muffungsstellen  durch 
vagabondierende  Erdströme  elektrolytisch  zersetzt  Avurden.  Dieses 
neue,  bisher  unerkannte  Gebiet  der  Hygiene  hat  nicht  der  Tech¬ 
niker,  sondern  der  Arzt  zu  erforschen.  —  (Deutsche  medizinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  10  und  11.)  Pi. 

* 

258.  U  e  b  e  r  fortgesetzten  Gebrauch  von  Saue  r- 
stoff  bei  einem  herzkranken  Bronchopneumoniker. 
Von  Bernard  E.  Myers,  West  Hampstead.  Bei  einem  B2jährigeu 
IManne,  der  vor  Jahren  eine  Penkarditis  überstanden  hatte  und 
an  Bronchopneumonie  erkrankte,  Avurden  Sauerstoffinhalationen 
durch  110  Stunden  eingeleitet,  zuerst  halbstündig  je  zwei  Minuten 
lang,  dann  alle  zehn  Minuten  durch  je  drei  Minuten.  Der  Patient 
genas,  obgleich  bereits  Cheyne-Stokes sehe»  Atmen  aufgetreten 
Avar.  Speziell  gegen  letzteres  hatte  Strychnin  (alle  zwölf  Stunden 
Vioo  Gran)  gute  Dienste  geleistet.  Die  übrige  Medikation  bestand 
in  Verabreichung  einer  Mixtur  von  Jodnatrium,  Benzointinktur, 
Tinctura  Senegae  und  Oxymel  Scillae.  —  (Lancet,  9.  Februar  1907.) 

J.  Sch. 

♦ 

259.  lieber  die  frühzeitige  Diagnose  der  Tul)er- 
k  LI  lose  der  Bjonchialdrüsen  im  Kindes  alter.  Von 
A.  d’Espine.  Beim  Kinde  erkranken  die  Bronchialdrüsen  immei' 
früher  als  die  Lungen  an  Tuberkulose  und  es  stellt  in  zahlreichen 
Fällen  die  Bronchialdrüsentuberkulose  die  einzige  Lokalisation 
der  Erkrankung  im  Thorax  dar.  Die  ersten  .Zeichen  der  Bronchial- 
drüsentubeikulose  Averden  ausschließlich  durch  die  Auskultalion 
der  Stimme  geliefert  und  es  treten'  diese  am  deutlichsten  in  der 
unmittelbaren  Nachbarschaft  der  IlalsAvirbelsäule  in  der  Gegend 
ZAvischen  dem  siebenten  llalsAvirbel  und  den  oberen  BrustAvirbeln 
auf.  Diese  Verämlerung  des  Auskultationsbefundes  der  Stimme 
präsentiert  sich  zunächst  als  Flüstern,  in  den  Amrgerückteren 
Sta;lien  als  Bronchophonie.  Der  Amrstärkte  Stimmfremitus  ist  mit 
der  Bronchophonie  nicht  zu  A^eiwechseln  und  findet  sich  auch 
unter  physiologischen  Verhältnissen.  Bei  der  Untersuchung  läßt 
mau  envachsene  Kinder  die  Zahl  333  aussprechen,  Avährend  man 
b('i  ganz  kleinen  Kindern  das  Geschrei  auskultiert.  Man  aus¬ 
kultiert  zunächst  mit  einem  Stethoskop  mit  kleiner  Mündung 
die  Halsgegend  und  nimmt  das  charakteristische  Atmungsgeräusch 


der  Trachea  wahr,  Avelches  bei  gesunden  Kindern  im  Niveau 
des  Domfortsatzes  des  letzten  HalsAvirbels  aufhört.  Bei  der  Bron¬ 
chialdrüsentuberkulose  hört  man  den  bronchialen  Beiklang  in 
dem  zwischen  dem  siebenten  HalsAvirbel  und  vierten  bis  fünften 
BmstAvirbel  gelegenen  Raum.  Bei  direkter  Auskultation  mit  dem 
Ohr  hört  man  neben  der  Bronchophonie  auch  den  Amrstärkten 
Stimmfremitus.  Bei  Auskultation  der  leisen  Stimme  hört  man 
einen  charakteristischen  Flüsterklang.  Die  Bronchophonie  ist  d<as 
früheste  und  oft  das  einzige  Zeichen  der  Bronchialdrüsentuber¬ 
kulose,  in  einer  Reihe  von  Fällen  findet  man  auch  VeränderungeiL 
des  Perkussionsschalles,  speziell  Dämpfung  im  Gebiete  der  Dorn- 
fortsätze  der  oberen  BrustAvirbel.  Dämpfung  im  Gebiete  eines 
Supraklavikülargelenkes  oder  des  Manubrium  sterni,  sowie  ein 
Venennetz  in  der  oberen  vorderen  Thoraxregion  Aveisen  auf  Tuber¬ 
kulose  der  retrosternalen  Drüsen  hin.  Bronchialatmen  entlang 
der  Wirbelsäule  tritt  erst  bei  Aveit  Amrgeschrittener  Bronchial¬ 
drüsentuberkulose  auf.  Die  latente  Form  der  Bronchialdrüsen- 
tuberkulose  ohne  begleitende  Lungenveränderungen  ist  Aveit 
häufiger,  als  aus  dem  Ergebnis  der  Autopsien  entnommen  Averden 
kann.  Die  latente  Bronchialdmsentuberkulose  findet  sich  auch 
häufig  in  Fällen  A’on  chirurgischer  Tuberkulose,  anderseits  gibt 
es  auch  Fälle,  wo  das  Allgemeinbefinden  in  keiner  Weise  beein¬ 
trächtigt  erscheint.  In  Fällen,  die  mit  Abmagerung  und  .Vnäniie 
einhergehen,  Avirkt  das  Meeresklima  sehr  günstig  auf  das  All¬ 
gemeinbefinden,  ohne  daß  die  physikalischen  Symptome  zum  Ver- 
scliAvinden  kommen.  Immerhin  ist  in  nahezu  der  Hälfte  der 
Fälle  vollständige  Heilung  erreichbar.  Durch  begleitende  Lungen¬ 
tuberkulose,  sowie  Säuglings'alter,  wird  die  Prognose  der  Bronchial¬ 
drüsen  tuberkulöse  getrübt.  —  (Bull,  de  l’Acad.  de  Med.  1907, 

Nr.  5.)  a.  e, 

* 

260.  (Aus  dem  patliologisch-anatoniischen  Iiisdtute  des  Hof¬ 
rates  A.  Weich  sei  bäum  in  Wien).  Der  Einfluß  der 
Schwangerschaft  auf  die  Tuberkulose  der  Respira¬ 
tionsorgane.  Eine  tierexperimentelle  Studie  von  Dr.  Edmund 
Herrmann  und  Dr.  Rudolf  Hartl.  Die  in  großer  Zahl  von 
den  Verfassern  vorgenommenen  Inhalationsinfektionsversuche  bei 
graviden  und  nicht  graviden  Meerschweinchen  mit  Tüberkcl- 
bazillen  bestätigen  die  klinische  Erfahrung  des  ungünstigen  Ein¬ 
flusses  der  GraA’idität  auf  den  Verlauf  der  Lungentuberkulose. 
Nach  der  Lebensdauer  beurteilt,  Avar  die  Tuberkulose  der  Re¬ 
spirationsorgane  durch  die  ScliAvangerschaft  beeinflußt  in  71-2'’, 'o 
der  Tiere  u.  zav.  war  das  Leben  abgekürzt  in  73-8 %  dieser  Fälle 
und  verlängert  in  26-2%.  Die  Beeinflussung  des  anatomischen 
Prozesses  manifestierte  sich  in  einem  rascheren  Wachstum  der 
Knoten,  in  einer  früher  eintretenden  und  rascher  Amr  sich  gehenden 
Verkäsung,  einer  rascheren  Ausbildung  Amn  Bronchiektasien  und 
einer  raschen  Zunahme  der  Crröße  der  Bronchiektasien.  Bezüg¬ 
lich  der  Generalisation  ließi  sich  ein  erheblicher  Unterschied  bei 
trächfigen  und  nicht  trächtigen  Tieren  nicht  auffinden.  Dies  hängt 
wahrscheinlich  mit  den  verhältnismäßig  hohen  Dosen  des  In¬ 
fektionsmateriales  zusammen.  Den  wichtigsten  Einflußi  der  Gra¬ 
vidität  erblicken  die  Veriasser  .wohl  mit  Recht  in  der  rascher 
auftretendeii  und  fortschreitenden  Verkäsung.  —  (Zeitschrift  für 

Hygiene  und  Infektionskrankheiten  1907,  Bd.  56.)  J.  S. 

* 

261.  (Ans  der  medizinischen  Abteilung  des  slädtischeii 
Krankenhauses  in  Karlsruhe.)  Ueber  intravenöse  Stro¬ 
phanthintherapie.  Von  Prof.  Dr.  Starck.  Auf  dem  Kon¬ 
gresse  für  innere  Medizin  1906  hat  A.  Fränkel  über  seine 
glänzenden  Erfolge  bei  Ainvendung  AU)n  Strophanthininjeklionen 
berichiet.  Er  injizierte  1  enU  der  Stammlösung  (l  :1000)  ~  1  mg 
der  Substanz.  Bei  50  fn,jektionen  an  25  Kranken  trat  schon 
nach  einer  einzigen  Einspritzung  volle  DigitalisAvirknng  nach 
Avenigen  Minuten  ein;  voller,  regehnäßiger  und  langsamer  Puls', 
ScliAvinden  der  Stauungserscheinungen  in  überraschend  kiirzei' 
Zeit.  Einige  (Male  auch  unangenehme  Nebenerscheinungen  (Fröste, 
Temperatursteigerungen),  die  aber  bei  der  Reduklion  der  Dosis 
Amn  1  mg  auf  V4  mg  aUsblieben.  Mendel  beslritt  in  einer  späler 
erschienenen  Arbeit  die  dem  Strophanthin  zugesiu’ochene  Wir¬ 
kung  (ini  ganzen  fünf  Injeklionen),  Avährend  R.  von  den  Velden 
alle  Angaben  Frä.nkels  über  die  Wirksamkeit  des  Strojihan- 
thins  auf  Grund  amah  30  Injektionen  A'ollkominen  besläligle.  Fröste, 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


6 


Fieber  und  Erbrechen  hat  er  nicht  beobachtet.  Er  kombinierte 
auch  das  iMittel  mit  Kampfer  und  Koffein,  die  er  vor  o(tcr  nach 
Strophantliin  subkutan  injizierte.  -  Nach  Fränkel  ist  das  Stro- 
plianthin  nur  bei  ])edroliendem  Grade  von  llerzinsutfizienz  in¬ 
diziert,  wo  es  lebensretlend  zu  wirken  verspricht,  dann  aber 
auch  in  solchen  Fällen  von  chronischer  Ilerzinsuftizienz  zu  ver¬ 
suchen,  wo  die  interne  Therapie  versagt  oder  Magenslörungen 
ilire  Anwendung  unmöglich  machen.  Verf.  seihst  teilt  im  Aus¬ 
zuge  sieben  Krankenge^scbichten  mit,  sagt  aber,  daßi  er  doppelt 
so  viele  Fälle  mit  Strophanthin  behandelt  habe.  Fnangenehmc 
Nebenwirkungen  hat  er  niemals  beobachtet.  Es  handelte  sich 
um  akute  und  um  chronische  Herzstörungen  (akute  Endokarditis 
und  Perikarditis,  akute  Perikarditis  mit  stenokardischen  Antällen, 
Pleuro-Mediastinoperikarditis  mit  hochgradiger  Herzschwäche,  Ar¬ 
teriosklerose  und  chronische  Myokarditis,  chronische  Myokarditis 
und  schwere  Nephritis,  dann  um  schwere  Sepsis).  Die  Strophan¬ 
thininjektion  wurde  nach  Bedarf  wiederholt,  in -einem  Falle  wur¬ 
den  neun  Injektionen  in  acht  Wochen  gemacht.  Ein  Mißerfolg 
war  nur  in  dem  Falle  schwerer  Sepsis  zu  konstatieren,  Exitus  am 
folgenden  Tage.  Anfangs  wurde  nur  %  mg,  dann  Vr  mg,  zuletzt 
nur  noch  1  mg  und  selbst  1-25  mg  injiziert.  Auch  eine  kumu¬ 
lierende  Wirkung  wurde  nicht  beobachtet,  wiewohl  in  einem 
Falle  (Polyarthritis  rheumatica.  Endo-  und  Perikarditis)  an  drei 
aufeinander  folgenden  Tagen  0-60,  0-80  und  ()-85  mg,  zusammen 
2-25  rag  injiziert  wurden.  Fränkel  hat  als  Maximaldosis  trag 
angegeben.  Im  übrigen  bestätigt  Starck  die  Angaben  Fran¬ 
kels.  Nach  der  Strophanthininjeklion  wurde  der  Puls  regel¬ 
mäßig,  langsam  und  voll,  auch  hart  und  gespannt  in  einem  Falle 
von  Herzschwäche  bei  Nephritis.  An  Herz  und  Puls  läßt  sich 
bald  nach  der  Injektion  ilie  gesteigerte  Kraft  der  Ventrikelsyslole 
erkennen,  die  meist,  wenn  auch  nicht  immer,  in  einem  gestei¬ 
gerten  Blutdrucke  zum  xAusdrucke  kommt.  Die  Atmung  wird 
besser,  die  mit  Blut  überladene  Lunge  (Fall  von  Lungenödem) 
wird  frei.  Strophanthin  wirkt  ferner  diuretisch,  die  Wirkung  tritt 
gleichfalls  rasch  ein  und  ist  nachhaltig.  Schließilich  wirkt  Stro¬ 
phanthin  auch  sedativ  auf  das  Nervensystem,  also  beruhigend 
und  schlaferzeugend.  Der  Erfolg  war  in  den  Fällen  akuter  Herz¬ 
schwäche  und  Perikarditis  geringer  als  bei  chronischen  Myokardi¬ 
tiden.  Hinsichtlich  der  Raschheit  uml  Stärke  der  Wirkung  über- 
irifft  das  in  intravenöser  Injektion  verabreichte  Strophanthin  alle 
anderen  Herztonika  weitaus.  —  Deutsche  medizinische  Wochen¬ 


schrift  1907,  Nr.  12.) 

* 


E.  F. 


2()2.  Aus  dem  pathologischen  Institut  in  Leipzig  (Direktor: 
G(‘h.  Kat  Marc  hand),  lieber  Zystizerken  im  vierten 
Ventrikel,  als  Ursache  plötzlicher  Todesfälle.  Von 
Dr.  Max  Verse,  ersten  anatomischen  Assistenten  am  Institut. 
Verf.  hatte  im.  Jahre  1906  Gelegenheit,  zwei  einschlägige  Fälle 
zu  sezieren.  Der  erste  betraf  eine  26jährige  Frau,  die  im  Juni 
wegen  Hyperemesis  gravidarum  in  die  Leipziger  Iraüenklinik 
eingeliefert  wurde.  Nach  drei  Tagen,  während  welcher  sich  die 
Patientin,  abgesehen  von  Kopfschmerzen,  relativ  wohl  befand, 
starb  sie  ganz  plötzlich.  Die  vom  Verfasser  vorgenommene  Sektion 
des  Gehirnes  ergab  enorme  Erweiterung  der  Seitenvenlrikel ;  sie 
enthielten  150  cm'’’  klarer  Flüssigkeit.  Bei  der  Eröffnung  des 
vierten  Ventrikels  lag  ein  zusanimengefaltetes,  weißliches,  leicht 
gelblich  gefärbtes,  ca.  1  cm  langes  Gebilde  frei  vor  dem  Foramen 
Magendii.  I_^elzferes  war  durch  eine  mächtige  Ei>endymwucherung 
abgeschlossmi.  Das  im  Ventrikel  frei  liegende  Gebilde  erwies 
sich  als  eine  abgestorbene,  zusammengefallene  Zystizerkusblase, 
von  der  kleine  Teilchen  sich  abgelöst  hatten  und  vom  Ependym 
umwucliert  woi'den  waren.  Die  zweite  Patientin,  eine  45jährige 
Frau,  wurde  wegen  Magenbeschwerden  am  15.  November  1906 
auf  die  Curschinannsche  Klinik  aufgenommen.  Seit  sechs 
Wochen  heftiges  Erbrechen  aller  Speisen,  schon  das  i\ufri(dden 
im  Bette  verursachte  Brechreiz.  Dazu  Schwindelanlälle,  Kopf¬ 
schmerzen,  welche  zeitweise  äußerst  heftig  waren.  Am  19.  No- 
vimiber  trat  ganz  unerwartet,  als  die  Patientin  si(di  zum  Whischen 
aufrichtete,  der  Tod  ein,  sie  sank  einfach,  ohne  jede  Agonie,  tot 
zurück.  Auch  hier  ergab  die  Sektion  starke  Erweiterung  der 
Ventrikel  und  des  Arruäduktes,  <las  Septum  lucidum  in^  deji 
hinteren  Abschnitten  defekt.  Im  dritten,  vor  allem  aber  im  vierteil 
Ventrikel  war  eine  mächtige  Ependym  Wucherung,  die  mit  dem 


Dache  der  Rautengrube  in  Verbindung  trat.  Hier  lag  frei  ein 
hakenförmig  gekrümmtes,  gelblichweißlich  gefärbtes,  zusammeu- 
gofaltetes  Gebilde  von  ungefähr  1  cm  Länge,  eine  zusammenge- 
i'allcn'e  Zystizerkusblase.  Es  handelt  sich- also  in  iKuden  Eällen 
um  abgestorbene,  freie  Zystizerken  im  vierten  Vcmirikel.  ihnin 
letzten  Falle  noch  außerdem  ein  obsoleter  Farasit  in  den  weichen 
Häuten  des  Okzipitallappens.  In  beiden  Fällen  war  der  Tod 
ganz  plötzlich  eingetreten;  dies  imdl  nach  Verf.  auf  Rechnung 
des  Hydrozephalus  gesetzt  weiden.  Marchand  hält  den  Hydro¬ 
zephalus  hei  Zystizerken  im  vierten  Ventrikel  für  einen  Stauungs¬ 
hydrozephalus,  der  auf  eine  Erschwerung  des  Abflusses  des  Litpior 
cerebrospinalis  in  den  Subarachnoidalraum  des  Rückenmarkes 
zurückzuführen  sei.  Die  Ependyniwucherung  ist  wie  beim  idio¬ 
pathischen  Hydrozephalus  eine  sekundäre  Erscheinung.  Sa  to  und 
Henneberg  sehen  in  der  chronischen  Ependymitis  das  wich¬ 
tigste  ätiologische  Moment  für  die  Entstehung  des  Hydrozephalus. 
Darauf  will  auch  Sato  den  plötzlichen  Tod  zurückführen.  H(>nne- 
berg  dagegen  erblickt  den  Giund  des  plötzlichen  Todes  in  einem 
plötzlichen  Versagen  der  in  der  Medulla  oblongata  liegenden 
Zentren.  Die  Erklärung  wird  nach  Ansicht  des  Verfassers  der 
Tatsache  zu  wenig  gerecht,  daß  gerade  beim  Vorkommen  von 
Zystizerken  im  vierten  Ventrikel  der  plötzliche  Tod  sehr  häid'ig 
beobachtet  wird,  was  doch  nur  eine  Erklärung  in  der  besonderen 
Lage  der  Parasiten  finden  kann.  Offenbar  wird  dadurch  der 
Abfluß  behindert,  bei  jungen  Zystizerken  durch  einen  mehr  oder 
Aveniger  schnell  eintretenden  Verschluß,  bei  älteren  durch  die 
in  der  Nähe  der  Blasen  besonders  stark  auftretendo  Ependym- 
wucherung,  welche  die  AbflußAvegc  aufhebt.  Individuen,  welche 
Zystizerken  im  vierten  Ventrikel  haben,  sind  jedenfalls  sehr  labil 
gegen  jede  intrakranielle  Drucksteigerung,  da  in  der  Nachbar¬ 
schaft  die  lebenswichtigen  Zentren  liegen.  Schon  Lageverände- 
lungen  des  Kopfes,  namentlich  wenn  sie  schnell  erfolgen,  können 
von  den  deletärsten  Folgen  begleitet  sein,  wie  der  zweite  mit¬ 
geteilte  Fall  zeigt,  in  dem  die  Kranke  nach  dem  Aufrichten  im 
Bette  tot  umsank.  Es  bedarf  nach  Verf.  nur  eines  geringfügigen 
Anlasses,  um  das  durch  den  chronischen  Druck  schon  vorher 
geschädigte  Atemzenlrum  außer  Funktion  zu  setzen.  —  (Mün¬ 
chener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  11.)  .  G. 

* 

263.  U  e  1)  e  r  die  lange  Haltbarkeit  des  Infektions¬ 
virus  bei  bestimmten  Fällen  von  Scharlach.  Von 
H.  Poole-Berry,  Grantham.  Gelegentlich  einer  Epidemie  im 
vergangenen  Jahre,  welche  sich  auf  331  Fälle  erstreckte,  konnte 
Poole-Berry  in  seine]’  Eigenschaft  als  beamteter  Arzt  ein  auf¬ 
fälliges  Haften  des  Scharlachviras  an  Individuen,  die  Scharlach 
überstanden  hatten,  beobachten.  Verf.  zählt  19  Fälle  auf,  die 
nach  völliger  AViederherstellung  und  Desinfektion  Veranlassung 
zu  28  Fällen  von  Infektion  gaben.  Verf.  glaubt  nicht,  daß  es  sich 
bei  diesen  28  Fällen  um  eine  unabhängige  Infektion  handelt. 
Die  Fälle  betrafen  Geschwister.  Er  glaubt,  daß  die  von  Scharlach 
genesfrnen  lndi\dducn  das  infektiöse  Virus  vielleicht  in  den 
Nasengängen  hennUtraigen.  Auf  Grund  einer  ISj’ährigen  epide¬ 
miologischen  Erfahiung  nimmt  Poole-Berry  an,  daß  die  größere 
oder  geringere  Tenazität  des  Giftes  vom  Charakter  der  einzelnen 
Epidemie  abhängt.  Beachtenswert  und  für  die  Bedeutung  sach¬ 
gemäßer  Pflege  sprechend  ist  die  Beobachtung,  daß  von  214  im 
Spital  behandelten,  zum  Teil  schwer  komplizierten  Fälleii  kein 
einziger  starb,  während  von  114  häuslich  behandelten  drei  letul 
endigten.  (Letztere  Beobachtung  würde  die  Richtigkeit  dei 
Argumei^tation  des  Verfassers  vorausgesetzt  dafür  sprechen, 
daß  die  Lelalilät  einer  Scharlachepidemie  nicht  mit  der  Größe 
der  Tenazität  ihres  Virus  parallel  zu  gehen  brauchl.  Ref.)  — 

(Lancet,  12.  Januar  1907.)  J-  Sch. 

* 

264.  Nierentu  herkulose  uJid  arterielle  Hypo¬ 
tension.  Ein  d  i  1  f  e  r  e  n  t  i  a  1  d  i  a  g  n  0  s  I  i  s  c  h  e  s  S  y  m  j)  t  o  m . 
Von  Dr.  Karl  Reitter,  Wien.  Ein  Fall  von  Nierenerkrankung, 
der  das  Bild  einer  chronisch-parenchymatösen  Nephritis  bot,  sicli 
jedoch  später  als  Nierentuberknlose  erwies  und  bei  dein  av ährend 
der  ganzc'n  Zeit  der  Beobachtung  der  ai'lA'i'udle  Bluldtuck  auf¬ 
fallend  niedrig  war,  vei'anlaßile  den  Verfasser,  das  V^erhalten  des 
systolischen  Blutdruckes  bei  Tnlnukulose  der  Niei'on  Aveiler  zu 

'  verfolgen.  Die  Tatsache,  daß  der  arterielle  Blutdruck  bei  Lungen- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


tuberkulöse  erniedrigt  ist,  worauf  schon  Waldenburg,  Marfan 
und  andere  liingeAviesen  haben,  inachie  es  walirsclieinlicii,  daß 
ein  älinliches  Verhallen  auch  hei  vorgcscliritlener  Tu])erkulose 
anderer  Organe  bestelle.  An  zehn  Fällen  von  Nieren tnherkulose 
konirle  Dr.  Rcitter  festslellen,  daß^  der  arterielle  Druck  stark 
vernhnderL  ivar,  mit  Ausnahme  jener,  in  denen  eine  andersartige 
Erkrankung  als  Komplikation  eine  Erhöhung  des  Druckes  verur¬ 
sachte.  KontrollunlersUchungen  an  Fällen  von  at  uherkulösen 
Pyurien  ergaben  stets  das  Fehlen  von  Blutdrucksenkung.  Der 
Autor  faßt  das  Reshltat  seiner  Arbeit  dahin  zusammen,  daß  er 
sagt:  ,, Einen  Hinweis  darauf,  in  welchen  Fällen  von  Nieren¬ 
erkrankungen  wir  es  keinesfalls  unterlassen  sollen,  auf  die  Mög¬ 
lichkeit  der  Nierentuberkulose  zu  achten  uml  das  Ilarnsediment 
auf  Tuberkelhazillen  zu  untei'suchen,  gibt  uns  die  arterielle  Hypo¬ 
tonie.  Darin  liegt  ihre  praktische  Bedeutung.“  —  (Zeitschrift 

für  klinische  IMedizin,  Bd.  62.)  Pi. 

* 

26Ö.  Bemerkungen  über  ein.  neues  Syinjitom  der 
Ischias;  die  k  o  n  t  r  a  1  a  tc  r  a  1  h  e  r  v  o  r  g  e  r u  f e  n  e  Schmerz¬ 
haftigkeit.  Von  Moutard-Martin  und  Par  tarier.  Das 
Symptom  wird  durch  mit  der  gesunden  Extremität  vorgenommene 
Bewegungen  an  der  kranken  Extremität  horvorgerufen.  Der  Patient 
wird  in  Rückenlage  mit  flachliegendem  Kopf  gebracht  und  der 
gesunde  Oberschenkel  allmählich  gegen  das  Becken  gebeugt,  in 
einem  bestimmten  Augenblick  tritt  bei  immobilisiertem  Becken 
ein  sehr  lebhafter  Schmerz  in  der  Glutäalgegend  der  erkrankten 
Seite  auf.  Das  Phänomen  tritt  rascher  ein,  wenn  man  das  ge- 
sumle  Bein  im  gestreckten  Zustand  gegen  das  Becken  beugt. 
Man  kann  die  Erscheinung  als  kontralateral  hervorgerufeno 
Schmerzhaftigkeit  bezeichnen.  Der  Schmerz  tritt  am  Valleix- 
sclien  Glutäalpunkt  oder,  was  häufiger  der  Fall  ist,  an  der  Aus¬ 
trittsstelle  des  Ischiadikus  auf.  Der  gleiche  Schmerz  tritt  auch 
dann  auf,  wenn  man  die  erkrankte  Extremität  gegen  das  Becken 
beugt  u.  zw.  hei  einem  geringeren  Grade  der  Beugung,  als  wenn 
man  den  Schmerz  von  der  gesunden  Seite  her  auslösen  will.  Der 
kontralateral  hervorgerufene  Schmerz  findet  sich  sowohl  bei  der 
neuralgischen,  als  auch  bei  der  neuritischen  Form  der  Ischias. 
Das  Phänomen  tritt  sowohl  hei  ganz  frischen,  als  auch  bei 
bereits  längere  Zeit  bestehenden  Ej'krankungen  auf  und  läßt  sich 
sofort  hei  der  ersten  Untersuchung  nachweisen.  AVenn  auch  im 
ganzen  fünf  Beobachtungen  vorliegcn,  so  spiicht  die  Konstanz 
und  Deutlielrkeit  der  Erscheinung  für  ihre  diagnostische  Wichtig¬ 
keit.  Arthritis  sowie  doppelseitige  Affektion  des  Ischiadikus  konnte 
mit  Sicherheit  in  allen  Fällen  ausgeschlossen  werden.  Eine  Er¬ 
klärung  der  Erscheinung,  welche  genügend  begründet  ist,  kann 
vorläufig  nicht  gegeben  werden,  iedenfalls  läßt  sich  aber  die 
Dehnung  des  Neiwen  als  Ursache  des  geschilderten  Phänomens 
ausschließen.  • —  (Bidl.  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  Hop.  de 
Paris  1907,  Nr.  3.)  a.  e. 

266.  Untersuchungen  über  die  erblich  belaste¬ 

ten  Geisteskranken.  Von  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Tigges  in 
Düsseldorf.  In  der  vorliegenden  Arbeit  finden  sich  einige  Unter¬ 
suchungen  über  die  Erblichkeit  nach  Geisteskrankheiten,  unter 
Zugrundelegung  einer  Reihe  von  Anstaltsberichten  mitgeteilt;  die 
Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  den  Prozentsatz  der  erblich 
Belasteten  nach  Krankheitsformen  und  Geschlecht,  auf  die  Stufen 
der  Erblichkeit  je  nach  väterlicher  oder  mütterlicher  Ahstammung 
an  und  für  sich  und  nach  Geschlechtern,  endlich  auf  die  Gesamt¬ 
zahl  der  erkrankten  Kinder  je  nach  direkter  väterlicher  oder 
mütterlicher  Abstammung  bei  Geisteskrankheit  der  Eltern.  Die 
Einteilung  der  Geistesstörungen  in  verschiedene  Formen  und 
die  Anlage  der  Tabellen,  erfolgte  nach  <len  Vorschlägen  des  Ver¬ 
eines  deutscher  Irrenärzte  vom  Jahre  1874.  —  (Allgemeine  Zeit¬ 
schrift  für  Psychiatrie  und  j)sychiatrisch- gerichtliche  Medizin 
Dd.  64,  Heft  1.)  S. 

♦ 

267.  Zur  Behandlung  des  Tetanus.  Von  Prof.  Til- 
mann  in  Köln.  Ein  vier  Jahre  altes  Kind  erlitt  einen  Iluftritl 
von  einem  ITerde  in  die  rechte  Ellbogenbeuge,  Nach  drei  Tagen 
wurde  es  in  die  chirurgische  Abteilung  der  dortigen  Akademie 
eingeliefert.  Man  fand  (langrän  des  Unlerai'mes  und  ampulierle 
sofort  am  Gberanne.  Nach  weiteren  zwei  Tagen,  also  fünf  l'age 


nach  statigehabter  Vindetzung,  die  ersten  Jetanussymptome.  Es 
wurde  dem  Kinde  Morphium  subkutan  (5  mg)  und  Chloral,  i)er 
Klysma  10  g,  weiters  100  Antitoxineiidieiten  intradural,  nach 
Lumhalpunktion  gereicht.  Abends  nochmals  100  Antitoxineinheilcn 
intrahmibal,  keine  Besserung.  Am  dritten  Tage  Exitus  unter  Atem¬ 
lähmung.  Die  Obduktion  ergab  keinen  abnormen  Befund.  Da 
keine  sonstige  Verletzung  vorlag,  muß  man  wohl  annehmen,  daß 
der  lluftiitt  in  der  Ellbogenbeuge  die  Gangrän  und  die  Tetanus- 
infeklion  bedingte.  Eine  IVundinfeklion  ist  ausgeschlossen.  Der 
Fall  lehrt  vorerst,  daß  man.  sich  von  der  Amputation  bei  Tetanus 
keinen  allzugroßen  Erfolg  verspreeben  darf.  Hier  wurde  zwei 
Tage  vor  dem  Auftreten  der  allerefsten  .Symptome  operiert;  wie 
.sollte  eine  erst  später  ausgeführte  Amputation  nützen?  Auch  in 
anderen  Fällen  (Berlin,  Greifswald  und  Köln)  hat  JMlmann 
von  der  Amputation  keinen  sicheren  Einfluß'  auf  den  Tetanus¬ 
verlauf  feststellen  können,  ln  pathogenetischer  Hinsicht  ist  der 
Fall  von  böchistem  Interesse.  Die  Bazillen,  welche  in  der  in¬ 
fektionsstelle  saßen,  bildeten  in  den  ersten  drei  Tagen  nach  der 
V^erletzung  so  viel  Toxin,  daß  dieses  trotz  Beseitigung  der  In¬ 
fektionsquelle,  nach  Aveiteren  zwei  Tagen  Tetanus  hervorrief.  Den; 
Verfasser  eröidert  die  Theorien,  Avelche  zur  Erklärung  dieser  Er¬ 
scheinung  herangezogen  werden  könnten,  hält  dafür,  daß  das 
Gift  entlang  den  peripherischen  Nerven  oder  in  den  Neiamn 
selbst  den  Ganglimizellen  des  Rückenmarkes  zugeführt  A\drd  und 
daselbst  eine  Reizung  hervorruft  (B runner- Gold  scheide r). 
MM.hrend  der  ersten  drei  Tage  Avurde  in  diesem  Falle  also  in 
der  AVunde  JMxin  gebildet,  es  gelangte  zu  den  Rückenmarks¬ 
zentren;  'Cs  nützte  nichts,  als  man  sodann  den  weiteren  Nach¬ 
schul)  unmöglich  machte;  am  fünften  Tage,  als  das  nötige  Quantum, 
zugeführt  Avar,  entstand  der  Tetanus.  In  Köln  hat  Verf.  drei 
Erkrankungen,  die  am  sechsten,  achten  und  zehnten  Tage  nach 
der  AMrletzung  auftraten,  ebenfalls  völlig  resultatlos  mit  Anti¬ 
toxineinspritzungen  behandelt,  a^  Behring  empfiehlt  darum,  die 
gefährdeten  Rückenmarkszentrcn  durch  Sperrung  der  zuführen¬ 
den  Nerven  jnit  Antitoxin  vor  dem  Tetanusgift  zu  schützen. 
Ebenso  IMeyer  und  Bans  on.  Verf.  veiweist  auf  den  bekannten 
Fall  von  Küster,  soAvie  auf  eine  eigene  Beobachtung.  Zehn 
Tage  nach  einer  Verletzung  trat  ein  inittelschAA-erer  Tetanus  auf, 
der  sich  auf  die  Kopf-,  Hals-  und  Rumpfmuskulatur  beschränkte. 
Anfangs  rasche  Entwicklung,  nach  Injektion  von  280  Antitoxin¬ 
einheiten  intralumbal  und  in  die  beiden  Ner\a  ischiadici  blieb 
die  Aveitere.  Ausbildung  des  Tetanus  stehen.  Nebenbei  bekam 
der  Kranke  ZAveistündlich  0  01  Morphium  und  1-0  Chloralhydrat. 
In  acht  Jkagen  Heilung.  Im  allgemeinen  hat  Tilmann  die  Er¬ 
fahrung,  daß  die  früh  einsetzenden  Fälle,  etAva  bis  zum  sechsten 
Tage,  fast  alle  letal  enden,  während  die  zwischen  dem  sechsten 
und  zehnten  Tage  einsetzenden  je  nach  der  Schnelligkeit  der 
Entwicklung  der  Tetanussymptome  letal  endeten  oder  in  Ge¬ 
nesung  übergingen.  Schließlich  spricht  sich  Tilmann  auch  gegen 
die  prophylaktischen  Antitoxinieinspritzungen  bei  Tetanus  aus. 
—  (Deutsche  mediz.  Wochenschr.  1907,  Nr.  14.)  E.  F. 

=f:. 

268.  Die  intratumorale  Bestrahlung  der  Krel)s- 
geschwülste  als  Fortschritt  der  Radiotherapie.  Von 
Dr.  med.  H.  Strobel,  München.  Es  ist  dem  Verfasser  seit  zirka 
einem  Jahre  gelungen,  die  Röntgenstrahlen  intratumoral  zu  appli¬ 
zieren,  indem  er  die  Strahlenquelle  selbst  in  die  GeschAAUdst 
hinein  verlegte.  Durch  neu  konstimierte  Röhren  läßt  Verf.  die 
Kathodenstrahlen  direkt  auf  die  Glaswand  an  einer  bestimmlen 
Stelle  fallen,  diese  dadurch  zum  Ausschicken  von  Röntgenstrahlen 
veranlassend.  Gegenüber  der  Katbode  ist  die  GlasAvand  zu  einem 
spitz  zulaufenden  Robre  ausgezogen,  auf  dessen  Ende  die  Katho- 
denstrahlen  fallen  und  es  so  zum  Leuchten  bringen.  Die  von 
dieser  ,, Glasantikathode“  ausgehenden  Strahlen  gehen  nach  allen 
Richtungen  auseinander.  Bei  einei’  anderen  Konstruktion  ist  in 
der  Spitze  eine  kleine  Platinantikathode  angebracht,  Avobei  nur 
eine  halbkugelige  Zerstreuung  der  Röntgenstrahlen  erreicht  Avird. 
Dieses  Rohr  Avird  zur  ,, subkutanen  Ai)plikationsweise“  für  ober- 
flächlich  unter  der  Haut  gelegene  kleine  Tumoren  Ami'Avendet. 
Bei  der  intraiumoralen  Applikation  Avird  unter  Adrenalinschleich- 
iii filtration  ein  ZAveischneidiges  ]\Iesser  senkrecht  oder  in  anderer 
Richtung  in  den  Tumor  eingestochen,  nachdem  ma,n  vorher  die 
eventuell  noch  intakte  Haut  beiseite  gezogen  hat,  damit  sie  dann 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


einen  gulen  Versehluß  (kn-  EinslieüüH'nung  bildet.  Diircli  den  in 
den  Tumor  lülirenden  Slitddmnal  sebiebt  man  das  diiixdi  Formalin 
mit  nachfolgender  Alkoliolabspülung  desinfizierte  Hestrahlung's- 
rohr  ein,  spannt  dasselbe  in  ein  Stativ  und  führt  nun  die  Be¬ 
strahlung  durch.  Bas  Adrenalin  sowohl  als  auch  der  Druck  durch 
das  Rohr  schaffen  eine  bedeutende  Blutleere,  die  eine  beträcht¬ 
liche  x\bsorption  der  Strahlung  ansschaltet.  Die  von  der  Spitze 
des  Rohres  ansgehende  Strahlung  wirkt  nach  allen  Richtungen 
des  Raumes,  mit  Ausnahme  der  des  Rohrquersclmittes,  so  daß 
die  Geschwulst  von  innen  heraus  in  toto  bestrahlt  wird.  Um  das 
Rohr  zu  schonen  und  starke  Erhitzung  zu  vermeiden,  wendet  man 
relativ  schwache  Ströme  an.  Das  strömende  Blut  im  umgebenden 
Gewebe  sorgt  auch  für  Abkühlung  des  Rohres.  Bei  stärkerer  Be¬ 
strahlung  bildet  sich  ein  nekrotischer  Zylinder  im  Gewebe,  speziell 
bei  Verwendung  eines  weichen  Rohres.  Manchmal  müssen  mehrere 
Oeffnungen  für  das  Rohr  angelegt  werden.  Bei  kleinen  Drüsen¬ 
tumoren  macht  man  nur  einen  Schnitt  (.lurch  die  Flaut  und  schiebt 
das  für  „subkutane  Bestrahlung“  konstruierte  Rohr  durch  den- 
selbe]i  so  ein,  daß  die  nur  nach  einer  Seite  wirkende  Strahlung 
die  Drüse  trifft,  die  Flaut  aber  geschont  bleibt.  Der  Erfolg  mit 
dieser  Methode  tritt  viel  rascher  auf  als  bei  der  lokalen  Bestrah¬ 
lung.  Verf.  spiicht  zum  Schlüsse  noch  die  Ueberzeugung  aus, 
daß  sich  der  Effekt  einer  Röntgenbestrahlung  auf  kai'zinomatöses 
Gewebe  dadurch  steigern  ließe,  daß  man  die  Bestrahlungen  nicht 
allein  auf  den  Tümor  und  seine  Grenzen  beschränkt,  sondern 
größere  Körperteile  mitbestrahlt,  in  der  Annahme,  daß  die  da¬ 
durch  ausgelösten  hämolytischen  Vorgänge  in  ihrer  Rückwirkung 
sich  zu  den  Effekten  der  lokalen  Bestrahlung  des  Tumors  hinzn- 
addieren  möchten.  Er  ginge  sogar  noch  weiter  und  möchte  die 
Hämolyse  durch  innere  und  äußere  Applikation  von  chlorsaurem 
Kali  unterstützen  (nach  dem  Vorgänge  von  Lomer,  Burow, 
Charcot  u.  a.),  um  die  Arbeit  der  Röntgenstrahlen  von  außen 
her  kräftig  zu  unterstützen.  —  (Münchener  medizinische  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  11.) 

* 

269.  Beiträge  zur  Kenntnis  und  Kasuistik  der 
Pseudologia  phantastica.  Von  Anna  Stemme rmanii; 
ehemalige  Assistentin  an  der  Bremischen  Slaatsirrenanstalt  ,, Sankt 
Jürgen -  Asyl“,  Ellen  bei  Bremen.  Die  Verfasserin  bringt  in  der 
vorliegenden  Arbeit  eine  Reihe  von  klassischen  Fallen  \on  1  seu 
dologie,  Fälle,  die  an  und  für  sich  Raritäten  repräsentieren,  deren 
Veröffentlichung  übrigens  aber  auch  kleswegen  verdienstvoll  ist, 
weil  manche  zurzeit  noch  bezüglich  der  Pseudologia  phantastica 
bestehende  Fragen  nur  auf  Grund  eines  großen  kasuistischen 
Materiales  ihre  Lösung  finden  können.  Anna  Stemmermann 
will  dieser  ersten  eine  zweite  Arbeit  folgen  lassen,  in  der  die 
praktisch  so  wichtigen  „Formes  frastes“  Erörterung  und  dann 
die  Pseudologie-  und  die  ihr  verwandten  Erscheinungen  Be¬ 
sprechung  finden  sollen.  — ■  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychia^tiie 

und  psychisch-gerichtliche  Medizin,  Band  64,  Heft  1.)  b. 

* 

270.  Enteritis  und  Appendizitis.  Von  Geh.  Med.-Rat 
Prof.  Dr.  E.  Sonnenburg  in  Berlin.  Aerzte  und  Publikum 
befinden  sich  jetzt  in  fortwährender  Angst  vor  einer  x\ppen- 
dizitis,  die  Aerzte  meiden  ängstlich  jedes  Abführmittel,  wenn 
sie  zu  einem  Kranken  mit  plötzlich  einsetzenden  Leibschmerzen 
gerufen  werden,  weil  sie  fürchten,  es  mit  einer  akuten  Apimn- 
dizitis  zu  tun  zu  haben.  So  kommt  es,  daß  selbst  bei  infektiöser 
Enteritis  die  Entleerung  des  Darmes  unterbleibt,  ja  sogar,  wenn 
die  Erscheinungen  stürmischer  werden  (Schmerzen  und  Üruck- 
empfindlichkeit  in  der  Ileocökalgegend,  hohes  Fieber,  rascher  Puls, 
vielleicht  zu  Beginn  ein  Schüttelfrost)  operativ  vorgegangen  wird, 
ohne  daß  eine  Appendizitis  vorläge.  In  differentialdiagnostischer 
Hinsicht  ist  zu  envähnen,  daß  bei  einer  Gastroenteritis  nach 
Infektionen  (Influenza  —  Darmkatarrh)  die  Le ukozy tose  ver- 
hältnismäßig  niedrig  bleibt.  Aber  auch,  wenn  die  Dia¬ 
gnose  zwischen  Gastroenteritis  und  Appendizitis  schwierig  wäre 
sollte  man  den  Darm  durch  ein  Abführmittel  (einen  Eßlöffel 
Rizinusöl)  entlasten;  sollte  sich  dabei  Verachlechterung  zeigen, 
so  wäre  die  Oporalion  sofort  auszuführen.  In  sehr  vielen  Fallen, 
So  line  11  bürg  berichtet  über  neun  eigene  Beobachtungen  von 
katarrhalischen  Eiilzünduiigen  oder  Empyemen  des  Wurmfort¬ 
satzes,  die  ohne  Uperation  genasen,  oder  erst  später  im  fieber¬ 


freien  liilervaile  oiieiiert  wurden,  sodann  ülier  einen  Fall  von 
schwerer  Enteritis,  der  als  Fall  von  Appendizitis  von  anderer 
■  Seile  unnötig  operiert  wurde,  wird  man  also  mit  Rizinusöl  nicht 
schaden,  vielmehr  nützen.  Es  hlcibt  freilich  dann  noch  immer 
eine  große  Anzahl  von  Fällen  übrig,  bei  welchen  eine  akute 
xFppendizitis  mit  schweren  allgemeinen  und  örtliidien  Erschei¬ 
nungen  oinselzt,  daß  man  lieber  sofort  zum  Messer  greifen  wird. 
x4uch  andere  (Tiirurgen  (Dieulafoy,  Siegel,  Debray)  sprechen 
sich  neuestens  in  diesem  Sinne  aus.  —  (Deutsche  medizinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  14.)  Fx.  F. 


V^ermisehte  l^aehriehten. 

Ernannt:  Dr.  D  e  n  u  c  e  zum  Professor  der  Orthopädie 
in  Bordeaux. 

* 

Verliehen:  Dem  a.  o.  Professor  für  Augenheilkunde 
an  der  deutschen  Universität  in  Prag  Dr.  Adolf  Schenkl  der 
Titel  und  Charakter  eines  ordentlichen  Universitätsprofessors. 
—  Dem  Augenarzt  Dr.  G.  Weill  in  Straßburg  der  Professortitel. 

Habilitiert:  Dr.  Siegfried  Franz  Groß  für  Dermatologie 
und  Syphilis  in  Wien.  —  Dr.  Hans  E  pp  in  ge  r  für  innere  Me¬ 
dizin  in  Graz.  —  In  Berlin:  Dr.  Leo  Längstem  für 
Kinderheilkunde,  Stabsarzt  Dr.  August  Hildebrandt  für 
Chirurgie  und  Dr.  Leo  Mohr  für  innere  Medizin.  • —  Dr.  Knapp 
für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Göttingen.  —  Dr.  H e  y  e  r  d  ah  1 
in  Kopenhagen  für  innere  Medizin. 

Gestorben:  Der  Professor  der  Gynäkologie  an  der  Uni¬ 
versität  zu  Krakau,  Hofrat  Dr.  Heinrich  Jordan.  —  Dr.  Josef 
Schrank,  k.  k.  Polizei-Oberbezirksarzt  in  tVien.  — -  Professor 
Dr.  V.  Jürgen  sen,  Vorstand  der  medizinischen  Poliklinik  und 

Ordinarius  für  Arzneimittellehre  in  Tübingen. 

* 

In  der  Sitzung  des  niederösterreichischen 
Landessanitätsrates  vom  6.  Mai  1.  J.  wurde  an  Stelle 
des  verstorbenen  Regierungsrates  Dr.  Adalbert  T  i  1  k  o  w  s  k  ^ 
Regierungsrat  Universitätsprofessor  Dr.  Julius  Mau  timer  zum 
Vorsitzendenstellvertreter  gewählt.  Weiters  wurden  in  der  Sitzung 
folgende  Gutachten  erstattet:  1.  Ueber  die  Neuregelung  der  Vor¬ 
schriften  für  den  Betrieb  der  Hausapotheken  und  Notapparate  der 
Aerzte;  2.  über  die  Frage  der  A^erlegung  der  Hauptftjrien  für  die 
Schüler  in  den  Städten  mit  Mittelschulen;  3.  über  ein  Ansuchen 
um  Verlegung  einer  Anstalt  für  Kaltwasserbehandlung  in  Wien. 

« 

Der  Unterstützungsverein  für  Witwen  und 
Waisen  der  k.  u.  k.  Militärärzte  in  Wien  hielt  am 
4.  Mai  1.  J.  seine  diesjährige  (41.)  Generalversammlung  ab.  Der 
Präsidentstellvertreter  Generalstabsarzt  Prof.  Dr.  Florian 
K  ratsch  m  er  begrüßte  die  anwesenden  Mitglieder  und  kon¬ 
statierte  deren  Beschlußfähigkeit.  Aus  dem  vorliegenden  Rechem 
schaftsberichte  ist  zu  entnehmen,  daß  das  Vereinsvermögen  sich 
mit  K  625.390-28  in  Wertpapieren  und  K  9785-57  in  barem  Gelde 
beziffert.  In  dem  Genüsse  der  regelmäßigen  Jahresbezüge  stranden 
200  Witwen  und  3  Waisen,  was  einer  Ausgabe  von  K  39.799)— 
entspricht ;  zeitliche  Unterstützungen  im  Betrage  von  K  1040 
wurden  im  verflossenen  Jahre  22  Witwen  zuteil.  Ueber  Antrag 
der  Rechnungsrevisoren,  welche  am  18.  März  1.  J.  eine  genaue 
Skontrierung  aller  Kassadokuniente  und  Protokolle  vorgenommen 
und  hiebei  alles  in  bester  Ordnung  befunden  haben,  wurde  dem 
Verwaltungskomitee  das  Absolutorium  erteilt.  Weiters  folgte  die 
Wahl  mehrerer  Funktionäre  und  ist  der  Ausschuß  folgendermaßen 
zusammengestellt :  General-Oberstabsarzt  Dr.  Josef  Ritt^  von 
Uriel  als  Präsident,  Generalstabsarzt  Prof.  Dr.  Florian 
Kratschmer  als  Präsidentstellvertreter,  die  Oberstabsärzte 
I.  Klasse  Dr.  Zdislaus  Ritter  v.  J  u  c  h  n  o  w  i  c  z  -  H  o  r  d  y  n  s  k  i 
als  Kassier,  Dr.  August  Fikl,  Dr.  Franz  Jaeggle,  Dr  Josef 
Haas,  Oberstabsarzt  H.  Klasse  Prof.  Dr.  Robert  Ritter  v.  Foply, 
Stabsarzt  Jaroslav  H 1  a  d  i  k,  die  Regimentsärzte  1.  Klasse  Doktor 
Bertold  Re  der  als  Sekretär,  Dr.  Gustav  P  o  1 1  a  k  als  Buch¬ 
führer,  Dr.  Anton  Brosch,  Dr.  Alexander  Jeney,  Regiments¬ 
arzt  H.  Klasse  Dr.  Viktor  Ruß. 

* 

Die  Tuberkulose  -  Aerzte  Versammlung  findet 

am  24  und  25.  Mai  in  Berlin  statt.  Näliere  Mil  lei  hingen 
und  Einladungen  für  interessierte  Aerzte  werden  durch  die  Ge¬ 
schäftsstelle  des  Komitees,  Berlin  W.  Eichhornstraße  9,  ausgegeben. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


Freie  Stellen. 

Tabakfabriksarztesstelle  Ill.  Kategorie  bei  der 

k.  k.  Tabakfabrik  in  Joachimsthal  (Röhraen).  Jahreshonorar  K  1600, 
Fuhrenpauschale  K  400.  Konkurstermin  31.  M  a  i  1907. 

S  t  a  d  t a  r  z  t  e  s  s  t  e  1 1  e  bei  der  Stadtgemeinde  Livno  (Bosnien). 
Mil  dieser  Stelle  ist  ein  Jahresgehalt  von  K  2400  verbunden,  wofür  der 
Stadlarzt  verpflichtet  wird,  den  Stadtarmen  die  ärztliche  Hilfe  unent¬ 
geltlich  zuteil  werden  zu  lassen.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  nach¬ 
zuweisen:  1.  Die  österreichische  oder  ungarische  Staatsangehörigkeit  oder 
die  bosnische  Landesangehörigkeit.  2.  Den  an  einer  österreichischen  oder 
ungarischen  Universität  erworbenen  Grad  eines  Doktors  der  Medizin 
und  Chirurgie.  3.  Eine  mindestens  zweijährige  Spitalspraxis.  4.  Die 
Kenntnis  der  deutschen  und  irgend  einer  slawischen  Sprache.  Gesuche 
sind  bis  Ende  Mai  bei  der  Stadtgemeindeamte  Livno  zu  überreichen. 

Landes-Sanitätsreferentenstellebei  der  k.  k.  mährischen 
Statthalterei  mit  dem  Range  und  den  systemmäßigen  Bezügen  eines 
Staatsbeamten  der  VI.  Rangsklasse.  Bewerber  um  diese  Stelle*  haben 
ihre  mit  den  erforderlichen  Belegen  versehenen  Gesuche  im  Wege  ihrer 
Vorgesetzten  Behörde  bis  25.  Mai  I.  J.  beim  k.  k.  Slatthallereipräsidium 
in  Brünn  einzubringen. 

Di  s  t r ik t s  ar  z  t  es s  t e  11  e  für  den  Sanilätsdistrikt  Alttitschein- 
Barnsdorf  (Mähren)  mit  böhmischen  Gemeinden,  4854  Einwohnern 
und  den  Bezügen  von  K  1500  (Gehalt  und  Reisepauschale).  Sitz  des 
Distriktsarztes  in  Alttitschein,  derselbe  ist  zur  Haltung  einer  Hausapo¬ 
theke  verpflichtet,  bezog  bisher  auch  K  500  seitens  der  Bezirkskranken¬ 
kasse.  Die  im  Sinne  des  §  31  des  mährischen  Landessanilälsgeselzes  vom 
10.  Februar  1884,  L.  -  G.  -  Bl.  Nr.  28,  belegten  Gesuche  sind  bis 
13.  Juni  1.  J,  an  den  Obmann  der  Sanitätsdelegiertenversammlung  Alois 
Kiltrisch  in  Alttitschein  einzusenden. 

Gemeindearztesstelle  in  Pichl  (Oberösterreich),  poli¬ 
tischer  Bezirk  Wels,  mit  2800  Einwohnern  ab  1.  Juni  1.  J.  zu  besetzen. 
Jährliche  Bezüge  K  1066,  Haltung  einer  Hausapotheke  nötig.  Gesuche 
sind  an  das  Bürgermeisteramt  (zuhanden  des  Obmannes  der  Sanitäts- 
gemeindeveitretung)  in  Pichl  zu  richten. 

Polizeiarztesstelle  der  IX.  Rangsklasse  (zweite  Ge¬ 
haltsstufe)  beim  Stadtrate  Graz  (Steiermark).  Gesuche  sind  bis  Mittwoch 
den  29.  Mai  1907  um  12  Uhr  mittags  im  Einreichungsprotokolle  des 
Bürgermeisteramtes  Graz  (Rathaus,  II.  Stock)  zu  überreichen. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanitätssprengel  Enne- 
berg  (Tirol),  welcher  sämtliche  Gemeinden  des  gleichnamigen  Gerichts¬ 
bezirkes  umfaßt,  mit  über  5000  Einwohnern  und  beträchtlichem  Durch¬ 
zugsverkehr  im  Sommer.  Jährliches  Wartegeld  K  2000  und  freies  Quartier. 
Die  Stelle  kommt  vorläufig  provisorisch  zur  Besetzung.  Bewerber  um 
diese  Stelle,  welche  eine  gute  physische  Konstitution  verlangt,  wollen 
ihre  Gesuche  bis  zum  1.  Juni  1.  J.  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft 
Bruneck  mit  den  entsprechenden  Belegen  einreichen. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanitätssprengel  Laas,  Eyrs 
und  Tanas  mit  dem  Wohnsitze  des  Arztes  in  Laas  (Tirol)  mit 

l.  Juni  1.  J.  zu  besetzen.  Gehalt  K  1200.  Der  Gemeindearzt  hat  eine 
Hausapotheke  zu  halten  und  den  Sanitätsdienst  in  den  genannten  Ge¬ 
meinden  im  Sinne  der  Dienstesinstruklion  für  Gemeindeärzte  in  Tirol 
auszuüben.  Nähere  Auskünfte  erteilt  die  Gemeindevorstehung  in  Laas. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  Rossitz- 
Zbeschau  (politischer  Bezirk  Brünn),  mit  dem  Sitze  in  Ros  sitz 
(Mähren).  Der  Sanitätsdistrikt  umfaßt  drei  Gemeinden  mit  einem  Flächen¬ 
ausmaße  von  zusammen  49'24  km^  und  hat  6730  Einwohner,  vorwiegend 
böhmischer  Nationalität.  Der  jährliche  Gehalt  des  anzustellenden 
Distriktsarztes  beträgt  K  673,  das  Pauschale,  K  857,  zusammen  K  1530. 
Kenntnis  der  böhmischen  und  deutschen  Sprache  in  Wort  Schrift  wird 
gefordert.  Die  Stelle  wird  vorläufig  auf  die  Dauer  eines  Jahres 
provisorisch  besetzt.  Die  im  Sinne  des  §  11  des  Landessanitätsgesetzes  vom 
10.  Februar  1884,  L.-G.-  und  V.-Bl.  Nr.  28,  instruierten  Gesuche  sind 
bis  längstens  31.  Mai  an  den  Obmann  der  Sanitätsdelegation  Martin 
Zaloudek  in  Babitz,  Eib.  1.  P.  Segen  Gottes,  einzubringen. 


An  die  Redaktion  gelangte  Werke. 


(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Mering,  Lehrbuch  der  inneren  Medizin.  4.  Aufl.  Fischer,  Jena. 
M.  12-50. 

Havelock  Ellis,  Die  krankhaften  Geschlechtsempfindungen  auf 
dissoziativer  Grundlage.  Deutsch  von  Dr.  J  e  n  t  s  c  h.  Stüber,  Wüiz- 
burg.  M.  4-—. 

Orlowski,  Die  Syphilis.  Laienverständlich  dargestellt.  Der  Tripper. 
Ebenda,  ä  M.  0-90. 

Jessner,  Die  ambulante  Behandlung  der  Unterschenkelgeschwüre. 
3.  Aufl.  Ebenda.  M.  0  90. 

Gurwitsch,  Atlas  und  Grundriß  der  Embryologie.  Lehmann 
München.  M.  12- — .  ’ 


M.  2-40 


Bier,  Hyperämie  als  Heilmittel.  V  o  g  eJ,  Leipzig.  M.  12-  — . 
Schulz,  Allgemeine  Chemie  der  Eiweißsloffe.  Enke,  Stuttgart. 


Berendes,  Das  Apolhekenwesen,  seine  Entstehung  und  geschicht¬ 
liche  Entwicklung  bis  zum  20.  Jahrhundert.  Ebenda. 

Binswanger  und  Siemerling,  Lehrbuch  der  Psychiatrie.  Bearbeitet 
von  A.  Gramer,  A.  Hoche,  A.  Westphal,  R.  Wollenberg  und 
den  beiden  erstgenannten  Herausgebern.  2.  Aufl.  Fischer,  Jena.  M.  5-50. 

Levy-Bing,  Le  Microorganisme  de  la  Syphilis.  D  o  i  n,  Paris.  Fr.  5-—. 

Brunner,  Tuberkulose,  Aktinomykose,  Syphilis  des  Magendarm¬ 
kanales.  (Deutsche  Chirurgie  Nr.  46  e.)  Enke,  Stuttgart.  M.  15'  — . 


Phar,  Angst.  Die  Behandlung  und  Heilung  nervöser  Angstzustände. 
Abel  und  Born,  Leipzig.  M.  3' — . 

Eberstaller,  Masern  und  Schule.  S.  A.  d.  Internat.  Arch,  f,  Schul¬ 
hygiene.  Engelmann,  Leipzig. 

Desguin,  Nouveau  moyen  de  contention  des  fractures  obliques  de 
la  jambe.  S.  A.  Hayez,  Brüssel. 

Beck,  Die  Bildung  und  Zusammensetzung  der  Gallensteine  nebst 
einigen  Gesichtspunkten  des  Röntgenverfahrens  und  deren  Behandlung. 
Breitkopf  und  Härtel,  Leipzig.  M.  075. 

Freund  H.W.,  Operation  einer  ausgetragenen  Abdominalschwanger¬ 
schaft;  Versenkung  der  Plazenta  in  die  Bauchhöhle.  Ebenda.  M.  0-75. 
Bofinger,  Ueber  die  Diagnose  der  Cholelithiasis.  Ebenda.  M.  0-75. 
Graul,  Ueber  den  Diabetes  mellitus  und  seine  Behandlung.  Stüber, 
Würzburg.  M.  0-75. 

Schultze,  Weitere  psychiatrische  Beobachtungen  an  Militär¬ 
gefangenen.  Fischer,  Jena.  M.  3-—. 

Hoffmann,  Die  Infektionskrankheiten  und  ihre  Verhütung.  Sammlung 
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Bendix, .  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde.  5.  Aufl.  Urban  und 
Schwarzenberg,  Wien.  K  14-40. 

Marcuse,  Technik  und  Methodik  der  Hydro-  und  Thermotherapie. 
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Bade,  Die  angeborene  Hüftgelenksverrenkung.  Enke,  Stuttgart. 
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Wiesner,  Die  Wirkung  des  Sonnenlichtes  auf  pathogene  Bakterien. 
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Kalischer,  Zur  Funktion  des  Schläfelappens  des  Großhirns.  S.  A. 
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Hofmeister,  Der  Gummidruck.  M.  2- — . 

Okinczyc,  Traitement  chirurgical  du  cancer  du  colon.  Steinbeil, 

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Kraepelin,  Vocke  und  Lichtenberg,  Der  Alkoholismus  in  München. 
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Herrmann,  und  Hartl,  Einfluß  der  Schwangerschaft  auf  die 
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Ries,  Neue  Anschauungen  über  die  Natur  der  Astrosphären,  sowie 
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Sahli,  Ueber  Tuberkulinbehandlung.  2.  Aufl.  S.  A.  aus  Korrespbl. 
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Fraenkel  S.,  Deskriptive  Biochemie  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  chemischen  Arbeitsmethoden.  Bergmann,  Wiesbaden.  M.  17* — . 
Orlowski,  Die  Schönheitspflege.  Stüber,  Würzburg.  M.  1-80. 
Salge,  Therapeutisches  Taschenbuch  für  die  Kinderpraxis.  3.  Aufl. 
Fischer,  Berlin.  M.  3' — . 

Rabe,  Aerztliche  Wirtschaftskunde.  Dr.  Klinkh  ar  d  t,  Berlin.  M.  6' — . 
Simon,  Schule  und  Brot.  Voss,  Hamburg.  M.  1-  — . 

Becker,  Lehrbuch  der  ärztlichen  Sachversländigentätigkeit  für  die 
Unfall-  und  Invaliditätsversicherungs-Gesetzgebung.  5.  Aufl.  Scholtz, 
Berlin.  M.  14- — . 

Bachmann,  Neugalenismus,  eine  auf  biologischen  Anschauungen 
aufgebaute  Krankheitslehre.  Gmelin,  München.  M.  0-75. 

Sommer,  Ueber  elektrische  Entladungen  im  luftverdünnten  Raum. 
(Geißlerlicht,  Kathoden-  und  Kanalstrahlen.)  Ebenda.  M.  0-75. 

Kauffmann,  Die  Hygiene  des  Auges  im  Privatleben.  Ebenda.  M.  0-60. 
Neter,  Muttersorgen  und  Mutterfreuden.  Ebenda.  M.  1  20. 

Löffler,  Taktik  des  Truppen-Sanitätsdienstes  auf  dem  Schlachtfelde. 
Mittler,  Berlin.  M.  2-50. 

Capellmann,  Pastoralmedizin.  15.  Aufl.  Schmidt,  Aachen.  M.  5  60. 
Robert,  Einiges  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  des  Bestehens 
der  medizinischen  Fakultät  zu  Rostock.  Ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte 
des  Reformationszeitalters.  Enke,  Stuttgart.  M.  2-  —  . 

Gottschalk,  Die  Röntgentherapie  nach  ihrem  heutigen  Stande. 
Ebenda.  M.  1-20. 

Winter,  Lehrbuch  der  gynäkologischen  Diagnostik.  Unter  Mitarbeit 
von  Prof.  Rüge.  3.  Aufl.  Hirzel,  Leipzig.  M.  20- — . 

Neusser  v..  Ausgewählte  Kapitel  der  klinischen  Symptomatologie 
und  Diagnostik.  3.  Heft.  Dyspnoe  und  Cyanose.  Braumüller,  Wien. 

Noorden,  Die  Zuckerkrankheit  und  ihre  Behandlung.  4.  Aufl. 
Hirsch  wald,  Berlin. 

Frey,  Die  Zinkgewinnung  im  oberschlesischen  Industriebozirk  und 
ihre  Hygiene.  Hirschwald,  Berlin. 

Grünberg,  Die  blutsaugenden  Dipteren.  Fischer,  Jena.  M  4-50. 
Kißkalt  und  M.  Hartmann,  Praktikum  der  Bakteriologie  und 
Protozoologie.  Ebenda  M.  5-50. 

Barrucci,  Die  sexuelle  Neurasthenie  und  ihre  Beziehungen  zu  den 
Krankheiten  der  Geschlechtsorgane.  2.  Aufl.  Deutsch  von  Dr.  Wich  mann, 
Salle,  Berlin.  M.  3- — . 

Schmidt  G.  C.,  Die  Kathodenstrahlen.  2.  Aufl.  Vieweg,  Braun¬ 
schweig.  M.  3- — . 

Tappeiner,  Lehrbuch  der  Arzneimittel-  und  Arzneiverordnungs¬ 
lehre.  6.  Aufl.  Vogel,  Leipzig.  M.  7- — . 

Piskaöek,  Lehrbuch  für  Schülerinnen  des  Hebammenkurses.  4.  Aufl. 
Braumüller,  Wien.  K  7-20. 

Finger,  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  1.  Teil. 
Die  Hautkrankheiten.  De  u  ticke,  Wien.  K  12- — . 

Oppenheim  und  Cassirer,  Die  Enzephalitis.  2.  Aufl.  H  öl  der, 
Wien,  K.  5' — . 


Nr.  21 


WIENEU  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Yerhandlnngen  ärztlicher  desellschaften  und  Kongreßberichte. 

INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  iu  Wien. 
Sitzung  vom  17,  Mai  1907. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  iu  Wien.  Jahresversammlung 
vom  14.  Mai  1907. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom  15.  bis 
18.  April  1907. 

3().  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für*  Chirurgie  zu  Ilerlin. 
3.  Sitzungstag. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  17.  Mai  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  v.  Ebner. 

Schriftführer :  Dr.  Blau. 

Hofrat  Prof.  v.  Ebner  dankt  für  die  ihm  durch  di(^  Wahl 
zum  Vorsitzenden  erwiesene  Ehre. 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  von  dem  Ableben  dos 
langjährigen  Mitgliedes  der  Gesellschaft,  k.  k.  Polizeioberbezirks¬ 
arztes  Dr.  Josef  Schrank.  Die  Versammlung  erhebt  sich  zum 
Zeichen  der  Trauer  von  den  Sitzen. 

Dr.  Leischner  macht  eine  vorläufige  Vlitteilung  idier  seine 
im  Laboratorium  der  I.  chirurgischen  Klinik  ausgeführten  Tier¬ 
versuche,  die  beweisen,  daß  Epithelkörperchen  mit  Erhaltung 
ihrer  Funktion  1  r  a  n  s  p  1  a  n  1  i  e  r  t  werden  können. 

Er  operierte  zu  diesem  Zwecke  mehr  als  80  Tiere,  von 
denen  aber  ein  Teil  nicht  verwertet  werden  konnte,  weil  viele 
derselben  die  nötigen  operaliven  Eingriffe  nicht  üherstanden  oder 
vor  Beendigung  der  Beobachtungszeit  an  interkurrenten  Krank¬ 
heiten  zugrunde  gingen.  Als  Versuchstiere  verwendele  er  Ratten. 
Leider  war  eine  vollständig  isolierte  Exstirpation  der  Glandulae 
parathyreoideae  wegen  ihrer  Lage  im  Seiteiirande  der  Schild- 
driisenlappen  ausgeschlossen  und  es  mußte  stels  etwas  Thyreoidea- 
gewehe  mit  überpflanzt  werden.  Letzteres  war  aber  nach  den 
mikroskopischen  Befunden  meist  kaum  größer  als  ein  Epithel¬ 
körperchen  und  dürfte  wohl  keinen  Einfluß  auf  die  experimen¬ 
tellen  Ergelinisse  gehabt  halien.  Transplantiert  wurde  stets 
zwischen  Mnsculus  rectus  abdominis  und  Periioneum  oder  in 
eine  Rektustasche.  Was  die  tctanisclien  Erscheinungen  anbe¬ 
langt,  so  stimmten  dieselben  vollkommen  mit  der  Erd  hoi  iri¬ 
schen  Beschreibung  überein. 

Da  die  größere  Zahl  seiner  Versuchsreihen  wegen  der  un¬ 
bedingt  nötigen  langen  Beohachtuiigsdauer  noch  nicht  abge¬ 
schlossen  ist,  will  er  jetzt  nur  eine  Gruppe  von  Tierexperimenten 
mittcilen,  von  der  bereils  auch  histologische  Befunde  vorliegen. 

Bei  vier  Ratten  wurden  die  beiden  Epithelkörperchen  nach¬ 
einander,  in  einer  Zwischenzeit  von  zehn  Tagen  bis  einem 
Älonat,  in  die  Bauchdecken  transplanlicrt  und  nach  den  einzelnen 
Eingriffen  konnten  niemals  an  den  Tieren  tetanische  Erschei¬ 
nungen  wahrgenommen  werden.  AVurde  dann,  drei  bis  sechs 
Wochen  später,  das  die  Epithelkörpei’chen  enthaltende  Bauch¬ 
wandstück  exstirpiert,  so  trat  stets  am  nächsten  Tage  Tetanie 
geringeren  oder  stärkeren  Grades  auf,  die  mehrere  Stunden  bis 
einige  Tage  manifest  war. 

Vier  anderen  Tieren  transplantierte  er  beide  Epithelkörper¬ 
chen  zugleich  in  die  Bauchwand.  Am  nächsten  Tage  zeigten  t 
sich  derart  tetanische  Symptome,  als  ob  die  Glandulae  pai’a- 
thyreoideae  ihnen  vollständig  entfernt  worden  wären.  Diese  Er¬ 
scheinungen  hielten  nur  einige  Zeit  an  und  weiterhin  waren 
die  Tiere  mniiter.  Wurde  in  drei  bis  vier  Wochen  die  Trans- 
plantationsstelle  entfernt,  so  traten  neuerliche  telanische  Anfälle 
gleichen  oder  stärkeren  Grades  als  das  erstemal  auf.  _ 

Von  diesen  acht  Ratten  starben  vier  in  der  Zeit  zwischen 
dem  zweiten  und  dritten  Monat  nach  dem  letzten  Eingriffe  unter 
Zahnausfall  und  Ahmagoriing,  wie  cs  Erdheim  heschrichen, 
zwei  wurden  mit  angefrossenem  Halse  im  Käfige  tot  vorgefiinden, 
eine  wurde  frühzeitig  getötet  und  eine  lebt  noch,  da  die  Baucli- 
wandexstirpation  erst  vor  kurzem  vorgeiiommen  wurde. 

Bei  der  in  Serienschnitten  vorgenommenen  üntersuchnng 
der  Bauchwandstücke  fand  man  die  Epithelkörperchen  slets  ohne 
liesondere  Veränderungen  eingeheilt. 

Seine  anderen  Versuchsgruppen  liefassen  sich  mit  den 
Fragen,  oh  die  transplantierten  Epithelkörperchen 
dauernd  funktionieren,  oh  f  remde  E  pi  thclkö  rper- 
c  h  e  n  derselben  T i e  r  s  p  e  z i e  s  lebensfähig  verpflanzt 
werden'  können  und  oh  damit  die  Folgen  bereits  be¬ 
stehender  Tetanie  hintanzuhalten  sind. 

Da  er  diese  Versuchsgruppen  für  noch  nicht  abgeschlossen 
erachtet,  so  will  er  nur  erwähnen,  daßi  zwei  Tiere  mit  in  die 


Baiichdocken  transplantierten  eigenen  Epithclkörpendien  seit  fünf 
Monaten  vollständig  gesund  sind  und  mclirei'c  Tiere  .mit  fremden, 
artgleichen,  ihnen  einge]dlanz(en  Glandulae  parathyreoideae  hei 
zweimonatiger  Beobachtung  seit  Entfernung  der  beiden  eigenen 
Epithelkörperchen  keinerlei  telanische  Symptome  darhielen. 

Er  berichtet  weiters,  daß  zwei  Tiere,  denen  er  nach  Trans¬ 
plantation  der  eigenen  Epithelkörperchen  die  ganze  Schilddrüse 
entfernte,  soweit  dies  makroskopisch  möglich  war,  drei  Monate 
ohne  Ausfallserscheinungen  am  Leben  hlipben. 

Die  Schlüsse,  die  aus  diesen  Tierexperimenlen  für  die  ])i'ak- 
lische  Chirurgie  gezogen  werden  können,  lauten  dahin,  man  solle 
besonders  bei  den  schwierigen  Kropf  Operationen, 
die  für  ein  Z  n  r  ii  c  k  1  a  s  s  e  n  von  genüge  n  d  E  p  i  t  h  e  1- 
k örp e rc he ngew ehe  nicht  bürgen  können,  die  exstir- 
pierten  S  tru  m  en  s  1  üc  k  e  sofort  im  sterilen  Zustande 
auf  anhaftende  E p  i  t h e  1  k  ö  r  p  e r  c  h on  untersuche n,  u m 
dieselben  zu  re i m p  1  anti e re n. 

Anderseits  hält  er  es  für  erlaubt,  da  viele  Tierversuche  be¬ 
kannt  sind,  die  nachgewiesen  haben,  daß  der  Verlust  eines  Epithel¬ 
körperchen  für  ein  Individuum  folgenlos  ist,  hei  einfachen, 
einseitigen,  i n tr ak ap snl ären  Z y s  tenc n  u  kle ati o  ii en, 
die  eine  vollständige  IJohersicht  des  Operationsterrains  zulassen 
und  hei  denen  die  Fundstätlen  der  übrigen  Epithelkörperchen 
ganz  unberührt  bleiben,  ein  Epithelkörperchen  zu  ent¬ 
nehmen,  u  m  e  s  einem  T  e  t  a  n  i  e  k  r  a  n  k e  n  e  i  n  z  u  p  f  1  a  n  z  e  n. 

Als  Ort  der  Pfropfung  erscheint  ihm  hei  demselben  Indivi¬ 
duum  die  Operationswunde  am  Halse  wegen  des  sich  stets  an- 
sammclnden  Hämatoms  und  Kropfsekretes  nicht  sehr  für  die 
Einheihing  geeignet,  er  würde  vielmehr  stels  eine  heliehige  Stelle 
zwischen  Peritoneum  und  Faszie  vorschlagen,  da  dies  hei  guter 
Asepsis  ein  rasch  auszuführeuder  und  gänzlich  gefahrloser  Ein¬ 
griff  ist. 

Diskussion;  Hofrat  v.  Eiselshcrg  bemerkt,  daß  er  bei 
seinen  zahlreichen  Kropfoperationen  stels  auf  Schonung  der  Epi¬ 
thelkörperchen  bedacht  war.  Dieselben  kamen  oft  hei  den  Ein¬ 
griffen  gar  nicht  zu  Gesicht.  Eine  Aendernng  der  jetzt  üblichen 
Operationsmethoden,  um  die  Telanie  zU  verhindern,  hat  er  nicht 
nötig  gehabt.  Vom  1.  A])nl  1901  bis  15.  Mai  1907  wurden  an  seiner 
Klinik  und  von  ihm  privat  449  Kröpfe  operiert,  von  denen  nur 
in  zwei  Fällen  Tetanie  stärkeren  Grades  beoliachlet  wurde,  ohne 
das  Individuum  schwerer  zu  gefährden.  Weiters  trat  zwölfmal 
ganz  leichtes  und  vorübergehendes  Chvosteksches  Phänomen, 
zweimal  Chvostek  und  Trousseau  auf  und  bei  zwei  anderen  Pa¬ 
tienten  konnten  tetanische  Symptome  bereits  vor  der  Operation 
gefunden  werden. 

Ein  Fall  von  ziemlich  schwerer  Tetanie  nach  einer  vor 
27  Jahren  an  der  Klinik  Billroth  ausgeführten  Tolalexstirpation 
der  Schilddrüse  betrifft  eine  jetzt  42jährige  Frau.  Dieselbe  wurde 
öfters  in  die  Klinik  bestellt,  um  bei  einer  geeigneten  Kropfoperation 
an  ihr  eine  Epithelkörperchenverpflanzung  vorzunehmen.  Nach 
längerem  Warten  wurde  dies  kürzlich  ausgeführt,  anscheinend 
mit  Erfolg.  Doch  ist  der  Fall  noch  nicht  spruchreif. 

Er  glaubt,  daß  nur  dort  eine  Entnahme  eines  Epi¬ 
thelkörperchens  erlaulit  ist,  wo,  wie  hei  der  vorliegenden 
Kropfoperation,  liloßi  eine  Zyste  aus  einem  Lappen  zu 
c n u k  1  e i e r e n  w a  r  U  n d  d i e  übrige  Schi  I  d d^r ü so  v  o  1 1- 
k 0 m m e n  no r m a  1  e r s c h i e n,  so  daß.  m a n  m i t  S i c h e r h ei t 
sagen  konnte,  daß  drei  Epithelkörperchen  intakt  in 
situ  gelassen  wurden. 

Jedenfalls  hat  die  Patienlin,  von  der  das  Epithelkörperchen 
genommen  war,  bei  genauester  Beobachtung  keinerlei  Erschei¬ 
nungen  von  Telanie  dargebolen  und  vollsländig  geheilt  die  Klinik 
verlassen. 

Prof.  Dr.  0.  Bergmeister:  Vh'ine  Herren!  Ich  erlaube  mir, 
Ihnen  zwei  Fälle  von  angeborenem  beiderseitigen  Irismangel 
(Aniridia  congenita),  der  eine  überdies  verlmnden  mit  ^  eiischiehung 
der  läiise  (Ectopia  lentis)  vorzustellen. 

Es  haiuh'lt  sich  um  Alutler  und  Tochter,  die  erstere  42  Jahre, 
die  letztere  10  Jahre  all.  Auch  der  Großvater  soll  dieselben 
schwarzen  Augen  gehabt  haben  und  bis  ins  hohe  Aller  (72  Jahre) 
relativ  gut  gesehen  haben. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


Solche  ]‘'älle  von  familiärer,  koiigeniUüer  xVuirklie  sind  mehr¬ 
fach  ])Cül)achfet ;  v.  Hippel  liat  rechf,  zu  behaupten,  daß  kaum 
hei  einer  anderen  angehorenen  Anomalie  des  Auges  das  He- 
fallensein  mehrerer  Cienerationen  einer  Familie,  also  der  Einfluß 
der  Hemliläl  so  stark  hervorlritt,  wie  hei  der  Aniridie. 

Ich  seihst  kenne  eine  Familie  in  Wien,  in  der  der  \hater 
und  zwei  Söhne  mit  angeborenem  doppelseitigen  Irismangel,  kom- 
hijiierl  mit  vorderem  Polarkalarakt  behaftet  sind. 

Auch  diese  Kombinationen  der  Aniriifie,  mit  anderen  Ano¬ 
malien,  besonders  mit  solchen  der  Linse,  vorderer,  hinterer  Polar¬ 
kalarakt,  sowie  Ektopia  lentis,  sind  hinreichend  bekannt. 

Eine  weitere,  ziendich  häufig  beobachtete,  sozu-agen  sekun¬ 
däre  Komi)likation  der  xYniriilie  ist  das  Glaukom.  Mit  Rücksicht 
auf  diese  ,,'GlaukonKlisposition“  der  Aniridischen  habe  ich  mir 
erlaubt,  diese  zwei  Fälle  vorzuslellen.  Die  Mutter  ist  nämlich 
seit  zwei  Jahren  an  beiden  Augen  glaukomatös  erblindet.  Sie 
konnte  als  Kind  die  Schule  besuchen  und  sah  trotz  ihrer 
,,!schwaizen  Augen“  relativ  gut.  Mit  elf  Jahren  üherstand  die 
Patientin  die  Blattern,  in  deren  Gefolge  sich  eine  Entzündung 
an  beiden  Augen  einstellte.  Danach  sah  sie  schlechter,  doch 
konnte  sie  bis  zum  30.  Lebensjahre  noch  ganz  gut  nähen.  Von 
da  ah  wurden  die  Augen  allmählich  schlechter  u.  zw.  unter  peri¬ 
odischen  Anfällen,  so  daß  sie  bald  besser,  bald  schlecbter  sah. 
Seit  zwei  Jahren  ist  sie  amaurotisch.  Von  der  früher  erwähnten 
Wiener  häimilie  ist  der  Vater  ebenfalls,  aber  nur  am  rechten 
Auge,  glaukomatös  erblindet.  Der  sklereklatisch  vergrößerte  amau¬ 
rotische  Bulbus  wurde  von  mir  wegen  anhaltend  heftiger 
Sclimerzen  enukleiert.  Mein  Sohn  Rudolf  Bergmeister  hat 
diesen  Bulbus  anatomisch -histologisch  untersucht  und  darüber, 
sowie  über  einen  zweiten  Fall  aus  der  Klinik  Fuchs,  in 
V.  G  r  a  e  f  e  s  Archiv  berichtet. 


Was  nun  die  zwei  Fälle  betrifft,  die  ich  vorzustellen  die 
Ehre  habe,  findet  sich  hei  dem  Älädchen  außer  einem  ])orzellan- 
ai'tigen  Aussehen  der  vorderen  Sklerafparlien  und  einer  viel- 
hdeht  etwas  stärkeren  Füllung  der  vorderen  Ziliargetäße  äußer¬ 
lich  nichts  Abnormes.  Form  und  Größe  der  Bulhi  siiut  normal. 
Setzt  man  das  Kind  vis-a-vis  einem  Fenster  oder  einer  Licht- 
(|uelle,  so  sieht  man  ein  dunkelgoldgelhes  Aufleuchten  des  Auges. 
Der  Kornealumfang  und  die  Kornealwölbung  sind  anscheinend 
normal ;  mit  dem  Kagenar  untersucht,  ist  ein  regulärer  Astig¬ 
matismus  von  ca.  2'50  Dioptrien  nachweisbar.  Die  Kammer  ist 
normal  tief.  Beiderseits  fehlt  die  Iris,  so  daß  die  symmetrisch 
nach  oben  verschobene  Linse  frei  zu  sehen  ist.  Der  untere 
Rand  der  Linse  liegt  beiderseits  beiläufig  an  der  Grenze  des 
unteren  und  mittleren  Drittels  der  Kammerbasis,  so  daß  das 
untere  Drit'el  hei  seitlicher  Beleuchtung  ganz  schwarz,  die  oberen 
zwei  Drittel  leicht  gräulich  erscheinen.  Die  Linse  ist  zwar  voll¬ 
kommen  klar,  durchsichtig,  doch  erzeugt  sie  einen  für  das  jugend¬ 
liche  Alter  der  Patientin  auffallend  starken  graulichen  Reflex, 
ln  dem  unteren,  linsenfreien  Teile  der  Kammerbasis  konnte  ich 
auch  mit  Zuhilfenahme  von  Lupenvergrößerung  eine  zarte  Straf fie- 
rung  der  Zon'ula  nicht  erkennen;  ebenso  gelingt  es  nicht,  die 
Ziliarfortsätze  zu  sehen,  Avoraus  wohl  auf  eine  mangelhafte  Ent¬ 
wicklung  derselben  geschlossen  werden  darf.  Bemerkenswert  ist, 
daß  der  untere  Rand  der  Linse  nahezu  geradlinig  verläuft,  ein 
Verhallen,  das  dem  zweiten  Typus  des  Coloboma  lentis  nach 
V.  Hippel  entspricht.  Der  Augenhintergrund  erscheint  normal. 
Die  Patientin  ist  geblendet,  durch  Lichtscheu  stark  belästigt  und 
hat  mangelhafte  Sehschärfe. 

Es  würde  der  Gedanke  naheliegen,  in  einem  solchen  Falle 
di(!  Lichtzerstreuung  und  die  damit  zusammenhängende  Blendung 
dadurch  zu  venuindern,  daß  man  den  Rand  der  Kornea,  sei 
es  durch  Tatonnage,  oder  durch  künstliche  Narbenbildung, 
oder  durch  Uebernähen  von  Bindehaut  undurchsichtig  macht. 
Ein  solcher  Eingiiff  schien  mir  aber  mit  Rücksicht  auf 
die  jMöglichkeit  späterer  sekundäier,  krankhafter  Verände¬ 
rungen  solcher  Augen  nicht  statthaft,  um  so  mehr,  als 
es  gelang,  auf  einfachere  Weise  ein  hefriedigendes  Sehen 
zu  erzielen.  Während  nämlich  die  Sehschärfe  mit  freiem  Auge 
nur  S  =  Vio  beträgt  und  J.  N.  7.  in  (12  cm  gelesen  Avird, 
genügt  das  l'orlegen  einei'  stenopäischen  Lücke  von  1  mm  Durch- 
nu^sser,  um  die  Sehschärfe  auf  mehr  als  das  Dreifache  S  =  Vs 
zu  steigern,  Avohei  J.  N.  2  gelesen  Aviixl.  Am  besten  befindet  sich 
<lie  kleine  Patientin  mit  einer  Siebhrille,  Avelche  ihr  ein  ge¬ 
nügend  gutes  Sehen  nach  allen  Richtungen  geAvillirl  und  sie  vor 
Blendung  schützt! 

Bei  der  zAveiten  Patientin,  der  .Mutter,  liegt  Glaucoma  ah- 
solutum  beider  Augen  Amr.  Bulhi  rigid,  hart;  Corneae  längsoval, 
narbig,  makulös  getrübt,  links  mehr  als  rechts;  rechts  ist  noch 
durch  den  durchscheinenden  Rand  der  Kornea  der  Mangel  der 
Iris  und  das  Augenlcuchtcn  zu  erkennen;  der  linke  Bulbus  ist  in 


toto  etwas  vergrößert,  Kornea  völlig  undurchsichtig,  Li''htempfin- 
dung  beiderseits  aufgehoben.  AVie  erAvähnt,  erkranken  Augen  mit 
angeborener  Aniridie  auffallend  häufig  an  Glaukom,  so  daß  man 
in  diesen  Fällen  geradezu  eine  pitiformierle  Disposition  zur  Glau- 
komeikrankung  anuehmen  muß.  Es  geht  kaum  an,  hiebei  etxva 
von  Sekundärglaukom  in  dem  Sinne  zu  sprechen,  als  wenn  etwa 
zum  Beispiel  das  Glaukom  nur  durch  den  Insult  einer  luxierten 
Linse  entstünde.  Es  Avurde  Glaukoni  bei  Aniriifie  ohne  Ektopia 
lentis  heol)achtet,  so  auch  von  mir  in  dem  oben  zitierten 
Falle.  Die  Glaukomdisposition  des  aniridischen  Auges  dürfte  viel¬ 
mehr  in  der  anatomischen  Anlage  solcher  Bulhi  begründet  sein. 
Alle  Untersucher  s'immen  darin  überein,  daß  in  keinem  der  histo¬ 
logisch  untersuchten  Fälle  die  Iris  gänzlich  fehle,  sondern  stets 
als  kurzer  Stumpf  vorhanden  Avar.  Die  Avichtigstc  Rolle  in  dieser 
Angelegenheit  spielen  die  Verhältnisse  der  Kammei’bucht,  avo  die- 
AbflußAA’ege  für  das  Kammerwasser  liegen.  Pagen  steelier  fand 
ein  rudimentäres,  stark  zusammengedrückles  Ligamentum  pecti- 
natuni,  Treacher  Collins  außer  einem  kleinen  Irisstumpf  Ver¬ 
legung  des  Kammerwinkels,  bzAV.  der  Filtrations wege. 

Rudolf  Bergmeister  fand  die  Kammerbucht  verschlossen 
durch  ein  von  der  Iriswurzel  zur  Korneaskleralgrenze  ziehendes 
und  mit  dieser  verwachsenes  Gewebe,  Avelches  dieselbe  Struktur 
Avie  der  Irisstumpf  aufAveist.  Dieses  Gewebe,  ,,der  Irisfortsatz“, 
ist  als  Persistenz  einer  im  Fötalleben  des  menschlichen  Auges 
bestehenden  Bildung  aufzutässen,  die  ihr  Analogon  in 
tlen  Augen  der  Huftiere  findet.  Während  das  Ligamentum 
pectinatum  des  normalen  menschlichen  Auges  ein  viel  ein¬ 
facheres  als  das  der  Säugetiere  Und  ganz  besonders  ge¬ 
eignet  für  den  Abfluß  des  Kanmierwassers  erscheint,  sind 
in  den  aniridischen  Aliflußvvege  vorhanden,  Avelche  mit  dem 
Tierauge  analoge  Verhältnisse  darbieten  und  als  unzureichend 
anzusehen  sind.  Und  hierin  mag  Avohl  die  angeborene  anatomische 
Disposition  dieser  Augen  zUm  Glaukom  gegeben  sein.  Ein  Wort 
noch  über  die  allfällige  Behandlung  des  Glaukoms  bei  Aniridie. 
Abgesehen  von  der  Verwendung  der  Myotika  ist  das  aniridische 
Glaukoni  meines  AVissens  operativ  noch  nicht  mit  Erfolg  bekämpft 
Avorden.  Die  Iridektomie  kann  selbstredend  nicht  in  Betracht 
kommen. 

Auch  die  Sklerotomie  erscheint  bei  dem  vollständigen  Blo߬ 
liegen  des  Linsensystenis  zur  xVusführung  Avenig  geeignet.  Da¬ 
gegen  fordern  die  anatomischen  A'^erhältnisse  geradezu  zur  An- 
Avendung  der  Glaukonioperation  von  Heine,  der  Kyklodialyse, 
heraus. 

Dieselbe  besteht  darin,  daß  nach  Abpräparieren  eines  Binde¬ 
hautlappens  und  vorsichtiger  Durchtrennung  der  Sklera  5  bis 
6  mm  vom  Hornhaulrande  entfernt  und  jiarallel  mit  demselben 
die  Iriisspatel  zAvischen  Sklera  und  Chorioidea  nach  vorne  ge¬ 
schoben  und  das  Ligamentuni  pectinatum  langsam  durchstoßen 
Avird,  bis  die  Spitze  der  Spatel  in  der  Kammerbucht  erscheint. 
Der  Abfluß  des  KammerAvassers  kann  durch  leichtes  Drehen  der 
Spatel  erreicht  Averden. 

Prof.  Riehl  demonstriert  eine  Moulage  mit  IlautA'erände- 
rungen,  die  er  in  vier  Fällen  bei  an  Carcinoma  mammae  leidenden 
Frauen  beobachtet,  aber  nirgends  beschrieben  gefunden  hat. 

Es  entstehen  an  der  Haut  über  der  erkrankten  Brustdrüse 
zerstreut  oder  in  kleinen  Gruppen  bläschenähnliche  Gebilde  von 
Hirsekorn-  bis  Hanfkorngröße,  die  anfangs  von  heller  Flüssigkeit 
erfüllt  sind,  sich  später  blutig  tingieren  und  bis  zu  Kleinerbsen¬ 
größe  anwachsen. 

Diese  Miliariabläschen  erinnern  an  Effloreszenzen,  fühlen 
sich  aber  hart  an,  platzen  nicht  und  bestehen  Avochenlang;  sie 
kollabieren  beim  Anstechen  unter  Entleerung  wasserklarer  oder 
blutiger  Flüssigkeit  ganz  oder  nur  teilweise.  Es  sind  dies  keine 
Bläschen  sondern  Zysten  —  ihre  Decke  wird  durch  die  ganze 
Oberhaut  und  durch  die  Papillarschichte  gebildet;  der  Sitz  der 
Hohlräume  ist  das  Bindegewebe,  das  sie  in  mehrschichtigen 
Faserzügen  umgibt.  - 

In  diesen  Zysten'  finden  sich  nun  mehr  minder  zahlreich 
epitheliale  Zellenmassen  des  Karzinoms.  Die  Zellmassen  nehmen 
bei  längerem  Bestände  der  Zyste  so  Aveit  zu,  daß  sie  das  ganze 
Cavum  erfüllen,  die  Zyste  Avird  zu  einem  kleinen  Krebsknoten 

AVie  Sie  an  der  Moulage  sehen,  entstehen  ähnliche  Zysten 
späterhin  in  der  weiteren  Umgebung  der  erkrankten  Mamma. 

AVie  die  genauere  mikroskopische  Untersuchung  ergibt,  sind 
die  kleinen  Zysten  aus  erweiterten  Lymphgefäßen  hervorgegangen, 
deren  Endothelbelag  man  an  vielen  Stellen  nachAveisen  kann. 
Die  Karzinommassen  in  denselben  entstehen  offenbar  durch  Ein- 
Avanderung  von  Krebszellen  auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen. 

In  der  Tiefe  der  Kutis  findet  inan  auch  am  Karzinom  aus¬ 
gefüllte  Lymphgefäße  mit  reaktiver  AVueherung  des  BindegeAvebes. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Üi/ 


Wir  haben  es  also  mit  einer  Metastasiernng  auf  dem  Wege 
der  Lymphbahnen  zu  tun  und  mit  wabrscbeinlicb  durch  Stauung 
entstandenen  Lympbzysten,  in  welchen  sich  später  das  Karzinom 
ansbreitet. 

Die  Blutungen  in  den  Zysteninhalt  sind  hei  den  nahen 
Beziehungen  der  Lymph-  und  Blutkapillaren  der  Papillarschichte 
leicht  erklärbar  und  erinnern  an  die  blulgefülltcn  Zysten  dos 
Lymphangioma  c  y  s  t  i  c  u  m . 

In  der  Literatur  finde  ich  diese  Art  der  Karzinommetastase 
in  der  Haut  nicht  erwähnt.  —  Der  jüngst  von  Malinowsky 
beschriebene  Karzinomfall  mit  „Bbi-sonbildung“  ist  wohl  auch  als 
metastatisches  Hautkarzinom  zu  betrachten ;  die  „Bbisen“  M  a- 
1  i  n  o  w  s  k  y  s  sind  aber  Erweichungsherdo  im  Innern  der  Krebs¬ 
knoten,  wie  aus  den  Abbildungen  hervorgeht  —  Carcinoma 
colloideum  myxomatodes. 

Dr.  Deiner  stellt  aus  dem  Karolinen- Kinderspitale  ein 
sechs  Wochen  altes  Kind  mit  Ekzema  universale  sebor- 
r  h  o  i  c  u  m  vor. 

Die  Erkrankung  begann  in  der  dritten  Lebenswoche  mit 
Rötung  der  Inguinal  falten.  Heute  ist  die  gesamte  Körperhaut  bis 
auf  kleine  Partien  im  Gesicht  krankhaft  atfiziert.  Die  Kopfhaut 
ist  mit  graugelben,  fettigen  Sebumauflagerungen  bedeckt;  die 
Kopfhaare  sind  zum  Teile  ausgefallen,  zum  Teile  ragen  sie  in 
Büscheln  aus  der  Sehumhaube  hervor.  Auch  die  Ohrmuscheln, 
der  äußere  Gehörgang,  sind  mit  gelblichen  dünnen  Krusten  be¬ 
deckt.  An  der  Stirne  und  den  Streckseiten  der  oberen  Extremi¬ 
täten  sind  Veränderungen  zu  sehen,  die  als  Primäreffloreszenzen 
anzusprechen  sind ;  es  sind  dies  wenig  erhabene,  mattrote,  kleinste 
Flecke,  die  ein  zentrales,  graues  Schüppchen  tragen.  Diese  Schuppe 
läßt  sich  leicht  loslösen  und  es  tritt  eine  etwas  feuchtglänzende 
Fläche  zutage,  die  sich  alsbald  wieder  mit  einer  Schuppe  bedeckt. 
Durch  Konfluenz  solch  kleiner  Knötchen  oder  auch  durch  ex¬ 
zentrisches  Woiterwachsen  der  Effloreszenzen  bilden  sich  größere 
scheibenförmige  Herde,  die  von  einem  hyperämi sehen  Hofe  um 
geben  sind.  Auf  diese  Weise  kommt  es  allmählich  zu  einer  Aus¬ 
breitung  über  den  ganzen  Körper.  Die  Haut  ist  dann,  wie  es  auch 
in  dem  demonstrierten  Falle  zu  sehen  ist,  hyperämisch,  leicht 
ödematös,  stellenweise  mit  dünnen,  grauen,  fett  sich  anfühlenden 
Schuppen  bedeckt.  Die  Beugefalten  sind  frei  von  Schuppenauf¬ 
lagerungen  :  die  Haut  ist  hier  stark  gerötet,  sammtartig,  glänzend, 
feucht.  Auch  die  Nägel  zeigen  pathologische  Veränderungen. 
Sie  schilfern  ab,  sind  auffallend  dünn,  zeigen  Quer-  und  Längs¬ 
riffe.  Das  Nagelbett  an  einzelnen  Zehen  ist  oft  hyperkeratotisch 
verändert.  Die  Mundschleimhaut  ist  im  Beginne  der  Erkrankung 
normal ;  dagegen  waren  bei  dem  Kinde  Darmstörungen  zu  kon¬ 
statieren  ;  die  Stühle  waren  schleimig  bröckelig,  10  bis  12  täglich. 
Was  die  Drüsen  anlangt,  so  sind  sie  selbst  bei  langer  Krankheits¬ 
dauer  nur  wenig  verändert.  Schwellungen  derselben  über  Erbsen¬ 
größe  gehören  'zu  den  Seltenheiten. 

Das  Allgemeinbefinden  der  Kinder  ist  nicht  sehr  gestört, 
Juckreiz  besteht  nicht.  Dieses  Krankheitsbild  hat  für  uns  nun  ein 
mannigfaches  Interesse,  einmal  deshalb,  weil  es  einen  Krankheits¬ 
typus  vorstellt,  der  jedesmal  bei  den  verschiedenen  beobachteten 
Fällen  dasselbe  Aussehen  hat  und  auch  denselben  Verlauf 
nimmt,  dann  aber  ist  diese  Erkrankung  für  uns  Kinderärzte  von 
besonderem  Interesse,  weil  sie  fast  immer  nur  Brustkinder 
betrifft ;  dabei  ist  die  Erkrankung  gar  nicht  so  selten  ;  wir  haben 
in  den  letzten  vier  Jahren  über  zwei  Dutzend  derartiger  Fälle 
beobachtet.  Worin  hier  die  Schädigung  liegt,  läßt  sich  nicht  mit 
Bestimmtheit  sagen.  Soviel  ist  sicher,  daß  es  sich  immer  um 
unregelmäßig,  oft  um  überernährte  Kinder  handelt.  Es  könnte 
irgendeine  Stoffwechselstörung  bei  besonders  disponierten  Kindern 
Ursache  dieser  Hauterkrankung  sein  oder  wenigstens  auslösend 
hiezu  wirken. 

\Vas  den  Verlauf  anbelangt,  so  kann  bei  vorsichtiger 
äußerer  Behandlung,  bei  genauester  Regelung  der  Diät  eine  Heilung 
nach  Wochen  oder  Monaten  eintreten  und  die  Haut  wieder  normal 
werden. 

Zirka  ein  Drittel  der  Fälle  erliegt  der  Erkrankung.  Das 
Bild  ändert  sich  dann  insoweit,  als  die  Haut  trockener  wird,  nur 
geringe  Schuppenauflagerung  zeigt,  stark  gerötet  ist  und  von  un¬ 
zähligen  feinen  Rhagaden  durchzogen  ist.  Unter  hochgradiger 
Abmagerung  und  schweren  Darmerscheinungen  tritt  der  Exitus 
ein.  Pathologisch-anatomisch  ließen  sich  bis  auf  parenchymatöse 
Degeneration  der  Organe  keine  nennenswerten  Veränderungen 
finden. 

Diskussion  zum  Vorträge  des  Prim.  Dr.  Latz  ko: 
Die  chirurgische  Therapie  des  P  ue  r  p  e  r  al  p  r  o  ze  s  s  es. 

Primararzt  Dr.  J.  Fab  ri  eins;  Das  Thema,  das  Herr 
Kollege  L  a  t  z  k  o  besprochen,  ;ist  so  außerordentlich  interessant 


und  das  Material,  das  ihm  zu  Gebote  stand,  ein  so  großes,  daß 
wir  alle,  die  wir  mit  diesen  Erkrankungen  zu  tun  haben,  seinem 
Vortrage  mit  großem  Interesse  folgten.  Wenn  mir  bei  dem  großen 
Material,  das  mir  immer  zur  Verfügung  stand,  gerade  puerperale 
Infektionen  seltener  unterkamen,  so  war  dies  kein  Grund,  um 
nicht  in  dieser  Hinsicht  auch  Versuche  anzustellen.  Meine  Er¬ 
fahrungen  docken  sich  wohl  mit  der  anderer  Fachkollegen.  Handelt 
es  sich  um  Zersetzungsprodukte,  also  um  saprämische  Zustände 
im  Uterus,  wie  solche  häufig  nach  Abortus  oder  nach  einem 
Partus  Vorkommen,  so  kann  man  durch  die  Ausräumung  und 
tüchtige  Auswaschung  des  Uterus  einen  glänzenden  Erfolg  er¬ 
zielen.  Ist  aber  eine  septische  Infektion  des  Uterus  bereits  vor¬ 
handen,  so  kann  man  die  Infektionskeime  aus  den  Lymphbahnen 
oder  aus  den  thrombosierten  und  infizierten  Venen  nicht  mehr 
horausbekommen,  es  wird  in  solchen  Fällen  selbst  mit  einer 
energischen  Auskratzung  nicht  nur  nichts  genützt,  sondern  nur 
geschadet.  Die  Idee,  einen  infizierten  Uterus  durch  Totalexstir¬ 
pation  zu  entfernen  in  der  Hoffnung,  damit  auch  die  Infektions- 
keimo  aus  dem  Körper  zu  einer  Zeit  zu  beseitigen,  wo  der  ganze 
Körper  noch  nicht  mit  solchen  überschwemmt  ist,  ist  ja  keine 
ganz  neue,  die  Methode  wurde  aber  nur  wenig  geübt.  Leider  sind 
die  Hoffnungen,  die  man  anfangs  in  diese  Operation  setzte,  nicht 
in  Erfüllung  gegangen  und  so  erklärt  es  sich  auch,  daß  nur 
wenige  Kollegen  Totalexstirpationen  septisch  infizierter  Uteri  aus¬ 
führten.  Es  sollte  daher  jeder,  der  in  dieser  Hinsicht  Erfahrungen 
gesammelt,  dieselben  bekanntgeben.  Im  Jahre  1895,  also  schon 
vor  zwölf  Jahren,  machten  wir  im  Maria-Theresia-Hospital  eine 
solche  Operation.  Es  kam  damals  eine  38jährige  Kranke  hin, 
welche  zehnmal  geboren  hatte,  jetzt  wieder  im  dritten  Monat 
gravid  war  und  Blutungen  hatte.  Die  Untersuchung  ergab  ein 
kleines  Karzinom  an  der  Portio.  Am  23.  Januar  1895  wurde  ein 
kleines  Stückchen  zur  mikroskopischen  Untersuchung  exzidiert, 
am  24.  Januar  erfolgte  unter  starken  Blutungen  der  Abortus,  das 
Ei  mußte  mit  der  Schulze  sehen  Löffelzange  entfernt  werden, 
dann  wurde  das  Kürettement  angeschlossen  und  eine  gründliche 
Ausspülung  mit  Lysol  gemacht. 

Am  25.  Januar  erfolgte  abends  ein  Temperaturanstieg  auf 
38'3,  in  den  nächsten  Tagen  bis  39  und  darüber,  die  Zunge  war 
trocken  und  belegt.  Am  28.  Januar  wurde  bei  der  ausgesprochenen 
septischen  Infektion  der  Versuch  gemacht,  durch  Totalexstirpation 
der  Gebärmutter  per  vaginam  die  Infektions(iuelle  zu  entfernen 
und  dadurch  die  Patientin  möglicherweise  zu  retten.  Nach  ge¬ 
ringem  Abfall  der  Temperatur  am  Operationstage  stieg  dieselbe 
bald  wieder  an  und  unter  Bildung  von  Metastasen  starb  Pat.  am 
1.  Februar  1895. 

Die  Sektion  ergab  Pyaemia  metastatica,  vereiternde  Infarkte 
in  den  Nieren  und  in  der  Milz,  frische  serös  eitrige  Peritonitis, 
eitrige  Gonitis  dextra,  akuter  Milztumor,  parenchymatöse  De¬ 
generation  der  Leber  und  der  Nieren.  An  der  Operationsstelle  in 
den  Venen  und  Arterien  frische  schwarzrote  Thromben. 

Dieser  Fall,  den  ich  damals  für  einen  relativ  günstigen 
gehalten,  hatte  mich  abgeschreckt,  in  dieser  Hinsicht  weitere 
Versuche  zu  machen. 

Was  die  Unterhiudung  oder  Exstirpalion  der  Venen  bei 
Puerperalprozessen  anbelangt,  so  habe  ich  tla  auch  einmal  frei¬ 
lich  in  einem  nngünstigen  Falle  einen  schüchternen  Versuch 
gewagt.  Es  handelte  sich  damals  um  eine  32jährige  Palientin, 
welche  im  fünften  Monate  der  Gravidität  abortiert  hatte.  Es 
mußte  damals  vom  Hausarzte  die  Plazenta  gelüst  werden.  Die 
Patientin  bekam  bald  darauf  Fieber,  sowie;  Schüttelfröste  und 
wurde  in  diesem  Zustande  sechs  Wochen  si)äter  zu  mir  in  das 
Spital  gebracht.  Bei  tier  Aufnahme  fand  ich  den  Uterus  kaum  ver¬ 
größert,  das  rechte  Parametrium  etwas  dicker,  auch  fühlte  man 
am  oberen  Beckenrande,  gegen  die  Niere  zu  ziehend,  eine  Re¬ 
sistenz,  der  rechte  Fuß  war  etwas  geschwollen.  Einige  Tage  nach 
der  Aufnahme  nahm  ich  die  Inzision  ties  rechten  Parametriums 
vor,  entleerte  alter  nur  ungefähr  einen  Löffel  voll  einer  trüben 
Flüssigkeit.  Das  Fieber  blieb  fortbestehen,  ebenso  die  Schüttel¬ 
fröste,  die  immer  häufiger  einsetztmi.  Da  ich  den  Fall  sehr 
ungünstig  aiisah,  ersuchte  ich  auch  Herrn  Priv.-Doz.  Dr.  Türk, 
die  Blut-,  sowie  auch  die  interne  Untersuchung  vorzunehmen. 
Mit  Rücksicht  auf  die  auch  von  ihm  ungünstig  gestellte  Prognose 
entschloß  ich  mich,  als  ultimum  refugium  die  Laparotomie  zu 
machen,  die  ich  attch  am  5.  November  1904  im  Diakt)nissen- 
hause  vtumahm.  Diese  ergab,  tlaß  das  rechte  Parametrium  ziem¬ 
lich  frei  war  bis  auf  die  hleistiftdicken  beiden  Venae  spermaticae, 
die  ich  fast  bis  zur  Eimnüntlungsstelle  in  die  Cava  exstirpierto. 
Die  Venen  waren  thrombosiert.  Die  bakteriologische  l  ntersuchung 
der  Venen,  die  von  Prof.  Ghon  vorgenommen  wurde,  ergab  die 
Anwesenheit  von  Gram-positiv  färbbaren  Kokken  vom  lypus  des 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


Nr.  21 


Stai)l)ylococciis  pyogenes  imd  Gram-positive  Bazillen.  Die  Schüttel¬ 
fröste  l)ehie]t  Pat.  auch  nach  der  Operation.  Vier  Tage  später 
starl)  sie.  Die  Obduktion  ergab  eine  eitrige  Endometritis,  Thrombo- 
})blebitis  der  i-cchtsseiligen  Beckenvenen,  der  Vena  iliaca  umt 
femoralis  bis  zum  oberen  Drittel  des  Oberscbenkels,  der  Vena 
cava  inferior  bis  zur  Einmündungsstelle  der  Lebervene,  ferner 
alle  anderen  Befunde  septischer  Infektion. 

Es  war  also  auch  in  diesem  Falle  mit  der  Beseitigung  der 
Venae  spermaticae  gar  nichts  geleistet,  wenn  wir  bedenken,  daß 
die  ganze  Vena  iliaca  externa  bis  zur  Cava  hinauf,  die  Vena 
femoralis  und  zahlreiche  Seitenstämme  mit  vereiterten  Thromben 
ei'füllt  waren.  Ebensowenig  erwarte  ich  von  der  einfachen  Ab¬ 
bindung  und  der  von  Latz  ko  vorgeschlagenen  erweiterten 
Operation,  weit  man  alle  infizierten  Venen  nicht  entfernen  kann. 
Ich  habe  selbst  einen  ganz  ähnlichen  Fall  auf  meiner  Abteilung; 
wie  der  oben  erwähnte  ist.  Es  hatte  sich  bei  der  Patientin  ein  Ex¬ 
sudat  nacb  einer  wegen  Abortus  vorgenommenen  ExkochleatioTi 
<mtwickelt.  Das  Exsudat  hat  sich  langsam  aüfgeisaugt.  Zwei 
.Monate  lang  hatte  sie  gefiebert.  Jetzt  hat  sich  eine  septische 
Thrombose  in  der  Vena  iliaca  und  femoralis  gebildet.  Von  Zeit 
zu  Zeit  treten  Schüttelfröste  lind  septische  Diarrhöen  auf,  ebenso 
besteht  eine  Purpura  haemorrhagica.  In  letzter  Zeit  werden  die 
Schüttelfröste  seltener  und  von  kürzerer  Dauer  und  ich  halle 
es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  diese  Patientin,  die  jetzt  in  der 
Zwischenzeit  nonnale  Temperaturen  hat,  vielleicht  doch  ihre  In¬ 
fektion  überstellt. 

^\^as  endlich  die  Behandlung  der  Peritonitis  anbelangt,  so 
gehöre  ich  gerade  zu  jenen,  welche  bei  schweren  Peritonitiden 
ziemlich  radikal  Vorgehen.  Ich  habe  diese  Metliode,  seitdem  ich 
sie  im  September  1896  zum  erstenmal  ausführte,  wiederholt  ge¬ 
macht  und  glaube  aueb,  manche  Kranke  auf  diese  Weise  gerettet 
zu  haben.  Sie  besteht  darin,  daß  ich  hei  Peritonitis  mit  einer 
langen  Inzision  die  B  a  u  c  h  h  ö  h  1  e  e  r  ö  f  f  n  e,  den  Ei  t.cr  weg¬ 
wische  und  Gaze  in  die  Bauchhöhle  lege  und  diese  at)er  nicht 
wieder  teilweise  schließe,  sondern  ganz  offen  lasse.  Ich 
sorge  natürlich  dafür,  daß  ich  nicht  die  ganze  Bauchhöhle  infiziere, 
wie  dies  durch  das  Auswaschen  leicht  ge'schehen  kann.  Die 
Sekretion  ist  am  ersten  und  zweiten  Tage  eine  so  starke,  daß 
die  großen  Verbände  ganz  durchtränkt  sind.  Ich  habe  dabei  nie 
einen  Vorfall  der  Därme  beobachtet,  weil  diese  ohnehin  paretisch 
sind.  Diese  IMethode  führte  ich  damals  zuerst  liei  einer  fünf  Monate 
graviden  Frau  aus,  welche  ich  wegen  einer  schweren  Peritonitis, 
durch  Perforation  einer  Pyosalpinx  bedingt,  operierte.  Der  gute 
Ausgang  veranlaßte  mich,  dieses  Verfahren  seither  oft  anzuwenden.. 

Ob  man  in  jedem  Falle  einer  beginnenden  Peritonitis,  wie 
dies  Latz  ko  wünscht,  gleich  die  Laparotomie  machen  soll,  weiß 
ich  nicht.  Es  gibt  manche  stürmisch  beginnende  Pelveoperitonitis, 
die  doch  gut  alisgeht,  ohne  daß  man  gleich  operiert.  Ich  glaube, 
daß  er  in  der  Indikation  der  operativen  Behandlung  der  Peri- 
tonilis  zu  weit  geht  und  daß  man  durch  das  zu  frühe  operative 
Eingehen  aus  mancher  zirkumskripten  Peritonitis  eine  diffuse 
macht.  Bezüglich  der  Inzision  der  zirkumskripten,  ahgesackten 
Peritonitis  vertrete  ich  schon  seit  vielen  Jahren  seinen  Standpunkt. 

Doz.  Dr.  H  a  1  b  a  n  :  Die  chirurgische  Behandlung  der 
septischen  Puerperalprozesse  hat  zwei  große  Schwierigkeiten : 
die  Indikationsstellung  und  die  Technik  der  Operation.  Die 
Indikationsstellung  für  einen  operativen  Eingriff  ist  deshalb  so 
schwer,  weil  wir  in  der  Regel  nicht  in  der  Lage  sind,  eine 
sichere  Prognose  zu  stellen.  Die  hoffnungslosesten  Puerperal¬ 
prozesse  können  nach  wochen-  und  sogar  nach  monatelangem 
Fieber  ausheilen  und  es  sind  Fälle  bekannt,  in  denen  selbst 
nach  75  Schüttelfrösten  Spontanheilung  zustande  kam.  Wenn  wir 
einmal  eine  absolut  ungünstige  Prognose  zu  stellen  in  die 
Lage  kommen,  dann  bandelt  es  sich  schon  um  einen  Zustand  in 
den  letzten  Stadien,  in  welchen  an  einen  erfolgreichen  chirur¬ 
gischen  Eingriff  überhaupt  nicht  mehr  gedacht  werden  kann. 
Sonst  aber  fehlt,  wie  ja  auch  der  Herr  Vortragende  hervorgehoben 
hat,  jede  Möglichkeit,  um  festzustellen,  daß  eine  Operation  u  n- 
bedingt  nötig  erscheint.  Daher  wird  die  Indikationsstellung 
unter  den  jetzigen  Verhältnissen  immer  nur  eine  ganz  subjektive 
sein.  Aus  diesem  Grunde  aber  wird  wohl  auch  der  Gedanke  des 
Herrn  Vortragenden,  eine  Frühoperation  in  jedem  Falle  zu  pro¬ 
pagieren,  „der  ein  bis  zwei  Tage  lang  konstant  Temperaturen  von 
39_  bis  40“  oder  darüber  aufweist  oder  überhaupt  nach  48.  Stunden 
keine  entschiedene  Wendung  zum  besseren  zeigt“  in  der  Praxis 
wohl  wenige  Anhänger  finden.  Der  Vergleich  mit  der  Appendi¬ 
zitis  und  den  glänzenden  Erfolgen  ihrer  Frühoperation  ist  deshalb 
nicht  zutreffend,  weil  bei  dieser  die  Operation  im  frühen  Stadium 
einfach  und  sehr  wenig  gefährlich  ist,  während  der  chirurgische 
Eingriff  bei  den  puerperalen  Prozessen  ein  schwerer  ist  und 
gewiß  in  vielen  Fällen  die  Prognose  nicht  verbessern,  sondern 


geradezu  verschlechtern  dürfte.  Ich  will  dabei  die  Fälle  von 
Peritonitis  aus  dem  Spiele  lassen  und  nur  von  der  Behandlung 
der  Metrophlebitis,  speziell  von  der  dabei  geübten  Venenunter¬ 
unterbindung  sprechen. 

Gerade  diese  Frage  interessiert  ja  momentan  die  Gynäko¬ 
logen  aufs  höchste  u.  zw.  schon  mit  Rücksicht  auf  die  guten 
Erfolge,  welche  die  Otologen  auf  verwandten  Gebieten  erzielen. 
Zur  Entscheidung  der  Frage  aber,  ob  überhaupt,  auch  in 
späteren  Stadien,  diese  Operation  ausgeführt  werden  soll,  müssen 
wir  erstens  überlegen,  ob  die  theoretischen  Voraussetzungen  für 
einen  Erfolg  dabei  gegeben  sind,  zweitens  ob  die  bisher  mit 
diesen  Methoden  erzielten  Resultate  zur  Nachahmung  ermuntern, 
ln  ersterer  Hinsicht  ist  es  vor  allem  nötig,  die  Art  des  operativen 
Eingriffes  selbst  ins  Auge  zu  fassen. 

Der  Herr  Vortragende  schließt  sich  bei  seinen  chirurgischen 
Eingriffen  zum  Teil  dem  Vorschläge  von  B  u  m  m  an,  in  Fällen 
von  Metrophlebitis  die  Vena  iliaca  und  die  Vena  spermatica  trans¬ 
peritoneal  abzubinden,  d.  h.  er  sucht  nach  Eröffnung  des  Ab¬ 
domens  die  Venen  auf  und  ligiert  sie  oberhalb  des  Thrombus,  in 
der  Hoffnung,  einerseits  die  Weiterverschleppung  des  septischen 
Alaterials  durch  die  Blutbahn  zu  verhindern,  anderseits  das 
Weiterwachsen  des  Thrombus  unmöglich  zu  machen. 

Es  ist  nötig,  daß  wir  bei  dieser  Frage  ganz  klar  und 
nüchtern  überlegen,  was  durch  die  einfache  Abbindung  zu  erreichen 
ist.  Hiezu  erscheint  es  wieder  erforderlich,  die  Verhältnisse  zu  be¬ 
trachten,  wie  sie  bei  vollständiger  Thrombose  und 
bei  wandständiger  Thrombose  vorliegen.  In  ersterem 
Falle  wird  durch  die  Abbindung  der  Venen  eigentlich  nichts  ge¬ 
wonnen,  denn  die  Zirkulation  sistiert  ohnehin  und  eine  Ver¬ 
schleppung  des  septischen  Materials  —  abgesehen  von  der 
Embolie  —  kommt  infolgedessen  nicht  in  Betracht.  Ein  Weiter¬ 
wachsen  des  Thrombus  nach  aufwärts  findet  nicht  statt,  solange 
der  septische  Thrombus  durch  einen  aseptischen  abgeschlossen 
ist.  Ist  aber  das  Material  sehr  virulent,  so  wird  dieser  aseptische 
Thrombus  infiziert  und  zur  Ausdehnung  der  Thrombose  führen. 
In  diesem  Falle  hilft  aber  die  Ligatur  auch  nichts,  denn  die  bei 
einem  septischen  Thrombus  immer  gleichzeitig  mitbestehende 
Phlebitis  wird  durch  die  Ligatur  selbstredend  nicht  aufgehalten, 
sondern  kann  sich  ohne  weiteres  jenseits  der  Ligatur  fortsetzen 
und  hier  wieder  Anlaß  zur  Bildung  eines  neuen  septischen 
Thrombus  geben,  der  dieselben  Gefahren  —  auch  die  der  Embolie 
—  besitzen  wird,  wie  der  Thrombus  unterhalb  der  Ligatur. 
Daraus  geht  hervor,  daß  bei  obturierender  Thrombose  ein  Erfolg 
durch  die  reine*  Abbindung  überhaupt  nicht  zu  erwarten  ist. 

Besteht  ein  wandständiger  Thrombus,  so  kann  durch 
die  Ligierung  der  Venen  die  Zirkulation  unterbrochen  und  eine 
Metastasierung  auf  dem  Wege  der  Venen  hintan  gehalten  werden. 
Dies  bedeutet  immerhin  scheinbar  einen  Erfolg.  Derselbe  wird 
aber  wesentlich  geschmälert,  wenn  wir  an  das  weitere  Verhalten 
denken.  Es  wird  nämlich  nach  der  Ligierung  aus  der  wand¬ 
ständigen  Thrombose  eine  komplette,  der  Thrombus  wird  in  der 
Regel  infiziert  werden  und  die  begleitende  Phlebitis  sich  auch 
wieder  über  die  Ligatur  hinaus  ausbreiten  können.  Dadurch  wird 
aber  jenseits  der  Ligatur  wieder  der  Grundstock  zu  einer 
eitrigen  Thrombose  gegeben  werden.  Die  Gefahr  liegt  eben  in 
der  Ausdehnung  der  Phlebitis.  Wenn  wir  diese  Gefahr  ver¬ 
meiden  wollen,  so  genügt  nicht  die  einfache  Ligatur,  sondern 
wir  müssen  die  Venen  doppelt  unterbinden  und  durch¬ 
trennen. 

Aber  selbst  wenn  durch  die  Durchtrennung  der  Venen  das 
Fortschreiten  der  Phlebitis  ausgescbaltet  ist,  ist  doch  nur  halbe 
Arbeit  getan.  Denn  der  bereits  bestehende  septisch  infizierte 
Thrombus  bleibt  in  der  Vene  zurück  und  wird  nach  wie  vor 
einen  in  der  Tiefe  gelegenen  septischen  Herd  darstellen,  der 
eitrig  zerfallen  und  Zellgewebsentzündungen  und  Peritonitis  er¬ 
zeugen  kann,  von  dem  aber  unter  allen  Umständen  septische 
Produkte  auf  dem  Wege  der  Lymphbahn  in  den  Organismus 
gelangen  werden,  welche  die  schweren  septischen  Erscheinungen 
weiter  unterhalten  können. 

Daher  erscheint  selbst  die  Durchtrennung  der 
Venen  nach  der  Unterbindung  nichtausreichend. 
Sie  entspricht  auch  tatsächlich  nicht  den  allgemeinen  chirur¬ 
gischen  Regeln.  Ein  wahrer  Erfolg  wird  nur  dann  zu  erwarten 
sein,  wenn  —  wie  dies  ja  auch  die  Otologen  jetzt  nach  mehr¬ 
fachen  Wandlungen  in  ihren  Fällen  machen  —  die  thrombo- 
s i e r t e n  V  e n e n  nach  p e r i p h e r e r  A  b b i n d u n g  und  Durch¬ 
trennung  eröffnet  und  nach  Entfernung  des  sep¬ 
tischen  Thrombus  d  ruiniert  werden. 

Mit  der  Präzisierung  dieses  Standpunktes  ist  aber  auch  die 
Technik  der  Operation  gegeben.  Würde  man  nacb  Laparotomie  die 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


septischen  Venen  unterbinden  und  dann  eröffnen,  so  ist  wohl  eine 
Peritonitis  kaum  zu  vermeiden.  Daraus  geht  hervor,  daß  der  trans¬ 
peritoneale  Weg,  wie  er  von  Bumm  angegeben  und  auch  vom  Vor¬ 
tragenden  vertreten  wurde,  für  die  chirurgische  Behandlung  der  sep¬ 
tischen  Venenthrombose  absolut  nicht  empfohlen  werden  kann.  Die 
einfache  Unterbindung  ist  unzureichend,  die  als  zweckmäßig  er¬ 
scheinende  Eröffnung  und  Drainage  nicht  durchführbar,  daher  muß 
ich  den  Standpunkt  vertreten,  daß,  wenn  überhaupt  die  Operation 
indiziert  ist,  sie  rationell  nur  extraperitoneal  vorgenommen 
werden  darf,  weil  nur  auf  diesem  Wege  die  Gefahr  der  Peritonitis  zu 
vermeiden  ist,  welche  durch  eine  sinngemäße  chirurgische  Be¬ 
handlung  —  Ahbindung,  Durchtrennung,  Eröffnung  und  Drainage 
der  Venen  —  bei  transperitonalem  Wege  besteht.  Die  extraperitoneale 
Methode  ist  auch  technisch  durchaus  nicht  schwer  durchführbar. 
Sie  wurde  schon  von  Trendelenburg  allerdings  nur  zur 
Unterbindung  der  Venen  —  gewählt.  Die  Schnittführung  ist 
die,  wie  zur  Darstellung  des  Ureters,  dabei  können  sowohl  die 
Vena  uterina  und  hypogastrica,  als  auch  die  Vena  spermatica  über¬ 
sichtlich  dargestellt  und  chirurgisch  behandelt  werden. 

Ich  gebe  gerne  zu,  daß  theoretische  Bedenken  allein  wie 
ich  sie  gegen  die  einfache  Venenunterbiudung  geäußert  habe 
nicht  maßgebend  wären,  um  gegen  diesen  Eingriff  Stellung  zu 
nehmen,  wenn  die  bisher  erzielten  Erfolge  sehr  günstige  wären. 
Dies  ist 'aber  nicht  der  Fall,  denn  wenn  wir  die  in  der  Literatur  be¬ 
kannt  gewordenen  Fälle  zusammenziehen,  so  ergibt  sich  die  außer¬ 
ordentlich  hohe  Mortalität  von  70  Io  nach  diesem  Eingriffe.  Die 
Mortalität  der  konservativ  behandelten  Fälle  schwerer 
Puerperalerkrankungen  beträgt  aber  nach  den  Angaben  des  Herrn 
Vortragenden  selbst30''/o.  W^ennich  auch  diese  Fahlen  bei  der  geringen 
Menge  der  Fälle  nicht  als  absolut  maßgebend  hinstellen  will,  so  er¬ 
gibt  sich  doch  mit  ziemlicher  Sicherheit,  d  a  ß  von  einer  über¬ 
zeugenden  Wirksamkeit  des  in  Frage  stehenden 
Eingriffes  gewiß  nicht  gesprochen  werden  kann. 
Ich  glaube  daher,  daß  die  Methode  der  einfachen  Venenunterbmdung 

nicht  empfohlen  werden  kann. 

Der  vom  Vortragenden  angegebene  vaginale  Weg  zur 
Eröffnung  der  Venenthromben  wird  wohl  auch  keine  Nachahmer 
finden.  Es  ist  ohne  weiteres  einleuchtend,  daß  da  meist  nur  ein 
kleines  Gebiet  der  infizierten  Venen  eröffnet  wird,  von  einer 
exakten  Arbeit  ist  dabei  keine  Rede,  denn  man  gewinnt  keine 
Vorstellung,  wie  weit  die  Thromben  reichen  und  was  sich  m  den 
höher  gelegenen  Venen  abspielt.  Die  mit  dieser  Methode  ge¬ 
wonnenen  Resultate  sind  wohl  nur  Scheinerfolge,  es  handelte 
sich  offenbar  um  Fälle,  welche  auch  ohne  diesen  Ein  griff  ge¬ 


nesen  wären.  .  i.. 

Noch  ein 'wichtiger  Punkt  wäre  in  dieser  Frage  zu  be¬ 
sprechen,  nämlich  wie  man  sich  dem  Uterus  selbst  gegenübea 
verhalten  soll.  Allgemein  chirurgischen  Prinzipien  müßte  es  ent¬ 
sprechen,  daß  man  auch  den  primären  Herd  mzidiert,  respektive 
GxstirpiGrt, 

Es  ist  aber  fraglich  —  und  dies  kann  nur  durch  die  Er¬ 
fahrungen  der  Zukunft  geklärt  werden  ob  diese  Forderung 
auch  für  den  Uterus  zutrifft.  Es  wäre  nämlich  ganz  wohl  denk¬ 
bar  daß  bei  der  Thrombophlebitis  der  Beckenvenen  der  Sitz 
der’  Hauptkrankheit  vom  primär  infizierten  Organ  weg  in  die 
Venen  verlegt  worden  ist  und  daß  nach  Ausschaltung  dieses 
Herdes  der  Organismus  mit  der  primären  Infektion  fertig  wird. 
So  lange  diese  Möglichkeit  nicht  entschieden  ist,  darf  wohl  die 
prinzipielle  Forderung  der  Mitentfernung  des  Uterus  nicht  auf- 

gestellt  werden.  ,  ^T 

Priv.-Doz.  Dr.  Peham.  Meine  Herren!  Der  interessante  Voi- 

trag  des  Herrn  Primarius  L  a  t  z  k  o  enthielt  im  wesentlichen  4  Punkte, 
zu  denen  ich  mir  das  Wort  erbitten  möchte; 

1  Die  Behandlung  der  puerperalen  Peritonitis; 

2.  die  Behandlung  der  Thrombophlebitis  im  Bereiche  des 

parametranen  Plexus ;  i  rr  ♦  i 

3.  die  Behandlung  des  Puerperalprozesses  durch  iotal- 

exstirpation  des  Uterus  und  schließlich 

4.  die  Art  des  den  Ausführungen  des  Vortragenden  zugrunde 


liegenden  Materiales.  .  .  t, 

Latzkohat55  Fälle  von  Peritonitis  im  Puerperium 
operiert  u.  zw.  28  freie,  27  ahgesackte  Peritonitiden,  die  letzteren 
naturgemäß  mit  weit  besserem  Resultate,  23  H  e  i  1  u  n  g  e  n  und 
4  Todesfälle.  Aber  auch  unter  seinen  28  freien  Peritomtisfallen 

sind  9  Heilungen  und  19  Todesfälle. 

Während  die  abgesackte  Peritonitis  eine  viel  günstigere 
Prognose  bietet  und  nach  Entleerung  des  Eiters  und  Drainage 
meistens  ein  Abfall  des  Fiebers  und  glatte  Heilung  erfog,  so 
die  puerperale  Allgemeinperitonitis  die  allerschlechteste  F  orm  des 
Puerperalfiebers  vor.  Weitaus  die  größte  Mehrzahl  der  Falle  m  der 
vorantiseptischen  geburtshilflichen  Aera  ist  dieser  orm  cs 


Puerperalfiebers  erlegen.  Diese  Peritonitis  setzt  meistens  in 
den  allerersten  Tagen  oft  Stunden  post  partum 
e  i  n  und  führt  in  der  Regel  in  kürzester  Zeit,  nahezu  a  u  s- 
n a h m s  1  o  s  in  der  e  r  s  t e n  W  o  c h e>  oft  aber  auch  in  den 
ersten  24  Stunden  zum  Tode. 

Wir  sehen  ja  heute  nur  ganz  selten  so  schwere  Formen 
von  Infektion,  bei  welchen  man  am  Obduktionstisch  bei  stärkster 
Darmparese  kaum  eine  nennenswerte  Menge  trüben  serös¬ 
hämorrhagischen  Exsudats  findet,  die  ich  aber  davon  zu  sehen 
Gelegenheit  hatte,  gingen  ausnahmslos,  ob  mit  oder  ohne  Lapa¬ 
rotomie,  zugrunde.  Wohl  zu  unterscheiden  davon 
sind  die  Spätformen  der  Peritonitis  im  Wochen¬ 
bett.  Es  können  im  späteren  Verlaufe  des  Wochenbettes,  be¬ 
sonders  wenn  es  zu  lokalisierten  Prozessen  an  den  Adnexen 
bereits  gekommen  ist,  schwere  peritoneale  Symptome  auf  treten 
und  in  diesen  Fällen  kann  eine  rechtzeitig  ausgeführte  Laparo¬ 
tomie  einen  guten  Erfolg  haben,  wenn  es  auch  gerade  in  solchen 
Fällen  nicht  ganz  selten  spontan  zum  Schwinden  der  peritonealen 
Symptome  kommt  und  ein  Ausgang  in  Heilung  auch  ohne  Lapa¬ 
rotomie  möglich  ist.  . 

Was  aber  die  frühen  Formen  der  puerperalen  Peri¬ 
tonitis  anbelangt,  so  haben  wir  niemals  einen  Erfolg 
von  einer  Laparotomie  gesehen,  mit  Ausnahme  eines 
einzigen  Falles,  wo  es  sich  aber  um  eine  vom  Appendix  aus¬ 
gehende  Peritonitis  gehandelt  hatte. 

Leider  konnte  ich  den  Ausführungen  Latz  kos  nicht 
genau  entnehmen,  wann  post  partum  seine  geheilten  Fälle 
von  Peritonitis  eingesetzt  hatten,  bzw.  operiert  worden  waren,- ob 
es  sich  also  in  seinen  Fällen  um  die  schweren  Frühformen  oder 
um  die  prognostisch  viel  besseren  Spätformen  handelt.  Er  spricht 
zwar,  wenn  ich  richtig  verstanden  habe,  davon,  daß  er  im 
Durchschnitt  in  der  dritten  Woche  post  partum  die 
geheilten  Fälle  zur  Operation  bekam,  demnach 
selbe  den  prognostisch  schon  günstigen  Spät¬ 
formen  angehören,  es  wäre  aber  doch  sein  Er¬ 
folg  von  wesentlicher  Bedeutung,  wenn  unter 
seinengeheiltenFällen  auch  Fälle  von  schweren 
Frühformen  der  Peritonitis  sich  fänden. 

Was  die  Behandlung  der  t  h  r  o  m  b  o  p  h  1  e  b  i  t  i  s  c  h  e  n 
Form  des  Puerperalprozesses  anlangt,  so  gibt  Latz  ko  selbst  zu, 
wie  schwer  es  ist,  in  solchen  Fällen  die  Prognose  zu  stellen  und 
jedem  von  uns  sind  ja  genügend  Fälle  bekannt,  wo  die  Er- 
kitinkiing  trotz  Gincr  GnoriiiGn  Anzahl  von  SchüttGlfröston  und 
monatelanger  Dauer  schließlich  in  Heilung  überging. 

Was  die  Methode  der  Unterbindung  der  thrombosierten 
Venen  anlangt,  so  möchte  ich  hier  in  Uebereinstimmung  mit 
Kollegen  Hai  ban  entschieden  der  T  r  e  n  d  e  1  e  n  b  u  r  g  s  den 
Vorzug  geben,  die  eine  entsprechende  Uebersicht  gestattet, 
während  L  a  t  z  k  o,  wie  er  selbst  sagt,  nur  dem  Tastsinne 
folgend,  mit  Fingern  und  Schere  die  Venen  exstirpierte  oder 
zerriß.  ’  Uebrigens  hat  ja  L  a  t  z  k  o  seine  Methode  nur  viermal 
angewendet  und  darunter  dreimal  einen  letalen  Ausgang  erlebt. 

EbGiisowGnig  bofriGdigGiid  sind  die  FällG^  wo  Latz  ko 
wegen  puerperaler  Infektion  den  Uterus  ex  stir  pier  t.  Die 
Schwierigkeiten  der  Indikationsstellung  zu  diesem  Eingriff  sind 
wiederholt  erörtert  und  auch  von  Latzko  neuerlich  betont 
worden.  Solange  die  Infektion  auf  den  Uterus  beschränkt  ist,  i^ 
das  Krankheitsbild  häufig  kein  so  schweres  und  kann  man  sich 
da  in  der  Regel  nicht  dazu  entschließen,  hei  einer  jugendlichen 
Kranken  sofort  den  Uterus  zu  exstirpieren.  Nimmt  aber  die 
Krankheit  einen  bedrohlichen  Charakter  an,  so  kommt  man  dann 

auch  meistens  zu  spät.  r,  i 

Die  Indikationsstellung  zur  Exstirpation  mit  der  Forderung 
der  Frühoperation  bei  Appendizitis  zu  vergleichen,  scheint  mir 
vor  allem  aus  zwei  Gründen  ganz  unzulässig.  Erstlich  handelt  es 
sich  um  ganz  verschiedenwertige  Organe,  und  dann  furchtet 
der  Chirurg  nicht  nur  den  lokalisierten  Krankheitsherd  und  die 
Resorption  von  Toxinen,  sondern  in  erster  Lime  eine  Perforaüon 
des  zarten  Darmanhangs  und  damit  die  Möglichkeit  einer 
Kommunikation  zwischen  Darm  und  Peritonealraum,  was  beim 

Uterus  wohl  kaum  vorkommt.  . 

Latzko  hat  fünfmal  die  Operation  vorgenommen,  drei 

Patienten  starben,  zwei  genasen.  .  u  •  4. 

Bei  den  beiden  nach  der  Operation  G  e  n  e  s  e  n  e  n  scueint 
in  einem  Falle  die  Operation  gar  keinen  Einilul 
auf  das  Krankheitsbild  gehabt  zu  haben.  , 

Sie  hatte,  wie  Latzko  erwähnte,  nach  dem  Eingriffe  noch 
30  Schüttelfröste,  und  mußte,  wenn  die  Angaben  der  Patientin 
richtig  sind  —  sie  war  zufällig  vor  kurzem  an  unserer  Klinik 
sich  nach  der  Totalexstirpation  noch  zwei  großen  opera¬ 
tiven  Eingriffen  unterziehen  —  wovon  auch  eine 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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nijsgedelinto  Laparotomienarbe  vorhaiulen  ist  —  und  war  erst 
7‘/o  Monate  nach  der  Totalexstirpation  genesen. 

Wenn  ich  aus  den  vielen  Hunderten  von  Puerperalfieber¬ 
fällen,  die  ich  im  Laufe  der  letzten  neun  Jahre  bei  einer  Geburten¬ 
zahl  von  über  30.000  an  der  Klinik  C  h  r  o  b  a  k  zu  sehen 
Gelegenheit  hatte,  die  vier  Jahre  überblicke,  die  B  neu  ras  im 
Archiv  für  Gynäkologie  veröffentlichten  Arbeit  zugrunde  liegen 
lind  von  diesen  nur  die  schweren  Fieberfälle  heraus¬ 
greife,  so  sind  das  471  Fälle,  also  zufällig  die  gleiche  Anzahl, 
wie  die,  über  welche  L  a  t  z  k  o  berichtet  hat,  m  it  40  T  o  d  e  s- 
fällen,  das  sind  8'49“/o.  Teilt  man  die  Fälle  in  zwei  Gruppen, 
die  eine  vor  Einführung  der  Serumtherapie,  die  zweite  nach  An¬ 
wendung  des  Pal  tauf  sehen  Serums,  so  ergibt  das  225  Fälle 
m  it  27  Todesfällen  und  240  Fälle  mit  13  Todes¬ 
fällen  nach  Einführung  der  Serumtherapie,  127o  gegen  ö'28“/o. 

Gerade  die  letztgenannte  Gruppe  der  Jahre  1903  und  1904 
eignet  sich  zu  einem  Vergleiche  mit  dem  Material  des  Wiedener 
Krankenhauses,  weil  wir  zu  dieser  Zeit  gerade  die 
schwersten  Fälle  vonPuerperalficberbei  außer¬ 
halb  der  Anstalt  e  n  t  b  u  n  d  e  n  en  Frauen  a  u  f  n  a  h  m  e  n, 
um  uns  über  die  Wirksamkeit  des  Serums  gerade 
in  diesen  s ch w e r s t e n  F ä  1 1  e n  e i n  B i  1  d  zu  verschaffen. 

Im  übrigen  besteht  unser  Material  zum  größten  Teil  aus 
in  der  Anstalt  entbundenen  Frauen,  die,  wenn  auch  in  großer 
Zahl  vor  der  Geburt  hoch  fiebernd  überbracht,  doch  vielleicht 
nicht  ein  so  vernachlässigtes  Material  darstellen,  wie  die  in 
Latzkos  Abteilung  eingelieferten.  Dafür  rechnet  aber 
Latzko  zu  seinen  470  Puerperalfällen  117  in¬ 
komplette  A  b  o  r  t  u  s  f  ä  1 1  e  mit  rascher  Entfie¬ 
berung  nach  Entleerung  des  Uterus,  ferner  42  Fälle, 
die  nur  Temperaturen  bis  unter  38‘5  hatten,  die  Parametri- 
tiden  und  sonstige  lokalisierte  Prozesse.  Wieviel  die  An¬ 
zahl  dieser  Fälle  beträgt,  konnte  ich  den  Ausführungen 
L  a  t  z  k  o  s  nicht  entnehmen.  Trotz  Hinzurechnung  all 
dieser  leichterenFälle,  die  bei  unserem  Material 
nicht  enthalten  sind,  betrug  die  Mortalität  bei 
L  a  t  z  k  o  s  Material  —  auf  470  Fälle  112  Todesfälle  gegen 
40  unserer  Klinik  —  d.  h.  23.82“/o  gegen  8'49”/o,  bzw.  nach  der 
Einführung  des  Serums  5'28®/o.  Der  Unterschied  der  Mortalität 
L  a  t  z  k  o  s  gegenüber  der  an  unserer  Klinik  ist  demnach  ein 
ganz  enorm  großer,  wobei  noch  immer  betont  werden  muß,  daß 
ja  unter  seinem  Materiale  ein  sehr  bedeutender  Prozentsatz  von 
leichten  Puerperalfieberfällen  sich  befindet. 

Wir  dürfen  daher,  glaube  ich,  so  anerkennenswert  auch  die 
Bestrebungen  L  a  t  z  k  o  s  sind,  den  traurigen  Fällen  von  Puerperal¬ 
fieber  auf  operativem  Wege  beizukommen,  nach  den  bisher  mit¬ 
geteilten  Resultaten  uns  nicht  zu  großen  Erwartungen  hingeben. 

Prof.  Dr.  K.  A.  Herzfeld:  Wenn  ich  zu  dieser  Diskussion 
das  Wort  ergreife,  so  geschieht  es,  weil  mir  scheint,  daß  Dinge 
zusammengeworfen  wurden,  die  wohl  nicht  zusammengehören. 
Jeder  Geburtshelfer  wird  es  mit  Freuden  begrüßen,  wenn  es  uns 
gelänge,  in  solchen  Fällen  von  Puerperalprozeß,  denen  wir  bisher 
therapeutisch  ziemlich  machtlos  gegenübergestanden,  rettend  ein- 
greifen  zu  können.  Ein  solches  Verfahren  zu  finden,  ist  das  Be¬ 
streben  des  Vortragenden.  Ob  es  ihm  gelingen  werde,  wird  erst 
die  Zukunft  lehren.  Ich  will  mich  zu  der  Frage  der  Unterbindung 
und  Exstirpation  thrombotischer  Venenplexusse  vorläufig  nicht 
äußern  und  nur  zur  Frage  der  chirurgischen  Behandlung  der 
Peritonitis  puerperalis  Stellung  nehmen.  Der  Vergleich  -  einer 
durch  Perforation  eines  Hohlorganes  entstandenen  Peritonitis, 
wie  sie  die  Chirurgen  derzeit  mit  Erfolg  aktiv  angehen,  mit  einer 
durch  einen  Puerperalprozeß  erzeugten  Peritonitis  stimmt  nicht, 
wenigstens  nicht  in  der  Mehrzahl  der  Fälle.  Bei  der  Perforativ- 
peritonitis  erfolgt  die  Aussaat  der  pathogenen  Keime  in  das 
vorher  integre  oder  nahezu  integre  Peritoneum,  die  Erkrankung 
nimmt  hier  ihren  Ausgang  und  es  kann  daher  dem  raschen  Ein¬ 
greifen  des  Chirurgen  gelingen,  Rettung  zu  bringen  und  die  Fälle 
der  Heilung  durch  eine  rasche  Eröffnung  der  Peritonealhöhle 
mehren  sich.  Bei  der  puerperalen  Peritonitis  sind  die  Verhält¬ 
nisse  anders.  Infolge  einer  Infektion  vom  Genitaltrakte  her  ent¬ 
steht  eine  Lymphangioitis  im  Bereiche  der  Becken-  und  Bauch¬ 
höhle,  die  sich  oft  genug  auch  bis  in  die  Pleurahöhle  erstreckt. 
Die  sich  anschließende  Peritonitis  stellt  den  Schlußakt  der  Tragödie 
dar.  In  solchen  Fällen  ist  die  Peritonitis  bloß  ein  Symptom  der 
schweren  septischen  Erkrankung.  Nicht  die  Peritonitis  tötet  die 
Kranke,  sondern  der  schwere  Allgemeinprozeß,  dessen  Zerstörungs¬ 
werk  durch  die  Peritonitis  angezeigt  wird.  In  solchen  Fällen 
verspreche  ich  mir  nicht  viel  von  einer  chirurgischen  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  und  alle  derartigen  Fälle,  in  denen  ich  als  letzten 
Hettungsver.such  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  vornahm,  haben 
bald  nach  dem  Eingriffe  letal  geendigt.  Ich  gebe  zu,  vielleicht 


deshalb,  weil  eben  der  Eingriff  erst  im  letzten  Stadium,  als 
„letzter  Rettungsversuch“  unternommen  wurde.  Dagegen  kann  wohl 
erwartet  werden,  daß  in  solchen  Fällen,  wo  die  Peritonitis  von 
der  Tubenschleimhaut  fortgeleitet,  zur  Entstehung  kommt,  dadurch, 
daß  Eiter  aus  der  Tube  in  die  freie  Bauchhöhle  gelangt,  die 
Peritonitis  gleich  einer  Porforativperitonitis  durch  möglichst  rasche 
Eröffnung  zur  Heilung  gebracht  werden  könnte.  Allerdings  ist 
es  in  vielen  Fällen  schwer,  die  richtige  Diagnose  und  Indikation 
zu  stellen.  So  erinnere  ich  mich  an  einen  Fall,  es  handelte  sich 
um  die  Frau  eines  absolvierten  Mediziners,  die  ich  vor  zehn 
Jahren  gesehen,  mit  den  Zeichen  der  schwersten  Peritonitis.  Ich 
zog  Herrn  Hofrat  Chrobak  zu  Rate,  ob  ich  nicht  doch  zur 
Rettung  der  sicher  verlorenen  Frau  einen  Eingriff  wagen  sollte. 
Hofrat  Chrobak  riet  mir  —  zuzuwarten  und  siehe,  nach  ein 
bis  zwei  Tagen  waren  spontan  alle  bedrohlichen  Zeichen  ge¬ 
schwunden  und  die  Frau  genas  bald.  Anderseits  gibt  es  viele 
Fälle  schwerster  Peritonitis,  die  nahezu  symptomenlos  verlaufen, 
ohne  Fieber,  ohne  Meteorismus,  ohne  Erbrechen.  Die  hohe  Puls¬ 
frequenz  ist  das  einzige  Zeichen  einer  schweren  Erkrankung,  die 
Kranken  sterben  nahezu  bei  vollem  Bewußtsein  und  erst  der 
Anatom  beweist  uns,  daß  eine  septische,  purulente  Peritonitis 
vorhanden  war.  Da  ist  die  Indikationsstellung  schwer.  Und  nun 
noch  eine  Bemerkung.  Ich  glaube,  daß  Herr  Kollege  P  e  h  a  m  in 
seinen  ausgezeichneten  Aufzeichnungen  einen  Irrtum  begangen, 
wenn  er  das  Material  der  Klinik  Chrobak  mit  dem  der  Ab¬ 
teilung  Latzkos  verglichen.  Das  sind  inkomparable  Faktoren. 
Die  Klinik  kennt  fast  nur  solche  septische  Fälle,  wo  die  Gebärende 
infiziert  eingebracht  worden  und  nach  der  Geburt  die  Zeichen 
des  Puerperalprozesses  zeigt,  der  sich  unter  den  Augen  des 
klinischen  Arztes  entwickelt.  Da  besteht  noch  die  Möglichkeit, 
manche  schwere  Erkrankung  im  Keime  zu  ersticken.  Auf  die 
Abteilungen  kommen  die  schweren  septischen  Fälle,  die  von  der 
Privatpllege  ins  Spital  übergeben  werden,  lange  nach  stattgehabtem 
Partus,  wenn  die  schwere  Erkrankung  bereits  manifest  ist,  in 
desolatem  Zustande  werden  die  Kranken  der  Abteilung  abgeliefert. 
Darum  ist  auch  das  Material  ein  prognostisch  so  ungünstiges. 

Priv.-Doz.  Dr.  Stoerk:  (Bericht  nicht  cingolangt.) 

Prim.  Priv.-Doz.  Dr.  Latzko:  Meine  Herren!  Glauben  Sie' 
ja  nicht,  daß  mich  der  Furor  operativus  dazu  geführt  hat, 
mich  einer  aktiveren,  radikaleren  Therapie  zuzuwenden;  häufiger 
zum  Messer  .zu  greifen  als  früher.  Mich  trieb  etwas  anderes. 
Höheres!  Der  Wille,  dort  noch  zu  helfen,  wo  alles  Uebrige  zu 
versagen  schien.  Wenn  man  in  einer  Woche  fünf  Puor])oral- 
prozesse  an  seine  Abteilung  aufnimmt  und  alle  fünf  in  einer 
Woche  sterlren  sieht,  wie  mir  das  passiert  ist,  so  ist  (las  wohl 
ein  Ereignis,  geeignet,  auch  den  Gleichgültigen  zu  erschüttern. 

Wenn  Pehani  den  Versuch  macht,  mein  Vorgehen  aus 
seinen  Erfahrungen  an  dem  Material  der  Klinik  Chrobak  zu 
beurteilen,  so  muß  ich  ihm  vor  allem  envidern,  daß  unser  beider 
Mateiial  fast  unvergleichbar  ist,  wie  dies  Herzfeld  richtig  her- 
vorliebt.  Nach  Bucuras  Statistik  beträgt  die  Mortalität  aller 
Puerperalprozesse  der  Klinik  Chrobak  —  nur  diese  Zahl  kann 
in  Betracht  gezogen  werden  —  etwas  über  2^U'^h-,  meine  Fälle 
zeigen  die  «•schreckende  Mortalität  von  fast  25”/o.  Zwei  Kranken- 
maleriale  von  so  durchaus  verschiedener  Qualität  stellen  auch 
durchaus  verschiedene  Ansprüche  an  die  Therapie.  Wenn  ich 
im  Kampfe  gegen  das  AVochenbettfieber  zu  heroischeren  Mitteln 
griff  als  meine  A^orredner,  so  war  es  eben  ein  Kampf,  von  dem 
man  sagen  kann:  ad  li’iarios  venit. 

Trotzdem  ist  die  Zahl  der  Operationen,  deren  Indikations¬ 
stellung  ich  als  kontrovers  konzediere,  eine  relativ  kleine.  Es 
handelt  sich  im  ganzen  um  sieb  en  AI  e  tro  p  h  1  e  b  i  t i  s-  und 
f  ü  n  f  R  a  d  i  k  a  1  o  p  e  r  at  i  o  n  e  n  unter  470  Puerperalprozessen.  In 
zahlreichen  der  übrigen  Fälle  kamen  konservative  Methoden  zur 
Anwendung;  in  erster  Linie  Kollargol  und  Pal  ta  u  f  s e r  u  m. 
AA"as  die  Anwendung  des  letzteren  betrifft,  so  hatte  Prof.  Fallauf 
selbst  die  große  Güte,  meine  Krankengeschichten  und  Teinperatur- 
iabellen  einer  genauen  Durchsicht  zu  unterziehen.  Ich  gl  a  u  he, 
er  konnte  sich  dem  Eindrücke  nicht  verschließen, 
daß  ein  Einfluß  des  Serums  auif  den  Amrlauf  des 
AA^  oche n b ett  f  i eb ers  nicht  zu  erkennen  war. 

Es  besteht  hier  ein  Gegensatz  zwischen  den  Ergel)iiissen 
der  Serumbehandlung  an  meiner  Abteilung  und  an  dim  Kliiiilum 
Chrobak  und  Knauer,  der  am  ehesten  aus  der  Verschiedenheit 
unseres  Materiales  zu  erklären  ist. 

Ich  sehe  ja  die  Puei'iieralprozesse  nicht  entstehen  wie  die 
Aerzte  der  geburtshilflichen  Kliniken.  An  meine  Abteilung  kommim 
die  Wöchnerinnen  jin  besten  Falle  am  drittim  oder  vierten  'tage 
der  Erkrankung,  zumeist  aber  viel  siiäter.  Da  nützt  dann  wi'iler 
die  Sleigerung  der  Leukozytose,  noch  die  Zufuhr  von  Atexiiien 
und  Immunkörpern.  Auch  das  DiphUierieheilserum  liilft  nur,  wenn 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


rechtzeitig  angewendet,  und  meine  Pralle  küinnien  —  wenigstens 
für  die  iSeininbehandlnng  —  regelmäßig  zu  ßpät,  ilie  jneisten 
schon  mit  lokalisierten  Ih'ozessen. 

Die  speziellen  Gründe  für  dius  operative  Vorgehen  hahe  ich 
in  meinem  Vortrage  zur  Genüge  auseinandergesetzt.  Wenn  dem¬ 
gegenüber  Bedenken  gellend  gemacht  werden,  die  ich  mit  Rück¬ 
sicht  auf  den  Mangel  an  gesammelten  Erfahrangcn  als  Ihoorelische 
bezeichnen  muß,  so  möchte  ich  dem  doch:  ontgegouhalleu,  daß 
die  Chirurgen  nie  ihre  Erfolge  hei  Appendizitis  erzielt  halten, 
wenn  sie  sich  auf  Ueherlegungen  am  Seziertische,  im  Lahoratorium 
oder  sagen  wir  auch  am  Kranken l)etto  beschränkt  liätten.  Für 
die  Chirurgie  gilt  unbestrilten  das  Dichterwort:  Im  Anfänge  war 
die  Tat.  Nur  am  Operalionslische  kann  man  jene  Erfahrungen 
sammeln,  die  das  Recht  zu  einem  sicheren  Urteile  verleilien. 

Ich  will  ührigens  nicht  der  Diskussion  der  einzelnen  vor¬ 
getragenen  Argumente  aus  dem  Wege  gehen  umt  werde  die  Dis- 
knssionshemerkungen  in  der  Reihenfolge  erörtern,  die  ich  meinem 
Vor  trage  vom  3.  Mai  zugrunde  gelegt  hahe. 

In  bezug  auf  die  Exkochleation  bei  septischer  Endo¬ 
metritis  bat  sich  Fabricius  meinen  Ausführungen  augeschlossen. 
Nachdem  die  anderen  Diskussionsredner  nicht  gegen  dieselben 
Stellung  genommen  haben,  erübrigt  es  sich  wohl,  auf  diesen 
einverständlich  verurteilten  Eingriff  nochmals  einzugehen. 

Bezüglich  der  Radikaloperation  haben  alle  Vori'cdner 
Einwendungen  erhoben.  Fabricius  beurteilt  sie  nicht  günstig 
nach  einer  einzigen  ungünstigen  Erfahrung  aus  dem  Jahre  1895, 
die  sich  auf  eine  Kombination  von  Gravidität  mit  Uteruskarzinom 
bezog.  Der  Fall  ist  an  Peritonitis-  .gestorben,  gehört  ühiägeus 
eben  wegen  seiner  Komplikation  nicht  hieher.  Die  anderen  Herren 
verfügen  zwar  über  keinerlei  persönliche  Erfahrung,  glauben  aber, 
die  Operation  auf  Grund  theoretischer  Erwägnngen  ahlehnen  zu 
müssen.  Schwerer  als  diese  wiegt  wohl  das  Ergebnis  meiner 
Untersuchungen  an  meinem  Leichenmaterial.  Neunmal  unter 
112  Sektionen  ergab  der  Befund  reine  septische  Endo¬ 
metritis,  also  einen  nur  auf  den  Uterus  beschränk¬ 
ten  Prozeß',  ohne  jede  Metastase  oder  sonstige  Kom¬ 
plikation.  Zu  ähnlichen  Resultaten  kam  Arnos  aus  dem^  In¬ 
stitute  V.  Recklinghausens,  der  zweimal  unter  32  Sek¬ 
tionen,  und  T r e u b,  der  z w e i m a  1  u n t e r  34  Sektionen  reine 
puerperale  Endoni'etritis  konstatierte.  In  allen  diesen  Fällen 
hätte  vielleicht  eine  rechtzeitig  ausgeführte  Utorus- 
e  X  s  t  i  r  p  a  t  i  o  n  Heilung  g  e  bracht.. 

Die  Schwierigkeit,  die  „rechte  Zeit“  zu  bestimmeu,  hahe 
ich  selbst  in  meinem  Vortrage  gebührend  betont.  Wenn  ich  aber, 
um  dieser  Schwierigkeit  auszuweichen,  die  Frühoperation  em¬ 
pfahl,  so  hahe  ich  doch  nicht,,  wie  mir  das  Hai  ban  zumutet. 
je  gesagt,  man  solle,  jeden  Puerperalp  rozeßi,  der  an  zwei 
Tagen  38  bis  39'’  zeigt,  operieren,  sondern  ausdrücklich  er¬ 
klärt.,  daßi  i  n  n  e  r  h  a  1  h  e  i  n  e  r  h  e  s  t  i  m  m  t  e  n  k  1  e  i  n  e  n  G  r  u  p  p  e 
die  Fälle,  die  konstant,  d.  h.  acht  bis  zwölf  Stundeii 
lang,  zwei  Tage  b  i  n  d  u  r  c  h  T  'C  m  p  e  r  a  t  u  r  e  n  v  o  n  39  b  i  s  40 
zeigen,  eventuell  zur  Operation  geeignet  seien. 

Ganz  ähnlich  wie  bei  der  septischen  Endometritis  stand 
es  noch  vor  wenigen  Jahren  in  der  Appendizitisfrage.  Auch  die 
Chirurgen  haben  die  Sebwierigkeit  der  Prognose  der  Appendizitis 
bis  heute  nicht  überwunden.  Die  Inkongruenz  zwischen  klimscliem 
Bilde  und  anatomischem  Befunde  ist  eine  noch  in  den  jüngsten 
Publikationen  wiederkehrende  Klage.  Aber  die  Chirurgen  haben 
die  Schwierigkeit,  die  sie  nicht  besiegen  konnlen,  durch  die  Früh¬ 
operation  umgangen.  ...  c-.  'i 

Daß  die  Radikal  operation  (wenigstens  wie  ich  sie  aiistiibrej 

ein  so  wesentlich  gefährlicherer  Eingriff  sei  wie  die  Appendizitis- 
operatioii,  kann  ich  nicht  zugeben.  Keiner  meiner  Fälle  ist  an 
Peritonitis  zugrunde  gegangen.  Diejenigen,  die  gestorben  simt 
sind  gestorben,  nicht  weil  ich  sie  operiert  habe,  sondern  weil 
ich  sic  nicht  mehr  retten  konnte.  Sie  sind  a  m  W  o  c  h  e  n  b  c  1 1- 
fieber  gestorben. 

Wenn  eine  Aeußerung  Pehams  dahin  zu  verstehen  sein 
sollte,  daß  zwischen  der  hohen  Mortalität  meiner  lueipeia- 
prozesse  und  meinen  Operationen  ein  Zusammenhang  hestüiu  e, 
so  müßte  ich  sie  entschieden  zurückweisen. 

Entscheidend  für  das  Schicksal  der  sogenannten  Radikal¬ 
operalion  wird  ausschließlich  die  Frage  sein:  Was  leiisteii  \\n 
den  Kranken?  Diese  Frage  ist  aber  nach  den  hisherigen  j.r- 
fahrungeu  noch  nicht  zu  beantworten.  .  ,  ,  i 

Fast  ebenso  abweisend  wie  gegen  die  eben_  besprochene 
haben  sich  die  Diskussionsredner  gegen  die  Operation  der  puer¬ 
peralen  Pyäniie,  gegen  die  Venenunferhindung  und  -ausraumung 
verhalten. 

Fabricius  sprich!  ihr  keine  C'hance  zu,  weil  ibm  ein 
operierter  Fall  drei  Tage  später  zugrunde  ging,  bei  dem  die 


Sektion  einen  bis  in  die  Vena  cava  reichenden  Thrombus  auf 
deckte.  .Solche  Fälle  sind  eben  inoperabel,  sie  gehen  mit  und 
ohne  Operation  zugrunde. 

11  alb  an  bringt  wieder  eine  Menge  theorelischer  Arguimmle 
gegen  die  bisher  geübten  Methoden  der  Melrophlehilisoperalion 
vor.  Wenn  er  die  transperitoneale  Methode  Biimms  verwirfl, 
so  bitte  ich  ihn,  sich  diesbezüglich  mit  Herrn  Geheimrat  Bumm 
seihst  auseinanderzusetzen,  dem  eine  viel  größere  Erfahrung  zu 
Gebote  steht  als  mir.  Wenn  Halb  an  aber  von  der  exlrapm-i- 
tonealen  Methode  Trendel enhurgs  behauplot,  daß  sic  aus 
den  von  ihm  angeführten  Gründen  nichts  nülzen  könne,  so 
muß  ich  doch  einwenden,  daß  sic  in  Tre nd  e  1  e  n  b  u  r  g s  einem 
chronischen  Falle  trotz  Halban  genülzthat,  indent  die  Schüttel¬ 
fröste  prompt  aufhörten. 

Nun  sagen  die  Herren  Halban  und  P chain  zwar:  das 
sind  Scheinerfolge!  Es  kommen  Fälle  durch,  die  70  und  mehr 
Schüttelfröste  durchgemacht  haben.  Das  gehe  ich  zu.  Ich  hahe 
ja  seihst  rlie  Temperaturkurve  eines  Falles  demonstriert,  der 
nach  zahlreichen  Schüttelfrösten  genas,  und  einen  erwähnt,  der 
mehr  als  60  üherstand.  Das  sind  aber  Ausnahmen,  die  mau 
sich  merkt,  weil  sie  eben  so  selten  Vorkommen. 

Wenn  so  wie  im  Falle  Trend  elenhur gs  und  in  so  und 
so  viel  anderen  nach  der  Operation  die  Schütteltröstc  vom 
nächsten  Tage  an  zessieren,  so  sind  das  doch  nicht  lauter  Zu¬ 
fälle!  Da  hat  eben  die  Operation  genützt. 

Da  kommt  aber  Herr  Halban  und  sagt:  Die  Mortalität 
der  Mctrophlehitisopcralion  beträgt  70'*/«,  während  die  der  un¬ 
beeinflußten  Metrophleliilis  30"/"  nicht  übersteigt.  Woher  nimmt  • 
Halban  letztere  Zahl?  Im  allgemeinen  wird  die  iVlortalität  der 
Metrophlehilis  mit  60  bis  70''/o  angegeben;  von  einer  Mortalität 
der  Metrophlebitisoperalion  kann  man  aller  überhaupt  kaum 
sprechen.  Mir  ist  ein  Fall  an  Unterhindung  der  Arteria  iliaca 
interna  zugrunde  gegangen,  obwohl  er  in  bezug  auf  die  Phlebitis 
geheilt,  seit  Wochen  fieberlos  war.  Das  ist  etwas,  was  umn 
nicht  machen  darf,  wie  ich  seither  weiß.  Sonst  sind  alle  Fälle 
nicht  der  Operation,  sondern  ihrem  Puerperalprozesse  erlegen. 
Damit  fallen  alle  Folgerungen  Hai  bans  und  Pehams,  auch 
wenn  ich  ihnen  konzediere,  daß  die  Mortalität  der  Metrophlebitis 
tatsächlich  viel  kleiner  ist,  als  dies  allgemein  angenommen  wird; 
allerdings  nicht  der  Metrophlehitis,  die  sie  aus  den  Schüttel¬ 
frösten  diagnostizieren,  sondern  der  Metrophlebitis,  die  icb  als 
solche  diagnostiziere  u.  zw.,  wie  schon  in  meinem  Vortrage  er¬ 
wähnt,  aus  den  vom  Zervix  zur  Beckenwand  ziehenden  Infd- 
Iratcn,’  die  gemeiniglich  als  Parametritis  bezeichnet 
werden.  Die  Mehrzahl  der  Parametritis  ist  eben  in 
diesen  Fällen  nicht,  wie  man  bisher  geglaubt  hat, 
eine  Beckenphlegmone,  sondern  ein  mit  der  Peri¬ 
phlebitis  des  utero-vaginalen  Plexus  zusammen¬ 
hängender  Prozeß,  sie  ist  die  Phlegmasia  alha  dolens 
des  Ligamentum  latum. 

Gegen  diese  richtet  sich  in  schweren  Fällen  mein  vaginales 
Verfahren,  das  von  Halban  und  Peham  einmülig  abgelelmt 
wird.  Wenn  dieselben  meiner  Methode  besonders  zur  Last  legen, 
daß  man  sich  dabei  auf  das  Tästgefühl  verlasisen  müsse,  so 
berührt  dieser  Vorwurf  im  Munde  von  Gynäkologen  merkwürdig. 

Ich  bin  nun  in  der  Lage,  Ihnen  an  diesem  Leichenpräparate 
die  Leistungsfähigkeit  der  vaginalen  Operation  zu  demonstrieren. 
Dasselbe  entstammt  einer  Kranken,  die  fünf  Tage  post  partum 
mit  schwerer  septischer  Endometritis  und  rechtsseitiger  Metro¬ 
phlehilis  in  Form  eines  fast  faustgroßen  Tumors  zur  Operation 
kam.  Ich  konnte  den  Zuschauern  jede  einzelne  der  kleiiifinger- 
dicken,  herauspräparierten  Venen  vor  dem  Durchschneiden  zeigen. 
Nach  Beendigung  der  Operation  war  an  Stelle  des  Tumors  die 
mächtige  Höhle  getreten,  die  Sie  an  dem  Präparate  selien.  Nur 
außen  und  vorne  stand  noch  ein  dem  thromhophlebilisch  vei- 
änderten  Plexus  vesico-vaginalis' entsprechendes  Infiltrat,  das  sich 
operativer  Ingerenz  entzog.  Von  hier  aus  nahm  auch  trotz  supia- 
vaginaler  Amputation  des  schwer  veränderten  Uterus  ^die  Sepsis 
ihren  Fortgang,  dei'  die  Patientin  erlag.  Hier  sehen  Sie  ein  bei 
der  Operation  exstiiidertes  Venenstück  in  stark  gescbrumpttem 
Zustande.  Das  Präparat  zeigt,  daß  es  wohl  möglich  ist,  den 
Plexus  utero-vaginalis  per  vaginam  operativ  anzugreifen;  der 
Plexus  vesico-vaginalis  entzieht  sich  allerdings  uiiseier  dei- 
zeitigen  Technik. 

Zu  meinem  Erstaunen  haben  die  Herren  Vorredner  aucli  m 
der  Peritonilisfrage  sich  auf  einen  Standpunkt  gestellt,  der  mir 
nach  meinen  Erfahrungen  unhegreitlich  erscheint. 

Fabricius  hat  schon  im  Jahre  1896  im  Anschlüsse  an 
einen  durch  Laparotomie  geheilten  Fall  von  Perforaliousperitomtis 
hei  Pyosalpinx  empfohlen,  in  solchen  fällen  das  Abdomen  weit 
offen  zu  lassen.  Ich  übe  dieses  Verfahren  bei  der  pueipeialen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  21 


Peritonitis,  ohne  jetzt  dein  Aveiten  Uitenlassen  einen  wesentlichen 
Einfluß  zuzLischreiben.  Trotz  seines  Erfolges  bei  nicht  puerperaler 
Peritonitis  warnt  Fab ri eins  vor  der  Laparotomie  bei  der  puer¬ 
peralen  Form,  weil  zu  befürchten  sei,  daß  bei  Becke nperi to¬ 
il  it  is,  die  dieselben  Symptome  mache,  durch  Laparotomie  . 
aus  einer  lokalisierten  eine  diffuse  Peritonitis  werde.  Dieser  An¬ 
schauung  schließt  sich  Peham  an.  Die  abgesackte  Peritonitis, 
die  solle  man  allerdings  durch  Eröffnung  des  Eiterherdes  ope¬ 
rieren;  sie  gehe  eine  sehr  gute  Prognose.  Ich  habe,  Avie  Sie 
am  8.  Mai  gehört  haben,  27  solche  ahgesacktc  Peritonitiden 
operiert;  vier  sind  gestorben,  drei  davon  an  freier  Peritonitis, 
die  schon  zur  Zeit  der  Operation  ohne  mein  W'issen  bestand. 
Man  kann  also  irrtümlich  die  Diagnose  auf  abgesackte  Peritonitis 
stellen,  Avährend  es  sich  tatsächlich  um  eine  freie  handelt.  Auch 
das  Gegenteil  kann  geAviß  Vorkommen,  Avenn  man  nicht  über 
genügende  Erfahrung  verfügt.  Mir  ist  das  eben  noch  nie 
passiert.  Ich  habe  einmal  einen  Bauch  unter  der  falschen 
IJiagnose  Peritonitis  eröffnet;  da  handelte  es  sich  um  puerperale 
Sepsis  mit  Meteorismus.  Nachdem  die  Operation  ohne  Narkose 
A'^orgenommen  AAuirde,  hat  der  kleine  Eingriff  der  ohnehin  Amr- 
lorenen  Kranken  gewiß  nicht  geschadet. 

*Peham  hezAA-^eifelt  die  Möglichkeit  einer  Heilung  der  puer¬ 
peralen  Peritonitis  durch  Laparotomie,  weil  diese  Form  der 
llauchfellentzündung  immer  in  den  allerersten  Tagen  ])Ost  partum 
entstehe  und  innerhalb  der  ersten  Woche  zum  Tode  führe.  Diese 
Schildeiamg  paßt  vorzüglich  auf  die  Zeit  vor  30  Jahren.  Damals 
kamen  gelegentlich  derartige  akute  Peritonitiden  reiheiiAveise  im 
Gefolge  von  Puerperalfieherendcmien  zur  Sektion.  Den  älteren 
pathologischen  Anatomen  sind  diese  Fälle  wohl  bekannt.  Wir 
jüngeren  sehen  sie  A\mhl  nur  ausnalimsAveise,  Avas  vielleicht  auf 
Virulenzvei-ininderung  der  Streptokokken  zurückzuführen  ist. 

Ahe]'  akute,  diffuse,  puerperale  Peritonitiden  Avaren  meine 
geheilten  neun  Fälle  auch.  Da  gab  es  Aveder  Absackungen,  noch 
Adhäsionen  oder  alte  Salpingitiden. 

Wie  man  diesen  Erfolgen  gegenüber  noch  der  Laparotomie 
bei  puerperaler  Peritonitis  entgegentreten  kann,  A^erstehe  ich  ein¬ 
fach  nicht!  Was  machen  denn  die  Herren,  wenn  sie  vor  einem 
Bauche  voll  Eiter  stehen? 

lieber  die  Technik  der  Peritonitis  operation  ist 
eine  Diskussion  möglich,  über  ihre  Indikation  nicht 
mehr!  , 

Wir  stehen  heute  in  der  chirurgischen  Therapie  des  Puer¬ 
peralprozesses  am  Beginne  eines  neuen  Weges.  Wer  wissen  Avill, 
Avohin  er  führt,  der  darf  nicht  nur  den  Kompaß  theoretischer 
Voraussetzungen  befragen,  der  ihm  die  Richtung  zeigt,  der  mußi 
ihn  gehen.  Und  ich  Averde  ihn  gehen. 

Dr.  H  a  1  b  a  n  :  Ich  kann  auf  verschiedene  Ausführungen  des 
Herrn  Vortragenden,  mit  denen  ich  nicht  einverstanden  bin,  nicht 
mehr  eingehen,  da  nach  dem  Schlußworte  eine  Diskussion  nicht 
möglich  ist.  Ich  möchte  nur  die  eine  Tatsache  feststellen,  daß 
sich  meine  Bemerkungen  hauptsächlich  gegen  die  einfache, 
transperitoneale  Unterbindung  der  Venen  gerichtet  haben.  Dies¬ 
bezüglich  sagte  ich,  daß  die  hohe  Mortalität  von  TO^/c  nach 
diesen  Operationen  nicht  ermutigend  sei.  Der  Vortragende  meinte 
aber,  daß  diese  Ziffer  zu  hoch  gegriffen  sei  und  sprach  von  307o 
Mortalität.  Wenn  Avir  aber  seine  eigenen  Resultate  prüfen,  so 
zeigt  sich,  daß  von  sieben  von  ihm  in  dieser  Weise  operierten 
Fällen  fünf  gestorben  sind,  Avas  einer  Mortalität  von  71'37o 
entspricht.  B  u  m  m  operierte  acht  Fälle  mit  fünf  Todesfällen, 
d.  i.  eine  Mortalität  von  ca.  63“/o.  In  den  von  Opitz  zusammen¬ 
gestellten  19  Fällen  beträgt  die  Mortalität  über  687o.  Daraus 
geht  hervor,  daß  meine  Angaben  richtig  sind. 

Prim.  Priv.-Doz.  Dr.  Latzko:  Ich  will  auf  die  Berechnungen 
Hai  bans  gar  nicht  eingehen,  Aveil  ich  mich  dem  Ausspruche 
Herffs  aus  seinem  ausgezeichneten  Werk  über  das  Kindbett¬ 
fieber  vollinhaltlich  anschließe,  daß  nämlich  Statistiken  mit  so 
kleinen  Zahlen  ganz  Avertlos  sind. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Jahresversammlung  vom  14.  Mai  1907. 

Vorsitzender:  Obersteiner. 

Schriftführer :  P  i  1  c  z. 

I.  Administrativer  Teil. 

Der  Präsident  teilt  mit,  daß  der  bisherige  Vereinskassier 
Herr  Li  ns  may  er  aus  dem  Ausschüsse  ausgetreten  ist,  und 
dessen  Funktion  einstweilen  Herr  Dr.  Fuchs  übernommen  hat. 
Bericht  des  (stellvertretenden)  Oekonomen. 

Bericht  des  Schriftführers. 

Bericht  des  Bibliothekars. 


Die  Neuwahl  des  Ausschusses  ergibt:  Obersteiner 
(Präsident),  v.  Wagner  (Vizepräsident),  A.  Fuchs  (Oekonom),  . 
P  i  1  c  z  und  R  a  i  m  a  n  n  (Schriftführer),  Richter  (Bibliothekar), 
Drastic  h,  v,  Frankl-HocliAvart,  Redlich  und  S  c  h  1  ö  ß 
(Beiräte). 

Zu  korrespondierenden  Mitgliedern  werden  gewählt  die 
Herren  Dr.  Max  L  ähr -Berlin  und  Dr.  Siegfried  T  ü  r  k  e  1  -  Wien. 

Der  Präsident  macht  Mitteilung,  daß  vom  4.  bis  5.  Oktober 
1907  der  Oesterreichische  Irrenärztetag  in  Wien  stattfmden  Avird. 
Der  nächstjährige  Oesterreichische  Irrenärztetag  soll  mit  dem 
HI.  internationalen  Kongreß  für  Irrenpflege  verflochten  werden, 
der  anfangs  Oktober  1908  in  Wien  tagen  Avird. 

II.  Wissenschaftlicher  Teil. 

Vortrag:  Stern  b  erg:  Ueber  die  Kraft  bei 
H  e  m  i  p  1  e  g  i  s  c  h  e  n.  (Erscheint  demnächst  ausführlich.) 

Diskussion:  Hirschl  fragt,  ob  nicht  —  entsprechend 
den  Ausführungen  von  Li  ep  man  n  —  in  den  Fällen  von  rechts¬ 
seitiger  Hemiplegie,  bei  Avelchen  ein  „negativer“  Simultandruckeffekt 
vorliegt,  an  Apraxie  zu  denken  sei ;  es  gehöre  ja  immerhin  ein 
gewisses  Maß  von  Geschicklichkeit  dazu,  das  Dynamometer  zu 
handhaben. 

Sternberg  erwidert,  daß  er  irgendwie  gesetzmäßige  Be¬ 
ziehungen  —  sei  es  zu  Mitbewegungen,  sei-  es  bezüglich  der 
Unterschiede  zwischen  rechts-  und  linksseitigen  Hemiplegien  nicht 
hatte  konstatieren  können.  Es  kommt  offenbar  auf  die  Lokali¬ 
sation  des  Herdes  an,  ob  positiver  oder  negativer  Simultaneffekt 
zustande  käme.  Diesbezüglich  wären  genaue  anatomische  Unter¬ 
suchungen  der  Fälle  erforderlich. 

I n f e  1  d  erwähnt  die  Zweckmäßigkeit  der  Sternberg- 
schen  Modifikation  des  Coli  in  sehen  Dynamometers  gerade  für 
geringe  Kraftentfaltung  und  erinnert  an  folgende  Beobachtung : 
Wenn  man  Leute  sieht,  die  aus  irgendeinem  Grunde  nicht  inner- 
AÜeren,  z.  B.  solche  mit  Unfallsneurosen,  kann  man  fast  immer 
konstatieren,  daß  bei  Simultandruck  der  ursprünglich  sehr  geringe 
Druck  ganz  bedeutend  zunimmtb  die  Leute  drücken  unwillkürlich 
gleichzeitig  stärker.  Das  könnte  Avohl  auch  bei  organischen 
Krankheiten  der  Fall  sein.  Interessant  sind  dagegen  gerade  die 
Fälle  mit  negativem  Simultaneffekt. 

Hirschl  meint,  daß  die  von  Sternberg  als  Bei¬ 
spiele  demonstrierten  Tabellen  recht  gut  mit  seiner  (Hirschl  s) 
Anschauung  stimmen.  Es  müßte  noch  untersucht  werden,  ob  die 
Individuen  mit  rechtsseitiger  Hemiplegie  nicht  auch  sonst  sich 
apraktisch  verhalten. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907. 

(Fortsetzung.) 

HI.  Sitzung:  Dienstag  den  16.  April,  vormittags. 

Meyer  und  B  e  r  g  e  1 1  -  Berlin :  Ueber  Typhus¬ 
immunisierung. 

Es  ist  eine  Typhusserumtherapie  bisher  nicht  möglich  ge¬ 
wesen,  Aveil  nach  den  Untersuchungen  von  Pfeiffer  durch 
bakterizide  ^Substanzen  aus  den  Bakterienleibern  höchst  giftige 
Endotoxine  frei  Averden.  Vortr.  haben  zunächst  versucht,  diese 
Endotoxine  zur  Darstellung  zu  bringen.  Sie  Avuschen  Typhus¬ 
bazillen,  ließen  sie  24  Stunden  mazerieren  und  filtrierten  durch 
ein  Chamberlandfilter ;  2  enU  vom  Filtrat  töteten  Kaninchen. 
Nahmen  sie  Vm  tödlicher  Dosis  Typhusbazillen  mit  Avenigen  Teilen 
(nicht  tödlicher)  Filtratdosis,  so  starben  die  Kaninchen.  Das  Filtrat 
enthielt  also  Aggressine.  Sodann  behandelten  die  Vortr.  Typhus¬ 
bazillen  mit  scharf  getrockneter,  gasförmiger  HCl  und  filtrierten. 
Dieses  Filtrat,  ähnlich  Avie  das  Filtrat  einer  Typhusbouillon¬ 
kultur  (nach  vorübergehender  vier-  bis  fünftägiger  Giftigkeit)  zeigte 
diese  Giftigkeit  nicht.  Vortr.  gehen  dann  auf  die  WirkungSAveise 
der  Filtrate  ein:  So  beim  Kaninchen,  avo  die  Giftwirkung'  in 
Därmveränderungen,  Schwellung  der  Pay  er  sehen  Plaques, 
leukozytären  Infiltraten,  Blutungen  etc.  besteht.  Die  Milz  — ■  Avenn 
auch  öfters  groß  —  war  doch  nicht  vom  Typus  der  Infektionsmilz. 
Schafe,  Pferde  erwiesen  sich  gegenüber  den  Filtraten  sehr 
empfindlich,  doch  ließ  sich  nach  halbjähriger  Vorbehandlung  ein 
Immunserum  gegenüber  den  frisch  abgebauten  Endotoxinen  ge¬ 
winnen.  Die  Wirkungsweise  Avurde  an  Mäusen  ausprobiert,  es 
gelang  nicht  nur  die  Infektion  zu  mildern,  sondern  auch  infizierte 
(besonders  die  intraperitoneal  geimpften)  auf  der  Höhe  der  In¬ 
fektion  noch  zu  retten.  Mit  0'3  bis  0‘5  enU  des  Filtrates  konnte 
die  drei  bis  vierfache  tödliche  Dosis  paralysiert  werden.  Vortr. 
weisen  sodann  auf  die  Bedeutung  der  Phagozytose  bei  Abtötung 
der  Typhusbazillen  intraperitoneal  hin ;  '  in  dem  Maße  als  diese 
scliAvanden,  traten  mit  Fettfarbstoffen  färbbare  stark  lichtbrechende 
Körner  in  den  Leukozyten  auf. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Vortr.  haben  mit  dem  Endoantitoxinserum  auch  beim 
Menschen  (hoffnungslose  Typhen)  mit  günstigem  Erfolge  Versuche 
angestellt. 

Naegeli-Naef  -  Zürich ;  lieber  die  Häufigkeit 
der  Tuberkulose. 

Vortr.  hatte  an  seinem  Sektionsmaterial  früher  festgestellt, 
daß  97®/o  der  Erwachsenen  an  Tuberkulose  leiden.  Dagegen 
sind  folgende  Einwände  erhoben  worden : 

1.  die  Zahl  der  tuberkulösen  Leichen  sei  nicht  überall  so  hoch ; 

2.  es  seien  neben  tuberkulösen  Veränderungen  auch  andere 
miteingerechnet ; 

3.  die  Zahl  der  Tuberkulösen  Leichen  lasse  keinen  Schluß 
auf  die  Tuberkulose  im  Volke  zu; 

4.  die  Bazillen  brauchen  durchaus  nicht  tuberkulös  zu  sein, 
da  auch  andere  säurefeste  miteingerechnet  sein  können. 

Zu  1  führt  N  a  e  g  e  1  i  andere  Statistiken  an :  so  von 
Burckhardt  (91®/o  TB.),  Schmorl  94‘’/o,  Lubarsch  897o 
und  andere  mehrere.  Zu  2  bemerkt  er,  daß  die  Induration  nicht  als 
sicher  tuberkulös  in  seine  Statistik  eingerechnet  wurde,  Käseherde 
seien  sicher  tuberkulös,  Kalkherde  mit  großer  Wahrscheinlichkeit. 
Zu  3  sucht  er  statistisch  nachzuweisen,  daß  dem  Bilde  seiner 
Mortalitätsstatistik  die  Volkszusammensetzung  ungefähr  entspricht. 
Den  Punkt  4  halte  er  bis  jetzt  für  einen  unbewiesenen  Einwand. 

S  t  ä  h  e  1  i  n  -  Göttingen :  Zum  Energiehaushaltebei 
der  Lungentuberkulose. 

Stähelin  hat  die  Frage  in  Angriff  genommen,  wie  weit 
die  Steigerung  der  Wärmeproduktion,  die  im  Fieber  auftritt, 
unabhängig  von  der  Temperaturerhöhung  als  direkte  Folge  der 
Infektion  aufzufassen  ist.  Er  hat  deshalb  bei  sich  und  bei  zwei 
fieberlosen  Phthisikern  den  Gaswechsel  in  12  stündigen  fort¬ 
laufenden  Versuchen  im  Jaqu  et  sehen  Respirationsapparat 
untersucht,  einmal  nach  reichlicher  Kohlehydratnahrung,  zweimal 
nach  reichlicher  Eiweißzufuhr.  Er  fand,  daß  in  einem  Fall  die 
Eiweißzufuhr  eine  abnorm  starke  Steigerung  der  Wärmeproduktion 
gegenüber  dem  nüchternen  Zustand  zur  Folge  hatte,  im  anderen 
war  diese  Wirkung  nicht  so  ausgesprochen.  Bei  Kohlehydrat¬ 
nahrung  ließ  sich  kein  Unterschied  gegenüber  dem  Gesunden 
nachweisen.  Ferner  wurde  ein  Phthisiker  untersucht,  bei  dem 
während  des  Respirationsversuches  Nachtschweiß  ausbrach.  Der 
respiratorische  Stoffwechsel  zeigte  während  der  Schweißperiode 
keine  Aenderung.  Demnach  scheinen  die  Schweiße  der  Phthisiker 
keine  direkte  wärmeregulatorische  Bedeutung  zu  besitzen. 

Liebermeister  -  Köln :  Ueber  die  Verbreitung 
des  Tuberkelbazillus  in  den  Organen  der  Phthi¬ 
siker. 

Vortr.  hat  bei  tuberkulösen  Leichen,  die  ohne  Miliartuber¬ 
kulose  in  späteren  Stadien  gestorben  waren,  sowohl  in  dem 
Blute  wie  in  den  Leichenorganen,  in  denen  sich  histologisch 
keine  Tuberkelbazillen  und  tuberkulösen  Veränderungen,  wohl 
aber  toxische,  vorfanden,  vollvirulente  Tuberkelbazillen  durch 
Meerschweinchenimpfung  feststellen  können.  (So  z.  B.  in  den 
Nieren,  im  Herzmuskel,  an  den  Venen  mit  gewissen  histologischen 
Veränderungen,  an  Nerven  etc.).  Es  scheint  daher  der  tuberkulöse 
Organismus  im  höheren  Maße  als  man  bisher  anzunehmen  ge¬ 
neigt  war,  mit  Tuberkelbazillen  infiziert  zu  sein. 

Kuhn-Berlin:  Ueber  H y  p  e rämi e  b e h  andl u  n  g  der 
Lungen  mittels  der  Lungensaugmaske. 

Die  Kuhn  sehe  Lungensaugmaske  beruht  nicht  nur  auf 
der  Beobachtung  der  günstigen  Beeinflussung  tuberkulöser  Prozesse 
in  den  Lungen  durch  Blutstauung  im  kleinen  Kreislauf,  sondern 
auch  auf  der  Erfahrungstatsache,  daß  die  blutärmeren  Teile  der 
Lungen  (Lungenspitzen  usw.)  früher  und  schwerer  an  Tuber¬ 
kulose  erkranken,  als  die  besser  durchbluteten,  bzw.  normale 
Blutfülle  zeigenden  Teile.  Die  Maske  hat  den  Zweck,  durch  eine 
in  abstufbarer  Weise  erschwerte  Einatmung  eine  Luftverdünnung 
im  Brustraume  und  hierdurch  eine  Ansaugung  von  Blut  und 
Blutstauung  in  den  Lungen  zu  bewirken.  Das  Verfahren  ist  nicht 
mit  der  gewöhnlichen  Atemgymnastik  zu  verwechseln,  welche 
durch  Dehnung  der  Lungen  dem  Prinzip  der  möglichsten  Ruhig¬ 
stellung  der  erkrankten  Teile  widersprechen  würde.  Die  Lungen 
sind  vielmehr  bei  der  Einatmungsbehinderung  an  größeren  Ex¬ 
kursionen  gegenüber  der  freien  Atmnng  behindert,  ruhiggestellt. 
Die  Gefahr  des  Lungenblutens  ist  ausgeschlossen,  weil  sich  die 
Gefäße  denvermehrten  Anforderungen  anpassen  können.  Während 
also  die  Lungen  trotz  starker  Durchblutung  ruhiggestellt  bleiben, 
erlangt  doch  gleichzeitig  durch  Ausbildung  der  Atemmuskulatur 
und  des  gesamten  Brustkorbes  die  natürliche  Funktionstüchtigkeit 
dieser  Organe  eine  dauernde  Kräftigung,  welche  auch  für 
späterhin  das  für  die  Lungentuberkulose  hauptsächlich  dispo¬ 
nierende  Moment  der  Blutarmut  der  Lungen  durch  bleibende 
bessere  Atmung  und  Blutansaugung  zu  heben  imstande 


ist.  Zur  Erzeugung  stärkerer  Blutfülle  bzw.,  Stauungshyperämie 
der  Lungen  wird  die  Saugmaske  täglich  ca.  zwei  bis  vier  Stunden 
immer  1  bis  iVi  Stunden  hintereinander  bei  mittlerer  Atmungs¬ 
behinderung  verordnet. 

Alle  Katarrhe  der  Luftwege,  Keuchhusten,  Lungenentzündung 
und  besonders  tuberkulöse  Erkrankungen  der  Lunge 
und  Pleura  werden  hervorragend  günstig  beeinflußt.  Der  Husten¬ 
reiz  wird  bedeutend  gelindert,  der  Auswurf  sehr  rasch  geringer 
und  alle  klinischen  Erscheinungen,  Rasselgeräusche  etc.  schwinden 
meist  überraschend  schnell.  Das  Blut  nimmt  an  Zahl  der  roten 
Blutkörper  und  Hämoglobingehalt,  ebenso  wie  in  der  verdünnten 
Höhenluft,  in  kurzer  Zeit  bei  allen  Patienten  zu.  Die  Zahl  der 
Leukozyten  wird  wie  durch  kein  anderes  Mittel  betfrächtlich  ver¬ 
mehrt.  Nach  jedesmaliger  Anwendung  der  Maske  (zirka  eine 
Stunde)  steigt  die  Zahl  der  Erythrozyten  um  Zirka  eine  Million  im 
Kubikmillimeter  und  die  der  Leukozyten  um  zirka  1000.  Die  Er¬ 
höhung  bleibt  ein  bis  zwei  Wochen  bestehen.  So  sind  durch  die 
Maske  die  Vorzüge  des  Höhenklimas  ohne  seine  Schädlichkeiten 
erreicht. 

Diskussion.  C  o  r  n  e  t  -  Reichenhall  hebt  die  größere 
Häufigkeit  der  Tuberkulose  in  den  Arbeiterkreisen  hervor,  und 
gerade  diese  Kreise  sind  von  Naegeli  seziert  worden.  Ferner 
ist  die  verschiedene  Virulenz  der  Tuberkelbazillen  eine  unbe¬ 
streitbare  Tatsache.  Er  hält  N  a  e  g  e  1  i  s  Angaben  für  übertrieben. 

Cohnstamm  -  Königstein  hat  bei  einem  Kind  nach 
Masern  eine  Tuberculosis  verrucosa  cutis  auftreten  sehen,  also 
einen  Beweis,  daß  Tuberkelbazillen  im  Blute  kreisen  ohne  andere 
Tuberkuloseerscheinungen  hervorzurufen. 

Grober-  Jena  kann  die  Kuhn  sehen  Angaben,  wenigstens 
zum  Teil,  bestätigen.  Bei  Chlorose,  bei  Anämien  nach  Magenge¬ 
schwüren  stieg  die  Zahl  der  Erythrozyten  rasch  und  dauernd. 
Bei  Krebs,  schweren  Tuberkulosen  und  Knochenmarkerkrankungen 
sah  er  keine  Erfolge. 

S  c  h  1  e  i  p  -  Freiburg  nimmt  an,  daß  die  rasche  Zunahme 
sämtlicher  Blutelemente  nur  auf  eine  scheinbare  Zunahme  der 
einzelnen  Blutelemente  schließen  läßt. 

Kuhn -Berlin  wiederlegt  die  Annahme  von  Schleip. 

Naegeli-  Zürich  bestreitet,  daß  sein  Material  ein  besonders 
ausgewähltes  sei.  Bezüglich  der  verschiedenen  Virulenz  der 
Tuberkelbazillen  bemerkt  er,  daß  es  weniger  auf  die  Virulenz 
als  auf  die  Weiterinfektion,  die  durch  die  Disposition  bedingt  ist, 
ankommt. 

M  a  1 1  h  e  s  -  Köln  und  Gottstein  -  Köln :  Ueber  Wir¬ 
kungen  von  Verdauungsprodukten  aus  Bakterien¬ 
leibern  auf  den  gesunden  und  infizierten  Organismus. 

Matth  es  hat  früher  gezeigt,  daß  Albumose  aus  indifferenten 
Eiweißkörpern  eine  tuberkulinähnliche  Wirkung  hat.  Es  schien 
daher  aussichtsreich,  Bakterienleiber  durch  Verdauungsfermente 
in  Lösung  zu  bringen,  um  so  mehr,  da  die  Lösung  des  Bakterien¬ 
leibes  im  Körper  wahrscheinlich  ein  fermentativer  Prozeß  ist, 
und  die  experimentell  schon  zu  handhabenden  autolytischen 
Fermente  des  Körpers  enge  Verwandtschaft  mit  den  Verdauungs¬ 
fermenten  haben.  Zusammen  mit  K  r  e  h  1  hat  M  a  1 1  h  e  s  früher 
Kolikulturen  verdaut.  Die  bakteriellen  Albumosen  waren  giftiger 
als  die  aus  indifferenten  Eiweißkörpern.  Eine  experimentelle 
Untersuchung  ihrer  Wirkung  dem  mit  dem  gleichen  Mikroorganismus 
infizierten  Tier  gegenüber  fehlte  jedoch  bisher.  Eine  solche  Unter¬ 
suchung  hat  G  o  1 1  s  t  e  i  n  mit  aus  einer  Pepsinverdauung  aus 
Typhusbazillen  gewonnenen  Albumose  ausgeführt  mit  folgenden 
Ergebnissen  : 

I.  1.  Auf  das  gesunde  Tier  wirkt Typhusalbumose  als  starkes 
Gift  schon  in  relativ  kleinen  Dosen.  2.  Ruft  sie  eine  Leukopenie 
hervor  im  Gegensatz  zu  anderen  Albumosen.  3.  Kann  man  Tiere 
gegen  Albumose  immunisieren. 

II.  Auf  das  mit  Typhusbazillen  infizierte  Tier  wirkt  Typhus¬ 
albumose  bei  zeitlich  nahe  liegender  Injektion  beider  Komponenten 
im  Sinne  der  Bail  sehen  Aggressine. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Fortsetzung). 

HI.,  Sitzungstag. 

Bar  den  heuer  -  Köln  :  Oberschenkelbrüche  be¬ 
sonders  des  oberen  und  unteren  Drittelte  s.  (Un¬ 
blutiges  Verfahren.) 

Die  intensive  Beschäftigung  mit  den  Oberschenkelfrakturen 
hat  Bardenheuer  gelehrt,  daß  man  alle  Kranken  mit  Ober- 
schenkelbrüchen  sehr  lange  liegen  lassen  müsse,  da  bei  zu  früh¬ 
zeitigem  Aufstehen  nachträglich  noch  Verbiegungen  an  den 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  21 


Knochen  auftreten  und  anfangs  gut  erscheinende  Behandlungs¬ 
resultate  nachträgliche  Verschlechterungen  erfahren. 

Die  Deformitäten,  welche  nach  Oberschenkelbrüchen  be¬ 
obachtet  werden,  haben  eine  sehr  verschiedene  Bedeutung  für  die 
Funktionen  des  Beines,  je  nachdem  die  dislozierten  Fragmente 
einen  nach  außen  offenen  Winkel  miteinander  bilden  oder  einen 
nach  innen  sich  öffnenden.  Und  zwar  sind  die  ersteren  Dis¬ 
lokationen  die  unangenehmeren,  weil  sie  die  Funktion  sehr  er¬ 
heblich  beeinträchtigen.  Man  müsse  daher  bei  der  Behandlung 
trachten,  jede  Dislokation  der  Bruchenden  auszugleichen,  wenn 
das  aber  nicht  möglich  ist,  wenigstens  die  Verschiebung  soweit 
ausgleichen,  daß  ein  nach  innen  offener  Winkel  der  Bruchenden 
zustande  kommt.  Das  Haupthindernis  für  die  Adaptierung  der 
Fragmente  ist  der  Muskelzug,  an  zweiter  Stelle  erst  kommt  die 
Beschaffenheit  der  Bruchenden.  Zur  Ueberwindung  des  Muskel¬ 
zuges  ist  die  Gewichtsextension  das  souveräne  Mittel  u.  zw.  müßten 
in  schwierigen  Fällen  sehr  erhebliche  Gewichte  ziehen,  um  die 
Muskelwiderstände  zu  überwinden.  Bardenheuer  hat  Ge¬ 
wichte  bis  zu  60  Pfund  angewendet.  Er  hat  im  ganzen  in  den 
letzten  vier  Jahren  179  Fälle  von  Oberschenkelfrakturen  behandelt 
und  damit  159mal  Heilungen  ohne  Verkürzung  erzielt.  Auch  in 
den  übrigen  20  Fällen  war  mit  Ausnahme  eines  Falles  die  Ver¬ 
kürzung  eine  sehr  geringe.  Bardenheuer  bespricht  dann 
noch  besonders  die  subtrochanteren  Frakturen;  sie  bieten  gewisse 
besondere  Schwierigkeiten.  Bei  ihnen  wird  das  obere  Fragment 
durch  den  Zug  des  Ileopsoas  nach  außen  und  vorne  disloziert, 
eine  an  das  obere  Fragment  gelegte  Heftpflasterschlinge,  welche 
durch  einen  Matratzenschlitz  nach  unten  geleitet  wird,  bringt  das 
obere  Fragment  in  die  richtige  Lage.  Das  untere  Fragment  wird 
durch  seine  Schwere  und  durch  die  Adduktoren  nach  innen  und 
oben  verschoben.  An  dieses  wird  ein  quer  nach  außen  wirkender 
Zug  angelegt.  Dazu  kommt  die  Längsextension.  Auf  diese  Weise 
hat  Bardenheuer  auch  bei  diesen  schwierigen  Frakturen  gute 
Erfolge  gehabt.  Desgleichen  waren  die  bei  den  Schenkelhals¬ 
frakturen  erzielten  Resultate  gute.  Von  81  Frakturen  des  Schenkel¬ 
halses  waren  51  laterale  Schenkelhalsfrakturen,  dieselben  sind 
alle  fest  verheilt  und  unter  den  30  zentralen  Frakturen  war  es 
nur  zweimal  zur  Bildung  einer  Pseudarthrose  gekommen.  Zum 
Schlüsse  betont  Bardenheuer,  daß  die  Extensionsbehandlung, 
wenn  sie  auch  mühevoll  sei  und  sehr  viel  Aufmerksamkeit  er¬ 
fordere,  so  gute  Resultate  ergebe,  daß  sie  die  allgemeinste  Ver¬ 
breitung  verdiene;  er  sei  stets  mit  der  Extensionsbehandlung  aus¬ 
gekommen  und  habe  niemals  nötig  gehabt,  die  blutige  Methode 
der  Frakturbehandlung  anzuwenden. 

König  (Altona) :  Dasselbe  Thema.  (Blutige  Behandlung.) 

König  meint,  daß  man  sich  angesichts  der  ausgezeichneten 
Erfolge  der  heutigen  aseptischen  Wundbehandlung  leichter  zu 
blutigen  Eingriffen  bei  frischen  Frakturen  entschließen  könne  als 
früher,  wenn  es  darauf  ankäme,  ideale  Heilungsresultate  zu  er¬ 
zielen.  Bei  Schaftbrüchen  des  Oberschenkels  würde  man  aller¬ 
dings  nur  sehr  selten  Veranlassung  zu  einem  blutigen  Eingriff 
haben.  Anders  liegen  die  Dinge  aber  bei  den  Schenkelhals¬ 
brüchen.  Von  diesen  geben  die  intrakapsulären  besonders  schlechte 
Resultate,  aber  auch  bei  den  prognostisch  günstigeren  lateralen 
käme  es  häufig  genug  zu  Pseudarthrosen  oder  wenigstens  zu 
einer  bindegewebigen  Vereinigung  der  Fragmente. 

Die  Unsicherheit  der  Resultate  und  die  Tatsache,  daß  es 
auch  bei  jugendlichen  Individuen  zu  Schenkelhalsbrüchen  mit 
ihren  üblen  Folgen  kommen  kann,  hat  König  veranlaßt,  bei 
intrakapsulären  Brüchen  die  Knochennaht  zu  machen. 

Die  subtrochanteren  Brüche  geben  bei  q..erer  Bruchlinie 
bei  der  unblutigen  Methode  gute  Resultate,  bei  den  Schrägbrüchen 
sei  die  Prognose  jedoch  schlechter.  Dagegen  hat  er  in  diesen 
Fällen  mit  dem  blutigen  Verfahren  gute  Erfolge  erzielt.  Er  empfehle, 
die  Operation  früh  auszuführen,  bei  späteren  Operationen  mache 
es  Schwierigkeiten,  die  Fragmente  einander  zu  adaptieren. 

Auch  die  Frakturen  des  unteren  Femurendes  könnten  die 
Indikation  für  einen  blutigen  Eingriff  abgeben.  Hier  käme  es  durch 
die  Dislokation  des  unteren  Fragments  nach  hinten  gelegentlich 
zur  Zerreißung  der  poplitäalen  Gefäße  und  zu  Gangrän  des  Fußes. 
Daher  mußte  in  diesen  Fällen,  wenn  die  Reposition  auch  nach 
der  Punktion  der  Hämarthrose  nicht  gelingen  will,  blutig  reponiert 
werden. 

König  demonstriert  noch  einige  Präparate  und  erklärt,  daß 
er  bei  seinen  Operatiorien  niemals  Infektionen  erlebt  habe. 

F  i  n  c  k  -  Charkow :  Ein  Gipshülsenverband  zur 
Behandlung  von  Knochenbrüchen,  speziell  der 
Oberschenkelbrüche. 

F  i  n  c  k  kritisiert  die  bisher  geübten  Behandlungsmethoden, 
speziell  die  Extensionsmethode  sehr  abfällig,  welche  seiner 
Meinung  nach  die  Fragmente  nicht  entlastet,  sondern  belastet.  Er 


versucht  seine  Anschauung  durch  schematische  Zeichnungen  zu 
beweisen  und  demonstriert  den  neuen  Gipshülsenverband,  der 
zunächst  in  der  pathologischen  Stellung  angelegt  wird  und  dann- 
etappenweise  verändert  wird,  bis  die  gewünschte  Stellung  erzielt  ist. 

H  o  f  m  a  n  n  -  Karlsruhe :  Ueber  den  Ersatz  des 
Rollensystems  bei  Extensionsverbänden  durch 
Umsetzung  des  Längszuges  in  queren  Zug. 

H  0  f  m  a  n  n  erläutert  an  der  Hand  von  einigen  Zeichnungen 
und  durch  Vorführung  von  Modellen  seine  Methode,  welche  be¬ 
zweckt,  die  Längsextension  durch  einen  queren  Zug  zu  ersetzen. 
Diese  Modifikation,  welche  mit  sehr  einfachen  Mitteln  herzustellen 
ist,  soll  es  dem  Arzt  ermöglichen,  auch  unter  sehr  ungünstigen 
äußeren  Verhältnissen  die  Extensionsbehandlung  durchzuführen. 

Kuhn-Kassel  demonstriert  ebenfalls  zu  improvisierende 
Extensionsapp  arate. 

N  i  e  h  a  u  s  -  Bern  berichtet  über  günstige  Erfahrungen,  welche 
er  mit  seiner  Methode  der  temporären  Annagelung  bei  der  Be¬ 
handlung  von  Frakturen  gemacht  hat. 

Koehler  demonstriert  ein  von  ihm  konstruiertes  E  x  ten- 
s  i  o  n  s  b  e  1 1,  welches  es  ermöglicht,  die  Körperschwere  als 
Extensionsgewicht  anzuwenden. 

G  9  r  k  e  -  Mülheim  a.  d.  Ruhr  stellt  einen  Kranken  vor,  bei 
dem  eine  Oberschenkelfraktur  mit  Verlängerung 
des  verletzten  Beines  geheilt  ist.  Die  Verlängerung  des 
kranken  Beines  beträgt  2  cm.  Das  Röntgenbild  ergibt,  daß  es  nicht 
gelungen  ist,  die  Dislokation  ganz  auszugleichen,  daß  also  a  priori 
eine  Verkürzung  von  2  cm  zu  erwarten  gewesen  wäre.  Es  ergibt 
sich  also  durch  das  abnorme  Wachstum  eine  tatsächliche  Ver¬ 
längerung  des  Oberschenkels  um  4  cm. 

Diskussion.  Kausch  -  Schöneberg  ist  nicht  immer  mit 
Extension  ausgekommen,  in  einigen  Fällen  auch  dann  nicht,  wenn 
er  sehr  hohe  Gewichte  zur  Extension  angewendet  hat.  In  solchen 
Fällen  hat  er  operiert.  Bei  Schenkelhalsbrüchen  der  Jugendlichen 
würde  er  sich  in  Zukunft  der  König  sehen  Naht  zuwenden,  bei 
älteren  Leuten  nicht.  Er  müsse  aber  betonen,  daß  er  bei  seinen 
blutigen  Repositionen  zweimal  Infektionen  erlebt  habe. 

Lauenstein  - Hamburg  stimmt  darin  mit  König  überein, 
daß  man  Schenkelhalsbrüche  individualisierend  behandeln,  daß 
also  gelegentlich  auch  eine  operative  Behandlung  Platz  greifen 
müsse. 

Die  Bardenheuer  sehe  Methode  habe  er  an  Ort  und 
Stelle  studiert.  Trotzdem  habe  er  so  günstige  Resultate  wie 
Bardenheuer  nicht  erzielt.  Er  hat  im  ganzen  50  Fälle  von 
Oberschenkelbrüchen  nach  Bardenheuer  behandelt  und  damit 
eine  durchschnittliche  Verkürzung  von  0'5  cm  erzielt.  Freilich  sei 
unter  seinen  Fällen  auch  einer,  bei  dem  die  Verkürzung  5'5  cm 
betragen  habe.  Die  Schenkelhalsfrakturen  sind  der  Extension  am 
wenigsten  zugänglich.  Man  könne  den  Kranken  mit  Fractura  colli 
femoris  aber  schon  sehr  wesentlich  nützen,  wenn  man  die  Außen¬ 
rotation  aufhebe.  Das  könne  man  durch  Fixieren  des  gebrochenen 
Gliedes  an  das  gesunde.  Dadurch  würde  zugleich  das  Hinauf¬ 
rutschen  des  unteren  Fragments  vermieden.  Endlich  erwähnt 
Lauenstein  noch  einen  Fall  von  Oberschenkelfraktur,  bei  dem 
das  Bein  nach  der  Heilung  der  Fraktur  um  2  cm  verlängert  war, 
wie  in  dem  Falle  des  Herrn  Görke.  Doch  habe  sich  in  seinem 
Falle  die  Verlängerung  wieder  verloren,  nachdem  der  Kranke 
herumgegangen  war. 

Sprengel  -  Braunschweig  hat  mit  der  Extensionsbehandlung 
keine  idealen  Resultate  erzielen  können ;  auch  sei  das  Barden- 
h  euer  sehe  Verfahren  meist  in  der  Praxis  nicht  durchführbar. 
Daß  Bardenheuer  keine  Schleifapparate  bei  seinen  Extensions¬ 
verbänden  anwende,  hält  Sprengel  für  einen  Nachteil,  Aus 
diesem  Fehlen,  der  Schleif apparate  erklären  sich  die  großen  Ge¬ 
wichte,  die  Bardenheuer  anwenden  müsse. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Sclirötter  Donnerstag 
den  23.  Mai  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz;  Hofrat  Professor  y.  Sclirötter. 

Programm: 

A.  Administrative  Sitzung. 

Wahl  neuer  Mitglieder, 

B.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr.  L.  Schweiger;  Ueber  tabetiformo  Veränderungen  der 
Hinterstränge  bei  Diabetes. 

Das  Präsidium. 


V.rantworUich.r  Rtdakttur:  Adalbert  Karl  Trupp.  V.rlaf  von  Wilhelm  Braumhller  in  Wien. 

Drnok  von  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  Thereiiengaeee  8. 


rr  -  ■ 

Die 

„Wleuer  kllulscUe 
WoclieiiscUrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 

VI-  - 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V,  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C,  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


rr . 

AboiiiieiiieiitsprelN 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Insertions- 
Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  werden  von  allen  Buch¬ 
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sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
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lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
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1 11  .s  c  r  a  t  e 

werden  mit  60  Ii  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Ueberoinkommen. 

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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 

Telephon  Nr.  17.618. 


Wien,  30.  Mai  1907. 


Nr.  22. 


XX.  Jahrgang. 


INH 

1.  Origiualartikel :  1.  Aus  der  Klinik  Chrobak.  Klinische  Beiträge 
zur  Serumbehandlung  des  Puerperalfiebers.  Von  Dr.  Anselm 
Falkner. 

2.  Aus  dem  staatlichen  serotberapeutischen  Institut  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.)  Ueber  den  Nachweis  von  Milz¬ 
brandbazillen  an  Pferdebaaren.  Von  Regimentsarzt  Doktor 
V.  K.  Ruß. 

3.  Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  „Kindlein  Jesu“ 
in  Warschau.  (Vorstand:  Doz.  Dr.  W.  Janowski.)  Ein  Fall 
plötzlicher  Kompression  des  Brustkorbes  und  Abdomens  mit 
sekundären  Hämorrhagien,  Oedem  und  Zyanose  des  Gesichtes 
und  Halses.  Von  Dr.  W.  E  1 1  i  n  g  e  r,  Assistenzarzt. 

4.  Ueber  die  Spezifität  der  Bakterienpräzipitine.  Von  Dr.  Leo 
Z  u  p  n  i  k. 

5.  Berichtigung  zum  Artikel:  Erfolgreiche  Operation  eines  Hypo¬ 
physentumors  auf  nasalem  Wege.  Von  Prof.  Dr.  H.  Schloffer. 

II.  Referate;  Medizinisch-klinische  Diagnostik.  Von  Professor 
Dr.  F.  Wes  euer.  Grundriß  der  medikamentösen  Therapie 
der  Magen-  und  Darmkrankheiten  einschließlich  der  Diagnostik. 
Von  Dr.  med.  P.  R  o  d  a  r  i.  Der  Diabetes  melitus.  Von  Doktor 
B.  Naunyn.  Die  Krankheiten  des  Magens  und  ihre  Be- 


Aus  der  Klinik  Chrobak. 

Klinische  Beiträge  zur  Serumbehandlung  des 

Puerperalfiebers. 

Von  Dr.  Aiiselin  Falkner. 

Seit  der  Publikation  Peliams  ist  an  der  Klinik 
Chrobak  eine  weitere  Reihe  von  83  Puerperal  fällen  zur 
Seruinbelianidlung  gekommen,  die  in  folgendem  einer  Be- 
sprecliimg  unterzogen  werden  soll.  Sie  entsprichl  einem 
Zeitraum  von  Mai  1904  bis  Mai  1906  und  einer  Zahl  von 
7250  Cleburten.  Begreifliciierweise  genügt  aucli  diese  noch 
nicht,  um  zu  einem  abschließenden  Urteile  über  die  Indika¬ 
tionen  und  die  Wirkungsweise  des  in  Verwendung  stellenden 
Serums  zu  gelangen;  immerhin  aber  werden  die  Fälle  viel¬ 
leicht  zur  Klärung  mancher  Fragen  und  Befestigung  einiger 
Gesichtspunkte  dienen  können.  Zu  den  erstereii  gehören 
zum  Beispiel  jene  nach  den  eventuellen  schädlichen  Neben¬ 
wirkungen  des  Serums,  nach  dem  Bilde  ,der  Serumkrankheit, 
der  Maximaldosis  ii.  a.  m.  Da  dieser  spezifischen  Behand¬ 
lung  eine  ganze  Anzahl  schwerer  und  schwerster  fälle  zu¬ 
geführt  wurden,  werden  sich  auch  für  den  Püerperalprozeßi 
überhaupt  einige  Ergebnisse  finden  lassen. 

Wenn  man  die  einschlägige  Literatur  der  letzten  Zeit 
überblickt,  so  steht  man  einerseits  unter  dem  Eindrücke 
der  furchtbar  hohen  Mortalitätsprozente  des  Puerperalpro¬ 
zesses,  wie  sie'  Kur  sch  mann  mit  56®/o,  Lenhartz  mit 
65%  berechnen,  anderseits  vor  der  Tatsache,  daßi  die  vielen 
Angaben  über  anscheinend  speziell  und  prompt  wirkende 
Heilmittel  durch  mindestens  ebenso  viele  Gegcnheohach- 


A  LT: 

handlung.  Von  Dr.  Louis  B  o  u  r  g  e  t.  Krankenernährung  und 
Krankenküche,  Geschmack  und  Schmackhaftigkeit.  Von 
Dr.  Wilhelm  Sternberg.  Maladies  de  la  Nutrition,  Goutte- 
Obesite-Diabete.  Par  H.  R  i  c  h  a  r  d  i  e  r  e  et  J.  A.  S  i  c  a  r  d. 
Ueber  die  Rolle  des  Sympathikus  bei  der  Erkrankung  des 
Wurmfortsatzes.  Von  Dr.  E.  Hönck.  Diagnose  und  Therapie 
der  Anämien.  Von  Dr.  Josef  Arneth,  Die  Therapie  der 
Magen-  und  Darmkrankheiten.  Von  Dr.  Walter  Zweig. 
Ref. :  Glaeßner.  —  Zur  Kenntnis  des  elastischen  Gewebes 
des  Magens.  Von  Emil  Schütz.  Ref.:  Jos.  Schaffer-Wien. 
—  Handbuch  der  pathogenen  Mikroorganismen.  Von  W.  Kolle 
und  A.  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n.  Ref. :  R.  Kretz.  —  Les  Auto- 
Mutilatenrs,  etude  psycho-pathologique  et  medico-legale  par 
le  Dr.  Charles  B  1  o  n  d  e  1.  Einführung  in  die  gerichtliche  Medizin 
für  praktische  Kriminalisten.  Von  Dr.Hugo  Marx.  Ref.:  Rentei’. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Nekrolog:  Hofrat  Prof.  Dr.  Moritz  Friedrich  Röll  f-  Von 
Dr.  Johann  C  s  o  k  o  r,  k.  u.  k.  Professor. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberich tc. 


timgen  entkräftet  werden.  Bei  einer  Krankheit,  deren  Erreger 
multiple  sind,  deren  Verlauf  ein  so  unherechenhar  tückischer 
ist  und  deren  Prognose  schon  mit  Bücksicht  auf  die  jeden 
Augenblick  möglichen  KompHkationen  immer  sehr  zweifel- 
liaft  gestellt  werden  mußi,  ist  ein  solches  Schwanken 
der  Anschauungen  nur  natürlich.  Um  so  melir  ist  man 
aber  bei  einer  derartigen  Erkrankung  verpflichtet,  nicht  zu 
schematisieren,  sondern  alles  zu  versuchen,  was  Ihcoretisch 
hegründet  und  iiraktisch  mit  Wahrscheinlichkeit  die  Hei- 
hmg  unterstützl,  zumindest  im  Falle  des  Fehlschlagens  dem 
Organismus  nicht  scliadet.  In  Beziehung  auf  den  ersten 
Punkt  wird  wohl  gegen  die  Serumhehandlung  kein  Ein¬ 
wand  erhoben;  die  zwei  letzten  Sätze  wollen  wir  an  der 
Hand  des  klinischen  Materiales  untersuchen,  wobei  ich  die 
eingangs  zitierte  Arbeit  Peliams  als  liekannt  voraussetze. 

Von  den  83  behandelten  Fällen  sind  14  gestorben; 
hier  ist  hervorzuheben,  dah  an  unserer  Klinik  auch  sehr 
schwere  Fälle  aufgenommen  wurden,  die  von  vornherein 
wenig  Aussicht  auf  Erfolg  boten.  Als  pueriierale  Streptö- 
kokkeninfektionen  stellen  sich  sieben  Todesfälle  dar,  von 
denen  drei  bereits  febril  an  die  Klinik  kamen,  so  daß  nur 
vier  Todesfälle  in  Bechnung  zu  ziehen  sind.. 

Eine  andere  Beihe  betrifft  diejenigen  Fälle,  die  sich 
bei  der  Obduktion  mit  einer  oder  mehreren  organischen 
Krankheiten  kompliziert  zeigten  oder  sogar  nur  diese  als 
Todesursache  aufwiesen,  als'O  überhaupt  keine  Puerxieral- 
infektion  darstellten.  Zn  den  letzteren  gehörtPr. -Nr.  Fi 45  05, 

ein  frischer  Typhus,  kompliziert  mit  frischer,  miliarer  luhei- 
knlosc ;  klinisch  waren  lohmfarhenc  Stühle  und  starker 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  22 


Husten  niil  Expektoraliuii  a iifge treten.  Nebenbei  bestand 
eine  leidite  Endometritis  mit  Belägen;  die  Kultur  aus  dem 
Uterussekrete  imd  Blute  war  negativ. 

Ferner  die  Patientin  Pr. -Nr.  1599 — 05,  die  bereits 
14  Tage  vor  der  Spitalsaufnalime  Dyspnoe  und  schaumiges 
Sputum  hatte  und  mit  sehr  starker  Zyanose,  Pleuritis  sin. 
und  schlechtem  Pulse  an  die  Klinik  kam.  Die  Olaluktion 
ergab  hochgradige  Stenose  und  Insuffizienz  sowohl  der 
Mitralis  als  auch  der  Trikuspidalis  und  Verwachsungen  der 
Aortenklappen;  außerdem  eine  Endometritis  post  abortum. 

Eine  besondere  Rolle  können  wir  bei  dem  sonstigen 
Krankheitsbilde  der  Uterusaffektion  nicht  zuschreiben.  Auch 
hier  war  das  Blut  steril. 

Pr.-Nr.  1808^ — 05  zeigt  wieder  einen  schweren  Tuber¬ 
kulosefall.  Die  Frau  litt  seit  sieben  Monaten  an  starker 
Atemnot,  Husten  und  Stechen.  Im  Wochenbette  Meteoris¬ 
mus,  am  17.  Wochenbettage  Aszites. 

Lungen,  Milz  und  Nieren  zeigten  bei  der  Sektion 
miliare  Tuberkulose  mit  frischen  Nachschüben. 

Ein  ähnlicher  Fall  ist  Pr.-Nr.  3325 — 05.  Pat.  begann 
am  sechsten  Wochenbettage  zu  fiebern  und  bekam  am 
zehnten  Serum;  Temperatur  unverändert,  am  16.  Wochen- 
bettage  Exitus.  Die  Autopsie  ergab  außer  diphtheritischer 
Endometritis  —  nur  im  Bereiche  der  Plazentaransatzstelle 
—  und  sonst  normalem  Genitale  eine  rezente,  miliare  Tuber¬ 
kulose  und  Schwangerscliaftsniere. 

Eine  peritonitische  Form  des  Wochenbettfiebers 
wurde  bei  Pr.-Nr.  3514 — 05  gefunden ;  hier  waren  spär¬ 
liche  Streptokokken  im  Uterussekrete  nachzuweisen ;  das 
Blut  war  steril.  Im  Harne  reichlich  Harnzylinder  und 
Nierenepithel.  Bei  der  Obduktion  fand  sich  eine  diphtheri- 
tische  Endometritis  mit  diffuser,  eitrig-fibrinöser  Peritonitis. 

Der  nächste  Fall  ist  eine  außerhalb  der  Klinik  unter¬ 
suchte,  bereits  febril  aufgenommene  Placenta  praevia  mit 
einem  Schüttelfröste  am  dritten  Wochenbettage.  Sie  be¬ 
kam  am  5.,  8.,  15.  und  20.  Wochenbettage  je  100  g  Serum, 
ohne  Einfluß  auf  die  Temperatur.  Auch  eine  Reihe  weiterer 
Fröste  trat  auf.  Obduktion:  Pyämie,  Abszeß  des  rechten 
Ovars,  eitrige  Phlebitis  der  rechten  Vena  spermatica,  mul¬ 
tiple  Lungenabszesse.  Hier  ist  die  Ansicht  begründet,  daß 
das  Serum  überhaupt  zu  spät  gekommen  ist,  da  die  In¬ 
fektion  höchstwalirsclieinlich  schon  ante  partum  fällt.  Man 
muß  anderseits  betonen,  daß  der  Organismus  auf  400  g 
Serum  nur  mit  einem  Exanthem  reagierte.  Ebenfalls  zu 
spät  kam  das  Serum  bei  einer  Flau  (Pr.-Nr.  2382 — 04),  die 
mit  Tympania  uteri  nach  vergeblichen,  außerhalb  des  Spi- 
tales  gemachten  Forzepsversuchen  an  die  Klinik  kam.  Am 
zw^eiten  Wochenbettage  schon  Schüttelfrost,  fadenförmiger 
Puls;  am  dritten  bekam  sie  Serum,  am  vierten  Exitus: 
Jauchige  Endometritis,  Beckenzellgewebsphlegmone,  von 
Vaginal-  und  Zervixrissen  ausgehend,  eitrige  Pyelonephritis. 

Ein  weiterer  Fall,  Pr.-Nr.  328 — 06,  komplizierte  sich 
mit  einem  Erysipel,  das  vom  linken  kleinen  Labium  aus¬ 
ging.  Die  Patientin  bekam  einen  Tag  nach  Fieberbeginn 
100  g  Serum,  das  Erysipel  trat  erst  am  vierten  Fiebertage 
auf.  Die  Obduktion  ergab  außer  Erysipel  diffuse  Perito¬ 
nitis,  diphtheritische  Endometritis  und  rechtsseitige  eitrige 
Salpingitis. 

Pr.-Nr.  505 — 05  ist  der  letzte  in  dieser  Reihe  der 
Todesfälle  mit  negativem,  nicht  erhobenem  Blutbefnnde. 
Spontangeburt;  am  dritten  Wochenbettage  Frostbeginn,  am 
zehnten  Seruminjektion,  die  am  16.  und  28.  Wochenbett¬ 
tage  wiederholt,  wird,  aber  effektlos  bleibt,  ebenso  wie  intra- 
vamöse  Kollargolinjektion.  Unter  häufigen  Schüttelfrösten 
Exitus  am  45.  Woclienbettage.  Die  Obduktion  zeigte  Jlirom- 
iH)phlebitis  der  Vena  cava,  iliaca,  hypogastrica  und  femo¬ 
ralis  dextra,  sowie  l'hronibose  in  den  rechten  Pararnetran- 
venen. 

Die  folgenden  zwei  Krankengeschicbten  gehören  schon 
in  die  Beilie  der  po.sitiven  Blutbefunde:  Pr.-Nr.  1284 — 05, 
außerhalb  unter.suc'd,  febril  aufgenomnien,  Ipara.  Am  10. 
und  19.  Wochenb<dtage  je  100  g  Serum  ohne  Beaktioji, 
mn  22.  Woclienbettage  Exitus;  Diiililheritische  Endometri¬ 


tis,  Metritis  pundenta,  Senkungsa.bszeß  vom  rechten  Para¬ 
metrium  aus. 

Pr.-Nr.  1217 — 05,  außerhalb  untersucht,  Hpara,  am 
sechsten  AVochenbettage  40°;  Serum  am  10.,  dann  am  14., 
20.,  24.,  28.,  34.,  am  16.  beginnen  Schüttelfröste,  am 
52.  Woclienbettage  Exitus:  eitrige  VIeningitis,  Perikarditis, 
Lungenabszesse,  Endometritis  diphtheritica. 

Auch  die  zwei  noch  zu  besprechenden  Todesfälle  sind 
von  draußen  an  die  Klinik  gekommene  Infektionen.  Die 
eine  Patientin,  Pr.-Nr.  303 — 05  (nach  mehrmaligen  Forzeps¬ 
versuchen)  mit  einem  mißifärbigen  Vaginalrisse  und  mit 
febriler  Temperatur  aufgenommen,  starb  zwei  Tage  nach 
der  Seruminjektion,  die  am  zweiten  Woclienbettage  statt¬ 
gefunden  hatte. 

Die  Obduktion  ergab  eine  jauchige  Endometritis  und 
eine  Phlegmone  des  BeokenzcHgewebes,  von  dem  Vaginal¬ 
risse  ausgehend.  Hier  war  die  Serumbehandlung  von  vorn¬ 
herein  ebensowenig  aussichtsvoll  wie  im  nächsten  Fälle, 
eines  außerhalb  digital  ausgeräumten  Abortus  (530 — 05), 
der  febril  und  nach  zwei  Frösten  an  die  Klinik  kam.  Er  er¬ 
hielt  sofort  Serum  und  starb  zwei  Tage  nach  der  Aufnahme. 
Die  Obduktion  zeigte  außer  diphtheritischer  Endometritis 
multiple,  nietastatische  Myositis;  in  allen  Organen  Strepto¬ 
kokken. 

Ueberblicken  wir  die  Reihe  der  Todesfälle  noch  ein¬ 
mal,  so  ist  ein  effektives  Versagen  des  Serums  trotz  früher 
Injektion  in  zwei  Fällen  zu  erkennen ;  bei  den  anderen  tragen 
wahrscheinlich  auch  zu  spätes  Verabreichen  des  Serums 
und  Krankheitskomplikationen  zum  Mißerfolge  bei.  Ver¬ 
mehrte  Serumgaben  können  einen  etwaigen  Zeitverlust  nicht 
kompensieren ;  auch  die  große  Dosis  von  über  einem  halben 
Liter  blieb  ohne  Effekt,  allerdings  was  besonders  betont 
werden  muß,  auch  ohne  schädlichen  Einfluß,  soweit  er 
aus  dem  klinischen  Verhalten  deduziert  werden  könnte. 

Wenn  wir  bei  dieser  Gelegenheit  die  Obduktions¬ 
befunde  auch  zur  Feststellung  der  Einbruchspforte  der  In¬ 
fektion  verwenden  wollen,  so  zeigen  die  Vagina  als  Aus¬ 
gangspunkt  die  Fälle  Pr.-Nr.  303 — 05  mid  Pr.-Nr.  2382^ — 04; 
beide  hatten  Einrisse  der  Scheidenwand  nach  Forzeps  mit 
anschließender  Beckenzellgewebsphlegmoiie,  der  erste  am 
Introitus,  der  zweite  im  oberen  Anteile  mit  Zendkalriß. 

Ein  dritter  Fäll,  Kraniotomie  wegen  drohender  Uterus¬ 
ruptur,  Pr.-Nr.  3009 — 05,  nimmt  eine  Zwischenstellung  ein, 
indem  neben  der  diphtlieri tischen  Endometritis  auch  eine 
belegte  Quetschwunde  an  der  linken  Vaginal  wand  in  vivo 
konstatiert  wurde ;  ein  fortgeleiteter  Prozeß  war  makro¬ 
skopisch  in  cadavere  nicht  zu  sehen. 

Bei  acht  Fällen  war  teils  diphtheritische,  teils  jauchige 
Endometritis  nachzuweisen. 

Wenn  wir  uns  .nun  zu  den  Fällen,  die  in  Heilung 
übergegangen  sind,  wenden  69  an  Zahl  —  so  ist  es 
natürlich  schwer,  bei  einem  bestimmten  Fälle  zu  behaup¬ 
ten,  er  sei  durch  das  Serum  genesen.  Aber  man  kann  immer¬ 
hin,  wenn  in  einer  ganzen  Reihe  die  Temperatur  auf  die 
Seruminjektion  abfäilt,  eventuell  bis  zur  Norm  und  dort 
verbleibt,  oder  noch  deutlicher,  wenn  dies  erst  nach  einer 
wiederholten  Serumgabe  geschieht,  wohl  von  einer  gün¬ 
stigen  Beeinflussung  des  Krankheitsprozesses  durch  das 
Serum  reden,  was  von  um  so  höherem  Werte  ist,  je  mehr 
klinische  Symptome  sonst  für  eine  schwere  Infektion 
sprechen,  wie  unter  anderem  die  Fröste  und  die  positiven 
Blutbefunde.  Bei  Pat.  Pr.-Nr.  783 — 05  trat  am  vierten 
Wochenbettage  ein  Frost  auf.  Temperatur  40°,  Ihds  132, 
Lochien  übelriechend;  am  sechsten  Woehenbettage  ein 
zweiter  Frost,  im  Uterussekrete  und  im  Blute  Streptokokken. 
Am  siebenten  Wochenbetlage  100  g  Serum  l)ci  40-2°,  am 
nächsten  Tage  38-7°,  dann  Anstieg  bis  zum  elften  Tage 
auf  40-4°,  ein  zweiteslnal  100  g  Serum,  lytischer  Abfall, 
Genesung. 

Ich  verzichte  auf  weitere  Ki-ankengeschichten  an 
dieser  Stelle,  da  dieselben  ohnehin  am  Schlüsse  folgen. 

ln  therapeutischer  Hinsicht  ergäbe  sich  aus  all  dem 
folgendes :  _ 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


657 


Das  Serum  ist  möglichst  frühzeitig,  bei  von  | 
vornherein  infektions verdächtigen  Kranken  pro¬ 
phylaktisch  (eventuell  ante  partum)  zu  geben. 

Ueble  Folgen  wiederholter  Serumgaben  bis 
zusammen  600  g,  sowie  Einzelgaben  bis  zu  200  g 
sind  nicht  beobachtet  worden.^) 

B 1  u  t  b  0  f  u  n  d  e  : 

Bevor  ich  an  die  Deutung  der  Untersuchungsergeb¬ 
nisse  gehe,  möchte  ich  kurz  die  Methode  schildern.  Die 
Gegend  der  Ellbogenbeuge  wird  mit  Seife  gewaschen,  mit 
Alkohol,  Aether  desinfiziert,  die  Vena  mediana  durch  ma¬ 
nuelle  Kompression  oder  Binde  gestaut,  eine  ausgekochte 
Hohlnadel  perkutan  (ohne  Venenfreilegung)  eingestochen, 
das  Blut  in  einem  sterilen  Glaskolben  aufgefangen,  daselbst 
durch  Schütteln  mit  Porzellanschrot  defibriniert  und  dann 
so  der  bakteriologischen  Untersuchung  übermittelt. 

Es  erhebt  sich  sofort  die  Frage,  ob  die  so  erhobenen 
Blutbefunde  zuverlässig  sind,  d.  h.  ob  sowohl  positive  als 
auch  negative  Ergebnisse  als  solche  verwertet  werden 
können.  Schon  die  Venenpunktion  ohne  Freilegung  des  _Ge- 
fäßes  hat  früher  viel  Gegner  gefunden,  namentlich  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  Verunreinigung  des  Blutes  durch  Hautsapro- 
phyten.  Lange  Untersuchungsreihen  verschiedener  Forscher 
haben  indes  ergeben,  daß  einerseits  diese  Zwischenfälle 
relativ  selten  sind,  anderseits  bakteriologisch  leicht  erkannt 
werden  können.  Es  wäre  ferner  zu  erwägen,  daß  beim  Auf¬ 
fangen  des  Blutes  im  Glaskolben  sich  leicht  Luftbakterien 
beimengen  können.  Der  schwerwiegendste  Punkt  ist  aber 
wohl  der,  daß  das  Blut  nicht  gleich  verarbeitet,  sondern 
äußerer  Umstände  halber  erst  zur  Untersuchungsstation 
transportiert  werden  muß.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  durch 
die  lange  Abkühlung  des  Blutes  Keime  zugrunde  gehen 
können,  die  bei  konstanter  Wärme  ihres  Nährbodens  kul¬ 
turell  nachgewiesen  worden  wären.  Den  Wert  solcher  Kau- 
telen  sieht  man  am  besten  an  den  Blutuntersuchungen  beim 
Typhus,  wo  Kühn  au  im  Jahre  1897  unter  41  Typhusfällen 
zwölfmal  Bac.  typh.  im  Blute  nachweist,  indem  er  das  letz¬ 
tere  in  Bouillon  auffängt,  unter  Schütteln  in  das  Laborato¬ 
rium  bringt  und  dort  Agarplatten  gießt,  gegenüber  den  84% 
Schottlmü Ilers,  der  das  aspirierte  Blut  direkt  mit  dem 
körperwarmen  Kulturagar  vermengt.  Es  ergibt  sich  daraus, 
daß  unsere  negativen  Fälle  vielleicht  nicht  alle  in  dem 
Sinne  negativ  waren,  daß  das  Blut  überhaupt  keine  Keime 
enthielt;^)  wohl  könnte  man  aber  annehmen,  daß  .nur  die¬ 
jenigen  Mikroorganismen  sich  hiebei  dem  kulturellen  Nach¬ 
weise  entzogen,  die  schon  von  vornherein  weniger  wider¬ 
standfähig  waren  und  anderseits  schließen,  daß  die  lebens¬ 
kräftigen  Individuen  auch  die  klinisch  bedeutsamsten 
waren,  so  daß  der  etwaige  Mangel  in  der  Technik 
vielleicht  gleichzeitig  zu  einer  Sonderung  des  Materiales 
führt. 

Es  ist  indes  nicht  anzunehmen,  daß  auch  bei  Beob¬ 
achtung  der  genauesten  Kautelen  sich  die  Verhältniszahlen 
der  positiven  und  negativen  Blutbefunde  erheblich  ver¬ 
schoben  hätten;  es  ist  vielmehr  walirscheinlich,  daß  ana¬ 
tomisch  bestimmte  Formen  des  Puerperalprozesses,  selbst 
wenn  sie  zum  Exitus  führen,  mit  keiner  nennenswerten 
Bakteriämie  einhergehen.  Bei  ihnen  spielt  die  Toxinämie 
die  Hauptrolle,  auch  im  Falle  einer  komplizierenden  Peri¬ 
tonitis. 

Gewiß  ist  großer  Wert  darauf  zu  legen,  daß  die  Blut¬ 
befunde  an  der  Lebenden,  nicht  post  mortem  und  nicht 
in  agone  erhoben  werden ;  denn  der  Rückgang  der  bak¬ 
teriziden  Kraft  des  Blutes  begünstigt  die  Vermehrung  auch 

h  Während  der  Ferligslellung  der  vorliegenden  Arbeit  ist  die 
Abhandlung  ßurkards  aus  Graz  über  das  gleiche  Thema  erschienen. 
Während  er  mit  uns  die  frühzeitige  Gabe  des  Serums  empfiehlt,  können 
wir,  wie  oben  ausgedrückt,  an  der  Hand  unseres  Materiales  eine 
schädigende  Wirkung  des  Serums  nicht  konstatieren.  Im  übrigen  bietet 
die  Arbeit  Burkards  eine  erfreuliche  Ergänzung  des  obigen  Materiales 
und  prinzipielle  Bestätigung  unserer  Ergebnisse. 

Auf  eine  methodische  Reihe  von  ßlutuntersuchungen  an  den 
einzelnen  Pat.  haben  wir  an  unserer  Klinik  mit  Rücksicht  auf  die 
Kranken  verzichtet. 


solcher  Keime,  die  voui  lebenskräftigen  Organismus  ver¬ 
nichtet  worden  wären;  in  ätiologischer  Beziehung  bleiben 
ja  auch  die  Ergebnisse  post  mortem  von  Wichtigkeit. 

Wir  haben  bei  den  15  Todesfällen  sechs  positive  und 
fünf  negative  Blutbefunde ;  bei  zwei  wurde  kein  Blut  ab¬ 
genommen,  bei  einer  sehr  abgemagerten  Patientin  mi߬ 
glückte  die  Venenpunktion  und  bei  einer  wurde  das  Blut 
nicht  genügend  defibriniert.  Von  den  positiven  sind  fünf 
reine  Streptokokkenfälle,  bei  einem  gingen  auch  Staphylo¬ 
kokken  auf. 

Stellen  wir  die  Fälle  mit  Rücksicht  auf  das  Obduk¬ 
tionsergebnis  zusammen. 

Negativ: 

Pr.-Nr.  1432 — 05 :  Endometritis,  Abszeß  des  rechten 
Ovars,  multiple  Lungenabszesse. 

Pr.-Nr.  1745 — 05:  frischer  Typhus,  frische  Tuber¬ 
culosis  pleurae. 

Pr.-Nr.  1599—05 :  alte  Endokarditis  mit  Klappenver¬ 
wachsung. 

Pi’.-Nr.  3514 — 05 :  Endometritis  diphtheritica,  Schwan¬ 
gerschaftsniere,  fibrinöse  Peritonitis. 

Pr.-Nr.  328 — 06:  Endometritis  diphtheritica,  Erysipel 
des  linken  Labium  mains,  Salpingitis  dextra,  diff.,  serös., 
fibr.  Periton.,  Pleur.  bilat. 

Positiv: 

Pr.-Nr.  303 — 05 :  Phlegmone  des  Beckenzellgewebes 
rechts. 

Pr.-Nr.  332 — 06:  Metrolymphangitis  rechts,  rück¬ 
wärts  und  seitlich. 

Pr.-Nr.  1217 — 05:  eitrige  Perikarditis,  Meningitis,  Pleu¬ 
ritis,  Thrombophlebitis  der  rechten  Vena  iliaca  und  hypo- 
gastrica. 

Pr.-Nr.  1284 — 05 :  Senkungsabszeß  rechts  und  Para¬ 
metritis. 

Pr.-Nr.  530 — 05 :  Otitis  media  suppurativa  bil.,  Myo¬ 
sitis  metastatica,  Endometritis  diphtheritica. 

Pr.-Nr.  3009 — 05 :  Endometritis  diphtheritica,  septische 
Milzinfarkte,  rezente  Endokarditis. 

So  scheint  sich  aus  dieser  kleinen  Reihe  folgendes 
zu  ergeben :  Entzündung  des  Uterus  und  seiner  Adnexe  auf 
infektiöser  Basis  führen,  auch  wenn  mit  Peritonitis  kom¬ 
pliziert,  nicht  zu  einer  namhaften  Bakteriämie;  erst  Lymph- 
angitiden  und  Einschnielzungsvorgänge,  sei  es  im  Organ¬ 
gewebe,  sei  es  in  den  Thromben  der  ergriffenen  Venen, 
führen  dazu.  Dies  würde  mit  den  Befunden  von  Bertels¬ 
mann  übereinstimmen,  der  bei  Lymphangitis  und  Phleg¬ 
mone  am  häufigsten  Bakteriämie  beobachtete.  Der  Fall 
Pr.-Nr.  530 — 05  mit  metastatischer  Myositis  würde  nicht 
absolut  dagegen  sprechen,  da  bei  ihm  eine  chronisch-eitrige 
Mittelohrentzündung  bestand  und  es  keineswegs  ausge¬ 
schlossen  erscheint,  daß  die  Kokken  schon  von  diesem 
Herde  ausgehend  im  Blute  kreisten  und  sich  im  puerperalen 
Uterus,  als  dem  Locus  minoris  resistentiae,  festsetzten  oder 
die  Infektion  von  außen  unterstützten.  Auch  der  anschei¬ 
nende  Widerspruch  in  der  negativen  Reihe  (Pr.-Nr.  1432 — 05), 
wo  ein  negativer  Blutbefund  und  multiple  Abszesse  in  ver¬ 
schiedenen  Organen  einander  gegenüber  stehen,  erklärt  sich 
leicht  damit,  daß  der  Blutbefund  vom  fünften  Wochenbett¬ 
tage  datiert,  die  Patientin  erst  am  22.  Wochenbettage  starli 
und  die  ominösen  Schüttelfröste  erst  am  17.  Wochenbettage 
einsetzten.  Höchstwahrscheinlich  hätte  man  da  auch  Bak¬ 
terien  im  Blute  gefunden.  Umgekehrt  wird  gewiß  bei  einer 
Reihe  von  Fallen  mit  anfänglich  positivem  Blutbefunde  in 
späterer,  vielleicht  ganz  kurzer  Zeit  das  Blut  wieder  steril. 
Man  denke  nur  an  die  Fälle  von  Infektionen,  wo  die  unter 
den  Erscheinungen  des  Schüttelfrostes,  hoher  Temperatur¬ 
steigerung  mit  oft  stärkerer  Prostration  in  die  Blutbahn  ein¬ 
gedrungenen  Mikroorganismen  ei’staunlich  schnell  eliminiert 
werden.  Auch  wir  verfügen  über  einen  derartigen  geheilten 
Fäll  (Pr.-Nr.  3672 — 04),  wo  am  achten  Wochenbettage 
Streptokokken  im  Blute  waren,  am  23.  aber  bei  viel  höherer 
Temperatur  das  Blut  steril  war.  Allerdings  ist  das  ein  mit 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


QU 


Serum  beliaiidelter  Fall  und  es  bleibe  dahingestelll,  ob  hier 
olme  Serum  die  Ivohken  aus  dem  Blute  verschwunden 
wären.  Tatsächlich  ist  aber  diese  spontane  Desinfektion 
des  Blutes,  weim  man  so  sagen  darf,  bereits  in  vielen  Fällen 
von  Phlegmonen,  Lymphangitiden,  auch  Puerperalprozessen 
(Lenhartz)  konstatiert  worden,  wo  z.  B.  bei  der  ersten 
Blutentnahme  unzählige  Streptokokkenkolonien  wuchsen,  bei 
der  zweiten  einige  Tage  später  nur  eine  geringe  Zahl,  hei 
der  dritten  die  Kulturen  steril  blieben. 

Man  kann  daher  bei  diesen  allgemeinen  Forschungs¬ 
ergebnissen  heute  nicht  mehr  nach  einem  einmaligen  Blut¬ 
befunde  eine  Einteilung  der  Fälle  treffen,  weder  bezüg¬ 
lich  ihrer  Schwere,  noch  bezüglich  ihres  Heilerfolges ;  denn 
es  ist  klar,  daß  das,  was  eventuell  als  Fortschritt  der  The¬ 
rapie  erscheint,  nur  eine  zu  wenig  ausgedehnte  Reihe  von 
Beobachtungen  ist.  Ebenso  wie  eine  einzelne  Leukozyten-  , 
Zählung  für  den  Verlauf  einer  Krankheit  nichts  beweist, 
kann  nur  eine  methodische  Reihe  von  Blutkulturen  jedes 
einzelnen  Falles  der  Differentialdiagnose  gegenüber  von 
Wert  sein.  Immerhin  ist  es  auffällig,  daß  wir  bei  unseren 
in  Heilung  übergegangenen  Puerperalfieberfällen  —  69  an 
der  Zahl  —  nur  achtmal  in  der  Lage  waren,  Bakterien  im 
Blute  nachzuweisen. 

Das  genauere  Verhältnis  ist  folgendes: 

Positive  Blutbefunde  8;  davon  rein  Streptokokken  5; 
Strepto-  und  Staphylokokken  2;  rein  Staphylokokken  1. 

Negative  Blutbefunde  49;  davon  mit  negativem  Kul¬ 
turbefunde  aus  dem  Uterus  13 ;  Streptokokken  21 ;  Staphylo- 
Streptokokken  18;  rein  Staphylokokken  *2.  Kein  Blutbefund 
wurde  bei  12  erhoben. 

Fieberverlauf 'und  Nebenwirkungen  des  Serums. 

Es  ist  bekannt,  daß  auch  die  Fieberkurve,  wie  der 
ganze  Ablauf  des  Puerperalprozesses,  sich  schwer  in  be¬ 
stimmte  Schablonen  drängen  läßt;  ja,  auch  der  Versuch, 
den  Temperatur\mrlauf  und  bestimmte  Infektionserreger  in 
konstante  Verbindung  zu  bringen,  mißglückt  meistens. 
Darum  ist  es  begreiflich,  daß  der  Einfluß  der  Seruminjek¬ 
tionen  auf  das  Fieber  nur  mit  großer  Vorsicht  zu  deuten 
ist;  immerhin  mag  eine  Konstanz  der  Befunde  in  bestimm¬ 
ter  Richtung  doch  verwertet  werden. 

Da  ist  vor  allem  zu  bemerken,  daß  von  den  verstor¬ 
benen  Frauen  nur  eine  einzige  (Pr. -Nr.  511 — 05)  keinen  Tem¬ 
peraturabfall  nach  Seruminjektion  aufwies.  Diese  starb  erst 
am  44.  Tage  nach  Fieberbeginn  und  die  Sektion  zeigte 
eine  ausgedehnte  Thrombose  vom  rechten  Parametrium  bis 
in  die  Kava  hinauf,  keine  Eiterungen  oder  Embolien.  Die 
geheilt  Entlassenen  weisen  fast  alle  ein  Heruntergehen  der 
Temperatur  nach  der  ersten  Seruminjektion  auf,  die  oft 
über  1°  beträgt.  Minder  deutlich  ist  diese  Erscheinung, 
wenn  man  die  wiederholten  Injektionen  vergleicht,  weil  da 
sehr  häufig  präkursorisches  Steigen  der  Eigenwärme  ein¬ 
setzt,  das  dem  Erscheinen  des  Serumexanthems  vorauszu¬ 
gehen  pflegt.  Das  Abklingen  des  Fiebers  war  bei  unseren 
Kranken,  namentlich  wenn  man  die  Fälle  von  Saprämie 
(gleichzeitige  Entfernung  von  Plazentarresten  oder  Eihäuten 
mit  der  Injektion)  beiseite  läßt,  überwiegend  ein  lytisches. 
Auch  wenn  das  Auftreten  des  Exanthems  eine  Temperatur- 
Steigerung  zur  Folge  hatte  —  was  durchaus  nicht  immer 
der  Fall  war  —  so  näherte  sich  auch  diese  lytisch  der  Norm; 
eine  Mischung  beider  Typen:  kritischer  Abfall  des  Exan- 
tliemfiebers  nach  früherer  lytischer  Entfieberung  und  um¬ 
gekehrt,  war  sehr  selten.  Der  Beginn  des  Fiebers,  bei  dem 
wir  15mal  einen  initialen  Schüttelfrost  verzeichnet  finden, 
fiel  gewöhnlich  auf  den  dritten  bis  fünften  Wochenbettag. 

Was  nun  die  Nebenwirkungen  des  Serums  betrifft, 
so  ist  vor  allem  .das  Exanthem  zu  erwähnen.  Es  ist  keine 
imbedingt  notwendige  Folge  der  Seruminjektion :  von 
83  Fällen  trat  es  45mal  auf,  darunter  bei  allen  geheilten 
Patienten  mit  positivem  Blutbefunde.  Es  beginnt  meistens 
um  die  Injektionsstelle,  um  entweder  daselbst  lokalisiert 
zu  bleiben  oder  progredient  zu  werden,  wobei  es  nicht 
selten  ein  marginiertes  Aussehen  zeigt.  Bei  wiederholter 
Seruminjektion  wiederholt  sich  auch  oft  das  Auftreten  des 


Exanthems  derart,  daßz.  B.  das  erste  an  den  Überschenkeln, 
das  zweite  an  Rumpf  und  oberen  Extremitäten,  das  dritte 
im  Gesichte  erscheint.  Es  ist  gewöhnlich  kleinfleckig, 
masernartig,  aber  auch  zusammenfließend,  scharlachähn¬ 
lich  oder  bildet  Quaddeln;  auch  können  an  einer  Patientin 
verschiedene  Arten  auftreten.  Jucken  ist  nicht  selten.  Die 
Temperatur  steigt  prodromal  oder  in  den  ersten  Tagen  und 
fällt  mit  dem  Aufhören  des  Exanthems  lytisch  oder  kritisch 
ab ;  doch  gibt  es  auch  genug  Serumausschläge  ohne  Tem- 
peralursteigerung.  Interessant  ist  der  Fäll  Pr.-Nr.  409 — 05, 
wo  gleichzeitig  mit  dem  Exanthem  der  Mutter  ein  ganz 
ähnliches  heim  Kinde  auftrat  und  auch  verschwand ;  der 
damals  beigezogene  Dermatologe  hielt  eine  Serumintoxi¬ 
kation  auf  dem  Wege  der  Milch  beim  Kinde  für  sehr  wahr¬ 
scheinlich;  übrigens  wurde  dessen  Befinden  nicht  im  ge¬ 
ringsten  gestört.  Von  anderen  Begleiterscheinungen  sind 
die  Gelenkssclmierzen  und  Schwellungen  zu  bemerken,  die 
ebenfalls  zur  Beobachtung  kamen  und  vielleicht  auf  die 
soeben  an  der  Haut  beschriebenen  analogen  Vorgänge  au 
der  Synovia  zurückzuführen  sind.  Dafür  spräche  auch,  daß 
sie  öfters  nach  dem  Ablaufe  eines  Exanthems  nachschub¬ 
artig,  auch  mit  Temperatursteigerung,  auftreten.  Sie  be¬ 
fallen  mit  Vorliebe  große  Gelenke,  Schulter,  Hüften,  Knie; 
an  letzterem  konnte  wiederholt  Balottement  der  Patella  nach¬ 
gewiesen  werden.  Meist  verlaufen  sie  auch  ohne  weitere 
Störungen ;  nur  einmal  (Pr.-Nr.  787 — 05)  führten  sie  zu  Kon¬ 
trakturen  im  Kniegelenke,  die  Massage  notwendig  machten; 
übrigens  waren  gerade  hier  viele  klinische  Symptome,  die 
für  Hysterie  sprachen.  Sehr  wohltätig  wirkt  das  Aspirin, 
auch  gegen  fallweise  auftretende  Muskelschmerzen. 

'  Analog  den  Beobachtungen  hei  der  ,, Serumkrankheit“ 
(Pirc[uet  und  Schick)  haben  auch  wir  wiederholt  Drüsen¬ 
schwellungen  u.  zw.  der  Leistengegend  gesehen,  die  zu¬ 
weilen  schmerzhaft  waren  und  mit  Dunstumschlägen  be¬ 
handelt  wurden;  sie  gingen  immer  zurück.  Vielleicht  gehört 
auch  eine  plötzlich  auftretende  Tonsillitis  hieher.  Andere 
bedrohliche  Erscheinungen,  wie  sie  z.  B.  Lenhartz  nach 
Seruminjektion  beschreibt,  Vermehrung  der  Schüttelfröste, 
plötzliche  Verschlechterung  des  Zustandes,  haben  wir  nie 
beobachtet,  selbst  bei  Gesamtgaben  von  600  cm^  und  Einzel¬ 
gaben  von  200  enU  und  können  deshalb  die  Fürcht  vor 
Serumintoxikation  nicht  als  Kontraindikation  gelten  lassen. 
Wir  glauben  vielmehr,  in  dem  Serum  ein  Mittel  zu  besitzen, 
das  nach  unseren  Beohachtungen  unschädlich  ist  und  uns 
im  Kampfe  gegen  das  Puerperalfieber  eine  beachtenswerte 
Waffe  mehr  bietet. 

Krankenges  chich  ten. 

Reine  Streptokokken  fälle. 

Pr.-Nr.  1215 — 04.  P.  M.,  39jälirige  V  para.  Spontaner  Partus 
und  manuelle  Plazentarlösung  außerhalb  der  Klinik.  Aufnahrns- 
temperatur  39-3,  3.  Wbt.  Frost,  39-2,  4.  Wbt.  Frost,  39-3.  Döderlein 
und  Kulturen  daraus  Streptokokken  rein.  4.  Wbt.  bei  39  4,  P.  108, 
100  Elis  (Name  des  zur  Serumgewinnung  verwendeten  Pferdes) 
Serum.  Blut  steril.  Lylisclie  Entfieberung.  Ab  10.  Wbt.  afebril. 
Am  13.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2701 — 04.  W.  C.  L.,  22jährige  Ipara.  Spontaner 
Partus,  Krankheitsbeginn  4.  Wbt.,  39-1,  P.  108,  Frösteln.  In 
den  Lochien  Streptokokken,  Blut  steril.  Am  5.  Wbt.  bei  40-2, 
P.  156,  100  Elis.  Eihautfetzen  entfernt.  Kritischer  Abfall  vom 
6.  auf  den  7.  W^bt.,  dann  afebril.  Am  14.  W'bt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2751 — 04.  St.  R.,  49jäbrige  II  para,  Blasenmole,  Aus¬ 
räumung.  Krankheitsbeginn  1.  Wbt.,  38-9,  P.  120,  2.  Wbt.  Uöder- 
lein  und  Kultur  Streptokokken.  3.  Wbt.  bei  39  6,  P.  114,  100  Serum 
(Name  des  Pferdes  nicht  angegeben).  Blut  steril.  Lytischer  Ab¬ 
fall  bis  zum  5.  Wbt.  Am  6.  Wbt.  39-1,  P.  116,  100  Serum,.  Ab 
5.  W'bt.  Schwellung  des  rechten  Schultergelenkes.  Lyhseber 
Fieberabfall.  Ab  12.  W^bt.  afebril.  Kein  Exanthem  beobachtet. 
25.  W'^bt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3022 — 04.  23jährige  Ipara.  Spontaner  Partus,  Krank¬ 
heitsbeginn  6.  Wbt.,  38-5,  P.  120,  Döderlein  und  Kulturen  Strepto- 
kokkeu.  Am  7.  W^bt.  hei  40,  P.  132,  100  Elis,  Blut  steril.  8.  Wbt. 
37-9,  P.  110.  Am  9.  W^bt.  Frost,  39,  P.  130;  100  Elis.  Am 
10.  W^bt.  Frost,  39-8,  P.  130;  100  Elis.  Am  12.  Wbt.  afebril. 
Am  13.  W^bt.  40-3,  P.  140.  Schmerzen  im  rechten  unteren  Bauch¬ 
quadranten,  ohne  positiven  Palpationsbefund.  Atypischer  Fieber- 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE 


verlauf  mit  noch  zweiinaligeni  Aiisliege  über  39  am  17.  und 
19.  Tage.  Dann  afel)ril  am  31.  Wbt.  entlassen.  Kein  Exanthem 
beobachtet. 

Pr.-Nr.  3144  05.  M.  A.,  33jährige  Illpara.  Spontaner  Par¬ 
tus,  Ivrankheitsbeginn  5.  Wl)l.,  38-8,  P.  100.  Döderlein  und 
Kulturen  Streptokokken.  Am  12.  Wbl.  bei  39-4,  P.  86,  70  Elis 
Pint  steril.  Temperal'ur  um  38,  remittierend.  Ab  15.  WIR.  afebril’ 
vom  18.  bis  21.  Wirt,  leichtes  Exanthem  um  die  Injektions¬ 
stellen  ohne  Temperalursteigerung;  am  24.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  303—05.  W.  F.,  29jährige  I  para.  Variola,  sonst 
keine  Vorkrankheiten.  Pat.  wurde  von  einer  Hehamme  zweimal 
untersucht,  zweimal  Forzepsversuche  aus  unbekannter  Indikation, 
dann  mit  37-9  an  die  Klinik  gewiesen.  Kräftige  Wehen,  dann 
Ausgangsforzeps  wegen  schlechter  kindlicher  Herztöne.  Manuelle 
Plazentalösung,  intrauterine  60%ige  Alkoholausspülung.  2.  Wbt. 
nachmittags  Schüttelfrost,  starker  Meteorismus,  trockene  Zunge, 
P.  144,  T.  38-4.  Dikroter  Puls.  In  der  rechten  Vaginalwand 
ein  mißfärbiger  Riß.  Im  Döderlein  Diplokokken,  Kultur  steril. 
Aus  dem  Blute  Streptokokken  kultivierbar.  2.  Wbt.  100  Elis. 
Unter  zunehmendem  Verfalle  und  wiederholten  Frösten  am  4.  IVht. 
Exitus.  Jauchige  Endometritis,  eitrige  Metrophlebitis  und  Phle¬ 
bitis  der  rechten  Vena  spermatica.  Eitrige  Peritonitis  (Strepto¬ 
kokken  in  Reinkultur).  Einriß  des  Introitus  vaginae  rechts  mit 
anschließender  Phlegmone  des  Beckenzellgewebe-s. 

Pr.-Nr.  320 — 05.  A.  J.,  20jährige  Ipara.  Partus  normal, 
Krankheitsbeginn  4.  Wbt.,  38-9,  P.  120,  mit  initialem  Froste. 
8.  Wbt.  bei  40,  P.  106,  100  Elis.  Im  Döderlein  Streptokokken, 
Kultur  und  Blut  steril.  Am  9.  und  10.  Wbt.  Abfall  bis  37-5, 
P.  84,  am  11.  Wbt.  38-1,  am  12.  Wbt.  39-5.  Am  13.  Wbt.  100  Elis' 
bei  39-3.  Am  14.  Wbt.  Exanthem,  die  Temperatur  steigt  dahei 
bis  zum  16.  Wbt.  bis  39-9,  um  dann  kritisch  bis  36-3  (18.  Wbt.) 
abzufallen,  dann  remittierendes  Fieber  vom  19.  bis  22.  Wbt. 
Am  23.  AVbt.  nochmaliger  Anstieg  auf  39-3;  bis  25.  Wbt.  noch 
Exanthem  bei  lytiscber  Entfieberung.  Seit  30.  Wbt.  fieberfrei. 
Am  40.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  490 — 05.  P.  M.,  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus 

11.  Februar,  Ubr.  Krankheitsbeginn  5.  Wbt.  Kultur  Strepto¬ 
kokken.  Blut  nicht  defibriniert.  Am  11.  Wbt.  bei  40-4  100  Elis. 
Kritischer  Ahfall.  Am  12.  Wbt.  Temperatursteigerung  37-8.  Seit¬ 
her  afebril.  Vom  14.  bis  22.  Wbt.  Exanthem  hei  der  Mutter  (ohne 
Temperatursteigerung).  Gleichzeitig  tritt  beim  Kinde  ein  allge¬ 
meines  Exanthem  auf.  (Durch  die  Milch  vermittelte  Senmi  In¬ 
toxikation?)  Das  kindliche  Exanthem  schwindet  mit  dem  mütter¬ 
lichen.  Am  24.  Wbt.  gesund  entlassen. 

Pr.-Nr.  511 — 05.  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus  13.  Fe¬ 
bruar  1905.  Krankheitsbeginn  15.  Februar,  T.  39,  P.  120,  Herz 
und  Lunge  normal  (Dr.  Donath).  22.  Februar  Döderlein  und 
Kultur  Streptokokken.  100  Elis.  Das  entnommene  Blut  nicht 
defibriniert,  daher  nicht  brauchbar.  Vom  22.  bis  24.  Wbt.  Tem¬ 
peratursteigerung  um  39,  P.  um  90.  28.  Februar  Exanthem  an 
den  Oberschenkeln.  (Die  Abendtemperaturen  hleihen  annähernd 
gleich  hoch.  Nur  am  26.  Wht.  war  die  Temperatur  zwischen 

37- 9  und  38-8.)  100  Grisette  hei  39-4  Höchsttemperatur.  1-3, 
37;6,  2.  Wbt.  38-3,  3.  Wbt.  38-5,  4.  Wbt.  38-4.  Am  5.  Wbt. 
mit  Schmerzen  in  beiden  unteren  Bauchgegenden  40-4,  6.  Wht. 
Urtikaria  (Oherschenkel).  Vom  8.  Wbt.  2°/oige  Kollargolklysmen 
5  bis  10  cm^.  13.  Wbt.  Parametrilis  dextra.  8  Uhr  abends  Frost. 
T.  40,  P.  114.  Serum  Grisette  100  g.  Temperatur  bis  39.  Im 
Harne  Silber.  19.,  20.  und  22.  Wbt.  intravenös  2?'o  Kollargol. 
Vom  23.  Wbt.  täglich  Schüttelfröste.  31.  März  12  St.  Exitus. 
Tbromhophlebitis  der  Vena  cava,  iliaca,  hypogastrica,  femoralis, 
dextra,  Thrombose  der  Venen  der  rechten  Parametrien.  Serös 

*  fibrinöse  Pleuritis  rechts  (im  Exsudat  Streptokokken). 

Pr.-Nr.  305 — 05.  P.  K.,  29.jährige  VIi)ara.  Am  8.  Februar 
iiikompletter  Abortus,  der  außerbalb  digilal  ausgeräumt  wurde. 
'Angeblich  schon  vorher  Fieber.  Seither  zwei  Fröste.  Aufuahms- 
temperatur  38-3,  P.  132.  Otitis  media  suppurativa  chronica  bil. 
Harn:  Granulierte  Zylinder;  Albumen  positiv.  Döderlein  und 
Kultur  Streptokokken.  Am  7.  Wbt.  alle  Gelenke  drucksebmerzhaft. 
100  Elis.  Im  Blute  Streptokokken.  Am  9.  Wbt.  plötzlicher  Verfall. 
Exitus.  Endometrilis  diphtheritica.  Myositis  metaslatica  am  Halse, 
am  rechten  Vorderarme  und  an  beiden  Unterschenkeln;  überall 
Streptokokken. 

Pr.-Nr.  764 — 05.  R.  M.,  26jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Am  3.  Wht.  38,  108,  dann  afehril  his  zum  9.  Wbt.  Am  13.  Wbt 
Döderlein  und  Kultur  Streptokokken.  Am  15.  Wbt.  bei  40T  und 
P.  138,  100  Gnom.  Rlut  steril.  Am  17.  Wbt.  bei  39,  7  und 
110,  100  Elis.  Kritischer  Abfall  am  18.  Wbt.  bis  36-7,  am  20.  Wbt. 

38- 2,  Exanthem  bis  28.  WR)t.  jnit  Höchsttemperatur  38.  Vom 
28.  bis  32.  WOrt.  Gelenksschmerzen  mit  Höchsttemperatur  39 
(Enanthem  der  Gelenke?).  Ab  33.  WRjt.  afebril,  38.  WTjt.  ent¬ 
lassen. 


WOCHENSCHRIFT.  1907.  659 


Pr.-Nr.  783 — 05.  H.  A.,  Ipara.  Sponta.ner  Partus.  Am  4.  AVbt. 
40,  P.  132,  Frost,  ül)elnechendo  Lochien.  Am  6.  AVT)f.  Schüttel¬ 
frost.  Döderlein,  Kultur  und  Blut  Streptokokken.  Am  7.  AVbt. 
100  Gnom..  Höchsttemperatur  40  2.  Am  9.  und  10.  AVbt.  39-6, 
am  11.  AVbt.  40-4,  100  Gnom.  Lytischer  Ahfall  bis  zum  17.  AVbt. 
wo  em  Serumexanthem  mit  Steigerung  his  39-5  auf  tritt.  Mit 
dem  Abblassen  des  Exanthems  lytischer  Abfall,  seitdem  afebril. 
Am  31.  AVbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  898—05.  T.  B.,  22jährige  Ipara.  1903  fehril.  Krank¬ 
heitsbeginn  7.  AVbt.,  39-8  P.  120,  Döderlein  und  Kultur  Strepto¬ 
kokken.  Schon  da  eine  leichte  Anschwellung  des*  linken  großen 
Labiums.  Am  13.  AVbt.  bei  39,  P.  110,  100  Elis.  Am  14.,  15., 
16.  und  17.  AVbt.  37-5.  Am  18.  AVbt.  bei  41,  P.  150,  100  Grisette, 
ab  19.  Exanthem  (Dauer  in  der  Krankengeschichte  nicht  ange¬ 
geben),  lytische  Entfieberung.  Am  36.  A\'’bt.  Spaltung  des  Bartbo- 
linischen  Abszesses  (Streptokokken).  Am  43.  AVbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1080 — 05.  H.  I.,  25jährige  IV  para.  Spontaner  Par¬ 
tus.  Außerhalh  untersucht.  Aufnahmstemperatur  38,  am  3.  AA^bt. 
38-6,  P.  120.  Stinkende  Lochien.  Döderlein  und  Kulturen  Strepto¬ 
kokken.  Blut  steril.  100  Grisette.  Am  5.  AAR:)t.  afebril,  am  9.  AAR)!, 
tritt  ein  Exanthem  auf,  am  10.  AVbt.  401,  kritische  Entfieberung; 
dauernd  afebril.  Am  19.  AVbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1104 — 05.  P.  M.,  26jäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  7.  AVbt.,  39,  P.  120.  Am  9.  AVbt.  Frost,  39-9. 
Döderlein  und  Kulturen  Streptokokken,  Blut  (ll.  AVbt.)  steril. 
Am  11.  AARjt.  bei  40  3,  P.  96,  100  Elis.  Am  19.  AARdI.  zweiter 
Frost,  39-5,  P.  96.  Am  20.  AVbt.  bei  385,  P.  96,  100  Gnom. 
Am  21.  und  22.  AA^bt.  afebril,  am  23.  AA^bt.  39-5  mit  Angina 
(Exanthem  der  Tonsillen?).  Am  25.  AVbt.  ausgebreitetes  Exan¬ 
them,  39-6.  Lytische  Entfieberung.  Ab  29.  AVbt.  afebril.  xAin 
43.  AA'^bt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1178 — 05.  L.  T.,  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus 
(manuelle  Plazentarausräumung).  Krankheitsbeginn  5.  AVbt.,  40, 
P.  130.  Am  7.  AA^bt.  Döderlein  und  Kulturen  Streptokokken. 
Am  9.  AA^bt.  bei  39-3  und  P.  114  100  Gnom.  Blut  steril.  Am 

12.  AVbt.  bei  40,  P.  130,  100  Elis.  Remittierendes  Fieber.  Am 
21.  AARü.  Schüttelfrost.  Am  28.  und  31.  AVht.  je  100  Elis.  Exanthem 
vom  30.  his  35.  AA^bt.  Vom  40  AVbt.  an  iRerschreitet  die  Tem¬ 
peratur  nicht  38-7.  Linke  untere  Extremität  total  thromhosiert. 
In  der  linken  Beckenhälfte  eine  kleinfingerdicke,  thrombosierte 
Vene  zu  tasten.  Am  60.  AVbt.  AARasserbett.  Ausgang  in  Heilung. 

Pr.-Nr.  1205 — 05.  H.  D.,  25jährige  Hpara.  Spontaner  Par¬ 
tus.  Krankheitsheginn  4.  AVbt.,  40,  P.  100,  Frost.  Döderlein 
Streptokokken.  Kultur  steril.  Am  9.  AARjt.  bei  39-9,  P.  130, 
100  Elis,  im  , Blute  Streptokokken.  Am  11.  AVbt.  Frost,  40.  Am 

13.  AVbt.  bei  39,  P.  110,  100  Elis.  Am  14.  AVbt.  37.  Exanthem 
an  den  Oberschenkeln,  dauernde  Temperatursteigerung  um  38-5 
bis  27.  AAR)t.,  wo  das  Exanthem  geschwunden  ist.  Lytischer  Ab¬ 
fall,  afebril  bis  zum  36.  AARrt.  Am  37.  AA^bt.  neuerliches  Exanthem; 
T.  40.  Am  39.  AA"bt.  kritischer  Ahfall  mit  Verschwinden  des 
Exanthems.  Seither  afebril.  Am  38.  und  39.  AVbt.  starke  Schmer¬ 
zen  in  den  Gliedern  und  Schultern.  Am  57.  AVbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1217 — 05.  N.  B.,  33jährige  Hpara.  Außerhalb  unter¬ 
sucht.  Blutung,  Kolpeuryse,  Partus  (35  cm,  970  g).  Krankheits¬ 
beginn  6.  AARrt.,  40,  P.  124.  Kultur  Streptokokken.  Am  10.  AARü. 
bei  38-9,  P.  102,  100  Gnom.  Blut  Streptokokken.  Temperatur 
steigt.  Am  14.  AVbt.  bei  40-5,  P.  115,  100  Elis.  Am  16.,  17. 
und  19.  AVbt.  Fröste.  Temperatur  bis  40-5,  am  20.  AA'bt.  100  Elis, 
ebenso  am  24.  und  28.  AARrt.,  bis  dahin  häufige  Schüttelfröste, 
im  ganzen  20  innerhalh  15  Tagen.  Vom  28.  AA^bt.  sinkt  die 
Temperatur  auf  38,  der  Puls  steigt  (140  bis  160).  Am  34.  AA^bt. 
100  Elis.  Verfall,  Exitus  am  52.  AARrt.  Eitrige  Aleningitis  der 
Konvexität,  eitrige  Perikarditis,  embolische  Abszesse  der  rechten 
Lunge  mit  eitriger  Pleuritis,  eitrige  Endometritis,  Thrombophlebitis 
der  rechten  A^ena  iliaca  und  hypogastrica,  Ulcera  duodeni  rotunda, 
mit  Perforation  eines  derselben,  Dekubitalgeschwür  des  Larynx. 

Pr.-Nr.  1236 — 05.  F.  P.,  25jälirige  IV  para.  Spontaner  Partus 
(nicht  untersucht).  Krankheitsbericht  4.  H.  B.  L,  38-3,  P.  120. 
Döderlein  und  Kiütur  Streptokokken,  Blut  (7.  AVbt.)  steril.  Am 
7.  AARü.  bei  39T,  P.  138,  100  Elis,  am  8.  AA'bt.  Höchsttemperatur 
38-9,  am  9.  AAR)(.  38-3,  am  10.  AARjt.  afebril.  Am  11.  und  12.  AARjt. 
staffelförmigor  Anstieg  mit  Ausbruch  eines  großfleckigen  Exan¬ 
thems.  Alit  dessen  Abblassung  lytische  Entfieberung.  AWn  einer 
leichten  Temperatursleigerung  am  20.  AVbt.  (Sclmierzen  in  den 
Oberschenkeln)  abgesehen,  afebril.  Am  31.  AARrt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1284 — 05.  H.  AL,  16jährige  Ipara.  Außerhalb  von 
einer  Hebamme  untersucht.  Aufnahmslemperalur  38-2.  Spon¬ 
taner  Partus.  Krankheitsheginn  4.  AVbt.,  39-4,  P.  90.  Döderlein 
und  Kulturen  Streptokokken.  6.  AARrt.  bei  40  3,  P.  114,  100  Gnom. 
Blut :  Streptokokken,  Staphylokokken  (diese  wahrscheinlich  A^er- 
unreinigung).  10,  AVbt.  100  Gnom  bei  39-6,  P.  102,  ohne  PiO- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


Ufa. 


aktion.  Temperatur  dauernd  um  40.  Am  19.  Wbt.  100  Elis,  40-7, 
P.  134.  Am  22.  Wbt.  Exitus. 

Obduktion:  Endometritis  diphtheritica,  eitrige  Metritis  und 
Parametritis  mit  Senkungsabszeß.  Frische  Thrombose  der  para- 
melrischen  Venen.  Rechts  seröse,  fibrinöse  Pleuritis.  Bakterio- 
logi.scher  Befund:  Streptokokken. 

Pr.-Nr.  1307 — 05.  P.  V.  A.,  30jährige  Ipara.  .Nach  sechs 
eklainptischen  Anfällen  eingeliefert;  Esbach  12%o;  mit  Wendung 
und  Extraktion  enlbunden;  danach  noch  ein  Anfall.  Bis  zum 
4.  Wbt.  somnolent.  Am  5.  Wbt.  stechende  Schmerzen  in  der 
rechten  Brust.  Am  9.  Wbt.  bei  39-G,  P.  154,  100  Grisette;  Döder- 
lein  und  Kultur  Streptokokken,  Blut  steril.  Kollargolklysmen. 
Am  13.  Wbt.  100  Grisette,  am  IG.  und  20.  Wbt.  je  100  Elis. 
Dauernd  febril,  um  38-5,  rechtsseitige  Gangraena  pulmonum: 
Myrtol.  Am  25.,  27.  und  31.  Wbt.  je  10  g  2°/oigen  Kollargols  intra¬ 
venös.  Seit  dem  43.  Wbt.  afebril.  Am  Gl.  Wbt.  entlassen.  Die 
Lungengangrän  wohl  auf  Aspiration  im  eklamptischen  Anfalle 
zurückzuführen ! 

Pr.-Nr.  1407 — 05.  Z.  F.,  21jährige  Ilpara.  Erster  Partus 
normal.  Krankheitsbeginn  4.  Wbt.,  39-2,  P.  132,  Döderlein  und 
Kulturen  Streptokokken.  Am  G.  Wbt.  bei  40-7,  P.  142,  100  Elis. 
Blut  Streptokokken.  Dauernd  hoch  febril.  Am  9.  Wbt.  40-2, 
P.  124,  100  Elis.  Am  12.  Wbt.  Exanthem  am  Oberschenkel,  bei 
40-4.  Dann  Abfall  der  Temperatur,  am  15.  und  16.  Wbt.  afebril, 
am  17.  Wbt.  Exanthem  am  Ellbogen  (39-2),  kritischer  Abfall,  vom 
19.  bis  25.  Wbt.  afebril.  Am  26.  Wbt.  Exantbem  am  Rumpfe, 
Temperatur  steigt  bis  40-3  (28.  Wbt.),  dann  kritischer  Abfall. 
Seit  33.  Wbt.  dauernd  afebril,  am  40.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1432 — 05.  P.  A.,  26jäbrige  lllpara.  1902/1903  zwei 
normale  Partus.  Seit  2.  Mai  Blutung.  Außierbalb  untersucbt.  Auf- 
iiabrnstemperatur  38-2,  P.  116.  Placenta  praevia.  5.  Mai.  Braxton 
Hicks,  totes  Kind,  post  partum  afebril.  3.  Wbt.  Schüttelfrost, 
T.  41,  P.  124,  Döderlein  und  Kultur,  Streptokokken.  Am  5.  Wbl. 
bei  40-4,  P.  130,  100  Elis.  Blut  steril.  Kein  Temperaturabfall. 
Am  8.  .Mrirt.  bei  40,  P.  140,  100  Elis.  Am  9.  Wbt.  40-7,  bis  zum 
13.  Wbt.  intermittierend  Fieber,  um  39.  Am  15.  Wbt.  bei  40-5. 
P.  132,  100  Elis.  Am  16.  Wbt.  Beginn  des  ExanthemS',  am 
17.  Wbt.  Frost,  41-4,  am  20.  Wbt.  Frost,  40,  100  Elis;  ebenso 
Frost  am  22.  und  23.  Wbt.  Temperatur  andauernd  über  40. 
Am  32.  Wbt.  Exitus. 

Obduktion:  Pyämie,  eitrige  Endometritis.  x4bszeß  des 
rechten  Ovars,  eitrige  Phlebitis  der  rechten  Vena  sperraatica, 
multiple  embolische  Abszesse  der  Lungen  (Streptokokken).  Akuter 
i\Iilz tumor  (Streptokokken). 

Pr.-Nr.  1865 — 05.  K.  A.,  37jähr.  IVpara.  Außerhalb  unter¬ 
sucht.  Beim  zweiten  und  dritten  Partus  (1901,  1902)  Fröste. 
Pat.  war  am  9.  Wbt.  bereits  außer  Bett,  als  sie  eine  Ohnmacht  Und 
danach  einen  Schüttelfrost  bekam  (.39-8)  zwei  Tage  afebril.  Am 
13.  Wbt.  wieder  ein  Frost.  Kultur  Streptokokken.  Am  15.  Wbt. 
bei  39-7,  P.  148,  100  Grisette.  Blut  steril.  Andauerndes  intermit¬ 
tierendes  Fieber,  mit  Temperatursteigerung  bis  40-2.  Ah  22.  Wbt. 
(40.)  Kollargolklysmen.  Seit  dem  29.  Wbt.  afebril.  Am  41.  Wbt. 
entlassen. 

Pr.-Nr.  2639 — 05.  K.  M.,  22jähr.  Ipara.  Partus.  5.  bis 
9.  Wbt.  spontan.  Krankheitsbeginn  4.  AVbt.  Döderlein  und  Kul¬ 
turen.  Streptokokken.  Blut  steril.  Am  7.  Wbt.  bei  39'7,  P.  126, 
100  Elis.  Am  8.  und  9.  Wbt.  39,  am  10.  Wbt.  40-6.  Dann  Kollargol 
durch  zehn  Tage.  Seit  dem  14.  Wbt.  afebril.  Am  32.  Wbt. 
entlassen.  Kein  Exanthem. 

Pr.-Nr.  3009 — 05.  R.  M.,  23jälir.  Ipara.  Kraniotomie  wegen 
drohender  Utemsmptur.  Krankheitsbeginn  2.  Wbt.,  39,  P.  120. 
Kein  Frost.  Döderlein  und  Kultur  Streptokokken.  Am  4.  Wbt. 
hei  40,  P.  140,  100  Elis  Serum.  Im  Blute  Strep tokokke]i.  Kein 
Temperaturabfall.  Am  6.  Wbt.  beginnt  Urtikariaexanthera.  Eine 
schon  bei  Fieberbeginn  behandelte  Quetschwunde  an  der  linken 
\  aginalwand  )ioch  belegt.  Jodtinktur.  Kollargol  intravenös  (im 
ganzen  Kraiikheitsverlaufe  114  cg  [Substanz]  Kollargol).  Inter- 
luittierejides  Fieber.  Am  9.  Wbt.  bei  39-7,  P.  144,  109  Elis, 
ohne  Wirkung.  IMeteorismus,  Exitus  am  13.  Wbt. 

Obduktion:  Endometritis  diphtheritica  an  der  Plazentar¬ 
ansatzstelle,  Endokarditis  der  Mitralis,  multiple  septische  Milz¬ 
infarkte,  trübe  Schwellung  der  Leber.  Hämorrhagische  Metritis. 
Die  Venen  von  der  Uteruswand  angefangen,  aufwärts  voll¬ 
kommen  frei. 

P.-Nr.  3308 — 05.  St.  A.,  34jähr.  IVpara.  Frühere  Wochen¬ 
betten  afebril.  Außerhalb  von  einer  nicht  desinfizierten  Hebamme 
untersucht  (zehn-  bis  zwölfmal).  Krankheitsbeginn  3.  Wbt.  38-6, 
P.  96,  Frost.  Döderlein  und  Kultur.  Streptokokken  rein.  44oigo 
Kollai'golklys'mcn.  7.  Wbt.  Frost;  100  Gnom,  bei  39-2,  P.  120 
Blut  steril.  Kritischer  Temperaturabfall.  Am  8.  Wbt.  Höchst¬ 


temperatur  37-8.  Ab  9.  Wbt.  afebril.  15.  Wbt.  entlassen.  Kein 
Exanthem. 

P.-Nr.  3514 — 05.  G.  A.,  20jähr.  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  3.  Wbt.,  38-6,  P.  126.  Döderlein  und  Kulturen 
spärlich.  Streptokokken.  4.  Wbt.  bei  40-6,  P.  144,  100  Elis.  Blut 
steril.  Intermittierendes  Fieber,  um  39.  Am  7.  Wbt.  bei  38-2, 
P.  129,  100  Elis.  Im  Harne  reichlich  Zylinder,  Nierenepilhel. 
Diarrhoe.  Erbrechen.  11.  Wbt.  Exitus. 

Obduktion:  Endometritis  diphtheritica,  mit  diffuser,  eitrig¬ 
fibrinöser  Peritonitis,  hochgradige  Schwangerschaftsniere. 

Pr.-Nr.  65 — 06.  M.  A.,  20jähr.  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  4.  Wbt.,  37-8,  P.  120,  Döderlein  und  Kulturen. 
Streptokokken.  5.  Wbt.  bei  38T,  P.  130,  100  Elis.  Blut  steril. 
Lytischer  Abfall  bis  zum  9.  Wbt.,  wo  unter  38-6,  P.  120,  Exan¬ 
them  an  den  Oberschenkeln  auf  tritt.  Rasch  lytische  Entfieberung; 
es  entwickelt  sich  nun  beiderseitige  leichte  Parametritis.  Kühl¬ 
apparat,  Unguentum  Crede.  Am  22.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  142 — 06.  Cli.  R.  21jähr.  Ipara.  Manualhilfe.  Krank- 
heitsheginn  5.  Wbt.,  39-6,  P.  130,  Schimerzen  im  rechten  Unter¬ 
bauche.  Döderlein  und  Streptokokken,  Kulturen  steril.  6.  Wbt. 
bei  40-4,  P.  144,  100  Grisette.  Breites  Infiltrat  rechts  vom 

Uterus  bis  zur  Beckenwand.  Unguentum  Crede.  Lytischer  Fieber¬ 
abfall;  am  12.  Wbt.  afebril;  vom  13.  bis  19.  Wbt.  febril.  (Höchst¬ 
temperatur  38-6)  dann  wieder  (dauernd)  afebril.  Kein  Exanthem. 
Gebessert,  mit  bedeutend  verkleinertem,  schmerzlosen  Tümor  ent- 
lftSS0Xl 

Pr.-Nr.  995 — 06.  M.  K.,  29jälu’.  IV  para.  Partus  24.  März. 
Kranlvheitsbeginn  5.  Wbt.  P.  140,  T.  39-5,  200  Grisette,  Döderlein 
und  Kulturen:  Streptokokken.  Blut  steril.  Kritischer  Abfall  am 
7.  Wbt.  afebril.  Am  12.  Wbt.  geheilt  entlassen. 

Pr.-Nr.  1363 — 06.  F.  R.,  20jähr.  Ipara.  Intra  et  ante  partum 
nicht  untersucht.  Spontaner  Partus.  8.  Mai.  Krankheitsbeginn 
am  4.  Wbt.  (zwei  Schüttelfröste).  Döderlein  und  Kultur,  Strepto¬ 
kokken,  Blut  (4.  Wbt.)  steril.  Am  4.  Wbt.  bei  39-4,  P.  126, 
100  Gnom.  Am  6.  und  7.  Wbt.  noch  bis  39.  Am  9.  Wbt.  37-8, 

am  10.  Wbt.  37-5.  Am  12.  und  13.  Wbt.  Exanthem  mit  38-2, 

am  15.  Wbt.  heftige  Gelenksschmerzen  ohne  Temperatursteigerüng. 
Ab  13.  Wbt.  afebril,  am  18.  Wbt.  gesund  entlassen. 

Pr.-Nr.  1398 — 06.  A.  F.,  21jä.hr.  Ipara.  Partus  12.  Mai, 

V24  Uhr  am  Krankheitsbeginne.  Am  5.  Wbt.  40-2,  P.  136,  kein 

Frost.  Döderlein  und  Kulturen:  Lange  Streptokokkenketten. 
100  Gnom.  Kritischer  Abfall  auf  37-9,  P.  100  am  6.  Wbt.  Dann 
afebriler  Verlauf.  Am  11.  Wbt.  geheilt  entlassen.  Kein  Exanthem 
beobachtet. 

Pr.-Nr.  1240 — 04.  K.  A.,  40jähr.  Ipara.  Forzeps  wegen 
Wehenschwäche.  Krankheitsbeginn  8.  Wbt.  39-6,  P.  116.  Im 
Döderlein  Streptokokken,  in  der  Kultur  Kolibazillen.  Am  9.  Wbt. 
bei  40,  P.  120,  100  Elis.  Blut,  Streptokokken  rein.  Lytisch  ab¬ 
fallende  Fieberkurve.  Ab  15.  Wbt.  afebril.  Vom  15.  bis  17.  Wbt. 
an  den  Oberschenkeln  juckendes  Erythem.  28.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2236 — 04.  A.  L.,  17jähr.  Ipara.  Krankheitsbeginn 
6.  Wbt.  39-7,  P.  108,  Döderlein  und  Kultur:  Streptokokken.  Am 
9.  Wbt.  bei  39-8  100  Elis.  Blut  steril.  Am  11.  Wbt.  41,  dann 
kritischer  Abfall,  vom  12.  bis  18.  Wbt.  afebril.  Am  19.  Wbt. 
39-6,  dann  jäher  Ahfall,  dauernd  afebril.  Kein  Exanthem.  Am 
28.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2544 — 04.  K.  A.,  20jähr.  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  2.  Wbt.,  38-4,  P.  120.  Im  Döderlein  Strepto¬ 
kokken,  in  den  Kulturen  schlanke  Stäbchen  (Verunreinigung?). 
Am  5.  Wbt.  39-7,  P.  142,  100  Elis.  Blut  steril.  Staffelförmiger 
Abfall.  Am  7.  Wbt.  36-5,  am  8.  Wbt.  40-1,  P.  150,  um  12  Uhr 
mittags  100  Elis.,  um  4  Uhr  nachmittags  40-5.  Inteimittierender 
Abfall;  ab  11.  Wbt.  afebril.  Ohne  jede  Temperatursteigerung* 
am  11.  Wbt.  Masernexanthem  um  die  Injektionsstelle,  vom  13.  bis 

16.  Wbt.  ein  Urtikaria  ähnliches  Exanthem  an  oberen  und  unteren 
Extremitäten.  Am  18.  Wbt.  gegen  Revere  entlassen.  Genesung. 

Pr.-Nr.  2777 — 04.  S.  Ch.,  22jälu*.  Ilpara.  Spontaner  Partus. 
Eihäute  zerfetzt.  Krankheitsbeginn  am  3.  Wbt.,  38-3,  P.  86,  Frost. 
Entfernung  von  Eihäuten  und  Plazentaresten.  Döderlein  und 
Kultur  Streptokokken;  am  9.  Wbt.  bei  39-6,  P.  106,  100  Elis. 
(Blut  Streptokokken.)  Lytische  Entfieberung  bis  zum  12.  Wbt. 
Dann  einmal  39  (am  12.  Wbt.).  Am  13.  bis  15.  Wbt.  Erythem 
(aber  fieberfrei).  Am  19.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3279 — 04.  Z.  E.,  24jähr.  Ilpara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  6.  Wbt.,  38-8,  P.  96.  Döderlein  und  Kulturen 
Streptokokken.  Am  7.  Wbt.  bei  39-4,  P.  160,  100  Elis.  Blut 
steril.  Remittierendes  Fieber,  zwischen  37  und  38.  Am  13.  Wbt. 
geringes  Exanthem  (15.).  Am  14.  Wbt.  Abfall  zur  Norm,  am 

17.  Wbt.  entlassen. 

V  '  Pr.-Nr.® 3298 — 04."  B.  C.,  21jährige  Ipara.  Krankheitsbeginn 
4,  Wbt.*39'8,^^  P.  120,^  Döderlein' 'und  Kultur.  Streptokokken  nnd 


Nr.  ‘22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFl.  1907.  601 


Staphylokokken.  Am  5.  Wbt.  bei  39'5,  P.  112,  70  Serum  (Name 
unbekannt),  r.ytiscber  Abfall.  Am  7.  Wbt.  Höchsttemperatur  37'8, 
am  8.  37'5,  am  10.  38  6,  Exanthem.  Am  12.  Wbt.  39'6,  am  13^ 
mit  39‘9,  ein  neuer  Nachschub  des  Exanthems.  Kritischer  Abfall 
zum  14.  Wbt.  Von  da  ab  afebril.  Am  19.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3410—04.  K.  M.,  42jährige  V  para.  Vier  Partus, 
afebril.  Krankheitsbeginn  4.  Wbt.  Döderlein  und  Kultur.  Strepto¬ 
kokken.  8.  Wbt.  bei  39,  P.  106,  100  Elis.  Blut  steril.  Kritischer 
Abfall.  9.  bis  13.  afebril.  Am  14.  Wbt.  397,  P.  110,  mit  Aus¬ 
bruch  eines  stark  juckenden  Exanthems;  wieder  kritischer  Abfall. 
Ab  16.  Wbt.  afebril.  Am  20.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3415 — 04.  R.  A.,  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  6.  Wbt.  387,  P.  96.  Döderlein:  Staphylokokken 
und  Streptokokken,  Kultur  negativ.  Am  12.  Wbt.  bei  40,  P.  104, 
100  Elis.  Im  Blute  Streptokokken.  Weiterer  Temperaturverlauf 
wegen  Mangel  einer  Kurve  nicht  genau  zu  verfolgen.  Am  18.  Wbt. 
leichtes  Frösteln.  Temperaturanstieg  auf  40,  P.  108.  Diffuse  Bron¬ 
chitis.  Am  20.  Wbt.  Exanthem.  Ab  22.  Wbt.  entwickelt  sich  eine 
Param.  dextra  et  post.  Temperatur  unter  37'5  remittierend;  am 
27.  Wbt.  bei  387,  P.  96,  neues  Exanthem  (Arme);  Schwellungen 
der  beiden  Kniegelenke  (Ballotement),  des  rechten  Ellenbogen¬ 
gelenkes,  der  Schulter  und  Hüfte  rechts ;  dann  Auftreten  des 
Exanthems  im  Gesicht.  Am  28.  Wbt.  39‘5 ;  die  Schwellungen  auf 
Aspirin  zurückgegangen ;  am  30.  Wbt.  Schmerzen  in  inguine, 
besonders  links,  afebril.  Ab  34.  Wbt.  Wohlbefinden.  37.  Wbt. 
entlassen. 

Pr.-Nr.  3507 — 04.  D.  J.,  27jährige  IVpara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  4.  Wbt.  38  7,  P.  75,  Döderlein  und  Kulturen ; 
Diplokokken  und  Streptokokken.  Am  8.  Wbt.  bei  38,  P.  100, 
100  Elis.  Blut  steril.  Param.  dextra.  Unregelmäßiger  Fiebertypus. 
Höchsttemperatur  38'6.  Am  14.  und  15.  Wbt.  geringes  Exanthem 
an  der  Innenfläche  des  Oberschenkels.  Am  30.  Wbt.  gegen  Revers 
entlassen. 

Pr.-Nr.  3515 — 04.  C.  B.,  24jährige  Ipara.  Außerhalb  Forzeps, 
manuelle  Planzentalösung,  vaginale  Tamponade,  wegen  Blutung 
an  die  Klinik.  Döderlein  und  Kulturen :  Streptokokken  und  Diplo¬ 
kokken.  Krankheitsbeginn  2.  Wbt.  37’8,  P.  106.  Am  5.  Wbt.  bei 
39‘4,  P.  142,  100  Elis.  Blut  steril.  Lytischer  Abfall.  Ab  10.  Wbt. 
afebril.  Wegen  Dammnaht  erst  am  42.  Wbt.  entlassen.  Kein 
Exanthem. 

Pr.-Nr.  3672 — 04.  St.  L.,  28jährige  Ipara.  3.  Wbt.  mit  Frost, 
38‘5,  P.  88.  Döderlein  und  Kultur :  Staphylokokken  und  Strepto¬ 
kokken.  8.  Wbt.  bei  38'8,  P.  90  und  100  Elis.  Im  Blute  Strepto¬ 
kokken.  Drei  Tage  niedrige  Temperaturen  (37'6).  Am  13.  Wbt. 
39  7,  am  14.  Wbt.  Exanthem  an  den  Oberschenkeln,  dann  Auf¬ 
treten  von  Gelenkschmerzen,  Knieschwellung,  Schwellung  der 
Drüsen  in  inguine.  (22.  Wbt.)  Am  23.  Wbt.  bei  40'5,  P.  110, 
100  Elis.  (Blut  diesmal  steril.)  Unregelmäßig  intermittierendes 
Fieber.  Kollargol  als  Salbe  und  Klysma;  Kocbsalzinfusionen.  Da 
die  unteren  Extremitäten  wegen  Muskel-  und  Gelenksschmerzen 
dauernd  in  Mittelstellung  gehalten  werden,  entwickeln  sich  Kon¬ 
trakturen.  Massage  Rb.  55.  Wbt.  afebril.  Pat.  wird  mit  gänzlich 
normalem  Genitalbefund  auf  die  chirurgische  Klinik  transportiert 
und  von  da  geheilt  entlassen. 

Pr.-Nr.  3766 — 04.  Sch.  A.,  30jäbrige  IVpara.  Spontaner 
Partus.  Am  5.  Wbt.  40'2,  P.  120,  Krankheitsbeginn.  Streptokokken 
und  Staphylokokken.  Blut  steril.  Am  7.  Wbt.  100  Gnom  bei  39. 
Kritischer  Temperaturabfall,  fieberfrei  bis  zum  13.  Wbt.,  wo  ein 
Exanthem  auftritt  (Höchsttemperatur  38.5) ;  auch  hier  kritischer 
Abfall.  Am  16.  Wbt.  gesund  entlassen. 

Pr.-Nr.  15 — 05.  K.  A.,  21jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 

5.  Jänner,  Uhr  früh.  Manuelle  Plazentalösung  m.  H.  Beginn 
der  Erkrankung  1.  Wbt.  38,  P.  126,  Döderlein  und  Kultur ; 
Streptokokken  und  Staphylokokken.  Blut  zweimal  (am  4.  Wbt. 
und  15.  Wbt.)  entnommen,  steril.  4.  Wbt.  100  Elis.  Bei  40  3  am 
5.  Wbt.  40'5,  am  6.  Wbt.  eine  zweite  Seruminjektion  100  Elis. 
Am  7.  Wbt.  Höchsttemperatur  39'6.  Vom  8.  bis  14.  Wbt.  eine 
Reihe  von  Frösten,  intermittierendes  Fieber  bis  41.  Vom  9.  Wbt. 
Kollargolklysmen.  Vom  18.  Wbt.  afebril,  doch  beträgt  die 
Höchsttagestemperatur  immer  gegen  37'5.  Am  29.  Wbt.  geheilt 
entlassen. 

Pr.-Nr.  150 — 05.  W.  K.,  24jährigo  Ipara.  Krankbeitsbeginn 
4.  Wbt.  38'9,  P.  140,  Frost.  Kultur :  Staphylokokken  und  Strepto¬ 
kokken.  Blut  steril.  7.  Wbt.  100  Elis.  Bei  397,  P.  120.  Langsamer 
Abfall  bis  zum  11.  Wbt.,  wo  von  36'9  die  Temperatur  auf  39'6, 
P.  144,  steigt.  Staffelförmiger  Abfall  der  Temperatur.  Seit  dem 
14.  Wbt.  afebril.  Am  19.  Wbt.  leichtes  Exanthem  an  der  Innen¬ 
seite  der  Oberschenkel  ohne  Temperatursteigerung.  Am  23.  Wbt. 
gcliöilt  Gntlcisscn. 

Pr.-Nr.  309 — 05.  M.  K.,  22jährige  HI  para.  Partus  26.  Jänner 
1905.  Pat.  hat  sich  am  25.  Jänner  wegen  Blutung  einen  Watte¬ 


bausch  in  die  Vagina  eingefübrt.  Wattebausch  und  Fruchtwassei’ 
der  frühreifen  Frucht  übelriecbe?id.  Krankbeitsbeginn  2.  Wbt. 
Am  5.  Wbt.  100  Elis.  Kultur:  Staphylokokken  und  Streptokokken. 
Blut  steril.  Links  akute,  rechts  abgelaufene  Thrombophlebitis  der 
Saphena.  Am  8.  und  9.  Wbt.  Kollargolklysrna.  Am  6.  Wbt.  39, 
am  7.  Wbt.  387,  am  8.  Wbt.  39-2,  am  9.  Wbt.  37-8 ;  dann  afebril. 
Exanthem  beobachtet  am  15.  Wbt.  (obere  Extremität),  37'5  (bisher 
unter  37).  Am  16.  Wbt.  Exanthem  im  Gesiebt.  Am  22.  Wbt. 
geheilt  entlassen. 

Pr.-Nr.  787 — 05.  M.  M.,  20jäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Plazentaausräumung.  Krankbeitsbeginn  5.  Wbt.  Döderlein  und 
Kultur:  Streptokokken.  Am  7.  Wbt.  391,  P.  120,  100  Gnom. 
Im  Blut  Streptokokken.  Am  9.  Wbt.  afebril  nach  kritischem  Ab¬ 
fall.  Am  11.  Wbt.  38  5,  P.  100,  100  Gnom.  Am  13.  Wbt.  kritischer 
Abfall  auf  36’5,  dann  afebril  bis  23.  Wbt.  wo  eine  Angina  und 
Lymphadenitis  inguinalis  bil.  auftritt.  Am  26.  beginnt  ein  Exan¬ 
them  mit  H.  T.  um  38'5,  am  27.  Wbt.  bei  397,  P.  132,  100  Gnom. 
Ab  25.  Wbt.  Kollargolklysmen  bis  42.  Tag.  Ab  44.  Wbt.  von  geringen 
Steigerungen  abgesehen  afebril ;  jedoch  stärkere  Schmerzen  in 
den  Waden,  die  sich  schließlich  als  hysterischen  Charakters 
heraussteilen  und  auf  energische  psychische  Behandlung  und 
Bromnatrium  verschwinden.  Am  96.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  967 — 05.  Z.  M.,  27jährige  II  para.  Partus  24.  März. 
Krankbeitsbeginn  5.  Wbt.,  377,  P.  108.  Döderlein  und  Kultur 
Streptokokken.  Im  Blut  lange  Subtilis  ähnliche  Bazillen.  11.  Wbt. 
bei  39-4  und  P.  116,  100  Grisette.  Am  12.  39-0.  Am  10. 
38’2,  bei  wiederholten  Exzitationszuständen.  Am  14.  Wbt.  387. 
Ab  15.  Wbt.,  von  wo  Pat.  auch  täglich  10  g  1%  Kollargol  per 
Klysma  erhält,  afebril.  Am  22.  Wbt.  gegen  Revers  entlassen. 

Pr.-Nr.  1327 — 05.  M.  G.,  34jährige  Ipara.  Krankbeitsbeginn 

6.  Wbt.  38'5,  P.  168.  Döderlein  und  Kultur :  Streptokokken  und 
Diplokokken.  Am  10.  Wbt.  bei  39’6,  P.  124,  100  Elis.  Am  11. 
38‘6,  am  13.  bei  39,  P.  120,  100  Elis.  Kritischer  Abfall  auf  36  7, 
afebril  bis  zum  17.  Wbt.  Vom  18.  bis  22.  leicht  febril  und 
Exanthem ;  dann  afebril.  Am  30.  Wbt.  geheilt  entlassen. 

Pr.-Nr.  2224 — 05.  G.  A.,  18jäbrige  Ipara.  Partus  26.  Juli 
(Extraktion,  Manualhilfe).  Temperatur  38  post  partum.  Afebril  bis 
8.  Wbt.  38‘8,  P.  112.  Döderlein  und  Kultur :  Staphylo-  und  Strep¬ 
tokokken.  10.  bis  15.  Wbt.  afebril.  Am  18.  Wbt.  bei  397,  P.  96, 
100  Elis.  (Blut  steril.)  Intermittierend  abfallende  Temperatur.  Ab 
22.  Wbt.  afebril.  Am  27.  Wbt.  entlassen.  Kein  Exanthem. 

Pr.-Nr.  2275 — 05.  D.  K.,  22jährige  Ipara.  Krankbeitsbeginn 
4.  Wbt.  37‘6,  P.  114.  Döderlein  und  Kultur:  Streptokokken  und 
Staphylokokken.  Am  14.  Wbt.  (Blut  steril),  bei  38'4,  P.  120, 
100  Elis.  Abfall  am  nächsten  Tage  auf  37  "5,  P.  96.  Seitdem  afe¬ 
bril.  Ara  23.  Wbt. .  entlassen. 

Pr.-Nr.  3542 — 05.  0.  R.,  30jährige  HIpara.  Wegen  Vitium 
Cervix  Tamponade,  Metreuryse,  äußere  Wendung.  Krankbeitsbeginn 

7.  Wbt.  38‘4,  P.  108.  Döderlein  und  Kultur  :  Strepto-  und  Staphylo¬ 
kokken.  (Blut  steril).  100  Elis.  Lytischer  Abfall.  Am  13.,  14.  und 
15.  afebril.  Am.  16.  Wbt.  38'3,  Exanthem.  21.  Vom  18.  bis  20. 
afebril.  21.  bis  24.  febril.  Höchsttemperatur  38'4,  Gelenks- 
schraerzen.  Ab  24.  afebril.  36.  entlassen. 

Pr.-Nr.  504 — 06.  B.  A.,  Ipara.  Spontaner  Partus.  Krankheits¬ 
beginn  4.  Wbt.  Frost  40,  P.  148.  Döderlein:  Strepto-  und  Diplo¬ 
kokken.  Kultur:  Strepto- und  Staphylokokken.  Blut  steril.  100  Elis. 
Intermittirendes  Fieber  in  gleicher  Höhe.  Lochien  dauernd  übel¬ 
riechend.  7.  Wbt.  39T,  P.  118.  2.  Uterusausspülung.  100  Elis. 
In  diesem  Döderlein  Streptokokken  bis  10  Glieder  und  plumpe 
nicht  kultivierbare  Stäbchen.  Kultur:  Streptokokken.  Am  8.  Wbt. 
unter  39,  P.  100,  Exanthemausbruch  an  den  Oberschenkeln.  Vom 
15.  bis  19.  Wbt.  afebril.  Am  19.  Schmerzen  im  Handgelenk,  am 
20.  im  Knie  und  Schulter.  Am  21.  ein  über  den  ganzen  Körper 
ausgebreitetes  Exanthem.  40T,  P.  132.  Kritischer  Abfall  am  23. 
Fieber,  Exanthem  und  Gelenksschmerzen  geschwunden.  Am  25. 
Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1315 — 06.  0.  M.,  Ipara.  Spontaner  Partus.  Krankheits¬ 
beginn  5.  Wbt.  38-6,  P.  102,  6.  Wbt.  bei  40,  P.  114,  100  Gnom. 
Döderlein  Kokken  in  kurzen  Ketten.  Kultur  und  Blut  steril.  Am 
7.  Wbt.  bei  38'9,  P.  118,  100  Gnom.  Lytischer  Abfall.  Seit  10. 
afebril.  Am  20.  Wbt.  geheilt  entlassen.  Kein  Exanthem  beobachtet. 

Nicht  Streptokokkenfälle: 

Pr.-Nr.  2170 — 04.  Sch.  A.,  27jähr.  HIpara.  Manuelle  Plazenta' 
lösung  außerhalb  der  Klinik.  Starker  Blutverlust.  In  der  Klinik 
Entfernung  eines  kleinen  Plazentarrestes.  Döderlein  und  Kulturen. 
Staphylokokken.  Am  5.  Wbt.  bei  39,  P.  136,  100  Elis.  Blut  steril. 
Seither  afebril.  Am  12.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3635 — 04.  H.  K.,  20jähr.  Ipara.  Partus.  19.  Dezember, 
\li2  Uhr.  Krankbeitsbeginn  5.  Wbt.  Kultur  Staphylokokken.  Blut 
steril.  7.  Wbt.  100  Elis.  bei  40  3,  am  8.  Wbt.  38  7,  am  9.  Wbt. 


662 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


38’4.  Schon  am  8.  Wbt.  blasses  Exanthem,  das  am  16.  Wbt.  unter 
40‘2  auf  beiden  Unterschenkeln  sich  neuerdings  ausbreitet.  Am 
20.  Wbt.  Schüttelfrost.  (Bis  dabin  afebril.)  39'5.  Gelenks- 
scbmerzen.  Kollargol,  per  Kl.  bis  zum  26.,  bis  37’7,  am  27.  38'2 
(Koprostase).  Dann  afebril.  Am  37.  Wbt.  geheilt  entlassen. 

Pr.-Nr.  358 — 05.  S.  A.,  26jäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
24.  März.  Lues  invet.  Krankbeitsbeginn  5.  Wbt.  Temperatur  39, 
P.  110.  7.  Wbt.  Döderlein  und  Kultur  Diplokokken.  8.  Wbt.  bei 
39’2,  120.  100  Grisette.  Blut  steril.  Am  10.  Abfall  auf  37’4,  am 

13.  wieder  37'9.  Vom  14.  bis  17.  Exanthem,  ab  18.  afebril.  Vom 

14.  bis  25.  Wbt.  Kollargolklysmen.  Am  29.  Wbt.  gesund  entlassen. 

Pr.-Nr.  334—05.  G.  R.,  23jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  5.  Wbt.  37 '7,  P.  98.  Döderlein  Diplokokken. 
Kultur  und  Blut  steril.  9.  Wbt.  100  Serum  (?).  Bei  39'3,  P.T20.  Kein 
Temperaturabfall.  Am  12.  Wbt.  100  Serum  (?).  39‘7,  P.  116. 
Am  13.  Höchsttemperatur  38.  Am  14.  Wbt.  37 '5.  Am  17.  Ausbruch 
eines  Exanthems.  Temperatur  steigt  in  den  nächsten  zwei  Tagen 
auf  39‘5,  dann  Abfall.  Remittierendes  Fieber  um  37’8,  vom 
24.  verblaßt  das  Exanthem.  Vom  26.  bis  29.  afebril.  Am  30.  und 
31.  neuerlicher  Exanthemausbruch.  Temperatur  bis  39.  Kritischer 
Abfall  am  34.  Temperatur  seither  afebril.  (Am  33.  und  34.  Täg 
Gliederschmerzen.)  Am  40.  Wbt.  entlassen. 

Bakteriologisch  untersucht  mit  negativem  Befund. 
Pr.-Nr.  2977—04.  R.  J.,  24jährige  Ilpara.  Abortus  mit 
4^'2  Monaten  spontan.  Krankheitsbeginn  5.  Wbt.  40,  P.  120.  Im 
Döderlein  vereinzelte  Kokken.  Kulturen  negativ.  Am  2.  Wbt.  bei 
39,  P.  110,  100  Elis.  Blut  steril.  Am  3.  Wbt.  afebril;  am  8.  ebt- 
lassen.  Kein  Exanthem. 

Pr.-Nr.  871 — 05.  A.  S.,  34jährige  Vllpara.  9.  März.  Abortus 
incompletus.  Krankheitsbeginn  3.  Wbt.  Pat.  wurde  außerhalb 
untersucht  und  an  der  Klinik  am  6.  Wbt.  die  Plazentarreste  eut- 
fernt.  Portio  und  Vagina  belegt.  Kultur  nicht  aufgegangen.  Blut 
steril.  Am  6.  Wbt.  100  Serum.  Alkoholausspülung.  Seither  afebril. 
Am  12.  Wbt.  gesund  entlassen. 

Pr.-Nr.  1170 — 05.  Sch.  R.,  Ipara.  Spontaner  Partus.  Krank¬ 
heitsbeginn  4.  Wbt.  38,  P.  112.  Döderlein  und  Kultur  steril.  Am 
7.  Wbt.  bei  39-5,  P.  140.  100  Elis.  Am  8.  Wbt.  38.  Ab  9.  afebril. 

14.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1397 — 05.  R.E.,  Ipara.  Spontaner  Partus.  Aufnahms¬ 
temperatur  38'7,  P.  114.  Am  3.  Wbt.  bei  39  P.  110,  100  Elis. 
Döderlein :  vereinzelte  Kokken.  Kultur  nicht  aufgegangen,  Blut 
steril.  Am  4.  Wbt.  39‘2.  Lytischer  Abfall.  Ab  8.  Wbt.  afebril.  Vqm 
10.  bis  13.  Wbt.  Exanthem  ohne  Temperatursteigerung.  Am 

15.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1533 — 05.  W.  B.,  Ipara.  Spontaner  Partus.  Krankheits¬ 
beginn  6.  Wbt.  Döderlein :  vereinzelte  Kokken.  Kultur  und  Blut 
steril.  Am  10.  Wbt.  40T,  156,  Frost.  100  Elis.  Am  11.  Wbt.  38’5, 
am  13.  Wbt.  38'3,  am  14.  und  15.  40,  am  16.  bei  40'3,  P.  120, 
100  Elis.  Ab  17.  bis  24.  Exanthem,  bei  abfallender  Temperatur. 
Vom  26.  bis  28.  afebril,  weiterer  Verlauf  durch  eine  Angina  mit 
nachfolgenden  Gliederschmerzen  gestört,  auf  Aspirin  Heilung.  Am 
47.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2313 — 05.  S.  B.,  30jährige  Ipara.  Forzeps.  Krankheits¬ 
beginn  2.  Wbt.  37 ’9,  P.  102.  Döderlein;  vereinzelte  Kokken. 
Kultur  nicht  angegeben.  4.  Wbt.  38‘2,  P.  120.  100  Elis.  Am 
5.  Wbt.  39'3,  P.  148;  dann  lytischer  Abfall.  Ab  11.  Wbt.  fieber¬ 
frei.  Wegen  Sekundärnaht  einer  Episiotomie  erst  am  33.  Wbt. 
entlassen. 

Pr.-Nr.  2481 — 05.  Z.  G.,  17jährige  Ipara.  Forzeps.  Krank¬ 
beitsbeginn  2.  Wbt.  37’8,  P.  120.  Döderlein:  spärliche  Kokken. 
Kultur  steril.  5.  Wbt.  bei  38'8,  P.  144.  100  Elis.  Lytischer  Abfall. 
Seit  7.  Wbt.  afebril.  15.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  3548—05.  B.  E.,  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankbeitsbeginn  6.  Wbt.  38'6,  P.  120.  Döderlein  und  Kultur 
steril.  9.  Wbt.  bei  38,  P.  110,  100  Gnom.  Blut  steril.  Lytische 
Entfieberung.  Ab  11.  Wbt.  afebril.  Kein  Exanthem.  16.  Wbt.  ent¬ 
lassen. 

Pr.-Nr.  568 — 06.  B.  L,  21jäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Krankbeitsbeginn  7.  Wbt.  40'1,  P.  126.  Döderlein  :  keine  Kokken. 
Kultur  steril.  100  Elis.  8.  Wbt.  39'1,  P.  126.  9.  Wbt.  37'6,  dann 
afebril.  16.  Wbt.  entlassen. 

Bakteriologisch  nicht  untersucht. 

Pr.-Nr.  2146 — 04.  M.  St.,  19jährige  Ipara.  Forzeps.  2.  Wbt- 
40’ 1,  P.  120,  Blut  steril.  Lochien  nicht  angegeben.  100  Elis. 
Lytische  Entfieberung.  Am  8.  Wbt.  38'7,  Exanthem.  10.  Wbt. 
afebril.  18.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  2382 — 04.  N.  B.,  37jäbrige  Xpara.  Das  vorhergehende 
Wochenbett  durch  einen  Monat  febril,  Phlebothrombose  des  linken 
Beines.  Bei  der  jetzigen  Geburt  außerhalb  wiederholt  von  einer 
Hebamme  untersucht  und  nach  vergeblichen  Forzepsversuchen 


seitens  eines  Arztes  der  Anstalt  eingeliefert ;  hier  wegen  Tympania 
uteri,  Vorderhauptslage,  schlechter  kindlicher  Herztöne,  hoher 
Forzeps  mit  lebendem  Kind.  Aufnahmstag  37 ’5.  2.  Wbt.  Schüttel¬ 
frost  39'7,  fadenförmiger  Puls,  Delirien.  Am  3.  Wbt.  100  Elis. 
Am  4.  Exitus.  Obduktion :  Jauchige  Endometritis,  Einrisse  der 
Vagina  und  Zervix,  Phlegmone  des  Beckenzellgewebes.  Pyelitis, 
eitrige  Nephritis.  Im  Eiter  Staphylo-  und  Streptokokken. 

Pr.-Nr.  2828 — 04.  M.  S.,  22jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Febril.  38'7,  1.  Wbt.  38‘3,  2.  Wbt.  40T,  kein  Döderlein.  Am 

3.  Wbt.  40,  P.  120.  100  Serum.  (Name  nicht  angegeben.)  Am 

4.  Wbt.  39 '9,  5.  bis  8.  afebril.  Am  9.  38‘1,  Exanthem  an  den 
Oberschenkeln.  Am  11.  37 ’5,  am  14.  38’ 4,  am  15.  neuerliches 
Exanthem  (Jucken),  an  Arm  und  Brust.  Bis  18.  Wbt.  Am  19. 
entlassen. 

Pr.-Nr.  784 — 05,  38jährige  VHIpara.  Spontaner  Partus. 
(M.  S.)  Krankbeitsbeginn  2.  Wbt.  37'9,  P.  104,  9.  Wbt.  38'3, 
P.  120,  100  Elis.  Lytisch  abfallende  Fieberkurve.  Ab  15.  afebril. 
18.  Wbt.  entlassen. 

Pr.-Nr.  1090—05.  W.  K.,  18jährige  Ipara.  Am  Tag  ante 
partus,  abends  Schüttelfrost,  dann  Blutung.  Untersuchung  durch 
eine  Hebamme  außerhalb.  Dann  Spitalaufnahme.  Aufnahms¬ 
temperatur  38'2,  P.  131.  Spontaner  Partus.  Keine  Abimpfung. 
Am  2.  Wbt.  38'9,  P.  138.  100  Grisette.  Blut  steril.  Lytische  Ent¬ 
fieberung.  Vom  5.  bis  8.  Krankbeitstag  afebril.  Am  9.  37 '9, 
Exanthem.  Lytische  Entfieberung.  Ab  12.  Wbt.  afebril.  Exanthem 
bis  18.  Wbt.  Da  entlassen. 

Pr.-Nr.  1302 — 05.  F.  A.,  37jährige  IV  para.  Am  26.  März 
begann  Pat.  zu  bluten.  (Gr.  11.  m.)  und  wurde  am  1.  April  außer¬ 
halb  der  Anstalt  kurettiert.  Der  Arzt  hatte  Tags  vorher  ein  Kind 
wegen  Empyema  toracis  —  mit  Handschuhen  —  operiert.  Einige 
Tage  nach  der  Auskratzung  heftiger  Schüttelfrost,  der  sich  in  vier- 
bis  fünftägigen  Pausen  wiederholte ;  der  letzte  am  20.  April.  Am 
22.  Wbt.  Aufnahme ;  auf  der  linken  Gesäßbacke  wird  ein  wallnu߬ 
großer  Abszeß  eröffnet.  Vom  23.  bis  24.  drei  Fröste.  Am  24.  bei 
39,  P.  108,  100  Elis.  Blut  steril.  Am  25.  bei  39,  P.  120,  100  Elis. 
Remittierendes  Fieber  um  39'5,  der  Touchierbefund  ergibt  keine 
größeren  Veränderungen.  Vom  36.  bis  47.  Wbt.  Exanthem.  Am 
41.  Wbt.  Frost  39'5,  unregelmäßig  intermittierendes  Fieber,  mit 
Höchsttemperatur  von  39'7.  Am  61.  Wbt.  noch  ein  Frost.  Am 
68.  Wbt.  37 '8,  am  70.  Wbt.  gegen  Revers  entlassen.  Nach  brief¬ 
lichem  Bericht  erst  nach  zwei  Monaten  Krankenlager  vollkommen 
genesen. 

Pr.-Nr.  2567 — 05.  R.  B.,  lOjäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Febril  40'2.  Ara  1.  Wbt.  39,  P.  112,  100  Elis.  Kein  Döderlein. 
Ausräumung  von  Plazentarresten.  Seither  afebril.  10.  Wbt.  ent¬ 
lassen. 

Pr.-Nr.  2571 — 05.  P.  B.,  21jährige  Ipara.  Spontaner  Partus. 
Am  11.  Wbt.  Blutung.  Am  12.  febril.  Am  15.  Wbt.  bei  38'9, 
P.  144,  100  Elis.  Blut  steril.  Kein  Döderlein.  Ara  17.  kritischer 
Abfall,  seitdem  afebril.  Vom  21.  bis  24.  Exanthem,  ohne  Tem¬ 
peratursteigerung.  Am  26.  entlassen. 

Pr.-Nr.  328 — 06.  L.  T.,  25jährige  H  para.  Außerhalb  unter¬ 
sucht,  von  schlecht  desinfizierter  Hebamme.  Spontaner  Partus. 
Krankbeitsbeginn  5.  Wbt.  39'2,  P.  114.  Keine  Abimpfung.  6.  Wbt. 
38'9,  P.  120,  100  Elis.  Blut  steril.  Intermittierendes  Fieber.  Ab 
8.  Wbt.  beginnendes  Erysipel  des  linken  kleinen  Labiums.  Ab  10. 
auch  des  großen.  Wegen  Erysipel  isoliert.  Bei  vollkommen  er¬ 
haltenem  Bewußtsein  am  14.  Wbt.  Exitus. 

Obduktion:  Endometritis  diphteritica,  Erysipel  des  linken 
großen  Labiums,  rechtsseitige  eitrige  Salpingitis,  diffuse,  serös- 
fibrinöse  Peritonitis,  beginnende  beiderseitige  Pleuritis.  Im  peri- 
tonitischen  Exsudate  Streptokokken  in  Reinkultur. 

Pr.-Nr.  302 — 06.  A.  G.,  18jährige  H  para.  1.  Partus  afebril. 
Spontaner  Partus.  Krankbeitsbeginn  4.  Wbt.  38‘9.  (Am  3.  Wbt. 
abends  Schüttelfrost.)  Keine  Spülung.  4.  Wbt.  100  Grisette.  Blut 
steril.  Temperatur  40’6,  P.  120.  5.  Wbt.  100  Gnom.  Temperatur  40, 
P.  134.  Innerhalb  drei  Tagen  sinkt  die  Temperatur  auf  36'3. 
Leichtes  Exanthem  ohne  Fieber.  Ab  7.  Wbt.  afebril.  Am  15.  WMjt. 
entlassen. 

Pr.-Nr.  1599 — 05.  K.  A.,  27jährige  I  para.  Außerhalb  unter¬ 
sucht.  Abortus.  Seit  14  Tagen  Dyspnoe,  schaumiger  Auswurf, 
bei  der  Aufnahme  Pleuritis  sin.,  schlechter  Puls,  starke  Zyanose. 
Am  12.  Wbt.  200  Elis.  Blut  steril.  Am  14.  Wbt.  Exitus.  . 

Obduktion :  Eitrige  Endometritis,  ulzeröse  Endokarditis  der 
Mitralis  und  Trikuspidalis  mit  Stenose  und  Insuffizienz  beider 
Klappen,  Verwachsung  beider  Aortenklappen,  Hypertrophie  des 
rechten  Ventrikels. 

Pr-. Nr.  1745 — 05.  C.  T.,  22jäbrige  Ipara.  Spontaner  Partus. 

5.  Wbt.  38’2,  10.  Wbt.  40'2,  P.  104,  Döderlein  spärliche  Kokken. 
Kultur  steril.  Am  11.  Wbt.  bei  40‘2,  P.  104,  100  Grisette.  Blut 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


steiil.  Am  12.  bei  40,  P.  112,  100  Elis.  Lehmfarbene  Stühle, 
starker  Husten.  Am  14.  Wbt.  Delirien.  Temperatur  41.  Exitus. 
^  Obduktion:  Frischer  Typhus,  im  Stadium  der  markigen 
Schwellung,  mit  beginnender  Nekrose.  Diphtheritische  Endometritis 
chronische  Tuberkulose  und  frische  Aussaat  über  der  linken 
Pleura. 

Pr.-Nr.  1808  05.  M.  K.,  34jährige  Illpara.  Seit  sieben  Monaten 
starker  Husten,  Atemnot.  Spontaner  Partus.  Krankheitsbeginn. 
1.  Wbt.  39’8,  P.  98.  Andauernd  intermittierendes  Fieber,  Puls  120 
Starker  Meteorismiis,  am  17.  Wbt.  Aszites.  Starke  Dispnoe.  Zunge 
trocken.  39  5,  P.  132.  Laparotomie  ergibt  ca.  3  Liter  klare  gelb 
gefärbte  Flüssigkeit  im  Bauchraum.  (Streptokokken  in  Reinkultur.) 
Uterus  und  Anhänge  mit  Fibrin  bedeckt.  Totalexstirpation  des 
Uterus  und  der  Adnexe.  Ausgiebige  Drainage  nach  oben  und 
unten.  Kochsalzinfusion  und  intraperitonal.  100  Elis  subkutan. 
Sauerstoff.  Am  18.  Wbt.  Kollaps.  Exitus. 

Obduktion  :  Diffuse,  fibrinös-eitrige  Peritonitis,  frische  miliare 
Tuberkulose  der  Lunge,  miliare  Tuberkulose  der  Leber,  Milz  und 
Nieren. 

Pr.-Nr.  3325  05.  K.  F.,  19jährige  I  para.  Spontaner  Partus. 
Krankheitsbeginn  6.  Wbt.  38'4,  P.  108.  In  Döderlein  und  Kultur 
spärliche  Streptokokken.  Am  10.  Wbt.  bei  39'2,  P.  120,  100  Elis. 
Blutabnahme  gelingt  nicht.  Temperatur  bleibt  über  39,  P.  120 
bis  140.  Im  Harn  die  ganze  Zeit  Serumalbumen.  Keine  Nieren¬ 
elemente.  16.  Wbt.  Exitus. 

Obduktion:  Diphtheritische  Endometritis,  Schwangerschafts¬ 
niere,  frische  tuberkulöse  Aussaat  vom  rechten  Lungenhilus  aus¬ 
gehend,  bei  chronischer  Tuberkulose  der  Lungenhilus-Lymph- 
drüsen. 

Literatur. 

Aschoff,  Ehrlichs  Seitenkettenlheorie  und  ihre  Anwendung 
auf  künstliche  Immunisierungsprozesse.  Zeitschr.  f.  allg.  Phys,,  Bd.  1.  — 
Bertelsmann,  Die  allg,  Infektion  bei  chirurgischen  Infektionskrank¬ 
heiten.  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.,  Bd.  72.  —  Derselbe,  Blutunter¬ 
suchungen  bei  chirurgischen  Eiterungen.  Deutsche  Gesellsch.  f.  Chir., 
31,  Kongreß,  —  Bum,  Serumbehandlung  des  Puerperalfiebers.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1904.  —  Burkard,  Ueber  die  Behandlung  des 
Wochenbettfiebers  etc.  Arch.  f.  Gyn.,  Bd.  79.  —  Burkhard  Serumtherapie 
bei  Streptokokkeninvasionen.  Zeitschr.  f.  Gyn.,  Bd.  53,  —  E  b  e  r  s  o  n, 
Behandlung  von  Wochenbettfieber  mit  Antistreptokokkenserum.  Therap! 
Monatsh.  1904.  —  Fraenkel  M.,  Ein  Fall  von  schwerer  allg,  Sepsis 
mit  Antistreptokokkenserum  geheilt.  Deutsche  med.  Wochenschr,  Bd.  30. 
—  Fraenkel  E.,  Ueber  menschenpathogene  Streptokokken.  Münchn. 
med.  Wochenschr,  1905.  —  Fromme  F.,  Prophylaktische  und  thera¬ 
peutische  Anwendung  des  Antistreptokokkenserums.  Münchn.  med. 
Wochenschr.  1906.  —  H  o  k  e  E.,  Fall  von  Staphylokokkensepsis.  Prager 
med.  Wochenschr.  1906.  —  Hanel  P.,  Aronsons,  Antistreptokokken¬ 
serum  bei  puerperaler  Sepsis.  Deutsche  med.  Wochenschr.  1905.  — 
H  o  r  d  e  r  T.  I.,  Streptokokkenendokarditis.  Lancet  1904.  —  Jürgensen, 
Sepsis,  Deutsche  Klinik  am  Eingänge  des  20.  Jahrhunderts.  —  Klein  R., 
Zur  therapeutischen  Anwendung  des  Arons  on  sehen  Antistreptokokken¬ 
serums.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1905.  —  Lenhartz,  Die  septischen 
Erkrankungen.  N  o  th  n  a  g  e  1  s  spezielle  Pathologie  und  Therapie,  — 
M  e  n  z  e  r,  Zur  Streptokokkenserumfrage.  Wiener  klin.-therap,  Wochenschr. 

1904.  —  Derselbe,  Die  Theorie  der  Streptokokkenserumbehandlung 
beim  Menschen,  Münchn.  med.  Wochenschr.  1904.  —  Meyer  Fr.,  Die 
klinische  Anwendung  des  Streptokokkenserums.  Berl.  klin.  Wochenschr. 

1905.  —  Peham,  Serumbehandlung  des  Puerperalfiebers.  Arch.  f.  Gyn. 
Bd.  74.  —  Pilzer  H.  «fe  Elverson  M.,  Behandlung  des  Wochenbett¬ 
fiebers.  Therap.  Monatsh.  1904, — Pol  a  no,  Prophylaxe  der  Streptokokken¬ 
infektion.  Zeitschr,  f.  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  56.  —  Pirquet  &  Schick 
Die  Serumkrankheit.  —  Reber  Hans,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Vaginal¬ 
streptokokken.  Bern,  1905.  —  R  o  s  s  i  e  r,  La  fievre  puerperale.  Lausanne 
1903.  —  Raw  N.,  Behandlung  der  puerperalen  Sepsis  mit  Antistrepto¬ 
kokkenserum.  Liverpool  med.  u.  chir.  Journ.  1905. —  Schenk  &  Scheib, 
Die  Stellung  und  Bedeutung  der  Streptokokken.  Zeitschr.  f.  Geb.  u.  Gyn., 
Bd.  56. —  Sobernheim  &  Ja  ko  bi  tz,  Wirkungsweise  und  Wirkungs¬ 
grenzen  der  antibakteriellen  Heilsera.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1904.  — 
Wald  hard,  Grundlagen  der  Serumtherapie.  Zeitschr.  f.  Geb.  u.  Gyn., 
Bd.  51.  —  Ward  Ph.,  Puerperalfieber  und  Antistreptokokkenserum. 
Lancet  1905. 

Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 
Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

Ueber  den  Nachweis  von  Milzbrandbazillen 

an  Pferdehaaren.*) 

Von  Regimentsarzt  Dr.  V.  K.  Ruß. 

Bekanntlich  sind  Personen,  welche  sich  mit  der  Ver¬ 
arbeitung  von  Tierhäuten,  -wolle  und  -haaren  etc.  zu  be¬ 
schäftigen  haben,  nicht  selten  einer  Milzbrandinfektion  aus¬ 
gesetzt. 

*)  Nach  einem  Vortrage,  gehalten  im  wissenschaftlichen  Verein 
der  Militärärzte  der  Garnison  Wien,  am  9.  März  1907. 


LS  handelt  sich  in  solchen  Fällen  entweder  um  Haut¬ 
infektionen  —  Pustula  maligna  —  oder  um  Erkrankungen, 
die  durch  Inhalation  sporenhältigen  Staubes  zustande  kommen, 
eventuell  um  einen  primären  Milzbrand  des  Magendarmkanals. 

Wenn  auch  der  Zusammenhang  der  menschlichen  Er¬ 
krankungen  mit  infektionsverdächtigem  Tiermaterial  gewöhnlich 
festgestellt  werden  kann,  so  liegen  doch  wenig  Befunde  über 
den  direkten  bakteriologischen  Nachweis  der  spezifischen 
Mikroorganismen  im  betreffenden  Material  selbst  .vor. 

Der  Flauptgrund  für  diese  Tatsache  mag  wohl  darin 
liegen,  daß  in  größeren  gewerblichen  Betrieben  dieser  Art 
das  Material  in  bedeutenden  Mengen  verarbeitet  wird  und 
derart  nur  kurze  Zeit  an  Ort  und  Stelle  verbleibt ;  es  ist  also 
oft  nur  einem  Zufall  zu  danken,  wenn  noch  diejenige  Partie, 
auf  welche  die  Infektion  zu  beziehen  ist,  zur  Untersuchung 
gelangen  kann. 

Weiters  wird  man  auch  sicherlich  in  Betracht  ziehen 
müssen,  daß  eine  Reihe  von  Erkrankungen  an  Milzbrand  — 
speziell  wenn  sie  unter  dem  Bilde  einer  Pneumonie  ver¬ 
laufen  —  in  ätiologischer  Hinsicht  verkannt  werden.  Bei 
solchen  Fällen  wird  naturgemäß  auch  die  Nachforschung  nach 
der  Infektionsquelle  unterbleiben. 

Die  Methodik  der  Untersuchung  auf  Milzbrandbazillen 
an  infiziertem  Material  wird  sich  hauptsächlich  darauf  stützen, 
daß  diese  Stäbchen  äußerst  resistente  Sporen  bilden, 
welche  durch  thermische  Einflüsse  im  Gegensätze  zu  den 
vegetativen  Bakterienformen  nur  wenig  geschädigt  werden. 
Allerdings  finden  sich  auch  sporenbildende,  saprophytische 
Mikroorganismen,  die  mit  dem  Milzbrandbazillus  gewisse 
morphologische  und  kulturelle  Aehnlichkeiten  haben,  doch 
schützt  der  gelungene  Tierversuch  vor  Verwechslungen,  ebenso 
auch  vor  Infektionen  mit  anderen  widerstandsfähigen  patho¬ 
genen  Keimen. 

Da  meist  nur  verhältnismäßig  geringe  Mengen  infektions¬ 
verdächtigen  Materiales  zur  Untersuchung  gelangen,  wird  man 
trachten  müssen,  die  darauf  haftenden  Mikroorganismen,  so- 
ferne  sie  Sporenbildner  sind,  insgesamt  einer  weiteren  Beob¬ 
achtung  zugänglich  zu  machen. 

Gruber^)  übergoß  zuerst  die  Haare  mit  sterilem 
Wasser,  erwärmte  nach  gründlicher  Digerierung  die  schmutzige 
Spülflüssigkeit  durch  eine  Stunde  im  Wasserbade  auf  60  bis  70® 
und  impfte  dann  damit  Tiere  und  goß  Agarplatten.  Das  Resultat 
dieser  Untersuchungsmethode  war  ein  unbefriedigendes,  da 
er  wohl  eine  große  Zahl  von  Kolonien  harmloser  Sporen¬ 
bildner  auf  den  Platten  erhielt,  die  Tiere  jedoch  an  anders¬ 
artigen  Infektionen  verlor. 

Da  er  dieses  negative  Ergebnis  auf  eine  nur  geringe 
Zahl  der  vorhandenen  Milzbrandsporen  bezog,  wendete  er  zur 
Sedimentierung  der  Spülflüssigkeit  ein  Verfahren  an,  wie  es 
zur  Klärung  der  Abwässer  benützt  wird  (Zusatz  von  steriler 
Alaun-  oder  Eisenvitriollösung  und  Soda). 

Der  hiebei  entstehende  Niederschlag  reißt  sämtliche 
Partikelchen  zu  Boden,  wird  dann  bei  niedriger  Temperatur 
im  Exsikkator  getrocknet  und  empfänglichen  Tieren  injiziert. 
Der  Tod  der  Versuchstiere  wurde  gleichfalls  nicht  durch 
Milzbrandbazillen,  wohl  aber  durch  anaerobe  Stäbchen,  Rausch¬ 
brand,  malignes  Oedem  —  hervorrufen.  Es  galt  also,  diese 
Keime  durch  eine  zweckmäßige  Methode  auszuschließen. 

Von  der  Tatsache  ausgehend,  daß  Milzbrandsporen  unter 
Sauerstoffabschluß  nicht  auskeimen,  jedoch  ungeschädigt 
bleiben,  traf  Gruber  folgende  Versuchsanordnung: 

Eine  Reihe  steriler  Bouillonröhrchen  wurde  mit  Spül¬ 
flüssigkeit  geimpft,  in  Buchner  sehen  Röhren  unter  Sauer¬ 
stoffabschluß  während  der  folgenden  24  Stunden  bei  37®  ge¬ 
halten  und  dann  im  Wasserbade  durch  eine  Stunde  auf 
00  bis  70®  erwärmt.  Die  inzwischen  aus  den  Sporen  der 
Anaerobier  ausgewachsenen  Stäbchen  gingen  ebenso  wie 
andere  vegetative  Formen  zugrunde.  Diese  Prozedur  wurde 
an  drei  aufeinanderfolgenden  Tagen  wiederholt,  so  daß  man 
schließlich  annehmen  konnte,  daß  in  den  Bouillonröhrchen 


0  Oesterr.  Sanitätswesen  1895. 


664 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


nur  tote  Begleitbakterien  und  lebensfähige  Milzbrandsporen 
enthalten  seien. 

Mit  dem  so  gewonnenen  Material  wurden  nun  Platten 
gegossen  und  Tiere  geimpft  mit  dem  Resultate,  daß  tatsächlich 
darin  Milzbrandbazillen  nachgewiesen  werden  konnten. 

So  gelang  es  Gruber,  aus  einer  Reihe  von  Haarproben 
die  spezifischen  Krankheitserreger  einige  Mal  zu  züchten. 

Heim  hat  ebenfalls  an  Pferdehaaren  Milzbrandbazillen 
finden  können. 

Ursprünglich  führte  er  die  Untersuchung  so  durch, 
daß  er  das  Waschwasser  der  Haare  erwärmte,  zentrifugierte 
und  das  Sediment  auf  Agarplatten  übertrug. 

In  neuerer  Zeit  bringt  Heim  einerseits  "einzelne 
Haare  oder  Borsten  auf  Agar-  und  Gelatineplatten,  anderseits 
wird  eine  größere  Menge  Material  abgewogen,  mit  gemessenem 
Wasserquantum  übergossen  und  gründlich  digeriert.  "Von  dem 
Waschwasser  werden  Gelatineplatten  gegossen,  um  die  an 
den  Haaren  haftenden  Keime  quantitativ  und  nach  ihrer  Art 
zu  bestimmen.  Einen  Teil  des  Restes  erwärmt  er  durch 
20  bis  25  Minuten  auf  80°,  zentrifugiert  oder  filtriert  durch 
Asbest  und  verwendet  den  Rückstand  zur  Plattenaussaat.  Der 
zweite,  kleinere  Teil  der  Spülflüssigkeit  wird  direkt  auf  Platten 
ausgestrichen.  Alle  irgendwie  Milzbrandkolonien  ähnliche 
Ansiedelungen  werden  in  Bouillon  verimpft.  Röhrchen  mit 
diffuser  Trübung  oder  solche,  in  denen  eigenbewegliche  gram¬ 
negative  Stäbchen  gewachsen  waren,  werden  von  der  weiteren 
Untersuchung  ausgeschlossen,  die  anderen  kulturell  weiter 
studiert  und  auf  Tiere  verimpft. 

So  gelang  es  ihm  unter  25  verdächtigen  Proben  zweimal 
Milzbrandbazillen  nachzuweisen. 

Untersuchungen  an  anderem  infektionsverdächtigem 
Material  (Schinken,  Heu,  Wiesengras  etc.)  haben  auch  nur 
in  einer  geringen  Zahl  ein  positives  Resultat  ergeben  (T  a  v  e  1, 
F  r  ä  n  k  e  1,  K  a  r  1  i  n  s  k  i  u.  a.). 

Im  folgenden  soll  nun  ein  Fall  beschrieben  werden; 
bei  welchem  es  gelungen  ist,  den  Zusammenhang  mit  infek¬ 
tiösen  Roßhaaren  exakt  zu  erweisen. 

Es  handelt  sich  um  einen  Mann  S.,  der  ein  hierorts  in 
neuester  Zeit  ziemlich  verbreitetes  Gewerbe  —  die  Erzeugung 
falscher  »Gamsbärte«  aus  Roßhaaren  —  als  Heimarbeit  mit 
einem  anderen  Arbeiter  betrieb.  Die  Leute  lebten  unter  den 
denkbar  schlechtesten  hygienischen  Verhältnissen  in  einer 
Wohnung,  bestehend  aus  einem  Zimmer,  einem  Vorzimmer 
(der  Arbeitsraum)  und  einer  Küche,  zugleich  mit  Frau  und 
mehreren  Kindern. 

Vor  seiner  Erkrankung  hatte  S.  im  Zeiträume  vom 
9.  November  1906  bis  23.  Januar  1907  eine  größere  Partie 
chinesischer  Roßhaare,  bezogen  von  der  Firma  X.,  verarbeitet. 

Am  24.  Januar  1907  kaufte  er  12  kg  Ro߬ 
haare  von  der  Firma  Y.,  die  das  Material 
wieder  von  einem  Händler  in  Siniava  in  Ga¬ 
lizien  bezogen  hatte.  Diese  Haare  dürften 
russischer  Provenienz  gewesen  sein. 

In  der  Zeit  vom  25.  bis  27.  Januar  ging  er  seiner  Be¬ 
schäftigung  nach,  obwohl  er  am  letztgenannten  Tage 
sich  schon  unwohl  fühlte  und  über  Kopf¬ 
schmerz,  Frost  und  Mattigkeit  klagte.  Am 
28.  Januar,  nachmittags,  verschlechterte  sich 
sein  Zustand  derart  rapid,  daß  der  herbei¬ 
geholte  Arzt  die  Ueberführung  in  ein  Spital 
veranlaßt e,  wo  Pa t.  noch  am  Abend  desselben 
Tages  starb. 

Am  30.  Januar  1907  wurde  die  Obduktion  der  Leiche 
vorgenommen. 

Ich  will  aus  dem  Protokoll,  dessen  Kenntnis  ich  der 
Freundlichkeit  des  Herrn  Prof.  Dr.  Kolisko  verdanke,  nur 
kurz  hervorheben:  »Die  inneren  Hirnhäute  verdickt  und  ge¬ 
trübt,  an  der  Basis,  wie  an  der  Konvexität  in  dicker  Schichte 
von  schwarzrotem  geronnenen  Blut  unterlaufen  ....  Das 
Zellgewebe  ober  der  Brustapertur  sulzig  feucht,  in  den  oberen 

0  Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamt  1901,  Bd.  XVIII. 

*)  Festschrift  Rosen  thal  1906. 


Luftwegen  rötlicher  Schleim  und  Schaum,  Schleimhaut 
schmutzigrot. 

Zwerchfell  beiderseits  unter  der  fünften  Rippe.  In  den 
Brustfellsäcken  zirca  1  Liter  einer  rötlichen  Flüssigkeit.  Die 
Lungen  stellenweise  unbedeutend  angewachsen,  mäßig  groß, 
vorne  gebläht,  im  allgemeinen  lufthaltig,  feucht,  völlig  durch¬ 
tränkt  ;  in  den  Bronchien  roter  Schleim,  Schleimhaut 
schmutzigrot. 

Die  Lymphdrüsen  an  den  Lungenpforten  stark  ge¬ 
schwollen,  schwarzrot,  zerfließlich.  Das  Zellgewebe  des 
vorderen  Mittelfellraumes  sulzig,  schwarzrot,  mit  zusammen¬ 
fließenden  Blutungen  durchsetzt. 

Milz  14X9X572  ^0^5  Kapsel  gespannt,  Gewebe  zer¬ 
fließlich,  rötlich  violett. 

Mikroskopisch  im  Blut  von  den  Gehirn¬ 
blutungen  einzeln  stehende,  teils  in  Ketten  an¬ 
geordnete  Stäbchen  mit  quer  ab  gestutzten  Enden. 

Diagnose:  »Milzbrand«. 

Auf  Grund  dieser  Diagnose  wurden  von  der  Behörde 
Erhebungen  gepflogen,  die  zur  Eruierung  der  Einkaufsquelle 
—  Firma  Y.  —  führten.  Dort  fanden  sich  noch  ein  ver¬ 
schlossener  und  ein  halbgefüllter  Sack  vor,  aus  welch 
letzterem  der  Mann  S.  sein  Material  gekauft  hatte,  während 
ein  anderer  Teil  nach  Ungarn  verschickt  worden  war.  Das 
ganze  Vorgefundene  Quantum  wurde  saisiert  und  ein  Teil 
davon  dem  staatlich-serotherapeutischen  Institute  zur  Unter¬ 
suchung  übergeben. 

Die  Haarprobe  von  dem  vorliegenden  Falle  übergoß 
ich  in  einem  sterilen  Topf  mit  100  cm^  steriler  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  von  einer  Temperatur  von  80°  und 
digerierte  die  Haare  in  der  Flüssigkeit  so  lange,  bis  ein 
trübes  Waschwasser  entstand.  Dieses  hob  ich  mit  einer 
sterilen  Pipette  in  ein  anderes  Glasgefäß  ab  und  ließ  durch 
24  Stunden  sedimentieren.  Es  resultierte  ein  ziemlich  be¬ 
trächtliches  Sediment  mit  klarer,  überstehender  Flüssigkeit.  Diese 
letztere  wurde  nun  abermals  bis  auf  50  cm°  vorsichtig  abgehebert 
und  der  Rest  nach  gründlichem^  Durchschütteln  größtenteils 
zu  Agarplatten  derart  verarbeiteT,”4aß  je  4  cm°  in  je  10  cm^ 
heißen  flüssigen  Agar  übertragen  und  nach  xAbkühlen  auf 
45°  zur  Platte  ausgegossen  wurden.  Derart  gewann  ich  zehn 
Agarplatten.  Der  Rest  der  Flüssigkeit  (10  cmQ  wurde  nun  auf 
Tiere  (drei  Meerschweinchen  und  7  Mäuse),  zu  je  1  cm°  sub¬ 
kutan  verimpft. 

Auf  den  Platten  war  nach  24  ständigem  Wachstum 
bei  37°  im  Thermostaten  eine  Reihe  von  Kolonien  aufge¬ 
gangen,  die  einem  eingehenden  Studium,  sowohl  mikro¬ 
skopisch  als  auch  im  Deckglaspräparate  nach  der  G ram¬ 
schen  Färbung  unterzogen  wurden. 

Das  ziemlich  charakteristische  Aussehen  von  Milzbrand¬ 
kolonien  —  abgesehen  natürlich  von  einigen  naheverwandten, 
nicht  pathogenen  Spezies  —  ließen  nur  fünf  Kolonien  auf 
drei  verschiedenen  Platten  erkennen,  während  die  übrigen 
Kolonien  wohl  von  sporenbildenden,  aber  morphologisch 
ganz  anders  aussehenden  Stäbchen  gebildet  waren. 

Von  diesen  verdächtigen  Ansiedelungen  wurden  Rein¬ 
kulturen  auf  schrägem  Agar  angelegt  und  nach  24  ständigem 
Wachstum  damit  Tierversuche  unternommen:  Von  jeder 
Kultur  —  A,  B,  C,  D,  E  —  erhielt  je  eine  Maus  und  ein 
Meerschweinchen  eine  halbe  Oese  in  1  cm^  subkutan  injiziert. 

Die  mit  den  Kulturen  B  und  E  geimpften  Tiere  gingen 
nach  ca.  36  bis  48  Stunden  ein  und  zeigten  bei  der  Sektion 
sulzig-hämorrhagisches  Infiltrat,  an  der  Infektionsstelle,  be¬ 
trächtlichen  Milztumor  und  mikroskopisch  im  Herzblut¬ 
ausstriche  zahlreiche  gegliederte,  große  Gram-beständige 
Stäbchen  mit  quer  abgestutzten  Enden  und  einer  deutlichen 
Kapsel.  Die  aus  Herzblut  und  Milz  angelegten  Agarkulturen 
boten  dasselbe  Bild,  wie  es  für  Milzbrandkolonien  beschrieben  ist. 

Die  Tiere,  mit  den  Kulturen  A,  G  und  D  injiziert,  blieben 
dauernd  am  Leben,  ebenso  auch  diejenigen,  welche  ich 
früher  direkt  mit  dem  Spülwasser  injiziert  hatte. 

Die  Kulturen  B  und  E  erwiesen  sich  bei  weiteren 
Prüfungen  zusammengesetzt  aus  unbeweglichen,  mittelständige 


665 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


bporGn  tragGndGn  StäbchGn,  vvGlchG,  in  GclatinG  übGrtra-gGii, 
diGSGlbG  vGrflüssigGn  und  diG  Milch  koaguliGren. 

DIgsg  dGn  positivGn  Ausfall  dGr  TiGrvGrsucliG  nur  Gr- 
gänzGudGn  EigGnschaftGn  dGr  gpfundGUGn  StäbchGn  lassGn 
wohl  kGinGn  ZwGifGl  zu,  daß  wir  iin  vorÜGgGndGn 
FallG  GS  mit  MilzbrandbazillGii  z,u  tun  habnn. 

■Daß  diG  ursprünglich  mit  dem  Spülwasser,  gGimpften 
T\eve  am  Leben  geblieben  waren,  hat  nichts  Merkwürdiges 
an  sich,  weil  man  ja  annehmen  kann,  daß  einerseits  nur 
sehr  wenige  der  spezifischen  Keime  am  Untersuchungs¬ 
material  gehaftet  hatten  und  zufällig  diese  nicht  in  dem  zum 
Plattenguß  verwendeten  Materiale  vorhanden  waren,  ander¬ 
seits  vielleicht  auch  andere  Mikroorganismen,  die  als  Anta¬ 
gonisten  .  des  Milzbrandbazillus  eine  Rolle  spielen,  eine 
tödliche  Infektion  der  Versuchstiere  verhinderten. 

Durch  diese  Untersuchung  war  der  Beweis 
erbracht,  daß  gerade  die  zweite,  vom  Arbeiter  S. 
gekaufte  Partie  Roßhaare  die  Veranlassung 
zu  dessen  tödlicher  Erkrankung  gab. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  »Kindlein 
Jesu«  in  Warschau.  (Vorstand:  Doz.  Dr.  W.  Janowski.) 

Ein  Fall  plötzlicher  Kompression  des  Brust- 
korbes  und  Abdomens  mit  sekundären  Hämor- 
rhagien^  Oedem  und  Zyanose  des  Gesichtes 

und  Halses. 

Von  Dr.  W.  Ettiiiger,  Assistenzarzt. 

Der  von  uns  beobachtete  Fall  gehört  zu  den  inter¬ 
essanten  Formen  der  Traumen  des  Brustkorbes  und  des 
Bauches  und  verdient  wegen  seiner  Seltenheit  veröffent¬ 
licht  zu  werden.  Im  Jahre  1902  hat  Kossobudzki,^)  seinen 
Fall  mitgereohnet,  in  der  Literatur  17  Fälle  von  Trauma 
des  Rumpfes  mit  sekundären  Symptomen  am  Gesichte  und 
am  Halse  zusammengestellt.  Lejars,^)  welcher  im 
Jahre  1905  einen  ähnlichen  Fall  beobachtete,  hat  schon 
27  solcher  Fälle  in  der  Literatur  gefunden,  obwohl  ihm 
der  Fall  von  Kossobudzki  unbekannt  war.  Le  jars  be¬ 
merkt,  daß  Olivier  schon  im  Jahre  1837  und  Tardieu 
im  Jahre  1855  auf  gewisse  ungewöhnliche  Symptome  am 
Halse  und  am  Gesichte  bei  gewissen  Tlaumen  des  Brust¬ 
korbes  und  des  Bauches  aufmerksam  gemacht  haben.  Es 
erhellt  aus  dem  Gesagten,  daß  der  Name  des  ,,Symptomen- 
komplexes  von  Perthes“  für  die  zu  besprechende  klinische 
Einheit  nicht  ganz  richtig  ist.  Demi  Perthes  hat  zwar  als 
erster  diese  ungewöhnlichen  Symptome  der  Rumpfkom¬ 
pression  gruppiert,  aber  sie  waren  schon  60  Jahre  vor  der 
Veröffentlichung  seiner  Arbeit  belcannt.^) 

Im  Dezember  1905  hat  Moresfin^)  in  der  Pariser 
Chirurgischen  Gesellschaft  einen  weiteren  Fall  des  betref¬ 
fenden  Traumas  veröffentlicht.  Unser  Fall  wäre  folglich, 
insoferne  ich  aus  der  mir  zugänglichen  Literatur  schließen 
kann,  der  36. 

Am  1.  Mai  wurde  auf  unsere  Abteilung  ein  Schuster 
Ignaz  M.  gebracht,  welcher  an  einem  Volkszuge  teilnahm  und 
während  der  ausgebrochenen  Panik  von  der  Menge  niederge¬ 
worfen  und  mit  Füßen  getreten  wurde.  Der  Kranke  wurde  ins 
Krankenhaus  in  schwerkrankem  Zustande,  bewußtlos,  fast  ohne  Puls 
gebracht;  sein  Gesicht  war  gemäß  dem  Berichte  der  Diakonisse 
dunkelblau,  fast  schwarz  mit  Spuren  frischer  Blutung  aus 
der  Nase  und  dem  linken  Ohr.  Nach  einer  Stunde  kam  der 
Kranke  wieder  zum  Bewußtsein  und  beklagte  sich  über 
Schmerzen  im  Brustkörbe  und  im  rechten  Schultergelenke  und 
Lähmung  der  rechten  oberen  Extremität.  Temperatur  38’ 1®. 


9  Kossobudzki,  Zur  Kasuistik  der  Traumen  des  Brustkorbes. 
Medycyna  1902,  Nr.  30  und  31. 

9  F.  Le  jars,  L’infiltration  6cchymotique  diffuse  de  la  face  ä  la 
suite  de  compression  du  tronc.  Semaine  mddicale  1905,  Nr.  16,  S.  181. 

9  G.  Perthes,  lieber  ausgedehnte  Blutextravasate  am  Kopf  in¬ 
folge  von  Kompression  des  Thorax.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1899, 
H.  5  u.  6  und  Semaine  m^dicale  1899,  S.  334. 

9  Semaine  mddicale  1906,  Nr.  1. 


Am  folgenden  Tage  (2.  Mai)  wurde  folgender  Status  auf¬ 
genommen  :  Pat.  18  Jahre  alt,  bei  Bewußtsein,  Körperbau  nor¬ 
mal,  Ernährungszustand  mäßig.  Die  Klagen  sind  dieselben  geblieben 
wie  gestern.  Puls  100,  weich,  ziemlich  voll,  Temperatur  des 
Morgens  37’4®,  des  Abends  39'4®.  Das  ganze  Gesicht,  die  Lider, 
der  Hals  bis  zum  Brustkörbe  geschwollen  und  dunkelblau  gefärbt. 
Auf  der  Haut  des  Brustkorbes  an  mehreren  Stellen  größere  und 
kleinere  blaue  Flecke.  Am  Gesichte  und  am  Halse,  den  Schleim¬ 
häuten  der  Lippen,  der  Backen,  des  Zahnfleisches  und  des 
Rachens  zahlreiche  subkutane  punktförmige  Hämorrhagien.  Auf 
den  Conjunctivae  palpebrarum  ebenfalls  punktförmige  Hämor¬ 
rhagien  und  fast  die  ganzen  Conjunctivae  bulbi  stellen  zwei  große 
Hämorrhagien  dar.  Keine  Protrusio  bulbi.  Die  Speicheldrüsen 
und  die  Lymphdrüsen  am  Kieferwinkel  und  am  Halse  sind  nicht 
vergrößert.  Im  linken  Gehörgange  geronnenes  Blut.  Hörvermögen 
normal.  Die  Haut  des  Gesichtes  und  Halses  ist  nicht  beschädigt. 
Die  Haut  über  dem  rechten  Schultergelenk  geschwollen,  die  Haut 
über  dem  geschwollenen  Gelenk  von  gewöhnlicher  Farbe ;  das 
Oedem  geht  auf  den  Brustkorb  über:  vorne  bis  zur  zweiten  Rippe, 
hinten  bis  zum  oberen  Drittel  des  Schulterblattes.  Bei  der  Pal¬ 
pation  des  Brustkorbes  (Kol.  Zurakowski)  wurde  festgestellt, 
daß  das  äußere  Ende  der  rechten  Klavikula  vom  Processus 
acromialis  abgerissen  ist  und  daß  man  in  der  Mitte  und  am 
inneren  Ende  des  Schlüsselbeines  Knochenkrepitation  wahrnimmt. 
Was  die  erste  Rippe  betrifft,  konnte  man  vorläufig  nicht  ent¬ 
scheiden,  ob  diese  beschädigt  sei.  Der  untere  Teil  des  Brust¬ 
korbes  ist  auf  Druck  sehr  schmerzhaft. 

Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  hat  folgendes  ergeben  : 
über  der  rechten  Lunge  bei  der  Perkussion  Lungenschall,  über 
der  linken  von  oben  bis  nach  unten  tympanitischer  Schall.  Bei 
der  Auskultation  hört  man  über  dem  oberen  Lappen  der  rechten 
Lunge  Vesikularatmen  mit  abundantem  feuchten  Rasseln;  über 
dem  unteren  Lappen  Vesikularatmen  ohne  Rasselgeräusche ;  über 
der  linken  Lunge  von  oben  bis  unten  hohes  Bronchialatmen  mit 
zahlreichen  Krepitationen  und  Bronchophonie.  Die  obere  Herz¬ 
grenze  perkutorisch  auf  der  dritten  Rippe,  die  rechte  reicht  bis 
zum  rechten  Sternalrande,  die  linke  überschreitet  um  einen 
Finger  die  Mamillarlinie ;  Iktus  im  fünften  Interkostalraume.  Die 
Inspektion  des  Brustkorbes  ergibt  deutliche  Pulsation  der  Pul¬ 
monalarterie.  Bei  der  Auskultation  hört  man  über  der  Pul¬ 
monalarterie  ein  deutliches  Geräusch  in  der  zweiten  Hälfte  der 
Diastole;  andere  Geräusche  waren  in  der  ganzen  Herzgegend 
nicht  zu  hören.  Auf  der  Haut  des  Bauches  und  der  unteren  Ex¬ 
tremitäten  und  in  den  Organen  der  Bauchhöhle  nichts  Abnormes. 
Der  Kranke  sieht  gut  und  hat  keinerlei  Sehstörungen  während 
der  ganzen  Zeit  bemerkt.  Früher  soll  er  ganz  gesund  gewesen 
sein.  Harn :  spezifisches  Gewicht  1021 ;  die  chemische  und 
mikroskopische  Untersuchung  hat  nichts  Abnormes  ergeben. 

3.  Mai.  Puls  104,  weich;  Temperatur  des  Morgen  37’2®,  des 
Abends  39’0.  Allgemeinzustand  etwas  besser ;  Schmerzen  im 
rechten  Schultergelenk  geringer ;  dafür  klagt  der  Kranke  über 
Husten.  Kein  Sputum,  wie  gestern.  Seit  gestern  Abend  schwitzt 
der  Kranke ;  während  der  Visitation  liegt  er  schweißbedeckt. 
Oedem  und  Zyanose  des  Gesichtes  und  Halses  etwas  geringer. 
Die  perkutorischen  Veränderungen  an  der  Lunge  und  die  Herz¬ 
grenzen  konnten  wegen  der  Anlegung  eines  Verbandes  auf  das 
gebrochene  Schlüsselbein  nicht  festgestellt  werden;  man  hört 
aber  durch  den  Verband  Bronchialatem,  Krepitationen  und 
Bronchophonie  über  der  ganzen  linken  Lunge  und  das  erwähnte 
Geräusch  in  der  zweiten  Hälfte  der  Diastole  über  der  Pul¬ 
monalarterie.  Aufdem  Augenhintergrunde(Kol.  Kaezkowski)  keine 
Hämmorrhagien.  Harnmenge  1650  cm.  Harn  durchsichtig  und  von 
gelber  Farbe. 

4.  Mai.  Puls  92,  Temperatur  38-8®  des  Morgens  und  des 

Aliends.  Der  Kranke  klagt  über  Husten  und  Schmerzen  in  der 
linken  Brusthälfte.  Allgemeinzustand  unverändert.  Oedem  und 
Zyanose  nehmen  allmählich  ab.  Die  Hämorrhagien  in  den  Kon¬ 
junktiven  sind  unverändert,  in  der  Haut  und  in  den  Schleim¬ 
häuten  blassen  sie  ab.  Sputum  spärlich,  ziehend,  mit  deutlicher 
Blutbeimischung.  Im  Herzen  und  in  den  Lungen  bleiben  die 
auskultatorischen  Erscheinungen  unverändert.  ^  _ 

Die  Untersuchung  der  Ohren  und  der  Nase  (Koll.  Swia- 
tecki)  hat  folgendes  ergeben:  Auf  der  Schleimhaut  in  beiden 
Nasenlöchern  zahlreiche  punktförmige  Hämorrhagien,  im  rechten, 
Ohre  keine  Veränderungen;  im  linken  Ohre  auf  der  hinteren 
Wand  des  Gehörganges  und  auf  der  Membrana  tympani  zahl¬ 
reiche  Extravasate. 

5.  Mai.  Puls  98,  Temperatur  39-6®,  des  Abends  40®.  Jh’otz 
hoher  Temperatur  Befinden  besser,  Schmerzen  in  der  Brust  ge¬ 
ringer,  Husten  nicht  so  quälend.  Die  Blutbeimengung  im  Sputum 
größer.  Oedem  des  Gesichtes  und  des  Halses  geschwunden,  Zya- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


iiüse  dos  Gosichtos  und  des  Halses  immer  geringer.  Die  Extra¬ 
vasate  unter  der  Haut  und  den  Schleimhäuten  blassen  ah.  Sym¬ 
ptome  von  seiten  der  Lungen  und  des  Herzens  unverändert. 

G.  Mai.  Puls  1)0,  Temperatur  des  Morgens  des  Abends 

37'6®.  Befinden  besser;  der  Kranke  schwitzt,  hustet  weniger,, 
klagt  nicht  über  Schmerzen.  Blulbeimengung  im  Sputum  geringer. 
Symptome  von  seiten  der  Lungen  und  des  Herzens  wie  oben. 

7.  Mai.  Puls  8G,  Temperatur  des  Morgens  37-7'’,  des  Abends 

39-2°;  klagt  über  heftigen  Husten.  Objektiv  nichts  Neues;  die 
Blutbeimengung  im  Sputum  nimmt  ah.  .| 

8.  Mai.  Puls  94,  Temperatur  38-7'’,  am  Abend  37-6°.  Befinden 
leidlich;  Husten  leichter;  Zyanose  des  Gesichtes  und  des  Halses 
nimmt  fortwährend  ah.  Die  punktförmigen  Hämorrhagien  det 
Haut  und  Schleimhäute  sind  nicht  mehr  sichtbar.  Sputum  ohne 
Blut;  dagegen  zum  erstenmal  deutliche  Blutbeimengung  im  Harne. 

Harnmenge  1300  cm^,  spezifisches  Gewicht  1024;  Farbe 
braun;  deutliche  Spuren  von  Eiweiß.  Im  Sedimente  bei  mikro-' 
skopischer  Untersuchung  ausschließlich  rote  Blutkörperchen,  lieber 
dem  rechten  oberen  Lungenlappen  keine  Rasselgeräusche;  üheri 
der  linken  Lungenspitze  bis  zum  oberen  Drittel  des  Schulter¬ 
blattes  Respiratio  aspera  mit  feuchten  Rasselgeräuschen,  weiter, 
nach  unten  Bronchialatmen  und  Kiiistern.  Ueber  der  Pulmonal-^ 
arterie  Symptome  wie  früher. 

9.,  10.,  11.  und  12.  Mai  hat  sich  der  Zustand  des  Kranken 
nicht  wesentlich  vei'ändert.  Die  Temperatur  fiel  allmählich  ab,  so 
daß  sie  am  11.  Mai  bis  auf  3G'8*’  sank  und  auf  dieser  Höhe 
bis  zur  Entlassung  (1.  .Juni)  blieb.  Puls  80  bis  82.  Die  braune 
Färbung  des  Harnes  nahm  mit  jedem  Tage  ab,  so  daßi  er  nach' 
vier  Tagen,  d.  h.  am  12.  Mai  schon  wieder  gelb  und  durchsichtig! 
war  und  hei  der  mikroskopischen  Untersuchung  keine  roten  Blut-: 
körperchen  mehr  enthielt.  Zyanose  des  Gesichtes  und  des  Halsesj 
verschwunden  (12.  IMai);  nur  die  Konjunktiven  sind  noch  i'ot: 
Ueber  dem  linken  unteren  Lungenlappen  hört  man  Bronchial¬ 
atmen  mit  Knistern,  höher  verschärfte  Respiration  mit  spärlichem,' 
feuchtem  Rasseln  und  Knistern.  Am  Herzen  wie  früher. 

13.  ]\Iai.  Wechsel  des  Verbandes  des  Schlüsselbeines.  Puls  86. ^ 
Keine  Beschwerden;  Appetit  gut.  Bei  der  Perkussion  nur  über 
dem  linken  Unterlappen  tympanitischer  Schall;  Respiration  über 
der  ganzen  linken  Lunge  verschärft  mit  spärlichen,  feuchten 
Rasselgeräuschen.  Obere  Herzgrenze  am  Rande  der  driPeti  Rippe, 
die  rechte  reicht  bis  zur  Mitte  des  Sternums,  die  linke  über¬ 
schreitet  die  linke  Mamillarlinie  um  eine  Fingerbreite.  Geräusch 
über  der  Pulmonalarterie  wie  früher.  Das  Schlüsselbein  wächst 
normal  zusammen;  eine  eingehendere  Untersuchung  ergibt,  daß: 
die  erste  Rippe  nicht  Schaden  gelitten  hatte. 

15.  Mai.  Der  Allgemeinzustand  des  Kranken  bessert  sich 
nach  und  nach.  Atem  vesikulär,  ohne  Nebengeräusche.  Die  Hämor¬ 
rhagien  der  Konjunktiven  blassen  ab. 

Bis  zum  1.  Juni  waren  keine  wesentlichen  Aenderungen 
im  Zustande  des  Kranken  eingetreten.  Der  Kranke  blieb  im 
Krankenhause  wegen  der  Beschränkung  der  Beweglichkeit  der 
rechten  oberen  Exlremität;  es  wurde  die  rechte  Schulter  und 
das  Schlüsselbein  massiert. 

Vom  27.  Mai  bis  29.  Mai  klagte  er  über  Schmerzen  in‘ 
der  Herzgegend;  objektiv  war  aber  nichts  Neues  festzustellen: 
l’uls  beständig  von  72  bis  86. 

Am  Tage  der  Entlassung  (l.  Juni)  war  der  Zustand  des 
Kranken,  wie  folgt:  Keine  Beschwerden;  die  obere  rechte  Ex¬ 
tremität  in  allen  Gelenken  frei  beweglich.  In  den  Lungen  nichts: 
Abnormes.  Obere  Herzgrenze  auf  der  dritten  Rippe,  die  rechte' 
reicht  bis  zur  Mitte  des  Sternums,  die  linke  überschreitet  die 
linke  Mamillarlinie  um  eine  Fingerbreite.  Das  Geräusch  ist  nur 
über  der  Pulmonalarterie  in  der  zweiten  Hälfte  der  Diastole 
zu  hören.  Pulsation  an  der  Stelle  der  Pulmonalarterie  nicht  sicht¬ 
bar.  Auf  den  Konjunktiven  wieder  geringfügige  Hämorrhagien. 

Stellen  wir  die  krankhaften  Symptome  des  beschrie¬ 
benen  Falles  zusammen,  so  sehen  wir,  daß  unter  der  Ein¬ 
wirkung  eines  heftigen  Traumas  des  Rumpfes  außer  dem, 
Schlüsselbeinbruche  folgendes  aufgetreten  war :  1.  Oedem 
und  intensive  Zyanose  des  Gesichtes  und  des  Halses; 
2.  Hämorrhagien  in  die  Haut  des  Gesichtes.,  des  Halses  und 
des  Brustkorbes;  3.  Hämorrhagien  in  die  Schleimhäute  der 
Augen,  der  Nase,  der  Mundhöhle,  des  Rachens  und  des 
linken  Irommelfelles.  Außerdem  muß  hervorgehoben  wer¬ 
den;  4.  linksseitige  Pneuinonie ;  5.  beträchtliche  Erweite¬ 
rung  des  Herzens,  besonders  der  rechten  Kammer;  6.  diasto¬ 
lisches  Geräusch  über  der  Pulmonafis  und  schließlich 
7.  Hämaturie.  Hie  Symptome  des  Üedems,  der  Zyanose 


und  die  Hämorrhagien  des  Gesichtes,  des  Halses  und  der 
Schleijnhäute  geben  zusammen  ein  Bild,  welches  typisch 
ist  für  besonders  heftige  Traumen  des  Brustkorbes  und 
des  Bauches. 

Was  den  Entstehirngsmechanismus  dieser  Symptome 
betrifft,  so  hat  sich  Perthes^)  dahin  geäußert,  daß  durch 
Kompression  der  intrathorakale  Druck  steige,  wäs  auf  did 
Gefäße  des  Kopfes  übertragen  wird  und  die  Berstung  kleiner 
Gefäße  hervorruft. 

Hoppe  stellt  sich  den  Entstehungsmeehanismus  des 
besprochenen  Symptomen  komplexes  etwas  anders  vor.  Es 
entstehe  nämlich  nach  der  Kompression  des  Brustkorbes 
oder  des  Bauches  oder  nach  der  Einwirkung  irgendwelcher 
anderer,  plötzlich  wirkender  Ursachen  eine  plötzliche  Steige¬ 
rung  des  intrathorakalen  Druckes.  Dieser  wird  sowohl  auf 
das  arterielle  als  auch  auf  das  venöse  System  übertragen 
und  ruft  in  ihnen  Wellenbewegungen  der  ßlutsäule  hervor. 
Da  die  Arterien  unter  größerem  Seitendrucke  stehen  und 
als  dickere  und  tiefer  gelegene  Gebilde  weniger  dehnbar 
sind,  die  Venen  aber  mehr  dehnbar  sind,  als  oberflächlicher 
gelegen  unter  geringerem  Seitendruck  sieben  und  Wider¬ 
stände  in  der  Form  von  Klappen  an  der  Vena  jugularis! 
communis  darbieten,  so  treffen  die  Blutwellen  nicht  in  der 
Mitte  ihres  Weges,  sondern  im  Bereiche  des  Venensystemes., 
ungefähr  in  den  kleinen  Venen  zusammen.  Diese  erweitern 
sich  und  bersten:  dadurch  Zyanose  und  Hämorrhagien. 

Außerdem  „scheint  mir  die  von  Lejars  zitierte  Kor¬ 
rektur  von  Mi  liner  sehr  zutreffend:  ,, während  der  Kom¬ 
pression  verlieren  die  betreffenden  Personen  nicht  sofort 
das  Bewußtsein  und  wehren  sich ;  diese  Abwehr  beruht  auf 
einer  Anstrengung  des  Brustkorbes  und  des  JBauches,  auf 
einer  tiefen  Inspiration,  nach  welcher  Glottisschluß  und 
energische  Kontraktion  der  Bauchmuskulatur  stattfindet. 
Unter  diesen  Bedingungen  wächst  der  intraabdominale  und 
intrathorakale  Druck  wahrscheinlich  beträchtlich  an  und 
dieser  Druck  treibt  das  arterielle  Blut,  den  Inhalt  des  linken 
Ventrikels  und  der  Aorta  aus  und  verursacht  einen  rück¬ 
läufigen  venösen  Strom,  für  welchen  die  Ralsvenen  offen 
stehen.  Dadurch  entsteht  eine  Blutvvelle  und  eine  Dehnung 
der  Gefäße,  welche  um_so  größer  ist,  je  heftiger  und  an¬ 
haltender  die  Abwehranstrengungen  waren.“ 

Eben  auf  diese  Weise  waren  höchstwahrscheinlich 
Oedem  und  Hämorrhagien  am  Gesichte  und  am  Halse  in 
unserem  Falle  entstanden,  denn  man  konnte  keinerlei  direkte 
Beweise  für  andere,  unmittelbar  wirkende  Traumen  auf¬ 
finden.  , 

Die  Symptome  der  Lungenentzünidung  als  Folge  des 
Traumas  verdienen  keine  spezielle  Beachtung.  Bemerkens¬ 
wert  ist  dagegen  der  Zustand  des  Herzens,  welches  infolge 
von  plötzlich  veränderten  Zirkulationsbedingungen  akut 
dilatiert  wurde.  Im  Laufe  der  Zeit  haben  sich  die  Grenzen 
der  Herzdämpfung  verkleinert;,  kehrten  aber  während  des 
vierwöchigen  Spitalaufenthaltes  nicht  zur  Norm  zurück. 
Möglich,  daß  dieser  Umstand  mit  dem  Geräusche  über  der 
Pulmonalarterie  in  einem  Zusammenhänge  steht.  Dieses  Ge¬ 
räusch  verdankt  vielleicht  seine  Entstehung  der  plötzlichen 
Steigerung  des  Druckes  im  kleinen  Kreisläufe,  welche  eine 
Dilatation  der  rechten  Kammer  und  außerdem  wahrschein¬ 
lich  einen  Riß  wenigstens  einer  Klappe  der  Pulmonalarterie 
verursacht  hatte.  Die  so  entstandene  Pulmonalinsuffizienz 
verursachte  das  konstant  hörbare,  diastolische  Geräusch  und 
zog  allmählich  eine  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels 
nach  sich.  Nur  auf  diese  Weise  kann  man  sich  erklären, 
warum  die  rechte  Herzgrenze  nach  der  Rückbildung  der 
akuten  Dilatation  nicht  zur  Norm  zurückkam.  Volle  Sicher¬ 
heit  über  diesen  Umstand  könnte  .^na.n  selbstverständlich 
nur  dann  haben,  wenn  wir  den  Kranken  vor  dem  Unfälle 
gekannt  hätten  und  sicher  wären,  daß  er  nicht  an  ange¬ 
borener  Pulmonalinsuffizienz  gelitten  hatte.  Das  eine  steht 
nur  fest,  daß  sich  der  Kranke  vor  dem  Unfälle  für  ganz 
gesund  betrachtet  hatte. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Der  Genauigkeit  halber  bemerke  ich,  daß  ich  mir  die 
vier  Tage  anhaltende  Hämaturie  durch  einen  hämorrhagi¬ 
schen  Infarkt  der  Niere  erkläre.  Die  Möglichkeit  eines  sol¬ 
chen  in  unserem  Fälle  ist  ja  selbstverständlich. 


lieber  die  Spezifizität  der  Bakterienpräzipitine. 

Von  Dr.  Leo  Zupiiik. 

Unter  obigem  Titel  wurde  in  Nr.  13  dieser  Wochen¬ 
schrift  aus  dem  Pal  tauf  sehen  Institute  von  Michael 
V.  Eisler  eine  Mitteilung  publiziert,  v.  Eisler  beschul¬ 
digt  mich  daselbst  nach  doppelter  Richtung. 

Die  erste  Inkrimi nation  betrifft  die  Gattungs¬ 
spezifität  der  Agglutination  und  Präzipitation.  Indem  ich 
„diese  Reaktionen  als  gattungsspezifisch  und  nicht  mehr 
als  artspezifisch“  bezeichnete,  habe  ich  „dadurch  ein 
längst  bekanntes  Verhalten  mit  einem  neuen 
Namen  belegt“  (g.  g.,  S.  377). 

V.  Eisler  will  diese  Ansicht  durch  folgende  drei 
Aeußerungen  bewiesen  haben : 

A.  „Gruber  schreibt  in  der  eben  erwähnten  Ar¬ 
beit/)  daß  die  Wirkung  der  Agglutinine  keine  spezifisch 
abgegrenzte,  sondern  nur  eine  graduell  abgestufte  ist,  so 
daß  jedes  Agglutinin  gegen  die  eigene  Art  am  stärksten 
wirkt.  Auf  andere  x4rten  ist  die  Wirkung  um  so  stärker,  je 
näher  verwandt  die  betreffende  Rakterienart  ist“  (S.  377). 

B.  „Auch  A  chard  sagte  schon  im  Jahre  1896,  daß 
nicht  die  Agglutination  als  solche,  sondern  der  Grad,  in 
dem  sie  stattfinde,  spezifisch  sei“^)  (S.  378). 

C.  ,,Pf aundler^)  gebrauchte  für  dieses  Verhalten  die 
Bezeichnung  der  ,Gruppenagglutination‘  und  gab  der 
Anschauung  Ausdruck,  daß  der  Agglutinationswert  eines 
Immunserums  für  die  zur  Erzeugung  verwendete  Art  am 
höchsten  sei  und  in  deni  Maße  sinke,  als  sich  die  betreffende 
Bakterienart  von  der  immunisierenden  entfernt“  (S.  377). 

Das  ist  alleSi  was  v.  Eisler  die  Basis  für  die  voran¬ 
stehende  Beschuldigung  abgibt.  Die  sonstigen,  in  dem  be¬ 
treffenden  Kapitel  enthaltenen  Mitteilungen  sind  nämlich 
von  ganz  nebensächlicher  Bedeutung,  indem  sie  bloß  Be¬ 
nennungen,  bildliche  Erklärungen  und  ,, Ausnahmen“  dieser 
nicht  spezifischen  Agglutination  betreffen. 

Dieser  Beweisführung  gegenüber  betone  ich  zunächst, 
daß  V.  Eisler  aus  der  mächtigen  Agglutinationsliteratur 
nur  jene  Stellen  herausgegriffen  hat,  die  sich  gegen  mich 
scheinbar  verwerten  lassen  und  daß  er  all  jenes  mitzu¬ 
teilen  und  zu  berücksichtigen  unterließ,  was  diese  Stützen 
seiner  Beschuldigungen  von  vornherein  zunichte  macht.  Die 
Zahl  der  erstereii  ist  sehr  spärlich;  ich  selbst  habe  sie  alle 
in  gewissenhaftester  Weise  ausfindig  gemacht,  zusammen¬ 
gestellt  und  in  meiner  ersten,  zusammonfassenden  Dar¬ 
stellung  der  Gattunigsspezifizität  (1905)  ^)  öffentlich  mitgeteilt. 
Auf  S.  459  dieser  Publikation  heißt  es  wörtlich:  ,, Vervoll¬ 
ständigt  wird  obiges  Tatsachenmaterial  durch  die,  wenn 
auch  nicht  beweisenden,  so  doch  beachtenswerten  Angaben 
von  Gruber  und  Durham,  A  chard  und  Bensaude, 
Widal  und  Si  card,  Gilbert  und  Fournier.  Der  Ent¬ 
decker  der  Agglutination  selbst,  Max  Gruber,  berichtet 
in  seiner  mit  Durham  publizierten  Arbeit  (Münchener 
medizinische  Wochenschrift  1896,  Nr.  13,  S.  285),  daß  ein 
Typhusimmunserum  auch  den  Bacillus  enteriditis  Gärtner 
,in  völlig  typischer  Weise“  agglutiniert.  hat.  Die  anderen 
genannten  Verfasser  teilen  mit  (Bensaude,  These  de 
Paris  1897),  daß  Typhusserum  und  ferner  Psittakoseserum 
sowohl  den  Eberthschen  als  auch  den  No  card  sehen  Ba¬ 
zillus  positiv  beeinflussen.  Gruber  und  Durham  schlossen 
aus  ihren  Beobachtungen,  daß  der  Agglutination  keine 
strenge  Spezifizität  zukommt;  ähnlkh  läutet  das  Urteil  von 
Achard  und  Bensaude,  wonach  die  Spezifizität  nicht  der 
Agglutination  überhaupt,  sondern  dem  Grade  derselben  zu- 

9  München,  med.  Wochenschr.  1896,  Nr.  9,  3.  März,  S.  206. 

2)  Soc.  de  biol.  1896,  November,  S.  910. 

9  München,  med.  Wochenschr.  1899,  Nr.  15. 

9  Zeitschr.  f.  Hyg.,  Bd.  49. 


kommt.  Dieser  Ansicht  schloß  sich  auch  Pfaundler  an, 
nach  welchem  die  Agglutination  nur  eine  ,relative  Spezifi¬ 
zität“  besitzt.  Auf  die  Pf  a  u  md  1  er  Siche  Deutung  der  Aggluti¬ 
nation  als  , Gruppenreaktion“  kommen  wir  weiter  unten 
bei  der  Schilderung  der  Agglutinationsverhältnisse  innor- 
halb  der  ,Koligattung“  zurück.  All  diese  MitteiJungen  stam¬ 
men  mit  Ausnahme  der  Pfa  undlerschen  aus  der  aller¬ 
frühesten  Anfangsperiode  der  Agglutinationsforschung,  das 
heißt  aus  einer  Zeit,  in  welcher  die  normalen  Blutseren 
innewohnende  Agglutinationskraft  für  allerhand  verschie¬ 
dene,  auch  differenten  Gattungen  angehörige  Bakterien¬ 
arten  noch  völlig  unbekannt  war.  Erst  später  haben  wii' 
es  gelernt,  zwischen  spezifischer  und  nicht  spezifischer 
Agglutination  zu  unterscheiden,  und  heute  wissen  wir  es 
zur  Genüge,  daß  die  von  den  in  Rede  stehenden  Autoren 
gemachten  Beobachtungen  jene  quantitativen  Verhältnisse 
betreffen,  welche  für  die  Spezifizität  oder  Nichtspezifizität 
der  Immunkörper  niichts  beweisen  können.^)  Aus  diesem 
Grunde  wurden  die  von  Gruber  und  Durham,  Achard 
und  Bensaude  vertretenen  Ansichten  schon  kurze  Zeit 
darauf  mit  Recht  fallen  gelassen  und  die  Agglutination  als 
artspezifisch  betrachtet . “ “ 

Seit  der  Publiikation  dieser  Arbeit  sind  zwei  Jahre, 
seit  der  Veröffentlichung  meiner  gemeinschaftlich  mit  Pos¬ 
ner  durchgeführten  Untersuchungen  vier  Jahre  vergangen; 
bis  auf  den  heutigen  Tag  haben  weder  Gruber,  noch  Dur¬ 
ham,  Achard,  Bensaude,  Widal,  Sicard,  Gilbert, 
Fournier,  noch  schließlich  Pfaundler,  also  keiner  von 
den  vier  Forschern,  deren  Arbeit  ich  mir  nach  Ansicht 
V.  Eislers  angeeignet  habe  und  keiner  von  den  übrigen 
fünf,  trotzdem  ich,  wie  aus  obigem  Zitat  ersichtlich,  den 
betreffenden  Untersuchungen  jede  Beweiskraft  für  die  Gat- 
tungsspezifizität  der  Agglutination  abgesprochen  habe,  mir 
gegenüber  einen  Prioritätsanspruch  geltend  gemacht. 

Als  Beweise  für  die  Gattungsspezifizität  der  Agglutina¬ 
tion  habe  ich  in  derselben,  im  Jahre  1905  publizierten 
Arbeit  die  Versuchsprotokolle  von  Durham,  de  Nebele, 
B.  Fischer,  Trautmann  und  Sternberg  herangezogen; 
in  der  Folgezeit  habe  ich  Publikationen  von  de  Feyfer, 
Brion,  Kays  er,  Bruns,  Körte,  Jürgens,  v.  Dri- 
galski.  Man  ten  fei,  Böhme,  Netter,  Ri  b  ade  a  u  -  Du- 
m  a s,  T  r  o  m  ni  s  d  o  r  f  f ,  R  o  c  c  h  i,  C  i  t  r  o  n,  G  r  ä  f  und  Lentz 
als  weitere  Belege  für  die  Gattungsspezifizität  der  Aggluti¬ 
nation  angeführt. 

Wir  wollen,  um  das  beantworten  zu  können,  in  eine 
genaue  Betrachtung  der  Stützpunkte  v.  Eislers  eingelien. 

A.  Die  Grub  ersiehe  Publikation,  auf  welche  sich 
V.  Eisler  im  voranstehenden  bezieht,  stellt  die  erste,  auf 
die  Agglutination  bezügliche  Mitteilung  dar  (3.  März  1896). 
Sie  bringt  19  Thesen,  die  jeder  Beweisführung  entbehren, 
indem  sie  auch  nicht  durch  ein  Versuchsprotokoll  gestützt 
sind  und  bezweckt  wohl  nichts  weiteres  als  eine  vorläufige 
Mitteilung  der  erzielten  Erigebnisse.  Zur  Charakteristik  des 
damaligen  Standes  der  Immunitätsprobleme  einschheßJich 
Agglutination  führe  ich  —  es  ist  wohl  überflüssig,  zu 
betonen,  daßi  Grubers  Name  dabei  in  Ehren  bleibt 
—  einzelne  dieser  Thesen  wörtlich  an;  darunter  befinden 
sich  alle,  die  auf  Agglutination  Bezug  nehmen : 

,,8.  Die  wesentliche  Wirkung  der  Antikörper 
der  Säfte  der  immunisierten  Tiere  besteht  darin, 
daß  sie  die  Hüllen  der  Bakterlenleiber  zum  Ver- 

quellen  bringen  (g.  g.) . .  Dieser  fundamentalen 

Wirkung  halber  nenne  ich  die  Antikörper  der  spezifisch 
immunisierten  Tiere  Glabrifizine  (Klebrigmacher).““ 

,,11.  Aktive  und  passive  Immunität  sind  im 
Wesen  i d e n t i s cJi.  Beide  1  m m u n i t ä t e n  be r u h e n  1  n 
gleicher  Weise  a.uf  dem  Vorhandensein  der 
Glabrifizine  in  den  Körpersäf ten““  (g.  g.). 

,,15.  Die  Glabrifizine  sind  spezifisch  ver¬ 
schieden  (g.  g.).  Jeder  Bakterienart  entspricht  ein  spezi¬ 
fisches  Glabrifizin.““ 

9  Hier  befindet  sich  eine  Anmerkung  deren  wörtliche,  Wiedergabe 
weiter  unten  erfolgen  wird. 


Ü68 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  22 


,,16.  Jedoch  ist  die  Wirkung  derselben  keine 
spezifisch  abgegrenzte,  sondern  nur  eine  gra¬ 
duell  abgestufte,  so  daß  jedes  Glabrifizin  gegen 
die  eigene  Art  am  stärksten  wirkt  (g.  g.).  Auf  andere 
Bakterienarten  ist  die  Wirkung  um  so  stärker,  je  näher  ver¬ 
wandt  die  betreffende  Bakterienart  ist.“ 

„Die  gegenteilige  Behauptung  Pfeiffers  von  der 
strengen  Spezifizität  der  Wirkung  der  Immunseren  ist  eine 
Uebertreibung  des  wahren  Sachverhaltes.“ 

V.  Eisler  schrieb  seinen  Artikel  im  Jahre  1907. 
Zwischen  seiner  und  der  angeführten  Gruber  sehen  Publi¬ 
kation  liegt  ein  Dezennium  einer  überaus  ergebnisreichen 
bakteriologischen  Arbeit,  von  welcher  keine  einzige -dieser 
Grub  ersehen  Thesen  unberührt  blieb;  sie  wurden  ent¬ 
weder  wesentlich  modifiziert  oder  aber  für  alle  Zeiten  wider¬ 
legt.  Das  alles  hat  v.  Easier  nicht  beachtet.  So  stelle 
ich  denn  als  erstes  fest,  daß  v.  Eisler 

1.  die  ganze  Entwicklung  der  Agglutinations¬ 
lehre  und  die  ganze  Agglutinationsliteratur  — 
mit  AusnaJime  jener  wenigen  Abhandlungen,  die  ihm  zweck¬ 
dienlich  erschienen  sind  —  zu  berücksichtigen  unter¬ 
lassen  hat. 

Wir  wollen  ihm  für  einen  Augenblick  auf  diesem  Wege 
folgen.  Schaffen  wir  für  einen  Moment  all  die  vielen  hun¬ 
derte  von  Publikationen  aus  der  Welt,  die  zwischen  der  in 
Rede  stehenden  Grub  ersehen  und  meinen  inkriminierten 
erschienen  sind,  vergessen  wir,  daß  Gruber,  wie  er  später 
mitteilte,  zu  jener  Zeit  in  den  Verdünnungen  von  1:1  ge¬ 
arbeitet  hat,  daß  sehr  zahlreiche  Publikationen  in  nou’- 
malen  menschlichen  und  tierischen  Seren  und  dann 
auch  in  V  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  a  r  t  i  g  e  n  a  n  d  e  r  e  n  Substanzen,  von 
welchen  wir  hier  nur  einen  Ei weißkörper,  die  Gelatine, 
hervorheben  möchten,  viel  stärkere  Agglutinationskräfte 
festgestellt  haben,  daß  man  sich  mühsam  in  zahlreichen 
Untersuchungen  schließlich  zu  Verdünnungen  von  1:40  bei 
makroskopischer  und  1 : 50  bei  mikroskopischer  Beobach¬ 
tung  emporgearbeitet  und  hier  erst  den  Beginn  der  spezi¬ 
fischen  Agglutination  eruiert  hat,  daß  in  der  Folgezeit  diese 
Verdünnungen  als  Grundlage  für  klinische  Diagnosen  ver¬ 
wendet  und  die  Agglutination  in  der  wissenschaftlichen  Welt 
ganz  allgemein  als  artspezifisch  erachtet  wurde ;  —  haben 
wir  den  Vorgang  v.  Eislers  befolgt  und  all  das  gestrichen, 
so  ist  selbst  in  diesem  Falle  klär,  daß  diese  Gruberschen 
Thesen,  besonders  mit  Rücksicht  darauf,  daß  sie  Wider¬ 
sprüche  enthalten,  keine  Belege  aufzu weisen  haben  und 
den  Verwandtschaftsgrad  einzelner  Arten  nicht  präzisieren, 
jenen  zahlreichen  und  umfangreichen  Erhebungen  gegen¬ 
über,  wie  sie  meine  und  meiner  Mitarbeiter  Untersuchungen 
geliefert  haben,  keine  Beweiskraft  beanspruchen  können. 
Denn  erst  diese  Arbeiten  haben  zum  ersten  Male  die  Fest¬ 
stellung  gebracht ,  daß  eine  unzweifelhaft  spezifische 
Agglutination  nicht,  wie  man  glaubte,  allein  auf  die  zuge¬ 
hörige  Art  beschränkt  bleibt,  sondern  mehrere  differente 
Bakterien  a  r  t  e  II  i  zugleich  lietrifft;  diese  Arbeiten  haben 
ferner  kim  erstenmal  den  „Grad  der  Spezifizität“,  i.  e.  die 
Spezifizitätsbreite  ausfindig  gemacht,  indem  sie  vorerst  Gat¬ 
tungen  gcscliaJfen  und  dann  ermittelt  haben,  daß  die  Spe- 
zifizitätsgrenzen  der  Agglutination  mit  den  Gattungsgrenzen 
zusammenfallen. 

Wir  würden  also,  selbst  in  dem  F’alle,  daß  man,  wie 
V.  Eisler,  ein  Dezennium  der  wissenschaftlichen  Arbeit 
völlig  ignoriert,  die  „Entdeckung“  der  Gattungsspezifizilät  der 
Agglulinatiou  mit  Recht  für  uns  in  Anspruch  nehmen  dürfen. 
V.  Eisler  denkt  anders  und  ich  suche  nach  den  Gründen 
dieser  differenten  Ansicht.  Hier  behaupte  ich  —  das  ist 
zugleich  meine  zweite  Feststellung  — :  es  hat  v.  Eisler 

2.  unterlassen,  jene  Arbeiten,  die  er  be¬ 
kämpft,  auch  nur  zu  lesen. 

ün  folgenden  bringe  ich  einen  Beweis  für  diese  Be¬ 
hauptung.  Auf  S.  378  seines  Artikels  behauptet  v.  Eisler: 
„ln  seiner  letzten  Arbeit‘S)  über  diesen  Gegenstand  hat 


Zupnik  mittels  der  Agglutination  eine  Differenzierung  ein¬ 
zelner  Arten  der  Hogcholeragruppe  versucht  und  kommt 
zu  dem  Schlüsse,  daßi  es  unter  Berücksichtigung  der  Agglu¬ 
tinationseigentümlichkeiten  jedes  der  betreffenden  Immun¬ 
seren  tatsächlich  möglich  ist,  die  einzelnen  Arten  dieser 
Gruppe  zu  differenzieren.“  —  Nun  behandle  ich  aber  in 
dieser  Arbeit  die  klinische  Diagnose  von  sieben ' ver¬ 
schiedenen  Krankh ei ts Prozessen  des  Menschen  und 
es  gipfelt  diese  Arbeit  in  der  Angabe  der  diagnostischien 
Agglutininformel  für  diese  Erkrankungen;  ein  Blick  bloß 
auf  diese  Formeln,  so  z.  B.  das  L  Ihp,  beweist  zur  Genüge, 
daß  eine  Differenzierung  einzelner  Bakterienarten  ,, mittels 
der  Agglutination“  ganz  unmöglich  ist;  von  der  ,, Hogcholera¬ 
gruppe“  ist  nur  in  einem  ,, Nachtrage  während  der  KoiTek- 
tur“  die  Rede;  dort  aber  finden  sich  Beweise  dafür,  daß 
,,eine  Hogcholeragruppe  unhaltbar  ist“,  dort  sind 
der  durchgeführten  Differenzierung  einzelner  Arten  von 
Schweinepesterreigern  eben  nicht  Agglutinationseigentüm¬ 
lichkeiten,  wie  V.  Eisler  behauptet,  sondern  einzig  und 
allein  kulturelle  Eigenschaften  zugrunde  gelegt 
worden.  Die  Gegensätze  zwischen  dem  von  v.  Eisler  sup- 
ponierten  und  dem  tatsächlichen  Inhalte  dieser  Publikation 
sind  demnach  so  kraß  und  betreffen  so  wesentliche  Punkte, 
daß  ich  behaupten  darf:  v,  Eisler  hat  diese  Publikation 
nicht  gelesen. 

Ich  habe  heute  keine  Absicht  und  auch  keine  Mög¬ 
lichkeit,  auf  die  zirka  tausend  Publikationen,  die  noch  viel 
trefflicher  die  v.  Eisl ersehe  Inkrimination  beleuchten 
könnten,  einzugehen.  Ich  beschränke  mich  vielmehr  auf 
eine  einzige;  diese  allein  dürfte  für  die  Beurteilung  des  Vor¬ 
gehens  V.  Eislers  genügen. 

Ich  stelle  zunächst  die  Tatsachen  fest: 

a)  In  dem  oben  wörtlich  angeführten,  meiner  Publi¬ 
kation  aus  dem  Jahre  1905  entstammenden  Zitat  findet 
sich  nicht  die  erste,  die  besagten  19  Thesen  enthaltende 
vorläufige  Mitteilung  von  Gruber,  sondern  eine  vier 
Wochen  später  erschienene,  Belege  und  genauere 
Angaben  enthaltende  Mitteilung  von  Gruber  und  Dur¬ 
ham  berücksichtigt. 

b)  An  der  in  obigem  Zitat  mit  einem  Stern  (*)  be- 
zeichneten  Stelle  findet  sich  folgende  auf  diese  allein 
maßgebende  zweite  Gruber  sehe  Püblikation  bezüg¬ 
liche  Anmerkung :  ,,Daßi  dem  so  ist,  geht  unter  anderem 
auch  aus  folgendem  Zitat  der  'Gruber- Du rhamschen 
Publikation  hervor :  ,,Mit  diesen  Beobachtungen,  welche  die 
Annahme  einer  strengen  Spezifizität  der  Wirkung  (l!) 
des  Cholera-  und  des  Typhusserums  widerlegen,^)  stimmt 
es  überein,  daß  v  e  r s  ch  i  e  d  e  n  e  fremde  I  m  m  u  n  s  e  r e  n '^) 
und  unter  Umständen  selbst  Normalsera^)  deutlich 
agglutinierend  auf  Choleravibrionen  und  Typhusbazillen  ein¬ 
wirken.“  “  Ich  habe  dadurch,  wie  ich  glauben  möchte, 
einen  unzweifelhaften  Beweis  für  die  Richtigkeit  dessen 
erbracht,  was  ich  in  dem  früher  angeführten  Zitat  behauptet 
hatte,  nämlich  „daß  die  von  den  in  Rede  stehenden  Autoren 
gemachten  Betrachtungen  jene  quantitativen  Verhältnisse 
betreffen,  welche  für  die  Spezifizität  oder  Nicht- 
spezifizität  der  Immunkörper  nichts  beweisen 
können“. 

c)  Dieses  Zitat  und  diese  Anmerkung  waren  v.  Eisler 
bekannt ;  er  verlegt  zwar  diese  Ausführungen  in  eine 
andere®)  meiner  Publikationen,  in  der  die  Gruberschen 
Arbeiten  nicht  mit  einem  Worte  erwähnt  sind,  doch  führe 
ich  das  nur  nebenbei  an. 

d)  Auch  die  Gruber-Durhamsche  Mitteilung,  auf 
welche  sich  das  in  Rede  stehende  Zitat,  sowie  die  An¬ 
merkung  bezieht,  waren  v.  Eisler  bekannt;  das  geht  dar¬ 
aus  hervor,  daß  er  aus  dieser  Gruber-D u rhamschen 
Publikation  einen  für  die  zweite  Inkrimination  zweckdien¬ 
lichen  Satz  zitiert  hat. 


®)  Zeitschr.  f.  Hyg.  1906,  Bd.  52. 


’)  Im  Original  in  gewöhnlicher  Schrift  gesetzt. 
°>)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1905. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


6R9 


So  weit,  reiclit  das  iatsäciiliclie  Substrat,  v.  Eisler 
maclil  nun  den  Inhalt  der  sub  b)  angeführten  Anmerkung, 
d.  h.  meine  Beweisführung  und  die  Clruber-Durham- 
schen  experimeniiellen  Befunde  in  folgender  Weise  un- 
scliädlicli  (S.  378) :  ,,Nacb  meiner  jMeinung  geht  aber  aus 
der  Gruber  scheu  Pühlikation  (hier  zieht  v.  Eisler  die 
erste  Grub  ersehe  Mitteilung  heran)  ganz  klar  hervor, 
daß  dieser  Autor  bereits  den  spezifischen  Einfluß  eines 
Inmiunserums  auf  nahestehende  Arten,  der  sich  von  der 
durch  Nonnalseruim  ausgeühten  Agglutination  unterscheidet, 
erkannt  hat“  und  als  Beweis  füi'  die  Richtigkeit  dieser  seiner 
Ansicht  zitiert  er  wieder  einen  Teil^)  der  These  Nr.  16, 
jenen  Teil,  der  besagt,  die  ,, Wirkung“  der  artspezifischen 
Agglutinine  sei  ,, keine  spezifisch  abgegrenzte“.  Es  berück¬ 
sichtigt  V.  Eisler  nicht,  daß  Gruher  vier  Wochen  später 
für  diese  These  die  wissenschaftlich  unerläßilichen  Be¬ 
gründungen  gehracht  hat,  daß  Gruher  daselbst  mitteilt,  er 
hätte  in  Verdünnungen  von  1:1  gearbeitet  und  daß  Gruher 
der  Agglutination  nur  deswegen  die  Spezifizität  abspricht, 
genauer  gesagt,  nur  deswegen  eine  nicht  spezifische  ,, Wir¬ 
kung“  der  Agglutinine  amiimmt,  weil  —  hier  folgen  Gru- 
hers  Worte  —  ,,verschiedene  fremde  Immunseren 
und  unter  Umständen  selbst  Normal  seren  deutlich  ag¬ 
glomerierend  auf  Choleravibrionen  und  Typhusbazillen  ein¬ 
wirken“. 

Hier  hebe  ich  hervor :  v.  Eisler  hat  an  dieser  Stelle 
nicht  die  allein  maßgebende  zweite  Grube r'- Du rham- 
sche  Publikation  angeführt,  sondern  Bruchteile  der  besagten 
Thesen;  er  hat  mithin  mitzuteilen  unterlassen,  daß  eine 
ihm  he  kannte  spätere  Mitteilung  von  Gruher  von  vorn¬ 
herein  seine  ,, Meinung“  unzulässig  machte;  er  hat  mit¬ 
zuteilen  unterlassen,  daß  ich  seihst,  in  meiner  Beweis¬ 
führung  (cf.  obiges  Zifat  und  Anmerkung)  in  völlig  ein¬ 
wandfreier  Weise  durch  Zusammenstellung  von  unanfecht¬ 
baren  Tatsachen  ebenfalls  von  vornherein  solche  ,,Meh 
nungen“  aus  dem  Bereiche  der  wissenschaftlich  zulässigen 
Argumente  verwiesen  habe. 

B.  Nun  wollen  wir  uns  dem  zweiten  Stützpunkte  der 
V.  Eislerschen  Inkrimination  zuwenden.  Es  bezieht  sich 
V.  Eisler  in  demselben  auf  eine  im  Jahre  1896  von  A  c h ar d 
und  Bensaude  in  dear  Sitzungsberichten  der  Soc'.  de  bio- 
logie  publizierte  Mitteilung.  Darin  hätte  A  chard  die  An¬ 
sicht  geäußert,  es  wäre  nicht  die  Agiglutination,  sondern 
der  Grad  derselben  spezifisch. 

Hier  muß  ich  feststellen,  daß  v.  E.isler 

3.  auch  jene  Publikationen,  die  er  als  Stützen 
seiner  Anklage  verwendet,  zu  lesen  unterlassen 
hat,  denn  es  findet  sich  in  der  besagten  Veröffentlichung 
kein  einziges  von  den  voai  v.  Eisler  behaupteten  Worten. 

Der  Inhalt  dieser  Publikation  stellt  sich  nämlich  fol¬ 
gendermaßen  dar:  Die  Agglutinabilität  differenter  Ty¬ 
phusstämme  ist  verschieden,  darum  soll  man  für  diagno¬ 
stische  Zwecke  nur  Stämme  von  bekannt  guter  Beeinflulk 
barkeit  heranziehen;  die  Spezifizität  der  Aigglutination  ist 
fraglich,  indem  Typhusseren  zwar  keine  typischen,  so 
doch  atypische  Kolihazillen :  Psittakose  und  Paratyphus- 
bazillen  agglutinieren ;  hier  werfen  die  Verfasser  die  Frage 
nach  der  Identität  dieser  letzteren  Bakterien  und  den 
Eher  th sehen  auf  und  beantworten  sie,  da  sich  das  Gärungs¬ 
vermögen  beider  anders  stellt,  dahiin,  daß  eine  Identität 
nicht  besteht.  Nun  stellen  sie  eine  zweite  FTaige :  Sind  diese 
differenten  Bakterien  verschiedene  Arten  oder  bloß  ver¬ 
schiedene  Varietäten  derselben  Art?  Dieses  Problem  wird 
von  den  Verfassern,  obzwar  sie  die  zugehörigen  Krank¬ 
heiten  als  verschieden  betrachten,  nicht  beantwortet;  sie 
meinen,  es  liege  wenig  daran;  der  Hauptwert  der  Aggluti¬ 
nation  bestehe  in  der  Serodiagnostik  der  Krankheitsprozesse, 
hier  bestünde  die  Spezifizität  zu  Recht,  indem  die  Abwei¬ 
chungen  von  dieser  Regel  als  Ausnahmen  erscheinen.  Mit 
der  Serodiagnoslik  der  Bakterien  stünde  es  anders:  bei 
kräftig  agglutinierenden  tierischen  Immun seris  läuft  man 


Gefahr,  E  berth  sehe  Bazilhni  mit  Päratyphusbazillen  zu 
verwechseln. 

Demnach  entspricht  die  auf  diese  Publikation  bezüg- 
licbe  V.  Eisler  sehe  Behauptung  einfach  den  Tatsachen 
nicht. ^^) 

C.  Wir  gelangen  zur  Besprechung  des  dritten  Stützen¬ 
momentes  V.  Eislers. 

In  bezug  auf  diese  Pfaundlersche  Publikation  hätte 
ich  zunächst  hervorzuheben,  daß  ich  seihst  lange  Zeit  hin¬ 
durch  die  von  mir  gefundenen  Erscheinungen  als  „Gruppen¬ 
reaktionen“  geführt  habe.  Das  beweist  wohl  zur  Genüge,  daß 
ich  weit  davon  entfernt  war,  mir  fremdes  Eigentum  aneignen 
zu  wollen.  Die  Bezeichnung  ,,Gruppenreaiktionen“  habe  ich 
später,  nachdem  ich  ermittelt  hatte,  daß  sie  sachlich  und 
sprachlich  falsch  ist  und  infolgedessen  nur  eine  Grund¬ 
lage  für  Mißiverständnisse,  V'^erwechslungen  und  Verwirrun¬ 
gen  abgeben  müsse,  fallen  gelassen.  Beweise  für  diesen 
Sachverhalt  habe  ich  in  der  von  v.  Eisler  zitierten  und 
doch  wieder  nicht  berücksichtigten  Pühlikation  des  Jahres 
1905  niedergelegt.  Dort  habe  ich  diesem  Gegenstände  zehn 
Druckseiten  gewidmet. ^^) 

Die  zweite  v.  Eis  1er sehe  Inkrimi nation  be¬ 
sagt,  Posner,  ich  und  —  wie  ich  hinzufügen  möchte  — 
wohl  auch  Kayser  hätten  uns  die  Ermittlung  der  diagnosti¬ 
schen  Bedeutung  des  obersten  Agglutinationstiters  ange¬ 
eignet.  Dieselbe  wäre  nämlich  schon  von  Gruber-Durham 
und  A  chard- Be  ns  au  de  gefunden  worden. 

Die  V.  Eislerschen,  Stützen  dieser  zweiten  Beschul- 
digimg  führe  ich  wörtlich  an: 

,,Wenn  nun  Zupnik  verlangt,  daß  zur  Diagnose¬ 
stellung  die  Ermittlung  des  höchsten  Agglutinationswertes 
nötig  sei,  so  hat  er  damit  vollkommen  recht,  hat  aber  wdeder 
nur  eine  schon  von  Grub  er, ^^)  sowie  A  chard  und  Beii- 
saude^^)  aufgestellte  Forderang  wiederholt.“  (S.  778.) 

,, Ferner  findet  sich  in  der  Arbeit  von  Gruber  und 
Durham  eine  Anmerkung  :  ,,,, Vielleicht  läßt  sich  die  Serum¬ 
probe  zu  einem  verläßlichen  Unterscheidungsverfahren  aus¬ 
bilden,  wenn  man  die  Quantitäten  genauer  berücksichtigt.“  “ 
(S.  378.) 

Ich  greife  zunächst  die  Achard-Bensaudesche 
Publikation  heraus.  Die  früher  erfolgte  Inhaltswiedergabe 
derselben  beweist,  daß  diese  Behauptung  v.  Eislers  aber¬ 
mals  den  Tatsachen  nicht  entspricht. 

Es  verbleiben  nun  die  beiden  Gr  über  sehen  Abhand¬ 
lungen. 

Nun  bedauere  ich,  feststellen  zu  müssen,  daß  v.  Eisler 

4.  die  drei  primitivsten  Prohleme  der  Agglu¬ 
tinationsforschung  nicht  auseinander  hält. 

Ich  hin  genötigt,  auf  dieselben  in  Kürze  einzugehon : 

Das  eine  betrifft  die  Fhage  nach  der  Spezifizität  der 
Agglutination  als  solchen.  Die  mit  diesem  Problem  Beschäf¬ 
tigten  fahnden  bloß  nach  einer  absoluten  Wahrheit;  ihre 
Arbeit  will  entscheiden,  ob  die  xAgglutination  art-,  gattungs-, 
familienspezifisch  oder  überhaupt  nicht  spezifisch  ist  und 
sie  bekümmern  sich  dabei  nicht  im  geringsten  darum,  ob  die 
Resultate  ihrer  Arbeit  dem  Kliniker,  Bakteriologen  oder 
Astrologen  angenehm  sein  werden  oder  nicht. 

Das  zweite  Hauptkapitel  der  Agglutinationsforschung 
beschäftigt  sich  mit  der  Nutzbarmachung  dieser  Reaktion  Rir 
diagnostische  Zwecke  am  Krankenbette.  Dem  Kliniker  und 
dem  praktischen  Arzte  sind  dabei  die  theoretischen  Vor¬ 
stellungen  des  Bakteriologen  herzlich  gleichgültig;  er  stellt 
bloß  die  FFage :  ^Vas  darf  ich  bei  meinem  Kranken  aus  dem 
beobachteten  Phänomen  folgern  ? 

Was  V.  Eisler  in  die  Silzunpsber.  der  Soc.  de  biol.  für  das 
Jahr  1896  verlegt  hat,  befindet  sich  zum  Teil  in  einer  im  Jahre  1897  von 
Bensaude  publizierten  Monographie.  Kurz  bemerke  ich,  daß  auch 
diese  nichts  enthält,  was  eine  Stütze  für  weitere  (berechtigte)  Angriffe 
liefern  könnte. 

“)  Zeitschr.  f.  Hyg.,  Bd.  49,  S.  510 — 519. 

12)  Aerztl.  Mitteilung. 

»b  Soc.  de  Biol.  1896. 


®)  Den  oben  gesperrt  gedruckten  Satz. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


Die  (Lritte  Didiluiig  sciiließjich  verfolgt  die  Verwend¬ 
barkeit  dieser  Jleaktioii  für  die  Erkeiiimiig  einzelner  13ak- 
t’erieiiarlen.  Jeder  dieses  Ziel  anstrebende  ßakleriologe 
weiß  nur  zu  genau,  daß  ihm  dabei  die  serodiagnostisclien 
Kennlnisse  des  Klinikers  nichts  nützen  können. 

V.  Eisler  vermengt  diese  differenten  Probleme  ständig 
miteinander;  daß  dem  so  ist,  erlrellt  zum  Beispiel  aus 
seiner  folgenden  Aeußierung:  ,,Wenn  es  also  nacli  Zupnik 

möglicJi  ist,  . sogar  die  einzelnen  Arten  der  Hog- 

choleragruppe  durch  die  Agglutination  zu  unterscheiden, 
so  steht  diese  Behauptung  doch  einigermaßen  im  Gegen- ' 
Satze  zu  seiner  so  oft  geäußerten  Anschauung,  nach  welcher 
der  Agglutination  jede  Artspezifizität  abgeht.“  (E.  378.)  Nein, 
nach  mir  iist  es  eben  unmöglich,  „die  einzelnen  Arten  der 
llogcholeragruppe“,  ebenso  einzelne  andere  Arten  mittels 
der  Agglutination  zu  unterscheiden;  nach  mir  ist  es  bloß 
nu'tglich,  bei  den  sieben  typhoiden  Erkrankungen  des  Meh- 
schen  eine  klinische  Diagnose  zu  stellen.  Um  die  Sache 
noch  prägnanter  zu  gestalten,  erlaube  ich  mir  folgendes 
milzuteilen:  Ich  habe  midi  vom  Momente  der  Entdeckung 
der  Agglutination  mit  dieser  Reaktion  in  Instituten  und 
Kliniken  in  einer  voraussetzungstosen  Arbeit  Jahre  hindurch 
beschäftigt  —  nicht  um  ,, Arbeiten“  zu  publizieren,  sondern 
lediglich  um  zu  lernen  —  bin  dann  auf  Erscheinungen  ge¬ 
stoßen,  welche  mir  die  damals  geltende  Lehre  von  der 
Artspezifizität  der  Agglutination  fraglich  erscheinen  ließen 
und  habe,  von  diesen  Beohachtunigen  ausgehend,  um  die  • 
Bedürfnisse  des  Klinikers,  die  Wünsche  des  reinen  Bakterio¬ 
logen  und  die  ganze  Anthropozentrie  völlig  unbekümmert, 
die  Spezifizität  der  A^figlutination  von  neuen  Gesichtspunktein 
aus  einer  experimentellen  Prüfung  unterworfen.  Als  Er- 
gebnis  hatte  ich  die  Gattungsspezifizität  der  Agglutination 
aufzuweisen.  Diese  Arbeitsrichtung  galt  der  ,, absoluten 
Wahrheit“.  In  der  im  Jahre  1905  veröffentlichten  Publika¬ 
tion:  Ueber  gattungsispezifische  Immunitätsreaktionen,  stand 
ich  nur  auf  diesem  Standpunkte.  Beweise  hiefür  finden  sich 
daselbst  auf  Seite  460. 

Es  war  mir  klar,  daß  der  serodiagnostische  Apparat  ; 
der  Klinik  infolge  dieser  Feststellung  zusammenbricht,  ln 
Gemeinschaft  mit  Posner  und  in  der  Folgezeit  mit  anderen 
Mitarbeitern  habe  ich  nun  versucht,  für  die  Klinik  eine 
andere  diagnostische  Methode  auszuarbeiten.  Wir  glaubten 
sie  in  der  „Ermittlung  der  obersten  Titerwerte  des  Serums 
fder  Kranken)  für  Typhusbazillen,  resp.  alle  nachgewie¬ 
senermaßen  verschiedenen  Arten  von  Paratyphusbazillen“  ^'^) 
gefunden  zu  haben.  Meine  eigenen  weiteren  Untersuchungen, 
ebenso  wie  die  Brio  ns,  Jürgens’,  v.  Dri  gal  skis  und 
Kaysers  haben  jedoch  diese  Anschauung,  wenn  sie  auch 
nur  fünfmal  unter  700  Krankheitsfällen^^)  nicht  zutraf, 
zunichte  gemacht.  Ich  habe  auch  jetzt  nicht  die  Flinte  ins 
Korn  geworfen,  sondern  weiter  gearbeitet  und  schließlich 
j(me  Agglulinalionseigentümlichkeiten  ermittelt,  die  in  jedem 
(Muzelnen  Kraaikheits falle  eine  absolut  sichere  Diagnose 
gestatten. 

Auch  das  dritte,  rein  bakteriologische  AgglutiiiationS- 
pi'oblem  habe  ich  während  dieser  Untersuchungen  nicht  aus 
dem  Auge  verloren;  hier  haben,  sowohl  ich  selbst,  wie  meine 
Mitarbeiter,  des  öfteren  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß 
eine  verläßliche  Diagnostik  einer  fraglichen  Bakterienart 
mittels  der  Agglutination  nicht  möglich  ist.  ,,Und  noch 

mehr;  ich  erachte . die  heute  ühliche  Identifizierung 

verschiedener  Baklerienstämme  auf  dem  Wege  der  Aggluti- 
nalion,  d.  h.  die  Artenagglutinationsdiagnostik,  als  eine  von 
vornherein  verwerfliche  Methode;  sie  läßt,  was  wir  weiter 
unten  beweisen  wollen,  ebenso,  wie  viele  andere  Gattungs¬ 
merkmale,  bloß  die  Gattung  erschließen“  —  diese  Worte 
finden  sich  auf  Seite  460  der  von  v.  Eisler  bekämpften 
Publikation  des  Jahres  1905! 

Wir  kehren  zu  den  beiden  Stützen  der  zweiten 
V.  Eist  ersehen  Inkriminalion  zurück. 

“)  Prager  med.  Wochenschr.  1903. 

^9  Deutsche  med.  Wochenschr.  1905. 


Die  erste  Gr  übersehe  Mitteilung  hätte  v.  Eds  1er, 
schon  von  allein  abgesehen,  was  im  ersten  Teile  dieses 
meines  Aufsatzes  ausgeführt  ist,  allein  aus  dem  Grunde  aus 
dem  Spiele  lassen  sollen,  weil  in  dieser  Grube  rschen 
Publikation  von  einer  Diagnostizierung  von  Krankheiten 
über  h  a  u  p  t  nicht  die  Rede  ist. 

Der  letzte  Stützpunkt  v.  Eislers,  der  oben  zitierte, 
einer  Publikation  von  Gruber  und  Durham  entnommene 
Satz,  repräsentiert  im  Originale  eine  Fußnote.  Diese  bezieht 
sich  auf  folgende  Gruber-Durhamsche  Aeußerung: 
,, Während  der  negative  Ausfall  der  Reaktion  eine  völlig 
sichere  Diagnose  gestattet,^*')  ist  dies,  bei  dem  soeben  Mit¬ 
geteilten,  bei  positivem  Erfolge  der  Probe  nicht  der 
Fall.  Dann  hat  die  Diagnose  Choleravibrio,  bzw.  Typhus¬ 
bazillus  nur  eine,  je  nach  den  Umständen  größere  oder  ge¬ 
ringere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  und  man  muß  sich  dann 
bestreben,  noch  weitere  UnterscheidungsmerkmaJe  zu  er¬ 
mitteln.“  Hier  setzt  der  von  v.  Eisler  zitierte  Satz  ,,,, viel¬ 
leicht  . ““  in  Form  einer  Anmerkung  ein.  Ich  sehe 

davon  ab,  daß  die  ganze  v.  Eisler  sehe  Stütze  das  Wört¬ 
chen  ,, vielleicht“  bildet,  betone  bloß,  daß  sowohl  aus  dem 
voranstehenden  Zitat,  wi,e  der  ganzen  Gruber-Durham- 
schen  Publikation  mit  einer  über  alle  Zweifel  erhabenen 
Bestimmtheit  hervorgeht,  daßi  Gruber  und  Durham  mit 
diesem  Ausspruche  nicht  die  Diagnose  von  Krankheits¬ 
prozessen,  sondern  jene  von  Bakterien  gemeint  haben. 

Alles  in  allem'  entbehrt  auch  diese  zweite  v.  Eisl er¬ 
sehe  Inkrimination  jeder  tatsächlichen  Begründung. 

* 

In  bezuig  auf  die  Spezifizitätsbreite  der  Präzipitation 
hätte  ich  v.  Eisler  mitzuteilen,  daß  mir  seine  Versuche  eine 
willkommene,  weil  aus  dem  Pal  tauf  sehen  Institute  stam¬ 
mende  Bestätigung  der  Gattungsspezifizität  der  Präzipi¬ 
tation  bringen,  für  die  Frage  nach  der  Fämilienspezifizität 
der  Reaktion  jedoch  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommen.  Um 
diese  letztere  überhaupt  nur  in  Diskussion  ziehen  zu  dürfen, 
hätte  V.  Eisler,  dem  Inhalte  der  von  ihm  zitierten  und 
doch  wieder  überhaupt  nicht  oder  nur  sehr  flüchtig  gelesenen 
Publikation  vom  Jahre  1906  zufolge,  Arten  mehrerer 
Gattungen  in  den  Bereich  seiner  Versuche  ziehen  müssen. 


Berichtigung  zum  Artikel:  Erfolgreiche  Operation 
eines  Hypophysentumors  auf  nasalem  Wege. 

Von  Professor  Dr.  II.  Scliloffer. 

Durch  ein  Versehen  der  Druckerei  ist  der  Ahdmck 
des  Artikels  vor  dem  Einlangen  der  Korrekturen  des  Autors 
erfolgt.  Hiedurch  hat  der  ,, Nachtrag“  zu  diesem  Artikel 
bezüglich  der  Deutung  des  Faltes  eine  Formulierung  erhal¬ 
ten,  die  sich  mit  der  Auffassung  des  Autors,  wie  sie  in 
der  Korrektur  zum  Ausdrucke  kommt,  nicht  deckt;  außer¬ 
dem  enthält  der  Nachtrag  eine  unrichtige  Angabe  hezüglich 
des  histologischen  Befundes,  die  gestrichen  werden  sollte. 

Es  wird  daher  im  folgenden  dieser  ,, Nachtrag“  neuer¬ 
dings  u.  zw.  naich  dem  Wortlaute  der  Korrekturen  al)gedruckt. 

Nachtrag.  Erst  nach  der  Demonstration  des  Kranken 
in  der  wissenschaftlichen  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck 
hat  uns  der  Patient  auf  eine  interessante  Erscheinung  auf- 
mörksäm  gemacht ;  es  sprießt  dem  Kranken  seit  kurzem 
ein  dichter  Flaum  an  den  unteren  Teilen  der  Backe,  wo 
vorher  nur  spärliche  Härchen,  Reste  des  verloren  gegan¬ 
genen  Backenbartes,  gestanden  waren. 

Vielleicht  ist  diese  Tatsache  geeignet,  eine  Vorstellung 
über  die  Ursachen  gewisser  trophischer  Störungen  zu  geben, 
die  bei  vielen  Hypophysentumoren  gefunden  werden.  Ich 
glaube  nämlich  nicht,  daß  man  für  diesen  Umschwung  in 
bezug  auf  den  Haarwuchs  einfach  den  Wegfall  der  Kopf¬ 
schmerzen  oder  die  besseren  Ernährungsverhältnisse  nach' 

**)  D.  h.  wenn  ein  tierisches  durch  Injektionen  eines  Typhusbazillus 
oder  eines  Choleravibrio  gewonnenes  Immunserum  einen  fraglichen  Bazillus 
bzw,  Vibrio  nicht  agglutiniert,  dann  ist  es  sicher  kein  E  b  e  r  t  h  scher 
Baz,,  bzw.  kein  Choleravibrio. 


Nr.  22 


671 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


der  Operation  verantwortlich  inaclien  kann;  eher  wird  man 
denselben  so  erkkären  dürfen,  daß  durch  die  Operation  die 
Funktionsveriiältnisse  an  der  Hypophyse  in  günstigem  Sinne 
beeinflußt  wurden.  Bei  der  Akromegalie  hat  man  ja  he- 
kaniitlicJi  sogar  den  gesamten  Symptomenkomplex  auf  eine 
Hyperfunktion  der  Hypophyse  zurückgeführt  (Benda  u.  a.). 

Auf  diese  .und  andere  klinische  Einzelheiten  (Haut¬ 
veränderungen  etc.)  werde  ich  zugleich  mit  einer  näheren 
Würdigung  des  histologischen  Befundes  nach  Ablauf  län¬ 
gerer  Zeit  in  einer  ausfülirlichen  Publikation  des  Falles 
zurückkommen. 


{Referate. 


Medizinisch-klinische  Diagnostik. 

Lehrbuch  der  Unlersuchungsmelhoden  innerer  Krankheiten  für  Studierende 

und  Aerzte. 

Von  Professor  Dr.  F.  Wesener,  Oberarzt  des  städt.  Elisabeth-Kranken¬ 
hauses  zu  Aachen. 

Zweite,  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 

680  Seiten. 

Berlin  1907,  Veilag  von  Julius  Springer. 

Wesener  hat  seine  Diagnostik  dem  heutigen  Stande  der 
Wissenschaft  anzupassen  verstanden.  Ist  auch  der  Wert  eines 
solchen  Buches  für  die  feinere  Diagnostik  der  inneren  Krank¬ 
heiten  nicht  allzugroßi,  so  muß  man  doch  den  Vorteil,  den  seine 
Anwendung  dem  Lernenden,  dem  Studierenden  der  Medizin,  ge¬ 
währt,  rückhaltlos  anerkennen.  Erst  soll  ja  die  Regel  hekannl 
sein,  dann  lernt  man  erst  die  Ausnahmen  von  der  Regel.  Daß 
in  der  internen  Diagnostik  so  viele  Ausnahmen  von  der  Regel 
sich  ereignen,  ist  leider  eine  Tatsache,  mit  der  jeder  Praktiker 
vertraut  ist  und  an  der  alle  diagnostische  Methodik  manchmal 
scheitert.  Wesener  hat  seine  in  der  ersten  Auflage  heohachtete 
Einteilung  des  Stoffes  —  allgemeine,  spezielle,  angewandte  Dia¬ 
gnostik  —  heihehalten  und  den  großen  Stoff  so  übersichtlich 
zusammengefaßt.  Für  rasches  Nachschlagen  im  Bedarfsfälle  wird 
das  Werk  dem  Studenten  und  dem  jungen  Arzte  sicher  gute 
Dienste  leisten. 

Grundriß  der  medikamentösen  Therapie  der  Magen- 
und  Darmkrankheiten  einschließlich  der  Diagnostik. 

Zweite  durch  Einfügung  der  speziellen  Diätetik  der  Magen-  und  Darm- 
krankkeiten  vermehrte  Ausgabe. 

Für  praktische  Aerzte  bearbeitet  von  Dr.  med.  P.  Bodari,  prakt.  Arzt 
und  Spezialarzt  für  Krankheiten  der  Verdauungsorgane  in  Zürich. 

266  Seiten. 

Wiesbaden  1906,  J.  F.  Bergmann. 

Der  Verfasser  bringt  uns  in  gedrängter  Darstellung  ein  Bild 
der  medikamentösen  Therapie  der  Verdauungsstörungen  und  hat 
auch  der  Diätetik  ein  eigenes  Kapitel  gewidmet.  Es  ist  nicht 
unwichtig,  bei  der  herrschenden  Indolenz  vieler  Praktiker  gegen¬ 
über  den  Ei'krunkungen  des  Magen-  und  Darmtraktes  auf  eine 
große  Fülle  symptomatischer  und  ätiologisch  wirksamer  Hilfs¬ 
mittel  hinzuweisen,  die  uns  zur  Verfügung  stehen  und  deren 
Wert  in  dem  vorliegenden  Werke  eine  sachverständige  Beurlei- 
lung  erfährt.  Ist  auch  nicht  viel  Neues  oder  Originelles  in  der 
Darstellung  des  Autors  enthalten,  so  wird'  der  praktische  Arzt 
für  die  vollständige  und  zweckmäßige  Zusanimenstellung  des  thera¬ 
peutischen  Büstzeuges  viel  Beherzigenswertes  und  Brauchbares 
finden. 

* 

Der  Diabetes  melitus. 

Von  Dr.  B.  NauuyU)  Professor  der  K.  W.-Universiiät  in  Straßburg  i.  E. 

Baden-Baden. 

Zweite  umgearbeitete  Auflage. 

562  Seiten. 

Wien  1906,  Alfred  Hölder. 

Das  berühmte  Werk  Naunyns  liegt  hier  in  einer  neuen 
Auflage  vor.  Es  wäre  eine  große  xAufgabe,  hier  in  Kürze  allen 
Vorzügen,  die  die  Form  und  den  Inhalt  der  Darstellung  auf¬ 
weisen,  gerecht  zu  werden.  Es  braucht  auch  nicht  betont  zu 
werden,  daß  Naunyu  mit  grolk>r  Sachlichkeit  und  Kritik,  manch¬ 
mal  auch  mit  wohltuender  Schärfe  die  neueren  Forschungsergeb¬ 


nisse  über  den  Gegenstand,  die  er  vollständig  aufgenommen  hat, 
hehandelt,  so  daß  das  Werk  auf  der  Höhe  der  Zeit  steht  und 
den  Namen  eines  klassischen  verdient.  Nur  äuf  einen  Punkt 
möchte  ich  mir  gestatten  hinzuweisen.  Naunyn  hat  diesmal 
die  physiologische  Einleitung  seinem  Schüler  Bacr  üherlassen. 
B.acr  entledigt  sich  seiner  Aufgabe  wohl  mit  großer  Sachlich¬ 
keit,  aber  meiner  Auffassung  nach  zu  wenig  elementar.  Da  das 
Buch  doch  auch  für  nicht  wissenschaftlich  arbeitende  Aerzte 
bestimmt  ist,  so  wäre  vielleicht  eine  etwas  primitivere  Art  der 
Darstellung,  die  auch  dem  Nichtchemiker  einen  genügenden  Ihn- 
hlick  in  die  physiologischen  Vorgänge  des  Zuckerstoffwechsels 
gestattet,  angemessen  gewesen.  Indes  liegt  das  vielleicht  mehr 
an  der  Absicht,  möglichst  viel  in  einem  relativ  kleinen  Raume 
vorzuführen  Und  könnte  durch  eine  kleine  Erweiterung  der  Ein- 
Imtung  hehohen  werden. 

* 

Die  Krankheiten  des  Magens  und  ihre  Behandlung. 

!  Klinische  Vorträge  für  Studierende  und  Aerzte. 

Von  Dr.  Louis  Bourget,  Professor  und  Direktor  der  medizinischen 

1  Universitätsklinik  in  Lausanne. 

ji  184:  Seiten. 

Wiesbaden  1906,  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 

Es  ist  kein  gewöhnliches  trockenes  Vademekum,  was  einem 
B'ourget  darbietet;  Eine  durchaus  fesselnde,  sehr  originell  äuf- 
gofaßte  Darstellung  seiner  iVnsichten  und  Erfahrungen  über  Magen¬ 
krankheiten  und  Diätetik,  die  durchaus  nicht  vollständig  ist,  son¬ 
dern  nur  ausgewählte  Kapitel  in  Form  von  Vorlesungen  behandelt. 
Manches  freilich  erscheint  uns  neu  und  ungewohnt.  Wenn  der 
Autor  z.  B.  eine  Ulkuskur  mit  mehrmaliger  Ausspülung  mit  Eisen¬ 
chlorid  beginnt,  so  dürfte  diese  heroische  Methode  bei  blutendem 
Ulkus  von  unseren  Aerzten  kaum  nachgeahmt  werden.  Sehr 
schlecht  scheint  Bourget  äuf  die  Chirurgen  zu  sprechen  zu 
sein.  Er  ist  ein  absoluter  Gegner  der  chirurgischen  Behandlung 
des  Magengeschwüres.  Das  erscheint  zum  mindesten  übertrieben, 
ebenso  wie  der  Ausspruch :  ,,Die  Chirurgie  wird  immer  mehr 
von  sehr  geschickten  plastischen  Arheitern  ausgeübt,  für  die  die 
Medizin  nur  noch  eine  minimale  Kunst  ist,  die  höchstens  ver¬ 
dient,  bespöttelt  und  verlacht  zu  werden.“  Trotz  dieser  etwas 
zu  lebhaften  Kritik  verdient  das  Buch  volle  Beachtung  wegen 
der  zahlreichen,  sehr  einleuchtenden  und  zweckmäßigen  An¬ 
regungen,  die  es  bietet. 

* 

Krankenernährung  und  Krankenküche,  Geschmack  und 

Schmackhaftigkeit. 

Von  Dr.  Wilhelm  Sternberg',  Spezialarzt  in  Berlin. 

102  Seiten. 

Stuttgart  1906,  F.  Enke. 

ln  dem  Eifer,  die  chemische  Tätigkeit  der  Verdauungs¬ 
organe  zu  studieren,  hat  man  die  mechanischen  Vorrichtungen 
des  ersten  Einganges  in  die  Digestionswege,  deren  wichtigste 
Funktion  der  Geschmack,  im  weiteren  Sinne  des  Wortes  der 
x\  pp  et  it  ist,  wenig  beachtet.  Damit  im  Zusammenhänge  steht 
die  Kunst,  die  dem  Geschmacke  schmeichelt:  die  Kochkunst. 
Sternberg  hat  dieses  dankbare  Thema  mit  großer  Gründlich¬ 
keit  bearbeitet.  Aus  dem  ersten  Kapitel  über  Geschmack  sei 
der  xUbschnitt  über  die  physiologische  Wirkung  des  Geschmackes 
und  der  Geschmackmittel  hervorgehoben.  Hier  wie  in  der  Schil¬ 
derung  des  Geschmackes  der  Tiere  findet  man  mancherlei  höchst 
interessante  Mitteilungen.  Nach  einer  kurzen  Betrachtung  über 
Schmackhaftigkeit  und  Unschmackhaftigkeit  der  Tiere  wird  dem 
Kapitel  über  Geschmack  in  der  Therapie  ein  größerer  Raum 
geboten.  Mit  großem  Eifer  tritt  der  Autor  hier  für  eine  genügendere 
Beachtung  und  Würdigung  der  Kochkunst  in  der  medizinischen 
Wissenschaft  ein.  Die  Krankenküche  soll  nicht  bloß  eine  Technik, 
sondern  eine  Kunst  sein. 

♦ 

Maladies  de  la  Nutrition,  Goutte-Obösitö-Diabete. 

Par  H.  RIchardiere  et  J.  A.  Sicard. 

378  Seiten. 

Paris  1907,  B  a  i  1 1  i  6  r  e. 

In  kurzen  Zügen  werden  die  drei  wichtigsten  Stoffwechsel¬ 
krankheiten  geschildert.  Auch  hier  übenviegt,  wie  bei  allen  fran¬ 
zösischen  Büchern,  der  rein  klinische  Teil:  die  Symptomatologie, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


Diese  ist  .freilich  in  aiis^gezeiehneter  Weise  darges  tellt,  man  sieht, 
daß  da  weniger  Lahoratöriinnsarbeit  als  vielmehr  die  Arbeit  am 
Krankenbette  die  Grundlage  bildet.  Als  das  gelungenste  Kapitel 
möchte,  ich  die  Darstellung  des  Diabetes  bezeichnen.  Nur  scheint 
mir  da  in  bezug  auf  Einteilung,  bzw.  Auffassung  der  verschiedenen 
Diabetesformen  eine  Unklarheit  zu  existieren,  die  in  den  deut¬ 
schen  Werken  über  das  Thema  ausgeschaltet  ist.  Die  Autoren 
sprechen  von  Leberdiabetes,  von  arthritischem  Diabetes,  nervösem 
Diabetes  etc.  Es  werden  da  Glykosurien,  echter  und  experimenteller 
Diabetes  bunt  durcheinander  gewürfelt.  Beim  jMenschen  kann 
man  wohl  -  eine  Reihe  ätiologischer  und  sekundärer  Momente 
für  die  Einteilung  des  Diabetes  heranziehen,  der  echte  Diabetes 
ist  aber  wohl  eine  Erkrankung  sui  generis  und  wahrs'cjieinlich 

<r  ■ 

nur  an  die  Schädigung  einer  Funktion  des  Organismus  gebunden. 

* 

lieber  die  Rolle  des  Sympathikus  bei  der  Erkrankung  des 

Wurmfortsatzes. 

Von  Dr.  E.  Höuck,  Hamburg. 

Jena  1907,  Verlag  von  G.  Fischer. 

Der  Leitgedanke  der  Monographie  ist,  daß  es  durch  Er¬ 
krankungen  des  Wurmfortsatzes  zu  Reizungen  und  Neuralgien 
am  Sympathikus,  zum  sogenannten  Sympathizismus  kommt.  Gegen 
das  Unternehmen,  gewisse  Formen  von  Appendizitis  mit  anders¬ 
artigen  primären  Erkrankungen  —  ich  erinnere  da  nur  aji  Angina 
—  in  Zusammenhang  zu  bringen,  ist  sicherlich  kein  ernster  Ein¬ 
wand  möglich.  Wenn  es  Verf.  aber  versucht,  fast  alle  ihm  l'e- 
kannlen  Erkrankungen  —  ich  erwähne  nur  Psoriasis,  Weichsel¬ 
zopf,  Laryngospasmus,  Schweißfüße,  Schilddrüsenschwellung, 
Ilerzaffektionen,  Lungentuberkulose  etc.  etc.  —  mit  einer  Reizung 
des  Wurmfortsatzes  ätiologisch  zu  erklären,  so  kann  man  ihm 
wohl  auf  diesem  Wege  nicht  folgen  und  muß  seine  Ansichten 
und  ihre  naive  Begründung  durch  Krankoigeschiclitenbelege  als 
unhaltbar  zurückweisen.  Es  zeigt  sich  auch  in  diesem  Falle, 
daß  die  übertriebene  Bedeutung,  die  einem  Symptome  und 
einem  Organe  zugeschrieben  wird,  zu  den  merkwürdig.sten  Fehl¬ 
schlüssen,  zu  den  absonderlichsten  Verwechslungen  des  post  und 
propter  führt.  Ich  glaube  nicht,  daß  Hönck  mit  seinen  Ent¬ 
deckungen  neuer  Krankheitsbilder  sich  den  Dank  der  wissen¬ 
schaftlich  denkenden  Aerzte  ei-vmrben  wird. 

* 

Diagnose  und  Therapie  der  Anämien. 

Nach  funktionellen  Gesichtspunkten  auf  Grundlage  qualitativer  Blut¬ 
untersuchung. 

Von  Dr.  Josef  Arneth,  Privatdozent  an  der  königl.  Universität  Würzburg. 

208  Seiten. 

Würzburg  1907,  Verlag  von  A.  Stüber. 

Arneth,  dem  wir  bereits  eine  Reihe  interessanter  Alit- 
leilungen  über  die  Erkrankungen  des  Blutes  verdanken,  hat  seine 
ausgedehnten  Erfahrungen  in  dieser  kleinen  Monographie  nieder¬ 
gelegt.  Im  ersten  Teile  wird  die  Diagnose,  im  zweiten  Teile  die 
Therapie  der  Anämien  besprochen.  Es  ist  bekannt,  daß  der  Ver¬ 
fasser  in  vielen  Fragen  der  Blutlehre  eine  abweichende  Stellung 
von  den  allgemein  gültigen  Anschauungen  einnimmt,  und  recht 
lehrreich,  seine  Ansichten  in  extenso  kennen  zu  lernen.  Das 
gilt  insbesondere  für  seine  Einteilung  der  neutrophilen  Leuko¬ 
zyten,  die  er  in  ein  neues  System  gebracht  hat.  Ob  sich  seine 
Methode  der  Charakterisierung  der  Leukozyten  wird  behaupten 
können,  ist  fraglich,  jedenfalls  muß  dem  Grundsätze  Arneths 
zugestimmt  werden,  daß  das  Zählresullat  der  Leukozyten  gegen¬ 
über  den  qualitativen  Blutbildverändeinngen  ganz  in  den 
Hintergrund  treten  muß.  Bemerkenswert  erscheint  ferner  die  zu 
den  üblichen  Ansichten  im  Gegensätze  stehende  Auffassung,  daß 
die  Blutverändenmgen  der  perniziösen  Anämie  nicht  Degenera¬ 
tions-,  sondern  Regenerationserscheinungen  darstellen.  Für  die 
zahlreichen  Fälle  atypischer  Leukämien  ist  Verf.  der  Ansicht, 
daß  dieselben  meist  unter  dem  Bilde  von  Infektionskrankheiten 
verlaufen  und  in  diesem  Sinne  auch  erklärt  werden  müssen.  Für 
die  richtige  Auffassung  der  so  verwickelten  Frage  der  Pseudo- 
leukämien  sieht  Verf.  ein  wesentliches  Hindernis  für  die  Auf¬ 
klärung  dmin,  daß  die  Funktion  und  die  Umsetzungen  der  Lympho¬ 
zyten  noch  so  wenig  Gegenstand  des  Studiums  gewesen  sind. 
Leider  bringt  uu.  Arneth  in  diesem  Sinne  auch  keine  neuen 


Aufklärungen.  Seine  Einteilung  der  PseudoleuLämien  dürfte  wohl 
der  am  leichtesten  angreifbare  Teil  der  Abhandlung  sein. 

Der  zweite,  der  Therapie  der  Anämien  gewidmete  Abschuilt 
wird  sich  wohl  den  Dank  des  Praktikers  erwerben.  Es  wird 
ausführlich  die  Eisenarsen therapie  besprochen  und  auch  der 
Diätetik  die  entsprechende  Aufmerksamkeit  gewidmet.  Einen 
breiten  Raum  nimmt  die  Darstellung  der  Röntgenstrahlenbehand¬ 
lung  bei  Leukämien  ein.  Ob  da  der  Verfasser  nicht  doch  allzu 
optimistisch  ist?  Vermißt  habe  ich  die  Erwähnung  des  Ader¬ 
lasses  bei  der  Bebandlung  der  Chlorose.  Im  übrigen  bildet  das 
Buch,  namentlich  auch  durch  die  ausgezeiclmeten  Abbildungen 
der  Blutzellen  einen  sehr  interessanten  Beitrag  zur  Lehre  der 
Bluterkrankungen,  der  noch  an  Wert  gewänne,  wenn  wenigstens 
die  wichtigsten  Literaturangaben  darin  Platz  gefunden  hätten. 

Die  Therapie  der  Magen-  und  Darmkrankheiten. 

Von  Dr.  Walter  Zweig,  Spezialarzt  für  Magen-  und  Darmkrankheiten  in  Wien. 

402  Seiten. 

1907,  Urban  &  Schwarzenberg. 

Das  vorliegende  Werk,  das  Boas  gewidmet  ist,  dürfte  zwar 
keine  Lücke  in  der  jetzt  so  angewachsenen  Literatur  über  diesen 
Gegenstand  ausfüllen,  ist  aber  schon  mit  Rücksicht  darauf,  daß 
es  ein  österreichisches  Buch  ist  —  bei  uns  hat  man  sich  mit 
Magen-  und  Darmdiätetik  noch  sehr  wenig  befaßt  —  eine  dankens¬ 
werte  Arbeit.  Im  allgemeinen  folgt  Zweig  den  Lehren  der  Boas- 
schen  Schule,  hat  aber  auch  eigene  Erfahrungen  gesammelt,  die 
er  mit  guter  Begründung  einfügt.  So  wendet  er  eine  neuartige 
Methode  der  Bauchmassage  an,  benützt  eine  eigene  Art  der  Mast- 
darmelektrisation  und  der  Darmirrigalion.  Das  Buch  zerfällt  in 
einen  allgemeinen  und  in  einen  speziellen  Teil;  der  allgemeine 
Teil  behandelt  die  Physiologie  der  Verdauung  und  des  Stoff¬ 
wechsels,  sowie  die  Diätetik  der  Magen-  und  Darmkrankheiten, 
der  spezielle  Teil  die  Therapie.  Manche  Erfalirungen  der  Physio¬ 
logie  werden  meines  Erachtens  nach  etwas  zu  apodiktisch  hin- 
gestellt;  ich  erwähne  nur  die  Erörterung  über  die  Eiweißresorption 
auf  Seite  21:  „Alle  Arten  der  Eiweißstoffe  werden  durch  den  Ver¬ 
dauungsprozeß  in  Albumosen  und  Peptone  verwandelt,  resorbiert 
und  gelangen,  in  Eiweiß  rückveiwandelt,  in  Blut  und  Lymphe.“ 
Lieber  die  sogenannte  Rückverwandlung  der  Eiweißkörper  sind 
meiner  Kenntnis  nach  die  Akten  noch  lange  nicht  geschlossen. 
Auch  der  Ansicht  Zweigs,  daß  durch  Darreichung  von  Pankreon 
und  Pankreatin  die  Pankreasverdauung  bei  Fehlen  von  Salz¬ 
säure  bereits  im  Alagen  bewirkt  wird,  könnte  ich  mich  so  ohne 
weiteres  nicht  anschließen. 

Sieht  man  von  diesen  und  ähnlichen  anderen  dogmatischen 
Gesichtspunkten  ab,  die  sich  vielleicht  in  einer  bald  zu  gewär¬ 
tigenden  neuen  Auflage  vermeiden  ließen,  so  ist  der  hohe  Ernst, 
die  Sachliclikeit  und  Gründlichkeit  des  Autors  horvorzuheben,  der 
bei  seinen  therapeutischen  Maßnahmen  nicht  nur  altbewährte 
oder  überkommene  Vorschriften  handhabt,  sondern  bei  der  Be¬ 
handlung  sich  von  physiologischen  Vorstellungen  leiten  läßt  und 
die  Therapie  der  Digestionserkrankungen  nicht  bloß  als  eine  Reihe 
von  Diätschemen  ansieht,  sondern  vor  dem  therapeutischen  Ein¬ 
griffe  vom  Arzte  sorgfältige  und  geschulte  Ueberlegung  fordert. 
So  unterscheidet  sich  dieses  Buch  von  einer  ganzen  Reihe  ähn¬ 
licher  Zusammenstellungen  vorteilhaft.  G 1  a  e  ß  n  e  r. 

Zur  Kenntnis  des  elastischen  Gewebes  des  Magens. 

Von  Emil  Schütz. 

Archiv  für  Verdauungskrankheiten  1907,  Bd.  13. 

S.  49  bis  58. 

Taf.  II  bis  IV. 

Berlin  1907,  Karger. 

Schütz  hat  möglichst  frische  Magenschleimhaut  vom  Menschen 
(3  h  p.  m.)  an  spezifisch  gefärbten  Schnitten  auf  Anordnung  und 
Verteilung  des  elastischen  Gewebes  in  den  verschiedenen  Abschnitten 
untersucht.  Die  Beschreibung  der  Befunde  wird  durch  gute,  nach 
dem  Präparat  gezeichnete  Abbildungen  unterstützt. 

In  der  Schleimhaut  des  ganzen  Magens  findet  sich  eine  zu- 
saminenhilngende  Lage  feinerer,  im  Pylorusteil  derberer  elastischer 
Fasernetze  (elastische  Schicht  der  Mukosa),  welche  ihre  größte 
Mächtigkeit  in  der  Kardiaregion  erreicht.  Von  dieser  Schicht  zweigen 
elastische  Netze  ab,  welche,  besonders  reichlich  im  Fundusteil,  den 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Grund  der  Drüsen  korbartig  umspinnen.  Die  Submukosa  ist  nur 
im  Pylorusteil  reicher  an  elastischen  Fasern.  In  der  Muskelbaut 
finden  sich  im  Bereich  der  Kardia  und  des  Fundus  als  zusammen¬ 
hängende  Lagen  eine  innere  Schicht  an  der  Grenze  gegen  die  Sub¬ 
mukosa  und  eine  äußere  an  der  gegen  die  Serosa,  teils  auch  zwischen 
beiden  Muskellagen.  Innere  und  äußere  Schicht  sind  durch  inter¬ 
muskuläre  Züge  verbunden,  welche  besonders  in  der  Kardia  eine 
dichtere  Anordnung  zeigen.  Der  Pylorusteil  enthält  in  seiner 
Muskelhaut  nur  verhältnismäßig  spärliche  elastische  Faserzüge.  Die 
Serosa  zeigt  erst  im  Fundus  und  Pylorus  längsverlaufende  Faserzüge. 

Der  Verfasser  bringt  diese  verschiedene  Anordnung  des  ela¬ 
stischen  Gewebes  in  d  en  einzelnen  Abschnitten  mit  den  verschiedenen 
mechanischen  Beanspruchungen  dieser  in  Zusammenhang.  So  soll 
die  reichliche  Entwicklung  des  elastischen  Gewebes  in  Schleimhaut 
und  Muskelhaut  des  Fundus  der  starken  Ausdehnung  dieses  Teiles 
entgegenwirken  ;  in  der  Kardia  durch  Unterstützung  des  Muskeltonus 
den  mangelnden  Sphinkter  ersetzen ;  endlich  in  der  Mukosa  und 
Submukosa  des  Pylorusteiles  der  starken  Kompression  durch  den 
Sphinkter  beim  Abschluß  gegen  den  Darm  angepaßt  sein. 

Jos.  Schaffe  r-Wien . 

* 

Handbuch  der  pathogenen  Mikroorganismen. 

Herausgegeben  von  W.  Kolle  und  A.  Wassermann. 

Erster  Ergänzungsband,  Preis  Mk.  28. 

Jena  1906/7,  Verlag  von  G.  Fischer. 

Das  groß  angelegte  und  wertvolle  Handbuch  der  pathogenen 
xMikroorganismen  fiel  mit  dem  Abschlüsse  des  vierten  Bandes 
in  die  Zeit  der  raschen  Entwicklung  der  Kenntnis  der  pathogenen 
Spirochäten.  SchaiidinnsEntdeckung  des  Syphiliserregers  fehlte 
noch  im  Handbuche,  ebenso  die  wichtigen  neueren  Untersuchungs¬ 
resultate  über  die  in  den  Tropen  so  häufigen  und  wichtigen  Try- 
panosomiasen ;  in  den  Kapiteln  Tuberkulose  und  typhöse  Erkran¬ 
kungen  hatten  die  letzten  Jahre  wichtige  neue  Anschauungen  ge¬ 
festigt;  die  berechtigte  Anerkennung,  die  das  Sammelwerk  von 
Kolle  und  Wassermann  gefunden  hatte,  ließen  seine  Fort¬ 
führung  als  sehr  zweckdienlich  erscheinen,  sollten  nicht  allzu¬ 
bald  fühlbare  Lücken  des  Inhaltes  merkbar  werden;  diese  not¬ 
wendige  Ergänzung  des  Werkes,  wenn  es  seinen  Charakter  als 
Hauptquelle  der  Orientierung  in  allen  einschlägigen  Fragen  wahren 
soll,  bringt  der  vorliegende  Nachtragsband. 

Inhalt  und  Ausstattung  der  fünfzehn  monographischen 
Darstellungen  bilden  einen  gleichwertigen  Nachtrag  des  ganzen 
Werkes,  der  gewiß  ebenso  große  Anerkennung  und  Verbreitung 
finden  wird,  wie  die  früher  erschienenen  Bände.  R.  Kretz. 

* 

Los  Auto  -  Mutilateurs, 
etude  psycho-pathologique  et  m4dico-16gale 
par  le  Dr.  Charles  Blondel. 

Paris  1906,  Rousset. 

Blondel  bespricht  in  der  vorliegenden  kleinen  Brosch  ü  r  e 
die  verschiedenen  Formen  der  Selbstbeschädigung  u.  zw. 
sowohl  vom  forensischen  als  auch  vom  p  s  y  c  h  o  -  p  a t  h  o  1  o  g  i- 
schen  Standpunkte.  Das  Werkchen  umfaßt  acht.  Kapitel  und  bringt 
manche  interessante  kasuistische  IMitfeilung.  Der  Fachmann 
wird  allerdings  bei  der  Lektüre  nichts  wesentlich  Neues  er¬ 
fahren.  Zuerst  bespricht  der  Verfasser  die  S  e  1  b  s  t  k  a  s  t  r  a  t  i  o  n 
„l’enuchiome“,  dann  die  ,,E  n  u  c  1  eati  o  n  volontaire“ 
oder  ,,oedipisme“,  worunter  er  die  Exstirpalion  von  Organen, 
z.  B.  die  des  Larynx  am  eigenen  Leibe  versteht,  die  Selbst¬ 
verbrenn  u  n  g,  ferner  verschiedene  andere  Forme  n  der 
Selbstbeschädigung,  endlich  die  Selbstvers  tümmelung 
von  Militärpersonen,  welches  Kapitel  vor  allem  den  Militär¬ 
arzt  interessieren  wird.  In  jedem  einzelnen  Abschnitte  wird  neben 
der  Schilderung  der  Art  und  Ausdehnung  der  Verletzung  auch 
die  forensische  und  psychiatrische  Seite  des  einzelnen 
Falles  beleuchtet,  besondere  Aufmerksamkeit  ist  den  Selbst¬ 
beschädigungen  Hysterischer  und  Melancholischer 
geschenkt.  In  den  Schhißbemerkungen  verlrilt  Blondel  den 
Standpunkt,  daß  jeder  Selbs  the  Schädiger  psychiatrisch 
zu  untersuchen  sei,  ein  Standpunkt,  der,  da  Blondel  dies  auch 
für  die  S e  1  b s t b e s c h  ä d i g er  militärischen  Standes  fordert, 
von  den  Militärärzten  gewiß  nicht  geteilt  werden  wird,  da  durch 


eine  solche  Maßnahme  die  militärische  Disziplin  wohl  em¬ 
pfindlich  geschädigt  würde. 

In  derartigen  Fällen  ist  eine  ]) sy  ch  i  a  t  ri s c h e  'l.lnter- 
suchung  nach  xAiisicht  des  Rb'ferenten  luir  dann  zu  verlangen  und 
zu  rechtfertigen,  wenn  bei  dbr  ersten  Üntersuclumg  aus  anderen 
Gründen  Zweifel  äii  der '‘Geistesgesundheit  des  Verletzten  auf¬ 
tauchen.  'i.  ... 

UVt,-’  'If  ♦  ' 

Einführung  in  ‘'die  gerichtliche  Medizin  für  praktische 
*  ‘  Kriminalisten. 

Vier  Vorträge  voii  Dr.''H'ago  Marx,  I.  Assistenten  der  Unterrichtsanstalt 
für  Staatsärzneikunde  an  der  Universität  Berlin. 

‘  ■  Berlin  1907,  Hirsch  w  aid 

,,Die  Einführung  in  die  gerichtliche  Medizin“  ist  aus  Vor- 
trägeir  entstandeh,  die  Mar.x  für  Kriminalkommissäre  hielt 
und  Süll  demjenigen,  der  sich  zum  ersten  /Male mit  diesem  Gegen¬ 
stände  beschäftigt,  eine  gedrängte  Darstellung  der  wro 
s  e  n 1 1  i  c  h  s  t  e  n  Kapitel  dieser  Disziplin  geben.  Die  Schrift 
ist  in  vier  Kapitel  eingeteilt,  das  erste  befaßt  sich  mit  der  Tätig¬ 
keit  des  Gerichtsarztes  am  Tatorte,  das  zweite  mit  den  ge¬ 
waltsamen  Todesarten,  das  dritte  mit  den  Verbrechen  von  spezi¬ 
fisch  sexuellem  Charakter,  das  vierte  endlich  schildert  die  Tätig¬ 
keit  des  Gerichtsarztes  im  Laboratorium. ; 

Es  ist  gewiß  anerkennenswert,  daß  es  Marx  übernommen 
hat,  den  Gegenstand  seiner  vier  Vorträge  für  praktische  Krimi¬ 
nalisten  durch  Drucklegung  auch  weiteren  Kreisen  zugänglich  zu 
machen.  Auch  muß  zugegeben  werden,  daß  es  recht  schwierig  ist, 
einen  so  umfangreichen  Stoff  einigermaßen  erschöpfend  zu  be¬ 
handeln,  ohne  zu  weitläufig  zu  werden.  lief,  glaubt  nicht,  daß 
es  dem  Verfasser  vollständig  gelungen  ist,  die  wichtigsten 
Lehren  der  gerichtlicheil  Medizin  in  einer,  solchen  Weise  dar¬ 
zustellen,  daß  die  Kriminalbeamten  daraus .  wesentlichen  Nutzen 
ziehen  könnten  und  ihnen  die  großen  Lehrbücher  der  gericht¬ 
lichen  Medizin  verständlicher  würden.  Befremdend  wirkt,  daß 
Verfasser  in  einseitiger  Weise  nur  einzelne  Autoren  zitiert;  doch 
erklärt  sich  dies  vielleicht  daraus,  daß  es  ihm  —  wie  ja  begreif¬ 
lich  — ■  in  seinen  Vorträgen  gar  nicht  darauf  ,  ankam,  die  Zuhörer 
auch  mit  der  einschlägigen  Literatur  bekanptzumachen. 

Reuter.. 


Aus  versehiedenen  Zeitsehfiften. 

t 

271.  (Aus  der  Abteilung  für  Krebsforschung  der  1.  nicdiz. 
Klinik  —  Geh.  -  Rat  v.  L  e  y  d  e  n.)  U  e  b  e  r  e  i  n  t  r  a  n  s  p  1  a  n  t  a  b  1  c  s 
Rattenkarzin'o m.  ’(mn  L.  Michaelis  piid  C.  Lewin.  Der 
einzige  bisher  bekannte  Fall  von  gelungener  Karzinomübertra¬ 
gung  ist  der  Hanaus.  Er  übertrug  kleine  ;Stücke  von  Drüsen¬ 
metastase  eines  verhornenden  Plattenepithelkrebses  in  die  Tunica 
vaginalis  zweier  gesimder  Ratten  und  erzielte,  eine  Karzinose  des 
Bauchfelles  von  derselben  histologischen  Beschaffenheit.  Die  Ver¬ 
fasser  bekamen  eine  ausgewachsene  weiblichp  Ratte  mit  einem 
walnußgroßen,  derben  Tumor,  der  sich  als  ,in  der  Mamma  ge¬ 
wachsen  erkennen  ließi.  Der  ausgeschälte  Tumor  War  von  ziem¬ 
lich  fester  Konsistenz,  zeigte  mikroskopisch,; das  BihL  eines  aL 
veolären  Drüsenkarzinoms,  das  von  der  Brusfiilrüse' hervorgegangen 
war.  Der  Tumor  wurde  auf  13  weiße  Rafften  übertragen.  Bei 
sieben  Tieren  wuchsen  innerhalb  vier  bis  spehs  Wochen  ähnlich 
beschaffene  Jäunoren.  Ein  solcher  walnußgyaßer  Tumor  zweiter 
Generation  wurde  nun  überimpft.  Dabei  zeigte  sich,  daß  dieser 
Tumor  an  der  Exzisionsstolle  rasch  rezidivierte,  daß  nach  zwei 
Monaten  in  den  Lungen  der  getöteten  Ratte  über  erbsengroße 
rundliche  IMetaslasen  waren.  Der  Tumor  zeigle  sich  mikroskopisch 
als  dasselbe  typische  Drüsenkarzinom.  Mit  dem  Tumor  konnte 
bis  jetzt  in  die  fünfte  Generation  weitergeimpft  werden,  in  zirka 
öOTo  mit’  posiliven  Resullaten.  Der  Tumor  wuchs  zunächst  bei 
allen  geimpfUm  Ratten  bis  in  die  vierte  Woche,  wurde  zuweilen 
kirsch-  bis  pflaumengroß,  er  verschwand  aber  auch  sodann,  ohne 
Spuren  zu  hinterlassen.  Solche  Tiere  waren  dann  immun  gegen 
alle  weiteren  Impfnngen.  Bei  intraperitonealer  Impfung  gelang 
I  es  fast  immer,  außerordentlich  ausgebrei leies  Karzinom  des  Bauch- 
'  feiles  zu  erzielen,  wobei  insbesondere  das  Netz  sich  in  große 
:  Krehsmassen  umgewandelt  zeigt.  Ein  Rezidivieren  des  exzi- 
i  dierten  Tumors  an  der  Exzisionsstelle  zeigte  sich  noch  in  einem 


•  74 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT  19077 


Nr.  22 


zwcilen  Falle,  dadurch  nähert  sich  der  Tumor  in  seinem  klini¬ 
schen  Verlialten  dem  menschlichen  Karzinom,  in  einem  anderen 
Falle  (ein  Tier  der  dritten  Impfgeneralion)  wuchsen  bei  subkutaner 
Impfung  in  der  Bauch'haut  zwei  kirscli-  bis  walnußgroße  Tumoren, 
außerdem  wurde  das  Abdomen  der  Ratte  stärker,  es  zeigte  sich 
Kachexie,  das  Tier  starb  neun  Wochen  nach  der  Impfung.  Bei 
der  Sektion  fand  man  im  Abdomen  ca.  100  cm^  einer  blutigen, 
serösen  Aszitesflüssigkeit,  Tumoren  an  der  Innenseite  der  Bauch¬ 
haut,  Netz  und  IMesenterium  in  große  Krehsmassen  umgewaudelt. 
,,'Es'  zeigte  sich  also  eine  ausgedehnte  Metaistasenhitdung  un¬ 
seres  l’umors,  wie  sie  bei  Aläusekarzinomen  kaum  vorkommt 
und  Klie  den  Tumor  dem  menschlichen  Karzinome  durchaus  ähidich 
macht.“  Die  Impftumoren  zeigten  in  histologischer  Hinsächt  bald 
das  Bild  eines  reinen  Adenoms,  dann  wieder  sah  man  nur  aWeo- 
läre,  solide  Krebsnester,  oder  niebf  tubuläre  Zellnester,  bald 
reichliches,  bald  wieder  nur  minimales  Stroma  oder  kleine  Zysten 
und  auch  die  Epithel  zell  e  des  Tumors  variierte  in  der  Große 
und  Form  von  Protoplasma  und  Kern.  Zum  Schlüsse  berichten 
die  Verfasser  über  ihre  Immunisierungsversuche,  über  welche 
sie  sich  noch  eines  endgültigen  Ürteiles  enthalten.  —  (Berlifier' 
klinische  Wochenschiäft  1907,  Nr.  15.)  E.  F. 

*  .  '.i- 

272,  Aus  dem  Ej)pendorfer  Krankenhause.  Ueber  Jie 
akute  und  chronische  Ni  e re n b e c k e n e  n t z ü n d  u n g.  Von 
Hermann  Lenhartz.  Verf.  schildert  das  Krankheitsbild  jc^rcr 
Pyelitiden,  die  primär  oder  im  Anschlüsse  an  Schwangerschaft 
und  Wochenbett  entstanden  sind.  Der  Infektionsweg  ist  der  aszen- 
dierende  von  den  äußeren  Genitalien  her.  Meist  erkranken  Frauen 
an  Pyelitis,  bei  denen  eben  Menses,  Schwangerschaft  und  Wochen¬ 
bett  die  Infektion  vermitteln,  sonst  auch  der  Katheter  bei  den  Er¬ 
wachsenen,  Darnikatarrh  bei  Kindern.  In  den  80  Fällen  des  Ver¬ 
fassers  betrafen  74  das  weibliche  Geschlecht,  während  nur  sechs 
•Männer  beteiligt  waren.  Die  bakteriologische  Unlcrsuchung  ergab 
66mal  das  Bacterium  coli  als  alleinigen  Er^^ger,  2mal  tlen  Fried- 
länderschen  Pneuniobazillus  und  3mal  den  Paratyphusbazillus, 
Imal  eine  Mischinfeklion  von  Koli  und  Proteus.  In  33  von 
59  Fällen  ließ  sich  die  Pyelitis  auf  Schwangerschaft  (elf  Fälle), 
Geburt  (acht  Fälle)  und  Menses  (14  Fälle)  als  Ursache  zuriiek- 
führen.  Diese  setzten  Veränderungen  in  der  Schleimhaut  und 
den  übrigen  Geweben  des  Urogenitaltraktus,  begünstigen  die  Em¬ 
pfänglichkeit  für  die  Infektion  dadurch,  daß  die  Blutüberfüllung 
und  Auflockerung  der  Gewebe  den  Bakterien,  insbesondere  den 
Kolibazillen,  günstige  Bedingungen  zur  Entwicklung  bieten.  Von 
sonstigen  Einflüssen  kommen  außer  vorhergehenden  Infektions¬ 
krankheiten,  z.  B.  Varizellen,  schwere  Erkältungen  des  Unter¬ 
leibes  in  Betracht.  Unverkennbar  häufiger  wird  die  rechte  Nipre 
befallen.  In  den  80  Fällen  des  Verfassers  waren  die  rechte 
36mal,  die  linke  17mai,  beide  Seiten  24mal  beteiligt.  Harnblasen¬ 
symptome  waren  nur  bei  fünf  Kranken  vorhanden,  Beteiligung 
des  Nierengewebes  nur  bei  drei  bis  vier  Fällen,  sonst  handelte  es 
sich  um  reine  Fälle  von  Pyelitis.  Zu  den  Symptomen  derselben 
gehören  Fieber,  mehr  oder  weniger  heftige  Allgemeinerscheinungen 
und  Schmerzen.  Kopf-,  Glieder-  und  Rückenschmerzen,  Erbrechpn 
beherrschen  oft  das  Gesamtbild.  Bei  bimanueller  Unlcrsuchung 
findet  man  oft  schon  frühzeitig  die  eine  oder  andere  Niere  auf¬ 
fällig  di'uckempfindlich ;  in  zwölf  von  80  Fällen  konnte  Verfasser 
eine  oft  bis  über  kindskopfgroße,  pralle  Anschwellung  des  ent¬ 
zündeten  Nierenbeckens  durchfühlen.  Ausschlaggebend  ist  aber 
die  mikroskopische  und  bakteriologische  Untersucliung  des  Harnes. 
Der  Harn  ist  trüb,  enthält  oft  Eiter,  Blut;  Reaktion  sauer,  Eiweißr 
gehalt  oft  Va'Voo,  aber  auch  2  bis  4,  selbst  10%o.  Mikroskopisch 
findet  man  reichlich  Eiter,  oft  rote  Blutkörperchen,  mit  massen¬ 
haften  Stäbchen,  häufig  schleimige  Streifen,  seltener  Fihrinfäden; 
außerdem  zahlreiche  Epithelien,  nicht  selten  geschwänzt.  Letztere 
können  aber  bei  der  reinen  Pyelitis  ganz  fehlen,  wähi'end  zahl¬ 
reiche  Plattenepithelien  und  Tripelphosphat  auf  Beteiligung  der 
Blase,  Nierenkanälchenepithel  und  Zylinder  auf  eine  solche  der 
Nieren  hinweisen.  ]\Iitbestimmend  ist  die  gleichzeitige  bak¬ 
teriologische  Untersuchung  des  steril  entnommenen  Harnes.  Die 
Differentialdiagnose  ist  oft  schwierig.  Heftigkeit  und  Ausbreitung 
der  Schmerzen  lassen  an  Appendizitis,  Peritonitis,  Gallenstein¬ 
koliken,  denken.  'Wiederholte,  sorgfältige  Palpation  wird  hier  zum 
Ziele  führen.  Verf.  ist  der  Uebofzeugung,  daß  nicht  wenige  P'älle 


von  Eyelitis  bisher  unter  falscher  Flagge  gesegelt  sind.  Das  ist 
kein  Wunder,  da  man  bisher  nicht  gewußt,  daß  die  Pyelitis 
von  einem  ganz  charakteristischen  Fieberverlaufe  begleitet  ist. 
Von  den  80  Kranken  des  Verfassers  haben  59  hoch  gefiebert; 
28  boten  einen  starken  Fieberanfall,  gewöhnlich  durch  Schüttel¬ 
frost  eingeleitet.  Solche  Fieberanfälle  können  3  bis  18  Tage 
dauern,  häufig  sind  sie  nach  sechs  bis  sieben  Tagen  beendet. 
Verf.  veranschaulicht  den  Fieberverlauf  durch  zahlreiche  Kurven. 
Bald  ist  mehr  die  Kontinua  Und  kritische  Entfieberung  zwischen 
dem  sechsten  und  zehnten  Tage,  bald  hohes,  schwach  re¬ 
mittierendes  Fieber,  mit  lytischem  Abfälle  der  Temperatur  zu 
beobachten.  Die  Kurven  unterscheiden  sich  von  der  Pneünionie- 
kurve  nur  durch  den  niedrigen  Puls  und  die  Respiration.  Manch¬ 
mal  ziehen  sich  subfebrile  Temperaturen  wochenlang  hin  oder 
es  kommt  zu  Rekrudeszenzen.  Bei  anderen  wieder  flackern  (Tie 
Temperaturen  nach  tagclangen  Fifiberpausen  auf.  Am  infer- 
essantesten  sind  jene  Fälle  mit  regelmäßigem,  zyklischem  Ver¬ 
laufe;  es  wiederholen  die  Relapse  das  Bild,  wie  es  im  Einzel- 
anfalle  aufzutreten  pfegt,  so  daß  man  nach  Verf.  Amu  einem 
,, Rückfallfieber“  sprechen  kann.  Diese  Relapse  werden  offenbar 
durch  eine  akut  rezidivierende  hakteritische  Entzündung  des 
Nierenbeckens  angeregt ;  manchmal  fallen  sie  mit  einer  Erkrankung 
der  gesunden  Seite  zusaimnen.  Auffällig  war  der  Zusammenhang 
zwischen  Relaps  und  Menses.  Bei  14  Fällen  war  diese  Beziehung 
erkennbar.  Chronische  Fälle,  die  über  Monate  sich  hinziehen, 
hat  Verf.  sieben  beobachtet,  wovon  zwei  fieberlos  abliefen, 
während  fünf  zahlreiche  zyklische  charakteristische  Ficberrelapse 
darboten.  Sonst  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  in  drei  Fällen  mit 
dem  Anfalle  eine  schwere  Ischias  der  Seite  einsetzte,  auf  der 
auch  die  Niere  erkrankt  war,  daß  ferner  bei  mehreren  Gravide)! 
nach  Beendigung  der  Geburt  auffällige  Besserung  erfolgte  und 
daß  es  bei  einer  Kranken  zu  ausgedehnter  doppelseitiger  Krural- 
venenthrombose  gekommen  ist.  Röntgenaufnahmen  wui’den  bei 
allen  gemacht,  Avobei  in  zAvei  Fällen  Steine  gefunden  Avurden. 
Was  die  Heilresultate  anlangt,  sind  von  den  80  Kranken  fünf 
gestorben,  zAvei  an  Karzinom  und  Tuberkulose,  die  drei  anderen 
an  Pyelitis.  Von  den  übrigen  75  sind  54  klinisch  geheilt  ent¬ 
lassen,  14  gebessert,  Avährend  sieben  noch  gewisse  Beschwerden 
haben.  In  bakteriologischem  Sinne  sind  nur  16  geheilt,  20  ge¬ 
bessert  und  39  ungeheilt,  d.  h.  die  steril  entnommenen  Harn¬ 
proben  zeigen  noch  die  AnAvesenheit  der  Keime.  In  therapeutischer 
Beziehung  konstatiert  Verf.,  daß  man  mit  den  bisher  bekannten 
Mitteln  nicht  imstande  ist,  die  Bakterien  im  Körper  zu  töten. 
Am  besten  von  allen  Mitteln  scheint  noch  das  Urotropin;  aber 
es  heilt  die  Fälle  nicht.  Die  Bakteriurie  besteht  fort.  Nach  des 
Verfassejs  Erfahrung  hilft  die  wochen-  oder  monatehmige  Zufuhr 
von  drei  bis  viermal  täglich  einem  Kalben  Liter  heißen  Linden¬ 
blütentees  )ioch  am  besten.  Dadurch  Averden  Nierenbecken  und 
Blase  gründlich  ausgeAvaschen.  Eine  aktive  Behandlung  der  Harn¬ 
blase  ist  nur  dann  angezeigt,  Avenn  sie  miterkrankt  ist.  Zur 
Bekämpfung  der  Schmerzen  im  Anfalle  si)id  selten  Narkotika 
nötig.  Der  eine  empfindet  bei  Wärme,  der  andere  bei  Kälte 
Erleichterung.  Bei  starker  gescliAvulstartiger  VorAvölbung  kann 
die  leicht  auszuführende  Punktion,  oder  der  Sektionsschnitt  an¬ 
gezeigt  sein.  Meist  Avollen  aber  die  Kranken  nichts  davon  Avissen. 
—  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  16.)  G. 

* 

273.  Die  Hämorrhagien  und  die  Störungen  der 
Blutgerinnung  bei  Nephritis.  Von  Emile  Weil  und 
Claude.  Die  HämoiTliagien  bilden  eine  häufige  Komplikälion 
der  Nephritis,  doch  ist  der  physiologische  Mechanisinus  ihres 
Zustandekommens  noch  nicht  genügend  aufgeklärt.  Bei  der  akuten 
Nephritis  ist  die  Hämaturie  die  häufigste  Form  der  Blutung,  bei 
chronischer  Nephritis  beobachtet  man  neben  der  Hämaturie  auch 
Epistaxis,  Netzhaut-,  iMeningeal-  und  Hirnhlutungen.  Zur  Er¬ 
klärung  der  Blutungen  bei  akuter  Nephritis  zieht  man  die  Inten¬ 
sität  der  Kongestion,  bei  chronischer  Nephritis  die  abnorme  Stei¬ 
gerung  des  Blutdruckes  und  die  bei  Arteriosklerose  häufigen 
Kongestionen  heran.  Für  die  bei  Nephritis  manchmal  vorkom¬ 
mende  Purpura  mit  Hautblutungen  ließ  sich  bislier  keine  befrie¬ 
digende  Erklärung  geben.  Die  in  einigen  Fällen  mit  Hämaturie, 
bzAv.  Hämaturie  und  Epistaxis  vorgenommene  BlutunterSuchung 
hat  bemerkensAAX'rte  Veränderungen  des  Blutes,  speziell  hinsicht- 


675 


Nr.  22 


WIENER,  KLINISCHE  .WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Uch  des  Verhaltens  der  Koagulation  ergeben.  Das  der  Vene  durch 
Stich  entnommene  Blut  zeigte  verspäteten  Eintritt  der  (Jerinnungj 
während  das  der  Fingerbeere  entnommene  Blut  hinsichtlich  des 
Zeitpunktes  der  Gerinnung  normale  Verhältnisse  aufwies.  Die 
Veränderung  scheint  sich  auf  den  Gehalt  des  Blutes  an  Kalk¬ 
salzen  und  koagulierenden  Fennenten  zu  beziehen,  weil  durch 
Zusatz  von  Seren  oder  Kalksalzen  die  Gerinnung  beschleunigt 
werden  konnte;  das  Verhalten  des  Fibrinogens  scheint,  wie  aus 
der  normalen  Retraktion  des  Gerinnsels  hervorgeht,  unverändert 
zu  sein.  In  den  Fällen  von  Nephritis,  wo  eine  derartige  Blutver- 
änderung  nachweisbar  war,  fand  sich  neben  den  Zeichen  des 
Alkoholismus,  auch  .eine  Vergrößerung  der  Leber.  Es  ergibt  sich 
daher,  die  Frage,  ob  die  Nierenläsionen  selbständig  oder  aber 
durch  Vermittlung  der  Leber,  die  Veränderung  der  Koagulations¬ 
vorgänge  des  Blutes  hervorzurufen  imstande  sind.  Wenn  auch 
die  Annahme  des  Einflusses  der  Leber  von  vornherein  eine 
gewisse  Wahrscheinlichkeit  besitzt,  so  muß  erst  das  Ergebnis 
einschlägiger  Experimente  abgewartet  werden,  bevor  diese  Frage 
mit  Sicherheit  beantwortet  werden  kann.  Therapeutisch  ist  bei 
Nephritiden,  welche  mit  Hämorrhagien  einhergehen,  ähnlich  wie 
bei  dyskrasischen  Hämorrhagien,  die  subkutane  oder  intravenöse 
Injektion  von  frischem  Blutserum  zu  empfehlen.  So  wurden  in 
einem  derartigen  Falle  zunächst  10  cm^  frisches  Kaninchenserum, 
später  15  cm®  frisch  bereitetes  Diphtherieserum  mit  günstigem 
Erfolge  injiziert,  indem  sowohl  Hämaturie,  als  auch  Epistaxis 
verschwanden.  —  (Bull.  et.  Mem.  de  la  Soc.  med.  des  hop. 
de  Paris  1907,  Nr.  13.)  a.  e. 

274.  (Aus  der  Breslauer  chirurgischen  Klinik.)  Beiträge 
zur  Gefäßchirurgie.  Zirkuläre  A  r t e r  i e n  n a  h  t  und  Ge¬ 
fäßtransplantation.  Von  Dozent  Dr.  Stich,  Dr.  Makkas 
und  Dr.  Dowman.  Auf  Anregung  Garres  (Stellten  die  Autoren 
Versuche  an,  deren  Endziel  die  Transplantation  von  Organen 
sein  sollte.  Zur  Ausbildung  der  Technik  war  es  notwendig,  zu¬ 
nächst  gut  die  zirkuläre  Gefäßnaht  zu  üben.  Ermutigt  durch 
diese  gleich  zu  Beginn  erzielten  günstigen  Resultate,  stießen  sie 
auf  eine  Reihe  von  Fragen,  welche  sie  zunächst  von  ihrem 
Endziele  entfernten  und  veranlaßten,  dem  Probleme  vorliegender 
Arbeit  auf  den  Grund  zu  gehen.  .Was  zunächst  die  Technik  der 
zirkulären  .Arteriennaht  betrifft,  so  wurde  das  zu  vernähende 
Gefäß  auf  6  bis  10  cm  freigelegt,  indem  das  Gefäß  einigermaßen 
aus  der  Scheide  herauspräpariert  wurde;  um  die  der  Nahtstelle 
zunächst  gelegene  Partie  wurde  dann  das  präadventitielle  Ge¬ 
webe  entfernt.  Nach  Freilegung  des  Gefäßies  wurden  Klemmen 
von  Hopfner  angelegt,  aber  nicht  zu  nahe  der  Nahtstelle.  Dann 
erfolgte  die  Durchtrennung  des  Gefäßes  mit  einem  Scheren¬ 
schlage.  Jetet  entfernte  man  da.s  präadventitielle  Gewebe,  indem 
es  mit  einer  Pinzette  gefaßt,  mehrere  'Millimeter  über  den  Quer¬ 
schnitt  des  Gefäßes  herausgezogen  und  dann  mit  der  Schere 
abgekappt  wurde,  dann  wurde  in  den  Gefäßen  noch  vorhandenes 
Blut  oder  Gerinnsel  mit  den  Fingern  ausgedrückt  und  die  Naht 
angelegt.  Zunächst  werden  drei  Haltefäden  angelegt,  zunächst 
der  hintere  Faden,  indem  man  in  das  einfache  Gefäßende  etwa 
iVa  mm  vom  Rande  entfernt  mit  einer  krummen  Nadel  von  außen 
nach  innen  einsticht  und  dann  in  das  andere  Ende  von  innen 
nach  außen ;  sämtliche  Nähte  gehen  durch  die  ganze  Wand¬ 
dicke;  der  Faden  wird  gleich  geknotet.  Darauf  wird  der  zweite 
und  dritte  Faden  in  analoger  Weise  angelegt.  Diese  Haltefäden 
sind  anscheinend  das  Wichtigste  und  auf  ihr  exaktes  und  sym¬ 
metrisches  Anlegen  ist  das  größte  Gewicht  zu  legen.  Der  zir¬ 
kuläre  Verschluß  der  Gefäße  wird  dann  durch  fortlaufende  Naht 
meist  mit  einer  geraden  Nadel  erzielt.  Nach  Abnahme  der  Klemmen 
tritt  meist  aus  einigen  Stiebkanälen,  besonders  aus  jenen  der 
Haltefäden  eine  mehr  weniger  starke  Blutung  auf,  die  man  aber 
regelmäßig  durch  Kompression  stillen  kann.  Steht  sie  in  seltenen 
Fällen  nicht,  so  werden  ein  bis  zwei  Hilfsnähte  über  die  blutende 
Stelle  angelegt.  Nabt  der  Gefäßscheide  wird  im  allgemeinen  unter¬ 
lassen.  Die  Schlüsse,  die  die  Autoren  aus  ihren  Experimenten 
ziehen,  sind  folgende:  1.  Die  Wiedervereinigung  cfuer  durch- 
trennter  Arterien  läßt  sich  mittels  der  angegebenen  Nabtmelbode 
an  großen  wie  an  kleinen  Gefäßen  ohne  besondere  Schwierig¬ 
keit  ausführen.  Die  Methode  stellt  —  eine  richtige  Technik  und 
aseptische  Wunde  vorausgesetzt  —  mit  großer  Sicherheit  die 


Funktion  wieder  her.  2.  Zum  Ersätze  resezierter  Arterienalt¬ 
schnitte  eignen  sich  am  Iteslen  Arterienstücke  des  gleichen  Indi¬ 
viduums,  hzw.  eines  Tieres  der  gleichen  Spezies.  3.  Es  gelingt 
jedoch  auch,  Arterienstücke  von  frisch  getöteten  Tieren  derselben 
Spezies  einzupflanzen.  4.  Aueb  die  Implantation  von  Arterien¬ 
abschnitten  einer  fremden  Tierspezies  ist  möglich.  5.  Es  gelingt 
selbst  die  Einpflanzung  eines  Venenstückes  in  eine  Arterie,  wobei 
sich  die  Vene  sehr  bald  dem  artei'iellen  Drucke  anpaßt,  indem 
ihrej  Wand  an  Stärke  und  Dicke  zunimmt.  —  (Beiträge  zur 
klinischen  Chirurgie,  Bd.,  53,  H.  1.)  .  E.  V. 

,j  275.  (Aus  dem  Westminster-Hospital.)  U e be r  e i n e n  Fall 
von  inoperablem  Karzinom,  der  mit  Trypsin  be¬ 
handelt  wurde.  Von  Dr.  Bertram  A b  r aha  m  s.  Verf.  beschreibt 
einen  —  durch  die  Obduktion  bestätigten  Fall  —  von  Alveolär¬ 
karzinom  der  rechten  Pleura  mit  einer  iMetastase  in  der  Leber. 
Es  war  hiebei  die  von  Shaw- Mackenzie  empfohlene  Trypsin¬ 
therapie  erfolglos  verwendet  worden.  Verf.  hatte  .sich  genau  an 
die  Angaben  des  genannten  Autors  gehalten.  Die  Trypsinbeband- 
lung  besteht  im  wesentlichen ,  in  subkutanen  Injektionen  von 
Solutio  Trypsini  acidi.  unter  abwechselndem  Zusatz  von  Seifen- 
lösung  und  eines  Terpentinpräparates.  (Da  eine  derartig  durch- 
gefphrte  Therapie  auf  einer  völligen  Verkennung,  der  Grundtat¬ 
sachen  der  Fermentchemie  beruht,  so  wäre  ihre  Erfolglosigkeit 
schon  von  vornherein  vorauszusagen  gewesen,  Ref.)  —  (Lancet, 
9.  Februar  1907.)  J.  Sch. 

276.  (Aus  dem  medizinisch-poliklinischen  Institute  der  Uni¬ 
versität  Berlin  — ■  Direktor;  Geh.  Med.  -  Rat  Urof.  Dr.  Senator.) 
Ue.ber  Saransonsche  Ozelbäder.  Von  Stabsarzt  Doktor 
Schiit  gen,  Assistent  der  klinischen  Abteilung.  Die  Sauerstoff¬ 
bäder  werden  nach  Dr.  L.  Sara  ns  on  so  hergestellt,  daß  in 
jeder  beliebigen  Badewanne  dem  einfachen  Badewasser  (man 
kann  auch  ein  natürliches  Mineralwasser  oder  Seewasser  wählen) 
nacheinander  ca,  300  g  Natriumperborat  (ein  weißes  kristallinisches 
Salz)  und  ca.  30  g  Manganborat  (ein  weißcsi  Pulver)  als  Kata¬ 
lysator  zugesetzt  werden.  Die  zwei  Pulverarten  'werden  gleich¬ 
mäßig  über  die  ganze  Oberfläche  des  Wassers  verteilt.  Nach 
ein  bis  ZAvei  Minuten  entwickelt  sich  reichlicli  freies,  aktives 
Sauerstoff  gas  in  Form  kleiner  Bläschen.  Das  Badewasser  erhält 
anfangs  eine  milchaiiige  Färbung,  wird  dann  dunkelbraun  von 
gebildetem  Mangansuperoxyd,  welches  sich  auch  an  die  Haut 
des  Patienten  anlegt  und  auf  dem  Boden  der  Badewanne  zurück¬ 
bleibt.  Die  Gasentwicklung  hält  15  bis  20  Minuten  an.  ,, Ozon¬ 
haltiges“  Sauerstoffgas  —  wie  Sara  ns  on  behauptet  —  bildet 
sich  nicht.  Die  Wirkung  des  Bades  ist  der  der  kohlensauren 
Bäder  sehr  ähnlich :  lebhaftes  Prickeln  auf  der  Haut,  angenehmes 
Wärmegefühl,  allgemeines  Wohlbefinden,  hinlerher  großes  Schlaf¬ 
bedürfnis.  Diese  Ozetbäder  wurden  an  einer  gesunden  und 
14  'schwerkranken  Personen  angewendet.  Man  beslimmle  dabei 
die  Pulszahl,  den  Blutdruck  und  die  Körperwärme  vor,  in  und 
nach  dem  Bade.  Die  Patienten,  waren  auch  im  Bade  in  liegender 
Steilung.  Der  Verfasser  gibt  in  Tabellen  die  erhaltenen  Resultate; 
weiche  sich  dahin  zusammenfassen  lassen,  daß  bis  auf  einen 
Fall  die  Ozetbäder  in  der  Regel  gut  verlra.gen  wurden.  Im 
ganzen  wurden  60  Bäder  gereicht.  Die  Pulszahl  wurde  durch 
das  Ozetbad  etwas  herabgedrückt,  ein  irregulärer  Puls  wurde 
kräftiger  und  energischer.  Der  Blutdruck  stieg  zuweilen  in  die 
Höhe,  viel  häufiger  jedoch  wuiile  er  wenig’  alteriert  oder 
er  fiel.  Die  Körpertemperatur  änderte  sich  nicht  wesentlich. 
Günstig  beeinflußt  wurden  in  erster  Linie  nervöse  Erkrankungen 
(Neurosen,  Hysterie,  Neurasthenie),  dann  aber  auch  Herzkrank¬ 
heiten  aller  Art,  namentlich  solche,  welche  auf  nervöser  Basis 
beruhen.  Die  Bäder  sind  leider  sehr  teuer,  zumal  zu  einer  Kur 
30  Bäder  erforderlich  sind.  Sie  sind  den  kohlensauren  Bädern 
vorzuziehen,  da  bei  diesen  die  Atmosphäre  durch  stärkeren  Ge¬ 
halt  an  Kohlensäure  verschlechtert  wird.  —  (Die  Therapie  der 

Gegenwart,  April  1907.)  F.  F. 

* 

277.  Aus  der  Kreiskranken-  und  Pflegeanslalt  der  Pfalz,  in 
Frankenfhal.  Zur  Behandlung  der  T y  p  h u s  b a z i  1 1  e  n- 
träger.  Von  Oberarzt  D.  Dabier.  Typhusbazillenträger  bilden 
jederzeit  eine  große  Gefahr  für  die  Gesundheit  ihrer  Umgebung. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


'  Nr.  22 


u/b 

Forisler,  Kayser  und  ßlunientiial  skdlteii  die  Galloii))lase, 
respektive  die  Galienwege  als  Brutslätbe  der  Typhusbazillen  bei 
Typlm.slrägern  biji.  Sie  fanden  in  den  Gallenblasen  von  sieben 
Typbusleichen  jedesmal  Tyjdiusbazillen  in  Reinkultur;  je  weder 
analwärts  aus  dem  Ranne, (lie  Proben  enlnonnnen  wurden,  deslo 
weniger  Typliusbazillen  enlbielten  sie.  Auf  Grund  dieser  Kennt¬ 
nisse  ging  Verf.  bei  zwei  könstaiden  Typhusbazillenträgerinnen 
in  der  Anstalt  vor.  Die^e  zwei  Palientinncn  haben  jahrelang 
einige  Säle  der  Irrenabteilung  durchseucht,  bis  ihre  Infekliosität 
entdeckt  wurde.  Beide  stehen  nun  seit  1904  in  des  Verfassers 
Behandlung  in  steter  bakteriologischer  Kontrolle.  Die  eine, 
46  Jahre  alt,  lieferte  bei  39  Sluhluntersuchüilgen  37nial  positiven 
Befund  von  Typliusbazillen.  Ini  Urine  und  Blute  waren  l'yphus- 
bazillen  nicht  nachzuweisen.  Die  Widalsche  Reaktion  war  bei 
1:50  stets,  oft  bei  1:100  positiv.  •  Sie  litt  ,  seit  zwei  Jahren  an 
Diarrhöen  mit  Schleini'.  und  Blutabgang;  haltö  einen  Mastdarm- 
vorfall,  fühlte  sich  aber  sonst  ganz  gesund.  Alle  internen  IVIiUel 
zur  Vertreibung  der  Typhusbazillen  wurden  vergebens  angewendel. 
Daher  entschloß  sich  Verf.,  die  Gallenwege  der  Patienlin  operativ 
zu  reinigen.  Diese  Operation  ist  also  die  ,,erste‘'‘  an  den  Gallen¬ 
wegen,  die  nur  aus  genannter  Indikation  unternommen  wurde. 
Am  20.  August  1906  löste  Verf.  die  Gallenblase  aus  mehreren 
VenvachsLingen,  eine  steril  entnommene  Gallenprobe  enthielt 
Typhus-  und  Kolibazillen.  Aus  der  eröffneten  Gallenblase  wurden 
zwei  Steine  entfernt;  der  eine  hatte  den  'Ductus  cysticus  er¬ 
weitert.  Nach  seiner  Entfernung  floß  reichlich  Galle  ab,  so  daß 
die  Entfernung  der  ; Gallenblase  und  Hepatikusdrainage  unnötig 
erschien,  ln  den  Ductus  cysticus  wmrde  ein  dicker  Schlauch 
eingelegt  und  aUs  der  Wunde  in  ein  vAuffanggefäß  geleitet.  Die 
lleiiung  nahm  einen  ungestörten  Verlauf;  die  Wunde  wurde  mög¬ 
lichst  lange  offen  gehalten.  Die  entleerte  Galle  enthielt  anfangs 
Typhus-  und  Kolibazillen,  vom  24.  August  an  Typhushazillen 
massenhaft  in  Reinkultur.  Gallenblase  und  Ductus  cysticirs  wurden 
vom  5.  September  an  durch  einen  tief  eingeführten  Katheter 
mit  3“/oiger  Borsäure  und  dann  mit  10°/oiger  Höllensteinlösung 
gründlich  gespült;  trotzdem  enthielt  die  Galle  Typhusbazilleii 
,, 'massenhaft  in  Reinkultur“.  Erst  21  Tage  nach  der  Operation 
enthielt  die  aus  der. Fistel  abfließende  Galle  bei  17  verschiedenen 
Proben  keine  Typliusbazillen  mehr,  um  später  wieder  zu  er¬ 
scheinen  und  endlich  Mitte  Dezember  enthielt  das  Fistelsekret 
keine  Typliusbazillen  mehr.  In  den  Kotproben  wurden  vom 
•24.  August'  an  keine  Typliusbazillen  gefunden,  während  sie  vor 
der  Operation  jedesmal  reichlich  im  •Kote  nachgewiesen  wurden. 
Die  Patientin  bat  durch  den  Gallenverlust  keinen  Schaden  er¬ 
litten;.  seit .  se(|hs  Monaten  keine  Diarrhöen  mehr,  kein  Blut- 
und  kein  Schleimabgang;' der  Mastdarm  wird  seit  der  Operation 
selten  vorgedrängt.  Aus  diesem  Falle  ergibt  sich:  die  entzündlich 
verändeite  Gallenblase  kann  ein  Schlupfwinkel  für  Typhusbazillen 
sein.  So  lange  die  Galle  aus  der  Gallenfistel  reichlicb  ab  floß', 
waren  die  Typliusbazilleh  spärlicher;  als  mit  Verengerung  der 
Fistel  die  Galle  langsamer  abfloß  und  ihre  anreichernde  Eigen¬ 
schaft  zur  MTrkung  kam, ,  erschienen  zahlreicher  Typhusbazdlen. 
Nach  Schluß  der  Fistel  können  sich  die  Typhusbazillen  in  der 
nirgends  mehr  stagnierenden  Galle  nicht  mehr  anreichern  und 
vermehren ;  die  Galle  Wird  kontinuierlich  in  den  Darm  abgeleitet, 
ln  den  letzten  zwei  Monaten  wurden  Cholagoga,  Cholelysin, 
Kalomel  systematisch  verabreicht.  Verf.  glaubt,  daß  das  nun¬ 
mehr  sechs  Monate  währende  befriedigende  Residtat  eine  Aus¬ 
räumung  und  Verödung,  bzw.  totale  Entfernung  der  Gallenblase 
bei  Typhusträgern  in  gcreigneten  Fällen  als  berechtigt  erscheinen 
läßt,  solange  ihnen  nicht  durch  erhöhte  Immunisierung  auf  sero- 
Iherapeutischem  Wege  odei’  durch  andere  Mittel  radikale  Heilung 
verschafft  werden  kann.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift 
1907,  Nr.  16.)  ...  ■  '  G. 

*  ; 

278.  lieber  die  Serum  the  rapie  der  bazillären 
Dysenterie.  Von  Vaillard  und  Doptcr.  Es  wurden  im 
Jahre  1906  im  ganzen  243  Dysenteriefälle  mit  dem  bakteriziden 
und  antitoxischen  Serum  der  gegen  den  Dysenteriebazillus  im¬ 
munisierten  ITerde  behandelt,  darunter  43  Fälle  in  Irrenan¬ 
stalten.  Von  den  außerhalb  der  Irrenanstalten ’Behandelten  ge- 
h()rlc  die  Hälfte  in  die  Kategorie  der  schweren  und  schwersten 
Fälle  und  es  b(jtrug  hier  die  Mortalität,  mit  Einrechnung  jener 


,  Kranken,  die  zur  Zeit  der  Serumbehandlung  sich' bereits  in  mori¬ 
bundem  Zustande  befanden,  5T(>,  wählend  die  Mortalitäl  sonst 
selbst  über  50°/'o  ansteigen  kann.  Die  Wirksamkeit  des  Serums 
zeigt  sich  nicht  nur  in  der  Herabsetzung  der  jMortalität,  sondeiai 
auch  in  der  unmittelbar  nach  der  Amvendung  sich  einstellenden 
Besserung  und  der  raschen  Heilung.  Die  Schmerzen  im  Ab¬ 
domen  und  der  Tenesmus  nehmen  schon  nach  einigen  Stunden 
ab,  ebenso  werden  die  Stuhlentlecrungen  seltener,  der  Eiter- 
und  Schleimgelialt  nimmt  ab  und  die  Stühle  nähern  sich  immer 
mehr  der  normalen  Beschaffenheit.  Mittelschwere  Dysenteriefälle 
werden  in  ein  bis  zwei  Tagen  kupiert,  bei  schweren  Fällen 
tritt  vollständige  Heilung  nach  sechs  bis  acht  Tagen,  bei  an¬ 
scheinend  verzweifelten  Fällen  nach  12  bis  15  Tagen  ein.  Wenn 
man  sicheren  Erfolg  bähen  will,  so  muß  man  mit  der  Behandlung 
zu  einer  Zeit  beginnen,  wo  die  Zellen  des  Organismus  noch 
ihre  Reaktionsfähigkeit  besitzen.  Die  Dosierung  des  Serums  muß 
der  Intensität  der  Infektion  entsprechen;  für  mittlere  Fälle  ge¬ 
nügen  Dosen  von  20  cm®,  in  schwereren  und  nicht  ganz  frischen 
Fällen  sind  größere  Dosen,  50  bis  100  cm®  erforderlich.  Die 
■  Dysenterie  ist  in  den  Irreuanstalten  ein  häufiges  Vorkommnis, 
die  Mortalität  ist  namentlich  hei  Paralytikern  und  dementen 
Kranken  hoch  und  kann  bis  25°/o  ansteigen.  Es  wurde  angegeben, 
daß  die  Dysenterie  der  Geisteskranken  durch  besondere  Bazillen 
hervorgerufen  wird,  doch  sind  bei  einer  Anzahl  von  Fällen  die 
typischen  Formen  der  Dysenteriebazillen  mit  Sicherheit  nach¬ 
gewiesen  worden.  Bei  der  Dysenterie  der  Geisteskranken  hat 
die  Serumtherapie,  so  wmit  es  sich  um  herahgekommene  kachek- 
tische  Individuen  handelte,  nicht  so  gute  Resultate  gegeben  vrie 
sonst,  dagegen  waren  bei  kräftigen  Geisteskranken  die  Resultate 
der  frühzeitig  angewendeten  Serumbehandlung  durchaus  günstig. 
Das  Dysenterieheilserum  ist  nicht  nur  das  spezifische  Heilmittel 
gegen  Dysenterie,  sondern  besitzt  auch  eine  präventive  Wirkung. 
—  (Bull,  de  PAcad.  de  Med.  1907,  Nr.  15.)  a.  e. 

* 

279.  (Aus  der  Grazer  Chirurg.  Klinik.)  Pathologische 

Luxation  einer  Becken  hälfte  und  Zerstörung  der 
A  r  t  i  c  u  1  a  t  i  o  s  a  c  r  o  i  1  i  a  c  a  durch  eine  K  a  r  z  i  n  o  m  m  e  t  a- 
stase.  Von  Prfv.-Doz.  Dr.  M.  Hof  mann.  Wenn  man  zu  den 
Luxationen  nur  jene  Fälle  zählt,  in  welchen  es  tatsächlich  zu 
einer  richtigen  Verschiebung  der  Beckenknochen  gegeneinander 
gekommen  ist,  so  konnte  Hof  mann  bisher  üherhaupt  keinen 
sicheren  Fall  einer  Destruktionsluxation  der  Beckenknochen  nach- 
weisen.  Im  Falle  Hof  mann  s  handelt  es  sich  aber  um  die 
Zerstörung  der  linken  Articulatio  sacroiliaca  durch  die  Meta¬ 
stase  eines  Mammakarzinoms  und  ausgesprochener  Luxation  der 
linken  Beckenhälfte.  Die  Diagnose  wurde  durch  das  Röntgenbild 
sichergestellt,  welches  eine  vollkommene  Zerstörung  der  linken 
Articulatio  sacroiliaca  ergab.  Charakteristisch  waren :  Schmerzen 
im  Bereiche  des  Plexus  ischiadicus,  welche  sich  beim  Gehen 
und  Stehen  steigerten ;  Beweglichkeit  beider  Beckenhälften  gegen¬ 
einander  auf  Druck,  Höherstehen  der  einen  Beckenhälfte,  das 
sich  durch  Zug  an  der  entsprechenden  unteren  Extremität  zum 
Ausgleich  bringen  ließ,  eine  deutlich  nachweisbare  Stufe  an  der 
Symphyse.  Als  ungünstig  für  die  Entwicklung  einer  derartigen 
Luxation  der  einen  Beckenhälfte  bei  Karies  der  Articulatio  sacro¬ 
iliaca  muß  der  Umstand  angesehen  werden,  daß  es  erst  in  relativ 
sehr  w'eit  vorgeschrittenen  Stadien  der  Erkrankung  zur  Zer¬ 
störung  der  mächtigen  Bandmass'en,  die  die  Gelenksspalte  nach 
hinten  zu  abschließen,  kommt  und  damit  erst  spät  Lockerung 
des  festen  Beckengefüges  eintritt,  während  im  vorliegenden  Falle 
durch  frühzeitige  Zerstörung  dieser  Bandmassen  durch  das  Kar¬ 
zinom  Gelegenheit  zur  allmählichen  Ausbildung  einer  typischen 
Destruktionsluxation  der  ganzen  Beckenhälfte,  durch  Belastung 
derselben  durch  den  Gehakt,  gegeben  war.  —  (Beitrag  zur 
klinischen  Chirurgie,  Bd.  53,  H.  1.)  E.  V. 

♦ 

280.  Erfahrungen  an  100  Fällen  von  Lumbalan¬ 
ästhesie.  Von  Wiener  und  de  Graeuwe  in  Brüssel.  Für 
die  Lumbalanästhesie  eignen  sich  nur  Operationen  an  tiefer  ge¬ 
legenen  Teilen,  .wenn  man  in  höher  gelegenen  Teilen  operieren 
will,  so  empfiehlt  es  sich,  gleichzeitig  Morphium  -  Skopolaminin- 
jektionen  zu  verwenden.  Es  soll  die  Lumbalanästhesie  nur  hoi 
envachsenen  Personen  angewendet  werden,  bei  denen  wegen  des 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


677 


Zustandes  der  innere)).  Urg:i))e  oder  wegoi  des  lok;Ue)i  Hetundes, 
zuni  Beispiel  diabetische  Cuingrän,  die  Allgeniei)uuiästliesie  koni ra- 
indiziert  ist.  Kine  ])ulikalio)i  zur  Lu))il)ala)iästliesic  ist  aucli  dann 
gegeben,  wenn  unte)'  Verl)äll))isse))  operiert  werden  muß',  wo 
keine  Assisbuiz  zur  Voitigung  stebl.  Die  ])),jeklion  wird  i)i 
sitzender  Ilallung  des  Kr;i))ke)i  in  der  Medianlinie  zwiscboi  don 
dritten  u)id  vierten  Lendenwirbel  vorgeno)nnien.  Zahlreiche  Pu))k- 
tionen  zinn  Zwecke  der  I))jektion  sind  zu  veianeiden,  weil  da¬ 
durch  sub)neningeale  Häniorrhagien  ho'vorgerufen  werden,  wenn 
ein  gewisses  Quantum  vo)i  Zerehrospi))alflüssigkeit  ahgeflossen 
ist.  Nach  erfolgter  Injektion  prüft  man,  um  sicdi  vom  Vorhanden¬ 
sein  der  Analgesie  zu  überzeugen,  die  Soisihilität,  indem  )ua)i 
de)i  Patienten,  um  Suggeslio))  zu  vennekle)),  oh]ie  sei)i  Wissen 
kneift;  der  Beginn  der  A)ialgesie  kündigt  sich  auch  durch  das 
Verschwinden  der  Reflexe  an.  Zur  Anästhesie  wurden  vorwiegend 
Stovain,  Novokain  und  Tropakokain,  seltmier  Alypi)i  und  nur 
in  einem  Falle  Kokain  verwendet.  Die  Zahl  der  Fälle  )nit  unzu¬ 
reichender  oder  fehlender  A)iästhesie  betrug  25  bis  28®/'i,  d;i 
die  Mißerfolge  nicht  aus  technischen  Fehleiar  oder  schlechter 
Beschaffenheit  der  Anästhetika  erklärt  werden  können,  so  er¬ 
scheint  die  Annahme  plausibel,  daß  die  Affinität  des.  Nerven¬ 
systems  für  Anästhetika  individuell  variiert.  Von  Ko)nplikationen 
wurde  hei  einer  geringen  Anzahl  von  Fällen  Neig'iuig  zur  Syn¬ 
kope,  Erbrechen,  Darminkontinenz,  von  späteicm  Ko)))plikationen 
Blasenparese,  welche  die  Anwendung  des  Katheters  erforderlich 
)nachte,-  Kopfschmerz,  Racdiialgie  beobachtet.  Nicht  selten  wurde, 
namentlich  bei  sehr  blutigen  Operationen  Temperatursteigerung 
trotz  strenger  Asepsis  beobachtet.  In  zwei  Fällen  wmale  x4ugen- 
)nuskellähmung,  Paralyse  des  Rectus  externus  konstatiert,,  welche 
spontan  zurückging.  In  der  Literatur  sind  bisher  elf  -  derartige 
Fälle  beschrieben,  welche  gleichfalls  spontan  zurückgingen.  Die 
Augemnuskellähmungen  treten  nicht  u)imittelbar,  so)idern  drei 
bis  elf  Tage  nach  der  Lumbalanästhesie  auf,  wodurch  ihre  Er- 
kläning  erschwert,  wird.-  Als  Folgezustände  der  Lmnbalanästhesie 
würden  auch  Obsti]Hition,  Erbrechen,  a)n  Tage  nach  der  Anästhesie 
lujd  lanzinierende  Sclunerzen  beobachtet.  —  (.lourn  )ned.  de 
Brux;  T9Ö7,  Nr.  15.)  a.  e. 


Nekrolog. 


Hofrat  Prof.  Dr.  Moritz  Friedrich  Roll  f- 

Ein  hochgeachteter  Mann,  ein  hervorragender  Gelehrter  yo)i 
Weltruf  und  ein  Organisator  auf  dem  Gebiete  der  Veterinännedizin 
ist  aus  unserer  Mitte  geschieden  u)id  wurde  am  21.  Mai  d.  J. 
auf  dem  Grazer  Friedhofe  zur  ewigen  Ruhe  bestattet.  Unsere 
traurige  Pflicht  ist  es,  nochmals  der  Taten  seines  vielbewegten 
Lebens  zu  gedenken  und  mit  dem  letzten  Gruße  i\.bsctiied  zu 
nehmen  von  deni  teueren  Verblichene)i.  Vor  einem  halben  .Tahrhirn- 
derte  war  es,  als  der  strebsame  junge  Beamtenssolm,  iMoritz  Roll 
in  Wien,  seiner  Vaterstadt,  zum  Doktor  der  Medizin  promoviert, 
sich  den  Vetei'inärwissenschaften  zuwendele.  Im  Jahre  1845  er¬ 
langte  er  das  Diplom  eines'  Veterinärs  und  wurde  sogleich  zu)n 
Lehrfache  herangezogen  und  mit  der  Supplierung  der  zwei  wich¬ 
tigsten  Disziplinen  der  Veterinär)nedizin,  Pathologie  und  Therapie, 
sowie  Seuchenlehre  betraut.  Bald  sehen  wir  den  wiederholt  be¬ 
lobten  Korrepetitor  der  Schule  in  das  praktische  Leben  treten, 
er  versah  durch  drei  Jahre  den  Dienst  eines  Landestierarztesi 
in  Prag.  Aus  jener  Zeit  stammt  sei))  enormes  Wissen  und  Können 
auf  dem  Gebiete  des  Seuchen wesens,'  seities  nachmaligen  Lieblings- 
studimns  Die  stürmische  Zeit  des  Achtundvierzigerjahres  entschied 
auch  über  das  Schicksal  der  IViener  Vete.rinärscbule,  sie  wurde 
dem  k.  und  k.  Reichskriegsministerium  einverfeibt  und  vom  Grunde 
aus  neu  organisiert.  Schon  während  der  lätigkeit  als  Landes¬ 
tierarzt  erregte  der  nun  Verstorbene  die  Aufmerksamkeit  der  Vorge¬ 
setzten  in  dem  Maße,  daß  er  als  der.  richlige  Mann  erkannt 
wurde  welcher  die  Neuorganisatiou  der  Schule  diirchzufüliren 
imstande  sei.  Im  Jahre  1849  erfolgte  die  Berufung  Rölls  als 
Professor  der  Veterinärschule  und  als  jüngste)-  i))i  Kollegium 
bestätigte  das  Ministerium  im  Jahre  1852  seine  Beförderung  zum 
Studiendirektor.  Zugleich  erfolgte  seine  Ernennung  zum  außer¬ 
ordentlichen  Professor  der  Wiener  Universität,  mit  dem  Lehr- 
«'itiftrn.gG  der  ScucdieiilGhrc  und  wurde  er  ziun  L  rüfei  det  ärz 
liehen  Pbysikatskandidaten  ernannt. 


Als  Gelehrter  und  Grgiuiisator  entfaltete  der  Verstorboie 
durch  27  .lahre  ei)io  rege,  segensreiche  Tätigkeit  zum  Nutzen 
und  ziuii  From))iei)  der  Schule  luid  der  gaiizoi  Veterinärmedizin. 
Eine  rechte  Sisypbusa)beit  war  es,  die  kau)n  der  E)npirie  ent¬ 
rückte  Veteri)iärmedizi)i  auf  das  Niveau  ei)ier  Wissenschaft  zu 
bringen;  seinen  geistigen  Fähigkeiten  und  seiiier  rastlosen  Tätig¬ 
keit  ist  es  gelungen,  dieses  Ziel  zu  erreichen.  Daß  unsere  Schule 
heute  den  Rang  einer  Hochschule  einnimmt,  verdanken  wir  zu)n 
größten  Teile  dem  Verstorbenen,  ihm  war  die  schwere  Vorarbeit 
zuteil  und  wir  ernten  nur  das,  was  Roll  in  so  reichlichem 
Maße  gesät  hat. 

Seine  wissenschaftliche  Tätigkeit  begaiin  er  mit  der  Grün¬ 
dung  einer  Zeitschrift,  welche  unter  dem  Titel:  ,,Oesterreichi3che 
Vierbeljahresscbrift  für  Veterinärkunde“,  im  Vereine  mit  den  da¬ 
maligen  Mitgliedern  der  Schule  herausgegeben  wurde.  Zu  jener 
Zeit  das  anerkannt  beste  Fachorgan,  gleichgestellt  den  Akademie¬ 
schriften.  Zahlreiche  wissenschaftliche  Aufsätze,  Ergebnisse  seiner 
Forschung  und  Experimente  auf  dem  Gebiete  der  Seuchen¬ 
lehre,  entstammend  seiner  geübten  Feder,  zieren  jene  Zeitschrift. 
In  der  Tierseuchenfrage.  in  der  Cestodenwanderimg  und  hin¬ 
sichtlich  der  Rinderpest  hat  Röll  Hervorragendes  geleistet.^ 

.Von  den  Lehrbüchern,  die  der  Verstorbene  verfaßt  hat,  sind 
anzuführen:  Lehrbuch  der  Physik  für  Tierärzte,  Arzneimittel¬ 
lehre,  Lehrbuch  der  Pathologie  und  Therapie  und  endlich  die 
Seuchenlehre.  Die  umfangreichen  Werke  haben  allenthalben  die 
ungetrübte  Anerkennung  gefunden,  sie  sind  wiederholt  verlegt 
und  in  die  Kulturspracben  übersetzt  worden.  Der  damaligen 
Zeit  entsprechend,  wurden  in  diese  Lehrbücher  verwandte  Zweig¬ 
wissenschaften  einbezogen,  welche  gegenwärtig  selbständige  Dis- 
zipline))  bilden.  Die  allgemeine  Pathologie,  die  pathologische  Ana¬ 
tomie,  die  Parasitenkunde  und  in  neuester  Zeit  die  Bakteriologie 
sind  in  seinen  Lehrbüchern  Pathologie  und  Seuchenlehre  in 
mustergültiger  Art  und  eingehendst  verwertet.  Dabei  ist  die  Ver¬ 
teilung  des  Lehrstoffes,  die  Sprache  und  die  Fülle  des  Materiales 
von  der  Beschaffenheit,  daß  diese  Werke  noch  immer  den  ersten 
Rang  einnelunen  und  die  reichhaltige  Grundlage  der  moderne)i 
Lehrbücher  dieser  Disziplinen  ausmachen.  Aus  einem  AVerke 
Rölls  konnten,  dem  reichen  Inhalte  nach,  drei  Bücher  geschrieben 
werden. 

Als  Lehrer  wußte  der  Verstorbene  seine  Gegenstände  so 
fesselnd  zu  beherrschen,  daß  seine  Schüler  wie  gebannt  seiner 
geistig  durchdachten  Rede  lauschten  und  mit  Befriedigung  die 
Lehrstunde  verließen,  weil  sie  sicher  waren,  ihr  ^\  issen  be¬ 
reichert  zu  haben. 

Aber  auch  als  Organisator  hat  der  Verstorbene  im  Dienste 
des  Staates  und  zum  Wolde  der  Menschheit  Hervorragendes  ge¬ 
leistet.  Die  Bedeutung  der  Tierseuchen  vom  materiellen  Stand¬ 
punkte  und  die  Gefährlichkeit  der  einzelnen  gegenüber  den 
Menschen,  kamen  erst  so  recht  zur  Geltung  durch  die  von  Röll 
verfaßten  Gesetze  der  Seuchen tilgung  —  sein  letztes  und  sein  be¬ 
deutendstes  Werk.  Die  Tierseuchengesejze  aus  dem  Jahre  1880 
sind  noch  heute  dieselben  geblieben,  sie  sind  so  geistig  durch¬ 
dacht  und  vollendet,  daßi  selbst  die  Neuzeit  a)i  ihne)i  nicht  rütteln 
noch  irgend  etwas  verderben  konnte.  Ibre  Bedeutung  anerkennt 
die  ganze  Welt  und  sie  bilden  die  Grundlage  aller  Gesetze  dieser 

Art  in  den  fremden  Staaten.. 

Als  Mensch  war  der  Verstorbene  allgemein  geachtet  und 
geliebt;  daß  auch  wir,  seine-  Schüler,  Kollegen  und  Freunde, 
den  getreuen  Lehrer  und  den  großen  Gelehrten^  hochachteten, 
beweist  der  Umstand,  daß  seine  Büste  uiid  sein  Bild  schon 
lange  die  Ruhmeshalle  unserer  Hochschule  zieren. 

Die  Verdienste  des  Verblichenen  konnten  nicht  unbeachtet 
bleiben,  hohe  Auszeichnungen  seines  Vaterlandes  und  des  Aus- 
la)ides  Avurden  ihm  zuteil.  Er  war  Ritter  des  Franz  -  Joseph- 
Ordens,  des  Kronenordens  Hl.  Klasse,  Ritter  des  k.  r.  Stanis- 
lausordens  H.  und  Hl.  Klasse,  des  k.  r.  Annenordens  H.  Klasse, 
von  den  Titeln  si)rd  anzuführen:  k.  k.  Hofrat,  Vlitglied  des^  Obersten 
Sanitätsrates,  a.  o.  Universitätsprofessor,  Referent  i)n  Ministerium 
des  Innerir,  eine  Position,  welche  Röll  geschaffen  hat  und  als 
erster  inne  hatte ;  ferner  Ehrenmitglied  zahlreicher  wissenschatt- 
licher  Gesellschaften  des  In-  und  iVuslandes. 

Während  die  sterbliche  Hülle  des  Verblichenen  der  Erde 
übergeben  wird,  strebt  sein  Geist  den  lichten  Höhen  des  ev\ige)i 
Lebens  zu;  seine  Geisteswerke  aber  entflal lern  nach  allen  Rich¬ 
tungen  des  Weltalles  )ind  werdoi  i)u  Herze)!  seiner  Schüler  uue 
Fachgenossen  ei)i  bleibe)rdes,  elirendes  Andenken  i)nderr,  der 
Name  Röll  wird  mit  goldenen  Lettern  ruid  unauslöschlicber  Schritt 
in  der  Literatur  der  Veterinärmedizin  forlleben. 

Ehre  seinem  Andenken! 

Dr.  Johann  Csokor,  k.  u.  k.  Professor. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


biö 


Vcrmisehte  l^aehriehten. 

Habilitiert:  Dr.  E.  d’Anna  für  externe  Pathologie  in 
Rom.  —  Dr.  0  r  1  o  w  s  k  i  für  innere  Medizin  an  der  milit.-med. 
Akademie  in  Petersburg. 

♦ 

Gestorben:  ln  Graz  Hofrat  Dr.  Moritz  Roll,  außer¬ 
ordentlicher  Universitätsprofessor  d.  R.  an  der  WGener  Universität, 
vormals  Mitglied  des  Obersten  Sanitätsrates. 

♦ 

Professor  Geh.  Med. -Rat  Dr.  Rob.  Olshausen,  Direktor 
der  Klinik  für  Frauenkrankheiten  und  Geburtshilfe  in  Berlin, 
feierte  am  20.  Mai  das  Fest  der  50jährigen  Doktor]ubelfeier. 

♦ 

Donnerstag  den  6.  Juni  d.  J.,  um  5  Uhr  nachmittags,  findet 
im  Festsaale  der  k.  k.  Universität  Wien  aus  Anlaß  der  Auf¬ 
stellung  des  Denkmals  des  Universitätsprofessors 
Dr.  Karl  Stoerk  eine  Feier  statt,  bei  der  Prof.  Ottokar  Chiari 
die  Festrede  halten  wird. 

>i< 

Am  13.  Mai  d  J.  waren  es  zweihundert  Jahre  ,daßi  Karl 
V.  Linne  in  Rashult  in  Smaland  (Schweden)  gehören  wurde 
Als  Botaniker  und  Biolog  mit  unsterblichem  Ruhm  bedeckt,  blieb 
auch  sein  ärztliches  Wirken  nicht  ohne  Bedeutung.  Schüler  Boer- 
haves,  vertrat  er  in  seinen  wissenschaftlich-niedizinischen  Arbei¬ 
ten  iatromechanische  und  iatrochemische  Ideen.  In  Upsala  hekleidete 
er  eine  Lehrkanzel  für  theoreti.sche  und  praktische  Medizin  und 
wenn  auch  die  Botanik  immer  mehr  zur  eigentlichen  Domäne 
seiner  hahnhrechenden  Forschungen  wurde,  so  blieh  er  doch 
immer  zur  praktischen  und  theoretischen  Heilkunde  in  nahen 
Beziehungen.  In  seiner  Arbeit:  Genera  morborum  (Upsala  1763) 
führte  er  alle  ansteckenden  Hautkrankheiten  auf  Insekten  und 
Würmer  zurück.  So  haben  denn  auch  die  Aerzte  ganz  besonderen 
Anlaß,  sich  der  allgemeinen  Feier  anzuschließen  und  sich  mit 
Stolz  dessen  zu  erinnern,  daß  die.ser  große  Naturforscher  aus 
ihren  Reihen  hervorgegangen  ist. 

* 

Die  ungarische  o  p  h  t  h  a  1  m  o  1  o  g  i  s  c  h  e  Gesellschaft 
hielt  ihre  dritte  Versammlung  in  Budapest  am  18.  und 
19.  Mai  1907  ab. 

* 

Taschenbuch  der  me d.- klinischen  Diagnostik. 
Von  Prof.  Otto  S  e  i  f  e  r  t  -  Würzburg  und  Prof.  Friedr.  Müller- 
München.  12.  Auflage.  Verlag  von  J.  F.  Bergmann  in  Wies¬ 
baden.  Preis  M.  4.  Das  Werk  hat  entsprechend  den  Fort¬ 
schritten  der  diagnostischen  Methoden  in  den  letzten  Jahren  in 
einzelnen  Teilen  gegenüber  der  11.  Auflage  eine  wesentliche  Um¬ 
arbeitung  erfahren. 

♦ 

Das  bekannte,  von  Dr.  S.  Nitzeinadel  herausgegebene 
Therapeutische  Jahrbuch  ist  soeben  im  Verlage  von 
F.  D  e  u  t  i  c  k  e  in  Wien  erschienen.  Preis  K  4’80.  Der  vorliegende 
17.  Jahrgang  berücksichtigt  die  Literatur  des  Jahres  1906  u.  zw. 
in  demselben  Umfange  wie  in  den  früheren  Jahren. 

♦ 

Die  therapeutischen  Leistungen  de s  Jahres  1906. 
(18.  Jahrgang.)  Bearbeitet  von  Dr.  Arnold  Pollatschek  -  Karls¬ 
bad  und  Dr.  H.  N  ä  d  o  r.  Verlag  von  Bergmann,  Wiesbaden. 
Preis  M.  8’60. 

* 

V  o  r  1  äu  f  i  g  e  s  E  r  g  e  b  n  i  s  der  S  a  n  i  t  ä  t  s  s  t  a  t  i  s  t  i  k 
bei  der  Mannschaft  des  k.  u.  k.  Heeres  im  März  1907. 
Krankenzugang  20.537  Mann,  entsprechend  pro  MiHe  der  durch¬ 
schnittlichen  Kopfstärke  74  ;  an  Heilanstalten  abgegeben  7960  Mann, 
entsprechend  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopfstärke  29 ; 
Todesfälle  48  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der  durchschnittlichen 
Kopfstärke  OT. 

* 

Wie  bereits  gemeldet  wurde,  findet  den  24.  und  25.  Mai  1907 
in  der  JI.  med.  Klinik  (Geheimrat  Kraus)  der  konigl.  Charite, 
Schumannstraße  21,  in  Berlin  die  IV.  Tuberkulose-Aerzte- 
versanimlung  und  zwar  mit  folgendem  Programme  statt: 
a)  23.  Mai,  nachmittags  4  Uhr:  Besichtigung  des  Virchow-Kranken- 
hauses.  h)  24.  Mai,  vormittags  ab  9  Uhr  Vorträge:  1.  Röntgen¬ 
durchleuchtung  zur  Diagnose-  und  Prognosestellung  hei  Lungen- 
kranklieiten.  Referent:  Prof.  Dr.  Krause- Jena.  2.  Die  lymph- 
angitische  Entstellung  des  Lungenspitzenkatarrhs  von  den  Hilus- 
drüsen  aus.  Ein  röntgenologischer  Beitrag  zur  Frühdiagnose  der 
Lungentuberkulose.  Referent:  Stabsarzt  Dr.  S  tuertz-Metz.  3.  Die 
Dauer  der  Heilstättenkuren.  Referenten:  Chefarzt  Dr.  Schröder- 
Schömberg;  Landesrat  Dr.  Alt  hoff,  Westfalen-Münster.  4.  Er¬ 


fahrungen  über  Kinderheilstätten.  Referent:  Dr.  Lau  d  graf f- 
Belzig.  5.  Die  bessere  Ausnutzung  des  Nordiseeklinias  für  die 
Prophylaxe  der  Tuberkulose.  Referent:  Prof.  Tj  ade  n- Bremen. 
6.  Welche  Fälle  von  Larynxtuherkulose  können  in  den  Volks heil- 
stätten  mit  Erfolg  behandelt  werden?  Referent:  Dr.  Roepke- 
Stadtwald/Melsungen.  7.  Rationelle  Rieselfeldbewirtschaftung  im 
Betriebe  der  Heilstätten.  Referent:  Dr.  S c hu  1 1- Vogelsang.  8.  Zur 
Behandlung  der  Nachtschweiße  der  Phthisiker.  Referent:  Doktor 
Heu  er- Neuenkirchen,  c)  25.  Mai,  vormittags  9  Uhr:  Stand  der 
spezifischen  Behandlung  der  Tuberkulose.  Referent :  Chefarzt 
Dr.  Bandelier-  Kotthus. 

Mit  Bezug  auf  die  einen  Badearzt  betreffende  Mitteilung 
in  Nr.  14  dieser  Wochenschrift,  ersucht  uns  Herr  Dr.  Hugo 
S  c  h  m  i  e  d  1  in  Marienbad  festzustellen,  daß  sich  jene  Notitz 
nicht  auf  seine  Person  bezogen  hat. 

♦ 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  18.  Jahreswoche  (vom  28.  April  bis 
4.  Mai  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  694,  unehelich  255,  zu¬ 
sammen  949.  Tot  geboren,  ehelich  64,  unehelich  31,  zusammen  95. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  800  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  20‘8  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  i, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  28,  Scharlach  6,  Keuchhusten  6, 
Diphtherie  und  Krupp  6,  Influenza  1,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  7, 
Lungentuberkulose  146,  bösartige  Neubildungen  50,  Wochenbett¬ 
fieber  1.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  35  (—  10),  Wochen¬ 
bettfieber  1  ( —  4),  Blattern  0  (0),  Varizellen  44  ( —  42),  Masern  431 
( —  19),  Scharlach  94  (-f- 1),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  7  (-{-  1), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  79  (-|-  15),  Keuch¬ 
husten  61  (-j-  7),  Trachom  1  (=),  Influenza  0  (0). 

19.  Jahreswoche  (vom  5.  bis  11.  Mai  1907).  Lebend  geboren, 
ehelich  712,  unehelich  304,  zusammen  1016.  Tot  geboren,  ehelich  77, 
unehelich  26,  zusammen  103.  Gesamtzahl  der  Todesfälle  799  (i.  e.  auf 
1000  Einwohner  einschließlich  der  Ortsfremden  20'8  Todesfälle),  an 
Bauchtyphus  0,  Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  29,  Scharlach  1,  Keuch¬ 
husten  2,  Diphtherie  und  Krupp  10,  Influenza  1,  Cholera  0,  Ruhr  0, 
Rotlauf  5,  Lungentuberkulose  149,  bösartige  Neubildungen  49,  Wochen¬ 
bettfieber  3.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  48  (-|-  13), 
Wochenbettfieber  3  (-j-  2),  Blattern  0  (0),  Varizellen  56  (-|-  12),  Masern 
420  ( —  11),  Scharlach  140  (-}-  46),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus 
3  ( —  4),  Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  73  ( —  6), 
Keuchhusten  66  (-f-  5),  Trachom  1  (=),  Influenza  0  (0). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstelle  in  Annaber g,  politischer  Bezirk 
Lilienfeld  (Niederösterreich),  mit  1.  J  u  1  i  d.  J.  zu  besetzen.  Bezüge  von 
der  Gemeinde,  K  400,  von  der  Kollekliv-Genossenschaftskrankenkasse 
Annaberg  K  500 — 600,  vom  Bezirksarmenrat  Lilienfeld  K  400.  Die  bis¬ 
herige  Landessubvention  betrug  K  1200.  Freie  Wohnung,  bestehend  aus 
drei  Zimmern,  Küche  und  Nebenräumen.  Haltung  einer  Hausapotheke 
erforderlich.  Bemerkt  wird,  daß  die  Lostrennung  der  bisher  mit  Anna¬ 
berg  zu  einer  Sanitätsgemeinde  vereinigten  Gemeinde  Mitterbach  im 
Zuge  ist.  Gehörig  instruierte  Gesuche  sind  bis  1.  J  u  n  i  d.  J.  beim 
Gemeindeamte  in  Annaberg  einzubringen,  woselbst  auch  weitere  Aus¬ 
künfte  erteilt  werden. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanisätsgemeindegruppe 
R  e  i  d  1  i  n  g,  politischer  Bezirk  Tulln  (Niederösterreich),  mit  1.  Juli  d.  J. 
zu  besetzen.  Die  Sanitätsgemeindegruppe  umfaßt  die  Gemeinden  Reidling, 
Hasendorf  und  Ponsee  mit  zusammen  1657  Einwohnern  und  34'77  km* 
Flächenraum.  Gemeindebeiträge  K  234,  bisherige  Subvention  des  nieder¬ 
österreichischen  Landesausschusses  K  800.  Außerdem  stellt  die  Gemeinde 
Reidling  dem  Arzte  eine  freie  Wohnung  in  einem  neuen  Hause  bei. 
Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Bewerber  haben  ihre  Gesuche 
bis  längstens  15.  Juni  1.  J.  bei  dem  Bürgermeister  in  Reidling  einzu¬ 
bringen. 

Stelle  eines  Direktors  der  neuerrichteten  Irrenanstalt  in 
Triest  mit  einem  Jahresgehalte  von  K  8000  und  zwei  Quinquennal- 
zulagen  von  je  K  1500,  freier  Wohnung,  Beheizung  und  Beleuchtung. 
Dem  Direktor  ist  die  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  außerhalb  der 
Anstalt  nur  als  Konsiliararzt  gestattet  und  tritt  derselbe  mit  dem  Tage 
der  Eröffnung  der  Anstalt  in  den  Bezug  des  Gehaltes  und  den  Genuß 
der  sonstigen  mit  seiner  Stellung  verbundenen  Rechte  ein.  Bewerber 
um  diese  Stelle  haben  ihre  mit  den  Nachweisen  über  das  Alter,  die 
moralische  Unbescholtenheit,  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  den 
erlangten  Grad  eines  Doktors  der  gesamten  Heilkunde  oder  eines  Doktors 
der  Medizin  und  Chirurgie,  ferner  mit  den  Zeugnissen  über  ihre  bis¬ 
herige  spitals ärztliche  Verwendung  in  Irrenanstalten,  ihre  persönliche 
Eignung  und  Ausbildung  in  psychiatrischer  und  administrativer  Hinsicht, 
sowie  etwaige  wissenschaftlich-publizistische  Tätigkeit  bis  10.  Juni  d.  J . 
im  Wege  des  Einreichungsprotokolles  des  Stadtmagistrates,  bzw.,  falls 
der  Bewerber  bereits  im  öffentlichen  Dienste  steht,  im  Wege  der  Vor¬ 
gesetzten  Dienstesbehörde  bei  der  Stadtgemeindevorstehung  Triest  einzu¬ 
bringen.  Weitere  Auskünfte  über  die  Agenden  des  Direktors  der  Irren¬ 
anstalt  können  entweder  beim  Stadtmagistrate  (V.  Sektion)  oder  vom 
Stadtpbysikate  (Ufficio  dTgiene  del  Comune  di  Trieste)  eingeholt  werden 


Nr.  22 


679 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INHALT: 


Verhaiidlungeu  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
am  24.  April  1907. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
12.  März  1907. 

Aerztlicher  Verein  in  lirünu.  Sitzung  vom  24.  April  und  1.  Mai  1907. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom  15.  bis 
18.  April  1907. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  IJerliii. 

3.  Sitzungstag. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen 

Gesellschaft. 

Sitzung  am  24.  April  1907. 

Vorsitzender:  Finger. 

Schriftführer:  Brandwein  er. 

Finger  demonstriert  den  in  der  letzten  Sitzung  vor¬ 
gestellten  Patienten  mit  einer  Affektion  des  Gaumens.  Die  Diagnose 
schwankte  damals  zwischen  Tuberkulose  und  Gummen.  Auf  Dar¬ 
reichung  von  Jod  kam  es  innerhalb  kurzer  Zeit  zur  völligen 
Ausheilung  der  Affektion.  Die  bereits  damals  ausgesprochene  An¬ 
nahme,  daß  es  sich  um  Syphilis  handele,  wurde  somit  ex 
juvantibus  bestätigt. 

Ehr.mann  demonstriert:  1.  Einen  Fall  von  Tuberkulid. 

2.  Einen  Fall  von  Lupus  erythematodes.  3.  Einen  Fall  von 
Endarteriitis  syphilitica. 

Reines  demonstriert  einen  Fall  von  Pityriasis  lichenoides 
chronica  bei  einem  12jährigen  Knaben.  Der  ganze  Körper  — 
exklusive  Gesicht  und  Kopf  —  ist  übersät  mit  einem  polymorphen 
Exanthem,  dessen  Effloreszenzen  kleine,  hirsekorngroße,  schup¬ 
pende  Papelchen  und  wachsfarbige,  wie  eingetrocknet  aussehende, 
flacher  elevierte,  linsenquerschnittsgroße  Erhebungen  und  endlich 
rein  makulöse  Formen  darstellen.  Anordnung  diffus,  ohne  Bevor¬ 
zugung  gewisser  Stellen.  Subjektiv  keine  Beschwerden. 

Ehrmann  macht  darauf  aufmerksam,  daß  ähnlich  wie 
bei  Lues  und  Psoriasis  an  jenen  Stellen,  die  dem  Sonnenlicht 
ausgesetzt  sind,  ein  Leukoderma  auftritt. 

Spiegler  demonstriert:  1.  Einen  Fall  von  Ulcus  tubercu- 
losum.  2.  Einen  Fall  von  Lupus  vulgaris. 

N  o  b  1  demonstriert :  1.  Einen  30jährigen,  gut  aussehenden 
Mann  mit  Tuherkulosis  miliaris  ulcerosa  der  Perianal¬ 
gegend.  Die  von  Veränderungen  freie  Analapertur  wird  von  einer 
Reihe  höhnen-  bis  kronenstückgroßer  Ulzerationen  umkreist,  die 
bei  der  steil  abfallenden,  vielfach  sinuös  exkavierten  Be¬ 
schaffenheit  der  gev/ulsteten  Säume  und  dem  ausgenagten,  schlaff 
granulierenden  Charakter  des  blassen,  belegten  Grundes  unschwer 
als  tuberkulöse  Läsionen  anzusprechen  sind.  Bemerkenswert 
erscheint  der  akneiforme  Charakter  einzelner,  nach  der  Peripherie 
hin  versprengter  Herde.  Demonstrierte  Gewebsschnitte  zeigen 
den  charakteristischen  Aufbau  aus  intakten  und  verkäsenden 
Epitheloidzelltu berkein  mit  dem  Einschlüsse  Lang¬ 
haus  scher  Riesenzellen.  Der  seit  iVa  Jahren  vernarbende  und 
aufbrechende  Prozeß  ist  wohl  im  Sinne  der  exogenen  Infektion 
zu  deuten,  da  ein  kreuzergroßer,  verruköser  Lupusherd  des 
linken  Vorderarmes,  gleichwie  spezifische  Stimmbandverände¬ 
rungen  erst  seit  wenigen  Monaten  hinzugetreten  sind.  Die  Lungen 
vollkommen  normal. 

2.  Einen  F  all  von  Molluscum  contagiosum 
gi  gante  um  bei  einer  30jährigen  Frau.  Ueber  der  linken  Kinn¬ 
hälfte  sieht  man  eine  beinahe  kronenstückgroße,  knopfförmig 
prominente,  kreisrunde,  von  konvexen  Säumen  umgrenzte,  sich 
knorpelhart  anfühlende  Geschwulst,  die  in  einen  äußerst  straff 
gespannten,  perlgrau  schimmernden  Oberhautfalz  eingelassen  er 
scheint  und  im  Zentrum  eine  festhaftende  Borke  trägt.  Trotz  der 
Aehnlichkeit  mit  einem  überhäutenden  Primäraffekt,  fibrösen 
Nävus  und  auch  einem  exkoriierten  Epitheliom  gestatten  die 
reaktionslose  Umgebung,  die  besondere  Härte  der  transparenten 
Randzonen,  gleichwie  die  zentrale  Abflachung  der  gedeihen 
Geschwulst,  mit  Sicherheit  die  prähistologische  Diagnose  auf  ein 
gigantisch  gewuchertes  Molluscum  contagiosum  zu  stellen.  Das 
Ergebnis  der  Biopsie  wird  N  o  b  1  in  der  nächsten  Sitzung  unter¬ 
breiten.  Daß  nicht  alle  in  der  Literatur  als  Molluscum 
contagiosum  giganteum  zirkulierenden  Wahrnehmungen 
dieser  Krankheitsform  zuzurechnen  sind,  sondern  auch  unrichtig 
gedeutete  Bromexantheme  als  Molluscum  contagiosum  giganteum 
figurieren,  ist  bekannt  und  verpflichtet  um  so  mehr  zur  histo¬ 
logischen  Verifizierung  des  klinischen  Befundes. 

Die  in  acht  Wochen  erfolgte  mächtige  Entwicklung  der 
Geschwulst  spricht  für  eine  ganz  ausnahmsweise  intensiv  auf-: 
tretende  Wachstumsenergie,  welche  wieder  auf  die  besondere 


Virulenz  des  pathogenen  Agens  den  Rückschluß  gestattet. 
No  bis  positive  Molluskumübertragung  (Archiv  f.  Derm.  u.  Syph. 
1895,  Bd.  XXXI)  kam  mit  ähnlich  virulentem  Ausgangsmaterial 
zustande. 

E.  Spitzer  demonstriert:  1.  einen  Fall  von  Skrophulo- 
defma  mit  Lichen  scrophulosorum ;  2.  einen  Fall  von  Lupus 

vulgaris  mit  Skrophuloderma. 

^  M.  Oppenheim  demonstriert  einen  Fall,  dessen  drei 
klinisch  verschieden  aussehende  Hautaffektionen  sich  vielleicht 
doch  unter  einem  Gesichtspunkte  beurteilen  lassen. 

Der  30jährige  Geschäfsdiener  hat  an  der  Dorsalseite  seiner 
Finger,  am  Handrücken  zerstreut,  bis  bohnengroße,  blaurote, 
scharf  begrenzte  Knoten,  von  denen  manche  mit  Blasen  bedeckt 
sind,  so  namentlich  die  am  Nagelfalz  sitzenden,  manche  wieder 
zentrale  Depressionen  und  erweiterte  Follikel  zeigen.  An  der 
Haut  des  Stammes,  namentlich  an  den  Seitenteilen  des  Thorax 
und  stellenweise  an  den  Streckseiten  der  oberen  und  unteren 
Extremitäten,  finden  sich  teils  pigmentierte,  unregelmäßige,  hanf¬ 
korngroße  Narben,  teils  blaurote  Knötchen  von  verschiedener 
Größe,  die  stellenweise  an  ihrer  Spitze  eine  Pustel  tragen. 

■  Ferner  zeigt  der  Pat.  an  der  fast  kahlen  Stirn-  und 
Scheitelgegend  hellrote  Knötchen,  die  zentral  gelbe  Borkchen 
tra'gen,  nach  deren  Entfernung  kleine  blutende  Dellen  Zurück¬ 
bleiben.  Dazwischen  und  im  Gesichte  leicht  grubig  vertiefte 
Narben.  Die  Nase  ist  blaurot,  zeigt  Gefäßektasien  und  erweiterte 
Follikel.  Auch  die  Ohren  sind  blaurot,  an  den  freien  Rändern 
sehr  verdünnt. 

j  Die  Affektion  des  behaarten  Kopfes  besteht  seit  mehreren 
Jahren. 

Man  könnte  Perniones,  Acne  cachecticorum  und  Folliculitis 
decalvans  diagnostizieren.  Vielleicht  wäre  es  möglich,  die  drei 
Affektionen  unter  dem  Bilde  von  Skrophuliden  zusammenzufassen 
als  zu  einer  tuberkulösen  Disposition  gehörig. 

'  Ehr  mann:  Dies  ist  nicht  als  akneiformes  Tuberkulid  zu 
bezeichnen.  Hier  ist  Eiter  vorhanden.  Für  Tuberkulide  ist 
charakteristisch,  daß  direkte  Nekrose  auf  Grund  von  Phlebitiden 
eintritt.  Es  dürfte  sieh  um  Acne  cachecticorum  im  Sinne  der 
Alten  handeln.  An  der  Nase  besteht  beginnender  Lupus  pernio, 
aber  nicht  Typus  Hutchinson. 

Oppenheim  möchte  doch  auf  die  Diagnose  Tuberkulid 
zurückkommen.  Die  Narben  am  Kopfe  entsprechen  nicht  der 
Acne  necrotisans,  sondern  eher  der  Folliculitis  decalvans. 

Spiegler:  Am  Kopfe,  an  der  Stirnhaargrqnze  .und 
Nase  bestehen  kleine  Eruptionen,  die  mit  Hinterlassung  kleiner, 
seichter  Narben  heilen.  Ueberdies  liegt  hier  eine  außerordentlich 
seborrhoische  Haut  vor.  Ueber  die  Berechtigung,  dies  al§  Tuber¬ 
kulid  zu  bezeichnen,  läßt  sich  streiten.  .  , 

S  ch  e  r  b e  r  stellt  aus  der  Klinik  Fingers  einen  typischen 
Fall  von  Pityriasis  lichqnoides  chronica  vor.  Der 
28jährige  Pat.,  ein  Kellner,  wurde  von  Dr.  Schneider  an 
unsere  Klinik  geschickt.  Die  Affektion  nimmt  ziemlich  gleich¬ 
mäßig  den  ganzen  Rumpf,  die  oberen  Extremitäten,  sowie  die 
Oberschenkel  ein.  Das  Krankheitsbild  ist  wiederum  aus  knötchen¬ 
förmigen  und  fleckförmigen  Effloreszenzen  zusamrhengesetzt.  Die 
ersteren  überwiegen  jedoch  bedeutend  an  Zahl  upd  erscheinen  in 
ihrer  frühesten  Entwicklung  als  orangerote  oder  frischrote 
Knötchen  von  Stecknadelkopfgröße,  sind  dabei  rundlich  oder 
Ißicht  unregelmäßig,  auch  oval  begrenzt.  Die  'größeren  Knötchen 
erscheinen  intensiv  rot  gefärbt,  treten  deutlich  hervor  und 
einzelne,  fast  linsengroße  sind  von  ablösbaren  Schuppen  gedeckt 
und  erscheinen  daher  mehr  gelbrot  gefärbt. 

An  den  Oberschenkeln  zeigen  die  Effloreszenzen  einen 
mehr  lividen  Farbenton.  Die  fleckförmigen  Effloreszenzen  finden 
sich  —  in  geringer  Zahl  zerstreut  —  am  Rumpfe,  reichlicher  auf 
den  Oberarmen,  sind  von  lachsroter  Farbe  und  in  toto  von  einer 
ablösbaren  Schuppe  gedeckt.  An  den  Vorderarmen  finden  sich 
reichliche,  zu  gelbbräunlichen  Flecken  zurückgebildete  Efflores¬ 
zenzen,  während  an  den  Seitenteilen  des  Thorax  Gruppen  mehr 
livid  gefärbter,  fleckförmiger  Effloreszenzen  zu  sehen  sind,  wo¬ 
durch  die  betreffende  Hautpartie  ein  marmoriertes  Aussehen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


erhält.  Die  AfTektion  besteht  seit  zwei  Jahren,  tritt  immer  im 
Frühjahre  intensiver  auf.  Bei  diesem  Falle  besteht  namentlich 
nachts  stärkeres  Jucken. 

Finger  macht  darauf  aufmerksam,  daß  angegeben  wird, 
daß  Pityriasis  lichenoides  chronica  nicht  heilt,  keine 
regressiven  Veränderungen  macht,  die  Affektion  nur  allmählich 
vorwärts  geht,  daß  alte  Knötchen  schwinden  und  andere  neue 
auftreten.  Finger  beobachtete  einen  Typus  annuus.  Im  Sommer 
vergeht  die  Affektion.  Die  Haut  verändert  sich  bläulich.  Im 
Winter  kommt  ein  Schub  neuer  Knötchen. 

Müller  stellt  aus  Fingers  Klinik  vor:  1.  Zwei 
Mädchen  mit  ziemlich  analogen  Krankheitsbildern  Der  eine  Fall, 
ein  Ojähriges  Kind,  zeigt  über  den  Körper  diffus  verteilte,  fast 
immer  einzeln  stehende,  gelbbraune,  schuppende,  lichenoide 
Knötchen,  daneben  —  an  den  Außenflächen  der  Arme  —  aknei- 
forme,  rote  Papelchen,  mit  einer  kleinen  Pustel  im  Zentrum. 
Feber  der  linken  Kubitaldrüse  sieht  man  ein  älteres  Skrophulo- 
derma.  Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von  Lichen  scrophu- 
1  o  s  o  r  u  m  mit  Acne  s  c  r  o  p  h  u  1  o  s  o  r  u  m.  —  Die  zweite 
Pat.,  ein  12jähriges  Mädchen,  zeigt  das  gleiche  Krankheitsbild, 
nur  zeigen  die  lichenoiden  Effloreszenzen  gruppenweises  Auf¬ 
treten  und  Neigung  zu  Konfluenz.  Auf  diese  Weise  kommen 
rötliche,  diffus  schuppende,  ekzemähnliche  Plaques  zustande, 
deren  Randpartie  erhaben  und  deren  Zentrum  eingesunken  er¬ 
scheint.  Nur  wenige  randständige  Knötchen  zeigen  noch  das 
typische  Bild  des  Lichenknötchens.  Während  aber  die  Er¬ 
scheinungen  des  Lichen  und  Ekzema  scrophulosorum  sehr  aus¬ 
gebreitet  und  intensiv  —  im  Vergleiche  zu  dem  früheren  Falle  — 
vorhanden  sind,  sieht  man  von  Akneeffloreszenzen  nur  wenige 
am  rechten  Unterarm.  Auch  dieses  Kind  zeigt  Zeichen  von 
Skrophulose  und  Skrophuloderma. 

2.  Eine  23iährige  Frau  mit  Lichen  syphiliticus.  Pat.  war 
vor  einem  halben  Jahre  mit  Sklerose  und  makulösem  Exanthem 
an  der  Klinik.  Jetzt  zeigt  sie  über  den  Körper  verteilte  Plaques 
eines  Rezidivexanthems.  Am  Halse  und  am  Rücken  sieht  man 
je  einen  über  handtellergroßen  Plaque,  der  sich  aus  isoliert 
stehenden,  braunroten  Knötchen  zusammensetzt,  die  an  ihrer 
Kuppe  ein  Schüppchen  tragen  oder  flach  abgekappt  erscheinen. 
Die  Aehnlichkeit  mit  Lichen  ruber  planus-Effloreszenzen  ist  eine 
ungemein  große,  nur  fehlt  die  polygonale  Zeichnung  und  die 
zentrale  Dellung.  Am  Bauche  und  an  den  unteren  Extremitäten 
finden  sich  Herde,  die  durch  Konfluenz  der  einzelnen  Knötchen 
entstanden  zu  sein  scheinen.  Hier  sieht  man  zentral  bereits  Ab¬ 
heilung,  zum  Teil  mit  Pigmentation,  während  am  Rande  ein 
Kranz  frischer  Effloreszenzen  zu  sehen  ist.  Manchmal  sieht  man 
um  eine  zentrale  Papel  einen  leukodermaähnlichen  Ring,  um 
den  sich  erst  die  papulösen,  zum  Teil  konfluierten  Effloreszenzen 
gruppieren. 

Finger:  Im  Zentrum  der  Scheiben  findet  sich  ein  braun¬ 
rotes  Pigmentfleckchen ;  um  diese  Stellen  ist  an  einzelnen 
Effloreszenzen  Atrophie  des  Pigments,  Leukoderma.  Dann  kommt 
nach  außen  die  Zone  von  in  Gruppen  beisammen  stehenden 
Effloreszenzen. 

K  y  r  1  e  demonstriert  aus  der  Klinik  Finger  eine  Patientin 
mit  multiplen  Syringo-Zystadenomen.  Die  Tumoren  sitzen  zum 
Teile  diffus  auf  der  Haut  des  Stammes,  zum  Teil  zeigen  sie 
Gruppenanordnung,  wie  in  der  epigastrischen  Gegend,  in  der 
Halsgrube  und  in  der  Supraklavikularregion.  Das  demonstrierte 
histologische  Präparat  zeigt  nichts  vom  gewöhnlichen  Bilde  Ab¬ 
weichendes. 

G  e  1 1  i  s  stellt  vor  :  Eine  20jährige  Pat.  aus  der  Ambulanz 
Weidenfeld.  Sie  zeigt  an  der  Vorderseite  des  linken  Unter¬ 
schenkels  einen  über  handtellergroßen,  scharf  begrenzten  Herd 
von  dunkelrötlicher  Farbe,  mit  bräunlichem  Stich ;  derselbe  ist 
mit  zarten  Schuppen  besetzt  und  löst  sich  am  Rande  in  ein¬ 
zelne,  rein  follikulär  gestellte  Knötchen  auf,  die  ein  Schüppchen 
tragen.  Gegen  die  Außenseite  zu  zeigt  sich  Abheilung  in 
Form  einer  braun  pigmentierten  Fläche  mit  zahlreichen  follikulär 
gestellten  Närbchen.  Auch  am  linken  Oberschenkel,  sowie 
am  rechten  Unterschenkel  finden  sich  noch  mehrere,  gleich¬ 
falls  zirka  handtellergroße  Herde,  die  aber  meist  in  weiter  vor¬ 
gerücktem  Heilungsstadium  sich  befinden,  so  daß  sie  sich  als 
hraun  pigmentierte,  runde  Herde  präsentieren,  innerhalb  welcher 
sich  Narben  und  frische,  follikulär  gestellte  Knötchen  mit 
Schuppen  zeigen. 

Außerdem  findet  sich  am  rechten  Unterarm  ein  talergroßer, 
kreisrunder,  hräunlichrötlicher  zarter  Fleck,  nach  dessen  Anämi- 
sierung  noch  eine  zarte  Braunfärbung  bleibt ;  zwei  kleinere 
gleichartige  Flecke  befinden  sich  am  rechten  Oherarm. 

Aus  den  angeführten  Charakteren  der  Erkrankung  läßt  sich 
ohne  weiteres  die  Diagnose  gruppierter  Lichen  lueticus 


für  die  Affektion  an  den  Beinen  stellen,  während  die  Flecke  am 
rechten  Arm  als  Roseola,  u.  zw.  als  Spätroseola  gedeutet 
werden  müssen. 

Finger  erwähnt  das  gleichzeitige  Vorkommen  von  Roseola 
und  Lichen  syphiliticus.  Boi  Skrofulösen  sieht  man  nicht  selten 
eine  Roseola ;  auf  dieser  entsteht  ein  Lichen  syphiliticus.  Die 
Roseola  schwindet  und  der  Lichen  bleibt  bestehen. 

Müller  demonstriert  ein  19jähriges  Mädchen  mit  Sklero¬ 
dermie  und  Sklerodaktylie.  Die  Haut  der  Wangen  ist  glänzend, 
schwer  faltbar,  die  Nase  erscheint  schnabelartig  verschmälert, 
die  läppen  verkürzt.  Die  Haut  der  Oberarme  zeigt  gleichfalls 
erhöhten  Glanz,  doch  nur  geringgradige  Starrheit.  In  höherem 
Grade  sind  diese  Erscheinungen  an  beiden  Händen  ausgesprochen. 
Hier  sieht  man  auch  schon  Zeichen  vorgeschrittener  Atrophie. 
Doch  sind  die  Erscheinungen  an  der  Haut  nicht  so  hochgradig, 
utn  die  Kontrakturstellung  und  Verkürzung  einzelner  Fingerglieder 
erklären  zu  können.  Das  Röntgenbild  zeigt  Auffaserung  der 
Knochenenden,  Verschwinden  der  Gelenkslinien  durch  Konsumption 
der  Gelenke,  sowie  Subluxation  in  einem  Gelenke. 

Finger  macht  auf  die  Erscheinung  an  den  Händen  auf¬ 
merksam.  Pat.  erhielt  Fibrolysininjektionen.  Dadurch  ist  die 
Straffheit  geringer  geworden.  Eigentümlich  ist  die  Kontraktur  der 
Hand  und  Finger,  die  an  eine  tiefere  Palmarkontraktur  erinnert, 
eine  Art  Kontraktur  der  Palmarfaszie. 

W  e  i  d  e  n  f  e  1  d  :  Im  allgemeinen  gilt  Sklerodermie  als  eine 
Erkrankung  der  Haut.  Es  scheint  aber  auch  Fälle  zu  geben,  wo 
tiefer  liegende  Partien  beteiligt  sind,  Knochen,  Sehnen,  Faszie ; 
Fälle,  wo  man  noch  ganz  intakte  Haut  findet.  Interessant  ist  die 
Kombination  mit  der  Gesichtssklerodermie. 

Kren  macht  darauf  aufmerksam,  daß  man  relativ  häufig 
die  Sklerodermie  nicht  in  der  Haut,  sondern  in  der  Muskulatur 
beginnen  sieht.  Er  demonstriert  einen  hieher  gehörigen  Fall,  ein 
65jähriges  Fräulein,  an  dem  man  besonders  an  den  Extremitäten 
und  am  Halse  die  Haut  an  vielen  Stellen  noch  normal,  die 
Muskulatur  hart,  infiltriert  findet.  Obwohl  z.  B.  die  Haut  in  der 
Kubita  beiderseits  noch  vollständig  gesund  —  weder  ödematös 
noch  atrophisch  —  ist,  kann  die  Pat.  im  Ellenbogen  nicht  voll¬ 
ständig  strecken. 

Der  primäre  Sitz  der  Sklerodermie  in  den  Muskeln  wird 
auch  häufig  in  der  Zunge  beobachtet.  Man  findet  da  die  Schleim¬ 
haut  und  das  Frenulum  der  Zunge  oft  normal  und  doch  können 
die  Patienten  die  Zunge  bloß  bis  an  die  Zahnreihe  vorstrecken.  Da 
spielt  sich  der  Prozeß  in  der  Muskulatur  des  Mundbodens  oder 
in  der  Muskulatur  der  Zunge  selbst  ab,  ein  Phänomen,  auf  das 
schon  vor  langer  Zeit  Köbner  und  später  Wolters  hin¬ 
gewiesen  haben. 

Weidenfeld  erwähnt  anschließend,  daß  auch  Sklerodermie 
der  inneren  Organe  vorkommt,  des  Herzens  und  der  Speiseröhre. 

Kren:  Eine  Patientin  der  Klinik  mit  Sklerodermie  erbricht 
seit  drei  Wochen.  Die  Untersuchung  hat  nichts  Bestimmtes  er 
geben.  Vielleicht  ist  hier  auch  der  Magen  an  der  Sklerodermie 
beteiligt. 

Ullmann:  Nicht  nur  Veränderungen  des  Knochens  in 
Form  von  Auffaserung,  sondern  auch  konzentrische  Atrophie,  ja 
vollständige  Resorption  ist  beobachtet  worden.  Aber  auch  Ver¬ 
änderungen  der  Schilddrüse  sind  bekannt  u.  zw.  Atrophie,  mit¬ 
unter  auch  Hypertrophie.  Er  meint,  daß  bei  dem  Mädchen 
Atrophie  der  Schilddrüse  besteht. 

Müller:  Die  Pat.  bekam  früher  durch  längere  Zeit  zwei 
Thyreoidintabletten  täglich  und  war  hiebei  ein  Rückgang  der  Er¬ 
scheinungen  zu  bemerken. 

W  e  i  d  e  n  f  e  1  d  bemerkt,  seinerzeit  sei  Massage  mit  Erfolg 
vorgenommen  worden.  Thiosinamin  hatte  keinen  Erfolg.  Jetzt 
soll  Fibrolysin  genützt  haben. 

Müller:  Ueber  Thyreoidin  könne  er  nichts  Bestimmtes 
aussagen.  Thiosinamin  scheine  gute  Wirkung  zu  haben,  ähnlich 
auch  Fibrolysin. 

Finger:  Zweifellos  trete  auf  Verabreichung  von  Thiosin¬ 
amin  ein  guter  Erfolg  ein ;  derselbe  sei  aber  nur  temporär  und 
der  Status  quo  ante  stellt  sich  wieder  ein,  wenn  man  mit  der 
Therapie  aussetzt. 

Weidenfeld  stellt  vor:  Einen  23jährigen  Hilfsarbeiter 
mit  einem  Lichen  ruber  planus  verrucosus  an  den  unteren 
Extremitäten.  Es  finden  sich  über  beiden  Tibiakanten  handteller¬ 
große  gelappte  Plaques  von  unregelmäßiger,  rauher,  brauner 
Oberfläche,  die  von  einem  blauroten  Halo  umsäumt  erscheinen. 
An  den  Oberschenkeln  finden  sich  kreuzergroße  Plaques  von 
annulärem  Typus,  deren  Zentrum  gleichfalls  braun  gefärbt  er¬ 
scheint,  deren  Peripherie  jedoch  von  an  einer  Stelle  breiterem, 
an  der  anderen  Stelle  schmälerem  Knötchensaum  begrenzt  er¬ 
scheint.  Außerdem  finden  sich  zahlreiche,  follikulär  gestellte. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


mehr  weniger  spitze,  bis  hcalbkugelige  Effloreszenzen  von  Linsen¬ 
größe,  die  an  der  Spitze  ein  Schüppchen  tragen.  Auch  an  der 
Bauchgegend  ähnliche  Effloreszenzen  und  Herde  von  Lichen 
spinulosus  ähnlichen  Knötchen. 

An  den  Streckseiten  der  Vorderarme  finden  sich  den  an 
den  Oberschenkeln  beschriel)enen  ähnliche  Knötchen,  aus  deren 
Follikelhals  sich  ein  Epidermispfropf  herausdrücken  läßt. 

Es  handelt  sich  also  um  einen  Uebergang  in  dem  Typus 
dieser  Effloreszenzen  von  Lichen  planus  zum  Lichen  ruber 
acuminatus,  ohne  den  Typus  der  einen  oder  der  anderen  Form 
genau  wiederzugeben. 

Finger  demonstriert  zwei  Fälle  von  gruppiert  papulösem 
Syphilid. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  März  1907. 

Vorsitzender :  Hof  rat  0  b  e  r  s  t  e  i  n  e  r. 

Schriftführer:  Priv.-Doz.  Dr.  E.  Raima nn. 

a)  D  e  m  o  n  s  t  r  a  t  i  0  n  e  n  : 

Dr.  Bär  any  demonstriert  eine  26jährige  Frau  mit  lueti¬ 
scher  Erkrankung  des  linken  Labyrinthes.  Das  Besondere  des 
Falles  liegt  darin,  daß  das  Gehör  fast  vollständig  intakt  ist, 
während  der  Vestibularapparat  vollkommen  aüßer  Funktion  ge¬ 
setzt  ist.  Die  verheiratete  Patientin  erkrankte  vor  zwei  .lahren 
an  Lues  nnd  machte  auf  der  Klinik  Riehl  eine  Schmierkur  mit. 
Vor  drei  Monaten  erkrankte  sie  plötzlich  mit  Drehschwindel,  links¬ 
seitigem  Ohrensausen  und  Erbrechen.  Sie  erhielt  .Todkali,  wor¬ 
auf  der  Schwindel  sistierte.  Vor  drei  Wochen  —  einige  Zeit  nach 
dem  Aussetzen  des  Jodkaligebrauches  —  erkrankte  sie  neuer¬ 
dings  an  Drehschwindel.  Derselbe  war  so  heRig,  daß  sie  durch 
acht  Tage  im  Bette  liegen  mußte.  Wenn  sie  ruliig  lag,  -war  der 
Schwindel  geringer,  bei  jeder  Bewegung  steigerte  er  sich.  Wieder¬ 
holt  trat  Erbrechen  auf.  Linksseitiges  Ohrensausen  war  kon¬ 
tinuierlich  vorhanden.  Eine  Herabsetzung  der  Hörscliärfe  hat 
Pat.  nicht  bemerkt.  Als  der  Schwindel  nachließ,  suchte  sie  die 
Klinik  auf.  Die  Untersuchung  ergab :  Trommelfelle  beiderseits 
nahezu  normal,  SpUr  eingezogen.  Tuben  gut  durchgängig.  Gehör 
für  Flüstersprache  beiderseits  6  m.  Weber  nach  links.  Rinne 
l)eiderseits  und  Knochenleitung  links  kaum  verkürzt,  rechts  nor¬ 
mal  (links  Sausen).  Hohe  und  tiefe  Töne  beiderseits  gut  gehört, 
links  ist  die  Luftleitung  für  alle  Stimmgabeltöne  minimal  verkürzt. 

Es  besteht  starker  spontaner,  rotatorischer  und  horizon¬ 
taler  Nystagmus  nach  links,  besonders  bei  Blick  nach  links,  bei 
Blick  nacb  recbts  Rübe.  Bei  Blick  geradeaus  besteht  ebenfalls 
Ruhe  der  Augen.  Setzt  man  der  Patientin  eine  Brille  mit  un¬ 
durchsichtigen  Gläsern  auf  und  läßt  sie  in  diese  Brille  hinein¬ 
sehen,  so  bemerkt  man  kräftigen,  horizontalen  Nystagmus  nach 
rechts.  Es  wird  hei  diesem  Versuche  die  Fixation  des  Blickes 
unmöglich  gemacht,  welche  hemmend  auf  vestibulären  Nystag¬ 
mus  wirkt.  Subjektiv  besteht  derzeit  kein  Schwindel,  keine  Schein¬ 
bewegung  der  Gegenstände  oder  des  eigenen  Körpers.  Neigt  man 
den  Kopf  der  Patientin  nach  rückwärts,  läßt  man  sie  sich  bücken, 
den  Kopf  nach  links  neigen  oder  rasch  nach  links  drehen,  so 
wird  der  spontane  Nystagmus  nach  links  verstärkt  und  es  tritt 
wieder  subjektiv  etwas  Schwindel  auf.  Dreht  man  die  Patientin 
auf  dem  Drehstuhle  mit  aufrechter  Kopfbaltung  zehnmal_  nach 
reclits,  so  treten  beim  Anhalten  (während  die  Patientin  in  die 
Brille  mit  den  undurchsichtigen  Gläsern  blickt)  fünf  horizontale 
Nystagmusscbläge  nach  links  in  15  Sekunden  auf,  dann  besteht 
einige  Sekunden  Ruhe  der  Augen,  worauf  sich  der  spontane 
Nystagmus  horizontalis  nach  rechls  anschließt.  Droht  man  die 
Patientin  in  derselben  Kopfstellung  zebnnial  nach  links,  so  treten 
l)eim  Anhalten  60  große  Nystagmusschläge  nach  rechts  in  28  Se¬ 
kunden  auf,  worauf  wieder  der  spontane  Nystagmus  nach  rechts 
wie  vorher  sich  anschließt.  Neigt  man  den  Kopf  der  Patientin 
ca.  90°  nach  vorne  und  dreht  sie  zehninal  nach  rechts,  so  tritt 
beim  Anhalten  bei  Blick  nach  links  fast  kein  rotatorischer  Ny¬ 
stagmus  nach  links  auf  und  der  Nystagmus  rotatorius  nach  rechts 
l)ei  Blick  nach  rechts  ist  nur  wenig  schwächer.  Dreht  man  die 
Patientin  bei  vorgebeugtem  Kopfe  zehnmal  nach  links,  so  tritt 
beim  Anhalten  eine  sehr  wesentliche  Verstärkung  des  spontanen 
Nystagmus  nach  rechts  durch  ca.  20  Sekunden  auf.  Spritzt  man 
das  linke  Ohr  mit  Wasser  von  12°  C  aus,  so  ändert  sich  au  dem 
spontanen  Nystagmus  nichts.  Spritzt  man  das  rechte  Ohr  mit 
12°  Wasser  aus,  so  tritt  an  Stelle  des  Nystagmus  rotatorius  nach 
rechts,  Nystagmus  rotatoi'ius  nach  links  auf.  Alle  die  ange¬ 
führten  Erhebungen  lassen  die  Diagnose  auf  völlige^  Unerreg¬ 
barkeit  des  linken  Vestibularapparates,  resp.  auf  Lähmung  des 


Neiwus  vestibularis  stellen.  Ueber  die  ausführliche  Begründung 
der  Berechtigung  dieser  Diagnose  siehe  meine  ausführlicbe  Arbeit; 
Untersucliungen  über  den  vestibulären  Nystagmus  etc.,  Monats¬ 
schrift  für  Ohrenheilkunde  1906. 

Würde  in  diesem  Falle  kein  Ohrensausen  bestehen,  so  wäre 
die  Diagnose  über  den  Sitz  der  Erkrankung  völlig  unklar.  Sie 
könnte  im  ganzen  Verlaufe  des  Nervus  vestibularis  vom  Bogen¬ 
gangapparate  bis  zu  den  Augenmuskelkernen  sitzen.  Die  Ver- 
gcsellscbal’tung  der  Lähmung  des  Vestibularapparates  mit  Ohren¬ 
sausen  läßt  die  Diagnose  auf  den  Sitz  der  Erkrankung  in  dem 
Bereiche  „Bogengangapparat  bis  Eintritt  des  Nervus  vestibularis 
in  die  Medulla  oblongata“  stellen. 

Diskussion:  Prof.  v.  Frankl-Hochwart  muß  für  den 
vorgezeigten  Fall  annebmen,  daß  auch  der  Hörapparat  (im  engeren 
Sinne)  geschädigt  sei;  dafür  spräche  der  lateralisierte  Weber. 
Der  Fall  gehört  daher  in  die  Gruppe  des  Meniereschwindels 
bei  wenig  affizierter  Hörschärfe,  in  jene  Gruppe,  die  v.  Frankl- 
Hochwart  vor  mehreren  Jahren  an  einigen  Beispielen  ge¬ 
schildert  hat.  Der  einzige  Fall  von  beglaubigter  ricli tiger  Dia¬ 
gnose  auf  Vestibularscliwindel  bei  völlig  intaktem  Gehöre  wurde 
von  V.  Frankl-Hochwart  publiziert;  es  handelte  sich  um 
einen  Vlann,  der  typische  Drehschwindelanfälle  mit  Erbrechen 
und  OlnensaUsen  hatte,  bei  dem  die  Hörschärfe  eine  ausge¬ 
zeichnete  war  und  alle  Stimmgabel  versuche  normale  Verhält¬ 
nisse  auf  wiesen.  Erst  nach  längerer  Zeit  sank  die  Hörschärfe 
auf  dem  rechten  Ohre  ganz  bedeutend;  es  traten  Zeichen  einer 
nervös^'U  Hörstörung  auf,  während  das  übrige  Nervensystem  in¬ 
takt  blieb. 

Reg.-x4rzt  Dr.  Mattauschek  stellt  einen  Fall  von  hyste¬ 
rische  m  D  ä  m  m  c  r  z  U  s  1  a  n  d  (G  a  n  s  e  r)  mit  linksseitiger, 
totaler  Anästhesie  und  linksseitigem  Schwitzen  des  Gesichtes  aus 
der  psycbiatriscbeii  Abteilung  des  Garnisonsspitales  Nr.  1  in 
Wien  vor. 

Infanterist  P.,  22  Jahre  all,  15.  Januar  1907  eingerückt., 
29.  Januar  desertiert  nach  Oodenburg,  dort  selbst  gemeldet.  Am 
12.  Februar  nach  Wien  transferiert,  2.  März  desertiert,  in  Mauer 
aufgegriffen,  am  Marodezimmer  beobachtet.  Schweigend,  apa¬ 
thisch,  nachts,  unruhig,  gestikulierend,  Blick  starr  vor  sich,  zögernde 
oft  falsche  Antworten. 

10.  März  Spital.  Eindruck  des  Verträumten,  Automaten- 
haiten.  Gehemmten,  blickt  auch  beim  Examen  starr  vor  sich', 
hat  wenig  Aufmerksamkeit  für  seine  Umgebung,  benimmt  sich  aber 
sonst  ziemlich  komponiert. 

Steht  unter  dem  Einflüsse  lebhafter  Gehörstäuschungen, 
nimmt  oft  und  plötzlich  verschiedene  militärische  Stellungen  an. 
Auf  Fragen  antAvortet  er  langsam,  zögernd,  macht  vorher  und 
auch  spontan  Sprechinnervationen  ähnliche  Bewegungen  mit  den 
liippen.  Er  zeigt  typische  Paralogie  —  jetzt  Sommer,  Ring  -= 
Knopf,  Woche  —  drei  Tage,  Tag  =  sechs  Stunden,  4  X  4  =  20, 
5  X  4  =  24,  6  X  4  =  28,  9  X  4  =  12,  Handschuh  =  Sacktuch,  hat 
keine  Eltern,  Blatt  Papier  =  Buch,  Bruder  und  Vater  beim  Mili¬ 
tär  u.  dgl.  Die  Antworten  gehören  richtigen  Vorstellungskreisen 
an,  Auffassung  und  Denken  sichtlich  durch  affektbetonte  Vor¬ 
stellungen  gehemmt. 

Somatischer  Befund:  Anästlresie  und  Analgesie  der 
ganzen  linken  Körperhälfte,  auch  der  Zunge  und  Älundschleun- 
haut,  Würgreflex  nur  rechts  auslösbar,  Ohr-  und  Nasenkitzel¬ 
reflex  links  aufgehoben,  Kornealreflex  beiderseits  jnompt,  des¬ 
gleichen  Haut-  und  Sehnenreflexe.  Gesichtsfeld  nicht  zu  prüfmi. 
Die  linke  Gesichtshälfte  zeigt  deutlich  in  der  Mittellinie  ])egrenz- 
ten,  nicht  durch  Bewegungen  bedingten,  hauptsächlich  Avährend 
längerem  Examen  auftretenden  Schweißausbruch,  außerdem  (lu- 
selbst  stärkeren,  nachhaltigen  Dermographismus.  Pupillen  gleich- 
Aveit,  prompt  reagierend. 

Der  Fall  bietet  alle  von  den  verschiedenen  Autoren  (Gan¬ 
ser,  W’^estphal,  Raecke,  V erster)  geforderten  und  charak¬ 
teristischen  Symptome  und  ist  durch  die  halbseitigen  vasomotori¬ 
schen  Erscheinungen  bemerkensAvert. 

Assistent  Dr.  0.  Pötzl  demonstriert  mikroskopische  Prä¬ 
parate  eines  Falles  AU)n  Delirium  acutum,  bei  dem  Strep tokokken- 
thromben  in  den  Gefäßen  der  Hirnrinde,  sowie  des  Stammes 
an  vielen  Orten  nachgeAviesen  werden  konnten.  Die  bakterio¬ 
logische  Untersuchung  des  Falles  ergab  Reinkulturen  von  Strepto¬ 
kokken  in  langen  Ketten.  (Der  Fäll  ei'scheint  andenvärts  aus- 
fülu'lich.) 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  A.  Fuchs,  Dr.  Pötzl. 

b)  Zur  Amrgleichendon  Analomie  des  Nucl.  ruber  teilt  Doktor 
Hatschek  in  vorläufiger  Mitteilung  (eine  ausführliche  Arbeit 
orscb(dnt  im  nächsten  Bande  der  Arbeiten  aus  dem  WTener  neuro¬ 
logischen  Institute)  mit,  daß  der  Nucl.  niber  aus  zwei  Teilen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


■.  « 

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fciÖ2 


licslolit,  einem  großzelligen,  kaudal  gelegenen  und  einem  klein¬ 
zeiligen,  oral  gelegenen.  Der  erstero  ist  bei  den  niederen  Säugern 
sehr  stark  entwickelt,  bildet  sich  in  der  Affenreibe  zurück  und 
ist  beim  iMensclum  als  Rudiment  caudal  vom  eigentliclien  Nucl, 
ruber  vorhanden.  Der  Nucl.  ruber  des  iMenschen  ist  der  sehr 
stark  entwickelte,  kleinzellige  Anteil,  der  bei  den  Säugern  von  den 
Affen  al)wärts  gering  ausgebildet  ist.  Der  Nucl.  magnocellularis 
ist  der  IJrsprungskern  für  das  Monakowsche  Bündel,  der  Nucl. 
parvicellularis  repräsentiert  einen  ,, Großhirnanteil“  des  Nucl.  ruber. 
Parallel  mit  der  Entwicklung  des  großzelligen  Teiles  des  Nucl. 
ruber  entwickelt  sich  der  Nucl.  dentatus  des  Kleinhirnes  und 
der  ventrale  Anteil  der  Bindearmkreuzung,  während  die  übrigen 
Kerne  der  Kleinliirnhemispliären,  die  im  Gegensätze,  zum  rück- 
gebildeten  Embolus  und  Nucl.  globosus  des  Menschen  bei  den 
Säugern  relativ  prävalieren,  mit  dem  dorsalen  Anteile  der  Binde¬ 
armkreuzung  dem  Nucl.  ruber  magnocellularis  entspreeben.  Be- 
merkensAvert  ist,  daß  beim  A  teles  sowohl  Nucl.  ruber  paiud- 
cellulai'is  als  auch  Nucl.  dentatus  höher  entwickelt  sind  als  bei 
den  niederen,  katarrbinen  Affen.  Vortr.  bringt  dies  mit  der  Diffe- 
renziei'ung  der  Extremitäten  in  Verbindung  und  siebt  in  dem 
Nucl.  dentatus  und  Nucl.  ruber  par\dcellularis  koordina torische 
Begulationszentren,  die  parallel  der  Großhirnentwicklung  ange- 
Avachsen  sind,  Avährend  die  primären,  phylogenetiscben  Bewe¬ 
gungsautomatismen  ■ —  vertreten  im  Nucl.  ruber  magnocelhdaris, 
soAvie  im  Embolus  und  Nucl.  globosus  —  sich  rückgebildet  haben. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  Karplus,  Dr.  Hatschek, 

c)  Vortrag. 

Priv.-Doz.  Dr.  Hirschl:  Dementia  praecox  und  Sy¬ 
philis.  (Erscheint  ausfülutich  in  dieser  Zeitschrift.) 

Diskussion:  Prof.  Dr.  L.  v.  Fra  nkl-HocliAvart  Avill 
hauptsächlich  auf  ein  Detail  eingehen,  das  von  Hirschl  eben¬ 
falls  berührt  A\mrde.  Er  ist  auch  der  Meinung,  daß  nicht  nur 
die  Leute  mit  Nervenlues  oft  Kinder  mit  nervöser  MinderAvertig- 
keit  zeugen;  auch  nach  seiner  Pirfahrung  haben  Luetiker,  die 
keine  NerAmnsymptome  aufAveisen,  oft  pathologische  Deszendenz 
im  obgenannten  Sinne.  Abgesehen  von  dem  Vorkommen  von 
Psychosen,  progressiver  Paralyse,  Imbezillität,  sind  nicht  selten 
andere  psycbische  Störungen  geringeren  Grades  zu  vermelden: 
Die  Kinder  sind  oft  sehr  erregt,  unträtabel,  geistig  leicht  zurück¬ 
geblieben,  mit  .moralischen  Defekten  behaftet;  partielle  Ueber- 
begaluing  in  irgendeiner  Bichtung  kann  damit  einliergehen. 
V.  I^'rankl-IIochAAmrt  meint,  daß  Lues  der  Eltern  keine  geringe 
Bolle  für  das  Auftreten  der  Epilepsie  in  der  Deszendenz  spielt. 
Es  Aväi'e  außerordentlicli  Avichtig,  eine  ungefähre  Statistik  zu 
besitzen,  Avie  groß  die  Wahrscheinlichkeit  sei,  daß  ein  Luetiker 
minderwertige  Kinder  erzeuge.  Eine  solche  Statistik  wäre  nur 
durch  eine  große  Sammelforschung  zu  erreichen,  Avelche  sich 
hauptsächlich  an  die  Hausärzte  wenden  müßte,  die  die  Schick¬ 
sale  der  Familie  durch  Jahrzehnte  verfolgen  können.  Die  er- 
Avähnte  Sache  berührt  auf  das  ernsteste  die  Heiratsfrage  der 
Luetiker;  man  sieht,  daß  die  Gefahr  derartiger  Ehen  sich  nicht 
daran  erschöpft,  daß  die  Patienten  selbst  Spätlues  oder  Met;ilues 
bekommen;  der  Umstand,  daß  die  Frauen  der  Luetiker  bisAA'eilen 
Nervenlues  bekommen,  ohne  daß  je  eine  Infektion  der  ersteren 
nachgeAviesen  Avurde,  der  Umstand,  daß  die  Kinder,  auch  Avenn 
sie  nicht  luetisch  Avaren,  doch  offenbar  nicht  zu  selten  minder- 
Avertig  sind,  gibt  bezüglich  der  Zustimmimg  zur  Ehe  bei  soge- 
nannlen  ,, geheilten“  Luetikern  viel  zu  denken. 

Priv.-Doz.  Dr.  Pilcz:  Die  Ergebnisse  Hirschls,  die  er  mir 
l)ereits  privat  mi  zuteilen  so  lieb^nsAVürdig  war,  interessierten  mich 
um  so  mehr,  als  sie  in  höchst  erfreulicher  Weise  vollständig  mit 
iiKdiien  Untei’suchungen  ühereinstimmen,  ül)er  die  ich,  gleich¬ 
falls  privat,  Kollegen  Hirschl  schon  berichtet  hatte.  Ich  möchte 
mir  erlauben,  aus  einer  größeren  Arbeit,  über  Hereditätsfrageji,  die 
demnäebst  publiziert  AAmrden  Avird,  die  Ergebnisse,  soweit  die 
Dementia  praecox  in  Betracbt  kommt,  hier  kurz  mitzuteilen. 

Von  41 G  P“ällen  von  Demenlia  praecox,  bei  Avelchen  über¬ 
haupt  irgendein  erblich  belastendes  Moment  zu  eruieren  Avar, 
bestand  in  5-12°()  direkte  Belastung  (d.  h.  von  seiten  der  Eltern) 
durch  Tabes,  Aväbrend  diese  Krankheit  in  der  .Xszendenz  zum 
Beispiel  der  Paranoiker  nur  in  0-51  %,  in  der  der  Fälle  von  ma¬ 
nisch-depressivem  Irresein  nur  in  OG4‘Vo  Vorgelegen  hatte. 

Zieht  man  die  Belastung  von  seiten  der  Eltern  init  Psychosen 
in  Betracht,  so  ergibt  sich  zunächst  ein  nicht  unbeträchllicher 
Pnlerschied  zAvischen  den  kalatonen  und  den  einfach  hebe- 
phreniseben  AX'i'blödenden  Formen  der  Dementia  praecox.  Von 
alhui  Hereditären  schlechtweg  unter  diesen  416  Fällen  sind  2tVo 
durch  Eltern  mit  Psychosen  belastet  bei  letzteren  Formen,  da¬ 
gegen  32Vo  bei  ersteren  (beim  manisch-depressiven  Irresein  zum 
Beispiel  lauten  die  Ziffern  44®/o). 


Viel  interessanter  aber  ist  die  spezielle  Form  der  psychoti¬ 
schen  Veranlagung.  Dieselbe  Avar  in  44  Fällen  der  einfach  hebe- 
phrenen  und  in  27  Fällen  der  katatonen  Form  zu  eruieren  (in¬ 
dem  die  Ellern  auch  in  Anstaltspflege  Avaren).  Von  den  44  Fällen 
lag  in  23  (51-lGho)  ])rogressive  Paralyse  bed  Vater  oder  Mutter 
Amr,  dagegen  z.  B.  nur  in  G-OSk'o  Belastung  durch  manisch-depres¬ 
sives  Irresein  oder  jMelancholie,  Paranoia  etc. 

Bei  den  27  Katatonikern  bestand  in  nicht  ganz  20ho  Para¬ 
lyse  Amn  seiten  der  Aszendenz,  ebenso  stark  aber  Avar  auch  die 
Belastung  durch  Paranoia,  Alkoholpsychosen  etc. 

Eine  ähnliche  auffallende  Häufung  und  Zusammengehörig¬ 
keit  zeigt  sich  aber  auch,  Avenn  man  der  Belastung  durch  Ge- 
scliAvister  allein  nachgeht.  Bei  47  Fällen  einfacher  Hebephrenie 
kam  bei  den  GescliAvistern  vor:  lOmal  Paralyse,  26mal  Hebe¬ 
phrenie,  Gmal  Katatonie;  bei  75  Paralytikern  48mal  Paralyse, 
llnial  Dementia  praecox. 

Auf  andere,  recht  bemerkensAverte  Verhältnisse  der  Heredit,ät 
der  Dementia  praecox,  speziell  unter  Berücksichtigung  der  ,, ent¬ 
lastenden“  Momente  im  Sinne  der  v.  Wagn ersehen  ,, Immunität“, 
kann  ich  natürlich  heute  nicht  eingehen,  da  dies  von  dem  Thema 
,, Syphilis  und  Dementia  praecox“  zu  AA^eit  abführen  Avürde. 

Dr.  E.  Stransky  anerkennt  die  Wichtigkeit  der  Aa)n 
Hirschl  erhobenen  Befunde,  wie  er  es  schon  seinerzeit  in  einer 
Arbeit  getan  hat.  Nur  möchte  er  glauben,  daß  im  Verhältnis  zu 
der  großen  Zahl  von  Dementia  praecox-Fällen  jene,  in  denen 
die  \mn  Hirschl  angedeutete  Aetiologie  zu  erheben  sei,  einst- 
Aveilen  wenigstens  verhältnismäßig  nicht  sehr  groß  sei.  Man  müsse 
auch  noch  das  eine  bedenken,  daß  zurzeit  die  symptomatologischo 
Abgrenzung  mancher  Fälle  noch  SchAvierigkeiten  an  sich  hat. 
Es  ist  bekannt,  daß  dies  gerade  bezüglich  der  katatonischen  Er¬ 
krankungen  gilt.  Es  könnte  daher  geAviß  auch  die  Frage  auf- 
geAvorfen  werden,  ob  die  Fälle  mit  der  von  Hirschl  angedeu¬ 
teten  Aetiologie  oder  doch  ein  Teil  derselben  trotz  der  symptomato- 
logischen  Aehnlichkeit  reine  Dementia  praecox  seien  oder  nicht. 
Das  Avird  natürlich  die  Zukunft  lehren.  Bekannt  ist,  daß  ausge¬ 
sprochene  katatonische  Bilder  bei  Paralyse,  nach  Kopftraumen  usw. 
Vorkommen  können,  die  sich  selbst  durch  genauere  Analyse  gegen 
echte  Katatonie  nur  schwer  abgrenzen  lassen.  Analog  sehen  Avir 
z.  B.  auch  das  klinische  Bild  der  Paralyse  —  AAmnigstens  mit 
großer  äußerer  Aehnlichkeit  —  auf  heterogener  Basis  auftreten: 
in  solchen,  l)esonders  in  den  letzten  Jahren  genauer  studierten 
Fällen  entscheidet  .derzeit  vielfach  erst  die  histologische  Unter¬ 
suchung;  Redner  ei’Avähnt  in  Kürze  einen  eigenen  Fall  dieser 
letzteren  Art. 

Assistent  Dr.  Pötzl:  Die  individualisierende  Beobachtung 
ergibt  doch  einen  Zusammenhang  zwischen  Dementia  praecox 
und  akquirierter  Lues.  ZAvar  bleibt  anliluetische  Behandlung  bei 
Dementia  praecox  erfolglos,  aber  man  beobachtet  Parallelismus 
im  Verlaufe  der  beiden  Prozesse,  Aufflackern  der  Geisteskrank¬ 
heit  zugleich  mit  einem  frischen  Exanthem.  Pötzl  glaubt  nicht, 
daß  Lues  die  spezifische  Aetiologie  der  Dementia  praecox  dar¬ 
stelle,  Adehnehr  reagiere  das  psychisch  kranke  Individuum  im 
Sinne  seiner  Disposition,  das  zur  Hebephrenie  disponierte  auf 
die  Lues  mit  seinem  Zustandsbilde.  Pötzl  frägt  schließlich,  ob 
Lues  oder  progressive  Paralyse  in  der  Aszendenz  gleichbedeutend 
seien  ? 

Hofrat  V.  Wagner  kennt  Fälle  in  besonderer  Anzahl,  die 
den  Gedanken  eines  Zusammenhanges  Amn  Lues  und  Dementia 
praecox  nahelegen;  der  BeAveis  allerdings  ist  sclnvierig  und  die 
Statistik  um  so  scliAvieriger,  als  Dementia  praecox  ein  unscharfer 
Begriff  ist.  Der  Zusannnenhang  von  Dementia  praecox  mit  pro¬ 
gressiver  Paralyse  und  Lues  der  Aszendenten  wird  sich  auf 
statistischem  Wege  weder  beweisen,  noch  verwerfen  lassen.  Jeden¬ 
falls  käme  es  darauf  an,  die  Fälle  direkter  Heredität  zu  erforsclum, 
differenziert  nach  der  Form  der  Geistesstörung,  um  zu  sehen, 
ob  progressive  Paralyse  häufiger  als  andere  Psychosen  in  der 
Aszendenz  von  Dementia  praecox-Kranken,  diese  Krankheit  häu¬ 
figer  in  der  Deszendenz  von  Paralytikern  anzutreffen  sei. 

Dr.  Eduard  Hits  chm  ann  glaubt,  daß  angehende  IMinder- 
Avertige  leichter  Lucs  akquirieren  und  veiaveist  auf  Freud,  der 
Lues  in  der  Anamnese  schwerer  Hysteriker  fand.  Bei  Frauen 
sei  Lues  Adel  häufiger,  als  man  es  bcAveisen  könne. 

Dr.  Hirschl  (SchlußAvoii ) :  Die  Mitteil ung  au  F r a n ki¬ 
ll  och  warts  über  die  Deszendenz  der  Paralytiker  und  Luetiker 
bestätigen  meine  Angaben.  Ich  habe  der  Epilepsie  bei  der  Deszen¬ 
denz  (1er  Paralytiker  und  Luetiker  keine  besondere  Etwäbnung 
getan,  weil  gerade  dieses  Faktum  als  allgemein  bekannt  voraus¬ 
gesetzt  Avird.  Suchen  Avir  nach  der  Aetiologie  eines  Falles  von 
Epilepsie  und  hören  Avir,  daß  der  Vater  dieses  Epileptikers  an 
Lues  gelitten  hat,  so  ist  unser  ätiologisches  Interesse  nicht  nur 
befriedigt,  sondern  A\dr  leiten  auch  häufig  eine  spezifische  Be- 


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683 


luuidlung  ein.  Die  IleiraLsfragc  ist  für  uns  cine  recht  peinliche. 
Wenn  wir  tlie  erblich  Belasteten,  die  Inelisch  Infizierten  nicht 
heiraten  lassen,  so  müßten  wir  einem  großen  Teile  der  unserer 
Obhut  Anvertraulen  die  Heirat  untersagen.  Abgesehen  davon, 
daßi  unsere  Ratschläge  in  dieser  Richtung  nicht  befolgt  werden, 
wird  auch  unser  Vorgehen  deshalb  nicht  gebilligt  werden,  weit 
dem  guten  Staalshürger  die  Zahl  der  Ehelosen  .jetzt  schon  viel 
zu  groß  ist. 

Herrn  Dr.  Stransky  gegenüber  habe  ich  zu  erwidern, 
daß  die  Zahl  1:688  in  meiner  Statistik  nicht  das  \terhältins 
der  Geisteskranken,  sondern  der  Anstallskranken  zu  den  Ge¬ 
sunden  darstellt;  die  Zahl  ist  dem  Lehrhuche  von  Kräpeliii 
entnommen. 

Die  Frage  Pötzls,  ob  die  Lues  der  Aszendenz  allein  oder 
die  Paralyse  derselben  jener  Belastung  entspricht,  die  unter  ge¬ 
wissen  .Umständen  die  Dementia  praecox  erzeugt,  kann  erst  die 
Zukunft  mit  Sicherheit  entscheiden. 

Den  Vonvurf  v.  Wagners,  daß  die  statislische  Berechnung 
bezüglich  der  Paralytikerdeszendenz  falsch  sei,  habe  ich  erwartet. 
Ich  hatte  geglaubt,  die  groben  Fehlerquellen  und  auch  die  groben 
Febler,  die  auf.  meine  Rechnung  fallen,  genügend  hervorgehoben 
zu  haben.  Das,  was  ich  mit  der  statistischen  Berechnung,  zu 
der  mir  genaue  Zahlen  nicht  zur  Verfügung  standen,  bezwecken 
wollte,  war  folgendes :  Jeder  hat  die  Empfindung,  daßi  die  vor¬ 
gebrachten  Zahlen  der  Hebephrenen  mit  Paralyse  des  Vaters 
recht  große  seien.  Ich  wollte  nun  nachweisen,  daß  eine,  wenn 
auch  fehlerhafte  Rechnung,  deren  Zahlen  jedoch  meist  zu  Un¬ 
gunsten  der  obengenannten  Empfindung  verschoben  sind,  ciie 
Größe  der  Zahlen  mit  besonderer  Deutlichkeit  beleuchtet. 

Herr  Dr.  Hits  chm  ann  machte  aufmerksam,  daßi  gerade 
der  Hebephrene  durch  seine  psychischen  Eigentümlichkeiten  der 
Akquisition  der  Lues  mehr  ausgesetzt  ist.  Das  bezieht  sich  nur 
auf  ältere  Hebephrenen,  die  jugendlichen  Hebephrenen  werden 
meist  yor  Ausübung  der  geschlechtlichen  Tätigkeit  in  Anstalten 
gebracht  oder  strenge  bewacht,  so  daß  sie  meist  vom  infizierenden 
Geschlechtsleben  abgeschlossen  sind.  Durch  diesen  Unterschied 
zwischen  den  jüngeren  und  älteren  Hebephrenen  dürften  sich  die 
Verhältnisse  derart  ausgleichen,  dah  die  syphilitische  Infektion 
ungefähr  in  demselben  Maße  statthat  bei  den  Hebephrenen  wie 
bei  den  anderen  Individuen.  Daß  dem  so  ist,  dafür  ist  das  Alter 
der  Hebephrenen  mit  /ikquirierter  Syphilis  ein  recht  deutlicher 
Hinweis;  dieselben  befinden  sicli  meist  in  der  Mitte  der  zwanziger 
Jahre.  Das  Vorkommen  syphilogener  Affeklionen,  insbesondere 
der  Pupillenstarre  bei  dem  Ehegatten  eines  mit  Paralyse  oder 
Tabes  behafteten  Individuums  ist  von  mir  schon  öfter  und  auch 
heute  hervorgehoben  worden.  Ich  habe  auch  einen  Fall  von 
Dementia  praecox  erwähnt,  dessen  Mutter  das  Argyll-Robertson- 
sche  Phänomen  hatte.  Dieses  Phänomen  der  Mutter  bildete  die 
einzige  hereditäre  Belastung  des  Hebephrenen. 


Aerztlicher  Verein  in  Brünn. 

Sitzung  vom  24.  April  und  1.  Mai  1907. 

Vorsitzender;  Stadtphysikus  Dr.  Li  e  h  m  a  n  n. 

Schriftführer:  Dr.  Schweinburg. 

Dr.  Stransky  demonstriert  einen  Fall  von  Frühjahrs¬ 
katarrh  und  bespricht  eingehend  Aetiologie,  Symptomatologie, 
Differentialdiagnose  und  Therapie  dieser  Affektion. 

Priv.-Doz.  Dr.  Schmeichler  meint,  daß  der  Frühjahrs¬ 
katarrh  weniger  durch  die  Wärme  als  durch  den  Lichteinfluß  auf 
das  Auge  erzeugt  werde,  da  die  betreffenden  Patienten  im  Winter, 
wenn  sie  in  der  Wärme  sitzen,  keinen  Katarrh  bekommen. 
Schmeichler  hat  einen  Fall  durch  mehrere  Jahre  beobachtet, 
in  welchem  die  katarrhalischen  Erscheinungen  der  Konjunktiva 
mit  der  Intensität  der  Sonnenstrahlen  aufs  deutlichste  in  Zu¬ 
sammenhang  standen. 

Mr.  pharm.  A  s  s  i  n  g  e  r  (als  Gast)  berichtet  über  eine  neue 
Isoformpaste,  welche  die  Mundhöhle  zu  desinfizieren  vermag. 

Priv.-Doz.  Dr.  S  t  e  r  n  b  e  r  g  hält  es  für  übertrieben,  der 
Flora  der  Mundhöhle  jene  Bedeutung  beizumessen,  wie  es  Vortr. 
tat  und  derselben  eine  weitgehende  pathogene  Rolle  zu¬ 
zuschreiben. 

Prim.  Dr.  Mager  demonstriert : 

1.  eine  19jährige  Patientin  mit  einer  seit  sechs  Monaten 
bestehenden  Tetanie,  bei  der  seit  längerer  Zeit  Erscheinungen 
von  seiten  des  Magendarmtraktes  bestehen  (vorwiegend  Obsti¬ 
pation).  Die  nach  der  Schmidt  sehen  Methode  vorgenommene 
Stuhluntersuchung  zeigte  eine  außerordentliche  Gärung  der 
Fäzes,  ein  Befund,  den  Vortr.  auch  bei  der  Untersuchung  anderer 
Tetaniefälle  erhoben  hatte.  Er  erinnert  an  die  Stuhlbefunde  bei 


Fällen  von  Enteroptose,  bei  welchen  das  Fazialisphänomen  zu 
konstatieren  war  und  über  die  er  bereits  ausführlich  berichtet 
hat.  Aus  dem  Stuhlbefund  bei  den  Tetaniekranken  schließt  Vortr., 
daß  bei  der  Tetanie  eine  abnorme  Zersetzung  im  Darm  zur 
Autointoxikation  und  dadurch  zur  Auslösung  der  nervösen 
Symptome  führe  und  glaubt,  daß  hiefür  eine  eventuelle  In¬ 
su  tfizienz  der  Epithelkörperchen  verantwortlich  zu  machen  ist, 
deren  Funktion  es  sonst  ist,  die  Produkte,  die  etwa  zur  Auto¬ 
intoxikation  führen  können,  unschädlich  zu  machen. 

2.  die  Osazone  von  einem  Falle  von  Diabetes  und 
einem  Falle  von  Pentosurie  und  bespricht  die  Reaktionen, 
die  im  Harne  bei  Pentosurie  auftreten  und  daran  an'schließend 
die  Diagnose  der  Pentosurie  und  deren  Bedeutung  für  die  Praxis. 

Dr.  Fischer  berichtet  über  einen  in  der  Landeskranken¬ 
anstalt  beobachteten  Fall  von  Rekurrenslähmung  bei 
Mitralstenose,  in  welchem  man  wegen  der  beträchtlichen 
Dilatation  des  linken  Vorhofes  die  Diagnose  auf  Kompression 
des  Nervus  recurrens  durch  den  Vorhof  stellte.  Die  Obduktion 
zeigte  jedoch,  daß  eine  derartige  Kompression  nicht  bestand, 
daß  vielmehr  der  Rekurrens  innig  mit  einem  Lymphdrüsenpaket 
verwachsen  und  daselbst  atrophiert  war.  (Erscheint  ausführlich 
in  dieser  Zeitschrift.) 

Priv.-Doz.  Prosektor  Dr.  Sternberg  demonstriert : 

1.  ein  mächtiges  Aneurysma  der  Aorta  thoracica 
von  einem  42jährigen  Taglöhner,  das  die  Wirbelsäule  und  zwei 
linksseitige  Rippen  usuriert  hatte  und  sich  als  weiche  Geschwulst 
unter  der  Rückenhaut  vorwölbte,  so  daß  es  klinisch  beinahe 
einen  kalten  Abszeß  vorgetäuscht  hatte.  Gleichzeitig  bestanden 
eine  chronische  Aortitis,  die  das  Bild  der  IMesaortitis  proliferans 
(Chiari)  darbot,  ein  mal  perforaiit  am  linken  Fuß  und  eine  Tabes 
dorsalis. 

2.  ein  Aneurysma  dissecans  von  einer  70jährigen 
Pfründnerin.  Bei  der  Obduktion  fand  sich  eine  Tamponade  des 
Herzbeutels  durch  geronnenes  Blut,  als  deren  Quelle  eine  aus¬ 
gebreitete  Suffusion  des  Zellgewebes  in  der  Umgebung  der  Aorta 
ascendens  nachgewiesen  wurde.  In  der  Wand  der  Aorta  aesendens 
findet  sich  ein  umfangreiches  Aneurysma  dissecans;  an  der  eröffneten 
Aorta  sieht  man  an  der  rechten  seitlichen  Zirkumferenz  einen 
längs  verlaufenden,  G  cm  langen,  dreieckigen  Defekt  in  der 
Intima  und  wohl  auch  in  den  oberen  Schichten  der  Media,  dessen 
Ränder  vollständig  vernarbt  sind  und  der  an  der- Basis  iVa  cm 
breit  ist ;  hier  schließt  sich  ein  5  cm  langer,  horizontal  ver¬ 
laufender,  4  cm  oberhalb  der  Klappen  gelegener  Riß  an,  der 
teilweise  gleichfalls  fest  vernarbt,  teilweise  aber  von  fetzigen 
Rändern  begrenzt  ist  und  klafft.  An  dieser  Stelle  sowohl  als  an 
der  Spitze  des  Längsrisses  gelangt  die  Sonde  in  das  Aneurysma 
dissecans. 

Der  Fall  ist  mithin  deswegen  besonders  interessant,  weil 
hier  jedenfalls  vor  längerer  Zeit  eine  ausgedehnte  Aortenruptur 
stattgefunden  hat,  die  vollständig  ausheilte  und  anscheinend, 
soweit  die  Anamnese  verläßlich  ist,  symptomenlos  verlaufen  ist. 
Die  neuerliche  Aortenruptur,  die  im  Anschluß  an  die  alten  Narben 
erfolgt  ist,  hat  zum  Aneurysma  dissecans  und  von  hier  aus 
zur  Blutung  in  den  Herzbeutel  geführt.  Bemerkenswert  ist  auch, 
daß  die  Aorta  außer  den  beschriebenen  Veränderungen  keinerlei 
anderen  Befund  darbietet;  ihre  Intima  ist  vollständig  glatt 
und  zart. 

Prim.  Dr.  Spietschka;  Der  gegenwärtige  Stand 
der  Lehre  von  der  Syphilis. 

Vortr.  gibt  zunächst  eine  Uebersicht  über  die  historische 
Entwicklung  unserer  Kenntnisse  von  der  Spirochaete  pallida  und 
über  die  Syphilisübertragungen  auf  Affen,  bespricht  sodann  ein¬ 
gehend  die  Methodik  des  Spirochätennachweises  im  Deckglas¬ 
präparat  und  im  Schnitt,  die  vorliegenden  Spirochätenbefunde 
bei  den  verschiedenen  Produkten  der  Lues  und  ihre  diagnostische 
Verwertbarkeit,  den  Verlauf  der  experimentellen  Syphilis  bei 
niederen  und  höheren  Affen,  die  Uebertragungsversuche  auf  die 
Kaninchenkornea,  erörtert  die  Frage,  ob  bei  Luetikern  eine  Im¬ 
munität  bestehe  und  glaubt  diese  Frage  verneinen  zu  müssen, 
indem  er  für  den  Begriff  der  ,, Umstimmung“  der  Gewebe  eintritt 
und  behandelt  zum  Schlüsse  die  Gesichtspunkte,  welche  sich  aus 
den  neugewonnenen  Tatsachen  für  die  Therapie  der  Syphilis  ergeben. 

Priv.-Doz.  Prosektor  Dr.  Sternberg  weist  zunächst  im  Hin¬ 
blick  auf  einige  Arbeiten  der  letzten  Zeit  und  eine  Diskussion  in  der 
Berliner  medizinischen  Gesellschaft  die  Einwendungen  zurück, 
die  gegen  die  Spirochaete  pallida  erhoben  wurden.  Eine  Verwechs¬ 
lung  mit  Gebilden  aus  dem  Farbstoff  oder  mit  Gewebselomenten 
(bei  Behandlung  nach  Lev  a  di  ti)  hält  Redner  bei  einem  Geübten  für 
ausgeschlossen.  Was  die  ätiologische  Bedeutung  der  Spirochaete 
pallida. anlangt,  so  veranlaßt  eine  sorgfältige  Erwägung  der  bisher 
vorliegenden  Befunde  über  das  Vorkommen  und  die  Häufigkeit 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  22 


öb‘± 


der  Spirochäten  in  bestimmten  Stadien  der  Lues,  bzw.  über  das 
Fehlen  derselben  den  Vortr.  zu  einer  gewissen  Vorsicht.  Mög¬ 
licherweise  sind  die  bisher  vorliegenden  Methoden  zum  Nachweis 
der  Spirochaete  noch  nicht  ausreichend,  möglicherweise  ist  aber 
auch  die  Spirochaete  pallida  nicht  der  ausschließliche  Erreger 
der  Lues.  Zweifellos  scheint  sie  in  der  Aetiologie  der  Syphilis  eine 
wesentliche  Rolle  zu  spielen.  Es  wäre  aber  vorstellbar,  daß  sie 
nur  eine  Form  des  Erregers  darstellt,  während  andere  Formen 
(Entwicklungsstadien  ?)  noch  unbekannt  sind.  Redner  wendet  sich 
sodann  gegen  den  unklaren  Begriff  der  „Umstimmung“  der  Gewebe 
und  bespricht  die  Frage  der  Immunität  bei  Syphilis,  wobei  auch 
die  Aulfassung  einer  allmählich  fortschreitenden,  zunächst  lokalen 
und  erst  später  allgemeinen  Immunität  dargestellt  wird.  Endlich 
erörtert  Vortr.  die  Versuche,  das  Phänomen  der  Komplement¬ 
ablenkung  zum  Nachweis  .von  Antikörpern  bei  Luetischen  (im 
Blut  und  in  den  Geweben),  ferner  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit 
von  Tabikern  und  Paralytikern  etc.  heranzuziehen ;  nach  Be¬ 
sprechung  der  Grundlagen  und  der  Technik  dieser  Versuche 
zeigt  Vortr.,  daß  den  neueren  Angaben  zufolge  aus  dem  Ausfall 
dieser  Versuche  nicht  auf  die  Gegenwart  von  Syphilisantikörpern 
geschlossen  werden  darf,  daß  mithin  dieses  Verfahren  keine 
diagnostische  Verwertung  finden  kann. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907. 

(Fortsetzung.) 

Matthes-Köln  und  Gott  stein- Köln.  Leber  Wir¬ 
kung  von  Verdauungsprodukten  aus  Bakteri  enlei- 
hern  auf  den  gesunden  und  infizierten  Organismus. 
(Fortsetzung.) 

III.  Mit  Typhusalhumose  vorbehandelte  Tiere  erlangen  nach 
einiger  Zeit  eine  spezifische  Immunität  gegen  Typhus.  Diese 
Immunität  ist  keine  hakteriolytische. 

C.  Lew  in- Berlin  :  Ein  transplan  tables  Ratten¬ 
karzinom.  Mit  Demonstrationen. 

Die  Untersuchungen  über  das  Mäusekarzinom  haben  unsere 
Kenntnisse  über  den  Krebs  gefördert.  Ihre  Ergebnisse  aber  sind 
für  die  menschlicbe  Pathologie  mit  Vorsicht  zu  verwenden.  Im 
Rattenkarzinom,  über  das  der  Vortragende  berichtet,  haben  wir 
dagegen  eine  fast  vollkommene  Analogie  der  menschlichen  Ver¬ 
hältnisse.  Es  ist  anatomisch  ein  richtiger  Krebs,  macht  klinisch 
Metastasen,  Aszites,  Kachexie  usw.  Es  ließ  sich  bisher  durch 
fünf  Generationen  überimpfen,  wobei  sieb  bemerkenswerte  Er¬ 
gebnisse  erzielen  lassen,  die  zum  Teil  von  den  Verhältnissen 
beim  Mäusekrehs  sich  unterscheiden. 

Die  Virulenz  des  Tumors  ist  dieselbe  geblieben  und  be¬ 
trägt  durchschnittlich  50%.  IVährend  der  Mäusetumor  selbst  auf 
weiße  Mäuse  anderer  Abstammung  sich  nicht  übertragen 
läßt,  können  wir  den  Rattentumor  auf  alle  weißen,  resp.  weiß- 
bunten  Ratten  überimpfen,  ja  es  gelang  sogar,  Bastarde  von 
grauen  und  weißen  Ratten  positiv  zu  impfen.  Ist  dagegen  eine 
Impimg  negativ  geblieben,  so  gelingt  eine  positive  Impfung  später 
nui’  in  den  seltensten  Fällen. 

Schlayer-Tübingen:  Experimentelle  Untersu¬ 

chungen  über  nephritisches  Oedem. 

Liegt  die  Ursache  für  das  Oedem  in  dem  Verhalten  der 
Niere  oder  in  extrarenalen  Momenten  oder  müssen  beide  Zu¬ 
sammentreffen  ? 

Durch  besondere  Anordnung  der  Experimente  läßt  sich 
aber  die  Frage,  inwieweit  dem  Verhalten  der  Niere  ein  besonderer 
Anteil  an  der  Oedementstehung  zukommt,  wohl  untersuchen,  und 
zwar  durch  Vergleich  der  Funktion  der  Niere  bei  Urannephritis 
mit  der  bei  anderen,  nicht  von  Oedem  begleiteten  toxischen 
Nephritiden.  Durch  Prüfung  des  Effektes  von  vasodilalatorischen, 
also  diuretisch  wirkenden  und  vasokonstriktorischen  Reizen  auf 
das  Nierengefäßisystem  und  die  Diurese  wurde  das  Bestehen  von 
zwei  vemchiedenen  Typen  von  toxischer  Nephritis  nachgewiesen, 
eines  vaskulären  und  eines  tubulären,  beide  nach  der  Art  des 
funktionellen  Ablaufes  bezeichnet.  Die  Urannephrilis  entspricht 
nun  durchaus  dem  tubulären  Typus,  sowohl  in  ihren  Anfangs¬ 
ais  in  ihren  Endstadien.  Sie  unterscheidet  sich  aber  von  den 
anderen  toxischen,  auch  den  tubulären  Nephritiden  durch  ein 
außerordentlich  eigenartiges  Zwischenstadium,  das  bei  keiner  der 
anderen  vorkommt.  In  diesem  zeigt  die  Niere  völlig  intakte  Kon¬ 
traktions-  und  Dilatationsfähigkeit  der  Nierengefäße,  gleichzeitig 
aber  eine  Aufhebung  der  vorher  normalen  Diurese  auf  Diurese¬ 
reize  bestimmter  Art,  so  z.  B.  Kochsalz  oder  Wasser  mit  sehr 
geringem  Kochsalzzusatz.  Dagegen  stellt  Koffein  die  Diurese  wieder 
lier,  freilicli  in  gcu'ingeretn  Grade  als  normal.  Die  Ursache  dieses 


Verhaltens  kann  nicht  in  der  Schädigung  der  Tubulusepithelien 
gefundeu  werden.  Denn  bei  Chrom-  und  Suhlimatniere  ist  letztere 
ebenso  vorhanden,  aber  der  Diuresereiz  hat  dort  in  analogen 
Stadien  mächtige  Polyurie  zur  Folge.  Es  muß  also ,  eine  Schä¬ 
digung  des  Knäuelapparates  der  Niere  vorliegen  u.  zw.  bei  voll¬ 
kommen  intaktem  anatomischen  Verhalten,  ja  auch  unbehinderter 
Kontraktions-  und  Dilatationsfähigkcit  der  Nierengefäße. 

Daraus  folgt,  daß  seihst  völlig  normale  Gefäßfunklion  und 
Blutversorgung  der  Niere  noch  nicht  identisch  sind  mit  normaler 
Sekretion.  Zwischen  beiden  liegt  vielmehr  eine  bisher  noch  un¬ 
bekannte  Eigenschaft,  die  zunächst  als  Durchlässigkeit  des  Nieren¬ 
gefäßapparates  bezeichnet  wird.  Bei  der  Uranniere  wird  diese 
Durchlässigkeit  sehr  früh  aufgehoben,  sobald  die  Niere  in  spezieller 
Weise  stärker  beansprucht  wird.  Gewisse  Formen  der  mensch¬ 
lichen  chronischen  parenchymatösen  Nephritis  mit  Oedem  zeigen 
sowohl  anatomisch  wie  funktionell  das  gleiche  Verhalten,  wie 
die  Urannephritis.  Auch  bei  ihnen  kann  die  Insuffizienz  der 
iVusscheidung  nicht  auf  die  Läsion  der  Tubulusepithelien  zurück¬ 
geführt  werden,  sondern  ist  in  Verminderung  oder  Aufhebung 
der  Durchlässigkeit  des  Nierengefäßapparates  zu  suchen.  Ana¬ 
tomisch  intakte  Nierengefäße  können  somit,  wie  schon  die  Uran¬ 
nephrilis  allein  zeigt,  völlig  insuffizent  hinsichtlich  der  x\us- 
scheidungsfähigkeit.  sein. 

Das  eigentümliche  funktionelle  Verhalten  der  Uranniere  be¬ 
dingt  nun  sicher  eine  starke  Retention  von  Wasser  und  Koch¬ 
salz.  Wie  Durchspülungsversuche  nach  Cohnheim -Licht  heim 
und  Magnus  zeigten,  führt  jedoch  selbst  stärkste  Wasser-  und 
Salzretention  in  dem  Stadium  aufgehobener  Durchlässigkeit  hei 
intakter  Kontraktions-  und  Dilatationsfähigkeit  der  Nierengefäße 
noch  nicht  zu  Oedem.  Wohl  aber  tritt  Hautödem  auf  in  einem 
späteren  Stadium  der  Urannephritis,  wenn  die  Nierengefäße  bereits 
ihre  Dilatationsfähigkeit  verloren  haben.  Dieses  zeitliche  Zu¬ 
sammenfallen  von  Durchlässigwerden  der  Hautgefäße  und  Nieren- 
gefäßiläsion  weist  auf  eine  Schädigung  der  Hautgefäße  als  Ursache 
des  Durchlässigwerdens  hin. 

Die  Versuche  ergeben  somit  eine  Bestätigung  der  Cohn- 
h  ei  m- Senator  sehen  Theorie,  von  dem  Modus  der  Oedem- 
bildung,  indem  sie  den  Einfluß  der  Art  der  Nierenschädigung 
ganz  besonders  hervorbehen  und  damit  auch  die  Frage  klären, 
warum  die  eine  Nephritis  von  Oedem  begleitet  ist  und  die 
andere  nicht. 

Diskussion;  L  i  c  h  t  h  e  i  m  -  Königsberg  macht  darauf  auf¬ 
merksam,  daß  die  Cohnheim -Senator  zugeschriebene  Theorie 
von  ihm  in  Verbindung  mit  Cohnheim  aufgestellt  wurde. 

'  S  ie  g  e  1  -  Reichenhall :  Ueber  experimentelle  Ne¬ 
phritis. 

Im  Gegensätze  zu  allen  bisherigen  Untersuchern  war  er 
imstande,  durch  subkutane  Injektion  von  Urannitrat  bei  Hunden 
eine  akute  Nephritis  zu  erzeugen,  die  zu  Beginn  der  dritten 
Krankheitswoche  in  die  chronische  parenchymatöse  Nephritis  und 
Schrumpfung  überging.  Dies  ging  deutlich  aus  dem  klinischen 
Bilde,  aus  dem  Verhalten  des  Urins  hervor,  der  sich  genau 
so  verhielt,  wde  der  Urin  bei  menschlicher  Schrumpfniere.  Zu 
gleicher  Zeit  entwickelte  sich  auch  eine  deutliche  Hypertrophie 
des  linken  Ventrikels.  Die  Obduktion  eines  solchen  Hundes  am 
32.  Krankheitstage  bestätigte  die  klinische  Diagnose  in  jeder  Be¬ 
ziehung  :  Die  Niere  zeigte  makroskopisch  genau  das  Bild  der 
beginnenden  Graimlaratrophie  beim  Menschen.  Mikroskopisch 
fanden  sich  unter  anderem  kleinzellige  Herde,  teilweise  mit 
fibröser  Degeneration  der  Glomeruli,  Nekrose  der  Kapselepithelien 
der  Glomemli,  kleinzellige  Infiltrate;  starke  Hypertrophie  des 
linken  Ventrikels. 

Damit  ist  zum  ersten  Male  der  experimentelle  Beleg  für  den 
Uehergang  der  akuten  Nephritis  in  die  chronische,  in  die  Schrampf- 
niere  mit  den  sekundären  Herzerscheinungen  erbracht. 

Weiterhin  berichtet  Siegel  über  seine  Abkühlungsversuche. 
Auch  hier  ist  er  der  erste,  der  eine  Abkühlungsnephritis  hervor- 
rufen  konnte.  Er  kühlte  eine  Niere  direkt  ab,  indem  er  sie  in 
Narkose  freilegte  und  20  bis  30  Minuten  lang  Eisstückchen  auf 
sie  einwirken  ließ.  Jedesmal  entstand  eine  akute  parenchymatöse 
Nephritis  u.  zw.,  wie  aus  der  Obduktion  hervorging,  eine  beider¬ 
seitige  hämorrhagische.  Ein  Flund  bekam  mn  dritten  Tage  eine 
starke  Nierenblutung,  bei  einem  anderen  ergab  die  Obduktion 
bereits  am  neunten  Krankheitstage  eine  starke  Herzhypertroph’e., 

Für  die  Oedemfrage  folgt  aus  den  Versuchen  Siegels,  der 
bei  keinem  seiner  Tiere,  trotz  reichlicher  Kochsalz-  und  Wasser¬ 
zufuhr,  Oedeme  oder  Aszites  fand,  daß  eine  Gefäßgewebsläsion 
unbedingt  nötig  und  die  primäre  Ursache  sei.  Siegel  fand  nach 
geringer  Urandose  nur  hie  imd  da  geringe  Verfettung  der  Gefä߬ 
intima,  Richter  nach  großen  Dosen  bei  Kaninchen  schwere 
Gefäßveränderungrn  und  Oedeme  und  Aszites. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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W  ics  (‘ I  -  Wii'n  ;  l{(‘iial(‘  II  (>  i-/ li  y  [x*  I'tr  o  p  li  i  o  mid 
c b ro 111  al' lines  Sy  stein. 

Die  Untersuchung  des  clironiaffinen  Absclinittes  der  Nclien- 
nieren,  sowie  der  außerhalb  der  Nebennieren  liegenden  chrom¬ 
affinen  Zellen  und  Körper  bei  chronischem  iMorhus  Urightii, 
ferner  von  Nephritis  von  verschieden  langer  Dauer  nach  Schar¬ 
lach,  deckte  eine  bedeulende  iMengenzunalune  des  cdiromaffinen 
Gewebes  bis  —  speziell  in  der  Nebenniere  —  zum  Doppelten  der 
Norm  auf.  Diese  Hypertrophie  des  chromaffinen  Gewebes  findet 
sich  aber  nur  bei  Fällen  mit  linksseitiger  Ilerzhypertrophie,  die 
Vermehrung  der  chromaffinen  Elemente  geht  von  den  Bildungs¬ 
zellen  des  Sympathikus  aus,  die,  in  indifferenzierfem  Zustande 
jederzeit  im  Sympathikus  nachweisbar,  sich  hei  der  Nephritis 
in  bleibende  chromaffine  Zellen  umwandeln.  Der  Vorgang  der 
Bildung  der  neuen  chromaffinen  Zellen  gleicht  durchaus  dem  der 
Entwicklung  des  chroniaffinen  Gewebes  heim  Embryo. 

Was  das  zeitliche  Auftreten  der  Hypertroplne  des  (dirom- 
affinen  Gewebes  anlaiigt,  so  kann  nach  den  bisherigen  ErfaJi- 
rungen  gesagt  werden,  daß'  sie  entschieden  nicht  früher  nacliweis- 
har  ist,  als  die  Herzhypertropliie. 

Die  nephritische  Arteriitis  ist  von  vornherein  ein  degenera- 
fiver  Prozeß,  der  immer  in  der  Media  der  Arterien  beginnt  und 
erst  sekundär  nach  Atrophie  der  elastischen  Elemente  und  der 
Muskulatur  zu  den  bekannten  hyperplastischen  UmAvandlungen 
führt.  Ihrem  anatomischen  Verhalten  nach  gleicht  ilie  nephritische 
Arteriitis  nicht  sehr  vorgeschrittenen  Stadien  der  experimentellen 
Adrenalinarteriitis. 

Diskussion  zu  den  Nierenvorträgen  in  der 
III.  Sitzung.  Strauß -Berlin  konstatiert,  daß  die  Voraus¬ 
setzungen,  die  ihn  zur  Einführung  der  Chlorentziehungskuren 
in  die  Therapie  veranlaßten,  durch  Siegels  und  Schlayers 
Vorträge  bestätigt  wurden.  Auch  die  Notwendigkeit,  Gefäßverän¬ 
derungen  beim  Oedem  anzunehmen,  habe  er  schon  vor  sechs 
Jahren  betont  und  zuerst  die  durch  Kochsalz  veranlaßte  nephro¬ 
gene  Flüssigkeitsretention  in  die  richtige  therapeutische  Be¬ 
leuchtung  gerückt.  In  der  praktischen  Verwertung  seiner  Angaben 
sei  man  zu  weit  gegangen.  Er  habe  die  Chlorentziehung  nur 
für  die  Fälle  parenchymatöser  Nephritis  empfohlen,  die  eine 
Hydropsietendenz  zeigten,  d.  h.  für  die  Pat.,  die  bei  einer  Diät 
von  mittlerem  Kochsalzgehalt  einen  Urin  von  niedrigem  Koch¬ 
salzgehalt  und  bei  täglichen  Wägungen  eine  propediente  Gewichts¬ 
zunahme  erkennen  lassen.  Die  akute  Uranvergiftung  liefere  über¬ 
haupt  kein  den  klinischen  Verhältnissen  vergleichbares  Bild. 
Daß  Wasser  bei  ihr  zurückgehalten  werde,  sei  bei  den  großen 
Schädigungen  der  Niere  erklärlich.  Eine  Niere,  die  nicht  auf 
Diuretika  reagiert,  sei  nicht  zum  Studium  über  die  spezielle  Ein¬ 
wirkung  von  Kochsalz  und  Wasser  auf  die  Nierenfunktion  ge¬ 
eignet.  Bei  Kochsalzzufahr  kann  ein  Hydrops  nur  erwartet  werden, 
wenn  die  Tiere  genügend  Wasser  bekommen.  Das  Kochsalz 
selbst  bat,  wie  der  Redner  immer  betont  hat,  keine  hydropsie- 
erzeugende  Kraft,  es  wirkt  nur  durch  Wasserretention  hydropsie- 
erzeugend. 

W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  -  Halle  gibt  an,  daß  in  der  M  e  r  i  n  g  sehen 
Klinik  vor  Jahren  Versuche  gemacht  wurden  derart,  daß  die 
Nieren  von  Hunden  von  der  Kapsel  befreit  und  direkt  unter  die 
Haut  eingenäht  wurden.  Abkühlungen  und  Eisapplikationen  auf 
die  Haut  waren  ohne  jeden  Einfluß,  es  trat  keine  Nephritis  ein. 
Es  bedarf  also  wie  bei  Siegel  drastischer  Einflüsse,  um  eine 
Nephritis  zu  erzeugen. 

Erich  M  e  y  e  r  -  München  weist  auf  Untersuchungen  von 
H  e  i  n  e  k  e  (H.  med.  Klinik  in  München)  hin,  aus  denen  hervor¬ 
geht,  daß  auch  aus  Gifte  wie  Chrom,  die  beim  Tier  gewöbnlich 
Nephritis  ohne  Oedeme  hervorrufen,  dann  Oedeme  entstehen, 
wenn  gleichzeitig  reichlich  Wasser  und  Salze  verfüttert  werden. 
Beim  nierenkranken  Menschen  muß  in  jedem  einzelnen  Falle  die 
Toleranz  gegenüber  Salzen  erprobt  und  danach  therapeutisch 
verfahren  werden. 

V.  No  Orden- Wien  möchte  betont  wissen,  daß  er  zuerst 
die  Wasserbesebränkung  bei  Nephritis  empfohlen  hat.  Ferner  kann 
er  vom  praktischen  Standpunkt  aus  den  Vorschlag,  Kochsalz  aus 
der  Nahrung  zu  lassen,  nicht  billigen,  da  die  Pat.  dann  den  Appetit 
verlieren  und  unterernährt  werden.  Jedenfalls  sollte  man  sich  vor 
jeder  Schematisierung  hüten. 

B  1  u  m  e  n  t  h  a  1  -  Berlin  reklamiert  für  seinen  Schüler  Bohne 
•  das  Verdienst,  1897  zuerst  auf  die  Bedeutung  der  Retention  der 
Chloride  aufmerksam  gemacht  zu  haben,  allerdings  mehr  im  Zu¬ 
sammenhang  mit  urämischen  Symptomen. 

Strauß -Berlin  hat  immer  Individualisierung  der  Fälle 
gefordert.  Für  eine  kräftige  Ernährung  der  Nephritiker  sei  auch 
er  stets  mit  Rücksicht  auf  die  Wichtigkeit  einer  guten  Herzfunktion 
eingetreten.  Die  Versuche  von  Bohne  hätten  Ui'ämie  und  keine 


Oedemfragen  zum  Gegenstand  gehabt.  Für  die  Frage  der  Urämie 
kommt  nicht  der  Salzstoffwechsel  in  Betracht,  sondern  stickstoff¬ 
haltige  Körper. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Foitsrlzung). 

HI.  Sitzungstag. 

Fortsetzung  der  Diskussion  zum  Vortrage  Barden- 
heu'Ors  über  Oberschenkelh  rüche. 

Kittel-  Annahütte  spricht  in  seiner  Eigenschaft  als  prak¬ 
tischer  Arzt.  Er  habe  das  B  a  rd  e  n  h  e  u  e  r  sehe  Verfahren  seit 
lV‘2  Jahren  in  seiner  Praxis  angewendet  und  sei  mit  den  erzielten 
Resultaten  sehr  zufrieden. 

F  rangen  heim  -  Königsberg  macht  auf  die  Bedeutung  des 
Schwundes  des  Schenkelhalses  bei  den  Frakturen  desselben  auf¬ 
merksam.  Er  führt  den  Schwund  des  Halses  auf  den  Druck  zurück, 
welchen  die  Fragmente  aufeinander  ausüben.  Nach  erfolgter  Heilung 
der  Fraktur  höre  der  Schwund  auf. 

E  V 1  e  r  -  Treptow  wendet  zur  Behandlung  der  Oberschenkel¬ 
fraktur  sowohl  im  Gehen  als  auch  im  Liegen  einen  Schienen¬ 
hülsenapparat  an,  den  er  aus  Chromleder  herstellt.  Bei  seiner 
Behandlung  bleibe  die  Bruchstelle  frei. 

N  o  e  t  z  e  1  -  Frankfurt  a.  M.  führt  aus,  daß  auf  der  R  e  h  n- 
schen  Abteilung  eine  Anzahl  von  Frakturen  blutig  behandelt 
worden  seien.  Die  Operationen  seien  zumeist  in  späteren  Stadien 
ausgeführt  worden.  Die  Befunde,  welche  sie  dabei  erhoben  hatten, 
wären  jedoch  die  Veranlassung,  daß  sie  künftig  mehr  Früh¬ 
operationen  ausführen  würden.  Am  Oberschenkel  wendeten  sie 
für  Knochennaht  Draht  an,  bei  den  übrigen  Knochen  käme  man 
mit  Catgut  aus. 

Schlange-  Hannover  bleibt  dabei,  daß  es  eine  Anzahl  von 
Oberschenkelfrakturen  gäbe,  bei  denen  die  unblutige  Reposition 
mißlinge.  Für  diese  Fälle  bält  er  die  Operation  für  indiziert.  Die 
Operation  wäre  sehr  einfach,  er  habe  damit  ausgezeichnete  Re¬ 
sultate  erzielt. 

Die  Herren  Bocke  nheimer-  Berlin,  Lern  m  e  n  -  Köln 
und  Schulze-Bonn  treten  auf  Grund  der  Erfahrungen,  welche 
an  den  von  ihnen  vertretenen  Anstalten  gemacht  sind,  lebhaft  für 
das  B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r  sehe  Verfahren  ein. 

B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r  -  Köln  führt  in  seinem  Schlußwort  aus, 
daß  er  niemals  den  Anspruch  erhoben  habe,  für  den  Erfinder 
des  Extensionsverfahrens  zu  gelten ;  er  nehme  für  sich  jedoch  das 
Verdienst  in  Anspruch,  die  Extensionsbehandlung  auf  alle 
Knochen  übertragen  und  es  in  seinen  Einzelheiten  ausgebildet 
zu  haben. 

M  u  s  k  at- Berlin'’]  führt  aus,  daß  neben  der  aktiven  Gym¬ 
nastik,  die  B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r  allein  angewendet  sehen  will,  auch 
passive  erforderlich  und  empfehlenswert  erscheint.  In  Anstalten, 
wie  die  B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r  sehe,  ermuntert  ein  Patient  den  anderen 
seine  aktiven  Uebungen  vorzunebmen,  während  in  der  Privat¬ 
praxis  eine  gewisse  Indolenz  besteht. 

Muskat  zeigt  dann  einen  einfachen  Apparat,  der  billig 
herzustellen  ist,  um  die  Verschiebungen  des  Schenkelschaftes, 
namentlich  bei  subkapitalen  Brüchen  zu  verhüten.  Eine  Zelluloid¬ 
azetonhülse  umfaßt  Becken  und  Oberschenkel.  Das  Gelenk  ist  be¬ 
weglich.  Durch  eine  Pelotte,  welche  genau  oberhalb  der  Bruch¬ 
stelle  gegen  das  Ende  des  Schaftes  drückt,  wird  dieser  festgehalten. 
Durch  einfache  Schraubung  kann  die  Pelotte  fester  eingedrückt 
werden.  M  u  s  k  a  t  hat  dadurch  Verbesserung  des  Ganges  erreicht. 

IV.  Sitzungstag. 

Kümme  11  -  Hamburg :  Die  Exstirpation  der  Pr o s  1  a  ta. 
Kümmell  empfiehlt,  die  Prostatektomie  erst  dann  auszuführen, 
wenn  die  ühliche  Behandlung  der  Prosta tahypertroidiio  nicht  zum 
Ziele  geführt  habe.  Er  hält  die  Operalion  für  indiziert,  wenn  die 
Kranken  ahsolut  nicht  mehr  selbst  urinieren  können,  wenn  sie 
dauernd  auf  den  Gebrauch  des  Katheters  angewiesen  sind,  wenn 
Schmerzen  auftreten,  wenn  sich  zur  Prostatektomie  Zystitis  und 
infektiöse  Prozesse  gesellen.  Er  habe  auch  mit  der  Bottinischen 
Operation,  mit  der  Kastration,  gute  Erfolge  erzielt,  aber  die  Isr- 
folge  seien  zu  inkonstant  gewesen,  auch  haben  sic  keine  Dauer 
gehabt,  daher  sei  er  jetzt  zur  Prostatektomie  übergegangen. 

Es  müsse  allgemein  die  Erkenntnis  Platz  greifen,  daß'  die 
Prostatahypertrophie  ein  lokales  Leiden  sei,  bedingt  durch  einen 
Tumor,  der  den  Blascnausgang  vm’.-^jchließt  und  die  Urinentleerung 
hehindert.  Hat  man  diese  Auffassung  von  der  Krankheit,  dann 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr,  22 


gelange  man  auch  folgerichtig  zu  der  Ansicht,  daß  dieser  Tumor 
zu  enlfernen  sei.  Er  halte  die  Exstirpation  der  geschwollenen 
Prostata  für  besser  als  ihre  Resektion.  Die  letztere  Operation  sei 
zwar  leichter  und  verlaufe  auch  leichter,  aber  sie  reiche  nicht 
immer  aus  und  es  könne  dabei  leichter  zu  Rezidiven  kommen. 
Der  Fortschritt  in  der  operativen  Behandlung  der  Prostata  sei 
gekommen,  nachdem  man  gelernt  habe,  die  Prostata  intra- 
kapsulär  zu  operieren. 

Für  kontraindiziert  hält  er  die  Operation  bei  sehr  ge¬ 
schwächten  Leuten;  auch  bei  ausgedelniter  Arteriosklerose,  bei 
diffuser  Bronchitis,  bei  Nerveninsuffizienz  solle  nicht  operiert 
werden.  Er  empfiehlt  zur  Prüfung  der  Nierenfunktion  auf  das 
dringendste  die  Kryoskopie,  die  ihn  bei  richtiger  Anwendung 
niemals  im  Stiche  gelassen  hätte.  Eine  Kontraindikation  für  eine 
Prostatektomie  ist  auch  eine  ganz  schlaffe  Blase. 

Was  die  Wahl  der  Methode  anbelangt,  so  haben  die  beiden 
üblichen  Methoden,  die  suprapubische  und  die  perineale,  ihre 
Vorteile  und  Nachteile.  Die  Mortalität  ist  ungefähr  bei  beiden 
die  gleiche  u.  zw.  ca.  9  bis  10%.  Er  selbst  hat  elfmal  perineal, 
30mal  suprapubisch  operiert. 

Vor  der  Operation  soll,  wenn  irgend  möglich,  zystoskopiert 
werden,  da  das  Zystoskop  Aufschluß  über  die  Größe  der  Prostata 
gibt  und  auch  darüber  unterrichtet,  nach  welcher  Richtung  die 
Hypertrophie  geht. 

Er  meine,  daß  die  Sectio  alta  einen  besseren  Ueberblick 
über  die  Blase  gestatte,  es  leichter  mache,  die  Blutungen  zu 
beherrschen  und  viel  seltener  zu  Fistelbildungen  führe  als  die 
perineale  Metlmde.  Endlich  könne  man  bei  der  suprapubischen 
Methode  die  Blase  völlig  schließen  und  die  Patienten  schneller 
aus  dem  Bette  bringen.  Daher  bevorzuge  er  die  suprapubische 
Metliode  und  wähle  die  perineale  Methode  nur,  wenn  sich  die 
Prostata  ganz  einseitig  nach  dem  Mastdarm  entwickelt  habe  und 
bei  sehr  korpulenten  Leuten. 

Eine  Hauptindikation  für  die  Totalexstirpation  gibt  das  Kar¬ 
zinom  der  Prostata.  Doch  ist  die  Diagnose  meist  erst  während 
der  Operation  zu  stellen.  Von  seinen  neun  wegen  Karzinom 
Operierten  sind  drei  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  die  Ope¬ 
ration  gestorben.  Von  den  Ueberlebenden  starben  vier  drei  bis 
fünf  Monate  nach  der  Operation  an  Metastasen;  zwei  leben  noch, 
der  eine  nach  einem  Jahre,  der  andere  vier  Monate  nach  der 
Operation. 

Von  den  32  wegen  gutartiger  Hypertrophie  Operierten  sind 
sieben  gestorben.  Die  meisten  Todesfälle  erfolgten  an  Lungen¬ 
embolie,  einer  starb  an  einer  Blutung. 

Die  Ueberlebenden  wurden  nachuntersucht  und  es  konnte 
vor  allem  festgestellt  werden,  daß  sie  den  Urin  selbst  entleeren 
können.  Das  Alter  der  Patienten  schwankte  zwischen  60  bis  90 
Jahren. 

Die  Kapazität  der  Blase  war  nach  der  Operation  durchaus 
zufriedenstellend.  Im  Durchschnitte  konnten  die  Patienten  den 
Urin  vier  bis  fünf  Stunden  halten. 

Ein  Patient  hatte  hei  der  Operation  eine  Rektumverletzung 
erlitten  und  starb  bei  dem  Versuche,  die  Fistel  zu  schließen.  Ein 
anderer  klagt  über  Störungen  seiner  Geschlechtsfunktion.  Die 
Patienten  müssen  deswegen  vorher  darauf  aufmerksam  gemacht 
werden,  daß  die  geschlechtliche  Funktion  leiden  kann.  Bei  einem 
Kranken  war  eine  beginnende  Striktur  festzustellen;  daher  sollten 
sich  alle  Operierten  von  Zeit  zu  Zeit  ärztlich  untersuchen  lassen, 
um  etwaige  Strikluren  rechtzeitig  in  Behandlung  nehmen  zu  lassen. 

Kümmel  1  pflegt  die  Operation  in  lumbaler  Anästhesie  aus¬ 
zuführen,  wenngleich  sich  auch  dann  Kollapse  niclit  ganz  ver¬ 
meiden  lassen. 

Er  beschreibt  zum  Schlüsse  seine  Technik.  Die  Sectio  alta 
wird  in  üblicher  Weise  ausgeführt.  Dann  wird  die  Prostata  vom 
Mastdarme  her  dem  Operateur  entgegengedrängt.  Dann  wird  die 
Schleimhaut  und  die  Kapsel  der  Ih'ostata  durchschnitten  und  die 
Ausschälung  der  Lappen  erfolgt.  Handelt  es  sich  um  gutartige 
Hypertrophien;  so  ist  die  Enukleation  meist  leicht;  macht  die 
Ausschälung  Schwierigkeiten,  so  muß  das  immer  den  Verdacht 
auf  einen  malignen  Tumor  erwecken.  Die  Blase  wird  völlig  ge¬ 
schlossen,  ebenso  die  Bauchdecke  bis  auf  eine  kleine  Stelle, 
durch  die  ein  Tampon  nach  außen  geleitet  wird.  Ein  Dauerkatheter 
leitet  den  Urin  durch  die  Harnröhre  nach  außen.  Nur  wo  es  sich 
um  infektiöse  Prozesse  handelt,  bleibt  die  Blase  offen;  die  Blase 
wird  dann  tamponiert.  Bei  der  perinealen  Methode  wird  die 
Prostata  durch  einen  halbkreisförmigen  Schnitt  vor  tlem  Mast¬ 
darme  freigelegt.  Dann  wird  die  Blase  in  jedem  Falle  eröffnet. 
Die  Prostatalappen  werden  durch  geeignete  Apparate  dem  Opera¬ 
teur  entgegengedrängt;  es  wird  auf  jeden  der  Lappen  einge¬ 
schnitten  und  die  Ausschälung  erfolgt. 

In  der  Diskussion  treten  die  meisten  Redner,  Gunkel- 
Fulda,  Schlesinger-Berlin,  Goeb eil- Kiel,  Helferich-Kiel, 


Sa  11  per- Interlaken,  Freudenberg-Berlin  für  die  supra- 
pubische  iMethode  ein. 

V  oelcke  rs -Heidelberg  berichtet  über  die  Erfahrungen  der 
Heidelberger  Klinik.  Czerny  hat  32nuit  operiert,  stets  vom  Peri¬ 
neum  aus.  Die  Patienten  waren  zwischen  56  und  80  Jahren 
alt.  Von  diesen  sind  drei  an  Kollaps,  Rektumverletzung  und  Peri¬ 
tonitis  gestorben,  also  9-7%.  Von  den  Ueberlebenden  haben 
21  Fälle  gute  Resultate  ergeben.  Narath,  der  jetzt  die  Heidel¬ 
berger  Klinik  leitet,  bevorzugt  die  suprapubische  Methode.  Sic 
wurde  siebenmal  aüsgeführt.  Zwei  von  diesen  Fällen  sind  ge¬ 
storben.  ln  Heidelberg  wird  die  Blase  mittels  T- Rohres  drainiert. 
ln  die  Blase  wird  ein  Dauerkatheter  eingelegt. 

V.  Rydy gier-Lemberg  glaubt,  daß  man  bezüglich  der 
Methode  der  Operation  eklektisch  Vorgehen  müsse.  Im  allgemeinen 
gebe  er  der  perinealen  Methode  den  Vorzug,  weil  er  sie  für 
weniger  gefährlich  hält.  Wenn  es  sich  um  gutartige  Fälle  handelt, 
dann  reseziert  er  die  beiden  Seitenlappen,  läßt  aber  jederseits 
an  der  Harnröhre  ein  kleines  Stück  stehen.  Freilich  ist  bei  dieser 
Methode  die  Technik  schwieriger,  aber  der  V'^erlauf  wäre  besser; 
auch  gelänge  es  besser,  die  Potenz  zu  erhalten. 

Ru  mp el- Berlin :  Die  Wahl  der  Methode  ist  abhängig  von 
den  vorliegenden  anatomischen  Verhältnissen.  Diese  ließen  sich 
nur  zystoskopisch  feststellen.  Für  die  suprapubische  Methode 
seien  nur  die  in  die  Blase  hineinragenden  Tumoren  geeignet. 
Für  diejenigen  Fälle,  wo  es  sich  um  ringförmige,  wenig  in  die 
Blase  prominierende  Prostatao  handelt,  hält  er  die  Bottinischc 
I\Iethode  für  besser;  endlich  geht  er  den  perinealen  Weg,  wo  die 
Entwicklung  der  Prostata  wesentlich  jjegen  das  Rektum  hin 
statthat. 

Rumpel  warnt  vor  der  Füllung  der  Blase  mit  Luft;  er  hat 
damit  einen  Todesfall  an  Luftembolie  erlebt.  Er  drainiert  die  Blase 
von  oben  durch  einen  Dauerkatheter;  der  Drain  wird  nach  sechs 
Tagen  entfernt. 

Endlich  macht  er  noch  darauf  aufmerksam,  daß  nach  der 
Operation  häufig  schwere  psychische  Störungen  auftreten. 
Er  hat  zweimal  Suizidium  in  der  Nachbehandlungsperiode  beob¬ 
achtet. 

Israel -Berlin:  Die  einfache  Tatsache,  daß  ein  Mann  ohne 
Katheter  seinen  Urin  nicht  entleeren  kann,  ist  für  Israel  noch, 
nicht  ausreichend,  um  die  Prostatektomie  auszuführen.  Erst  wenn 
noch  andere  Beschwerden  auftreten,  muß  operiert  werden.  Er 
operiert  auch  bei  schlaffer  Blase,  da  er  gesehen  iiat,  daß  sich 
auch  solche  schlaffe  Blasen  noch  erholen  und  weil  man  den 
Blasen  vor  der  Operation  nicht  ansehen  kann,  ob  sie  sich  er¬ 
holen  werden  oder  nicht.  Er  bevorzugt  die  suprapubische  Me¬ 
thode.  Maßgebend  ist  dabei  für  ihn  die  Leichtigkeit  der  Operation, 
die  Vermeidbarkeit  der  Nebenverletzungen.  Von  der  .suprapubi¬ 
schen  ^Vunde  aus  kann  man  jede  wie  auch  immer  geformte  Pro¬ 
stata  entfernen.  Er  macht  für  gewöhnlich  kleine  Schnitte;  nur 
bei  sehr  großer  Prostata  wären  größere  Schnitte  erforderlich. 
Die  Fettleibigkeit  ist  keine  Indikation  für  die  perineale 
Methode ;  sie  störe  bei  dieser  noch  mehr  als  bei  der  suprapubi¬ 
schen.  Er  hat  in  seinem  ersten  Falle  die  Blase  total  geschlossen; 
(!r  rät  jedoch,  die  Blase  von  oben  zu  drainieren  und  den  Dauer- 
katheter  einzulegen,  weil  es  auf*  diese  Weise  besser  gelänge, 
spät  auftretende  Blutungen,  welche  er  in  zwei  Fällen  beobachtet 
habe,  zu  beherrschen. 

(ITortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag  den  31.  Mai  1907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Professor  KÖiiigsteiu  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Reg.-Arzt  Dr.  Dörr:  Ueber  ein  neues  Desinfektionsverfahren 
mit  Formalin  auf  kaltem  Wege. 

2.  Dozent  Dr.  G.  Alexander;  Ueber  otitische  Sinusthrombose  und 
Pyämie.  (Demonstration.) 

3.  Primarius  Dr.  Moszkowicz:  Zur  Technik  der  Operationen  an 
der  Hypophyse.  (Demonstration.) 

4.  Dr.  Berdacli :  Demonstration  des  Sigalinschen  Rhythmoskops. 

5.  Dozent  Dr.  H.  Schur  und  Dr.  Jos.  Wiesel;  Demonstration 
einer  Reaktion  im  Blutserum  von  Nephritikern. 

6.  Professor  Dr.  M.  Benedikt :  Physiologie  und  Pathologie  der 
Zirkulation. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Dr.  Rud.  Kaufinann, 
Dr.  Jul.  Bartel  und  Prof.  S.  Stern. 

Bergmeister,  Paltauf. 


VtrantwortlichOT  R»dakt«ar:  Adalbert  Karl  Trapp.  Verlag  Ton  Wilhelm  Branmttller  in  Wien. 

Drnok  Ton  Brnno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  ThereaiengaBBe  8. 


fr  — ■  -  - - 

Die 

,, Wiener  kllulsclie 
WoclieiiscUrifl“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 

- - - ^ 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v,  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 


Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


f?~  - - - 

A  bouuementsprels 

jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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land  werden  von  allen  Buch¬ 
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handlang  übernommen.  — 
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lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
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werden  mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Ueberoinkommen. 

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Telephon  Nr.  17.618. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  6.  Juni  1907. 


Nr.  23 


INH 

1.  Origiualartikel :  1.  Zur  Farbensinnprüfung  im  Eisenbahn-  und 
Marinedienste.  Von  Dr.  J.  Rosmanit. 

2.  Ans  der  Klinik  Chrobak.  Nachweis  von  chromafflnem  Gewebe 
und  wirklichen  Ganglienzellen  im  Ovar.  Von  Dr.  Konstantin 
J.  Bucura,  Assistenten  der  Klinik. 

3.  Aus  der  Prosektur  des  k.  k.  Kaiser-Franz-Joseph-Spitales  in 
Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  Kretz.)  lieber  eine  der  Adrenalin- 
vvirkung  analoge  Wirkung  des  Blutserums  von  Nephritikern 
auf  das  Froschauge.  Von  H.  Schur  und  J.  Wiesel. 

4.  Aus  dem  Institute  für  gerichtliche  Medizin  der  Universität 
Graz.  (Vorstand:  Prof.  J.  Kratter.)  Ueber  die  funktionstüchtige 
Einheilung  von  transplantierten  Epithelkörperchen  des  Hundes. 
Vorläufige  Mitteilung  von  Privatdozenten  Dr.  Hermann 
Pfeiffer  und  Dr.  Otto  Mayer. 

5.  Aus  der  III.  med.  Abteilung  des  k.  k.  Kaiser-Franz-Joseph- 
Spitales  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  Dr.  Hermann  Schlesinger.) 
Ueber  Herpes  bei  Meningitis  cerebrospinalis  epidemica.  Von 
Dr.  Hugo  Einhorn,  suppl.  Assistenten  der  Abteilung. 

II.  Referate:  Ueber  Morbus  Basedowii.  Theorie  und  Behandlung 
Von  Dr.  O.  v.  Bol  ten  stern.  Hypnotismus  und  Spiritismus. 
Medizinisch-kritische  Studie.  Von  Prof.  Dr.  med.  Lapponi 
Sexualität  und  ästhetisches  Empfinden  in  ihrem  genetischen 

Zur  Farbensinnprüfung  im  Eisenbahn-  und 

Marinedienste. 

Von  Dr.  J.  Rosmanit. 

Das  in  den  letzten  zwei  Jalirzehnten  ganz  fehlende 
oder  doch  ziemlich  latente  Interesse  an  der  praktischen 
Oedenlung  der  angeborenen  Farhensinnstörungen  wurde 
durch  die  Neuordnung  der  Farhensiniiprüfnng  in  Preußen 
mit  einem  Male  wieder  auf  das  lelihaftestc  angeregt.  Die 
kgl.  preußi.  Eisenhahnverwaltung  hatte  1903  beschlossen, 
die  hisher  verwendete  Holmgrensche  Probe  fallen  zu 
lassen  und  es  war  eine  Kommis.si'on  eingesetzt  worden,  die 
ein  geeigneteres  Prüfungsverfahren  auswählen  sollte.  Es 
war  schon  nahe  daran,  daß  die  Stiliingschen  Tafeln, 
kombiniert  mit  den  Adler- Gör tzschen  Farbenstiften,  als 
obligatorische  Prüfungsniethoden  eingeführt  werden  sollten, 
als  glücklicherweise  in  letzter  Stunde  der  Berliner  Sinnes¬ 
physiologe  W.  A.  Nagel  als  sachverständiger  Berater  zu¬ 
gezogen  wurde.  iVuf  den  umfassenden,  außerordentlich  exakt 
und  scharfsinnig  durchgeführten,  ergebnisreichen  Arbeiten 
seines  Lehrers  v.  Kries  fußend,  hatte  er  sich  bereits  durch 
zehn  Jahre  auf  das  eingehendste  mit  Farbenphysiologie 
und  Farhenpathologie  beschäftigt,  mehrere  grimdlegende, 
pfadweisende  Arbeiten  publiziert,  auch  1898  durch  Heraus¬ 
gabe  seiner  ersten  zur  Diagnose  der  Färhenblindheit  be¬ 
stimmten  Tafeln  schon  sein  ganz  hesonderes  Geschick  be¬ 
wiesen,  theoretische  Erkenntnis  in  praktisch  brauchbare 
Werte  mnznsetzen,  ohne  aber  hei  der  allgemeinen  Teil¬ 
nahmslosigkeit  und  Skepsis  mit  seinen  Anschauungen  durch- 


A  LT: 

Zusammenhänge.  Von  Artur  K  r  o  n  f  e  1  d.  Die  Grundlagen 
der  Seelenstörungen.  Von  Julius  Beßmer  S.  J.  Die  leichten 
Fälle  des  manisch-depressiven  Irreseins  (Zyklothymie)  und 
ihre  Beziehungen  zu  Störungen  der  Verdauungsorgane.  Von 
Karl  W  i  1  m  a  n  n  s.  Analyse  von  200  Selbstmordfällen 
nebst  Beitrag  zur  Prognostik  der  mit  Selbstmordgedanken 
verknüpften  Psychosen.  Von  Dr.  Helene  Friederike  Stelzner. 
Jahrbuch  für  se.xuelle  Zwischenstufen  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  Homosexualität.  Von  Dr.  med.  M.  Hirsch¬ 
feld.  Sammlung  kleiner  Schriften  zur  Neurosenlehre  aus  den 
Jahren  1893  bis  1906.  Von  Prof.  Dr.  Siegln.  Freu  d.  Die 
Geisteskrankheiten  des  Kindesalters  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  des  schulpflichtigen  Alters.  Von  Prof.  Doktor 
Th.  Ziehen.  Nervenkrankheit  und  Lektüre.  Nervenleiden 
und  Erziehung.  Die  ersten  Zeichen  der  Nervosität  des  Kindes¬ 
alters.  Von  Prof.  Dr.  H.  Oppen  h  e  i  m.  Studie  über  Minder¬ 
wertigkeit  von  Organen.  Von  Dr.  Alfred  Adler.  Ref. :  E.  R  a  i- 
m  a  n  n. 

III.  Aus  verscliiedenen  Zeitschrifteu. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Veriiandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  undEongreßberichte. 

zudringen  oder  auch  nur  in  weiteren  Kreisen  Beachtung 
zn  finden.  Nun  wurde  er  mit  seinem  reichen,  das  ganze 
Gebiet  heherrschenden  Wissen  auf  einmal  in  medias  res 
gestellt,  der  rechte  Malm  an  die  rechte  Stelle,  und  fand 
so  Gelegenheit,  seine  Lehren  voll  zn  entfalten  und  zur 
Geltung  zn  bringen.  Alles,  was  er  bisher  zur  Klarstellung 
und  Festigung  des  alten  Besitzstandes  geleistet,  was  er  an 
neuen  Erwerbungen  beiges  teuer  t  hatte,  wurde  plötzlich  ak¬ 
tuell  und  in  großem  Maßstahe  zur  praktischen  Erprobvmg 
gestellt.  Nach  kurzer,  aber  eingehender  Prüfung  fanden  seine 
Prinzipien  und  Lehrsätze,  die  von  vorneherein  durch  ihre 
feste  Fniidierimg  imponierten,  in  allen  beteiligten  Kreisen 
Anerkeimimg  und  Würdigimg.  Mit  einem  kühnen  Ent¬ 
schlüsse  wurde  das  imbrauchbar  oder  nnverläßlich  ge- 
luÄdeiie  Alte  beiseite  geschoben  und  sowohl  die  Fassung 
der  theoretischen  Begriffe  als  auch  die  Methode  der  prak¬ 
tischen  Prüfung  auf  eine  ganz  neue  Basis  gestellt.  Das 
Material  strömte  jetzt  von  allen  Seiten  in  kaum  zu  bewäl¬ 
tigender  Weise  zu  und  die  zur  Gewimiimg  diagnostischer 
Erfahrungen  vorgenommenen  Uiitersuchniigeii  führten 
wieder  zu  iienen  symptomatischen  Befniideii  und  theoreti¬ 
schen  Problemen,  an  deren  Lösung  fortlaufend  gearbeitet 
wird. 

Wie  alles  Nene,  wurden  auch  Nagels  Grundsätze 
aus  den  mannigfachsten  Motiven  bekämpft,  belächelt  oder 
ignoriert,  aber  alle  offenen  und  versteckten  Angriffe  schei¬ 
terten  an  den  festen  Eündamenten  seines  Baues  und  eine 
nun  schon  jahrelange  Erfahrung  an  vielen  Tausenden  von 
Fällen  (Nagel  seihst  prüfte  bereits  über  5090  Personen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  23 


C>d 


aut  ihren  Farhensiiin)  JiaL  seine  Lelirnieiiiungen  glänzend 
Jjestätigt  und  ihnen  in  immer  weiteren  Kreisen  überzeugte 
Anhänger  gewonnen. 

Die  so  gewonnene  Bereic.lierimg  unserer  theoretischen 


Erkenntnis  über  das  Wesen  der  Farhensinnstörungen,  die 
total  geänderten  Anschauungen  über  ihre  praktische  Bev 
deutung,  sowie  die  Vervollkommnung  der  Untersuchungs¬ 
methodik  erscheinen  nun  wn  solcher  Bedeutung,  daß  allen 
Behörden,  Verwaltungen  und  Aerzten,  die  Farhensinnprü- 
fungen  anzuordnen,  zu  überwachen  oder  durchzuführen 
haben  und  denen  damit  die  Verantwortlichkeit  für  die 
Farbentüchtigkeit  des  auf  Eisenbahnen  und  Schiffen  ver¬ 
wendeten  Personales  zufällt,  die  unabweisliche  Pfliclit  er¬ 
wächst,  sich  mit  diesen  Forschungsergebnissen  vertraut 
zu  machen  und  die  praktischen  Konsequenzen  daraus  zu 
ziehen. 

Da  die  einschlägigen  Arbeiten  von  v.  Kries,  Nagel 
und  ihrer  Schüler  in  weniger  zugänglichen  Handbüchern, 
Zeitschriften  und  Dissertationen  niedergelegt  sind,  so  soll 
in  folgendem  der  Versuch  gemacht  werden,  jene  Kollegen, 
die  beruflich  mit  Farbensinnprüfungen  belastet  sind  und 
zu  eingehenden  Studien  keine  Zeit  finden,  über  den  heutigen 
Stand  dieser  kragen  kurz  zu  orientieren,  ihnen  ein  eigenes 
Urteil  zu  ermöglichen  und  sie  dadurch  in  die  Lage  zu 
setzen,  in  voller  Erkenntnis  der  neuen  Grundsätze  zu  han¬ 
deln  und  nicht  nur  dem  Zwange  amtlicher  Verordnung  zu 
folgen. 

Es  kann  selbstverständlich  nur  meine  Aufgabe  sein, 
aus  den  Arbeiten  der  genannten  Forscher  das  für  unsere 
praktischen  Zwecke  Brauchbare  zu  exzerpieren  und  zu  be¬ 
quemer  Benützung  darzubieten.  Ich  halle  mich  dabei  haupt¬ 
sächlich  an  die  unten  genannten  Publikationen  von 
V.  Kries,^)  Nagel“)  und  Collin^)  und  bringe  sie  zum 
Teile  ad  verbum.  Theoretische  Bemerkungen  sollen  nur  so¬ 
weit  Platz  finden,  als  sie  zum  praktischen  Verständnisse 
unbedingt  notwendig  sind.  Auch  auf  die  älteren,  zurzeit 
noch  vorgeschriebenen  oder  üblichen  Prüfungsverfahren  soll 
insoweit  Büchsicht  genommen  werden,  als  dies  zu  ihrer 
praktischen  Durchführuhg  und  kritischen  Würdigung  ge¬ 
boten  erscheint,  um  den  Bahn-  und  Alarineärzten  alles 
Wesentliche  an  die  Hand  zu  geben,  was  sie  zu  ihrer  beruf¬ 
lichen  Tätigkeit  nach  dem  Wortlaute  der  Dienstes  Vorschrif¬ 
ten  benötigen  und  was  im  allgemeinen  zu  einer  verläßi- 
lichen  Prüfung  dieser  Sinnesfunktion  unentbehrlich  er¬ 
scheint. 

Nach  der  Dreikomponententheorie  von  Y  o  u  n  g  -  H  e  1  m- 
holtz  nimmt  man  bekanntlich  in  der  Netzhaut  eine  Rot-, 
eine  G  r  ü  n-  und  eine  V  i  o  1  e  1 1  e  r  r  e  g  u  n  g  an  und  be¬ 
zeichnet  die  Färbengesunden  nach  dieser  Dreizahl  der  Er¬ 
regungen  als  normale  Tri  chroma  ten,  ihr  Farbensystem 
als  ein  dreifarbiges,  trichromatisches.  Daraus  braucht  nicht 


geschlossen  zu  werden,  daß  auch  die  Färbenempfindunger 
sich  in  die  Empfindungen  dreier  Grundfarben  (Rot,  Grüi 
und  \  iolett  oder  Blau)  gliedern  müssen,  wie  es  zuweilei 
behauptet  worden  ist,  sondern  die  Gliederung  der  Farben 
(Empfindungen  muß  als  unabhängig  von  der  Gliederung  dei 
Erregimgsarten  bezeichnet  werden  und  die  Annahme  vor 
vier,  sechs  oder  sieben  Hauptfarben  ist  zulässig,  auch  wem 
man  strenge  an  der  Einteilung  der  Erregung  in  drei  Er 
regungsarten  (Komponenten)  festhält. 

Jede  dieser  drei  Komponenten  denkt  man  sich  in  spezi 
fisclier  Weise  nur  durch  Licht  bestimmter  Wellenlänger 
erregbar  u.  zw.  wird  die  erste  Komponente  hauptsächlicl 
nur  durch  langwelliges  Licht,  die  zweite  nur  durch  Lieh 
von  mittlerer  Wellenlänge  und  die  dritte  nur  durch  kurz 
welliges  Licht  in  den  dir  charakteristischen  Erregungszu 
stand  versetzt,  rvelchem  die  drei  besonderen  Emptindungs 
(pialiläten  Rot,  Grün  und  Violett  entsprechen.  Die  Ein 
ptimhmg  des  Gelb  beruhte  dann  auf  einer  gleichzeitiger 
lätigkeil  der  Rot-  und  Grünküinponenle ;  eine  Weißempfin 
düng  auf  der  gleichzeitigen  und  gleicbslarken  Betätiginn 


alb'r  drei  Komponenten  oder 
m<‘idäi'('n  Li(dil(‘rpaar(‘s  usw. 


der  In-regung  eiiu's  koinpb 


Fällt  eine  dieser  Komponenten  ganz  aus,  so  wird  die 
Trichromasie  zur  Dichr  omasie,  die  Fa rb e n  g e s  un d- 
heit  zur  partiellen  Farbenblindheit.  Die  Gesamt¬ 
heit  der  Dichromaten  zerfällt  so  in  drei  scharf  getrennte 
Gruppen,  die  man  je  nach  der  fehlenden  Grundempfinduiig 
als  ilot-.  Grün-  und  Violettblinde  bezeichnet.  Wegen 
der  Fülle  von  Mißverständnissen,  welche  sich  an  diese  Be¬ 
nennungen  knüpften,  hat  v.  Kries  vorgeschlagen,  sie  durch 
Protanopen  (für  Rotblinde),  Deuteranopen  (für  Grün¬ 
blinde)  und  Tritanopen  (für  Violettblinde)  zu  ersetzen. 
Die  Tritanopie  (Violett-  oder  Blaugelbblindheit)  kommt 
wegen  ihrer  Seltenheit  hier  nicht  in  Betracht.*)  Ebenso¬ 
wenig  die  totale  Farbenblindheit  —  bei  der  alle 
drei  Komponenten  fehlen,  Achromasie  —  weil  sie  eben¬ 
falls  sehr  selten  und  stets  von  solcher  Amblyopie  begleitet 
ist,  daß'  diese  allein  schon  die  Tauglichkeit  zum  Eisenbahn¬ 
oder  Vlarinedienste  ausschließt.  In  folgendem  sollen  daher 
unter  Dichromaten  oder  (partiell)  Farbenblinden  immer  nur 
Protanopen  und  Deuteranopen  verstanden  sein. 

Außer  diesen  typischen  Formen  von  partieller  Farben¬ 
blindheit  kennt  man  seit  langem  noch  andere  Färbensinn¬ 
störungen,  die  sich  nicht  unter  einen  Typus  der  dichromati- 
schen  Systeme  unterordnen  lassen,  da  es  nicht  möglich  ist, 
für  den  Farbensinn  derart  Gestörter  sämtliche  Farbentöne 
des  Spektrums  durch  Alischung  von  nur  zwei  Farben  wieder¬ 
zugeben,  sondern  sie  bedürfen  zur  Herstellung  gewisser 
Farbentöne  ebenso  wie  der  Normale  dreier  Farben  in  ge¬ 
eigneter  Mischung.  Es  f  e h  1 1  v o n  d e n  P r i n z i p a  1  e m p f i n- 
dungen  —  abgesehen  von  gewissen  extremen  Fällen,  von 
denen  noeh  die  Rede  sein  Avird  —  keine  vollständig, 
aber  die  Reizbarkeit  für  rote  und  grüne  Lichter 
ist  in  verschiedenem  Maße  und  wechselndem 
gegenseitigen  Verhältnisse  herabgesetzt.  König 
hat  sie  deshalb  anomale  Tri  chroma  ten  genannt.  Auch 
unter  diesen  lernte  man,  ganz  analog  wie  bei  den  Dichro¬ 
maten,  je  nach  der  vorzugsweise  beeinträchtigten  Komp'O- 
nente  zwei  bestimmte  Typen  unterscheiden:  die  Rotano¬ 
malen  mit  abweichender  Roterregbarkeit  und  die  Grün¬ 
anomalen  mit  abweichender  Grünerregbarkeit.  Ob  auch 
die  Reihe  schließende  V  i  o  1  e  1 1  a n o  m  a  1  e  Vorkommen,  ist 
bisher  noch  nicht  zweifellos  sichergestellt. 

Alle  di  Chromatis  dien  Systeme  kann  man  mit 
V.  Kries  als  Reduktionsformen,  alle  anomalen  nach 
G.  E.  Alüller  als  Altera  tio  ns  formen  des  nonnalen 
trichromatischen  Systems  auffassen.  Das  protanopische  und 
deuteranopische  Sehorgan  denkt  man  sich  durch  Ausfall, 
das  rot-  und  grünanomale  durch  abweichende  Beschaffenheit 
der  Rot-,  bzw.  Grünkomponente  entstanden.  In  dieser  Weise 
werden  die  Beziehungen  sämtlicher  Systeme  relativ  einfach 
verständlich. 

Wie  man  sieht,  ist  die  ganze  hier  angeführte  Nomen¬ 
klatur  auf  der  dreikomponentigen  Gliederung  des  Sehorganes 
aufgebaut  und  dadurch  den  Angriffen  der  eimuider  be¬ 
kämpfenden  Schulen  ausgesetzt;  hoffentlich  gelingt  es  bald, 
durch  allgemeine,  keiner  prinzipiellen  Auffassung  präjudi- 
zierende  Namengebung  wenigstens  für  die  praktisch-diagno¬ 
stische  Seite  der  Frage  eine  gemeinsame  Basis  zu  gewännen. 
Im  Laufe  unserer  Erörterung  sollen  übrigens  abwechselnd 
alle  gebräuchlichen  Bezeichnungen  benützt  werden,  um  eine 
möglichst  allgemeine  Orientierung  zu  ermöglichen. 

Es  dürfte  nun  besonders  interessieren,  was  und  wie 
denn  die  Dichromaten  eigentlich  sehen.  Die  beste  Vorstel¬ 
lung  davon  wird  eine  Darstellung  ihres  Spektrums  geben. 

Wir  besilzen  bekanntlich  in  der  prismatischen  Zerlegung 
des  von  unseren  Lichtquellen  ausgesandten  gemischten  Lichtes 


*)  Dagegen  wird  sie  erworben,  an  umschriebenen  Stellen,  bei  Er¬ 
krankungen  der  Netzhaut  (Ablatio,  Retinitis  albuminurica,  diabetica 
specifica)  nicht  selten  beobachtet  und  scheint  hier  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Netzhaut-  und  Sehnervenerkrankungen  zu  unterstützen  (Simon, 
Dr.  Richard,  lieber  die  diagnostische  Verwertung  der  erworbenen 
Violettblindheit.  Beiträge  zur  Augenheilkunde.  Festschrift  Jul.  Hirsch¬ 
berg,  Leipzig  1905,  Veil  &  Comp.);  auch  nach  Verletzungen  der  Netz¬ 
haut  wurde  sie  schon  beschrieben.  (Dr.  Collin  und  Dr.  W.  A.  Nagel, 
Erworbene  Tritanopie.  Zeitschrift  für  Sinnesphysiologie  1906,  Bd.  41,  S.  74.) 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


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eiii.Millcl,  die  einzelnen  ([ualihiliv  vei>;eliiedeiien  Lieliiarten  räum¬ 
lich  zu  sondern  und  zur  Anschauung  zu  bringen.  Die  in  einem 
solchen  Spekrlum  .je  nach  der  verschiedenen  Wellenlänge  der 
Lichter  neheneinander  geordnete  Farhenreihe  führt  von  Rot  durch 
Orange,  Gell),  Cu'ün,  Blau,  Indigo  zum  Violett.  (Die 
beigegehene  Skizze  möge  das  bekannte  Dikl  mit  den  uns  hier 
interessierenden  Einzelheiten  in  Erinnerung  rufen.)  Für  Rot  ist 


Aendening  der  Empfindung,  die  man  als  Modifikation  des  Farhen- 
tones  bezeichnet;  einer  Aendening  des  Mengenverhältnisses  der 
Mischung  mit  Weiß,  eine  Abstufung  der  Sättigung;  einem  Wechsel 
der  Intensität,  endlich  ein  Wechsel  der  llelligkeits-  und  Dunkel¬ 
heil  sgrade. 

Anschauliche  Darstellungen  der  Gesamtheit  der  möglichen 
Farhenempfindungen  sind  von  vei’schiedenen  Autoren  schon  seit 


n" 


^ledrum 


r/n  J/iecin/m 


Tleutralc  fjegenU  cter 

un/i  J?et£ier‘anepOft^ 


( |o|Rjll|l^E.|  |ll|- 


IK/I/  ,Uo 

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600f,\,  SSOf 


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N.  B 


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u. 


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OLETT 


I  SOOfi^  ]  \  I 

i  F  äh 

\.€näitrecl(en '  Fr/es  Firr/nalen,  2.</eoJlPufem/wfie/i 
'  unt/ B.ctei  PFvtanoperv. 


(/ItrtZM 

violett 

l” 

M,  H, 


Fig.  1. 


die  Wellenlänge  am  größten,  für  Violett  am  kleinsten;  sie  beträgt 
in  Millionstel-Millimetern  für  reines  Rot  etwa  680  hh;  für  Grün 
(Gelhgrün)  550  hh  und  für  Violett  420l^h.  Slrahlen  von  größere]' 
Wellenlänge  als  etwa  800  EM'  (ultrarot)  oder  kleinerer  als  etwa 
400  hM'  (ultraviolett)  sind  für  unser  Auge  nicht  mehr  wahrnehm- 
har;  besonders  unscharf  ist  die  Begrenzung  des  sichtbaren  Spek¬ 
trums  im  ultravioletten  Lichte.  Rot,  Orange  und  Gelb  nennt  man 
auch  warme;  Grün,  Blau  und  Aholett  kalte  Farben.  Während 
im  Interferrenz-Spektrum  die  Dispersion  eine  gleichmäßige  ist, 
d.  h.  gleichen  Abständen  im  Spektrum  überall  gleiche  Unterschiede 
der  Wellenlänge  entsprechen,  nimmt  die  Dispersion  im  pris- 
malischen  Spektrum  vom  langwelligen  (roten)  zum  kurzwelligen 
(violelben)  Ende  beständig  zu,  so  daß  die  einzelnen  Farben  immer 
weiter  auseinamlergezogen  erscheinen.  Lichter,  hei  denen  aus¬ 
schließlich  Schwingungen  von  einer  heslimmten  Wellenlänge  oder 


SCHWARZ 


Schwingungszahl  Vorkommen,  nennen  wir  rein,  einfach  oder  ho¬ 
mogen,  während  unler  gemischten  Lichtern  solche  verstanden 
w(‘rden,  die  sich  aus  Slrahlen  verschiedener  Wellenlänge  zu- 
sammeiiselzeii.  Einer  Aenderung  der  Wellenlänge,  entspricht  eine 


Newtons  Zeit  in  sogenannten  Farbenlafeln  (Farhenringen  oder 
Farbendreiecken)  gegeben  worden.  Nebenstehende  Figur  zeigt  die 
einfachste  Form  dieser  Darstellungsweise,  wie  sie  Nagel  heim 
Unterrichte  benützt,  den  Farhenkreis,  in  dem  die  Gesamtheit 
der  spektralen  Farhentöne  mit  dem  zwischen  den  beiden  End- 
farhen  (Rot  und  Violett)  vermittelnden  Purpur  dargestellt  er¬ 
scheint  u.  zw.  in  der  Anordnung,  in  der  sich  die  Komplementär- 
farbenpaare  diamelral  gegenüherstehen. 

Denkt  man  sich  den  Mittelpunkt  des  Kreises  als  Stelle  des 
Weiß,  so  kann  man  sich  auf  jedem  einzelnen  Radius  alle  Ueher- 
gänge  von  den  reinen,  gesättigten  Farhentönen  am  Rande,  zu 
dem  zentralen  Weißi  aufgetragen  denken,  wodurch  die  verschie¬ 
denen  Sättigungsstufen  der  einzelnen  Farben  zum  Ausdrucke  ge¬ 
bracht  werden.  Verfolgt  man  auf  einer  in  dieser  Weise  kon¬ 
struierten  Farbentafel'  auf  einem  beliebigen  Durchmesser  die 
Farben  von  einem  Rande  bis  zum  anderen,  so  findet  man  auf 
diesem  Durchmesser  die  sämtlichen  Farhentöne,  die  durch 
Mischung  der  beiden  reinen,*  an  den  Enden  des  Durchmessers 
liegenden  Farben  erzielt  werden  können.  W’^elche  der  Mischuiigs- 
farben  erhalten  wird,  hängt  von  dem  Mischungsverhältnisse  ab; 
es  ist  klai',  daß  nur  bei  einem  ganz  bestimmten  Mischungsverhält¬ 
nisse  die  komplementäre  Ergänzung  zu  Weiß,  hzw.  Farblos  er¬ 
reicht  werden  kann.  Es  sei  hier  gleich  daran  erinnert,  daß  die 
im  Komplementärverhältnisse  zueinander  stehenden  Farbenpaare 
auch  annähernd  diejenigen  sind,  die  sich  ira  Kontraste  gegen¬ 
seitig  hervorrufen. 

Wollte  man  sich  die  Gesamtheit  aller  Farbentöne  auch 
in  allen  möglichen  Intensitätsabstufungen  veranschaulichen,  so 
würde  man  mit  einer  flächenmäßigen  Darstellung  der  Farben- 
lafel  nicht  mehr  auskonnnen,  sondern  müßte  eine  dreidimensionale 
Darstellung,  den  sogenannten  Farbenkörper,  wählen.  In  unserer 
oben  angegebenen,  kreisförmigen,  Farbentafel  könnte  man  sich 
im  Zentrum  des  Kreises  ein  Lot  errichtet  denken,  dessen  Fuß,- 
punkt  im  W’’eißi  liegt,  dessen  Spitze  den  Punkt  des  absoluten 
Schwarz  angeben  würde ;  auf  dem  Lote  würden  sämtliche  Ab¬ 
stufungen  von  Schwarz  zum  Weiß  durch  Grau  zu  finden  sein. 
Auf  einer  durch  den  Schwarzpunkt  und  den  Farbenkreis  gelegten 
Kegelmantelfläche  liegen  dann  alle  Uebergänge  von  Sclnvarz  bis 
zur  denkbar  größten  Intensität  der  reinen  Farben.*) 

Nach  dieser  kurzen  Rekapitulation  der  physikalischen 
Verhältnisse  kehren  wir  zum  Spektrum  der  Färhenblinden 
zurück. 

Für  d  e  n  Dich  r  o  m  a  t  e  n  z  e  i‘  f  ä  11 1  das  S  p  e  k  t  r  u  m 
in  zwei  Hälften,  deren  Farben  einen  scharfen 
Gegensatz  zueinander  darstellen.  Die  eine  Hälfte, 
welche  vom  Blaugrün  bis  zum  Violett  reicht  und  die  man 

*)  Hering  bezeichnet  Rot,  Gelb,  Grün,  Blau  und  ihre  Zwischen¬ 
farben  als  bunte  oder  getönte  Farben  ;  Weiß  und  Schwarz  samt 
ihren  grauen  Zwischenstufen  als  ton  fr  eie  oder  ungetönte  Farben. 
Bunte  Farben,  welche  keine  Verhüllung  durch  Weiß,  Grau  oder  Schwarz 
erkennen  lassen,  nennt  er  freie  Buntfarben;  diejenigen  aber,  welche 
neben  ihrem  Farbenton  eine  mehr  oder  minder  deutliche  Weißlichheit, 
Graulichkeit  oder  Schwärzlichkeit  zeigen,  nennt  er  v  e  r  h  ü  11 1  e  Farben. 
Die  Bezeichnung  »gesättigt«  verwendet  er  überhaupt  nicht.  Siehe  die 
Grundzüg^  der  Lehre  vom  Lichtsinne  von  E.  Hering  in 
Graefe-Saemisch’  Handbuch  der  Augenheilkunde,  Leipzig,  Wilhelm 
Engelmann  1905.  Das  Studium  dieser  geistsprühenden,  fesselnden, 
mit  durchsichtigster  Klarheit,  stilistischer  Vollendung  und  unglaublicher 
Frische  geschriebenen  wirklich  klassischen  Arbeit  sei  überhaupt  jeder¬ 
mann  auf  das  wärmste  empfohlen;  es  wird  ihm  genußreiche  Stunden 
gewähren  und  dauernden  Gewinn  hiuterlassen. 


Nr.  23 


WlENEll  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


mit  Don  tiers  als  die  kalte  bezeichnen  kann,  wird  vom 
Ihirbenldinden  im  allgemeinen  blau  genannt;  die  andere, 
die  wa  rme  Hälfte,  welche  von  einem  etwas  gelblichen  Grün 
bis  zmn  äußersten  Rot  reicht,  bozeicbnet  er  im  allgemeinen 
als  gelb.  Doch  verwenden  sie  für  die  warmen  Farben  auch 
die  Rezeichnung  Rot  und  Grün,  ohne  aber  tlen  dnrch- 
greifeiiden  Unterschied  von  Rot  und  Grün  gegen  Gelb,  wie 
ihn  der  Farbentüchtige  sieht,  richtig  auffassen  zu  können. 
Zwischen  der  warmen  und  kalten  Hälfte  liegt  eine  Ueber- 
gangszone  (neutrale  Strecke),  in  der  die  Farben  immer 
weißlicher,  ungesättigter  werden,  nm  schließlich  bei  einem 
bestimmten,  schon  etwas  bläulichen  Grüu  in  Farblosigkeit 
(weiß,  bzw.  grau)  überzugehen,  dieser  sogenannte  neu¬ 
trale  Punkt  liegt  etwa  zwischen  490  und  500  HF. 

An  beiden  Enden  des  Spektrums  sind  gewisse  Strecken 
vorhanden,  innerhalb  deren  sich  für  den  Normalen  der  Farhen- 
lon  nicht  ändert,  sondern  nur  die  Helligkeit.  Lassen  wir  am 
roten  Ende  die  Wellenlänge  von  einem  gewissen  Betrage  ah 
noch  weiter  wachsen,  oder  am  violetten  von  einem  gewissen 
Werte  ah  noch  weiter  abnehmen,  so  ändert  sich  die  physiologische 
Wirkling  nicht  anders,  als  wenn  wir  das  ursprüngliche  Licht 
in  seiner  Stärke  verändern;  man  bezeichnet  diese  Strecken  nach 
König  als  End  strecken.  Je  zwei  Lichter  aus  einer  solchen 
Endstrecke  geben  also  miteinander  Gleichung,  wenn  nur  das 
llelligkeitsverhältnis  richtig  gewählt  wird. 

Auch  die  Earbeiiblindeii  haben  Endstrecken  und  zwar 
ist  bei  ihnen  namentlich  jene  am  roten  Ende  des  Spek¬ 
trums  ganz  bedeutend  verlängert,  insoferne  sie  noch 
Gleichung  zwüschen  Rot  und  einem  schwach  gelblichen 
Grün  etwa  von  der  Wellenlänge  540  FF  bekommen  können. 
Diese  Verlängerung  der  E  n  d  s  t  r  e  c  k  e  ist  neben 
dem  Vorhandensein  des  neutralen  Punktes  die 
auffallendste  am  Spektrum  der  Dichromalen  zu 
beobachtende  Erscheinung.  Auch  am  violetten  Ende 
ist  die  Endstrecke  für  den  Dichromalen  etwas  verlängert, 
d.  h.  sie  reicht  noch  etwas  in  das  Indigo-  hinein,  doch  jist 
der  Unterschied  gegen  den  Normalen  lange  nicht  so-  großi 
wie  am  roten  Ende.  Die  Länge  des  farbigen  Spektrums 
im  allgemeinen  deckt  sich  für  den  Deuteranopen  vollstän¬ 
dig  mit  der  des  Normalen;  für  den  Protan-open  bewirkt 
die  Unterempfindlichk-eit  für  rotes  Licht  eine  merkliche  Ver¬ 
kürzung  am  roten  Ende. 

Vergleicht  man  vorstehende  Schilderung  des  normalen 
und  dichromatischen  Spektrums,  so  springen  die  auffal¬ 
lenden  Unterschiede  in  den  langwelligen  Hälften  sofort  in 
die  Augen.  Der  Farbenblinde  vermag  die  drei  objektiv  ver¬ 
schiedenen  Lichter  derselben  (Rot,  Getb  und  Grün)  nicht 
auseinander  zu  halten,  weil  sie  ihm  nur  als  Schattierungen 
von  Gelb  erscheinen  und  im  v/esentlichen  handelt  es  sich 
um  den  Ausfall  des  Farbenpaares  Rot- Grün,  wes¬ 
halb  Hering  die  Anomalie  auch  kurzweg  R-ot-Grün- 
R  lind  heit  genahnt  hat.  Die  farblose  Empfindung  kann 
vorn  neutralen  Punkte  aus  nur  gegen  zwei  sich  aus¬ 
schließende  Farben  (Blau  und  Gelb)  in  zunehmender  Sätti¬ 
gung  abgestuft  werden  und  damit  erscheint  die  Maimig- 
faltigkeit  der  Farbonempfiudungen  und  Farbenuuterschei- 
dungen  ganz  wesentlich  reduziert.  Die  Gesamtheit  der  opti¬ 
schen  Valenzen  ist,  wenn  man  neben  der  Reizart  auch  die 
Intensität  berücksichtigt,  als  die  Funktion  von  zwei  Variablen 
erschöpfend  darzustelleii.  Die  für  den  Normalen  mit  seiner 
dreikomponentigen  Gliederung  des  Sehorganes  gültigen  Ge¬ 
setze  der  Lichtmischung  gelten  zwar  für  jedes  reduzierte 
System  ebenfalls,  aber  bei  diesen  letzteren  treffen  noch 
andere  Mischungsmöglicbkeiten  zu,  die  für  den  Normalen 
nicht  gellen.  Lichter,  die  für  den  Normalen  durchaus  ver¬ 
schieden  sind,  werden  dem  Dichromaten  gleich  erscheinen 
und  ei’  wird  z.  R.  nicht  nur  Rot  und  Grün  verwechseln, 
soiiderii  naturgemäß  auch  alle  Mischfarben  für  gleich  halten, 
die  sich  für  den  Normalen  nur  durch  ihre  Wirkung  auf 
die  Rot-  -oder  Grünkomi)onenie  unterscheiden.  Am  Spektral- 
apparab',  der  die  Nebeneinanderstellung  und  Vergleichung 
sowohl  homogenen  als  binär  gemischten  Lichtes  bei  ge¬ 
nauester  Regulierbarkeit  der  Helligkeit  gestattet,  lassen  sich 
die  f  arbenpaaro,  die  dem  Farbenblinden  gleich  erscheinen. 


welche  ihm,  wie  man  sich  ausdr tickt,  infolge  der  für  sein 
Auge  bestehenden  physiologischen  Gleichwertigkeit  der  be¬ 
treffenden  Lichter  eine  sogenannte  -optische  Gleichung 
(Scheingleichung)  geben,  leicht  feststellen  und  je  nach  der 
\Nn’schiedenheit  des  Farbentones,  der  Sättigung  und  Hellig¬ 
keit,  die  sie  bei  Einstellung  dieser  Farbengleichungen  in  An¬ 
wendung  bringen,  auch  bestimmte  Anhaltspunkte  für  die 
Auseinanderhaltung  der  beiden  Typen  gewinnen.  Diese,  wie 
sich  gleich  zeigen  wird,  ganz  typischen  Verwechslungen 
geben  uns  auch  ein  einfaches  Mittel  zur  Erkennung  der 
Farbenblinden  an  die  Hand. 

In  einfacherer,  allerdings  beschränkterer  Weise  kann 
man  zur  Herstellung  dieser  f  arbenglei-chungen  auch  den 
mit  Tageslicht  arbeitenden  Fleringschen  Apparat  zur  Unter- 
sucbung  des  Farbensinnes'^)  benützen,  ln  dem  Farben¬ 
gleichungsapparate  Nagels,  bei  welchem  durchleudrtete 
farbige  Gläser  in  Verwendung  kommen;  werden  die  typi¬ 
schen  Gleichungen  des  Dichromaten  schon  fertig  dargeboten 
und  die  zwei  Formen  sind  durch  Einstellung  eines 
Zeigers  auf  bestimmte  Marken  leicht  zu  sondern. 

Im  allgemeinen  erhalten  die  R  o  t  -  Cr  r  ü  n  -  B 1  i  n- 
d  e  n  Gleichungen  zwischen: 

Rot  und  Gelb, 

Gelb  und  Grün, 

Rot  und  Grün  ; 

Purpur  (Rosa)  und  Blaugrün, 

Blaugrün  und  Grau, 

Purpur  (R  o  s  a)  und  Grau. 

Sie  nennen  Rot  bald  ,,gelb“,  und  Gelb,  wenn  es  die 
dunklere  Farbe  ist,  ,,rot“,  bald  Gelb  ,,grün“  und  demgemäß 
auch  R-ot  ,,grün“.  Unter  diesen  drei  Farben  erscheint  für 
den  Rotblinden  das  Ro-t,  für  den  Grünblinden  das 
Grün  als  die  dunkelste  Farbe.  Die  Verwechslung  von 
Purpur  (Mischung  aus  Violett  -oder  Blau  mit  Rot)  und 
Blaugrün  wird  durch  iferi  Ausfall  von  R-o-t  und  Grün  ver¬ 
ständlich;  im  Blaugrün  liegt  der  neutrale  (grau  erschei¬ 
nende)  Punkt  des  dichromatischen  Spektrums,  daher  diese 
Empfindungen  überhaupt  zusainmenfallen ;  die  Gleichheit 
von  Purpur  und  Grau  folgt  claim  nach  bekannter  Regel  von 
’  selbst. 

Zur  Charakterisierung  der  beiden  Typen  ergeben  sich 
folgende  Anhaltspunkte : 

Das  protanopische  Sehorgan  zeigt  eine  auffallend  ge¬ 
ringe  Empfindlichkeit  gegenüber  sehr  langwelligem  Lichte, 
demzufolge  das  äußerste  Rot  des  Spektrums  gar  nicht  wahr¬ 
genommen  wird,  sein  rotes  Ende  verkürzt  erscheint;  da¬ 
gegen  ist  es  den  kurzwelligen  Lichtern  gegenüber  relativ 
erregbarer  als  das  deuteranopische,  welches  seinerseits  bei 
unverkürztem  Spektrum  wieder  gegenüber  den  längerwelli- 
gen  Lichtern  relativ  erregbarer  ist. 

Nach  Hering  unterscheidet  man  in  diesem  Sinne  Rol- 
grünblinde  des  ersten  Typus  mit  verkürztem  Spektrum  und 
relativer  Blausichtigkeit  und  solche  des  zweiten  Typus  mit 
unverkürztem  Spektrum  und  relativer  G elbsich tigkeit. 

Bei  der  Herstellung  von  Gleichungen  zwischen  R-ot 
und  Gelb  muß  der  Protanop  dem  Rot  eine  beträcht¬ 
lich  größere  Lichtstärke  geben  als  der  Deuteranop  und 
zwar  verhalten  sich  die  Mengen  roten  Lichtes,  die  Protan-open 
und  Deuteranopen  erf-orderh,  um  Gleichheit  mit  (dnem  ge¬ 
gebenen  Gelb  zu  erzielen,  etwa  wie  5:1,  wodurch  der  Unter¬ 
schied  beider  Sehorgane  scharf  charakterisiert  erscheint. 

Ebenso  ergeben  sich  bei  der  Rot-G  rün- Verwechs¬ 
lung  ganz  typische  Unterschiede,  indem  das  Rot, 
das  einem  bestimmten  Grün  gleich  erscheint,  sowohl  an 
Farbentoii,  wie  an  Helligkeit  beim  Pro-tanopen  und  Deutera¬ 
nopen  ungemein  verschieden  ist.  Der  Protanop  verwech¬ 
selt  ein  leicht  bläuliches  Rot  mit  einem  dem  normalen 
Auge  viel  dunkler  erscheinenden  Grün  (Scharlachrot 
mit  Dunkelgrün);  der  Deuteranop  ein  erheblich  bläu¬ 
licheres  Rot  und  ein  Grün,  die  auf  das  n-o-rmale  Auge 
etwa  den  Eindruck  gleicher  Helligkeit  machen. 

Am  Hering  sehen  Farbengleichungsaiiparate  nimmt 
!  der  Protanop  zu  einer  Ro  t- Gr  ün- Gl  ei  chu n  g  ein  gelb- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCHlllFT.  1907. 


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liclics  Rol  und  ein  (liiiiklorGs  Cirüii;  der  Dciitorti- 
11 0  p  ein  bläuliches  llo  t  uml  ein  lie  li  (,  e  r  e  s  (i  r  ii  n  ;  ganz 
ciinlüg  liegen  die  \  erliälliiisse  bei  blerslellinig  einer  (ilei- 
chmig  zwischen  Rot  und  (Iran,  nur  treten  hier  die  llnler- 
sebiede  noch  denllicher*  hervor,  daher  sicJi  die  Prüfung 
auf  diese  \ erwechslnng  für  die  Differentiatdiaguose  noch 
mehr  empfiehlt. 

In  der  allgemeinen  Praxis  verwendet  man  zur  Erken¬ 
nung  der  b  arbenbliiKlen  die  gleichen  Prinzipien  in  ein- 
tacherer  b  orm.  Man  läßt  die  Verwechslungsgleichungen  zum 
Reispiel  mit  Wollprohen  hersteüen  (wie  bei  der  Holmgren- 
schen  Probe)  oder  bietet  sie  fertig  in  sogenannten  psendo- 
isorochromalischen  Farbendrncken.  So  kann  der  barben¬ 
blinde  die  Ziffern  der  S  tilli  n  gschen  Tafeln  nicht  lesen, 
weil  sie  auf  einem  in  Verwechslungsfarben  hergestellten 
eirunde  stehen;  und  in  den  Nage  Ischen  Tafeln  die  ein- 
larbigen  Ringe  nicht  von  den  mehrfarbigen  unterscheirien, 
weil  die  letzteren  in  Verwechshmgsfarhen  zusammengestellt 
sind  und  dem  Uichromaten  ebenfalls  gleich  erscheinen,  wo¬ 
gegen  ihm  bei  den  ersteren  wieder  die  verschiedene  Hellig¬ 
keit  und  Sättigung  der  einzelnen  Scheibchen  für  Unter¬ 
schiede  des  bhirbentones  Imponieren  können,  so  daß  er  sie 
mehrfarbig  sieht.  Die  Differenzierung  beider  Typen  mit 
Wollprohen  soll  noch  heschrieben  werden;  mit  Stilling 
ist  sie  unmöglich;  Nagel  verwendet  bei  seinen  Tafeln 
zu  diesem  Zwecke  die  bereits  bervorgehobene  Tatsache,  daß 
dem  Protanopen  das  Rot,  dem  Denteranopen  das 
Grün  als  die  dunklere  Farbe  erscheint;  auch  hei  Neben- 
einanderstellung  von  Rot  und  Rraun*)  sieht  der  Ptot- 
blinde  das  R o t  deutlich  d u n k  1  e r,  wdlhreiid  für  den  Gr ü n- 
hlinden  beide  fast  gleich  hell  sind. 

Bei  der  Darstellung  des  dichromatischen  Spektrums 
wurde  erwähnt,  daß  die  Farbenhlinden  für  die  langwelligen 
Lichter  auch  die  Bezeichnungen  Rot  und  Grün  verwenden, 
obwohl  ihnen  diese  spezifischen  Empfindungen  a])gehen ; 
zum  Verständnisse  dieser  scheinbar  parodoxen  Tatsache  sei 
hier  noch  folgende  Erwägung  eingeschaltet  (Collin).  Die 
übliche  Farbenbezeichnung  ist  eine  erlernte,  konventionelle, 
dem  b’arbensyslem  der  Majorität  der  Farbentüchligen  ange¬ 
paßte;  der  Farbenblijide  hört  schon  in  der  Schule,  daß 
die  anderen  gewisse  Gegenslände  als  rot,  gelb  und  grün  be¬ 
zeichnen  und  tut  das  gleiche,  obwohl  er  sie  gleichfarbig 
sieht  und  jene  Benennungen  für  sein  wesentlich  anders  ge¬ 
artetes  Farbensystem  gar  nicht  passen.  Mit  forlschreitender 
Erkenntnis  wird  er  daher  dazu  gedrängt,  sicli  nach  anderen 
U  n  t  e  r  s  c  h  e  i  d  u  n  g  s  m  e  r  k  m  a  1  e  n  innz usehen  ii  nd  findet 
solche  bald  in  den  v  e  r  s  c  h  1  e  d  e  n  e  n  H  e  1 1  i  g  k  e  i  t  s  g  r  a  d  e  n, 
welche  die  einzelnen  Farben  bei  gleich  starker  Lichtcpielle 
aufvveisen,**)  sowie  in  den  charakteristischen  Sätti¬ 
gungsunterschieden  der  einzelnen  Pigmenlfarben.  Er 
bringt  es  bald  dahin,  die  richtige  Färbenhezeichnung  ihm 
bekannter  Gegenstände  zu  erraten  oder  sie  zu  er¬ 
schließen,  wenn  ihm  die  Möglichkeit  geboten  wird,  die 
Helligkeits-  und  Sättigungsimlerschiede  zweier  verschieden¬ 
artiger  Lichter  miteinander  zu  vergleichen;  er  wird  aber 
sofort  unfähig  zur  Beurteilung  der  Farbe,  wenn  er  un¬ 
bekannten  01)jekten  gegenübersteht,  wmin  deren  Farben 
wenig  gesättigt  sind  oder  wenn  er  die  Objekte  u  n  t  e  r 
kleinem  Gesichtswinkel  sieht,  die  Entfern ung  also 
groß,  das  Objekt  selbst  klein  ist.  Für  den  Rot-Grün- 
Blinden  hat  dann  eine  gelbe  (weiße),***)  rote  und  grüne 
Laterne  in  Wahrheit  dieselbe  Farbe  und  höchstens 
Helligkeits-  und  Sältigungsunterschiede  sind  es,  die  ihm 
unter  besonders  günstigen  Umständen  —  wenn  die  Atmo¬ 
sphäre  frei  von  Rauch  und  IVebel  und  die  Licht  rpielle  ge¬ 
nügend  stark  ist  —  die  Unterscheidung  dieser  Signale  er- 

*)  Braun  ist  eine  Kombination  von  Rot,  Orange  oder  Gelb 
mit  einem  gewissen  Maß  von  Schwarz. 

**)  Hering  unterscheidet  drei  qualitativ  verschiedene  »Hell«: 
das  Weiß,  das  Gelb  und  das  Rot;  und  drei  »Dunkel«  verschiedener 
Art:  das  Schwarz,  das  Blau  und  das  Grün.  Dem  Gelb  und  Rot  schreibt 
er  ein  Ei  gen  hell,  dem  Blau  und  Grün  ein  Eigendünkel  zu. 

***)  Die  sogenannten  weißen  oder  farblosen  Laternen  er¬ 
scheinen  immer  mehr  weniger  gelb. 


mögliclien.  Auch  die  ungleich  scharfe  Begrenzung  des 
Bildes  kommt  ilim  dabei  zu  Hilfe,  indejh  ein  rotes  Licht 
immer  am  schärfsten  begrenzt  erscheint  (Bot  hat  die 
geringste  Dispersion),  wogegen  ein  grünes  Signallicht  viel 
unljestimmtere,  oft  sternförmig  ausistrahlende  Grenzen  auf¬ 
weist. 

Aus  diesen  Erwägungen  ergibt  sich  für  die  Diagnose 
der  Farbenblindheit  der  wichtige  Schluß,  daß  es  ganz  gleich¬ 
gültig  ist,  wie  jemand  eine  bestinnnte  Farbe  benennt;  inaß- 
gebend  ist  rnnner  nur  das  Farbenunter:scheidungs*vermögen ; 
die  Farbenbenennung  dient  dabei  lediglich  als  Hilfsmittel 
zur  Peststellung,  ob  zwei  in  Wirklichkeit  verschiedene 
Farben  nebeneinander  für  gleichfarbig  gehalten  werden 
oder  nicht. 

Wesentlich  anders  als  die  Farbenblinden 
verhalten  sich  die  anomalen  Trichroinaten.  Ein 
Spektrum  für  sie  aufzustellen  ist  wegen  der  großen  Varia¬ 
bilität  der  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse  nicht 
möglich. 

Allen  gemeinsam  ist  die  beträchtliche 
Herabsetzung  der  Unterschieds  empfindlichkei  t 
für  P’arbentöne  in  der  Region  des  Grüngelb  (Bon¬ 
ders).  Das  Licht  der  Natriumflamme  (589  pp)  erscheint 
ihnen  noch  deutlich  orange  und  das  Gelb  ohne  Annäherung 
an  Orange  oder  Grün  liegt  tür  sie  erst  bei  etwa  570  pp. 
Aelmliches  kommt  ja  auch  bei  vielen  normalen  Trichroinaten 
vor;  aber  die  Anomalen  nennen  ein  kurzwelliges  Licht  rein 
gelb,  das  alle  Normalen  schon  deutlich  grünlich  sehen.  Zu¬ 
weilen  reicht  diese  herabgesetzte  Unterschiedsemiifindlicb- 
keit  von  580  bis  540  PP,  ja  mitunter  erscheint  sie  in  dieser 
Strecke  auf  Null  reduziert,  so  daß  diese  Personen  zwischen 
den  zwei  genannten  lächtern  (Gelb  und  einem  Gelbgrün) 
Gleichung  erhalten;  sie  nennen  dann  beide  Färben  gelb 
oder  weiß,  gelegentlich  auch  grün. 

Am  schärfsten  sind  die  Anomalen  durch  ihr 
V erhalten  gegenüber  der  so  genannten-, ,Raylei  gh- 
Gleichung“*),charakterisiert,  d.  h.  einer  Gleichung 
zwischen  einem  homogenen  Gelb  (589  pp)  und  einer 
Mischung  aus  Rot  und  Grün  (etwa  670  und  545  PP). 
Wenn  ein  normaler  Trichromat  am  Spektralapparate  die 
Mischung  der  zwei  genannten  Farben  so  herstellt,  daß  sie 
dem  gegebenen  reinen  Gelb  gleich  aussieht,  so  ist  diese 
Gleichung  für  die  Anomalen  nicht  zutreffend;  ein  Teil  von 
ihnen  findet  die  Mischung  grün,  der  andere  rot.  Die 
ersteren,  die  Rot  anomalen  nehmen,  um  Gleichung  zu 
erhalten,  beträchtlich  mehr  Rot  und  weniger  Grün  als 
der  Farbentüchtige,  ihre  Mischung  erscheint  dem  Normalen 
rot;  die  zweiten,  die  G  r  ü  n  a  n  o  m  a  1  e  n,  brauchen  umge¬ 
kehrt  mehr  Grün  und  weniger  Rot  als  der  Normale,  ihre 
Gleichung  ist  für  den  Färhoitüchtigen  deutlich  grüngelb. 

Bei  einzelnen  Grünanomalen  kann  man  sehr  viel  mehr 
Grün  beimischen,  ja  bei  gewissen  extremen  Formen  das 
Grün  rein  neben  das  gelbe  Vergleichslicht  stellen,  ohne 
(laß  Ungleichheit  auftritt,  wenn  man  nur  die  Helligkeits¬ 
verhältnisse  entsprechend  regnliert.  Nagel  nennt  sie  Ex¬ 
trem-Grünanomale;  mit  Holmgren  und  Stilling  er¬ 
scheinen  sie  als  typisch  grünblind. 

Ganz  ähnliche  extreme  Fälle  gibt  es  unter  den  Rot- 
anomalen.  Bei  Ihüfung  mit  Holmgren  und  Stilling  im¬ 
ponieren  sie  als  Protanopen  und  es  kann  sehr  schwer  werden, 
sie  von  diesen  zu  unterscheiden,  da  sie  auch  am  Speklral- 
apparate  zwischen  Rot  und  Gelb  nahezu  eine  Scheinglei¬ 
chung  erhalten,  wenn  das  richüge  Helligkeitsverhähnis  ge¬ 
wählt  wird.  Sie  legen  bei  Plinstellung  einer  Gleichung  ge¬ 
radeso  wie  die  Dichromaten  viel  mehr  Gewicht  auf  Hellig¬ 
keitsdifferenzen  als  auf  Wellenlängenuntersdiiede.  Mit 
Nagels  Tafeln  w^erden  sie  olme  weiteres  als  Anomale  er¬ 
kannt.  In  früheren  Statistiken  wurden  zweifellos  viele 
Personen  als  Rothlinde  regislriert,  die  in  Wirklichkeit  Rot- 
anomale  waren;  ebenso  werden  manche  ,,exlrenie  Grün- 


*)  Der  englische  Physiker  Lord  Rayleigh  entdeckte  diese 

Tatsache  1881. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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G'I2 


anomale“  für  Deuteraiiopeii  gehalten  worden  sein.  Die  Ent¬ 
scheidung  kann  immer  erst  der  Spektralfarbenmischapparat 
geben. 

Wenn  wir  von  diesen  extremen  Fällen  absehen,  so 
äußert  sich  die  Farbenschwäche  der  Anomalen  vorzugsweise 
in  einer  Beeinträchtigung  der  G  r ün  emp  f  i  n du  n  g, 
die  so  weit  gehen  kajin,  daß  eine  solche  überhaupt  unmöglich 
wird.  Das  Grün  ist  infolgedessen  für  alle  Anomalen  eine 
so  wenig  ausgesprochene  Farbe,  unterscheidet  sich  so  wenig 
von  Grau  und  Braun,  daß  sie  die  Benennung  gewissermaßen 
instinktiv  nur  mit  Vorsicht  und  Zögern  anwendeji.  Auch 
bei  den  Bota, nomalen  ist  von  den  sonstigen  Empfindungs- 
Dualitäten  ebenfalls  die  Grünempfindung  am  auffälligsten 
beeinträchtigt  und  es  fehlt  nicht  an  Hinweisen,  daß  bei  den 
Grünanomalen  auch  die  Rotempfindung  herabgesetzt  ist. 
Man  kennt  anomale  Trichroniaten,  die  kräftige  Rotempfin- 
dung  haben,  aber  der  Grünempfindung  völlig  ermangeln ; 
dagegen  kennt  man  noch  keinen  Fäll,  bei  dem  die  Rotempfin¬ 
dung  sehr  erheblich,  die  Grünempfindung  sehr  wenig  be¬ 
einträchtigt  wäre. 

Leicht  verständlich  ist  es,  daß  die  Rotanomalen  mit 
ihrer  Flnterempfindlichkeit  für  langwellige  Strahlen  rote 
Lichter  schon  bei  einer  Intensität  nicht  mehr  sehen,  wo  sie 
für  den  Nomialen  oder  Grünanomalen  noch  deutlich  erkenn¬ 
bar  sind;  sie  verhalten  sich  hier  ganz  wie  Protanopen.  Läßt 
man  sie  ein  objektiv  dargestelltes  Spektrum  betrachten  und 
sein  Ende  markieren,  so  zeigt  sich,  daß  sie  ein  beträchtliches 
Stück  vom  äußersten  Rot  schon  nicht  mehr  sehen. 

Homogenes  Bot  (oder  Orange)  verliert  in  kleinem  Felde 
von  2°  bis  3°  bei  Herabsetzung  der  Intensität  für  den  Ano¬ 
malen  seine  spezifische  Farbigkeit  und  gibt  dann  Gleichung 
mit  lichtschwachem  Gelb  u.  zw.  bei  einer  Flelligkeit,  bei 
welcher  der  normale  Trichromat  noch  deutlich  Bot  (be¬ 
ziehungsweise  Orange)  sieht.  Für  Grün  trifft  das  Gleiche 
in  erhöhtem  Maße  zu. 

Wird  homogenem  Rot  reichlich  Blau  zugeniischt,  so 
hemerkt  der  Anomale  den  Rotgehalt  der  Mischung  schon 
nicht  mehr,  wenn  ihn  der  Normale  noch  deutlich  Avahr- 
nimmt ;  violett  aussehende  Rot-Blau-Mischungen,  sowie  ein 
homogenes  Violett  hält  der  Aiiomale  häufig  für  Blau. 

Die  herabgesetzte  Unterschiedsempfind¬ 
lichkeit  in  der  Grün-Grau-Reihe,  wie  in  der  Grün- 
Braun-Reihe  ist  eine  der  beiden  charakteristi¬ 
schen  Eigenschaften  der  Anomalen,  die  Nagel  bei 
Konstruktion  seiner  Täfeln  mit  bestem  Erfolge  zur  Erken¬ 
nung  dieser  Farbensinnstörung  verwertete.  Und  zwar 
machen  beide  Typen  bei  Prüfung  mit  denselben  nur  diese 
bezeichnenden  Verwechslungen,  aber  zum  Unterschiede  von 
den  Dichromaten  niemals  Rosa-Grau-  oder  Rosa-Grün- 
\  erwechslungen.  Auch  am  Spektralapparate  erkennt  man 
die  große  Abweichung  von  den  Dichromaten  sogleich  an 
der  Unmöglichkeit,  Gleichungen  zwischen  Rot  und  Gelb 
oder  Purpur  und  Blaugrün  zu  erhalten. 

Von  den  sonstigen  allen  Anomalen  eigentümlichen  Ab- 
Aveichungen  vom  Nonnalen  (ihren  sogenannten  ,,sekun- 
dären  Merkmalen“)  seien  folgende  als  praktisch  be¬ 
sonders  Avichtig  besonders  her  vor  gehoben: 

1.  Sie  sind  abhängiger  von  der  Intensität  des 
farbigen  Reizes,  insofern  als  das  Optimum  der  Licht¬ 
stärke  für  die  Erkennung  von  Färbenunterschieden  bei 
ihnen  Avesentlich  höher  liegt  als  bei  den  Normalen.  Licht- 
schAvuiche  Farben  erkennen  sie  nur  sehr  unsicher ;  besonders 
wird  schAvaches  Grün  immer  mit  Grau  verwechselt,  dunkles 
Violett  für  Graugrün  gehalten. 

2.  Sie  sind  abhängiger  von  Helligkeitsdiffe¬ 
renzen  insofern,  als  ihnen  diese  oft  auffälliger  erscheinen 
als  Farbe nl  ondifferenzen. 

3.  Sie  brauchen  zum  k  rkennen  A'on  Farben  erheb¬ 
lich  größere  Gesichtswinkel;  speziell  zur  Uiiter- 
scheidung  von  roten  und  grünen  Signallichtern  muß  der¬ 
selbe  um  das  drei-  bis  zAvölffache  größer  sein  als  bei 
Vonualen.  Bei  kleinem  leide  (Vio°  und  darunter)  sind  sie 
auch  in  der  Uiderscheidung  Amn  Rot  und  Gelb  ganz  un¬ 


sicher.  An  sehr  kleinen  Objekten  können  selbst  sehr  ge¬ 
sättigte  Farben  für  den  Anomalen  unerkennl>ar  bleiben  und 
farbenanomale  Aerzte  klagen  z.  B.  oft  über  die  Schwierig¬ 
keit,  gefärbte  Bazillen  zu  erkennen. 

4.  Sie  brauchen  zum  Erkennen  von  Farben  erheb¬ 
lich  längere  Zeit  u.  zw.  für  Rot  das  20 fache,  für 
Grün  sogar  das  öOfache  gegen  jene  des  Farbentüchtigen; 
bei  kurzer  Exposition  erkennen  si-e  die  spezifische  Farbe 
überhaupt  nicht. 

5.  Sie  ermüden  farbigen  Reizen  gegenüher  schnell 
und  halten  schließlich  Farben  für  gleich,  die  sie  bei  aus¬ 
geruhtem  Auge  sofort  als  ungleich  erkennen  würden. 

6.  Das  interessanteste  und  'charakteristi¬ 
scheste  Symptom  aber,  welches  die  Anomalen 
stets  aufweisen,  ist  ihr  erheblich  gesteigerter 
Simultan-  und  Sukzessivkontrast.  Diese  Eigen¬ 
tümlichkeit  äußert  sich  sowohl  bei  den  Rot-,  Avie  bei  den 
Grüna.nomalen  nur  dann,  wenn  Rot  oder  Grün  kontrast¬ 
erregende  Farben  sind,  nicht  aber  bei  Blau  oder  Violett. 

Sehr  auffällig  zeigt  sich  die  Kontraststeigerung  am  Farben¬ 
kreisel.  Färbt  man  die  (äußere)  große  Scheibe  durch  Mischung 
von  Schwarz  und  Gelb  braun  und  mischt  auf  der  (inneren)  kleinen 
Scheibe,  die  ebenfalls  Schwarz  und  Gelb  enthält,  variable  kleine 
Mengen  von  Rot  und  Grün  bei,  so  bleiben  für  den  Anomalen  be¬ 
trächtliche  Grünzumischungen  unbemerkt;  AAmnn  er  die  kleine 
Scheibe  allein  siebt;  sie  AAmrden  aber  sofort  bemerkt,  Avenn  gleich¬ 
zeitig  die  äußere  Vergleichsscbeibe  sichtbar  ist;  doch  Avird  der 
Grünzusatz  nicht  direkt  und  an  und  für  sich  Avahrgenommen, 
sondern  dadurch,  daß  das  Vergleichsbraun  rot  oder  orange  ge¬ 
färbt  AvUrde.  Es  tritt  also  ein  kräftiger  Kontrast  der  unler- 
scliAvelligen  Farbe  auf  das  Nachbarfeld  zu  einer  Zeit  in  Er¬ 
scheinung,  Avo  das  Giün  als  solches  noch  gar  nicht  erkennbar 
ist.  Bei  der  notorischen  Unterempfindlicbkeit  der  Anomalen  für 
grüne  Lichter  muß  es  um  so  mehr  auffallen,  daß  sie  mit  solcher 
Bestimmtheit  von  Grün  sprechen,  sobald  der  Kontrast  von  seilen 
eines  kräftigen  Rot  ihnen  solches  erscheinen  läßt.  Nimmt  man 
außen  ein  gesättigtes  Blau  grün,  innen  ein  Grau  (Avie  sie  etAva 
der  Dichromat  foveal,  helligkeits-  und  farbengleich  sieht),  so  er¬ 
scheint  die  graue  Scheibe  in  leuchtendem  Karmin.  Die  Anomalen 
sehen  daher  Grau,  Braun  oder  Gelb,  neben  kräftigem  Rot  „grün“, 
neben  lebhaftem  Grün  ,,rot“. 

Zeigt  man  ihnen  in  der  Nähe  hintereinander  ein 
weißes,  gelbes,  rotes  oder  grünes  Licht,  so  Averden 
sie  meist  richtig  unterscheiden;  sobald  sie  aber  diese 
Lichter  nebeneinander  sehen,  machen  sie  grobe 
Fehler;  ein  weißes  oder  gelbes  Licht  erscheint  ihnen 
grün,  wenn  ein  kräftiges  rotes  Licht  daneben  steht;  rot, 
wenn  lebhaftes  Grün  daneben  sichtbar  ist.  Nagel  hat 
dieses  konstante  und  außerordentlich  bezeich¬ 
nende  Symptom  bei  Konstruktion  seiner  Tafeln 
mit  bestem  Erfolge  als  weiteres  Merkmal  zur  Er- 
k  e  n  n  u  n  g  d  e  r  A  n  o  m  a  1  e  11  b  e  n  ü  t  z  t  und  auch  sein  Farben- 
gleichungsapparat  gestattet  in  der  dritten  Einstellung  (Rot- 
Gelb)  eine  sehr  bequeme  und  sinnfällige  Verwertung  dieser 
auffallenden  Erscheinung.  Ebenso  kann  man  mit  dem  Appa¬ 
rate  Herings  den  Färbenkontrast  prüfen,  indem  man  ein 
rotes  und  gelbes  (graues)  oder  ein  grünes  und  gelbes  (graues) 
Glas  einsetzt  und  entsprechend  belichtet. 

Den  Avesentlichsten  Teil  der  hier  in  knappen  Umrissen 
angedeuteten  Feststellungen  über  die  Anomalen  verdanken 
Avir  Nagel,  der  in  jahrelanger,  mühsamer  Arbeit  bei  ver¬ 
schiedenen  Massenuntersucbungen,  wie  der  Prüfung  un- 
geAvöhnlicber  Fälle,  namentlich  die  Entscheidung  Amn  zwei 
Fragen  anstrebte,  deren  Lösung  auch  uns  auf  das  lebhaf¬ 
teste  interessiert.  Einmal:  Was  ist  von  den  sogenannten 
larbenscbAvacben  zu  halten;  sind  sie  in  praktischer  Hin¬ 
sicht  den  Normalen  oder  den  Farbenblinden  gleich-,  be- 
ziehungsAveise  nahezustellen?  Und  ferner:  AVie  verhalten 
sich  die  Farbenschwachen  unter  den  Bedingungen  des  Eisen¬ 
bahn-  und  Alarinesignaldienstes  ? 

Er  kajn  bei  diesen  Untersuchungen  bald  zur  Ueber- 
zeugung,  daß  nahezu  alle  Fälle  von  angeborenen  Farben¬ 
sinnstörungen,  die  man  neben  der  typischen  Farbenhlind- 
heit  beobachtet  und  als  Farbe nscliAväche  bezeichnet  hat, 
nichts  anderes  als  anomale  Trichroniaten  Avaren;  unter 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


vielen  Uiuseiul  lliilersuehten  fand  er  nur  ganz  vereinzeUe 
Ausnainnen.  Allerdings  beslehen  zwischen  den  einzelnen 
Källen  bedeidende  Unlerschiede.  Neben  solchen  Anoinalen, 
bei  denen  die  Abnormiiät  des  Farbensinnes  im  gewöhn¬ 
lichen  Leben  und  bei  Prüfung  mit  den  bisher  verbreitetsten 
Untersuchungsmethoden  kaum  anffällt,  findet  man  solche, 
die  sich  fast  wie  Dichromaten  verhalten  und  oft  nur  sehr 
schwer  von  diesen  zu  unterscheiden  sind.  Durch  diese 
Forschungsergebnisse  war  es  möglich  geworden,  dem  bis¬ 
her  ziemlich  schwankenden  Begriffe  des  schwachen  Farben¬ 
sinnes  einen  ganz  bestimmten  Inhalt  zu  geben  und  die  ein¬ 
zelnen  Formen  der  Anomalie  scharf  zu  fassen  und  genau 
zu  umgrenzen. 

Mit  der  Kennzeichnnng  der  F'arbensch wachen  als  ano¬ 
male  Trichromaten  war  nach  den  eben  angeführten  Eigen¬ 
tümlichkeiten  derselben  die  Beantwortung  der  zweiten  Frage 
von  selbst  gegeben.  Vergegenwärtigt  man  sich,  wie  un¬ 
sicher  die  Anomalen  den  Flauptsignalfarben  Rot  und  Grün 
gegenüberstehen ;  welchen  Täuschungen  sie  auf  großen 
Bahnhöfen  und  Hafenplätzen  mit  unzähligen  farbigen  Lich¬ 
tern  infolge  ihres  gesteigerten  Simultankontrastes  ausgesetzt 
sind;  daß  Eisenbahnbedienstete  und  Seeleute  die  farbigen 
Signale  fast  ausnahmslos  unter  sehr  kleinem  Gesichtswinkel 
sehen;*)  daß  die  Anomalen  in  der  Unterscheidung  grüner 
und  farbloser  (gelber)  Laternenlichter  unter  einem  Gesichts¬ 
winkel  von  1/10°  und  weniger  fast  genau  sO'  unsicher  sind 
wie  die  typischen  Dichromaten;  daß  die  Lichtstärke  und 
Sättigung  dieser  Signale  meist  eine  geringe,  weit  unter  der 
für  die  Farbenerkennung  optimalen  Größe  zurückbleibende 
ist,  zumal  wenn  beräucherte,  bestaubte  oder  mit  Wasser¬ 
tröpfchen,  Schnee  oder  Eis  beschlagene  Gläser  die  Laterne 
verdunkeln;  daß  sie  wesentlich  längere  Zeit  benötigen,  um 
die  speziell  für  den.  Signaldienst  wichtigen  Färbenunter¬ 
scheidungen  zu  'machen,  während  doch  oft  ein  l)litzschnelles 
richtiges  Erkennen  der  Färbe  und  daraus  folgendes  Handeln 
unerläßlich  ist:  so  muß  man  Nagel  zustimmen,  daß  die 
Anomalen  praktisch  den  Farbenblinden  gleich- 
zu  setzen  seien  und  daher  für  den  exekutiven 
Eisenbahn-  und  Marinedienst  weder  aufgenom¬ 
men,  noch  in  diesem  geduldet  werden  dürfen. 

Hand  in  Hand  mit  der  Lösung  dieser  theoretischen 
Probleme  gingen  die  Bestrebungen  nach  Verbesse¬ 
rung  der  diagnostischen  Methodik.  Bisher  hatte 
man  wohl  brauchbare  Verfahren  zur  Eruierung  der  Färben- 
bliiiden  in  den  zwei  Haupttypen,  die  Anomalen  wurden 
aber  nur  im  Laboratorium  mit  koniplizierten  Spektralfarben¬ 
mischapparaten  diagnostiziert.  Auch  hier  gelang  es  Nagel, 
auf  Grund  der  neu  gewonnenen  theoretischen  Kenntnisse 
und  seiner  ausgedehnten  praktischen  Erfahrungen  (er  unter¬ 
suchte  mehrere  hundert  Anomale)  seine  bereits  1898  er¬ 
schienenen  Farbentafeln,  die  zunächst  nur  zur  Diagnose 
der  typischen  Dichromaten  bestimmt  waren,  durch  Abände¬ 
rung  einzelner  und  Hinzufügung  neuer  so  zu  verbessern, 
daß  sie  mm  auch  die  anomalen  Trichromaten  beider 
Typen  zu  diagnostizieren  gestatten.  Nachdem  sie 
an  einem  hinreichend  großen  Materiale  erprobt  und  als 
durchaus  verläßlich  befunden  worden  waren,  beschloß  das 
kgl.  preuß.  Eisenbahnministerium,  sie  im  Bereiche  der 

*;  Eine  der  üblichen  Eisenbahnsignallaternen  von  18  cm  Licht¬ 
flächendurchmesser  erscheint  auf  100  m  Entfernung  nur  noch  unter 
einem  Winkel  von  wenn  man  die  ganze  farbige  Scheibe  als  er¬ 

leuchtet  annimmt;  unter  einem  Winkel  von  höchstens  Vioo®,  wenn  man 
nur  die  leuchtende  Flamme  als  Objekt  rechnet;  die  Signale  müssen  aber 
auf  die  fünffache  Entfernung,  also  bei  fünfmal  kleinerem  Winkel  noch 
unterschieden  werden,  was  für  die  genannten  Fälle  1',  14^‘  und  7'4"  ergibt. 
Von  den  Signallichtern  der  Dampfschiffe  interessieren  besonders  die 
Seitenlichter  oder  Positionslaternen:  das  Steuerbordlicht  muß  von  blau¬ 
grüner,  das  Backbordlicht  von  kirschroter  Farbe  sein.  Die  Dimensionen 
und  Einrichtungen  der  Lampen,  Linsen  und  Reflektoren  sind  genauestens 
normiert  und  aus  den  betreffenden  Vorschriften  zu  entnehmen.  (Ver¬ 
ordnungen  des  k.  k.  Hand. -Minist,  vom  17.  April  1897,  R.-G.-Bl.  Nr.  95, 
und  vom  18.  Dezember  1899,  R.-G.-Bl.  Nr.  254.)  Die  genannten  Lichter 
müssen  auf  eine  Entfernung  von  mindestens  2  Seemeilen  (etwas  mehr 
als  3600  m)  sichtbar  sein;  eine  z.  B.  18  cm  hohe  Positionslaterne  würde 
auf  2  Seemeilen  Entfernung  unter  einem  Winkel  von  10"  erscheinen; 
eine  14  cm  hohe  unter  8"  Gesichtswinkel. 


693 


preußisdioii  Slaalsbaliiioii  als  0  i  11  z  i  g  0  s  o  f  f  i  z  i  0  1 1  (>  s  P  r  ii- 
f  ungs''^erf  alireii  eiiiz  uf  ü  b  reu,  Fa  r  b  e  11 1)  1  i  11  d  e  und 
Anomale  in  eine  einzige  Gruppe  der  ,, Farben¬ 
untüchtigen“  znsammenzu  fassen  und  samt  und 
s  o  11  d  e  r  s  V o  ni  exekutive]!  Dienste  a u  s  z  u  s  c  h  1  i  e  ß e  n. 
Diesem  Beispiele  folgten  bald  die  prenßiisclie  Eisenbahn¬ 
brigade  und  die  kaiserliche  Marine  ;  die  Handelsmarine  dürfte 
kaum  mehr  lange  Zurückbleiben,  ln  Sachsen  sind  die  Täfeln 
schon  obligatorisch;  in  Bayern  sollen  sie  es  demnächst 
werden;  ältere  Verfahren  haben  zurzeit  nur  noch  Baden 
und  Württemberg.  Bei  den  italienischen  Staatsbahnen  ist 
die  Einführung  der  Täfeln  im  Werke.  Da  sich  gezeigt  hatte, 
daß  die  Bahnbediensteten,  die  vor  einer  Färl!ensinnprüfung 
standen,  durch  intensive  Einübung  auf  die  Wollprobe  oder 
die  Stillingschen  Täfeln  die  Gewinnung  sicherer  Besul- 
fate  nicht  selten  wesentlich  erschwert  hatten,  wurden  so¬ 
wohl  Nagel  selbst  als  die  Verlagsbuchhandlung  verpflich¬ 
tet,  die  Tafeln  nicht  in  den  Handel  zu  bringen,  sondern 
sie  nur  an  Aerzte,  ärztliche  und  wissenschaftliche  Anstalten 
oder  Behörden  abzugeben.*) 

Wie  prekär  die  Resultate  der  Färbensinnprüfung  mit 
den  älteren  Methoden  waren,  mögen  folgende  Zahlen  dartun. 

Nagel  selbst  sah  in  den  letzten  1  V2  Jahren  mindestens 
zwölf  Personen  in  wichtigen  Stellungen  bei  der  Eiseubahn 
(als  Lokomotivführer,  Heizer,  Weichenwärter),  die  vier-  bis 
fünfmal  amtlich  auf  ihr  Farbenunterscheidungsvermögen  ge¬ 
prüft  und  nicht  beanständet  worden  waren  und  nichtsdesto¬ 
weniger  typische  Dichromaten  vorstellten.  Unter  300  Eisen¬ 
bahnbediensteten,  die  alle  mindestens  einmal  untersucht 
worden  waren  (fast  alle  mehrmals  von  verschiedenen 
Aerzten),  fand  sich  der  zufällig  ganz  ungewöhnlich  hohe 
Satz  von  5Uo  typisch  Farbenblinder.  Unter  1778  Unter¬ 
offizieren  und  Mannschaften  der  -Eisenbahnregimenter,  die 
alle  vorher  schon  mit  Stilling  und  H  0 1 111  g  r  e  n  unter¬ 
sucht  und  als  farbentüchlig  erklärt  worden  waren  und  die 
auf  Veranlassung  der  Medizinalabteilung  des  preußischen 
Kriegsministeriums  zum  Zwecke  der  Entscheidung  über  die 
Brauchbarkeit  der  Nagel  sehen  Tafeln  an  der  Hand  dieser 
nochmals  überprüft  wurden,  fanden  die  mit  der  Nachunter¬ 
suchung  betrauten  Militärärzte  noch  13  (0-73Uo)  Dichro¬ 
maten  (5  Protanopen,  8  Deuteranopen)  und  31  (l-75Uo) 
Anomale  (5  Hot-  und  26  Grünanomale),  im  ganzen  somit 
noch  2-48  Uo  Färbenuntüchtige.  Die  Beweiskraft  dieser  Zahlen 
kann  nicht  angezweifelt  werden,  da  Nagel  die  Diagnose 
in  allen  Fällen  an  seinem  Farbenmischapparate  bestätigte. 
Sie  geben  zugleich  eine  Vorstellung  von  der  Häufigkeit 
der  einzelnen  Typen;  Grünblinde  und  Grünanomale 
kommen  wesentlich  häufiger  vor.  Es  liegt  selbst¬ 
verständlich  nahe,  einzuwenden,  die  erstbenulzten  Prüfnngs- 
verfahren  seien  eben  mangelhaft  durchgeführt  worden,  was 
ohne  weiteres  zugegeben  ist;  es  fehlt  aber  jeder  Grund, 
anzunehmen,  die  Untersuchungsfehler  hätlcn  den  gewöhn¬ 
lichen  Durchschnitt,  mit  dem  man  überall  rechnen  muß, 
überschritten  u.  zw.  um  so  weniger,  als  Stabsarzt  Collin 
ausdrücklich  anführt,  die  Untersuchungen  hätten  durch 
Aerzte  stattgefunden,  welche  auf  langjährige  Uebung  und 
Erfahrung  in  diesem  Gebiete  zurückblickten  und  die  Unter- 
suchungstechnik  sicher  beherrschten.  Es  wird  sich  bald 
zeigen,  daß  eben  namentlich  die  Holmgren  sehe  Probe 
selbst  in  der  Hand  Erfahrener  leicht  zu  Fehlschlüssen  führt. 
Von  neuester  Statistik  kann  ich  noch  mitteilen,  daß  unter 
13.000  mit  Nagels  Täfeln  und  Apparat  nachuntersnehten 
Mannschaften  der  kais.  deutschen  Marine  noch  1-69% 
.Farbenuntüchtige  gefunden  wurden. 

Draußen  im  Reiche  sind  also  Dank  der  sachverstän¬ 
digen  Intervention  und  unermüdlichen  Arbeit  Nagels  die 
Verhältnisse  soweit  wohlgeordnet  und  festgefügt,  als  es  der 
heutige  Stand  des  Wissens  überhaupt  gestattet. 

In  der  seit  Oktober  1906  in  Kraft  stehenden,  für  alle 
österreichischen  Eisenbahnen  bindenden  behördlichen  Vor¬ 
schrift  über  die  Prüfung  des  Farbenunterscheidnngsver- 

*)  Zu  beziehen  von  J.  F.  Bergmann  in  Wiesbaden. 


0^4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2B 


mögeiis*)  haben  die  vorstehenden  Forschnngserge])nisse 
noch  keine  Berücksichligung  gefunden.  Der  Farbensinn  soll 
„durchaus  normal“  sein,  zur  Prüfung  sind  in  jedem  Einzel¬ 
falle  Stilling  und  Holmgren  vorgeschrieben ;  eine  An¬ 
leitung  zur  Untersuchung  ^vird  nicht  gegeben  und  a.nch 
nichts  darüber  gesagt,  bei  welchen  Prüfungsergehnissen  die 
genannte  Forderung  als  erfüllt  zu  betrachten  ist,  oder  bei 
welchem  Grade  von  Farbensinnstörung  die  Untauglichkeit 
beginne.  Denn  die  sinngemäße  Folgerung,  daß  der  Farben¬ 
sinn  nur  bei  glattem  Bestehen  beider  Proben  ein  ,, durchaus 
normaler“,  bei  einzelnen  begangenen  Fühlern  aber  schoai 
ein  unzureichender  sei,  ist  nicht  zutreffend. 

Um  dies  darzutun,  müssen  wir  beide  Methoden  erst 
genau  kennen  lernen  und  uns  dann  an  der  Hand  der  vor¬ 
liegenden  Erfahrungen  über  ihre  Leistungsfähigkeit  nach 
Möglichkeit  zu  orientieren  trachten. 

Zuvor  sollen  noch  die  in  Oesterreich  sonst  für  die  Farhon- 
sinnprüfung  gülligen  Normen  kurz  mitgetoilt  werden,  weil  sie 
Ijei  der  folgenden  Besprectmng  unter  den  gleichen  Gesichtspunkt 
fallen. 

In  der,, Vorschrift  für  die  ärztliche  Untersuchung 
der  Wehrpflichtigen“,  Wien  190ß,  heißt  es  Seite  7:  ,,lJie 
in  das  Eisenbahn-  und  Telegraphenreginient  eingereiliten  Rekruten 

. sind  ....  auch  auf  Farhenhlindheit,  welche  zur  Uienst- 

leistung  im  genannten  Regimento  untauglich  macht,  zu  unter¬ 
suchen.  Die  Prüfung  ist  nach  der  Holmgrcnschen  Methode 
vorzunehmen,“  ....  folgt  eine  genaue  Anweisung  dazu. 

Die  Älarineinstruktion  VIO:  ,, Vorschrift  zur  ärztlichen  Unter¬ 
suchung  der  Seeaspiranten _ “  bestimmt: 

,, Bewerber  um  Aufnahme  als  Seeaspiranten  oder  in  die 
Mai'ineakademie  sind  auch  auf  ihr  Farhenunterscheidungsver- 
mögen  bezüglich  der  Farben  Rot  und  Grün  zu  prüfen.  Die 
Prüfung  ist  nach  der  H  o  1  m  g  r  e  n  sehen  Methode  vorzunehmen“; 
die  folgende  Anleitung  ist  mit  der  eben  erwähnten  wörtlich  gleich¬ 
lautend.  Mannschaften  wurden  bisher  nicht  geprüft. 

Für  die  Handelsmarine  enthält  die  Verordnung  des 
Handelsministeriums  vom  1.  März  1902,  R.-G.-Bl.  XVI.  Stück, 
folgende  Bestimmungen:  ,,Zur  Erlangung  der  nachstehend  ho- 
zeichneten  Rangseigenschaften  in  der  Handelsmarine,  Und  zwar 
als  Kadett,  Schiffer  der  kleinen  und  großen  Küstenfahrt,  Steuer¬ 
mann  (Leutnant),  Schiffer  der  weiten  Fahrt  (Kapitän)  und  Boots¬ 
mann,  ist  eine  Befähigung  nachzuweisen.  Vor  Beginn  der  Prüfung 
sind  alle  Kandidaten  bezüglich  der  Fähigkeit  zur  Unterscheidung 
der  Farben  ärzllicb  zu  untersuchen.  Die  Untersuchung  Avird  nach 
der  H  olm  grenschen  Methode  vorgenommen.  Der  Kandidat  hat 
aus  vorgelegten  Wollprohen  der  Reihe  nach  alle  grünen,  roten 
und  rosafarbenen  Strähne  in  ihren  verschiedenen  .\hstufungen 
zusammenzustellen,  die  einzelnen  Farben  braucht  er  jedoch  nicht 
zu  nennen.  Besteht  der  Kandidat  diese  Pi'ohe  nicht,  so  wird 
tlie  Prüfung  im  verdunkelten  Zimmer  mittels  des  hiezu  heslimmten 
Lampenmodells  oder  mit  vorschriftsmäßigen  Sciteidichtern  vor¬ 
genommen.  Kann  der  Kandidat  die  rote  Farbe  von  der  grünen 
nicht  unterscheiden,  so  wird  er  zur  Prüfung  nicht  zugelassen  .  .“ 
Lotsen  Averden  nicht  geprüft.  Es  handelt  sich  also  um  eine  sehr 
fragliche  Wollprohe  und  eine  Art  Laternenprohe,  die  später  ge¬ 
sondert  besprochen  Averden  soll. 

Bei  allen  Farhensinnprüfnngeii  sind  zur  Gewinnung 
sicherer  Untersnehungsergebnisse  folgende  allgemeine  Ver- 
haltungsinaßregeln  unerläßlich : 

1.  Die  Untersnehnng  darf  nur  bei  guter  Tägesbeleuch- 
tung,  nicht  in  Dämmerung  und  nicht  bei  künstlicher  Be- 
hmchtung  vorgenommen  werden.  Ein  Verstoß  dagegen  macht 
die  ganze  Prüfung  Avertlos. 

2.  Die  für  die  Ausführung  der  einzelnen  Verfahren 
gegebenen  Vorschriften  müssen  genau  eingehalten  Averden, 
jede  sogenannte  Vereinfachung  oder  vermeintliche  Verhesse- 
rung  ist  absolut  unzulässig. 

3.  Bei  den  Untersuchungen  ist  alles  zu  vermeiden, 
Avas  den  Untersuchten  einschüchtern  oder  Amrwirren  könnte. 
Größte  Buhe  und  Selbstheherrschung  des  Untersuchers  ist 
eine  Grundbedingung  für  schnelle  und  zu\mrlässige  Prüfung. 

4.  Wenn  mehrere  Personon  zu  iintersuclieu  sind,  ist 
es  besser,  Avenn  dies  getrennt  geschieht.  Jedenfalls  dürfen 
die  anderen  Personen  hei  «ler  Prüfung  der  ersten  nicht 
direkt  Zusehen. 

*)  Bestimmungen  über  die  p'  ysische  Tauglichkeit  zum  exekutiven 
E'scnbahndiensle.  Im  Verlage  der  einzelnen  Bahnverwaltungen. 


5.  Niemals  darf  man  einen  als  farl)enuntüchtig  Be¬ 
fundenen  etAva  nachträglich  über  seine  fehlerhaften  Anl- 
AAmrten  aufklären  oder  belehren  Avollen;  man  würde  dadurch 
allen  nachuntersuchenden  Aerzten  ihre  Aufgabe  außer- 
ordenllich  erscliAveren  und  nur  die  gegenseitige  Ablichtung 
fördern. 

6.  Jeder  irgend  erheblichere  Grad  von  Refraklions- 
anomalie  oder  IVeshyopie  muß  bei  der  Farbensinhprüfung 
korrigiert  sein,  da  die  Schärfe  des  Netzhautbildes  Amn  Ein¬ 
fluß  auf  die  Färbenwahrnehmung  ist. 

Der  prüfende  Bahnarzt  soll  farbentüchlig  sein;  doch 
ist  dies  keinesAvegs  eine  unerläßliche  Bedingung.  Ein  rot¬ 
grünblinder  Arzt  ist  vielmehr  bei  der  Prüfimg  in  mancher 
Hinsicht  im  Vorteile  vor  dem  Farbengesundon,  weil  er  das 
V erhalten  des  Farhenuntüchtigen  an  Stillings  und  Nagels 
Tafeln  (falls  er  demselben  Typus  angehört)  genau  zu  kon¬ 
trollieren  vermag.  Die  Erfüllung  seiner  Aufgabe  kann  er 
sich  durch  Merkzeichen  aller  Art  ermöglichen;  er  bedarf 
dazu  nur  einer  zuverlässigen  farbentüchligen  Person,  die 
ihm  ein  für  allemal  die  bei  den  einzelnen  Methoden  er¬ 
forderlichen  Angaben  macht;  nur  bei  der  Wollprobe  ist 
mit  befestigten  Marken  nicht  auszukommen,  da  die  Ver- 
Avechslungen  zu  mannigfaltig  sind. 

Nun  zu  den  vorgeschriebenen  Methoden. 

Von  Stillings  p  s  c  u  d  o  i  s  o  c  h  r  o  in  a  t  i  s  c  h  e  n  Tafel  n 
sind  immer  nur  tadellose,  ganze  Exemplare  der  neuesten  Auflage 
(gegeiiAvärlig  sind  ZAvei  solche,  die  X.  und  XI.  im  Umlaufe)  zu 
benützen.  Die  XI.  Auflage  bringt  untei'  Nr.  9  eine  neue  T.afel 
für  Tritanopie  (Blau-Gelbblindbeit)  mit  gelbgrünen  Tüpfeln  auf 
bla'ugrünem  Grunde;  die  für  den  glcicben  ZAveck  bereits  \mn 
mehreren  Seiten  als  ludiraucbbar  bezeicbnele  Tafel  10  der  früheren 
Auflage  (mit  roten  und  rotgelben  Flecken)  ist  beibebalten  Avorden  ; 
die  nunmehr  bläulich-i-oten  Ziffern  derselben  sind  für  den  No!'- 
malen  noch  leichter  zu  lesen.  Bei  den  übrigen  Tafeln  ist  dii“ 
Schattierung  mehrfach  geändert,  so  daß  sic  für  den  Farlxm- 
tüchtigen  noch  scliAAmrcr  zu  lesen  sind  als  jene  der  X.  Auflage; 
der  Glanz  ist  bis  auf  Tafel  6  fast  ganz  beseitigt.  Die  Nume¬ 
rierung  felilt  diesmal  auch  auf  der  Rückseite,  so  daß  die'  Be¬ 
ziehung  des  Textes  zu  den  Tafeln  so  gut  Avie  aufgehoben  erscheint. 
Es  ist  nicht  gestattet,  die  Tafeln  in  die  Hand  zu  geben  und  sie 
unter  verschiedenen  Neigungen  betrachten  zu  lassen,  Aveil  sonst 
der  verschiedene  Glanz  von  Zahlen  und  Grund  die  Entziffe¬ 
rung  ermöglichen  kann.  Wenn  die  Tafeln  nur  durch  Nachfahren 
entziffert  Averden,  so  handelt  es  sich  meist  um  Anomale  und 
beruht  nach  Nagel  auf  ihrer  schon  erwähnten  Eigentümlich¬ 
keit,  bedeutend  längere  Zeit  zu  brauchen,  um  den  Amllen  charakh'- 
ristischen  Eindruck  der  Farbe  zu  erhalten.  Sie  finden  die  far¬ 
bigen  Tüpfel  wohl  heraus  und  können  die  Zahlen  mühsam  lesen, 
Avenn  sie  den  Zügen  der  Figur  mit  einem  Stifte  nachg(dien 
dürfen;  sobald  sie  den  farbigen  Tüpfeln  aber  nur  mit  dem  Blicke 
folgen  sollen,  dann  entwickelt  sich  die  charakteristische,  von 
den  Farben  des  Grundes  A*erscbiedene  Farhenempfindung  zu  lang- 
saui,  als  daß  sich  die  einzelnen  Farhenflecke  zu  einer  erkenn¬ 
baren  Figur  zusammenschließen  könnten.  Läßt  man  aber  die 
Tafeln  aus  mehreren  Metern  Abstand  betrachten,*)  Avobei  die 
ganze  Figur  mit  einem  Blicke  erfaßt  AA'erden  könnte,  so  tritt  Avieder 
die  zu  geringe  Größe  des  Geshh'swinlvels  biiulernd  in  den  Weg. 
Die  Konstatierung  der  angeführten  Tatsache  spricht  daher  s{) 
gut  Avie  immer  für  Farbenuntüchtigkeit.  Selbstverständlich  nvidl 
der  Arzt  Avährend  der  ganzen  Dauer  der  Unlersiicbung  aiuvesend 
sein.  Die  Tafeln  sind  schonend  zu  behandeln,  möglichst  rein  zu 
erhalten,  nicht  mehr  als  notwendig  dem  Tageslichte  .luszusetzen 
und  inemals  offen  liegen  zu  lassen. 

Mit  den  H  o  1  m  g i' e n s c h e n  Wollbündeln  sind  zAvei 
Pr’oben  Ami'zunelimen. 

1.  Die  Grünprolre.  Der  Untersuchende  Aväldt  ans  den 
auf  einem  Tische  ausgebreiteten  Wollbündeln  ein  hellgrünes, 
Avenig  gesättigtes  Bündel  aus,  dessen  Färbung  rein  g  i' ü  n 
(Aveder  ins  Gelbe  noch  ins  Blaue  spielend)  sein  soll  und  fordert 
den  zu  Prüfenden  auf,  alle  Wolllründel  herauszusueben,  Avelcdie 
ihm  mit  der  Amrgelegten  Probe  besonders  äbnlicb  zu  sein 
scheinen.  Man  setze  noch  hinzu,  daß  die  ausgeAvählten  Büinhd 

*)  In  welcher  Entfernung  die  Tafeln  gelesen  werden  sollen,  ist 
eigentlich  eine  offene  Frage.  Stilling  spricht  in  der  Gebrauchsan¬ 
weisung  von  0'50— 4  Meter  und  fügt  bei,  die  genauere  Bestimmung  müsse 
der  wechselnden  Beleuchtung  halber  natürlich  jedesmal  besonders  ge¬ 
macht  werden;  wohl  ein  sehr  umständliches  und  dem  subjektiven  Er¬ 
messen  allzusehr  ausgesetztes  Verfahren. 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


695 


auch  dunkler  sein  können  und  erläulere  dies  am  besten  an  cineni 
hellblauen  und  einem  dunkelblauen  Bündel. 

k)er  Farbengesunde  wird  rasch  und  siclier  alle  irgendwie 
grünen  Slräbnclien  berausgreifen  uml  Zusammenlegen.  Der  Far- 
benunlücblige  zeigt  von  vornherein  große  Bnsicberbeit,  gebt  nur 
’ langsam  und  zögernd  an  die  Wahl,  sucht  viel  herum,  hält  die  ihm 
'*■  ähnlich  scheinenden  Bündel  erst  prüfend  gegen  das  vorgelegte 
r-;  Muster,  um  es  eventuell  wieder  zurückzulegen  und  verrät  sich 
bald  dadurch,  daß  er  auch  nicht  grün  gefärbte  Wollen  auswählt. 
Als  Verwechslungsfarben  werden  vorzugsweise  graue,  braune, 
W  rosafarbige,  graurote,  auch  schwach  gelbliche  und 
schwach  bläuliche  Bündel  ausgesucht.  Als  bestanden  gilt 
die  Probe  nur,  wenn  sie  ohne  Zögern  und  ohne  Zulegen  von 
Veiwechsluiigsfarben  erledigt  wird. 

y-.  2.  Die  Purpur  probe.  Bei  dieser  wird  dem  Kandidaten 

->.  ein  Bündel  von  der  Farbe  eines  wenig  gesättigten  Purpur 

>  (Rosa),  das  nicht  ins  Gelbliche  und  auch  nicht  zu  stark  ins 

Blaue  spielen  soll,  vorgelegt  und  ihm  die  analoge  Aufgabe  ge- 
^  stellt  wie  bei  der  Grünprobe. 

-)  Das  Benehmen  der  Farbengesunden  und  Farbengestörten 

A-  wird  auch  hier  ein  durchaus  verschiedenes,  dem  oben  geschil- 
s;’  derten  analoges  sein.  Während  der  Gesunde  schnell  imd  ohne 
Bedenken  die  zugehörigen  roten  Bündel  herausgreift,  wählt  der 
Rotb  linde  zum  Purpur:  Blaugrau  und  Bl  au  grün,  sowie 
;•  gesättigtes  Violett  und  Blau;  der  Grünblinde:  Blau¬ 
grau  und  Grau,  selten,  und  nur  in  hellen  Abstufungen: 

;  Violett  und  Blau.  Zu  einem  lebbaften  Feuerrot  (welche 
Probe  man  auch  noch  versuchen  kann)  legt  der  Protanop  mehr 
dunkelgrüne  und  dunkelbraune  Wollen;  der  Deuter- 
a  n  o  p  dagegen  li  e  1 1  g  r  ü  n  e  und  hellbraune,  da  sowohl  Purpur 
V  als  Feuerrot  dem  Rotblinden  dunkler  erscheinen  als  dem  Grün¬ 
blinden. 

Verdächtig  ist  es,  wenn  der  Untersuchte  die  einzelnen  Woll- 
'  .  bündel  nahe  ans  Gesicht  bringt  und  sich  erst  dann  entscheidet, 
ob  das  betreffende  Bündel  mit  dem  vorgelegten  Probebündel 
gleicbfarbig  ist.  Solche  Leute  sind  fast  stets  farbenuntüchtig  und 
es  hängt  diese  Erscheinung  mit  der  uns  schon  bekannten  Eigen¬ 
tümlichkeit  der  Anomalen  zusammen,  daßi  sie  ein  farbiges  Ob.jekt 
unter  größerem  Gesichtswinkel  betrachten  müssen,  wenn  sie  die 
Farbe  erkennen  wollen.  Auch  bei  Prüfung  mit  den  Na  ge  Ischen 
Tafeln  ist  dieses  Verhalten  stets  zu  bemerken  und  geradezu 
diagnostisch  wichtig,  wenn  man  schon  vorher  weiß,  daß  der  Unter¬ 
suchte  nicht  kurzsichtig  oder  ambylotisch  ist,  bzw.  wenn  eine 
etwaige  Refraktionsanomalie  korrigiert  ist. 

Grundbedingung  für  die  richtige  Durchführung  der  Probe 
ist,  daß  der  zu  Prüfende  genau  wisse,  worauf  es  ankommt  und 
daß  er  seine  Aufgabe  vollständig  und  zweifellos  erfaßt  habe. 
Im  wesentlichen  wird  es  sich  immer  darum  handeln,  dem  Kandi- 
taten  begreiflich  zu  machen,  daß  unter  ,,ähnliche n“  Bündeln 
solche  von  gleicher  Farbe  gemeint  seien,  aber  ohne  Rück¬ 
sicht  darauf,  ob  sie  heller  oder  dunkler  erscheinen.  Nur 
bei  Zutreffen  dieser  kardialen  Voraussetzungen  können  die  Resul¬ 
tate  der  Probe  mit  einiger  Sicherheit  verwertet  werden. 

Man  kann  sich  mit  den  Wollbündeln  eine  ganz  instruktive 
Vorstellmig  vom  Sehen  der  Farbenblinden  verschaffen,  w'enn  man 
seine  eigene  Netzhautperipherie  zu  Hilfe  nimmt  und  sich  dabei 
folgende  Tatsachen  gegenwärtig  hält.  Wenn  ein  Normaler  farbige 
Objekte  mäßiger  Größe  in  zunehmender  Exzentrizität  betrachtet, 
so  zeigen  dieselben,  soweit  sie  eine  rötliche  oder  grünliche  Bei¬ 
mengung  enlhalten,  zunächst  eine  Aenderung  der  Nuance,  itiso- 
ferne  diese  Beimengung  zurücktritt  und  ein  etwa  vorhandener 
gelbliclier  oder  bläulicher  Farbenton  mehr  zur  Geltung  kommt; 
zeigte  das  verwendete  Rot  oder  Grün  weder  gelbliche  noch  bläu¬ 
liche  Beimischung,  so  wird  es  in  dieser  Zone  farblos  (grau). 
Man  kann  daher  das  Sehen  in  diesen  extrafovealen  Netzhautab- 
schnitten  als  ein  dichromatisches  bezeichnen;  Grüngelb,  Orange 
werden  gelb;  Blaugrün,  Violett  und  Purpur  werden  blau.  Geht 
man  zu  nocli  größeren  Exzentrizitäten  über,  so  hört  auch  die 
Empfindung  des  Gelb  und  Blau  auf  und  die  äußerste  Netzhaut¬ 
peripherie  wird  total  farbenblind;  die  einzelnen  Farben  erscheinen 
nur  mehr  als  heller  oder  dunkler  Fleck. 

Nimmt  man  nun  ein  zusammengelegtes  Woll bündel  so  in 
die  Hohlhand,  daß  nur  das  Ende  der  Schlinge  knopfförmig  zwischen 
den  geschlossenen  Fingerspitzen  hervorsieht  und  führt  diesen 
farbigen  Knopf,  z.  B.  bei  geschlossenem  rechten  Auge,  von  der 
Nasenseite  her  in  das  Gesichtsfeld  des  etwas  auswärts  gewandten 
linken  Auges,  so  erscheint  das  Objekt,  falls  z.  B.  Orange  gewählt 
wurde,  in  der  äußersten  Peripherie  zunächst  als  mäßig  heller, 
farbloser  Fleck;  bei  weiterem  Hereinrücken  in  die  dicbromatische 
Zone  wird  es  bräunlich  bis  gelblich,  um  erst  beim  Eintreten  in 
die  trichoma  tische  Fovea  auch  die  rötliche  Beimengung  erkennen 


zu  lassen  und  so  zu  erscheinen,  wie  es  bei  direkter  Betractitung 
aussield.*)  Der  Farbenweclisel  ist  ganz  frai)panl.  und  besonders 
fallen  die  Helligkeils-  und  Sättigungsdifferenzen  auf,  so  daß  man 
dadurch  eine  annähernde  Vorstellung  von  dem  Werte  dieser  Hilfs¬ 
mittel  für  den  Farbenblinden  erhält.  Sclülrfer  noch  gelingt  der 
Versuch,  wenn  man  etwa  zwanzighellerstückgroße,  an  Stäbchen 
oder  Draht  befoistigtc  Scheibchen  von  Pigineid  papieren  auf 
schwarzem  Grunde  durch  das  Gesichtsfeld  führt. 

Bis  zu  einem  gewissen  Maße  kann  man  auf  diese  Weise 
auch  die  VerAvechslungsgleichungen  der  Farbenblinden  kontrol¬ 
lieren,  indem  man  versucht,  ob  gewählte  Farbenpaare  auch  in 
der  eigenen  Peripherie  Gleichung  gehen;  doch  sei  gleich  bemerkt, 
daß  nur  die  Farbengleiclumgen  der  Deuteranopen  mit  denen  der 
eigenen  Peripherie  annähernd  übereinstimmen,  jene  der  Prot- 
anopen  dagegen  durchaus  verschieden  sind. 

Interessant  ist,  daß  sich  die  Farbenblinden  nach  Nagels 
Untersuchungen  gegenteilig  verhalten,  indem  sie  in  der  Netz¬ 
hau  tperipherie  ein  genaueres  Farbenunterscheidungsvermögen  er¬ 
kennen  lassen.  Es  gibt  Dichromaten,  die  im  fovealen  Sehen  ein 
typisch  dichromatisches  System  aufweisen,  beim  Sehen  mit  großen 
Netzhautflächen  aber  ein  kompliziertesi  System  zeigen,  das  sich 
als  anomal  trichromatisch  herausgestellt  hat.  Die  Protanopen  sehen 
auf  großem  Felde  wie  Rotanoniale  im  fovealen  Netzhautbezirke, 
die  Deuteranopen  wde  Grünanomale.  Beide  zeigen  in  den  peri¬ 
pheren  Netzhautabscimitten  auch  die  oben  angeführten  sekun¬ 
dären  Merkmale  der  Anomalen,  unter  denen  der  gesteigerte  Farben¬ 
kontrast  wieder  ganz  besonders  auffällig  ist.  Vlan  konstatiert 
z.  B.  die  seltsame  Erscheinung,  daß  der  Deuteranop,  welcher 
das  Grün  als  eigentliche  Farbe  nicht  kennt,  auf  großem  Felde 
durch  Induktion  von  seiten  einer  grünen  Fläche,  oder  als  Nach¬ 
bild  eines  gesättigten  Grün  eine  ausgeprägte  Rotempfindung  er¬ 
hält,  während  selbst  das  leuchtendste  Rot  durch  Kontrast  niemals 
eine  Grünempfindung  hervorruft;  ein  gelbliches  Rot  induziert  Blau¬ 
empfindung,  .ein  bläuliches  Gelbempfindung.  Ob  eine  Fläche  grün 
ist  oder  nicht,  kann  der  Deuteranop  tatsächlich  nur  daran  mit 
Sicherheit  erkennen,  ob  es  in  einem  neutralen  Nachbarfelde  durch 
Simultankontrast,  oder  im  Nachbilde  Rotempfindung  hervorruft. 
Blickt  der  Normale  erst  einige  Sekunden  auf  eine  lebhaft  grüne 
und  dann  auf  eine  (etwa  helligkeitsgleiche)  graue  oder  braune 
Fläche,  so  sieht  er  bekanntlich  wohl  Andeutungen  einer  durch 
Kontrast  erzeugten  Rötung  dieser  Fläche,  keineswegs  aber  eine 
so  frappante  und  anhaltende  Farbenveränderung.  Auf  Aus¬ 
schließung  des  Dämmerungssehens  wurde  selbstverständlich  sorg¬ 
fältig  Betracht  genommen.  Durch  diese  Beobachtungen  scheinen 
sich  die  Beziehungen  zwischen  Dichromaten  und  anomalen  Tri- 
chromaten  noch  enger  zu  gestalten,  als  man  bisher  annehmen 
konnte. 

(Schluß  folgt. 


Aus  der  Klinik  Chrobak. 

Nachweis  von  chromaffinem  Gewebe  und  wirk¬ 
lichen  Ganglienzellen  im  Ovar. 

Von  Dr.  Koustantiii  J.  Bucura,  Assistenten  der  Klinik. 

A.Kohn,  der  sich  in  langjähriger  Arbeit  und  mehreren 
diesbezüglichen  Abhandlungen  mit  dem  chromaffinen  Ge¬ 
webe  beschäftigte,  hat  1902  in  einer  größeren  Zusammen¬ 
fassung^)  alle  Ergebnisse  seines  Studiums  und  der  Erfah¬ 
rungen  anderer  Autoren  darüber  kritisch  verarbeitet  und  ist 
zu  Schlüssen  gekommen,  welche  diese  Elemente  zu  einer 
sowohl  entwicklungsgeschichtlich  als  auch  liistogeuetisch 
und  zytologisch  scharf  umgrenzten,  somit  auch  kaum  zu 
verkennenden  Gewebsart  charakterisieren.  Das  chromaffine 
Gewebe  kommt  bei  den  Säugetieren  vor  allem  in  geschlos¬ 
sener  Masse  in  den  zentralen  Partien  der  Nebenniere  vor. 
Kleine  und  größere  chromaffine  Körper  (Paraganglien  nach 
Kohn)  und  Einlagerungen  finden  sich  im  ganzen  Grenz¬ 
strange  und  an  den  peripheren,  insbesondere  abdominalen 
Geflechten  des  Sympathikus.  Hieher  gehören  auch  die 
Karotis  und  die  Steißidrüse  und  alles  Gewebe,  welches  mit  ße- 
rechtigung  ,, Marksubstanz  der  Nebenniere“  genannt  wurde 

*)  Herr  Dozent  Dr,  Sachs,  der  so  freundlich  war,  diese  Ver¬ 
wendung  der  Wollbündel  in  einem  den  Südbahnärzten  gehaltenen  Vor¬ 
trage  zu  demonstrieren,  besitzt  eine  ganz  besondere  Virtuosität  in  der 
getrennten  Benützung  seiner  verschiedenen  Netzbautbezirke. 

Ö  A.  Kohn,  Das  chromaffine  Gewebe,  Sonderabdruck  aus  Er¬ 
gebnisse  der  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte  von  Merkel  und 
Bonnet  1903. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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.  jü 


(Kolm).  Audi  die  von  Zuckerkandl“)  gefundenen  Neben- 
organe  des  SynipatJiikus  iui  Reiroperifonealraum  des  Men- 
sdien  gehören  hielier.  lieber  das  liisfüJogisdie  YerliaUen  des 
llewebes  ist  zu  bemerken,  daßi,  wenn  das  diromaffine  Ge¬ 
webe  größere  Massen  bildet,  sieb  seine  Zetten  zu  Raiten  und 
;St.rängen  aneinanderlagern,  so  daß  eine  gewisse  AelniJicli- 
keit  mit  einem  EpiÜielgewebe  zustande  kommen  kann.  Doch 
liäutig  genug  kommen  diese  Zelten  auch  ganz  vereinzelt 
vor,  mitten  im  Rindeigewebe,  in  Ganglien  und  Nerven.  Die 
cliromaifinen  Zellen  selbst  sind  in  der  Regel  einkernig; 
vielseitig  ist  die  UndeuUiclikeit  der  Zellgrenzen  aufgefallen, 
so  daß.  nicht  selten  synzytiumälmticlie,  kerntiältige  Klumpen 
vorgetäusdit  werden.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die 
Empfindlichkeit  und  Vergänglichkeit  dieser  Zellart;  die¬ 
selben  sctirumpfen  leicht  in  Härtungsflüssigkeiten  und  ver¬ 
ändern  sich  zu  zackigen  Formen  (v.  Ebner’^).  Im  frischen 
Zustande  sind  sie  blaß,  fein  und  dicht  gekörnt. 

Ihre  wichtigste  und  diagnostisch  ausschlaggebende 
Eigenschaft  ist  die,  sidi  in  Lösungen,  die  chromsaure  Salze 
enthalten,  zu  bräunen.  Diese  Chromfärbung  ist  nach  einigen 
an  die  Granula  des  Zetleibes  gebunden,  nach  anderen  (zum 
Reispiel  Rabl'^)  soll  sich  das  ganze  Protoplasma  diffus 
färben.  Nach  Kohn  soll  dieser  Unterschied  in  der  Zu¬ 
sammensetzung  der  bixierungsflüssigkeit  gelegen  sein.  Vor¬ 
ausgehende  Reliandlung  mit  anderen  Eösungen,  insbesondere 
mit  Alkohol,  vereiteln  die  Chromreaktion. 

Von  entwicklungsgeschichtticher  und  eminenter  dia¬ 
gnostischer  Wichtigkeit  ist  gchließlich  die  Reziehung  des 
chromaitinen  Gewebes  zum  sympathischen  Nervensystem. 
Daß  sich  das  chroniaffine  Gewebe  von  den  Anlagen  der 
Sympathikusgaiiglien  entwickelt,  ist  eine  nahezu  allgemein 
akzeptierte  Tatsache;  für  die  Säugetiere  konnte  hiefür  der 
lückenlose  Nachweis  erbracht  werden  (Kohn).  Aus  der 
Genese  des  Gewebes  erklärt  sich  auch  sein  typisches  Ver¬ 
halten  zum  Sympathikus,  indem  chromaffine  Einlagerangen 
in  den  sympathischen  Ganglien  und  Nerven  eingelagert  Vor¬ 
kommen;  doch  auch  bei  solchem  chromafiinen  Gewebe, 
welches  frei  geworden  ist,  bzw.  selbständig  auftritt  und 
eine  eigene  Rindegewebshülle  besitzt  (z.  R.  die  Zucker- 
k  and  Ischen  Nebenorgane),  kann  der  Zusammenhang  mit 
dem  Sympathikus  noch  festgesteltf  werden.  Das  wechsel¬ 
seitige  V'orkonimen  von  Ganglienzellen  in  chromaffinem 
Gewebe  und  von  chromaffinen  Zelten  in  Ganglien,  läßt  sich 
ebenfalls  aus  der  Entwicklung  dieser  Gewebsart,  aus  den 
Anlagen  der  sympathischen  Ganglien  erklären. 

Es  besitzt  also  das  chromaffine  Gewebe  Merkmale, 
durch  welche  diese  Gewebsart  leicht  kenntlich  ist;  es  ist  aber 
eine  gewisse  \-orbehandlung  nötig,  um  die  Zellen  kenntlich 
zu  machen,  anderseits  vermögen  gewisse  gangbare  Präpa¬ 
rationsmethoden  und  T'ixierungsflüssigkeiten  die  Zellen  bis 
zur  Unkenntlichkeit  zu  verändern. 

Ich  liabe  es  einem  Zufall  zu  verdanken,  in  die  Lage 
gekommen  zu  sein,  auch  im  Eierstocke  dieses  Gewebe  nach- 
weisen  zu  können. 

Wegen  rasch  fortschreitender  Osteomalazie  wurden 
einer  55jährigen  Iran,  die  sich  seit  fünf  Jahren  in  der 
Menopause  befand,  beide  Adnexe  exstirpiert  (Gyn. -Prot. 
Nr.  G39  ex  1906)  und  Stückchen  von  den  Eierstöcken  sofort 
nach  der  Operation  mit  der  Absicht,  eventuell  die  durch 
die  Osteomalazie  bedingten  Voränderangen  studieren  zu 
können,  in  Eie  mining  sehe  Flüssigkeit  eingelegt.  Rei  der 
Durchsicht  der  Präparate,  welche,  in  üblicher  Weise  weiter- 
behandell,  in  Paraffin  eingebettet  und  mit  Ilämatoxylin- 
Eosin  und  nach  van  Gieson  gefärbt  wurden,  war  mir 
gleich  aufgefalien,  daß  sich  im  llilus  und  ganz  besonders 
im  Uebergaiige  zum  Sti’oma  Zellhaufen  yorfanden,  deren 
Aussehen  mit  den  bis  jetzt  beschriebenen  Elementen  im 
Ovar  um  so  weniger  in  Einklang  zu  bringen  waren,  als  darin 

9  Zuckerkand  I,  Verhandlungen  der  anatomischen  Gesell¬ 
schaft.  15.  Versammlung,  Bonn  1901. 

9  V.  Ebne  r,  Köllikers  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen 
1902,  Bd.  3. 

*)  Rabl,  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  und  Entwicklungs¬ 
geschichte  1091,  Bd.  3Ö. 


sichere  Ganglienzellen  nachgewiesen  werden  konnten.  Die 
weitere  Untersuchung,  hauptsächlich  die  Durchsicht  von  un¬ 
gefärbten  Präparaten  ließ  schließlich  erkennen,  daß  wir  be¬ 
rechtigt  sind,  wenigstens  nach  unseren  jetzigen  xVnschau- 
ungen  und  Kenntnissen,  dieses  eingelagerte  Gewebe  als 
cliromaffine  Zellhaufen  anzusprechen. 

Dem  zufälligen  Fund  dieses  Gewebes  im  Ovar  ist  es 
zuzuschreiben,  daß  die  für  diese  Zellart  vorgeschriebenen 
spezielleren  Methoden  nicht  mehr  in  Anwendung  gebracht 
werden  konnten  und  daß|  wegen  zu  wenig  gründlicher  Ent¬ 
wässerung  nach  der  Fixierung  auch  anderes  Gewebe,  aller¬ 
dings  nur  am  Rande  des  Scimittes,  eine  Gelbfärbung  auf¬ 
weist.  Immerhin  stechen  die  typisch  gelbbräuidich  ge¬ 
färbten  Zellen  von  der  vollständig  blassen  nächsten  Um¬ 
gebung  an  ungefärbten  Schnitte  so  stark-  ab,  daß  an 
den  gelungenen  Nachweis  der  Chromreaktion  gar  nicht 
gezweifelt  werden  kann. 

Die  Ovarien  bieten  sonst  weder  makroskopisch,  noch 
mikroskopisch  Resonderheiten ;  es  fanden  sich  darin  ältere 
Corpora  lutea,  vielfach  Corpora  albicantia,  viele  hyalin  ver¬ 
änderte  Gefäße,  ganz  spärliche,  zum  Teile  in  Atresie  be¬ 
griffene  Follikel  und  normales  Ovarialstroma  —  also  Re- 
funde,  die  dem  Alter  der  Pätientin  als  entsprechend  zu  be¬ 
zeichnen  sind. 

Schon  bei  Durchsicht  mit  der  Lupe  von  Schnitten  aus 
dem  rechten  Ovar  fällt  ai  der  Grenze  des  Hilus  und  des 
Stromas,  dort  wo  mehrere  große  Arterien  liegen,  ein  dunkler 
als  die-  Umgebung  gefärbter  Fleck  auf,  der  ungefähr  der 
Größe  eines  großen  Arterienguerschnittes  entspricht.  Rei 
genauerer  Resichtigung  zeigt  es  sich,  daß  hier  eine  Zell¬ 
anhäufung  voiTiegt,  welche  vom  umgehenden  Gewebe  scharf 
ahgegrenzt  ist.  Das,  was  an  diesen  Zellen  von  der  Um¬ 
gehung  an  meisten  absticht,  ist  die  gelbbräunliche,  etwas 
ins  Graue  spielende  T  ärbung  der  Zellen.  Sie  liegen  in  einer 
in  der  größten  Umgrenzung  scharf  ausgebildeten,  zum  Teil 
zellhaltigen  Rindegewehskapsel.  Das  durch  die  Rinde- 
gewebskapsel  abgegrenzte  Feld  ist  durch  ein  feinstes  Rinde- 
gewebsnetz  in  verschieden  große  Fächer  geteilt,  in  welchen 
die  bräunlich  gefärbten  Zellen  entweder  einzeln  oder  aber 
zu  zwei  bis  drei  eingefügt  erscheinen.  Verfolgt  man  die 
Rindegewebsmaschen  in  den  Serienschnitten  weiter,  so  wird 
dieses  interzellulare  Rindegewebe  immer  breiter,  so  daß 
die  Zellen  selbst  mehr  auseinander  weichen.  Das  Zwischen¬ 
zellgewebe  enthält  reichlich  Kapillargefäße.  Zu  unter¬ 
scheiden  sind  in  dieser  Zellanhäufung  zwei  Zellarten: 
1.  solche,  die  den  allergrößten  Inhalt  dieses  Zellhaufens 
bilden  und  2.  solche,  die  ganz  spärlich  und  vereinzelt  Vor¬ 
kommen.  Erstere  sind  polymorph;  ihr  Zelleib  hat  alle  mög¬ 
lichen  Konturzeichnungen;  bald  sind  sie  kreisförmig,  bald 
ist  die  Zelle  polygonal,  bald  oval,  bald  mit  kurzen  Fort¬ 
sätzen  versehen  oder  sie  sind  zylindrisch  gebogen;  wenn 
vieleckig,  dann  entsprechen  die  verschiedenen  Zellkanten 
fast  immer  den  Umgrenzungen  der  daneben  liegenden  Zelle 
und  sind  der  Nachbarzelle  knapp  angelagert,  so  daß  sie 
mosaikartig  aneimuidergefügt  erscheinen.  Das  zum  Teile 
sehr  dünne  interzellulare  Rindegewebe  führt,  allerdings 
ziemlich  spärlich,  längliche  Kerne,  die  sich  mit  Hämatoxylin 
schön  blau  färben  und  so  von  den  großen,  die  Fächer 
ausfüllenden  Zellen  stark  ahstechen.  Letztere  liegen  ent¬ 
weder  vereinzelt  in  den  Fächern  oder  zu  zwei  bis  drei ; 
die  Zellgrenzen  sind  manchmal  scharf  ausgesprochen,  andere 
Male  aber  ganz  undeutlich,  ja  oft  gar  nicht  kenntlich,  so 
daß  die  Zelleiber  der  einzelnen  Zellen  zusammenzufließen 
scheinen  und  dann  wie  große  polynukleäre  P'rotoplasnia- 
klumpen  aussehen  und  an  Synzytium  erinnern.  Eine  Kapsel 
um  den  Zelleib  läßt  sich  iui  unseren  Präparaten  nicht  diffe¬ 
renzieren.  Die  Zellkerne  sind  klein,  lassen  einen  Nukleolus 
nicht  erkennen,  scheinen  vielmehr  ein  Kemgerüst  zu  haben 
und  färben  sich  mit  Hämatoxylin  ziemlich  intensiv  blau. 
Der  Zelleib  erscheint  fein  granuliert.  Die  zweite  Art  von 
Zellen,  die  sich  nur  vereinzelt  nachweisen  lassen,  erweisen 
sich  als  unverkennbare  typische,  unipolare  Ganglienzellen. 
Man  kann  an  denselben  die  kaum  sichtbare  Umhüllung 


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nur  selten  imterscliekleii,  dafür  fallen  die  dieser  Zellsclieide 
a.ngehörigen  Kerne  auf,  die  dem  Zellkörper  fest  anliegen, 
denselben  nianclmuil  direkt  einzndrücken  scheinen,  so  (laß. 
sie  an  manchen  Schnitten  den  Eindruck  erwecken,  inlra- 
zellidar  gelegen  zu  sein;  erst  l.'ci  genauerer  Besichligung 
kann  man  ganz  sicher  ihre  wahre  Natur  erkennen.  Die 
Farbe  der  Ganglienzellen  unterscheidet  sich  etwas  von  der 
Farbe  der  Zellen  ihrer  Umgebung;  sie  sind  etwas  mehr 
grau  lind  blasser;  der  lidialt  des  Zelleibes  ist  fein  gekörnt, 
zum  Teile  pigmenthaltig.  Außer  der  kernhaltigen  Umhül¬ 
lung  ist  als  Hauptmerkmal  der  Ganglienzelle  ihr  Kern,  der 
sie  von  der  Umgehung  auch  leicht  unterscheiden  läß,t;  der 
Kern  ist  bläschenförmig,  fast  dopiielt  so  groß  als  der  der 
übrigen  Zellen,  viel  blasser,  hat  einen  ansehnliclien  Nukleo- 


Fig.  1. 


Ins  lind  zeigt  kein  Kerngerüst.  Der  Fortsatz  dieser  Zellen 
läßt  sich  eine  ziemlich  weite  Strecke  verfolgen  (vgl.  Fig.  l). 

Die  Zellanhänfung  zeigt  sowohl  eine  Beziehung  zu 
Nerven  als  auch  zu  größeren  Gefäßen;  Nervenstämmcheu 
verlaufen  knapp  an  ihr  vorüber,  ohne  dieselbe,  wenigstens 
an  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Schnitten,  zu  durch¬ 
queren.  Diese  Nervenstämmchen,  vier  bis  fünf  an  der  Zahl, 
sind  alle  klein  und  dünn.  Von  Gefäßen  sind  es  sowohl 
Arterien  als  auch  eine  große  Vene,  die  von  diesen  Zellen- 
haufen  bogenförmig  umkreist  erscheinen. 


Fig.  2. 


Viel  deutlicher  tritt  die  Beziehung  zu  den  Nerven 
hervor  bei  einer  Zellanhäufung  im  Hilus  selbst.  Hier  sehen 
wir  einen  starken  Nervenstamm,  der  von  diesen  dunklen 
polymoriihen  Zellen  umflankt  ist  (vgl.  Fig.  2).  Nach  der 
Lage  muß  man  hier  zwischen  solchen  Zellen  untersclieiden, 
die  innerhalb  der  Nervenscheide  gelegen,  und  solchen,  die 
dem  Nerv  nur  angelagert  sind;  außierdom  linden  sich  auch 
in  weiterer  Entfernung  vom  Nervenstamme  isolierte  Zell¬ 


häufchen  und  auch  ganz  isolierte  einzelne  Zellexemplare. 
Auch  bier  sind  entweder  die  einzelnen  Zellen  oder  ganz 
kleine  Gruppen  derselben  in  Bindegewebsfächer  eingefügt. 
ln  diesem  interzellularen  Gewebe  verlaufen  außerortlent- 
lich  reichlich  Kapillargefäße.  Die  Form  der  Zellen  wechselt 
auch  hier  beträchtlich,  doch  läßt  sich  eine  Regel  insoferne 
aufstellen,  als  die  Zellen  dort,  wo  sie  dichtgedrängt  Vor¬ 
kommen,  vieleckig  erscheinen,  indem  die  betreffenden  Zell- 
kanten  aneinanderstoßieu,  während  dieselben,  wenn  sie  iso¬ 
liert  Vorkommen,  Kreisform  annehmen  und  bläschenförmig 
aussehen.  Man  gewinnt  den  Eindruck,  daßi  ihre  Form  von 
ihrer  Beziehung  zu  den  sie  umgebenden  Zellen  alihängt: 
treten  sie  in  Haufen  auf,  so  sind  sie  in  ihrer  Ausbreitung 
gehemmt;  sind  sie  aber  isoliert,  so  breiten  sie  sich  gleich¬ 
mäßig  aus,  indem  sie  Kugelform  annehmen.  Auch  hier 
unterscheidet  man  leicht  zwei  Zellarten:  die  typischen,  in 
der  Ueberzahl  vorhandenen  polymorphen,  umhüllungsloscn 
Zellen  mit  kleinem,  ziemlich  intensiv  gefärbten  Kerne,  an 
dem  nur  ein  Kerngerüst  differenzierbar  ist  und  die  typi¬ 
schen  Gauglienzellen  mit  ihrer  kernhaltigen  Scheide,  mit 
dem  großen  blassen,  bläschenförmigen  Kerne,  der  einen 
gut  sichtbaren  Nukleolus  enthält.  Die  Ganglienzellen  haben 
alle  einen  ziemlich  weit  verfolgbaren  Fortsatz. 

Außer  den  eben  beschriebenen  zwei  großen  Zell¬ 
anhäufungen  finden  sich  auch  weitere  solche  Zellkonglo- 
nierate  in  den  Schnitten  des  rechten  Ovars.  Dieselben  sind 
allerdings  viel  kleiner,  die  Zellen  aber  führen  alle  die  charak¬ 
teristischen  Merkmale  der  eben  erwähnten.  Auch  die  Be¬ 
ziehung  dieser  Zellen  zu  Nerven  geht  klar  hervor,  indem 
dieselben  mit  kleinen  Stämmchen  in  Berührung  treten. 
Die  Zellen  haben  aber  hier,  soferne  sie  zu  einigen  Individuen 
vereint  Vorkommen,  die  ausgesprochene  Neigung,  inein¬ 
ander  zu  zerfließen,  indem  sie  zum  Teile  zellhaltige  Proto¬ 
plasmaklumpen  bilden  und  syiizytialen  Massen  ähnlich 
sehen.  Andere  wieder  sind  isoliert  und  haben  das  charak¬ 
teristische  polymorphe  Aussehen.  xMit  voller  Sicherheit 
lassen  sich  hier  Ganglienzellen  nicht  nachweisen ;  es  finden 
sich  allerdings  größere  Zellen  mit  einem  Fortsätze  mit 
bläschenförmigem,  nukleushaltigen  Kerne,  eine  kernhaltige 
Umhüllung  läßt  sich  aber  nicht  darstellen;  ich  möchte  die¬ 
selbe  also  nicht  verläßlich  als  Ganglienzellen  bezeichnen; 
vielleicht  als  Uehergangsformen  zu  denselben,  um  so  mehr, 
als  sich  auch  unipolare  Zellen  mit  ganz  deutlichem  Fort¬ 
satze,  aber  mit  kleinem  Kerne  ohne  Kernkörperchen  finden. 
Das  eine  dieser  kleinen  Häufchen  findet  sich  gerade  am 
Uebergange  des  Stromas  in  den  Hilus,  ein  zweites  mehr 
im  Hilus  selbst;  hier  reichen  auch  einige  kleine  Parovarial- 
schläuche  bis  knapp  an  denselben.  Ein  drittes,  ganz  kleines 
Häufchen  findet  sich  zwischen  den  zwei  eben  erwähnten. 

Auch  im ,  linken  Ovar  finden  sich  an  ganz  ähnlichen 
Stellen  die  gleichen  Zellanhäufungeii.  An  einer  Stelle, 
wieder  um  und  in  einem  großen  Nervenstainmc,  im  Hilus, 
nicht  weit  vom  Stroma;  dann  eine  zweite  Anliäufung  von 
Zollen  isoliert  ganz  knapp  am  Stroma  u.  zw.  in  allernächster 
Nähe  eines  im  Beginne  der  Atresie  befindlichen  Follikels. 
Ein  geringer  Unterschied  ist  nur  in  der  Anordnung  der 
um  den  Nervenstamm  angesammelten  Zellen  zu  bemerken 
— ■  sie  liegen  weniger  frei  als  im  rechten  Ovar;  sie  bilden 
hier  ein  geschlossenes  Gebilde,  indem  sie  dicht  gedrängt 
nebeneinander  liegen  und  nach  außen  von  einer  binde¬ 
gewebigen  Kapsel  umgrenzt  sind,  über  welche  hinaus  solche 
Zellen  nicht  mehr  nachweisbar  sind.  Sonst  sind  sowohl 
die  Zellen  selbst  als  auch  ihre  Anordnung  und  ihre  Be¬ 
ziehung  zum  Nerven  die  gleichen  wie  im  früher  beschrie¬ 
benen  Eierstocke.  Auch  hier  sind  Zellen  zwischen  den  ein¬ 
zelnen  Nervenfasern  zu  finden.  Ganglienzellen  konnte  ich 
aber  in  den  wenigen  Schnitten,  die  mir  von  dem  linken 
Ovar  zur  Verfügung  standen,  mit  voller  Sichorheit  nicht 
nachweisen.  Es  fanden  sich  zwischen  den  übrigen  Zollen 
allerdings  etwas  größere  Exemplare  mit  Fortsätzen  und 
mit  einem  größeren,  nukloolushaltigon  Kerne,  eine  kern¬ 
haltige  Zellsclieide  konnte  aber  nicht  nachgewiesen  werden. 
Sonst  sind,  die  Zellen  sowohl  in  der  Farbnuance  als  auch 


VVIEKEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


soiisl  ini  Aussc'Jicji  ihres  Zcüeibes  und  ihrer  Kerne  ganz 
gleich  wie  die  iin  rechten  Ov:ir  heschriehenen.  Auch  hier 
koininen  außicr  den  zwei  gi’ößeren  Anhäufungen  noch 
mehrere  kleine  Zellkonglonierate  vor  und  auch  zerstreute 
einzelne  Exemplare. 

Es  ließen  sich  d  e  ni  n  a  c  h  in  beide  n  1l  i  e  r- 
s Löcken  einer  55jälirigen  Frau  Zellanhäuf ungen 
und  vereinzelte  Zellen  n  a  c  h  w  e  i  s  e  n  mit  fei  n- 
körnigem  Inhalte  des  Zelleibes,  mit  kleinem, 
runden  Kerne,  mit  deutlicher  Chromaffini  1  ät, 
'zwischen  welchen  schon  in  w/3nigen  Schnitten 
mehrere  ganz  typische  (ianglienzellen,  das  ist 
unipolare  große  Zellen  init  großem,  hellen,  nu- 
kleo lushaltigen  Kerne  und  mi't  einer  typischen, 
kernhaltigen  Umhtillung,  darstellbar  sind. 

Diese  Z e  1 1  a n h ä u  E u n g e n  ließen  ihre  Be¬ 
ziehung  zum  Nerven  klar  zutage  treten,  indem 
sie  entweder  in  diffusen,  nicht  genau  abgegrenz¬ 
ten  A n h ä u f u n g c n  einem  Ne r v e n s t a m m e  a n g e- 
lagert  waren  u  n  d  zum  Teile  a  u  c  h  i  n  n  e  r  h  a  1  b  d  e  r 
Nervenscheide  sich  vor  fanden,  oder  aber,  indem 
sie  in  großien  Haufen  bindegewebig  ab  gekapselt 
waren  und  mitten  durch  dieselben  ein  großer 
Nervenstamm  verlief.  Es  kann  wohl  kaum  einem 
Zweifel  unterliegen,  daß  hier  der  Nachweis  ge¬ 
lungen  ist,’  es  komme  chromaffines  Ge  wehe  mit 
e  i  n  g  e  t  a  g  e  r  t  e  n  wirklichen  Ganglienzellen  im 
Ovar  des  Menschen  vor. 

Diese  Befinide  koimte  Prof.  Dr.  .1.  Schaffer,  der  in 
dankenswerter  Weise  die  Güte  hatte,  meine  Präparate  zu 
besichtigen,  vollauf  bestätigen. 

Ob  das  chromaffine  Gewehe  im  Eierstocke  regelmäßig 
vorkommt  oder  ob  unser  Befund  nur  eine  Seltenheit  dar- 
stellt,  läßt  sich  wohl  nur  muhiiaßen.  Unsere  Meinung  ist 
es,  daß  das  chromaffine  Gewebe  seiner  Genese  entspre¬ 
chend  sich  schwerlich  in  das  Ovar  verirrt  haben  kann,  daß 
viehnehr  solche  Einlagerungen  von  chromaffinem  Gewebe 
irn  weiblichen  Genitale  wohl  die  Regel  sein  Averden  und 
daß  der  von  uns  erhobene  Befund  vielleicht  nicht  so  deut¬ 
lich,  aber  doch  öfters  gesehen,  aber  mißdeutet  worden  sein 
dürfte.  Ich  erinnere  mich,  seihst  in  nach  Ramon  y 
Cajal  mit  Silber  imprägnierten  Ovarien  im  Hilus  wieder¬ 
holt  Zella, nhäufungen  gesehen  zu  haben,  die  ich  aber,  da  sie 
sich  in  der  Imprägnation  von  der  Umgebung  nicht  Avesent- 
lich  unterschieden,  nicht  weiter  beachtete:  erstens  Avaren 
meine  damaligen  Untersuchungen  den  Nervenfasern  gewnd- 
met  und  zAveitens  sprach  ich  diese  Zellen  als  Markstränge 
oder  ähnliche  Gebilde  an,  ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  läßt 
sich  nicht  mehr  entscheiden.  Da,s  mannigfaltige  Vorkommen 
von  zelligen  Strängen  und  Anhäufungen  \mrschiedens(er  Her¬ 
kunft  im  Ovar  mag  wohl  die  Ursache  sein,  daß  das  chrom- 
afline  Gewehe  im  Eierstocke  bis  jetzt  übersehen  worden 
ist.  Im  Ligamentum  lat  um  ist  chromaffines  Gewebe  aller¬ 
dings  schon  nachgewiesen.  Aschoff^)  hat  chromaffine  Kör- 
[jcrchen,  meist  nur  mikroskopisch  nachweisbar,  verschieden 
an  Zahl  und  Größe,  in  dem  Paroophoron  und  in  der  Epi- 
dydimis  von  böten  und  Neugeborenen  sehr  häufig  gefunden. 
Sie  zeigen  keinerlei  Beziehung  zu  den  echten  Marchand- 
schen  Nebennieren  a.us  Rindensubstanz.  (Aschoffs  An¬ 
gaben  eidnehnie  ich  aus  den  Referaten,  da  mir  die  dies¬ 
bezügliche  Arbeit  leider  nicht  zugänglich  AAmr.)  Die  akzessori- 
scdieiL  .\ebennicren  kommen  als  Amrsprengtes  Gewehe  vor, 
doch  dann  bestehen  sie  ausschließlich  aus  Rindensubstanz. 
Allerdings  konnic  iManasse^’)  an  versprengten  Neben¬ 
nieren  mil  leis  der  lleaklion  mit  chromsauren  Salzen  gar 
nicht  sclhm  Marksubslanz  jiachweis(m.  .\icheL)  fand  ak- 

*)  Aschoff,  Ueber  das  Vorkommen  von  chromaffinen  Körper¬ 
chen  in  Paradydimis  und  Paraoophoron.  Arbeiten  aus  dem  patholog.  Institut 
zu  Göllingen  1903,  zit.  nach  Kohn. 

®)  Manasse,  Ueber  die  hypoplaslischen  Tumoren  der  Neben¬ 
niere.  Virchows  Archiv  Bd.  133. 

h  A  i  c  h  e  1,  Vergleichende  Entwicklungsgeschichte  und  Stammes¬ 
geschichte  der  Nebennieren.  Archiv  für  mikroskop.  Anatomie  und  Ent- 
wicklungsgescliichte  1900,  Bd.  56. 


zcssorisclie  Nehennieren  regelmäßig  beim  Weibe  im  breiten 
Alutterbande,  beim  Manne  zwischen  Hoden  und  Neben¬ 
hoden  und  hält  si(;  für  neue  normale  Organe.  Diese  Gebilde, 
die  beim  Weibe  aus  sich  zurückhildenden  Kanälchen  des 
Epooi)horon  und  Paroophoron  entstehen  sollen,  si)ridit  er 
als  Mar chaiidsche  Nehennieren  an,  indem  er  sie  den 
akzessorischen  oder  versprengten  Nebennieren  in  der  Nähe 
des  Hauptorganes  gegenüberstellt.  Zwischen  akzessorischen 
Nehennieren  und  chromaffinem  Gewebe  ist  aber  streng  zu 
unterscheiden,  da  erstere  der  Rindensuhstanz  der  Neben¬ 
niere  entsprechen,  letztere  dtagegen  der  Marksubstanz.  Die 
wenigen  Falle,  in  denen  von  einer  Ma.rksubstanz  in  Mar- 
c  band  sehen  Nebennieren  die  Rede  ist,  sind  nach  Aschoff 
anders  zu  deuten  u.  zw.  als  zentrale,  sekundäre  Verände¬ 
rungen,  hervorgerufen  teils  durch  Blutstauung,  teils  durch 
postmortale  Erweichung.  Uebrigens  fehlt  bei  den  meisten 
diesbezüglichen  Angaben  der  Nachweis,  bzw.  der  Beweis 
des  Ausbleibens  der  Chromreaktion.  Sowohl  Aschoff  als 
auch  Kohn  geben  der  Vermutung  Ausdruck,  daß  ebenso' 
Avie  die  chromaffinen  Einlagerungen  in  den  Ganglien  zum 
Teile  a,uch  akzessorische  Nebennieren  aus  Alarksubstanz 
bestehend  gedeutet  wurden,  so  auch  jetzt  noch  oftmals  eine 
Verwechslung  zAvischen  akzessorischen  Nebennieren  und 
chromaffinem  Gewebe  \mrkomraen  dürfte.  Deshalb  Avären 
die  Befunde  Aichels  insoferne  nocli  sicherzustellen,  als, 
abgesehen  von  ihrer  Entstehung  aus  Paroophoron-  und  Ep¬ 
oophoronkanälchen,  die  Gebilde  noch  auf  ihre  Chromaffinität 
zu  prüfen  wären. 

Die  Frage,  die  für  das  chromaffine  GeAvebe,  Avelches 
im  Ovar  vorkommt,  von  großer  Wichtigkeit  wäre,  ist  die 
funktionelle  Bedeutung  seiner  Fhement.e  u.  zw.  sowohl  der 
chroraaffinen  Zelten  selbst  als  auch  der  dazwischen  einge¬ 
lagerten  Ganglienzellen.  Doch  darauf  läßt  sich  nach  dem 
heutigen  Stande  unseres  Wissens  eine  befriedigende  Ant¬ 
wort  nicht  geben.  Das  einzige,  was  vom  chromaffinen  Ge¬ 
webe  feststeht,  ist,  daßi  die  blutdruckerhöhende  Wirkung 
der  Nebennierenextrakte  mit  Sicherheit  auf  das  chromaffine 
Gewebe  zurückzuführen  ist.  Doch  Gierkes®)  Meinung 
darüber  ist,  daß  es  natürlich  sehr  einleuchtend  sei,  eine 
so  Avirksame  Substanz  Averde  auch  im  Körper  verwendet; 
ihre  ständige  Sekretion  in  das  Blut  könne  aber  nach  den 
heutigen  Forschungsergebnissen  nicht  als  einwandfrei  be¬ 
wiesen  angesehen  Averden.  Somit  läßt  sich  über  das  chrom¬ 
affine  Gewebe  des  Ovars  diesbezüglich  auch  nichts  aus- 
sagen.  Anders  aber  verhält  es  sich  mit  den  Ganglienzellen, 
die  darin  Vorkommen.  Erwägt  man,  daß  die  chromaffinen 
Zellen  aus  den  embryonalen  Anlagen  der  sympathischen 
Ganglien  hervorgehen,  so  muß  man  Avotd  annehmen,  daß, 
wenn  in  diesem  GeAvebe  Ganglienzellen  zur  vollen  Ent¬ 
wicklung  gelangen,  so  daß  sie  vou  gleichen  Zellen  in  reinen 
Ganglien  nicht  zu  unterscheiden  sind,  dieselben  auch  die 
F'unktion  Amn  Ganglienzellen  übernehmen  werden. 

Daß  E.  Winterhalter^)  vielleicht  chromaffines  Ge¬ 
webe  mit  den  darinliegenden  Ganglienzellen  als  Ganglion 
allgesprochen  hätte,  ist  nicht  anzunehmen.  Erstens  be¬ 
schreibt  sie  ja,  wie  aus  den  Abbildungen  hervorgeht,  eigent¬ 
lich  nur  vereinzelte  Ganglienzellen,  deren  nervöse  Natur 
V.  Herff^*^)  überhaupt  nur  als  durch  die  Got g i-Methode 
hervorgerufene  Täuschung  ansiehl ;  zweitens  geht  es  aus 
den  Ausführungen  v.  E  b  n  e  r  s  ^ hervmr,  daß  Fi  ding  e  r 
selbst,  der  die  Wi iiterh al te r sehen  Präparate  entstehen 
gesehen  hat,  darin  ein  abgeschlossenes  Ganglion  niemals 
gesehen  hat. 

Schließlich  muß  noch  liervorgehoben  werden,  daß  vou 
GeschAvülsteii  von  chromaffinem  Gewebe  an  anderen  Orten 


Gierke,  Das  chromaffine  System  und  seine  Palhologie.  Er¬ 
gebnisse  der  allgem.  Pathologie  und  patholog.  Anatomie  (Lubarsch) 
1904/5,  Bd.  10. 

®)  E.  Winterhalter,  Ein  sympathisches  Ganglion  im  mensch¬ 
lichen  Ovarium.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  51. 

H  e  r  f  f.  Gibt  es  ein  sympathisches  Ganglion  im  menschlichen 
Ovarium?  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  51. 

“)  V.  Ebner,  Zur  Geschichte  des  Winterhalterschen  Ovarial- 
ganglions.  Monatsschrift  für  Geb.  und  Gyn.,  Bd.  18. 


(590 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


schon,  eine  ganze  Reihe  bekannt  ist,  daß  deinnach  auch 
heim  Ovar  in  Hinkunft  auf  ihr  Vorkonnnen  zu  achten  wäre, 
indem  verdächtige  Tumoren  auf  ihre  Chroniaffinität  zu 
prüfen  wären. 


Aus  der  Prosektur  des  k.  k.  Kaiser -Franz -Joseph- 

Spitales  in  Wien.  (Vorstand;  Prof.  R.  Kretz.) 

lieber  eine  der  Adrenalinwirkung  analoge 
Wirkung  des  Blutserums  von  Nephritikern  auf 

das  Froschauge*) 

Von  H.  Schur  und  J.  Wiesel. 

ln  einer  kürzlich  erschienenen  Arbeit 0  hat  Wiesel 
iiachgewiesen,  daß  hei  chronischem  Morbus  Brightii  mit 
ausgesprochener,  hesouders  linksseitiger  Herzhypei'trophie 
und  erhöhtem  Blutdruck  eine  ausgiebige  Hypertrophie  des 
chromaffinen  Systemes  ein  konstanter  Befund  ist.  Diese  Tat¬ 
sache  mußite  selbstvers ländlich  die  Idee  nahelegen,  daß 
der  hohe  Blutdruck,  der  sich  bei  chronischem  Morbus  Brightii 
findet,  möglicherweise  mit  der  Hypertrophie  des  chrom- 
affinen  Systemes  in  Beziehung  gebracht  werden  könne.  War 
diese  Annahme  richtig,  so  mußte  das  Sekret  der  chromaffinen 
Zellen,  also  die  bhitdrucksteigernde  Substanz  im  Blutserum 
von  Nephritikern  nachweisbar  sein.  Zu  diesem  Nachweise 
schien  uns  die  von  Ehrmann")  angegebene,  ungemein 
empfindliche  Probe  die  geeignetste.  Dieser  benützt  die 
mydriatische  Wirkung  des  Adrenalins  auf  das  ausgeschnit¬ 
tene  Froschauge  zu  seijrem  Nachweis,  und  die  Verdünnung, 
bei  der  die  Probe  positiv  ausfällt  zu  einer  ciuantitativen 
Auswertung.  Die  Methode  ist  außerordentlich  einfach.  Das 
ausgeschnittene  Froschauge  —  wir  verwendeten  absichtlich 
nur  Laubfrösche  —  wird  in  das  zu  untersuchende  iSerum 
eingelegt  und  nun  durch  mehrere  Stunden  die  etwaigen 
Ihipillenänderungen  beobachtet.  Während  nun  Seren 
von  Gesunden  und  solche  von  anderweitigen  Erkran- 
kimgen  niemals  eine  Wirkung  auf  die  Iris  ausübten,  er¬ 
zeugten  in  unseren  Versuchen  alle  voti  chronischen  Nephri¬ 
tikern  stammenden  Sera  oft  bis  zur  20fachen  Verdünnung 
ausgesprochene,  oft  maximale  Pupillenerweite¬ 
rung.  Leider  fehlen  in  unserem  Material  bis  jetzt  Fälle  von 
akuter,  speziell  Scharlachnephritis,  die  sehr  häufig  klinisch 
, schon  sehr  frühzeitig  erhöhten  Druck  aufweisen,  ohne  daß 
eine  anatomische  Veränderung  am  chromaffinen  Systeme 
nachweisbar  wäre. 

Mitteilenswert  erscheint  uns  ferner  in  diesem  Zu¬ 
sammenhänge  die  Tatsache,  daß  das  Blutserum  von  Kanin¬ 
chen  nach  doppelseitiger  Nierenexstirpation  schon  nach 
48  Stunden  und  noch  deutlicher  nach  72  Stunden  ausge¬ 
sprochen  mydriatische  Wirkung  zeigt,  während  das  vor  der 
Nierenexstirpafion  gewonnene  Serum  diese  Eigenschaft  nicht 
besitzt.  Es  erscheint  uns  sehr  wahrscheinlich,  daß  diese 
mydriatische  Wirkung  des  Blutserums  auf  eine  durch  den 
Ausfall  der  Nierenfunktion  hervorgerufene  Fünktionssteige- 
rung  des  chromaffinen  Gewebes  zu  beziehen  sei. 

Doch  können  wir  diesen  Schluß  schon  aus  dem 
Grunde  nicht  als  sichergestellt  betrachten,  weil  die  Adrenalin- 
natnr  der  mydriatisch  wirkenden  Substanz  des  Nephritiker- 
serums  und  des  Serums  nephrektoraierter  Kaninchen  nicht 
unbedingt  feststeht.  AVenn  wir  aber  berücksichtigen,  daß 
eine  mydriatische  AVirkung  eines  anderen  (fewebssaftes  bis 
jetzt  nicht  bekannt  ist  und  daß  wir  unsere  positiven  Be¬ 
funde  gerade  bei  jenen  Krankheiten  erhielten,  die  zur  Hyper¬ 
trophie  des  chromaffinen  Gewebes  führen,  so  müssen  wir 
die  Wahrscheinlichkeit,  daß  die  mydriatische  Wirkung  auf 
das  Sekret  der  chromaffinen  Zellen  zu  beziehen  sei,  als 
sehr  groß  bezeichnen.  Wir  werden  uns  selbsiverständlich 
bemühen  müssen,  die  chemische  Natur  des  die  Reaktion  her¬ 
vorrufenden  Körpers  durch  chemische  und  biologische Unter- 

*)  Nach  einer  am  31.  Mai  1907  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzle 
zu  Wien  veranstalteten  Demonstration. 

h  Wiener  med.  Wochenschrift  und  Kongreß  für  innere  Medizin  1907. 

Archiv  für  experimentelle  Pathologie,  Bd.  53. 


suchiingen,  speziell  durch  den  Nachweis  der  Blutdruck¬ 
steigerung  s  i  che  rz  US  teilen. 

Vorderhand  hatten  wir  mir  die  Absichl,  die  gefuudemui 
Tatsachen  in  Kürze  milzuteilen,  v/ei!  sie  zweifellos  die  Grund¬ 
lagen  für  die  Bearbeitung  zahlreiciuu'  Fragen  der  l’alhologie 
der  Nieren  und  des  chromaffiueit  Systemes  von  mmeu  Ge¬ 
sichtspunkten  aus  bieten  können. 

Den  Herren  Professoren  Schlesinger  und  Ko  v  a  cm 
danken  wir  hcrzlichst  für  die  Ueberlassung  d(;s  Kranken¬ 
materiales. 


Aus  dem  Institute  für  gerichtliche  Medizin  der  Univer¬ 
sität  Graz.  (Vorstand:  Prof.  J.  Kratter.) 

lieber  die  funktionstüchtige  Einheilung  von 
transplantierten  Epithelkörperchen  des  Hundes. 

Vorläufige  Mitteilung  von  Privatdozenten  Dr.  Hermann  Pfeiffer  und 

Dr.  Otto  Mayer. 

Der  in  Nr.  21  dieser  Wochenschrift  im  Sitzungsprofo- 
kolle  der  Gesellschaft  der  Aerzte  vom  17.  Mai  1907  er¬ 
schienene  Bericht  Dr.  Leischners  über  seine  Transplan¬ 
tationsversuche  von  Epithelkörperchen  der  Ratte  veranlaßt 
uns  schon  heute,  auf  unabhängige  Versuche  hinzuweisen, 
die  wir  aus  Anlaß  unserer  Studien  über  parathyreoprive 
Tetanie  an  Hunden,  Ratten  und  weißen  Mäusen  unter¬ 
nommen  haben. 

Die  grundlegenden  Versuche  Schiffs  mit  Transplan¬ 
tation  der  Schilddrüse  bedurften,  nachdem  seit  Entdeckung 
der  Epithelkörperchen  die  neuere  Forschung  die  para- 
thyreoprive  Genese  der  postoperaiiven  Tetanie  erwiesen 
hatte,  dringend  insoferne  einer  Revision,  als  die  iisolierte 
Transplantation  von  Schilddrüsengewebe  einerseits  und  von 
Epithelkörperchen  anderseits  vorzüglich  dazu  geeignet  er¬ 
scheinen  mußte,  die  Stichhaltigkeit  dieser  durch  Studium 
der  Ausfallserscheinungen  gewonnenen  Ergebnisse  auf 
einem  neuen  Wege  zu  beweisen.  Die  Möglichkeit  einer 
funktionstüchtigen  Einheilung  vorausgesetzt,  mußte  nach 
ausschließlicher  Transplantation  von  Schilddrüse  und  bei 
gleichzeitigem  Verluste  der  Epithelkörperchen  Tetanie,  nach 
radikaler  Entfernung  der  Schilddrüse  und  funktionstüch¬ 
tiger  Verpflanzung  der  Glandulae  parathyreoideae  an  jungen, 
noch  wachsenden  Tieren  das  Bild  der  Thyreoaplasie  (kon¬ 
genitales  Myxödem),  soweit  dieses  im  Tierexperimente  über¬ 
haupt  erhalten  werden  kann,  zu  erzielen  sein.  Im  Zusam¬ 
menhalt  mit  den  Ergebnissen  von  Fütterungs-,  bzw.  von 
Injektionsversuchen  des  Epithelkörperchensaftes,  wie  sie  zu¬ 
erst  von  Va  SS  alle  und  Generali  vorgenommen  worden 
sind,  mußte  außerdem  noch  die  schon  für  die  physiologische 
Forschung  wichtige  Frage  zu  entscheiden  sein,  ob  die  Glan¬ 
dulae  parathyreoideae  als  ,, Vorratsdrüsen“  wie  die  Schild¬ 
drüse  aufgefaßt  werden  dürfen  oder  nicht.  Dies  ist  eine 
heute  noch  keineswegs  entschiedene  Frage,  deren  Klärung 
sowohl  für  die  Erkenntnis  des  funktionellen  Mechanismus 
dieser  Drüschen  und  für  die  Versuchsanordnung  eines  ziel¬ 
bewußten  Studiums  ihrer  Leistungen  von  theoretischer,  als 
auch  für  die  Therapie  mancher  Tetanieformen  von  rein 
praktischer  Bedeutung  ist. 

Auch  von  uns  wurde,  als  wir  an  diesen  Teil  unseres 
.Arbeitsplanes  herantraten,  die  Ratte  als  Versuchstier  für 
die  Transplantation  in  Betracht  gezogen.  Nachdem  wir  uns 
aber,  wie  Leis  ebner  sehr  richtig  betont,  davon  über¬ 
zeugt  hatten,  daß  der  anatomischen  Verhältnisse  und  der 
Kleinheit  der  zu  transplantierenden  Flpithelkörperchen  wegen 
eine  absolut  ,, schilddrüsenfreie“  Verpflanzung  aus  tech¬ 
nischen  Gründen  ausgeschlossen  ist,  wählten  wir  als  ein 
schon  seiner  Größe  nach  brauchbares  Versuchstier  den  Hund, 
dessen  beide  äußere  E])ithelkörperchen  in  der  Regel  durch 
ein  Easzienblatt  von  der  Schilddrüse  getrennt,  wäh¬ 
rend  die  inneren  in  das  Organ  versenkt  siml  und  des¬ 
halb  eine  ganz  reine  und  einwandfreie  IJeberlragung  ge¬ 
statten.  Wenn  wir,  die  wir  selbst  strenge  auf  dem  Boden 
der  parathyreopriven  Genese  der  postoperativen  Tetanie 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


/OO 


slehon,  zwar  in  den  kleinen,  niiltransidantierten  Seliild- 
drüsenresten  Leisclincrs  keine,  für  die  Deutung  der  lle- 
suHale  in  Betracht  kommenden  Felilerquellen  erblicken 
können,  so  war  es  uns  doch  etwaigen  Gegnern  unserer 
Anschauungen  gegenüber  von  prinzipieller  Wichtigkeit,  auf 
eine  Versuchsanordnung  hinzuweisen,  an  der  in  keiner  Weise 
zu  rütteln  wäre.  Nur  der  absolute  Mangel  des  transplan¬ 
tierten  Epithelkörperchens  an  Schilddrüsengewehe  konnte 
diese  Bedingung  erlullen.  Endlich  bietet  der  Hund  mit 
seiner  meist  perakut  und  rasch  letal  endigenden  Tetanie 
ein  viel  günstigeres  Versuchstier,  a'fs  es  die  Ratte  ist,  an 
der,  wie  Erdheim  in  seiner  schönen  Arbeit  feststellte, 
diese  Erkrankung  einen  protrahierten  und  relativ  gutartigen 
Verlauf  zeigt. 

Als  Transplantationsstetle  wählten  wir,  den  grund¬ 
legenden  Versuchen  Schiffs  und  v.  Eiseisbergs 
folgend,  wie  auch  Lei  sehn  er,  die  Schichte  zwischen  Rec¬ 
tus  abdominis  und  Peritoneum.  Wir  führten  unsere  Ver¬ 
suche  in  zwei  Sitzungen  aus,  indem  in  der  ersten  ein 
äußeres  Epithelkör])erchen  verpflanzt  und  die  zugehörige 
Schilddrüse  dann  radikal  entfernt  wurde  und  in  einer 
zweiten,  nach  Ablauf  einer  Woche  vorgenommenen  Sitzung 
das  andere  äußere  Epithelkörperchen  transplantiert  und 
der  Schilddrüsenrest  exstirpiert  wurde.  Die  beiden,  an  fünf 
Wochen  alten  Bernhardinerhunden  vorgenommenen  Vor- 
siudie,  deren  Resultate  uns  heute  schon  vorliegen,  hahen 
ergeben,  daß  diese  Tiere  bisher  vollkommen  frei  von  der 
l)ei  Hunden  in  kürzester  Zeit  tödlich  verlaufenden  Tetanie 
blieben.  Wenn  diese  Versuche  zwar  nicht  an  Zahl 
mit  jenen  von  Leis  ebner  konkurrieren  können, 
so  meinen  wir  doch,  unabhängig  von  ihm  und  gleich¬ 
zeitig  einen  völlig  einwandfreien  Versuchsweg  einge¬ 
schlagen  zu  haben.*)  Wir  können  somit  durch  unsere  Er¬ 
gebnisse  die  Resultate  dieses  Autors  volli.uhaltlich  be¬ 
stätigen.  Ueber  den  Gegcmversuch,  Transplantation  von 
Schilddrüse  und  darauffolgende  Exstirpation  der  Epithel¬ 
körperchen,  soAvie  über  die  Details  der  hier  angedeuteten 
Versuche  und  über  die  Ergelmisse  unserer  Telaniestudien 
überhaupt  wollen  wir  später  und  an  anderem  Orte  be¬ 
richten. 

Graz,  den  25.  Mai  1907. 


Aus  der  III.  med.  Abteilung  des  k.  k.  Kaiser- Franz- 
Joseph-Spitales  in  Wien.  (Vorstand :  Prof.  Dr.  Hermann 

Schlesinger.) 

Ueber  Herpes  bei  Meningitis  cerebrospinalis 

epidemica. 

Von  Dr.  Hugo  Eiiihoru,  suppt.  Assistenten  der  Abteilung. 

Das  epidemische  Auftreten  der  Genickstarre  in  den 
vergangenen  zAvei  Jahren  in  Deutschland  und  die  große 
Zahl  von  Erkrankungsfällcn  in  den  letzten  Monaten  in  Wien 
haben  das  regere  Interesse  für  diese  Krankheit  geweckt 
und  die  fadiAvissenschaftliche  Literatur  der  neueren  Zeit  mit 
sehr  vielen  Avertvollen  Beobachtungen  über  die  Meningitis 
cerebrost)inalis  bereichert. 

J’rolzdem  die  Symptomatologie  recht  erschöpfend  be¬ 
handelt  ist,  möchte  ich  doch  über  einige,  Avie  es  scheint, 
nicht  näher  gcAvürdigte  Einzelheiten  des  Herpes  bei  Me¬ 
ningitis  cerebrospinalis  epidemica  berichten. 

Ohne  irgendAvelche  nennensAverte  BeschAverden 
schießen  auf  leicht  geröteter  Basis,  gewöhnlich  am 
dritten  bis  sechsten  Krankheit, stage  (Thiemich),  in  Grup¬ 
pen  stehende  Avasserhelle  Bläschen  von  Stecknadelkopf-  bis 
zu  Innsengröße  auf  der  Haut  auf,  konfhiieren  zuAveilen 

*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur:  Während  der  Drucklegung  er¬ 
hielten  wir  Kenntnis  davon,  daß  kürzlich  Riedl  aus  Anlaß  einer 
Diskussion  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  über  ähnliche  Ver¬ 
suche  berichtete,  in  denen  er  gleichfalls  die  äußeren  Epithelkörperchen 
des  Hundes  mit  dem  hier  geschilderten  Erfolge  in  die  Milz  transplantierte. 
Es  sei  betont,  daß  wir  auch  vollkommen  unabhängig  von  Riedl  ge¬ 
arbeitet  haben. 


miteinander  und  nach  einem  bis  zAvei  Tagen  trübt  sich 
der  Inhalt  der  Blasen,  die  anfangs  pralle  Blasendecke  Avird 
schlaff,  sinkt  in  der  IMitle  etwas  ein  und  schließlich  trocknet 
das  ganze  Herpeshläschen  zu  einer  gelblichen  oder  braun¬ 
gelben  Borke  ein.  Durch  Konfluenz  mehrerer  Herpesldäs- 
chen  bilden  sich  zuAveilen  ausgebreitete  Krusten,  die  am 
Rande  immer  noch  deutlich  ihr  Entstehen  aus  Einzelbläs- 
chen  dokumentieren  und  ebenso  von  einem  roten  Hofe  um¬ 
säumt  sind  Avie  die  Borken,  Avelche  aus  alleinstehelniden 
Bläschen  zustajide  kamen.  Nach  einigen  Tagen  fällt  die 
Borke  ab,  die  Herpeseruption  ist  gewöhnlich  ohne  irgend¬ 
Avelche  Narbenbildung  abgelaufeu ;  mitunter  jedoch  heilt 
der  Herpes  mit  Rück  las  sung  feiner  Narben  aus. 
In  letzter  Zeit  haben  wir  dies,  Avie  es  scheint,  noch  nicht 
beschriebene  Vorkommnis  zweimal  beobachtet.  In  beiden 
Fällen  waren  die  Narben  seicht  und  erhehlich  gerötet. 

Oft  ist  uns  beim  Herpes  der  Meningitis  cerebrospinalis 
aufgefallen,  daß  die  einzelnen  Blaseneruptionen  auffallend 
lange,  sechs  Ins  acht  Tage,  persistieren  oder  nach  ihrer 
Eintrocknung  noch  durch  14  Tage  und  länger  kenntlich 
bleiben.  Ebenso  häufig  ist  es,  daß  nach  Ahfallen  der  Krusten 
und  Borken  die  Haut  an  der  Stelle,  an  Avelcher  die  Blasen 
aufgeschosscMi  waren,  auffallend  gerötet  und  leicht  infil¬ 
triert  bleibt,  so  daß  bisAveilen  noch  in  der  Rekonvaleszenz 
die  Stellen,  an  Avelcheii  Herpes  aufgetreten  Avar,  sich  sicht¬ 
bar  erhalten. 

Charakteristisch  ist  für  diesen  Herpes,  daß  die  Erup¬ 
tion  schubweise  auftriti,  derart,  daß  man  neben  eingetrock¬ 
neten  noch  frische  Bläschen  findet,  während  bei  den  meisten 
anderen  akuten  Infektionskrankheiten  die  Herpeseruption 
mit  einem  Male  auftritt  und  mit  diesem  einmaligen  Aus- 
hruche  der  Bläschen  abgeschlossen  erscheint. 

Von  vielen  Autoren  ist  auch  schon  hervorgehoben 
Avorden,  daßi  die  Blaseneruption  l)ei  der  et)idemischen  Ge¬ 
nickstarre  durch  zAvei  Momente  ausgezeichnet  ist,  erstens 
durch  die  ungewöhnliche  Mächtigkeit  des  Ausschlages 
(Schotimüllcr,  Forster),  zAAmitens  durch  ihre  aty¬ 
pische  Lokalisation. 

Was  den  ersten  Punkt  anbelangt,  so  kann  man  Herpes¬ 
eruptionen  beol)achten,  die  aus  Dutzenden  von  Bläschen  be¬ 
stehen,  die  Lippen,  Wangen,  Ohren,  Nacken  und  Augen¬ 
lider  bedecken,  zur  behaarten  Kopfhaut  nach  aufwärts  und 
nach  abAvärts  sich  sogar  auf  die  Brust  erstrecken.  So  sahen 
Avir  z.  B.  voriges  Jahr  auf  der  Ahteilung  einen  ausgebreiteten 
Herpes,  der  sich  von  der  Stirn  bis  zur  Mamma  ausdehnte. 
Dabei  ist  es  auffallend,  daß  die  Affektion  häufig  auf  citier 
Seite  viel  stärker  als  auf  der  anderen  ausgebildet  erscheint. 

Was  den  zweiten  Punkt,  die  atypische  Lokali¬ 
sation,  betrifft,  so  ist  es  für  den  Herpes  bei  der  Genick¬ 
starre  charakteristisch,  daß  er  auch  an  Stellen  auftritt, 
Avelche  bei  anderen  fieberhaften  Erkrankungen  nie  oder 
nur  ausnahmsAveise  der  Sitz  Amn  Herpesbläschen  sind. 
Typische  Lokalisalionsstellen  sind  für  den  Herpes  im  .  all¬ 
gemeinen  die  Gegend  um  Mund  und  Nasenflügel.  Bei  Zerebro- 
spinahneniugitis  ist  es  höchst  bemerkensAvert  und  diagno¬ 
stisch  Amn  großer  Bedeutung,  daß  der  Herpes  oft  nur  an  atypi¬ 
schen  Stellen  Amrkonnnt.  Nach  unseren  Erfahrungen  ist 
sehr  häufig  eine  Ohrmuschel  (vordere  und  hintere  Fläche) 
betroffen,  ebenso  konnten  Avir  ein  solitäres  Herpesbläschen 
am  Augenlide  ohne  sonstige  anderAveitige  Eruptionen  kon¬ 
statieren.  Wie  sonderbar  manchmal  der  Herpes  bei  der 
Meningitis  cerebrospinalis  lokalisiert  ist,  geht  aus  einer 
unserer  Beohachtungen  lierAmr,  bei  Avelcher  eine  sonst  cha- 
rakterislische  Blaseneruption  am  Daumen  auftrat.  Scham¬ 
berg  eiwälmt  Herpes  an  der  Endphalanx  desselben  Fingers 
und  am  Thenar,  Prof.  Sohlesinger  sah  ihn  am  Klein¬ 
fingerballen,  Schottmüller  an  den  Glntäi.  Wir  haben 
auch  Herpes  an  der  Kopfhaut  neben  ausgehreilelem  Herpes 
auricularis  gesehen. 

S  c  h o  1 1  m  üll  e r  hebt  neben  der  Mäcdiligkeit  des  Her¬ 
pes  bei  Meningitis  cerebrospinalis  noch  die  Eigentümlich¬ 
keit  desselben  hervor,  daß  er  gleichzeitig  an  verschiedenen 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Körporstellen  aiitlrift,  ein  Befund,  den  auch  wir  zu  wieder- 
liolten  Malen  heohaclitcn  konnten. 

Was  den  Herpes  bei  Zerebrospinalmeningitis  auf  der 
äußeren  Haut  betrifft,  so  inöclite  ich  resüniiercn,  daß  er 
sich  durch  ungewöhnliche  Mächtigkeit,  große 
Ausdehnung  und  relativ  lange  Eruptionsdauer 
auszeichnet.  Die  Heilung  des  Herpes  erfolgt 
langsamer  als  bei  dem  gewöhnlichen  fehrilen, 
mitunter  mit  Narbenbildung;  atypisclie  Lokali¬ 
sationen,  oft  auch  isolierte  Blaseneruptionen 
sind  h  ä  u  f  i  g. 

Während  über  den  Herpes  auf  der  Haut  in  den  Ar¬ 
beiten  über  Meningitis  cerebrospinalis  ziemlich  viel  be¬ 
richtet  wird,  sind  über  ^seine  Teokalisation  auf  den 
Schleimhäuten  weni ge  Beo])achtungcn '  in  der  Literatur 
niedergelegt. 

Wir  möchten  vorwegnehmen,  daß  es  sich  nicht  um 
ungewöhnlich  seltene  Vorkommnisse  handelt,  da  nach 
unseren  Beobachtungen,  sowie  mündlicher  Mitteilung,  die 
ich  Herrn  Prof.  Schlesinger  verdanke,  in  letzter  Zeit 
sieben  Fälle  von  Schleimhautherpes  zu  unserer  Kenntnis 
gelangt  sind.  Es  ist  allerdings  möglich,  daß  das  häufige 
Befallensein  der  Schleimhäute  eine  Eigentümlichkeit,  der 
jetzigen  Epidemie  ist,  da  mir  Prof.  Schlesinger  mittcilt, 
daß  er  früher,  trotz  häufiger  und  genauer  Inspektion  der 
Mundhöhle,  nie  Herpeseruplionen  an  der  Schleimhaut  be¬ 
merkt  hatte. 

Soweit  mir  die  Literatur  zugänglich  war,  fand  ich 
nur  bei  Howard  Herpes  in  der  Mundhöhle  verzeichnet. 

Was  die  Zeit  des  Auftretens  des  Schleimhaut¬ 
herpes  anhelangt,  so  geht  die  Eruption  zuweilen  der  an 
den  äußeren  Decken  voraus.  So  war  in  einem  unserer 
Fälle  ein  Gaumenherpes  zwei  Tage  dem  Lippenherpes  vor¬ 
angegangen. 

Häufiger  jedoch  tritt  die  Eruption  an  den  Schleim¬ 
häuten  gleichzeitig  mit  der  an  der  Haut  auf  oder  folgt  ihr 
nach.  Die  Dauer  des  Aufschießens  der  Bläschen  auf  der 
Schleimhaut  ist  nach  unseren  Erfahrungen  eine  kürzere 
als  auf  der  Haut. 

Was  das  Aussehen  des  Herpes  anbelangt,  so  han¬ 
delt  es  sich  um  kleine  Bläschen  mit  wasserhellem  Inhalte 
auf  etwas  geröteter  Schleimhaut,  die  in  dichten  Gruppen 
beisammen  sieben.  Die  Blasen  trocknen  nicht  ein,  sondern 
plalzen  und  hinterlassen  einen  seichten  Epit.heldefekt,  wel¬ 
cher  zunächst  etwas  weißlich  belegt,  sich  bald  reinigt  und 
ohne  Narbenlu’ldung  verheilt,  so  daß  wenige  Tage  nach 
dem  Auftreten  der  Bläschen  die  ganze  Schlei mhauteruption 
verschwunden  ist. 

Die  Lokalisation  an  der  Schleimhaut  scheint  ge¬ 
radeso  eine  mannigfache  zu  sein  wie  an  der  äußeren  Haut. 
Wir  haben  Blaseneruptionen  am  weichen  und  harten 
Gaumen,  an  der  Gingiva,  Uvula,  an  der  Zunge  (besonders 
sind  die  Scu’tenränder  bevorzugt),  a.u  der  Konjuuktiva  (mit 
be.gleitender  mäßiger  Koniunktivitis),  am  Uebergange  der 
Nasenschleimbaut  zur  äußeren  Haut  beobachtet.  Am  häu¬ 
figsten  fand  sich  Herpes  am  harten  Gaumen  und  an  der 
Gingivm  des  Oberkiefers.  Unter  anderem  hatten  wir  einmal 
Gelegenheit,  eine  Herneseruption  von  der  Gingiva.  derHinter- 
seite  der  Sebneidezäbne  angefangen  bis  zur  Uvula  hin  zu 
sehen.  Ein  Gegenstück  zu  dieser  ausgebreiteten  Eru])tion 
zeigt  eine  zurzeit  auf  der  Abteilung  befindliche  Patientin, 
die  riehen  einem  die  ganze  Ni'ise  bedeckenden  Herjres  öin 
einziges  tvpisches  Hein)esbläschen  an  der  Basis  der  Uvula 
aufwies,  das  gegenwärtig  ohne  irgendwelche  Schleimhaut¬ 
veränderung  abgeheilt  ist. 

Auffallende  Schmerzen  scheinen  den  Schleimhaul- 
eruptionen,  ebenso  wie  denen  auf  der  Haut,  nicht  zuzu¬ 
kommen;  weder  das  Aufschießen,  noch  das  Platzen  der 
Blasen  wird  von  den  Kranken  quälend  oder  schmerzhaft 
empfunden. 

Komplikationen  oder  Folgezustände  des  Her¬ 
pes  haben  wir  nie  beobachtet. 


Unter  Umständen  könnte  eine  mächtige  Entwicklung 
des  Schleindiautherpes  Bedenken  in  bezug  auf  die  menin- 
gitische  Natur  des  Krankheitsprozesses  erwecken. 

Differenli  aid iagnos tisch  kommt  da  in  Betracht 
die  Maul-  und  Klauenseuche.  Es  finden  sich  hei  dieser 
Krankheit  stets  schwere  Veränderungen  der  Oingiva,  die 
Schwellung,  Auflockerung  und  Sekretion  der  Mumlschleim- 
haut  ist  außerordentlich  groß,  Begleiterscheinungen,  die 
alle  heim  Schleimhautherpes  fehlen,  ebenso  wie  die  auf¬ 
fallend  starke  Bötung  der  Schleimhaut. 

Mit  Pemphigus  ist  eine  Verwecbslung  —  abge¬ 
sehen  von  der  Seltenheit  dieser  Krankheit  —  schon  durch 
den  Verlauf  und  die  meningitischen  Erscheinungen  nicht 
gut  möglich. 

Mit  Herpes  laryngis  et  p h a r y n g i s,  wie  ihn  Glas 
beschrieben  bat,  ist  der  Herpes  bei  Meningitis,  auch  wenn  er 
nur  auf  der  Schleimhaut  lokalisiert  wäre,  nicht  zu  verwech¬ 
seln,  weil  diese  an  und  für  sich  seltene  Affektion,  die  aller¬ 
dings  mitunter  mit  Fieber  beginnt,  Schmerzen  im  Halse, 
Heiserkeit,  Atemnot  hervorruft,  Erscheinungen,  die  ma.n  bei 
durch  Meningitis  hedingtem  Herpes  nie  beobachten  konnte. 

Bezüglich  der  Häufigkeit  des  Heriies  bei  Zerebro¬ 
spinalmeningitis,  sowohl  auf  der  Haut  als  Schleimhaut  nimmt 
man  an,  daß  er  in  zirka  der  Hälfte  aller  Fälle  angetroffen 
wird.  Förster  fand  ihn  in  20^/0,  Schottrn’üller  in  30 o/o, 
Klemperer  in  50 o/o,  Schamherg  (der  auch  andere 
Autoren  zitiert)  in  durchschnittlich  52 o/o. 

Wir  selbst  beobachteten  ihn  fast  bei  der  Hälfte  unserer 
Kranken,  dabei  hatte  ungefähr  enn  Viertel  derselben  Schleim¬ 
hautherpes. 

Ueber  die  Histologie  des  Herpes  bei  der  Menin¬ 
gitis  cerebrospinalis  findet  sich  in  der  Literatur,  soweit  ich 
sie  verfolgen  konnte,  keine  Abhandlung.  Uns  war  es 
nicht  möglich,  darüber  Untersuchungen  anzustellen,  dafür 
wurde  fast  in  allen  Fällen  der  Bläscheninhalt  mikroskopisch 
und  hakteriologisch  untersucht.  Es  fanden  sich  Lympho¬ 
zyten,  spärliche  Epithelzellen,  kleine  Gra.m-positive  Diplo¬ 
kokken,  zweimal  große  Gram-negative  Diplokokken,  die  Kul¬ 
tur  des  seihen  Bläscheninhaltes  ergab  jedoch  nicht  das 
Wachstum  von  Meningokokken.  Diese  wurden  üherhaupt 
in  keinem  Fälle  bei  wiederholten  bakteriologischen  Unter¬ 
suchungen  des  Heiqresbläscheninhaltes  nachgewiesen 
(Kretz,  Wiesel). 

Soweit  sich  die  Literatur  verfolgen  läßt,  gelang  es 
nur  einmal  (Drigalski),  Meningokokken  im  Herpesbläschen 
nachzuweisen  u.  zw.  fanden  sich  in  der  Kultur  Diplokokken 
und  Tetraden,  welche  den  gleichzeitig  aus  der  Spinalpunk¬ 
tionsflüssigkeit  gezüchteten  vollkommen  identisch  waren.  (Es 
wurde  Blutbouillon  mit  Herpesbläscheninhalt  beschickt.) 

Auch  gelang  Drigalski  in  einem  Fälle  mit  Bläschen¬ 
inhalt  eine  positive  Agglutinationsprohe. 

Jakobitz  konnte  nie  Meningokokken  im  Heri)esinhalt 
nachweisen,  noch  aus  demselben  züchten,  Thiemich  be¬ 
richtet,  daß  nie  Meningokokken  im  Bläscheninhalte  gefunden 
wurden. 

Klemperer  untersuchte  von  19  Herpesfällen  bei  ver¬ 
schiedenen  Krankheiten  auch  zwei  hei  Zerebrospinalmenin¬ 
gitis  und  fand  hiebei  im  Inhalte  keine  Meningokokken. 

Ueber  das  Z  u  s  t a  n d  e  k  o  m  m  e  n  des  Herims  weiß  man 
bis  jetzt  noch  recht  wenig.  Einige  Autoren  glauben,  daß  er 
nervösen  Ursprunges  sei.  So  schließt  Howard  aus  Unter¬ 
suchungen  ani  Ganglion  Gasseri  und  an  Spinalganglien,  die  den 
Nerven,  in  deren  Verbreitungsgebiete  Hei'i)eseruption  aufge¬ 
treten  war,  angehören,  daß  der  Herpes  durch  entzündliche 
Degeneration  der  sensiblen  Ganglienzellen  henmrgerufen 
werde.  Auch  Schottmüller  spricht  sich  für  die  »nervöse 
Ursache  des  Herpes  aus,  ohne  sie  jedoch  des  näheren  zu  be¬ 
gründen.  Die  Beobachtung  Dri  gal  skis,  daß  an  der  Ein¬ 
stichstelle  am  Ohrläppchen  (zwecks  Blutentnahme)  bei  einem 
Meningitisktanken,  und  ein  andermal,  als  mit  Seifenspiritus 
die  Haut  der  Ohrmuschel  abgerieben  wurde,  am  nächsten 
Tage  daselbst  Hei-pes  auftrat  (was  wir  allerdings  bei  dem 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


gleichen  Versuch  nicht  finden  konnten),  dürfte  ebenfalls 
für  den  nervösen  Ursprung  des  Herpes  sprechen. 

Gerhardt  (zitiert  bei  Klemperer)  glaubt,  daß  der 
Herpes  durch  eine  leichte  Läsion  der  feineren  Trigeminus¬ 
äste  infolge  des  Druckes  der  beim  Fieber  anschwelleiideii 
Begleitarterien  innerhalb  der  Knochenkanäle  —  entsteht. 
Gegen  diese  Annahme  spricht  der  Umstand,  daß  der  Herpes 
weit  über  das  Verbreitungsgebiet  des  Trigeminus  hinaus 
auftritt.  Diese  Hypothese  könnte  deshalb  nur  für  Herpes  im 
Bereiche  des  Trigeminus  Geltung  finden. 

Eine  Tvokalisatron  des  die  Grundkrankheit  verutsachen- 
deii  Virus  auf  der  Haut  vermutet  Klemperer. 

Sehr  plausibel  ist  die  Vorstellung,  wie  sie  Scham¬ 
berg  hat.  Die  Häufigkeit  des  Herpes  gerade  bei  Infektions¬ 
krankheiten  macht  es  wahrscheinlich,  daß  die  Toxine  eine 
spezifische  Eigentümlichkeit  haben  müssen,  um  die  Struktur 
sensibler  Nervenfasern  so  zu  beeinflussen,  daß  in  ihrem 
Verbreitungsgebiete  Haut  Veränderungen  auf  treten. 

Vielleicht  dürfte  es  sich  um  eine  Toxinwirkung  handeln, 
die  vorwiegend  die  peripheren  Nerven  betrifft.  Die  Anschau¬ 
ung,  daß  es  sich  um  eine  nervöse  Ursache  handelt,  ließe 
sich  durch  das  dem  Herpes  zoster  ähnliche  gruppenweise 
Auftreten  stützen,  der  toxische  Einfluß  durch  den  Umstand 
erklären,  daß  die  Blaseiieruption  sich  zu  einer  Zeit  ent¬ 
wickelt,  wo  die  Toxinwirkung  auf  den  Organismus  am  inten¬ 
sivsten  und  stürmischesten  zur .  Einwirkung  gelangt,  also 
im  Beginne  der  Erkrankung. 

Eine  prognostische  Bedeutung  kommt  dem  Herpes 
nicht  zu.  Tour  des  (zitiert  von  Schamberg)  behauptet, 
daß  die  Herpeseruption  ein  prognostisch  gutes  Zeichen  wäre, 
Schamberg,  ebenso  auch  wir  fanden  nie,  daß  die  vom 
Herpes  begleitete  Zerebrospinalnieningitis  unter  den  gleich 
schweren  Krankheitserscheinungen  günstiger  als  die  ohne 
Herpes  verlaufen  wäre. 

Die  geringen  Beschwerden,  die  der  Herpes  verursacht, 
erheischen  keine  besonderen  therapeutischen  Maßi- 
nahmen.  Sobald  die  Bläschen  aufgeschossen  sind,  werden 
sie  mit  einem  indifferenten  Streupulver  bedeckt;  nach  Ein¬ 
trocknung  der  Krusten  werden  gegen  die  leichte  Spannung 
der  Haut  und  zur  besseren  Ablösung  der  Borken  Borvaselin¬ 
umschläge  appliziert. 

Der  Schleimhautherpes  bedarf  keiner  besonderen  Be¬ 
handlung,  da  er  bei  der  sorgsamen  Mundpflege,  die  man  bei 
keinem  Schwerkranken  außer  acht  lassen  darf,  von  selbst 
abheilt. 

Zum  Schlüsse  sei  mir  gestattet,  meinem  verehrten 
Chef  und  Lehrer,  Herrn  Prof.  Dr.  Hermann  Schlesinger, 
für  die  Ueberlassung  des  Materiales  und  die  gütige  Unter¬ 
stützung  meiner  Arbeit  meinen  herzlichsten  Dank  auszu¬ 
sprechen. 

♦ 

Aus  der  reichhaltigen  Literatur  über  Meningitis  cerebro¬ 
spinalis  will  ich  nur  jene  Arbeiten  anführen,  die  sich  des 
näheren  mit  Herpes  befassen. 

Literatur: 

Drigalski,  Beobachtungen  bei  der  Genickstarre.  Deutsche  med. 
Wochenschrift  1905,  Nr.  25.  —  Forster,  Zerebrospinatmeningitis.  Tlie 
american  Journal  of  the  medic,  sciences  1905.  —  Glas,  Ueber  Herpes 
laryngis  et  pharyngis.  Berliner  klin.  Wochenschrift  1906.  —  Howard, 
Observations  on  the  relation  of  lesion  of  the  Gasserian  and  posterior 
rootganglia  to  herpes  occuring  in  pneumonia  and  cerebrospinalmeningitis. 
The  american  Journal  of  the  medical  sciences  1905.  —  Jakob  itz, 
Ueber  epidemische  Genickstarre.  Münchener  med.  Wochenschrift  1905, 
Nr.  45.  —  Klemperer,  Zur  Bedeutung  des  Herpes  labialis  bei  der 
Genickstarre.  Berliner  klin.  Wochenschrift  1893,  Nr.  29.  —  Schamberg, 
The  nature  of  herpes  simplex  an  dits  diagnostic  and  prognostic  significance 
in  various  infectious  diseases.  The  Journal  of  the  american  medical 
association  1907.  —  Schottmüller,  Ueber  Meningitis  cerebrospinalis. 
Münchener  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  34  bis  36.  —  Thiemich, 
Handbuch  für  Kinderheilkunde  von  Pfaundler-Schloßmann. 


l^eferate. 

Ueber  Morbus  Basedowii.  Theorie  und  Behandlung. 

Von  Dr.  0.  y.  Boltensteru. 

Würzburg  1906,  Verlag  von  A.  Stüber  (Kurt  K  a  b  i  t  z  s  c  h). 

Das  vorliegende  Heft  Würzburger  Abhandlungen  aus  dein 
Gesamtgebiete  der  praktischen  Medizin  bescfircänkt  sich  strenge 
auf  die  ini  Titel  genannten  zwei  Punkte.  Die  Theorie  des  Basedow 
wird  rein  historisch  abgehandelt,  ohne  daß.  der  Autor  nach  der 
einen  oder  anderen  Seite  kritisch  Stellung  nehmen  würde.  Eben¬ 
so  objektiv  referiert  v.  Bol  ten  stern  über  die  Therapie  des 
Basedow.  In  einer  angehängten  Tabelle  sind  96  mit  Antithyreoidin- 
seium  behandelte  Fälle  aus  der  Literatur  zusammengestellt;  in 
keinem  Falle  ist  von  einer  wirklichen  Heilung  die  Rede.  Zum 
Zwecke  der  Wertung  der  Schilddrüsenoperation  hat  Rehn  319 
Fälle  gesammelt;  darunter  175  geheilt,  79  gebessert,  die  Mor¬ 
talität  betrug  13-6°/o.  Resümee:  Die  Behandlung  der  BasedoAv- 
kranken  ist  in  erster  Linie  eine  innere,  welche  aus  der  Summe 
der  symptomatisch  Avirkenden  Älittel  nach  der  Art  und  Indi¬ 
vidualität  des  Kranken  und  des  Falles  die  zweckmäßigsten  aus¬ 
sucht.  Hat  die  interne  Behandlung  im  Verlaufe  von  einigen  Mo¬ 
naten  ein  Avenn  auch  nur  geringes  Resultat  zu  zeitigen  nicht 
vermocht,  Amrschlechtert  sich  vielmehr  andauernd  der  Krankheits¬ 
zustand,  dann  muß  zur  Operation  geraten  Averden,  namentlich 
unter  schlechten  sozialen  Verhältnissen. 

* 

Bfypnotismus  und  Spiritismus.  Medizinisch  -  kritische 

Studie. 

Von  Prof.  Dr.  med.  Lapponi. 

Autorisierte  deutsche  Ausgabe  von  M.  Luttenbacher. 

Leipzig,  B.  Elischer  Nachfolger. 

Eine  Stimme -aus  dem  Vatikan  über  die  ZAvei  Gebiete-,  die 
bisher  auf  der  strenggläubigen  Seite  Avie  ein  Rühr  mich  nicht 
an  galten,  so  nennt  der  Uebersetzer  selbst  die  vorliegende  Studie 
und  als  solche  begegnet  sie  besonderem  Interesse,  das  sonst 
wenig  gerechtfertigt  erschiene.  Es  AAÜrd  heutzutage  ohnehin  keinen 
urteilsfähigen  Älenschen  mehr  geben,  der  die  zwei  Begriffe,  Hypno¬ 
tismus  und  Spiritismus  durcheinanderAvirft  und  auch  die  Be¬ 
rührungspunkte  sind  keinesAvegs  so  innige,  daß  eine  Durch- 
flechtung  der  Kapitel  Avie  im  vorliegenden  Buche  angezeigt  er¬ 
scheint.  Es  folgt  auf  einen  historischen  Abriß,  über  den  Hypno¬ 
tismus  ein  solcher  über  den  Spiritismus,  auf  das  Kapitel:  Tat¬ 
sachen  des  Hypnotismus,  die  Phänomene  des  Spiritismus.  Im 
sechsten  Kapitel  erklärt  dann  der  Autor  nach  freilich  ctAvas  ober¬ 
flächlicher  Widerlegung  zahlreicher  EinAvände,  den  Hypnotismus 
„fast  ZAveifellos“  nur  für  eine  der  vielen  klinischen  Aeußerungen 
der  Hysterie  —  für  etwas  Krankhaftes  —  ein  Urteil,  das  besser 
ist  als  seine  Begründung. 

Hauptsache  ist  aber  die  Stellungnahme  Lapponis  zum 
Spiritismus,  die  im  nächsten  Kapitel  deutlich  Avird.  Ohne  irgend 
etAvas  Neues  zu  bringen,  Aviderlegt  er  mit  großem  Ernste  alle 
Versuche,  die  „Avunderbaren“  Erscheinungen  des  Spiritismus  auf 
Halluzinationen  und  Illusionen,  beAVußte  oder  unbewußte  Gauke¬ 
leien  zurückzufübren ;  er  beruft  sich  mangels  eigener  Wahrneh¬ 
mungen  auf  solche  glaubAvürdig  erscheinender  Personen  und  nimmt 
diese  historischen  Wahrnehmungen  als  Realität.  Er  gibt  natür¬ 
lich  zu,  daß  in  so  und  so  vielen  Fällen  Täuschung  und  Betrug 
nachgoAviesen  Avurden,  aber  es  bleiben  noch,  Avenn  auch  seltene, 
echte  Tatsachen,  die  den  Amrbreitetsten  und  bekanntesten  Ge¬ 
setzen  der  kosmischen  Natur  nicht  allein  überlegen,  vielmehr 
direkt  entgegengesetzt  sind,  nach  dem  heiligen  Augustinus  frei¬ 
lich  nur  gegen  die  Kenntnisse  streiten,  Avelche  wir  von  den 
Naturgesetzen  haben.  Jedenfalls  seien  Avir  genötigt,  in  den  spii'i- 
tistischen  Phänomenen  Aeußerungen  einer  übernatürlichen  Ord¬ 
nung  zu  sehen.  Ref.  glaubt  nicht,  daß  Lapponi  es  irgend 
jemand  plausibel  zu  machen  A^ersteht,  Avarum  sich  die  Geister 
der  Spiritisten  gar  so  menschlich  gebärden;  er  fühlt  das  Avohl 
auch  selbst  und  findet  darum  als  gläubiges  Gemüt  den  unan¬ 
greifbaren  Standpunkt:  Wir  dürfen  die  Wege  und  Ratschlüsse 
der  Gottheit  nicht  erforschen,  oder  nach  dem  Warum  ihrer  An¬ 
ordnungen  fragen  wollen.  Ja,  Avarum  Avurdc  dann  das  vorliegende 
Buch  geschrieben?  Um  so  mehr  als  den  Schlußfolgerungen  des 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Autors  alle  Anerkennung  gebührt:  Der  Spiritismus  ist  stets  ge¬ 
fährlich,  schädlich,  unmoralisch,  verworflicli  und  ohne  Kiu- 
schrä^dumg  zu  verurteilen  und  zu  untersagen,  seihst  das  Studium 
th‘s  Spiritismus  ist  schwer  zu  lechtferiigen, 

* 

Soxualität  und  ästhetisches  Empfinden  in  ihrem 
genetischen  Zusammenhänge. 

Eine  Studio  von  Artur  Kroufeld. 

Straßburg  i.  E.  und  Leipzig  1906,  Josef  Singer. 

Ein  geistreiches  Buch.  Nach  Kronfeld  •—  und  jeder 
Naturwissenschaftler  wird  ihm  da  beistimmen  —  ist  es  die  Natur¬ 
wissenschaft,  welche  nach  ihren  Prinzipien  und  Kriterien  die 
Errungenschaften  der  bisherigen  Arbeitsweise  geisteswissenschaft¬ 
licher  Aesthetik  beurteilen  und  richten  soll.  Die  metaphysische 
Aesthetik  ist  abzulehnen;  das  Grundproblem  des  Aesthetischen, 
an  dem  der  ästhetische  Objektivismus  scheiterte,  wäre  allein 
von  der  isubjektivistischen  psychologischen  Aesthetik  seiner  Lösung 
näher  zu  bringen.  Die  Frage,  worauf  beruhen  denn  aber  die 
ästhetischen  Elementargefühle?  ist  nur  durch  die  genetische  Me¬ 
thode  der  Naturwissenschaft,  welche  die  Phylogenie  auf  Grund 
der  Deszendenztheorie  innehält,  aufzuklären. 

Auf  diesen  methodologischen  folgt  ein  zweiter  kritischer  Teil, 
bisherige  Theorien  der  naturwissenschaftlichen  Aesthetik.  Krou¬ 
feld  kritisiert  speziell  die  objekti^dstische  Theorie  Boelsches 
(Rhythmotropismus),  Grant  Aliens  (Beziehung  zum  Nahrungs¬ 
trieb),  D  ar  wins  (Beziehung  zum  Geschlechtstrieb).  Hier  knüpft  der 
dritte  Teil  an,  das  Divergenzprinzip  in  der  Sexualität  und  seine 
psycljischen  Erscheinungsformen.  Die  größte  Divergenz  wird  das 
Kriterium  der  zweckmäßigsten  Sexualverbindung  sein,  und  die 
sexuelle  Divergenz  des  einen  Geschlechtes  dokumentiert  sich  in  der 
psychischen  Anschauung  des  anderen  Geschlechtes  als  das  lust¬ 
erregende  Moment.  Diese  Lust  —  und  das  ist  der  Grundgedanke 
der  vorliegenden  Studie  —  ist  identisch  mit  der  phylogenetisch 
ursprünglichen,  primitiven  ästhetischen  Lustempfindung,  wie  für 
das  Empfinden  von  Farben,  Tönen,  Formen,  Bewegungen,  Rhyth¬ 
mus  und  Melodie  durchgefülirt  wird  . 

* 

Die  Grundlagen  der  Seelenstörungen. 

Von  Julius  Beßmer  S.  J. 

Freiburg  i.  Breisgau  1906,  Herder. 

Die  Schrift  will  die  tieferen  philosophischen  Fragen  behan¬ 
deln  über  die  Grundlagen  der  Seelenstörungen  und  soll  dem  'Wolde 
der  Seelen  dienen,  die  Obsorge  für  die  geistig  Schwachen  und 
geistig  Kranken  fördern.  Nach  Art  der  Darstellung  wendet  sie  sich 
offensichtlich  an  gläubige  Laien  und  Seelsorger.  Tn  die  Psy¬ 
chiatrie  läßt  sich  der  Autor  sehr  wenig  ein;  eigentlich  kommen 
nur  Nervosität,  etwas  von  deuEIysterie  zur  Sprache,  die  sogenann¬ 
ten  psychopathischen  Persönlichkeiten  werden  gestreift.  Was  den 
Arzt  interessieren  kann,  ist  nur  der  Versuch  des  Autors,  Wissen 
und  Glauben  zu  versöhnen,  natürlich  in  der  W'^eise,  daß  das 
Wissen  im  Glauben  aufgeht.  Beßmer  steht  auf  dem  Standpuukt 
der  aristotelisch-scholastiischen  Philosojdüe.  Die  Seele  ist  eine 
WWsensform  des  menschlichen  Leibes,  was  ja,  für  den  Katholiken 
Glaubenslelne  ist.  Demgemäß  muß  das  Wesen  der  Geisteskrank¬ 
heiten  definiert  werden:  , .Treten  durch  Störungen  in  den  Hirn¬ 
prozessen  Störungen  des  sinnlichen  Erkennens  und  Strebens  auf, 
so  sind  Leib  und  Seele  krank.  Die  höheren  Fähigkeiten  der  Seele, 
Verstand  und  AVille  müssen  darunter  leiden,  obwohl  sie  nicht 
direkt  der  Sitz  der  Krankheit  sind.“  Noch  schwieriger  natürlich 
wird  für  den  Theologen  die  Erklärung  der  Bewußtlosigkeit;  hier 
muß  er  tatsächlich  an  die  höchste  Instanz  api)etlieren.  ,,Da 
aber  in  Unserem  irdischen  Leben  ohne  ein  besonderes  Eingreifen 
Gottes  eine  intellektuelle  Betätigung  nicht  möglich  ist,  wenn  Sinne, 
Phantasie  und  Erinnerung  ihre  Tätigkeit  einstellen...“  Dagegen 
gibt  es  natürlich  keine  Berufung. 

* 

Die  leichten  Fälle  des  manisch-depressiven  Irreseins 
(Zyklothymie)  und  ihre  Beziehungen  zu  Störungen 

der  Verdauungsorgane. 

Von  Karl  Wiliiianiis. 

Leipzig  1906,  Breitkopf  &  Härtel. 

Das  voiiiegende  Heft  aus  der  Sammlnng  klinischer  Vorträge 
(Richard  v.  Volkmann,  neue  Folge)  stammt  aus  der  Heidelberger 


Klinik  Und  trägt  ein  ausgesprochenes  Lokalkolorit.  Die  ,, moderne“ 
Sch'ule,  wie  WHlmanns  kurz  sagt,  teilt  die  fimklionellen  Psy¬ 
chosen  wesentlich  in  die  Dementia  praecox  und  das  manisch- 
depressive  Irresein.  Von  den.  Gesarntaufnahmon  der  Heidelberger 
Klinik  entfallen  40  bis  52°/o  auf  erstere,  11  bis  16%  auf  letztere 
Form  von  Geistesstörung.  Unter  Annahme  der  Kahl  ha  um  sehen 
Bezeichnung  ZyklotJiymie  schildert  der  Autor  das  Krankheitsbild 
der  ganz  leichten  Fälle  zirkulären  Irreseins  und  verweist  darauf, 
daß  die  Ki'ankeii  in  den  depressiven  Phasen  eine  Unmenge  von 
körperlichen  Beschwerden  klagen,  welche  sie  den  Aerzteu  und 
verschiedenen  Spezialisten  (natürlich  niemals  den  Psychiatern  — 
Ref.)  zuführen.  Namentlich  häufig  s’nd  Verdauungsbeschwerden, 
die  nach  Wmlmanns  möglicherweise  den  psychischen  Störungen 
koordiniert  sind,  eine  Anschauung,  der  man  um  so  eher  beipflichten 
wird,  als  die  Geisteskrankheiten  überhaupt  als  Allgemeinerkrankun¬ 
gen  zu  betrachten  sind. 

Analyse  von  200  Selbstmordfällen  nebst  Beitrag  zur 
Prognostik  der  mit  Selbstmordgedanken  verknüpften 

Psychosen. 

Von  Dr.  Helene  Friederike  Stelzner. 

Berlin  1906,  S.  Karger. 

Ziehen  gibt  dieser  aus  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Berlin 
erschienenen  Arbeit  ein  empfeblendes  Geleitwort  und  wünscht, 
daßi  sie  bei  Beiufspsychiatern  wie  bei  den  Interessenten  der  Sozial¬ 
wissenschaft  weite  Verbreitung  finden  möge;  es  wäre  beizufügen, 
daß  auch  Berufspsychologen  sie  nicht  ohne  Nutzen  studieren 
würden.  Die  Verfasserin,  welche  sich  einer  erfreulichen  Kritik 
und  Zurückhaltung  in  ihren  Schlußfolgerungen  befleißigt,  hat 
295  Selbstmordversuche  bei  200  weiblichen  Personen  zur  Grund¬ 
lage  ihrer  Betrachtungen  genommen,  zu  erforschen  versucht, 
welchen  Ausgang  die  verschiedenen  Formen  der  durch  Selbstmord¬ 
versuch  komplizierten  Psychosen  nehmen,  überhaupt,  welche  Be¬ 
ziehungen  zwischen  Suizid  und  der  einzelnen  Psychose  besteheu. 
Die  größte  Gruppe  sind,  wie  vorauszusehen,  die  i\lelancholiker, 
32V2%  der  Fälle.  Die  nächstgroße  Gruppe  bilden  die  Fälle  von 
psychopathischer  Konstitution.  xVm  interessantesten  aber  sind  die 
.31  Fälle,  wo  anscheinend  aus  völliger  geistiger  Gesundheit  heraus 
das  Suizid  erfolgte.  Die  Frage,  ob  und  wie  weit  der  Selbstmord 
Ausdruck  einer  krankhaften  Psyche  ist,  wurde  vielfach  erörtert 
und  von  den  verschiedenen  Autoren  in  ganz  entgegengesetztem 
Sinne  beantwortet.  Stelzner  hat  sorgfällige  Nachforschungen 
angestellt,  ausführliche  und  sehr  dankenswerte  Katanmesen  er¬ 
hoben,  um  in  ihren  Schlußfolgerungen  eigentlich  Esquirol Recht 
zu  geben.  Sie  resümiert  nämlich :  Auch  die  Selbstmorde,  denen 
eine  Psychose  weder  vorausging  noch  folgte,  sind  oft  als  Aeuße- 
rungen  eines  momentanen  psychopathischen  Zustandes  zu  be¬ 
trachten;  hiefür  sprechen  die  Geringfügigkeit  der  iVIotive,  die 
Hereditätsverhältnisse  und  einzelne  neuropsychopathologische 
Züge  in  der  Vergangenheit.  Auffällig  zahlreich  sind  Selbstmord¬ 
versuche  dieser  letzteren  Kategorie  im  Alter  von  16  bis  25  Jahren. 

• —  Angehängt  sind  noch  zwei  Kapitel  über  Art  der  Selbstmordver¬ 
suche  und  die  Heredität  der  Selbstmordkandidatinnen. 

Jahrbuch  für  sexuelle  Zwischenstufen  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  Homosexualität. 

Herausgegeben  von  Dr.  med.  M.  Hii'sclifeld. 

VIH.  Jahrgang. 

Leipzig  1906,  Max  Spohr. 

Ein  breit  angelegter  (284  S.)  Aufsatz  von  Hirschfeld'i 
Vom  Wesen  der  Liebe,  zugleich  ein  Beitrag  zur  Lösung  der  Frage 
der  Bisexualität,  eröffnet  den  Band.  Die  einzelnen  Kapitel :  die 
große  Liebesleidenschafl,  Geschlechtstrieb  und  Geschlechtsverkehr, 
die  Stadien  der  Liebe,  die  relative  Konstanz  des  Geschlechts- 
trielres,  zur  Theorie  und  Geschichte  der  Bisexualität,  über  Teil¬ 
anziehung  sind  anregend  geschrieben;  einzelnes  fordert  allerdings 
zu  Widerspruch  heraus.  Hirschfeld  wendet  si(di  z.  B.  gegen  die 
Theorie  der  okkasionellen  Verknüpfungen,  polemisiert  aber  eigent¬ 
lich  mehr  gegen  die  Behau])tung,  daß  der  Zufall  die  Richtung  des 
Geschlechlstjiehes  normiere,  weniger  gegen  eine  solche  Normierung 
durch  assoziative  Verknüpfung,  wie  man  aus  zwei  von  ihm  selbst 
beigebrachten  Beis-pielen  —  eines  Brillen-  und  eines  Stiefelabsatz- 
fetischisteu  —  sieht.  Eben  konkrete  Beispiele  solch  absonderlichei’ 


/'.-± 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr  23 


as.sftzialiver  Verkiuipfungt-n,  iialiirlicli  j){5ycliui)atliisclic  Anlage  vor- 
aiisselzend,  innßien  zu  der  Tlieorie  führen,  daß  die  sexuellen 
rervorsionen  als  solche  nichl  angehoren  sind. 

Klisahetli  1)  all  t  li  e  n  tl  e  y,  Die  iirnische  Frage  und  die  Frau, 
verlrill.  eine  verlorene  Saclic.  Sic  verlangl  das  große  Mitleid,  das 
wanne  .Mitgefühl,  die  verstehende  Mitarheit  (?)  der  Frau  an  der 
urnisehen  Frage.  Die  gesunde,  normale  Frau  wird  die  Donio- 
sexualilät  iininer  ahlehnen  jnüssen,'  weil  diese  das  Weih  und  die 
Multei-scliafl  negiert.  Daß  eine  Statistik  üher  die  Häufigkeit  d(‘s 
Dranisinus,  logische  Auseinanderse'zungen  grundlegende  weihliclie 
flefühle  pervertieren,  glaliht  ja  die  Verfasserin  seihst  nicht. 

FrwälniL  sollen  weiter  Averden  die  Aufsätze:  Dr.  Denedikt 
Friedländcr,  Kritik  der  neueren  VA)rschlägc  zur  Ahänderimg 
des  §175,  lh)dine  Fieiin  v.  Verschiier,  Die  Homosexuellen  in 
Dantes  (iöttlicher  Komödie,  L.  S.  A.  M.  v.  Römer,  Der  Uranismus 
in  den  Niederlanden  his  zum  19.  Jalirhundert  Jiiit  hesondei’er 
Derücksichligung  der  großen  Uranierverfolgung  im  Jahre  1730, 
H.  J.  Scholl  teil.  Ein  paar  merkwürdige  Fälle  aus  der  Kriminal- 
geschichte  Frankreichs  nach  den  Memoiren  der  Scharfrichter  San¬ 
son,  zwei  Biographien:  Hans  Freimark,  Helena  Petrovna  Bla- 
va. tzky,  ein  Aveihlicher  Ahasver,  Dr.  0.  Kiefer,  Hadrian  und 
Antonous,  Aveiters  Dr.  P.  Näcke,  Einige  ])sychiatrische  Erfahrun¬ 
gen  als  Stütze  für  die  Lehre  von  der  hisexuellen  Anlage  des 
Menschen,  Dr.  hvan  Bloch,  Dr.  M.  Birnbaum,  Dr.  Benedikt 
F r i e d  1  ä  11  (1  e r,  Literatur- und kultiirgeschichlliche Beiträge,  Doktor 
Paul  B  ra  n  d  t.  Der  iiaidon  eros  in  der  griechischen  Dichtung,  Doktor 
Franz  v.  Neugehauer,  Zusammenstellimg  der  Literatur  über 
Herniaphrodilismus  heim  Menschen. 

Daran  schließt  eine  kritische  Bibliographie,  eine  AusAvahl 
von  Büchern  aus  dem  Jahre  1905  betreffend,  von  Numa  Pr  ac¬ 
tor  ins.  Aus  dem  Jahreshericht  von  Hirschfeld  sei  noch  eine 
sehr  hezeichnende  Neuigkeit  herausgenommen.  Es  Avurde  im 
letzten  Jahre  hesiddosscn,  an  alle  nach  §  175  D.  B.-St.-G.  Ver¬ 
urteilten  ein  Trostschreihen  zu  versenden,  das  die  Verurteilung 
als  ein  Unglück  bezeichnet,  den  Homosexuellen  Amrsichert,  daß 
er  kein  eigentliclies  Unrecht  begangen  habe,  ihn  aiiffordert,  sich 
vertrauensvoll  an  das  Komitee  zu  A\mnden... 

* 

Sammlung  kleiner  Schriften  zur  Neurosenlehre  aus 
den  Jahren  1893  bis  1906. 

Von  Prof.  Dr.  Siegln,  Freiul. 

Leipzig  und  Wien  1906,  Franz  Deuticke. 

Die  hier  in  einer  Sammlung  vereinigten  kleineren  Aufsätze 
sind  den  Fachgenossen  bereits  hokannt.  Trotzdem  wird  ihre  Zu¬ 
sammenstellung  vielfach  Avillkommen  sein.  Sie  gestattet  auch  die 
zunehmende  Wandlung  Freuds  zur  Einseitigkeit  zu  verfolgen. 
Es  gibt  unzAveifelhaft  glückli(die  Menschenkinder  • —  oder  soll  man 
sie  hedauein  —  die  keine  Existenz-  und  Nahiauigssorgen  kennen; 
Avenn  nun  auch  noch  geistige  Interessen  fehlen,  bleibt  Avirklich  nur 
mehr  die  Sexualität  übrig.  Auch  Bef.  kennt  J’ypcn  jener  Menschen¬ 
klasse,  denen  die  Sexualität  alles  ist.  Die  große  älehrheit  aller 
Weltbürger  liat  aber  noch  andere  Sorgen  und  Konflikte,  andere 
Freuden  und  Leiden,  andere  Ursachen  für  Cesundheit  und 
Krankheit. 

* 

Die  Geisteskrankheiten  des  Kindesalters  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  schulpflichtigen  Alters. 

Von  Prof.  Dr.  Th.  Zieheu. 

3.  Heft. 

Berlin  1906,  Reut  her  &  Reichard. 

Das  vorliegende  Schlußfieft  handelt  die  Geistesstörung  aus 
ZAvangsvorstellungen  ab;  darunter  bringt  Ziehen  die  sehr  inter- 
cssatdc;  Kraidcengeschicdite  eines  Mädchens,  das  seit  seinem 
sechsten  Lebensjahre  seine  Zwangsvorstellungen  halluziniert.  • — 
Das  impulsive  Irresein,  von  Ziehen  phrenoleptisches  genannt, 
übergeht  er  Aveg<m  seiner  Seltenheit  im  Kindesalter,  um  sich 
desto  cischiipfender  mit  den  psychopathischen  Konstitutionen  zn 
befassen.  Hier  erörtert  Ziehen  die  allgemein  degenerative,  die 
hysterische,  die  neurasthenisclie,  die  choreatische,  die  epilep- 
tis(die,  die  traiunatische,  die  toxisidien,  die  residuäreii,  die  dc- 
pressive  und  hyperthymische,  die  paranoide,  endlich  die  obsessiAm 
l^sychopathische  Konstitution.  In  diesem  breit  angelegten  Ka¬ 
pitel  Aväre  also  die  psychopathische  Minderwertigkeit  heisammen. 


Von  Avirklichen  Psychosen  im  Kindesaltcr  werden  das  iteriodische 
und  zirkuläre  Irresein  besprochen,  anhangsweise  die  inl(‘lh‘ktuello 
und  ethische  Verkümmerung.  Lileraturnachträge  erhöhen  den  Wert 
des  Heftes  für  den,  der  Avissenschaftlich  arbeiten  will,  tlem  Prak¬ 
tiker  Avird  die  angeschlossene  schematische  xVnweisung  zur  Unter¬ 
suchung  geisteskranker  Kinder  Avillkonimen  sein.  Für  die  Gedie,gen- 
heit  des  Ganzen  bürgt  der  Name  Ziehen. 

* 

Nervenkrankheit  und  Lektüre.  Nervenleiden  und  Er¬ 
ziehung.  Die  ersten  Zeichen  der  Nervosität  des 

Kindesalters. 

Drei  Vorträge  von  Prof.  Dr.  H.  Oppeulieim. 

2.  Auflage. 

Berlin  1907,  8.  Karger. 

Es  ist  CJ  fjculicdi,  zu  vernehmen,  daß  die  kräftigen  Worte 
Oppenheims  beieits  in  zweiter  xAuflage  in  die  Welt  gehen.  Nur 
eijie  Autorität  wie  die  seine  kann  mit  Aussicht  auf  Erfolg  gegeji 
die  Tageszeitungen  und  ihren  Mißbrauch  zu  populär-medizini¬ 
schen  Zwecken  so  energisch  Stellung  nehmen. 

Im  zweiten  und  dritten  Vortrage  stellt  sich  Oppenheim 
als  Jugend fi'eund  und  Erzieher  vor,  er  ficht  mit  glänzender  Klinge, 
z.  B.  gegem  den  Part  pour  Part- Standpunkt,  für  sexuelle  Tem- 
perenz,  Avemn  nicht  Abstinenz  der  Jugend,  für  religiöse,  min¬ 
destens  ethische  Erziehung  und  Avird  darum  manchem  als  Re¬ 
aktionär  erscheinen.  Soweit  aber  psychologisch-pädagogische  Er- 
Avägungeri  zu  überzeugen  vermögen,'  muß  man  ihm  vollinhaltlich 
zustimmen.  Für  weite  Kreise  geschrieben,  sollten  diese  Vorträge 
auch  im  Kreise  der  Eltern,  Erzieher,  Lehrer,  Aerzte,  studiert, 
geAvürdigt  und  in  die  Praxis  umgesetzt  Averden. 

♦ 

Studie  über  Minderwertigkeit  von  Organen. 

Von  Dr.  Alfred  idler. 

Berlin  und  Wien  1907,  Urban  &  Schwarzenberg. 

Ausgehend  davon,  daß  alle  Erklärungsversuche  in  der  Aetio- 
logie  der  Nierenerkrankungen  so  A\mnig  befriedigen,  vertritt  der 
Autor  die  Auffassung,  den  meisten  Nierenerkrankungen  liege  eine 
ursprüngliche  MinderAvertigkeit  des  harnal)sondernden  Apparates 
zugrunde.  Eine  große  Reihe  von  Erkrankungen  anderer  Organe 
füge  sich  durch  Heredität,  chronischcii  Verlauf,  tyi)ische  liOkali- 
sation  innerhalb  des  Organes,  unzureichende,  Aveder  durch  Gifte, 
noch  durch  Bakterien  gestützte  Aetiologie  zwanglos  in  den  Rahmen 
der  M i n d c r AV e r t g i ke i  t sl e h  r e . 

Adler  unterscheidet  eine  morphologische  und  eine  funk¬ 
tionelle  Minderwertigkeit,  die  relati\m,  die  sich  erst  durch  den 
Krankheitsfall  deklariert  Und  nur  bei  gesteigerten  Ansprüchen 
kenntlich  Avird,  habe  geringere  Bedeutung.  Der  Autor  erörtert  die 
Diagnose  der  Minderwerl igkeit,  ihre  Klinik  in  mehreren  Kapiteln: 
Heredilät,  anamnestische  IlinAveise,  morphologische  Kennzeichen, 
Reflexanomalien  als  MinderAverligkeitszeichen,  mehrfache  Organ- 
uiinderwertigkeiten,  die  Rolle  des  Zentralnervensystems  in  der 
OrganminderAverligkeitslehre,  Psychogenese  und  Grundlagen  der 
Neurosen  und  Neuropsychosen. 

Adler  anerkennt  nicht  die  Pleredität  der  Erkrankung, 
sondern  nur  die  Heredität  des  minderAvertigen  Organs.  Normale 
Organe  kompensieren  mehr  durch  Hyperfunktion,  minderwertige 
mehr  durch  Wachstumsüberschuß',  daher  die  Neigung  zu  Neo¬ 
plasmen.  An  Stelle  der  Theorie  Amn  den  Aersprengten  embryo¬ 
nalen  Keimen  Iritt  die  der  Minderwertigkeit.  Ref.  hätte  es  lieber 
gesehen,  Avenn  der  Autor  die  Vercpiickung  mit  Freuds  erogenen 
Zonen  hier  beiseite  gelassen  hätte;  denn  tatsächlich  findet  sich 
keineswegs  die  üherAviegende  Mehrzahl  der  Karzinome  an  solclum 
Steilem.  jMan  küßt  mit  beiden  Lii)pen,  eventuell  mit  der  Zungen¬ 
spitze;  Avarum  nimmt  der  Krebs  die  Oberlij)pe  aus,  Avuehert 
hingegen  tief  rückwärts  am  Zungenrande,  in  der  Speiseröhre, 
außerordenllich  häufig  im  Magen,  in  eien  Flexuren  des  Darmes 
—  es  ist  dem  Referenten  nicht  bekannt  geAVorden,  daß  Freud 
auch  diese  Slellen  schon  als  erogene  Zonen  für  sich  in  Anspruch 
genommen  hätte. 

Eine  besondere  BelrachlungsAveise  bat  Adler  gelehrt,  daß 
ein  Mangel  des  Organes  in  höhere  Ausbildung  sich  Amrkehren 
könne.  Dadurch  Avird  die  DiagJiose  der  OrganmindeiAverligkeit 
um  so  scliAvieriger,  als  das  Bild  durch  das  Hinzu  treten  Aveiterer 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Organmiiiderwerligkoiton  gctrühL  und  unkeiuiliich  geinacdd  werden 
kann.  Die  Kiiiderfchler  sind  eine  ])erii)here  xVeußerung  von  Organ- 
niinderwerügkeit.  Wenn  von  der  eni])ryonalen  Hennnimg  eitn' 
Si)ur  l)is  an  dio'  äußeren  Körpergrenzen  reicld,  so  gescliehe  das 
in  Form  der  allgemein  bekannten  Degeneraüonszeichen,  die  mancli- 
inal  Mindenverligkcit  der  Haut,  andere  Male  eine  seginenLule 
Insuffizienz  anzeigen.  Jede  (Irganniinderwcrligkeif  sei  begleitet 
von  einer  Minderwertigkeit  des  Sexualapparates. 

.Allo  Erscheinungen  der  Neurosen  und  Psyclioneurosen 
führen  zurück  auf  Alinderwertigkeit  des  Zeutralnervensystems, 
den  Grad  und  die  Art  der  nicht  völlig  gelungenen  zeniralen  Kom¬ 
pensation  und  auf  eintretende  Kompensationsstörungen.  Nachdem 
die  Alinderwertigkeit  nach  Adler  embryonalen  Ursprunges  ist, 
würde  man  zu  den  meisten  Krankheiten  geboren.  Damit  scheint 
sich  der  Autor  wiederum  von  dem  im  Buche  so  viel  zitierten 
F  r  e  u  d  zu  en  tfernen. 

AViowohl  aus  der  Praxis  schöpfend  —  Auszüge  aus  dem 
ärztlichen  Journale  illuslrieix?n  die  Thesen  des  Vej'fassers  — 
handelt  es  sich  wesentlich  um  ein  philosophisches  Buch,  das 
Gedanken  und  Spekulationen  bringt  und  seinerseits*wieder  zu 
Gedanken  anregt.  Philosophen  aus  Beruf  oder  Neigung  Acerden 
es  mit  Vergnügen  lesen.  E.  Ra  im  an  n. 


Aus  v/ersehiedenen  Zeitsehriftcu. 

281.  (Aus  dem  iiathologischen  Institute  der  Universität  iu 
Berlin.)  Ein  rascher  Nachweis  des  Tube  rkelhazillus 
im  Urin  durch  den  Tierversuch.  Von  Dr.  Artur  Bloch', 
Assistenzarzt  an  der  Prof.  C  a  s])  er  sehen  Klinik.  Zum  Nachweis 
des  Tuhcrkelhazillus  im  Urin  impft  man  suhkutan  oder  intra- 
peritoneal  vom  Sedimente  auf  das  AleerschAveinchen.  Das  Tier 
bekommt  eine  allgemeine  Tuberkulose,  wenn  der  Urin  hazillcn- 
haltig  war.  Um  aber  Tuberkulose  sicher  ausscbließen  zu  können, 
mußi  man  mit  der  Tötung  des  am  Leben  gebliebenen  Tieres  min¬ 
destens  sechs  bis  acht  AVoeben  nach  der  Impfung  warten.  Der 
Verfasser  hat  eine  Methode  gefunden,  mit  der  man  ein  ent¬ 
scheidendes  Resultat  in  viel  kürzerer  Zeit,  in  neun  Ins  elf  Tagen 
erhält.  Er  spritzte  das  Material  den  Aleerschweinchen  subkutan 
in  die  rechte  Leistengegend  ein  Und  nahm  sodann,  um  sich 
,,eine  erworhenc  Und  lokale,  jederzeit  und  willkürlbdi  herzustel¬ 
lende  Disposition“  (Orth)  zu  schaffen,  eine  traumatische  Schädi¬ 
gung  der  regionären  Leistendrüsen  vor.  Er  ging  dabei  so  vor, 
daß  er  die  rechte  Leistenfalte  des  Tieres  zwischen  Daumen  und 
Zeigefinger  faßte  und,  einigemal  reihend,  die  Leistengegend  durch¬ 
tastete,  immer  mit  den  Ijeiden  Fingern  von  der  Tiefe  zur  Ober¬ 
fläche  gehend.  Dabei  kamen  die  Leistendrüsen  als  ganz  kleine 
Knötchen  zwischen  den  reihenden  Fingern  zur  AAhihrnehmung 
und  wuixlen  durch  festeres  Zudrücken  gcrfuetscht.  Das  Ilarn- 
sediment,  durch  zugefügte  sterile  Kochsalzlösung  verdünnt,  war 
in  der  Menge  von  1  enU  in  die  rechte  Leistengegend  injiziert 
worden.  Nach  t)  bis  10  Tagen  waren,  wenn  das  Sediment  hazillen- 
haltig  war,  hei  den  Versuchstieren  in  der  rechten  Leistengegend 
zirka  haselnußgroßc  Knoten  und  in  den  Ausstrichen  und  iu  den 
Schnitten  dieser  Drüsenkonglomerate  leicht  Tuherkelhazillen  nach¬ 
weisbar.  Ein  mit  demselben  Urinsedimente  geimpftes  Ti(‘i'  wurde 
am  Lehen  gelassen,  es  ging  nach  AATjchen  ein  und  die  Sektion  ('r- 
gah  allgemeine  Tuberkulose.  Verf.  resümiert  seine  Versuchsergeh- 
nisse  mit  folgenden  AAhjrten :  Er  konnte  mit  seiner  ATcthode  hinnen 
neun  bis  elf  Tagen  einen  positiven  Nachweis  der  Tuherkel¬ 
hazillen  erhiingen  in  jenen  Versuchen,  hei  Avelchen  injiziert  waren: 
1.  Reinkulturen  von  Tubeikelhazillen ;  2.  Urinsediment  der  vorher 
als  gesund  angenommenen  Niere  hei  klinisch  und  mikroskopisch 
sichergestellter  Diagnose  einer  Nierentuherkulose  der  anderen 
Seite;  8.  Urinsedimente  von  Patienten,  hei  denen  die  klinischen 
Symptome  einer  Urogonitaltuherkulose  bestanden,  Tuherkelhazillen 
aber  nicht  gefunden  worden  waren;  4.  Urinsedimente  von  Pa¬ 
tienten,  hei  denen  die  Symptome  einer  ITrogenitaltUherkulose  nicht 
ausgejjrägt,  lim  Sediment  aber  vereinzelte  säurefeste  Stäbchen 
gefunden  worden  waren,  so  daß  sje  daher  nicht  als  Tuherkel¬ 
hazillen  angesehen  AA^erden  konnten.  Der  negative  NacliAveis 
konnte  erbracht  Averden  in  jenen  Fällen,  avo  injiz'iert  Avorden  Avaren : 
1.  Das  Sediment  des  aus  der  einen  Niere  stammenden  Urins 
hei  sichergestellter  Diagnose  einer  Tuberkulose  der  anderen  Niere. 


2.  Smegmahazillen  in  Reiidcultur,  aufgeschwemud.  in  Kochsalz¬ 
lösung  und  im  Urinsedinnud,  einei’  gonorrlujischeu  Zystitis.  Ver¬ 
fasser  Avird  seine  Versuche  fortselzen  und  fordert  zui'  Nachprüfung 
der  für  den  Prakliker  so  hcdeutungsvolten  Methode  auf.  —  (Per- 
liner  klinische  AA'ochenschrift  1907,  Nr.  17.)  E.  F. 

* 

282.  Aus  der  mediz.  Klinik  zu  SIraßhurg  (Prof.  Dr.  v.  KrehU. 
Die  Behandlung  schwerer  Anämien  mit  Blutlraus- 
f  u  s  innen.  A^ou  Dr.  P.  AI  o  r  a  av  i  t  z,  Assistenzarzt .  A'erf.  hat 
sechs  Fälle  von  sclnverer  Anämie  mit  Bluttransfusion  behandelt. 
Am  besten  hat  sich  folgendes  Verfahren  heAvährt:  Als  Blutspeuder 
dienten  gesunde  Alenschen  oder  solche,  die  Avegen  eines  unbedeu¬ 
tenden  Leidens  die  Klinik  aufgesucht  hallen.  Das  Blut  Avird 
aus  der  gestauten  Vena  mediana  mit  der  Nadel  entnommen  und 
fließt  direkt  in  ein  500  cm®  haltendes  sterilisiertes  Pulverglas 
mit  cingeschliffenem  Stopfen.  AAhlhrend  und  nach  dem  Adeilaß 
Avird  das  Blut  durch  Schütteln  mit  sterilen  Glasscherben  defihri- 
niert,  ca.  20  Alinuten  bis  eine  halbe  Stunde  sich  seihst  über¬ 
lassen,  dann  in  ein  zAAmites  Pulverghis  filtiäort,  die  Koagula  nicht 
ausgepreßit.  Meist  AA^erden  ca.  250  cm®  Blut  cidnommen,  so  daß 
nach  Abzug  der  A^erlusle  200  cm®  zur  Transfusion  bereit  stehen. 
Dem  anämischen  Patienten  Avird  dann  durch  einen  kleinen  Sclnntt 
die  Vena  mediana  freigelegt  und  eine  kleine  Glaskajuilc  ein¬ 
gebunden.  Nun  Avarlet  man,  bis  das  ATnenhlut  des  Palieuten 
die  Kanüle  erfüllt  hat  und  setzt  dann  sofort  den  mit  einem  Trichter 
in  Verbindung  stehenden  Und  mit  dem  angcAvärmlen,  defihrinierten 
Blute  gefüllten  Gummischlauch  an.  Das  Einfließen  des  Blutes 
in  die  AT  ne  geschehe  ziemlich  langsam,  so  daß  200  cm®  zirka 
20  Alinuten  bis  eine  halbe  Stunde  erfordern.  Nacdi  der  Trans¬ 
fusion  Naht  der  AA'unde  und  trockener  KompressivAmrl)and.  Die 
ganze  Transfusion  erfordert  eine  Stunde.  Die  Alethode  ist  et.Avas 
komplizierter,  als  die  von  anderen  Aidoren  angegebene,  dafür 
aber  sicherer  und  von  allen  möglichen  Zufälligkeiten  Aveniger 
abhängig.  AAhis  die  Resultate  in  diesen  sechs  Fällen  von  Anämia 
gravis  anlangt,  müssen  ZAvei  Avegen  zu  kurzer  Beobachtung  aus¬ 
geschieden  AAmrden,  ohzAvar  in  dem  einen  Falle  eine  genvisse 
sid)jektive  Besserung  Aind  ATrmchrung  der  Erythrozyten  einge¬ 
treten  war.  Gänzlich  versagt  hat  die  Transfusion  in  einem  Fälle 
sclnverer  aplastischer  Anämie.  Die  Autopsie  ergab  eine  so  ex¬ 
treme  Verarmung  deS  Alarkes  an  erythrohlaslischem  GcAvehe,  daß 
von  einer  Regeneration  nicht  die  Rede  sein  konnte.  Von  über¬ 
raschender  AATi'kung  Avar  das  Resultat  in  den  anderen  drei  Fällen. 
In  dem  einen  Falle  hatte  sich  trotz  vorausgegangener  Arsen¬ 
behandlung  das  Befinden  verschlechtert.  Erst  vom  Zeitpunkte 
der  Transfusion  trat  eine  subjektive  und  ohjektivm  Besserung^ 
ein  und  das  Blutbild  kehrte  langsam  zur  Norm  zurück.  Bei  den 
beiden  anderen  Ki'ankcn  lag  ein  so  schAverer  Zustand  vor,  daß 
man  an  die  Transfusion  als  ultimum  rufugium  ging.  Um  so  über¬ 
raschender  Avaroi  die  Residtate.  Die  günstige  AAUrkung  aauu'  nie 
im  unmittelharen  Anschlüsse  an  die  Transfusion  eingetreten. 
Immer  hat  es  drei  l)is  vier  Tage  gedauert,  bis  die  AA^endung  zum 
Besseren  sich  bemerkbar  machte.  In  zAvei  Fällen  kam  cs  unmittel¬ 
bar  nach  der  Transfusion  zU  recht  bedrohlichen  Erscheinungen, 
zu  Schüttclfröslen,  Dyspnoe,  Oedenien  und  Hämoglobinurie,  Avie 
sie  auch  von  anderen  Autoixm  heohachtet  Avurden,  aber  noch 
nie  zu  einer  Katastrophe  geführt  halien.  Bczüglicdi  der  Ursache 
der  AATrkung  geht  die  Ansicht  dahin,  daß  durch  das  transfundierte 
Blut  das  Knochenmark  in  einen  Reizzustand  versetzt  und  zu 
vermehrter  Produktion  angeregt  Avird.  Car  not  hat  sich  mit  der 
Lösung  dieser  Frage  beschäftigt.  Er  machte  Kaninchen  durch 
Aderlässe  anämisch  und  spritzte  das  Serum  dieser  Tiere  anderen 
ein.  Der  Erfolg  Avar  eine  starke  ATrmehrung  der  Erythrozyteji 
des  normalen  Tieres,  oft  von  fünf  auf  elf  Alillionen  Eryllu'o- 
tlirozyten,  die  mehrere  AA^ochen  anhiclt.  Carnot  nimmt  an,  daß 
in  dem  Serum  anämischer  Tiere  Suhstaiizen  vorhanden  sind, 
die  er  „Hämopoetine“  nennt;  diese  Körper  sollen  das  Knochen¬ 
mark  zu  Amrmehrler  Prod'uklion  anreizen.  ATrf.  kommt  durch 
seine  klinisclien  Beohachtungen  zu  dem  Schlüsse,  daß  es  Fälle 
von  Anämie  gibt,  in  denen  ein  noch  reaktionsfähiges  und  funk¬ 
tionell  klüftiges  Knochenmark  Aveder  auf  den  Reiz  des  eigenen 
anämischen  Blutes,  ■  noch  auf  Arsenzufuhr  reagiert,  durch  eine 
Transfusion  und  Zufuhr  fremden  Blutes  aher  zu  einer  kräftigen 
Bluthildung  Avieder  angeregt  Averden  kann.  Aus  diesen  Gründen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


möchte  Verf.  der  Bluttransfusion  in  der  Behandlung  schwerer 
Anämien  doch  wieder  eine  weiiei’e  Verbreitung  wünschen.  — 

(Münchener  mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  16.)  Cr. 

* 

283.  (Aus  der  königl.  chir.  Univmrsitätskliuik  zu  Greifs¬ 
wald:  Vorstand  Prof.  Friedrich.)  Beitrag  zur  Resektion 
der  B r u s t w a  11  d,  mit  Plastik  auf  die  f  r e i g e  1  e g  t e  Lunge. 
Von  Priv.-Doz.  Rr.  T.  Sa'uerhruch,  1.  Assistenten.  Sauer- 
hrucli,  der  bereits  mehrere  Brustwandreseklionen  mit  Eröffnung 
der  Brusthöhle  unter  Unterdrück  in  seiner  pneumatischen 
Operationskammer  mit  Erfolg  ausgePülirt  hatte,  berichtet  neuer¬ 
dings  über  zwei  diesbezügliche  Fälle,  in  denen  durch  Verhütung 
eines  Pneumothorax  die  Infektionsgefahr  im  Innern  der-  Pleura¬ 
höhle  wesentlich  herabgesetzt  und  damit  die  Möglichkeit,  die 
freigelegte  Lunge  durch  eine  Plastik  unter  reaktionslosem  Ver¬ 
laufe  zu  decken,  gegeben  war.  Vorziehen  der  Lunge  und  Pueumo- 
pexie  oder  Tamponade,  womit  man  bisher  die  akute  Pneumo¬ 
thoraxgefahr  auszuschalten  suchte,  scheinen  dem  Autor  nicht  ge¬ 
nügend,  um  die  Folgen  der  Störung  der  physiologischen  Ver¬ 
hältnisse,  deren  gefährlichste  die  Infektion  ist,  hinreichend  zu  ver¬ 
hindern.  Das  Fortbestehen  der  physiologischen  Verhältnisse,  wie 
dies  das  Operieren  unter  Unterdrück  in  der  Kammer  ermöglicht, 
erscheint  auch  in  der  Pleurahöhle  der  beste  Schutz  gegen  die 
Infektion  zu  sein.  Für  den  plastischen  Verschlußi  großer  Brust- 
wanddefektc  ist  ferner  von  großem  Vorteile,  daß  die  aufgeblähte, 
in  ihrer  physiologischen  Lage  bleibende  Lunge,  eine  gute  Stütze 
und  Unterlage  für  Weichteillappen  bildet.  In  beiden  mitgeteilteii 
Fällen,  die  nach  den  Insherigen  Anschauungen  als  inoperabel 
gallon,  handelte  es  sich  einmal  Um  einen  primären,  mit  den  Rippen 
venvachsenen  Mamma  tumor,  das  andere  Mal  um  ein  lokales  Rezi¬ 
div  nach  Mammaamputation.  Der  erste  Fall  verlief  zwar  in  bezug 
auf  die  Wundverhältnisse  reaktionslos,  die  Patientin  gitig  aber 
nach  SVs  IMonaten  an  den  Folgen  der  Metastasen  zugrunde.  Bei 
dem  zweiten  Falle  bestand  ein  lokales  Narbenrezidiv  nach  Mamma¬ 
amputation,  ohne  Beteiligung  der  Drüsen  und  ohne  anderweitige 
Äletastasen.  Unter  Benützung  der  Kannner  entfernte  Sauer¬ 
bruch  die  vordere  rechte  Brustwand  in  einem  Umfange  von 
30  cm  Länge  und  20  cm  Breite  (drei  Rippen  je  18  cm  lang,  mit 
den  entsprechenden  Teilen  des  Sternums  in  einer  Länge  von  10  cm 
und  2  cm  Breite);  Entfernung  der  Pleura  in  der  Ausdehuung 
des  Brustwanddefektes,  so  daß  die  Lungenoberfläche  frei  lag. 
Der  große  Defekt  wurde  durch  Verlagerung  der  linken  gesumlen 
Mamma,  die  nach  Umschneidung  der  Haut  stumpf  von  der  Faszie 
des  Musculus  pectoralis  abgelöist  worden  war,  gedeckt;  dieser 
Hautdefekt  konnte  durch  Zusammen  ziehen  der  Hautränder  ver¬ 
sorgt  werden.  Bezüglich  der  Technik  der  Methode  ist  ein  luft¬ 
dichter  Abschluß  durch  Fixation  des  Lappens  von  prinzipieller 
Bedeutung.  Unter  einem  Unterdrücke  von  anfangs  ca.  12  mm 
Quecksilber,  der  während  der  Fixation  auf  8  bis  9  mm  Queck¬ 
silber  herabgesetzt  wird,  wird  eine  doppelte  Nahtreihe  angelegt: 
1.  eine  enganzulegende,  ver.senkte  Knopfnaht,  welche  die  Uuter- 
f lache  des  Lappeiirandes  ohne  die  Kulis  und  den  Rand  des  Thorax- 
defektes,  Pleura,  Periost,  bzAv.  Interkostalmuskulatur,  aber  nicht 
die  Lunge  faßt;  2.  darüber  die  eigentliche  Hautnaht,  ebenfalls 
sehr  sorgfältig  und  dicht  anzulegen.  Die  Heilung  verlief  ohne 
Störung,  die  Patientin  nahm  an  Gewicht  zu  und  erholte  sich 
sichtlich  und  ist  ca.  sechs  Monate  nach'  der  Operation  noch 
rezidivfrei.  Durch  Herabsetzung  der  Gefahren  scheinen  die  Indi- 
kationsgreuzen  für  derartige  Operationen  beträchtlich  erweitert, 
so  daß  man  bei  Mammakarzinomen  gelegentlich  noch  eine  Radikal¬ 
operation  versuchen  kann,  wenn  der  Tumor  mit  der  Brustwand 
vei'wachseii  ist,  Fälle,  die  bisher  als  inoperabel  galten.  —  (Deutsche 
Zeitschrift  für  Chirurgie  1907,  Bd.  86,  H.  2  bis  4.)  F.  H. 

* 

284.  Thymus  und  Narkose  Io  d.  Von  A.  Lapointe, 
ln  der  Literatur  findet  sicli  bereits  eine  größere  Anzahl  vou 
^lilteilungen  über  Todesfälle  in  und  umnillelbar  nach  der  Nar¬ 
kose  bei  Thymushyperlropbie  und  Status  lymphaticus,  zu  welchen 
der  Verfasser  zwei  Fälle  eigener  Beobachtung  hinzufügt,  avo- 
durch  die  Zahl  der  bisher  mitgeteilten  Beobacblungen  auf  33 
sich  erhöht.  Der  vorlHuaschende  Befund  isl  die  llyiiertrophie 
d(>r  Thymus,  deren  Rückbildung  unter  physiologischen  Verhält¬ 
nissen  bereits  im  ZAveiten  Lebensjahr  beginnt  und  zwischen  15 


bis  25  Jahren  abschließt.  Sjmren  der  Thymus  lassen  sich  allerdings 
noch  bis  in  das  höchste  Aller  naclnveisen.  Während  das  Thymus- 
gCAvicht  nach  Abschluß  der  retrograden  Metamorphose  3  g  be- 
Irägt,  wurde  bei  den  Fällen  von  Thymushypertrophie  ein  GeAvicht 
von  22  bis  55  g  beobachtet.  Trotz  der  Volumszunahme  der  Thymus 
AvUrdo  in  den  Fällen  von  Narkoselod  niemals  eine  Kompression 
des  Bronchialbaumes  oder  des  Perikards  nachgoAviesen.  Die 
histologische  Untersuchung  der  hypertroi)hischen  Thymus  ergab 
reichliches  adenoides  Gewebe  Und  zahlreiche  Leukozylen.  Die 
Thymushypertrophie  stellt  eine  Teiler.scheinmig  des  Status  lym- 
phalicus  dar,  AA'elcher  durch  Hypertrophie  der  Milz,  der  Lymph- 
drüsen,  sowie  überhaupt  des  adenoiden  Gewebes  gekennzeichnet 
ist.  Bei  den  zAvei  vom  Verf.  mitgeteilten  Fällen  Avurde  auch  eine 
Hypertrophie  der  Nebennieren  als  ein  bisher  bei  Status  lym- 
phalicus  noch  nicht  beobachteter  Befund  verzeichnet.  Manch¬ 
mal  nimml  auch  die  Schilddrüse  an  der  Hypertrophie  teil.  Bemer- 
kensAvert  ist  die  Aplasie  des  Herzens  und  der  Gefäße  bei  gleichzeitig 
■gut  entAvickeltem  Fettpolster.  Todesfälle  in  der  Narkose  bei  Sla- 
tus  lymphaticus  Avurden  soAvohl  bei  Chloroform-  als  bei  Aether- 
aiiAAmndun^  beobachtet,  Geschlecht  und  Alter  sind  nicht  von  Be¬ 
deutung.  Der  Tod  erfolgt  entAveder  Avährend  oder  bald  nach 
Abschluß  der  Narkose  unter  dem  Bild  der  Herzsynkope ;  durch  künst¬ 
liche  Atmung  kann  die  Respiration,  aber  nur  ganz  vorübergehend, 
in  Gang  gebracht  werden.  Zur  Erklärung  des  Narkosetodes  bei 
Persistenz  der  Thymus  sind  zahlreiche  Hypothesen  aufgestellt 
woj-den,  von  denen  keine  tatsächliche  Aufklärung  bringt,  so  daß 
nur  die  Tatsache  bestehen  bleibt,  daß  der  Status  lymphaticus  zu 
plötzlichem  Tod  in  oder  unmittelbar  nach  der  Narkose  prädispo¬ 
niert.  Man  soll  daher  vor  der  Einleitung  der  iNTu'kose  nach 
Zeichen  des  Status  lymphaticus  fabnden  und  es  muß  schon 
Hypertrophie  der  Follikel  an  der  Zungenba.siS  und  an  der  hinteren 
Rachenwand  als  suspekt  betrachtet  Averden.  Es  ist  dadurch  aller¬ 
dings  noch  keine  Koniraindikation  der  Narkose  gegeben,  wohl 
aber  die  Indikation,  die  gesteigerte  Erregbarkeit  des  Nerven¬ 
systems  durch  entsprechende  Maßnahmen  herabzusetzen.  Es  ist 
zu  erwarten,  daß  durch  Erzeugung  des  Skopolamin -Morphin- 
Dämmerschlafes  vor  der  Operation,  Avelcher  gestattel,  mit  gerin¬ 
geren  Mengen  der  Anästhetika,,  eventuell  mit  Sto\min  auszukom¬ 
men,  die  Zahl  der  plötzlichen  Todesfälle  in  der  Narkose  ein¬ 
geschränkt  Averden  dürfte.  —  (Progres  med.  1907,  Nr.  15.)  a.  e. 

* 

285.  (Aus  dem  physiologischen  Laboratorium  zu  Edinburgh.) 
U e b e r  die  Beziehungen  der  Diät  zur  Aktivität  de r 
Schilddrüse.  Von  A.  DingAvall-Fordyce.  89  Ratten  AAUirden 
in  der  AVeise  eingeteilt,  daß  je  eine  Anzahl  Ratten  folgende  Diät¬ 
formen  erhielt:  1.  Brot  Und  Milch,  2.  frische  Alilch,  3.  pasteurisierte 
Milch,  4.  30  Minuten  lang  gekoclite  Milch.  Es  Avurden  jedesmal 
eine  Gruppe  Ratten  desselben  Wurfes  auf  diese  vier  Diätformen 
verteilt.  Dazu  kamen  noch  fünf  Avilde  Ratten.  Die  Menge  der  auf- 
genommcneir  Nahrung  Avar  bei  den  Milchratten  eine  ziemlich 
gleichmäßige,  obgleich  die  Aufnahme  ad  libitum  erfolgte.  Die 
Ratten  befanden  sich  bis  zu  ihrer  Tötung  vollkommen  Avohl. 
Während  die  mit  den  drei  Formen  reiner  IMilchnahrung  gefütterten 
Ratten  untereinander  keine  Unterschiede  in  der  Gewichtszunahme 
zeigten,  Avar  letztere  gegenüber  der  GeAvichtszunahme  bei  den 
Milchbrotratten  geringer.  Bei  der  Obduktion  zeigte  sich  zunächst 
eine  viel  stärkere  Fettablagerung  bei  den  Milchbrotratten,  be¬ 
sonders  im  Bauchraume.  Folgende  Organe  wurden  histologisch 
untersucht :  Knochen,  Milz,  Leber,  Pankreas,  Nieren,  Nebennieren, 
Tbymus  und  Thyreoidea.  Von  all  diesen  Organen  zeigten  nur 
die  Schilddrüsen  Verscbiedejiheileu.  Die  Schilddrüsen  konnten 
nach  den  Vez'schiedeuheiten,  die  sie  untereinander  darhoten,  in 
folgende  Gruppen  eingeteilt  Averden:  a)  Schilddrüsen  von  Ratten, 
die  mit  <len  drei  Fonnen  reiner  Milchdiät  gefüttert  Avurden.  Die¬ 
selbe]!  zeigten  reichlichen  Kolloid gehalt,  Aveite  Drüsenlumina  und 
kleine  Grenzzellen  mit  tief  tingiertem  Kern.  Es  zeigte  sich  kein 
wesentlicher  Unterschied,  ob  die  Milch  roh,  gekocht  oder  pasteu¬ 
risiert  Avar,  b)  Schilddrüsen  der  Ratten,  die  mit  Milch  und  Brot 
gefüttert  Avorden  Avaren.  Hiej’  waren  die  Lumina  und  der  KoUoid- 
gehall  viel  geringer,  c)  Schilddrüsen  der  wilden  Batten.  Die 
Slruktur  dcvrselhmi  hielt  die  Mitte  ZAAÜschen  a)  und  b).  —  (Brilish 
niedical  Jouiaial  1907,  16.  März.)  J.  Sch. 

* 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


707 


286.  T  Li  bo  I'k  u  lc'.sc' h c  k  ä  ni  [)  f  u  11  g.  Vuii  E.  v.  J)<‘ li  i  i  ii  g. 
IJiu  nicnschlicliG  Säuglinge  gegen  die  Tulierkidosegel’alii;  zu 
scluitzen,  welclie  ihnen  in  erster  Linie  durch  Perlsuchtniilch  droht, 
wurde  das  sog.  J’erhydrasevert'aliren  (Ej'wärniung  der  Aliich  aut 
52“,  Zusalz  von  Wassers tofthyperoxyd)  einpl'olilen.  Für  Transport¬ 
zwecke  aPs  milclireiclien  Ländern  mag  dieses  Verfahren  annehmbar 
sein,  eine  ausschlaggehende  Rolle  wird  es  aber  kaum  spielen. 
Es  ist  auch  zu  teuer.  Durch  das  Kochen  wird  die  Milch  denaturiert, 
sowie  auch  gekochtes  Wasser  das  naturreine  niemals  ersetzen 
kann.  Ueherdies  bleibt  auch  in  shirk  gekochter  Milch  das  Tuber¬ 
kulose  gift  wirksam.  Das  beste  Vcrfalunn  ist  also,  alle  tuber¬ 
kulösen  und  tuberkuloseverdächligen  Kühe  vom  Milchgewinnuugs- 
belrieb  auszuschalten.  Dies  kann  in  zweifacher  Weise  geschehen. 
Einmal  werden  alle  zwei  bis  vier  Wochen  allen  Kälber  mit  Bovo- 
vakzin  präventiv  geimpft.  Bei  den  neugeborenen  Kälbern  kann 
man  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  die  tuberkulöse  Infektion  aus- 
schließen.  Zweitens  sollen  die  tuberkulös  infizierten  und  schon 
tuberkulösen  Rinder  mit  Tulaselaktin  behandelt  werden.  Bei  der 
„Bovovakzinalion“  werden  getrocknete  Tuberkellmzillen  zweimalig 
innerhalb  von  drei  Monaten  in  die  Biutbalm  eingespritzt.  Wie  lange 
und  in  welchem  Grade  dieser  Tuberkulosescbutz  andauert,  das 
werden  die  Erfahrungen  lehren,  welche  man '  in  aller  Flerren 
Ländern  bei  hovovakzinierten  Impflingen  im  Laufe  der  nächsten 
Jahre  machen  wird,  ln  Argentinien  wird  jetzt  nach  dieser  Richtung 
von  Prof.  Römer  ein  Experiment  im  großen  gemacht.  Behring 
teilt  das  bezügliche  Programm  mit  seinen  zahlreichen  Versuchs¬ 
reihen  ausführlich  mit.  Im  übrigen  ist  die  Bovovmkzination  jetzt 
schon  erprobt  und  bedürfte  keiner  wissenschaftlichen  Nachprüfung 
mehr.  Auch  die  kurative  Rindertuberkulosehekämpfung  soll  in  Ar¬ 
gentinien  von  Römer  überprüft  werden.  Das  hiezu  benützte 
Tulaselaktin  hat  sich  in  den  Älarburger  Versuchen  gut  he  vährt. 
Durch  Behandlung  von  Tuberkulosevirus  mit  Chloral  entsteht  die 
Tuberkulase  und  dieses  Präpaiat  ist  die  Muttersubstanz,  aus 
welcher  Behring  das  Tulaselaktin  gewinnt.  Es  heißt  so,  weil  es 
eine  milcharlige  Flüssigkeit  mit  reichlichem  Fettgehalt  ist.  ,,Mit 
dem  Tulaselaktin  sind  in  Tuberkuloseheilstätten  mehrere  hundert 
tuberkulöse  Menschen  behandelt  worden,  es  hat  sich  gezeigt, 
daß  im  großen  und  ganzen  die  tuberkulösen  Menschen  sich  gegen¬ 
über  dem  Tulaselaktin  ähnlich  verhalten  wie  die  größeren  Tier¬ 
arten.“  Bei  Tieren,  das  führt  Behring  aus,  verschwinden  unter 
dem  Einfluß  der  Tulaselaktinbehandlung  deren  tuberkulöse  Herd¬ 
erkrankungen,  je  nach  dem  Alter,  der  Größe  und  der  Zahl  der 
Tuberkeln  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit,  wobei  sich  außer¬ 
dem  in  deren  Organsäften  und  ira  Blute  anfduberkulöse  Heilkörper 
nachweisen  lassen.  Diese  antituberkulösen  Heilkörper  sind  von 
zweierlei  Art :  die  einen  lösen  die  Tuberkelbazillen  auf  (sie  ziehen 
die  Fettsubstanz  aus  der  Loibessubstanz  der  Bazillen),  die  anderen 
machen  das  in  den  Tuberkelbazillen  aufgespeicherle  Gift  unschäd¬ 
lich.  Das  Präparat  heißt:  ,,Antitulase“.  Diese  Antitulase  geht  in 
die  Milch  und  mit  der  Milch  hochimmunisierter  Kühe  auf  die 
neugeborenen  Kälber  über.  Wenn  auch  nicht  immun,  so  sind  diese 
neugeborenen  Kälber  gegen  die  tuberkulöse  Infektion  schon  ge¬ 
schützter.  In  ähnlicher  Weise  könnte  man  also,  da  die  Tulaselaktin¬ 
behandlung  menschlicher  Patienten  schon  eingeführt  ist,  die  Kinder 
schon  im  IMutterleibe  und  später  durch  die  heilsame  Muttermilch 
gegen  Tuberkulose  immun  machen.  Doch  all  dies  ist  noch  ein 
Zukunflsprogramm.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart,  April  1907.) 

E.  F. 

♦ 

287.  (Aus  dem  städtischen  Kraiikenhause  zu  Rixdorf-Berlin.) 
Erfahrungen  über  Rektoskopie.  Von  Prof.  G.  Suit  a  n. 
Verf.  berichtet  über  eine  Reihe  mit  dem  Rektoskop  ausgefübrter 
Untersuchungen,  bei  welchen  sowohl  per  rectum  wie  von  einem 
Anus  praeternaturalis  aus  Neoplasmen  und  ulzeröse  Prozesse  in 
einwandfreier  Weise  diagnostiziert  wurden.  Trotz  der  verhältnis¬ 
mäßig  einfachen  und  da  man  jueist  unter  Leitung  des  Auges 
arbeiten  kann,  mit  der  größten  \Wrsicht  ausfübrbaren  iechnik, 
ist  das  Verfahren  kein  absolut  ungefährlicher  Eingriff.  Der  Aiitor 
berichtet  hiefür  einen  diesbezüglichen  Fall  seiner  Praxis.  Eine 
53jährige  Frau,  welche  seit  IVocben  unter  Gewichtsabnahme  und 
Abgang  von  Schleim  an  krampfartigen  Leihschmerzen  litt  und  Irei 
welcher  von  dei'  Mitte  des  Querkolons  gegen  die  IHexura  sig- 
moidea  zu,  wulstige,  empfindliche  Resistenzen  palpiert  werden 


konnten,  wurde  in  der  Annahme  eines  Tumors  in  der  üblichen 
Weise  rektoskupierl.  Nach  glatter  Einführung  des  Tubus  bis  in 
eine  Tiefe  von  20  cm  wurde  behufs  weiterer  Entfaltung  des  Darmes 
etwas  Luft  eingeblasen;  plötzlich  klagte  Fat.  über  einen  heftigen 
Schmerz  und  gleichzeitig  sah  man  im  rektoskopischen  Bilde  deut¬ 
lich  Darmserosa;  ,,!es  war  also  eine  Perforation  erfolgt“.  Trotz 
sofortiger  Laiiarotomie,  welche  die  Perforation  bestätigte  und  im 
kleinen  Becken  ein  etwa  kirschgroßes  Kotpartikel  ergab,  ging  Pat., 
hei' der  anfangs  iieritoneale  Erscheinungen  bestanden,  nach  sieben 
Wochen  an  septischen  Erscheinungen  zugrunde.  Die  Sektion  er¬ 
gab  in  der  Tiefe  des  Abdomens  einen  abgekapseiten,  hühnerei- 
großeii  Abszeß;  kein  Darmtunior,  atro|)hisches  Herz.  ,,Es  handelte 
sich  hier  um  einen  Fall  von  chronischem  Dickdarmkatarrb,  init 
reichliclier  Schleimabsonderung,  bei  dem  dureb  die  spastischen 
Kontraktionen  der  Darmwand  ein  Tumor  vorgetäuscht  worden 
war.  Die  Einblasung  von  Luft  durch  das  20  cm  weit  eingefübrte 
Rektoskop  hatte  genügt,  die  erkrankte  Darmwand  zur  Perforation 
zu  bringen.  Infolge  dieser  Beobachtung  rät  Verf.,  das  Rektoskop, 
wiewohl  es  wie  keine  andere  Methode  in  ähnlicher  Weise  ein- 
wiuidfrei  Aufschluß  über  krankhafte  Veränderungen  der  Flexur 
und  des  Rektums  ergild,  nur  mit  dem  Bewußtsein,  daß  es  ein 
gefährliches  Werkzeug  ist,  zu  gebrauchen.  Vor  allem  aber  sind 
anämische,  elende  und  schlaffe  Kranke,  bei  denen 
ausgedehnte  entzündliche  Veränderungen  der  Darm¬ 
wand  vermntet  werden,  von  der  Rektoskopie  aus- 
zu sch  ließen.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie  1907,  Bd.  86, 
H.  5  bis  6.)  F- 

288.  lieber  schmerzhafte  peritoneale  Adhä¬ 
sionen.  Von  H.  Violet  in  Lyon.  Die  peritonealen  Adhäsionen, 
welche  als  Residuen  einer  früher  durchgemachten  Peritonitis  Zu¬ 
rückbleiben,  können  später  eine  klirnsch  selbständige  Erkrankung 
darstellen,  die  sich  in  Form  einer  akuten  oder  cbronischen  Darm¬ 
okklusion,  Dyspepsie  oder  Schmerzen  kundgibt.  Es  besteht  oft 
ein  derartiger  Gegensatz  zwischen  den  subjektiven  Beschwerden 
und  dem  objektiven  Befunde  der  Untersuchung  des  Abdomens, 
daß  man  die  Kranken  als  Neurotiker  zu  betrachten  geneigt  wird. 
Wäbrend  sich  ■  in  einer  Reihe  von  Fällen  die  vorangegangene 
Affektion  des  Peritoneums  mit  Sicherheit  nachweisen  läßt,  gibt 
es  Fälle,  wo  die  vorangegangene  Peritonealerkrankung  latent  oder 
unter,  ganz  geringfügigen  Beschwerden  verlaufen  ist,  so  daß'  die 
Anamnese  keinen  Aufschluß  gewährt.  In  diesen  Fällen  gibt  manch¬ 
mal  erst  die  wegen  der  heftigen  Beschwerden  und  wegen  Ab¬ 
magerung  vorgenommene  exploratorische  Laparotomie  Aufschluß. 
In  dem  vom  Verfasser  mitgeteilten  Falle,  eine  23jährige  Patientin 
betreffend,  welche  an  permanenten,  durch  die  Nahrungsaufnahme 
noch  gesteigerten  Schmerzen  im  Abdomen,  Nausea  und  Erbrechen 
litt,  deren  Ernälirungszusland  infolge  der  minimalen  Nahrungs¬ 
aufnahme  hochgradig  be'einträchtigt  war,  fanden  sich  peritoneale 
Adhäsionen  in  der  Nabelgegend,  nach  deren  Durchtiennung  und 
gleichzeitiger  Fixation  des  retrovertierten  Uterus  vollständige 
Heilung  erfolgte.  Nachträglich  wurde  in  Erfahrung  gebracht,  daß 
die  Patientin  vor  dem  Auftreten  der  Beschwerden  ein  Trauma 
der  Bauchwand  erlitten  hatte,  welches  im  weiteren  Verlaufe  zu 
Adhäsionen  des  Netzes  in  der  Nabelgegend  fülirte.  Die  Schmerz¬ 
haftigkeit  der  peritonealen  Adhäsionen  ist  einerseits  auf  eine 
gesteigerte  Irritabilität  des  Gesamtnervensyistems,  anderseits  auf 
mechanische  Vorgänge :  Dehnung,  Zerrung  oder  Torsion  der 
Stränge  zurückzuführ'en.  Massige,  feste  Adhäsionen  sind  oft  voll¬ 
ständig  schmerzlos,  während  dünne,  bewegliche  Stränge  durch 
die  Bewegungen  des  Darmes  gezerrt  werden  und  wenn  sie  an 
beiden  Enden  fixiert  sind,  auch  eine  Torsion  erleiden  können. 
Auch  kongestive  Zustände  ini  Anschluss'e  an  die  Nahrungsauf¬ 
nahme  oder  wäbrend  der  Menstruation  können  die  Schmelzen 
steigern.  Die  Behandlung  der  parietalen  Netzadhäsionen  besteht 
in  Freimachung  mit  oder  ohne  Resektion  tier  epiploilischen 
Schwielen.  Ist  die  nach  der  Freimachung  oder  Resektion  ent¬ 
stehende  Fläche  nicht  zu  sehr  vom  Peritoneum  entblößt,  so 
genügt  vullständige  Blutstillung,  da  man  auf  die  voiieinandei 
unabhängige  Mohilisierung  der  freigemachten  Flächen  und  somit 
auf  das  Ausbleiben  von  Rezidiven  rechnen  darf.  Ist  die  frei¬ 
gemachte  Fläche  sehr  blutig,  so  empfiehlt  es  sich,  den  korre¬ 
spondierenden  Teil  des  Peritoneum  parietale  nach  Moliilisieiung 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


des  suljseröson  Plaiiuins  zu  resezieren.  —  (Gaz.  des  hop.  1!)07, 

.\r.  45.)  a.  o. 

* 

289.  Geber  Heil  ung  eines  1  an  g d a  u  e r n d  e n  Falles 
von  Lupus  vulgaris  durch  .1  o  d  of  o  r  ini  n  j  ek  t  i  o  ne  n.  Von 
Tlionias  W.  Dewar  (Dunhlane).  Es  handelle  sich  um,  eine 
29jälirige  Palienfin,  <lie  seit  14  Jahren  an  Lupus  lift.  Sie  war 
lange  Zeil  mit  allen  inöglichen  Älitleln  hehandelt  worden,  zidelzl 
durch  eiji  Jahr  ndltels  Finsenlicht.  Als  Verf.  sie  ein  Jahr  )ia.ch 
Deendigung  der  Lichltherapie,  die  ein  Jahr  lang  gedauert  hatte', 
in  Behandlung  nahm,  zeigle  die  Patientin  einen  ziemlich  schlechten 
Allgemeinzusland,  sie  hustete  ein  Avenig,  ohne  daß  sich  auf  ikm 
Lungen  etwas  nachweisen  ließ.  Ausgedehnter  Lupus  beider  Ge- 
sichlsbälflen,  auf  die  Nachbargebiete  des  Gesichtes  übergreifend. 
Die  Behandlung  begann  mit  roborierender  Diät.  Hierauf  wurden 
die  Krusten  mechanisch  entfernt.  Die  lokale  Behandlung  bestand  im 
Wesen  darin,  daß  mit  Wasserstoffhyperoxydlösung  (lOk'o)  getränkte 
Baumwollfäden  auf  die  Ges(diwüre  gelegt  und  daselbst  fixiert 
wurden.  Außerdem  wurde  jeden  zweiten  Tag  eine  Injektion  von 
Jodoform  (in  Aellier  und  Paraffinum  liquidum  gelöst)  itdravenös 
g(‘macht.  Eine  diagnostische  Injektion  von  Kochs  Alttuberkulin 
ergab  eine  starke  Reaktion.  Die  Heilung  erfolgte  nach  einer 
Behandlungsdauer  von  40  Tagen.  —  (British  medical  Journal 

1907,  30.  März.)  J.  Sch. 

* 

290.  Experimentelle  Untersuchungen  über  den 

Dialjetes.  Von  G.  Zuelzer  in  Berlin.  Subkutane  oder  intra¬ 
venöse  Injeklion  von  Nebennierensaft  ruft  bei  den  verschiedensten 
Tieren  Glykosui’ie  hervor,  die  48  bis  74  Stunden  anhalten  kann 
(F.  Blum).  Es  besteht  gleichzeitig  eine  Hyperglykämie  (Zuelzer, 
Metzger);  es  handelt  sich  hier  also  um  einen  Nierendiahetes. 
der  dem  richtigen  Diabetes  ähnelt,  nur  kurze  Zeit  besteht  und 
k(dne  Tendenz  zum  Fortschreiten  hat.  Verf.  untersuchte  nun, 
welchen  Einflußi  ein  solcher  Nehennierendiabetes  auf  die  Ijober 
habe.  Er  machte  Durchblutungsversuche  mit  normalem  defihri- 
nierten  Hundeblut,  dem  bestimmte  Mengen  Traubenzucker  zu- 
geselzt  waren.  In  vier  Durchblutungsversuchen  von  Lebern -nor¬ 
maler,  durch  Verbluten  getöteter  Hunde  wurde  eine  Zucker¬ 
zunahme  von  8-5,  10,  15  und  15%  gefunden,  während  die  Btut- 
zuckerzunahme  hei  Hunden,  die  auf  der  Höhe  der  Nehennieren- 
sa.ft(Adrenalin)wii'kung,  d.  i.  der  Hyperglykämie  standen,  in.  zwei 
Fällen  50,  resp.  113%  betrug.  Die  Durchblutung  wurde  mit 
fremdem,  normalen  Hundeblut  vorgenominen.  Nun  wurden  Amr- 
gleichs weise  Lebern  von  Hunden  durchblutet,  die  ebenfalls,  aber 
auf  andere  Weise  (Pankreasexstirpation  nach  Minkowski)  diabe¬ 
tisch  gemacht  Avorden  Avaren.  Zuelzer  fand  hier  eine  Blutzucker¬ 
vermehrung  von  je  27,  31  und  66%.  Daraus  ließ  sich  der  Schluß 
zicdien,  daß  durch  die  Panki-easexslirpation  und  durch  die  sub¬ 
kutane  Einverleihung  von  Nehennierensaft  ,, gewisse  gleichsinnige 
Aemleningen  im  Verhalten  der  Leher“  hervorgerufen  AAmrden. 
Weitere  Versuche  lehrten,  daß,  AAmnn  man  gleichzeitig  künst¬ 
lichen  Nehenniejxnisaft  (Adrenalin)  und  künstlichen  Pankreassaft 
injizierte,  die  Glykosurie  fehlte.  Diese  Versuche  Avurden  un¬ 
gezählte  Male  und  in  den  verschiedensten  Variationen  (vor¬ 
hergehende  Pankreassaflinjektion  mit  nachfolgender  Adrenalin¬ 
injektion;  suhkutane  Pankreassaftinjektion  und  gleichzeitige  rektale 
.\dr(malininjeklion)  wiederholt;  stets  blieb  die  Glykosurie  aus. 
Endlich  zeigte  es  sich,  daß  die  gleichzeitige  Herausnahme  des 
Paidireas  und  die  Unlei'hindung  der  hpiden  Nebennierenvenen 
(eine  eingreifende  Oi)eralioti,  AA'elche  die  operierten  Hunde  nicht 
lange'  üherlehen)  die  Folge  hat,  daß  keine  oder  Avenigstens  keine 
beträchtliche  Glykosurie  auftritt.  Damit  istZuelzers  Annahme, 
daß  das  Sekret  tier  Nehenniere  normalerweise  durch  das  Sekret 
des  Pankreas  neutralisiert  Avird,  daß  also  der  von  Minkowski 
(‘iildt'cktc  Pankreasdiabetes  einen  Nebennierendiabetes  darstelle, 
gt'rechlfertigt.  W’eitere  Versuche  sollen  die  volle  Berechligmig 
dieser  Hypothese  eiAveisen.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift 
1907,  Nr.  16.)  E.  F. 

* 

291.  .\sei)lische  Darmnahl.  Von  Prof.  M.  Jw.  BostoAV- 
zeAv  in  Jurjew  (Dorpat).  Verf.  empfiehlt  ans  dem  Bestreben, 
die  Infektion  des  Peritoneums  bei  Eröffnung  des  Magen'larm- 
luinens  vor  der  Vereinigung  der  Lumina  zu  verhüten,  eine  Naht- 


niethode,  bei  welcher  zuerst  die  Nabt  und  dann  erst  das  Lumen 
eröffnet  Avird.  Bei  Darmresektion  mit  zirkulärer  Naht  Avird  au 
der  Grenze  des  zu  resezierenden  Darmteiles  ein  Enterotrib  uiul 
dicht  daneben  eine  Darmklemme  angelegt,  sodann  Avird  der  Darm 
zAvischen  Enterotrib  und  Klemme  mit  dem  Thermokauter  Pa- 
quelins  durchtrennt  und  mit  diesem  üher  die  Vorderfläche 
des  am  Darm  liegenden  Enterotrih  gestrichen  und  dessen  Branchen 
erhitzt,  so  daß  der  in  dem  Enterotrih  eingeklemmte  Darmleil 
verkocht;  nach  Entfernung  des  Enterotribs  bleibt  ein  gekräu¬ 
selter,  durchsichtiger  Saum  erhallen  .und  erscheinen  die  einge¬ 
klemmten  Darmteile  untereinander  derart  verklebt,  daß  ein  ge¬ 
nügend  fester  Verschluß  des  Lumens  besteht.  In  gleicher  Weise 
wird,  nachdem  das  Mesenterium  mit  Ligalureii  in  gewöhnlicher 
Weise  versorgt  ist  und  das  zu  resezierende  Darmslück  abgetrennt 
ist,  mit  dem  ZAAreilen  Darndumen  verfahren.  Dann  Averden  die 
verklebten  Lumina  genähert  und  mit  durch  Serosa  und  Musku¬ 
laris  gelegten  Seideidviiopfnähten  (zirka  neun  für  jede  Zirkum- 
ferenzhälfte)  miteinander  Arereinigt.  Die  durcli  die  Verklebungen 
bisher  geschlossenen  Darmlumina  Averden  sodann  durch  Ziehen 
und  Zerren  der  Seidenfäden  durchgängig  gemacht,  Avobei  man 
mit  dem  Finger  durch  Einstülpen  der  DarniAvand  nachhelfen  kann. 
Zum  Schlüsse  folgt  eine  fortlaufende  Serosaübernähung.  Nach 
diesem  Prinzipe  hat  der  Autor  eine  Reihe  für  alle  üblichen 
Magendarmkanalanastomosen  aiiAvendbare  vereinfachte  Modifika¬ 
tionen  ausgearheitet  und  hiezu  einen  eigenen  Enterotrib 
und  besondere  Klemmen  für  die  Mesenteriumligatur  ersonnen,  bei 
deren  AiiAvendung  die  Gefahr  der  vorzeitigen  Lösung  der  Ver¬ 
klebungen  erheblich  Arerringert  wird.  Bezüglich  der  Teclmik,  die 
genau  beschrieben  und  durch  gute  Abbildungen  vortrefflich  er¬ 
läutert  ist,  muß  auf  das  Original  veiaviesen  Averden.  Verfasser 
glaubt  durch  seine  Nahtmelhode,  AArenn  deren  im  allgemeinen 
sehr  einfache  Technik  vollkommen  beherrscht  Avird,  die  Möglich¬ 
keit  einer  vorzeitigen  Eröffnung,  d.  h.  die  Aufhebung  der 
Asepsis  Avährend  der  Opera  tion,  entschieden  ausschließen 
zu  können,  ferner  Avird  die  Operationsdauer  bedeutend, 
besonders  durch  die  vereinfachte  Mesenterialligatur  abgekürzt 
und  eine  einAvandf reie  Sterilität  der  Operationsverhält¬ 
nisse  bei  allen  Modifikationen  geschaffen.  —  (iVrehiv  für  klini¬ 
sche  Chirurgie  1907,  Bd.  82,  H.  2.)  F.  H. 

292.  Ueber  den  relativ  geringen  Wert  der  Magen¬ 
saftanalyse  als  diagnostisches  Hilfsmittel.  Von 
L.  Pr  on  in  Algier.  Nach  der  herrschenden  Ansicht  ist  die  Unter¬ 
suchung  des  Magensaftes  die  Avichligste  Grundlage  der  Diagnose 
der  Magenkrankheiten,  doch  sprechen  verschiedene  Gründe  gegen 
diese  Ansicht.  Es  fehlt  vor  allem  die  für  die  Wertung  patho¬ 
logischer  Befunde  erforderliche  Basis,  da  die  Angaben  über  die 
normale  Zusammensetzung  AAreit  differieren  und  für  die  Gesamt- 
azidität  Werte  zwischen  1  bis  bVoo  als  normal  angegeben  Averden; 
auch  über  die  Wichtigkeit  der  Verhältnisse  zAvischen  freier  und  ge¬ 
bundener  Salzsäure  besieht  eine  Differenz  der  Anschauungen.  Bei 
gesunden  Individuen  sclnvankt  die  Zusammensetzung  des  Magen¬ 
saftes  und  auch  der  Salzsäuregehalt  je  nach  der  Nahrung,  und 
es  ist  der  IMagensaft  eines  Menschen,  der  reichlich  Fleisch  genießt, 
viel  reicher  an  Salzsäure  und  Pepsin,  als  hei  vorAviegender  Pflan¬ 
zenkost.  Vom  theoretischen  Mittelwert  ausgehend,  Avürde  man  im 
ersten  Falle  von  Hyperchlorhydrie,  im  letzteren  Falle  von  Hypo- 
chlorhydrie  sprechen,  Avährend  tatsäcldich  normales  Verhalten 
besteht  und  ein  Versuch  der  Korrektur  der  vermeintlichen  Stö¬ 
rung  schädlich  Aväre.  Bei  gesunden  Individuen  Avird  die  Zu¬ 
sammensei  zung  des  Magensaftes  nicht  nur  durch  die  Art  dej' 
Ernährung,  sondern  auch  durch  körperliche  Anstrengung,  psy¬ 
chische  Emotionen  und  sonstige  Faktoren  beeinflußt.  Noch  deut¬ 
licher  treten  solche  Sclnvankungen  in  der  Beschaffenheit  des 
Magensafels  bei  neurasthenisch  -  dyspeptischen  Personen  zuhige, 
Avo  z.  B.  eine  psychische  Emotion  eine  AAresentliche  Steigerung  der 
Hyperazidität  im  Gefolge  haben  kann.  Die  sogenannte  Probemahl¬ 
zeit  entspricht  in  keiner  Weise  den  natürlichen  Verhältnissen, 
da  200  g  Tee  und  50  g  altgebackenes  Weißbrot  nicht  eine  Magen¬ 
sekretion  von  jeiK'r  Qualität,  aaüc  z.  B.  nach  Aufnahme  von 
Bouillon  und  Fleisch  hervorrufen.  Der  nach  dieser  Prohemahl- 
zeit  produzierte  Magensaft  kann  z.  B.  hei  einem  Vegetarianer 
der  sonstigen  Beschaffenheit  des  Magensaftes  entsprechen,  gibt 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


709 


aber  l)ei  eiiicni  Fleiscliesser  kein  Bild  der  gewöhn li(dieii  Bo- 
sclial'l'enheit  des  Magensaftes.  Die  Vei'gleieluing  der  Besullale 
wird  auch  dadurch  erschwert,  daßi  keine  einheitliclie  Broheniahl- 
zeit,  adoptiert  ist,  sondern  verschiedene  Beohachter  auch  ver¬ 
schiedene  Proheinahlzeiten  anwenden.  Es  gil)t  auch  Kranke,  hei 
denen  Ilyperazidität  und  llypazidität  in  kurzen  Intervallen  ah- 
wechseln,  so  daß  die  einmalige  Untersuchung  des  Magensaftes 
zu  Fehldiagnosen  führt.  Auch  hezüglicti  der  besten  Metluxh' 
der  Magcnsaftuntersuclmng  besteht  keine  Ifehercinstimmung  und 
es  bieten  die  gebräuchlichen  Methoden  verschiedene  Fehler([uellen. 
Für  die  Diagnose  ist  die  klinische  Untersuchung  des  Falles  ma߬ 
gebend,  die  Analyse  des  Magensafles  kann  nur  zur  Kontrolle 
verwendet  werden  und  steht  jedenfalls  in  zweiter  Beihe.  (Journ. 
de  Brat.  1907,  Nr.  16.)  a.  e. 

293.  Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Univcrsilät  in  Uraz 
(Dircklor :  Prof.  Dr.  Lorenz).  U  e  h  e  r  Ikterus  hei  C  hole- 
zystitis.  Von  Dr.  Hans  Eppinger,  klin.  Assistent.  Auf  Grund 
der  Beohachlung  einer  an  Cholezystitis  erkrankten  und  des  Sek- 
tionsergehnisses  der  plötzlich  verstorbenen  Frau,  ferner  auf  Grund 
zweier  Tierversuche  gelangt  der  Verf.  zur  Ansicht,  daß  es  hei 
akuten  Cholezystitisanfällen,  die  sich  speziell  nur  auf  die  Gallen- 
hlasenerkrankuiig  allein  zurückführen  lassen,  zu  einem  ganz 
leichten,  ziemlich  rasch  einsetzenden  Ikterus  kommen  kann, 
namentlich  wenn  es  sich  um  die  erste  Attacke  überhaupt  gehandelt 
hat.  Im  vorliegenden  Falle  konnte  weder  anatomisch,  noch  histo¬ 
logisch  ein  Anhaltspunkt  für  das  mechanische  Entstehen  der 
leichten  Gelbsucht  gefunden  werden;  wohl  jedoch  zeigte  die 
Gallenhlasenschleimhaut  solche  Veränderungen,  die  die  Möglich¬ 
keit  nicht  ausschließion,  daß  Gallenfarhstoff  direkt  aus 
der  Gallenblase  in  das  Blut  gelangen  kann.  (Die  Wan¬ 
dung  der  Gallenblase  war  etwas  verdickt,  besonders  die  Schleim¬ 
haut;  an  mehreren  Stellen  Schleimhautdefekte ;  an  einer  Stelle 
reichte  das  Geschwür  etwas  tiefer  in  die  Muskulatur.  In  der  Gallen¬ 
blase  noch  galliger,  mit  Eiter  und  Blut  untermengter  Inhalt;  die 
übrigen  Gallenwege  vollkommen  frei,  das  Leherparenchym  zeigte 
normale  Struktur.)  Nachdem  auch  in  dem  Sinne  angestellte  Ex¬ 
perimente  zeigten,  daß  speziell  nur  die  geschädigte  Gallenhlasen¬ 
schleimhaut  für  den  Farbstoff  durchgängig  ist,  wird  man  hei  Be¬ 
urteilung  leichter  Ikterusfälle,  insbesondere  heim  akuten  Gallen¬ 
sleinanfall,  mit  der  Möglichkeit  des  Entstehens  der  Gelbsucht  durch 
das  llineingelangen  von  Gallenfarhstoff  aus  der  Gallenblase  in 
das  Gefäßsystem  rechnen  können.  —  (Deutsche  medizinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  16.)  E.  F. 


Therapeufcisehe  l'lofcizen. 

Odontalgie.  Von  Doz.  H.  N  a  e  g  e  1  i  -  Akerhlom.  .leder 
praktische  Arzt  kommt  mitunter  in  den  Fall,  Patienten  zu  be¬ 
handeln,  welche  an  Zahnschmerzen  infolge  kariöser  Zähne  oder 
Zahnwurzeln  leiden,  jedoch  gegen  Extraktion  usw.  protestieren. 
Als  ausgezeichnetes  Mittel  hat  Verf.  folgende  Mischung  erprobt : 
Bp.  Cocaini  muriat..  Acid,  carbolic,  liquefacti  ana  UO,  Glycerini 
8'00.  MDS.  IMittels  Wattepropfes  in  die  Zahnhöhle  einzuführen 
oder  hei  Schmerzen  in  Zahnwurzeln  so  anzuwenden,  daß 
der  W  a  1 1  e  t  a  m  p  o  n  auf  den  Stumpf  aufgelegt  und  mit 
Guttaperchapapier  bedeckt  ca.  V2  Stunde  fest  aufgepreßt  wird. 
(Ther.  Monatsh.,  März  1907.)  E.  F. 


Vermisehte  ]^aehriehten. 

Das  25jährige  Stiftungsfest  des  Rudolfinerhauses. 

Unter  allen  Formen  großer  Feierlichkeit  wurde  am  2.  d.  M. 
das  25jährige  Stiftungsfest  des  Rudolfinerhauses  begangen. 

Der  Kaiser  wohnte,  umgeben  von  Mitgliedern  seines  Hauses, 
der  Feier  bei  und  zu  seinem  Empfange  hatten  sich  hohe 
Würdenträger  eingefunden.  Es  herrscht  sonst  nicht  der  Brauch, 
privaten  humanitären  Unternehmungen  solche  Aufmerksamkeit  zu 
erweisen  und  ihre  Gedenktage  in  so  solenner  Weise  zu  begehen. 
Die  besonderen  Gründe  so  großer  Feierlichkeit  in  diesem  Falle 
lagen  wohl  vor  allem  darin,  daß  man  es  hier  mit  einer  Schöpfung 
zu  tun  hat,  die  den  Namen  des  unvergessenen  Kaisersohnes 
führt,  des  tragisch  und  so  vorzeitig  dahingegangenen  Irägers 
großer  Hoffnungen.  Das  Unternehmen  lag  ihm  am  Herzen  und  er 
lieh  ihm  bereitwillig  Namen  und  Schutz,  weil  es  Theodoi  Bill¬ 


roth  war,  der  es  ins  Leben  rief.  Es  gehört  zu  seinem  Nach¬ 
ruhme,  daß  er  es  zu  würdigen  wußte,  was  Oesterreich  an  diesem 
Manne  besaß. 

Die  Gedenkfeier  erhielt  ihre  besondere  Bedeutung  auch 
dadurch,  daß  mit  der  Fertigstellung  und  Einweihung  eines 
neuen  Pavillons  gleichzeitig  auch  das  ,,Rudoirmerhaus“  zu  einem 
gewissen  Abschluß  kommt.  Es  wird  in  den  weitesten  Kreisen 
auf  das  sympathischeste  aufgenommen  werden,  daß  dieser  Zuhau 
mit  dem  Namen  des  Grafen  Hans  Wilczek  auch  dessen  Ver¬ 
dienste,  nicht  nur  um  den  Rudolfinervorein,  zu  verewigen  bestimmt 
ist.  Er  stand  von  allem  Anbeginn  an  Billroth  als  treuer  und 
werktätig  verständnisvoller  Helfer  zur  Seite,  wie  dieser  IMann 
überhaupt  sein  Lehen  lang  immer  dort  zu  finden  war,  wo  es 
galt,  Gutes  und  Schönes  zu  schaffen  und  zu  fördern. 

Eine  freundliche  Anlage,  im  Stile  italienischer  Landhäuser, 
mitten  ins  Grüne  gestellt,  so  hatte  sich  Billroth  sein  Rudolfiner- 
haus  gedacht  und  so  steht  es  —  jetzt  erst  —  vollendet  da.  All 
sein  hingebungsvolles  Betreiben,  sein  rastloses  Mühen,  die  größten 
Opfer,  die  er  gebracht,  hatten  es  nicht  vermocht,  ihm  die  Genug¬ 
tuung  zu  verschaffen,  seiner  Schöpfung  noch  zu  seinen  Lebzeiten 
den  Schlußstein  einfügen  zu  können.  Was  er  noch  erlebte,  war 
eine  verheißungsvolle  Entwicklung,  den  endlichen  Abschluß  seiner 
Ideen  und  Pläne  mußte  er  gleichgesinnten  Erben  überlassen.  Denn 
statt  allerorten  begeisterte  Unterstützung  in  der  Verwirklichung 
seiner  edlen  und  so  überaus  selbstlosen  Bestrebungen  zu  finden, 
sah  er  Hindernisse  sich  auftürmen,  den  widrigsten  Anfechtungen 
mußte  er  standhalten,  aktiver  und  passiver  Widerstand  war  zu 
überwinden  und  zudem  war  gegen  allerlei  hureaukratische  Nörgelei 
anzukämpfen.  Es  bedurfte  der  Tatkraft  und  des  Selbstvertrauens 
eines  Billroth,  um  in  diesem  Kampfe  nicht  zu  erlahmen  und 
die  Freude  an  dem  Werke  nicht  zu  verlieren. 

Was  Billroth  mit  seinem  Rudolfinerhause  im  Rahmen 
der  humanitär-sozialen  Fürsorge  leistete,  erhellt  in  seiner  vollen 
Bedeutung  erst  im  Lichte  historischer  Betrachtung.  Man  muß  sich 
den  Stand  der  öffentlichen  Krankenfürsorge  und  des  Spitalswesens, 
wie  es  noch  vor  drei  Jahrzehnten  zumal  für  Oesterreich  be¬ 
zeichnend  war,  vor  Augen  halten,  um  das  Werk  Billroths 
nach  Gebühr  würdigen  zu  können.  Der  ausgesprochene  Zweck 
seiner  Schöpfung  war  ,,die  Gründung  und  Erhaltung  eines 
Pavillonkrankenhauses  behufs  Heranbildung  von  Pflegerinnen  für 
Kranke  und  Verwundete  in  Wien“.  Schon  mit  der  Durchführung 
dieses  Programms  wäre  eine  höchst  bedeutungsvolle  humanitäre 
Tat  vollführt  worden ;  denn  die  Vorsorge  für  eine  hinreichende 
Zahl  von  geschulten  Krankenpflegerinnen  zumal  für  den  Kriegs¬ 
fall  bildete  ein  dringendes  öffentliches  Interesse  namentlich  zu 
einer  Zeit,  wo  für  den  Bedarf  nach  solchen  und  die  Sicherung 
eines  entsprechenden  Nachwuchses  in  Oesterreich  lediglich  durch 
einige  geistliche  Orden  in  ganz  unzulänglicher  AVeise  vorgesorgt 
war.  Es  sollte  mit  dieser  neuen  Pflegerinnenschule  nicht  nur 
in  numerischer  Weise  einem  fühlbaren  Mangel  abgeholfen  werden, 
sondern  auch  sachlich  das  Pflegerinnenwesen  auf  eine  neue 
Grundlage  gestellt  und  hiemitin  einer  Zeit,  wo  die  Frauen  sich  eifrig 
bestrebt  zeigen,  die  ihnen  auferlegten  Grenzen  der  Betätigung  zu 
erweitern,  ihnen  eine  ihrer  würdige  und  ihrer  Veranlagung  be¬ 
sonders  angemessene  Sphäre  beruflichen  Wirkens  eröffnet  werden. 
Gerade  dieses  Ziel  bildete  aber  einen  der  Angriffspunkte  gegne¬ 
rischer  Einflüsse.  Man  sah  darin  einen  Vorstoß  des  Protestanten 
Billroth  gegen  die  katholischen  Orden  und  glaubte  diese 
,, Konkurrenz“  bekämpfen  zu  müssen  —  als  handle  es  sich  um 
ein  Geschäftsunternehmen,  aus  dem  nur  einzelne  ihren  Nutzen 
ziehen  sollen  und  nicht  um  eine  Sache  der  Menschlichkeit,  für 
die  es  nie  genug  Mitarbeiter  geben  kann. 

War  demnach  schon  die  Gründung  einer  solchen  Pflegerinnen¬ 
schule  ein  eminentes  Verdienst,  so  wurde  dies  noch  wesentlich 
dadurch  erhöht,  daß  Billroth  diese  Schule  im  Rahmen  eines 
Musterkrankenhauses,  das  eigens  für  diese  Zwecke  erdacht  und 
erbaut  war,  eingerichtet  sehen  wollte. 

Das  Vorbildliche  u.  zw.  für  alle  Zeiten  ohne  Rücksicht 
auf  den  Wandel  der  Mode  —  Vorbildliche  dieses  Krankenhauses 
lag  in  dem  bis  dahin  noch  nirgends  und  niemals  vorher  so 
ausgesprochenen  und  durchgeführten  Bestreben,  eine  Heil-  und 
Pflegestätte  zu  schaffen,  die  nicht  nur  allen  Anforderungen  der 
Hygiene  entspricht,  sondern  auch  in  allen  ihren  Einrichtungen, 
in  der  ganzen  Anlage  und  Administration  darauf  ausgeht,  dem 
kranken  Menschen  keinen  Komfort  und  keinen  Irost  vorzu¬ 
enthalten,  auf  den  er  —  und  lebe  er  auch  sonst  in  den  dürftigsten 
Verhältnissen  —  Anspruch  machen  darf,  weil  dieser  Komfort  einen 
höchst  wesentlichen  Behelf  darstellt,  um  ihn  in  seinen  Leiden  und 
in  seiner  Not  über  das  Betrübende  seiner  Lage  hinwegzubringen. 
Hier  im  Billroth  sehen  Krankenhause  sollte  der  kranke  Mensch 
nicht  nur  der  denkbar  besten  Hilfe  in  seinem  körperlichen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


'J 


Schmerz  teilhaftig  werden,  es  sollte  ihm  zudem  zum  tröstenden 
Bewußtsein  kommen,  daß  hier  die  Armut  keine  Komplikation 
der  Krankheit  bildet.  Es  mag  mancher,  der  das  Rudolfinerhaus 
schwer  krank  aufgesucht  hat,  dort  zum  erstenmale  in  seinem 
Leben  das  Gefühl  der  Behaglichkeit  kennen  gelernt  haben  und 
die  Freude,  daß  die  Blumen  des  Gartens  auch  für  ihn  blühen 
und  duften. 

So  wurde  dieses  Rudolfinerhaus  von  Billroth  nicht  nur 
als  eine  Unterkunftsstätte,  wo  Kranke  gebettet,  mit  Medikamenten 
versehen  und  operiert  werden,  gedacht,  sondern  als  ein  Eiort, 
wo  die  Menschlichkeit  danach  strebt,  zur  Wissenschaft  zu  werden, 
um  für  jede  Art  von  Not  auch  das  richtige  Mittel  zur  Abhilfe 
bereit  zu  haben.  Darin  lag  auch  das  ganz  Besondere  bei  der 
Erbauung  dieses  Hauses  und  darin  ist  der  Anlaß  gegeben,  seine 
Gedenktage  in  feierlicher  Weise  zu  begehen.  Man  ehrt  das  Andenken 
Theodor  B  i  1 1  r  o  t  h  s,  wenn  man  seine  Schöpfungen  ehrt  und 
es  war  hesondes  erfreulich,  daß  dieser  Gedanke  auch  aus  des 
Kaisers  Worten  zu  entnehmen  war.  A.  F. 


In  der  feierlichen  Schlußsitzung  der  kais.  Akademie  der 
W  i  s  se  n  s  c  li  af  1  e  u  in  Wien,  welche  unter  dem  Vorsitze  des 
Herrn  Erzherzogs  Rainer  am  28.  Mai  slattgefunden  hatte,  wurde 
Professor  der  Chirurgie  an  der  Universität  Wien  A.  Ereiherr 
V.  Eiselsherg  zum  korrespondierenden  Milgliede  im  Inlande 
und  der  Ih-ofessor  der  Anatomie  in  Berlin  W.  Waldeyer  zum 
korrespondierenden  Mitgliede  im  Auslande  gewählt. 

Ernannt:  Im  landwehr-ärztlichen  üffizierkorps :  im  Aktiv¬ 
stande:  zu  Oberstabsärzten  erster  Klasse  die  Doktoren:  .lulius 
T6th,  Stephan  Hrabeczy  und  Anton  Sebeök;  zu  Oberstabs¬ 
ärzten  zweiter  Klasse  die  Doktoren:  Oskar  Papp,  Maximilian 
Radnai,  Ignaz  Erdödi.  Nikolaus  Teodorovits  und  Adalbert 
Polin szky  de  Kassa;  zu  Stabsärzten  die  Doktoren:  Eduard 
Birö  und  Armin  Rosenberg.  —  Dr.  Oskar  Beuttner  zum 
Ordinarius  für  Gynäkologie  und  Dr.  R.  Seigneux  zum  a.-o.  Pro¬ 
fessor  und  Leiter  der  gynäkologischen  Poliklinik  in  Genf. 

♦ 

Elerrn  Dr.  Josef  Wiesel,  Assistenten  am  k.  k.  Kaiser-Franz- 
.Toseph-Spitale  in  Wien,  wurde  der  von  der  Wiener  LlniversiLiU 
jedes  dritte  Jahr  zur  Verleihung  kommende  Bamberger- Preis 
für  seine  Arbeit  über  ,,Elrkrankungen  der  Arterien  im  Verlaufe 
akuter  Infektionskrankheiten“  verliehen. 

Verliehen:  Dr.  Ismar  Boas  in  Berlin  der  Professortitel. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Strecker  in  Breslau  für  Anatomie 
und  Biologie,  Dr.  Montefusco  für  Hygiene  in  Neapel  —  Doktor 
Diterikhs  in  Odessa  für  Orthopädie. 

* 

Gestorben:  Dr.  A.  Cliarrin,  Professor  der  allgemeinen 
Pathologie  zu  Paris. 

Allgemeiner  österreichischer  I  r  r  e  n  ä  r  z  t  e  t  a  g. 
In  der  Jahressitzung  des  Wiener  psychiatrischen  Vereines  vom 
14.  Mai  wurde  beschlossen,  daßi  der  schon  früher  angezeigte  öster¬ 
reichische  Irrenärztetag  am  4.  und  5.  Oktober  4907  in  Wien  statt- 
finden  solle.  Es  sind  folgende  Referate  vorgesehen:  I.  Zum 
gegenwärtigen  Stande  der  Pflegerfrage,  Ref.  Dr.  Starlinger- 
Mauer-Oelding.  H.  Aerzteaus lausch  zwischen  Kliniken  und  An¬ 
stalten,  Ref.  Hofrat  v.  Wagner- Wien.  HI.  Zur  Reform  der 
j^sychialrischen  Kuratel,  Ref.  Dr.  Schweighofe  r- Salzburg  und 
J.  U.  Dr.  Siegfried  Türkei -Wien.  Anmeldungen  von  Vorträgen 
werden  bis  Ende  Aügust  erbeten  an  die  Schriftführer  des  psychi¬ 
atrischen  Vereines:  Priv.-Doz.  Dr.  A.  Pile z- Wien  IX/2,  Laza¬ 
rettgasse  14  und  E.  Ra  im  a  nn- Wien  IX/3,  Alserstraße  4. 

* 

Wie  seinerzeit  kurz  gemeldet,  findet  in  Amsterdam  vom 
2.  bis  7.  September  1907  der  Internationale  Kongreß'  für 
Psychiatrie,  Neurologie,  Psychologie  und  Irren¬ 
pflege  statt.  Während  der  Zeit  des  Kongresses  befindet  sich  das 
Sekretariat  im  Universitätsgebäude,  bis  dahin  ist  der  Sitz:  Prin- 
sengracht  717.  Als  Kongreßsprachen  sind  Deutsch,  ETanzösisch 
uml  Englisch  zulässig.  Den  Referenten  stehen  20  Minuten  .zur 
Verfügung,  während  für  die  Diskussion  jedem  Redner  fünf  Mi- 
imlen  zugestanden  werdoi.  Für  die  ^Mitteilungen  können  nur 
15  ^Minuten  gewährt  werden.  Referenten,  die  vollständige 
oder  auszugsweise  Drucklegung  ihrer  Bericdde  zwecks  V<“rbrcitung 
unter  den  ^Mitgliedern  wünschen,  werden  ersucht,  das  Manuskript 
vor  dem  15.  Juli  an  das  Sekretariat  gelangen  zu  lassen  (Prin- 
sengraebt  717).  Das  Manuskript  darf  15  Druckseiten  nicht  über¬ 


schreiten.  Abbildungen,  graphische  Darsterun.en  usw.  werden 
nur  auf  Kosten  der  Verfa.sser  aufgenommen.  Die  Ueberschriften 
der  Jlitteilungeji  müs.sen  das  Sekretariat  spätestens  vor  dem 
1.  August  erreichen.  Mitglieder,  welche  Instrimiente  einzusenden 
oder  Anordnungen  zu  Versuchen  zu  treffen  beabsichtigen,  werden 
um  zeitige  ^Mitteilung,  vor  dem  15.  Jidi  gebeten.  Dem  Komitee 
gehören  aus  Oesterreich  an:  E'rankl  v.  Hoch  wart,  Wien, 
Hofrat  J.  Wagner  v.  Jauregg,  Wien,  Prof.  C.  Mayer,  Inns¬ 
bruck.  Prof.  H.  Obersteiner,  Wien,  Prof.  A.  Pick,  Prag, 
Dr.  E.  Redlich,  Wien,  Dr.  J.  Starlinger,  Mauer-Oeling.  Von  den 
Tliemen,  welche  am  Kongresse  zur  Verhandlung  kommen,  seien 
folgende  hervorgehoben:  1.  Aus  Psychiatrie,  Neurologie:  Neueste 
Theorien  über  den  Ursj)rniig  der  Hysterie.  Chronische  Alkohol¬ 
psychosen.  Kortikale  Lokalisation  der  sensiblen  Funktionen. 
xMyasthenia  gravis  und  andere  Formen  von  Myasthenie.  2.  Aus 
Psychologie  und  Psychopbysik :  Die  Psychologie  der  Pubertät. 
Euiterscbied  zwischen  Wahrnehmung  und  Vorstellung.  Die  Se¬ 
kundärfunktion.  Die  Vorgeschichte  der  Psychopathen.  3.  Aus 
Irrenpflege:  Die  Verwallung^seinrichtung  der  Irrenanstalten  und 
die  staatliche  Beaufsichtigung  dei"  Irrenpflege.  Die  Familienpflege 
und  die  Arbeit  auf  dem  Lande.  Die  Pflege  der  Alkoholisten. 
Gesamte  Fürsorge  der  abnormen  Kinder.  Schließlich  sei  noch 
bemerkt,  daß  ein  Wolmungskomitee  bereit  sein  wird,  die  Mil- 
glieder  des  Kongresses  bei  der  Unterkunftsfrage  zu  beraten.  Um 
allen  xVnfragen  zu  genügen,  werden  Interessenten  gebeten,  sich 
vor  dem  15.  August  mit  ausführlicher  Angabe  des  Gewünschten 
an  untenstehende  Adresse  zu  wenden:  Dr.  D.  M.  van  London,, 
Prinsengracht  717,  xVmsterdam. 

* 

A  e r  z  1 1  i  c  b e  E'  o  r  t  b  i  1  d  u  n g s  k  u  r  s e  an  der  G  r a z e r 
Universität.  Vom  30.  September  bis  12.  Oktober  werden  an 
der  medizinisclien  Fakultät  in  Graz  ärztliche  Fortbildungskurse 
abgehalten.  iAn  der  Abhaltung  der  Vorlesungen  und  praktischen 
LTebungen  beteiligt  sich  der  gesamte  Lehrkörper.  Außerdem  findet 
ein  Besuch  der  Tuberkuloseheilstätte  in  Hörgas  sUitt.  Die  Kurse 
werden  unentgeltlich  abgehalten.  Zur  Deckung  der  Auslagen  wird 
eine  Einschreibgebühr  von  K  20  erhoben.  Die  Anmeldungen 
können  schriftlich  vom  1.  Juni  ab,  mündlich  in  der  dem  Beginne 
der  Kurse  vorangehenden  Woche,  d.  i.  vom  23.  September  bis 
inklusive  29.  September  von  9  bis  1  Uhr,  in  der  Universitäts- 
quästur  erfolgen.  Die  Einschreibgebühr  ist  bei  der  Anmeldung 
eiiizuzablen.  Eventuelle  xVuskünfte  können  bei  der  Universitäts- 
quästur  eingeholt  werden. 

* 

Priv.-Doz.  Dj’.  Friedrich  Wechsberg,  gew.  suppl.  Vor¬ 
stand  und  I.  Assistent  der  I.  medizinischen  Universitätsklinik 
in  Wien,  wohnt  vom  20.  Mai  d.  J.  an  Wien  I.,  Universitäts¬ 
straße  11.  Sprechstunde  von  3  bis  V25  Uhr.  Tdlephon  Nr.  22.506. 

* 

Berichtigung.  Seite  646,  Spalte  2,  Zeile  21  von  unten 
soll  heißen:  Diese  Ef f lore  sze uzen  erinnern  an  Mi- 

liariab läse  heil,  und  Zeile  2  von  unten:  von  statt  mn. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  20.  Jahreswoche  (vom  12.  bis 
18.  Mai  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  609,  unehelich  307,  zu¬ 
sammen  916.  Tot  geboren,  ehelich  52,  unehelich  30,  zusammen  82. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  778  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  204  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  3, 
B’lecktyphus  0,  Blattern  1,  Masern  25,  Scharlach  2,  Keuchhusten  2, 
Diphtherie  und  Krupp  5,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  6, 
Lungentuberkulose  139,  bösartige  Neubildungen  47,  Wochenbett¬ 
fieber  4.  Angezeigte  Infektionskrankheiten:  An  Rotlauf  54  (-f-6),  Wochen¬ 
bettfieber  4  (-[-  1),  Blattern  1  (-j- 1),  Varizellen  66  (-f-  10),  Masern  452 
(-|-  32),  Scharlach  111  ( — 29),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  6  (-j-S), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  86  (-j-  13),  Keuch¬ 
husten  40  ( —  26),  Trachom  1  (=),  Influenza  0  (0),  Genickstarre  10  (—  4). 


Freie  Stellen. 

Bei  der  k.  k.  Polizeidirektion  in  Wien  gelangt  die  Stelle  eines 
Polizei-Oberbezirksarztes  der  VIII.,  ferner  eine,  eventuell 
mehrere  Stellen  eines  Polizeibezirksarztes  der  IX.  und  eine 
eventuell  mehrere  Stellen  eines  Polizeibezirksarztes  der  X.  Rangsklasse 
mit  den  systemmäßigen  Bezügen  zur  Besetzung.  Bewerber  um  diese 
Stellen  haben  ihre  ordnungsmäßig  instruierten  Gesuche  u.  zw.  solche, 
die  bereits  im  öffentlichen  Dienste  stehen,  im  Dienstwege  bis  spätestens 
15.  Juni  1.  J.  bei  dieser  Polizeidirektion  einzubringen.  F'ür  alle  diese 
Stellen  wird  außer  den  im  §  2  der  Instruktion  für  die  Amtsärzte  der 
k.  k.  Polizeidirektion  in  Wien  vorgeschriebenen  Erfordernissen  eine 
mehrjährige  Verwendung  im  polizeiärztlichen  Dienste  und  genaue  Kenntnis 
der  Wiener  Verhältnisse  verlangt.  Bemerkt  wird  noch,  daß  diese  Stellen 
für  den  g.esamten  Polizeirayon  von  Wien  ausgeschrieben  sind,  daher  die 
Kompetenz  mit  der  Beschränkung  auf  einen  bestimmten  Bezirk  unstatt¬ 
haft  ist. 


r 


Nr.  2‘6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1907. 


711 


y erhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte. 


INHALT: 


Offlzielles  Protokoll  der  k.  k.  Oescllscliaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  31.  Mai  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderlieilknnde  in  Wien. 
Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  16.  Mai  1907. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom  15.  bis 
18.  April  1907. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  llerliii. 
4.  Sitzungstag. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  31.  Mai  1907. 

Vorsitzender;  Prof.  Dr.  L,  Königstein. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Haberer. 

Dr.  Hans  v.  Haberer:  Meine  Herren!  Der  42jälirigo  Herr, 
den  ich  Hinoi  aus  der  Klinik  meines  Cliefs,  des  Herrn  Hofrates 
V.  Eisei  sh  erg  vorsfelle,  war  bereits  im  Jahre  1887  (legen- 
sland  einer  Demonstration  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 
Im  Anzeiger  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  fand  ich  Idoß  die 
Bemerkung,  ,,Herr  Dr.  Frey  stellt  einen  Fall  von  multij)ler  Fn- 
chondromhildung  vor“.  Nach  den  Angaben  des  Palienten  war 
ihm  damals,  als  er  im  21.  Lel)e]isjahre  stand,  auf  der  Abteilung 
V.  Mosetig  durch  Enukleation  des  linken  Daumens  ein  Chon¬ 
drom  enlfernt  worden,  welches  sich  seit  dem  13.  Lebensjalirc 
des  Patienten  entwickelt  hatte,  anfangs  heschwei'delos  vejtief, 
aber  schließlicli  ,,vereilerle“.  Im  selljcii  Aller  war  ihm  auch  ein 
entsprecheud  der  Grumlphalaux  des  vierten  linken  Fingers  sitzen¬ 
des  Chondrom  enlfernt  worden.  Die  Herren  sehen  die  Narben 
von  dem  damaligen  Eingriffe.  Fs  wäre  noch  nachznlragen,  daß 
Paf.  angeblich  ans  einer  Familie  stammt,  in  der  älmlidie  Bil¬ 
dungen  an  keinem  Bepräsenlanten  vorgekoniineti  s  ‘isn.  Zur  Zeit, 
als  Ikit.  an  seiner  linken  Hand  operiert  wurde,  bestanden  bereits 
recht  anselmliciie  Geschwülste  im  Bereiclie  des  linken  Vorder¬ 
fußes  und  des  rechten  Vorderarmes  in  der  Nähe  des  Haudgedenkes. 
Die  FnUvickluiig  dieser  beiden  Geschwülste  verlegt  Pat.  in  das 
14.  und  ,16.  Fehensjahr.  Fr  ließ  sich  die.ser  Geschwülste  wogen 
im  32.  Lebensjahre  abermals  oiieriercn  und  wurde  ihm  damals 
in  einem  Akte  auf  der  v.  M  o  se  ti  g  scheu  Al)Leilung  der  liidcc 
Vorderfuß  eiinkleiert,  der  rechte  Vorderarm  ampidiert.  Zur  Zeit 
dieser  lelzleii  Operation  bestanden  auch  schon  andere  Tumoren. 
IVenn  Sie  zniiäclist  von  dem  gi'oßen  Tumor  an  der  linken  Beckeii- 
hälfte  abselien  Avollen,  auf  den  ich,  da  er  angeblich  als  letzter 
anftrat,  aucli  zum  Schlüsse  zu  spreclien  kommen  werde,  so  fallen 
Ilmen  do(di  auch  bis  weithin  eine  Reihe  von  Tumoren  auf,  die  der 
Patient  eidsprechend  der  Ferse  des  rechten  Fußes,  an  beiden 
Ober-  und  Unterschenkelu,  am  linken  Vordcirarme,  an  der  rechten 
Thoraxhälftc,  der  linken  Skapnla  und  dem  reelden  Hüftbein  trägt. 
Diese  Tumoren  sind  teilweise  kleiner,  zum  Teil  aber  sehr  groß, 
wie  z.  B.  der  fast  kindskopfgroße  Tumor  am  rechten  Oberschenkel. 
Sie  sitzen  alle  den  betreftenden  Knochen  fest  auf,  sind  knorncl- 
hait,  an  einigen  Stellen  elastisch,  von  grohknol'iger  Oherfläciie. 
Ihre  Lokalisation  anlangeud,  ist  zu  tretonen,  daß  sie  überall 
in  der  Nähe  solcher  Teile  vom  Knochen  sitzen,  wo  normaler¬ 
weise  Kno)])el,  wenigstens  heim  jugendlichen  Individnnm  zu 
finden  ist,  au  den  langen  Bölirenknochcn  also  in  der  Nachhar- 
schaft  der  Epiphysen. 

Der  größte  Tumor,  de.ssentwegen  der  Patient  auch  die  Klinik 
änfsucld,  tiiidet  sich  an  der  Außenfläche  des  linken  Hüftbeines. 
Dieser  Tumor,  der  jetzt  last  mannsko])fgi'oß  ist,  soll  seit  dem 
35.  Lebensjahre  des  Palienlen  bestehen,  anfangs  langsam,  seit 
zwei  Jahren  schnelle)',  seit  Januar  1.  .1.  )'ap:d  gewachsen  sein. 
Vor  zwei  Monaten  brach  er  auf  und  seither  besteht  ans  der  liefe)i, 
kralei'förmigen  Zei'fallisliöhle  eine  ühei'ans  reicldiche,  aasliaft  stin¬ 
kende  Sekretion,  die  den  Patienten  aus  der  Gesellscliaft  anderer 
Älenschen  verhannl  und  ihn  sell)st  dej'art  belästigt,  daß  er  nicht 
mehr  ordodlich  essen  kann  und  permanentes  Ekelgefühl  hat. 
Fr  bittet  also,  dringeiid,  ihm  die  Ges<'hAvnlst  auf  oiveralivem  Woge 
zu  enlfej'iien.  Fs  .sei  noch  bemei'kt,  daß  keine  der  Geschwülste 
je  dem  Kranken  Schmerzen  verursachf  hal.  Meine  Herren!  Das, 
was  hier  vorliegt,  ist  ein  typisches  Krankheitshild,  nändicli  das 
der  innlliplcn  F.xosfosen  imd  Chondrome.  Die  Hötd,geid)ilder, 
welche  ich  mir  herumzuieichen  erlaube,  zeigen  Ihnen  in  deut¬ 
licher  Weise  die.se  Exostosen  lind  Ghondronie,  wobei  namentlich 
lelzlerc  durch  die  ihnen  eigene,  zierliche  Zciclmnng  anffallcn. 
Am  Bönlgenhilde  des  liidmn  Vordei-ai'iiies  möchte  ich  )iocli  auf 
flie  auffallende  Kürze  des  unteren  Uliia''ii  l:  s  aulmm'ksam  machen. 
Herr  t’j-of.  Kolisko  liatte  die  Güte,  iidcli  darauf  aufmerksain 
zu  machen,  daß  geiadc  die.se  WachlumssLüi'ung  der  Plna  nahezu 


typisch  für  das  in  Bede  stehende  Ki'ankhcilsliild  fei  mul  daß 
sie  bald  in  erhchlicherem  Grade  vorkommt,  oder  eben  nur  an- 
gedcnlet  bleibt,  wie  in  diesem  Falle.  Herr  Prof.  Kolisko  demon¬ 
strierte  sic  mir  an  einer  Beilie  von  Skeletten.  Wachstnmsano- 
malien  sind  ja  üherliau])t  fast  stets  hei  diesem  Krankiieilshiidc 
nachweisbar  und  so  zeigt  auch  der  eben  vorgestellte  Patient 
einen  hetiüchtlich  längeren  Ober-  als  Unterkörper,  wätirend  nor- 
malerweiso  ja  gei'ado  das  nmgekelirte  Verhältnis  bestellen  soll. 

Noch  ein  Wort  über  die  Art  des  den  Patienten  jetzt  so 
sehr  belästigenden  Beckentumors.  Ans  dem  schnellen  Waclis- 
tnmo  desselben  in  letzter  Zeit  und  aus  seinem  Zerfalle  dürfen 
wir  nicht  ohne  weiteres  schließen,  daß  es  sich  hier  jetzt  um 
maligne  Degeneration  eines  nrsprüiigüdi  gutartigen  Tumors  han¬ 
delt;  denn  beides,  sowohl  schnelles  AVachstum,  als  auch  Zerfall 
kommt  bei  Chondromen  vor.  Innere  Metastasen  sind  niclit  nach¬ 
weisbar  und  so  kann  es  sich  auch  hier  noch  um  ein  einfaches 
Cliondrom  handeln.  Mein  Chef  plant,  diesen  Tumor  zu  entfernen, 
wodurch  die  Janchnng  wohl  am  liesten  hekänipft  wird  und  den 
Defekt  eventuell  sekundär  plastisch  zu  decken.  Ueher  den  Ans¬ 
gang  der  Opei'ation  und  den  mikroskopisclien  Befund  des  Tumors 
werde  ich  zu  späterer  Zeit  hei'ichten.  AVenii  wir  auch  den 
Patienten  von  .seiner  Knochenerkrankung  nicht  heilen  können, 
so  ist  doch  hier  ein  symptomaiisch-clnrui'gisehes  Vorgelien  nicht 
nur  ei'lanl)!,  sondern  direkt  geboten. 

Meine  Herren!  Das  Vorkommen  mnlliplcr  Chondrome  ist 
bekannt,  ebenso  wie  das  Vorkommen  von  Chondromen,  die  mon¬ 
ströse  Größen  erreichen.  Hie  Pointe  dieses  Falles  liegt  in  dimi 
Vorkommen  so  großer  multipler  Chondrome  und  in  diese)'  Hin¬ 
sicht  stellt  er  ein  Analogon  zu  Webers  Fall  vor.  Da  dieses 
Vmkommnis  doch  selten  ist,  so  erlaubte  ich  mir,  den  F)ill  zu 
zeigen. 

Priv.-Doz.  Dr.  Nobl  demonstriert  einen  Fall  von  Syphilis 
maligna  praecox.  Das  durch  besondere  Akuilät  des  Ver¬ 
laufes  und  exfRiisite  Tendenz  zum  Zerfall  der  irritativen  Syphilis- 
prodnkte  ausgezeichnete  Kraidcheitshild  betrifft  einen  44jährigen 
ifaim,  der  nach  kaum  viermonatiger  Infektion  ausgebreitete 
und  tiefreichende  Zerfallsphänomeiie  darbietet,  wie  solche  sonst 
nur  gelegentlich  dem  Tertiärismus  zu  entsprechen  pflegen.  Wie 
so  häufig  hei  der  galoppierenden  Lues,  ist  auch  hier  ein  phage¬ 
dänischer  Primäraffekt  als  Ausgangspunkt  der  Seuchen  .zu  be¬ 
trachten,  der  am  Präputialsanm.heginnend  in  kurzer  Zeit  zu  völliger 
Einschmelzung  der  Vorhaut  und  eines  Teiles  des  Penisintegnments, 
sowie  gangränöser  Zerstörung  der  Glans  und  des  vorderen  An¬ 
teils  des  Corpus  cavernosum  der  Urethra  geführt  hatte.  Als 
Residuen  sieht  man  noch  infiltrierte,  stark  prominente  exkavierte 
Infiltrationshöcker  der  erhaltenen  Glieddecke,  die  Glans  bis  auf 
einen  kleinen  Stumpf  reduziert,  die  Harnröhre  erweist  sich 
in  4  cm  langer  Ausdehnung  völlig  zerstört,  wobei  die  Corpora 
cavernosa  penis  entblößt  zutage  treten  und  das  Orifizium  3  cm 
hinter  dem  Sulkns  an  der  Mitte  des  Penisschaftes  mündet.  Nach 
nur  mäßiger  Sklerosierung  des  Drüsenapparates,  ist  es  zur  Eruption 
rasch  kontlnierender,  tlächenhaft  ansgebreitetei',  mäßig  elevierter 
Infiltrate  im  Bei’eiche  des  Stammes  und  der  Kopfhaut  gekommen, 
die  alsbald  im  ganzen  Umfange  der  ulzerösen  Zerstörung  und 
Nekrose  anheimfielen.  Die  Kopfhaut  wird  von  handtellergroßen, 
bis  an  das  Periost  reichenden,  zackig  konturierten,  meist  schon  in 
Reinigung  begriffenen,  von  den  Säumen  her  überhäutenden  Ge- 
schwürsfiächen,  denen  sich  solche  an  der  oberen  Brustappertnr 
und  namentlich  am  Bücken  hinzngesellen,  eingenommen. 

Von  den  Momenten,  welche  für  die  Erklärung  der  Älalignität 
des  Syphilisverlanfes  gewöhnlich  herangezogen  werden,  trifft  im 
vorliegenden  Falle  kein  einziges  zu.  Der  kräftig  entwickelte 
Pat.  zeigt  nach  keiner  Richtung  eine  konstitutionelle  Minder¬ 
wertigkeit  und  war  niemals  dem  Potns  ergehen.  Auch  sind  für 
eine  etwaige  Mischinfektion  mit  den  banalen  Eitererregern 
(Staphylokokken,  Streptokokken)  keinerlei  Anhaltspunkte  zu  ge¬ 
winnen.  Naheliegender  wäre  es,  den  Grund  der  rasch  fortschreiten¬ 
den  Zerstörung  in  einer  besonderen  Beschaffenheit  des  Virus  zu 
erblicken,  das  bei  seiner  massenhaften  Ansammlung  in  den  Ge- 
wMjsinodnkten  und  der  hiebei  reichlichen  Entwicklung  von 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  23 


/  l2 


Eiidotoxinmengeii  den  ausgedelinten  Zerfall  am  besten  erklären 
könnte.  Hiemit  steht  aber  das  Ergebnis  der  Spirochäten- 
e  X  p  1  o  r  a  t  i  o  n  n  i  c  b  t  i  m  E  i  n  k  1  a  n  g.  Wiederholt  entnommene 
Proben  der  zerfallenden  Präpntialsegmente  und  der  ulzerös  zer¬ 
störten  Infiltrate  der  Kopfhaut,  haben  sich  bei  der  Untersuchung 
in  der  Dunkelfeldbeleucbtung  als  von  Spirochäten  völlig  frei 
erwiese  n,  ebenso  konnten  in  den  nach  G  i  e  m  s  a  behandelten 
Ausstrichen  und  Abschabpräparaten  keine  Spirillen  auf- 
gefuuden  werden.  Nur  die  Durchmusterung  vieler  Schnittreihen 
von  silberimprägnierten  Rand  Sektoren  der  Hinte  r- 
hauptin  filtrate  bat  in  einzelnen,  einen  von  der  Norm  abweichen¬ 
den  spärlichen  Spirochätengehalt  ergeben.  Es  korrespondiert  diese 
Erfahrung  mit  den  Befunden  von  Buschke  und  F  i  s  c  h  e  r,  II  e  rx- 
heimer  u.  a.,  die  in  Fällen  von  maligner  Syphilis  (eils 
überhaupt  keine,  teils  nur  verschwindend  kleine  Mengen  der 
S  c  h  a  u  d  i  n  n  sehen  Spirochaete  pallida  auffinden  konnten. 

Priv.-Doz.  l)r.  Erben  zeigt  an  einem  Falle  von  simu¬ 
lierter  Monoplegie  die  De  m  a  s  k  i  e  r  u  n  g  s  m  e  t.  Ii  o  d  e  n.  Der 
Mann  bewegt  sich  flink  auf  seinen  zwei  Krücken.  Das  linke 
Bein  hat  eine  schlaffe  Eälmiung,  er  kann  kein  Gelenk  will¬ 
kürlich  bewegen,  nur  die  Zehen  rührt  er  wenig.  Vor  sieben  Mo¬ 
naten  setzte  plötzlich  eine  linksseitige  Hemiplegie  ein,  fler  Aiin 
besserte  .sich  durch  elektrische  Behandlung,  so  daß  mau  jetzt 
nicht  einen  Rest  von  Behinderung  merkt.  Merkwürdig  war  der 
Verlauf  dieser  M'iederhersleliung,  zuerst  wurde  der  Daumen  be¬ 
weglich,  dann  die  übrigen  Finger,  dann  der  Ellbogen.  Wir  sind 
bei  der  Ttnterbrechung  der  M'illkürbahnen  die  umgekehrle  Ord¬ 
nung  gewöhnt :  zuerst  die  proximalen  Gelenke,  dann  die  distalen, 
zuletzt  der  Daumen. 

Dies  und  noch  eine  weitere  Häufung  ungewöhnlicher  Um¬ 
stände  regten  zu  eingehenderer  Analyse  an.  Beim  Stationär- 
W'C'rden  einer  Hemiplegie  bleibt  meist  eine  Schwäche  des  Armes 
zurück,  indes  sich  die  Funktion  des  Beines  größtenteils  her¬ 
stellt.  Doch  sind  Ausnahmen  wie  in  diesem  Falle  bekannt.  Selt¬ 
sam  war  auch,  daß  die  sieben  Monate  bestehende  absolute  Läh¬ 
mung  ohne  Steigerung  der  Reflexe  und  ohne  Kontraktur  geblieben 
war  (schlaffe  Lähmung);  es  gibt  auch  für  solches  Vorkommmi 
v(M(M'nzelle  Beol)achtungen.  Die  Zunge  streckt  er  nach  links 
hinaus,  kann  sie  aber  über  Auftrag  zum  rechten  Mundwinkel 
bringen  —  lauter  Ungereimtheit.  Noch  ein  neurologisches  Detail : 
bei  z(nilralen  Lähmungen  bleibt  die  Plantarflexion  im  Sprung¬ 
gelenke  und  in  den  Zehen  erhalten,  indes  die  Dorsalflexion  stärker 
gelähmt  ist,  meist  ist  sie  ganz  ausgefallen  (W  e  r  n  i  c  k  e  scher 
Lähmungstyj)us) ;  hier  ist  gerade  die  Zehenstreckung  geblieben. 

Die  angeführten  fünf  Momente  regten  den  Zweifel  an  und 
die  folgende  Untersuchung  begründete  {lie  Diagnose  der  Simu¬ 
lation.  Nachzutragen  ist  noch,  daß  das  gelähmte  Bein  nicht 
kühler  isl,  keine  Inaktivitätsatrophie  aufweist,  der  Bauchreflex 
und  die  Kornealreflexe  l)eiderseils  intakt  sind.  Ananmestisch  er¬ 
fuhr  ich  von  seinem  bewegten  Leben,  er  machte  auf  der  „Novara“ 
in  Begleilung  unseres  Thronfolgers  eine  Weltreise,  erkrankte  in 
Neu -Guinea  an  Malaria  oder  gelbem  Fieber,  wnar  dann  Gen' 
dann  in  Bosnien,  jetzt  ist  er  stellenloser  Privatbeamter.  Am 
30.  Oktober  1906  bekam  er  morgens  einen  Schwindel,  stürzte 
nieder  und  wurde  ins  Spital  gebracht,  konnte  sechs  Wochen 
keinen  Laut  von  sich  geben  und  mußte  seine  Wünsche  auf 
(‘ine  Tafel  schreiben  (Apha.siio  frei  einer  linksseitigen  Lähmung!). 
.\ls  nach  drei  IMonaten  der  Primarius  auf  die  Besserung  des  Armes 
hinwies  und  daranfügle,  er  solle  damit  zufrieden  sein,  verlor 
(‘r  das  Vertrauen  und  ließ  sich  in  ein  anderes  Krankenhnus 
lians])oi'lieren.  Vor  dem  Abschiede  wurde  er  mit  zwei  Krücken 
versehen.  In  dem  zweiten  Spitale  blieb  er  bis  Mitte  Mai.  Ich 
konnte  in  seine  Krankengeschichte  Einsicht  nehmen  und  erfuhr, 
daß  sich  dort  zweimal  unter  tonischen  und  klonischen  Krämpfen- 
eine  totale  linksseitige  Hemiplegie  einstellte,  die  nach  drei  bis 
vier  Tagen  bis  auf  die  bestehende  Beinlähmung  verschwand. 
Man  konnte  zu  keiner  Diagnose  kommen. 

Ob  das  ganze  eine  Täuschung  gewesen,  weiß  ich  nicht, 
aber  seine  jetzige  Monoplegie  beruht  auf  willkürliche  Bewegungs¬ 
losigkeit.  Daß  er  heweg(‘n  kann,  werden  folgende  drei  Proben 
Ijcwcisen. 

1.  Er  kann  das  Sprunggeletdc  und  Kniegelenk  auf  Befehl 
weder  beuge-  noch  streckwärts  bringen,  aber  beim  Schwingen 
auf  den  Krücken  verkürzt  er  das  Bein  (im  Knie-  oder  Sprung- 
g('lenke),  denn  er  schleift  nicht  mit  der  Fußspitze. 

Da  ist  noch  die  Möglichkeit  geblieben,  an  eine  funktionelle; 
Lähmung  ,zu  denken  (hysteri.sche  oder  psychische  Lähmung).  Bei 
sc'lchen  Lähmungen  gelingen  in  den  gelähmten  («liedern  mit- 
uuler  automalische  und  willkürliche  Bewegungen,  die  auf  will¬ 
kürliche  Innervation  nicht  zustande  kommen.  Das  isl  der  B(‘griff 
der  psychischen  Ijähmung,  der  Kranke  will,  aber  kann  nicht. 


Die  nächsten  zwei  Versuche  zeigen,  daß  er  die  „gelähmten  Teile“ 
bewußt  innerviert,  daß  er  kann,  aber  nicht  will. 

2.  Ich  erhebe  seinen  Unterschenkel  bis  zur  Hojizontalen 
und  lenke  seine  Aufmerksamkeit  auf  das  Sprunggelenk,  indem 
icli  ihn  anfeuere,  durch  äußerste  Kraftentfall.ung  eine  Bewegung 
im  Sprunggelenke  zu  erzielen.  Wenn  ich  mitten  in  seinem  Be¬ 
mühen  meine  unterstützende  Hand  sinken  lasse,  so  bleibt  der 
passiv  erhobene  Unterschenkel  in  der  Höhe  und  senkt  sich  bald 
darauf,  sowie  er  die  List  merkt.  Er  konnte  demnach  für  einen 
VToment  mit  seinen  Muskeln  das  Gewicht  des  Unterschenkels 
tragen. 

3.  Ich  täusche  ihn  über  die  Wirkung  der  Schwere.  Er 
legt  sich  auf  den  Bauch,  ich  erhebe  seinen  Unterschenkel  und 
lasse  ihn  aus.  Der  Unterschenkel  wird  von  der  Schwere  wieder 
herabgezogen.  Darauf  hebe  ich  den  Unterschenkel  über  den 
rechten  Winkel  hinaus,  so  daß  die  Schwere  nunmehr  im  Sinne 
einer  Kniebeugung  wirkt.  Ein  schlaff  gelähmter  Unterschenkel 
würde  jetzt  stehen  bleiben  oder  durch  den  Zug  seiner  Schwere 
die  Kniebeugung  noch  vermehren.  Er  aber  vollzieht  auch  jetzt 
eine  wuchligo  Knicstreckung ;  die  erste  Hälfte  dieser  Bewegung 
mußte  er  durch  Kontraktion  des  Kniestreckers  erw-uken,  die 
zweite  Hälfte  geschieht  durch  die  eigene  Schwere.  Lagert  mau 
den  Oberschenkel  auf  eine  schiefe  Ebene,  so  kann  man  diese 
Methode  noch  verfeinern  und  den  Anteil  der  willkürlichen 
Streckung  variieren. 

Ich  bin  auf  Grund  der  zwei  letzten  Versuche  sicher,  daß  er 
willkürlich  das  Knie  slrecken  kann.  Fast  sieben  Monate  lange 
Spitalsbeobachtung  konnte  der  iMann  ertragen. 

Reg. -Arzt  Dr.  Doerr:  Ueber  ein  neues  Desinfektions¬ 
verfahren  mit  F'ormalin  auf  kaltem  Wege.  (Erscheint 
ausführlich.) 

Diskussion :  Dr.  Artur  Weiß  bemerkt  zu  den  Ausführungen 
des  Vorredners,  daß  er  seit  Jahresfrist  mit  bakteriologischen 
Studien  über  die  desinfizierende  Kraft  des  Autan  beschäftigt  sei 
und  daß  er  als  Resultat  seiner  Versuche  in  einer  der  letzten 
Sitzungen  der  Gesellschaft  der  Aerzte  einen  Apparat  zu  demon¬ 
strieren  in  der  Lage  war,  der  eine  exakte  Desinfektion  von  in¬ 
fizierten  Kathetern  und  von  Zystoskopen  in  der  Zeit  von  drei, 
sicher  jedoch  von  sechs  Stunden  ermöglicht. 

Seine  gemeinsam  mit  Dr.  Mautner  im  Laboratorium  des 
Prof.  Monti  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  ausgeführten  Des¬ 
infektionsversuche  im  Raume  waren  von  befriedigendem  Effekte. 
Es  gelang,  Reinkulturen  von  Diphtheriebazillen,  Bacillus  pyocyaneus, 
Typhusbazillen,  sowie  von  weniger  resistenten  Staphylokokken¬ 
kulturen  dauernd  abzutöten,  während  resistentere  Staphylokokken¬ 
stämme  und  Kolibakterien  in  ihrem  Wachstum  deutlich  behindert 
wurden.  Von  der  Erwägung  ausgehend,  daß  es  bei  einer  Ueber- 
dosierung  des  Mittels  gelingen  dürfte,  auch  resistentere  Stämme 
abzutöten,  übertrug  der  Vortragende  seine  Desinfektionsversuche 
vom  Raume  auf  Zylindergläser,  in  welchen  er  sämtliche  ex¬ 
ponierte  Kulturen,  darunter  auch  Anthraxbazillen  und  deren 
Sporen  dauernd  abzutöten  vermochte.  (Demonstration  von  Klischee- 
abdrücken,  auf  welchen  die  mit  desinfizierten  Kulturen  beschickten 
steril  gebliebenen  Nährboden,  den  ein  üppiges  Wachstum  zeigenden 
Kontrollnährböden  gegenübergestellt  sind.)  Der  Vortragende  betont 
die  Notwendigkeit  einer  exakten  Desinfektionsmethode  für  Zysto- 
skope,  da  die  bisher  geübte  mechanische  Reinigung  mit  Seifen¬ 
spiritus  keine  sichere  Gewähr  für  die  Sterilisation  des  Instrumentes 
biete.  Auch  die  Aufbewahrung  der  so  gereinigten  Instrumente 
in  Zylindergläsern,  auf  deren  Boden  sich  Trioxymethylenpastillen 
befinden,  die  Formaldeheyd  in  gasförmigem  Zustande  abgeben, 
könne  höchstens  den  Hinzutritt  einer  Luftinfektion  verhüten 
(R.  C.  Rosenberger,  Therap.  Gazette  1905),  sei  aber  nicht 
imstande,  etwa  anhaftende  Keime  vollständig  abzutöten. 

Hofrat  Prof.  Esc  her  ich  meint,  daß  man  doch  für  exakte 
Abdiclilung  von  Fenstern  und  Türen  bei  der  Desinfektion  Sorge 
tragen  müsse.  Er  weist  auf  ein  Verfahren  hin,  das  einer  seiner 
.Vssislenlen,  Dr. -Flick,  in  Graz  angegeben  hat  und  das  im 
wesentlichen  darin  besteht,  daß  eine  sehr  geschmeidige  Lehm¬ 
masse  durch  eine  Klystierspritze  durchgestoßen  und  zu  langen 
Würsten  geformt  wird.  Diese  Vlasse  kann  dann  in  dieser  Form 
direkt  zur  Ahdichtung  benützt  werden. 

Priv.-Doz.  Dr.  Alexander  berichtet  im  .\nschlusse  an  den 
von  Primarius  Latz  ko  gehaltenen  Vortrag  (Sitzung  der  Ge 
Seilschaft  der  Aerzte,  3.  Mai  1907,  über  die  chirurgische  Therapie 
des  Puerperalprozesses)  über  45  Fälle  von  otitischer  Sinusthrom¬ 
bose  und  Pyämie  und  demonstriert  von  neun  Fällen  die  operativ 
entfernten  Thromben.  Es  liegen  Thromben  aus  dem  Sinus  sigmoideus, 
Sinus  transversus,  petrosus  inferior  und  dem  Bulbus  der  Venajugu- 
laris  sowie  der  Jugularis  interna  selbst  vor.  Alexander  be¬ 
tont  die  Wichtigkeit  der  Ausschaltung  der  V^ena  jugularis  vor 


Nr.  23 


VVlliNKIl  KLINISCHE  WOCIIENSCHKIFT.  1907. 


713 


der  Operation  am  Ohre,  die  Notwendigkeit  der  Drainage  der 
erkrankten  Vene  (Jugnlarishautfistel)  und  die  vollständige  Ent¬ 
fernung  obturierender  Thromben.  Die  wandständigen  Thromben 
sind  mehr  weniger  flach,  rasenförmig,  oft  strichförmig  oder 
punktförmig.  Nach  ihrer  Lage  entsprechen  sie  häufig  zirkumskripten 
Periphlebitiden.  Die  obturierenden  Thromben  sind  strangförmig, 
walzenrund  und  besitzen  gewöhnlich  spitz  zulaufende  Enden. 
Hieraus  ergibt  sich  für  nicht  zu  lange  Thromben  typisch  die 
Spindelform  und  es  zeigt  sich,  daß  auch  der  obturierende  Thrombus 
nur  in  seinem  mittleren  Teile  das  Gefäßlumen  vollständig  verlegt, 
während  die  beiden  Enden  in  die  bluthaltigen  Abschnitte  des 
Sinus  vorragen.  Die  Bulbusthromben  entsprechen  in  ihrer  Gestalt 
der  flach-  oder  spitzkugeligen  Ausgußform  des  Bulbus.  Die 
Jugularisthromben  sind  zumeist  unregelmäßig  strangförmig  und 
mit  Knötchen  oder  kolbenförmigen  Fortsätzen  versehen.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  sind  die  eitrig  entzündlichen  Veränderungen 
des  Thrombus  im  mittleren  Teile  desselben  am  weitesten  vor¬ 
geschritten  und  setzen  sich  von  da  aus  nach  den  beiden  Enden 
zu  fort.  In  diesen  Fällen  finden  wir  den  mittleren  Tbrombus- 
abschnitt  gelbgrau  oder  mißfärbig,  die  beiden  Enden  tiefrot  ge¬ 
färbt.  Dieses  makroskopische  Verhalten  läßt  jedoch  keinen  Schluß 
auf  die  Infektiosität  des  Thrombus  zu,  der  gewöhnlich  in  seiner 
ganzen  Längsausdehnung  von  Mikroorganismen  gefüllt  ist.  Endlich 
sind  die  Fälle  keineswegs  selten,  in  welchen  der  eitrige  Zerfall 
des  Thrombus  an  seinem  Ende  beginnt.  In  allen  Fällen  ist  daher 
bei  der  Operation  die  vollständige  Entfernung  obturierender 
Thromben  anzustreben. 

Durch  die  freundliche  Unterstützung  meines  Chefs,  Hof¬ 
rates  Politzer,  war  ich  vom  Beginn  meiner  Assistentenzeit  an 
in  der  Lage,  mich  eingehend  mit  der  Klinik  der  oti tischen  Pyämie 
zu  beschäftigen.  Unser  Material  von  insgesamt  45  Jugularis- 
ausschaltungen  läßt  sich  in  zwei  Gruppen  bringen  :  das  Material 
bis  1903  umfaßt  13  Fälle  von  Pyämie  mit  fakultativer  Venen¬ 
ausschaltung  und  primär  oder  sekundär  angelegter  Jugularis- 
hautfistel.  Von  diesen  13  Fällen  sind,  wie  die  Tabelle  zeigt, 
neun  geheilt  (ßO^/o),  vier  gestorben  (31®/o),  darunter  nur  einer  (25'7o) 
an  Meningitis.  Vergleicht  man  diese  Zahlen  mit  den  statistischen 
Daten  anderer  Autoren,  so  zeigt  sich  ungefähr  die  gleiche  Mor¬ 
talität,  dagegen  ein  Prozentsatz  von  50  bis  1007o  der  an  Menin¬ 
gitis  Verstorbenen.  Daraus  ergibt  sich,  daß  infolge  der  durch  die 
Jugularishautfistel  verbesserten  Drainage  die  Gefahr  der  Menin¬ 
gitis  bei  otitischer  Pyämie  verringert  wird.  Die  zweite  Gruppe 
umfaßt  32  Fälle  mit  obligater  Venenausschaltung  und  Jugularis¬ 
hautfistel.  Von  diesen  Fällen  sind  25  geheilt  (78%).  Diese  Ver¬ 
besserung  des  operativen  Resultates  (78%  Heilung  gegen  69“/o) 
rechtfertigt  die  Anschauung,  daß  tatsächlich  durch  die  vor  der 
Operation  am  Ohr  vorgenommene  obligate  Jugularisausschaltung 
die  Möglichkeit  der  Verschleppung  von  Infektionskeimen  bei  der 
Meißelarbeit  am  Ohr  herabgesetzt  wird.  Dagegen  ist  der  Quotient 
der  an  Meningitis  Verstorbenen  ungefähr  gleich  geblieben  (25“/o 
und  297o). 

Die  Vergleiche  unserer  Zahlen  mit  solchen  aus  der  Zeit 
vor  der  methodischen  Venenausschaltung  lassen  aber  auch  die 
Leistungsfähigkeit  der  ganzen  Methode  der  Venenausschaltung 
bei  otitischer  Pyämie  erkennen.  Es  ist  danach  gelungen,  eine 
Mortalität  von  81%  (L  e  u  t  e  r  t),  (ältere  Jahresberichte)  oder 
von  42%  (die  von  Körner  durch  Statistik*)  von  308  Fällen 
gefundene  Mortalität)  bis  auf  22°/«  herabzusetzen.  Der  Prozentsatz 
der  an  Meningitis  oder  eitriger  Enzephalitis  Verstorbenen  hat 
sich  sogar  von  77°/o  Leute rts  und  62°/«  (ältere  Jahresberichte) 
bis  auf  25  bis  29%i  verringert. 

Können  wir  für  die  nächste  Zukunft  erwarten,  daß  die 
Sterblichkeitsziffer  bei  otitischer  Pyämie  sich  noch  weiter  ver¬ 
kleinern  lassen  wird?  Die  Antwort  erhalten  wir  gleichfalls  aus 
unseren  Zahlenreihen.  Unter  den  22°/n  Mortalität  unserer  Fälle 
sind  außer  den  zwei  an  Meningitis  Verstorbenen  noch  Fälle  ent¬ 
halten,  die  an  Lungenabszessen  zugrunde  gegangen  sind.  Zwei 
Fälle  kamen  mit  Perforationsperitonitis  infolge  Milzabszesses  oder 
Leberabszesses  zur  Autopsie.  Ein  weiteres  Heruntergehen  der 
Sterblichkeit  wird  somit  aus  der  Frühdiagnose  der  Metastasen  und 
der  Möglichkeit,  sie  frühzeitig  chirurgisch  zu  behandeln,  zu  er¬ 
warten  sein. 

Die  Heilung  metastatischer  Lungeninfarkte  und  Abszesse 
wird  dann  öfter  als  bisher  gelingen  und  eine  eitrige  Perforations¬ 
peritonitis  infolge  perforierten  Milz-  oder  Leberabszesses  wird 
verhütet  werden  können. 

*)  Körner  weist  selbst  auf  die  Unzuverlässigkeit  dieser  Statistik 
hin,  da  ja  in  der  Mehrzahl  nur  geheilte  Fälle  und  von  den  zur  Autopsie 
gelangten  nie  besonders  bemerkenswerte  Befunde  mitgeteilt  worden  sind. 
Die  tatsächliche  Mortalität  ist  somit  bei  weitem  größer. 


Die  Verbesserung  der  Diagnose  der  otitischen  Pyämie  selbst 
wird  es  aber  auch  ermöglichen,  die  Fälle  rechtzeitig  zur  Opera¬ 
tion  zu  erhalten,  bevor  sich  noch  die  Thrombose  auf  sämtliche 
Hirnblutleiter  ausgedehnt  hat.  Wir  sehen  aber  auch  aus  unseren 
Zahlen,  daß  wir  jetzt  nach  dem  völligen  Ausbau  der  Operations¬ 
methode  der  Venenausschaltung  kaum  mehr  imstande  sein 
werden,  die  Mortalitätsziffer  der  an  Meningitis  verstorbenen 
Pyämiefälle  noch  weiter  herabzusetzen.  Hier  ist  das  Kapitel  der 
Heilbarkeit  der  otitischen  Pyämie  als  selbständiges  Thema  zu 
Ende  und  geht  in  die  brennendste  Frage  der  modernen  Oto- 
chirurgie,  in  die  der  Heilbarkeit  der  eitrigen  Meningitis  über. 
Wiederholt  ist  die  chirurgische  Heilung  der  otitischen  Meningitis 
versucht  worden.  Sind  wir  auch  nach  den  bisherigen  Resultaten 
von  einer  systematischen  Operationsmöglichkeit  noch  weit,  ent¬ 
fernt,  so  können  wir  doch  mit  berechtigter  Hoffnung  in  die  Zu¬ 
kunft  blicken.  Die  Erfolge  in  der  chirurgischen  Behandlung  der 
eitrigen  Meningitis  werden  auch  für  die  Behandlung  der  otitischen 
Pyämie  einen  neuerlichen  Erfolg  bedeuten. 

(Erscheint  ausführlich.) 

Diskussion:  Flofr.  Politzer:  Noch  vor  zehn  Jahren  ging 
ich  mit  einer  gewissen  Scheu  an  die  Unterbindung  der  Jugular- 
vene  bei  Freilegung  und  Ausräiimung  des  thrombosierten  Sinus 
Iransversus.  Seit  dem  Anwachsen  des  Materials  an  der  Klinik 
und  der  fortgesetzten  Erfalirung  hat  sich,  wie  die  oben  vovge- 
brachten  Daten  Alexanders  beweisen,  dieser  Eingriff  als  sehr 
erfolgreich  erwiesen.  Wir  unterbinden  die  Jugularvene  in  allen 
Fällen,  bei  denen  pyämisches  Fieher,  Schüttelfröste  auf  eine  otili- 
sche  Sinusaffektion  schließen  lassen  und  der  bei  der  Operation 
freigelegte  mißfarbige  oder  derb  sich  anfühlende  Sinus  eine  Er¬ 
öffnung  desselben  indiziert.  Für  besonders  wichtig  erachte  ich 
die  Jugiilarimterbindung  bei  wandsländiger  Tbrombose  des  Sinns, 
weil  bei  dieser  am  leichtesten  septische  Thrombenpartikel  in  den 
BlutsLrom  verschleppt  uiid  Metastasen  in  der  Lunge  und  in  an¬ 
deren  Körperteilen  veranlassen.  Aber  auch  bei  vollständiger 
Thrombosierung  des  Sinus  ist  die  Jugrdarisunterl)indung  nicht 
überflüssig,  weil  durcdi  sie  bei  Ausräumung  des  Thrombus,  wobei 
man  oft  bis  zum  Biübus  ventriculi  jugularis  Vordringen  mußi, 
die  Luftaspiration  durch  die  Jugularvene,  mit  ihrem  oft  letalen 
Ausgange,  hintangehalten  wird.  Die  Jugularisunterbindung  ist  eine 
rein  anatomische  Präparierarbeit,  die  jeder  ausführen  kann,  tier 
sie  vorher  genügend  an  der  Leiche  eingeübt  hat'. 

Dr.  Karl  Berdach:  Wenn  die  Lungen-,  bzw.  Atem¬ 
gymnastik  trotz  der  Häufigkeit  der  Lungenerkrankungen  in 
unseren  Landen  noch  nicht  jene  Würdigung  in  der  ärztlichen 
Praxis  gefunden  hat,  die  ihr  ohne  Frage  zukommt,  so  dürfte  der 
Grund  zuvörderst  in  dem  Umstande  zu  suchen  sein,  daß  bis  nun 
kein  entsprechender  praktischer  Behelf  zur  Förderung  der  Atem¬ 
gymnastik  Aerzten  und  Kranken  zur  Verfügung  stand.  Dieser 
Apparat,  welchen  ich  der  geehrten  Gesellschaft  zu  demonstrieren 
mir  erlauben  will,  ist  nunmehr  —  wie  ich  glaube  —  berufen, 
diese  Lücke  auszufüllen.  Er  ist  in  sinnreicher  Weise  von 
Sigalin  in  Warschau  konstruiert  und  ,,R  h  y  t  h  m  o  s  k  o  p“  ge¬ 
nannt  worden,  weil  man  an  ihm  den  Rhythmus  der  Atem¬ 
bewegungen  absehen  kann. 

Er  besteht  aus  einem  in  einem  Kästchen  eingeschlossenen, 
von  einem  konischen  Pendel  regulierten  Uhrmechanismus,  der 
zwei  kleine  herzförmige  Exzenter  in  Bewegung  setzt,  auf  welchen 
ein  großer  Zeiger  ruht,  dessen  Bewegungen  den  Rhythmus  der 
Atembewegungen  mit  deutlicher  Markierung  der  Atempause  nach 
jeder  Exspiration  imitieren. 

Wenn  nun  der  Apparat  vor  den  Kranken  hingestellt  wird, 
so  richtet  dieser  seine  Atembewegungen  gewissermaßen  auto¬ 
matisch  im  Sinne  der  Bewegungen  dieses  Zeigers  ein,  etwa  so 
wie  wir  auch  den  Rhythmus  unserer  Schritte  nach  dem  Takte 
einer  vorbeiziehenden  Soldatenabteilung  unwillkürlich  einzustellen 
pflegen. 

Besonders  wertvoll  für  die  Atemgymnastik  ist  die  Möglich¬ 
keit,  auch  das  Anhalten  der  Atmung  nach  jeder  tiefen  Inspiration 
auf  dem  Apparate  zu  markieren,  indem  es  durch  eine  einfache 
Verschiebung  der  Lagerung  des  Zeigers  von  einer  Exzenterrolle 
auf  die  andere  gelingt,  den  Zeiger  nach  jeder  Aufwärtsbewegung, 
welche  die  Inspiration  bedeutet,  eine  gewisse  Zeit  anzuhalten. 

Ein  weiterer  nicht  zu  unterschätzender  Vorteil  des  xVpparates 
liegt  in  der  Möglichkeit,  die  Atemgymnastik  —  wenn  ich  so 
sagen  darf  -  -  zu  dosieren.  Es  ist  ja  nicht  gleichgültig,  mit 
welcher  Intensität  der  Kranke  mit  Tuberkulose  oder  einem  Herz¬ 
fehler  dieselbe  betreibt.  Ich  kann  nun  die  Bewegungs¬ 
geschwindigkeit  des  Zeigers  in  der  Weise  regulieren,  daß  er  in 
der  Minute  24,  18,  16,  14,  13  oder  8  Exkursionen  macht  und 
überdies  durch  eine  Stillstandvorrichtung  die  Länge  der  Atem¬ 
pause  bestimmen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  23 


7i^ 


Heiläufig  will  ich  noch  bemerken,  daß  der  Apparat  sich 
auch  für  den  Gesangsunterricht  und  die  Behandlung  des 
Stotterns  empfiehlt,  wobei  es  ja  in  außerordentlicher  Weise 
auf  zweckentsprechende  Atmung  ankommt. 

Endlich  dürfte  derselbe  auch  in  der  versicherungs¬ 
ärztlichen  Praxis  sich  bewähren,  in  welcher  bekanntlich  die 
vitale  Lungenkapazität  durch  den  Thoraxumfang  nach  tiefster 
Inspiration,  hzw.  vollkommener  Exspiration  beurteilt  wird.  Wenn 
wir  nun  den  zu  Untersuchenden  auffordern,  möglichst  tief  zu 
inspirieren,  so  atmet  er  nicht  selten  entweder  überhaupt  nicht 
oder  stoßweise  ein,  während  er  durch  diesen  Apparat  —  wie 
eingangs  erwähnt  —  automatisch  angeregt  wird,  mit  der  von  uns 
gewünschten  Intensität  und  gleichmäßig  zu  atmen. 

Prim.  Dr.  Moszkowicz  hcschreiht  eine  von  ilun  auf  An¬ 
raten  des  Herrn  Priv.-Doz.  Ur.  Alfred  Fuchs  luid  mit  Hilfe 
des  Herrn  Professors  Tandler  ausgearbeilete  IMetliode  zur 
Bloßlegung  und  Enlfernuug  von  H  y  p  o  p  h  y  se  n  t  u  m  o  re  u, 
welche  sich  in  einigen  Punklen  von  der  am  Lebenden  mit  Erfolg 
angeAvendelen  Opmulionsmethodc  unterscheidet,  die  Professor 
Sc  hl  offer  vor  kurzem  (23.  Mai  1907)  in  der  Wiener  klinischen 
Wochenschrift  publiziert  hat.  Nach  dieser  Methode  wurde  seit 
Dezemher  190G  sechsmal  die  normale  Hypophyse  an  der  Leiche 
Idoßigelegt. 

Die  äußere  Nase  wird  zur  Seite  geklappt,  das  Septum, 
die  beiden  oberen  Nasenmuscheln  und  die  Siehheinzellen  wei'den 
entfernt.  Dagegen  bleibt  die  innere  Wand  der  Orbita  und  der  High- 
jnorshöhle  beiderseits  intakt.  Die  Entfernung  der  vorderen  und 
unleien  Wand  der  Stirnhöhle  und  Teilen  der  frontalen  Fortsätze 
der  Oberkiefer  schafft  ausgiebig  Raum. 

Um  einer  Meningilis  vorzuheugen,  Aväre  die  Operation  zwei¬ 
zeitig  auszuführen.  Im  ersten  Akte  der  Operation  wird  bis  in 
die  Keilbeinhöhle  vorgedrungen,  jedoch  die  lelzte  Lamelle,  welche 
noch  den  Hypophysentumor  deckt,  bleibt  erhalten.  Nun  wii'd 
ein  gestielter  Hautlappen  von  der  Stirne  in  die  WTmde  ge¬ 
schlagen,  dessen  Ende  in  die  Keilbeiiihöhle  zu  liegen  kommt. 

Im  zweilcn  Operationsakte  wird  die  letzte  Knochenlaim'lle 
durchl)rochen,  der  Hypophysentimior  entfernt  und  die  Spitze  des 
llaullappens  durch  Tamponade  in  die  Sella  turcica  gedrückt.  (Er¬ 
scheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Priv.-Doz.  Dr.  Heinrich  Schur  und  Dr.  Josef  Wiesel: 
Demonstration  einer  Reaktion  im  Blutserum  von 
N  ep  hr  i  tikern.  (Siehe  Originalartikel  in  dieser  Nummer.) 

Diskussion:  Dr.  Rudolf  Kaufmann:  Ich  erlaube  mir  im 
Anschluß  an  diese  Demonstration  von  Priv.-Doz.  Dr.  Schur  und 
Dr.  Wiesel  mitzuteilen,  daß  Prof.  Dr.  M  a  n  n  ab  e r  g  und  i  c  h  seit 
über  einem  Jahr  mit  ganz  gleichartigen  Untersuchungen  beschäftigt 
sind,  nämlich  mit  Untersuchungen  ü  ber  den  Adrenalingehalt  des  Blutes 
bei  verschiedenen  Krankheiten,  insbesonders  bei  Nephritis,  mit  Hilfe 
der  E  h  r  m  a  n  n  sehen  Froschpupillenreaktion.  Wir  haben  dabei,  wie 
ich  vorauschicken  möchte,  so  starke  Erweiterungen  der  Frosch¬ 
pupillen,  wie  ich  sie  an  den  demonstrierten  Präparaten  sehe,  nicht 
erhalten  und  gerade  unsere  Versuche,  die  Methode  zu  vervoll¬ 
kommnen,  haben  bisher  die  Mitteilung  unserer  Resultate  verzögert. 
Ich  zweifle  nicht,  daß  die  glücklichere  Wahl  der  verwendeten 
Tieraugen  die  Herren  Schur  und  Wiesel  zu  besseren  Resul¬ 
taten  geführt  hat;  wir  haben,  wie  Ehr  mann  es  angegeben  hat, 
Wasserfrösche  verwendet,  während  Schur  und  Wiesel  die 
Untersuchungen  mit  Augen  von  Laubfröschen  ausgeführt  haben. 

Immerhin  sind  auch  unsere  bisherigen  Resultate  bemerkens¬ 
wert.  Wir  sind  dazu  geführt  worden,  in  Bezug  auf  die  Erweite¬ 
rung  der  Froschpupillen  dreierlei  verschiedene  Blutsera  zu  er¬ 
kennen:  solche,  bei  welchen  die  Reaktion  sehr  deutlich  erfolgt, 
solche,  bei  welchen  sie  wenig  deutlich  ist  und  solche,  bei  welchen 
die  Reaktion  ganz  ausbleibt.  Unter  den  wenigen  Fällen  mit  sehr 
deutlicher  Reaktion  sind  zwei  Fälle  von  chronischer  Nephritis, 
welche  wir  gleich  anfangs  untersucht  haben.  Unter  den  Fällen, 
in  welchen  das  Serum  wenig  wirkte,  ist  außer  zahlreichen  Fällen 
anderweitiger  Erkrankungen  und  gesunder  Individuen  auch  ein 
Fall  von  Nephritis  mit  Urämie  und  sehr  hoher  Spannung.  Unter 
den  auf  die  Pupille  zweifellos  wirkunglosen  Seris  ist  ein  Fall  von 
Addison  hervorzuheben,  bei  welchem  die  Sektion  eine  hochgradige 
Degeneration  der  beiden  Nebennieren  ergab. 

Da  wir  die  Absicht  haben,  unsere  Untersuchungen  fortzu¬ 
setzen  und  die  bisherigen  Resultate  sich  zum  Teil  mit  den  Be¬ 
funden  von  Schur  und  Wiesel  decken,  habe  ich  mir  erlaubt, 
sie  hier  vorzubringen. 

Diskussion  zu  der  Demonstration  von  Primarius  Doktor 
Moszkowicz. 

Prof.  Dr.  Tandler:  ]\leine  Herren!  Kollege  Moszkowicz 
hat  die  Schwierigkeiten  der  intrakraniellen  Entfernung  der  Hypo¬ 
physe  mit  Recht  hervorgehoben  und  ich  kann  ihm  diesbezüglich 


vom  topographisch-anatomischen  Standpunkte  nur  vollkommen 
beistimmen.  Die  Hypophyse  auf  dem  Wege,  den  Krause  für 
die  Exstirpation  des  Ganglion  Gasseri  angegeben  hat,  freilegen 
zu  wollen,  halte  ich  deshalb  für  unmöglicb,  weil  man  den  Sinus 
cavernosus  durchsetzen  müßte  und  dabei  mit  der  S-förmig  ge¬ 
schlungenen  Art.  carotis  interna  in  Konflikt  käme.  Außerdem 
würden  die  gesamten  Augenmuskelnerven  schwer  geschädigt 
werden.  Geht  man  aber  die  Hypophyse  intrakraniell  von  vorne  her 
an,  so  stößt  die  Ablösung  der  Dura  mater  an  der  Lamina  cribrosa 
auf  große  Schwierigkeiten.  Sie  würde  sicher  einreißen  und  damit 
der  Zweck  der  Operation,  extradural  vorzugehen,  vereitelt  werden. 
Es  ragt  wohl  ein  Teil  der  Hypophyse  frontalwärts  über  das 
Chiasma  nervorum  opticorum  hinaus,  wie  dies  seinerzeit 
Z  u  c  k  e  r  k  a  11  d  1  betont  hat,  doch  wäre  trotzdem  bei  dieser 
Methode  das  Chiasma  besonders  gefährdet.  Dabei  ist  von  der 
gewaltsamen  Kompression  des  Gehirns,  wie  sie  bei  diesen  Me¬ 
thoden  notwendig,  vollkommen  abgesehen.  Die  Aufsuchung  der 
Hypophyse  von  der  Nasenhöhle  hingegen,  welche  zum  mindesten 
anatomisch  gewiß  keinerlei  Schwierigkeit  in  sich  schließt,  scheint 
mir  auch  technisch-chirurgisch  die  günstigste.  Nach  Aufklappung 
der  Nase  und  nach  Entfernung  des  Septums,  der  beiden  oberen 
Nasenmuscheln  und  des  Siebbeinlabyrinths  bis  an  die  Lamina 
papyracea  jederseits  liegt  die  vordere  Wand  der  Keilbeinhöhle  in 
der  Tiefe  eines  ziemlich  breiten  Wundtrichters  vollkommen  frei. 
Entfernt  man  nun  die  deutlich  vorspringende  Crista  sphenoidalis 
und  die  dünne  vordere  Wand  der  Keilbeinhöhle,  so  ist  diese 
damit  breit  eröffnet  und  so  der  Zugang  zur  Hypophyse  freigelegt. 
Ich  möchte  Wert  darauf  legen,  die  untere  Wand  mit  der  Crista 
in  jedem  Falle  exakt  zu  entfernen,  da  die  Zugänglichkeit  des 
eigentlichen  Operationsfeldes  hiedurch  bedeutsam  gefördert  wird. 
Die  Schwierigkeit  der  Operation  beginnt  erst  nach  Eröffnung  der 
Keilbeinhöhle,  da  sowohl  diese  selbst  als  auch  die  Beziehung  der 
Hypophyse  zur  Keilbeinhöhle  eine  große  Zahl  individueller 
Variationen  aufweist.  An  den  mitgebrachten  Demonstrations¬ 
objekten  können  Sie  einen  Teil  dieser  Variationen  sehen.  Zunächst 
ist  die  Unterteilung  der  Keilbeinhöhle  einerseits  durch  die  oft 
bedeutsame  Deviation  des  Keilbeinseptums,  anderseits  durch 
akzessorische  Septen  vielfach  so  unregelmäßig,  daß  ohne  genauere 
Kenntnis  hier  eine  Orientierung  oft  schwierig  sein  dürfte.  Auch 
horizontale  Unterteilungen  kommen,  wenn  auch  selten,  vor  und 
sind  aus  den  genannten  Gründen  bemerkenswert.  Daß  selbst¬ 
verständlicherweise  auch  die  Größe  der  Keilbeinhöhle  für  die 
Operation  von  Bedeutung  sein  kann,  brauche  ich  nicht  besonders 
zu  betonen.  Untersucht  man  eine  größere  Zahl  von  Schädeln,  so 
zeigt  sich,  daß  die  Foss’a  hypophyseos,  also  die  Einlagerungsstelle 
des  Hirnanhanges,  verschieden  tief  sein  kann  und  daß  sie  dem¬ 
entsprechend  verschieden  weit  in  den  Sinus  sphenoidalis  vorragt. 
Je  größer  diese  Hervorragung  ist,  um  so  einfacher  ist  der  Sitz 
der  Hypophyse  von  der  Keilbeinhöhle  her  zu  erkennen.  Auf  die 
Tatsache,  daß  der  Knochen  gerade  an  der  Hypophysenprominenz 
besonders  dünn  ist,  kann  man  sich  nicht  verlassen,  da,  wie  dies 
an  den  Präparaten  zu  sehen  ist,  sowohl  vor  der  Hypophyse,  als 
auch  hinter  derselben  die  Basis  cranii  sehr  stark  verdünnt  sein 
kann.  Eine  etwas  brüskere  Perforation  an  dieser  Stelle  würde 
unfehlbar  zu  einer  Verletzung  der  Hirnbasis  führen.  Die  Orien¬ 
tierung  wird  bedeutend  erleichtert  durch  den  Umstand,  daß  bei 
Hypopbysentumoren  die  Prominenz  der  Hypophyse  gegen  die 
Keilbeinhöhle  bedeutsam  vergrößert  ist.  In  manchen  t'ällen  ist 
sogar  die  knöcherne  Bedeckung  der  Hypophyse  vollkommen  ge¬ 
schwunden  und  diese  ragt,  nur  von  Dura  mater  gedeckt,  in  die 
Keilbeinhöhle  hinein.  Einen  solchen  Fall  von  Adenom  der  Hypo¬ 
physe  möchte  ich  hier  an  einem  Sagittalschnitt  demonstrieren, 
welchen  auch  Zucker  kan  dl  in  seiner  Anatomie  der  Nase 
wiedergegeben  hat.  Im  allgemeinen  kann  man  wohl  sagen,  daß 
die  Aufsuchung  der  vergrößerten  Hypophyse  leichter  ist  als  die 
der  normalen.  Nebenverletzungen,  wie  Verletzungen  des  Sinus 
cavernosus,  der  Karotis  und  des  Nervus  opticus  sind  absolut  ver¬ 
meidbar,  insolange  man  sich  streng  an  die  gegebenen  Vorschriften 
hält  und  die  laterale  Wand  der  Keilbeinhöhle  nicht  verletzt.  Das 
topographische  Verhalten  der  Hypophyse  können  die  Herren  an 
den  vorhandenen  Präparaten  ersehen. 

Priv.-Doz.  Dr.  Alfred  Fuchs:  Angesichts  der  chirurgischen 
Erfolge  tritt  an  uns  die  Aufgabe  der  Indikationsstellung  heran, 
welche  Aufgabe  für  die  nächste  Zeit  noch  keine  ganz  leichte  sein 
wird.  Von  der  Schwere  des  Eingriffes  abgesehen,  können  wir 
zurzeit  noch  kein  Urteil  über  die  Ausfallserscheinungen  haben, 
welche  der  Totalexstirpation  der  Hypophyse  folgen  werden. 
Ferner  wird  der  Entschluß  zur  Operation  für  uns  und  für  den 
Kranken  schwer  sein  in  allen  Fällen,  wo  keine  progressiven 
Augensymptome  vorhanden  sind.  Diese  Fälle  aber  sind  zahl¬ 
reicher  als  jene  mit  Hemianopsie  und  progressiver  Sehstörung. 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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S  c  li  1  o  f  f  o  r  s  Indikation  gaben  die  Kopfschmerzen  al),  welche 
hei  Hypophysentninoren  im  Gegensatz  zu  anderen  Gehirn¬ 
geschwülsten  gewöhnlich  auffallend  gering  sind  oder  ganz  fehlen. 
Aus  diesen  Gründen  konnten  wir  uns  in  mehreren  Fällen  der 
letzten  Monate  zur  Operation  noch  nicht  entschließen.  Aber  schon 
die  relative  Sicherheit,  mit  welcher  hei  dem  Verfahren  von 
Moszkowicz  die  Gefahr  der  Meningitis  umgangen  wird,  wird 
den  Entschluß  in  künftigen  Fällen  erleichtern  und  wir  werden 
wohl  in  dem  nächsten  progredienten  Falle  nicht  zögern,  dem 
Patienten  die  Operation  vorzuschlagen. 

Dr.  Hans  v.  H  a  b  e  r  e  r  :  Der  Klinik  meines  Chefs,  Hofrates 
V.  Eiselsherg  ist  für  die  nächste  Zeit  ein  Patient  mit  Hypo¬ 
physistumor  zur  eventuellen  Operation  in  Aussicht  gestellt  und 
infolgedessen  beschäftigen  auch  wir  uns  eingehender  mit  der 
Frage  der  operativen  Technik  dieses  Eingriffes.  Außerdem  hat 
mein  Chef  seit  einer  Reihe  von  Jahren  immer  wieder  Tierversuche 
angestellt,  die  sich  mit  der  Entfernung  der  Hypophyse  beschäftigten. 
Ich  durfte  ihm  hei  einer  größeren  Anzahl  dieser  Versuche  Assistenz 
leisten  und  habe  auch  schließlich  seihst  einige  derartige  Versuche 
ausgeführt.  Da  Herr  Primarius  Moszkowicz  bisher  nur  über 
Leichenversuche  verfügt  und  das  von  ihm  geschilderte  Verfahren 
noch  keine  Anwendung  gefunden  hat,  so  ist  es  wohl  erlaubt, 
auch  ohne  persönliche  Erfahrung  über  die  Methode  eine  Meinung 
dazu  zu  äußern.  Zunächst  unterscheidet  sich  das  Verfahren  von 
Moszkowicz  meines  Erachtens  nach  nur  in  ganz  unwesent- 
lichenPunkten  von  der  von  Schl  offer  ausgebildeten  und  mit  Glück 
am  Lebenden  bereits  angewendeten  Methode.  Der  Umstand,  daß 
Moszkowicz  zweizeitig  operiert,  mag  den  Eingriff  aseptischer 
gestalten,  aseptisch  aber  kann  er  wohl  auch  dadurch  nicht  werden. 
Hingegen  möchte  ich  doch  dagegen  Bedenken  tragen,  einen  so 
schmalen  Hautlappen  als  Plombe  an  die  verletzte  Schädelbasis 
zu  schlagen,  weil  ich  mir  nicht  vorstellen  kann,  wie  derselbe 
dort  anheilen  wird.  Ich  möchte  meinen,  daß  gerade  das  wichtige 
Stück  dieses  schmalen  Lappens,  welches  den  gesetzten  Defekt 
an  der  Schädelbasis  decken  soll,  doch  sehr  leicht  nekrotisch 
werden  kann,  abgesehen  von  den  schlechten  Bedingungen,  die  es 
für  eine  Anheilung  überhaupt  vorfmdet.  Ich  gebe  aber  gerne  zu, 
daß,  wie  so  oft,  auch  hier  probieren  über  studieren  geht.  Die 
durch  das  Ausschneiden  des  Lappens  gesetzte  hochgradige  Ver¬ 
unstaltung  spielt  bei  einer  so  schweren  und  großen  Operation, 
wie  sie  eine  Hypophysenexstirpation  vorstelll,  wohl  nur  eine 
sekundäre  Rolle.  Ich  möchte  aber  vorschlagen,  wenn  man  schon 
den  zweizeitigen  Weg  hei  der  Operation  eines  Hypophysentumors 
betritt,  den  Knochendefekt  zu  plombieren,  so,  wie  der  Zahnarzt 
den  Zahn  plombiert.  Dazu  würde  sich  z.  B.  Kupferamalgam 
eignen,  das  neben  dem  Vorzug,  daß  es  auch  in  nicht  absolut 
trocken  gelegten  Höhlen  hält,  noch  obendrein  eine  leicht  des- 
infektorische  Wirkung  besitzt.  Dieses  Mittel  hat  sich  uns  bei  den 
Tierversuchen  recht  gut  bewährt  und  wie  ich  zufällig  erst  heute 
durch  ein  Gespräch  über  dieses  Thema  mit  Herrn  Prof.  B  i  e  d  1 
erfuhr,  hat  Biedl,  der  doch  eine  besonders  reichhaltige  Er¬ 
fahrung  über  diese  Experimente  besitzt,  mit  gutem  Erfolge  Zement¬ 
plomben  benützt. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Silzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  16.  Mai  11)07. 

Hecht  stellt  ein  4V-'jähriges  Kind  mit  Pertussis  und 
hämorrhagischer  Dialhese  vor.  Die  Ilauthlutungen  hei 
lelzterer  unterscheiden  sich  von  den  hei  Pertussiis  vorkommemlen 
Stauungshlutungen  durch  ilua!  vorwiegende  Lokalisation  an  den 
Extremitäten,  wälnend  die  Stauungshlutungen  hauplsächlich  au 
der  Gonjuncliva  bulbi  und  an  der  Bnist  auftreten.  Die  Herah- 
selzung  der  Resistenz  der  Gefäße  hat  Vortr.  dadurch  ziffern¬ 
mäßig  nachgewiesen,  daß  er  den  negaliven  Druck  maß,  welcher  in 
aufgeselzten  Schröpfköpfen  herrschen  muß,  um  in  der  Haut  Blut¬ 
austritte  zu  erzeugen.  Bei  dem  vorgestellten  Kinde  sind  vor 
vier  Wochen  im  Verlaufe  der  Pertussis  Blutungen  in  der  Haut 
der  unteren  Extremitäten  aufgetreten. 

N.  Swohoda  führt  einen  elf,jährigen  Knaben  mit  ange¬ 
borenem  Herzfehler  vor.  Das  Herz  ist  verbreitert,  über 
demselben  ist  ein  systolisches  Geräusch  hörbar  u.  zw.  am 
lautesten  im  zweiten  Interkostalraum  links.  Die  subjektiven  Be¬ 
schwerden  des  Patienten  sind  gering,  er  wird  bei  schnellem  Gehen 
kurzatmig,  klagt  über  Kältegefühl  und  wird  hei  Anstrengung 
zyanotisch.  Merkwürdig  ist  es,  daß  der  Knabe  leicht  und  lange 
(bis  zu  24  Stunden)  weint.  Pat.  hat  ausgesprochene  Trommel- 
schlägelfinger  mit  Beteiligung  der  Knochen  der  Endphalangen. 
Außerdem  zeigt  er  Zeichen  von  Lungentuherkuloso,  seit  zwei 


Jahren  Hcmeraloi)ie  und  Xerosis  triangularis  corneae;  die  Vene:! 
des  Augenliinlergiundes  sind  bis  auf  das  DoiJpelle  ervveitei  t. 

Fe.  m  i  denuu  ;.rierl  S  w  o  h  o  d  a  ein  vierjähri  es  Kind,  we’ches 
nach  Applikation  einer  Teersalhe  Nephritis  mil 
(Jedem  en  bekommen  hat.  Das  Kind  bekam  wegen  nässenden 
Ekzems  am  Hiiiterkopf  eine  3"/oige  Salbe  von  Ol.  cadinuni.  Binnen 
(dniger  Stunden  traten  ausgedehnte  (Jedeme  auf,  im  Harn  fanden 
sich  Eiweiß,  Blutkörperchen  und  Zylindei',  die  tägliche  llarn- 
menge  sank  unter  öüü  cm'*.  Im  ganzen  konnte  höchstens  Vag 
des  Ol.  cadinuni  zur  Resorption  gelangen.  Vortr.  warnt  vor 
allzu  ausgedehnter  Anwendung  der  Teersalhe  hei  Kindern. 

Th.  Escheiich  frägt,  oh  die  Nephritis  nicld  durch  In- 
feklion  von  der  Hautwunde  aus  entstanden  sein  konnte. 

N.  Swohoda  erwidert,  daß  sich  dies  nicht  ausschließen 
lasse;  die  Mutter  gah  aber  an,  daß  das  Kind  früher  niemals 
Oedeme  hatte,  diese  stellten  sich  erst  einige  Stunden  nach  Appli¬ 
kation  der  Salbe  ein. 

Herrn.  Schlesinger  hat  mehrere  Fälle  von  Nephritis  nach 
Anwendung  von  Teersalhe  gesehen,  zwei  derselben  endeten  letal. 

N.  Swohoda  beobachtete  Auftreten  von  Oedenien  und 
Tod  nach  Inhalation  von  Terpentindämpfen.  Bei  der  Sektion 
fand  sich  große  weiße  Niere. 

A.  Hecht  erklärt,  daß  die  Untersuchung  des  Harns  (auf 
gepaarte  Schwefelsäuren  mittels  Baryumhydrats)  Aufschluß  dar¬ 
über  gibt,  ob  der  Organismus  mit  Phenolverbindungen  gesättigt 
ist.  Diese  vereinigen  sich  im  Harne  mit  der  vorhandenen  Schwefel¬ 
säure,  welche  dann  mit  Baryumhydrat  einen  Niederschlag  gibt. 

Wasservogel  stellt  einen  Knaben  ndt  bilateraler 
Heini  atrophia  faciei  vor,  welche  seit  zwei  Jahren  zu  be¬ 
merken  ist.  Die  Körpermuskulatur  ist  kräftig  entwickelt,  die 
Fossae  caninae  sind  eingefallen,  die  Haut  des  Gesichtes  ist  ver¬ 
dünnt  und  der  Panniculus  adiposus  geschwunden.  Es  dürfte  auch 
die  Gesichlsmuskulatur  an  dem  atrophischen  Prozesse  teilnehmen. 
Das  Verhalten  der  Kopfnerven  ist  normal.  Eine  Behandlung 
mittels  Elektrizität  und  Massage  war  erfolglos,  es  werden  daher 
subkutane  Paraffininjektionen  zur  Behebung  der  Entstellimg  an¬ 
gewendet  werden. 

W.  K  n  ö  p  f  e  1  m  a  c  h  e  r  demonstriert  das  anatomische  Prä¬ 
parat  von  Verlegung  der  T  r  a  c  h  e  a  ,d  u  r  c  h  eine  Bronchia  1- 
drüse.  Das  2V2jährige  Kind  bekam  am  achten  Tage  nach  Er¬ 
krankung  an  Diplitherie  des  Pharynx  und  Larynx  einen  Anfall 
von  Trachealstenose,  welclier  trotz  Tracheotomie  anhielt,  dabei 
atmete  die  rechte  Lunge  fast  gar  nicht.  Die  Obduktion  zeigte, 
daß  der  rechte  Bronchus  fast  ganz  und  die  Trachea  zum  Teil 
von  einer  vergrößerten  Bronchialdrüse  verlegt  waren. 

A.  Baumgarten  stellt  ein  fünfjähriges  Mädchen  mit 
Jlemia  trophia  linguae  vor,  welche  naclneiner  vor  3 Vs  Jahren 
an  den  Halslymphdrüsen  ausgeführlen  Operation  eingetreten  sein 
soll;  seither  besteht  auch  eine  Erschwerung  der  Sprache.  Es 
handelt  sich  um  eine  periphere  Hypoglossuslähmung. 

R.  Neurath  bemerkt,  daß  es  auch  kongenitale  Fälle  von 
Hypoglossuslähmung  gibt. 

A.  Bau  mg  arten  weist  darauf  bin,  daß  eine  solche  hier 
nach  der  Anamnese  ausgeschlossen  ist.  Entartungsreaktioii  ist 
nicht  vorhanden. 

W.  Knöpf clmacher  erklärt  dieses  Fehlen  von  Entartungs- 
reakiion  dadurch,  daß  vom  Hypoglossus  einer  Seite  .beide  Zuiigen- 
hälflen  versorgt  werden. 

B.  Schick:  Die  physiologische  Nagollinie  des 
Säuglings.  Bisher  hat  man  Nagelveränderungen  nur  bei  Lues 
besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt;  fast  in  allen  Fällen  hau- 
dell  es  sich  hiebei  um  entzündliche  Vorgänge  (Paronychie).  Ueber 
nichtentzündliche  Nagelveränderungen  bei  Säuglingen  in  Form 
von  Querlinien  findet  man  drei  Beispiele  bei  Heller.  Ihre 
Entstehung  wird  auf  Magendarmkatarrhe,  bzw.  auf  Lues  be¬ 
zogen.  Vortr.  beobachtet  diese  Linie  bei  ganz  gesunden  Kindern 
in  einem  bestimmten  Alter.  Um  den  Beginn  der  fünften  Lebens¬ 
woche,  häufiger  gegen  Ende  derselben,  erscheint  bald  früher 
am  Daumen,  bald  früher  an  den  Fingern  eine  wallarlige  Idnie, 
die  vorrückend  deutlicher  wird  und  bogenförmig',  mit  dom  kon¬ 
vexen  Rande  gegen  das  freie  Ende  des  Nagels  gerichtet,  cpier 
über  den  Nagel  läuft.  Um  den  60.  Lebenstag  hat  die  Linie  die 
IMitte  des  Nagels  erreicht,  um  den  90.  Lebenstag  gelangt  sie 
an  den  freien  Rami  desselben.  Am  weitesten  voraus  ist  die 
Linie  meist  am  Daumen,  am  meisten  zurück  am  kleinen  Finger. 
An  den  Nägeln  der  Zehen  sind  analoge  Linien  nachweisbar. 
Vortr.  gibt  Zahlen  über  fortlaufende  IMessungen  an  einem  Kinde 
und  Messungen  an  verschiedenen  Kindern  und  berechnet  daraus 
Durchsclmiitswerte,  die  wie  alle  Längenmaße,  welche  vom  Wachs- 
tume  abhängig  sind,  nicht  als  fixe  Zahlen  gelten  dürfen.  Mit 
Rücksicht  auf  individuelle  Schwankungen  hat  die  physiologische 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


Nugelliiiie  eine  gewisse  Hudculung  als  Allersiiiali  ujkI  ist  aucJi 
forejisiscii  vorwcrlbar.  Die  Ursache  der  iXagelliuieidjildaiig  sielil 
Vorlr.  in  der  Schädigung  des  Organismus  durch  den  Uehergang 
vom  inlta-  ziun  exlraiderinen  J.,ehen.  Als  analoge  Störungen 
sind  his  jetzt  die  physiologische  Korpergewichtsahnahme  in  der 
ersten  W  oche  und  die  physiologische  Desquamation  hekannt.  Die 
vorühei'gehende  Störung  der  gleici)Uiäßigen  Nagethildung  wird 
deswegen  erst  vier  his  l'ünf  Wochen  nacli  der  Einwirkung  der 
Ursaclie  sichthai',  weit  ein  Teil  des  Nagels  durch  den  Nagel¬ 
wall  gedeckt  Avird. 

K.  Hoch  singer  bemerkt,  daßi  die  luetisclien  Nagelt'urchen 
tiefer  sind  als  die  physiologisclien,  außerdem  ist  '1er  hinter 
der  Furche  liegende  Teil  des  Nagels  verändert.  Diese  Nagel¬ 
furche  ist  der  Ausdruck  der  schlechten  Ernährung  und  der  kon¬ 
sekutiven  AVachstumsstörung  in  der  Eruptionsperiode  .der  Lues. 

N.  Swohoda  hat  das  V^erhalten  der  Nagelfurchen  hei  Sy¬ 
philis  und  hei  Scharlach  studiert.  Bei  Lues  hat  er  das  Auftreten 
von  zwei  Furchen  an  einem  Nagel  heohachtet. 

Th.  Escherich  weist  darauf  hin,  daß  die  Ursache  der 
physiologischen  Nagelfurche  die  Lhiterernährung  der  Kinder  in 
den  ersten  Lebenstagen  ist.  Es  wäre  interessant,  festzustellen, 
ob  hei  ausreichender  Ernährung  Avährend  dieser  Periode  eben¬ 
falls  eine  Nagelfurche  auflritt  und  oh  sie  aucli  bei  Frühgeborenen 
zu  heohachten  ist.  Eine  Analogie  zu  der  pathologischen  Nagel¬ 
furche  bilden  die  Furchen  aus  Zahnschmelz  bei  Syphilis  und 
hei  Tuberkulose. 

B.  Schick  bemerkt,  daß  er  in  seinem  A^ortrage  hervor¬ 
gehoben  habe,  daß  die  physiologische  Nagelfurche  unter  dem 
Einflüsse  der  Lues  tiefer  Avird. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907. 

(Fortsetzung.) 

Referent :  N.  Meyer-  Bad  Wildungen. 

IV.  Sitzung:  Dienstag  den  16.  April,  nachmittags. 

G.  K 1  e  m  p  e  r  e  r  -  Berlin  :  Zur  Lehre  von  der  A^er- 
f  e  1 1  u  n  g. 

Neuere  Untersuchungen  hatten  gezeigt,  daß  angeblich  der 
Fettgehalt  normaler  und  verfetteter  Nieren  gleich  sei ;  es  schien 
danach  der  Aufassung  der  Boden  entzogen,  als  sei  die  Verfettung 
ein  nekrobiotischer  Prozeß.  Zur  Klärung  dieser  Frage  hat 
Klemperer  den  Aetherextrakt  verfetteter  Nieren  in  seine  ver¬ 
schiedenen  Bestandteile  zerlegt  und  gefunden,  daß  in  einer  Fett¬ 
niere  von  chronischem  M.  Brightii,  Avelche  3'G“/o  Aetherextrakt 
enthielt,  nicht  Aveniger  als  1‘7%  Cholesterinester  und  l’ßVo  Lezi¬ 
thin,  also  90“/o  des  Aetherextraktes  als  Lipoidsubstanzen  enthalten 
Avaren.  Aehnliche,  Avenn  auch  nicht  ganz  so  hohe  Zahlen  des 
Cholesterin-  und  Lezithingehaltes  ergab  die  Analyse  der  Fettnieren 
von  zAvei  Diabetikern,  welche  im  Leben  Lipämie  gezeigt  hatten. 
A^on  normalen  Nieren  konnte  Klemperer  bisher  nur  eine 
untersuchen,  Avelche  in  100  g  frischer  Substanz  1’4  g  Aether¬ 
extrakt,  0’3  Cholesterin  und  0’6  Lezithin  ergab.  Die  Untersuchungen 
Averden  fortgesetzt;  sie  versprechen  Aveitere  Aufklärung  des  Ver¬ 
fettungsproblems.  (Autoreferat.) 

Diskussion.  R  o  s  e  n  f  e  1  d  -  Breslau,  Hesse-  Kissingen, 
K 1  e  m  p  e  r  e  r  -  Berlin.  Rosenfeld:  Im  Gegensatz  zum  Unter- 
hautfettgeAvebe  vermag  sich  das  Cholesterin  in  den  Organen 
abzulagern.  Es  besagt  also  die  Cholesterinanhäufimg  in  den 
Organen  noch  keine  Entstehung  an  Ort  und  Stelle.  Bei  Ver- 
fütterung  häufe  sich  Cholesterin  auch  im  Blute  an.  Die  ScliAvan- 
kungen  des  Fettgehaltes  der  Nieren  bewegen  sich  zAvischen 
15.  bis  237o,  Klemperer  habe  aber  nur  eine  Niere  untersucht. 

Klemperer:  R  o  s  e  n  f  e  1  d  habe  keine  Cholesterin-  und 
Lezithinbestimmungen  gemacht;  Fettanhäufung  bedeute  noch 
keine  Cholesterinanhäufung.  Im  Blut  sei  z.  B.  der  Cholesterin¬ 
gehalt  in  der  Norm  und  bei  der  Mästung  sehr  gering  und  nur 
in  dem  besonderen  Zustand  der  diabetischen  Lipämie  erhöht. 

B  e  r  g  e  1 1  -  Berlin  :  1.  V  e  r  h  a  1 1  e  n  der  Salze  orga¬ 

nischer  Säuren  im  Organismus. 

Im  Gegensatz  zu  der  Liebig  sehen  Anschauung,  daß 
pflanzensaure  Alkalien  völlig  in  Natronkarbonat  veinvandelt  würden, 
ergaben  Kohlensäurebestimmungen  des  Harns,  daß  dies  nur  teil- 
Aveise  der  Fall.  Die  Karbonatbildung  ist  bei  Natriumazetat  ungleich 
höher  als  bei  Zitrateinfuhr. 

2.  B  e  d  e  u  t  u  n  g  der  Löslichkeit  der  Eiweiß- 
k  ü  r  p  e  r  für  die  Verdauung. 

An  dem  Beispiel  des  löslichen  Kaufalbumins  ließ  sich  er¬ 
weisen,  daß  die  lösliche  Form  die  Eiweißkörper  für  das  Ferment 
(Pankreatin)  um  das  ATehrfache  adä([uater  macht  als  die  unlösliche 


Form.  Die  löslichen  EiAveißstoffe  der  Natur  sind  von  ferment¬ 
hindernden  Stoffen  begleitet.  Daher  ist  ihr  diätetischer  AA^ert  geringer 
als  der  der  koagulierten  Form. 

B  1  u  m  -  Straßburg  :  Untersuchungen  überAlkap- 
t  o  n  u  r  i  e. 

Experimentelle  Prüfung  des  AA^eges,  auf  dem  bei  der 
Alkaptonurie  die  merlcAvürdige  UiUAvandlung  von  Phenylalanin 
und  Thyrosin  erfolgen  kann.  Die  Untersuchung  geschah  derart, 
daß  die  in  Betracht  kommenden  Substanzen  (Ortho-,  Meta-,  Para- 
thyrosin)  synthetisch  dargestellt  Averden  und  nach  ihrer  Ver- 
fütterung  beim  Alkaptonuriker  das  Verhalten  der  Homogentisin¬ 
säure,  des  charakteristischen  Harnbestandteils,  quantitativ  ermittelt 
wurde. 

B  r  u  g  s  c  h  und  S  c  h  i  1 1  e  n  h  e  1  m  -  Berlin :  Zur  Stoff¬ 
wechselpathologie  der  Gicht. 

Der  endogene  Harnsäurewert  des  Urins  beim  Gichtiker 
ist  auffallend  niedrig  (besonders  bei  der  Bleigicht),  dabei  findet 
sich  trotz  monatelanger  purinfreier  Diät  (an  neun  Gichtikern 
geprüft)  entgegen  dem  Nichtgichtiker  eine  nachAveisbare  Menge 
Harnsäure  ijii  Blute,  die  also  nur  einer  Störung  im  endogenen 
Nukleinstoffwechsel  ihren  Ursprung  verdanken  kann.  Die  Kurve 
des  exogenen  HarnsäureAvertes  im  Urin  nach  Nukleinsäurever- 
fütterung  verläuft  Aveit  langsamer  und  niedriger  als  beim  Gesunden. 
Trotz  Zufuhr  großer  Mengen  von  Nukleinsäure  (50  g  in  fünf 
Tagen)  steigt  der  Harnsäure  wert  des  Blutes  beim  Gichtkranken 
nicht  Avesentlich  an  ;  es  kann  sich  also  nicht  um  eine  Retention 
von  Harnsäure  im  Blut  handeln,  sondern  es  muß  eine  ver¬ 
langsamte  Harnsäurezersetzung  vorliegen.  Damit  geht  Hand 
in  Hand  eine  verzögerte  und  verminderte  Harnsäurebildung,  Avas 
einmal  aus  der  exogenen  Harnsäurekurve  hervorgeht,  wofür 
dann  ein  Aveiterer  BeAveis  neben  dem  niedrigen  endogenen  Harn- 
säureAvert  die  verlangsamte  und  vermehrte  Purinbasenaus¬ 
scheidung  im  Gichtiker-Urin  nach  AVeinsteinsäurefütterung  bildet. 
Die  Toleranz  des  Gichtikers  gegenüber  Aminosäuren  (Glykokolle 
und  Alanin)  ist  Avie  beim  normalen  Individuum.  Der  Glykokollbefund 
des  Gichtikerharns  hält  sich  in  denselben  Grenzen  wie  beim 
normalen.  Eine  Gykokollbildung  aus  Harnsäure  läßt  sich  experi¬ 
mentell  nicht  bcAveisen. 

Diskussion:  AVohlgemuth  -  Berlin  bemerkt,  daß  auch 
er  die  Toleranz  des  Gichtikers  gegenüber  Aminosäuren  als  normal 
gefunden  habe.  Schiften  heim:  Die  Versuche  sind  nicht 
beAveiskräftig,  Aveil  bei  den  großen  verfütterten  Mengen  des 
Wohlgemuth  (45  g  Glykokoll  an  einem  Tage)  sicher  ein  großer 
Teil  den  Organismus  passiert  haben  müßte  und  nur  deshalb  dem 
NachAveis  entging,  Aveil  die  angeAvandte  Methode  (a-Naphthyl- 
isozyanat)  für  den  klinischen  NachAveis  unbrauchbar  ist. 

AVohlgemuth  betont,  daß  aus  den  Resultaten  nicht  auf 
die  Methode  geschlossen  werden  dürfe. 

B  r  u  g  s  c  h  berichtet,  daß  er  selbst  mit  der  Methode  gearbeitet 
und  sie  für  die  Untersuchung  des  Urins  als  absolut  unbrauchbar 
gefunden  hat. 

E  m  b  d  e  n  -  Frankfurt  a.  M. :  Beitrag  zur  Lehre  von 
der  Azetonurie. 

E  m  b  d  e  n  erörtert  die  Frage,  ob  präformiertes  Azeton  sich 
im  Urin  vorfindet.  Man  vermag  das  xVzeton  vermittels  Vakuum¬ 
destillation  bei  niedriger  Temperatur  zu  entfernen.  Bestimmt 
man  im  Anfang  die  Gesamtmenge  des  Azetons  und  der  Azetessig- 
säure  und  nach  der  Vakuumdestillation  die  Azetessigs^ure,  so 
kann  man  aus  der  Differenz  ersehen,  ob  und  Avieviel  Azeton 
im  Harn  vorhanden  war.  Bei  leichter  Azidose  findet  sich  gar 
kein  Azeton  im  Harn  präformiert  vor,  bei  schAverer  Azidosis  geringe 
Mengen  freien  Azetons.  Die  Möglichkeit,  daß  sich  Azetessigsäure 
etAva  zersetzt,  ist  aber  nicht  auszuschließen. 

F  a  1 1  a  und  A.  G  i  g  o  n  -  AVien  :  U  e  b  e  r  E  m  p  f  i  n  d  1  i  c  h- 
keit  des  Diabetikers  gegen  EiAveiß  und  Kohle¬ 
hydrat. 

In  mehreren  Fällen  von  Diabetes  mellitus,  Avelche  ihrem 
ganzen  A^erlauf  nach  als  der  schweren  Form  zugehörig  angesehen 
Averden  mußten,  zeigte  sich,  daß  in  einer  eiAveißreicheren  Periode 
mehr  Zucker  ausgeschieden  wurde,  als  in  einer  kohlehydrat¬ 
reichen.  AATirde  nun  in  solchen  Fällen  zu  einer  strengen  Stan¬ 
dardkost  an  einzelnen  Tagen  Kohlehydrat  oder  EiAveiß  zugelegt, 
so  Avurde  in  den  Kohlehydratversuchen  fast  immer  noch  ein 
beträchtlicher  Teil  der  zugelegten  Kohlehydrate  verwertet,  in  den 
EiAveißversuchen  trat  hingegen  eine  Steigerung  der  Zuckeraus¬ 
scheidung  auf,  die  im  Verhältnis  zur  Menge  des  zuckerbildenden 
Materials  größer  Avar  als  in  den  Kohlehydratversuchen.  Diese 
Untersuchungen  führen  also  geradezu  zu  der  paradoxen  Tatsache, 
daß  solche  schAvere  Fälle  von  Diabetes  mellitus  bei  kohlehydrat- 
reicher  Kost  mehr  Zucker  ausnützen  als  bei  eiweißreicher  Kost. 
Diese  Fälle,  die  anscheinend  gar  nicht  selten  sind,  sind  also 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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empfindlicher  gegen  Eiweiß  als  gegen  Kohlehydiat,  während 
leichte  Fälle  bekanntlich  das  entgegengesetzte  Verhalten  zu  zeigen 
pflegen.  Vielleicht  sind  solche  schwere  Fälle  gegen  die  mit  Zu¬ 
fuhr  von  Eiweiß  verbundene  Steigerung  der  Wärmeproduktion 
empfindlicher.  Es  ist  jedenfalls  zu  erwarten,  daß  es  in  solchen 
Fällen  vorteilhafter  sein  wird,  vorerst  die  Eiweißzufuhr  stärker 
zu  beschränken  als  die  Kohlehydrate,  besonders  wenn  gleichzeitige 
Azidose  besteht. 

Georg  Zuelzer  -  Berlin  :  Untersuchungen  über 
den  experimentellen  Diabetes. 

Z  u  e  1  z  er  ging  aus  von  dem  Nebennierendiabetes,  der 
durch  die  subkutane  Injektion  von  Adrenalin  hervorgerufen  wird 
und  versuchte,  die  Analogie  desselben  mildern  Minkowski  sehen 
Pankreasdiabetes  nachzuweisen.  Die  Durchblutung  der  Leber  von 
Nebennierendiabetestieren  und  entpankreasten  Hunden  ließ  eine 
Analogie  erkennen.  Während  nämlich  bei  Durchblutung  normaler 
Hundelebern  der  Blutzucker  um  8  bis  15°/o  stieg,  stieg  er  bei 
Nebennierendiabeteslebern  um  50  bis  113,  bei  Pankreasdiabetes¬ 
lebern  um  26  bis  66%.  —  Zuelzer  machte  nunmehr  die  An¬ 
nahme,  daß  die  Zuckerausschüttung  eine  Wirkung  des  Adrenalins 
sei,  die  normalerweise  vom  Pankreasferment  paralysiert  werde. 
Er  versuchte  deshalb  den  Adrenalininjektionsdiabetes  durch  gleich¬ 
zeitige  oder  vorübergehende  Injektion  von  Pankreasextrakt  zu 
unterdrücken,  was  in  zahllos  wiederholten  Versuchen  gelungen 
ist.  Ebenso  suchte  er  umgekehrt  dexi  Pankreasdiabetes  dadurch 
zu  unterdrücken,  daß  er  den  normalen  Zufluß  des  Adrenalins 
in  den  Organismus  durch  Unterbindung  der  Nebennierenvenen 
verhinderte.  Diese  sehr  komplizierten  Versuche  sind  in  gewissem 
Sinne  ebenfalls  als  gelungen  zu  betrachten. 

Eine  sehr  wertvolle  Stütze  für  die  Annahme  eines  positiven 
Nebennierendiabetes  im  Zuelzer  sehen  Sinne  gaben  ältere  Unter¬ 
suchungen  von  S  e  e  g  e  n.  Dieser  Autor  fand  das  regelmäßige 
Auftreten  einer  Hyperglykämie  10  bis  15  Minuten  nach  Unter¬ 
bindung  der  Vena  cava  inferior  oberhalb  der  Nierenvenen. 
Zuelzer  deutet  die  Versuche  so,  daß  die  Unterbindung  unter¬ 
halb  der  (von  S  e  e  g  e  n  nicht  beachteten)  Nebennierenvenen 
stattfand,  daß  es  dadurch  zu  einer  stärkeren  Hyperämie  und 
Ausschwemmung  der  Nebennieren  kam,  so  daß  ihr  wenig  ver¬ 
dünntes  Sekret  in  den  Kreislauf  gelangte  und  die  zuckeraus- 
schüttende  Wirkung  analog  wie  bei  der  subkutanen  Injektion  von 
Adrenalin  ausüben  konnte.  S  e  e  g  e  n  hat  auch  Leherdurchblutungen 
in  vivo  bei  dem  durch  Unterbindung  der  Vena  cava  inferior  oberhalb 
der  Nierenvenen  unwissentlich  erzeugten  Nebennierendiabetes 
gemacht  und  ebenso  wie  Zuelzer  bei  seinen  postmortalen 
Leberdurchblutungen  eine  ganz  erhebliche  Blutzuckerzunahme 
gegen  die  Norm  gefunden. 

Zuelzer  kommt  also  zu  dem  Schluß,  daß  höchstwahr¬ 
scheinlich  der  Minko  w  skische  Pankreasdiabetes  ein  negativer 
Pankreas-  und  ein  positiver  Nebennierendiabetes  ist.  (Autoreferat.) 

Lüthje- Frankfurt  a.  M.  ;  Beitrag  zur  Frage  der 
Z  u  c  k  e  r  ö  k  o  n  o  m  i  e  im  T  i  e  r  k  ö  r  p  e  r. 

Lüthje  hat  vor  zwei  Jahren  über  den  Einfluß  der  Außen¬ 
temperatur  auf  die  Zuckerausscheidung  bei  pankreasdiabetischen 
Tieren  berichtet :  In  der  Kälte  steigt  die  Ausscheidung  und  in  der 
Wärme  sinkt  sie.  Diese  Versuche  sind  von  Allard  wiederholt 
und  bestätigt  worden,  allerdings  mit  der  Einschränkung,  daß  der 
Einfluß  der  Umgebungstemperatur  nur  in  den  Fällen  auftrete, 
bei  denen  das  Pankreas  nicht  vollkommen  exstirpiert  sei.  Lüthje 
kann  auf  Grund  neuer  Versuche  diese  Auffassung  nicht  akzep¬ 
tieren.  Er  fand  bei  seinen  neuen  Versuchen  bei  vollkommener 
Exstirpation  den  Einfluß  der  Außentemperatur  so  wirksam,  wie 
in  seinen  früheren  Versuchen.  Daß  es  sich  um  wirklich  voll¬ 
kommene  Exstirpation  handelte,  wurde  dadurch  bewiesen,  daß  das 
betreffende  Stück  des  Dünndarms  in  Serienschnitten  zerlegt  und 
mikroskopisch  durchmustert  wurde. 

Entsprechend  diesen  erneuten  Befunden  bleibt  Lüthje 
bei  der  Erklärung,  die  er  bezüglich  des  ganzen  Vorganges  vor 
zwei  Jahren  gegeben  hat :  ,,Es  handelt  sich  um  einen  wärme¬ 
technischen  Vorgang.“ 

Diese  Anschauung  wird  im  wesentlichen  gestützt  durch 
neue  Versuche  von  Embden  und  Lüthje,  in  denen  gezeigt 
wird,  daß  die  Höhe  des  Blutzuckergehaltes  bei  normalen  Tieren 
ebenfalls  in  ausgesprochenster  Weise  abhängig  ist  von  der  Höhe 
der  Umgebungstemperatur.  In  der  Kälte  steigt  der  Blutzucker¬ 
gehalt,  in  der  Wärme  sinkt  er.  (Autoreferat.) 

Diskussion:  v.  Noorden  -  Wien  schließt  sich  der  von 
Lüthje  gegebenen  Deutung  der  Versuche  an  und  teilt  mit,  daß 
auch  bei  fiebernden  Nichtdiabetikern  infolge  der  hohen  Ansprüche, 
die  das  Fieber  an  die  Wärmeregulation  stellt,  der  Zuckergehalt 
des  Blutes  sich  erhebt.  Ferner  habe  er  die  Erfahrung  gemacht, 
daß  Diabetiker,  wenn  sie  aus  der  gemäßigten  Zone  in  die  Tropen 


kommen,  dort  vielmehr  Kohlehydrate  vertragen  als  zu  Hause. 
Therapeutisch  könne  man  das  freilich  kaum  ausnützen,  da  andere 
Nachteiie  diesen  Vorteil  wieder  illusorisch  machen. 

M  i  n  k  o  w  sk  i  -  Greifswald  hält  die  Versuche  von  Allard 
aufrecht.  Es  sei  bei  den  schwer  pankreasdiabetischen  Hunden 
keine  Temperaturbeeinflussung  zu  finden  gewesen.  Auch  Diabetiker 
reagieren  nicht  auf  Temperaturänderungen. 

E  m  b  de  n  -  Frankfurt  hat  schon  vor  zwei  Jahren  Versuche 
mit  gleichen  Ergebnissen  wie  Lüthje  anstellen  können.  Die 
Tiere  schieden  in  der  Kälte  weit  mehr  Zucker  aus  als  in  der 
Wärme. 

Falta-Wien  hat  an  zwei  diabetischen  Hunden,  die  mit 
Staehelin  auf  ihren  respiratorischen  Gaswechsel  untersucht  wurden, 
keine  Aenderung  in  der  Zuckerausscheidung  und  keine  Aenderung 
im  Quotienten  D  :  N  feststellen  können.  Die  Temperaturdifferenzen 
betrugen  12'*  C.  Die  Hunde  fieberten.  Die  Versuche  wurden  inner¬ 
halb  der  erten  sechs  Tage  des  Bestehens  des  Diabetes  angestellt. 

Minkowski-  Greifswald :  Seine  Versuche  wurden  an 
Tieren  angestellt,  die  12  bis  14  Tage  lang  und  mehr  lebten. 

Lüthje:  Die  Tatsache,  daß  Allard  mit  seinen  Ergeb¬ 
nissen  in  einem  Wfiderspruch  zu  meinen  Resultaten  steht,  bedarf 
weiterer  Aufklärung.  Es  gibt  gewisse  Faktoren,  die  den  Einfluß 
der  Außentemperatur  geringer  machen,  das  ist  der  Grad  der  Er¬ 
nährung.  Bei  den  Versuchen  von  Falt  a  dürfte  noch  die  geringe 
Temperaturdifferenz  genügen,  um  den  Widerspruch  zu  erklären. 

B  e  r  g  e  1 1  und  Fleisch  mann  -  Berlin  :  Beiträge  zur 
Analytik  und  Therapie  des  Diabetes. 

Die  Vortragenden  teilen  mit,  daß  die  von  Eckenstein 
und  Blanksrner  angegebene  Methode  der  Azetonbestimmung 
mit  Paranitrophenylhydrazin  sich  gut  zur  Harnazetonbestimmung 
eigne,  wie  sich  ihnen  aus  einer  größeren  Analysenreihe  ergeben 
hat.  Die  diuretische  Wirkung  des  Natriumbikarbonats  wird  in  ihrer 
Bedeutung  als  unerwünschte  Nebenwirkung  der  Alkalitherapie 
gewürdigt.  Die  Natriumbikarbonattherapie  ist  daher  bei  den  gering¬ 
fügigen  Graden  der  Azidosis  nicht  als  indifferente  Maßnahme  an¬ 
zusehen,  um  so  weniger,  da  die  qualitative  Azeteonreaktion  eine 
überscharfe  Reaktion  ist.  Eine  prophylaktische  Natronbikarbonat¬ 
darreichung  ist  zu  verwerfen. 

R  o  s  e  n  f  e  1  d  -  Breslau  :  V  e  r  f  e  1 1  u  n  g  s  f  r  a  g  e  n. 

Vortr.  geht  von  der  Tatsache  aus,  1.  daß  die  Agentien, 
welche  Leberverfettung  am  Hungertiere  bewirken,  immer  der  Leber 
Glykogen  resp.  Glykose  entziehen  ;  2.  daß  Zufütterüng  von  Kohle¬ 
hydraten  zu  den  verfettenden  Substanzen  die  Leberverfettung 
verhütet. 

Ad  1  wird  nun  untersucht,  ob  die  Entziehung  auch  anderer 
Kohlehydrate  verfettend  wirkt,  indem  dem  Körper  durch  größte 
Mengen  Kampfer  und  Menthol  Glykuronsäuren  entzogen  werden. 
Die  in  der  Tat  nach  Kampfer  und  Älenthol  auftretende  Leber¬ 
verfettung  wird  vomVerf.  aber  nicht  auf  Glykuronsäureentziehung 
bezogen,  sondern  von  der  nach  Fischer  anzunehmenden  Glykose- 
entziehung  durch  Kampfer  etc.  abgeleitet.  Sie  läßt  sich  durch 
Glykosezufütterung  verhüten. 

Ad  2  wird  festgestellt,  welche  Kohlehydrate  diese  verfettungs¬ 
hindernde  Wirkung  haben.  Nachdem  festgestellt  ist,  daß  0  2g 
Phloridzin  per  Kilo  und  Tag  subkutan  die  Leber  verfetten  läßt, 
daß  Zufütterung  von  8  g  Saccharose  oder  Dextrose  per  Kilo  und 
Tag  die  Verfettung  ausschließt,  werden  zu  0’2  g  Phloridzin  mit 
8  g  Mannit,  Glykuronsäure  und  Glykosamin  verfüttert  —  alle  ohne 
daß  die  Leberverfettung  verhütet  worden  wäre. 

Redner  schließt,  daß,  wenn  die  Kohlehydrate  die  Verbren¬ 
nung  der  Fette  einleiten,  und  dies  durch  Bildung  einer  Paarung 
von  Kohlehydraten  mit  Fetten  geschieht,  diese  Paarung  nicht 
zwischen  Fetten  und  den  verfütterten  Kohlehydraten,  sondern 
zwischen  Fetten  und  dem  Hexosemolekül  stattfinden  muß. 
(Autoreferat.)  (Fortsetzung  folgt.) 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Fortsetzung). 

Diskussion  über  Prostataexstirpation  (Fortsetzung). 

Payr -Graz  hat  in  einigen  Fällen  mit  sehr  gutem  Erfolge 
unter  lokaler  Anästlresie  operiert.  Zur  Ausdehnung  der  Blase  hat 
er  stets  die  Luftfüllung  angewendet,  ohne  jemals  einen  Zwischen¬ 
fall  erlebt  zu  haben. 

R  0  V  s  i  n  g -  Kopeidiagen  fühi’t  die  Prostatektomie  nur  aus, 
wenn  die  anderen  Behandlungsniethoden  ihn  im  Stiche  lassen; 
insbesondere  wendet  er  auch  die  schonenderen  Operations- 
methoden  an.  flOnial  hat  er  die  Vasektomie  gemacht  und  60  gute 
Erfolge  dabei  erzielt.  Führt  ihn  diese  Methode  nicht  zum  Ziele, 
dann  macht  er  die  Zystostomie,  er  näht  über  die  Blase  <‘ineii 


? 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  23 


til 


weiclien,  sich  über  dem  Katheterauge  kiioi)fai'lig  erweiternden 
Kalheler  ein.  Diese  Katheter  können  aus  der  Blase  nicJit.  heraus- 
i'uischen  und  iialten  diclit.  Dann  wird  die  Zystitis  mit  Lapislösung 
i)eJiandelt.  Die  Leute  können  den  Katheter  daueind  tragen.  Diese 
seine  Opejalion  ist  ungelahrlich.  Auch  Rovsing  macht  auf 
den  psychischen  Effekt  der  J'rostaiektomie  aufmerksam;  er  führe 
daher  <,lie  Prostatektomie  nui'  dann  aus,  wenn  die  Dj'üsc  so  groß 
ist,  daß  sein  Katheter  nicht  vertragen  wird. 

Riedel- Jena  hat  hei  seinen  Prosta lektomien  auffallend 
schlechte  Resultate  gehabt.  Er  hat  von  acht  Kianken  fünf  verloren. 
Diese  sind  zweifellos  an  den  Folgen  der  Operation  gestorben, 
nändich  an  f.ungeuembolie;  ilic  Embolie  hatte  in  Thromben  des 
Plexus  i)rostaticus  ihren  Ersprung.  Rietlel  ist  für  die  supra- 
pu bische  Methode. 

R o  V s i n g - Ko])enhagen ;  To  I  alexstirpation  der  Harn¬ 
blase  mit  doppelseitiger  Ureterostomia  lumbalis. 

Rovsing  erwähnt  die  Tatsache,  daß'  Blasenkarzinome  sehr 
.spät  oder  gar  nicht  Metastasen  machen.  Auf  der  anderen  Seite  ist 
die  Entfernung  eines  malignen  Tumors  aus  der  Blase  mit  Erhal¬ 
tung  derselben  sehr  schwierig.  Auch  ergibt  diese  Operation  sehr 
schlechte  Resultate.  Rationell  sei  daher  die  Totalexstirpation. 
Dieselbe  habe  sich  bisher  wenig  Freunde  erworben,  weil  die 
AT'rsorgung  der  Ureteren  Schwierigkeiten  mache.  Bisher  seien 
diese  Schwierigkeiten  nicht  überwunden  worden,  alle  bisher  ge¬ 
übten  Methoden  hatten  sehr  große  Unbecfuemlichkeiten  im  Ge¬ 
folge  und  führten  außerdem  schließlich  zur  Pyelonephritis,  der 
die  Patienten  erliegen.  Das  Neue  seiner  Methode  besteht  darin, 
daß,  nachdem  die  Blase  exstirpiert  ist,  die  Ureteren  beiderseits 
in  die  Lumhalgegend  eingepflanzt  Averden.  Die  Einzelheiten  der 
Operation  müssen  in  der  Originalarheit  eingesehen  Averden.  Zur 
Aufnahme  des  sich  aus  den  lumbal  implantierten  Ureteren  ent¬ 
leerenden  Urins  dient  ein  besonders  konstruiertes  Rezeptakuiurn, 
das  sich  bewährt  hat.  Der  Apparat  Avinl  demonstriert.  Rovsing 
hat  im  ganzen  dreimal  operiert.  Alle  drei  Patienten  haben  die  Ope¬ 
ration  üherstanden. .  Einer  der  Patienten  hat  später  Urämie  be¬ 
kommen  und  ist  gestorben.  Bei  den  anderen  liegt  die  Operation 
noch  zu  kurze  Zeit  zurück,  als  daß  man  ein  Urteil  über  das 
Dauerresultat  haben  könnte.  Aber  er  könne  jedenfalls  sagen, 
daß  es  sich  bei  seiner  Methode  um  eine  ganz  aseptische  Blasen- 
exslirpation  handle. 

K  a  U  s  c  h  -  Schöneherg :  Die  S  c  h  r  u  m  p  f  b  1  a  s  e  und  ihre 
B  e  h  a  n  d  lung  (Dannplaslik). 

Kausch  bespricht  zunätdist  die  ver.schieden;  n  Ursachen 
der  abnorm  kleinen  Blase  (angeboren,  Neurose;  aulierluilb  sich 
ahspielende  Prozesse,  entzündliche  Tumoren;  innerhalb  der  Blase 
liegende  Tumoren  und  Steine;  konzentrische  Hypertrophie).  Die 
hei  Aveitem  häufigste  Ursache  ist  die  interstitielle  Zystitis  mit 
Schwund  der  Muskulatur  (Schrumpfblase).  Der  Zustand  der 
scliAAmren  Fälle,  bei  denen  die  Kapazität  auf  10  bis  20  cm^  herab¬ 
geht,  ist  ein  unerträglicher;  schließlich  gehen  alle  Patienten  an 
der  aufsteigenden  Entzündung  zugrunde. 

Die  Behandlung  besieht  in  Dilatation  der  Blase,  diese  ist 
aber  bei  dem  Vorhandensein  oder  Auftreten  entzündlicher  Pro¬ 
zesse  verboten  und  führt  auch  sonst  meist  nicht  zum  Ziele. 
Dann  Avurdo  in  einem  Falle  die  suprapuhische  Dauerfistel  an¬ 
gelegt  und  die  BcscliAAmrden  des  Patienten  sind  dadurch  ver¬ 
ringert  Avorden. 

Kausch  hat  in  meinem  Falle,  der  genauer  besprochen  Avird, 
eine  Düimdarmschlinge  total  ausgeschaltet  utid  mit  der  kleinen 
Blase,  die  20  enU  faßio,  in  Verbindung  gebracht.  Der  Patient 
wurde  geheilt  (mllassen,  kontinent,  mit  einer  Kapazität  von 
200  curb  Das  V'erfahren  Avird  bei  sonst  nicht  zu  heilender,  ab¬ 
norm  kleiner  Blase  und  bei  der  lolalen  oder  armäliernd  totalen 
Exslirpation  des  Organs  empfohlen.  (Selbstbericht.) 

S.  J  a  c  o  b  y  -  Berlin  demonslriert  seine  neuesten,  sehr  ver¬ 
einfachten  Instrumente  der  S  t  e  r  e  o  z  y  s  to  s  k  op  ie  und 
S  t  e  r  c  o  z  y  s  t  o  p  h  o  t  o  g  a  p  h  i  e.  Das  Stereozystoskop  gibt 
auf  die  einfachste  "Weise  die  Mogliclikeit,  hinokulär  in  das 
Blaseninnere  zu  sehen,  d.  h.  die  Objekte  im  Blaseninnern  ohne 
Alühc  körperlich  zn  sehen  im  Gegensatz  zu  den  flächen¬ 
haften  Bildern,  die  man  erhält,  Avenn  man  nur  mit  einem  Auge 
zys  loskopiert. 

Die  Lösung  des  Problems  beruht  auf  der  Beweglichkeit  des 
einen  Okulars  mit  den  dazugehörigen  beiden  rechtwinkligen  Pris¬ 
men  um  rlie  Achse  des  gleichseüigen  optischen  Apparates.  Durch 
di('  BeAvegtichkeit  des  einen  Okulars  ist  die  Möglichkeit  gegeben, 
die  Okulare  auf  die  Augenen  Ifernung  eines  jeden  Unter¬ 
suchenden  genau  einzuslellen.  Beim  Durchsehen  durch  das 


Stereozystoskop  erblickt  man  zAvei  innere  Gesichtsfelder 
und  in  jedem  dei'selben  ein  f  1  äc  h  e  n  li  a  f  t c s  Bihl  a'ou  dem 
eingesielllen  Objekt,  ln  dem  Momente,  avo  die  beiden  Bildchen 
eich  in  der  A  u  gen  e  n  1  f  e«i'n  u  n g  des  Untersuchenden  zueinander 
befinden  —  d.  h.  avo  sie  auf  e n  1  s p  rec  h  e  n de  Stellen  (hu- 
beiden  Netzhäute  fallen  —  decken  sie  sich  ganz,  und  Avir 
sehen  körperlich.  Das  Instrument  kann  auch  als  Demon- 
s  t  r  a  ti  o  11  s  z  y  s  1 0  s  k  o  p  dienen,  indem  Lehrer  und  Schälet’ 
gleichzeitig  hindurchsehen.  Das  Stereozystoskop  besitzt  Irri¬ 
gation,  ist  sehr  handlich;  es  erfordert  der  Gebrauch  des-selhcm 
keine  besondere  Technik.  Wenn  man  bei  den  Nitz  eschen  Zysto- 
skopen  zu  einer  scheinbar  körperlichen  Vorstellung  gelangt,  so 
ist  es  das  Resultat  vieler  Mühe,  Avährend  das  Stereozysto¬ 
skop  gleich  das  erste  Bild  körperlich  bringt. 

Das  neue  Ph o  t o  g ra  p  h i  e s  te  re  o  z  y  s  to  s k  o p  ermöglicht 
im  Gegensatz  zur  ersten  Methode  des  Autors  die  gleichzei¬ 
tige  Aufnahme  der  beiden  Bilder.  Die  optische  Kombination  ist 
eine  völlig  neue;  nur  die  Objektive  sind  getrennt,  beiden  ge¬ 
meinsam  ist  eine  große  Alittellinse.  Durch  diese  Optik  entstehen 
größere  und  lichtstärkere  Bildchen,  die  durch  die  Kreuzung  sämt¬ 
licher  Strahlen  in  der  Mittellinse  in  gewünschter  Anordnung  auf 
die  Platte  fallen.  Die  Kassette  ist  so  eingerichtet,  daß  man  fünf 
Bilderpaare  in  Exposilionspausen  von  etwa  acht  Sekunden  auf 
eine  Platte  bringen  kann.  Es  gelangen  stereoskopische  Auf¬ 
nahmen  von  Steinen,  Blasentumoren,  einer  Blasenscheidenfistel, 
einer  DiAmrlikelblaso  und  eines  Varix  der  Blase  zur  Demonstration, 
des.sen  feinste  VerzAveigungen  noch  körperlich  Avahrgenommeu 
Averden. 

Mühsam-Berlin:  Als  Palliativoperalion  hei  erschwerter 
Urinenlleerung,  z.  B.  bei  Prostatahyperlrophie,  steht  die  Sectio 
alia  mit  Anlegung  einer  Witzelschen  Schrägfistel  obenan.  Wir 
machen  dieselbe  in  den  Fällen,  AAmlche  Avegen  Alters  oder  aus  all¬ 
gemeinen  anderen  Gründen  für  die  Radikaloperation  nicht  ge¬ 
eignet  sind.  Diese  suprapuhische  Schrägfistel  habe  ich  mit  der 
von  Goldmann  Amrgeschlagenen  Zystopexie  verbunden,  indem 
ich  bei  einem  82jährigen,  sehr  dekrepiden  Manne  die  Blase  Aveit 
vorzog  und  die  Nahlreihe  dann  noch  zwischen  den  Rekli  fest¬ 
nähte.  Die  Fistel  funktionierte  gut,  schloß  sich  dann  hinnen 
acht  Woclien,  gleichzeitig  begann  Pat.  spontan  Urin  zu  lassen 
und  ist  somit  von  seiner  Urinretention  geheilt. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag  den  7.  Juni  1907,  7  IJlir  abends^ 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Chrobak  stattfiiidenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Professor  Dr.  M.  Benedikt;  Physiologie  und  Pathologie  der 
Zirkulation. 

2.  Dr.  Bild.  Kaufiuanii:  Ueber  Kontraktionsphänomene  am  Magen. 
Vorträge  haben  angemeldct  die  Herren:  Dr.  Jul.  Bartel  und 

Prof.  S.  Stern. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie.^ 

Programm  der  Dienstag  den  11.  Juni,  7  Uhr  abends,  im  Hörsaal 

Y.  Wagner  stallfindenden 

wissenscliafiliclien  Sitzung. 

a)  Demonstrationen:  Assistent  Dr.  Oskar  Fischer,  Assistent  Doktor 
0.  Fötzl  und  Priv.-Doz.  Dr.  A.  Schüller,  Dr.  Bonvicini  und  Assistent 
Dr.  0.  Pötzl. 

b)  Vortrag:  Hofrat  v.  Wagner;  »Der  Unzurcchnungsfähigkeits- 

paragraph  im  neuen  Strafgeselzenlwurf.«  Raimann. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

;  Die  nächste  Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  findet  im  Hörsaale  der 
Klinik  Eschericli  Donnerstag  den  6.  Juni  1907,  um  7  Ulir  abends,  statt. 

Vorsitz:  Dozent  Dr.  Zappert. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr,  Freih.  v.  Pirquet;  Ueber  diagnostische  Impfung  mit 

Tuberkulin.  Das  Präsidium. 


V.rantwortlichtr  B.daktour:  Adalbert  Karl  Trnpp.  Verlag  Ton  Wilhelm  Branniüller  in  Wien. 

nniftW  von  Uruno  D.irtelt,  AVien  XVIII.,  ThoreaiengaBse  8. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H,  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Faltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger, 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 

Telephon  Nr.  17.618. 

XX.  Jahrgang.  Wien,  13.  Juni  1907.  Nr.  24. 


tr  ■  - - ^ 

Die 

„'fVleuer  kllulscbe 
WocUeiisclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großqnart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlung. 


INH 

1.  Originalartitel ;  1.  Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium 
des  k.  u.  k.  Militärsanitätskomitees  in  Wien.  Ueber  ein  neues 
Desinfektionsverfahren  mit  Formalin  auf  kaltem  Wege.  Von 
Dr.  Doerr,  k.  u.  k.  Regimentsarzt,  und  Dr.  H.  Raubitschek, 
k.  u.  k.  Oberarzt. 

2.  Aus  dem  diagnostischen  Institut  der  Universität  in  Budapest. 
(Direktor:  Prof.  A.  v.  Koranyi.)  Untersuchungen  an  einem 
Falle  von  Pankreatitis  und  Hepatitis  interstitialis  chronica 
luetica  nach  Beseitigung  der  Pfortaderstauung  durch  reich¬ 
liche  Kollateralenhildung.  Von  Dr.  Julius  Bence,  Assistenten 
des  Instituts. 

3.  Aus  dem  Moskauer  Marien-Krankenhaiis.  Ein  Fall  von  Leber¬ 
zirrhose  mit  Keratin  behandelt.  Von  Dr.  S.  M.  Zypkin, 
Privatdozenten  der  Universität  Moskau. 

4.  Zur  Farbensinnprüfung  im  Eisenbahn-  und  Marinedienste.  (Fort¬ 
setzung  und  Schluß.)  Von  Dr.  J.  Rosmanit. 

5.  Berichtigung.  Von  Dr.  Dominik  Pupovac. 


ALT: 

n.  Referate:  Pathologie  und  Therapie  der  Frauenkrankheiten. 
A.  Martin  und  Ph.  Jung.  Ref.:  Schauta.  —  Lehrbuch  der 
Hygiene.  Von  M.  Rubner.  Ref.:  A.  Sch atten froh.  — 
Ueber  die  Desinfektion  von  Büchern,  Drucksachen  n.  dgl. 
mittels  feuchter,  heißer  Luft.  Von  Dr.  Franz  Bai  ln  er. 
Klinisches  Jahrbuch.  Ref.:  Graßberger. 

in.  Aus  Terscbiedeuen  Zeitschriften. 

IT.  Standesaiigelegenlieiten.  Anklagen  gegen  Mediziner  und  ihre 
Rückwirkung  auf  die  Gesamtheit.  Von  Prof.  E.  Lang. 

V.  Vermischte  Nachricliteu. 

YI.  V erhandlungeu  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichte . 


(Aus  dem  bakteriologischen  Laboratorium  des  k.  u.  k. 

Militärsanitätskomitees  in  Wien.) 

Ueber  ein  neues  Desinfektionsverfahren  mit 
Formalin  auf  kaltem  Wege.*) 

Von  Dr.  R.  Doerr,  k.  u.  k.  Regimentsarzt,  und  Dr.  H.  Raubitschek, 

k.  u.  k.  Oberarzt. 

Meine  Herren!  Im  Laufe  des  letzten  Jahres  hatte  ich 
wiederholt  Gelegenheit,  eine  Reihe  verschiedener  Modifikationen 
des  Formalinverfahrens  im  Aufträge  des  Reichskriegsministeriums 
zu  überprüfen  und  bin  zu  dem  wenig  befriedigenden  Schlüsse 
gelangt,  daß  zwar  eine  oder  die  andere  den  theoretischen 
Anforderungen  des  Laboratoriumexperiments  Genüge  leistet,  daß 
aber  keine  eine  größere  praktische  Bedeutung  und  Aussicht  hat, 
allgemeinen  Eingang  beim  Publikum  und  bei  der  Aerzteschaft 
zu  gewinnen. 

Als  Lö  w^)  und  Trillat^)  im  Jahre  1892  die  bedeutungs¬ 
volle  Entdeckung  der  hohen  Bakterizidie  des  Formalins 
machten,  hatte  es  allerdings  zunächst  den  Anschein,  als  ob 
ein  Weg  angebahnt  wäre,  um  das  bisherige,  bei  Laien  und 
Aerzten  verhaßte,  von  hervorragenden  Autoritäten  als  in¬ 
suffizient  erkannte  Verfahren  der  mech  anise  h-chemischen 
Wohnungsdesinfektion  durch  ein  neues  brauchbares 
und  wirksames  System  zu  ersetzen. 


*)  Nach  einem  von  Dr.  Doerr  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
am  31.  Mai  1907  gehaltenen  Vortrag. 


In  der  Tat  folgte  eine  Mitteilung  der  anderen ; 
Aronson-Schering^),  Trillat  selbst,  Rosenberg^), 
Walter -Sc  hloßmann^).  veröffentlichten  ihre  Erfindungen, 
die  aber  von  vielen,  besonders  italienischen  Hygienikern 
bekämpft  wurden,  bis  Flügge^^)  und  die  Breslauer  Schule, 
Rubner  und  Peerenboom^)  und  schließlich  Praußnitz®) 
eine  solide  theoretische  Basis  der  Formalindesinfektion 
schufen  und  Methoden  ins  Leben  riefen,  deren  wir  uns 
heute  fast  allgemein  bedienen. 

Und  doch  können  wir  nicht  behaupten,  daß  diese 
theoretisch  gewiß  leistungsfähigen  Systeme  eine  entsprechende 
Popularisierung  erfuhren.  Sie  erfordern  sämtlich  kostspielige 
Apparate,  zum  Teil  von  recht  komplizierter  Konstruktion, 
ein  geschultes  Desinfektionspersonal  und  ärztliche  Aufsicht, 
um  nicht  die  Befolgung  der  zahlreichen  Vorschriften  und 
damit  den  Erfolg  dem  guten  Willen  der  Desinfektoren  zu 
überlassen. 

So  wird  mir  jeder,  der  in  diesen  Dingen  über  Erfahrung 
verfügt,  einräumen,  daß  die  verdienstvollen  Untersuchungen 
von  Flügge,  Rubner  und  ihren  Nachfolgern  nur  auf  die 
Desinfektionspraxis  der  größeren  Städte  reformierend  ein¬ 
gewirkt  haben,  daß  sich  aber  in  kleinen  Orten,  am  Lande  etc. 
noch  alles  so  verhält  wie  ehedem.  Hier  lohnt  es  Sich  eben 
nicht,  für  die  relativ  seltenen  Fälle  unerläßlicher  Wohnungs¬ 
desinfektion  einen  teueren  Apparat  zu  kaufen  und  meist 
ist  auch  niemand  da,  Aerzte  mit  eingerechnet,  der  es  ver¬ 
stünde,  eine  Formalindesinfektion  sachgemäß  zu  leiten. 


V 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


Hiezu  gesellt  sich  noch  ein  jisychologisches  Moment. 
Das  Publikum  und  der  von  ihm  abhängige  praktische  Arzt 
geben  den  Forderungen  der  Hygiene  ja  nur  unter  dem  Drucke 
der  Gefahr  nach.  Ist  ein  Apparat  um  diese  Zeit  nicht  vor¬ 
handen,  so  wird  im  besten  Falle  eine  mechanisch-chemische 
Desinfektion  zweifelhafter  Wirksamkeit  verfügt,  die  Anschaffung 
des  Apparates  aber  ad  calendas  graecas  verschoben. 

Wo  ein  Arzt  überhaupt  fehlt,  war  eine  Förmalin- 
desinfektion  bisher  geradezu  undurchführbar. 

Aber  auch  in  der  Großstadt  artet  die  Formalin¬ 
desinfektion,  wo  es  sich  nicht  um  Spitäler  oder  ähnliche 
Anstalten  handelt,  direkt  zu  einer  Fiktion  aus,  die  gerade  im 
Fachmann  ernste  Zweifel  wachrufen  muß,  ob  der  .Laie  und 
der  praktische  Arzt  mit  ihrem  Widerstand  gegen  die  Sache 
nicht  recht  haben.  Jeder  Apparat  reicht  nämlich  nur  für 
eine  bestimmte  Raumgroße  aus,  meist  für  100  m^,  oft  für 
kleinere  Dimensionen ;  zur  Desinfektion  größerer  Imkale 
wären  daher  zwei  oder  mehr  Apparate  erforderlich.  Sie 
werden  aber  nicht  aufgestellt,  wenigstens  nicht  in  der 
Privatpraxis,  sondern  man  begnügt  sich,  eine  beliebige 
Menge  Formaldehyd  meist  mit  veralteten  Apparaten  zu  ent¬ 
wickeln,  die  zur  Abtötung  der  Keime  nicht  ausreicht.  Ich 
könnte  Ihnen  mehr  als  ein  Beispiel  aus  meiner  immerhin 
kleinen  Erfahrung  als  Beweis  für  diese  Behauptung  zitieren. 

Eine  Kalamität  im  wahren  Sinne  des  Wortes  bildete 
auch  die  Notwendigkeit,  mehrere  Zimmer  einer  Wohnung, 
oder  größere  Räume  öffentlicher  Gebäude  (Kasernen,  Bahn¬ 
höfe,  Schulen)  gleichzeitig  zu  desinfizieren,  da  die  zur 
Bewältigung  einer  solchen  Aufgabe  erforderliche  Zahl  von 
Apparaten  wohl  nur  scluver  aufzutreiben  ist.  Wie  unangenehm 
es  aber  ist,  in  solchen  Fällen  ein  oder  mehrere  Privatzimmer 
oder  öffentliche  Bäume  bis  zur  beendeten  Desinfektion  der 
Benützung  zu  entziehen  und  ein  Zimmer  nach  dem  andern 
in  Arbeit  zu  nehmen,  liegt  auf  der  Hand. 

Endlich  will  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  daß  die 
gegenwärtigen  Formalinmethoden  für  militärische  Zwvecke, 
für  das  Feld  und  Manöver  völlig  unbrauchbar  waren,  wegen 
der  Unmöglichkeit,  Apparate  und  große  Flüssigkeitsmengen 
unter  diesen  schwierigen  Verhältnissen  milzuführen. 

Es  läßt  sich  daher  wohl  begreifen,  daß  man  nach 
einem  neuen  Verfahren  Ausschau  hielt,  welches  diese  Miß- 
slände  nicht  aufweist.  Im  Vorjahre  entdeckte  nun  der 
Chemiker  Eichengrün^)  die  Autanmethode,  die  darin 
besteht,  daß  man  einfach  ein  weißes,  aus  Paraform  und 
Superoxyden  bestehendes  Pulver  mit  Wasser  übergießt.  Es 
tritt  Entwicklung  von  Formaldehyd-  und  Wasserdampf  ein, 
und,  wie  die  Arbeiten  von  W  esenberg^*’),  Selter^*), 
Nieter’2),  Tomarkin  und  Heller^^),  Sternberg^'^)  und 
neuerdings  von  Xylander^-^)  zu  beweisen  scheinen,  auch 
eine  ausreichende  Abtötung  der  Keime.  Auch  ich  habe 
dieses  Verfahren  geprüft  und  verschließe  mich  natürlich  nicht 
seinen  Vorzügen,  vor  allem  der  Entbehrlichkeit  der  Apparate, 
die  wie  wir  gesehen  haben,  den  Krebsschaden  der  früheren 
Systeme  bilden. 

Anderseits  gestehe  ich  aber  unumwunden  ein,  daß 
ich  im  Autan  die  ideale  Lösung  des  Problems  nicht  zu 
erblicken  vermag. 

Das  Mittel  ist  vor  allem  sehr  teuer.  Die  Desinfektion 
von  100  nr'^  kostet  trotz  aller  Ermäßigungen  der  ])atent- 
besitzenden  Firma  noch  immer  K  ßO  (Xylan der).  Sie 
w^erden  mir  zugeben,  daß  dieses  Desinfektionsmittel  für 
öffentliche  Zwecke  unerschwinglich  ist  und  in  der  Privat- 
])raxis  wohl  auch  nur  bei  den  bemittelten  Schichten  der 
llevölkeruiig  empfohlen  wmrden  kann.  Soll  z.  B.  eine  kleinere 
W'ohnungvon  insgesamt  500  m'Mmftraum  desinfiziert  werden,  so 
übersteigen  die  Kosten  K  100.  Zu  einer  derartigen  Ausgabe 
gehört  aber  selbst  bei  reichen  Leuten  eine  gewisse  Opfer- 
wiliigkeit  .und  ein  wohl  nicht  überall  vorhandenes  Ver¬ 
ständnis. 

Es  muß  aber  noch  ein  anderes  Moment  Bedenken 
erregen.  Die  mit  Autan  erzielten  Resultate  sind  keines¬ 
wegs  überall  günstige  gewesen  und  speziell  das 
.■'.ubnersche  Institut  hat  mehrere  Arbeiten  im  Druck,  die 


sich,  wie  ich  gehört  habe,  ablehnend  verhalten.*)  Der 
Grund  liegt,  wie  aus  meiner  Erfahrung  hervorgeht,  in  der 
wechselnden  Zusammensetzung  des  Präparates.  Das  Autan 
ist  aus  gewissen,  hier  nicht  näher  zu  erörternden  Gründen, 
schwer  herzustellen  und  so  mögen  kleine  Fehler  bei  der 
Fabrikation  die  Ursache  sein,  warum  manche  Proben  über¬ 
haupt  nicht  oder  nur  wenig  reagieren.  Auch  zersetzt  sich  die 
Masse,  wenn  sie  nicht  in  hermetisch  geschlossenen  Gefäßen 
aufbewahrt  wird,  schon  unter  der  Einwirkung  feuchter  Luft. 
Ist  also  eine  Büchse  undicht,  so  wird  das  Präparat  bei 
längerer  Konservierung  unwirksam.  Das  ist  natürlich  ein 
ganz  kolossaler  Uebelstand.  Ueberhaupt  ist  es  ungemein 
mißlich,  Substanzen  in  der  Desinfektionspraxis  anzuwenden, 
deren  Zusammensetzung  Fabrikationsgeheimnis  einer  Firma 
ist.  Man  ist  da  doch  der  reellen  Geschäftsgebarung  und  der 
Gewissenhaftigkeit  der  Fabrikation  auf  Gnade  und  Ungnade 
ausgeliefert.  Deshalb  ist  auch  das  Bestreben,  Körper  von 
bekannter  chemischer  Konstitution  zu  Desinfektionszwecken 
anzuw^enden,  so  alt  wde  die  wissenschaftlich  fundierte  Des¬ 
infektionslehre  selbst. 

Wenn  ich  Ihnen  heute  einen  Bericht  erstatte  über  die 
Ergebnisse  einer  anderen  Methode,  so  geschieht  dies  gewiß 
nicht,  um  dem  Bestehenden  etwas  Neues  hinzuzufügen, 
sondern  weil  ich  die  Ueberzeugung  hege,  daß  in  der  Sache 
ein  Fortschritt  von  wesentlicher  Bedeutung  liegt. 

Vor  wenigen  Wochen  machte  mich  Admiralstabsarzt 
Gruber  auf  eine  Arbeit  von  Evant  und  Bussel’*’)  auf¬ 
merksam.  Diese  beiden  Autoren  fanden,  daß  beim  Ueber- 
gießen  von  reinem  übermangansauren  Kali  mit 
der  doppelten  Menge  Formalin  eine  stürmische  Ent¬ 
wicklung  von  Formaldehydgas  stattfmdet.  Die  Masse  schäumt 
unter  starker  Erhitzung  auf,  stößt  dichte  Schwaden  von 
Formaldehydgas  aus  und  nach  fünf  Minuten  ist  die  Reaktion 
beendet.  Es  bleibt  nur  eine  trockene  braune  Masse  zurück. 

Es  lag  auf  der  Hand,  daß  das  Verfahren  von  Evant 
und  Bussel,  welches  in  Amerika  bereits  ausgedehnte  Ver¬ 
wendung  findet,  nicht  nur  alle  Vorzüge  des  Aulanverfahrens 
besitzt,  vor  allem  die  Entbehrlichkeit  der  Apparate  und  die 
Vermeidung  von  Feuersgefahr,  sondern  daß  es  geradezu  die 
beste  Lösung  der  Formalinfrage  repräsentiert.  Die  erforder¬ 
lichen  Reagenzien  Formalin  und  übermangansaures  Kali  sind 
von  bekannter  und  konstanter  Zusammensetzung,  sind  überall 
zu  haben,  wo  Apotheken,  Drogenhandlungen  etc.  bestehen, 
sind  billig,  da  1  kg  von  jeder  Substanz  im  Handel  nur  K  1 
kostet,  die  Handhabung  mindestens  so  einfach,  wie  beim 
Autan. 

Ich  habe  mich  daher  sofort  mit  Dr.  Raubitschek 
daran  gemacht,  den  desinfektorischen  Wert  der  Methode 
von  E  V  a  n  t  und  Bussel  zu  prüfen. 

In  der  von  den  beiden  Amerikanern  empfohlenen  Form 
konnte  aber  der  bakterizide  Effekt  nicht  als  befriedigend 
bezeichnet  werden.  Wir  konnten,  wenn  wir  nach  der  ursprüng¬ 
lichen  Vorschrift  für  100  m^  Raum  1  kg  Formalin  und  ’(2 
Kaliumpermanganat  verwendeten,  nur  GH/o  d^r  ausgelegten 
Testobjekte  sterilisieren.  Es  war  nicht  schwer,  nach  den 
grundlegenden  Arbeiten  Flügges  und  Rubners  den 
Grund  dieser  Mißerfolge  zu  ermitteln.  Wie  wir  aus  diesen 
Publikationen  wissen,  hängt  der  desinfektorische  Effekt  jeder 
Formalinmethode  nicht  nur  von  der  Menge  vergasten 
Formaldehyds,  sondern  wesentlich  davon  ab,  ob  die  Luft 
des  betreffenden  Raumes  vollständig  mit  Wasserdampf  gesättigt 
ist  oder  nicht.  Als  wir  nun  mit  verschiedenen  Hygrometern  den 
Sättigungsgrad  der  Atmosphäre  beim  Eva n  t-R  u  ssel  sehen 
Verfahren  maßen,  betrug  derselbe  nur  807o  der  Ganzsättigung 
mit  Wasserdampf.  Auch  wird  beim  E v an  t-Russe Ischen 
Verfahren  konzentrierte  Formalinlösung  verdampft,  wobei 
bekanntlich  Polymerisation  zu  unwirksamem  Paraform 
auftritt,  ein  weiterer  Grund  für  die  Erklärung  der  unzureichenden 
Desinfektions  Wirkung. 


*)  Inzwischen  ist  die  Arbeit  von  Christian,  Hyg.  Rundschau 
1907,  erschienen. 


Nr.  24f 


WIENER  KLINISCHE 


Uni  cine  ausreichende  Vernebelung  von  Wasserdainpf 
zu  erzielen  und  die  l’olymerisation  zu  verhindern,  setzten  wir 
zunächst  einfach  Wasser  dem  käuflichen  Formalin  zu,  fanden 
aber,  daß  bei  einigermaßen  nennenswerter  Verdünnung  die 
Reaktion  ähnlich  wie  beim  Autan  gänzlich  ausbleibt. 

Wohl  aber  führte  uns  ein  anderer  Weg  zum  Ziele. 
Erhöht  man  die  Menge  Kaliumpermanganat 
aufs  Doppelte,  so  kann  man  das  Formalin  mit  dem 
gleichen  Volumen  Wasser  verdünnen.  Die  Vernebelung  erfolgt 
dann  restlos,  die  Hygrometer  zeigen  eine  völlige  Wassersättigung 
der  Luft  an  und  die  desinfektorischen  Effekte  müssen  wohl  als 
sehr  zufriedenstellend  bezeichnet  werden,  wenn  ich  Ihnen  mit¬ 
teile,  daß  wir  eine  vollständige  Abtötung  aller  Testobjekte, 
auch  der  Milzbrandsporen,  natürlich  nur,  soweit  sie  oberflächlich 
exponiert  waren,  konstatierten.  Allerdings  sind  wir  auch  mit  den 
angewandten  For  malin  mengen  erheblich  gegen¬ 
über  Evant  und  Russel  gestiegen  und  wenden  Wasser 
und  Formalin  in  denjenigen  Quantitäten  an,  die  die  gründ¬ 
lichen  Versuche  Flügges  für  das  Breslauer  Verfahren  als 
notwendig  bezeichnen. 

Mit  dem  Detail  unserer  Versuche*)  möchte  ich  Sie 
nicht  behelligen,  um  so  mehr  als  wir  in  kurzer  Zeit  unsere 
Protokolle  in  der  Hygienischen  Rundschau  veröffentlichen 
werden.  Wir  wollen  nur  bemerken,  daß  wir  uns  nicht,  wie  dies 
gewöhnlich  geschieht,  auf  die  Desinfektion  kleiner  Räume 
beschränkten,  sondern  absichtlich  in  großen  Zimmern 
experimentierten,  um  den  praktischen  Verhältnissen  Rechnung 
zu  tragen  und  insbesondere  über  die  gleichmäßige  Verteilung 
des  desinfizierenden  Gases  Aufschluß  zu  gewinnen.  Auch  für 
Kästen  und  darin  aufgehängte  Kleider,  für  Wagen,  Waggons  etc. 
hat  sich  die  Methode  als  durchaus  praktikabel  und  wirksam 
bewährt. 

Vielleicht  ist  es  nicht  überflüssig,  über  den  Vorgang 
der  Desinfektion  hier  ein  paar  Worte  zu  sprechen,  für  den 
Fall,  daß  jemand  von  Ihnen  noqh  vor  dem  Erscheinen 
unserer  ausführlichen  Mitteilung  selbst  praktische  oder 
theoretische  Versuche  anstellen  möchte. 

Der  Raum  wird  einfach  wie  zu  einer  anderen  Formalin¬ 
desinfektion  hergerichtet;  schließen  Fenster  und  Türen  exakt, 
so  ist  eine  besondere  Abdichtung  nicht  erforderlich,  nur 
Ofentüren  müssen  des  starken  Zuges  wegen  verklebt  werden, 
ebenso  schlecht  schließende  einfache  Fenster  oder  Türen.  Den 
Kubikinhalt  des  Raumes  muß  man  approximativ  kennen  oder 
berechnen,  da  sich  natürlich  nach  demselben  die  Mengen 
Kaliumpermanganat,  Formalin  und  Wasser  richten. 

Nach  vielen  Vorversuchen  schlagen  wir  vor,  für  100 
2  kg  Kaliumpermanganat,**)  2  kgFormalinund  2kg  Wasser 
zu  verwenden,  eine  einfache  Formel,  welche  die  komplizierten 
Tabellen  der  früheren  Apparate  überflüssig  macht. 

In  ein  oder  besser  mehrere  recht  große  Gefäße 
aus  Metall  (Blecheimer,  Waschzuber,  Kochkessel,  Badewannen, 


*)  Als  Beispiele  seien  hier  kurz  angeführt: 

I.  Methode  nach  Evant  und  Russel  (500  g  KMnO^  +  lOOO  g 
Formalin  pro  100  m^). 

Raum  von  76  m'^  abgedichlet,  Temperatur  18®  C. 

Testobjekte:  Milzbrandsporen,  Staph,  aur.  auf  Glas,  an  Seiden¬ 
fäden,  Leinwandflecken  angetrocknet.  Exposition:  teils  offen,  teils  in 
Papierkapseln  eingehüllt.  Einwirkungszeit:  6  Stunden.  Hygrometer: 
80®/o  Ganzsättigung  nach  5  Minuten,  nach  30  Minuten  langsames  Absinken. 

Resultat:  61'6®/o  der  Testobjekte  abgetötet. 

II.  Formalinmengen  erhöht  (1000  g  KM11O4+2OOO  g  Formalin 
pro  100  m®). 

Raum  von  150  m®  abgedichtet,  Temperatur  18®  G. 

Testobjekte  wie  oben,  außerdem  Typhusbazillen,  Pyocyaneus, 
Subtilissporen,  Diphtherie.  Behandlung  und  Verteilung  wie  oben.  Hygro¬ 
meter  ca.  86®/o,  sinkt  nach  1  Stunde. 

.  Resultat;  von  allen  Testobjekten  91®/o,  von  den  verdeckten  82®/o 
abgetötet. 

HI.  Modifikation  mit  erhöhten  Kaliumpermanganatmengen  und 
Wasserzusatz  (Doerr-Raubitschek):  (2000  g  KMnO^T  2000  g 
Formalin -f  2000  g  Wasser). 

Derselbe  Raum,  analoge  Testobjekte  (169  Stück)  wie  im  Vor¬ 
versuch,  nur  Pyocyaneus,  weil  zu  empfindlich,  weggelassen.  Hygrometer; 
95®/o  nach  5  Minuten,  sinkt  erst  langsam  nach  1  Stunde. 

Resultat:  von  allen  Testobjekten  98'3®/o,  von  den  offenen  100®/o 
abgetötet. 

**)  Kal.  permang.  cryst.  pur. 


WOCHENSCHRIFT.  1907.  721 


alte  Fässer)  wird  zunächst  das  Kaliumpermanganat  hinein¬ 
geschüttet,  sodann  das  Formahn-Wasser-Gemisch.  Man  hat 
dann  einige  Sekunden  Zeit,  das  Lokal  zu  verlassen,  die  Tür 
zu  schließen  und  wenn  nötig  von  außen  abzudichten.  Da  die 
Masse  sehr  heftig  aufschäumt,  so  darf  man  in  ein  Gefäß,  das 
ca.  25  Liter  faßt,  nicht  mehr  als  je  1  kg  von  jedem 
Reagens  (Kaliumpermanganat,  Formalin,  Wasser)  einfüllen. 
Um  die  Entstehung  von  Flecken  des  FußlDodens  durch  Ueber- 
laufen  zu  verhüten,  was  übrigens  bei  Einhaltung  der  vor¬ 
stehenden  Maßregel  nicht  vorkommt,  kann  man  das  oder  die 
Gefäße  auf  Bretter,  alte  Tische,  auf  Fetzen  0.  dgl.*  aufstellcn. 
Nach  sechstündiger  Einwirkung  ist  die  Desinfektion  beendet. 
Die  Türen  werden  geöffnet  und  der  Formalindampf  durch 
Lüftung  oder  durch  Ammoniakneutralisation  (mit  dem 
Beyer  sehen  Ammoniakentwickler)  entfernt. 

Die  Kosten  einer  Desinfektion  nach  diesem  von  uns 
modifizierten  Verfahren  betragen  K  4  pro  100  m^,  sind  also 
mehr  als  siebenmal  geringer  als  beim  Autan  verfahren. 

Wir  heben  nochmals  die  Feuerungefährlichkeit,  Einfach¬ 
heit,  Billigkeit  der  Methode  hervor  und  den  Umstand,  daß  die 
Reagenzien  überall  zu  haben,  resp.  rasch  zu  beschaffen  und 
stets  von  gleicher  Wirksamkeit  sind. 

Jetzt  ist  es  auch  dem  Landarzte,  ja  jedem  intelligenten 
Laien  möglich,  eine  Desinfektion  vozunehmen;  Größe  und 
Zahl  der  zu  desinfizierenden  Objekte  ist  natürlich  irrelevant. 

Mit  Befriedigung  hat  es  uns  auch  erfüllt,  daß  wir  in 
der  Lage  waren,  diese  Methode  so  umzugestalten,  daß  sie 
für  Kriegs-  und  Manöververhältnisse  verwendbar  erscheint. 
In  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  war  das  natürlich  schon  des¬ 
halb  ausgeschlossen,  weil  man  eben  Formalin  im  flüssigen 
Zustande  nicht  transportieren  kann.  Nun  hat  die  moderne 
Industrie  gefunden,  daß  man  durch  minimale  Seifenzusätze 
flüssiges  Formalin  in  feste,  haltbare  Form  bringen  kann. 
Diese  Präparate  können  in  Blechbüchsen  ausgezeichnet 
verpackt  und  mitgenommen  werden.  Löst  man  den  weißen, 
salbenartigen  Inhalt  in  entsprechenden  Wassermengen,  so 
reagiert  er  mit  Kaliumpermanganat  wie  flüssiges  Formalin. 
Die  Kosten  werden  sich  wohl  nicht  erheblich  höher  stellen, 
soweit  unsere  Informationen  reichen,  als  mit  flüssigem 
Formalin  und  jedenfalls  ganz  enorm  hinter  der  Pfuhlschen^Q 
Kriegsmethode  mit  festem  Paraform  Zurückbleiben. 

Literatur; 

b  Löw,  Journ.  f.  prakt.  Chemie,  Bd.  33.  —  ®)  Tri  Hat,  Compt. 
rend.,  Bd.  114.  —  ®)  Aronson-Schering,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1897, 
Bd.  25.  —  Rosen b erg,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1896  und  Zeit¬ 
schrift  f.  Hyg.,  Bd.  24.  —  ®)  Walter  und  Schloßmann,  Münchener 
med.  Wochenschr.  1898.  —  ®)  Flügge,  Zeitschr.  f.  Hyg.,  Bd.  29.  — - 
Ö  R  u  b  n  e  r  und  Peerenboom,  Hyg.  Rundsch.  1899.  —  ®)  Praußnitz, 
Münchener  med.  Wochenschr.  1899.  —  ®)  Eichengrün,  Zeitschrift 
f.  angew.  Chemie  1906.  —  ®®)  Wesenberg,  Hyg.  Rundschau  1906.  — 
'b  Selter,  Münchener  med.  Wochenschr.  1906.  —  Nieter,  Hygienische 
Rundschau  1907.  —  ®®)Tomarkin  und  Heller,  Zentralbl.  f.  Bakt. 
19()7,  Orig.,  Bd.43.  (Daselbst  Autanliteratur.)  —  “)  Sternberg,  Hygienische 
Rundschau  1907.  —  Xy lander,  Arbeit  a.  d.  kais.  Gesundheitsamt 
1907.  (Daselbst  Autanliteratur.)  —  ^®)  Evant  und  Russel,  Hygienies 
Laboratories,  Washington  1906,  und  Hyg.  gönör.  et  appliqu.,  April  1907. 
—  ®b  Pfuhl,  Deutsche  militärärztl.  Zeitschr.  1899,  28.  Jahrg. 


Aus  dem  diagnostischen  Institut  der  Universität  in 
Budapest.  (Direktor:  Prof.  A.  v.  Koranyi.) 

Untersuchungen  an  einem  Falle  von  Pankreatitis 
und  Hepatitis  interstitialis  chronica  iuetica 

nach  Beseitigung  der  Pfortaderstauung  durch  reich¬ 
liche  Kollateralenbildung. 

Von  Dr.  Julius  Beiice,  Assistenten  des  Instituts. 

»Von  konstant  bei  Pankreasaffektionen  aiiftretenden,  der 
physiologischen  Forschung  vollständig  entsprechenden  Sym¬ 
ptomen  kann  bis  jetzt  nicht  die  Rede  sein«,  sagt  Leube  in 
der  Einleitung  zu  dem  Kapitel  der  Pankreaserkrankungen 
seines  Lehrbuches.  Man  kann  sogar  behaupten,  daß  in  vielen 
Fällen  eine  entschiedene  Divergenz  zwischen  der  physio¬ 
logischen  Forschung  und  den  klinischen  Erfahrungen  besteht. 
Dieselbe  geht  so  weit,  daß  man  sogar  die  hohe  Wichtigkeit 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


* 


der  grundlegenden  Entdeckung  v.  Mehrings  und  Min¬ 
kowskis  bezweifelte  und  den  Parallelismus  zwischen  den 
Ergebnissen  ihrer  Tierversuche  und  den  klinischen  Erfahrungen 
leugnete.  Denn  selbst  Hanse  mann  —  einer  der  größten 
Verfechter  der  Pankreasdiabetestheorie  —  leugnet  es  nicht, 
daß  es  Fälle  gibt,  in  denen  das  Drüsengewebe  des  Pankreas 
ganz  untergegangen  ist  und  der  Diabetes  dennoch  ausbleibt. 
Darum  hielt  ich  die  Mitteilung  meines  Falles  für  interessant, 
weil  bei  vollständigem  Schwund  des  Drüsengewebes  das 
Krankheitsbild  genau  denselben  Verlauf  nahm,  wie  ihn  jener 
der  Versuchstiere  nach  Pankreasexstirpation  aufweist. 

Die  Krankengeschichte  der  Pat.  sei  in  dem  folgenden 
wiedergegeben ; 

Anamnese:  Pat.  ist  hereditär  nicht  belastet.  Ihre  erste 
Schwangerschaft  endete  mit  einem  Abort  im  dritten  Monat,  die 
zweite  und  letzte  zur  rechten  Zeit  mit  der  Geburt  eines  toten 
Kindes.  Mit  17  Jahren  litt  sie  an  Typhus.  Im  Dezember  1901 
hatte  Pat.  einen  Schüttelfrost,  dem  Fieber  folgte,  welches  einige 
Stunden  dauerte.  Pat.  meldete  sich  zuerst  mit  Schmerzen  im  linken 
llypochondrium  und  mit  einer  bedeutenden  Vergrößerung  der 
Milz  im  März  1902  bei  uns.  Im  September  desselben  Jahres 
kehrte  Pat.  wieder  in  die  Klinik  zurück,  da  inzwischen  ihr  Bauch 
und  ihre  Füße  geschwollen  waren.  Die  Milzgeschwulst  vergrößerte 
sich,  außerdem  bestand  Aszites  und  Anasarka.  Auf  der  Bauch¬ 
wand  waren  mehrere  geschlängelte  Venen  sichtbar.  Stuhl  normal. 
Der  Aszites  wollte  nach  dem  Gebrauch  der  gewöhnlichen  Diuretika 
nicht  weichen.  Während  einer  Kalomelkur  verschwanden  dann 
die  Oedeme  beinahe  vollständig.  Die  Pat.  nahm  nachher  längere 
Zeit  Jodkali  und  der  Aszites  kehrte  bis  zur  letzten  Aufnahme 
in  der  Klinik,  welche  im  Februar  1906  erfolgte,  also  etwa  3'/-2  Jahre 
lang,  nicht  wieder  zurück.  Pat.  soll  sich  bis  Oktober  1905  ganz 
wohl  gefühlt  haben.  Zu  dieser  Zeit  begann  sie  an  Abführen  zu 
leiden,  wobei  sie  täglich  8  bis  lOmal  Stuhl  hatte.  Gleichzeitig 
hatle  Sie  einen  überaus  guten,  beinahe  unstillbaren  Appetit,  aß 
sehr  viel,  durstete  stark  und  urinierte  viel.  Der  Stuhl  war  seit 
der  angegebenen  Zeit  weißlich-grau.  Pat.  verlor  in  den  letzten 
vier  Monaten  18  kg  an  Körpergewicht. 

Status  praesens:  Die  stark  abgemagerte  Pat.  (Körper¬ 
gewicht  38  kg)  ist  von  mittlerer  Statur.  Die  Haut  trocken,  sehr 
blaß.  Im  Gesicht  ein  unregelmäßiger  pigmentloser  Fleck.  Neben 
beiden  Kukullarisrändern  mehrere  bohnengroße  Lymphdrüsen  in 
rosenkranzartiger  Anordnung.  Spitzenstoß  im  dritten  Interkostal¬ 
raum  ein  Querfinger  außerhalb  der  Maniillarlinie.  Die  untere 
Grenze  der  rechten  Lunge  ist  bei  Atembewegungen  nahezu  un¬ 
beweglich.  An  der  Bauchhaut  mehrere  geschlängelte  Venen,  außer¬ 
dem  ein  etwa  handbreiter  pigmentloser  Reif.  Die  Leberdämpfung 
beginnt  in  der  Parasternallinie  am  oberen  Rand  der  siebenten 
Rippe.  Von  hier  nach  links  übergeht  der  helle  nicht  tympanitische 
Schall  der  Lunge  unmittelbar  in  den  tympanitischen  des  Bauches 
über.  Von  der  vorderen  Axillarlinie  nach  rückwärts  fehlt  die 
Leberdämpfung.  Die  Milz  ist  bedeutend  vergrößert.  In  der  Bauch¬ 
höhle  sind  nicht  die  geringsten  Spuren  einer  Flüssigkeits¬ 
ansammlung  feststellbar.  Körpertemperatur  normal.  Appetit  und 
Durst  erhöht.  Urinmenge  1450  cm'“*,  spez.  Gew.  1047,  Zucker 
10‘5“/o.  Diazetessigsäure,  Azeton  wie  Indikanreaktion 
negativ.  Stuhlentleerung  8  bis  lOmal  täglich.  Der  Stuhl  ist 
hell,  gelbgrau  mit  einzelnen  gelblichen,  ausgesprochen 
an  Butter  erinnernden  Teilen,  von  breiiger  Konsistenz, 
intensivem  an  ranzige  Butter  erinnernden  Geruch.  Die  Reaktion 
stark  sauer.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  sind  viele 
Fettropfen,  Fettkristalle  und  sehr  viele  unver¬ 
änderte  quergestreifte  Muskelstücke  sichtbar. 

Der  Krankheitsverlauf  war  folgender: 

1.  März.  Körpergewicht  39'4  kg,  Urinmenge  950  cnP  mit 
77'9  g  Zucker  (8'2"/o).  Um  10  Uhr  vorm,  beginnt  mit  der  Dar¬ 
reichung  von  l'O  Karmin,  die  erste  Versuchsperiode  zur  Unter¬ 
suchung  der  Fettausnützung  (s.  weiter  unten).  Das  Karmin  er¬ 
scheint  um  5  Uhr  nachm,  im  Kote.  8  Stühle. 

2.  März.  Körpergewicht  38‘3  kg,  Urinmenge  1200  cm^  mit 
86‘4  g  Zucker  (7‘2''/o).  6  Stühle. 

3.  März.  Körpergewicht  38T  kg,  Urinmenge  880  cm^  mit 
52-8  g  Zucker  (5-96'’/o).  7  Stühle. 

Das  Gewicht  des  Trockenkotes  der  letzten  3  Tage  betrug 
370  g-  ^  . 

4.  März.  Körpergewicht  38'1  kg,  Urinmenge  1030  cnP  mit 
68’0  g  Zucker  (6'6"/o).  Um  10  Uhr  vorm,  erhielt  Pat.  l’O  Karmin. 
Auf  die  verschiedenen  Mahlzeiten  verteilt  bekommt  Pat.  täglich 
9  Stück  Pankreontabletten, 


5.  März.  Körpergewicht  38'2  kg,  Urinmenge  940  cm^  mit 
7G’l  g  Zucker  (8'l°/n).  4  Stühle. 

6.  März.  Körpergewicht  38'2  kg,  Urinmenge  1190  cm®  mit 
107’1  g  Zucker  (97o).  5  Stühle. 

7.  März.  Körperwicht  38'3  kg,  Urinmenge  1400  cm®  mit 
92‘4  g  Zucker  (6’6‘Vo).  Die  zweite  Versuchsperiode  wird  mit  der 
Verabreichung  von  l'O  Karmin  um  10  Uhr  vorm,  abgeschlossen. 
Der  Trockenkot  der  letzten  3  Tage  war  250  g. 

27.  März.  Die  Fäzes  sind  flüssig,  rötlich  schwarz,  blutig, 
Pat.  ist  anämisch.  Puls  schwach,  135  pro  Minute.  Indikanreaktion 
des  Harnes  negativ. 

31.  März.  Pat.  wird  3  Tage  per  Rektum  ernährt.  Die  Blutung 
hört  auf.  Im  Urin  viel  Azeton. 

7.  April.  Pat.  erhielt  die  regelmäßige  Kost  und  außerdem 
200  g  Butter,  worauf  im  Kote  viel  flüssiges  Fett  erschien.  Pat. 
hatte  tagsüber  Abführen.  Im  Urine  schwamm  an  der  Oberfläche 
flüssiges  Butterfett,  das  bald  nach  der  Entleerung  erstarrte. 

15.  April.  Pat.  bricht  Blut,  dessen  Menge  1  Liter  betrug. 
Hochgradige  Anämie.  Puls  kaum  fühlbar.  Hypodermoklyse  niit 
l'l  Liter  physiol.  Kochsalzlösung  worauf  sich  die  Patientin  er¬ 
holt.  Die  rektale  Ernährung  wird  wieder  aufgenommen.  Pat. 
leidet  große  Hungerqualen. 

20.  April.  Nachdem  sich  die  Patientin  wieder  erholt,  kehrt 
sie  zur  regelmäßigen  Kost  zurück.  Urinmenge  1200  cm®  mit  6"/o 
Zucker.  Indikanreaktion  des  Harnes  negativ.  Der  Stuhl  unver¬ 
ändert  fetthaltig. 

29.  April.  Pat.  klagt  über  Spannung  im  Bauche.  Bei  der 
Untersuchung  findet  man  einen  freien  Flüssigkeitserguß. 

1.  Mai.  Ausgesprochene  Fluktuation  im  Bauch,  die  Dämpfung 
daselbst  in  stetiger  Zunahme. 

6.  Mai.  Der  Bauch  sehr  gespannt.  Wegen  Atembeschwerden 
werden  5V2  Liter  Flüssigkeit  durch  Punktion  entfernt,  wonach 
eine  bedeutende  Erleichterung  folgt. 

9.  Mai.  Die  Patientin  erbricht  große  Blutmengen. 

10.  Mai.  Das  Blutbrechen  wiederholt  sich,  außerdem  besteht 
Diarrhoe  mit  blutigen  Abgängen.  Pat.  ist  sehr  anämisch.  Puls 
kaum  fühlbar. 

12.  Mai.  Andauernd  blutige  Stuhlgänge. 

13.  Mai.  Das  Blutbrechen  wiederholt  sich,  worauf  der  Exitus 
eintritt. 

Wie  aus  dieser  Krankengeschichte  ersichtlich,  litt  die 
Pat.  an  einem  Diabetes  mit  hochgradiger  Abmagerung,  mit 
massigen,  flüssiges  Fett  und  viele  quergestreifte  Muskelfasern 
enthaltenden  Stühlen.  Diese  kurz  gefaßte  Beschreibung  genügt 
schon,  um  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  Erkrankung  des 
Pankreas  zu  lenken.  Nachdem  die  Krankheit  schleichend, 
ohne  stürmischen  Beginn  einsetzte  und  mehrere  Monate 
dauerte,  waren  alle  akuten  Erkrankungen  von  vornherein 
ausgeschlossen.  An  eine  Zyste  war  nicht  zu  denken,  nachdem 
in  dem  sehr  gut  tastbaren  Abdomen  keinerlei  Resistenz  zu 
fühlen  war ;  dasselbe  galt  auch  von  den  Tumoren,  obzwar 
bei  den  letzteren  eventuell  eine  infiltrativ  wachsende 
Geschwulst,  welche  keine  größeren  Dimensionen  erreichte, 
nicht  ganz  auszuschließen  war.  Auch  die  Symptome  für 
Steinbildung  fehlten,  denn  die  Pat.  klagte  über  keinerlei 
Schmerzen,  welche  eine  diesbezügliche  Deutung  zjjgelassen 
hätten.  Außerdem  konnte  man  alle  die  Erkrankungen  aus¬ 
schließen,  die  einen  Druck  auf  die  Papilla  Vateri  ausgeübt 
hätten,  denn  es  fehlte  die  Gelbsucht.  Man  mußte  daher  eine 
chronisch  verlaufende,  mit  keinerlei  Vergrößerung  einher¬ 
gehende,  auf  die  Nachbarschaft  keinen  Druck  ausübende 
Erkrankung  annehmen,  die  sich  nicht  nur  auf  die  Kompression 
des  Ausführungsganges  beschränkt,  denn  wie  Claude 
Bernard  bewies,  genügt  dies  nicht  zur  Entstehung  des 
Diabetes,  sondern  eine  solche  Erkrankung,  die  den  Untergang 
des  Drüsengevvebes  selbst  verursacht.  Als  eine  derartige 
Krankheit  ist  vor  allem  die  Pankreatitis  interstitialis  chronica 
zu  betrachten,  bei  der  eine  Ueberwucherung  des  interstitiellen 
Bindegew^ebes  zu  einem  Verfalle  des  funktionsfähigen  Drüsen¬ 
gewebes  führt  und  so  alle  die  genannten  Ausfalls¬ 
erscheinungen  erklären  kann.  Die  Annahme  wurde  dadurch 
unterstützt,  daß  die  Kranke  gleichzeitig  an  einer  Laennec- 
schen  Hepatitis  interstitialis  chronica  litt,  an  einer  Krankheit, 
deren  anatomischer  Charakter  mit  der  angenommenen  Ver¬ 
änderung  des  Pankreas  genau  übereinstimmt.  Hoppe- 
Seyler  und  d’Amato  haben  darauf  hingewiesen,  daß  in 
vielen  Fällen  von  Hepatitis  interstitialis  ähnliche  Ver- 


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72'; 


änderungen  des  Pankreas  zu  finden  wären.  D’Amato 
äußert  sich  sogar  derart,  daß  mancher  die  Hepatitis  be¬ 
gleitende  Diabetes  in  der  erwähnten  Veräpderung  des 
Pankreas  seine  Ursache  haben  dürfte. 

Bezüglich  der  Ursache  dieser  Erkrankung  des  Pankreas 
ist  es  wahrscheinlich,  daß  dieselbe  Ursache,  welche  die 
interstitielle  Entzündung  der  Leber  hervorbrachte,  auch  im 
Pankreas  zu  einer  ähnlichen  Veränderung  führte.  Als  solche 
Ursachen  kommen  in  erster  Reihe  Alkoholismus  und  Lues  in 
Anbetracht.  Alkoholismus  konnte  beinahe  sicher  aus¬ 
geschlossen  werden,  hingegen  spricht  vieles  zugunsten  der 
Lues.  Die  Pat.  leugnete  zwar  eine  luetische  Infektion,  doch 
endete  von  zwei  Schwangerschaften  die  eine  mit  einem  Abort, 
die  zweite  mit  der  Geburt  eines  toten  Kindes,  ohne  daß 
anderweitige  Ursachen  hiefür  eine  Erklärung  gegeben  hätten. 
Anderseits  wurden  bei  der  klinischen  Untersuchung,  wie  bei 
der  Sektion  am  Halse  Drüsen  mit  entschieden  luetischem 
Charakter  gefunden  und  endlich  zeigte  die  Hepatitis  auf  Jod¬ 
kaliumbehandlung  eine  ausgesprochene  Besserung,  obzwar  die 
Ursache  dieser  Besserung  auch  unabhängig  von  der  Be¬ 
handlung  der  gleichzeitigen  Ausbildung  des  Kollateralkreislaufes 
zugeschrieben  werden  könnte. 

Die  klinische  Diagnose  wurde  durch  die  Sektion,  welche 
Herr  Dr.  Kirälyfi,  Assistent  des  II.  pathologisch-ana¬ 
tomischen  Instituts,  vornahm,  vollständig  bestätigt.  Der 
Sektionsbefund  war  folgender ; 

Die  abgemagerte  Leiche  ist  auffallend  anämisch.  Der  Bauch 
vorgewölbt,  ln  der  Bauchhöhle  2'5  Liter  reines  Serum.  Das 
Peritoneum  glatt  und  glänzend.  Ausgedehnte  Verwachsungen 
zwischen  dem  Zwerchfell,  der  Leber  bzw.  der  Milz  und  dem 
Peritoneum  der  vorderen  Bauchwand.  Aus  dem  atrophischen 
rechten  Leberlappen  gehen  zahlreiche  fächerartig  angeordnete 
Stränge  zum  Peritoneum  des  Zwerchfells.  Im  Epigastrium  ist  der 
linke  Leberlappen  sichtbar  in  der  Größe  von  zwei  Fäusten, 
welchen  ähnliche  Adhäsionen  mit  dem  Zwerchfell  verbinden.  Am 
Halse  sind  mehrere  erbsengroße,  harte  Drüsen  zu  finden,  deren 
Schnittfläche  glattweiß  ist.  Die  Pleura  ist  mit  Ausnahme  der 
rechten  unteren  Lungenoberfläche  frei,  dort  ist  sie  mit  dem 
Zwerchfell  fest  verwachsen.  Das  Herz  ist,  abgesehen  von  der 
Anämie,  normal.  Die  Lungen  ödematös.  Die  Aorta  glatt,  glänzend. 
Die  Milz  bedeutend  vergrößert,  ihre  Kapsel  fibrös  verdickt,  die 
Schnittfläche  blaßrot,  anämisch,  glatt,  mit  ausgesprochener  Binde¬ 
gewebsbildung.  Die  Leber  bedeutend  verkleinert,  deformiert,  be¬ 
sonders  atrophisch  ist  der  rechte  Lappen,  dessen  unterer  Rand 
papierdünn  ist.  Sonst  zeigt  die  Leber  das  ausgesprochene  Bild 
einer  interstitiellen  Entzündung.  Die  Gallengänge  sind  frei,  die 
Gallenblase  enthält  wenig  Galle.  Der  Hauptstamm  der  Vena 
portae  ist  frei,  die  nächsten  Aeste  hinter  dem  Duodenum,  wie 
auch  die  Vena  lienalis  sind  thrombotisiert.  An  der  Stelle 
des  Pankreas  befindet  sich  zähes,  weißes,  nar¬ 
biges  Bindegewebe,  Drüsengewebe  ist  gar  nicht 
sichtbar.  An  der  Schnittfläche  kommt  das  Lumen  der 
Art.  pancreatica  zum  Vorschein.  Im  Magen  wie  in  den  Gedärmen 
ist  überall  flüssiges  Blut.  Die  übrigen  Organe  sind  hochgradig 
anämisch.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Pankreas,  die 
ich  ebenfalls  Herrn  Dr.  Kirälyfi  verdanke,  zeigt  eine  aus¬ 
gesprochene  Bindegewebswucherung  mit  teils  jungen,  rundzellen¬ 
reichen,  teils  zellenarmen  faserreichen,  ja  sogar  teilweise  hyalin 
degenerierten,  narbigen  Bindegewebssträngen.  Das  eigentliche 
Drüsengewebe  ist  beinahe  ganz  verschwunden,  nur  hie  und  da 
sind  einige  Azini  sichtbar,  deren  Zellen  aber  auch  teils  degeneriert, 
teils  ganz  nekrotisiert  sind.  Die  L  a  n  g  e  r  h  a  n  s  sehen  Inseln 
sind  ganz  verschwunden.  Aehnlicherweise  sind  auch  im  über¬ 
wucherten  Bindegewebe  nekrotische  Teile  zu  sehen.  Die  Gefä߬ 
wände  sind  teilweise  verdickt. 

Das  anatomische,  bzw.  mikroskopische  Bild  entspricht 
in  diesem  Falle  dem  Endstadium  des  durch  Hansemann 
zuerst  als  »genuine  Granularatrophie«  bezeichneten 
Bildes.  Die  ähnliche  und  schon  vier  Jahre  vorhin  festge¬ 
stellte  Erkrankung  der  Leber,  läßt  mit  voller  Sicherheit  dar¬ 
auf  schließen,  daß  auch  im  Pankreas  die  Bindegewebswuche¬ 
rung  zuerst  kam,  und  daß  die  eigentlichen  Drüsenteile  erst 
durch  diese  verdrängt  wurden.  Die  Analogie,  die  Hanse¬ 
mann  mit  der  Granularatrophie  der  Niere  aufstellt,  scheint 
auch  hier  zutreffend  zu  sein,  denn  das  mikroskopische 
Bild  entspricht  ganz  jenem.  Auch  in  meinem  Falle  ist  eine 
Verdickung  und|  teilweise  Obliteration  der  Gefäße,  außerdem 


sind  auch  hier  kleinzellig  infiltrierte,  teils  hyalin  degene¬ 
rierte  Bindegewebspartien  zwischen  den  wenigen  erhaltenen 
nekrotischen  Drüsengängen  zu  finden.  Die  Granularatrophie 
des  Pankreas  hat  histologisch  denselben  Typus  wie  die  pri¬ 
märe  Granularatrophie  der  Niere,  nur  erreicht  sie  aus  leicht¬ 
verständlichen  Gründen  im  Pankreas  einen  höheren  Grad. 
Der  Unterschied  ist  also  nur  ein  gradueller. 

Wenn  nun  schon  eine  Granularatrophie  als  Ursache 
des  Diabetes  betrachtet  wird,  so  ist  es  noch  immer  fraglich, 
ob  die  Schädigung  der  eigentlichen  Azini  oder  die  der 
Langerhans ’sehen  Inseln  die  Ursache  des  Diabetes 
bildet.  Von  vielen  Seiten  (Di  eckhoff.  So  bol  eff,  Opie, 
Weichselbaum  und  Stangl,  Lancerau x)*)  wurde 
bestätigt,  daß  die  Erkrankung  der  L  an  g  e  rh  a  n  s  sehen 
Inseln  den  Diabetes  verursacht,  doch  stehen  nach  Naunyn 
dieser  Annahme  noch  einige  Bedenken  entgegen,  indem 
Schmidt  in  zwei  Fällen,  Karakascheff  in  11  Fällen 
von  Diabetes  die  Inseln  verhältnismäßig  besser  erhalten  fanden 


als  das  übrige  Pankreasgewebe,  während  Sauerbeck  nur 
die  Spärlichkeit  der  Inseln,  aber  sonst  nichts  Krankhaftes 
fand.  Haläsz  untersuchte  in  30  Fällen  von  Diabetes  die 
Veränderungen  des  Pankreas  und  folgerte  daraus,  daß  die 
Aetiologie  des  Diabetes  im  jungen  Alter  noch  unbekannt  sei, 
manchmal  läßt  sich  vielleicht  die  Krankheit  mit  einem  an¬ 
geborenen  Defekt  des  Organes  in  Zusammenhang  bringen; 
hingegen  beim  Diabetes  höheren  Alters  sind  stets  Blut¬ 
gefäßveränderungen  zu  finden.  In  den  letzteren  Fällen  be¬ 
schränkte  sich  die  Erkrankung  der  Gefäße  in  einigen  Fällen 
bloß  auf  diejenigen  der  Inseln,  bei  anderen  Fällen  war  der 
größte  Teil  der  Pankreasgefäße  erkrankt,  wieder  in  anderen 
bildete  die  Gefäßerkrankung  des  Pankreas  nur  eine  Teil¬ 
erscheinung  der  allgemeinen  Arteriosklerose.  Die  Inselver¬ 
änderungen  sah  Haläsz  öfters  neben  hochgradiger  Schädi¬ 
gung  des  Parenchyms,  diejenige  der  Inseln  prävalierte  aber 
stets,  nur  selten  war  ein  solcher  Fall,  in  welchem  die  Er¬ 
krankung  der  Inseln  eine  einfache  Teilerscheinung  der  Paren¬ 
chymerkrankung  gebildet  hätte.  In  seiner  klassischen  Studie 
über  Pankreaserkrankungen  tritt  Mayo  Robson  entschie¬ 
den  für  den  ätiologischen  Zusammenhang  der  L  an  ge  rh  an  s- 
schen  Inseln  mit  dem  Diabetes  in  die  Schranken.  An  der  Hand 
teils  eigener,  teils  aus  0  p  i  e’s  Arbeit  entstammender  mikro- 

*)  S.  Naunyn;  Diabetes.  —  II.  Ausg.  1906. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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skopischer  Präparate  beweist  er  die  Ursachen  der  verschie¬ 
denen  Auffassungen.  Tatsache  ist,  daß  nicht  jede  interstitielle 
l’ankreatitis  mit  Diabetes  verbunden  ist.  Dies  erklärt  Mayo 
Dobson  durch  die  verschiedenen  Formen  der  interstitiellen 
Entzündungen  und  zwar  wären  nach  ihm  dreierlei  Formen 
zu  unterscheiden :  1 .  die  interlobuläre,  bei  der  die  Inseln  erhalten 
bleiben  und  kein  Diabetes  entsteht;  2.  die  interazinäre, 
welche  mit  der  Erkrankung  der  Inseln  einhergeht  und  immer 
Diabetes  zur  Folge  hat;  3.  die  allgemeine  Zirrhose  des  Pan¬ 
kreas,  welche  ebenfalls  Diabetes  verursacht,  da  in  diesen 
Fällen  die  Atrophie  der  Inseln  auch  da  zu  sein  pflegt. 

Mein  Fall  wäre  als  dritte  Form  aufzufassen  und  erlaubt 
folglich  keine  Entscheidung  zwischen  der  ätiologischen  Rolle 
der  Langerhans sehen  Inseln  und  sonstigem  -  Gewebe, 
da  beide  fast  vollständig  untergingen.  Soviel  muß  aber  doch 
hervorgehoben  werden,  daß  in  diesem  sicher  pan¬ 
ic  re  a  tischen  Diabetes  die  Langerhansschen 
Inseln  vollständig  verschwanden,  hingegen 
sind  Spuren  der  eigentlichen  Drüsensubstanz 
noch  erhalten,  also  auch  in  diesem  Falle  prä- 
valiert  der  Untergang  der  La  n  gerha  ns’ s  ch  en 
Inseln, 

Der  Verlauf  der  Glykosurie  entsprach  auch  den  Tier¬ 
versuchen,  indem  der  Urin  anfangs  9  bis  IO'^/q  Zucker  enthielt, 
mit  dom  Fortschreiten  der  Krankheit  und  Abnahme  der 
Ivräfte  verminderte  sich  der  Zuckergehalt  auf  3  bis  47o5  ver¬ 
schwand  aber  niemals  vollständig. 

Da  in  meinem  Falle  auch  diejenigen  Teile  des  Pankreas 
schwer  erkrankt  waren,  welche  der  äußeren  Sekretion  dienen, 
ist  es  selbstverständlich,  daß  außer  dem  Diabetes  auch  eine 
hochgradige  Störung  der  Darmverdauung  nachzuweisen  war. 
Die  eingehendere  Untersuchung  dieser  Störung  war  um  so 
wichtiger,  weil  bis  jetzt  eigentlich  nur  wenige  Fälle  ver¬ 
öffentlicht  sind,  in  denen  die  Diagnose  des  vollständigen 
Unterganges  der  Drüse  am  Sektionstische  bestätigt  und  zu¬ 
gleich  genaue  Nahrungsausnützungsversuche  angestellt  waren. 
Außerdem  fehlte  in  diesem  Falle  die  sehr  oft  vorkommende 
und  störende  Komplikation  des  Gallengangverschlusses. 
Ganz  besonders  ist  aber  hervorzuheben,  daß  in  diesem  Falle 
der  weiten  Kollateralen  zufolge  eine  nachweisbare  Pfort¬ 
aderstauung  nicht  vorhanden  war,  daß  also  der  Einwand, 
welchen  Brugsch  den  an  einem  ähnlichen  Falle,  doch  bei 
bestehender  Stauung,  anknüpfenden  Auseinandersetzungen 
von  Weintraud  entgegenstellt,  wegfällt. 

Ein  anderer  Ein  wand  wäre  nach  ßrugsch,  daß  meine 
Pat.  an  Diabetes  leidet.  Hirschfeld  betrachtet  die  Stea- 
torrhoe  und  Azotorrhoe  bei  Diabetiker  für  ein  sicheres 
Zeichen  des  pankreatischen  Ursprunges.  Er  beschreibt  einen 
Fall  mit  30  bis  357o  Fett  und  Eiweiß verlust  bei  gleichzeitigem 
Diabetes.  Es  fehlt  aber  die  Bestätigung  der  Diagnose  durch 
die  Autopsie.  Dieser  Beobachtung  gegenüber  erwähnt 
Brugsch  einen  Diabetiker  mit  19-77o  Fett  und  lP97o  Fi- 
weißverlust  im  Kote,  bei  gleichzeitiger  Azetonurie.  Diesem 
Pat.  gab  er  einige  Tage  hindurch  die  v.  N  o  o  r  d  e  n’sche 
Haferkur  mit  15  0  g  Natrium  bicarboncium  pro  Tag,  worauf 
der  Fettverlust  auf  5‘67o,  derjenige  des  Eiweises  auf  5'17o 
herabfiel.  Brugsch  folgert  daraus,  daß  in  diesem  Falle 
keine  Pankreaserkrankung  bestand,  sondern  daß  das  von 
außen  zugeführte,  wie  das  aus  den  Darmsekreten  stammende 
Alkali  zur  Absättigung  der  Azidose  resorbiert  wurde.  Später 
erhöhte  sich  die  Azidose  trotz  derselben  Maßnahmen  und  der 
Fettverlust  erhöhte  sich  wieder.  Auch  in  diesem  Falle  fehlt 
die  Autopsie.  Mit  dem  Umstande,  daß  nach  Zufuhr 
des  Alkalis  und  Regelung  der  Diät  der  Fettverlust  geringer 
wurde,  ist  noch  nicht  bewiesen,  daß  hier  keine  Pankreas¬ 
erkrankung  vorlag.  Denn  man  könnte  die  Wirkung  der  er¬ 
wähnten  Maßnahmen  auch  so  erklären,  daß  die  Pankreas¬ 
sekretion  ungenügend  war-,  wie  aber  Deucher,  Brugsch 
und  auch  mein  Fall  (s.  u.)  zeigt,  kann  trotz  eines  ausge- 
.■^iwochenen  Ausfalles  des  Pankreassekretes  eine  Spaltung  des 
Fettes  stattfinden,  die  Spaltung  geht  aber  größtenteils  nur 
bis  zur  Fettsäurebildung.  Wird  nun  Alkali  von  außen  zu- 
geführt,  so  kann  Seifenbildung  und  damit  bessere  Resorption 


entstehen.  Der  Fall  von  Brugsch  kann  folglich  ebenso 
als  Pankreaserkrankung  gedeutet  werden  als  nicht.  Anderer¬ 
seits  sprechen  die  Tierversuche,  wie  andere  mit  Sektions¬ 
befunden  befestigte  Beobachtungen  von  Diabetes  mit  Stea- 
torrhoe  und  Azotorrhoe  so  sicher  für  Pankreaserkrankungen, 
daß  ich  mit  Hirschfeld  übereinstimmend  in  erster  Reihe 
in  solchen  Fällen  die  Annahme  eines  Pankreasdiabetes  für 
begründet  halte. 

Da  in  meinem  Falle  die  klinische  Diagnose  durch  die 
Sektion  bestätigt  wurde,  gewinnen  die  Untersuchungen  über 
die  Fettausnützung  ein  besonderes  Interesse. 

Auf  eine  gestörte  Ausnützung  des  Fettes  mußte  schon 
bei  der  einfachen  Besichtigung  des  Stuhles  geschlossen  wer¬ 
den.  Die  Stuhlentleerungen  waren  Monate  hindurch  sehr 
massig,  grau  und  enthielten  außerdem  sehr  viel  flüssiges 
Fett,  das  in  der  Form  von  gelblichen,  ßüssigen  Massen,  die 
bald  nach  der  Entleerung  erstarrten  und  an  der  Oberfläche 
des  Kotes  erschienen,  sich  äußerte. 

Das  flüssige  Fett  vermehrte  sich  sehr  auffallend  mit 
der  Erhöhung  der  Fettaufnahme.  So  erhielt  die  Pat.  bei  einer 
Gelegenheit  probeweise  200  g  Butter  außer  dem  zu  der  Be¬ 
reitung  der  sonstigen  Nahrungsmitteln  verwendeten  Fette. 
Damals  floß  tagsüber  das  flüssige,  ölartige  Fett  aus  dem 
Rektum  der  Pat.  Aber  selbst,  wenn  die  Nahrung  geringere 
Fettmengen  enthielt,  wie  z.  B.  während  der  ersten  Versuchs¬ 
periode,  erschien  im  Kote  auch  stets  flüssiges  Fett.  Das  von 
Ury  und  Alexander  als  besonders  charakteristisch  her¬ 
vorgehobene  Symptom  der  Pankreaserkrankungen  war  also 
auch  in  meinem  Falle  vorhanden. 

Eine  nächste  Frage  bildet  der  absolute  Fettgehalt  des 
Kotes  bei  Pankreaserkrankungen.  Wir  finden  in  der  Literatur 
zahlreiche  Fälle  mit  Steatorrhoe  und  viele  ohne  derselben. 
Unter  den  ersteren  befinden  sich  viele  solche  Fälle,  bei  denen 
zugleich  Ikterus  zugegen  war.  Unleugbar  ist  aber,  daß  man 
auch  in  einigen  Fällen  von  unkomplizierten  Pankreaserkran¬ 
kungen  einen  hohen  Fettgehalt  fand.  Eine  nähere  Aufklärung 
als  die  einfache  Beobachtung  des  Fettgehaltes  des  Stuhles, 
gaben  uns  über  die  Folgen  von  Pankreaserkrankungen  genaue 
Stoffwechselversuche.  Diese  zeigten,  daß  in  den  Fällen  von 
Pankreaserkrankungen  507o  oder  noch  mehr  des  Nahrungs¬ 
fettes  unresorbiert  mit  dem  Kote  verloren  gingen. 

Eine  vielumstrittene  Frage  bildet,  wie  sich  die  Fett¬ 
spaltung  bei  Ausfall  des  pankreatischen  Sekretes  im  Darm 
verhält.  Nach  den  ersten  Versuchen  F.  Müllers  wäre  das 
Ueberwiegen  des  Neutralfettes  im  Kotfette,  d.  h.  die  mangel¬ 
hafte  Spaltung,  das  Charakteristische.  Aehnliche  Ansichten 
vertraten  v.  Noorden,  Anschütz,  Weintraud  und 
Katz.  Der  letztere  nimmt  sogar  an,  daß  nur  bei  einer  Ver¬ 
minderung  der  Kotfettspaltung  unter  707o  Beteiligung 

des  Pankreas  an  der  Verdauungsstörung  zu  denken  sei.  Diesen 
LTntersuchungen  widersprechen  vor  allejn  die  mehrfach  be¬ 
stätigten  Tierversuche  Abelmanns,  die  zeigten,  d-aß  nach 
Exstirpation  des  Pankreas  der  Kot  verhältnismäßig  wenig 
Neutralfett  enthält,  daß  die  Fettspaltung  beinahe  normal 
bleibt,  mit  dem  Unterschiede,  daß  in  dem  gespaltenen  Fette 
die  freien  Fettsäuren  der  Seife  gegenüber  erheblich  über¬ 
wiegen.  Diese  Versuchsergebnisse  fanden  in  sehr  genauen 
klinischen  Beobachtungen  von  Deucher,  Albu,  Zoja  und 
Brugsch  ihre  Bestätigung.  Sie  fanden  nämlich,  daß  bei 
teils  nachträglich  durch  Sektionen  festgestellten  Pankreas¬ 
erkrankungen  eine  beinahe  normale  Fettspaltung  im  Kote 
stattfindet,  insbesondere  war  die  Menge  der  freien  Fettsäure 
überwiegend  u.  zw.  mehr  auf  Kosten  der  Seifen  als  des 
Neulralfettes.  Eben  diese  geringe  Menge  an  Seifen  hält  Zoja 
für  ein  wichtiges  Merkmal  behinderter  Pankreassekretion,  wäh¬ 
rend  Fr.  Müller  das  Mengenverhältnis  von  freien  Fettsäuren 
und  Seifen  von  dem  Zufalle  abhängig  hält,  nämlich  von 
der  Menge  des  am  Orte  der  Spaltung  anwesenden  Alkalis. 

Um  die  in  meinem  Falle  nachweisbaren  Störungen  für 
die  Pathologie  des  Pankreas  verwenden  zu  können,  müßten 
also  der  absolute  Fettgehalt  des  Kotes,  die  Ausnützung  des 
Nahrungsfettes  und  die  Fettspaltung  berücksichtigt  werden. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


720 


Die  Bestimmiingsanordnung,  die  ich  der  Liebenswürdigkeit 
des  Herrn  Prof.  L.  v.  L  i  e  b e  rm  a  n  n  verdanke,  war  folgende : 

Beiläufig  10  g  des  Trockenkotes  standen  24  Stunden  lang 
in  100  g  kaltem  Alkohol.  Während  dieser  Zeit  wurde  die  Mischung 
mehrere  Male  gut  durchgeschüttelt  und  nachher  ahfiltriert.  Im 
Filtrat  befanden  sich  die  freien  Fettsäuren  und  Seifen,  im  llück- 
stande,  der  gut  mit  Alkohol  ausgewaschen  wurde,  blieb  das 
neutrale  Fett.  Letzteres  bestimmte  ich  mit  dem  Soxhletschen 
Apparat,  indem  ich  während  72  Stunden  extrahierte  und  nachher 
das  Fett  wog.  Das  Filtrat  wurde  zum  Trocknen  ahgedampft, 
nachher  mit  Aether  extrahiert,  wobei  die  ätherlöslichen  Fettsäuren 
in  Lösung  gingen,  während  die  Seifen  zurückblieben.  Von  den 
Fettsäuren  wurde  der  Aether  abdestilliert,  die  zurückgebliebenen 
Fettsäuren  getrocknet,  gewogen,  dann  wieder  in  Alkohol  aufgelöst 
und  mit  alkoholischer  Kalilauge  titriert.  Der  Rückstand  nach  der 
Aetherextraktion  des  Filtrats,  welcher  auch  die  Seifen  enthielt, 
wurde  in  heißem  Wasser  aufgelöst,  mit  verdünnter  Schwefelsäure 
gekocht.  Die  Seifen  gingen  infolge  dieser  Behandlung  in  die  ent¬ 
sprechenden  Fettsäuren  über,  welche  im  Schütteltrichter  mit  Aether 
extrahiert  und  wie  oben  weiterbehandelt  wurden. 

Zur  Feststellung  der  Nahrungsausnützung  erhielt  die  Patientin 
die  von  A.  Schmidt  festgestellte  Diätformel.  Der  Kot  wurde  in 
dreitägigen  Perioden  gesammelt,  getrocknet  und  so  untersucht.  In 
der  ersten  Periode  wollte  ich  die  Nahrungsausnützung  ohne  jeg¬ 
lichen  Einfluß  untersuchen,  während  ich  in  der  folgenden  Periode 
täglich  neun  Stück  Pankreontabletten  beigelegt  habe.  Zur 
Abgrenzung  des  Kotes  erhielt  die  Patientin  l’O  g  Karminpulver 
nüchtern.  Tags  zuvor  bekam  die  Patientin  eine  von  der  während 
der  Versuchsperiode  verwendeten  ganz  abweichende  Diät,  um 
auch  dadurch  eine  genauere  Abgrenzung  des  Kotes  zu  erreichen. 


Die  angeordnete  Probediät  war  folgendermaßen  zusammen¬ 
gesetzt  : 


Einnahme 

Trocken¬ 

rückstand 

g 

Fett 

1 

N 

1-5  Liter  Milch 

238-0 

48-0 

7-3 

80  g  Hafergrütze 

72-0 

4-8 

1-7 

50  g  Butter 

43-0 

42-0 

— 

125  g  mageres  Rindfleisch 

30-0 

2-5 

4-4 

100  g  Zwieback 

88-0 

10 

1-3 

Zusainiueu  .  . 

466-0 

98-3 

14-7 

Bilanz 


Einnahme  an  Fett. 
Ausgabe  durch  Kot . 


295-0 


.  169-0 
-f  126-0 

Nicht  resorbiertes  Fett  .  57*3'’/o 


Einnahme  an  N 
Ausgabe  durch  Kot 

Nicht  resorbiertes  N 


.  44-1 
.  14-7 
+  29-4 
.  33-47, 


Das  nicht  resorbierte  Feit  besteht  aus: 

Neutralfett . 

Zwei  Fettsäuren .  55*47o 

Seifen . 8*0''/o 

In  den  nächstfolgenden  drei  Tagen  erhielt  die  Patientin  bei 
obigerDiät  täglich  neun  Pankreontabletten.  Die  Ausgabe  imKot  l)etrug 
während  dieser  Periode  250  g  Trockensubstanz,  von  welcher  in 
je  zwei  Portionen  Fett,  bzw.  N  bestimmt  wurde  und  folgende 
Resultate  lieferte ; 


Ver¬ 

suchs¬ 

zahl 

Trocken¬ 

kot 

g 

Neutral¬ 

fett 

Felt- 

säure 

Seifen 

Gesamt- 

Neu¬ 

tral¬ 

fett 

Fett¬ 

säure 

Seifen 

I 

9-88 

1-1653 

3  047 

0  284 

29  60 

77'38 

7-21 

11 

11-26 

1-2608 

3-283 

0-338 

27-99 

72-88 

7-50 

I 

083 

—  ' 

— 

— 

— 

— 

— 

II 

0-83 

— 

— 

— 

— 

N 


0  035 
0-035  ! 


Die  Durchschnittswerte  berechnet  und  die  freien  Fettsäuren 
und  Seifen  auf  Neutralstearinfett  umgerechnet,  ergibt  die  Kot- 


Gesamt- 

Zusammen 

N  des  gesamten 
Trockenkotes 

* 

Neutral- 

fett 

Fettsäure 

Seifen 

Gramm 

7o  des 
Trocken¬ 
kotes 

Gramm 

7o  des 

Kotes 

28-8 

78  72 

7-7 

115-22 

4«-07u 

10-5 

4-2 

Bilanz  : 


Einnahme  an  Fett 
Ausgabe  durch  Kot 


295-00 
115  22 


Nicht  resorbiertes  Fett 


+  179  78 


Einnahme  an  N  .  . 

Ausgabe  durch  Kot  . 

Nicht  resorbiertes  N 


44-1 

10-5 


+  33  6 

23-S«/o 


Während  einer  dreitägigen  Versuchsperiode  wurden  daher 
295'0  g  Fett  und  441  g  N  in  Nahrung  aufgenommen. 

Die  Ausgabe  im  Kot  betrug  in  der  ersten  Periode  370  g 
Trockenkot,  von  welchen  in  drei  Portionen  das  Fett,  in  zwei 
Portionen  das  N  bestimmt  wurde  und  folgende  Resultate  lieferte : 


Ver¬ 

suchs¬ 

zahl 

Trocken¬ 

kot 

g 

Neutral¬ 

fett 

Fett¬ 

säure 

Seifen 

Gesamt- 

N 

Neu¬ 

tral- 

fett 

Fett¬ 

säure 

Seifen 

I 

10-07 

1-4013 

2-434 

0-352 

51-43 

89-33 

12  92 

— 

II 

9-86 

1-4313 

2-357 

0-346 

53-67 

89-40 

12  97 

— 

III 

9-66 

1-3168 

2332 

— 

50-43 

89-32 

— 

— 

I 

0-66 

_ 

— 

— 

— 

— 

— 

0-02555 

II 

0-68 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0-02765 

Die  Durchschnittswerte  berechnet  und  außerdem  die  freien 
Fettsäuren  und  Seifen  auf  Neutralstearinfett  umgerechnet,  ge¬ 
stalten  sich  die  Resultate  wie  folgt : 


Gesamt- 

Zusammen 

N  des  gesamten 
Trockenkotes 

Neutral¬ 

fett 

Fettsäure 

Seifen 

Gramm 

7o  des 
Trocken¬ 
kotes 

Gramm 

7o  des 
Kotes 

51-85 

■  936 

13  50 

169-0 

45-6 

14-7 

4-0 

Das  nicht  resorbierte  Fett  besteht  aus: 

Neutralfett . -  .  .  24-9«/o 

Freie  Fettsäuren . 68*4*'/o 

Seifen . 6*PVu 

Wenn  wir  nun  die  Ergebnisse  der  Versuche  bei  meiner 
Pat.  betrachten,  finden  wir,  daß  die  absolute  Fett¬ 
menge  des  Kotes  bedeutend  erhöht  war,  in¬ 
dem  sie  4G'5'Vo  der  Trockensubstanz  bildete.  Dies  ist  um 
so  bemerkenswerter,  da  die  Fettaufnahme  eine  verhältnis¬ 
mäßig  geringe  war,  nämlich  98  3  g  pro  Tag.  Aber  noch 
augenscheinlicher  wird  der  Fettverlust,  wenn  das  Kotlett  mit 
dem  in  der  Nahrung  aufgenommenen  verglichen  wird,  hier 
ergibt  sich  ein  Verlust  von  57-37o.  Die  Ausnützung  des 
Nahrungsfettes  war  folglich  eine  sehr  schlechte,  so  wie  man 
dies  in  vielen  Fällen  von  Pankreaserkrankungen  fand. 

Die  nähere  Untersuchung  des  Kotfettes  zeigte,  daß 
dieses  so  verteilt  war,  daß  36'67o  ^-uf  Neutralfett, 
55-47o  auf  freie  Fettsäuren  und  87o  auf  Seifen 
fielen. 

Nach  der  Angabe  von  Katz  ist  mein  Fall  mit  der 
03-47o  betragenden  Fettspaltung  beinahe  an  der  Grenze,  wo 
er  überhaupt  eine  Pankreaserkrankung  annimmt.  Demgegen¬ 
über  fand  auch  ich  ein  bemerkenswertes  Ueberwiegen  der 
Fettsäuren  neben  den  Seifen.  In  wenig  bisher  veröffentlichten 
Fällen,  in  denen  auch  Ausnützungsversuche  angestellt  wurden, 
ist  ein  vollständiger  Untergang  der  Bauchspeicheldrüse  so  be¬ 
stimmt  makroskopisch  wie  mikroskopisch  festgestellt  wie  in 
diesem  Falle.  Dieser  Fall  bildet  bezüglich  des  Ausfalles  der 
Pankreassekretion  ein  Ebenbild  der  Tierversuche  und  tat- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


sächlich  entsprechen  die  Ausfallsersclieinungen  in  vollem  Maße 
denselben.  Ich  kann  mich  daher  vollständig  dem  Salze 
llrugschs  anschließen,  »daß  mangelhafte  Fettspaltung  kein 
Attribut  der  Pankreaserkrankung  ist«,  ich  muß  vielmehr  auch 
denjenigen  beistimmen,  die  das  Ueber  wiegen  der  freien 
Fettsäuren  auf  Kosten  der  Seifen  als  die 
charakteristische  Eigenschaft  des  Mangels 
der  Pankreas  Verdauung  betrachten. 

Wie  soll  aber  die  so  ausgiebige  Fettspaltung  bei  Weg¬ 
fall  des  Pankreassekretes  erklärt  werden  ?  Fr.  M  ü  1 1  e  r  unter¬ 
suchte  den  Einfluß  der  Darmbakterien,  fand  jedoch,  daß  diese 
die  Spaltung  nur  in  geringem  Maße  befördern.  Eine  wichtigere 
Rolle  dürfte  nach  Volhard  die  fettspaltende  Wirkung  des 
Magensaftes  haben,  welche  aber  nur  auf  natürlich  emulgiertes 
Nalirungsfett  einen  derartigen  Einfluß  ausübt.  In  diesem  Um¬ 
stande  dürfte  vielleicht  die  Ursache  liegen,  daß  die  ver¬ 
schiedenen  Autoren  bezüglich  der  Fettspaltung  bei  Pankreas¬ 
erkrankungen  so  verschiedene  Resultate  erhielten.  Denn  es 
ist  nicht  ausgeschlossen,  daß,  ähnlich  wie  in  meinen  Ver¬ 
suchen,  in  jenen  Fällen,  welche  gleichlautende  Resultate 
lieferten,  ein  bedeutender  Teil  des  Nahrungsfettes  in  fein 
emulgierter  Form  gereicht  wurde.  So  erhielt  meine  Pat.  bei¬ 
nahe  die  Hälfte  des  Nahrungsfettes  in  Form  von  Milch.  Außer¬ 
dem  fand  in  neuerer  Zeit  Roldyreff  eine  Darmlipose  und 
F  r  o  u  i  n  konnte  beweisen,  daß  im  Darme  bei  Ausschluß  des 
Pankreassaftes,  besonders  bei  freiem  Zufluß  der  Galle,  eine 
ausgiebige  Fettspaltung  stattfindet,  daß  also  der  Darmsaft 
selbst  einen  aktiven  Anteil  an  der  Fettverdauung  hat.  Das 
fettspaltende  Ferment  des  Magens,  vereint  mit  demjenigen 
des  Darmes,  außerdem  die  Mitwirkung  der  Darmbakterien, 
vermögen  gewissermaßen  die  Fettspaltung  des  Pankreassaftes 
zu  ersetzen.  Diese  Einwirkung  der  gena-nnten 
Faktoren  ist  aber  wahrscheinlich  ausgiebiger, 
wenn  diese  das  Fett  an  einer  womöglich 
großen  Wirkungsoberfläche  an  greifen  können. 
Hierin  mag  der  Vorteil  des  emulgierten 
Fettes  liegen.  Darum  wären  bei  Pankreaserkrankungen 
vergleichende  Ausnützungsversuche  wünschenswert,  in  denen 
bei  denselben  Kranken  einmal  überwiegend  emulgiertes,  ein 
anderes  Mal  nicht  einulgiertes  Fett  zu  geben  wäre.  Ich  glaube, 
daß  derartige  Versuche  den  Gegensatz  der  bisherigen  Unter¬ 
suchungen  erklären  würden. 

Minkowski  und  A  b  e  1  m  a  n  n  fanden  in  Tierver¬ 
suchen,  daß  sich  die  Fettresorption  nach  Pankreasexstirpation 
bei  gleichzeitiger  Pankreasfütterung  besserte.  Viel¬ 
seitig  verwendete  man  seither,  teils  mit  Erfolg,  Pankreas¬ 
präparate  bei  Fettstühlen. 

Genaue  vergleichende  Nahrungsausnützungsversuche 
stellte  Salamon  an  und  fand,  daß  der  Fettgehalt  des  Kotes 
abnahm.  Einen  ähnlichen  Versuch  nahm  ich  bei  meiner  Pat. 
vor.  Sie  erhielt  neun  Stück  Pankreontabletten  täglich, 
welche  sie  während  den  Mahlzeiten  einnahm.  Der  Vergleich 
der  Nahrungsausnützung  sei  in  der  folgenden  Tabelle  angegeben: 


Wie  aus  den  vorliegenden  Tabellen  ersichtlich  ist,  be¬ 
wirkte  das  Pankreon  eine  bedeutend  bessere  Nahrungsaus¬ 
nützung.  Das  Kotfett  wurde  um  3P8°/o  weniger.  Interessant 
ist  es,  die  Wirkungsweise  des  Pankreons  auf  die  Fettspaltung 
zu  verfolgen.  Die  größte  Abnahme  zeigt  das  Neutralfett  im 
Kot,  indem  es  um  57-57o  nach  Einwirkung  des  Pankreons 
abnahm.  Die  Seife  zeigt  auch  prozentuell  eine  bemerkens¬ 
werte  Abnahme,  die  absolute  Menge  ist  aber  so  gering,  daß 
diese  Aenderung  kaum  in  Betracht  kommt.  Demgegenüber 
änderte  sich  der  Gehalt  an  freien  Fettsäuren  nur  um  15'87o- 
Das  Pankreon  hat  daher  eine  bessere  Spaltung  und  auch 
eine  ausgiebigere  Resorption  des  Fettes  herbeigeführt.  Noch 
augenscheinlicher  wird  dieses  Resultat  bei  der  Vergleichung 
der  prozentuellen  Verteilung  des  Kotfettes  vor  und  nach 
der  Pankreonbehandlung.  Daraus  ergibt  sich,  daß  während 
vor  der  Behandlung  36'67o  auf  das  Neutralfett  fiel,  dieses 
während  derselben  nur  24'97o  betrug,  die  Seifen  fielen  von 
8  0  auf  6-77o,  hingegen  erhöhte  sich  der  freie  Fettsäuregehalt  - 
von  55‘47o  auf  687o-  Aus  diesem  läßt  sich  leicht  die  Wirkung 
des  Pankreons  ermitteln.  Es  befördert  vor  allem  die  Spaltung 
des  Neutralfettes  in  Fettsäuren  und  nachdem,  trotz  der 
prozentuellen  Erhöhung  der  freien  Fettsäuren,  diese  wie 
die  Seifen  sich  in  ihrer  Menge  absolut  verminderten,  muß 
man  annehmen,  daß  das  fehlende  Neutralfett  gespalten,  in 
Seifen  umgewandelt  und  so  zur  Resorption  fertiggestellt, 
tatsächlich  resorbiert  wurde.  Nachdem  aber  der  prozentuelle 
Fettsäuregehalt  höher  wurde,  kann  man  annehmen,  daß  mit 
dem  Pankreon  nicht  genügend  Alkali  im  Darm  vorhanden 
war.  Es  wäre  also  zu  überlegen,  ob  mit  dem  Pankreon 
nicht  zugleich  größere  Dosen  von  Alkalien  zu  geben  wären. 
Freilich  könnte  man  jedoch  dadurch  vielleicht  die  Magen¬ 
funktion,  deren  Aufrechterhaltung  aber  besonders  in  Fällen 
von  Pankreasinsuffizienz  schwer  in  die  Wagschale  fällt,  be¬ 
einträchtigen. 

Hier  möchte  ich  noch  einen  zweiten  Fall  erwähnen 
aus  der  Privatpraxis  meines  Chefs  Herrn  Prof.  A.  v.  Koränyi. 
Dieser  Kranke  leidet  seit  Jahren  an  Steatorrhoe,  außerdem 
zeigte  sich  vor  einem  Jahre  17o  Zucker  im  Harne.  Nach 
entsprechenden  diätetischen  Maßnahmen  schwand  der  Zucker 
nach  einigen  Tagen.  Die  Steatorrhoe  behandelte  Herr  Professor 
V.  Koranyi  mit  Pankreontabletten,  welche  sich  sehr  gut 
bewährten.  Ohne  Pankreon  hat  der  Pat.  unaufhörliches  Ab¬ 
führen,  wobei  der  Kot  größtenteils  aus  ölartig  flüssigem  Fett 
bestand.  Nach  Einnahme  des  Pankreons  hat  der  Pat.  regel¬ 
mäßigen  Stuhl.  Seit  Jahren  benützt  dieser  Kranke  das 
Pankreon. 

Diese  beiden  Fälle  bestätigen  die  Erfahrung,  daß  bei 
Erkrankungen  des  Pankreas,  die  sekretorische  Funktion  des 
Organs  durch  Verabreichung  der  Organpräparate  zu  gutem 
Teil  ersetzt  werden  kann.  Diese  Wirkung  wird  aber  den  Ver¬ 
lauf  der  Krankheit  sehr  günstig  beeinflussen,  denn  sie  wird 
die  bei  Pankreaserkrankungen  auftretende  rasche  Abniagerung 


Periode 

Trocken¬ 

kot 

Neutral¬ 

fett 

Freie 

Fettsäure 

Seife 

Gesamt¬ 

fett 

inGramm 

Fett 

7o 

des  Kotes 

N 

inGramm 

in  “/„ 

I. 

370 

51-85 

93-6 

1356 

169-0 

45-6 

14-7 

40 

ohne  Pankreon 

II. 

250 

28-8 

78-72 

7-7 

115-22 

46-1 

10-5 

4-2 

mit  » 

120 

23-05 

14-88 

5-86 

53-78 

— 

42 

— 

Abnahme  in  Gramm 

32-47o 

57-57o 

15-8% 

430/0 

31-80/0 

+  O50/0 

28-6o/„ 

+  O-20/o 

»  in  Prozenten 

Das  nicht  resorbierte  Fett  bestand  aus : 


Ohne 

Mit 

Pankreon  1 

Neutralfelt . 

36-6o/o 

24-90/0  j 

Freie  Fettsäure.  .  .  . 

55-40/, 

68-40/0 

Seifen . 

8-O0/0 

6-70/0 

und  den  mit  dieser  verbundenen  Kräfteverfall  des  Pat.  wesent¬ 
lich  verhindern. 

Der  Wegfall  des  Pankreassekretes  macht  sich  auch  in 
dem  Eiweißumsatz  fühlbar. 

Hier  finden  wir  schon  volle  Uebereinstimmung  mit  den 
Tierversuchen.  Abelmann  fand  nach  Pankreasexstirpation 
sehr  große  N-Verluste  durch  den  Kot.  Diese  wurden  klinisch 
bei  Pankreaserkrankungen  vielseitig  bestätigt  und  für  ein 
wichtiges  Symptom  derselben  anerkannt.  Die  genauen 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


727 


Ausnützungsversuche  Weintrauds,  Deuche rs,  Hirsch¬ 
felds  und  Brugschs  wiesen  einen  N-Verlust  von 
20  bis  407o  nach,  wobei  der  Trockenkot  beiläufig  4%  N  ent¬ 
hielt.  Meine  Versuchsresultate  stimmen  vollständig  überein 
mit  deren  Angaben,  indem  der  Trockenkot  47^  N  ent¬ 
hielt,  das  einem  33-67oigen  S  t  i  ck  s  t  o  f  f  v  er  1  u  s  t  e  der 
aufgenommenen  Nahrung  entspricht.  Diesem  großen  Eiwei߬ 
verluste  entsprechend  waren  im  Kote  in  großer  Menge 
quergestreifte  Muskelreste  zu  finden. 

Die  Pankreonverabreichung  bewirkte  auch  eine  bessere 
Ausnützung  des  Nahrungseiweißes.  Der  Stickstoffgehalt  des 
Kotes  nahm  um  28'67o  ^-b. 

Bemerkenswert  ist,  daß  der  Zuckergehalt  des  Urines  bei 
Pankreongebrauch  unbeeinflußt  blieb. 

Die  I  n  d  i  k  a  n  r  e  a  k  t  i  0  n  des  Harnes  blieb  bei  wieder¬ 
holter  Untersuchung  negativ. 

Dieses  von  Le  Nobel  als  Ausfallserscheinung  der 
Pankreasfunktion  betrachtete  Zeichen  kann  ich  also  auch 
bekräftigen. 

Nach  einer  größeren  Fettaufnahme  hatte  die  Pat.  einmal 
eine  Lipurie.  An  der  Oberfläche  des  Harnes  schwamm 
eine  nach  Butter  riechende  fettige  Masse. 

In  dem  späteren  Stadium  der  Krankheit  trat  ähnlich 
wie  in  den  Versuchen  v.  Mer  in  gs  und  Minkowskis  eine 
hochgradige  Azetonurie  auf. 


Fig.  2. 


Die  Zirrhose  der  Bauchspeicheldrüse  führte  zu  einer 
hochgradigen  Abmagerung.  Die  Pat.  verlor  in  einigen  Wochen 
18  kg  von  ihrem  Körpergewicht,  trotzdem  sie  ganze  Unmassen 
von  Speisen  verzehrte.  Die  merkbaren  Erscheinungen  der 
Pankreaszirrhose  zeigten  sich  beiläufig  ein  Jahr  vor  dem 
Tode.  Der  Verlauf  der  Krankheit  wurde  eigentlich  durch  die 
komplizierenden  Magenblutungen  beschleunigt. 

Nicht  nur  die  Pankreaserkrankung,  sondern  auch  der 
Verlauf  des  Hepatitis  verdient  besprochen  zu  werden. 
Fünf  Jahre  vor  dem  Tode  zeigten  sich  die  ersten  Symptome 
der  Hepatitis.  Im  Anfang  Milztumor  mit  Leibschmerzen,  bald 
nachher  ein  isolierter  Aszites,  dessen  Bestand  ein  Jahr  hin¬ 
durch  in  der  Klinik  verfolgt  wurde. 

Die  Pat.  wurde  nach  einer  erfolgreichen  Kalomeldiurese, 
mit  der  Verordnung  von  Jodkali  aus  der  Klinik  entlassen. 
Letzteres  nahm  sie  Monate  hindurch.  Nach  vier  Jahren  sahen 
wir  die  Pat.  wieder,  der  Aszites  soll  sich  in  der  verlaufenen 
Zeit  nie  erneuert  haben,  tatsächlich  konnte  man  nicht  die 
geringste  Spur  von  einer  Flüssigkeitsansammlung  in  der 
Bauchhöhle  nachweisen. 

Die  Erklärung  fanden  wir  schon  in  vivo,  aber  noch  viel 
ausdrücklicher  bei  der  Sektion.  In  vivo  sah  man  viele  er¬ 
weiterte  und  geschlängelte  Venen  an  der  Haut  der  Brust 


und  des  Bauches.  Außerdem  bestanden  Zeichen,  die  darauf 
hin  wiesen,  daß  Verwachsungen  zwischen  der  Pleura,  der  Dia¬ 
phragma  und  der  Leber  bestehen.  Die  physikalischen  Zeichen 
waren,  daß  die  rechte  Thoraxhälfte  an  der  Atmung  kaum 
teilnahm,  die  untere  Lungengrenze  tiefer  stand  und  ihre 
Mobilität  einbüßte,  außerdem  war  über  der  rechten  Lunge  ab¬ 
geschwächtes  Atmen  hörbar.  Eine  rechtsseitige  Pleuritis 
war  aus  der  Anamnese  nicht  annehmbar.  Die  Röntgendurch¬ 
leuchtung  zeigte  noch  mehr,  indem  die  rechte  Zvverchfells- 
hälfte  beim  Atmen  ihren  Stand  kaum  änderte.  Dies  bekräftigte 
die  Annahme,  daß  es  sich  hier  um  ausgedehnte  Verwachsungen 
handelt.  Bei  der  Sektion  fand  man  wie  die  beigelegte  Photo¬ 
graphie  zeigt,  ausgebreitete  fächerartige  Verwachsungen  zwischen 
der  Leber,  der  Milz  und  Diaphragma,  welche  wieder  an 
ihrer  Brustseite  mit  der  unteren  Fläche  der  rechten  Pleura, 
bzvv.  Lunge  ganz  flächenartig  verwachsen  war.  Außerdem 
gingen  Bindegewebsstränge  von  der  Leber  und  Milz  zur  vor¬ 
deren  Bauchwand. 

Diese  Verwachsungen  vermittelten  neue  Bahnen  zwischen 
der  Pfortader-  und  Cava-Zirkulation  in  so  ausreichender  Weise, 
daß  diese  genügten  zur  Aufhebung  der  Pfortaderstauung, 
was  darin  zum  Ausdruck  gelangte,  daß  der  Aszites  für  immer 
verschwand. 

Es  entstand  in  diesem  Falle  auf  natürlichem  Wege  ein 
Ausgleich,  wie  man  ihn  mit  der  Talmaschen  Operation 
anstrebt.  Dieser  Fall  bildet  einen  Beweis  für  die  Richtigkeit 
des  Prinzipes  der  Talmaschen  Operation. 

Die  von  1 1  o  und  0  m  i  auf  experimenteller  Basis  be¬ 
gründete  Ansicht,  daß  die  Hauptsache  die  Entstehung  aus¬ 
gedehnterer  Verwachsungen  der  Eingeweide  mit  der  Bauch¬ 
wand,  d.  h.  des  Pfortader-  und  Cavagebietes  ist  und  daß  die 
Verwachsung  des  Omentum  nur  von  bedingter  Wichtigkeit 
ist,  findet  auch  hier  eine  Bestätigung. 

Zwei  Wochen  vor  dem  Tode  entstand  bei  der  Pat.  ein 
rapid  wachsender  Aszites,  mit  dem  gleichzeitig  Magen-  und 
Darmblutungen  auftraten.  Diese  Erscheinungen  suchten  wir 
mit  einer  Pyelothrombose  zu  erklären.  Bei  der  Sektion  fand 
man  zwar  den  Hauptstamm  der  Vena  portae  frei,  die  folgen¬ 
den  zwei  Hauptäste  waren  aber  thrombotisiert. 

Literatur: 

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kascheff.  Ebenda.  —  Sauerbeck,  Ebenda.  —  Haiäs  z,  Orvösi 
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Soc.  de  Biologie,  Bd.  61.  —  Minkowski,  Arch.  f.  exp.  Path,  und 
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Le  Nobel,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Medizin,  Bd.  43,  S.  285.  —  Talma, 
Berl.  klin.  Wochenschr.  1898.  —  Ito  u.  Omi,  Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie,  Bd.  62,  Heft  1 — 2. 


Aus  dem  Moskauer  Marien-Krankenhaus. 

Ein  Fall  von  Leberzirrhose  mit  Keratin 

behandelt. 

Von  Dr.  S.  M.  Zypkiu,  Privatdozent  der  Universität  Moskau. 

-In  unseren  vorauagoihenden  Arbeiten,  die  der  Keratin¬ 
behandlung  der  interstitiellen  Erkrankungen  gewidmet  sind, 
beschränkten  wir  uns  ausschließilich  auf  die  entsprechenden 
Erkrankungen  des  Rückenmarks.  Seinerzeit  gaben  wir  die 
Erklärung  dafür  ab,  warum  wir  es  vorzogen,  die  Beobach- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHrIET.  190?. 


Nr.  24 


tiiiigcii  iil)(!r  (li(‘  tlirrapeulischc  Wirkung  des  Keralins  mil 
den  Kraiikbeiteii  des  Zenlraliierveiisystems  zu  Lcgiimeii. 
Als  Hauplgnuid  diente  di,e  Erwägung,  ,daß|  bei  den  inter- 
slilielbni  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  die  ge¬ 
ringsten  Scbwankungen  in  der  Intensität  der  patbologiscb- 
anatomiscben  Veränderungen  der  kbniscdien  ßeobacbiung 
weit  zugänglicber  sind  als  in  den  übrigen  parencbymatüsen 
Organen. 

Die  mit  der  Keratinbebandjung  bei  Tabes  dorsalis, 
chroniseber  Myelitis  und  disseminierter  Sklerose  erzielten 
Erfolge  fiibrten  wir  auf  die  Fälligkeit  des  Keratins  zurück. 
Olulin  zu  bipden,  diesen  cbemiscben  Hauptbestandteil  dos 
Bindegewebes.  Es  mußi  jedocb  bemerkt  werden,  -  daß  die 
günstige  tberapeutiscbe  Einwirkung  des  Keratins  bei  inter- 
slitiellen  Erkrankungen  des  Nerv^ensystems  aucb  eine  andere 
Erklärung  zuläßit.  Es  laucbt  nämlicb  die  Frage  auf,  ob 
nicbt  in  diesen  Fällen  das  Keratin  unmittelbar  auf  die 
parenchymatösen  Elemente  des  Nervensystems  einwirkt, 
indem  es  ihre  Ernäbrung  bessert.  Zugunsten  dieser  Annabme 
würde  ,  sogar  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Umstand 
sprechen,  daß  das  Neurokeratin,  ein  Stoff,  welcber  einen 
Bestandteil  der  Nervenzellen  und  Nervenfasern  ausmacbt, 
sieb  seiner  cbemiscben  Zusammensetzung  nacb  nur  sehr 
wenig  vom  gewöbnlichen  Keratin  untersebeidet.  Kübne 
uml  Cbittendeito)  fanden  im  Plexus  bracbialis  316°/oo, 
in  der  Klei.ubirnrinde  3-12'’/()ö,  in  der  weißen  Substanz  des 
(Iroßbirns  22-43‘’/()o,  in  der  weißen  Substanz  des  Corpus 
callosum  25-72  bis  29-ü2'Voo  und  in  der  grauen  Subslanz 
der  Großibirniinde  3-27Vüo  Neurokeratin. 

Wir  balten  die  erstere  Erklärung  für  wabrscbeinlicbor, 
sebon  deswegen  allein,  weil  wir  Gelegenbeit  batten,  das 
Keratin  bei  rein  i)arencbymatösen  Erkrankungen  desZentral- 
nervensysteins  zu  verordnen,  jedocb  obne  jeglicben  Erfolg. 
Um  jedocb  die  Frage,  welche  von  den  beiden  oben  an- 
gefübrteii  Deutungen  der  Wabrbeit  näber  kommt,  endgültig 
zu  entsebeiden,  sind  Beobacblungen  über  die  tberapeutiscbe 
Einwirkung  des  Keratins  bei  interstitiellen  Erkrankungen 
anderer  parouclbyinatöser  Organe,  wie  der  Leber,  der  Nieren, 
des  Herzens  u.  a.,  erforderlicb,  wO'  natürlicb  von  einem 
unmittelbaren  Einflußides  Keratins  auf  die  parencbymatösen 
Elemente  keine  Rede  sein  kann.  Von  diesem  letzteren  Ge- 
siebtspunkte  aus,  ist  ein  Fäll  von  Leberzirrbose  besonders 
iuteressaid,  in  welcbem  wir  zu  Bebandlungszwecken  Keratin 
anwandten.  Wir  geben  zur  Besebreibung  dieses  Falles  über. 

tkit.  E.  A.,  Küstersfrau,  aufgenomnaen  in  das  Moskniior 
.Marien- Krankenhaus  am  2.  Februar  1905.  Pat.  .wohnt  beständig 
•auf  dem  l.ande,  wo  sie  sich  mit  Hauswirtschaft,  zeitweise  auch 
mit  Feldarlx'it  heschäfligl..  Iln-  Vater  litt  an  hochgradiger  Trunk- 
siudit  und  slaih  in'  <‘inem  Alter  von  58  .fahren  an  Schwind- 
siudit.  ihre  .MutUu-  slai’h  ü5  .fahre  alt  an  irgendeiner  Magenkrank- 
lu'it.  (ics(diwist('r  sind  am  Leheii  uiid  gesund.  Pat.  hat  zehnmal 
geboren  und  außerdem  vor  zehn  .lahren  einen  Ahoi't  durcbgemachl. 
Die  letzte  Gehurt  war  Anfang  .funi  1904.  Einige  Zeit  nach  der 
h'tzteii  G(4)urt  begann  Pat.  zu  bemerken,  daß  sich  ihr  Leih 
vergrößerte.  Bald  tlarauf  traten  Uedeme  des  Gesichtes,  der  Ex¬ 
tremitäten,  sowde  des  Rumpfes  auf.  Diese  Schwelluiigen  ver- 
schwamh'u  zeitweilig  und  stellten  sich  sodann  von  neuem  ein. 
Di('  l'ergiaößierung  des  Leihesmnfanges  nahm  jedoch  stetig  und 
allmählich  zu.  Bis  zur  gegenwärtigen  Erkrankung  war  Patiimtin 
stets  gesund,  ohne  an  irgendwelchen  nennenswerten  Kraukludteu 
zu  leiden. 

Status  praesens:  Pat.  sieht  sehr  al)gem.agert  aus.  Haut 
und  sieht har(‘  Schleimhäute  l)laßi.  Gesichtslärhe  grüidichgraii.  Eis 
zu  den  Knien  leicheiule.s  Oedem  der  Beine. 

ä' e  r  d  a  u  un  gs  o  r  ga  ne  ;  Zunge  idcht  belegt.  Schluckakt  un- 
heldmhul.  Apijetit  ladib'digend.  Gefühl  von  Schwere  und 
Schmerzen  in  d<‘r  Magimgruhe  nach  dem  Essen.  Weder  Aufstoßen, 
uech  Sodhremnen,  no(di  ladielkeit,  mxdi  Erhrechen.  Stuhlgang 
i-‘g(>ijii;iiii;i',  'Uiglieh.  Ahdomen  erlu'hlich  vergrößert..  Umfang  des 
L-eÜM-s  in  Xahelhöhe  in  stehender  Stellung  =  110  cm.  Perkussion 
dos  ,\hd->iuens  im  Slelum  ('rgiht  Dä.mi)fung.  Die  olrere  Grenze 
der  Dänrj'fujig  veifäuft  vier  Queifinger  breit  olMuhalh  des  Nabels. 
Di-uMi(h(‘  Fluktuation. 

b  Zit.  nach  Hammarslen,  Tjehibucli  der  physiolog.  Chemie. 


Leber  Ijedeutend  vergrößeil,  auf  Druck  nicht,  schmerz¬ 
haft.  Der  Rand  ist  stumpf,  die  Oberfläche  leicht  höckerig.  Der 
Leherrarul  ragt  unter  dem  Rippenbogen  hervor,  an  der  Linea 
mannllaris  dextra  um  sechs  Finger  breit,  an  der  Linea  para- 
sternalis  dextra  um  sechs  Finger,  am  Schwertfortsatze  um  sechs 
Finger,  an  der  Linea  parasternalis  sinistra  um  fünf  Finger,  an 
der  Linea  mamillaris  sinistra  um  drei  Finger  breit. 

Milz  nicht  palpahel. 

Urogenita  lap  parat:  Harnlassen  normal.  Letzte  Men¬ 
struation  im  Juli  1904.  Uterus  verkleinert,  derb,  bart.  Portio 
vaginalis  verstrichen.  Uteruskörper  ein  wenig  retroflektiert. 
Ovarien  nicht  palpahel.^)  Tägliche  Urinmenge  700  cm^.  Spezi¬ 
fisches  Gewacht  1018.  Farbe  gelb.  Reaktion  sauer.  Weder  Eiweiß 
noch  Zucker.  Im  zentrifugierten  Bodensätze  nichts  Abnormes. 

Respirationsorgane:  Unbedeutender  Husten  mit 

schleimigem  Auswurfe.  Perkussion  und  Auskultation  der  Lungen 
ergibt  nichts  Abnormes. 

Zirkulations Organe:  Dyspnoe.  Herzstoßi  im  sechsten 
Zwischeni‘ii)penraume  in  der  Linea  axillaris  anterior.  Obere  Herz¬ 
grenze  an  der  vierten  Rippe,  rechte  an  der  Linea  sternalis  dextra, 
linke  an  der  Linea  axillaris  anterior.  Bei  der  Auskultation  des 
Herzeus  systolisches  Geräusch  an  der  Herzspitze.  Arterien  skle- 
rosierl.  Puls  90,  Arterie  von  schwacher  Füllung. 

Nervensystem  bietet  keine  Abweichungen  von  der 
Norm  dar. 

L  y  m  p  h  d  r  ü  s  e  n  ni  rgejids  vergrößiert,. 

Krank  he  its  verlauf:  Einige  Tage  nach  ihrer  Aufnahme 
ins  Krankenhaus  wurde  der  Patientin  Coffeinum  natrosalicylicum 
0-2  +  Calomel.  01,  dreimal  täglich  eine  Oblate  verordnet.  Die 
llrinsekreiion  begann  zuzunehmen  und  erreichte  2000  cm^  in 
24  Stunden.  Nichtsdestoweniger  verringerte  sich  der  Aszites  nicht 
im  mindesten,  sondeiai  nahm  im  Gegenteile  sogar  noch  etwas 
zu.  So  betrag  am  11.  Februar  1905  der  ßauchumfang  in  der 
Höhe  des  Nabels  111  cm,  hatte  sich  also  um  einen  Zentimeter 
vergi'ößert.  Angesiclits  dessen,  sowie  infolge  der  zunehmenden 
Dyspnoe  wurde  am  16.  Februar  die  Punktion  des  Abdomens  vor¬ 
genommen  und  aus  der  Bauchhöhle  zwölf  Liter  einer  grünlichen 
seröseji  Flüssigkeit  entleert.  Der  Bauchumfang  betrug  nacli  der 
Punktion  92  cm.  Das  Oedem  der  Beine  verschwand  nach  einigen 
Tagen  vollständig  und  trat,  solange  die  Patientin  im  Kranken¬ 
hause  verweilte,  nicht  mehr  wieder  auf.  Der  Leibesumfang  hin¬ 
gegen  began Ji  nach  kurzer  Zeit  von  neuem  anziwacbsen.  Am 
24.  Februar  betrag  er  95  cm,  am  3.  März  erreichte  er  bereits 
101  cm.  Die  täglich  ausgesebiedene  Harnmenge  schwankte  ,  in 
dieser  Zeit  zwischen  800  und  1500  cm®.  Sogleich  nach  ihrer 
Aufnahme  ins  Krankenhaus  stellte  sich  bei  der  Palientin  Neigung 
zur  Verstopfung  ein,  welche  die  ganze  Zeit  über  hartnäckig  an- 
bielt.  Da  Stomatitis  auftrat,  wurde  das  Kalomel  ausgesetzt  und 
der  Kranken  Koffein  allein  verordnet,  das'  sie  bis  zum  3.  März 
1905  gebrauchte. 

Am  2.  März  wurde  an  die  K  e  r  a  t  i  n  b  e  h  a  n  d  1  u  n  g  ge- 
schritten.  Angesichts  der  Stauung  im  Pfortaderkreislaufe  konuten 
wir  nicht  auf  eine  ausreichende  Verdauung  und  Resorption  des 
Keratins  rechnen.  Deshalb  zogen  wir  es  vor,  das  Keratin  sub¬ 
kutan  zu  applizieren:  Keratini  2-0  +  Solutio  natrii  bicarbonici 
IG'  10  0,  eine  Spritze  täglich. 

Im  Laufe  der  ersten  beiden  Vlonate  nach  Einleitung  der 
Keratinbehandlung  nahm  der  Aszites  fortdauernd  zu  ^und  der 
Bauchumläng  erreiclde  am  28.  April  1905  109  cm.  Die  tägliche 
Urinmenge  schwankte  vom  3.  März  bis  zum  28.  April  zwischen 
1000  und  1600  cm®.  Seit  den  ersten  Tagen  des  Mai  begann  jedoch 
der  Aszites  abzunchmen.  So  betrag  der  Bauchumfang  am  3.  Mai 
108  cm,  am  5.  Mai  107  cm,  am  7.  Mai  105  cm,  am  9.  Mai  102  cm, 
am  21.  Mai  100  cm,  am  23.  Mai  99  cm. 

Am  24.  Mai  wurde  die  rechte  Herzgrenze  an  der  Linea 
mediana  hestimmt.  Die  Dyspnoe  ver.schwand  zu  dieser  Zeit  voll¬ 
ständig.  Das  Befinden  der  Kranken  erfuhr  eine  erhebliche  Besse¬ 
rung.  Der  Kräfteverläll  nahm  ab.  Die  täglich  ausgeschiedene 
Harnmenge  schwankte  vom  28.  April  bis  znrn  26.  Mai  zwischen 
1200  uud  2000  cm®.  Am  26.  Mai  erreiclde  der  Baucluimfang 
95  cm.  Dia  Leber  ragte  unter  dem  Rippenbogen  hervor  an  der 
Linea  mamillaris  dextra  um  fünf  Finger,  an  der  fänea  i)ara- 
sternalis  dextra  um  fünf  Finger,  am  Processus  xipboideus  um 
fünf  Finger,  an  der  Linea  parasternalis  sinistra  um  vier  Finger 
l)i-eit  und  an  der  Line-a  mamillaris  sinistra  konnte  sie  bereits 
gar  nicht  mehr  palpiert  werden. 

Angesichts  der  erheblichen  Besserung  in  den  Verhältnissen 
der  nonualen  Blutzirkulation  wurde  d<“r  Kranken  am  27.  Mai 
das  Keiatiii  innerlich  verordnet:  10  Tabletten  täglich  ä  0-5. 

Der  Genitalbefund  wurde  von  Herrn  Dr.  N.  Smirnow  am 
2.  Dezember  1905  erhoben. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


729 


Dio  vsuhkii lauen  Koraliniiijeklionc'ii  wurden  a,iu  12.  Juni  ausgeselzt. 
Von  diosom  Tage  au  ualuu  Dal.  das  Iveraliii  ausscldießlicli  inner¬ 
lich.  Am  24.  Juni  helrug  der  Umfang  des  Abdomens  94  cm.  Am 
28.  Juni  ragle  der  Leberrand  unter  dem  Rippenbogen  Iiervor  an 
der  Linea  niamillaiis  dextra  um  zwei  Finger,  an  der  Linea  para- 
slernalis  dextra  um  drei  Finger,  am  Processus  xiphoideus  um 
fünf  Finger,  an  der  Linea  paraslernalis  sinistra  um  zwei  Finger 
breit,  an  der  Linea  inamillaris  sinistra  wird  er  gar  niclit  palpiert. 

30.  Juni.  Recbte  Herzgrenze  in  der  Linea  mediana,  linke 
einen  Finger  breit  nach  außen  von  der  Linea  inamillaris  sinistra. 
Haiudmmfang  94  cm.  Puls  84,  von  guter  Füllung. 

21.  Juli.  Baucbumfang  93  cm. 

27.  Juli.  Baucbumfang  92  cm. 

8.  xUigtist.  Leber  ragt  hervor  an  der  Linea  maxillaris  dextra 
um  zwei  Finger,  an  der  Linea  parasternalis  dextra  um  drei 
Finger,  am  Processus  xiphoideus  um  fünf  Fingei',  an  der  Linea 
])arasternalis  sinistra,  um  zwei  Finger  breit,  an  dei-  Linea  ma- 
niillaris  sinistra  nicht  palpabel.  Bauchumfang  91  cm. 

11.  August.  Bauchumfang  89  cm. 

15.  August.  Bauchumfang  87  cm. 

27.  August.  Bauchumfang  87  cm.  Bei  Perkussion  des  Ab¬ 
domens  in  aufrechter  Stellung  Dämpfung,  die  fünf  Finger  breit 
unferbalb  des  Nabels  beginnt. 

24.  September.  Leber  ragt  unter  dem  Rippenbogen  hervor 
an  der  Linea  mamillaris  dextra  um  zwei  Finger,  an  der  Linea 
parasternalis  dextra  um  zwei  Finger,  am  Processus  xiphoideus 
um  fünf  Finger,  an  der  Linea  parasternaJis  sinistra  um  zwei 
Finger  breit.  Bauchumfang  87  cm. 

25.  September.  Zum  ersten  Male  nach  einer  Pause  von 
14  Monaten  stellte  sich  die  Menstruation  ein. 

2().  September.  Bei  Perkussion  des  xVbd omens  durchwegs 
tympanifischer  Schall. 

30.  September.  Menstruation  beendet. 

9.  Oktober.  Bauchumfang  87  cm. 

15.  Oktober.  Bauchumfang  89  cm. 

Was  die  täglich  ausgescbiedeno  Harnmenge  betrifft,  so 
schwankte  sie  vom  27.  Mai  bis  zum  12.  August  zwischen  1200 
und  1800  cm*.  Nur  dreimal  erreichte  sie  2000  cm*.  Vom  12.  August 
bis  zum  1.  Februar  1906  schwankte  sie  zwischen  2000  und 
2600  cm*.  Mehrere  Male  erreichte  die  tägliche  LI rinmenge  an 
die  3000  cm*.  Unter  2000  cm*  sank  sie  bloßi  zwölfmal. 


Vom  15.  Oktober  an  wurde  eine  allmähliche  Ansammlung 
von  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle,  hei  gleichbleihender  täglicher 
H  a  r m  n  en  g  e  beobachtet. 

19.  Oktober.  Bauchumfang  91  cm. 


2400  cm*. 
25 

2400  cm*. 

1. 

2000  cm*. 

6. 

2200  cm*. 
17. 

2400  cm*. 
24. 

2400  cm*. 
27. 


Tägliche 

Oktober.  Bauchumfang  93  cm.  Tägliche 
November.  Bauchumfang  91  cm. 


Harnmenge 

Harnmenge 

Harnmenge 


Tägliche 

Noveinber.  Bauchumfang  91  cm.  Tägliche  Harnmenge 
November.  Bauchumfang  90  cm.  Tägliche  Harnmenge 
November.  Bauchumfang  89  cm.  Tägliche  Harnmengc 


November.  Beginn  einer  heftigen  menstruellen  Blutung, 
die  bis  zum  2.  Dezember  anhält. 

T9.  Dezember.  Bauchumfang  91  cm.  Harnmenge  2400  cm'. 
24.  Dezember.  Menstruation,  die  bis  zum  31.  Dezember 

anhält.  .  .  . 

2.  Januar  1906.  Untere  Lebergrenze :  an  der  Linea  manullans 
und  parasternalis  dextra  zwei  Finger  breit,  am  Processus  xyphoi- 
deus  vier  Querfinger  breit  unterhalh  des  Rippenbogens,  an  uei 
Linea  parasternalis  und  mamillaris  sinistra  nicht  jyalpabel. 

14.  Januar.  Bauchumfang  96 


17.  Januar.  Bauchumfang  94 

18.  Januar.  Bauchumfang  93 
20.  Januar  Bauchumfang  95 
23.  Januar.  Menstruation,  die 


cm. 

cm. 

cm. 

cm, 


Harnmengc  2000  cm*. 


Hammenge  2500  cm*, 
bis  zum  30.  Januar  anhilt. 


Seit  dem  1.  Februar  wurde  eine  Abnahme  tier  täglich  aus- 
geschiedenen  Urinmenge  beobachtet.  Meist  betrii^g  sie  weniger 
als  2000  cm*.  Bloß  zweimal  erreichte  sie  diese  Ziffer,  iiämlich 
12.  und  am  29.  März. 


am 


5. 


Februar. 

Februar. 

Februar. 

Februar. 

Februar. 

IMenstiuat  ionsbeginn. 

Februar.  Menstruation 


10. 

12. 

17. 

18. 


Harnmengc 

Harnmenge 

Harnmenge 

Harnmenge 

Harnmenge 


Bauchumfang 


1600  cm* 

1500  cm*.  Bauchurnl 
1800  cm* 

1300  cm* 

1200  cm* 


Bauchumfang 

Bauchumfang 

Bauchumfang 


96 

95 
99 

96 
95 


cm. 

cm. 

cm. 

cm. 

cm. 


25. 


beendet.  Bauchumfang  93  cm. 


9.  JMärz.  llainmengt;  1800  cm*.  Bauclmnifang  94  cm. 

11.  März.  Ihirnmenge  1800  cm*.  Rechte  llerzgrenzc  an 
der  Linea  sternalis  sinistra,  linke  an  rler  Linea  mamillaris  sinistra. 
Iferzsloß  im  sechsten  Zwischenrippenraume,  an  der  Linea  ma¬ 
millaris  sinistra.  Herztöne  rein. 

16.  März.  Harnmenge  1600  cm*.  Bauchumfang  96  cm. 

21.  März.  Harnmenge  1500  cm*.  Bauchumfang  98  cm. 

1.  April.  Harnmenge  1900  cm*.  Bauchumfang  97  c.m. 

5.  April.  Harnmenge  1800  cm*.  Bauchumfang  98  cm. 

10.  April.  Harnmenge  1500  cm*.  Bauclmmfang  100  cm. 

An  diesem  Tage  verließ  die  Patientin  Familienverhältnisse 
halber  das  Krankenbaus. 

Die  Temperatur  war  die  gesamte  Zeit  über,  welche  die 
Patientin  im  Krankenhause  verbrachte,  fast  stets  normal.  Nur 
selten  traten  geringfügige  Temi)eratursteigerungen  auf,  welche 
gewöhnlich  nicht  länger  als  zwei  bis  drei  Tage  andauerten. 

Die  Patientin  nalmi  10  bis  30  Keratintabletten  täglich  zu 
sich.  Im  ganzen  hatte  sie  vom  27.  Mai  1905  bis  zum  10.  April 
1906  4800  Tabletten  verzehrt.*) 

Resümieren  wir  in  Kürze  die  durch,  die  Keratinbeliand- 
lung  erzielten  Ergebniisse,  so  ist  zu  bemerken,  daßi  die 
Patientin  14  Monate  im  Krankenhause  verweilte,  daßi  sie 
aufgenommen  wurde  mit  Oedem  der  Beine  und  mit  einem 
derart  hoebgradigen  Aszites,  daß,  eine  vitale  Indikation  zur 
Punktion  vorlag.  Die  Kranke  litt  an  Dyspnoe  und  hatte  ein 
fast  kachektisches  Aussehen.  Nach  14  Monaten  verließ'  sie 
das  Krankenhaus,  ohne  daß  zum.  zweitenmal  eine  Para¬ 
zentese  vorgenommen  wurde  und  ohne  jegliche  Indi¬ 
kationen  zu  diesem  Eingriff.  Die  Patientin  war  imstande 
schnell  zu  gehen,  ohne  daß  dabei  Dyspnoe  auftrat.  Aus¬ 
sehen  und  .Gesichtsfarbe  waren  völlig  gesund,  wenn  nicht 
gar  blühend.  Die  kolossal  vergrößertie  Leber  hatte  sich  er- 
hehlich  verkleinert.  Der  Aszites,  mit  welchem  sie  die  An¬ 
stalt  verließ,  störte  ihr  Wohlbefinden  nur  sehr  wenig.  Der 
liauchumfang  war  um  10  cm  geringer  als  bei  ilirer  Auf¬ 
nahme  ins  Krankenhaus.  Außerdem  kann  als  Beweis  für 
die  beträchtliche  Besserung  der  Blutzirkuiation  in  der  Bauch¬ 
höhle  auf  das  Wiederauftreten  der  Menstruation  hin¬ 
gewiesen  werden,  die  bis  dahin  14  Monate  lang  aus- 
gesetzt  hatte. 

Was  die  Diagnose  des  betreffenden  Falles  aniangt, 
so  lag  hier,  abgesehen  von  der  Leberzirrhose,  bei  der  Auf¬ 
nahme  der  Patientin  ins  Krankenhaus  noch  eine  Herz¬ 
dilatation  vor,  höchstwahrscheinlich  auf  dem,  Boden  einer 
chronischen  Myokarditis.  Durch  den  letzten  Umstand 
kann  bis  zu  einem  gewissen  Grade  das  in  den  ersten  Tagen 
ihres  Krankenha,usaufenthaltes  bei  der  Patientin  beobachtete 
Oedem  der  Beine  erklärt  werden.  Dieses  Oedem  verschwand 
einige  Tage  nach  der  Parazentese,  um  nicht  mehr  wiederzu¬ 
kehren.  Allem  Anscheine  nach  hat  das  Keratin  auch  auf 
die  Myokarditis  eine  günstige  M/irkung  ausgeübt,  da  die  Herz¬ 
durchmesser,  die  bei  der  Aufnahme  in  das  Krankenhaus 
bedeutend  vergrößert  waren,  sich  allmählich  verringerten 
und  nach  einem  Jahre  (am  11.  März  1906)  fast  die  Norm 
erreichten. 

Nicht  leicht  ist  die  Frage  zu  entscheiden,  um  welche 
xkrt  von  Leberzirrhose  es  sich  in  dem  vorliegenden  Falle 
gehandelt  hat.  Möglich,  daß  hier  eine  portale  Zirrhose 
voiTag.  Das  Fehlen  einer  Milzvergrößierung  spricht  nicht 
im  mindesten  gegen  eine  derartige  Annahme,  da  l'rerichs 
bekanntlich  in  der  Hälfte  dcj'  Fälle  von  irortaler  Zirrhose 
keine  Milzvergrößerung  gefunden  hat. 

In  unserem .  Fälle  ist  übrigens  auch  die  Möglichkeit 
einer  durch  Herzinsuffizienz  hervorgerufenen  Leberzirrhose 
(Cirrhose  cardiaque)  nicht  ausgeschlossen.  Bis  zu  ihrer 
Aufnahme  in  das  Krankenhaus  litt  die  Patientin  außer  an 
Vergrößerung  des  Leibes  noch  an  häufigen  Oedemen  des  Ge¬ 
sichtes,  des  Rumpfes  und  der  Exlremitäteri,  was  bei  dem 
Fehlen  irgendwelcher  x)athol'Ogischer  Lrischeinungen  von 
seilen  der  Nieren  zum:  Teil  mit  Störungen  der  Herztätigkeit 
in  Zusammenhang  gebracht  werden  kann. 

*)  In  diesem  Falle  wandten  wir  unter  anderen  die  von  Herrn 
E.  Merck,  Darmsladt,  horgestellten  Keratintablelten  an. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  24 


Um  welch  eine  Form  der  Leberzirrhose  es  sich  auch 
in  dem  vorliegenden  Falle  gehandelt  hat,  so  ist  der  Heil¬ 
effekt  der  Keratin  behänd  lung  jedenfalls  sehr  deutlich  zutage 
getreten.  Die  Leber  hat  sich  hochgradig  ver¬ 
kleinert.  Dieser  Umstand  kann  natürlich  keineswegs  durch 
die  j\Iöglichkeit  des  Uebergauges  der  Leberzirrhose  in  das 
atrophische  Stadium  erklärt  werden.  Eine  derartige  Mög¬ 
lichkeit  wird  durch  die  Tatsache  widerlegt,  dah  parallel  mit 
der  Verkleinerung  der  Leber  eine  Abnahme  des  Aszites 
einherging  und  daßi  die  Blntzirkulation  in  der  Bauchhöhle 
sich  derart  besserte,  dah  sogar  die  Menstruation  sich  von 
neuem  einstellte. 

Nicht  zu  umgehen  ist  dennoch  die  Frage,  warum  die 
Flüssigkeit,  die  Ende  September  aus  der  Bauchhöhle  völlig 
geschwunden  war,  seit  Mitte  Oktober  sich  wieder  anzu¬ 
sammeln  begonnen  halte.  Als  Antwort  darauf  können  wir  die 
Annahme  aussprechen,  daß  irgendeine  Komplikation  ein¬ 
getreten  ist,  die  wir  uns  nicht  anders  vorstellen  können,  als 
in  Form  einer  Thrombose  eines  oder  mehrerer  mehr  weniger 
großer  Aeste  der  Pfortader. 


Zur  Farbensinnprüfung  im  Eisenbahn-  und 

Marinedienste. 

Von  Dr.  J.  Rosmaiiit. 

(Schluß. ' 

Nun  wollen  wir  der  Frage  nach  der  Leistungsfähigkeit 
der  amtlich  vorgeschriebenen  Methoden  (Stilling  und 
Holmgren)  etwas  näher  zu  treten  versuchen.  Auch  darüber 
liegen  äußerst  wertvolle  und  wohlbegründete  Untersuchun¬ 
gen  Nagels  vor,  wie  sie  Pisher  kaum  zur  Verfügung 
standen.  Er  ging  bei  all  seinen  Kontrollprüfungen  von  dem 
gewiß  einzig  richtigen  Grundsätze  aus,  daß  es  keinen  anderen 
Weg  gebe,  die  Zuverlässigkeit  einer  für  die  Praxis 
bestimmten  Alethode  nachzuweisen,  als  daß  man  eine  große 
Anzahl  von  Personen  nach  dieser  Methode  untersucht  und 
nachher  dieselben  Personen  am  Spektralapparate,  als  dem 
unbedingt  zuverlässigsten  Verfahren  nachprüft.  Nur  so  kann 
man  zu  objektiven  und  einwandfreien  Ergebnissen  gelangen 
und  ein  wirklich  verläßliches  Urteil  über  den  Wert  eines 
bestimmten  Prüfungsverfahrens  gewinnen. 

Bezüglich  der  Stilling  sehen  Tafeln  wurde  in  der 
Hauptsache  folgendes  erhoben : 

Nicht  lesen  können  die  Tafeln  2  bis  9  (1  und  10  liest 
jeder,  der  auch  nur  gaiiz  mäßige  Sehschärfe  hat)  die  wirk¬ 
lichen  Dichromaten  (Protanopen  und  Deuteranopen)  und  die 
in  etwa  gleicher  (eher  etwas  größerer)  Zahl  vorkommenden 
anomalen  Trichromaten.  Die  Mehrzahl  der  letzteren  besteht 
die  Holmgrensche  Probe  ohne  wesentliche  Fehler,  wenn 
auch  meist  mit  Zögern;  ein  kleinerer  Teil  macht  rramentlich 
bei  der  Grünprobe  bedenkliche  Fehler,  einige  verhalten  sich 
sogar  typisch  wie  Dichromaten.  Am  Spektralfarbenmisch¬ 
apparate,  mittels  der  Rayleighschen  Gleichung  untersucht, 
ergeben  sich  allesamt  als  anomale  Triebromaten.  Doch  gibt 
es  nachweislich  eine  nicht  ganz  kleine  Zahl  von  Personen  mit 
dicbromatisctiem  und  anomal-trichromatischem  Farbensinn, 
welche  die  Probe  nacb  Stilling  bestehen. 

Endlich  findet  man  noch  eine  Grupi)e  von  Personen, 
die  wenigstens  einen  Teil  der  Tafeln  nur  mit  Mühe,  einzelne 
gar  nicht  lesen  können  und  sich  bei  genauerer  Prüfung  als 
normale  Triclmomaten  herauss  teilen. 

Nagel  faßt  daher  seijie  Anschauung  über  den  dia¬ 
gnostischen  Wert  des  Stillingschen  Verfahrens  daliin  zu¬ 
sammen,  daß  es  als  einziges,  ausschlaggebendes  entschieden 
unzulässig  sei  und  ohne  Kontrolle  durch  andere  Methoden 
zu  bedenklich  falschen  Ergebnissen  führen  würde,  daß  es 
aber  als  einleitendes  Unlersuchungsverfahren  immerhin  nütz- 
licii  sein  kann,  indem  es  relativ  leicht  und  annähernd  sicher 
die  Eruierung  der  weitaus  größten  Mehrzahl  aller  Farben- 
untüehligen  gestattet.  Eine  Unterscheidung  der  einzelnen 
Systenie  und  Typen  ist  mit  den  Tafeln  ausgeschlossen;  eben¬ 
sowenig  gibt  es  eine  Kombination  mit  einer  bisher  üblichen 


älteren  Alethode,  welche  sowohl  die  Farbenblinden  als  die 
anomalen  Trichromaten  exakt  ermitteln  ließe. 

Dem  H o  1  ni gre n sehen  Verfahren  haften  zwei  Mängel 
an.  1.  Die  Notwendigkeit  für  den  Untersuchten,  selbst  mit 
Haud  anlegen  und  eine  Auswahl  treffen  zu  müssen.  Dadurch 
sind  wir  Zufälligkeiten  aller  Art  preisgegeben ;  Befangenheit, 
geringe  Intelligenz,  Mangel  an  Findigkeit,  Farbendummheit 
spielen  mit  herein  und  können  das  Verfahren  wesentlich 
erschweren,  wie  seine  Ergebnisse  beeinträchtigen.  2.  Der 
zu  große  Gesichtswinkel  der  farbigen  Objekte.  An  einiger¬ 
maßen  größeren  Objekten,  wie  es  die  Ho  Im  gre  n sehen 
Bündel,  aus  V2  m  Abstand  betrachtet,  sind,  wählen  die  Ano¬ 
malen  oft  fehlerlos ;  unter  einem  vier-  bis  fünfmal  kleineren 
Gesichtswinkel  betrachtet,  nimmt  ihr  Unterscheidungsver¬ 
mögen  aber  ganz  bedeutend  ab.  Es  wird  dadurch  erklär¬ 
lich,  daß  die  Mehrzahl  der  anomalen  Trichomaten  die  Probe 
ohne  wesentliche  Fehler  wenn  auch  meist  mit  Zögern, 
besteht. 

Aber  auch  viele  Deuteranopen  bestehen  die  WWllprobe 
(nanientlich  die  Purpurprobe)  glatt,  weil  sie,  wie  oben  aus¬ 
geführt,  auf  großem  Felde  (mit  den  peripheren  Teilen  der 
Netzhaut)  nicht  mehr  dichromatisch,  sondern  tri  chroma  tisch 
sehen  und  so  eine  spezifische  Rotempfindung  haben.  Der 
Gesichtswinkel,  unter  dem  sich  die  Wollbündel  präsentieren, 
ist  groß  genug,  um  die  periphere  Rotempfindung  entstehen 
zu  lassen ;  die  Langsamkeit,  mit  der  sich  diese  entwickelt, 
erklärt  die  Langsamkeit  der  Wahl.  So  kommt  es,  daß  sich 
die  Deuteranopen  in  der  Unterscheidung  des  Purpurs  von 
Grau,  Blaugrün,  Rot  und  Violett  ganz  sicher  zeigen  können 
und  erst  bei  der  Orünprobe  ihre  Färbenuntüchtigkeit  ver¬ 
raten.  Daraus  ergibt  sich  die  praktische  Regel,  immer  mit 
der  Grünprobe  zu  beginnen  und  diese  für  die  Diagnose  als 
entscheidend  zu  betrachten.  Berücksichtigt  man,  daß  im 
Eisenbahndienste  das  Erkennen  kleiner  farbiger  Objekte 
(weit  unter  der  Föveagröße)  in  kurzer  Zeit  notwendig  ist, 
so  muß  man  zugeben,  daß  die  erwähnten  neuen  Beobach¬ 
tungen  (dichromatische  Fovea,  tricliromatische  Peripherie) 
noch  mehr  gegen  eine  Viethode  der  Färbensinnprüfung 
sprechen,  bei  der  relativ  große  farbige  f  lächen  dem  Auge 
lange  dargeboten  werden,  wie  es  bei  der  Wollprobe  unver¬ 
meidlich  ist.  Prüfung  des  fovealen  Sehens  muß  ma߬ 
gebend  sein. 

Es  wird  also  nur  ein  auf  dem  Gebiete  der  Färbensinn¬ 
störungen  sehr  erfahrener  Untersucher  imstande  sein,  mittels 
eines  guten  Wollsortimentes  (als  solche  läßt  Nagel  nur 
die  schwedischen  gelten  *)  alle  Farbenuntüchtigen,  das  heißt 
sowobl  Dichromaten  wie  anomale  Trichromaten  hinreichend 
sicher  von  den  Normalen  zu  sondern.  Aber  es  gehört  dazu 
viel  Zeit  und  ein  reiches  Maß  von  Erfahrung.  Nagel  meint, 
er  würde  sich  nicht  getrauen,  auf  diese  Weise  zu  unter¬ 
suchen.  Wenngleich  die  meisten  Farbenblinden  und  viele 
Anomale  so  charakteristische  Fehler  machen,  daß  kein 
Zweifel  über  ihre  Farbenuntüchtigkeit  bestehen  kann,  so  ist 
doch  die  Entscheidung  darüber,  ob  man  Dichromaten  oder 
anomale  Trichromaten  vor  sich  hat,  häufig  sehr  schwer,  nicht 
selten  unmöglich.  Auch  die  Fälle  können  Schwierigkeiten 
bereiten,  in  denen  nur  geringe  Fehler  gemacht  werden, 
z.  B.  ungesättigt  grüne  oder  ungesättigt  rote  Färben  nicht 
sicher  von  grau,  bzw.  braun  unterscheiden  werden;  man 
kann  es  hier  nicht  nur  mit  anomalen  Trichroanaten,  sondern 
sogar  mit  Deideranopen  zu  tun  haben;  mehrfach  wieder¬ 
holte  gründliche  Untersuchung  wird  auch  in  solchen  Fällen 
schließlich  ergeben,  ob  eine  wirkliche  Anomalie  des  Farben¬ 
systems  vorliegt.  Doch  ist  mit  der  Anerkennung  dieser  Sach¬ 
lage  das  Urteil  über  die  Wollprobe  als  allgemeines  amtliches 
Untersuchungsmittel  gesprochen.  Mehrfache,  im  ganzen 
stundenlang  dauernde  Untersuchungen  dürfen  ebensowenig 
wie  gründliche  Erfalrrung  in  der  Untersuchung  nötig  sein,, 
um  festzustellen,  ob  eine  Person  farbentüchtig  oder  farben¬ 
untüchtig  ist.  Die  MehrzaJil  der  Bahn-  und  Vlarineärzte  ward 
also  wohl  darauf  verzichten  müssen,  mit  der  Wollprobe 

*)  Ein  b.;sondcrs' reicliliailiges  Sorlinirnt  vüiseinlnl  A.  Lindberg, 
Torsaker  in  Scliwedon. 


Nr.  24- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


alle  Farbentüclit.igGii  lierauszufiuden,  da  wohl  bei  keinem 
von  lins  die  Voraiissetznngen  zutreffen,  um  so  viel  aus  der 
Probe  heiauszubolen,  als  zu  diesem  Zwecke  erforder¬ 
lich  wäre. 

Wenn  wir  nun  versuchen,  uns  auf  Grund  der  vor¬ 
stehenden  Ausführungen  Rechenschaft  über  den  prakhschen 
Wert  dei  bisher  amllich  vorgeschriebenen  Prüfungsverfahren 
zu  geben,  so  kommen  wir  etwa  zu  folgenden  Ergebnissen : 

Sowohl  Stilling  als  Holmgren  für  sich,  als  beide 
zusammen,  sind  nicht  geeignet,  die  Farben  tüchtigen  in  ver¬ 
läßlicher  Weise  von  den  Farbenuntüchtigen  zu  scheiden 
und  wir  sind  bei  bestem  Willen  und  größter  Vorsicht  immer 
der  Gefahr  von  Fehlschlüssen  ausgesetzt.  Die  Durchführung 
beider  Methoden  ist  umständlich,  häufig  mühsam  und  zeit¬ 
raubend  (was  namentlich  für  die  Wollprobe  gilt)  und  oft 
sind  wir  nach  langem  Bemühen  und  erschöpfter  Geduld 
gerade  so  klug  wie  vorher  und  gezwungen,  ergebnislos  ab¬ 
zubrechen.  Die  Mehrzahl  der  Prüfer  wird  auf  ihre  schema¬ 
tische  Durchführung  beschränkt  bleiben,  weil  eine  fort¬ 
laufende,  die  einzelnen  Phasen  der  Untersuchung  beglei¬ 
tende,  zu  einem  bestimmten  2aele  führende  geistige  Mit¬ 
arbeit  bei  Stilling  ausgeschlossen,  bei  Holmgren  nur 
wenigen  erreichbar  ist.  Keine  der  Methoden  gewährt  die 
Befriedigung  voll  und  ganz  getaner  Arbeit,  weil  sie  gleichsam 
blind  enden.  Im  Falle  des  Gelingens  bleibt  es  ungewißi, 
ob  man  nicht  in  eine  Falle  geraten;  beim  Versagen  weiß 
man  erst  recht  nicht,  was  man  vor  sich  hat,  weil  eine  Diffe¬ 
renzierung  der  einzelnen  Systeme  und  Typen  auf  diesem 
Wege  kaum  möglich  ist  und  uns  so  jeder  genauere  Einblick 
in  die  Beschaffenheit  des  geprüften  Sehorganes  versagt 
bleibt.  Im  günstigsten  Falle  kann  man  unter  den  Verhält¬ 
nissen  der  täglichen  Praxis  zu  einer  beiläufigen  Sonderung 
der  vermutlich  Farbentüchtigen  von  den  venneintlichen 
Farbenuntüchtigen  gelangen,  muß  aber  mindestens  alle  letz¬ 
teren  zur  Ueherprüfung  und  Klarstellung  weitergeben,  ohne 
für  die  ersteren  irgendeine  Sicherheit  zu  haben.  Bei  der 
großen  Wichtigkeit  des  Prüfungsergebnisses  für  die  Existenz 
des  einzelnen  müssen  wir  (u.  zw.  nach  den  bereits  vor¬ 
liegenden  Erfahrungen  mit  Recht)  darauf  gefaßt  sein,  daß 
versucht  wird,  durch  fleißiges  Einüben  die  Resultate  zu  ver¬ 
bessern,  wodurch  die  Situation  des  gewissenhaften  Prüfers 
noch  schwieriger  wird.  Endlich  sei  noch  —  allerdings  als 
ganz  nebensächliches  äußeres  Moment  —  die  Kostenfrage 
berührt  und  bemerkt,  daß  Stillings  Täfeln  auf  K  12, 
Original-Wollproben  auf  ca.  K  10  (die  in  hiesigen  Wollhand- 
lungen  zusammengestellten  minderwertigen  Sortimente  aller¬ 
dings  nur  auf  etwa  K  2-50)  zu  stehen  kommen,  während 
Nagels  Täfeln  Mk.  1-20  kosten.  Demnach  kann  man  sich 
wohl  kaum  der  Ueberzeugung  verschließen,  daß  wir  mit 
minderwertigen,  wegen  der  ihnen  anhaftenden  bedenklichen 
Mängel  anderwärts  mit  Recht  bereits  verlassenen  Methoden 
arbeiten,  und  uns  unter  persönlicher  Verantwortung  sobald 
als  möglich  exakteren  Prüfungsverfahren  zuwenden  müssen. 

Ein  besseres  Instrument  konnte  naturgemäß  nur  der¬ 
jenige  schaffen,  der  es  vermochte,  die  iVlängel  der  alten 
Methoden  in  vollem  Umfange  klar  zu  erfassen,  ihre  Ursachen 
und  Konnexe  in  allen  Verzweigungen  bloßizuiegen  und  damit 
gleichzeitig  Mittel  und  Wege  zu  ihrer  allmählichen  Aus¬ 
schaltung  zu  gewinnen  und  der  zugleich  das  technische  Ge¬ 
schick  besaß,  die  neu  gewonnenen  theoretischen  Erkennt¬ 
nisse  zur  Herstellung  eines  praktisch  brauchbaren  Prüfungs¬ 
behelfes  zu  verwerten.  Das  ist  Nagel  mit  seinen  Tafeln 
in  so  üherraschender  Weise  gelungen,  daß  sie  heim  ersten 
Anblicke  durch  ihre  Einfachheit  förmlich  verblüffen  und 
gerade  diese  ihre  hervorragende  Eigenschaft  mag  auch  öfter 
die  Ursache  ihrer  vorschnellen  Unterschätzuiig  gewesen 
sein.  Erst  wenn  man  alle  Komponenten  des  durch  ihn 
so  wesentlich  erweiterten  Wissens  in  sich,  auf  genommen 
hat  und  dann  daran  geht,  zwischen  diesem  und  den  Täfeln 
eine  Gleichung  herzustellen,  wird  das  durchschnittlich  ziem¬ 
lich  achromatische  Farbenspektrum  unserer  Hirnhauptsrinde 
allmählich  trichromatisch  und  man  lernt  das  Instrument 
verstehen,  schätzen  und  lieben.  Dann  erst  können  wir  ver- 


I  folgen,  mit  welch  ingeniöser  Sorgfalt  jede  Eigentümlich¬ 
keit  der  Dichromaten  und  Anoinalen  verwertet,  wie  wohl- 
bedacht  Tüpfel  an  Tüpfel  gereiht  und  scidießlich  zum  Ringe 
geschlossen  ist  und  wie  vollständig  die  bereicherte  theo¬ 
retische  Erkenntnis  zum  Zwecke  der  praktischen  Diagno¬ 
stik  ausgeschöpft  erscheint.  Wir  gewinnen  rasch  Interesse 
an  der  ganzen  F'rage;  die  Theorie,  das  Studium  der  Tafeln 
und  die  zunehmende  Erfalirung  befruchten  sich  gegenseitig 
und  schließlich  geht  man  mit  freudigem  Eifer  an  die  Sache, 
was  immer  schon  ein  halber  Erfolg  ist.  Während  des  ganzen 
Prüfungsganges  behält  man  die  zielbewußite  geistige  Füh¬ 
rung,  gewinnt  immer  klarere  Einblicke  in  das  Färbenunter¬ 
scheidungsvermögen  der  Untersuchten  und  wird  nicht  leicht 
lasten,  ehe  das  Endglied  in  der  differentialdiagnostischen 
Kette  erreicht  ist.  Man  staunt,  in  wie  kurzer  Zeit  man 
zwischen  den  einzelnen  Systemen  unterscheiden  lernt,  wie 
vertraut  man  bald  mit  den  zunächst  eine  gewisse  Scheu 
einflößenden  Namen  der  Rot-  und  Grünanomalen  wird  und 
merkt  zu  seiner  Freude,  wie  diese  bisher  fremden  Begriffe 
allmählich  Ii^alt  und  feste  Form  bekommen.  Nicht  minder 
überrascht  die  Schnelligkeit,  mit  der  man  zum  Ziele  kommt. 
30  Sekunden  bis  zwei  Minuten  sind  Zeiten,  die  einen  von 
den  alten  Methoden  her  an  ganz  andere  Einheiten  gewohn¬ 
ten  Prüfer  einfach  verblüffen  und  man  lernt  erst  allmäh¬ 
lich  und  in  dem  Maße  an  dieses  Wunder  glauben,  als 
sich  die  Ueberzeugung  festigt,  daß  man  in  raschem  Frage- 
und  Antwortspiel  der  Natur  hisher  sorgfältig  gehütete  Ge¬ 
heimnisse  entreißen  kann. 

So  sind  wir  endlich  bei  der  letzten  entscheidenden 
Frage  angelangt,  nach  welcher  Methode  soll  geprüft 
werden?  Die  Antwort  liegt  in  der  Vorfrage,  ob  die  ano¬ 
malen  Tri  Chromaten  vom  exekutiven  Eisenbahn-  und  Marine¬ 
dienste  ausgeschlossen  werden  sollen  oder  nicht.  Nach  den 
im  vorausgehenden  dargelegten  modernen  wissenschaft¬ 
lichen  Anschauungen  und  Kenntnissen  von  den  Störungen 
des  Farbensehens  wird  sich  wohl  kein  seiner  Verantwort¬ 
lichkeit  voll  bewußter  Arzt,  kenne  um  die  Sicherheit  des 
Betriebes  ernstlich  besorgte  Verwaltung  der  Ueberzeu¬ 
gung  verschließen  können,  daß  diese  Frage  unbedingt 
bejaht  werden  muß.  Dann  gibt  es  aber  auch  keine 
Wahl  mehr,  denn  es  existiert  bis  jetzt  nur  ein  ein¬ 
ziges  für  die  allgemeine  Praxis  brauchbares  Ver¬ 
fahren,  welches  die  Ermittlung  beider  Systeme 
von  barbenuntüchtigen,  sowie  ihrer  speziellen 
Formen  ermöglicht  und  das  sind  die  Nagelschen 
Tafeln.  Diese  Methode  ist  theoretisch  so  fest  und  klar 
fundiert,  so  gründlich  nachgeprüft  und  bewährt,  in  ihrer 
Technik  so  überaus  einfach  und  an  der  Hand  der  bei¬ 
gegebenen  wissenschaftlichen  Gebrauchsanweisung  so  leicht 
zu  erlernen;  sie  stellt  an  die  Geschicklichkeit  und  Erfah¬ 
rung  des  untersuchenden  Arztes,  wie  an  die  Intelligenz 
des  zu  Prüfenden  so  geringe  Anforderungen  und  führt  ohne 
Zuhilfenahme  anderer  kontrollierender  Verfahren  so  rasch 
und  sicher  zum  Ziele,  daß  ihre  allgemeine  Einführung  wie 
eine.  Erlösung  von  langer  Qual  empfunden  werden  wird. 
Sie  schafft  mit  den  ihr  zugrunde  liegenden  Prinzipien  end¬ 
lich  auch  die  längst  erwünschte  Basis  für  eine  allgemeine 
Verständigung,  setzt  an  Stelle  des  bisher  etwas  chaotischen 
Zustandes  bestimmte,  wohlbegründete  und  fest  umgrenzte 
wissenschaftliche  Lehrsätze,  bringt  Ordnung  in  die  bislang 
ziemlich  willkürliche  und  verworrene  Nomenklatur  und  wird 
hoffentlich  auch  bald  bewirken,  daß  die  einander  oft  direkt 
widersprechenden  Gutachten,  welche  das  Standesansehen 
ebenso  schädigen,  als  sie  die  Entscheidung  der  Verwaltmig 
erschweren,  allmählich  einer  einlieitlichen  Beurteilung 
weichen.  Durch  Benützung  dieses  diagnostischen  Verfahrens 
kommen  speziell  wir  Bahnärzte  auch  der  behördlichen  For¬ 
derung  nach  durchaus  normalem  Farbensinne  möglichst 
nahe,  indem  wir  bei  der  Prüfung  den  feinsten  Maßstab  an- 
legen  und  die  Zahl  der  zweifelhaften  Fälle  auf  das  derzeit 
überhaupt  erreichbare  Mindestmaß  einschränken. 

Die  Einwendung,  daß  durch  den  obligatorischen  Ge¬ 
brauch  dieses  Prüfungsinstrumentes  die  Zahl  der  Zurück- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1Ü07. 


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zuwcisenclen  oder  Avisziischeideiuleii  ungebührlich  an- 
wachsen  und  daraus  praktische  Scliwierigkeiten  entstehen 
könnten,  ist  weder  zutreffend,  noch  üherhaupt  zulässig.  Be- 
kannllich  nimmt  man  die  Häufigkeit  der  Färhenhlindcn  (unter 
den  Männern)  ziemlich  allgemein  mit  etwa  3°/o  an  und  ebenso 
hocli  dürfte  sich  nach  der  bisherigen,  schon  ziemlich  aus¬ 
gedehnten  Erfahrung  die  Zahl  der  Anomalen  belaufen.  Dabei 
ist  aber  zu  berücksichtigen,  daß  die  erstgenannten  3®/o  ge¬ 
wiß  nicht  ausschließlich  Dichromaten  umfassen,  denn  die 
Trennung  der  Formen  war  bisnun  eine  sehr  mangelhafte 
und  die  keineswegs  scharf  umgrenzten  Begriffe  ,, farben¬ 
blind“,  „unvollständig  farbenblind“  und  ,, farbenschwach“ 
wurden  auf  das  aller  verschiedenste  gedeutet.  AVer  halb¬ 
wegs  gewissenhaft  nach  Holmgren  oder  Stilling  unter- 
sucbte,  hat  zweifellos  mit  den  unvollständig  Farbenblinden 
oder  Farbenschwachen  auch  einen  wesentlichen  Teil  der 
Anomalen  ausgeschieden,  so  daß  sich  der  schließ- 
liche  Prozentsatz  der  Farbenuntüchtigen  (id  est 
Dichromaten  +  Anonialen)  kaum  über  fünf  er¬ 
heben  dürfte.  Das  relative  Anwachsen  des  bisherigen 
Prozentsatzes  wird  eben  ganz  von  der  bislang  angewendeten 
Methode  und  der  Gewissenhaftigkeit,  mit  der  sie  durch¬ 
geführt  wurde,  abhängen.*) 

Wenn  wir  uns  dabei  gegenwärtig  halten,  daß  wir  nach 
dem  neuen  Verfahren  in  voller  Erkenntnis  und  aus  wohl- 
hegründeter  Ueberzeuigung  handeln  und  zu  einwandfreien, 
endgültigen  Besultaten  gelangen,  so  ist  diese  Beruhigung 
durch  die  Einhuße  von  etwa  2Vo  sonst  noch  so  brauchbaren 
Arbeitskräften  gewiß  nicht  zu  teuer  verkauft.  Allein  die 
Frage  steht  gar  nicht  so,  als  ob  die  Ausscheidung  der  Dichro¬ 
maten  +  Anomalen  von  unserem  Belieben  oder  Wohlwollen, 
dem  jeweiligen  Angebote  an  Arbeitskräften  oder  dem  fis¬ 
kalischen  Standpunkte  abhängig  wäre,  sondern  es  ist  eine 
unahweisliche  Pflicht,  die  uns  auf  Grund  feststehender  Tat¬ 
sachen  zur  Ausschaltung  aller  Färbenimtüchtigen  zwingt. 
Auch  handeln  wir  nur  so  wirklich  ökonomisch,  weil  wir 
einzig  auf  diesem  Wege  größeren  Gefahren  und  gegebenen 
Falles  daraus  erwachsenden  unvergleichlich  höheren  Aus¬ 
lagen  in  wirksamer  W'^eise  Vorbeugen  können.  Dabei  ist  es 
ja  selbstverständlich,  daß  jede  einsichtsvolle  Verwaltung 
bemüht  sein  wird,  ältere  Bedienstete,  die  nun  auf  Grrund 
vcrvollkornmneter  Untersüchungsmethod(m  ausgeschieden 
werden  müssen,  diesen  Förtschritt  in  der  Erkenntnis  nicht 
etwa  büßfen  zu  lassen,  sondern  die  ganz  Schuldlosen  nach 
Möglichkeit' vor  materiellem  Schaden  zu  bewahren. 

Von  Nagels  Tafeln  zur  Untersuchung  des  Färbenunter¬ 
scheidungsvermögens  ist  seit  1906  die  vierte  Auflage  im 
Umlaufe.  Die  kleinen,  weißen  Kartenblätter  zeigen  je  einen 
aus  farbigen  Punkten  (Scheibchen)  zusammengesetzten  Ring, 
durch  Farbendruck  in  den  Verwechslungsfarben  der  Dichro¬ 
maten  und  Anomalen  hergestellt.  Die  Zusammenordnung 
der  farl)igen  Punkte  zu  Buchstaben  oder  Ziffern  wurde  ab¬ 
sichtlich  vermieden  und  damit  die  Abhängigkeit  von  kleinen 
f  ehlem  im  Farbendrucke  wie  von  der  Geschwindigkeit  der 
IVirbeuperzeption,  die  bei  dem'  Gebrauche  der  S tillin g- 
schen  Tafeln  so  wesentlich  in  Betracht  kommen,  eliminiert. 
Auch  die  oben  erwähnten  Mängel  des  Ho  1  m gr  e  ii  sehen 
\  erfahrens  sind  glücklich  beseitigt.  Die  Objekte  sind  klein 
genug,  um  überwiegend  das  foveale  Sehen  zu  prüfen  und 
die  Zusammenstellung  der  charakteristischen  Färbenver- 
w ‘cchslungen  ist  dem  f  arbenblinde,n  abgenommen;  sie  liegen 
auf  den  einzelnen  Tafeln  schon  fertig  vor  und  der  Unter¬ 
suchte  hat  weiter  nichts  zu  tun,  als  auf  die  Täfeln  zu  zeigen, 
w(dche  ilmi  die  von  dem  Prüfenden  verlajigten  Farben  zu 
eidhallen  scheinen.  Sie  sind  zunächst  ausschließlich  für 
(.lie  Bedürfnisse  der  färbensinnprüfung  bei  dem  Eisenbahn- 

*)  In  Hamburg,  wo  bei  der  deutschen  Handelsmarine  mit  einem 
ganz  ungenügenden  sogenannten  H  o  1  m  g  r  e  n  sehen  Verfahren  wohl 
der  Rekord  im  Schnelluntersuchen  erreicht  wird  (zuweilen  bis  zu 
100  Personen  in  der  Stunde)  hatte  z.  R.  ein  Kollege  in  den  letzten 
vier  Jahren  unter  26.186  Untersuchten  nur  l'337o  Farbenblinde;  103Kollegen 
kamen  in  den  gleichen  Zeitabschnitte  unter  r)3.880  Geprüften  auf  l‘75'7n; 
da  wird  ein  genaues  und  sachgemäß  angewendetes  Verfahren  allerdings 
eine  beträchtliche  Steigerung  des  Prozentsatzes  ergeben! 


und  Mariuepcrsoualc  koustruiert  und  os  ist  keine  s])ezielle 
Rücksicht  auf  die  Uuiersuchuug  erworbeuer  Färbeusiuii- 
störimgeii  oder  die  Möglichkeit  der  Simulation  genommen; 
auch  für  die  Ermittlung  der  Trilauopie  sind  die  Tafeln  nichl 
als  sicheres  Hilfsmittel  zu  betrachten. 

In  ihrer  neuen  Gesta-lt  setzt  sich  die  Sammlung  aus 
zwei  Ahteihmgen  A  und  B  zusammen,  denen  eine  genaue 
Gebrauchsanweisung  heigegeben  ist.  Die  Nummern  sind  auf 
der  Ilückseite  angebracht  und  sowohl  wegen  der  Hinweisun¬ 
gen  im  Texte,  als  auch  für  den  färbenhliiiden  Arzt  unent¬ 
behrlich.  ' 

Als  Einführung  für  jene,  denen  die  Tafeln  noch  fremd 
sind,  mögen  einige  orientierende  Bemerkungen  gestattet  sein. 
Man  gewinnt,  die  rascheste  Uebersicht  über  die  beim  ersten 
Anblick  vielleicht  etwas  verwirrende  Farbenfülle,  wenn  man 
sich  die  1(5  Tafeln  der  Abteilung  A  in  drei  (Truppen  aus¬ 
einander  legt. 

F'ür  die  erste  Gruppe  wähle  man  die  Tafeln ;  1,  2,  3,  5, 
7,  8,  9,  10  und  15.  Drei  von  diesen  Blättern  zeigen  Ringe 
in  verschiedenen  Schattierungen  einer  und  derselben  Farbe 
(3  nur  Rosa,  5  nur  Grüu,  9  nur  Grau);  die  übrigen  Rot  und 
(Trün  in  solchen  Schattierungen,  daß  sie  für  den  Rotgrün- 
hlinden  beider  Typen  dem  Grau,  das  auf  vielen  dieser  Tafeln 
enthalten  ist,  gleich  auSiSehen.  Bei  genauer  Betrachtung 
wird  ma,n  die  oben  als  typisch  für  die  Dichromaten  an¬ 
geführten  Gleichungen  zwischen  Purpur  (Rosa),  Blaugrün 
uud  Grau  leicht  herausfinden.  Tafel  15  zeigt  den  gleichen 
Purpurton  wie  3,  dazwischen  aber  zwei  graue  Punkte,  die 
für  den  Dichromaten  dem  .Purpur  gleich  erscheinen,  so 
daß  er  die  Mehrfarbigkeit  des  Ringes  nicht  zu  erkennen 
vermag.  Es  kommt  ziemlich  häufig  vor,  daß  die  zwei  grauen 
Punkte  in  leichtem  Kontraste  grün  gesehen  Averdeii,  der 
Farbensinn  des  Untersuchten  aber  trotzdem  ein  ganz  nor¬ 
maler  ist;  man  lasse  sich  also  dadurch  nicht  irre  machen; 
wer  dagegen  die  Differenz  überhaupt  nicht  bemerkt,  ist 
meist  abnorm.  Während  für  den  Färhentüchtigen  auf  allen 
diesen  Taifeln  das  Rot  und  Grün  besonders  hervorsticht,  er¬ 
scheinen  sie  dem  Dichromaten  farblos,  grau  in  verschiedenen 
Schattierungen  und  hei  der  Frage  nach  roten  und  grünen 
Punkten  übergeht  er  sie  meist  achtlos. 

ln  die  zweite  Gruppe  lege  man  sich  die  Täfeln:  6,  11 
und  12,  welche  gelbgrüne,  gelbbraune,  blaugrüue  und  graue 
Punkte  enthalten.  Ganz  scharf  sticht  für  jeden  Rotgrün¬ 
blinden  das  Gelbgrün  dieser  Täfeln  von  allen  übrigen  Färben 
ab;  es  ist  ihm  die  einzige  kräftige  Tärbe  in  der  Abteilung  A 
überhaupt  und  bei  der  Frage  nach  roten  oder  rötlichen 
Punkten  zeigt  jeder  unbefaaigene  Dichromat  fast  ausnahms¬ 
los  auf  die  Tafeln  6  und  11,  meist  auch  12;  bei  der  Frage 
nach  nur  roten  Punkten  wird  dann  häufig  auf  Tafel  12 
gezeigt,  weil  Gelbgrün  und  Gellibraun  mit  Rot  Gleichung 
gel)en  können.  Diese  höchst  auffallende,  die  ganze  Sach¬ 
lage  im  Augenblicke  klärende  Erscheinung  —  Rotsehen  des 
Gelbgrün  und  Gelbbraun  —  ist  nach  den  vorausgeschickten 
Bemerkungen  über  das  Snektrum  und  die  Scheingleichungen 
der  Dichromaten  leicht  verständlich. 

Für  die  dritte  Gruppe  Ideiben  die  Tafeln:  3,  13,  14 
und  1(5;  sie  zeigen  die  zur  Erkennung  der  Anomalen  hesoii- 
ders  wichtigen  Verwechslungsfarben  Grau  und  Grün. 
Während  sowohl  die  Rot-  als  die  Grünanomalen  die  Frage 
nach  roten  Punkten  beinahe  immer,  zuweilen  auch  ohne 
Zögern  hestehen,  werden  sie  l.ei  der  Frage  nach  nur  Grün 
oder  nur  Grau  sofort  unsicher  und  zeigen  häufig  auf  solche 
Tafeln,  die  grüne  und  graue  Punkte  zugleich  enthalten. 
Man.  läßt  sich  dann  möglichst  schnell  alle  Täfeln  zeigen, 
die  Grün,  und  dann  alle,  die  Grau  enthalten  und,  wird  so 
rasch  dahinterkonnnen,  inwieweit  eine  Differenzierung  mög¬ 
lich.  Wer  eine  der  Tafeln  mit  Grau  und  Grün  (4,  13,  14) 
für  einfarbig  hält  und  den  Irrtum  nicht  sogleich  selbst  be¬ 
merkt,  oder  wer  auf  Tafel  5  Grau,  oder  auf  Tafel  9  Grün 
zu  sehen  behauptet,  ist  sicher  kein  normaler  Trichromat, 
sondern  farbenuntüchtig  u.  zw.  meist  anomal.  Einen  Diebro- 
malen  kann  man  erst  dann  diagnostizieren,  wenn  auch  im 
Rot  Fehler  gemacht  werden.  Auf  Tafel  IG  ist  das  Grün 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


SO  ungesättigt  genoimneii,  da,ß,  sie  als  Reagens  für  wirklich 
gutes  Farbenunterscheidungsvermögen  gelten  kann;  es  ver¬ 
schlägt  aber  nichts,  wenn  sie  fiir  eintarbig  angesehen  wird, 
weil  der  Farbensinn  dabei  ein  durchaus  normaler  sein  kann; 
solche  kleine  Differenzen  innerhalb  der  großen  Gruppe  der 
Farbentüchtigen  sind  nicht  von  Felang  und  die  Tafel  könnte 
ebensogut  ganz  wegbleiben. 

Wer  die  Fragen  nach  roten,  nur  roten,  nur  grünen 
und  nur  grauen  Punkten  rasch  und  sicher  beantwortet,  was  in 
wenigen  Sekunden  erledigt  sein  kann,  ist  l)eslimmt  farben¬ 
tüchtig  und  jede  weitere  Prüfung  kann  entfallen.  Wer  die 
für  die  Gruppen  2  und  3  ajigegebenen  Verwechslungen 
macht,  ist  Dichromat  oder  Anomaler  und  man  muß  zur 
weiteren  Charakterisierung  und  Trennung  der  Typen  zur 
Prüfung  mit  den  Tafeln  der  Abteilung  ß  übergehen.  Sie  läßt 
den  Unterschied  zwischen  Dichromaten  und  Anomalen  eben¬ 
falls  scharf  hervortreten  und  beide  leicht  vom  Normalen 
unterscheiden.  In  diesem  zweiten  Tdile  der  Prüfung  hat 
der  Untersuchte  Naimen  zu  nennen,  wobei  aber  die  Be¬ 
nennung  nur  als  Indikator  dafür  dienen  soll,  ob  er  die  Zu¬ 
sammensetzung  der  Ringe  aus  mehreren  Färben  bemerkt. 

Sie  enthält  vier  Tafeln.  Bt  mit  Gelbgrün  und  Gelb¬ 
braun  in  je  zwei  Schattierungen,  ist  identisch  mit  x\i2.  B2 
und  B3,  unter  sich  fast  gleich,  enthalten  außer  einem  leb¬ 
haften  Rot  ein  reines  Braun  in  zwei  verschiedenen  Ilellig- 
keitsstufen.  Für  den  Dichromaten  sind  diese  drei  Tafeln 
einfarbig  u.  zw.  für  den  Deuteranopen  auch  fast  ohne 
Helligkeitsunterschiede  der  einzelnen  Punkte,  während  sich 
für  den  Protanopen  die  roten  Punkte  du[ikel  gegenüber 
dem  Braun  abheben. 

Charakteristisch  ist  das  Verhalten  der  Anomalen  gegen 
die  Tafeln  Bi  bis  ßs.  Manche,  die  zu  den  sogenannten  Ex¬ 
tremen  gehören,  zeigen  sich'  schon  bei  Bi  als  abnorm;  sie 
bezeichnen  die  Tafel  kurzweg  als  grün,  seltener  als  braun 
oder  gelb,  geben  aber  jedenfalls  durch  ihre  Ausdrucks  weise 
zu  erkennen,  daßi  sie  nur  einerlei  Farbe  sehen;  sie  gleichen 
hierin  den  Dichromaten.  Die  Täfeln  B2  und  B3  nennt  <ler 
Anomale,  vor  allem  der  Grünanomale,  wenn  er  unbefangen 
an  die  Probe  herantritt,  ,,rot  und  grün“,  weil  kräftiges  Rot 
oder  Grün  einem  daoeben  sichtbaren  Grau  oder  Braun  eine 
mehr  weniger  deutliche  Beimischung  der  Komplementärfarbe 
gibt.  Das  Braun  dieser  Tafeln  isoliert  gezeigt,  nennen  die 
Anomalen  richtig  brann;  neben  dem  Rot  nennen  sie  es 
grün.  Bei  Rotanomalen  versagt  dieser  Teil  der  Prüfung  zu¬ 
weilen  und  sie  benennen  das  Braun  richtig  oder  als  grau. 
Das  beweist  nicht,  daß  der  Färbenkontrast  bei  ihnen  geringer 
sei  als  bei  den  Grünanontalen,  sondern  Rot  hat  für  den 
Rotanomalen  wie  für  den  Rotblinden  einen  sehr  herair¬ 
gesetzten  Reizwert  und  es  läßt  sich  im!  Farbendrucke  ein 
so  lichtstarkes  und  dabei  reines  Rot  nicht  hersteilen,  welches 
den  Farbenkontrast  schon  auf  kleinen  Feldern  sicher  aus¬ 
löst.  An  Nagels  Färbengleichungsapparate  oder  seinem 
Anomaloskop  läßt  sich  der  gesteigerte  Kontrast  auch  in 
diesen  Fällen  leicht  nachweisen.  Ein  Mangel  der  Methode 
kann  darin  kaum'  gefunden  werden,  weil  sich  die  Rotano- 
mälen  schon  im  ersten  Teile  der  P'rüfutig  durch  Grün-Grau- 
Verwechslungen  erkennen  lassen  und  auch  die  Tafel  Bj.' 
meist  für  einfarbig  erklären. 

Tafel  B4  dient  zur  Unterscheidung  der  beiden  Typen 
der  Dichromaten  und  Anomalen.  Sie  enthält  ein  kräftiges 
Karminrot  neben  Grün  von  zweierlei  Helligkeitsstufen.  Rot 
und  Dunkelgrün  sind  in  ihrem  Helliigkeitsverhältnisse  so 
gewählt,  daß  für  den  Rotblinden  wie  Rotanomaien  ersteres, 
für  den  Grünblinden  und  Grünanomalen  letzteres  als  das 
dunklere  erscheint.  Während  der  Färbentüchtige  eine  solche 
,,heterochrome“  Helligkeitsvergleichung  nur  unsicher  .aus¬ 
führt,  erscheint  für  den  Farbenunlüchtigen  die  Aufgabe, 
die  „hellere“  oder  „dunklere“  der  beiden  Färben  zu  nennen, 
einfach  und  leicht.  Auch  B2  und  B3  eignen  sich  zur  Diffe- 
rentialdiagnose :  Braun  und  Rot  sind  lür  den  Grünblinden 
und  Grünanomalen  fast  gleich  hell;  dem  Rotblinden  und 
Rotanomalen  erscheint  das  Rot  deutlich  dunkler. 


73i> 


Da  es  bei  den  Nagelschen  Täfeln  auf  Prüfung  (h^s 
foveaJen  Sehens  ankommt,  ist  es  sehr  wichtig,  daß  die 
Tafeln  aus  angeniessem'r  Entfernung  beli'acldet  wenden,  am 
besten  aus  nr  Abstand,  mindestens  aber  aus  V2  m.  Man 
erhält  hinreichenden  Absfa,nd,  wejm  der  Untersiudite  auf¬ 
recht  vor  dem  Tische  steht,  auf  dem  die  Tafeln  ausgebreitet 
liegen.  Versucht  der  Kandidat,  immer  wieder  sich  nieder¬ 
zubeugen  und  die  Täfeln  aus  der  Nähe  zu  betraebten,  so 
erweckt  dies  frei  guter  Sehschärfe  begründeten  Verdacht 
auf  Färbensinnstörung  und  fordert  zu  gründlicher  Unb'r- 
suebung  auf.  Die  Täfeln  der  Abteilung  B  kaut),  man  aus 
größerer  Nähe  (ca.  30  cm,)  betrachten  lassen. 

Es  wurde  mehrfach  daran  Anstoß  genommen,  daß  der 
Untersuchte  bei  Abteilung  B  F’ärbennamen  nennen  muß. 
Nagel  erklärt  dies  als  eine  auf  Mißverständnis  berulKuide 
Reminiszenz  an  die  Zeit,  wo  man  mit  See  bock  uml  Fl  olm- 
gren  Front  machen  mußte  gegen  die  Farbensinnprüfung 
mittels  Vorzeigen  und  Benenucnlassen  farbiger  Päpierstücko. 
Prüfung  mit  Farbenbenennung  ist  zulässig  und  .erfolgreich, 
wenn  man  Objekte  voji  kleinem  Gesichtswinkel  (U  und 
weniger)  verwendet,  ja  man  könnte  durch  bloßes  Vorzeigen 
und  Benennen  lassen  solcher  kleiner  farbiger  Objekte  in  hin¬ 
reichend  großer  Zahl  und  Nuancierung  eine  einwandfreie 
Diagnose,  ob  farbentüchlig  oder  -untüchtig,  stellen;  aber 
das  wäre  zeitraubend  und  mühsam;  sehr  viel  schneller 
geht  es,  wenn  man  immer  mehrere  Färben  untereinander 
zeigt,  nach  den  Namen  fragt  und  aus  der  Antwort  entnimmt, 
ob  der  üntersuchte  die  (lualitativen  Unterschiede  bemerkt 
oder  nicht;  auf  die  Wahl  der  Namen  koinmt  es  dabei 
weniger  an,  namentlich  bei  Braun.  Ob  jemand  z.  B.  die 
Tafel  Bl  grün,  braun  oder  gelb  nennt,  ist  ganz  belanglos; 
wenn  er  aber  auch  auf  besondere  Nachfrage  keine  zweite 
Farbe  zu  nennen  weißi,  die  nol>en.  der  erstgenannten,  vor¬ 
banden  ist,  so  beweist  dies  sicher  abnormen  Färl)ensinn. 
Man  mache  sich  zur  Regel,  wenn  in  derartigen  Fällen  nur 
eine  Farbe  genannt  wird,  immer  sogleich  zu  fragen,  ob 
nicht  noch  eine  andere  Farbe  da  sei,  weil  ängstliche  Leide 
oft  das  Ihrige  getan  zu  halien  glauben,  wenn  sie  Bi  grün 
oder  B2  rot  genännt  haben,  obgleich  sie  merken,  daß 
außerdem  noch  etwas  da  sei.  Wird  die  zweite  Farbe  erst 
auf  besonderes  Fragen  genannt,  so  läßt  man  sich  diese 
farbigen  Punkte  mit  einem  Stifte  anzeigen ;  geht  das  schnell 
und  sicher,  so  kann  man  der  qualitativen  Unterscheidung 
sicher  sein. 

Die  Nage  Ische  Probe  >riit  einem  älteren  Verfahren  zu 
kombinieren,  hat  keinen  ersichtlichen  Zweck,  da  sie  alle 
weniger  leisten  und  daher  nicht  zur  Ergänzung  dienen 
können.  Bei  dem  so  bequemen  S  ti  1 1  i  11  g sehen  Verfahren 
ist  außerdem  die  Gefahr  naheliegend,  daß  sich  manche  Aerzte 
mit  der  glatten  Erledigung  dieser  Vorprobe  begnügen  und 
die  entscheidende  Hauptprobe  gar  nicht  mehr  vornehmen. 
Dies  waren  auch  die  Gründe,  welche  die  deutschen  Fasen¬ 
bahn-,  Armee-  und  Marinebehörden  bestimmten,  nur  die 
Nagelschen  Tafeln  einzuführen  und  von  jeder  anderen 
Methode  abzusehen. 

Die  Tafeln  müssen  nach  Möglichkeit  vor  Tageslicht 
geschützt  und  sehr  rein  gehalten  werden;  man  lasse  sie 
niemals  berühren,  sondern  immer  nur  mit  einem  Stäbchen 
danach  zeigen;  etwa  beschmutzte  Exemplare  müssen  aus¬ 
getauscht  werden.  Auch  bei  der  Holmgrenschen  Wolle 
muß  natürliclh  von  Zeit  zu  Zeit  wegen  der  unvermeidlichen 
Beschmutzung  durch  die  herührenden  Finger,  Staub  usw., 
eine  Erneuerung  des  Sortinientes  erfolgen. 

Fan  großes  Verdienst  hat  sich  Nagel  auch  durch  die 
Erfindung  seiner  Apparate  zur  Fdrbensinnprüfung  erworben, 
das  namentlich  jene  Aerzte  gebührend  schätzen  werden, 
welche  die  Mühsal  der  bisherigen  Verwirrung  und  <lie 
Schwierigkeiten  bei  der  lEiitscheidung  fraglicher  laille  durch¬ 
gekostet  haben.  Sie  sind  in  großem  Betriebe  einfach  un¬ 
entbehrlich,  da  es  ein  anderes  Mittel,  zweifelhafte  Fälle 
sicher  klarzustellen,  überhaupt  nicht  gibt.  Auch  auf  ander¬ 
weitige  Hilfe  ist  zurzeit  lucbt  zu  rechnen,  da  unsere  physio¬ 
logischen  Institute  den  großen  Helmholtz  scheu  F’arben- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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inischapparate  nicht  besitzen  und  die  Augenspezialisien,  die  [ 
man  naturgemäß  für  die  höchste  Instanz  halten  sollte,  diesen 
Fragen  bisher  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  haben  und 
die  erbetene  Entscheidung  .in  Ermangelung  der  erforder¬ 
lichen  Hilfsmittel  wohl  auch  oft  gar  nicht  kreffen  könnten. 
Da  die  Handhabung  der  Apparate  keineswegs  schwer  zu 
erlernen  und  die  Deutung  der  damit  gewonnenen  Resultate 
nicht  die  geringsten  Zweifel  aufkommen  läßt,  so  können 
sich  alle  interessierten  Verwaltungen  und  Aerzte  leicht  auf 
eigene  Füße  stellen  und  jedem  Konflikte  in  der  Diagnose 
mit  absoluter  Sicherheit  , Vorbeugen.  Um  auch  hier  den 
Kollegen  vollen  Einblick  zu  gewähren  und  eine  selbständige 
Entscheidung  zu  ermöglichen,  sollen  die  zwei  für  unsere 
Zwecke  haüptsächlich  in  Betracht  kommenden  Apparate 
kurz  besprochen  werden. 


setzt  (Fig.  4),  welche  durch  eine  dai’üher  gelagerte  Feder 
(Fig.  4b)  leicht  fixiert  erscheinen  und  je  fünf  halbkreis¬ 
förmige  Ausschnitte  von  1-2  cm  Durclimesser  tragen,  von 
denen  je  einer  leer  gelassen  ist,  während  die  angren¬ 
zenden  ein  rotes,  grünes,  gelbes  und  blaues  Glas  ent¬ 
halten.*)  Blickt  man  durch  die  Trichteröffnung  in  den  auch 
innen  geschwärzten  Apparat,  so  sieht  man  im  Grunde  des 
Rohres  durch  die  leeren  Revolveröffnungen  (bei  offenen 
Schiebern)  zwei  halbkreisförmige,  hell  erleuchtete,  weiße 
Gesichtsfelder,  die  durch  eine  4  mm  breite  mediale  Leiste 
voneinander  getrennt  sind  (Fig.  3).  Durch  Drehen  der  Re¬ 
volver  und  Einschnappen  der  Feder  kann  man  die  oben 
genannten  farbigen  Gläser  in  beliebiger  Kombination  ein¬ 
stellen;  sie  erscheinen  lebhaft  leuchtend  in  tiefschwarzer 
Umgebung.  In  lochförmigen  Ausschnitten  der  Feder  sind 


Fig. 


3. 


1.  Nagels  Farbengleichungsapparat.*) 

Er  besteht  in  seiner  neuesten  Form'  aus  einer  schwarz 
lackierten,  zylindrischen  Röhre  mit  trichterförmigem  An¬ 
sätze  am  Okularende  und  einem  4-5  cm  dahinter  befind¬ 
lichen  Auerhrenner,  die  zusamlnen  auf  einem  Stativ  be¬ 
festigt  sind  (Fig.  l).  Die  distale  Hälfte  des  10  cm  langen, 
3-7  cm  im  Durclimesser  haltenden  Rohres  ist  durch  eine 
vertikale  Scheidewand  (Fig.  2a)  in  zwei  seitliche  Hälften 
geteilt  und  an  beiden  Enden  durch  je  zwei  Halbscheiben 
aus  Milchglas  abgeschlossen,  die  hinter  den  (gleich  zu  er¬ 
wähnenden)  Farbenfeldem  eine  gleichmäßig  helle  Fläche 
herstellen.  In  der  Mitte  des  Rohres  sind  seitlich  zwei  revol- 
verai'tig  drehbare  Scheiben  von  4  cm  Durchmesser  einge- 

*)  Zu  beziehen  durch  den  Universitälsmechaniker  Walter  Oehmke 
Berlin  NW.  7,  Dorotheensti  aße  35.  Preis  Mk.  58.  ’ 


die  jeweilig  eingestellten  Farben  durch  ein  gleichfarbiges, 
rundes  Scheibchen  markiert,  so  daß  der  Prüfende  die  Farben 
beliebig  wechseln  kann,  ohne  in  den  Apparat  hineinzu¬ 
sehen.  Eine  am  distalen  Ende  des  Rohres  angebrachte 
rechteckige,  durch  einen  horizontalen  Spalt  (Fig.  1  und  2c) 
unterbrochene  schwarze  Metallplatte  (Fig.  2)  verdeckt  für 
die  prüfende  Person  den  Auerhrenner  und  trägt  an  ihrer 
dem  Lichte  zugewendeten  Seite  zwei  rechteckige  schwarze 
Metallschieber  (Fig.  2d,  d2),  die  durch  uhrzeigerähnliche, 
lange  Hebel  (Fig.  2f,  fg)  leicht  seitlich  hin  und  her  bewegt 
werden  können  und  die  Helligkeit  beider  Farbenfelder  un¬ 
abhängig  voneinander  beliebig  zu  variieren  gestatten.  Die 

*)  Grün  und  Blau  wurden  eingefügt,  um  den  Apparat  auch  zur  Unter¬ 
suchung  von  erworbenen  Farbensinnstimmungen  verwenden  zu  können. 
Für  den  praktischen  Gebrauch  wäre  es  bequemer,  Avenn  das  gelbe  Glas 
unmittelbar  neben  dem  roten  stünde. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Stellung  der  Hebel  (und  damit  der  Sebieber)  kann  in  dem 
bereits  geiianiilen  Spalte  c  der  Schul zplatte,  der  zur  Ver¬ 
meidung  jeder  Bleudnng  durch  zwei  vorgestelite  Glasplatten 
(braun  und  farblos,  big.  1  und  2  g)  gedeckt  erscheint,  kon- 
Irollierl  und  an  zwei  mit  1  und  2  bezeichneten  Marken 
(big.  2)  abgelesen  werden.  (Die  Ziftern  stehen  selbstver¬ 
ständlich  auf  der  dem  Beschauer  zngewendeten  Seite  der 
Blalle  und  sind  in  der  Zeichnung  nur  der  Deutlichkeit  baiber 
außen  angeschriebeu.)  Zeigt  der  Hebel  auf  Marke  1  (wie  fo), 
so  beträgt  die  SpaÜbreite  zwischen  verlikalei'  Scheidewand 
und  medialem  Schieberrandc  1  mm  (rechte  Seite  der  Fig.  2) 
und  das  Farbenfeld  erscheint  ziemlich  stark  verdindvcll. 
Bei  Einstellung  des  Zeigers  auf  Marke  2  beträgt  die  Spalt- 
breite  3  mm  (angedeutet  durch  die  punkliorte  Jiinie  in  der 
linken  Hälfte  der  Zeichnung);  die  Heiligkeit  des  farbigen 
Feldes  ist  beträchUich  größer.  Steht  der  Hebel  senkrecht 
(wie  fl),  so  ergil)t  sich  eine  Spaltbreite  von  G  mm  und  das 
Farbenfeld  erscheint  hell  erlenchtel. 

Der  Apparat  ist  so  aufzustellen,  daß  die  Trichterüffnung 
vopi  Fenster  abgekehrt  erscheint,  doch  soll  helles  Tages¬ 
licht  in  das  Auge  des  zu  Prüfenden  fallen.  Dieser  sitzt 
IV2  bis  2  m  von  der  Trichteröffnung  entfernt,  damit  <las 
Bild  der  leuchtenden  Felder  auf  den  stäbchenfreien  Bezirk 
der  Netzhaut  falle;  eine  etwaige  Ametropie  muß  korrigiert 
werden;  die  leuchtenden  Felder  ziehen  dann  die  Fixation 
so  wirksam  auf  sich,  daß|  man  sicher  sein  kann,  den  Farben¬ 
sinn  wirklich  nur  im  fovealen  Sehen  zu  prüfen.  Bei  Unter¬ 
suchung  im  Dunkelziinmer  oder  abends  hei  künstlicher  Be¬ 
leuchtung  setzt  man  den  zu  Prüfenden,  unmittelbar  vor  die 
Trichteröffnung. 

Der  Apparat  dient  in  gleich  vorzüglicher  Weise  zur 
Erkennung  der  Dichromaten  \\'[o  der  Anomalen  und  gestattet 
in  einer  halben  bis:  zwei  Minuten  eine  leichte  und  sichere 
Diagnose  des  vorliegenden  Typus.  Er  ist  für  Massen-  wie 
Kontrolluntersuchungen  ganz  vorzüglich  geeignet  und  der 
Einzelfall  mit  der  Beantwortung  von  drei  Fragen  erledigt. 

Zuerst  zeigt  man  beider.s.eits  rot,  aber  auf  einer  Seite 
eine  merklich  geringere  Helligkeit.  Der  Farbenblinde  hält 
die  Helligkeitsungleichung  für  eine  Farbenungleichung,  da 
er  richtig  urteilt,  daß  man  sein  Färbenunterscheidungsver¬ 
mögen  prüfen  wolle  und  gil)t,  nach  der  Farbe  gefragt,  latsche 
z\ntworten:  ,,rot  und  grün“,  ,,rot  und  gelb“,  ,, grün  und  gelb“. 
Dann  macht  man  beide  roten  Felder  gleich  hell,  um  dem 
Untersuchten  zu  zeigen,  daß  wirkliche  Gleichungen  zustande 
kommen  und  erleichtert  ihm  dadurch  die  Anerkennung  der 
nun  folgenden  Scheingleichung.  Sie  wird  mit  Bot  und  Gelb 
eingestellt,  den  Zeiger  vor  Gelb  auf  Marke  2,  also  leicht 
verdunkelt.  Es  ist  dies  die  Gleichung  des  Deuteranopen, 
der  sie  sofort  annimmt  und  beide  Felder  für  ,, gleich“  oder 
„gelb“  erklärt;  damit  ist  die  Diagnose  für  diesen  Typus 
entschieden.  Der  Protanop  verweigert  die  Anerkennung 
dieser  Gleichung,  da  er  in  solclnmi  Falle  bekanntlich  ein 
fünfmal  stärkeres  (helleres)  Bot  verlangt.  Das  gegebene 
Bot  erscheint  ihm  deutlich  dunkler  als  das  Gelb  und  er 
glaubt  infolgedessen  zwei  verschiedene  Farben  zu  sehen, 
ol)wohl  ihm  beide  Felder  in  WMirheit  nur  als  verschiedene 
Intensiläten  derselben  Farbe  erscheinen ;  er  spricht  dem¬ 
nach  von  ,,gelb  und  grün“,  ,,rot  und  grün“  oder  er  nennt, 
der  objektiven  Wahrheit  entsprechend,  das  dunklere  Feld 
rot,  das  hellere  gelb.  Um  nun  die  für  den.  ProUinopen  gültige 
Gleichung  einzustellen,  muß  man  das  Gelb  noch  weiter  ver¬ 
dunkeln,  da  es  in  der  gegebenen  Anordnung  nicht  möglich 
ist,  dem  Bot  die  erforderliche  größere  Intensität  zu  geben. 
Man  schiebt  den  Zeiger  vor  Gelb  auf  Marke  1  und  jetzt  er¬ 
kennt  der  Protanop  die  Schoingleichung  ohne  weiteres  an; 
damit  ist  auch  dieser  Typus  scharf  gekennzeichnet.  Es 
sei  noch  bemerkt,  daß  die  zur  Unterscheidung  der  Rot¬ 
und  Grünblinden  dienenden  Eiiistellungsmarken  nur  lür  die 
Farbengleichungen  zwischen  Bot  und  (mlb,  nicld,  aber  füi 
Bot  und  Grün  gelten;  dieses  letztere  gibt  zwar  für  den 
Dichromalen  auch  Gleicbung  mit  Bot  und  Cndb,  doch  müssen 
die  Einstellungen  dafür  besoivders  ausprobiert  werden. 


Die  Anomalen  erkennen  das  Bol  ganz  gut -und  machen 
demgemäß  bei  der  ersten  Einstellung  richtige  Angaben.  Bei 
der  dritten  Einstellung  (Bot  und  Dunkelgelb)  kommt  ihr  ge¬ 
steigerter  Farbeidcontrast  zur  Geltung  und  sie  nennen  das 
Gelb  ,,grün“;  man  hat  damit  ein  becpiemes  Hilfsmittel,  dieses 
charakteristische  Symptom  auch  in  jenen  Fällen  naclizu- 
weisen,  wo  es,  wie  bei  manchen  Bofanomalen,  an  den 
Tafeln  nicht  einwandfrei  festgestellt  werden  kann.  Auch 
die  beiden  Typen  lassen  sich  mit  dem  Apparate  leicht  unh'r- 
scheiden.  Man  beläßt  die  Einstellung  Rot  und  Gelb  und 
fordert  auf,  den  Farbenimterschied  zu  vernachlässigen  und 
nur  zu  sagen,  welches  von  den  beiden  Feldern  <las  hellere 
sei.  Der  Anomale  läßt  sich  hierauf  bereitwillig  ein,  fast 
so  willig  wie  ein  Dichromat  und  macht  demnach  auch  ganz 
bestimmte  Angal)en.  Der  Grünanoinale  verlangt  eine  Ileilig- 
keit  des  Gell),  bei  der  es  auch  für  den  Normalen  eine  an¬ 
nähernde  heterochrome  Flelligkeitsgleiclumg  gibt;  es  ist  dies 
fast  genau  die  Einstellung  des  Deuteranopen.  Der  Bot- 
anomale  dagegen  verlangt  die  Einslellung,  die  der  Protanop 
wählt;  sie  erscheint  für  den  Normaien  ganz  falsch,  das 
Bot  im  Verhältnisse  zu  Gelb  viel  zu  hell. 

2.  Kleines  S p e k t r a  1  p h o 1 0 m e t e r  oder  Apparat  zu r 
Mischung  von  Spektralfarben  für  diagnostische 
Zwecke  (Anomaloskop). 

Da  das  souveräne  Mittel  zur  Erkennung  aller  Färben- 
sinnstörungeu,  der  große  Helmholtzsche  Farbenmiscli- 
apparat  wegen  des  hohen  Preises  und  der  Kompliziertheit 
seiner  Einrichtungen  für  Augenkliniken  und.Aerzte  nicht 
in,  Betracht  kommt,'  eine  sichere  Kennzeichnung  der  ano¬ 
malen  Trichromaten  aber  nicht  anders  erfolgen  kann,  als 
durch  den  Nachweis  der  charakteristischen  Mischungs¬ 
gleichungen  in  der  langweiligen  Spektralhälfte,  war  es  ein 
glücklicher  Gedanke  Nagels,  den  genannten  Laborato¬ 
riumsapparat  bei  tadellos  exakter  Arbeit  so  zu  verein¬ 
fachen,  daß  er  den  Zwecken  des  Klinikers  und  Übergut¬ 
achters  vollkommen  gerecht  wird.  Da  Nagel  selbst  sein 
Anomaloskop  erst  letzthin  beschrieben  und  abgebildet  hat,*) 
kann  ich  mich  hier  um  so  leichter  auf  kurze  Angaben  be¬ 
schränken. 

Das  Instrument,  welches  für  Nernstlampe,  Auerbrenner 
oder  Spiritusglühlicht  eingerichtet  werden  kann,  gestattet 
die  Unterscheidung  der  verschiedenen  Arten  von  trichroi- 
matischen  Systemen  an  der  sogenannten  Bayle ighschen 
Gleichung,;  die  Unterscheidung  der  beiden  Hauptarten  von 
Dichromaten  an  den  Scheingleichungen  Bot-Gelb  und  Grün- 
Gelb.  In  einem  kleinen  kreisförmigen  Felde  (2*^  Gesichts¬ 
winkel)  sieht  ma,n  die  untere  Hälfte  dauernd  mit  homo¬ 
genem  Lichte  der  Wellenlänge  589  (Natriumlinie)  erfüllt, 
dessen  lidensilät  fein  abstufbar  ist;  das  obere  Halbfeld 
kann  entweder  mit  reinem  Ftot  (670,  Lithiumlinie)  oder 
Grün  (53G,  Thallinmlinie)  oder  einer  beliebigen  Mischung 
dieser  beiden  lächter  erfüllt  werden.  Der  farbentüchligc 
Beobachter  kann  leicht  ein  bestimmtes  Mischungsvcrhällnis 
von  Rot  und  Grün  einstellen,  das  bei  Begulierung  der  Hellig¬ 
keit  dem  homogenen  Natriumgelb  gleich  aussieht.  Ebenso 
leicht  lassen  sich  für  den  Bot-  und  Grünanomalen  das  er¬ 
forderliche  Plus  an  Bot  und  Grün,  sowie  die  jeweilig  not- 
wöndige  Helligkeit  des  Gelb  feststellen.  Der  Farbenblinde 
erhält  die  Gleichung  mit  Gelb  bei  jedem  beliebigen 
Mischungsverhältnisse  von  Rot  und  Grüji,  ja  auch  niit 
reinem  Bot  und  reinem  Grün  und  die  beiden  Typen  u,nter- 
scheiden  sich  nur  dadurch,  daß  sie  dem  Gell)  eine  andere 
Helligkeit  geben  müssen,  um  Gleichung  zu  erhalten.  Es 
ergeben  sich  dabei  ganz  bestimmte,  nur  in  engen  Grenzen 
schwankende  Zahlen,  die  an  graduierten  Trommeln  abge¬ 
lesen  und  für  jedes  Instrument  immer  erst  festgestellt  wer¬ 
den  müssen,  dann  aber  dauernde  Gültigkeit  haben.  Ver- 

*)  Zwei  Apparate  für  die  au  gen  ärztliche  Funktions¬ 
prüfung  (Adaptometer  und  Anomaloskop)  von  Prof.  Nagel,  Zeitschrift 
für  Augenheilkunde,  Bd.  17,  Heft  3.  Zu  beziehen  von  1.  Schmidt 
&  H  a  e  n  s  c  h,  Berlin  S.  42,  Prinzessinuenstraße  16.  Preis  des  Anomalo¬ 
skops  inkl.  Auerbrenner  und  Montierung  auf  einem  Grundbrett  Mk.  355. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


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zoicliiK'l  nia.li  sicJi  die  lypisclion  l*nnslcllnngon  der  nornialon 
und  anomalen  Triehroniaten,  sowie  der  Dichromaleii  in 
einer  kleinen  Tabelle,  so  kann  man  jed('  Diagnose  rasch 
und  sicher  stellen  und  kontrollieren. 

Ein  großer  Vorteil  beider  InstmineiiLe  besteht  daiin, 
daß  man  damit  zu  jetler  Tageszeit  unler  immer  gleich  blei¬ 
benden  Verhällnissen  arbeiten  kann  und  ihre  Marken,  respek¬ 
tive  die  einmal  festges  teil  ten  Zahlen  für  immer  (iültigkeit 
haben. 

Bei  dem  Ileringschen  Apparate  macht  sich  die  Ab¬ 
hängigkeit  von  der  jeweiligen  Tagesbeleucbtung  recht  un¬ 
angenehm  bemerkbar  und  zu  einigermaßen  fixen  Zahlen 
kann  man  überhaupt,  kaum  kommen.  Die  hei  trübem  Wetter 
feHtgestellten  Ziffern  gelten  nicht  für  reinen  Himmel  und 
umgekehrt;  hei  wolkig-windigem  Wetter  ist  eine  Bleichung 
überhaupt  kaum  zu  erzielen,  weil  die  BeleuchtungsverhälL- 
nisse  jeden  Augenblick  wechseln;  der  Kundige  wird  sich 
dadurch  in  der  sicheren  Stellung  der  Diagnose  allerdings 
idcht  iMiirren  lassen.  Ob  sich  der  Apparat  aucli  zur  Er¬ 
kennung  der  anomalen  Systeme  verwenden  ließe,  wäre  erst 
festzuslellen ;  die  dazu  erforderliche  technische  Einrichtung 
ist  gegetien,  es  müßte  nur  für  entsprechende  (iläser  gesorgt 
werden;  die  obengenannten  Bebelstände  dürften  sich  hier 
allerdings  noch  störender  liemerkbar  machen. 

Eine  genauere  Ausführung  sei  zum  Schlüsse  noch  den 
sogenannten  praktischen  Prüfungen  auf  der  Strecke 
gewidmet,  die  noch  in  .  vielen  Köpfen  spuken  und  deren 
Uesultate  immer  wieder  herangezogen  werden,  um  <lio 
wissenschaftlichen  Methoden  zu  diskreditieren  oder  als  ent¬ 
behrlich  hinzustellen.  IcJr  folge  dabei  wiederum  Nagel. 

Zeigt,  man  einem  Farbenblinden  oder  Anomalen,  d(‘r  in 
Pnterscbeiilung  von  Signaliiclilcrn  s^hon  geül)t  ist,  rote  und  grüne, 
gut  Ijrennende  Signallaternen  auf  100  m  Distanz  in  unregelmäßigem 
Wechsel,  so  isl  die  Wabrscheinliclikeit  unriclitiger  Denenmmg 
äußerst  gering.  Dcträclitlicjier  wird  sie  schon,  falls  der  üeprütte 
mit  Signalli(dit,ern  noch  nichts  zu  tun  hatte;  sei  cs,  daß  er  das 
Hot _,, gelb“,  oder  das  Grün  ,,weiß'‘,  gelb  oder  blau  nennt.  Uebung 
und  K(mntnis  <ler  bei  der  Prüfung  vorkommenden  Farben  isl 
zum  febleilosen  Hesleben  eines  solchen  Examens  von  größter 
Bedeutung. 

Wüi-de  außer  Rot  und  Grün  auch  die  sogenannte  farbiose 
Eisenbabnlalei'ne  verwendet  werden,  so  würde  die  Wabrsebein- 
licbk(‘it  der  Fehler  ])ei  aljnormem  Fai'bensinne  schon  merklich 
steigen.  Würden  die  drei  genannten  Lichter  auf  500  m  gezeigt, 
so  Avürde  die  Feblerzabl  l)ci  Dichromaten  und  Anomalen  schon 
mebrc're  Prozent  Jietragen.  Würden  die  roten,  grünen  und  weißen 
Signallateiiien  nicht  immer  in  gleicher  Helligkeit  und  Entfernung, 
sondern  in  versclüedener  .Leuchtkraft  und  unter  verscliiedcneni 
Gesichlswitdvel  gezeigt,  so  würde  sich  die  Wahrscbeiidiclikeit  rich¬ 
tiger  und  falscher  Angaben  kaum  über  das  bloße  Palen  erheben. 
Pei  Anomalen  wären  die  Fehler  nicht  so  zahlreich,  aber  immer¬ 
hin  nicht  s(dten.  Würden  die  genannten  Signale  immer  nur  für 
kurze  Zeit  ((unige  Sekuiuhm)  sichtbar  sein  und  die  Entseduddung 
über  die  Farbe  i'ascb  erfolgen  müssen,  so  würde  der  Prozentsatz 
licbliger  Angaben  bei  eiiuMn  Farbenblinden  ziemlich  genau  niit 
d('m  zusammenfallen,  der  durch  bloßes  Palen  (ohne  liinzuseben) 
(U'zielt  würde;  bei  drei  Färbern  wäre  die  AVahrscbeinlicbkeit  ein 
Drittel,  elxuiso  groß,  wie  bei  einem  Blinden.  Nur  um  wenig 
l)essei’  steht  es  bei  den  Anomalen.  Würden  statt  eines  (dnzigen 
Licbles  nudirere  Jielxmeinander  sichtbar  sein,  so  wird  für  eien 
Fa.rb(ud)linden  unter  den  ang<‘führlen  Bedingungen  die  Wabrschein- 
licbkc'il.  falscher  Angaben  kaum  erhöht,  eher  vielleicht  um  ein 
ganz  Geringes  vei'inimlerl ;  dagegen  steigt  sic  durcdi  den  ab- 
norimm  Farbenkonirast  für  den  Anomalen  sehr  bedeutend. 

Daraus  kann  man  cntnehnien,  welch  ninsländlicho 
Versuchsanordnung  getroffen  werden  müßte,  wenn  man  auf 
diesem  Wege  wirklich  alle  Earhcnbliiiden  oder  gar  jioch 
die  Anomafen  herausfinden  wollte:  niehrere  ungleich  weif 
enlfc'rnte  Gruppen  von  roten,  grünen  und  wmißen  Laternen 
tnüßimi  vom  Standplätze  des  ITniersnchers  aus  schnell  in 
beliebigen  Kombinationen  nnd  auf  beliebig  lange  Zeit  zum 
.Aufleuchten  gebracht  werden  können;  auch  ein  sehr  er- 
lahrener  Ihäifer  würde  selbst  bei  elektrischer  Umstellung 
10  bis  15  .Minuten  brauchen,  um  Sicherheit  über  die  .\rt 
des  vorliegenden  Earhensinnes  gewinnen  zu  können. 


Sehr  schön  wurden  diese  aus  reicher  Jh’fahrimg  ab¬ 
strahierten,  nach  dejTi  Vorausgeschickten  in  ihrem  Zusam¬ 
menhänge  wohl  ohne  weiteres  vefständlichen  Deduktionen 
durch  Versuche  heslätigt,  die  Nagel  den  an  der  Frage 
interessierten  Behörden  vorfütirte,  um  ihnen  die  Gefähr¬ 
lichkeit  der .  Dichromaten  und  die  Notwendigkeit  der  Ein¬ 
beziehung  der  anomalen  Ti'ichromaten  unter  die  Earben- 
untüchligen  ad  oculos  zu  demonstrieren. 

Den  Versucbspersoneii  wurden  weiße,’  rote  und  grüne  Signal- 
lichter  in  wccbseludeu  Intensitäten  und  Feldgrößen  gezeigt,  ohne 
daß  die  Oualiiät  des  Beizlicbtes  durch  dk;  Intensiläts-  und  Feld- 
grcißenveräuderuugcni  beeinfhd.U,  wurde.  Als-  Licbiquelien  dienten 
Kobkmfadenglüblam])Cu,  deren  Licht  jenem  der  Pelroleumlamue 
sehr  älmlich  ist,  zur  Färbung  Stücke  von  Originalscheiben  der 
königli(di  preußischen  Slaatsbalmen  (Pubinglas  und  das  bekannte 
Blaugrün);  die  Helligkeit  des  weißen  Licbl.es  wurde  durch  ein 
neulrab's  Banchglas  der  des  roten  und  grünen  annähernd  gk'icb 
gc'inacbl.  Durch  Einscbiebeii  einer  Alattglas, scheibe  konnte  die 
Intensität  des  betreffeiiden  Signallicblcs  auf  etwa  die  Hälfte  bis 
ein  Drittel,  durch  zwei  solche  etwa  auf  ein  Secdistel  herabgesetzt 
werden.  Die  Veränderung  der  Feldgiöß^in  gescliab  durch  Blenden 
von  6  bis  1  mm  Durchmesser;  tlie  größte  entspracli  eimun  Ge- 
sicblswiidcel  von  4’,  G”,  die  kleinste  einem  solchen  von  -ti" 
(die  gewöbnlicbe  Signallalerne  der  Eisenbahn  würde  auf  eine 
Distanz  voii  125,  resp.  755  m  unter  den  gleichen  Winkeln  er¬ 
scheinen).  Der  Verdunkelung  der  Licbter  durch  Trübung  der 
Almos])bäre  (Nebel,  Bauch,  Hegen)  Avar  keine  Ih'cbnung  gedragen 
und  dafür  gesoigl,  daß  die  Versuchspersonen  die  Lichter  stets 
scharf,  nicht  versebwommen  sahen  und  Gelegeidieit  batten,  die 
Signallicbler  beliebig  lange  zu  belracbten,  che  sie  über  tlic  Farbe 
aussaglen.  Der  Beobachter  saß,  5  m  von  den  Lichtpunkten  ent¬ 
fernt  in  einem  so  dunkel  gehaltenen  Zimmer,  daß  er  an  keinen 
sekundären  Merkmalen  erkennen  konnte,  Avelche  Farbe,  welche 
Helligkeit  und  Feldgröße  eingestellt  war.  Die  Versuchsperson  be¬ 
fand  sich  somit  mehrfach  in  günstigerer  Lage,  als  der  Eisen- 
balmbedienslete  auf  der  Strecke  oder  der  Steuermann  auf  offener 
See  und  Fehler,  die  an  dieser  Prüfungsvorriebtun^  gemacht  wurden, 
waren  unter  den  ungünstigeren  Bedingungen  des  praktischen  Be¬ 
triebes  um  so  sicherer  zu  erwarten. 

Bei  Normalen  kamen  VervA-echslungen  überhaupt  nicht  Amr. 
Bot  Avurde  unter  allen  Umständen  erkannt;  bei  Grün  zweifelten 
einzelne  Personen  anfangs,  ob  es  Blau  oder  Grün  sei,  niemals 
aber  wurde  es  }nil  Weiß  oder  Rot  verwechselt. 

Nagel  selbst  (Deuleranop)  wurde  geprüft,  ehe  er  sich  an¬ 
gesehen  batte,  Avie  die  farbigen  Licbter  an  der  fertiggestellten 
Versuchsanordnung  aussahen,  so  daß  er  für  die  Benennung  der 
Sigiiallichter  keine  Aidiallsj)unkt.e  balle,  als  den  subjektiven  Ein¬ 
druck  ihrer  Faibigkeit.  Bot  glaubte  er  mit  einiger  Sicherheit 
von  den  beiden  anderen  Farben  unterscheiden  zu  können,  aber 
Grün  und  Weiß  konnte  ei'  nicht  auseinander  halten  und  stellte 
sic  einfach  als  ,,Nicblrnt“  dem  Bot  gegenüber.  Auf  15  licblige 
kamen  25  falsclie  j\nlAvorlen;  bei  12  Aum  letzteren  kam  Bot  ins 
Spiel,  indem  er  (mtAveder  Bot  ,,Avciß“  nannte  oder  Grün  oder 
Weiß  „rot“.  Dann  bemübto  er  sich,  die  Untersclieidung  zu  er¬ 
lernen.  Da  ihm  die  drei  Lichter  lalsäcblicdi  gleichfarbig,  das 
beißt  alle  mehr  Aveniger  gelblich  erschienen,  mußte  er  sekun¬ 
däre  Kriterien  zu  Milk'  nebinen;  er  lernte  und  merkte^' sich,  daß 
das  Grün  am  Avenigsten  gelb,  fast  Aveiß  Avar,  das  Bot  am  liefsten 
gelb,  außerdem  rote  Licbl<u’  im  allgemeinen  am  scbäj'fsten  kon- 
luriert.  So  bj-aebte  er  es  dabin,  daß  auf  37  richtige  AntAVorten 
nur  mehr  sieben  falsche  kamen,  also  ca.  IG'’/«  Fehler;  ein  BeAA'eis 
dafür,  daß  seine  sekundären  Hilfsmittel  tatsächlicb,  nützten;  aber 
auch  der  zehnte,  ja  der  hundertste  Teil  solcher  VerAvecbslungen 
Aviirde  zum  Lokomolivfübrer  oder  Steuermann  untauglich  maclien. 
Alle  anderen  farbenblinden  Versuebspejsonen  erklärten  die  Auf¬ 
gabe  gleich  bei  den  ersten  Versuchen  für  unlösbar,  alle  Lichter 
sähen  für  sie  gleich  u.  zav.  gelblich  aus. 

Die  .Anomalen  machten  bei  isoliert  gezeigten  Einzeilicbk'rn 
selbst  in  dieser  Versuebsanordnung  (avo  lichtscliAvacbe  Signale 
und  kurze  Exjiosition  Avegfielen)  ülK'rraschend  Adele  Fehler.  Na¬ 
mentlich  Avenn  man  isoliert  nur  Grün  oder  nur  Weiß  (bzAV.  Gelb) 
zeigt,  sind  sie  fast  ganz  aufs  B<Ben  angOAviesen.  Z('igt  man 
nudu-ere  Licbter  gleichzeitig,  so  scliAvanken  ihre  Angaben  in  kurzer 
Zeit.  Ein  rotes  Licht  erklären  sie  im  ersten  .Momente  für  lot, 
um  si(di  gleich  darauf  zu  korrigieren  und  zu  sagen,  es  sei  doch 
grün;  so  kann  es  (Avahrscbeinlich  im  Zusammeidiange  mit  ab- 
sicblliclien  oder  unabsicbijichen  BlickschAvankungen)  mehrmals 
Avecbs'cln,  eine  Erscheinung,  die  man  Aveder  l)ei  Normalen  iioch 
bei  Faibenblinden  beol)aclilet.  Auch  der  abnorme  Simultankou- 
1  trast  zeigt  sich  Ix'i  dieser  Untersucbungsmclhode  so  deutlich  als 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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möglich.  Neben  einem  oder  zwei  liehen  roten  Liclilern  ersclieiiit 
für  den  Anoimden  ein  vveißes,  Ja  sellisl.  ein  kleineres  oder  diink- 
Im'es  Rot  als  Grün;  nicht  ganz  so  bestimmt  erfolgt  die  Rezeich- 
niing  „rot“  für  ein  Weiß  odm-  lichtschwaclies  Grün,  das  neben 
beitem  Grün  steht.  Rei  ßO  Versuchen,  in  diuien  je  drei  Lichler 
nebeneinander  gezeigt  wurden,  finden  wir  von  den  1)0  Lichtern 
37  falsch  hi'nannt. 

Es  schien  mir  nicht  unwichlig,  diese  Versuche  etwas 
ausführlicher  wiedei'ziigehen,  da  sie  wohl  auf  jeden  Un- 
hefangenen  ülierzeugend  wirken  dürften  und  c‘in  und  für 
sich  sehr  lelirreicli  sind,  da  sie  eine  gute  Vorstellung  von 
dem  Favhensehen  der  Dichromaten  und  Anomalen  über¬ 
haupt  geben.  Vielleicht  wird  es  jetzt  ailmählich  slide  von 
den  sogenannten  meist  ganz  unglaublich  harndosen  prak- 
lischen  Ueherprüfungen,  sowie  der  immer  und  immer  wieder¬ 
kehrenden  Erfindung  neuer  Ealernenmethoden  auf  ganz  un¬ 
zutreffenden  wissenschaftlichen  V oraiissetzungen. 

In  den  Bestimmungen  für  die  österreichische  Handels- 
marine  ist  eine  sehr  bedenkliche  Prüfung  init  Signaliiehtern 
sogar  vorgeschrieben.  Bei  der  deutschen  Handelsmarine 
sind  derartige  Examina  sehr  beliebt  und  als  Kontrolle  heim 
Versagen  einer  an  und  für  sich  ganz  ungenügenden  Woll- 
probe  wird  dort  eine  Nachprüfung  mit  der  Evershusch- 
schen  Lampe  vorgenommen. 

Eine  erst  in  letzter  Zeit  bekannt  gewordene  Tatsache 
bildet  übrigens  eine  ernste  Mahnung,  der  F'arbensimRirüfung 
die  größte  Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Man  erinnert  sich 
noch  an  die  grauenvolle  Kataslrophe,  die  vor  mehreren 
Jahren  auf .  der  Elbe  hei  Hamburg  eine  große  Zahl  von 
Menschenleben  vernichtete :  den  Zusammenstoßi  des  Schlepp¬ 
dampfers  ,, Hansa“  mit  dem  üherfüllten  Passagierdampfer 
„Primus“.  In  dem  anschließenflen  Gerichtsverfahren  kam 
zutage,  daß  der  Kapitän  des  „Primus“  über  die  Laternen- 
farhe  des  entgegenkommenden  Schiffes  Angaben  machte, 
die  objektiv  unmöglich  richtig  sein  kojinten.  Nagel  sprach 
schon  damals  die  Vermulung  aus,  daß  eine  Earhensinn- 
störung  die  Ursache  gewesen  sein  könnte,  es  verlautete 
aber  nichts  über  ein  etwaiges  Prüfungsresultat.  Erst  letzt¬ 
hin,  in  den  Kämpfen  um  die  Neuordnung  der  Earhensinn- 
frage,  wurden  beide  Kapitäne  untersucht  und  es  ergab  sich 
tatsächlich  Farbenblindheit  des  ,,Primus“-Kapitäns ;  er  war 
als  Flußischiffer  und  Führer  eines  ,, Binnenfahrers“  auf  sein 
Farbenunterscheidungsvermögen  überhaupt  nicht  geprüft 
worden.  Dieser  krasse  Fall  wird  die  obligatorisclie  Ein¬ 
führung  der  Nage  Ischen  Tafeln  für  die  deutsche  Handels¬ 
marine  jedenfalls  heschleunigen,  obwohl  sich  die  deutschen 
Seeschiffervereine  samt  ihren  ärztlichen  Sachverständigen 
unter  den  sonderbarsten  Argumenten  dagegen  stemmen. 

Auch  für  unsere  Handelsmarine  sollte  diese  verallete, 
auf  ganz  unrichtigen  Prämissen  beruhende,  nur  einer  gefähr¬ 
lichen  Scheinprüfung  gleichkommende  Beslimmung  ehestens 
beseitigt  und  durch  ein  modernes  Prüfungsverfahren  ersetzt 
werden;  denn  als  oberster  Grundsatz  muß  gelten,  daß  die 
Earbensinnprüfung,  wenn  sie  überhaupt  geübt  ward,  in  einer 
dem  jetzigen  Wissensstände  entsprechenden  Form  durch¬ 
geführt  werde. 

Die  maßigebenden  Persönlichkeiten  und  Sachverstän¬ 
digen  unserer  Heeres-  und  Mariiieverwaltung  bringen  der 
Frage  das  größte  Interesse  entgegen;  sind,  wie  ich  aus  münd¬ 
licher  Mitteilung  weiß,  über  die  neuesten  Forschungsergeb¬ 
nisse  in  der  Färbens  hm  frage  genau  unterrichlet  und  die  Ein¬ 
führung  der  Nagelsqhen  Tafeln  und  Aiiiiarate,  sowie  die 
Untersuchung  der  Mannschaften  sind  bereits  in  die  Wege 
geleitet. 

Audi  unsere  EisenlialmverwaUungen  werden  nach 
Prüfung  des  derzeitigen  Standes  der  tTage  den  geänderten 
xVnschauungen  zweifellos  bald  Rechnung  tragen  und  siidi 
selbst  damit  den  größten  Gefallen  erweisen. 

Die  Bahnärzte  der  Südhahn  haben  schon  vor  Monalen 
zu  den  hehördlich  vorgeschriebenen  Behelfen  (Holmgren 
und  Stilling)  noch  die  Nage  Ischen  Täfeln  mit  einer  das 
Wesen  der  Farhensinnslörungen  kurz  erläuternden  Instruk¬ 
tion  erhalten  und  wir  sind  eben  an  der  Arbeit,  das  gesamte 
im  exekutiven  Dienste  stehende  Personale  an  der  Hand 


dieses  Verfahrens  einer  Ueberprüfimg  zu  unterziehen.  Es 
ist  gelungen,  wieder  lebhaftes  Interesse  an  der  früher  wirk¬ 
lich  öden  Frage  zu  erwecken;  die  Herren  sind  mit  freudigem 
Eifer  an  der  Sache  und  die  Tafeln,  sowie  das  rasclie,  ziel¬ 
bewußte  und  ergebnisreiche  Arbeiten  mit  denselben  finden 
allgemeinen  Bidläll.  Kein  Bediensteter  wird  als  iärbentüchtig 
erkamit,  der  die  Probe  nicht  tadellos  bestanden  hat.  Alle 
Dichromaten  und  Anomalen  oder  irgendwie  zweifelhaften 
Fälle  werden  mi  Nagels  Farbengleichungsapparat 
und  Anomaloskop  nachgeprüft  (auch  der  Heringsche 
Apparat  wird  fleißig  henülzt)  und  die  Diagnose. auf  ihre 
Richtigkeit  geprüft,  resp.  ergänzt.  So  glaube  ich  hoffen  zu 
können,  daß  der  Farhenshmkataster  unserer  Bediensteten  in 
Zukunft  keine  blinden  Flecke  mehr  aufweisen  werde. 


Die  Einführung  in  die  Frage  der  [iraktischen  Farhen- 
siimprüfung  verdaoke  ich  ausschließlich  Herrn  Professor 
Nagel,  dem  ich  für  wiederholte,  mit  größter  Geduld  und 
Nachsicht  erteilte  Unterweisungen  und  Demonstrationen,  für 
Eichung  der  Apparate  und  Lleberlassung  der  Skizzen  seiner 
Lehrbehelfe  ganz  außerordentlich  verpflichtet  hin.  Für  Aus¬ 
führung  der  Zeichnungen  stehe  ich  hei  Herrn  Zdarsky 
in  Schuld. 

Benützte  Literatur: 


h  J.  V.  Kries,  Die  Gesichtsempfindungen.  Handbuch  der 
Physiologie  von  Nagel,  Bd.  3.  Physiolgie  der  Sinne,  Braunschweig  1905, 
Friedr.  Vieweg  &  Sohn.  —  h  W.  A.  Nagel,  Beiträge  zur  Diagnostik, 
Symptomatologie  und  Statistik  der  angeborenen  Farbenblindheit,  Archiv 
f.  Augenheilk.  1899,  Bd.  38,  S.  31.  Die  Diagnose  der  praktisch  wichtigen 
angeborenen  Störungen  des  Farbensinnes  von  Dr.  scient.  nat.  et  med. 
W.  A.  Nagel,  Wiesbaden  1899,  J.  F.  Bergmann.  Notiz  über  einige 
Modifikationen  an  meinem  Apparate  zur  Diagnose  der  Farbenblindheit, 
Arch.  f.  Augenheilk.  1900,  Bd.  41,  S.  384.  Zur  Diflferentialdiagnostik  der 
angeborenen  Farbensinnstörungen.  Zentralbl.  f.  prakt.  Augenheilk.  1904. 
Einige  Bemerkungen  über  den  Typenunterschied  unter  den  Farben¬ 
untüchtigen.  Engelmanns  Arch.  f.  Physiol.  1904,  S.  560.  Die  Diagnose 
der  anomalen  trichromatischen  Systeme.  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk., 
April  1904,  Bd.  42,  H,  S.  366.  Einige  Beobachtungen  über  die  Farben¬ 
sinnstörungen  im  Netzhautzentrum  bei  retrobulbärer  Neuritis.  Ebenda 

1905,  Bd.  43,  S.  742.  Was  ergeben  die  neueren  physiologischen  Er¬ 
fahrungen  über  Anomalien  des  Farbensinnes  bezüglich  der  zur  praktischen 
Prüfung  geeigneten  Untersuchungsmethoden?  Aerztl.  Sachverst.-Zeitg. 
1904,  Nr.  9.  Dichromatische  Fovea,  trichromatische  Peripherie.  Zeit¬ 
schrift  f.  Psychol,  und  Physiol,  d.  Sinnesorgane  1905,  Bd.  39,  S.  93, 
Leipzig,  J.  A.  Barth.  Fortgesetzte  Untersuchungen  zur  Symptomatologie 
und  Diagnostik  der  angeborenen  Störungen  des  Farbensinnes.  Ebenda 

1906,  Bd.  41,  Heft  4,  S.  239,  und  Heft  5,  S.  319.  Versuche  mit  Eisen¬ 
bahnsignallichtern  an  Personen  mit  normalem  und  abnormem  Farbensinn . 
Ebenda,  Bd.  41,  Heft  6,  S.  455.  —  ü  Stabsarzt  Dr.  Collin,  Veröffent¬ 
lichungen  aus  dem  Gebiete  des  Militärsanitätswesens,  Heft  32.  Zur 
Kenntnis  und  Diagnose  der  angeborenen  Farbensinnstörungen,  Berlin  1906, 
Hirschwald.  —  ü  Hering  E.,  Zur  Diagnostik  der  Farbenblindheit,  v.  Graefes 
Archiv  für  Ophth.  1890,  Bd.  36,  H.  1,  S.  217.  Eine  sehr  gute  mit  Abbildungen 
versehene  Beschreibung  des  Apparates  findet  man  auch  bei  Brückner, 
Chromatopsimetrie  in  Graefe-Saemisch  Handbuch  der  gesamten  Augen¬ 
heilkunde  1905,  2.  Aufl.,  Bd.  4,  S.  215.  Hier  auch  ausführliche  Literatur 
über  Farbensinnstörungen  überhaupt. 


Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Lehre  vom 

Basalzellenkrebs. 

Richtigstellungen  zu  dem  Artikel  von  Dr.  Hermann  C  o  e  n  e  n,  Assistenten 
der  königl.  chirurgischen  Universitäts-Klinik  in  Berlin 
in  Nr.  20  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«  vom  16.  Mai  1907. 

Von  Privatdozent  ür.  Dominik  Pupovac,  Abteilungsvorstand  der  Wiener 

Allgemeinen  Poliklinik. 

Wenn  man  sich  der  Aufgabe  iiiilerzielil,  eine  geschichtliche 
Entwicklung  einer  Lehre  darzu stellen,  so  gilt  als  oberster  Grund¬ 
satz,  die  herangezogenen  Arbeiten  richtig  zu  zitieren.  So  sehe  iidi 
mich  denn,  um  AJißversländnissen  vorzubeugen,  veranlaßt,  fest- 
zuslellen,  daß  der  Titel  nieiner  im  .lahre  1898  in  der  Deulschen 
Zeilscluift  für  Chirurgie  erschienenen  Arbeit  nicht  wie  Herr  Doktor 
11.  Coenon  zitiert,  ,, Leber  die  sogenannt.(Mi  llautendotbeliome' , 
sondern  ,,Zur  Kasinslik  nnd  Hislologie  der  sogenannten  Endo- 
theliome“  lautet.  Ferner  möchte  ich  zu  dem  Satze  Coenens, 
,,Guleke  konnte  in  der  Festschrift  für  Exzellenz  v.  Bergmann 
(Langenbecks  Archiv  19Ü(i)  eine  Serie  von  subkutanen,  leicht  ver¬ 
schieblichen  Geschwülsten  des  Gesichtes  beschreiben,  die  sich 
aus  tibgesprengten  Keimen  der  Parotis  oder  der  'rränendrüse  ent¬ 
wickelt  hatten,  dieselben  Typen,  die  Pup-ovac  fl.  c.)  fälsch- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Öö 


licli  als  Kiidolliolioiiie  ]K“Zcichnt>l  hailc“,  beiuerken,  daß  in  meiner 
Ar])ei(.  l'ünf  Fälle  bosclirieben  wurden  u.  zw.  Fall  1:  Submukös 
gelegener  Tumor  des  barten  Gaumens;  P'all  II:  Submuköser  Tumor 
der  linken  Wange;  Fall  111:  Submuköscr  Tumor  der  Unlcidippe ; 
Ikill  IF:  Submuküser  Tumor  der  Oberlippe  und  scbließlicli  Fall  V: 
Submuköser  Tumor  der  Mundscbleimbaut  in  der  UebergangsralLe 
zwischen  Tuber  maxillae  und  aufsteigendem  UiiLerkieferast. 


t^eferate. 

Pathologie  und  Therapie  der  Frauenkrankheiten. 

Vierte  Auflage. 

Rearbeitet  von  A.  Marlin  und  PIi.  Jung. 

Wien  1907,  Urban  &  Schwarzenberg. 

Das  Frscbciiien  der  vicuten  Auflage  des  bewährten  Duclies 
von  A.  Martin,  eines  der  Altmeister  imseres  Faches,  kann  als  ein 
lilerai'isclies  Ereignis  bezeichnet  werden.  Da  die  dritte  Auflage 
voi‘  13  .labren  erschienen  Und  seit  fast  zehn  Jabren  vergriffen 
war,  so  war  eine  Neubearbeitung  der  ganzen  Materie  notwendig 
utni  si)iegelt  dieselbe  die  in  den  letzten  zehn  Jahren  erreichten 
Foi'tscbritte  unseres  Facbes  wider,  ln  diese  große  Pause  zwischen 
der  dritten  tind  vierten  Auflage  fällt  die  Herausgabe  des  großen 
Werkes  von  A.  Marlin:  Handbuch  der  Erkrankungen  der  Adnex¬ 
organe,  in  drei  Bänden.  Wer  dieses  grundlegende  Werk  kennt, 
wird  begreifen,  daß  Martin  gezwungen  war,  die  längst  not¬ 
wendig  gewordene  Neuausgabe  seiner  Gynäkologie  liinauszn- 
sebieben. 

An  allen  Stellen  seines  Werkes  sehen  wir  den  erfahrenen, 
gereiften  Gynäkologen,  der  nun  auch  schon  zn  den  älteren  Lehrern 
unseres  Faches  gehört.  AVie  ein  Traum  scheint  es,  daßi  Schreiber 
di(cses  zu  den  Füßen  dieses  ersten  gynäkologischen  Operateurs 
gesessen,  daß  es  ihm'  gestattet  war,  die  ersten  größeren  gynäko¬ 
logischen  Operationen  durch  ihn  ausfiihren  zu  sehen,  die  heute 
jeder  klinische  Assistent  auszuführen  verstellt.  Mehr  als  ein 
Vierleljabrliundcrt  ist  seitdem  verflossen. 

Ein  IMann  wie  Martin  kann  \vohl  das  Recht  für  sich 
beanspruchen,  eine  führende  Rolle  auf  allen  Gebieten  seines 
Faches  innezuhaben.  Wenn  ich  im  folgenden  trotzdem  mein 
yVmt  als  Kritiker  bezüglich  einzelner  Fragen  zu  üben  mir  erlaube, 
so  soll  dadurch  der  bedeutende  Gesamtwert  des  Werkes  von 
A.  Marlin  nicht  geschmälert  werden. 

Marlin  erklärt  sich  als  ein  Anhänger  der  Lumbalanästhesie, 
jedoch  nur  insoweit,  als  es  sich  um  Operationen  an  Damm, 
Rektum,  Vulva,  Vagina,  Portio,  Blase  oder  Inguinalkanal  handelt; 
auch  für  vaginale  Zöliolomien  eignet  sich  diese  Art  der  lokalen 
.Anäslbesie.  Abdominale  Zöliotomien  führt  Martin  nach  wie 
vor  unter  allgemeiner  Anästhesie  aus. 

Znr  Ah'rhütung  der  Infektion  der  Hände  empfiehlt  Martin 
den  ausgedelintcren  Gebrauch  der  Ginnmihandsclhihe. 

Mit  der  Methode  des  Referenten,  den  Uterus  bei  hochgra¬ 
digem  Prolaps  aller  Frauen  ins  Septum  vesico- vaginale  cinzn- 
lagern,  hat  A.  Martin  sehr  Unbefriedigende  Erfahrungen  ge¬ 
macht.  Es  ist  dies  um  so  mehr  zu  bedauern,  als  an  der  Klinik 
des  Referenten  diese  Operation  nach  wie  vor  mit  sehr  gutem 
Eifolge  geübt  wird.  Hoffentlich  läßt  sich  Martin  durch  anfäng¬ 
liche  Mißerfolge  nicht  abschrecken. 

A-on  der  Lappenspallung  nach  L  a  w  s  o  n  -  Ta  i  t,  ist 

A.  Mai’lin  vollständig  zurückgekommen.  Es  bilden  sich  lästige 

'baschen  in  der  vorderen  Mastdarmwand  und,  wie  ich  hinzufügen 
möchlc,  auch  in  ‘der  hinteren  Scheidenwand.  Auch  wir  ül)en  die 
Alelbode  nicht  mehr. 

Rezüglich  der  Entstehung  der  Inversio  uteri  steht  Martin 
noch  immer  auf  dem  Slandpunkte,  daß  bei  derselljen  Iheruskon- 
Iraktionen  milwirkeji,  obwohl  er  zugibl,  daß  der  Uferus  dabei 

in  seinen  AVandungen  häufig  atiT)])biort  oder  fetlig  eniartet  ist. 

Als  Gbarakteristikum  vorausgogangener  SchwangerschafI 
wild  die  Sägeform  der  Drüsen  der  Ulerusschleimhaiit  (Opitz) 
hingestellt.  Doch  kommt  diese  Form  auch  während  der  men- 
struellen  Tätigkeit  zustande  (llitschmann).  Uebrigens  bildet 
Alai’lin  selbst  diese  Sägeforin  der  Drüsen  in  Fig.  97  als  Endo¬ 
metritis  glandularis  hypertrophica,  als  einen  außerhalb  des  Puer¬ 
perium  bestehenden  Prozeß  ab. 


Der  Vaporisation  gegenüber  verbäll  sieb  Martin  mit  Recht 
ableimend. 

Bezüglich  der  Enukleation  von  Myomen  steht  AI  artin 
auf  seinem  seit  lange  bekannten  Standpunkte,  obwohl  er  sich 
den  Einwänden  der  gegnerischen  Seile  nicht  vcrscidießt.  Er 
gibt  jedoch  zu,  daß  bei  längerer  Beobachtung  schließlich  doch 
sowohl  die  radikal  als  die  konservativ  Operierten  zu  einem  völli¬ 
gen  AVohlbefinden  kommen. 

Bezüglich  des  Operationsweges  gibt  er  dem  vaginalen  den 
Vorzug,  trotz  der  Amrbesscrung  der  Bauclideckennaht  und  trolz 
der  Sicherheit,  welche  der  Faszienquerschnitt  für  die  spätere 
Funktion  der  Bauchdecken  hietet. 

Bezüglich  der  Operation  des  Zervixkarzinoms  'bekennt  sich 
Al  artin  als  Anhänger  dos  erweiterten  abdominalen  Operations- 
verfabrens.  Dagegen  ist  nichts  eiiizuwenden,  doch  wäre  cs  ob¬ 
jektiv  richtig  und  den  Tatsachen  entsprechend  gewesen,  die  vagi¬ 
nale  Operalionsmetliode,  wie  sie  bei  Zervixkarzinom  von  Sc  hu¬ 
ch  ardt,  Staude  und  Ref.  entwickelt  wurde  (mit  Entfernung 
der  Parainetrien,  Pi'äparation  der  Ureteren)  wenigstens  zu  er¬ 
wähnen  und  nicht,  wie  das  leider  noch  immer  geschiedd,  die 
Tindniik  der  va.ginalen  Operalion  bei  Karzinom  mit  der  bei  Myom 
als'  identisch  hinzustellen.  Tatsächlicti  erreicht  die  vaginale  Kar¬ 
zinomoperation  heute  schon  einen  absoluten  Heilungs|)rozentsatz, 
der  dem  der  abdominalen  Operation  nicht  wesentlich  naclisteht. 

Schauta. 

♦ 

Lehrbuch  der  Hygiene. 

Von  M.  Bubner. 

8.  Auflage. 

Wien  und  Leipzig  1907,  F.  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Bei  der  Besi)rechung  der  vor  kurzem  erschienenen  achten 
Auflage  (h‘s  umfangreichen,  gegeinvärlig  über  1000  Seilen  fassen¬ 
den  Rubncrschen  Lehrbuches,  Avird  dem  Referenten  die  yVuf- 
gäbe  sehr  leicht  gemacht,  da  von  spärlichen  Ergänzungen  und 
A^eränderungen  einzelner  Abschnitte  abgesehen,  Inhalt  und  Form 
des  Lehi'huchcs  im  großen  und  ganzen  dieselben  geblieben  sind. 
Alle  die  oft  gerübmten  Vorzüge  des'  Buches,  in  dem  die  seltene 
Auelsei tigkeit  des  Vei'fassers  klar  in  Erscheinung  tritt,  sind  auch 
der  neuen  Auflage  zu  eigen  —  freilich  auch  die  Mängel  der 
früheren,  die  Ref.  niemals  verschweigen  konnte,  vor  allem  die 
Avenig  klare  Form  der  Darstellung  und  die  nicht  genügend  über¬ 
sichtliche  Anordnung  des  Stoffes  bei  einer  größeren  Anzahl  von 
Abschnitten.  Es  ist  befremdlich,  daß  dies  namentlich  für  Gebiete 
zu  trifft,  auf  Avelcben  der  Verfasser  sellrst  Avissenschaftlich  t  ätig 
ist.  Der  Anfänger  dürfte  sich  z.  B.  kaum  in  dem  Avichtigeu  Ah- 
schnitte  der  AVärmeükonomie  zurechtfinden  und  auch  andere  Ka¬ 
pitel,  AAÜe  die  AVasserversorgUng,  nicht  mit  jenem  Nutzen  verar¬ 
beiten  können,  die  der  Inhalt  der  Abschnitte  verdienen  würde.  Eine 
gründliche  Uniarheit'ung  und  bessere  Gruppierung  tut  hier 
di'ingend  not.  lieferen  I  ist  aus  den  genannten  GründeJi 
schon  seit  Jahren  nicht  mehr  in  der  Lage,  das  Rubnersche 
Lehrbuch  zur  Ergänzung  der  von  ihm  gehaltenen  Vorlesungen 
den  Studierenden  zu  empfehlen,  AvieAvobl  er  A'^orgeschrittene  und 
Physikaiskandidaten,  die  sich  schon  eingehend  mit  der  Materie 
beschäfligt  haben,  gerne  auf  das  Buch  verAA'Cist. 

Klarheit  und  didaktisch  eiiiAvandfreie  Sichtung  des  Alaterials 
sind  eben  bei  einem  Lebrbuche,  das  für  den  überlasteten  Stu¬ 
denten  der  Medizin  überhaupt  verwertbar  sein  soll,  V'orzügo, 
auf  die  iiicbt  verzichtet  Averden  kann.  Es  sei  dem  Relereuten 
ferner  geslattet,  den  AV'unsch  auszusprechen,  daß  bei  einer  Avei- 
teren  Neuauflage  einzelne  Abschnitte  auch  hinsichtlich  d(;s  In¬ 
haltes  eine  Umarbeitung  erfahiHm  mögen,  so  in  erster  Linie  der 
Abscbnilt  über  Infeklionskrankheilen,  der  in  manchen  Eiiizcd- 
heiten  den  gegeiiAvärtigen  Stand  der  Forsclmng  nicht  ausreichend 
Aviedergibl.  So  sollte  sich  in  dem  Biudie  eines  so  verdienstvollen 
Vorkäni])fers  majicher  hygienischen  Disziplin  die  Bemerkung  nicht 
finden,  daß  der  Alikrooj'ganisuuis  der  T^yssa  ,,no(di  nicht  genügend 
charakterisiert  ist“.  Auch  in  dem  Abscbnille  Quarantäne  ist 
auf  die  gegenAvärlige  Bed(‘utung  dieser  Alaßnalnnen  in  ihrer 
neueren  .VnwendungsAveise  nicht  genügend  Rücksicht  genommen, 
da  es  doch  nicht  angeht,  Grenzkordon  und  die  in  modernejn 
Sinne  ausgestaltete  Quarantäne  in  eine  Reihe  zu  stellen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


^  7bü 


lief,  kann  iriir  wünschen,  daß  der  Verfasser  sich  endlicli 
einmal  docli  eidschließen  niöiKe,  gründlich  an  sein  Werk  Hand 
anzuiegen,  um  das  Buch  auf  jene  Slufe  zu  hriugen,  die  seinem 
Verfasser  unheslriflen  eingeräuml  wiid.  W^er  das  Biesengehicf 
der  Hygiene  kennl,  wird  freilich  die  eingehende  ArheiL  zu 
würdigen  wissen,  die  die  Umarbeifung  eines  großen  Lehrhuches 

erfordeid.  A.  Schatlonfro  h. 

* 


lieber  die  Desinfektion  von  Büchern,  Drucksachen  und 
dergleichen  mittels  feuchter,  heißer  Luft. 

Aus  dem  hygienischen  Institut  der  k.  k.  Universität  Innsbruck. 

Von  Dr.  Franz  Balliier. 

Leipzig  und  Wien  1907,  F.  Deu ticke. 

Die  Frage  der  Desinfeklion  von  Büchern,  Drucksorhm  und 
ähnlichen  Ohjeklen,  die  einei’s'eits  durch  eine  Reihe  von  hekauuteu, 
wirksamen  Desinfeklionsverfahren,  Schaden  erleiden,  anderseits 
an  die  Tiefenwirkung  des  zu  desinfizierenden  iVgens  große  An¬ 
forderungen  stellen,  ist,  bisher  weder  durch  die  Vervollkommnung 
des  chemischen  Desiufektionsverfalirens  (Formaldehyd),  noch 
durch  die  Versuche,  das  Dampfdesinfeklionsverfahren  in  ent¬ 
sprechender  Modifikation  heranzüziehen,  einer  hefriedigenden 
Lösung  zugeführt  worden. 

Es  tiahen  deshalh  die  vor  mehr  als  einem  Jahre  veröffent- 
lichfen  Angahen  der  Fl üg gesehen  Schule,  über  die  gute  Hes- 
infeklionswirkung  der  protrabierten  Behandlung  von  Büchern  mit 
trockener  Hitze,  in  Fachkreisen  größere  Beachtung  gefunden 
und  die  Hoffnung  erweckt,  daß  mit  dieser  Methode  die  Schwierig¬ 
keiten  zu  üherwinden  seien. 

B  a  liner  zeigt  in  der  vorliegenden,  lesenswerten  Broschüre 
auf  Grund  zahlreicher,  exakt  angestellter  Untersuchungen,  daß 
keines  der  hisher  angewendelcn  Verfahren  einer  strengen  Kritik 
slandhält.  Hingegen  läßt  sich  nach  Bai  liier  durch  Anwendung 
feuchter  heißer  Luft  (Temperatur  von  95*^0  und  40%  relative 
Feuchtigkeit)  schon  in  vier  Stunden  eine  sichere  nesinfektion 
der  Bücher  erreichen,  wobei  weder  Einbände  noch  Inneres  der 
Bücher  nennenswerten  Schaden  erleiden.  Die  nähere  Beschreihung 
des  ührigens  recht  einfachen  Verfahrens  uiiil  des  zur  Desinfektion 
nötigen  Schrankes  ist  im  Originale  nachzulesen.  Schulärzte,  Bi- 
bliotheksverwaltungen  und  Schulvorstände  sollten  sich  mit  dem 
Inhalte  des  Büchleins,  welches  in  seinem  Schlußkapitel  über  die 
Hygiene  des  Umganges  mit  Büchern  bemerkenswerte  Winke  er¬ 
teilt,  vertraut  machen. 

4 


Klinisches  Jahrbuch. 

BJ.  16,  Heft  1. 

Jena  1906,  Gustav  F  i  s  c  h  e  r. 


Das  vorliegende  erste  Heft  des  XVI.  Bandes  des 
kliniseben  Jabrbuches  enthält  26  Ahhandlungen  aus  der 
Feder  jener  Leiter  und  Mitarheiter  wisisenschafllicher  Insti¬ 
tute  und  hehöitllicher  Zentralen,  die  mit  der  Untersuchung 
und  Bekämpfung  der  im  Jahre  1905  von  Rußland  nach 
Preußen  eingeschlepp ten  C  h  d  1  e  r  a  a  s  i  a  t  i  c  a  betrau  t  waren 
und  bietet  eine  solche  Fülle  bemerkenswerter  Einzelbeiteii, 


daß  das  eingehende  Sludium  des  378  Seiten  starken  Heftes  jeilein 
Arzte,  der  sich  mit  epidemiologischer  Forschung  befaßt,  zur  Pflicht 
gemacht  werden  kann.  Dies  gilt  um  so  mehr,  als  bei  dieser 
Epidemie  zum  ersten  Male  der  ganze  Apparat  der  modernen 
Choleraüiagnostik  und  Prophylaxe  in  umfassender  Weise  mit  dem 
den  preußischen  Sanitätsbehörden  eigenen  wohlgeordneten  Zu- 
•sammengehen  von  Wissenschaft  und  Praxis  in  Tätigkeit  trat  und 
so  reichlich  Gelegenheit  vorhanden  wair,  den  Wert  der  einzelnen 
Maßnahmen  zu  erproben. 

Außerordentlich  helehrend  sind  jene  Schilderungen,  die  sich 
mit  der  Darstellung  des  unndttelhar  nach  dem  Auftreten  der 
zuerst  beohachteten  Fälle  von  Choleraerkrankungcn  unter  den 
die  Weichsel  befahrenden  larssischen  Flößern  errichteten 
Stroniübei'wachungsdienstes  hefassen.  In  kurzer  Zeit  wnirden 
in  I^eußcn  60  Sli-omüberwachungsstellen  errichtet,  auf 
welchen  im  ganzen  173  Aerzle  tätig  waren.  Die  einzelnen 
Autoren  schildern  in  ohjektiver  WTdse,  inwieweit  sich  die 
Durchführung  dieser  Älaßnahmen  bewährte.  Es  erwies  sich 
hier  die  infolge  des  außerordentlich  niedrigen  Bildungsgrades 
der  Flößer  teilweise  undurchführbare  Desinfektion  der  verschie¬ 


denen  Flößeroljjekle  und  der  Dejckte  der  Flößer  vveuiger  wirk¬ 
sam  als  die  strenge  Durchführung  der  Aiizeigepflicld,  sowie  die 
Ueberwachung  des  Absebubes  der  in  die  Heimat  zurückkehrendeu 
Flößer,  welche  z.  B.  an  der  Hauptahfertigung's'stelle  am  oheren 
Teile  der  W^eichsel  hei  Brahemünde  gesammelt  und  in  plombierten 
Eisenbalmwaggons  nach  Alexandrow'o  abgeseboben  wurden. 

Ebenso  wichtig  als  dieser  Ucberwachungsdienst  erwies  sich 
die  in  großem  Alaßstabe  durchgeführte  hakteriologische  Ihiter- 
suchung  der  Dejekte  von  cholerasuspekten  Personen  und  deren 
Umgehung,  durch  die  verschiedenen  staatlichen  und  städtischen 
bakteriologischen  Untersuchungsanstaltcn.  In  dem  . Institute  für 
Infektionskrankheiten  zu  Berlin  allein  wurden  vom  21.  August 
his  18.  November  1905  mehr  als  2600  Einzeluntersuchungen  vor¬ 
genommen,  was  hei  dem  Umstande,  als  die  Zahl  aller  wirklich 
heobachtclen  Cholerafälle  nur  280  erreichte,  für  die  große  Wach¬ 
samkeit  der  Aerzte  und  Behörden  spricht. 

Was  die  Durchführung  der  hakleriologischen  Eidersuchung 
betrifft,  so  richteten  sich  die  Untersucher  durchwegs  nach  der 
vom  28.  Januar  1904  vom  Bundesrate  erlassenen  Anweisung 
zur  Bekämpfung  der  Cholera.  Diese  Anweisung  hat  sich  im  all¬ 
gemeinen  nach  dem  Urteile  der  UntersUcher  sehr  hewährt.  Immer¬ 
hin  ergehen  die  Berichte  manchen  praktischen  Wdnk  für  die  Be¬ 
urteilung  der  kulturellen  jMethoden,  sowie  für  die  Verwertbarkeit 
der  Agglulinationsprohe  und  des  Pfeifferschen  Versuches. 

Mehrere  UntersUcher  sprechen  sich  für  die  Auflassung  der' 
regelmäßigen  Aussaat  des  Materiales  auf  Gelatineplatten  aus,  da 
die  Resultate  dieses  Verfahrens  gewöhnlich  durch  die  gleichzeitig 
eingcleitete  Agarzüchtung  mit  oder  ohne  Peptonwasservorkultur, 
welche  komhiniert  mit  den  biologischen  Methoden  verhältnismäßig 
rasch  zum  Ziele  führen,  üherholt  werden.  Einzelheiten  sind  im 
Originale  nachzulesen. 

Mit  berechtigter  Genugtuung  sagt  Kirchner  am  Schlüsse 
des  das  Werk  einleitenden  Aufsatzes:  ,,Man  geht  wohl  nicht 
fehl  in  der  Annahme,  daß  die  Aufmerksamkeit  und  der  Eifer  der 
bcamleten  und  nicht  heamteten  Aerzte,  die  Tatkraft  der  Behörden 
Und  die  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  Maßnahmen  ergriffen  und 
durchgeführt  wurden,  wesentlichen  Anteil  an  dem  glückliclum 
Ausgange  gehabt  haben.“  Gr  a  ßb  er  gor. 


Aus  i/crsehiedetien  Zeitsehriften. 

294.  Versuche  von  Uehertragung  der  Lepra  auf 
Tiere.  Von  Dr.  P.  V.  Jezierski,  1.  Assistenzarzt  der  medizi¬ 
nischen  Klinik  in  Zürich  (Direktor:  Prof.  Dr.  H.  Eichhorst). 
Da  die  Frage  der  Uobertragbarkeit  der  Lepra  auf  Tiere  noch 
nicht  geklärt  ist,  wurde  an  der  Züricher  Klinik  eine  Serie  ver¬ 
schiedener  Versuche  angestellt,  wobei  das  Uehertragungsmaterial 
einem  mit  hochgradiger  Lepra  tuberosa  behafteten  Knaben  ent- 
noinmen  wurde.  Ein  'gesundes  Meerschweinchen  wurde  in  das 
Zimmer  des  Knaben  gebracht,  der  eitertriefende  Kranke  trug  es 
oft  stundenlang  mit  sich  herum  und  beschäftigte  sich  fortwährend 
mit  demselhen.  Nach  sechs  Monaten  wurde  das  Meerschweinchen 
aus  dem  Zimmer  entfernt,  zwei  Älonate  lang  isoliert  und  hernach 
getötet.  Einem  zweiten  Tiere  (Kaninchen)  wurde  mittels  Wafte- 
tampous  das  Nasensekret  des  Leprösen  in  die  Naseidiöhle  ein¬ 
gerieben.  Das  Tier  bekam  eine  vorübergehende  Koryza  und  ein 
Emphysem  der  Lungen,  aber  Leprabazillen  wurden,  als  das  Tier 
nach  7V2  Monaten  getötet  wuirde,  so  wenig  als  im  ersten  Falle 
gefunden.  Einem  Kaninchen  wurde  in  die  Nervenscheido  des 
bloßigelegten  Ischiadiclis  eitriges  Wuudsekret  des  Leprösen  in¬ 
jiziert,  einem  andeien  Kaninchen  wurden  einige  Kubikzentimeter 
einer  durch  Vesikatoren  gewonnenen,  leprabazilleidialtigen 
Flüssigkeit  subkutan,  einem  Meerschweinchen  dieselbe  Flüssigkeit 
intraperitoneal  eingespritzt,  die  nach  9,  7V-',  resp.  9  Monaten 
getöteten  Tieiu  wiesen  in  ihren  Organen  keine  Leprabazilten  auf. 
Schließlich  wurden  einem  MeeiTSclnveinchen  3  cnP  frisches 
Blut  des  Leprösen  intraperitoneal,  einem  anderen  Tiere  lepra- 
hazillenhaltige  Vesikatoiienflüssigkeit  in  die  Ohrvenen  injiziert 
und  die  Tiere  nach  Älonatcn  getölet.  Resultat  stets  negativ,  sämt¬ 
liche  Organe  enviesen  sich  sowohl  makro-,  wie  mikroskopisch 
durchaus'  normal.  Verf.  berichtet  über  die  zum  Teile  auch  ab¬ 
weichenden  (positiven)  Resültate  verschiedener  Experimentatoren. 
—  (Deutsche  med.  Wochenschrift  1907,  Nr.  16.)  E.  F. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


205.  (Alis  der  Säug]iiigsabl<.‘iluiig  des  llainburgischeii  Waisen- 
baiises.)  Ucber  einen  neuen  Vorschlag  zur  Pb osp bor¬ 
er  nä  lining  und  P  h  o  sp  li  o  r  l  li  e  r  a  p  i  e  im  Kindesaller. 
Von  Dr.  Karl  Manchot.  Die  bislierige  Pbosphorlberapie  in  Go- 
slalt  des  Pbospborlebcrtrans  bat  zwei  bedenkliclie  Pcbelsfilndc. 
Ziinä(disl  geböri  der  clemenlare  gelbe  Phosphor  zu  den  aller- 
slärksten  SLol'fwechsi'Igiflen  lind  zweilens  ist  der  Phosphorleber- 
li'an  unbeständig  und  leicht  zersetzlich,  wodurch  er  seine  Wirk¬ 
samkeit  einbüßt.  Versuche  mit  „Phytin“,  einem  organischen 
Pflanzcnphosphor,  enlsprachen  nicht  den  Erwartungen  des  Ver- 
fasers.  Er  griff  daher  auf  die  phosphorreiclien  Vegelabilien 
zurück,  lim  die  organischen  Phosphorsuhslanzen  für  die  Plniüh- 
rung  aufzuschließcn  und  wählle  den  Hanfsamen  russischer  Iler- 
kiinfl.  Außer  dem  hohen  Phosphorgehalt  enthält  derselbe  nach 
dmi  hisherigen  Analysen  in  grohen  Umrissen  etwa  22%  stick- 
sloffhallige  Suhslanz,  13-ü%  Kohlehydrate,  2G-3%  llohfaser  und 
30  bis  31%  Oel  (Hanföl).  Der  feingemahlene  Hanfsamen  wurde 
ursprünglich  mit  Benzin  entölt,  denn  das  Hanföl  ist  für  die 
Säuglingsernährnng  iinz  weck  mäßig.  Von  den  vereiniglen  Ham- 
hiirger  Oelfahriken  wird  jetzt  ein  präpariertes  Hanfniehl  herge- 
slelll,  das  sich  in  der  praklischen  Anwendung  hestens  hewährt. 
Daraus  bereitet  Verf.  eine  Hanfmehlsuppe  in  folgender  Weise: 
lOÜ  g  enlülles  Hanfniehl  werden  mit  einem  Liter  Wasser  ange- 
rübrt  und  bei  gelindem  Feuer  auf  etwa  250  ciiP  langsam  einge¬ 
engt.  Dazu  sind  iVa  bis  iVi  Stunden  erforderlicb.  Die  Mischung 
soll  eigentlich  nicht  kochen.  Die  Hanfslippe  wird  nun  durch  ein 
feines  Sieh  gegossen,  der  Rückstand  mit  einem  Holzlöffel  sorgfältig 
ausgedrückt.  Die  so  erhaltene  Suppe  enthält  noch  Pflanzen¬ 
fasern,  Schalenreste  und  wird  nochmals  filtriert.  Auf  diese 
Weise  erhält  man  eine  dünne,  milchige,  weißigelbliche  his 
brälinlichgelhe  Suiipe  von  deutlich  sauerer  Reaktion,  die 
angenehm  schmeckt,  aber  einen  leicht  hitteren  Nachge¬ 
schmack  hat.  Von  dieser  Suppe  läßt  der  Vei'fasser  je 
nachdem  30,  40  bis  50  cnp  der  Flasche  des  Kindes  zuselzen. 
Sie  verträgt  sich  mit  allen  ühlichen  Milchmischungen,  auch  mit 
Rulterniilch,  Malzsuppe  und  verliert  dadurch  iliren  Nachgeschmack. 
Bei  Kindern  im  zweiten  Jahre  wird  die  Hanfmehlsipipe  den 
Suppen,  Rj'eien  oder  der  Milch  zugesetzt.  Bisher  ist  dieselhe 
hei  den  auf  vier  Monate  sich  erstreckemlen  Versuchen  von  allen 
Kindern  anslandslos  genommen  worden  und  es  konnten  nicht 
die  geringsten  Störungen  der  Verdauung  oder  des  Allgemein- 
hefindens  beobachtet  Averden.  Im  ganzen  haben  his  jetzt 
101  Kinder  die  Hanfniehlslippe  bekommen.  71  Kinder  standen  im 
ei'slen  Lebensjahre.  Außer  den  Rachitikern  mul  den  Kindern 
mit  spasmophiler  Diathesc  zog  Verf.  zu  diesen  Versuchen  haupt¬ 
sächlich  elende,  schwächliche  und  atrophische  Kinder  heran, 
die  durch  Krankheit  oder  falsche  Ernährung  herunlergekommen 
waren.  Das  Resultat  war  ein  überraschend  günstig(*s.  Schon 
nach  zwei  bis  drei  Tagen  geht  das  KörpergeAvicht  rasch  in  die 
Höhe,  nach  acht  bis  zehn  Tagen  ist  die  V^eränderung  im  Aussehen 
der  Kindel'  auffallend.  Die  fahle  Blässe  der  Haut  und  Schleimhäute 
vei'scliAvindet ;  die  Aveichen,  schlaffen  Muskeln  Averden  fest;  die 
Kinder  werden  frischer  und  munterer.  Während  der  ersten  zehn 
J’age  ist  die  Zunahme  des  Körjiergewichles  ain  slärksten;  Verf. 
sah  Zunahmen  bis  zu  GGO,  ja  bis  720  g  in  zebn  Tagen.  Ebenso 
günstig  Avar  die  Einwirkung  auf  den  Allgenieinzustand  bei  raebi- 
liscben  Kindern  im  ersten  und  im  zAveiten  Lebensjahre.  Anf- 
lällig  war  der  Einfluß  auf  die  Schwiüße  und  auf  die  Anämiig 
sowie  auf  die  Störungen  des  KnochenAvachstums.  Die  Kranio- 
tabes  gebt  zurück;  die  Zabnenlwickhing  kommt  in  Gang.  Audi 
bei  sechs  Fällen  von  Spasmus  glollidiiS  Avar  der  Erfolg  günstig. 
Die  Anlälle  schwanden  nach  sechs  his  acht  Tagen.  Zur  Frage 
nach  der  Natur  der  Avirksamen  Phosphorsuhstanz  des  entölten 
Hanfsamens  bemerkt  Verf.,  daß  anorganische  Phosphate  überbauiit 
nirdit  nachgeAviesen  Averden  konnten.  Der  Phosirhor  ist  zum 
Aveilaus  größten  Teile  als  organisch  gebuiulen  anzunehmen.  In 
wcIcIku'  Vlenge  die  organischen  Phosphorsuhslanzen  des  Hanf¬ 
samens  in  der  nach  des  Verf.  Vorschrift  hereileten  Ihinfmehl- 
suppe  ('iilhalten  sind,  soll  durch  Aveilere  Untei'suchungen  fesl- 
gesbdlt  wei'tlen.  Schon  jidzl  ahm'  möchte  Wu'f.  die  Hanfmehl- 
suppe  allen  Kinderärzten  angelegentlich  innpfehlen.  Zirrn  Schlüsse 
sei  imch  hervorgeboben,  daß  die  HanfrnehJsu])pe  in  früheren 
.lahrhuudei'ten  ein  A\eit  Amrbreitetes  und  beliebtes  deutsches 


Volksnahrungsmiltel  Avai',  das  nirr  in  Vergessenheit  geraten  ist. 

—  (Münchener  rnediz.  Wochenschrift  1007,  Nr.  12.)  G. 

* 

296.  (Aus  dem  Guy  Hospital.)  Ueber  Opsonine  und 
ihre  VAu'Aye  r  I  u  n  g  in  der  praktischen  Medizin.  Von 
Ih'j'bert  French.  Das  Wesen  der  opsonischen  Reaktion,  soivie 
der  Begriff  des  opsonischen  Index  sirul  sehr  anschaulich  ilurch 
folgendes  Beis])iel  illustriert.  Vhm  zwei  Reagenzgläschen  Avird 
das  eine  (A)  mit  frisch  geAvonnenen  Leukozyten,  einigen  Tu- 
herkelbazillen  iiml  dem  Blutserum  der'  Person,  deren  opsonischer 
Index  bestimmt  Averden  soll,  das  zweite  (B),  mit  der  gleichen 
Menge  Leukozyten,  der  gleichen  Menge  Tuberkelhazillen  und  der 
gleichen  Älenge  Blutserums  einer  normalen  Person  beschickt.  Die 
beiden  Rcagenzgläschen  hleiben  nun  gleiche  Zeit  bei  Körper¬ 
temperatur  stehen.  Hierauf  AAmrden  von  dem  Inhalte  beider  Rea¬ 
genzgläschen  Ausstrichiiräparatc  gemacht  und  die  Menge  dm' 
Tuberkelhazillen  gezählt,  die  von  einer  gleichen  Zahl  Leuko¬ 
zyten  gefressen  Avorden  sind.  Wenn  z.  B.  je  100  mit  dem  Serum 
der  Versuchsperson  vermengte  Leukozyten  insgesamt  150  Tu- 
berkelhazillen,  je  100  mit  dem  Serum  einer  normalen  Person 
vermengte  Leukozyten  300  Leukozyten  „gefressen“  liaben,  so 
sagt  man:  Die  opsonische  Kraft  der  Versuchsperson  verhält 
sich  zur  opsonischen  Kraft  einer  normalen  Person,  wie  150:300 
oder,  kürzer  ausgedrückt:  Der  opsonische  Index  der  Versuchs¬ 
person  beträgt  150/300  =  0  5.  Die  Serumgewinnung  für  die 
Anstellung  der  oiisonischen  Reaktion  geschieht  durch  Einstich 
ins  Ohi'läppchen  im  übrigen  ähnlich,  Avie  hei  Anstellung  der 
Gr  Li  her- Wi da  Ischen  Reaktion.  Da  Vei’suche  ergeben  haben, 
daß  es  gleichgültig  ist,  ob  die  Leukozyten  von  einer  gesunden  oder 
kraideen  Person  stammen,  sondern  daß  nur  die  Art  des  Serums 
für  die  Größe  der  Phagozylose  maßgebend  ist,  so  ergibt  sich, 
daß  die  opsonische  Kraft  von  irgend  welchen  im  Blutserum  vor¬ 
handenen  Substanzen  abhängt,  Avelche  eniAveder  die  Leuko¬ 
zyten  oder  die  Bakterien  oder  aber  beide  zusammen  in  der 
Weise  beeinflussen,  daß  eine  größere  oder  geringere  Phagozy¬ 
tose  zustande  kommen  kann.  Es  ist  nun  festgestellt,  daß  d;is 
Blutserum  eine  Vielheit  von  Opsoninen  gegenüber  verschiedenen 
Bakterien  enthält.  Es  gibt  Opsonine  gegenüber  Tuberkelbazillen, 
gegenüber  Slapbylokokken  iisAv.  Dabei  kann  ein  Serum,  welches 
einen  hohen  oiisonischen  Index  gegenüber  Tuberkelbazillen  hat, 
einen  niedrigen  gegenüber  Slaphylokokken  haben  und  umgekehrt. 
Die  Bestimmung  des  opsonischen  Index  hat  süavoIiI  diagnostische 
Avie  therapeutische  Bedeutung.  Wird  z.  B.  einem  gesunden  Indi¬ 
viduum  Vöcoü  nig  Tuberkulin  R  injiziert,  so  fällt  sein  opso¬ 
nischer  Index  für  etwa  zAvei  Tage  ein  Avenig  ah,  steigt  dann  etwas 
über  tlie  Norm  lind;  kehrt  dann  Avieder  zu  dieser  zurück.  Wird 
dieselbe  Quantität  Tuberkulin  R  einem  tuberkidösen  Indi¬ 
viduum  injiziert,  so  fällt  sein  opsonischer  Index  in  beträcht¬ 
lichem  Grade  ah,  bleibt  durch  eine  Woche  oder  länger  niedrig, 
um  dann  allmählich  zur  Norm  ziirückzukehren.  Der  technische 
Ausdruck  für  dieses  Verhalten  lautet:  Die  negative  Phase  des 
opsonischen  Index  gegenüber  Tuberkelbazillen  dauert  beim  Tuber¬ 
kulösen  länger  als  beim  Gesunden.  Wird  nun  bei  einem  Tuber¬ 
kulösen  noch  einmal  Tuberkulin  injiziert,  so  hinge  der  opsonische 
Index  noch  nicht  zur  Norm  aufgestiegen  ist,  d.  h.  Avährend  der 
negaliAmn  Phase,  so  fällt  der  opsonische  Index  noch  mehr  ab  und 
die  negative  Pbase  zeigt  eine  sebr  beträchtliche  Verlängerung. 
Dies  erklärt  nach  Ansicht  des  Verfassers  die  anfänglichen  schlech¬ 
ten  Resultate  Kochs  ebenso  Avie  er  in  der  VT'i'Avendung  so  kleiner 
Dosen  anstatt  größerer  einen  Fortschritt  gegenüber  früher  er¬ 
blickt  II.  zw.  nicht  zum  geringsten  auch  darin,  daß  die  Lokal- 
reaklion  lind  die  Tempera tursleigeriing  nicht  so  ausgeiu'ägt  sind 
und  dem  Patienten  weniger  Unbehagen  verursachen.  Der  Vor¬ 
gang  der  Tuherkulosebehandlung  soll  nun  nach  Verf.  in  jiraxi 
folgender  sein:  Zunächst  Avinl  der  opsonische  Index  der  Vm'- 
suchsperson  gegenüber  Tuberkelbazillen  bestimmt.  Ist  dm'sidbe 
iinterbalb  0-7  oder  oberbalb  1-3,  so  s])richt  dies  mit  höchster 
Wahrscheinlichk<‘il.  für  Tuherkulose  ■ —  hiebei  ist  die  Schulz¬ 
kraft  des  Oj'ganismiis  im  i'j'sten  Falle  niedrig,  im  zwidlen  l''alle 
boeb.  Bei  bohem  oiisonischen  Index  ist  von  der  'ruberkulin- 
behandlung  nicht  viel  zu  erwarten,  da  damit  bewiesen  ist,  daß 
die  Schulzkraft  des  Organismus  ohnedies  hoch  ist  und  Avohl 
scliAverlich  noch  gesteigert  Averden  kann.  1st  jeiloch  der  ojiso- 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


741 


nisclve  Tndox  niodng,  so  wird  V5000  mg  tiiborkidin  R  sub- 
kiilan  iiulor  ase])tisclieii  Kaulelen  iiijizieid.  i>or  opsoiiisclie  Index 
wird  Iderauf  olwa  am  dritten,  siebenten,  viei’zebnten  nnd  sieb- 
zelndeii  'Page  nach  der  Injeklion  l)estiimnt.  Zeigl.  er  keine  neniiens- 
werle  Veränderung,  so  ist  entweder  keine;  'rnberknlose  vortianden 
odor  die  Dosis  muß  erhöbt  werden,  obgleicii  in  <Ien  meisten 
P'ällen  Vr,f)on  mg  genügend  ist.  Die  negative  Phase  geid  nun  meist 
nach  14  'Pagen  zu  Ende  und  nach  drei  Wochen  pflegt  der  opso- 
nisclve  Index  die  normale  Höhe  erreicht  zu  luabem.  Jetzt  wird 
wieder  ^/r.non  mg  injiziert,  der  opsonische  Index  wieder  wie  oben 
kontrolliert  (obgleich  dies  nicht  iininer  nötig  ist.,  da  erfahrungs¬ 
gemäß  die  Plrreichnng  dei'  normalen  Höhe  elienso  lange  Zeit 
nach  der  zweiten  Injektion  erfordeiJ,  wie  nach  der  ersten),  und 
sobald  die  oi)sonische  Ivurv<‘  das  Anfangisnivean  erreicht  hat. 
zum  dritten  Male  injiziert.  Naclvdeni  man  auf  diese  Wedse  die 
individuelle  Reaktionsfähigkeit  des  Patienten  ausprobiert  hat,  kann 
man  die  Injektionen  in  regelmäßigen  Intervallen  ohne  Kontroll(' 
des  opsonischen  Index  wiederholen.  Verf.  hat  mit  dieser  Methode 
in  einer  Anzahl  Fällen  von  Lupus,  tuberkulösen  Ilaulgeschwürcn 
und  Hlasen tuberkulöse  sehr  gide  Erfolge  gesehen.  Er  hetont  aus¬ 
drücklich,  daß  die  spezifische  Hehandlung'von  der  hisher  ühlichen 
unterstützt  werden  muß  und  ihrerseits  ein  mächtiges  Untei- 
slützungsmittel  für  letztere  darsLellt.  Verf.  erwähnt  auch  dia¬ 
gnostisch-therapeutische  Versuche,  die  er  nach  der  opisonischcn 
Methode  mit  Staphylokokken,  Streptokokken,  Gonokokken  und 
Pneumokokken  angeslellt  hat,  doch  hält  er  dieselhen  für  noch 
nicht  spruchreif.  —  (Hritish  medical  Joui'ual,  2.  Febiaiai’  1907.) 

J.  Sch. 

* 

297.  Die  Radiotherapie  der  Syringomyelie.  Von 
Reaujard  und  Lhermitte.  Die  bisherige  Behandlung  der  Sy¬ 
ringomyelie  Avar  eine  rein  symptomatische,  bis  dui'ch  itic  Ein¬ 
führung  der  Röntgenbehandlung  eine  Wendung  eintrat.  Es  zeigte 
sich,  daß  durch  ‘  Radiotheraine  ausgiebige  und  lang  aidialtende 
Resserungen  bei  Syringomyelie  erreichbar  siml,  so  daß  die  Pro¬ 
gnose  günstiger  erscheint.  In  der  Literatur  liegt  bereits  eine 
Reihe  von  Mitteilungen  \mr,  Avelche  sich  über  den  Wert  der 
Radiotherapie  bei  Syringomyelie  in  günsti.gem  Sinne  äußern.  Durch 
die  Radiotherai)ie  ist  auch  ein  tieferer  Einblick  in  die  Pathogenese 
der  Syringomyelie  gewonnen  Avorden,  Aveil  es  sich  zeigte,  daß 
ein  'Peil  der  Symptome  dem  Einflüsse  der  Röntgenstrahlen  zu¬ 
gänglich  ist,  Avährend  andere  Symptome  ein  refraktäres  Verhalten 
zeigen.  Die  Vcifasser  berichten  über  drei  radiotherapeutisch  be¬ 
handelte  Fälle  von  Syringomyelie,  avo  durchwegs  eine  Abnahme 
der  sensorischen,  motorischen  und  trophisidien  Störungen  erzielt 
Avurde.  Resonderes  Interesse  hietet  ein  elf  Monate  lang  behandelter 
Fall  .mit  20  Bestrahlungen,  die  in  einAvöchigen  Irdervallen  vorge¬ 
nommen  Avurden.  Schon  nach  der  .9.  Behandlung  Avar  ein  Rückgang 
der  Sensihilitälsstörungen  nachweisbar,  nach  der  fünften  Sitzung 
zeigten  die  Fissuren  und  GescliAvüre  an  der  rechten  Hand  Ilrilungs- 
tendenz,  linkerseits  Avar  die  Muskelkraft  erlnöht.  Znm  Schlüsse 
der  Behandlnng  konnte  eine  AAmserdliche  Besserung  der  motori¬ 
schen,  sensorischen  und  trophistdien  Störungen  konstatiert  Averden. 
Aluskeln,  Avelchc  bereits  die  elektrische  Erregbarkc'it  (‘ihgehüßt 
hatten,  zeigten  keine  Erholung,  Avohl  al)er  erholten  sich  atrophi¬ 
sche  Muskeln  mit  elektrischer  Erregbarkeit.  Es  Avurde  vorwieg^md 
die  zerAÜkodorsale  Partie  des  Rückenmarkes  bestrahlt,  Avegim 
'Fhermoanalgesie  einer  Gesichtshälfte  und  Hemianalgesio  Avurdo 
auch  die  Medulla  oblongata  einige  Male  bestrahlt,  Avorauf  die 
Erscheinungen  zurückgingen.  Die  Wirkung  der  Röidgenstrahleu 
erstreckt  sich  zunächst  auf  die  gliomatöse  Ncuhildung,  die;  in  ähn¬ 
lichem  Sinne,  Avie  andere  neoplastische  Bildungen  beeinllußit  wird, 
Aveiter  Avirken  die  Röntgenstrahlen  durch  Beeinflussung  der  Zir- 
kulationsAmrhältnisse.  Der  Einfluß  der  Röntgenstrahlen  erstreckt 
sich  auch  auf  die  graue  Suhstanz,  Avelche  der  Ausgangspunkt 
der  verscliiedenen  Sensibilitätsstörungen  bei  Syringomyelie  ist. 
Der  rasclie  Rückgang  von  Paresen  erklärt  sich  aus  der  Aufhebung 
von  Kompressionswirkungen,  destruktive  Läsionen  können  durch 
die  Rördgenstrahlen  nicht  beeinflußt  Avmrden.  Bei  Anwendung 
der  Röntgenstrahlen  in  therapeutischen  Dosen,  Avohei  die  Toleranz 
der  Haut  den  Maßslab  ahgiht,  ist  eine  Schädigung  der  g(‘sundcn 
Elemente  des  Ner\mnsystems,  Avie  sie  durch  exzessive  Bestrahlung 
experimentell  bei  Tieren  erzeugt  AVurde,  nicht  zu  befürchten. 


Es  ist  die  laterale  Bestrahlung  mit  25  cm  Ahstand  der  Aidi- 
kathode  zu  empfehlen,  AAmil  die  Wirhelhogen  für  Röntgenstrahlen 
durchgängiger  sind,  als  die  Dornforlsätze  und  Aveil  bei  Behand¬ 
lung  der  einen  Seile  die  Haut  der  anderem  Seite  geschützt  Averdem 
kann.  Man  setzt,  Avenn  sich  keine  Progression  der  Besseiung 
mehr  zeigt,  die  Bestrahlung  ans.  —  (Sem.  ined.  1907,  Nr.  17.) 

a.  e. 

* 

29(S.  (Aus  <ler  Klinik  Chrohak.)  Ueher  Füttejoing  mit 
0  V  a  r  i  a  1  s  u  h  s  I  a  n  z  z  u  rn  Z  av  ecke  der  B  e  e  i  n  f  1  n  s  s  u  n  g  d  e  r 
Ges  c  h  1  e  c  h  I  s  h  i  1  d  u  n  g.  Eine  expei  imetdelle  Studie  von  Privat 
doz(ml.  Dr.  H.  Peham.  Nach  einer  sehr  interessanten  Uebersichl 
über  die  verschH;denen  'Pheorien  und  Versuche  um  die  Gx'schlechts- 
licslimmung  zu  beeinflussen,  berichtet  Peham  über  die  von  ihm 
vor, genommenen  systematischen  Fütterungsversuche  an  Kaninchen 
mit  Üvarialsuhstanz,  Avohei  von  dem  G('danken  ansgegangen 
wurde,  daß  die  Plinverleibnng  von  Ovarialsubstanz  Einfluß  auf 
die  Geschlechtsstärke  <les  'Tieres  und  damit  auf  die  Geschlechts- 
hestimmung  der  Nachkommen  haben  keinne.  Die  ansgedehiden 
Versuche  ergal)en,  daß  es  nicht  möglich  Avar,  durch  Fütteiaing 
mit  Ova,iiafs’ul)stanz  die  Bildung  und  Ausscheidung  von  Eizellen 
zu  begünstigen,  Avenn  man  bereits  im  Ovar  gescblechtlicb 
.  differenzierte  Arten  annimmt,  Avie  es  auch  nicht  gelang,  (une 
Aenderung  der  Geschlechtsstärke  des  Tieres  zu  erzielen  und  da¬ 
durch  das  Geschlecht  der  Nachkommen  zu  beeinflussen.  Auf 
die  Ergebnisse  der  Versuche  legt  V^erf.  um  so  mehr  GeAvicht,  da 
es  sich  hier  um  die  Einverleibung  großer  Mengen  von  Ovai'ial- 
substanz  handelte,  die  noch  dazu  von  artgleichen  Individuen 
genommen  Avar.  —  (Monatsschrift  für  Gehurtshilfe  und  Gynäko¬ 
logie,  Bd.  XXV,  H.  4.)  ,  E.  V. 

^  1 

299.  B  e  m  e  r  k  n  n  gen  zur  Diagnose  u  n  d  Behand¬ 
lung  der  Zystitis  und  Pyelitis  im  Kindesalter.  Von 
Priv.-Doz.  Dr.  Leo  Langstein,  Oberarzt  an  der  Universitäts- 
Kinderklinik  der  kgl.  Charite.  Bei  unaufgeklärten  Krankheits- 
zuständen  im  Kindesaller  ist  die  Urinuntersuchung  unerläßlich. 
Du]‘ch  Vorlegen  von  mit.  Heftpflaster  zu  befestigenden  Erlcnmeyer- 
kölbchen  sind  auch  hei  Säuglingen  Harnproben  in  frischem  Zu¬ 
stande  zu  geAvinnen.  Unruhe,  Blässe,  Mattigkeit,  Appetitlosigkeit 
sind  hier  oft  die  einzigen  Symptome  von  seiten  einer  erkrankten 
Blase,  eine  täglich  dreimal  vorgenommene  Temperaturmessung 
lehrt,  daß  der  normale  Verlauf  durch  einige  subfebrile  Steige¬ 
rungen  nnterbroeben  Avird.  Von  solcben  schleichend  verlaufenden 
Zystitiden  führt  eine  Reihe  von  Uebergängen  zu  akuten  und 
scliAAmren  Formen.  Da  sleigt  die  'Pemperatnr  schon  auf  40  Grade 
und  darüber,  das  Kind  äußert  Schmerzen  (Anziehen  der  Beine, 
lautes  Geschrei),  zumal  heim  Aufsetzen,  die  Gesichtsfarbe  ist 
blaß,  in  vorgeschrittenen  Pallen  fahlhlaß.  In  ganz  schAveren 
Fällen  auch  Nackensteifigkeit  —  Verwechslung  mit  Menitigitis 
möglich.  Der  frische  Urin  ist  trübe,  enthält  zumeist  Kolibakterien, 
ist  sauer  und  eiAAmißh>THig.  Die  iPrübung  ist  bedingt  durch  Eilej'- 
keärperchen,  oft  sind  viele  Bakterien  Amrhanden.  Die  sauere  Re¬ 
aktion  .spricht  für  Kolizystitis,  die  alkalische  Plarnreaktion  für 
die  septische  Form  (Staphylo-  und  Streptokokken;  bei  letzterer 
ist  der  Verlauf  ein  malignerer,  die  Beimischung  von  Blut  häufiger. 
Bei  Pyocyaneus-Zystitis  (Pyocyaneus-Sepsis)  sind  Blutungen  auf 
der  Haut  zn  sehen.  Die  Blasenentzündung  kann  schließlich  auch 
durch  den  Diphlheriel)azillus  bedingt  sein  (spezifische  Therapie!). 
1st  die  Nierengegend  druckempfindlich,  so  Avird  man  an  ein  Uebcu'- 
greifen  der  Entzündung  auf  das  Niereidjecken  denken,  sicher 
ist  diese  Annahme,  A\mnn  sich  Fu’brechen  und  Durchfälle  hiuzu- 
gesellen,  AAmnn  der  Eiwmißgehalt  steigt,  der  spärliche  Harn  auch 
Zylinder  und  andere  Nierenelemente  enthält.  Die  Zystitis  kommt 
bei  Aveiblichen  Kindern  häufiger  vor,  die  Pyelitis  der  iUteren 
Mädchen  ist  nicht  so  selten.  Zur  Behandlung  empfiehlt  Verfasser 
das  Utropin.  Säuglingen  gibt  man  von  einer  Löisnng  1  bis  3  g 
auf  100  g  Wasser  dreimal  täglich  10  enU  in  der  Milch,  älteren 
Kindern  Dosen  bis  zu  1-5  g  pro  die.  Auch  Salol  ist  recht  Avirk- 
sam.  Bei  Säuglingen  viermal  täglich  01  bis  0-3  g,  hei  älteren 
Kindern  viermal  0-5  g.  Die  Spülung  der  Blase  hat  geringeren 
Erfolg.  Bei  stai'ken  Schmerzen  Kataplasmen  und  Narkotika. 
Reichliche  Zufuhr  von  Flüssigkeiten  (Molken,  Fruchtlimonade, 
Mandelmilch,  alkalische  Wässer,  Bärentraubenzuckertee)  bei 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  24 


älteren  Kindern,  ebenso  reizlose  Diät  (Milchspeisen  und  Vege- 
tabilien).  Heilung  nach  einigen  Wochen.  —  (Therap.  Monats¬ 
hefte  1907,  Heft  5.)  E.  F. 

*  I 

300.  (Aus  dem  evangelischen  Diakouissenkraukenhause  in 
Witten.)  Die  Hehandl'ung  des  Unterleibstyphus  mit 
Pyi’Jmiidon.  Von  Dr.  Bruno  Leick,  Chefarzt  der  inneren  Ah- 
leiliing.  Verf.  räumt  dem  Pyramidon  Ijei  der  Behandlung  des 
Unterleihslyph'us,  abgesehen  von  Pflege  und  Diät,  die  erste  Slelle 
ein.  Es  leistet  seines  Erachtens  mehr  als  die  üldiche  Bäderhehand- 
lung.  Verf.  läßt,  nach  Valentins  Vorschriften,  alle  zwei  Stmi- 
den,  Tag  und  Nacht,  10  cm^  einer  2"/oigen  (hei  Kindern  l®/oigen) 
Lösung  gehen.  Nur  in  seltenen  Fällen  war  er  genötigt,  3”/oige 
Lösungen  zu  verordnen.  Der  Patient  erhält  also  im  allgemeinen 
alle  zwei  Stunden  0-2  Pyramklon.  j\uf  die  zweistündliche  Ver¬ 
abfolgung  ist  der  Hauptnachdruck  zu  legen.  Die  profusen 
Schweiße,  über  die  von  eiiizelnen  Autoren  geklagt  wird,  pflogen 
meist  nur  im  Anfänge  der  Behandlung  aufzutroten.  Wird  die 
Temperatur  durch  regelmäßige  Gaben  niedrig  gehalten,  fehlen  die 
lästigen  Schweiße  meist  ganz.  Jedesmal  vor  dem  Eingehen  läßt 
Verf.  die  Temperatur  messen.  Ist  sie  unter  30**  gesunken,  so 
wird  das  Mittel  ausgesetzt.  Zeigt  sich  nach  zwei  Stunden  wieder 
ein  Ansteigen  der  Temperatur,  wird  Pyramidon  wieder  gegeben. 
Wie  lange  es  gegeben  werden  muß,  hängt  von  dem  einzelnen  Falle 
ah.  Irn  allgemeinen  verfährt  Verf.  in  der  Weise,  daßi  er,  wenn  die 
Kranken  längere  Zeit  unter  37°  geblieben  sind,  probeweise  alle 
drei  Stunden  die  Arznei  geben  läßt.  Bleibt  die  Temperatur 
dauernd  unter  37°,  wird  am  nächsten  oder  übernächsten  Tage 
alle  vier  Stunden,  dann  alle  sechs,  alle  acht,  alle  zwölf  Stunden 
gegeben  und  schließlich  ganz  ausgesetzt.  In  dieser  Weise  hat  er 
eine  erhebliche  Anzahl  von  Typhuskranken  behandelt  und  es 
niemals  bereut.  Die  Bäderbehandlung  hat  er  ganz  verlassen. 
Denn  nach  des  Verfassers  Erfahrungen  leistet  die  Pyramidon- 
behandlung  bedeutend  mehr  als  die  Bäderbehandlung.  Der  Ein¬ 
druck  des  Kranken  ist  ein  solcher,  daß  man  ihn  gar  nicht  für 
einen  Typhuskranken  hält.  Keine  Benommenheit,  keine  Delirien, 
keine  A])alhie!  Die  Wirkung  des  Pyrarnirlons  äußert  sich  zunächst 
im  schnellen  i\bfallen  der  Temperatur.  Von  40°  und  mehr  auf 
30°,  ja  auf  35°.  Durch  konsequentes  Weitergeben  des  Mittels 
gelingt  es  in  den  meisten  Fällen,  die  Temperatur  dauernd  unter 
37°  zu  halten,  ln  schweren  Fällen  wird  man  sich  der  3°/oigen 
Lösung  bedienen  müssen.  Gleichzeitig  mit  der  Temperatur  geht 
<ler  Puls  herab,  meist  80  bis  90  Schläge  in  der  Minute.  Nie 
konnte  Verf.  eine  schädigende  Wirkung  auf  das  Herz  konsta¬ 
tieren.  Vor  allem  wird  das  Sensorium  frei;  nicht  immer  am 
ersten  Tage,  aber  doch  am  zweiten  oder  dritten.  Die  stärkste  Be¬ 
nommenheit  und  Delirien  weichen  in  einigen  Tagen  der  Pyra- 
midonbehandlung.  Meist  stellt  sich  bald  guter  Appetit  ein,  so  daß 
man  Mühe  hat,  die  Kranken  bei  flüssiger  Kost  zu  erhalten.  Eine 
.Abkürzung  des  Krankheitsverlaufes  konnte  nicht  konstatiert  wer- 
ih'ii.  Schäilliche  Nebenwirkungen  hat  Verf.  nicht  beobachtet.  Bis- 
weileir  üült  Erbrechen  auf.  Der  Urin  zeigt  oft  im  Beginne  der 
Behandlung  eine  stark  rötliche  Färbung.  Diese  rührt  von  der 
.Anlipyriiikomponeide  des  Pyiamjdons  her.  Eine  Schädigung  der 
Nieren  wurde  niemals  beobachtet.  In  den  letzten  vier  Jahren 
hat  Verf.  auf  seiner  Abteilung  113  Fälle  von  mitunter  sehr 
schweiem  Ty])hus  behandelt.  Es  starben  elf;  von  diesen  fünf 
bald  nach  der  Einlieferung.  Es  bleiben  somit  108  PTQle  mit  sechs 
Toten.  Ein  durchaus  günstiges  Resultat,  das  nicht  ausschließilich 
der  Pyramidonwij'kung  vom  Verf.  zugeschrieben  wird,  weil  er 
anfangs  noch  die  Bäderbehandlung  zuzog.  Jedenfalls  wünscht 
Vei-f.  dem  Pyramidon  bei  der  Typhusbehandlung  mehr  Beachtung 
als  bisher.  Nur  muß  es  konsequent  alle  zwei  Stunden,  Tag  und 
Nacht,  angewendet  werden.  Nur  dann  ist  ein  guter  Erfolg  zu  er¬ 
warten.  —  (Münchener  mediz.  Wocdienschrift  1907,  Nr.  12.)  (.J. 

* 

301.  Ueber  die  diagnostische  Bedeutung  der  In- 
dikanurie.  Von  B.  J.  Slowlzöw.  Das  Indikan  stammt  be¬ 
kanntlich  in  letzter  Linie  aus  den  Eiweißkörpern.  Durch  die 
Wirkung  <‘iweißspaltender  Enzyme  entsteht  nämlich  aus  letzteren 
das  '1  i7iiloj»han,  aus  dhisem  durch  die  Einwirkung  von  Wass('r- 
stoff  in  statu  nascemli  —  Indol  und  «- Aminopro])iO'nsäure.  Das 
Indol  wird  —  vorwiegend  durch  die  Leber  zu  Indoxyl  o.xydiert 


und  dieses  dann  zu  Indoxylschwefelsäure  oder  Indoxylglykuron- 
iSäure  gepaart.  Das  Indikan  ist  indoxylschwefelsaures  Kali.  Der 
Nachweis  desselben  beruht  darauf,  daß,  qs  durch  Spaltung  uiul 
Oxydation  in  Imligo  umgeAvandelt  wird.  Es  gibt  nun  drei  Möglich¬ 
keiten  der  In’dikanbildung :  1.  durch  die  Eiweißzersetzung  im 
Darme;  2.  durch  die  Eiweißzersetzung  in  Eiterherden  und  3.  durch 
Eiweißzerfall  im  inlennediären  Stoffwechsel.  Slowlzöw  gibt 
nun  eine  Anzahl  wertvoller  Anhaltspunkte,  um  im  speziellen 
Falle  die  Quelle  der  Indikanbildung  zu  eruieren,  von  denen  die 
wichligisten  folgende  sind.  Bei  Indikanurie  intestinalen  Ursprunges 
ist  die  Menge  mittelgroß,  sie  erreicht  ihr  Maximum  vier  bis 
fünf  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme,  Milchdiät,  speziell 
saure  Milch  hat.  eine  Verminderung  der  ausgeschietlenen  Indikan- 
menge  zur  Folge,  ebenso  die  Verabreichung  von  Magisterrum 
Bismulhi,  dagegen  bewirkt  die  Verabreichung  von  alkalischen 
Wässern  Steigerung  der  Indikanurie.  Bei  Indikanurie  pyogenen 
Ursprungs  ist  die  Menge  des  Indikans  groß,  erreicht  ihr  Maximum 
am  Abend,  ist  unabhängig  von  der  Zeit  der  Nahrungsaufnahme, 
unabhängig  ferner  von  Milch-,  Wismut-  und  Alkalidarreichung, 
geht  dagegen  nach  Eröffnung  des  Eiterherdes  zurück,  ln  den 
Pallen,  avo  das  Indikan  in  den  Körperzellen  selbst  .gebildet  Avird, 
Avie  z.  13.  bei  Hunger,  Kachexie,  Oxalurie  etc.  (Blumenthal 
und  Rosenfeld,  SalkoAvsky  und  Weiß,  Concetti,  W  e- 
sener  u.  a.)  zeigt  die  Ausscheidungskurve  des  Indikans  folgende 
Charakteristika:  Die  Menge  ist  nicht  gering,  die  Ausscheidung 
erfolgt  gleichmäßig,  ist  unabhängig  von  Wismutdarreichung, 
Milch,  saure  Milch  und  alkalische  Wässer  vermindern  die  Indikan- 
menge.  Verf.  schließt  seine  interessanten  Darlegungen  init  dem 
lliiiAveisc,  daß  quanlilati\m  Indikanbestiminungen  uns  in  kom- 
pliziej'ten  Fällen  inanchen  guten  differentialdiagnostischen  An¬ 
haltspunkt  liefern  können.  —  (Russkij  Wratsch  1907,  Nr.  '7.) 

J.  Sch. 

* 

302.  Ueber  den  plötzlichen  Tod  im  K i  n d e s a  1 1 e r. 
Von  L.  Cheinisse.  Das  Vorkommen  plötzlicher  Todesfälle  im 
Kindesalter  Avird  gewöhnlich  auf  Thymushypertrophie  zurückge¬ 
führt,  ohne  daß  diese  Annahme  auch  durch  entsprechende  Be¬ 
funde  genügend  unterstützt  Aväre.  Der  vor  längerer  Zeit  be¬ 
hauptete  Zusammenhang  zAvischen  Laryngospasmus  und  Hyp(u-- 
trophie,  das  Asthma  thymicum,  AAUirde  vielfach  Aviderlegt,  doch 
sind  gerade  in  neuerer  Zeit  einige  zugunsten  des  Zusammen¬ 
hanges  sprechende  Beobachtungen  publiziert  Avorden.  Man  hat 
die  Plyperplasie  des  Thymus  auch  nicht  als  direkte  Ursache  plötz¬ 
licher  Todesfälle  im  Kindesalter,  sondern  als  Teilerscheinung  des 
Status  lymphaticus  hingestellt.  Der  Status  lymphathicus,  eine 
Hyperplasie  des  gesamten  Lymphapparaies  des  Organismus,  sollte 
durch  Ernährungsstörungen  die  Ilerzzeniren  in  dem  Grade  schä¬ 
digen  können,  daß:  selbst  unbedeutende,  Anlässe  einen  plötzlichen 
Herzstillstand  herbeizuführen  imstande  sind.  Es  zeigt  jedoeb  die 
Ph'fahrung,  daß  Hyperplasie  des  Lymphapparaies  im  Kindesalter 
ein  häufiges  Vorkommnis  ist,  so  daß  der  Befund  auch  bed  plötz¬ 
lich  Amrstorbenen  Kindern  sich  ergeben  kann,  anderseits  Avurde 
bei  plötzlichen  Todesfällen  bloße  Thymushy])ertrophie  ohne  jedes 
Anzeichen  eines  Status  lymphaticus  beobachtet.  Der  Mechanismus 
des  plötzlichen  Todes  bei  Thymushypertrophie  Avird  in  verschie¬ 
dener  Weise,  durch  Kompression  der  Trachea,  des  Nervus  vagus, 
oder  der  großen  Halsgefäße  erklärt.  Es  ist  zwar  das  Vorkommen 
einer  Abplattung  der  Trachea  bei  Thymushypertrophie  erwiesen, 
doch  ist  eine  mechauische  Erklärung  des  plötzlichen  Todes  durch 
Kompression  der  Trachea  nicht  haltbar,  AAmil  die  charakteristi¬ 
schen  Erscheinimgen  der  Asphyxie  bei  den  idötzlichen  Todes¬ 
fällen  ganz  fehlen  und  nur  ausnahmsAveise  kleine  kikchymosen 
gefunden  Averden.  Eine  andere  Theorie  bezieht  sich  auf  die  interne 
Sekretion  der  Thymus  und  nimmt  an,  daß  tlie  Ueberladung  d<'s 
Blutes  mit  Thymussekjet  eine  extreme  In ilabiliiät  des  Nerven¬ 
systems  hervorruft,  Avelche  selbst  bei  geringfügigen  Anlässen  auf 
reflektorischem  Wege  eine  tödliche  Synkope  hervorruhm  kann. 
Der  gleiche  Inhibilionsmechanismus  trifft  aber  auch  für  Fälhi 
zu,  Avo  keinerlei  Anzeichen  einer  Thymushypertrophie  nachweis¬ 
bar  Avaren.  Das  familiäre  Vorkommen  plötzlicher  'Todesfälle  im 
Kindesaller  bei  BlutsA'erwandts(diaft  und  Alkoholismus  d('r  Eltern 
führt  eher  zur  Annahme,  daß  darin  eine  Manifesüition  schwerer 
neujopalhischer  Belastung  zu  erblicken  ist.  Unter  dem  Einflüsse 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


743 


der  heiTschemlen  Lehre  von  der  Thynuishyperlroplne  als  TJrsaclie 
plötzlicher  Todesfälle  ini  Kindesaller,  hegnügt  man  sich  öfler 
mit  einer  oherflächlichen  Insi)eklion  der  Brustorgane,  wobei  über¬ 
sehen  wrd,  daß  trotz  makroskopisch  anscheinend  normaler  Be¬ 
schaffenheit  des  Herzens  das  Myokard  schwere  Vei'äiiderungon 
aufweisen  kann.  Plötzliclie  Todesfälle  im  Kindesalter  können 
auch  mit  hereditärer  Syi)hi!is,  Tuherkulose,  chronischen  Intoxi- 
kalioncn,  solche  in  den  Tagen  nach  der  Gehurt  mit  verzögertem 
Gehnrlsakt  oder  pathologischen  Zuständen  der  Mutter  Zusammen¬ 
hängen.  —  (Sem.  med.  1907,  Nr.  IG.)  a.  e. 

303.  (Aus  dem  Frauenkrankeninstitute  Charite,  Wien.) 

Ueher  Blulungen  am  Beginne  der  Pubertät.  Von 
J.  Fischer.  Fischer  berichtet  über  zwei  Fälle  seiner  Praxis, 
in  denen  es  sich  um  junge  Mädchen  von  12  und  14  Jahren  han¬ 
delte,  die  an  abundanten,  das  Leben  bedrohenden  Blutungen 
aus  dem  Genitale  litten.  In  beiden  Fällen  gelang  es  nach  mannig¬ 
fachen  therapeutischen  Maßnahmen,  durch  Kürettage,  die  Blu¬ 
tung  zum  Aufhören  zu  bringen,  doch  erlag  der  zweite  Fall  bald 
einer  Epistaxis.  Nach  Fischer  handelte  es  sich  in  beiden 
Fällen  keineswegs  um  Prozesse  lokaler  Natur,  sondern  vielmehr 
um  Blutungen  aus  dem  Uterus,  welche  im  ersten  Falle  durch 
Hämophilie,  im  zweiten  Falle  durch  Morbus  maculosus  Werl- 
hofii.  Den  Fall  von  Hämophilie  machen  noch  einige  Momente 
interessanter.  Zunächst  trat  hier  die  Hämophilie  bei  einem  weib¬ 
lichen  Individuum  auf,  während  ihr  Vorkommen  beim  weiblichen 
Geschlechte,  das  zwar  als  Konduktor  der  Erkrankung  angesehen 
wird,  strittig  ist.  Ferner  fehlte  die  Heredität  und  die  für  Hämo- 
'philie  charakteristischen  Gelenksanschwellungen;  schließlich 
gingen  faustgroße  Koagulis  ab,  was  mit  beweist,  daß  die  frühere 
Ansicht,  mangelhafte  Gerinnbarkeit  des  Blutes  als  für  Hämophilie 
charakteristisch  anzusehen,  falsch  ist.  —  (Monatsschrift  für  Ge- 
hurlshilfe  und  Gynäkologie,  Bd.  XXV,  H.  4.)  E.  V. 

Jic 

304.  Ueher  die  Heilbarkeit  des  Magenkrebses 
auf  operativem  Wege.  Von  Theodor  Kocher  in  Bern. 
Bis  zum  1.  Februar  1907  hat  Verf.  122  Resektionen  des  Magens 
ausgeführt,  lieber  die  ersten  97  Fälle  hat  Dr.  Matti,  1.  Assistenz¬ 
arzt  der  Klinik,  bereits  ausführlich  referiert,  seither  hat  Verf.  also 
weilere  25  Fälle  operiert,  einmal  wegen  Ulkustumor,  24mal  wegen 
Krebs.  Die  Indikationen  zur  Operation  wurden  in  den  letzten 
Jahren  weiter  gesteckt,  daher  die  Zunahme  der  Zahl  der  Ope¬ 
rationen.  aber  auch  der  günstigeren  Resultate  in  den  nicht  kompli¬ 
zierten  Fällen.  Matti  hat  in  den  ersten  97  Fällen  eine  Mor¬ 
talität  von  17-7 To  berechnet,  von  den  letzten  25  Fällen  der 
abgelaufenen  2V2  Jahre  starben  vier,  was  eine  Mortalität  von 
16 To  ergibt.  Bei  diesen  vier  Todesfällen  handelte  es  sich  zweimal 
um  Nachoperation  von  anderwärts  ohne  Erfolg  chirurgisch  be¬ 
handelter  Fälle,  wobei  schwere  Komplikationen  bestanden,  über¬ 
dies  waren  die  Erkrankungen  sehr  weit  vorgeschritten,  so  daß 
die  Operation  nur  noch  als  ein  Versuch  zur  Linderung  der  starken 
Beschwerden  unternommen  wurde.  Von  19  unkomplizierten 
Magenresektionen  ist  kein  einziger  gestorben.  „Wir  dürfen  also 
sagen,  daß  wir  zur  Stunde  mit  der  Technik  der  typischen  Magen- 
reseklion  soweit  gediehen  sind,  daß  die  operative  Mortalität  auf 
Null  gesunken  ist.“  Hauptsache  ist,  das  Leiden  in  seinen  Anfangs¬ 
stadien  richtig  zu  erkennen.  Zur  Feststellung  eines  Tumors  mache 
man  sich  die  Untersuchung  in  guter  Narkose  zunutze.  Sodann 
achte  der  Arzt  darauf,  daß  es  keinen  chronischen  Magenkatarrh 
gibt,  ohne  daß  man  bestimmte  Ursachen  (verkehrte  Diät,  Äliß- 
brauch  von  iVlkohol,  von  Medikamenten,  Störungen  der  Zirku¬ 
lation  seitens  der  Leber,  des  Herzens,  Allgemeinerkrankuiigen, 
ganz  besonders  mechanische  Ursachen  als  Folgezuslände  früherer 
Erkrankungen  usw.)  für  das  Fortbestehen  der  chronischen  Ent¬ 
zündung  nachweisen  kann.  Im  weiteren  bespricht  Verf.  eingehend 
die  zum  Zwecke  der  Frühdiagnose  eines  Magenkrebses  ersonnenen 
und  vielfach  auch  mit  Vorteil  geübten  neueren  Viethoden  der 
Untersuchung,  die  Vlagcnausheberung  zur  Prüfung  der  Ver¬ 
dauungsfunklion  und  des  Säuregehaltes,  die  ,, okkulten  Blutungen“ 
(Boas),  den  Eiweißiiachweis  in  der  Sitülfiüssigkeit  des  nüch¬ 
ternen  Viagens,  nachdem  Eiweißkost  ausgesetzt  ist  (Salomon) 
u.  a.  m.  Von  den  122  Fällen  des  Verfassers  läßt  er  alle  Fälle 
aus,  welche  weniger  als  drei  Jahre  zurückliegen  und  auch  zwei 


Fälle,  welche  sich  auf  bloße  Ulkustumoren  beziehen,  so  bleiben 
95  Operaliojien  der  Statistik  von  Dr.  Vlatli.  Von  diesen  leben 
zur  Stunde  noch  im  besten  Wohlsein  dreizehn  Operierte 
laut  neuesten  Nachrichten.  Eine  Operierte  starb  neun  Jahre 
später  an  Lungcnluherkulose,  ohne  Rezidiv  (Autopsie);  von  fünf 
weiteren  Fällen  Ichten  zwei  noch  fünf  und  sechs  Jahre,  ein 
Fall  starb  nach  drei  Jahren  an  einer  interkurrenten  Krankheit, 
ein  Fall  nach  drei  Jahren  durch  Ertrinken  und  eia  Fall  (rezidiv¬ 
frei)  durch  Perfoj'ation  eines  Vlurphyknopfes  nach  einem  Jahre 
und  zwei  Monaten.  Zusammen  sind  es  also  17  Fälle,  welche  nach 
drei  Jahren  und  darüber  nichts  vom  Rezidiv  darboten  und  18, 
bei  welchen  Rezidivfreiheit  über  drei  Jahre  oder  durch  Autopsie 
innerhalb  dieser  drei  Jahre  nachgewiesen  ist  =  eine  Radikal¬ 
heilung  von  18-3iTo  über  drei  Jahre,  resp.  19-3 To  Rezidiv¬ 
freiheit.  Der  älteste  Operierte  lebt  jetzt  19  Jahre  seit  der  Ope¬ 
ration  im  besten  Wohlsein,  ein  Vlann  zehn  .Jahre,  drei  leben 
acht  .Tahre;  einer  lebt  sieben,  einer  lebt  sechs,  drei  leben  vier 
Jahre  nach  der  Operation.  Wenn  man  alle  nach  der  Kocher- 
scheu  Methode  von  Anfang  an  operierten  Fälle,  einfache  und 
komplizierte,  zusammenrechnet,  so  erhalten  wir  92  Fälle  mit 
14  Todesfällen  =  15-2;To  Vlortalität.  Von  den  Radikalhcilungen 
sind  bis  auf  drei  alle  nach  der  Ko  eher  sehen  Viethode  operiert 
worden.  —  (Korrespondenzbl.  f.  schweizer.  Aerzte  1907,  Nr.  9.) 

E.  F. 

* 

305.  (Aus  dem  Vale  of  Clwyd- Sanatorium  in  Ruthin.  Nord- 
Wales.)  Ueher  i\myl nitrit  hei  Hämoptysie.  Von  George 
A.  Grace- Calvert.  Verf.  hat  in  22  Anfällen  von  Hämoptysie 
bei  fünf  Palienten  durch  Anwendung  von  Amylnitrit  durchweg 
prompte  Wirkung  erzielen  können.  Er  zieht  dieses  Vlittel  für 
akule  Lungenblutungen  allen  anderen,  wie  Vlorphiu,  Ergot'n,  Adre¬ 
nalin  und  Kalziumsalzen  vor  und  pflegt  immer  drei  Kapseln 
mit  Amylnitrit  bei  sich  zu  tragen.  Die  Wirkung  ist  angesichts  der 
allgemeinen  Annahme  von  dem  vasodilatatorischen  Effekt  desAmyl- 
nitrits  nicht  vollkommen  klar,  obgleich  F.  Hare  behauplet,  daß  sich 
durch  Amylnitrit  im  Tierexperimente  eine  direkte  Anämisierung  der 
Lunge  erzielen  läßt.  Doch  selbst,  wenn  dies  nicht  der  Fall  wäre, 
so  könnte  man  sich  vorstellen,  daß  durch  die  ßlutgefäßenvei- 
terung  im  Splanchnikusgehiet  sich  so  bedeutende  V'Iengen  Blutes 
in  den  Gefäßen  der  Eingeweide  ansammeln,  daß  eine  relative 
Anämie  der  anderen  Organgehiete  eintritt.  Nach  Einatmung  des 
Amylnitrits  steht  die  Blutung  nach  kürzester  Zeit  und  es  werden 
nur  noch  Koagula  von  Blut  ausgehustet,  welches  vor  Anwendung 
des  Vliftels  ausgeströmt  war.  Nachl)lutungen  durch  nachträgliche 
Gefäßerweiterungen  kommen  bei  Amylnitrit  im  Gegensätze  zu 
Adrenalin  nicht  vor.  Ein  weiterer  Vorzug  besteht  nach  dem  V^er- 
fasser  darin,  daß  durch  das  Amylnitrit  der  Husten  nicht  zum 
Stillstand  kommt,  und  die  Gefahr  des  Liegenbleihens  der  Blut- 

koagula  vermieden  wird.  —  (Lancet  1907,  6.  April.)  J.  Sch. 

* 

306.  Ueher  Vlilz  brand  und  seine  Behanlung.  V"on 
San. -Rat  Dr.  Barlach,  dirigierender  Arzt  des  städt.  Kranken¬ 
hauses  in  Neumünster.  Verf.  hat  seit  dem  Jahre  1906  zehn  Fälle 
von  Vlilzbrand  in  Behandlung  gehabt.  Was  die  Behandlungsweise 
anbelangt,  machte  er  früher  nur  Inzisionen  mit  antiseptischen 
Umschlägen  und  gab  Kognak  oder  Wein,  sowie  Kampfereinsprit¬ 
zungen.  Da  der  Erfolg  kein  befriedigender  war,  ging  er  zu  folgen¬ 
der  Behandlung  über:  Um  die  Pustel  Avird  durch  Punktionen 
mit  dem  Thermokauter  eine  tiefe  Rinne  hergestellt,  die  Pustel 
durch  einen  Querschnitt  mit  dem  Vlesser  tief  gespalten,  größere 
Oedeme  durch  ausgiebige  Inzisionen  entspannt,  kreisförmig  in 
näherer  oder  weiterer  Entfernung  von  der  Pustel  Einspritzungen 
von  Jodtinktur  gemacht.  Umschläge  mit  Sublimatlösung  über 
Pustel,  Oedem  und  Erysipel  —  nach  Bedarf  Kampfereinspi'itzungen 
und  Kognak.  Die  ganze  Pi’ozedur  dauert  wenige  Minuten  und 
scheint  nicht  besonders  schmerzhaft  zu  sein.  Der  Erfolg  dieser 
Behandlung  war  ausnahmsweise  ein  überraschendei'.  Todesfälle 
sind  , seitdem  Verf.  in  dieser  Weise  verfährt,  nicht  mehr  vor¬ 
gekommen.  Durch  diese  Behandlungsmethode  wird  erreicht: 
1.  Erhebliche  Herabsetzung  der  Gefahr.  2.  Wesentliche  Abkürzung 
der  Krankheitsdauer  und  da-niit  zugleich  der  Erwerbsunfähigkeit 
in  schweren  Fällen.  3.  Eine  Beruhigung  der  Arheiler  und  4.  Ver¬ 
anlassung,  daß  die  Erkrankten  nicht  erst  längere  Zeit  an  sich 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


heriiinkurieron,  sondern  solort  ärzlliehe  Hilfe  in  Anspruch 
nehmen.  Den  günsligen  Erfolg  erklärt  sich  Verf.  folgendermaßen; 
Durch  die  Rinne  mil.  dem  (iliiheisen  Aviid  zugleich  ein  Schorf 
gebildet,  (hnlurch  ein  rvciteres  Eindringen  der  Bazillen  von  der 
Rristel  in  die  umliegenden  Ciewehc  lunlichst  verhindert.  Zur 
rnferst.ützung  dieses  Zweckes  dient  der  tiefe  Querschnitt  durch 
die  Rustel,  weil  derselbe  den  durch  die  harte  Pustel  bewirkten 
Druck  aufhobt.  Ebenso  wird  durch  die  Inzisionen  ins  Ocdem 
und  die  dadurch  geschaffene  Entspannung  einem  weiteren  Iler- 
( inrücken  der  Bazillen  von  hier  aus  in  den  Körper  niögliclist 
vorgeheugt.  l)ie  Jodtinklur  wirkt  Jiach  Ansicht  des  V'^erfassors 
direkt  als  fiegengift,  ohschon  er  nicht  sagen  kann,  in  ’'velchcr 
Weise.  Zum  Schlüsse  noch  einige  Beobachtungen  des  Ver¬ 
fassers:  Die  Allgemeininfektion  tritt  nicht  alsbald  nach  der  statt- 
gchahlen  Infektion  auf.  Meist  liegen  Tage  dazwischen.  Es 
scheint,  als  oh  durch  das  Hartwerden  der  Pustel  und  den  da¬ 
durch  ausgeühleii  Druck  die  Allgemeininfektion  zustande  kommt 
oder  doch  wesentlich  beschleunigt  wird.  Weiters  fiel  auf,  daß 
da.s  Allgemeinbefinden  oft  nicht  ganz  im  Einklänge  steht  mit 
der  Schwere  der  Allgemeininfektion.  Verf.  führt  diesbezüglich 
('klatante  Beispiele  an.  Man  darf  also  auf  das  Allgemeinbelindeii 
kein  allzu  großes  (lewicht  legen,  vielmehr  auf  die  äußeren  Sym- 
l)lonie.  Frühzeitige  ärztliche  Behandlung  ist  Imi  der  Milzbrand- 
infekfion  von  ganz  außerordentlicher  Wichtigkeit.  Frische  Fälle 
ge^sfatfen  nach  des  Verfassers  Erfahrung  eine  recht  günstige  Prog¬ 
nose.  —  (Münchener  mediz.  Wochenschrift  11307,  Nr.  15.)  G. 

* 

307.  Durch  einen  Fadcnpilz  hervorgerufene, 
chronische,  multiple,  subkutane  Abszesse;  subku¬ 
tane  S]) or o  trie  hose.  Von  Lesne  und  M o  nie r- V i s s  a  r  d. 
Bisher  sind  nur  rvenige  Fälle  subkutaner  Mykosen  publiziert 
worden,  was  aber  nicht  so  sehr  auf  die  Seltenheit  der  Affektion. 
als  auf  die  Schwierigkeit  der  Unterscheidung  von  Hauttuberkulose, 
sypbilitischen  Gujntnen  und  selbst  gewöhnlichen  Abszessen  zu¬ 
rückzuführen  ist.  Als  Erreger  subkutaner  Abszesse  sind  bisher 
verschiedene  Fadenjnlze  beschrieben  worden,  unter  anderem  Bo¬ 
trytis,  Soorpilze,  Oospora  oisteroides,  sowie  aueb  der  Strahlen¬ 
pilz.  Die  Sporotrichosen  sind  bisnun  noch  weniger  bekannt, 
ln  der  Literatur  finden  sieb  einzelne  Milteilungen  über  lymph- 
angitische  und  disseminiertc  gunmiöse  Sporotrichose,  durch  Sporo- 
Irichnin  Schenkii,  Ijzw.  Sporotrichnin  Beurmanidi  hervorgerufen. 
Es  wurde  auch  fcstgestellt,  daß  Trichophyton-  und  Achorionarten 
Irei  subkutaner  Impfung  Abszesse  hervorzurufen  imstande  sind. 
Aus  der  mitgeteilten  Beobachtung  geht  hervor,  daß  die  mul¬ 
tiplen  Subkutanen  Hautabszesse  bei  Sporotrichose  im  Stadium 
der  Entwicklung  leicht  mit  Hauttuberkulose,  Hautgummen  oder 
den  gewöhnlichen  Staphylokokkenabszessen  verwechselt  werden 
können.  Eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  gewinnt  die  Diagnose 
der  Sporolrichose  durch  die  Lokalisation  der  Herde  an  den  Lymph- 
bahnen  und  das  Fehlen  von  Lymphdrüsenschwellungen.  Auch 
die  nach  außen  durchgebrochenen  Abszesse  können  mit  Furunkel, 
Gummen  und  tuberkulösen  Hautfisteln  verwechselt  werden.  Die 
Si)orotrichose  kann  nur  durch  Untersuchung  des  Liters,  sowie 
Kultur-  und  Impfversuch  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden. 
Die  wirksa.me  Therajjie  besteht  in  durch  längere  Zeit  fortgesetzter 
Darreichung  großer  Dosen  von  Jodkalium,  wodurch  sichere  Heilung 
erreichbar  ist.  Die  Inzision  der  Abszesse  ist  zu  verwerfen,  weil 
sic  zu  sekundäier  Infiltration  der  Wundränder  führt.  Bei  iso¬ 
lierter  Abszeßbildung  mit  leicht  zugänglichem  Sitze  konnte  die 
Totalexzision  versucht  werden,  doch  mußte  dabei  die  Eröffnung 
der  Abszeßhöhle  im  Verlaufe  der  Operation  sorgfältig  vermieden 
werden.  —  (Bull,  et  Älem.  de  la  Soc.  med.  des  hö}).  de  Paris 
1ÜÜ7,  Nr.  10.)  a.  c. 


Standesangelegenheiten. 

Anklagen  gegen  Mediziner  und  ihre  Rück¬ 
wirkung  auf  die  Gesamtheit. 

Wenn  man  die  Konsequenzen,  welche  die  Anklagen  gegen 
l\ledi7.iner  nach  sich  ziehen,  in  ihrer  ganzen  Tragweite  würdigt, 
wird  man  bald  zu  der  Feberzeugung  gelangen,  daß  die  Behördeu 
im  Interesse  der  Allgemeinheit  irgeml  etwas  verkehren  müssen. 


Insoferne  es  sich  um  materielle  Uebervorteilung,  gegeben 
etwa  durch  unerfüllte  Abmachungen,  durch  übertrieben  hohe  -.| 
Honoraransprüche  oder  durch  (scheinbar  oder  faktisch)  unnötige  ^ 
Verteuerung  des  angewandten  therapeutischen  Apparates  und  an-  ^ 
(leres  der  Art  handelt,  ist  gewiß  an  dem  bisher  üblichen  Rechtsver-  a 
fahren  nicht  zu  rütteln;  insoferne  aber  die  große,  große  Mehrzahl 
von  Schadensklagen,  bzw.  Klagedrohungen,  die  gegen  die  Medi- 
ziner  erhoben  werden,  sich  auf  strafbare  Verstöße  gründen,  die  3 
ihn  ethischer  Verfehlung  zeihen  (z.  B.  daß  er  in  unerlaubter  .3 
Weise  experimentiert  habe),  oder  ihn  der  Außerachtlassung  oder  4 
vielleicht  gar  der  Unkennlnrs  von  anerkamden  Regeln  der  \\Tssen-  (3 
Schaft  Und  der  ärztlichen  Kunst,  also  im  allgemeinen  diagnostischer 
oder  therapeutischer  Irrtümer  beschuldigen,  sollte  in  Rücksicht  M 
auf  die  folgenden  Auseinandersetzungen  ein  anderer  Vorgang  Platz 
greifen.  Ä 

Nicht  etwa,  als!  hätte  cs  der  Mediziner  nötig,  irgendeine  J 
seiner  Handlungen  zu  verschleiern;  vielmehr  hchaupte  ich  kühn,  .s 
daß  der  wahre  Arzt  sich  stolzen  Hauptes  jederzeit  dem  Richter  ■  1 
stellen  kann.  Seine  Tätigkeit  steht  aber  anderseits  ihrem  größten 
Umfange  nach  so  sehr  im  Dienste  der  Allgemeitiheit  und  trägt 
überdies  ein  so  bedeutendes  und  eigenartiges  Gepräge  an  sich,  ^ 
daß  das  Wohl  der  Bevölkerung  es  vollkommen  rechtfertigt,  wenn  ^ 
ehvaige  Beschuldigungen  gegen  ihn  so  viel  als  möglich  der  Parteien  A 
Leidenschaft  entrückt  bleiben.  ’■ 

Die  Juslilia  lüfte  doch  ihre  Binde  im  Interesse  der  Gesell- 
Schaft  und  sehe  zu,  was  die  jüngste  Zeit  auf  dem  Gebiete  aus- 
geieift  hat;  die  Göttin  der  Gerechtigkeit  wird  dann  manches 
in  der  Welt  entdecken,  was  noch  nicht  „in  den  Akten“  sich 
befindet.  Ungezählt  sind  die  Fälle,  in  denen  die  bloße  Androhung 
eines  ,, Geschädigten“  den  Arzt  zu  ,, gütlichem“  Ausgleich  be¬ 
stimmt;  andere  finden  sich  von  vornherein  zu  Geldopfern  bereit,  -t 

nur  um  den  Kopf  frei  zu  behalten;  die  meisten  zeigen  sich  nach  .1 

dem  ersten  Ueberreichen  der  Klage  gefügig  und  nur  Verein-  | 
zelte  bieten  jedem  gerichtlichen  Schritte  Trotz  und  lassen  sich  t 
durch  keinerlei  Scheu  einschüchtern.  Es  ist  klar,  daß  unter  solchen  3 
Verhältnissen  gewisse  zweifelhafte  Elemente  immer  kühner  werden  1 
und  daß  auch  unentsichlossene  Parteien  leicht  zu  Schritten  zu  -J 
überreden  sind,  die  ihnen  mühelos  neue  Geldquellen  eröffnen.  J 
Und  so  häufen  sich  denn  die  Attentate  gegen  Mediziner,  zumeist  '  i 

solche,  die  an  Staatsinstituten  wirken  und  die  der  Natur  der  t, 

Sache  nach  zu  den  hervorragendsten  Vertretern  der  ärztlichen  : 
Wissenschaft  Und  Kunst  zählen.  ■ — ■  Die  Vorstände  von  öffent-  * 
liehen  Krankenstalionen  wmrden  selbst  in  jenen  Fällen  gewalt-  i 
sam  herangezogen,  wm  die  Verfehlung  einen  jüngeren  Arzt  he- 
trifft,  aus  dem  einfachen  Grunde,  wmil  dann  die  hochgespannte  4 
Entischädigungssuraine  von  etwa  K  40.000  bis  K  50.000  „zu  un-  j 

geteilter  Hand“  —  so  lautet  der  Terminus  —  mit  mehr  Aussicht  ‘1 

auf  Erfolg  an  gesprochen  werden  kann. 

Kühle  Beurteiler  werden  zwar  mit  Recht  behaupten:  solchen 
Angriffen  ist  am  wirksamsten  entgegenzu  treten,  wenn  man  ^ 
ihnen  kühn  die  Stirne  bietet,  jede  Zumutung  eines  Vergleiches 
energisch  zurückweist  und  es  dem  Kläger  ruhig  überläßt,  seine  \ 

Ansprüche  vor  Gericht  zU  bringen.  —  Gewiß  muß  dem  vollkommen  t 

zugestimmt  werden  und  ich  für  meine  Person  wäre  nie  dazu 
zu  haben,  eine  solche  Affäre  gütlich  auszutragen.  Aber  jeder  1 
billig  Denkende  wird  zugeben,  daß  ein  entschiedenes  Festhalten 
an  seiner  moralischen  Ueberzeugung,  wie  so  oft  im  Leben,  so 
auch  hier  den  materiellen  Ruin  des  Gesinnungstüchtigen  nach 
sich  ziehen  kann.  Ein  öffentlicher  Prozeß.,  auch  wenn  er  schließ-  ’ 
lieh  zur  Abweisung  des  Klägers  führt,  ist  für  den  Arzt  immer 
mit  Schaden  verknüpft.  Jahr  und  Tag  hindurch  durch  die 
Zeitungen  geschleift  zu  werden  —  eine  ungerafene  Hilfe,  die 
den  Angeklagten  gleichfalls  mürbe  machen  kann  —  führt,  ab¬ 
gesehen  von  dem  zweifelhaften  V^ergnügen,  unausbleiblich  zu 
einer,  mitunter  großen  materiellen  Einbuße,  auch  wenn  der  Arzt, 
was  ja  gewöhnlich  der  Fall  ist,  völlig  losgesprochen  wird.  Genoß 
der  Kläger  überdies  noch  die  so  leicht  zu  erlangende  Wohltat 
eines  ex  offo  -  Vertreters,  so  entgeht  dem  beklagten  Mediziner 
selbst  der  Ersatz  seiner  Prozeßko'sten.  Die  Tägesblätter  tragen 
dem  zu  wenig  Rechnung;  für  ähnliche  Angelegenheiten  paßt 
durchaus  nicht  di©  Remerkung:  ,,in  ärztlichen  Kreisen  ist  inan 
auf  den  Ausgang  des  Prozesses  gespannt“;  ärztliche  Kreise  sind 
über  einen  solchen  Prozeß  empört,  die  Spannung  trifft  nur 
auf  die  große  Menge  zu,  die  allem,  wms  ihr  als  ,,Hetz“  gilt, 
lüstern  nachgeht. 

Und  nun  die  anderen  Begleitumstände.  Beilen  wdr  nur 
von  den  Sachverständigen.  Das  Schauspiel,  welches  bei  der  Wahl 
der  Sacbverständigen  geboten  wdrd,  ist  genugsam  bekannt.  Dem 
Beklagten  ist  die  Person  gewöbnlich  gleichgültig,  aber  der  Kläger 
kann  da  nicht  genug  Skrupel  auffinden.  Der  interessantere  Teil 
spielt  sich,  Avie  begreiflich,  während  der  Vorbereitung  zur  Klage 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


7 


•iO 


<iL;  selhsIvorsUiiKllicli  isl  der  Kläger  peinlich  darauf  bedacht, 
seine  intimen  Informationen  nicht  hei  einem  Kollegen  (‘inzu- 
holen,  der  viellei(dd.  „Freund“  des  Beklagten  sein  könnte;  ein 
kühles,  seihst  etwas  gespanntes  Verhältnis  ist  für  solche  Fälle 
willkommeiwM' ;  eine  für  die  Klage  auch  nur  einigermaBen  günsli- 
g-'ere  Information,  inshesondere,  wenn  sie  unter  der  Maske  der 
Biederkeit  erteilt  wird,  steigert  die  Zuversicht  ins  enorme,  wenn¬ 
gleich  solche  Produkte  des  dunklen  Kämmerleins  im  Lichte  der 
öffentlichen  Verhandlung  bis  zur  LTnkenntlichkeit  verblassen. 

Noch  häßlicher  fällt  cs  in  Frscheinung,  wenn  der  klägerische 
Vei'li’eler  sich  in  den  Prozeß  mit  einer  Zähigkeit  verheiBt,  wie 
es  nur  der  Parteileidenschaft  zukommt.  Ein  Beispiel:  In  einem 
,Zivilpj'Ozesse  AvUrde  der  Kläger  kostenpflichtig  ahgewiesen ;  ob¬ 
wohl  der  klägerische  Vertreter  die  Aussichtslosigkeit  Aveiterer 
Schritte  selbst  einsah,  Avas  er  dadurch  dokumentierte,  daß  er 
Amn  einer  Berufung  ahzustehen  bereit  gewesen  wäre,  falls  sein 
(legner  von  <Ien  Prozeßkos  len  ahgesehen  hätte,  verfolgte  er  die 
Sache  nach  Ablehnung  dieser  seiner  Proposition  doch  durch  alle 
Instanzen.  (Die  Beurteilung  eines  solchen  Advokaten  kann  ganz 
luhig  seinen  vornehmeren  Fachgenossen  iihcriassen  bleiben.)  Ja, 
der  klägerische  Anwalt  konstruierte  sich  künstlich 
noch  eine  vierte  Instanz,  indem  er  einen  Ausgleich  mit 
dem  unmittelbar  helroffenen  jüngeren  Arzle  von  Konzessionen 
jener  Partei  abhängig  machen  Avollte,.  gegen  die  er  in  allen  In¬ 
stanzen  sachfällig  geworden  war.  Nur  die  Parteileidenschaft  kann 
so  blind  sein,  nicht  zu  sehen,  daß  ein  Mann,  der  iin  BcAViißtsein 
seiner  ethischen  Reinheit  der  (gericht'ichen)  Herausforderung  der¬ 
art  Stand  hält,  nicht  um  Haaresbreite  zurückweichl,  zumal  die 
Möglichkeit  hestand,  etwa,  nötigen  Rücksichten  für  den  jüngeren 
KoHegen  auf  andere  Weise  zu  genügen. 

lEs  fällt  mir  gar  nicht  ein,  zu  betonen,  daßi  Mätiner,  deren 
Namen  in  iler  gesamten  Avissenschaftlichen  Welt  sich  vollsten 
Klanges  erfreuen,  die,  ahgesehen  Amn  ihrer  amtlichen  Stellung, 
nicht  zu  unterschätzende  Bestandteile  Avesentlicher  Attiibule  des 
Staates  r>t‘.präsentieren,  zu  allermindest  einen  gCAvissen  Schutz 


Amrdienen. 

Vom  und’assendcren  GesichtspLudvte,  dem  des  (Icmeiii- 
Avohles  helrachtet,  Avird  ein  solcher  Schutz  geradezu  dringendes 
Erfordernis;  und  stellen  wir  uns  auf  dieses  höhere  Piedestalc, 
so  AA'erden  wir  leicht  überblicken,  daßi  unter  der  Herabsetzung  he- 
deutender  Kliniker  und  Aerzte  schließlich  die  Salubrität  der  Be¬ 
völkerung  und  der  klinische.  Unterricht  die  schwerste  Einbuße 
ei'leiden  müssen.  —  Ich  habe  mich  in  diesem  Sinne  zum  teil 
schon  in  dem  Aufsatze:  „Schadensklagen  gegen  Medizinm“  (Wiener 
klinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  25)  ausgesprochen,  möchte  aber 
die  aufgestellte  Behauptung  noch  durch  folgende  Erlebnisse  be¬ 
kräftigen.  .  .  ,  .  ■ 

Vor  etAva  fünf  Jahren  befand  sich  eine  brau  auf  meiner 
Abteilung,  die  mit  syphilitischer  Nekrose  des  Schädeldaches  be¬ 
haftet  Avar;  die  Nekrose  belraf  die  ganze  Dicke  des  Knochens. 
Um  die  Frau  vor  den  G-efahren  einer  Hirnbaut-  und  Hirnenlzün- 
dung  .zu  bcAvahren,  mußte  man  die  Entfernung  des  kranken 
Knochens  ins  Auge  fassen.  Ich  führte  den  Eingriff  aus  und  ob- 
Avohl  dadurch  das  Gehirn  in  der  Ausdehnung  einer  Handfläche 
bloß, gelegt  Avar,  genas  die  Frau;  sie  konnte  ihren  Beruf  Avieder 
aufnehmen,  den  sie  noch  heule  zur  vollsten  Zufriedenheit  ausfällt. 

Vor  Auclen  Monaten  befand  sich  ein  Mann  aut  ineincf 
Abteilung,  gleichfalls  mit  syphilitischer  Nekrose  des  Schädeldaches, 
Was  lag  näher,  als  auch  in  dem  Falle  einen  Vorgang  zu  orAvägen, 
der  früher  schon  ein  so  ausgezeichnetes  Resultat_ ergeben  hat?  Zu 
einem  herzhaften  Entschlüsse  konnte  ich  mich  jedoch  nicht  aut- 
schwingen.  —  Die  Aufklärung  für  meine  Zurückhaltung  faiul  sich, 
als  mir  mein  Assistenteines  schönen  Tages  referierte :  der  Kranke 
Aväre  zu  einer  Operation  bereit,  doch  Avünschte  er  füi  sich  utu 
seine  Angehörigen  einen  Betrag  von  20.000  fl.  zugesichert,  tails 
die  Operation  ein  günstiges  Resultat  nicht  ergehen  sollte.  Ob 
man  nicht  in  einem  solchen  Falle,  Avenn  iiilt  der  Operation, 
nicht  zugeAAm'tet  worden  wäre,  eventuell  eine  planinäßng  Ami- 
hei’eitete  Klage  zu  erwarten  geliahl.  hätte  ? 

Seltene  Beharrlichkeit  und  große  Dreistigkeit  bewies  eine 
Frau  die  mich  Avegen  einer  Veränderung  im  (jesichte  aufgesucht 
hatte,  Amn  der  sie  sich  entstellt  glaubte  und  daiiiin  opeiieit  zu 
Averden  wünschte;  ich  lehnte  ah.  Nicht  lange  darauf  erschien  bei 
mir  konsiliariter  dieselbe  Frau  in  Begleitung  eines  meiner  t^chuler ; 
ich  widerriet  jeden  Eingriff.  —  Der  jungblütige  Kollege  heß  sich 
von  der  Frau 'zur  Operation  bestimmen  und  einige  Monate  spater 
hatte  sic  ihn  vors  Gericht  gestellt.  In  welch  glühenden  W  or  en 
mag  die  Frau  ihr  Glücksgefühl,  das  sie  nach  der  Oiieralion  hesee  en 
würde  geschildert  haben,  daß  der  junge  Kollege,  nebenbei  be¬ 
merkt,’  ein  geschickter  Arzt  und  feiner  Ko])f,  trotz  meiner  Ab¬ 
mahnung  sich  zu  einer  Operation  übeiieden  ließ? 


Es  versetzt  unserem  Berufe  den  em])findlichsten  Hieb  und 
entwürdigt  ihn  aufs  tiefste,  Avenn  Avir  bei  den  Kranken  auch 
etAvaigen  dunklen  Herzensregungen  oder  einer  vielleicdd.  noch 
schlummernden  Disposition  zu  solchen,  tuichspürim  sollten;  kann 
<‘in  ,, diagnostischer“  Fehler  in  der  Richtung  nicht  ('imnal  zu 
unserem  Schaden,  das  andere  iVIal  zum  großen  Sebaden  <les 
Kranken  aUsfallen  ? 

Wir  sind  an  den  Fortschritten  der  medizinischen  Wissen¬ 
schaft  mittätig  Und  brauchen  darum  nichl  zu  besorgen,  der  Pudiin- 
redigkeit  geziehen  zu  werden,  Avenn  wir  heha.uptim,  daß  die 
praklische  Mcilizin  uns  manch  Avesentliidie  Bereicherungen  zu 
danken  hat;  unser  ganzes  Sinnen  und  Trachten  ist  ja  stets 
darauf  gerichtet,  auch  die  als  scliAver  heilbar  und  unheilbar 
gehaltenen  Erkrankungen  in  den  Bereich  der  heilbaren  zu  ziehen. 
Wir  können  dem  so  lange  nachgehen  als  Avir  treu  einer  In¬ 
stitution  anhängen,  Avelche-die  großen  österreichischen  Kli¬ 
niker  uns  als  köstliches  Vermächtnis  hinterlassen  haben, 
mit  anderen  Worten,  als  Avir  unsere  Handlungen  unter  das  strenge 
Gebot  der  eigenen  moralischen  und  Avissenschaftlichen  Verant¬ 
wortlichkeit  stellen.  Nun  tritt  aber  rin  fremdes  Element  hinzu,  das 
unser  heiligstes  Empfinden  profaniert:  Avir  haben  imt  der  neu  auf¬ 
geschossenen  Mania  industriosa  im  Publikum  und  in  Aveiterer 
Folge  hievon  mit  ilen  brutalen  Spitzfindigkeiten  mehr  oder  Aveniger 
geriebener  Advokaten  zu  rechnen.  Daß  unter  solchen  Verhält¬ 
nissen  die  Tatkraft  erlischl,  die  inilialive  erstirbt,  ist  nur  zu 
begreiflich.  Ohne  Initiative  ist  aber  kein  Fortschritt  möiglich, 
auch  nicht  auf  dem  Gebiete  der  Medizin. 

Unserer  Stellung  nach  sind  Avir  berufen,  zugleich  Hüter 
und  Mehrei'  der  glorreichen  Geschichte  der  öshuaeichischen  Me¬ 
dizin  zu  sein  und  so  gehietet  schon  die  patriolische  Pflicht,  in 
eindringlichen  Worten  darzulegen,  zu  Avelch  scliAveren  Folgen  der 
eben  skizzierte  Furor  accusandi  führen  muß. 

Prof.  Eduard  Lang,  k.  k.  Primararzt. 


Vermisehte  flaehriehtcn. 

M'ie  die  Tageshlätter  berichten,  heahsichtigt  die  Stadt  Wien 
aus  Anlaß  des  GOjährigen  Regierungsjuhiläums  des  Kaisers  die 
Summe  von  zehn  Millionen  Kronen  SpilalszAvecken  zu  AA’idmen. 
Es  lu'aucht  nicht  besonders  betont  zu  Averden,  wie  sehr  iCS  all¬ 
gemeinen  Beifall  finden  muß',  Avenn  man  das  dynastische  Ge¬ 
fühl  in  solcher  Weise  zum  Ausdrucke  gebracht  sieht.  Der  W  unsch, 
den  Entschluß'  zu  einer  derartigen  AufAvendung  großer  Geld¬ 
mittel  für  humanitäre  ZAVccke  vom  besten  Erfolge  begleitet  zu 
sehen,  darf  um  so  sicherer  auf  Erfüllung  rechnen,  je  mehr  hei 
der  Durchführung  der  Idee  dein  tatsächlichen  Bedürfnisse  Rech¬ 
nung  getragen  Avird.  Es  ist  ja  schon  viel  geleistet,  Avenn  bei 
dem  alljährlich  zu  gcAvissen  Zeiten  in  Wien  herrschenden  IMangel 
an  Amrliigharcn  Spitalshetlen  durch  Errichtung  eines  neium  groben 
Krankenhauses  dem  BiMlürfnisse  nach  leichter  Bergung  der  pflege¬ 
bedürftigen  Kranken  genügt  Avüi'de.  Mit  dieser  Widmung  ließe 
sich  aber  noch  eine  andere  Aufgabe  im  Rahmen  der  spitals- 
gemäßen  Fürsorge  für  die  Bevölkerung  lösen.  Nichts  liegt  näher, 
als  Avenn  bei  diesem  Anlässe  die  Stadt  Wien  sich  jener  nur 
allzuvielen  seiner  EinAvohner  erinnern  Avürde,  deren  Krankheit 
der  fatale  Name  des  Morbus  viennensis  beigelegt  Avurde. 
Gerade  diese  sind  es,  die  das  größte  Kontingent  zur  Ueber- 
füllung  der  Krankenhäuser  stellen  und  für  deren  abgesonderte 
B'orgung,  Verpflegung  und  Behandlung  in  eigenen,  den  Heil- 
zAvel'ken  nach  Oertlichkeit  und  Einrichlung  entsprechend  ange- 
paßten  Heilstätten  Sorge  zu  tragen  eine  auRrordentlich  vm'- 
dicnstvolle  Tat  Aväre.  Mit  einem  Schlage  Aväre  dann  einerseits 
der  Ueherfüllung  der  Spitäler,  der  immer  AAÜeder  beklagten  Sjutals- 
not  ein  Ende  bereitet,  anderseits  für  die  Assanierung  der  Stadt 
und  im  Kampfe  gegen  die  gerade  die  Wiener  Bevölkerung  heini¬ 
suchende  Seuche  ctAvas  höchst  Bedeul.sames  geleistet.  Selbst- 
verstämllich  Aväre  in  der  Gcniarkung  der  (iroBstadt  nicht  dei 
richtige  Platz  für  eine  derartige  Pleilstätte.  Sic  müßilc  in  Avald- 
reicher,  ländlicher  Umgehung  errichtet  Averden,  irgemhvo  in  gün¬ 
stiger  Lage  in  Niederösterreich,  ein  zAAmites  Alland  im  großen 
Stile,  —  So  Avenig  uns  die  Rolle  eines  ungehetenen  Ratgebers 
gefallen  mag,  so  Idol  ten  Avir  es  doch  tür  unsere  iPflicht,  diesei 
^  Avie  uns'  scheint  —  höchst  heachtensAverten  Anregung  von 
sehr  geschätzter  kollegialer  Seite  Ausdruck  zu  gehen. 

Die  Red. 

* 

/Ernannl:  Dr.  Jos.  Grin  sch  gl  zum 
Niederöstei'reich. 


Oherbezirksarzt  in 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


Am  5.  Juni  feiorte  Geheimrat  v.  Winckel  in  I\lünchen 
seinen  70.  Geburtstag. 

* 

Verliehen:  Dem  außerordentlichen  Professor  der  Laryn- 
gologii'  und  Rhinologie  an  der  Universität  in  Wien  Dr.  Ottokar 
Chiari  der  Titel  und  Charakter  eines  ordentlichen  Universitüts- 
professors.  —  Dem  Oberstabsarzt  Dr.  Ludwig  Steinitzer  in 
Mostar  das  Ritterkreuz  des  Franz  -  Joseph  -  Ordens. 

Prof.  Dr.  II.  Hermann  Küttner,  Direktor  der  chir.  Klinik 
in  IMarhurg,  wurde  dem  einstimmigen  Vorschläge  der  Rreslauer 
medizinischen  Fakultät  entsprechend  als  Nachfolger  Garres 
nach  Rreslau  berufen  und  wird  dem  Rufe  auch  Folge  leisten. 

* 

Der  Röntgenologe  Dr.  Albers- Schönberg  in  Hamburg 
ist  vom  preußischen  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts-  und 
Medizinalangelegenheiten  zum  Professor  ernannt  worden. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Oskar  Fischer  für  Psychiatrie  an  der 
deutschen  Universität  in  Prag. 

* 

Gestorhen:  In  Rad  Liebenstein  Prof.  M.  Litten,  leitender 
Arzt  des  städtischen  Krankenhauses  an  der  Gitschinerstraße  in 
Derlin. 

* 

Die  kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Wien  hat  u.  a.  die  folgenden  Subventionen  bewilligt: 
Prof.  Kreidl  in  Wien  zur  Ausführung  von  Lichtmessungen  im 
Adriatischen  Meere  K  1000;  Dr.  H.  Pfeiffer  in  Graz  zur  P'ort- 
setz'ung  seiner  Studien  über  Serum  gegen  Brandwundengift  K  1500; 
Prof.  Finger  in  Wien  zur  Fortsetzung  seiner  IMrschungen  über 
Syphilisimpfungen  K  2000;  Dr.  P  öch  :  AnthropoIOigische  und  ethno¬ 
logische  Studien  hei  den  Buschmännern  K  25.0C0. 

* 

In  der  Sitzung  des  niederö  ster  reicht  sehen  Landes¬ 
sanitätsrates  vom  3.  Juni  1907  wurden  folgende  Referate 
erstattet:  1.  Vorschlag  zur  Besetzung  der  erledigten  Stelle  eines 
Pjimararztes,  zugleich  Vorstandes  einer  medizinischen  vlbteilung 
im  Stande  der  AViener  k.  k.  Krankenanstalten.  2.  Gutachten 
über  die  Desinfek  lions  Vorschriften  für  die  Wiener  k.  k.  Kranken¬ 
anstalten.  3.  Gutachten  über  die  neuprojeklierie  Kläranlage  einer 
Landcs-IIumanitätsanstalt.  4.  Gutachten  über  ein  Ansuchen  um 
Konzessionierung  einer  Kaltwasserheilanstalt  in  einer  Land¬ 
gemeinde  in  Niederösterreich.  5.  Gutachten  über  die  Schulärzte¬ 
frage. 

* 

Nach  dem  26.  Jahresbericht  (Vereinsjahr  1906)  des 
Rudolfiner- Vereines  betrugen  die  ordentlichen  Einnahmen 
im  Jahre  1906  K  136.462-20,  die  ordentlichen  Ausgaben  K  226.445-96. 
Aufgenommen  wurden  im  Rudolfincrhaum  (Direktor  Regierungsrat 
Dr.  Gersuny)  im  Jahre  1906:  1211  Kranke,  um  44  weniger  als  im 
Jahre  1905.  Die  Zahl  der  Verpflegstage  beziffert  sich  auf  22.966, 
um  320  weniger  als  im  Jahre  1905.  Der  Verpflegstag  kostete 
pro  Kopf  K  9-86.  Die  unmittelbare  rein  pekuniäre  Wohltätig¬ 
keitsleistung  des  Rudolfinerhauses  betrug  im  Jahre  1906 
K  121.164-88. 

* 

Wie  die  Münchener  medizinische  Wochenschrift  mit¬ 
teilt,  wird  nun  im  Deutschen  Reiche  die  zweite  Akademie 
für  praktische  Medizin  u.  zw.  in  Düsseldorf  ins 
Leben  treten.  Die  Eröffnungisfeier  ist  für  Ende  Juli  fest¬ 
gesetzt.  Prof.  Lubarsch,  Vorstand  des  pathologisch -bak- 
t-etiologischen  Institutes  am  kgl.  KrankeninsÜtut  in  Zwickau,  wurde 
als  Professor  an  die  Akademie  berufen  und  soll  die  Leitung  des 
pathologisch-anatoinischen  Institutes  an  den  Krankenanstalten  in 
Düsseldorf  übei-nehmen. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  Von  verschiedenen  Seiten 
eidialten  wir  Reklamationen  wegen  unterbliebener  Einladungen 
zu  dem  Feste  am  2.  Juni.  Tatsache  ist,  daßi  es  sich  dabei  um 
abgesendete,  aber  nicht  angekommene  Eiidadungen 
handelt.  Einige  Adressaten  haben  das  leere  Kuvert  verschlossen 
zugestellt  ei’halten  und  es  wurde  ihnen  ein  Strafporto  auferlegl. 
Es  hat  vielleicht  einigen  Nutzen,  dies  zur  Kenntnis  zu  bringen. 
Jene  Herren  Kollegen,  die  den  neuen  Pavillon  im  Rudolfinerhause 
zu  besiiditigen  wünschen,  werden  hüfli  -bst  dazu  einge'aden.  Vom 
15.  bis  20.  Juni  wird  zwischen  4  bis  6  Uhr  nachmitta.gs  jemand 
zur  Fahrung  bereit  sein.  Die  Direktion  ties  Kudolfinerhauses ; 
Dr.  Gersuny. 


Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Gemeindegebiet.  22.  Jahreswoche  (vom  26.  Mai  bis 
1.  Juni  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  669,  unehelich  280,  zu¬ 
sammen  949.  Tot  geboren,  ehelich  68,  unehelich  31,  zusammen  99. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  657  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  17‘3  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  1, 
Flecktyphus  0,  Blattern  0,  Masern  27,  Scharlach  3,  Keuchhusten  3, 
Diphtherie  und  Krupp  6,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  1, 
Lungentuberkulose  130,  bösartige  Neubildungen  35,  Wochenbett¬ 
fieber  2.  Angezeigte  Infektionskrankheiten;  An  Rotlauf  37  ( — 9),  Wochen¬ 
bettfieber  1  { — 1),  Blattern  5  (+ 3),  Varizellen  69  ( —  11),  Masern  563 
(-U  9),  Scharlach  121  ( —  9),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  4  (—  9), 
Ruhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  60  ( —  28),  Keuch¬ 
husten  45  (-j- 7),  Trachom  2  (-}- 2),  Influenza  0(0),  Genickstarre  18(-1-11) 


Freie  Stellen. 

D  i  s't  r  i  k't  s  a  r  z  t  e  s  s  t  e'l  1  e  für  den  Sanitätsdistrikt  Part- 
s  c  h  e  n  d’o  r  f  -  H  a  u  s  d  0  r  f,  politischer  Bezirk  Neutitschein  (Mähren), 
mit  dem  Sitze  in  Partschendorf.  Der  Distrikt  zählt  2638  Einwohner.  Die 
Gesamtbezüge  des  Distriktsarztes  betragen  K  1444  jährlich,  von  welchem 
Betrage  K  1000  als  Grundlage  der  distriktsärztlichen  Pensionsberechtigung 
angerechnet  werden.  Der  Distriktsarzt  hat  das  Recht,  eine  Hausapotheke 
zu  führen.  Die  Gesuche  sind  bis  23.  Juni  d.  J.  beim  Obmanne  der 
Sanitätsdelegierten  Herrn  Franz  Kaufmann  in  Partschendorf  ein¬ 
zubringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Orta.  d.  Antiesen  (Ober¬ 
österreich)  bis  1.  September  d.  J.  zu  besetzen.  Sitz  des  Gemeindearztes  ist 
Ort,  eine  Viertelstunde  von  der  Eisenbahnhaltestelle  Hart  entfernt.  Ein¬ 
wohnerzahl  1830.  Fixe  Bezüge  K  700.  Verpflichtung  zur  Haltung  einer 
Hausapotheke.  Gesuche  sind  bis  1.  Juli  1.  J.  an  die  Gemeindevorstehung 
Ort  a.  d.  Antiesen  zu  richten. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrikt  St.  Veit, 
politischer  Bezirk  Pettau  (Steiermark).  Der  Distrikt  besteht  aus  12  Ge¬ 
meinden  mit  6705  Einwohnern  und  83  km*  Flächenraum.  Landessub¬ 
vention  K  300,  Bezirkssubvention  K  300,  Beitragsleistung  der  Gemeinden 
K  352.  Der  Distrikfsarzt  hat  seinen  Wohnsitz  innerhalb  des  Dienst- 
sprengels  zu  nehmen.  Kenntnis  einer  slawischen  Sprache  und  Haltung 
einer  Hausapotheke  erforderlich.  Gesuche  bis  30.  J  u  n  i  1.  J.  an  die 
k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  Pettau  einzusenden. 

Mehrere  Sanitätsassistentenstellen  im  öffentlichen  Sanitäts¬ 
dienste  für  Tirol  und  Vorarlberg.  Bewerber  um  eiue  dieser  Stellen  haben 
ihre  gehörig  instruierten  und  insbesondere  mit  dem  Nachweise  über  all¬ 
fällige  besondere  wissenschaftliche  Qualifikation  versehenen  Gesuche  bis 
längstens  20.  Juni  d.  J.  beim  Statthaltereipräsidium  in  Innsbruck  ein¬ 
zubringen. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanilätssprengel  A  h  r  n  t  a  1 
mit  ca.  4000  Einwohnern  mit  dem  Sitze  in  Steinhaus,  Gemeinde 
St.  Johann  (Tirol).  Wartgeld  K  2000  jährlich;  Naturalwohnung  nebst 
Benützung  eines  Gemüsegartens.  Führung  einer  Hausapotheke  erforder¬ 
lich;  Ordinationen  und  Visiten  werden  nach  dem  für  das  Pustertal  ver¬ 
einbarten  Tarife  honoriert.  Gesuche  mit  dem  Nachweise  der  österreichischen 
Staatsbürgerschaft  und  dem  im  Inlande  erworbenen  Doktordiplom  sind 
bis  15.  J  u  n  i  d.  J.  an  die  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  Bruneck  zu 
richten. 

Forstarztesstelle  bei  der  k.  k.  Forst-  und  Domänenver¬ 
waltung  Attergau  in  Weißenbach  mit  dem  Wohnsitze  des  Arztes  in 
Unterach  (Oberösterreich).  Die  Instruktion  sowie  die  sonstigen  Be¬ 
stimmungen  über  die  Ausübung  des  ärztlichen  Dienstes  können  bei  der 
k.  k.  Forst-  und  Domänenverwaltung  Attergau,  bei  der  k.  k.  Forst-  und 
Domänenverwaltung  in  Gmunden,  sowie  auch  beim  k.  k.  Ackerbau¬ 
ministerum  in  Wien  eingesehen  werden.  Mit  der  Stelle  ist  der  Anspruch 
auf  eine  Jahresbestallung  von  K  1800  verbunden.  Ein  Anspruch  auf 
Altersversorgung  wird  durch  diese  Anstellung  nicht  begründet.  Bewerber 
haben  ihre  Gesuche  bis  längstens  30.  Juni  d.  J.  bei  der  k.  k.  Forst  und 
Domänendirektion  in  Gmunden  zu  überreichen.  Diesen  Gesuchen  muß  ins¬ 
besondere  angeschlossen  sein:  1.  die  Altersnachweisung;  2.  der  Nachweis 
über  den  erlangten  Doktorgrad;  3.  über  die  Staatsangehörigkeit;  4.  über 
das  untadelhafte  staatsbürgerliche  Verhalten;  5.  ein  amtsärztliches  Zeug¬ 
nis  über  die  physische  Eignung  und  6.  ein  Nachweis  der  bisher  zurück¬ 
gelegten  ärztlichen  Tätigkeit.  In  dem  Gesuche  haben  die  Bewerber  auch 
anzugeben,  ob  sie  in  der  Lage  sind,  nach  Verständigung  über  die  er¬ 
folgte  Verleihung  der  Forstarztesstelle  ihren  Dienst  sofort  anzutreten  oder 
binnen  welcher  Frist  dies  zuversichtlich  geschehen  kann.  Bewerber, 
welche  eine  besondere  Ausbildung  in  der  operativen  Chirurgie  und 
Geburtshilfe  nachzuweisen  imstande  sind,  erhalten  den  Vorzug  vor  anderen. 

In  Gemäßheit  des  Landesgesetzes  vom  18.  März  1888,  L.-G.-  und 
V.-Bl.  Nr.  13,  wird  behufs  Besetzung  der  Stelle  des  Gemeindearztes 
für  den  Sanitätssprengel  Pozoritta,  mit  dem  Wohnsitze  in  Pozoritta, 
der  Konkurs  ausgeschrieben.  —  Die  mit  dem  Posten  verbundene  Jahres¬ 
dotation  beträgt  K  1200  und  gelangt  bei  dem  k.  k.  Steueramte  in  Kimpolung 
in  monatlichen  atizipativen  Raten  zur  Auszahlung.  Außerdem  erhält  der 
Gemeindearzt  für  Dienstreisen  die  mit  der  Kundmachung  der  Bukowinaer 
k.  k.  Landesregierung  vom  18.  Dezember  1890,  L.-G.  u.  V.-Bl.  Nr.  24, 
bzw.  vom  27.  April  1895,  L.-G.-  u.  V.-Bl.  Nr.  12,  normierten  Gebühren. 
Bewerber  um  diesen  Posten  haben  nachzuweisen;  1.  die  Berechtigung 
zur  Ausübung  der  Heilkunde  in  den  im  Reichsrate  vertretenen  Königreichen 
und  Ländern;  2.  die  österreichische  Staatsbürgerschaft;  3.  die  Kenntnis 
der  deutschen  und  in  hinreichendem  Maße  jene  der  Landessprachen, 
d.  i.  der  rumänischen  und  ruthenischen  Sprache.  Dementsprechend  in¬ 
struierte  Gesuche  sind  binnen  vier  Wochen  vom  Tage  der  ersten  Ein¬ 
schaltung  in  der  >Czernowitzer  Zeitung«  hieramts  einzubringen. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


747 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


INHALT: 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  Juni  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien. 
Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  23.  Mai  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  7.  Juni  1907. 

Vorsitzender:  Hof  rat  Prof.  R.  Chrobak. 

Schriftführer:  Prof.  R.  Paltauf. 

Hofrat  C  h  r  o  h  a  k  teilt  mit,  daß  er  Geh.  Rat  Prof.  v.  W  i  n k  e  1, 
Ehrenmitglied  der  k.  k.  Gesellschaft,  persönlich  im  Namen  der 
Gesellschaft  zum  70.  Geburtstage  beglückwünscht  hat. 

Priv.-Doz.  Dr.  Alfred  Fuchs  demonstriert  einen  Fall  von 
„D  y  SOS  to  se  eleid  ocräni  enne“.  (Erscheint  ausführlich  in 
dieser  Wochenschrift.) 

Prof.  Dr.  L.  Königstein:  Herr  Ch.  stellte  sich  im  Jahre 
1901  mit  einer  Cataracta  complicata  in  meiner  Ordination 
vor,  die  nicht  zur  Operation  gelangte,  weil  die  Lichtempfmdung 
eine  zweifelhafte  war.  Vor  acht  Tagen,  also  nach  sechs  Jahren, 
kam  er  wieder,  weil  auf  demselben  Auge  starkes  Tränen,  Licht¬ 
scheu  etc.  aufgetreten  war  und  ihn  arbeitsunfähig  machte.  Nim 
ist  aber  das  Bild,  welches  das  Auge  jetzt  darbietet,  ein  merk¬ 
würdiges  und  schönes,  wie  ich  es  noch  nicht  gesehen  und  desseiit- 
halhen  ich  Ihnen  den  Kranken  vorstelle.  Die  ganze  Vorderkammer 
ist  von  einer  Masse  erfüllt,  die  bei  seitlich  auffallendem  Lichte 
ein  Flirren,  Glitzern,  Gleißen  und  goldiges  Aufleuchten  zeigt, 
wie  wenn  die  Kornea  mit  Rotgold  durchsetzt  wäre.  Die  Masse 
entspricht  wahrscheinlich  Cholestearinschollen  und  Schüppchen, 
die  sich  dicht  an  die  Membr.  Descenietii  anlegen  und  auch  im 
IWrenchym  der  Hornhaut  eingesprengt  scheinen  und  ihre  eigen¬ 
tümliche  Färbung  vom  Blutfarbstoffe  beziehen.  Aetiologisch  muß 
wohl  angenommen  werden,  daß  die  Kapsel  der  geblähten  Linse 
seinerzeit  geborsten  und  die  Linsensubstanz  eine  regressive  Meta¬ 
morphose  eingegangen,  die  sich  in  Bildung  von  Cholestearinmassen 
äußerte  und  daß  in  dem  degenerierten  Auge  häufig  Bfutanstriite 
(sowie  auch  jetzt)  in  die  Vorderkammer  erfolgten.  Das  zweite 
Auge  ist  hochgradig  myopisch. 

Prim.  Dr.  Lotheissen  demonstrieiT  einen  47jährigen  Ba- 
tienten,  der  die  seltene  Erscheinung  des  Skapularkrachens 
zeigt.  In  der  deutschen  Literatur  existiert  bisher  mir  eine  Mit¬ 
teilung  von  Küttner,  einen  Fall  der  v.  Brunsschen  Klinik 
betreffend;  die  übrigen  22  Fälle  stammen  ans  Frankreich  und 
Italien.  Das  Krachen  zeigt  sich  beim  Heben  der  rechten  Skapula 
und  ist  auf  größere  Entfernung  hörbar.  Da  hier  Tuberkulose  und 
Mnskelatrophic  des  Serratus  ansznschließen  sind,  das  Röntgen- 
verfahren  keinen  Knochenvorsprung  ergibt,  muß  man  an  ein 
proliferierendes  Schleimbeulelhygrom  denken.  Heißilnfüinwen- 
dnng  usw.  brachten  -keine  Besserung,  die  Therapie  kann  also 
nur  eine  operative  sein. 

Dr.  V.  Aberle  demonstriert  einen  geheilten  Fall  von  an¬ 
geborener  linksseitiger  Kniegelenksluxation  nach  vorn  und 
doppelseitigen  Spitzfüßen.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochen¬ 
schrift.) 

Dr.  Kapsammer:  Ein  23jähriger,  kräftiger,  wohlgenährter 
Mann  kommt  mit  der  Klage  über  Störungen  beim  Urinieren  und 
über  in  der  letzten  Zeit  aufgetretene  blutige  Färbung  des  Harnes 
im  Mai  1907  in  Beobachtung.  Die  Hämaturie  hatte  meist  einen 
terminalen  Charakter ;  die  Miktionsstörungen  Jjestanden  in  zeit¬ 
weise  auftretender  kompletter  Retention  mit  Blasenkrämpfen, 
ferner  in  oft  plötzlicher  Unterbrechung  des  Harnstrahles.  Patient 
wurde  1903  und  1905  unter  der  Diagnose  eines  nervösen 
Sphinkterspasmus  jedesmal  durch  mehrere  Monate  lokal 
behandelt. 

Die  Zystoskopie  ergab  links  von  der  Medianlinie  einen  mit 
seiner  Kuppe  der  linken  Uebergangsfalte  unmittelbar  anliegenden, 
walnußgroßen  Tumor  von  glatter  Oberfläche.  Dieser  zeigte 
deutliche,  von  der  Unterlage  mitgeteilte  Pulsation,  scheinbar  ein 
geringes  Schwanken  in  seinem  Volumen  und  bei  einer  gewissen 
Stellung  der  Zystoskoplampe  eine  Transparenz,  ähnlich  einem 
Hydrokelensacke.  Diese  Merkmale  sprachen  für  das  Vorhanden¬ 
sein  einer  zystenartigen  Erweiterung  des  intravesikal 
gelegenen  linken  Ureterendes.  Durch  einen  Indigokarmin¬ 
versuch  erschien  eine  Klarlegung  der  Verhältnisse  bezüglich  der 
Uretermündungen  möglich.  Diese  in  einer  zweiten  Sitzung  vor¬ 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden,  vom  15.  bis 
18.  April  1907. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  Berlin. 
4.  Sitzungstag. 


genommene  Untersuchung  blieb  aber  die  erwünschte  Aufklärung 
schuldig,  insofern  auf  der  linken  Seite  kein  blauer  Strahl  zu 
sehen  war  und  überdies  die  bei  der  ersten  Zystoskopie  wahr¬ 
genommenen  Merkmale  nicht  beobachtet  werden  konnten,  so  daß 
das  Vorhandensein  eines  soliden  Tumors  doch  nicht  ganz  aus¬ 
geschlossen  erschien. 

Die  vor  drei  Wochen  von  mir  ausgeführte  Sectio  alta 
ergab  die  Richtigkeit  der  zuerst  gestellten  Diagnose.  Nach  Er¬ 
öffnung  der  Blase  zeigte  sich  am  Blasenboden  ein  schlaffes,  in 
seiner  Form  einer  welken  Feige  entsprechendes  Gebilde,  welches 
mit  einem  schlanken  Stiele  in  der  Gegend  der  linken  Ureter¬ 
mündung  der  Blasenwand  aufsaß,  mit  seiner  Kuppe  das  Orificium 
uretrae  internum  erreichte.  Die  Oberfläche  zeigte  an  dem  Stiele 
das  Aussehen  der  normalen  Blasenschleimhaut,  die  Oberlläche 
der  Kuppe  erschien  gewulstet  und  stark  gerötet.  Man  konnte 
Volumsschwankungen  der  Art  beobachten,  daß  sich  dieses 
Gebilde  einmal  vollkommen  prall  füllte,  um  nach  Entleerung  von 
Flüssigkeit  wieder  in  den  schlaffen  Zustand  zurückzukehren. 
Leider  konnte  die  Austrittsstelle  der  Flüssigkeit  nicht  beobachtet 
und  auch  nachher  nicht  festgestellt  werden,  da  gelegentlich  des 
Abtragens  der  Zystensack  mit  der  M  u  s  e  u  x  sehen  Zange  zerrissen 
wurde.  Die  Operation  war  rasch  beendet :  zwei  gegenüberliegende 
Catgutnähte  vereinigten  die  Schleimhaut  des  Ureters  mit  der  der 
Blase,  zwei  weitere  dienten  dazu,  um  rechts  und  links  von  der 
Uretermündung  die  Blasenschleimhaut  zu  vereinigen. 

Die  Wand  der  exstirpierten  Zyste  zeigt  im  Inneren  längs 
verlaufende  glatte  Muskelfasern,  welche  ziemlich  weit  aus¬ 
einander  liegen,  die  innere  Oberfläche  ist  mit  einem  mehr¬ 
schichtigen  Ureterepithel  bekleidet,  die  äußere,  dem  Blaseninnern 
zugekehrte  Oberfläche  zeigt  nur  nahe  der  Insertionsstelle  mehr¬ 
schichtiges  Plattenepithel,  die  Kuppe  entbehrt  vollständig  eines 
Epithelbelages;  sie  ist  von  einem  gefäßreichen  Granulations- 
gevvebe  gebildet. 

Der  Verlauf  war  ein  vollkommen  glatter,  der  Bat.  konnte 
14  Tage  nach  der  Operation  die  Anstalt  verlassen. 

Die  drei  Wochen  nach  der  Operation  vorgenommene 
Zystoskopie  mit  Indigokarmininjektion  ergab  wertvolle  Auf¬ 
schlüsse  : 

Die  linke  Uretermündung  liegt  symmetrisch  mit  der  rechten 
in  normaler  Entfernung  von  der  unteren  Uebergangsfalte. 

Links:  Rechts: 

Indigokarminreaktion: 

18  Minuten  post  injectionem  12  Minuten  post  injectionem 
hellblauer  Strahl,  welcher  blauer  Strahl,  welcher 

25  Minuten  post  injectionem  15  Minuten  post  injectionem 
an  Intensität  der  Färbung  tief  dunkelblau  erscheint, 
noch  nicht  zugenommen  hatte. 

Diese  Untersuchung  ergab  also  normale  Funktion  für 
die  rechte,  geschädigte  Funktion  für  die  linke  Niere. 

Letztere  ist  wohl  die  Folge  einer  durch  die  chronische  Harn¬ 
stauung  bedingten  Druckatrophie  der  Niere.  Die  mit  Harn  prall 
gefüllte  Zyste  hat  anderseits  durch  Vorlagerung  vor  das  Orificium 
urethrae  internum  zu  den  genannten  Miktionsstörungen  geführt ; 
das  häufige  Einklemmen  der  Zystenkuppe  am  Blasenhals  wurde 
die  Ursache  der  an  derselben  Vorgefundenen  Erosionen. 

Während  derartige  zystenartige  Umgestaltungen  des  vesi- 
kalen  Ureterendes  meist  überzählige,  abnorm  tief  ausmündende 
Harnleiter  betreffen,  handelt  es  sich  in  dem  gegebenen  Fälle  um 
einen  einzelnen  an  normaler  Stelle  in  die  Blase  mündenden 
Ureter. 

Doch  dürfte  auch  in  diesem  Falle  eine  Bildungsanomalie, 
ein  abnormer  Verlauf  des  Ureters  in  der  Blasenwand,  eine 
abnorme  Enge  seiner  Mündung,  vielleicht  eine  ursprüngliche 
epitheliale  Verklebung  die  Ursache  der  Mißbildung  sein. 

Für  die  Annahme  einer  angeborenen  Mißbildung 
ergibt  der  vorliegende  Fall  eine  Reihe  von  Anhaltspunkten  : 

Der  Bat.  soll  schon  als  Kind  seit  seiner  Geburt  bei  der 
Miktion  stets  Schmerzäußerungen  von  sich  gegeben  haben ;  es 
wurden  schon  damals  vorübergehende  Unterbrechungen  des  Harn¬ 
strahles  beobachtet.  Weiter  hören  \vir,  daß  aus  drei  aufeinander- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


;ö 


folgenden  Schwangerscliaften  der  Mutter  des  Pat.  als  erster  ein 
mit  einer  Hypospadie  behafteter  Bruder,  als  zweiter  ein  im 
fünften  Monate  abortierter  kompletter  Zwitter  und  als  dritter  der 
in  Besprechung  stehende  Kranke  resultierte. 

Dr.  Oskar  Semeleder:  Meine  Herren!  Ich  halle  heuer 
im  Februar  Gelegenheit,  Ihnen  eine  neue  Methode  der  Behandlung 
des  Plattfußes  und  des  Klumpfußes  und  anderer  Belastungs¬ 
deformitäten  mitzuteilen,  welche  jeden  operativen  Eingriff  und  jedes 
Redressement  unnötig  macht.  Die  Methode  verwendet  die  Körper¬ 
schwere  des  Pat.,  also  gerade  jene  Kraft,  welche  diese  Deformitäten 
erzeugt  oder  verschlimmert,  zur  Korrektur ;  es  gelingt,  durch  Hebel¬ 
apparate,  welche  am  besten  in  der  Form  eines  unauffälligen 
Schuhes  konstruiert  werden  können,  die  Richtung  der  einwirkenden 
Körperschwere  in  bestimmter  Richtung  und  in  beliebiger  Kraft- 
slärke  abzulenken  und  selbst  bei  hochgradigen  Plattfußfällen 
ohne  jeden  Eingriff,  geradezu  beim  Spazierengehen  des  Pat. 
eine  Korrektur  zu  erzielen.  Ich  verweise  diesbezüglich  auf 
meine  Ausführungen  im  Februar.  Ich  stellte  Ihnen  damals 
einige  Plattfußfälle  vor,  bei  welchen  die  Korrektur  als  vollständig 
gelungen  zu  bezeichnen  war.  Ich  habe  bei  dieser  Gelegenheit 
behauptet,  daß  auch  Klumpfüße  sich  auf  diese  Weise  redressieren 
lassen  und  ich  werde  mir  die  Freiheit  nehmen,  Ihnen 
demnächst  eine  Reihe  solcher  Pat.  vorzuführen.  Ich  möchte 
mir  nur  erlauben.  Ihnen  heute  schon  diese  kleine  Pat.  mit 
Peroneuslähmung  vorzustellen,  weil  sie  schon  in  den  nächsten 
Tagen  mit  ihren  Angehörigen  Wien  verlassen  wird.  Ich  will  heute 
über  den  Fall  nicht  viele  Worte  verlieren,  nachdem  die  Neurologen 
Priv.-Doz.  E  1  z  h  0  1  z  und  Prof.  v.  F  r  a n k  1  - H  o c h  w art,  welche 
das  Kind  von  Anfang  an  behandelten,  heute  abwesend  sind  und 
ich  ersucht  wurde,  das  Kind  im  Herbste  noch  einmal  vorzustellen. 
Ich  will  nur  erwähnen,  daß  die  fast  sechs  Jahre  alte  Pat.  vor 
ca.  2V2  Jahren  ein  Trauma  erlitt,  sie  stürzte  über  ein  Wasch¬ 
becken  aus  Porzellan  und  durchschnitt  sich  in  der  Mitte  des 
Oberschenkels  mit  einem  Scherben  den  Ischiadikus.  Die  Nerven¬ 
naht  wurde  zehn  Tage  nach  dem  Unfälle  vorgenommen.  Auf  .eine 
durch  1^2  Jahre  fortgesetzte  elektrische  Behandlung  und  forcierte 
Massage  kehrten  die  einzelnen  Funktionen  wieder  zurück,  nur 
die  Peroneuslähmung  blieb  bestehen.  Sie  ist  eine  vollkommene 
und  wurde  auch  in  letzter  Zeit  von  Prof.  v.  F  r  a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  t 
zu  wiederholten  Malen  konstatiert.  Als  natürliche  Folge  der 
Peroneuslähmung  trat  kurze  Zeit  nach  dem  Unfälle  die  Klumpfu߬ 
stellung  auf,  welche  in  der  gewohnten  Weise  mit  Gips  und  Ap¬ 
paraten  behandelt  wurde.  Die  Korrektur  wurde  wiederholt  vor¬ 
genommen,  es  war  aber  nicht  möglich,  mittels  der  bekannten 
Apparate  die  Korrektur  aufrecht  zu  erhalten.  Die  Tendenz  zur 
Rezidive  war  einfach  nicht  zu  besiegen.  Es  wurden  deshalb 
mehrere  Autoritäten  des  In-  und  Auslandes  konsultiert,  der  Zu¬ 
stand  blieb  der  gleiche.  Vor  einem  Jahre  kam  die  Pat.  in  meine 
Behandlung.  Bei  der  Uebernahme  stand  der  Fuß  in  Klumpfu߬ 
stellung,  ein  plantares  Auftreten  ohne  Apparat  war  unmöglich. 
Das  Kind  trug  damals  einen  Hessing  sehen  Schienenhülsen¬ 
apparat  mit  Knöchelriemen.  Am  äußeren  Knöchel  waren  Dekubitus, 
daneben  Schwielen  und  Schleimbeutel  zu  konstatieren.  Die  Waden¬ 
muskulatur  vollständig  atrophisch.  Ich  brachte  meine  Methode 
zur  Anwendung,  Sie  sehen  hier  das  Resultat,  das  jetzt  seit  Monaten 
sich  konstant  erhält.  Sie  sehen  vor  allem,  daß  das  Kind  aus¬ 
gezeichnet  geht,  es  kann  laufen  und  auch  tanzen.  Eine  Atrophie 
der  Wadenmuskulatur  ist  kaum  zu  bemerken.  Meine  Herren  !  Diese 
Erscheinung  einer  auffallenden  Erstarkung  der  Muskulatur  konnte 
ich  in  allen  bis  jetzt  von  mir  behandelten  paralytischen  Fällen 
von  Plattfuß  und  Klumpfuß  bemerken.  Dieses  Symptom  war  in 
jedem  Falle  so  auffallend,  daß  immer  die  Pat.  selbst  oder  ihre 
.'Vngehörigen  darauf  aufmerksam  wurden  und  mir  darüber  spontan 
Mitteilung  machten.  Ich  erkläre  mir  diese  Erscheinung  damit, 
daß  ich  imstande  bin,  durch  das  Körpergewicht  die  Funktion 
der  gelähmten  Muskulatur  geradezu  zu  ersetzen  und  den  nicht 
gelähmten  Muskeln  einen  Antagonisten  zu  schaffen,  welcher  die 
Jnaktivitätsatrophie  der  noch  lebenden  Muskeln  verhindert.  Der 
Pat.  hat  daher  auf  der  einen  Seite  eine  entwickelte  Muskulatur, 
auf  der  anderen  Seite  das  Körpergewicht  als  elastisch  wirkenden 
Widerstand  und  der  Pat.  ist  imtande,  durch  entsprechendes 
Anspannen  oder  Nachlassen  dieser  einseitig  wirkenden  Muskeln 
sein  Sprunggelenk  in  einer  der  Funktion  entsprechenden  Weise 
zu  fixieren  und  zu  gebrauchen.  Er  bekommt  dadurch  ein  aktions- 
fähig(>s,  funktionstüchtiges  Gelenk.  Eine  Rezidive  ist  dabei  aus- 
'p-.-^cidossen. 

Meine  Herren!  Ich  stelle  Ihnen  hier  noch  zwei  Pat.  vor,  um 
Ihnen  den  Nachweis  zu  führen,  .  daß  die  Methode  in  der  Platt- 
fußbehrMMlIung  auch  den  schwersten  Fällen  gewachsen  ist.  Die 
;nne  Pat.  hteiit  seit  vier  Wochen  in  meiner  Behandlung.  Die  Platt- 
fußb-  ;:chwerden  waren  derartige,  daß  die  Pat.  wochenlang  bett¬ 


lägerig  war  und  absolut  nicht  gehen  konnte.  Die  früher  bretthart 
fixierten  Plattfüße  sind  heute  mobil  und  die  Pat.  machte  am 
Sonntag  eine  fünfstündige  Partie  ohne  alle  Beschwerden.  Aus 
der  Photographie  und  dem  jetzigen  Befund  ersehen  Sie,  daß  diese 
Plattfüße  mit  ausgesprochener  Subluxation  des  Talus  zu  den 
allerschwersten  Formen  gehören,  ebenso  wie  die  Füße  der 
zweiten  Pat.,  welche  erst  vom  heutigen  Tage  an  behandelt 
wird.  Ich  werde  mir  erlauben,  die  beiden  Pat.  nach  beendeter 
Therapie  Ihnen  wieder  vorzustellen. 

Diskussion:  v.  Aberle:  Die  Bemerkungen,  die  ich  mir 
im  Anschlüsse  an  die  Demonstration  des  Herrn  Vorredners  zu 
machen  erlaube,  beziehen  sich  einerseits  auf  dessen  Ausführungen 
üher  den  paralytischen  Klumpfuß,  anderseits  auf  diejenigen  über 
den  Plattfuß. 

Was  nun  den  ersten  Punkt  anbelangt,  so  muß  ich  betonen,  daß 
auch  unsere  Pat.  mit  paralytischen  Klumpfüßen  ohne  jeden  Apparat 
nur  mit  einem  einfachen  Schuh  mit  äußerer  bis  1  cm  hohen 
Keileinlage  herumgehen.  Es  muß  nur  selbstverständlich  jedesmal 
vorher  die  Korrektur  der  Deformität  je  nach  der  Schwere  des 
Falles  entweder  durch  einfache  redressierende  Bewegungen  oder 
durch  Redressement  in  Narkose  vorgenommen  worden  sein.  Ich 
werde  mir  in  nächster  Zeit  erlauben,  der  geehrten  Versammlung 
eine  Reihe  von  schweren  paralytischen  Klumpfüßen  zusammen¬ 
zustellen  und  zu  demonstrieren  —  ich  beschäftige  mich  eben 
mit  diesem  Thema  —  um  Ihnen  zu  zeigen,  mit  welch  einfachen 
Mitteln  wir  nach  Beseitigung  der  fehlerhaften  Fußstellung  aus- 
kommen,  ohne  Apparat,  ohne  Sehnentransplantation,  nur  mit 
dem  einfachen  Schuh.  Wenn  Dr.  Semeleder  behauptet,  daß 
unter  der  Einwirkung  seines  Schuhes  die  Muskelkraft  des  Beines 
eine  bedeutende  Stärkung  erfahren  habe,  so  bemerke  ich  nur,  daß 
das  Wiederkehren  der  Muskelaktion  auch  in  unseren  Fällen  von 
paralytischen  Klumpfüßen  eine  alltägliche  Erscheinung  ist.  Nur 
muß  die  Fußdeformität  behoben  worden  sein.  Wir  sehen  dann 
sogar  in  der  anscheinend  vollkommen  gelähmten  Peronealmus- 
kulatur  und  den  Extensoren  neuerdings  eine  Funktion  sich  ein¬ 
stellen,  einfach  dadurch,  daß  die  Muskeln  nach  der  Stellungs¬ 
korrektur  entspannt  werden  und  wieder  unter  günstigere  Funktions¬ 
bedingungen  gebracht  wurden. 

Was  aber  die  Anwendung  des  Semeleder  sehen  Schuhes 
bei  Plattfuß  betrifft,  muß  hervorgehoben  werden,  daß  dieselbe 
Wirkung  auf  viel  einfachere  Art  erzielt  werden  kann,  nämlich 
durch  den  schiefen  B  e  e  1  y  sehen  Absatz.  Es  ist  daher  auch  nicht 
richtig,  daß  erst  durch  den  Semeleder  sehen  Schuh  das  Körper¬ 
gewicht  in  den  Dienst  zur  Korrektur  des  Plattfußes  gestellt  wurde. 
Ganz  dasselbe  Prinzip  verfolgt  der  genannte  schräge  Absatz,  in¬ 
dem  dadurch  genau  dieselbe  Hebel  Wirkung  ausgeübt  wird.  Nur 
müssen  die  Seitenteile  des  Afterleders  versteift  sein  und  diese 
die  Ferse  gut  fassen.  Dadurch  wird  das  Afterleder  beim  Auf¬ 
treten  auf  die  schiefe  Absatzfläche  selbst  schief  von  oben  außen 
nach  unten  innen  gestellt,  so  daß  bei  jedem  Schritte  ein  Redresse¬ 
ment  des  Sprunggelenkes  im  Sinne  der  Korrektur  erfolgt. 

Denn  es  kann  für  die  Wirkung  ganz  gleichgültig  sein,  ob 
der  Absatz  im  Augenblicke  des  Auftretens  bereits  schief  gestellt 
ist,  oder  wie  beim  S  e  m  e  1  e  d  e  r  sehen  Schuh  durch  Zasaminen- 
drücken  der  äußeren  Absatzpartie  erst  abgeschrägt  wird.  Die 
Hebelwirkung  bleibt  in  beiden  Fällen  dieselbe. 

Für  die  leichten  und  mittelschweren  Fälle  von  Plattfuß 
kommen  wir  aber  wohl  stets  mit  den  gewöhnlichen  Maßnahmen 
aus.  Gegen  den  wirklich  schweren,  starr  fixierten  Plattfuß  der 
arbeitenden  Klasse,  dem  wir,  wie  wir  zugeben  müssen,  oft  ratlos 
gegenüberstehen,  nützt  natürlich  auch  der  Semeleder  sehe 
Schuh  nichts,  schon  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  diese  Art 
Plattfuß  gegen  jede  Supinationsbewegung  absolut  unzugänglich  ist. 
Oft  ist  man  aber  anderseits  geneigt,  einen  spastisch  fixierten 
Plattfuß  als  äußerst  schwer  zu  bezeichnen,  der  jedoch  schon  unter 
einfacher  Bettruhe  in  kürzester  Zeit  wieder  vollkommen  be¬ 
weglich  wird.  Ich  kann  hier  speziell  aus  letzter  Zeit  einen  Fall  er¬ 
wähnen.  Derselbe  betraf  eine  Kassierin,  welche  vollkommen  spastisch 
fixierte  Plattfüße  aufwies.  Schon  nach  achttägiger  Bettruhe  waren  die 
Füße  wieder  vollkommen  weich  und  beweglich  und  nach  weiteren 
acht  Tagen  konnte  die  Pat.  ohne  irgendwelche  Beschwerden  mit 
gewöhnlichen  Einlagen  ihren  Dienst  versehen. 

Würde  in  den  Spitälern  nicht  immer  Platzmangel  für  die 
tatsächlich  bedauernswerten  Plattfußpatienten  bestehen,  so  wäre 
auch  für  die  schwersten  Fälle  die  Frage  der  Behandlung  gelöst. 

Dr.  Oskar  Semeleder:  Ich  kann  ruhig  behaupten,  daß 
ich  unter  ca.  60  schweren  Plattfußfällen,  welche  durch  die 
anderen  Methoden  nicht  einmal  schmerzfrei  wurden  und  die  ich 
nach  meiner  Methode  behandelt  habe  (vielleicht  zufälliger¬ 
weise)  bis  jetzt  keinen  einzigen  Mißerfolg  aufzuweisen 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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habe.  Auf  den  Vorhalt  des  längst  verlassenen  H  e  e  1  y  sehen 
Schuhes  habe  ich  bereits  gelegentlich  meiner  ersten  Mitteilung 
entsprechend  geantwortet.  Dieser  Schuh  ist  nicht  imstande,  einen 
hestehendeii  Plattfuß  zu  korrigieren,  sondern  wird  durch  den 
Plattfuß  beim  ersten  Tritt  deformiert,  paßt  sich  der  Deformität 
an  und  wird  in  seiner  Wirkung  der  Keileinlage  gleichgestellt. 
Auch  über  diese  habe  ich  bereits  gesprochen.  Weder  sie,  noch 
der  B  e  e  1  y  sehe  Schuh  hat  etwas  mit  dem  seinerzeit  von  mir  mit¬ 
geteilten  neuen  Prinzipe  gemein.  Wenn  uns  Herr  Dr.  R.  v.  A  h  e  r  1  e 
mitteilt,  daß  auch  durch  eine  dreiwöchentliche  Liegekur  die 
fixierten  Plattfüße  mobil  werden,  so  fehlt  noch  die  weitere  Beob¬ 
achtung,  wie  lange  bei  diesem  Pat.  die  Rezidive  auf  sich  warten 
läßt.  Es  ist  übrigens  nicht  gleichgültig,  ob  der  Pat.  drei  Wochen 
ins  Rett  gelegt  werden  muß  oder  sofort  nach  Anlegung  der  Apparate 
aktionsfähig  ist  und  seinem  Berufe  nachgehen  kann.  Mit  einem 
Paar  solcher  Apparate  ist  der  Pat.  imstande,  seine  Plattfüße 
jahrelang  korrigiert  zu  erhalten;  in  den  meisten  Fällen  braucht 
er  nach  einmal  erzielter  Korrektur  diese  Apparate  später  nur  ein- 
oder  zweimal  wöchentlich  zu  tragen  und  wird  sich  dadurch  sicher 
vor  einer  Rezidive  schützen. 

Wenn  Herr  Dr.  R.  v.  A  b  e  r  1  e  behauptet,  daß  diese  Peroneus¬ 
lähmung  nur  eine  leichte  sei  und  diese  Plattfüße  nur  leichte 
Formen  darstellen,  so  muß  ich  doch  betonen,  daß  ich  doch  aus¬ 
drücklich  mitgeteilt  habe,  daß  es  sich  um  eine  schwere  vollständige 
Lähmung  des  Peroneus  handelt,  welche  zu  wiederholten  Malen  ver¬ 
geblich  nach  den  Methoden  behandelt  wuirde,  auf  welche  Herr 
Dr.  V.  A  b  e  r  1  e  hingewiesen  hat.  Ebenso  könnte  ich  Ihnen,  meine 
Herren,  Plattfußpatienten  vorstellen,  welche  durch  Jahrzehnte 
nach  diesen  und  allen  möglichen  anderen  Methoden  behandelt 
wurden,  aber  erst  durch  Anwendung  meiner  Methode  von  ihrem 
Leiden  befreit  wurden. 

Prof.  Dr.  Benedikt  spricht  über  physiologische  und 
pathologische  V orgänge  im  Zirkulationsapparate.  Zu¬ 
nächst  erinnert  er  wieder  an  seine  Beobachtungen  über  Krämpfe  in 
großen  Gefäßen,  z.  B.  an  einen  Krampf  in  beiden  Art.  cru rales,  der 
bald  heilte.  Weiters  ruft  er  ins  Gedächtnis  seine  Beol)achliin,g 
zurück,  daß  die  Pulse  der  homonymen  Arterien  beiderseits  in  nor¬ 
malem  Zustande  ungleich  voll  sind  und  daß  gleiches  Vollsoin  schon 
auf  eine  Zirkulationsstörung  hindeutet.  Dabei  besteht  ein  aus¬ 
gleichendes  Verhältnis.  Wenn  der  Karotispuls  der  einen  Seite 
voller  ist,  als  jener  der  anderen  Seite,  so  ist  der  Radialispuls 
der  ersten  Seite  kleiner  und  umgekehrt.  Dieses  Verhältnis  ist 
gewiß  nicht  ein  rein  anatomisches,  da  es  sich  ändeiu  kann.  Aus 
zahlreichen  Versuchen  mit  Basch  ergab  sich  ein  ungleicher 
Druck  in  den  homonymen  Arterien.  Eine  Störung  dieses  Verhält¬ 
nisses  ist  die  Regel ;  sie  ist  sehr  häufig  ein  Prodromalsymptom 
von  Apoplexie. 

Besondere  Beachtung  verdient  das  starke  —  autonome  — 
Pulsieren  von  Arterien  ohne  Drucksteigerung  von  der  Peripherie 
und  vom  Zentrum  aus.  Der  Typus  solcher  Pulsationen  ist  jener  der 
Bauchaorta  bei  Hysterischen.  Dabei  findet  eine  Eiaveiterung  über 
das  gewöhnliche  Maß  hinaus  statt  u.  zw.  unter  Drucksleigerung. 
Schon  aus  dieser  pathologischen  Beobachtung  ging  eine  aktive  Er- 
wöiterungsfähigkeit  hervor,  die  durch  die  physiologischen  Ge- 
fäßiienön  gestützt  Wurde.  Die  Physiologen  faßten  diese  Erweite¬ 
rung  als  Aufhebung  der  bestandenen  Tonizität  auf,  w'ährend  die 
pathologische  Beobachtung  eine  aktive  Erweiterung  —  eine  aktive 
Diastole  erwies.  Als  der  einzig  mögliche  Mechanismus  dieser 
aktiven  Diastole  ist  nach  Benedikt  die  Uehers  treck  u  n  g  der 
Ringfasern  über  das  gewöhnliche  Maß.  Die  Tatsache  der  Ueljer- 
streckung  von  Zellen  wurde  z.  B.  bei  den  Mimosenzcllen  nach- 
gew’iesen  und  man  hat  dann  eine  ,, Hyperendosmose“  angenommen. 
Diese  Hyperendosmose  ist  aber  eine  gewöhnliche  Erscheinung 
hei  wachsenden  und  bei  sich  vermehrenden  Zellen  und  (lieso 
Streckung  findet  natürlich  vorwaltend  in  den  Achsen  des  \\  achs- 
tums,  z.  B.  bei  zylindrischen,  elliptischen  und  rhomboidalen 
Zellen,  statt. 

Um  die  Tatsache  der  Ueberstreckung  der  organischen  Crefäßr 
zellen  klarzustellen,  ist  es  gut,  auf  den  Begriff  der  Hemmung 
einzugehen,  der  durch  die  Tatsache  der  Wirkung  der  Vagusfasern 
aufs  Herz  zuerst  in  die  Physiologie  eingeführt  wurde.  Hemmung 
ist  ein  Begriff,  ein  Wort  ohne  Vorstellujig  und  ohne  eigentliche 
Erkenntnis.  Um  eine  Einsicht  in  ihr  Wesen  zu  gewinnen,  müsse 
man  auf  das  Urphänomen  der  Hemmung  in  den  Zellen  zurück¬ 
gehen.  Jede  Zelle  verrichtet  auf  Reiz  eine  „Arbeit“,  welche 
den  biochemischen  und  morx)hologen  Bestand  der  Zelle  schädigt. 
Diesem  Abbau  wirkt  das  Urpbänomen  des  Lebens,  nändich  die 
Kraft  des  Kampfes  um  die  Existenz  und  Erhaltung  der  Eigenart 
der  Zellen,  entgegen.  Der  Reiz  verliert  seine  Kraft  und  durch 
Endosmose  regeneriert  sich  die  Zelle,  ln  zusammengc'selzten  Grga- 


nis'men  Avird  diese  la.mmiendo  Kraft  dunli  Nervenreiz  verstä.ikl. 
Diese  toidsierenden  Nerven  sind  also  lleniinungsnerven,  welche 
den  Wiederaufbau  der  Zellen  fordern  und  wdc  war  gleich  betonen 
wollen,  auf  eine  höhere  Stufe  bringen  können.  Von  den  Physio¬ 
logen  hat  nur  Gas  keil  erkannt,  daß  beim  Wiederaufbau  der  durch 
das  Funktionieren  in  ihrem  Bestände  an  Substanz  und  Energie 
herabgekommenen  Zellen  die  Hemmungsnerven  —  die  Vagi  — 
eine  wichtige  Rolle  spielen.  Durch  diesen  M'iederaufbau  wird 
die  Zelle  AvenigstenS  bis  zur  früheren  Ruhelage  gestreckt.  Daß 
die  Zellen  durch  starke  Reizung  der  Hemmungsnerven  auch  ül)er- 
streckt  wörden  können,  daran  dachte  auch  Gaskell  idcht.  Eine 
Streckung  der  Neiwen  findet  sich  mittels  Endosmose  beim  Aufhören 
der  zusammen  ziehenden  Reize  jedenfalls  ein,  damit  die  Muskel¬ 
faser  wieder  in  ihren  früheren  Zustand  jn  der  Ruhe  zurückkehre 
und  w’enn  dabei  die  die  Endosmose  fördernden  Hemmungsnerven 
mitAvirken,  so  ist  eine  Ueberstreckung,  leicht  denkbar.  Dies  ge¬ 
schieht  geAviß  bei  der  aktiven  ErAveiterung  ■ —  Diastole  —  der 
Arteiien  über  das  gewöhnliche  Maß  hinaus. 

Das  Muskelsystem  der  Arterien  mit  ihren  konstringierenden 
und  erAAöiternden  Nerven  bildet  also  „Lokal  herzen“,  welche 
eine  notAArendige  Ergänzung  des  Zentralherzens  Inlden.  Letzteres 
kann  seinem  Druck  nach  nicht  den  verschiedenartigsten  Ruhe-  und 
Tätigkeitszuständen  der  verschiedenen  Organe  nachkommen.  Dazu 
sind  lokale  Vorrichtungien,  Avie  sie  soeben  beschrieben  wurden, 
nötig  und  für  die  der  Vortragende  bereits  in  einer  Publikation 
im  Jahre  1875  den  Ausdruck  ,, Lokalherzen“  prägte. 

Die  NotAAöndigkeiten  dieser  Hilfsvorrichtungen  Avurde  viel¬ 
fach  —  ohne  klare  Vorstellung  —  vorausgesetzt,  zuletzt  von 
Tigerstedt,  <ler  aber  engherzig  das  Lokalherz  auf  die  kon¬ 
stringierende  Wirkung  und  die  Erschlaffung:  beschj'änkte.  Die 
aktive  Eiweiterung  und  ihr  Mechani.smus  Avurde  erst  vom  Vor¬ 
tragenden  erkannt  und  formuliert.  Der  .Vortragende  erschloß  die 
Existenz  der  Lokalherzen  noch  aus  einer  anderen  fundamentalen 
Fragereihe.  Wieso  die  Zellen  der  verschiedenen  Organe  ihre 
Eigenart  durchs  Leben  trotz  des  gemeinsamen  Nährsafles  —  des 
Blutes  —  erhalten,  ist  eine  Grundfrage  der  Biologie.  Man  hat 
dafür  das  Wort  ,, spezifische  Auslese“  erfunden,  aber  dieses  Wort 
sei  nur  ein  Ausdruck  der  Tatsache,  aber  keine  Erkenntnis.  Bei 
einer  Umfrage  an  alle  Biologen  würde  Avohl  die  Antwort  erfolgeti, 
diese  auslesende  Kraft  sei  an  die  verschiedenen  organischen  Be¬ 
standteile  der  Zellen  gebunden.  Diese  Antwmrt  ist  aber  einseitig. 

Die  Injeklionstechnik  hat  erwiesen,  daßi  jedes  Organ  sein 
eigen  konstruiertes  Haargefäfiisystem  habe,  also  eine  eigenartige 
endo-  und  exosmotische  Vorrichtung.  Damit  diese  aber  den  je¬ 
weiligen  und  allgemeinen  Bedürfnissen  der  Gewebe  entspreche, 
ist  ein  Lokalherz  nötig,  das  dem  Kapillarsysteme  die  nötige  ßlut- 
menge  mit  der  nötigen  Strömungsgeschwindigkeit  und  unter  dem 
nötigen  Drucke  zuführe. 

Diese  Hilfsvorrichtung  für  die  Auslese  haftete  dem  Vortra¬ 
genden  schon  als  Student  in  seiner  Vorstellung,  da  gerade  zu 
jener  Zeit  in  Wien  die  Injektionsteclmik  durch  Be r res  und 
Hyrtl  in  Aöller  Blüte  stand. 

Der  Vortragende  erinnert  dann  an  den  Satz,  daß  <lie  Aus¬ 
gleichung  von  Zirkulationisstörungen  nicht  bloß  nach  hydrostati¬ 
schen  Grumlgcsetzen  vor  sich  gehe,  sondern  auch  unter  Inter¬ 
vention  des  NerArensystemes  in  entfernten  Gefäßgebielen. 

Der  Vortragende  geht  iiun  zur  Frage  der  Theorie  des  Herz¬ 
stoßes  über,  die  Systole  der  Herzkammer  beginne  an  der  Herz- 
s.pitze  und  die  erste  M'irkung  sei  der  Verschluß]  der  Vorhofs- 
kla]')x>en,  wdihrend  erst  in  einem  zAveiten  Momente  der  Verschluß 
der  Arterienklappen  aufgehoben  Avurde.  In  diesem  ersten  Mo¬ 
mente  stelle  die  Herzkammer  einen  bydraulischen  Widder  (?) 
dar,  d.  h.  eine  Strömung,  die  sich  selbst  den  Ausgang  durch 
ein  Ventil  verschließt.  In  diesem  Momente  des  Verschlusses  ent¬ 
stehe  eine  sehr  heftige  Erschütterung,  in  diesem  Momente  entstehe 
auch  der  Herzstoßi  und  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dalf  Herzsioß 
und  die  Erschütterung  im  hydraulischen  Widder  identisch  sei. 
Dieses  habe  Dr.  Karl  Schmidt  in  Bruck  a.  d.  Mur  erkannt, 
und  somit  gebühre  einem  österreichischen  Arzte  die  Ehre,  das 
alte  Problem  gelöst  zu  haben. 

Der  Vortragende  stellt  dann  Betrachtungen  über  die 
„Schichtenarbeit“  im  Herzen,  in  den  Gefäßen  und  in  den  Avill- 
küidichen  Muskeln  zur  Erörterung,  Avobei  er  hervorhebt,  daß  er 
die  Lehre,  daß  bei  Avillkürlichen  Muskelzusammenziehungen  iinnuM- 
nur  ein  Teil  des  Längenschnittes  und  ein  Teil  des  Querschnittes, 
je  nach  der  intendierten  Hubhöhe  und  Hebeintensität  in  Ansiiriu  h 
genommen  Aveide,  zurücknehme.  Nur  der  Begriff  der  Scliicbt- 
arbeit  in  dem  Sinne  ist  absolut  festzubalten,  daßi  in  jeder  Zelle 
in  jedem  Momente  nur  ein  Teil  der  lebendigen  Kräfte  zur  .Arbeit 
benützt  AAörden  könne. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


Zum  Sclilusse  stellt  der  Vortragende  eine  historische,  dehk- 
niethodische  Heti-achtung  an:  der  größle  Aufenthalt  iin  Fort¬ 
schreiten  der  Medizin  sei  der  Irrtum  gewesen,  daß  die  Arterien 
sijirituseingescddossene  Lehensgeister  oder  Fneuma  enthalten.  Der 
schlichteste,  aber  gesunde  medizinische  Denker,  auch  ein  Bader 
aus  einem  Pfahldorfe,  mußte  die  Tatsache  aus  Verletzungen,  aus 
den  Ej-gebnissen  bei  Operationen  erkennen,  daß|  die  Arterien  im 
Leben  Blut  enthalten  und  daß.  daher  die  Leere  der  Arterien  eine 
LeichenerscheinUiig  sei  und  das  Problem  laute :  Wieso  Jiach  dem 
Tode  die  Arterien  leer  werden?  Ein  weiterer  Satz,  der  nicht  ohne 
Begründung  war,  lautete,  daß  <lie  Lehensgeister,  also  die  Lebens¬ 
energien  durch  die  Arterien  den  Geweben  zugeführt  werden  und 
da  man  sich  diese  Lebensgeister  als  luftartig  vorstellte,  hatte 
man  das  Bedürfnis,  sich  die  Arterien  als  blutleer  vorzustellen. 
Bei  unbeugsamem  Tatsächlichkeitssinne  hätte  man  sich  aber  sagen 
müssen,  daß  diese  Lebensgeister  schwimmen  und  tauchen  können 
und  so  durch  das  Blut  zu  den  Gewebezi  gelangen.  (Dm-  Vortrag 
wird  in  der  nächsten  Sitzung  fortgesetzt  werden.) 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

Sitzung  vom  23.  Mai  1907. 

H.  G  e  ]'  her  s teil t  eine  43jährige  F rau  mit  Syringomyelie 
und  vollständiger  A  n  ä  s  t  h  e  s  i  e  d  e  r  Korne  a  vor.  N ac h 
einem  vor  vielen  Jahren  erfolgten  Sturz  bekam  Pat.  Krampf¬ 
anfälle  in  der  linken  oberen  Extremität  mit  Parästhesien,  Schwindel- 
anfällen  und  Abnahme  der  motorischen  Kraft  im  linken  Arme, 
später  Schwellung  der  linken  Hand  und  des  linken  Unterarmes. 
Vor  einigen  Jahren  trat  unter  Fieber  eine  Schwellung  ties  linken 
Schul tergelenkes  auf,  aus  welchem  durch  Inzision  eine  gelbliche 
Flüssigkeit  entleert  wurde,  bald  darauf  erfolgte  bei  einer  raschen 
Bewegung  eine  Luxation  in  diesem  Gelenke.  Jn  der  Folge  erlitt 
Pat.  mehi‘f;iche  Verletzungen  und  Verbrennungen,  wobei  sie  keinen 
Schmerz  verspürte.  Die  Untersuchung  ergibt  bei  der  Patientin 
eine  partielle  Empfindungslähmung  an  der  linken  oberen  Ex¬ 
tremität,  an  der  liidcen  Brustseite  bis  zur  Mittellinie  und  hinauf 
bis  zur  Scheitel-Ohr-Kinnlinie,  ferner  Atrophie  der  kleinen  Hand¬ 
muskeln,  trophische  Veränderungen  der  Haut,  Skoliose  der 
M'irbelsäule,  Steigerung  der  Patellarreflexe,  nystagmusartige 
Augenbewegungen,  ferner  eine  vollkommene  Anästhesie  der 
linken  Kornea,  Fehlen  des  Rachen-  und  Niesreflexes.  Auf  eine 
Erkrankung  der  Medulla  oblongata  weisen  die  bestehende  links¬ 
seitige  RekuiTenslä Innung,  sowie  der  Umstand  hin,  daß  Patientin 
nach  Eintritt  der  Dunkelheit  die  Sicherheit  im  Gehen  Amriiert. 

K.  G 1  a  e  s  s  n  e  r  demons  i  rier t  lebende  B  a  1  a  n  t  i  d  i  u  m  c  o  1  i 
aus  dem  Stuhle  eines  Pat.,  der  vor  sechs  Wochen  an  einer 
heftigen  Enteritis  erkrankte.  Unter  dem  Mikroskope  sieht  man 
ovale,  bewimperte  Gebilde  mit  einem  bohnenförmigen  Kern  und 
mehreren  kontraktilen  Vakuolen;  an  einem  Pole  sitzt  der  trichter¬ 
förmige  Mund,  am  entgegengesetzten  der  After.  Im  Innern  des 
Balantidiums  findet  man  Blutkörperchen  und  Zerfallsprodukte  der¬ 
selben.  Die  Parasiten  zeichnen  sich  durch  eine  große  Beweglich¬ 
keit  aus.  Die  Stühle  des  Patienten  sind  blutig-eitrig,  <lie  Er- 
kraidmng  ist  sehr  hartnäckig  und  die  Therapie  machtlos. 

J.  Friedjung  führt  ein  Ißjähriges  Mädchen  mit  mon¬ 
go  1  o  i  d  e  r  Idiotie  vor.  IWt.  zeigt  Schiefstellung  der  Augen, 
Anderdung  von  Epikanthus,  kleinen  Mund,  auffallend  große  Zunge, 
eine  Hernia  umbilicalis  und  Schlaffheit  der  Gelenke.  Der  Intellekt 
der  Patientin  ist  stark  zurückgeblieben,  die  Menses  treten  nur 
selten  ein,  die  Sprache  ist  undeutlich,  die  Hände  sind  zyanotisch 
und  ihre  Weich  teile  verdickt.  Nach  der  Anamnese  dürften  here¬ 
ditäre  Lues  und  nervöse  Belastung  dem  Leiden  zugrunde  liegen. 

R.  Kienböck  demonstriert  einen  durch  Röntgen¬ 
strahlen  geheilten  Fall  von  lymphatischer  Leu¬ 
kämie.  Bei  dem  Patienten  traten  vor  Auer  Jahren  Drüsen- 
schAA'ellungen  und  ein  derartiges  Schwächegefühl  auf,  daß  er 
arbeitsunfähig  AAmrde.  Vor  zwei  Jahren  ergab  die  Blutuntcu-- 
suchung  fünf  ^Millionen  rote,  185.000  Aveiße  Illutkörperchen  und 
15-9'’/o  Hämoglohingehalt.  Die  Milz  überragte  um  5  cm  den 
Rippenbogen.  Seit  2Vi'  Jahren  wurde  die  Röntgenbehandlung 
in  zehn  Zyklen  durchgeführt,  Avobei  durch  acht  bis  vierzeim  Tage 
die  A’ergrößerten  Drüsen,  die  Milzgegend  und  die  Extremitäten- 
knoctiou  in  kleinen  Dosen  bestrahlt  Avurden.  Die  Milz  und  die 
Drüsen  A'erkleinerten  sich  schnell,  nach  der  Sitzung  stellten  sich 
zunächst  Uebelkeit  und  Fieber  bis  zu  38°  (toxische  Initialsym- 
ptomci  em,  die  Zahl  der  Aveißen  Blutkörperchen  stieg  zuerst  an 
vFolgo  der  AusschAAemmung  dei-selhen),  dann  fiel  sie  ab.  Hier¬ 
auf  folgte  schmdl  eine  Aveitgehende  Besserung,  so  daß.  Patient 


Avieder  arbeitsfähig  wurde.  Die  roten  Blutkörperchen  haben  sich 
auf  AÜer  Millionen  verndudert.  Wenn  längere  Zeit  die  Behandlung 
ausgeselzt  Avird,  Amrgrößern  sich  die  Drüsen  Avieder,  alle  Er¬ 
scheinungen  verscIiAAunden  aber  auf  neuerliche  Bestrahlung. 

L.  AC  Schrötter  stellt  einen  zehnjährigen  Kna,ben  mit 
Obliteration  der  Aorta  in  deri’  Gegend  des  Ductus 
Botalli  vor.  Die  Gegend  des  Jugulum,  der  Karotiden  und 
Suhklavien  zeigt  eine  starke  Pulsation,  dagegen  ist  in  den  Krurales 
kein  Puls  zu  fühlen.  Es  findet  sich  ein  deutlich  ausgebildeter 
Kollateralkreislauf,  in  Avelchem  die  Arteriae  thoracicae  longae, 
Intei'kostalarterien  und  xArteriae  epigastricae  einbezogen  sind. 
Pat.  hat  eine  Stimmbandlähmung,  klagt  aber  sonst  über  keine  Be- 
schAverden,  der  Kollateralkreislauf  ist  also  in  ausgedehntem  Maße 
ausgebildet. 

LudAvig  SchAveiger:  Ueber  tabetiforme  Verände¬ 
rungen  der  Hinters  trän  ge  bei  Diabetes.  Vortr.  berichtet 
über  Hintej'slrangsveränderungen  in  den  Rückenmarken  zweier 
Diabetiker,  die  er  im  AViener  neurologischen  Institute  untersuchte. 
Er  fand,  daß  es  sich  bei  ihnen  nicht  um  einen  Prozeß  handle, 
der  dem  bei  der  perniziösen  Anämie  beschriebenen  analog  ist, 
sondern  es  war  eine  inkomplette  Degeneration  der  hinteren 
Wurzeln  vorhanden.  Die  sogenannten  endogenen  Fasersysteme 
Avaren  intakt,  in  einem  der  Fälle  Avar  die  charakteristische  tabische 
Veränderung  der  Wurzeleintrittszone  vorhanden  und  die  Clark- 
schen  Säulen  Avaren  in  einem  der  Fälle  ihres  dichten  Fasern¬ 
netzes  beraubt,  ln  den  aufgehellten  Gebieten  war  die  Glia  leicht 
verdichtet.  Das  periphere  Nervensystem  konnte  nicht  untersucht 
Averden,  die  beschriebene  Hinterstrangsveränderung  ist  aber  jeden¬ 
falls  von  einer  eAumtuell  vorhandenen  Erkrankung  desselben  un¬ 
abhängig.  Auch  Avurden  bei  Polyneuritis  diabetica  noch  keine 
solchen  Hinterstrangsveränderungen  beschrieben.  Acht  Fälle  der 
Literatur  zeigen  im  AAmsentlichen  ebenso  zu  deutende  Verände¬ 
rungen.  Die  klinischen  Symptome  sind  sehr  gering,  soAvohl  in 
den  Fällen  des  Vortragenden,  als  auch  in  denen  der  Literatur. 
Es  dürften  dabei  die  relative  Akuität  und  die  geringe  Intensität 
des  Prozesses  eine  Rolle  spielen.  Fehlen  des  Patellarreflexes 
ist  achtmal,  lanzinierende  Schmerzen  sind  zweimal  verzeichnet. 
Lues  ist  außer  in  einem  Falle  der  Literatur  in  einem  der  eigenen 
Fälle  nachgeAviesen,  dürfte  aber  auch  in  diesem,  Avie  Vortragender, 
gestützt  auf  das  klinische  und  histologische  Bild,  ausführt,  nicht 
als  Ursache  in  Betracht  kommen.  Fünfmal  ist  Tuberkulose  kon¬ 
statiert;  es  liegen  hier  schwere  Diabetesfälle  vor,  häufig  mit 
Tuberkulose  kombiniert.  Der  beschriebene  tabetiforme  Rücken- 
marksprozeß  gehört  mit  den  bei  Ergotismus  beschriebenen  und 
einigen  AAmiteren  in  eine  Gmppe.  Er  ist  ein  weiterer  BeAveis 
dafür,  daß  auch  Systemerkrankungen  des  Rückenmarkes  auf 
toxischer  Basis  entstehen  können. 


24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907.  (Fortsetzung.) 

Referent:  N.  Meyer -Bad  Wildungen. 

V.  Sitzung:  MittAvoch  den  17.  April,  vormittags. 

B  ü  r  k  n  e  r  -  Tübingen  :  1.  Demonstration  einer  Zähl¬ 

kammer.  2.  Demonstration  eines  Apparates  zur  Ermit¬ 
telung  der  Blutgerinnungszeit. 

B  ü  r  k  n  e  r  demonstriert  1.  eine  Zählkammer,  die  bessere 
Resultate  gibt,  als  die  bisher  üblichen  ; 

2.  einen  handlichen  Apparat,  der  eine  gleichmäßige  Temperatur 
in  dem  das  mit  Blut  beschickte  Glasplättchen  enthaltenden  Raum 
garantiert  und  so  exakte  Ermittelungen  der  Blutgerinnungszeit 
gestattet. 

C.  Hirsch-  Leipzig  und  W.  S  p  a  1 1  e  h  o  1  z  -  Leipzig  :  Kor  o- 
narkreislauf  und  Herzmuskel,  anato  in  i  s  c  h  e  und 
experimentelle  Untersuchungen. 

W.  Spalteholz  berichtet  zugleich  im  Namen  von 
C.  Hirsch  von  seinen  gemeinschaftlich  mit  dem  letzteren  an- 
gestellten  Untersuchungen  über  die  VerteilungSAveise  der  Koronar¬ 
arterien  des  Herzens  und  über  die  Folgen  des  experimentellen 
Verschlusses  dieser  Gefäße.  Es  handelte  sich  dabei  namentlich 
darum,  über  die  Frage  von  den  Anastomosen  der  Koronararterien 
und  über  die  Bedeutung  von  pathologischen  Verhältnissen  Auf¬ 
schluß  zu  erhalten. 

Spalteholz  ging  bei  seinen  anatomischen  Untersuchungen 
davon  aus,  daß  die  Anastomosen,  wie  überhaupt  die  ganze  Gefä߬ 
verteilung  im  Herzen  durchaus  gesetzmäßig  sein  müssen  und 
suchte  deshalb  zunächst  das  Verteilungsprinzip  der  Arterien  fest¬ 
zustellen  ;  Avenn  dies  gelungen  ist,  so  ist  damit  auch  die  Frage 
von  den  Apastomosen  gelöst.  Spalteholz  verarbeitete  besonders 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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Hunde-  und  Menschenherzen.  Er  injizierte  mit  einer  Leimmassc 
welche  reichlich  mit  Chromgelb  versetzt  ist.  Nach  der  Injektion 
werden  die  Herzen  im  ga.nzen,  soweit  wie  nur  irgend  möglich 
durchsichtig  gemacht.  Die  Herzen  kommen  zu  diesem  Zwecke 
nach  ihrer  Härtung  zunächst  in  absoluten  Alkohol,  dann  werden 
sie  in  zweimal  gewechseltes  Benzol  überführt  und  schließlich 
in  ein  Gemisch  von  ungefähr  drei  Volumteilen  Benzol  und  ein 
Volum  Schwefelkohlenstoff  übertragen.  Bei  diesem  Optimum  der 
Aufhellungsflüssigkeit  werden  die  dünnen  Teile  der  Herzwände 
ganz  durchsichtig,  die  dickeren  Teile  aber  soweit  aufgehellt,  daß 
man  durch  die  oberflächlichen  Schichten  mehrere  Millimeter  in 
die  Tiefe  hineinsehen  kann. 

Spalteholz  erläuterte  dann  an  der  Hand  von  großen 
Tafeln  und  Photographien  die  Verhältnisse  zunächst  beim  Hund. 
Bei  diesem  anastomosieren  die  Koronararterien  dicht  unter  dem 
Perikard  oder  in  den  oberflächlichen  Schichten  des  Myokard  ganz 
außerordentlich  reichlich.  Benachbarte  Aeste  beider  oder  einer 
und  derselben  Arterie  hängen  durch  zahlreiche  stärkere  und 
feinere  Aeste  zusammen.  An  den  Ventrikeln  sieht  man  dabei 
ein  Netz,  das  in  Einzelheiten  etwas  wechselt,  dessen  Maschen  aber 
im  allgemeinen  in  der  Richtung  der  Muskelzüge  etwas  in  die 
Länge  gestreckt  sind  und  in  vielen  Beziehungen  auffällig  dem 
Arteriennetz  in  den  Muskeln  des  Stammes  ähnelt.  An  der  Aorta, 
A.  pulmonalis  etc.  hängt  dieses  Netz  mit  den  Vasa  vasorum  dieser 
Gefäße  zusammen. 

Erwachsene  menschliche  Herzen  lassen  sich  im  allgemeinen 
nicht  so  gut  injizieren,  wie  Hundeherzen.  An  guten  Präparaten 
sieht  man  aber  ebenfalls  zahlreiche  Anastomosen,  gröbere  und 
feinere,  an  der  Oberfläche  oder  dicht  unter  ihr,  die  sich  im  Prinzip 
genau  so  verhalten  wie  beim  Hund.  An  einigen  aufgeschniftenen 
menschlichen  Herzen  war  am  linken  Ventrikel  besonders  schön 
das  Verhalten  der  Gefäße  innerhalb  des  Myokard  zu  sehen.  Von 
dem  oberflächlichen  Netz  gehen  annähernd  senkrechte  Aeste  in 
die  Tiefe,  die  teilweise  innerhalb  der  Muskulatur  Anastomosen 
bilden,  teilweise  bis  nahe  unter  das  Endokard  ziehen  und  in  die 
Papillarrnuskeln  und  Trabeculae  carneae  umbiegen.  In  diesen 
laufen  sie,  einfach  oder  zu  mehreren,  parallel  zu  deren  Achse, 
anastomosieren  miteinander  und  bilden  so  langgestreckte  Anasto- 
mosenbögen.  Herzen  menschlicher  Neugeborener  lassen  im  all¬ 
gemeinen  leichter  das  Vorhandensein  von  Anastomosen  erkennen, 
als  die  von  Erwachsenen  und  es  drängt  sich  dabei  der  Vergleich 
mit  dem  Hundeherzen  noch  mehr  auf  als  bei  diesen.  Dabei  liegen 
die  Gefäße  zum  Teil  relativ  und  absolut  oberflächlicher  als  beim 
Erwachsenen.  Die  Verteilung  innerhalb  der  Muskulatur  ist  beim 
Neugeborenen  und  Erwachsenen  gleich. 

Das  Herz  entbehrt  also  nicht  der  Anastomosen  oder  ist 
arm  an  ihnen,  sondern  es  ist  im  Gegenteil  sehr  reich  mit  ihnen 
versehen. 

Diese  anatomische  Feststellung  erlaubt  aber  nicht,  ohne 
weiteres  Schlüsse  über  die  Funktionsfähigkeit  der  Anasto¬ 
mosen  zu  ziehen.  Um  diese  kennen  zu  lernen,  unterband 
C.  Hirsch  an  sieben  Hunden  und  zwei  Affen  den  Ramus  des- 
cendens  anterior  der  A.  coronaria  sinistra  in  verschiedenen  Höhen. 
Die  Tiere  überstanden  die  Operation,  die  unter  Anwendung  der 
Brau  er  sehen  Ueberdruckmethode  ausgeführt  wurde,  ausge¬ 
zeichnet.  Kein  Tier  starb  an  den  unmittelbaren 
F o Igen  der  Operation.  Die  Tiere  wurden  nach  drei  bis 
vier  Wochen  getötet,  ihre  Herzen  wurden  injiziert  und  weiter 
untersucht.  Dabei  zeigte  sich,  daß  stets  ein  Infarkt  entstanden 
war ;  er  lag  von  der  Unterbindungsstelle  entfernt 
und  entsprach  nicht  dem  ganzen  Verteilungs¬ 
gebiet  der  unterbundenen  Arterie,  sondern  nur 
dessen  zentralem  Teil ;  er  ist  dabei  von  etwas  wechselnder  Größe, 
beeinträchtigt  aber  auch  dann,  wenn  er  groß  ist, 
durchaus  nicht  dieF unktionsfähigkeit  des  Herzens. 
Damit  stimmen  auch  viele  Beobachtungen  am  Menschen  überein. 
Daß  der  Verschluß  größerer  Koronararterienäste  vom  Menschen 
gewöhnlich  nicht  so  leicht  ertragen  wird,  liegt  daran,  daß  bei 
diesen  entweder  die  Gefäße  oder  die  Muskulatur  oder  beides  erkrankt 
sind,  oder  daß  die  vis  a  tergo  mangelhaft  funktioniert. 

36.  Kongreß  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

zu  Berlin.  (Schluß.) 

G.  Glücks  mann -Berlin:  E-ndo  rektale  und  endo- 
s  i  g  m  o  i  d  e  a  1  e  Operationen. 

Die  Schleimhautpolypen  des  Mastdarmes  und  der  Flexura 
sigmoides,  einzeln  oder  multipel  auftretend,  stellen  ein  Krank¬ 
heitsbild  von  weittragender  Bedeutung  dar.  Denn  einerseits 
können  sie,  oberflächlich  exulzerierencl*,  die  Quelle  hartnäckiger 
Blutungen  sein,  die  in  ihrer  langen  Dauer  oft  schwerste  In- 


anitionszuständc  im  Gefolge  haben,  anderseits  droht  liei  ihnen  stets 
die  Gefahr  der  malignen  Degoneralion.  Soweit  diese  Gebilde 
der  Mastdarmampulle  angehören,  waren  sie.  bereits  früher  der 
Diagnose  durch  Digilalexplorafion  und  damit  der  an  diesei'  Stelle 
relativ  einfachen  chirurgischen  Therapie  zugängig.  Anders  stand 
dies  um  Gebilde  derselben  iVrt,  welche  in  der  Flexura  sigmoides 
zur  Ausbildung  kamen.  Diese  entzogen  sich  vermöge  ihrer  Weich¬ 
heit  und  geringen  Größe  jeglicher  Palpalionsmöglichkeit  durch 
die  Bauchdecken,  während  sie  natürlich  vom  Anus  aus  ebenso¬ 
wenig  erreichbar  sind. 

Vortr.  berichtet  über  eine  Serie  solcher  Polypenerkrankungen 
der  untersten  Darmabschnittc,  welche  er  sämtlich  rektosko- 
pisch,  bzw.  s i gm o s k Op i s c h  diagnostiziert,  und  auf  dem¬ 
selben  Wege,  also  per  vias  naturales,  entfernt  hat.  Be¬ 
sonders  wichtig  war  das  in  zwei  Fällen,  in  denen  die  papillären, 
haselnuß-,  bzw.  kirschgroßen,  ges liehen  Tumoren  19,  bzw.  21  cm 
hoch  gesessen  haben.  Das  Instrumentarium,  dessen  sich 
Gl  ticks  mann  bediente,  bestand  aus  einem  von  ihm  modifizierten 
Straußschen  Sigmoskop,  sowie  aus  einem  Polypenschnürer,  der 
sich  von  den  in  der  Rhinologie  gebräuchlichen  nur  durch  seine 
Länge  unterscheidet.  Nach  der  Abschnürung  wurde  durch  einen 
eigenen  Pulverbläser  ein  kleiner  Wundschorf  erzeugt.  Gelegent¬ 
lich  ist  Tamponade  vermittels  eines  ebenfalls  für  diesen  Zweck 
konstruierten  Tamponators  erforderlich.  Die  Instrumente  sind  bei 
G.  H  a  u  t  e  1,  Berlin,  Karlsstraße  19,  erhältlich.  Mikroskopisch 
enviesen  sich  die  beiden  aus  der  Flexura  sigmoides  stammenden 
Tumoren  als  reine  tubulöse  Adenome.  Demgegenüber  zeigten 
verschiedene  von  den  auf  gleichem  Wege  aus  der  Ampulla  recti 
entfernten  Polypen  bereits  atypischen  Bau,  z.  B.  ein  von  Privat¬ 
dozenten  Dr.  Pick  mikroskopisch  untersuchter,  dem  Material  des 
Dr.  S  c  h  ö  n  s  t  a  d  t  entstammender  Polyp  erwies  sich  als  Adeno¬ 
karzinom.  In  solchen  Fällen  ist  natürlich  nach  Sphinkterdehnung 
die  möglichst  radikale  Entfernung  des  Geschwulstbodens  indi¬ 
ziert,  wie  dies  z.  B.  in  dem  eben  zitierten  Falle  seitens  des  Doktor 
Schön  Stadt  durch  ausgiebige  Kauterisation  geschah.  Ent¬ 
sprechendermaßen  würde  bei  uachgewiesener  Malignität  eines  aus 
der  Flexura  enlfernten  Polypen  ebenfalls  ein  radikalerer  Eingriff, 
nach  dem  jetzigen  Stande  der  Chirurgie  die  Laparotomie,  an¬ 
zuschließen  sein. 

H.  S te tti nIer-Berlin  stellt  einen  Knaben  im  Alter  von 
13  Monaten  vor,  der  mit  einer  Atresia  ani  et  communicatio 
recti  cum  parte  prostatica  urethrae  (atresia  ani  ure- 
thralis)  geboren  war.  Die  Kommunikation  des  blind  endigenden 
Rektums  mit  den  Harnorganen  kann  an  drei  Stellen  stattfinden, 
am  seltensten  am  Blasenscheitel,  am  häufigsten  am  Blasengrundo 
und  an  der  Pars  prostatica  urethrae.  Zur  operativen  Beseitigung 
der  ersteren  wird  sich  der  auch  von  Lotsch  mit  gutem  Erfolge 
eingeschlagene  Weg  der  Laparotomie,  Trennung  von  Blase  und 
Älastdann  und  Durchführung  des'  Darmendes  nach  dem  Damme, 
am  ehesten  eignen.  Für  die  tiefer  gelegenen  Kommunikationen 
am  Blasengrunde  und  der  Urethra  empfiehlt  Vortr.  im  Gegensatz 
von  V.  Esmarch  ein  zweizeitiges  Vorgehen,  nicht  etwa  in  dem 
Sinne,  daß  die  zweite  Operation,  wie  das  bisher  meist 
geschehen,  auf  ein  späteres  Lebensalter  verschoben  wird, 
sondern  möglichst  bald  der  ersten  folgen  soll.  So  wurde  in  dem 
vorgesbellten  Falle  die  erste  Operation  (Anlegung  einer  Darm¬ 
öffnung  an  normaler  Stelle)  am  zweiten  Lebenstage,  die  zweite 
Operation  (ebenfalls  vom  Damme  aus  Trennung  der  Urethra  vom 
Rektum)  nach  vier  Wochen  ausgeführt.  Bemerkenswert  war,  daß 
bei  der  zweiten  Operation  die  Harnröhre  an  der  Kommunikations¬ 
stelle  völlig  durchrißi  und  über  einem  Nelatonkatheter  genäht 
werden  mußte.  Ers  bildete  sich  zunächst  eine  perineale  Urinfistel 
aus,  die  sich  nach  fünf  Wochen  wieder  schloß.  Die  Harnröhre 
ist  jetzt  für  ein  BoUgie  Nr.  11  durchgängig.  Urinentleerung  nor¬ 
mal.  Mastdarmfunktion  nahezu  befriedigend.  Bei  der  Nach¬ 
behandlung  Avar  die  Darreichung  von  Ammenmilch  und  die  sach¬ 
gemäße  Pflege  in  der  Berliner  Säuglingsklinik  von  großem  Werte. 

Ferner  zeigt  Vortr.  ein  Präparat  von  einem  mit  Peritonitis 
und  hochsitzend  em  D  a r m  v e r sch lu s s  e  in  die  Berliner 
Säuglingsklinik  gebrachten  Achtmonatskinde,  das  72  Stunden  nach 
der  Geburt,  60  Stunden  nach  Anlegung  eines  Anus  praeternatu¬ 
ralis  starb.  Der  Dünndarm  endete  75  cm  unterhalb  des  Pylorus 
blind.  Außerdem  bestanden  auch  w^eiter  unten  mehrfache  Ver¬ 
engerungen,  teilweise  auch  Achsendrehungen  des  Dünndarms,  wäh¬ 
rend  der  ganze  Dickdarm  fedeikieldünn  war.  Vortr.  hält  die 
Peritonitis  für  eine  sekundäre,  die  Verengerungen  teilweise  für 
Hemmungsbildungen. 

Kausch  demonstriert  ein  Präparat  von  Blindsack- 
Sanduhrmagen  und  Gastroenterostomie. 

Der  Magen  besteht  aus  diui  Säcken :  der  größte,  kardiale, 
hat  die  Größe  eines  normalen  Magens;  der  Blindsack  ist  etwa 


752 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  24 


(‘in  Diiftol  so  groß,  er  geht  von  dem  pylorisclion  Sacke  ans, 
der  wieder  einem  Drittel  des  vorigen  entspricht.  Zwisclten  dorn 
kai'dialen  und  pylorisclien  Sacke  trefindet  sich  ein  großes,  otfenes 
(h  sr  inviir,  in  das  Pankrc'as  greifend.  Die  Kommunikalioneu 
zwis(dien  den  Säcken  sind  weil,  der  Pylorus  liegt  an  der  hinteren 
^\'and,  dicht  neben  dem  GescliAvürsrande,  stellt  einen  schmalen 
Schlitz  dar  und  ist  ahgeknickt. 

Die  Gastroenterostomie  wurde  am  tiefsten  Pnnkt  des  Blind¬ 
sackes  in  folgender  Weise  ausgefiihrt:  Die  senkrecht  von  oben 
nach  unten  herabsteigende  oberste  Dünndarmschlingc  wurde  (iner, 
mit  ibi'(‘r  lialben  Zirkund'erenz  angenäht,  so  daßi  der  Wagen  an  der 
Darmschlinge  aufgebängt  war;  die  Gastroenterostomie  wurde 
mittels  Nabt  angelegt.  Der  ursprüngliche  Querschlitz  hat  sich 
in  ein  weit  klaffendes  Dreieck  verwandelt,  an  dessen.  Spitze  der 
Darm  sich  so  weit  verengt  hat,  daß'  gerade  eine  Kornzange  Platz 
iial.  Die  Fistel  funktioniert  geradezu  ideal. 

Bei  der  höchst  elenden,  antünischen  Patientin,  die  olren  eine 
s(diwei‘e  Magcnblutung  ül)erstanden,  brach  ani  dritten  läge  nach 
der  (dperation  ein  Inanitionsdelirium  mit  Nahrungsverweigerung 
aus,  dem  Pat.  am  vierten  Tage  erlag.  Es  dürfte  sich  empfehlen, 
in  solchen  Fällen  der  Gastroenterostomie  sogleich  die  Gastro¬ 
stomie  mit  Einlegung  des  Schlauches  in  den  abführenden  Darm¬ 
schenkel  hinzuzufügen. 

K 1’  a  use-  Berlin  :  Zur  Kenntnis  der  Rücke  n  mark  s- 
1  ä  h  ni  u  n  g  'e  n. 

Krause  spricht  nicht  von  den  Fällen,  bei  denen  es  sich 
um  Tumoren  oder  Knochenmarkerkrankungen  handelt,  vielmehr 
von  einer  von  ihm  nicht  genügend  beachteten  Erkrankung,  d-ie 
doch  nicht  so  selten  zu  sein  scheint,  denn  bei  20  Kanaleröff¬ 
nungen  hat  er  sie  achtmal  angetroffen.  Stets  war  bei  den  Patienten 
von  (U'sler  neurologischer  Seite  aus,  auch  von  Krause,  die 
Diagnose  auf  Tumor  gestellt  worden,  auf  Grund  einer  Brown- 
Sequard sehen  Lähmung;  stets  zeigte  die  Operation,  daß  davon 
nicht  die  Rede  war.  Vielmehr  fand  sich  stets  eine  sehr  starke 
Araclmoidalspannung.  Er  berichtet  über  seine  operierten  Fälle 
und  kommt  an  der  Hand  dieses  Materials  zu  dem  Schlüsse,  daßi 
die  Henlesche  Ansicht,  die  Araclmoidea  stelle  keinen  Doppel¬ 
sack,  sondern  ein  Bindegewebe  sehr  hydroptschen  Charakters  rlar, 
zu  Recht  bestehe.  In  allen  Fällen  handelte  es  sich  um  eine 
Menijigiüs  spinalis  serosa  durch  Erkrankung  des  Knochens,  oder 
Lues,  oder  alte,  eitrige  Prozesse.  Die  Lumbalpunktion  erreicht 
in  diesen  Fällen  nichts.  Es  gibt  bisher  kein  diagnostisches  Merk¬ 
mal,  um  diese  Affektion  von  den  Tumoren  zu  unterscheiden. 
Deshalb  ist  nur  die  Laminektomic  am  Platze,  der  dann  die 
Eröffnung  der  Dura  folgen  muß. 

Je nkel- Göttingen  bespricht  einen  Fall,  der  klinisch  den 
Eindruck  einer  Qnerschnittläsion  machte.  Pat.  fiel  auf  das  Genick, 
zeigte  sofort  Lähmungen  aller  Extremitäten  bei  Erhaltung  des 
Bewußt.seins,  Sensibilitätsstörungen,  Temperatur  bis  42°,  fast  minus 
Diaphiagmaalmen,  starke  Schweiße,  Priapismüs,  Die  Wirbelsäule 
schien  nicht  verletzt.  Elf  Tage  s.uäter  Exitus.  Die  Sektion  ergab 
mikroskopisch  eine  Zerreißung  der  Hinterhörner.  In  der  Zer- 
reiß'Ungsspalten  war  die  weiße  Substanz  gedrängt  worden;  es 
fanden  sieb  minimale  Blutungen.  Als  Aetiologie  nimmt  Jenkel 
die  größere  Beweglichkeit  der  Halswirbelsäule  an,  die  Dislor¬ 
sionen  ohne  Frakturen  oder  Luxationen  gestattet.  Keinesfalls 
liandelt  es  sicli  bei  diesem  so  seltenen  Befunde  der  Heterotopie 
uni  postmortale  Artefakte. 

H  o  f  f  m  a  n  n  -  Graz  mach'e  die  Pharyngo^omia  suprahyoidea 
transversa  als  Voroi>eration  zur  Entfeiaumg  eines  Sarkoms  der 
Schäd(*lbasis.  Die  Uebersicht  über  den  ganzen  Epipharynx  war 
ühen-ascdiend  gut,  die  Blutung  ininimal,  die  Narkose  wurde  durch 
ein  Drain  geleitet,  das  durch  die  Wunde  in  den  Kehlkopf  ein¬ 
geführt  wurde.  Der  Tumor  wurde  ausgelöst.  Naht,  reaktions¬ 
loser  Verlauf.  Der  Einwand  der  Aspirationsgefahr  gegen  die 
Operation  wird  von  Hoffmann  als  belanglos  zurückgewiesen. 

Diskussion:  Schloffer  hat  auf  dem  nasalen  Wege  einen 
Hypophysentumor  entfernt,  brd  glattem  Verlaufe. 

Kuhn  geht  durch  die  Mundhöhle  vor  und  empfiehlt  die 
perorale  Tiibage. 

V.  H aberer-M’ien  (Icmons'riert  Präparate  von  inplan- 
tierten  Nieren  in  die  Milz. 

C 1  a  i  rm  o  n  t- Wien  zeigt  Karzinome,  die  von  der  Basal¬ 
schicht  ausgehen.  Diese  Tumoren  sind  relativ  gutartig  gegen¬ 
über  den  Kankroiden  und  s'ellen  einen  Uebergang  zu  den  Ade- 
nonum  dar.  Sie  sind  einzuteilen  in:  1.  Tumoren  des  Gesichtes. 
Klinisch  ist  hiebei  maßgebend,  daß  es  sich  stets  um  ältere  Leute 
handelt,  um  einen  längeren  Bestand,  um  scharfe  Begrenzung 
niit  hohem  Mall,  um  Tllzeralionen  in  der  Mitte,  die  nicht  in 
di(‘  ''liefe  gehen  und  um  Fehlen  von  Drüsen.  2.  'rumoren  des 
Schädels,  die  pilzartig  waclisen.  3.  Tumoren  auf  Schleimhäuten, 


die  vom  geschichteten  Pflasterepilhel  ausgehen  (Uvula).  Die  Pro¬ 
gnose  ist  meist  günstig.  Therapeutisch  zeigt  die  Bestrahlung  gute 
Erfolge. 

Diskussion:  Friedrich  schließt  sich  den  Ausführungen 
Clairmonts  aii,  König  sen.  glaubt  ab  und  zu  einen  Zusammen¬ 
hang  mit  Verletzungen  gesellen  zu  haben. 

V.  Saar  bespricht  vier  b^älle  von  Cystadenoma 
mammae.  In  zwei  Fällen  ist  eine  Exstirpation  der  Tumoren 
gemacht,  da  die  Prognose  günstig  gestellt  v’urde.  ln  beiden  Fällen 
traten  Rezidive  auf,  die  eine  Amiiutation  erforderlich  machten. 
Deshalb  empfiehlt  v.  Saar  stets  die  Amputatio  mammae. 

S  u  t e  r -  Innsljruck  teilt  die  Erfahrungen  mit  P e  r  u  h  a  1  s  a,  m 
mit,  die  bei  Behandlung  von  562  Fällen  gesammelt  wurden,  von 
leichten  Verletzungen  bis  zu  den  schwersten  Zertrümmerungen. 
Seine  Ergebnisse  faßt  er  dahin  zusammen,  daß  der  Perubalsam 
die  Bakterien  mecbanisch  einhüllt,  daß  er  bakterizide  Eigen¬ 
schaften  hat  Und  daß  er  diese  Eigenschaft  weiter  an  seine  Um¬ 
gebung  gibt.  Einwirkung  des  Balsams  auf  die  Nieren  hat  Suter 
nicht  gesehen. 

Diskussion:  B  o  r c  h  a  r  d  hat  mehrere  Fälle  schwerer  Ne- 
phrilis  gesehen.  Suter  erklärt  diese  Nephritiden  dadurch,  daß 
dem  Balsam  oft  ai'omalische  Substanzen  beigemengt  sind. 

Bralz  halte  Fälle  gesehen,  bei  denen  Bleigeschosse,  die 
im  Körper  verblieben,  schwere  Bleivergiftungen  hervorgerufen 
haben.  I 

Clairmoji  t-AVien  teilt  die  Bebandlung  der  Mastdarmstiik- 
turen  der  v.  Eiselsbergschen  Klinik  mit.  Meist  kolostomiert 
V.  Eiseisberg  Und  schließt  den  Spülungen  die  Bougierung 
ohne  Ende  an.  So  sind  zwei  Fälle  völlig  geheilt,  die  anderen 
wesen llich  gebessert. 

P.  Reichel- Chemnitz:  Demonstration  eines  sel¬ 
tenen  Falles  von  Aneurysma  der  Arteria  femoralis. 

Vorlr.  demonstriert  das  durch  Tötalexstirpalion  gewonnene 
Präparat  eines  traumatisch  durch  fünf  Jahre  zuvor  entstandenen 
Aneurysmas  der  Schenkelarterie,  das  durch  seine  außergewöhn¬ 
liche  Form  eine  Seltenheit,  wenn  nicht_  ein  Unikum  darsLellt. 
Das  Aii'eürysma  bestand  aus  zwei  völlig  voneinander  getrennten, 
eiförmigeii,  ja  faustgroßen,  mit  Blut  und  Gerinnseln  gefüllten 
Bindegewebssäcken,  welche  von  ihren  oberen  Polen  je  durch 
einen  kurzen,  fingerdicken  Stiel  mit  der  gleichen  Stelle  der  Ar¬ 
teria  femoralis  kommunizierten,  die  ihrerseits  sonst  unverändert 
zwischen  beiden  Säcken  hinabzog.  Zustande  gekommen  war  diese 
eigentümliche  Form  durch  den  Sitz  der  Stichverletzung  des  Ge¬ 
fäßes  genau  an  seiner  Durchtrittsstelle  durch  den  Adduktoren¬ 
schlitz.  Durch  den  Blutauslritt  hatten  sich  zu  beiden  Seiten 
des  Adductor  magnus  Hämatome  gebildet,  die  sich  dann  zu  je 
einem  Aneurysmasack  umwandel  len,  der  eine  zwischen  Adduktor 
und  Sartorius,  der  andere  zwischen  Adduktor  und  Semimem¬ 
branosus.  Pal.  wurde  durch  die  Operation  geheilt  und  vollständig 
arbeitsfähig. 


Programm 

der  am 

Freitag  den  14.  Juni  1907,  7  IJlir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Königsteiii  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  0.  Loewi:  Eine  neue  Funktion  des  Pankreas  und  ihre 
Beziehung  zum  Diabetes  mellitus.  (Vorläufige  Mitteilung.) 

2.  Professor  Dr.  M.  Benedikt :  Physiologie  und  Pathologie  der 
Zirkulation. 

3.  Dr.  Kud.  Kauriuaim:  Ueber  Kontraktionsphänomene  am  Magen. 
Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Prof.  S.  Stern. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Ophthalmolo gische  Gesellschaft  in  Wien. 

Programm  zu  der  am  Mittwoch  den  19.  Juni  1907,  7  Uhr  abends 
im  Hörsaal  der  Klinik  Schnabel  staltfindenden  Sitzung. 

H.  Wintersteiner:  Mitteilungen  über  Geschwülste  des  Auges. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet  im  Hörsaale  der  Klinik  Neusscr  Donnerstag 
den  13.  Juni  1907,  um  7  Uhr  abends,  statt. 

Vorsitz:  Hofrat  Prof.  v.  Neusser. 

Programm: 

1.  Demonstrationen. 

2.  Dr.  V.  Decastello  und  Dozent  Dr.  Kienböck:  Ueber  Radio¬ 
therapie  der  Leukämie.  Das  Präsidiu  m. 


Vtiantworllichtr  Ridaktaur: 


Adalbert  Karl  Trupp.  VtrUf  ron  Wilhelm  Branmfiller  in  Wien. 

Drnok  Ton  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  ThereaiengasBe  8. 


rr- 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 

M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  y.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Escherich,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Schrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

— ^  _ 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/i,  Wickenburggasse  13. 

Telephon  Nr.  17.618. 


Die 

..Wieuer  klliilsclie 
Woclieuscltrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogeri  Großquart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

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sendungen  an  die  Verlags¬ 
handlang. 


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Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  werden  von  allen  Buch¬ 
handlungen  und  Postämtern, 
sowie  auch  von  der  Verlags¬ 
handlung  übernommen.  — 
Abonnements  deren  Abbestel¬ 
lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
als  erneuert. 


Ill  s  era  t  e 

werden  mit  CO  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Größere  Auf¬ 
träge  nach  Uebercinkommen. 


XX.  Jahrgang. 


Wien,  20.  Juni  1907. 


Nr.  25. 


INH 

1.  Origiualartibel :  1.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen 
Institut  in  Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  P  a  1 1  a  u  f.)  lieber  Para- 
tj'phusgifte  und  deren  Neutralisation  mit  Typhusantitoxin. 
Von  Prof.  R.  Kraus  und  Dr.  R.  v.  S  t  e  n  i  t  z  e  r. 

2.  Die  Bedeutung  der  herabgesetzten  Salzsäureproduktion sfiihig- 
keit  in  der  Diagnostik  der  Magenerkrankungen.  Von  Doktor 
A.  V.  T  o  r  d  a  y,  Assistenten  an  der  II.  internenKlinikin  Budapest. 

3.  Aus  der  k.  k.  III.  medizinischen  Universitätsklinik  (L.  von 
Schrötter)  und  der  k.  k.  pädiatrischen  Universitätsklinik 
(Th.  Escherich)  in  Wien.  Zur  Bronchoskopie  bei  Fremd¬ 
körpern.  Von  Dr.  phil.  et  med.  Hermann  v.  Schrötter  in 
Wien. 

4.  Aus  dem  klinischen  Ambulatorium  für  Nervenkranke  in  Wien. 
(Vorstand:  Hofr.  v.  Wagner.)  Ein  Fall  von  Scheuthauers 
„Kombination  rudimentärer  Schlüsselbeine  mit  Anomalien  des 
Schädels“.  (Dysostose  cleido-cränienne.)  Von  Privatdozent 
Dr.  Alfred  Fuchs,  klinischem  Assistenten. 

5.  Aus  der  Prosektur  und  dem  bakteriologischen  Institut  der  mähr. 
Landeskrankenanstalt  in  Brünn.  (Vorstand:  Prosektor  Priv.- 
Doz.  Dr.  C.  Ste  rn  b  e  r  g.)  lieber  den  Nachweis  von  Milzbrand¬ 
bazillen  an  Pferdehaaren.  Von  Dr.  Athanas  Theodorov, 
Sofia. 


ALT: 

6.  Aus  dem  .staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in  Wien. 
(Vorstand :  Prof.  R.  P  a  1 1  a  u  f.)  Erwiderung  zu  den  Bemerkungen 
L.  Zupniks  über  Spezifizität  der  Bakterienpräzipitine.  Von 
Dr.  M.  V.  E  i  s  1  e  r. 

7.  Paracelsus  in  Oesterreich.  Von  Privatdozent  Dr.  phil.  Franz 
Strunz,  Wien. 

II.  Referate:  Die  Röntgenstrahlen  im  Dienste  der  Neurologie, 
Von  Wilhelm  Fürnohr.  Knochensyphilis  im  Röntgenbild.  Von 
R.  Hahn  und  Deycke.  Die  Röntgentherapie  nach  ihrem 
heutigen  Stande.  Vortrag  von  Ed.  Gottschalk.  Mitteilungen 
aus  der  Wiener  Heilstätte  für  Lupuskranke.  Herausgegeben  von 
Prof.  Dr.  Ed.  L  a  n  g.  Archives  of  the  Roentgen  Ray.  Edited  by 
Cl.  A.  Wright  and  W.  Deane  Butcher.  Archiv  für  physi¬ 
kalische  Medizin  und  medizinische  Technik.  Heravisgegeben  von 
Kraft  und  Wiesner.  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Röntgenstrahlen.  Herausgegeben  von  A 1  b  er  s  -  Sc  h  ö  nb  e  r  g. 
Die  Kathodenstrahlen.  Von  G.  C.  Schmid  t.  Ueber  elektrische 
Entladungen  im  luftverdünnten  Raum.  Von  Prof.  Dr.  E.  Sommer. 
Der  Gummidruck.  Von  Th.  Hofmeister.  Ref.:  Kienböck. 

III.  Aus  verscliiedeuen  Zeitschrifteu. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Kongreßberichto. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 
Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

Ueber  Paratyphusgifte  und  deren  Neutralisation 
mit  Typhusantitoxin. 

Von  Prof.  E.  Kraus  und  Dr.  R.  y.  Stenitzer. 

Wir  haben  in  einer  früheren  Arbeit  (Wiener  klinische 
Wochenschrift  1907,  Nr.  6)  clargelegt,  flaß.  es  gelingt,  in 
Bouilloiikuhnren  von  einer  Heihe  von  Typhusslilmnien,  iniler 
Bemcksichtiginig  des  Alkaleszenzgrades  und  des  Alters  der 
BoiiillonkulLnr,  giftige  Substanzen  nachzuweisen,  welche  irn 
lierkörper  (Pferd,  Ziege)  Aiititoxinproduklion  hervorzurufeii 
vermögen  und  mithin  als  echte  Toxine  anzusehen  sind. 
Giftwirkung  und  Giftnentralisation  konnten  wir  am  besten 
am  Kaninchen  mittels  intravenöser  Injektion  studieren. 

In  Fortsetzung  dieser  Versuche  haben  wir  dieselben 
aucli  auf  artverwandte  und  Diotogisch  nahestehende  Mikro¬ 
organismen,  wie  Paratyphusstämme.  Mäusetyphus-  und 
Schweinepestbazillen  ausgedehnt  und  dabei  Resultate  er¬ 
halten,  die  wir  im  folgenden  kurz  mitteilen  wollen. 

Die  in  größeren  Kolben  (zwei  Liter)  angelegten 
Bouillonkulturen  wurden  bei  37®  bebrütet,  nach  verschie¬ 
denen  Zeiten,  nachdem  sie  auf  ihre  Reinheit  geprüft  worden 
waren,  karbolisiert  (4  cnF  konzentrierte  Karbolsäure  auf 
einen  Liter  Kulturflüssigkeit),  24  bis  48  Stunden  stehen 
gelassen  und  dann  durch  Päpierfiller,  analog  wie  Diphtheric- 
bouillou,  klar  filtriert.  Die  Filtrate  wurden  dann  bezüglich 
ihrer  Giftigkeit  an  Kaninchen  (intravenös)  ausgewertet.  Auf 
diese  Weise  gelingt  es  nun  (siehe  Tabelle  I)  bei  einer  Reihe 


Tabelle  I. 


Alter 

der  Kultur 

Nährboden 

Bouillon  2'4  NaOH’) 

Bouillon  Soda  (Diphtherie)*) 

11  Tage 

Schottmüller  B.  2'0®) 

14  Tage 

Seeman  10,  Burri  2'0 

15  Tage 

Wagner  3'0,  Seeman  30, 
Brion-Kayser  2‘0,  Widal  2'0, 
Suipestifer  Ostertag  3  0 

Swoboda  2'0,  Mäusetyphus 
Tromsdorf  2’0,  Kazda  2'0, 
Suipestifer  5'0 

18  Tage 

Golio  3  0,  Burri  3*0 

27  Tage 
von  Para 

yphusstämmen,  sowie  ai 

Ballasch  2  0,  Burri  2-0 
ich  hei  Mäiisetyphiis-  iint 

Sctiweinepestbazilleii,  nach  li  bis  27  Tagen  Kulturfiltrate 
zu  erhalten,  welche  in  Mengen  von  1  bis  3  cnF  bei  intra¬ 
venöser  Injektion  Kaninchen  in  5  tiis  24  Stunden  töten. 

Charakteristische  Krankheitszeichen,  oder  typische 
pathologisch -  anatomische  Veränderimgen,  lassen  sich  hei 
den  injizierten  Tieren  ebensowenig  wie  bei  Intoxikation  mit 
Typhnsgiften  konstatieren.  Die  Kaninchen  werden  zuerst 
liinfällig,  bekommen  Diarrhoe  und  können  bereits  nach  fünf 
Stunden  verenden.  Rei  der  Obduktion  findet  man  häufig 
flüssigen  Darminhalt  und  leichte  Injektion  der  Darmschleim- 
haut.  —  Unsicherer  ist  die  Giftwirkung  auf  Meerscliweinchen 
und  Mäuse. 

')  Vom  Phenolphthaleinpunkt  2'4  cm®  5®/o  NaOH. 

Vom  Lackmusneutralpunkt  10  cm®  Normalsodalöiung  auf  einen  Liter. 

®)  Schottmüller  B.  2'0  bedeutet:  keimfreies  Bouillonfiltrat  Schott- 
inUller  B,  tötet  intravenös  ein  Kaninchen  von  ca.  800  g  binnen  5  bis 
24  Stunden. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


Das  ExporiiTionliereii  mil.  den  Knllnrfilt.rat.en  ist  ancli 
hier  analog  wie  hei  Typhns  deshalb  sehr  erschwert,  weil 
wir  hier  auch  ein  labiles  Gift  vor  uns  haben,  welches  binnen 
wenigen  Tagen  seine  Wirksamkeit  fast  vollständig  verlieren 
kann.  Diese  Feststellung  ist  insofern  von  Interesse,  als  sie 
im -Gegensätze  steht  zn  der  wiederholt  nachgewiesenen  llitze- 
beständigkeit  der  Gifte  der  Fleischvergiftung  (Bacilhis  ente- 
rilidis);  allerdings  ist  bisher  der  Nachweis  der  anligenen 
Natur  dieser  hitzebeständigen  Gifte  nicht  erbracht  worden. 

Wodurch  wir  nns  aber  besonders  zur  kurzen  Veröffent- 
lichung  unserer  Befunde  bewogen  fühlen,  ist  der  Umstand, 
daß  es,  wie  wir  an  der  Hand  unserer  Versuchsprotokolle 
zeigen  können,  gelingt,  diese  Gifte  in  spezifischer 
Weise  durch  Typhusantitoxin  zu  neutralisieren. 

Es  erscheint  diese  Tatsache  als  ein  interessantes  Ana¬ 
logon  in  helreff  der  Beziehungen  von  Typhus-  zu  Para¬ 
typhustoxin,  wie  das  El  Tor -Toxin  zu  den  Toxinen  anderer 


Tabelle  II. 


Serum 

Dosis 

inem^ 

Toxin 

Dosis 

Tier 

Resultat 

Typhus  (Karl) 

1-0 

Sceman 

4 

Kaninchen 

lebt 

0-8 

> 

4 

t 

» 

0-5 

4 

» 

t 

01 

4 

» 

J. 

1 

Normalserum  I 

10 

4 

t 

»  II 

1-0 

4 

t 

— 

— 

4 

S> 

t 

Typhus  (Kail)- 

OT 

Burri 

3 

lebt 

01 

3 

3> 

t  nach  3  Tagen 

005 

3 

» 

t 

Meningokokken 

(Klara) 

01 

3 

t 

Cholera  (Kalif) 

01 

3 

+  i 

— 

J> 

3 

t  i 

Tabelle  HI. 


i 

1  Serum 

Dosis 

Toxin 

Dosis 

Tier 

Resultat 

Typhus  (Janus) 

1-0 

Seeman 

4 

Kaninchen 

lebt 

0-3 

■J> 

4 

lebt 

i 

0-5 

» 

4 

.t. 

1 

1 

1  y> 

01 

4 

3> 

t 

— 

4 

t 

Typhus  (Janus) 

1  0 

Swoboda 

3 

lebt 

05 

3 

X> 

t 

OT 

3 

T> 

t 

— 

— 

> 

3 

J. 

t 

, Cholera  (Lektor) 

10 

3 

JL 

1 

Norm.  Pferdeser. 

10 

Seeman 

4 

t 

Tabelle  IV. 


Serum 

Dosis 

Toxin 

Dosis 

Tier 

Resultat 

Typhus  (Mayer) 

1  0 

Seeman 

4 

Kaninchen 

lebt 

> 

08 

4 

Normalserum 

10 

4 

t 

— 

'ft 

4 

t 

Mayer 

10 

Sprung(Typ.9 

3 

lebt 

0-5 

3 

> 

lebt 

> 

01 

y> 

3 

f  nach  C  Tagen 

— 

— 

7> 

3 

t  nach  5  Stunden 

Cholera  (Lektor) 

10 

3 

y> 

^  Dysent.  (Infant) 

10 

> 

3 

. 

h  Prilventiver  Schutz:  Das  Toxin  wurde  24  Stunden  nach  dem 
Serum  injiziert. 


Vibrionen.  Wie  Kraus  und  Pribram  zeigen  konnten,  ver¬ 
mag  man  durch  Immunisierung  von  El  Tor- Toxin  ein  anti- 
toxisches  Serum  zu  erhalten,  welches  auch  die  Toxine  an¬ 
derer  agglulinatoriscli  differenter  Vibrionen  neutralisiert. 

Wie  ans  den  vorangehenden  Protokollen  ersichtlich 
ist,  gelingt  es,  mit  dem  Serum  von  den  Pferden  Karl 
und  Janus,  welche  mit  steigenden  Dosen  von 
T  y  p  h  u  s  k  u  1  i  n  r  f  i  1 1  r  a,  I  e  n  i  m  m  u  n  i  s  i  e  r  t  w  n  r  d  e  n,  d  i  e 
Toxine  zweier  Paratyphnsstämme  anti  toxisch 
zu  beeinflussen.  Auch  ein  a n  t  i  to x i s c h e s  Typ h u  s- 
pferdeserum,  welches  uns  von  Herrn  Dr.  Mayer 
(Berlin)  in  liebenswürdigerweise  z u r  V  e r f  ü g u n  g 
gestellt  wurde,  war  imstande,  ein  Paratyphus- 
kul  turf  iltra.t  im  Tierkürper  zu  neutralisieren. 

Tabelle  V. 


Serum 

Dosis 

Zeit 

Toxin 

Dosis 

Tier 

Resultat 

Typhus  (Janus) 

10 

Kazda 

3 

Kaninchen 

lebt 

10 

Swoboda 

3 

T> 

lebt 

10 

Ö 

<v 

Mäusetyphus 

lebt 

Trommsdorf 

Cholera  (Lektor) 

1-0 

c 

Ö 

Kazda 

3 

t 

* 

1-0 

m 

Swoboda 

3 

t 

10 

Mäusetyphus 

q 

t 

(M 

Trommsdorf 

Dysenter.  (Komt.) 

1-0 

O 

Kazda 

3 

t 

■» 

10 

P 

Swoboda 

3 

t 

1-0 

Mäusetyphus 

t 

Trommsdorf 

Zimi  Schlüsse  sei  noch  in  Tabelle  V  ein’  Versuch 
mitgeteilt,  aus  dem  hervorgeht,  daß  das  Pferde  serum 
Janus  imstande  is  t,  Kaninchen  gegen  Para  typ  hu  s- 
u n d  M ä. u s e t y p h u s to x i n  präventiv  in  spezifischer 
Weise  zu  schützen. 

Die  Wertigkeit  der  Typhusseren  ist  keine  erhebliche, 
was  uns  nicht  wundernehmen  soll,  in  AnbelTacht  des  ^noch 
niederen  antitoxischen  Titers  gegenüber  den  eigenen  Typhus¬ 
toxinen.  Immerhin  aber  tritt,  wie  aus  den  angestellten  .Kon¬ 
trollen  mit  Normalseren  und  anderen  antitoxischen  Immun¬ 
seren  (Cholera,  Dysenterie)  hervorgeht,  ihre  Spezifität  zu¬ 
tage.  Die  heterologen  Seren,  welche  die  zugehörigen  Toxine 
(Cholera,  Dysenterie)  neutralisieren,  sind  nicht  imstande, 
die  Wirkung  der  Typhus-  und  Paratyphusgifte  zu  be¬ 
einflussen.  I 

Nach  diesen  vorläufig  mitgeteilten  Resultaten  ist  es 
wahrscheinlich,  daß  die  nach  gewiesenen  löslichen 
Gifte  des  Paratyphus,  ebenso  wie  die  der  Typhus¬ 
bazillen,  Körper  sein  dürften,  welchen  anti- 
gene  Eigenschaften  zu  kommen.  Wenn  auch  der 
direkte  Beweis,  den  wir  zu  erbringen  versuchen 
wollen,  bisher  noch  aus  steht,  darf  man  wohl  aus  .dem  Er¬ 
gebnisse  des  Neutralisier ungs Versuches  mit  Typhusantitoxin 
diesen  Schluß  sich  erlauben.  Es  bleibt  weiteren  Versuchen 
vorhehalten,  die  Beziehungen  der  Toxine  der  Paratyphus¬ 
stämme  A  und  B  zueinander  und  zu  den  anderen  artver¬ 
wandten  (Mäusetyphus,  Schweinepest,  Fleischvergiftung), 
sowie  zum  Typhustoxin,  nacli  dieser  Richtung  hin  fest¬ 
zustellen.  Nach  den  vorliegenden  Versuchen  von  Kutscher 
und  Meinike,  Boehme  (Zeitschrift  für  Hygiene  1900, 
Bd.  52),  welchen  eine  gegenseitige  aktive  Immunisierung 
mit  Bakterien  gegen  Infektion  mit  Paratyphus,  Mäusetyphus, 
einer  Reihe  von  Enteritidisstämmen  gelang,  sowie  nach  den 
Versuchen  von  Boehme,  wonach  Psittakoseseriim  gegen 
Typhusinfektion  schützte,  erscheint  uns  nicht  aussichtslos, 
auch  hier  nach  einer  gewissen  Gemeinschaft  der  Toxine 
(Parlialloxine),  wie  sie  Kraus  bereits  für  Vibrionen  ge¬ 
funden  hat,  zu  suchen. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


755 


Die  Bedeutung  der  herabgesetzten  Salzsäure- 
produktionsfähigkeit  in  der  Diagnostik  der 
Magen  erkrankungen. 

Von  Dr.  A.  v.  Tordsiy,  Assistenten  an  der  II.  internen  Klinik  in  Budapest. 

Es  is(.  eine  callgomeiiie  und  längst  bekannte  Talsaelie, 
(laß  di(^  Angalten  des  magenkranken  Patiejilen  niemals  oder 
mir  seilen  wertvolle  Anliaitspnnkte  für  eine  sichere  Dia¬ 
gnose  lictern,  daß  man  also  auch  auf  Grund  der  genauesten 
Anamnese  kaum  imstande  sein  wird,  sich  ein  klares  und 
zutrel'fendes  Kraiikheiisbild  zu  konstruieren.  So  klagen  zum 
Beispiel  die  Kranken  über  ein  brennendes  Gefühl  nicht  nur 
dann,  wenn  ihr  Magen  zuviel  Salzsäure  sezerniert,  sondern 
auch  in  Fällen,  wo  die  Sekretion  herabgesetzt  ist;  ferner 
gebürt  das  Aufstoßpn  und  der  saure  Geschmack  im  Munde 
zu  den  konstanten  und  gemeinsamen  Klagen  aller  Alagen- 
leidenden. 

Wollen  wir  nun  eine  richtige  Diagnose  aufs  teilen,  um 
auf  dieser  Basis  eine  entsprechende,  womöglich  kausale  The¬ 
rapie  in  Anwendung  bringen  zu  können,  so  müssen  wir, 
da  die  subjektiven.  Klagen  des  Kranken  wenig  verwendbare 
Daten  liefern,  zur  objektiven  Untersucluing  schreiten  und 
vor  allem  die  chemischen  und  mechanischen  Funktionen 
des  betreffenden  Magens  einer  genauen  Probe  unterziehen. 
Nachdem  aber  die  Sekretionsfähigkeit  des  Magens  auch 
bei  einem  und  demselben  Individuum  in  ziemlich  weiten 
Grenzen  variiert,  so  müssen  die  Untersuchungen  wieder¬ 
holt  angeslellt  werden. 

Den  wichtigsten  Teil  der  Magenfunktion  bildet  die 
Salzsäureproduktion,  neben  welcher  die  Rolle  des  Pepsins 
und  des  Labfermentos  Ijloß  als  untergeordnet  bezeichnet 
werden  kann. 

Produziert  der  Magen  weniger  Salzsäure,  als  es  den 
normalen  Verhältnissen  entsprechen  würde,  oder  aber 
sistiert  die  Salzsäureproduktion  überhaupt,  so  spreeben  wir 
im  erstoren  Fälle  von  Subazidität,  im  letzteren  Falle  hin¬ 
gegen  von  Anaziclität,  resp.  Achylie.  Im  sul)-  oder  anaziden 
Magensekrete  ist  freie  Salzsäure  gewöhnlich  überhaupt  nicht 
enthalten,  gebundene  Salzsäure  ist  i]i  Fällen,  wo  die  Ge- 
samlazidität  20  überschreitet,  als  höchstwahrscheinlich  vor¬ 
handen  anzunehmen.  Bei  solch  kleinen  Werten  ist  ganz 
wenig  Milchsäure  ohne  Bedeutung.  Im  weiteren  Sinne  des 
Wortes  bedeutet  Achylia  gastrica  eigentlich  das  volistän- 
(lige  Fehlen  der  Salzsäure,  im  engere]i  Sinne  jedoch  sprechen 
wir  von  Achylia  gastrica  dann,  wenn  bei  negativem  Salz- 
und  Milchsäurebefunde  wenige  Tropfen  oder  ein  Kubik- 
zentirneler  Vio-normale  Natronlauge  zur  Neutralisierung  des 
Magensekretes  genügen. 

Martins  und  Einhorn  unterschie(.len  eine  Achylia 
simplex  als  selbständige  Form,  bei  welcher  die  Ursache 
dieses  Zustandes  nicht  zu  eruieren  wäre,  im  Gegensätze 
zu  jener  Achylia  gastrica,  deren  Veranlassung  uns  bekannt 
ist  und  die  eher  als  Begleiterscheinung  anderer  pathologi¬ 
scher  Verhältnisse  zu  betrachten  w.ä.rc.  Solche,  die  Achylia 
gastrica  mit  sich  bringende  oder  sie  hervorrufende  Krank¬ 
heiten  wären;  Anaemia  perniciosa  und  im  allgemeinen  alle 
schweren  Anämien,  Nervenkrankheiten  (Hysterie,  Base¬ 
dowsche  Krankheit),  Arteriosklerosis,  Störungen  des  Stoff¬ 
wechsels,  Herz-  und  Nierenleiden,  Tuberkulose,  Gastritis 
der  Potatoren  und  schließlich  Karzinom. 

In  Fällen  von  Sub-  und  Anazidität  (Achylia  gastrica) 
wird  der  nach  einem  Probefrühstück  entleerte  Mageninhalt 
schon  durcli  sein  Aeußeres  die  l)estehenden  Verhältnisse 
verraten :  wenig  Magensekret  und  schon  mit  freiem  Auge 
leicht  zu  unterscheidende  Semmelbiaichstücke.  Die  Gesamt¬ 
azidität  ist,  wie  wir  schon  oben  erwähnten,  gewöhnlich 
gering,  doch  gibt  es  aucli  Ausnahmsfällc,  wo, sie  ziemlich 
hohe  Werte  erreicht,  wie  .50  l)is  60. 

Vor  kurzem  hatte  ich  sell)st  Gelegenheit,  einen  Fäll 
zu  beobachten,  in  welchem  bei  Vorbandensein'  eines  in 
der  Pylorusgegend  pah)ablen  Tumors,  in  dem  nach  Ablaut 
von  sechs  Stunden  aus  dem  Magen  entferiden  Inhalte  eine 


Gesamtazidität  von  60  nachweisbar  war,  ohne  daß  Salz¬ 
oder  Milchsäure  daselljst  vorhanden  gewesen  wäre.  Der¬ 
artige  Umstände  treten  gewöhnlich  dann  ein,  wenn  an  der 
Stelle  eines  Ulcus  pylori  ein  Karzinom  entsteht  oder  wenn 
])ei  einer  nicht  gerade  durch  Karzinom  verursachten  Pylo- 
lusstenose  die  Magensekretion  aus  irgendeinem  Grunde 
berabgemindert  ist.  Das  Fehlen  der  Milchsäure  ließe  sieb 
dadurch  erklären,  daß  die  gebundene  Salzsäui'e  jeneGärung, 
deren  Produkt  die  Milchsäure  bildet,  bintanballe;  keiiuis- 
falls  ist  es  aber  Bedingung,  wie  dies  Hammerschla. g 
meinte,  daß  Milchsäure  nur  in  pepsinlosem  Magen  entstehe; 
denn  wenn  sonst  die  Verhältnisse  die  Milchsäureentwick¬ 
lung  begünstigen,  so  kann  Pepsin  diese  Gärung  nicht  ver¬ 
hindern.  Fehlt  im  Magensekrete  Salzsäure,  so  verschwinden 
aus  demselben  das  Pepsin  ,und  das  Labferment  oder  sind 
nur  mehr  in  geringem  Maße  daselbst  vorhanden.  Strauß 
führt  an,  daßi  anazides  Magensekret  die  Fähigkeit  besitze, 
zu  peptonisieren,  falls  es  gebundene  Salzsäure  eiithalte. 

Sowohl  bei  Anazidität  als  auch  ])ei  Hypazidität  köunen 
klinische  Symptome  vollständig  fehlen;  die  Kranken  be¬ 
klagen  sich  über  ihren  Magen  nicht  oder  kaum  und  mil¬ 
der  Zufall  führt  zur  Erkenntnis  der  wahren  Sachlage,  wenn 
man  z.  B.,  wie  ich  es  tat,  bei  Nervenkranken  systematisch 
Magenwaschungen  vornimmt,  oder  wie  Lief  schütz,  der 
bei  einer  Reihe  von  greisen  Individuen  die  Alagenfunktion 
prüfte  und  hiebei  einige  Fälle  von  Achylie  fand.  Meistens 
haben  aber  die  Patienten  Beschwerden  und  Klagen  über 
ein  spannendes  Gefülil  im  Magen,  über  ^ufstoßen,  Druck 
oder  Diarrhoe.  Manchmal  erscheinen  die  Schmerzen  bei 
leerem  Magen,  wie  bei  Hyperchlorhydrie  und  verschwinden 
nach  dem  Essen;  auch  Icann  der  Kranke  an  Erbrechen  leiden, 
ohne  daß  der  Entleerung  des  Magens  mechanische  Hinder¬ 
nisse  im  Wege  stünden.  Die  Schmerzen,  welche  des  öfteren 
Brechreiz  oder  Erbrechen  auslösen,  können  gar  oft  von 
der  Ueberreiztheit  des  Magens  oder  von  dem  Umstände 
herrühren,  daß  die  Magenschleimhaut  ungemein  empfind - 
lieh  und  leicht  verletzbai*  ist;  noch  schlimmer  gestalten 
sich  die  Verhältnisse  dadurch,  daß  der  Magen  mit  dem 
Verluste  der  Salzsäure  sein  kräftigstes  Desinfektionsmittel 
und  energischestes  Bakteriengift  einbüßt  und  hiedurch  un¬ 
fähig  wird,  sich  gegen  den  Einfluß  der  Bakterien  und  ihrer 
Toxine  zu  schützen.  Bei  solchen  Kranken  finden  wir  zu¬ 
weilen  Hypermotilität,  d.  h.  eine  Stunde  nach  iVufnahme 
des  Probefrühstückes  ist  der  Magen  total  leer.  Die  Erklä¬ 
rung  dieser  Erscheinung  ist  einerseits  in  dem  überreizten 
Zustande  des  Magens  zu  suchen,  infolgedessen  er  seinen 
Inhalt  so  rasch  als  möglich  los  zu  werden  sich,  bestrebt, 
anderseits  aber  in  dem  Umstande,  daß  ein  Magen,  der  zu 
sezernieren  aufgehört  hat,  den  darin  befindlichen  Speisen 
gegenüber  sich  indifferent  verhalten  wird,  da  er  ja  die 
Fähigkeit,  die  aufgenommene  Nahrung  aufzuarbeiten,  ver¬ 
loren  hat.  Die  Diarrhoe  ist  die  logische  Folge  obiger  Zu¬ 
stände,  indem  selbe  nicht  nur  durch  die  in  den  unverdauten 
und  gärenden  Speisen  vortrefflich  gedeihende  Bakterien¬ 
flora  und  deren  Toxine  hervorgerufen  wird,  sondern  zum 
großen  Teile  dadurch  entsteht,  daß  der  Mageninhalt  nicht 
als  Brei,  sondern  in  größeren  oder  kleineren  Stücken  in 
den  Darmkanal  gelangt  und  daselbst  einen  mechanischen 
Reiz  ausübt.  Bei  solchen  Kranken,  bei  denen  die  Sub¬ 
oder  Anazidität  Verdauungsstörungen  nicht  hervorruft,  er¬ 
setzt  die  erhöhte  Fünktion  der  Darmdrüsen  die  entfallende 
Magenfimktion ;  meistens  jedoch  sind  die  Gedärme  einer 
solch  gesteigerten  Aufgabe  nicht  gewachsen,  sind  nicht 
fähig,  vollständig  zu  kompensieren,  weshalb  dann  fi‘üher 
oder  später  die  oberwähnten  Symptome  der  Anazidität  auf- 
treten  und  den  behandelnden  Arzt  auf  die  richtige  Spur 
lenken. 

Die  Anazidität  tritt  selten  primär,  als  selbständiges 
Krankheitsbild  auf,  sondern  sie  bildet  meistens  die  Begleit¬ 
erscheinung  anderer  pathologischer  Verhältnisse.  Sie  kauu 
bei  Neurasthenikern  entstellen,  bei  denen  oft  eine  seil  langimi 
konstatierbare  Anazidität  plötzlich  verschwindet,  um  einer 
vollsländig  normalen  MagenfmdGion  zu  weichen.  Manch- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


/öü 


mal  ist  l)ei  begiimeiidem  Luiigenspiizeiikatarrli  eine  chro¬ 
nische  Aiuuidität  zu  beobachten;  ferner  ist  bei  schwerer 
Anämie  und  Anaemia  perniciosa  die  xVchylia  gastrica  keine 
eben  seltene  Erscheinung  und  ist  letztere  oft  sehr  schwer 
von  der  im  Anfangsstadiiim  des  Magenkrebses  auftreten- 
den  zu  unterscheiden.  Doch  sind  bei  Anaemia  perniciosa 
die  Kranken  gewöhnlich  nicht  mager,  allenfalls  ist  kein 
rapides  Sinken  des  Körpergewichtes  bei  ihnen  zu  konsta¬ 
tieren  und  sind  auch  ihre,  auf  den  Magen  sich  beziehenden 
Klagen  fast  ohne  Bedeutung. 

Anderseits  erschwert  die  Diagnose  jener  Umstand,  daß 
infolge  von  Karzinoma  zuweilen  ähnliche  destruktive  Blut¬ 
veränderungen  hervorgerufen  werden,  als  dies  bei  Anaemia 
perniciosa  der  Fall  ist,  sO'  daß  die  bloße  Untersuchung  der 
roten  Blutkörperchen  eigentlich  kein  definitives  Resultat 
liefert. 

Strauß  glauht,  daß  in  solchen  Fällen  das  Verhalten 
der  weißen  Blutkörperchen  maßgebend  wäre,  indem  bei 
Anaemia  perniciosa  die  mononukleären,  bei  der  durch  Kar¬ 
zinoma  heiTorgerufenen  Blutveränderung  hingegen  die  poly¬ 
nukleären  Blutkörperchen  vorherrschend  wären.  Besonders 
schwierig  ist  die  Aufstellung  «ler  Diagnose  in  solchen  Fällen 
vmn  Achylie,  in  denen  wir  es  mit  einer  diffusen  Form 
von  Karzinoma  zu  tun  haben,  insbesondere,  wenn  die  Knöt¬ 
chen  an  der  untersuchenden  Fland  nicht  zugänglichen  Stellen 
sitzen  und  Metastasen  nicht  auffindbar  sind.  Hier  sind  es 
dann  die  Röntgenstrahlen,  zu  denen  wir  unsere  Zuflucht 
nehmen,  denn  diese  zeigen  uns  Veränderungen  schon  in 
einem  Stadium,  in  welchem  alle  vorhandenen  Symptome 
und  klinischen  Untersuchungsresultate  kaum  zum  Verdachte 
auf  Magenkrebs  berechtigen.  Obgenannter  Autor  rät  sogar, 
das  Mediastinum  zu  durchleuchten,  da  die  in  demselben  be¬ 
findlichen  Drüsen  oftmals  Metastasen  aufweisen. 

Im  Anfangsstadium  des  diffusen  und  nicht  palpablen 
Karzinoms,  wmlches  sich  nicht  selten  unter  der  Maske  einer 
Achylia  gastrica  verbirgt,  werden  uns  in  einer  Unzahl  von 
Fällen  die  chemischen  und  motorischen  Untersuchungen 
des  Magens,  sowie  alle  jene  Methoden,  die  die  Frühdiagnose 
des  Magenkrebses  bezwecken,  im  Stiche  lassen.  Insbeson¬ 
dere  schwierig  wird  sich  die  Situation  gestalten,  wenn  das 
Karzinom  an  der  Hinterwand  des  Magens  O'der  am  Fundus 
sitzt,  also  kein  mechanisches  Hindernis  bildet;  hiedurch 
tritt  auch  keine  motorische  Insuffizienz  ein,  weshalb  wieder 
eine  ganze  Reihe  klinischer  Symptome  entfällt.  Solche 
Kranke  klagen  überhaupt  nicht  über  Magenbeschwerden  und 
wenn  ja,  so  sind  seihe  eher  für  Hyperazidität  oder  Ulcus 
ventriculi  charakteristisch,  so  z.  B.  Magenschmerzen  und 
Sodbrennen  bei  leerem  Magen,  wmlche  Erscheinungen  nach 
erfolgter  Nahrungsaufnahme  verschwinden,  in  anderen 
Fällen  wieder  anwachsen. 

Ferner  müssen  Krebskranke  nicht  gerade  kachektisch 
wmrden,  wenigstens  nicht  zu  Beginn  ihres  Leidens,  denn 
ich  hatte  einen  Patienten,  bei  dem  eine  Probelaparotomie 
die  auf  Karzinoma  gestellte  Diagnose  bestätigte,  der  aber 
trotzdem  im  Verlaufe  von  drei  Wochen  3  kg  zunahm! 

Im  Magensekrete  kann  Salzsäure  fehlen,  Milchsäure 
aljer  trotzdem  gar  nicht  oder  nur  minimal  vorhanden  sein, 
nämlich  dann,  wenn  keine  größeren  motorischen  Störungen 
eintreten. 

Die  Tatsache,  daß  ein  im  Anfangsstadiiim  befindliches 
Karzinom  die  Salzsäureproduktion  nicht  hindere,  verfocht 
zuerst  Ewald  gegen  van  de  Val  de  und  auch  ich  hatte 
wiederholt  Gelegenheit,  mich  vmn  der  Richtigkeit  des  Ewald- 
schen  Standpunktes  zu  überzeugen.  Erwähnenswert  ist  auch 
die  ^Möglichkeit,  daß  eine  Anazidität  auch  auf  die  AVeise 
zustande  kommen  kann,  daß  Darminhalt  in  den  Magen  ge¬ 
rät,  wodurch  die  im  Magen  befindliche  Salzsäure  neutrali¬ 
siert  wird. 

Eine  Folgeerscheinung  der  erhöhten  Vulnerabilität  der 
Magenschleimhaut  bei  beginnendem  Magenkrebs  sind  klei¬ 
nere  und  größere  Blutungen,  weshalb  zuweilen  in  den  Fäzes 
Ilämoglobinspuren  nachweisbar  sind.  Auch  gibt  es  Fälle, 
in  denen  eine  Waschung  des  nüchternen  Magens  blutiges 


Waschwasser  zutage  fördert ;  dies  herechtigt  schon  zum  V 
Verdachte  auf  Karzinoma,  jedoch  nur  zum  Verdachte,  denn 
bei  einer  durch  Alkohoiahiisus  hervorgerufenen  Gastritis  ,  a 
können  hie  und  da  ehenfalls  kleinere  Blutungen  Vorkommen,  a 
Eine  derartige  Blutung  beobachtete  ich  bei  Waschung  eines  -9 
Magens,  in  welchem  nebst  einem  Krebse  eine  Hypermol ililät  9 
vorhanden  war  und  wO'  eine  in  der  rechtsseitigen  Brust- 
höhle  allgesammelte  chyliforme  blüssigkeil  zeigte,  daß  auch  T 
schon  dort  Metastasen  existieren.  - 

Wie  die  Erfahrung  lehrt,  kann  selbst  eine  Salomon- 
sehe  Probe  bei  beginnendem  Karzinom  versagen,  wenn  keine  ? 
Ulzeration  entstand  und  die  Entleerung  des  Magens  media-  ''J 
nische  Hindernisse  nicht  stören.  Das  Sinken  des  Körper-  ‘1 
gewichtes  ist  gleichfalls  kein  Alaßistab,  denn  die  an  cliro-. 
nischer  Gastritis  und  Dyspepsia  nervosa  Leidenden  magern 
ja  auch  zusehends  ah.  ^ 

Die  Anazidität  ist  eine  Begleiterscheinung  oder  —  g 
besser  gesagt  —  ein  Symptom  der  verschiedensten  Krank-  | 
lieiten,  so  z.  B.  bei  diffusem  Karzinoma,  wenn  der  Tumor  J 
keine  motorischen  Störungen  verursacht.  J 

Die  Angaben  des  Patienten,  wie :  heftige  Schmerzen  ;a 
in  der  Magengegend,  Brechreiz,  zunehmende  Schwäche  und  ^ 
Abmagerung,  werden  den  Verdacht  des  Arztes  erwecken.  J 
Oft  bestärkt  die  Diagnose  pin  in  der  Magengegend  fühlbares 
Knötchen  und  eventuell  vorhandene  Drüseninfiitrationen.  ^ 
Blut  ist  in  vielen  Fällen  im  Mageninhalte  nachweisbar, 
hie  und  da  in  den  Fäzes.  Eine  weitere  Bestärkung  erfährt  1 
die  Diagnose  durch  das  Röntgenbild  welches  in,  zweifei- 
haften  Fällen  stets  herzustellen  ist,  schon  deshalb,  weil  es  A3 
oft  Veränderungen  zeigt,  bevor  noch  klinische  Symptome  .  i 
oder  andere  Untersuchungsresultate  Aufschluß  geben  ’ 

können.  ' 

Immerhin  wird  es  —  vorläufig  wenigstens  —  eine  ■ 

iVnzahl  von  Karzinomen  geben,  bei  denen  einige  oder  alle  d 
klinischen  Symptome  fehlen,  welche  vvdr  heute  als  charak-  ■; 
teristisch  für  Krebs  bezeichnen,  und  die  uns  so  die  Auf-  ; 
Stellung  der  Diagnose  erschweren;  und  bis  vvdr  dann  durch  i 
alle  Schwierigkeiten  hindurch  endlich  zur  Erkenntnis  der  i 
Sachlage  gelangen,  ist  oft  der  Zeitpunkt  des  chirurgischen 
Eingriffes  versäumt.  ^  -  i 


Aus  der  k.  k.  III.  medizinischen  Universitätsklinik  j 
(L.  V.  Schrötter)  und  der  k.  k.  pädiatrischen  Universitäts-  , 
klinik  (Th,  Escherich)  in  Wien.  -j 

Zur  Bronchoskopie  bei  Fremdkörpern.  ^ 

Von  Dr.  phil.  et  med.  Heriuanu  y.  Schrötter  in  Wien,  ; 

Aeußere  Gründe  lassen  es  mir  wünschenswert  er-  ,■ 
scheinen,  ahermals  zum  Gegenstände  der  Bronchoskopie  das  ] 
Wort  zu  nehmen  und  zwar  wähle  icii  —  aus  meinen  Er-  y 
fahrungen  des  heurigen  Schuljahres  —  diesmal  zwei  J 
Fremdkörperfälle^)  aus,  vmn  denen  der  eine  in  sym-  ' 
ptomatischer  Hinsicht,  bzw.  durch  das  Fehlen  charak-  : 
teristischer  Erscheinungen  Interesse  Ijeansprucht,  während  ' 
der  andere  in  technischer  Richtung  Beachtung  ■; 
verdient. 

Fall  l.  Der  früher  stets  vollkommen  gesunde,  35jährige  ' 
Beamte  A.  v.  B.  befaßt  sicli  mit  Taschenspielerei;  im  besonderen 
führt  er  seit  Jahren  das  Kunststück  aus,  Münzen  oder  Stifte  in''' 
der  Nase  verschwinden  zu  lassen,  die  dann  beim  Munde  wieder  ' 
zum  Vorscheine  kommen.  Er  steckt  die  Münze  in  die  linke  Nasen-  ; 
höhle,  läßt  dieselbe  unter  Bückwärtsneigen  des  Kopfes  in  den 
Rachen  gleiten  und  fängt  sie  ,,mit  einem  Ilustenstoße  an  der 
Klappe“,  gemeint  ist  offenbar  der  Kehldeckel,  auf.  Er  hat  dieses . 
Kunststück  etwa  tausendmal  gezeigt.  Einmal  und  zwar  im  Vor- 
jähre,  passierte  ihm  bereits  das  Mißgeschick,  daß  die  Münze, 
ein  Zweihellerslück,  in  die  Speiseröhre  gelangte  und  daselbst  F 
durch  ca.  16  Stunden  verblieb;  während  dieser  Zeit  hatte  er 
deutlichen  Kupfergeschmack  imM;nde,  Er  sucht  '  in  einer  Rettungs¬ 
station  Hilfe,  woselbst  man  ihm  eine  Kartoffelkur  vmrordnete; 
diese  war  auch  nach  weiteren  24  Stunden  von  dem  gewünschtc'n 
Ei’folge  begleitet,  indem  der  fremde  Körper  mit  dem  Stulde  abging. 

h  Ueber  weitere  Beobachtungen  auf  dem  Gebiete  der  Lungen¬ 
krankheiten  wird  demnächst  an  anderer  Stelle  berichtet  werden. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


757 


i» 


- 1 


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4 


i; 


hJp. 

J’^ 


Seil  (lie.scr  Zcil  lialL*  ei'  hoi  seiiieii  Vorführmigeu  nie  einen  An¬ 
sann;  nur  wenn  voi'iihei'gehender  Schnupfen  oder  Kaiarrli  J)e- 
steht,  vermag  er  die  i\liin/.e  nicht  durch  die  Nase  zu  l)riugcn 

In  der  Nacld_des  8.  März  1<)0G,  um  V4I2  ülir,  wollle  er 
sein  luins.sUick  wiedm'  in  größerer  fleselischaft  vorführen.  F.r 
ließ  die  i\lunzc,  diesmal  vieUeichl  elwas  rascher  als  gewölmlich, 
dureil  die  Nase  hinaligleilen,  vcrmochle  dieselbe,  wie  er  angiljl' 
nicht  meiir  aufzidangen  nnd  fühlte,  daßi  sic  in  die  Luftröhre 
hinahgehillen  SCI.  Ks  I raten  jedoch  weder  Erstickimgsgofühl  noch 
llustenreiz  ein,  so  daß  seine  Umgehung,  sowie  auch  ein  an¬ 
wesender  Arzt  der  Meinung  waren,  daß  die  Münze  in  die  Speise- 
r (••)  h  re  geraten  sein  müsse.  Da  er  aher  trotz  Fehlen  von  Hustenreiz 
dennocli  lühlte,  dal.!  sich  etwas  Fiemdes  in  der  Luftröhre  hefindc 
hustete  er  nach  einiger  Zeit  alisichtlicli  hei  verschiedener  Körper- 
slellung,  in  der  Hoffnung,  die  Münze  dieser  Art  zum  Vorscheine 
zu  liringen.  Außerdem  wmrde,  wiewold  Gelränke,  sowie  feste 
Siieisen  anstandslos  geschluckt  werden  konnten,  zirka  eine  halho 
Stunde  nach  dem  Ereignis  von  Herrn  Kollegen  N.  Tugendliat 
eine  Untersuchung  der  Speiseröhre  mittels  Bougie  und  Münzen- 
vorgenommen,  wobei  sich  der  Oesophagus  vollkommen 
erwies.  Der  Kranke  gab  sich  jedoch  nicht  zufrieden;  er 
heliauptelo,  mit  aller  Entschiedenheit  gefühlt  zu  haben,  wie  die 
Münze  in  die  Tiefe  geglitten  und  an  einer  Stelle,  entsprechend 
dem  (1  lit  len  Interkostalraume  rechts,  knapp  neben  dem  Sternum 
stecken  gehliehen  sei.  Auch  empfand  er  mäßige  Atemheklemmung, 
die  sich  liei  rascherem  Gehen  fühlbar  machte.  Da  sich  Fat.  nicht 
heruhigen  konnte,  sandte  ihn  Dr.  Tugendhat  an  unsere  Klinik 
mit  dem  Ersuchen,  „einen  angeblich  aspirierten  Fremdkörper, 
den  ich  nicht  erreichen  kann“,  zu  entfernen.  Man  begreift  nach 
der  vorigen  Schilderung  den  xVusdruck  „angeblich“,  indem  der 
Kollege  heim  Fehlen  jeglicher  Beaklionserscheinungeu,  die  sich 
doch_  sonst  hei  einem  solchen  Ereignisse  einstellen,  trotz  der 
Versicherung  des  Kranken  nicht  rocht  an  die  Gegenwart  der 
Münze  im  BronchialhaUme  glauben  wollte.  —  Und  in  der  Tat, 
als  sich  Pat.  an  der  Klinik  vorstellte,  war  sein  ^Verhalten 
ein  solches,  daß'  auch  wir  zunächst  an  rler  Anwesenheit  des 
(äjrpus  alienum  zweifeln  mußten.  Nur  der  Umstand,  daß  der 
Kranke  versicherte,  eine  eigenartige  Wahrnehmung  an  liestimmter 
Stelle  zu  ispüren,  forderte  zu  einer  genaueren  Untersuchung 
auf.  Doch  wir  wollen  dem  Befunde  nicht  vorgreifen. 


fängei 
frei 


Pal.  begab  sich  noch  mit  dem  ersten  Frühzuge  nach  Wien, 
woselbst  er  Um  7  Uhr  morgens  (4.  März)  aulangte.  Auch  während 
der  Fahrt  hestanden  keine  hesonderen  Beschwerden;  nur  als 
ei’  die  Stiege  des  Bahnhofes  hinaheilte,  machte  sich  wieder  Be¬ 
klemmungsgefühl  auf  der  rechten  llrustseite  geltend.  Erst 
um  10  Uhr  hatten  wdr  Gelegenheit,  den  Kranken  zu  sehen. 
Bei  der  bloßen  Besichtigung,  wie  gesagt,  nichts  Auffallen¬ 
des;  keine  Differenz  in  der  Ilespiration  beider  Seiten.  Nach 
seinen  Sensationen  befragt,  deutete  er  auf  den  rechten,  dritten 
Interkostalraum,  auf  eine  Stelle,  etwa  1  cm  nach  außen  von 
der  Parasternallinie.  Ei'  habe  die  Empfindung,  sagte  er,  als  oh 
sich  hier  ein  Ventil  befinde,  das  die  Atmung  erschwere.  Anf- 


Fig.  1. 

gefordert  zu  husten,  gab  er  in  der  bezeiebneten  Gegend  ein 
Gefühl  von  schmeizhaftem  Drucke  an.  Bei  der  Uerkussion  des 
Thorax  keine  Veränderungen;  die  Lungengrenzen  allenihalhen 
i'ospira torisch  verschieblich.  xVueh  die  xVuskultation  lieferte  kein 


sicheres  Ergehnis:  Bei  ruliigcr  Bes[)iralion  beiderseits  gleich 
starkes  Vesikuläi’almen ;  hei  tiefmi  Respirationen  schien  das 
Atomgeräusch  üher  der  rechten  Seite  vermindert  und  namentlich 
rechts  ohen,  sowohl  vorn  als  hinten,  also  dem  ( thorlappen  ent¬ 
sprechend,  schwächer  als  links  zu  sein.  Ein  sinnfälliger  Unler- 
schied  war  jedoch  im  Vorhallen  <ler  beiden  Seiten  nicht  festzu¬ 
stellen.  An  der  von  dem  Kranken  hezeichneten  Stidle  vermochte 
man  keine  hesondero  Wahrnehmung  zu  machoii;  hronchitische 
Geräusche  fehlten.  Als  wir  aber  den  Patienten  der  fladio- 
skopre  unterzogen,  trat  der  fragliche  Fremdkör])er  sofoid  mit 
aller  Schärfe  in  Erscheinung.  Wie  man  aus  der  nach  dem  Radio- 
gramm  gezeichneten  Skizze  (Fig.  l)  ersieht,  fand  sich  rechls, 
knapp  Unter  dem  Ansätze  der  dritten  rechten  Bippe,  dem  rechten 
Lungenhilus  entsprechend,  ein  kreisrunder,  dunkelschwarzer 
Schattenfleck  von  ca.  20  mm  Durchmesser,  der  mit  einer  Hälfte 
über  die  Kontur  des  Mediastinums  hervorragte,  mit  der  anderen 
in  dem  mediaslinalen  Schatten  gelagert  war,  aber  noch  deullich 
innerhalb  desselben  zum  x\usdrucke  kam.  Bei  tiefer  Respiration 
führte  der  beschriebene  Schatten  Exkursionen  von  etwa  1  bis 
2  cm  Breite  in  auf-  und  absteigender  Bichtung  aus;  hei  Husten¬ 
stößen  trat  eine  stärkere  Dislokation  desselben  nicht  ein. 

Sprach  der  Umstand,  daß;  sich  die  Münze  rec  h  ts  vom  media- 
stinalen  Schatten  befand,  sebon  an  sich  für  deren  Anwesenheit  im 
Anfang;steile  des  rechten  Bronchus  und  gegen  die  Speiseröhre,  so 
wies  auch  das  Verhalten  bei  Drebung  des  Körpers,  seitlicher 
Durchslrahlung,  auf  dessen  (festen)  Sitz  im  Bronchialhaume.  Das 
Zwerchfell  bewegte  sich  beiderseits  gleich,  eine  seitliche  Ver¬ 
schiebung  des  Mediastinums  hei  der  Respiration  war  nicht  zu 
heohachten.  Bei  Untersuchung  des  Larynx  mit  dem  Kehlkopf¬ 
spiegel  konnten  wir  ferner  den  henierkenswerten  Befund  einer 
streifenförmigen  Hämorrhagie  an  der  vorderen  Trachealwand,  der 
Höhe  des  vierten  his  fünften  Ringes  entsprechend,  nachweisen; 
man  vermochte  his  gegen  die  Bifurkation  zu  sehen,  tiefer  hinab 
gelang  der  Einblick  nicht  mehr.  Noch  sei  bemerkt,  daß  der 
Kranke  vor  unseren  Augen  feste  Bissen  ohne  Anstand  zu  schlucken 
vermochte.  :  :  '  ' 

Man  begreift,  daß  wir  zunächst  an  die  Endoskopie  der 
Luftwege  :schritten,  da  wir  nach  dem  Gesagten  den  Fremd¬ 
körper  im  rechten  Bronchus,  also  jener  Stelle  entsprechend,  er¬ 
warten  durften,  an  welcher  derselbe  vom  Kranken  genau 
lokalisiert  wurde. 

Schon  bei  der  Untersuchung  mit  dem  Kehlkopfspiegel  war 
deutliche  H  y  p  ä  s  t h  e  s  i  e  der  Bachenschledmhaut  auf ^efallen.  Älan 
konnte  daher  voraussichtlich  mit  einer  geringen  ]\Ienge  von  Kokain 
hei  der  Bronchoskopie  auskommen.  In  der  Tat  genügt  es,  den 
Kehlkopf  und  den  oberen  Abschnitt  der  Luftröhre  zweimal  mit 
20Toiger  Lösung  zu  pinseln,  wobei  ebenfalls  verminderte  Reflex- 
erregharkeit  hervortrat.  Nur  die  gut  entwickelten  Zähne  des 
Kranken  erforderten  eine  liesondere  Kopfstellung,  um  den  Wuder- 
stand  beim  Vorscliiehen  des  Tubus  zu  mildern.  Als  Instrument 
benützte  ich  zunächst  das  von  L.  v.  Schröttcr  angegebene 
xVntroskop*)  (leucbtendes  Glasrohr),  mit  welchem  der  fremde 
Körper  auch  präzise  gesichtet  und  den  Anwesenden  demonstriert 
werden  konnte.  Leider  hraimten,  um  dies  gleich'  vorweg  zu 
nehmen,  die  Lämpchen  des  Instrumentes  im  geeigneten  Momente 
durch,  andere  waren  gerade  nicht  zur  Hand,  so  daß  die  Ex¬ 
traktion  mit  einem  iMetallluhus  und  Anwendung  des  C as }) er¬ 
sehen  Bcleuchtungsapparates  durchgeführt  wunle.  - —  Besichti¬ 
gung:  Im  mittleren  Anteile  der  Luftröhre  nichts  Auffallendes; 


H 


V 

Fig.  2. 


die  Schleimhaut  im  Bereiche  der  Bifurkation  leicht  gerötet,  ,an 
der  Carina  trachae  keine  Veränderungen.  Etwa  1-5  cm  unter 
derselben  präscntieid  sich  die  Münze  im  reiditen  Bronchus.  Sie 
ist,  wie  beistehende  Skizze  (Fig.  2)  zeigt,  in  nahezu  frontaler 
Richtung  stecken  geblieben  und  dabei  derart  geneigt,  daß  ihre 

Berliner  klinische  Wochenschrift  1906,  Nr.  47,  S.  1501. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  Nr.  25 


veiilialwiirls  gericlilclc  Fläclic  in  ixTsiieküvisclier  Vin’kiirzung  /.u 
selion  ist;  das  woiljc  (ilaiizlicht  ihres  oberen  llandes  springt 
in  die  Angen.  Die  Scddeimluuii  daselbst  stark  gerötet,  ninscblicßit 
diii  liandi)artien  der  Aliinzc.  DoJsahvärts  erkeiint  man  den  Ein¬ 
gang  in  den  recblen  ()l)erlappcid)r()nehns,  der  znm  Teile  von  dem 
Fr(Mndkör])er  vej'deckt  wird.  Ans  dem  Spalte  zwiscben  der  Münze 
lind  der  vorderen  Umrandung  des  Droncbns  siebt  man  nacb 
■einiger  Zeit  (vgl.  die  Abbildung)  SeblcimUlasen  hervorperleii. 
Der  Fremdkörper  zeigt  dentlicb  passive  Pulsation  in  dorso-ven- 
Irabn-  Hicblnng;  eine  res])iratorisebe  Bewegung  desselben  ist  bei 
ru Inger  Atmung  nicht  wabrzunehinen,  bei  tiefer  Respiration  da¬ 
gegen  wird  die  Münze  bewegt,  n.  zw.  derarl,  daß  sie  wie  ein 
K  1  ap  p  en  ven  1  i  1  die  Alündnng  des  ()berlap])e]dn-oncbus  deckt, 
um  dieselbe  bei  der  folgenden  Exspiration  in  dem-  früher  ge¬ 
nannten  Umfange  Avieder  frei  zu  geben.  Stärkere  Druckdiffe¬ 
renzen  vermochten  also  bei  der  jiur  teilweisen  Umklannnernng 
d'(!r  Münze  eine  Veränderung  ihrer  relativen  Lage,  und  damit 
eine  vorübergehende  Beeinträchtigung  der  Ventilation  des  Ober- 
lappens  herbeizuführen. 

Das  Sc brött ersehe  Bohr  wird  durch  einen  Tubus  von 
9-5  mm  Lichtung  ersetzt  und  derselbe  bis  auf  einen  Abstand 
von  28  cm  von  der  Zahnreihe  dicht  an  die  Aiünze  vorgeschoben. 
Das  Aiheitsb'ld  wird  kokainisiert  .und  mittelst  Aspiration  (Kaut- 
s<diukscbhui(di)  von  schleimigem  Sekrete  gereinigt.  Es  gelingt  nun 
umudiwer,  die  Alünze  niit  unserer  FremdköriKU'pinzette  bei  sagit- 
taler  Stellung  der  Branchen  zu  ergreifen  und  dieselbe,  nachdem  sie 
präzise  gefaßt  worden  war,  zu  lockern  und'  mitsamt  dem  Rolu'e 
zu  extrahieren.  Der  Kranke  gab  sofort  au,  wesentlich  leichter 
zu  atmen:  ,,der  Druck  in  der  Brust  ist  völlig  geschwunden“, 
,,icb  ahne  jetzt  so  frei,  als  ob  ich  eine  doj)pelt  so  große  Luft¬ 
röhre  hätte“.  Einige  absichtlich  ausgefübrte  llustenbcweguugen 
fördern  uui'  geringe  Alengen  eines  kaum  Idulig  gestriemten 
S(dileimes  nach  aufwärts.  —  So  konnte  der  fremde  Körper  zirka 
elf  Stunden,  nachdem  er  aspiriert  Avorden  Avar,  glatt  entfernt 
weiAbm.  Es  handelte  sich,  Avie  gesagt,  um  ein  ZAveiheller- 
stück  mit  einem  Durchmesser  Amn  19  mm  und  einer  Dicke  von 
1-5  mm;  an  den  Flächen  der  Alünze  Avaren  boix-its  grünliche 
Flecken  (u'kennbar. 

In  den  Nachmil  tagsstunden  bestand  etwas  Koi)fschnicrz. 
Am  nächsten  Tage  mäßiger  Ilustenreiz,  der  bis  zum  Abende 
ajdiielt.  Bat.  expehtorierte  geringe  Alengen  eines  rötlich  tin- 
gierten,  gelblichen  Schleimes.  Am  6.  März,  also  zwei  Tage  nach 
dem  Eingriffe,  stellte  er  .sich  Avieder  vor.  Die  Untersuchung 
ergibt  vollkommen  normale  Verhältnisse;  keine  Bronchitis  der 
rechl<“n  Seite.  Eine  mit  Rücksicht  auf  die  auffallende  An¬ 
ästhesie  der  Pharynxschleimhaut  vorgenommene,  genauere  Unter- 
smdmng  des  Status  nervo.sus  ergibt  verminderte,  Ijzav.  feh¬ 
lende  Reflexerregbarkeit  der  Nasen-  und  Rachenschleirn- 
baut.  Ebenso  eiAveist  sieb  der  Kehlkopfeingang  der  Sonden¬ 
berührung  gegenüber  ziemlich  indifferent.  K o r n  e a  1  re  f  1  e  x 
heiderseits  vermindert,  Patellarreflex  beiderseits  gesteigert, 
Dermograi)liie  angedeulet.  Sonst  keine  fuidctionellen  Stigmata. 
Die  Nasengäuge  beiderseits  gleich,  etwas  Aveiter  als  dies  de  norma 
der  Fiill  ist.  —  Als  charakteristisch  für  die  Leichtigkeit,  mit 
Avelcher  der  fremde  Körper  getragen  Avurde,  mag  angeführt  sein, 
daßi  (hau  Kranken,  nach  Hause  zurückgekehrt,  seitens  seiner  Um- 
gi'bung  nicht  geglaubt  Avurde,'  daß  in  der  Tat  ein  ZAveiheller- 
stück  aspiriert  und  entfernt  Avorden  Avar. 

Wie  schon  in  der  Einleitung  ])emerkt,  liegt  das  In- 
t(!resse  dieses  Fremdkörperfalles,  abgesehen  von  den  äußeren 
Uinsländen,  vor  allein  in  dem  Fehlen  der  hekaiinlen 
Symptome,  Avelche  sonst  die  Aspiration  eines  ('oriius 
alieimm  begleiten;  es  bestand  kein  Erslickuiigsgefühl,  kein 
Hustenreiz.  Dieses  Verhalten  AAurd  durch  den  Nachweis 
anderer  Zeichen  funktioneller  Störung  verständlich.  Nicht 
nur  der  Pharynx,  sondern  auch  der  Kehlkopf  und  die 
'rrach(*()l)ronchials(dil('indiaut  zeigten  hier  herabgesetzte,  be- 
zic'hungsAveise  fehlende  lleflexerregharkeit.  Dennoch  Avurde 
die  UegeuAvart  des  fremden  Körpers  im  Bronchialbaume 
emi>f linden  und  der  Sitz  der  .Münze,  Avas  besonders  beach¬ 
tenswert  ist,  auf  das  bestimmteste  lokalisiert.  Bekanntlich 
gidien  ja  die  Angaben  der  Patienten  in  dieser  Richtung 
Aveit  auseinander,  hier  jedoch  deckten  siidi  die  Sensa¬ 
tionen  des  Kranken  und  der  objektiv  feststellliare  Befund 
in  überraschender  AVeise.  Auch  aauu'  in  der  Fat,  durch  den 
besonderen  Sitz  der  Alünze  im  rechten  Bronebus  Axuanlaßt, 
das  Bestehen  eines  Vmdilmechanismus  zu  lumhachten,  der 
vom  Patienten  mit  entsprechenden  Gefühlen  hei  der  Be- 
spiraiion  Avahrgenommen  und  sogar  mit  dem  richtigen 


Namen  hezeichnet  wairde.  —  Die  verminderte  Sensibilität 
der  Nasen-  und  Bachenschleimhaut  dürften  Herrn  A.  v.  B. 
zur  Ausführung  des  besprochenen  Kunststückes  aindi  be¬ 
sonders  befäbigt  halien. 

Ich  möchte  hier  nicht  unterlassen,  einen  Fall  anzu¬ 
führen,  welchen  Aveiland  1.  /\.  Killian  (Wonns)  vor  zAvei 
Jahren  initgeteilt  hat, da  die  Beobachtung  milder  meinigen 
manche  Aehnlichkeit  autAveist.  Es  handelte  sich  ebenfalls 
um  die  Aspiration  einer  Münze,  eines  Pfennigstückes,  in 
den  rechten  Bronchus,  die  aber  im  Gegensätze  zu  unserem 
Fälle  Amn  dem  Patienten  nicht  an  einer  dem  Sitze  ent¬ 
sprechenden,  sondern  an  entfernter  Stelle,  in  der  Gegend 
des  .Tugulums  lokalisiert  wurde. 

Der  29jälu'ige  SImletd,  L.  St.  besebäftigto  sich  ebenfalls 
mit  vorscliiedenen  KimsLstückcn.  Er  nabm  ein  Pfennigstück  in 
den  Mund,  „um  dasselbe  von  da  in  die  Nase  überwandern,  zu 
lassen“.  Um  dii'.  Täusebung  durebzufübren,  sclmiuggcllo  er  zuvor 
ein  ■  anderes  Pfennigstück  in  die  Nase.  Dieses  glitt  nun  bei 
nach  rückAvärls  gebeuglem  Kopfe  in  den  Ibudien  und  versclnvand 
in  der  Tief(\  Auch  in  diesem  Falle  kein  Hustenreiz,  keine  Alem- 
nol.  Als  Sitz  des  Fj'emdkör|)ers  Avurdo  das  Jugulum,  n.  zw.  (dne 
Stelle  links  von  der  Mittellinie  angegeben.  Die  Münze  konnte 
mit  Hilfe  des  Ke  b  I  k  o  ]>  f  s  pi e  ge  I  s  bei  enlsprecdiender  Haltung 
des  Ki'anken  mit  aller  Sicberbeit  im  Eingänge  des  reiditen  Bron¬ 
chus  '(‘rkaunt  werden.  Man  sah  ,,eine  dicke,  Aveißc  Linie,  Avclche 
Avie  eine  Sehne  den  idealen  Quersclmilt  des  rechten  Bronebus 
überspannh;“.  Die  Extraktion  Avurde  im  Wege  der  direkten 
Methode  vojii  Kehlkopfe  aus  a.m  sitzenden  Patienlen  unter 
lokaler  Anästhesie  glatt  beAveikslelligt. 

Ist  es  selbst  mit  Hilfe  der  Rad i o s k o p i e,  wie 
ich  Seite  478  und  folgende  meines  Buches^)  aus- 
geführt  habe,  nicht  immer  leicht  zu  entscheiden,  ob 
sich  ein  fremder  Köriier  im  Oesoiihagus  oder  im 
Bronchialliaume  befindet,  und  sind  dieser  Art  be¬ 
reits  mehrfach  Verwechslungen  vorgekommen  —  so  Avar 
hier  durch  den  Umstaud,  daß  die  Münze  rechts  Amin 
Mediastinum,  bzAV.  die  rechte  Kontur  desselben  ca.  V2  cm 
überragend,  in  Erscheinung  trat,  so  gut  Avie  liOAviesen,  daß 
sich  dieselbe  in  den  Luftwegen  und  mit  Rücksicht  auf 
ihren  Sitz,  rechts  unterhalb  der  dritten  Rippe,  im  Anfangs¬ 
teile  des  rechten  Bronchus  befinden  müsse.  Deshalb  schritten 
Avir  auch  gleich  an  die  endoskopische  Besiiditigung  des 
Bronchialbaumes,  um  erst,  wenn  diese  vergeblicb  gewesen 
Aväre,  die  Speiseröhre  zu  untersuchen.  —  Der  Fäll  zeigt 
schließlich  auch  Avieder,  Avie  man  sich  bei  positiAmn  Angaben 
des  Kranken  nie  mit  einer  oberflächlichen  Untereuchung 
liegnügen  darf,  sondern  alle  Umstände  auf  das  genaueste  er¬ 
wägen  und  die  gebotenen  Hilfsmittel  heranzieben  soll.^) 
Die  physikalische  IJntersuchung  der  Bruslorgane,  soAvie  der 
Kehlkopfspiegel  hätten  in  diesem  Fälle,  der  durch  das  Fehlen 
Axm  Initialerscheinungen,  durch  den  Mangel  eines  sicheren 
auskuhalorisclien  Befundes  geradezu  charakterisiert  Avar, 
keine  bestinnnten  Anhaltstuinkte  für  die  GegenAvart  eines 
fremden  Körpers  gegeben.  Erst  nach  mehreren  Tagen  Aväre 
die  Sachlage  durch  das  Auftreten  von  Folgoerschei innigen 
klar  gCAVorden.  Hier  vermochten  in  der  Tat  nur  die  moilernen 
Unlersuchungsmethoden,  die  Badioskopie  und  Broncho¬ 
skopie  eine  sichere  Entscheidung  herheizuführen. 

Die  Extraktion  dos  fremden  Körpers  in  unserem 
Falle  hätte  Avohl  auch  einem  Ungeübten  keine  nennens- 
Averten  SchAvicrigkeilen  bereitet,  da  die  lleflexerregharkeit 
der  Bronchialschleimhant  Avesentlich  hciuligesetzt  Avar  und 
erst  stärkerer  Druck  auf  die  Wandung  zu  vermehrter 
Schleimsekrelion  und  leichter  HustenhcAAmgung  führle.  Es 
biMlurfto  nur  geringer  Alengen  des  Anästhetikums,  um  den 

Münchener  med.  Wochenschrift  1903,  Nr.  37,  .S.  1601. 

D  Klinik  der  Bronchoskopie.  Jena  1906,  G.  Fischer. 

Daß  es  nicht  überflüssig  ist,  neuerdings  auf  eine  möglichst  ein¬ 
gehende  "Würdigung  solcher  Fälle  hinzuweisen,  bei  Avelchen  ein 
Fremdkörper  im  Spiele  zu  sein  scheint,  hat  uns  vor  wenigen  Wochen  wieder 
die  Krankengeschichte  eines  41jährigen  Mannes  J.  C.  aus  Wien  gelehrt, 
von  welchem  ein  Knochenslück  in  den  rechten  Bronchus  aspiriert  worden 
war.  Erst  neun  Tage  nach  dem  Ereignisse  kam  Pat.  in  meine  Behandlung. 
Der  Fremdkörper  wurde  auch  hier  glatt  im  Wege  der  oberen  Methode 
entfernt.  (13.  Mai  1907.)  Der  Fall  wird  demnächst  an  anderer  Stelle 
ausführlich  publiziert  Averden. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


759 


Eingrifl’  iin  Wege  dos  geraden  Rohres  auf  das  scliotiendstc 
durchführen  zu  köiiiien. 

Tall  11.  Üenigegonühcr  lagen  die  Verhäilnisse  in  dem 
folgenden  falle  wesentlich  schwieriger,  da  es  sich  einer¬ 
seits  um  ein  Kind  noch  im  Säug  lings  alter,  andererseits 
um  ein  Knochenstück  von  relaliv  ganz  besonderer 
CIröße  handelte,  das  in  den  rechten  Bronchus  hinahgelangt 
war.  War  die  erste  Beobachtung  durch  das  Fehlen  patho¬ 
logischer  Symptoine  ausgezeichnet,  so  forderten  in  dem 
folgenden  Falle  manifeste  Erscheinungen  einseiti¬ 
ger  Broncho  Stenose  zu  entsprechender  Intervention  auf. 

Als  ich  mich,  einer  freundlichen  Aufforderung  von  Hofrat 
Escherich  folgend,  am  8.  Oktober  1906  in  das  St.  Aiincn- 
Kindcrspilal  begab,  waren  es  die  Erscheinungen  hochgradiger 
Dyspnoe,  welche  das  Krankheitshihi  l>ei  dem  zehnnionatlichen 
Alädchen  M.  S.  beheiTsclitcn.  Das  Kind  war  am  Morgen  tlesselben 
Tages  mit  der  Angabe  aufgenommen  worden,  atn  Vorabend 
ein  Knochenslück  ,,versc]duckt“,  bzw.  aspiriert  zu  haben. 
Ueber  das  Ereignis  Avurdc  folgendes  erzählt:  Um  zirka  7  Uhr 
abends  aß  die  Großmutter  eine  Wurst  und  gab  dem  Kinde  ein 
Stückchen  davon,  um  es  daran  saugen  zu  lassen.  Plötzlich  be¬ 
gann  das  Kind  zu  sclireien,  es  wurde  rot  im  Gesichte  und  es 
stellten  sich  heftige  Atembeschwerden  ein;  die  Stimme  war  rauh, 
heiser  und  von  Pfeifen  begleilet.  Bald  danach  traten  Würgen 
und  Erbreedien  auf.  Die  Atemnot  ließ;  zirka  eineinhalb  Stunden 
spül  er  nach  und  das  Kind  horte  zu  schreien  auf.  Währeml  der 
Nacht  nahm  cs  linier  Sclnnerzensäußerung,  zuckenden  Bewe¬ 
gungen,  noch  etwa  Vs  Eiter  Milch  zu  sich  und  vermochte  darauf 
mehrere  Stunden  zu  schlafen.  Am  Morgen  des  8.  Oktober 
keine  Nahrungsaufnahme.  Da  die  Atembeschwerden  forthe- 
steben,  wird  das  Kind  ins  Spital  gebracht.  Dasselbe,  mittel¬ 
groß,  von  sehr  gutem  Ernährungszustände  (eine  Wägung  wurde 
nicht  vorgenommen).  Am  Skelett  deutliche  Zeichen  der  Rachitis, 
größere  Drüsenpakete  fehlen.  Hautdecken  blaß.  Die  Stinuno  rauh, 
wobei  die  Heiserkeit  in  ihrer  Intensität  wechselt ;  im  Rachen  nor¬ 
maler  Befund,  die  Schleimhaut  blaß.  Die  Respiration  von  hör¬ 
barem  Slridor  begleitet,  freciuent,  mit  hochgradiger  inspira¬ 
torischer  Einziehung  der  rechten  Brustseite.  Husten 
besieht  nicht.  Temperatur  afebril.  Leber  und  Milz  nicht  ver- 
gi'ößert.  Die  Anamnese  ergab  noch,  daß  das  Kind  von  gesunden 
Eltein  stamme  und  bisher  an  keiner  Krankheit,  Ausschlag,  ge¬ 
litten  habe.  Auf  Grund  der  vorstehenden  Symptome  wurtle  von 
Hofrat  Escherich  und  seinen  Assistenten  die  Wahrscheinlich- 
keitsdiagnose :  Fremdkörper,  angeblich  Knochenslück,  ini 
rechten  Bronchus  gestellt  .Als  ich  das  Kind  um  V2I2  Uhr 
sah,  konnte  ich  mich  dieser  Diagnose  nur  anschließen.  Höchst 
auffallend  war  die  inspiratorische  Einziehung  im  Bereiche  der 
rechten  Brusthälfte;  ich  habe  noch  niemals  diese  Erscheinung 
so  ausgesprochen  gesehen  als  es  hier  der  Fall  war.  Bei  den 
forzierlen  Inspirationen  sank  nämlich  die  Gegend  des  rechten 
Rippenbogens  (oberbalb  der  Leber)  derart  ein,  daß  daselbst  eine 
etwa  2  cm  tiefe  Grube  von  keilförmiger  Gestalt,  mit  nach 
unten  gerichteter  Spitze  zustande  kam.  Auch  hinlen  trat  die 
Einziehung  der  unteien  Brustwand  hervor.  Linkerseits  erweiterte 
sich  der  untere  Thoraxraum  deutlich  und  es  war  nui'  eine  mäßige 
Einsenkung  der  Inlerkostalräunie  zu  beobachten.  Der  au.xiliäre 
Resinralionsapparat  in  voller  Tätigkeit,  iVtemfrequenz  ca.  40”;  der 
Kehlkopf  tritt  bei  der  Inspiration  um  ein  Geringes  nach  abwärts. 
Bei  der  Auskultalion  war  keine  deutliche  Differenz  im  Verhalten 
beider  Seilen  zu  konstatieren.  Schnurren  und  Rasselgeräusche 
waren,  offenbar  von  der  Trachea  fortgeleitet,  auf  beiden  Seilen 
nahezu  in  gleicher  Intensität  zu  hören;  die  Atmung  strulorös. 
Auch  gegenwärtig  keine  Hustenbewegung;  die  Stimme  beim 
Schreien  rein. 

Mit  dem  Kehlkoi)fsijiegel  war  nichts  Auffallendes  zu  sehen, 
wir  schritten  daher  V2I  Uhr  mittags  an  die  direkte  Inspektion, 
wiewohl  ich  nur  ein  Rohr  von  7  nun  äußerem  Durchmesser  (6-7  mm 
Lichtung)  zur  Hand  halte,  von  dem  es  mir  fraglich  erscheinen 
niußle,  ob  mit  demselben  ein  Passieren  der  Glottis  möglich  sein 
wünle.  Die  Untersuchung  wurde  derart  vorgenommen,  daßi  das 
Kind  in  eiii  Leinlucli!  gehüllt  auf  den  Schoßi  einer  Schwester  zu 
sitzen  kam,  der  Ko|)f  von  einem  Gehilfen  gehalten.  Der 
Rachen-  und  Kehlko|)feingang  werden  einmal  mit  lOo/oiger  Kokam- 
lösUng  gepinsedt.  Hierauf  wird  der  Tuhiis,  mit  einem  englischen 
Katheter  armiert,  unter  Leitung  des^  lingers  unschwer  in  den 
Kehlkopf  eingeführt.  Letzterer  passiert  die  Glottis,  es  gelingt 
jedoch  nicht,  den  Tubus  über  die  Stimmbäiuler  hinaus  v'orzu- 
schieben.  Ich  versiudie  vorsichtig  gesteigerten  Druck,  aber  ver¬ 
geblich;  es  fehlte  nicht  viel,  ich  glaube  ein  Rohr  von_  etwa 
6  mm  wäre  noch  durchzuführen  gewesen,  irotzdeni  ich  mit  dem 


Tubus  sozusagen  bloß  auf  den  Stimmbändern  stand,  vermochte  ich 
während  der  Inspirationen  des  Kindes  vorühergehend  einen  Ein- 
hlick  gegen  die  Bifurkation  zu  gewinnen  uiul  da  sah  ich,  als 
llustcnbewegung  auftrat,  wenigstens  auf  einige  Augeid)licke  in 
der  Tiefe  von  rechts  her  ein  weißes  Gebilde  hervorschimmern,  das 
seine  Form,  sobald  es  neuerlich  in  Erscheinung  Irat,  nicht  zu 
ändern  schien.  Es  war  kaum  zweifelhaft :  es  mußte  sich  um 
den  supponierlen  Fremdkörper  handeln.  —  Ein  sofortiger 
Extraktionsversuch  war  mit  Rücksicht  .auf  die  Unmöglichkeit, 
mit  dem  Tubes  in  die  Trachea  vorzudringen,  leider  ausge¬ 
schlossen;  wir  hatten  erst  ein  geeignetes  Rohr  zu  beschalfen. 

Die  Respiration  des  Kindes  schien  nach  dieser  Unter¬ 
suchung  weniger  beschwerlich  zu  sein.  Auf  das  Zimmer 
gebracht  und  beruhigl,  war  die  inspiratorische  Einziehung 
der  Brusiwand  rechts  vorne  unten  kaum  mehr  angeileutet. 
—  Wiewohl  ich  an  diesem  Tage  wegen  Mangel  eines  passenden 
Tubus  auf  eine  kunstgerechte  Extraktion  des  Fremdkörpers  ver¬ 
zichten  mußte,  so  wollten  wir  mit  Kollegen  Dr.  Preleilner 
dennoch  deji  Versuch  machen,  denselben  ini  Wege  einer 
improvisierten  Aspiration  zu  entfernen,  da  es  ja  immerhin 
möglich  war,  daß  das  Knochenslück  dieser  Art  gelockert 
und  expektoriert  werden  konnte.  Ein  zuvor  gut  gereini.gter 
englischer  Katheter  (mit  zentraler  Oeffnung)  wurde  unter 
Leitung  des  Fingers  vorsichtig  gegen  die  Bifurkation  vor¬ 
geschoben  Und  mittels  einer  großen  Spritze  und  eines  zwischen¬ 
geschalteten  Schlauches  eine  plötzliche  Druckdifferenz  herbei¬ 
geführt  —  ohne  Erfolg.  Auch  nachdem  wir  ein  zweitesmal  unter 
Vermeidung  jedes  stärkeren  Druckes  in  die  Tiefe  eingegangen 
waren  und  a.si)iriert  hatten,  kam  der  Fremdkörper  nicht  zum 
Vorscheine.  Wir  gewannen  vielmehr  den  Eindruck,  daß  derselbe 
eher  noch  tiefer  hinabgelreten  sei,  da  die  so  auffallende  Ein¬ 
ziehung  der  rechten,  unteren  Brustwand  vollkommen  geschwunden 
war  und  das  Kind,  wiewohl  noch  dysj)noisch,  zeitweise  mit  beiden 
Seiten  annähernd  symmetrisch  atmete.  Bei  ruhiger  Bettlagc  war 
das  Einsinken  der  Inlerkostalräunie  recids  und  links  nahezu 
gleich';  bei  Aufregung  blieh  allerdings  die  rechte  Brusthälfte  bei 
der  Respiralion  zurück.  Inwieweit  an  der  Veränderung  die  gc- 
sleigerte  Atemmechanik  während  der  ersten  Unlersuclumg  oder 
das  Eingehen  mit  dem  Katheter  beteiligt  waren,  läßt  sich  nicht 
mit  Bestimmtheit  entscheiden,  jedenfalls  mußten  wir  aber  aii- 
nebnien,  daß  der  Fremdkörper  seine  Stellung  im 
rechten  Bronchus  u.  zw.  derart  geändert  hatte,  daß  nicht 
mehr  das  ganze  Gebiet  desselben  abgesperrt  sein  konnte  und 
anscheinend  die  Venlilation  des  Ober-  und  Mittellappens  der 
rechten  Lunge  wieder  (zum  Teile)  frei  geworden  war.  —  Wie 
dem  auch  sei,  die  Respiralion  ging  leichter  von  statten,  die 
Dyspnoe  ließ  nach,  das  Kind  war  bedeutend  ruhiger  geworden. 
Nachmittags  4  Uhr  Temperatur  36-9”,  am  Abend  37”.  Nachts 
jedoch,  gegen  10  Uhr,  begann  das  Kind  wieder  stark  ,,oinzu- 
ziehen“  und  so  laut,  rasselnd  zu  atmen,  daß  man  das  Geräusch 
bis  auf  den  Gang  hinaus  hörte;  es  lag  dabei  auf  der  rechten 
Seile.  Die  Erscheinungen  dauerten  bis  in  die  frühen  Morgen¬ 
stunden  hinein,  dann  besserte  sich  der  Zustand  wieder. 

9.  Oktober:  Morgens  7  Uhr  Temperatur  37-1”.  Beim 
Trinken  verschluckt  es  sich  leicht  und  hustet  ilabei.  Um  Mittag 
Temperatur  37-6”,  Frequenz  der  Respiration  40,  des  Pulses  170. 
Ein  präziser  Lungenbefund  ist  bei  der  starken  Fortleitung  dos 
Irachoalen  Atemgeräusches  nicht  festzustellen;  das  Inspirium  er¬ 
scheint  jedoch  rechts  hinlen  oben  rauher  als  links. 

Nach  dem  Befunde  am  Vorlage  hatte  ich  in  aller  Eile  ein 
Rohr  von  5mm  Durchmesser,  ohne  Aufireibung  am  distalen 
Endo  herstellen  lassen,  das  mit  mehreren  kreisförmigen  Fenstern 
(Durchmesser  =  2  mm)  versehen  war.  Was  die  Länge  des  Tubus 
anlangt,  so  durfte  dei’solbe  nicht  zu  kurz  gewählt  werden.  Einer¬ 
seits  mußte  ich  mit  Rücksi(dit  auf  die  geschilderten  Symptome 
auf  einen  relaliv  tiefen  Sitz  des  Fremdkörpers  ('Teilungsstelle 
für  die  Unlerlappenäste)  rechnen,  anderseits  schien  es  wünschens- 
werl,  daß  noch  ein  hinreichender  Anteil  des  Rohres  behufs  ])c- 
(luemcr  Führung  desselben  über  den  Oberkiefer  des  Kindes  vor¬ 
ragte.  Die  Läng(!  d<!S  gesamten  Tubus  betjug  18  cm,  jene  des 
zylindrischen  Rohrabsclmiltes  bis  zum  konusförmigen  Ansätze 
15  cm.  Ich  verzichte  auf  eine  Wiedergabe  desselben. 

x\ls  ich  das  Kind  um  VaPd  Uhr  (9.  Oktober)  sah,  war 
die  Atmung  angestrejigt,  aber  die  starke  Einziehung  der  rechten 
Seite,  wie  sie  am  gestrigen  Vormitlage  so  auffallend  war,  fehlte. 
Gesichtsfarhe  blaß,  Lippen-  und  Munds(ddeimhaut  gut  gefärbt. 
Schon  die  Erfahrung  bei  der  ersten  Inspeklion  batte  mich  in 
meiner  Hoffnung  beslärkl,  den  Eingriff  auch  bei  diesem  Kinde 
im  Säuglingsaller  ohne  Narkose  durchführen  zu  können.  Außer¬ 
dem  wollte  ich  die  Operation  auch  in  der  .\rt  bewerkstelligen, 
daß  der  Befund  des  Fremdkörpers  den  anwesenden  Aerzlen  demon- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


N-.  25 


rtiU 


striort  werdcii  konnte;  icli  halte  mir  daher  bloß  den  C a sp er¬ 
stdien  BeleiichlungSigriff  mitgenommen.  Vorliercitungen  zu  einer 
eventuellen  Tracheotomie  ließ  ich  nicht  treffen. 

Das  Kind  wurde  wieder  bis  zum  Halse  hinauf  in  ein  Lein- 
Imdi  eingehüllt,  von  einer  Schwester  auf  den  Schoß  genommen, 
dei-  Kopf  von  einem  Gehilfen  gehalten.  Rachen-  und  Kehlkopf- 
eingaug  wurden  einmal  unter  Leitung  des  (ungedeckten)  Fingers 
mit  lüFdiger  Kokainlösung  gepinselt.  Unschwer  gelang  es,  das 
zur  Schonung  der  Stimmheänder  mit  einem  weichen  Katheter  ar¬ 
mierte  Rohr  durch  die  Glottis  hindurch  in  die  Trachea  ein¬ 
zuführen.  Aber  die  Releuchtung  des  Gesichtsfeldes  mit  der 
Casper  sehen  Lampe  war  bei  der  Enge  des  Tubus  eine  so 
ungünslige,  die  Glanzlichter  im  oberen  Teile  störten  derart,  daß 
es  nicht  gelang,  einen  hinreichenden  Einblick  zu  gewinnen  oder 
gar  andere  an  der  Inspeklion  teilnehmen  zu  lassen.®)  'Auch  war 
die  Lampe  der  vorhandenen  Stromquelle^,  bzw.  dem  Rheostaten 
nicht  vollkommen  angepaßt.  Ich  mußte  daher  die  Untei’suchung 
ahhrechen  und  sandte  an  die  III.  medizinische  Klinik,  um  mir 
meinen  Rheostat  und  den  Clarschen  Stirnspiegel  holen  zu  lassen. 
Nach  ungefähr  drei  Viertelstunden^  um  ca.  V2I  Uhr,  ^varen  diese 
Rehelfe  zur  Hand  und  nun  ging  alles  relativ  rasch  von  statten. 

Ich  verzichtete  jetzt  vollständig  auf  die  Anwendung 
von  Kokain,  da  ich  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  zur  üeber- 
zeugung  gelangt  war,  die  Einführung  des  Tubus  auch  ohne  dieses 
Hilfsmittel  —  bei  dem  Alter  des  Kindes  von  fraglichem  Werte 
—  bewerkstelligen  zu  können.  Unter  Leitung  meines  (unge¬ 
schützten)  Zeigefingers  gelingt  es  .Avieder,  um  die  Epiglottis  herunv 
zukommen  und  das  mit  dem  Katheter  armierte  Rohr  in  die 
Trachea  einzuführen.  Die  Unruhe  des  Kindes  kann  leicht  durch 
entsprechende  Haltung  behoben  Averden,  ebenso  lassen  sich  die 
durch  Hustenstöße  beAvirkten  BeAvegungen  ausgleichen.  Nachdem 
die  im  Tubus  aufsteigenden  Schleimhlasen  mittels  meines  Aveichen 
Aspiralionsschlauches ’')  ahgesaugt  sind,  vermag  ich  das  Gesichts¬ 
feld  mit  der  Clarschen  Lampe,  auf  das  schärfste  zentriert,  zu 
beleuchten.  Ich  erkenne  den  zarten  Bifurkations'sporn  und  rechts 
Amn  demselben,  auf  ca.  1-5  cm  tiefer  rückend,  finde  ich  ein 
reiiiAveißes  Gebilde  die  Lichtung  versperren;  scharf  hebt  sich 
dasselbe  von  der  geröteten  Schleimhaut  des  Bronchus  ah.  Es 
ändert  seine  Lage  nicht.  Eine  Täuschung  ist  ausgeschlossen, 
(;s  muß  in  der  Tat  der  Knochen  sein.  Er  befindet  sich  in  einer 
Tiefe  von  ca.  13  cm  Amn  der  Zahnreihe.  Während  ich  unter¬ 
suche,  hört  man  auch  das  „zVnschlagen“  des  unteren  Rohrendes 
an  den  Fremdkörper;  mit  einer  Sonde  einzugehen,  wäre  ZAveck- 
los  geAvesen.  Noch  A'crmag  ich  kein  Lumen  zu  finden.  Unter 
vorsichtig  gesteigertem  Drucke  auf  die  vordere  Wand  tritt  aber, 
besonders  bei  tiefer  Insi)ii'alion,  ein  kleiner,  halbmondförmiger 
Spalt  in  Erscheinung  und  ich  sehe  die  jMöglichkeit,  an  dieser 
Stelle,  um  die  sich  hier  darhielende  Kante  des  Knochens  herum¬ 
zukommen.  Während  ich  mich  unter  Avechselndem  Drucke  vor- 
utid  rückAvärls  beAAmgc,  um  mich  über  die  Konfiguration  des  Fremd¬ 
körpers  zu  orienlieren,  Avijxl  es  mir  immer  klarer,  daß'  (;s  sich 


H 


r 

Fig.  3. 


um  ein  plalteiiföiuiiges  Kuochenfragmeiit  handeln  müsse,  lliese 
\'ersuche  erfonk-rn  Behulsamkeit,  um  beim  respij'al.orischen  Wogen 
des  Arbeitsfeldes  keinen  Uimül.zen  Druck  auf  den  Fremdkr)i'[)ei’ 
auszuüben,  bdi  veiinag  dieserart  eine  Verletzung  der  Schlcim- 
baut  und  Bildung  zu  Ami'ineidmi.  Ich  bin  selbst  erstaunt,  trotz 
der  Enge  des  Gesicbtsfeldes  einen  so  klaren  Einblick  in  die 
Situation  zu  geAvinnen;  das  .Vrbeitsfeld  liegt  ca.  38  cm  (Länge 
d('S  Tubus  18  cm,  Distanz  der  oberen  Rohrmündung  von  der 


®)  Ich  bemerke  hier,  daß  die  Casper  sehe  Lampe  kürzlich  durch 
die  Firma  L.  und  H,  Löwenstein  (Berlin)  hinsichtlich  -ihrer  Optik 
verbessert  AA^orden  ist,  indem  das  austretende  Licht  zentriert  in  den 
Tubus  gelangt  und  die  den  Einblick  störende  Dispersion  an  der  oberen 
Rohrmündung  vermieden  ist. 

’)  Bezüglich  VerAvendung  desselben  vergleiche  mein  Buch  1.  c. 
S.  21  und  22. 


Stimlampe  ca.  20  cm)  von  dom  untersuchenden  Auge  entfernt; 
das  Zimmer  Avar  nur  zur  Hälfte  verdunkelt.  UiiAvillkürlich  bedauere 
ich,  den  schönen  Befund  nicht  auch  den  Aiwesenden  demon-  \ 
silieren  zu  können.  Nach  der  Lage  des  Knochens,  welche  in 
beistehender  Figur  3  bei  SV^facher  Vergrößerung  Aviedergegeben  .-li 
ist,  konnte  mit  Hoffnung  auf  Erfolg  an  die  Entfernung  geschritlen  ^ 
AAmrden,  AvieAvohl  cs  mir  klar  Avar,  daß  es  sich  um  ein  Gebilde 
Aujii  ansehnlicher  Größe  handeln  mußte. 

Zur  Extraktion  hatte  ich  mir  unsere  Fremdkörper¬ 
pinzette  mit  nicht  zu  kleinen,  gut  gerifften,  drehbaren 
Branchen  zurecht  gelegt  und  zuvor  die  notwendige  Länge  ' 

des  Instrumentes  —  ca.  1  cm  mehr  als  jene  des  TAibus 
—  durch  leichte  Biegung  seiner  Leitröhrc  und  einen  kleinen 
Heftpflasterstreifen  markiert.  Ich  Avußte  dadurch  genau,  avo  und 
wie  sich  die  Branchen  öffnen  Avürden;  denn  an  dem  Instrumente 
vorbeizusehen,  Avar  nahezu  ausgeschlossen.  Dennoch  gelang  es 
bei  den  Aveiteren  Eingriffen  für  Augenblicke,  den  weißen  Schimmer 
des  Knochens  neben  den  Branchen  zu  erkennen.  Alles  kam  darauf  q 

an,  Avenigstens  mit  einer  derselben  Amn  \mrne  (ventralwärts)  1 

her  an  der  sich  darbietenden  Kante  des  Knochens  herumzukommen 
und  die  Branche  in  den  halbmondförmigen  Spalt  vorzuschieben. 

Nach  der  Lage  des  Fremdkörpers  im  Bronchus  mußte  ich  den- 
selben  sohin  mit  sagittal  gestellten  Branchen,  also  senkrecht  ■ 
auf  die  Richtung  der  Kante,  zu  erfassen  trachten. 

Ich  verzichte  auf  die  Benützung  von  Kokain  oder  Adrenalin.  b 

Das  erstemal  ist  mein  Eingehen  vergeblich ;  man  hört  deutlich  das  '  ; 

Kratzen  des  Instrumentes,  den  „harten“  Klang  des  Tubus  am  i 

Knochen.  Ein  Einblick  überzeugt  midi,  daß  ich  eine  Verletzung  der 
Wand  vermieden  habe.  Es  blutet  nicht,  nur  einige!  Schleimblasen  he-  j 
ginnen  hervorzuquellen.  Alle  Aufmerksamkeit  ist  darauf  zu  richten, 
die  KörperbeAAmgung  des  Kindes  zu  mildern  und  trotz  der  for¬ 
cierten  Respiration  Veränderungen  des  Cresichtsfeldeis  auszu- 
gleichen;  dabei  Avird  entsprechender  Druck  auf  die  vordere  Bron-  ^ 
chiahvand  ausgeübt,  um  dieselbe  sanft  abzudrängen  und  dieser-  ^ 
art  die  Kante  des  Knochens  nach  Möglichkeit  in  der  Mittellinie  ^ 
zu  erhalten.  Es  geht  dies  um  so  leichter,  als  ein  hinreichender  ^ 
Anteil  des  Rohres  ca.  5  cm  über  den  Oberkiefer  vorragt,  der  sich 
gut  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  führen  läßt.  Mittlenveile  ß 
sind  einige  Schleimblasen  aufgetreten,  die  Avieder  mit  dem  Kaut-  ^ 
schukschlauch  abgesaugt  Averden.  Unter  Amrsichtigem  Drucke  mit 
der  geöffneten  Pinzette  gelingt  es  nunmehr,  den  Fremdkörper  2 
während  einer  Inspiration  zu  erfassen.  Ich  fühle  dies  deutlich 
am  Schieber  des  Instrumentes  und  dadurch,  daß  ich  die  ge-  * 
schlossene  Pinzette  nicht  mehr  in  den  Tubus  zurückziehen  kann.  ! 
Nun  aber  Avird  die  Sache  kritischer.  Ich  versuche  steigenden 
Zug  nach  oben,  doch  es  rührt  sich  nichts.  Ich  trachte  durch  , 
i'elalive  Verschiebungen  von  Pinzette  und  Rohr  die  Wandspannung  j 
des  Bronchialrohres  zu  mildern,  aber  es  nülzt  nichts;  trotz  be- 
reils  kräftigen  Zuges  folgt  der  Knochen  nicht.  Ich  traue  mich  ! 
vorläufig  nicht  größere  Kraft  anzuAvenden  und  lasse  daher  den  ^ 
gut  gefaßten  Fremdkörper  Avieder  ans.  Eine  abermalige  Inspektion  3 
überzeugt  mich,  daß  der  immerhin  starke  Zug  ohne  sichtbare  W 
Reaktion  auf  die  Wandung  geblieben  ist;  denn  auch  nach  Aspi-  3 
ration  mit  dem  Schlauche  tritt  kein  Blut  im  Gesichtsfelde  auf.  J 
Ich  gehe  neuerdings  ein,  um  den  Knochen,  jetzt  rascher  als  ^ 
früher  und  in  derselben  Richtung,  zu  erfassen;  aber  Avieder  der 
gleiche  Widerstand  beim  Exlraktionsversuche.  Uh  habe  geradezu  -J 
das  Gefühl,  den  Bronchialbaum,  bzAv.  die  Lunge  mitzuheben  und  w 
lasse  daher  den  Knochen  abermals  aus.  Während  alledem  he-  % 
lehrt  .mich  der  Gesichtsausdruck,  im  besonderen  die  Röte  der 
Lippen  des  Kindes,  daß  die  Venlilation  in  hinreichendem  Maße  M 
durch  die  im  Tubus  mehrfach  angebrachten  Löcher  von  statten  s 
geht;  der  Allgemeinzustand  ist  befriedigend.  Wieder  zeigt  mir  ß 
die  Inspektion  des  Arbeitsfeldes,  daß  auch  die  letzte  Traktion  S 
ohne  Folge,  Blutung,  geblieben  ist.  Für  einen  Augenblick  eiwäge  ■* 
ich  den  Versuch,  den  Knochen  trotz  seiner  anscheinenden  Härte 
zu  morzellieren,  um  ihn  Anelleicht  auf  diese  Art  herauszubringen,  |- 
AA’as  aber  Avieder  in  anderer  Richtung  gefährlich  geAvesen  Aväre.  'b 
Das  Fehlen  einer  bedenklichen  Reaktion  nach  den  bisherigen  A 
Eingriffen  bestärkt  jedoch  meine  Eiwartung,  den  Fremdkörper  T' 
trotz  seiner  festen  Verankerung  in  to  to  nach  außen  zu  fördern.  .• 
Ich  führe  jetzt  Aumsichtig  lockernde  BcAAmgungen  unter  seitlichen  ' 
und  drehenden  Exkursionen  des  Instrumentes  aus,  die  ich  durch 
die  Haltung  des  Tubus  entsprechend  unterstütze,  dann  .steigere  W 
ich  den  Zug  unter  Vergrößerung  der  lateralen  BeAvegungen  mehr 
und  mehr  • —  endlich  unter  bereits  beträchtlichem,  jedoch  in 
seiner  Wirkung  genau  abgestuftem  Zuge  folgt  der  Knochen.  Noch 
immer  macht  sich  störender  Widerstaml  füldbar.  Indem  ich  die 
BeAvegungen  mit  den  Instrumenten  fortsetze  und  den  Kopf  des 
Kindes  zur  Entspannung  der  Teile  neigen  und  in  geeigneter 
Weise  drehen  lasse,  komme  ich  vorwärts.  So  vermag  ich. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


761 


währeiul  icli  den  mit  der  Pinzette  gefaßten  Knochen  fest  an  das 
dishde  Rolnende  heranziehe,  beide  Inslrtnneide,  znlelzt  unter 
gioßen  in  der  Sagiltalen  erfolgenden  E.xknrsionen,  olnie  stärkeres 
Hindernis  ini  Kehlkopfe  glalt  nacli  außen  zu  fördern.  Nocli  in  situ, 


von  den  Branchen  des  Insirninentes  erfaßd  —  vgl.  Fi]g.  4  — . 
konnle  der  Knochen  den  Anwesenden  demonstriert  werden;  et 
war  nur  an  einer  der  Flächen  von  schwach  rötlich  fingiertem 
Schleime  bedeckt.  A\ir  sind  über  die  Cfröthe  desselben  erstaunt. 

Eine  noch  rasch  ausgeführte  Besichtigung  der  Schlund- 
gegend  mit  dem  Kehlkopfspiegel  ließ,  für  einen  Moment,  da  das 
Kind  hustet,  einen  Einblick  in  die  Gloltis  zu,  so  daß  ich  mich 
noch  überzeugen  konnle,  daß  alles  in  Ordiumg  war.  Uehrigens 
hatte  ich  das  h(;stimmle  Gefühl,-  trotz  des  vorhandenen  Wider¬ 
slandes  nichts  verletzt  zu  haben.  Der  währenddessen  expekto- 


Fig.  5  (nat.  Größe). 

rierte  Schleim  zeigte  keine  blutige  Beimischung.  Wie  ne])enstehende 
Fig. 5  zeigt,  handelt  es  sich  um  ein  flaches  Knochenstück  von 
dreieckiger  Gestalt,  das  seiner  Struktur  nach  der  Kortikalis  eines 
Röhrenknochens  entspricht;  die  eine  Fläche  ist  glatt,  während 
die  andere,  die  im  Bronchialhaume  mehr  nach  abwärts  gekehrt 
war,  Rauhigkeiten  aufweist.  Die  Dimensionen  des  Fragmentes 
betragen:  Breite  (a — b)  8-6  mm,  größte  Länge  11-5  mm,  Dicke, 
entsprechend  der  Kante  h — c,  1-6  mm.  Der  Inhalt  einer  der 
Flächen  beträgt  ca.  47  mnr,  ist  somit,  was  nicht  ohne  Interesse 
erscheint,  ca.  2V:;nnal  größer  als  der  Querschnitt  (19-6  mm^)  des 
zur  Extraktion  verwendeten  Rohres. 

Ich  glaubte  die  vorstehende  Schilderung  ausführlicdi 
wiedergehen  zu  sollen,  um  die  nicht  unbedenkliche  Situation  und 
die  Schwierigkeiten  zu  beleuchten,  welche  hier  zu  überwinden 
waren  und  die  man  in  Anbetracht  der  Größe  des  Fremdkörpers  be¬ 
greiflich  finden  wird.  Die  Verkeilung  des  Knochens  an  der  Ver¬ 
zweigungsstelle  des  rechten  Bronchus  war  eine  so  feste,  daß 
ich  denselben,  wie  gesagt,  zweimal  ausließ,  um  mich  erst  über 
die  Wirkung  des  angewendeten  Zuges  zu  urderrichten.  Noch 
in  keinem  meiner  Fälle  habe  ich  eine  solche,  allerdings  vorsichtig 
dosierte  Kraftleistung,  ausühen  müssen,  um  den  Fremdkörper 
fjH'i  zu  bekommen.  Trotzdem  ging  die  Sache  rascher  von  statten, 
als  es  vielleicht  iiach  der  gegebenen  Darstellung  scheinen  könnte. 
Der  Eingriff  dauerte  von  der  ersten  piüzisen  Einstellung  des 
Knochens  bis  zu  dessen  definitiver  Beseitigung  ca.  11  Minuteii; 
seine  EnRvicklung,  nachdem  er  das  letzte  Tlal  gefaßt  worden 
war,  aber  gewiß  1  Minute.  —  Icli  darf  mir  wohl  die  persönliche 
Bemerkung  gestatten,  daß.  mir  die  Extraklion  des  Fremdköi'pers 
auch  schon  am  ersten  Tage  und  in  <ter.selhen  Weise  gf-dungen 
Wäre,  wenn  ich  das  passende  Rohr  von  erforderlicher  Länge 
zur  iland  gehabt  hätte. 

Das  Kind  hot  keine  Zeichen  der  Erscdiöpfung;  die  Atmung 
war  entschieden  ruhiger  geworden.  Temperatur  nachmittags  4 Uhr 
ßTMF  Am  Abend  nahm  das  Kind  Milch  zu  sich;  das  ruhige  Ver¬ 
hallen  beim  Trinken  bestätigt,  daß  sicher  nichts  verletzt  worden 
war.  Tagsüber  zwei  breiige  Stuhlerdlecrungen.  Aliends  8  Uhr 
Temperatur  38-1°;  von  einer  genaueren  Untersuchung  wird  Ab¬ 
stand  genommen.  Der  erste  Teil  der  Nacht  verlief  unruhig;  das 
Kind  warf  sich  hin  imd  her,  dann  etwa  von  2  Uhr  an  trat 


liofor  Schlaf  ein.  Die  Respiration  unhörhar.  10.  Oktober: 
Temperatur  38-2‘’.  Frequenz  deS'  Pulses  170,  der.selhe  regelmäßig. 
Nahrungsaufnahme  (Milch)  ohne  Ansland.  Stimme  heiser;  die 
Respiration  ruhig,  gleiclnnäßig,  ohne  Einziehungen  erfolgend.  Ah 
und  zu  trockener  Husten.  Die  Körpertemperatur  hält  sich  über 


38”,  um  am  Airende  —  vgl.  beistehende  Kurve,  Fig.  ß  —  Ibr 
Maximum,  38-5”,  zu  erreichen;  die  Pulsfrequenz  180.  Trotz 
der  Fieberhewegung  der  Gesamlzustand  des  Kindes  befriedigeml. 
Eine  StUhlenileerung.  11.  Oktober:  Morgentemperatur  noch 
immer  38  ()”,  aber  die  nächsten  Messungen  dieses  Tages  ergel)en 
bereits  Rückgang  des  Fiebers;  Abendtemperatur.  38-1”.  Das 
Kind  nimmt  die  ihm  verabreichte  Milch  ohne  Zeichen  von  Wider¬ 
willen  oder  Schmerzen  zu  sich.  Ein  deutlicher  Entzündungsherd 
ist  weder  in  der  rechten,  noch  in  der  linken  Lunge  nachweisbar. 
Therapeutisch  Dunstumschlag  während  der  Nacht;  das  Kind  wird 
fleißig  herumgetragen.  •  Eine  Stuhlentleerung. 

12.  Oktober:  Morgens  noch  38-2”,  dann  beginnt  die  Tem¬ 
peratur  mit  Entschiedenheit  abzufalten,'  auch  die  Pulsfrequenz 
ist  im  Laufe  des  Tages  auf  150  und  gegen  Abend  auf  126  herab¬ 
gegangen.  Das  Kind  ist  wesentlich  frischer;  es  reagiert  auf  An¬ 
rufen  und  streckt  die  Hände  aus.  Unbelästigt  atmet  es  luhig, 
unhörbar;  die  Respiration  erfolgt  symmetrisch.  Wenn  sich  das 
Kind  aufregt,  wie  bei  der  Untersuchung,  so  besteht  leichter, 
inspiratorischer  Stridor,  welcher  die  Auskultation  der  Lungen  er¬ 
schwert.  Das  Atenigeräusch  rechts  im  Bereiche  des  Oherlappens 
verschärft,  das  Exspirium  rauh  und  gedehnt;  außerdeiu  über  der 
ganzen  rechten  Lunge  ab  und  zu  mäßig  zahlreiche,  feuchte,  nicht 
konsonierende  Rasselgeräusche.  Bei  der  Perkussion  scheint  der 
Schall  rechts  hinten  oben  etwas  leerer  als  links  zu  sein;  ein 
deutliches  Dämpfungsgehiet  ist  nirgends  zu  konstatieren.  Herz- 
aklion  regelmäßig,  die  Töne  rein.  Das  Abdomen  nicht  aufge¬ 
trieben,  nicht  gespannt,  Stuhlgang  normal.  In  den  Nachmittags¬ 
stunden  klingt  der  Husten  entschieden  ,, lockerer“  als  an  tlen 
Vtertagen.  Ahendtemperatur  37T”.  13.  Oktober:  Die  Tempe¬ 

ratur  ist  tagsüber  auf  37-2”  herabgesunken;  Pulsfrequenz  154. 
Die  Stimme  des  Kindes  rauh,  bei  starkem  S(direien  ist  die  Heiser¬ 
keit  jedoch  gering.  Freciuenz  der  Respiration  ca.  35,  dieselbe 
erfolgt  gleichmäßig.  Nur  hei  Unridre  des*  Kindes  ist  noch  leichter 
Stridor  hernerkhar,  keine  Hustenbewegung.  Verschärfung  des 
yVtemgeräusches  ist  mit  Sicherheit  bloß  rechts  hinten  oben  nach- 
weishar.  Köiqiergewicht  6-8  kg;  Nahrungsaufnahme  befriedigend. 
14.  Oktober:  Das  Kind  nahezu  afebril ;  Temperatur  im  Mittel 
37-1”.  Erscheinungen  von  Bronchitis  fehlen.  Zwei  Stühlen tleerun- 
gen.  15.  Oktober:  Körpertemperatur  normal.  Frequenz  des 
Pulses  124.  Allgemeinbefinden  vollkommen  befnedigend.  Körper¬ 
gewicht  6-5  kg.  Nahrungsaufnahme  reichlich.  Objektiv  ist 
rechts  bilden  oben  in  größerer  Ausdehnung  Verschärfung 
des  Atemgeräusches  vorhanden.  Die  Stimme  des  Kindes 
noch  immer  heiser.  16.  Oktober:  Das  Wohlbefimlen  hält  an; 
letzte  Messung  36-9”.  Das  Kind  wird  geheilt  entlassen.  —  Viel¬ 
leicht  wären,  wenn  ich  die  Extraktion  schon  am  ersten  Tage 
(9.  Oktober),  also  17  anstatt  ca.  41  Stunden  nach  item  Ereig- 


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WlEAEll  KLINISCHE  WOCIIENSCHIUFT.  1907. 


Nr.  25 


nisse,  hätte  ausführen  können,  die  genannten  Erscheinungen 
der  Bronchopneumonie,  die  Fieberbewegung  zu  vermeiden 
gewesen,  die  übrigens  bereits  nach  drei  Tagen  geschwunden  waren. 

Am  25.  Oktober  1906  wird  das  Kind  in  der  pädiatri¬ 
schen  Sektion  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  in  Wien 
vorgestellt.®)  Die  Stimme  rein,  kein  Katarrh,  die  llespira- 
tion  symmetrisch.  —  Was  die  ferneren  Schicksale  des¬ 
selben  anlangt,  so  sei,  wiewohl  dieselben  für  die  Beurteilung 
der  Kranken-,  bzw.  Operationsgeschichte  belanglos  sind, 
in  Kürze  berichtet: 

Zunächst  gedieh  das  Kind  gut  weiter.  Mitte  Januar  1907 
trat  nach  heftigem  Schreien  eine  kleine  Nabethernie  auf,  welche 
entsprechend  behandelt  wird.  Bald  danach  stellte  sich  eine 
Schwellung  des  vierten  Fingers  der  linken  Hand  ein,  flie  rasch 
vorüberging;  gegenwärtig  besteht  eine  spindetförmige,  nicht 
schmerzhafte  Verdickung  am  zweiten  Gliede  des  rechten  Mittel¬ 
fingers,  die  seitens  der  Pädiater  als  Spina  ventosa  aufgefaßt 
und  entspi'echend  l)ehandelt  wird.  Ich  habe  das  Kind  zuletzt 
am  5.  l\Iai  1907  wieder  gesehen;  es  besitzt  ein  Körpergewicht 
von  12  kg,  hat  also  um  6  kg  zugenommen.  Befund  der  Thorax¬ 
organe  vollkommen  normal. 

Bevor  wir  die  Operationsgeschichte  besprechen, 
auf  welche  ich  in  dieser  Mitteilung  das  Hauptgewicht  legen 
möchte,  zunächst  noch  Einiges  über  die  sonstigen  Um¬ 
stände  des  Falles. 

Wie  mir  ein  erfahrener  Pädiater  erzählte,  trifft  man 
in  der  Wiener  Bevölkerung  den  Brauch,  Milchkindern  Wurst¬ 
stücke  als  ,, Kräftigungsmittel“  zum  Saugen  zu  geben,  nicht 
so  selten  an.  Auch  hier  war  es  ein  Stück  Wurst,  idas  den 
Knochensplitter  enthielt,  welchen  das  Kind  aspirierte.  Als 
das  Knochenfragment  in  der  Pinzette  zum  Vorscheine 
kam,  waren  wir  alle  nicht  wenig  über  die  Größe  desselben 
erstaunt.  —  Dieser  Befund  fordert  zu  einer  näheren  Be¬ 
trachtung  auf. 

Würde  man  sich  lediglich  an  die  in  den  Handbüchern 
der  Anatomie  gegebenen  Daten  halten,  so  erschiene  es 
allerdings  befremdlich,  wie  ein  Knochenstück  von  diesen 
Dimensionen  in  die  Trachea,  bzw.  den  rechten  Bronchus 
eines  zehn  Monate  alten  Kindes  gelangen  konnte.  Ohne 
auf  nähere  Details  einzugehen,  wird  nach  F.  Merkel  und 
anderen  der  Durchmesser  der  Fuftröhre  für  das  erste  Febens- 
jahr  mit  rund  5  bis  6  mm  angegeben,  wobei  individuelle 
Schwankungen  betont  werden.  Dabei  ist  der  fron  tale  Durch¬ 
messer  größer  als  der  sagittale,  anderseits  aber  wieder  die 
laiftröhre  in  letzterer  Richtung  dehnbarer.  Die  kürzeste 
Kante  des  extrahierten  Fremdkörpers  betrug  fast  9  mm,  so 
daß  schon  auf  Grund  obigen  Wertes  ein  Findringen  des  be¬ 
schriebenen  Knochenfragmentes  in  die  Trachea  ausge¬ 
schlossen  erscheint  und  dies  um  so  mehr,  wenn  wir  l^e- 
rücksichtigen,  daß  die  Daten  über  das  Finnen  der  Luft¬ 
röhre  an  der  Leiche  gewoninni  wurden.  Nicaise,  sowie 
Le  jars  haben  nämlich  gezeigt,  daß  die  Weite  der  Trachea 
und  Bronchien  nach  dem  Tode  durch  Wegfall  des  Muskel- 
tomis  der  Hinterwand  wesentlich  größer  als  im  Leben  ist. 

Lediglich  auf  Grund  der  anatomischen  Daten,  deren 
Ueberlragung  auf  vitale  Verhältnisse  an  sich  schon  (Starr¬ 
heit  der  Teile,  Koagulationsvorgänge  u.  a.)  bedenklich  er¬ 
scheint,  würde  somit  die  Aspiration  des  Knochenfragmentes 
nicht  zu  erklären  sein.  Hallen  wir  uns  jedoch  dieDehnbar- 
keit  der  betreffenden  Teile  am  lebenden  Kinde,  sowie 
den  mechanischen  Effekt  des  inspiratorischen 
Luftstromes  vor  Augen,  so  wird  das  Ereignis  verständ¬ 
lich.  Ich  konnte  seinerzeit,  August  1901,  bei  einem  elf 
Moiiale  alten  Kinde  mit  einem  Bohre  von  6-7  mm  äußerem 
Durchmesser  von  der  Tracheotoniiewunde  aus  in  die  Luft¬ 
röhre,  sowie  in  den  rechten  und  liidien  Bronchus  eingeheii, 
ohne  merklichen  Widerstand  übei'wiuden  zu  müssen.  Aller¬ 
dings  ist,  wie  ebenfalls  Lejars^)  1901  betont  hat,  bekannt, 
daß  die  Trachea  nach  dem  lAiftröhrenschnille  im  Bereiche 
(h'r  eröffnelen  Gegend,  offenbar  durch  den  Zug  der  Mus¬ 
kulatur  ihrer  Hinlerwand,  weiter  wird.  Dach  das  nur  mdjen- 
b(d.  Der  Kuochen  dürfte  in  unserem  Falb'  zunächst  mit 

®)  Vgl.  den  bezüglichen  Sitzungsbericht  in  der  Wiener  med. 
Wochenschrift  1906,  Nr.  46,  S.  2261. 

»)  Revue  de  Chirurgie  1891,  Bd.  11,  S.  337. 


seiner  Kante  a — b  in  sagittaler  Richtung,  die  Spitze  vor¬ 
aus,  in  den  Larynx  gelangt,  bis  in  den  subchordalen  Raum 
vorgedrungen  und  daselbst  vorübergehend  stecken  ge¬ 
blieben  sein.  Hier  löste  er  Hustenstöße  mit  tiefen  In¬ 
spirationen  aus,  während  welcher  die  Glottis  ad  maxi¬ 
mum  erweitert  und  der  Knochen  durch  den  nachstürzenden 
Luftstrom  in  die  Trachea  geschoben  wurde.  Dies  konnte 
um  so  eher  geschehen,  wenn  seine  Fage  anfänglich  eine 
solche  war,  daß  er  dem  Luftstronie  eine  günstige  Angriffs¬ 
fläche  (Quersteilung)  hot.  Weitere,  den  Hustenstößen  vor¬ 
ausgehende  Inspirationen  werden  ihn  nun  ruckweise  in  die 
Tiefe  gezogen  haben  und  dies  um  so  leichter,  je  mehr  er 
auf  seinem  Wege  nach,  abwärts  den  Querschnitt  der  Trachea 
beeiiiträchtigte. 

Die  Druckdifferenzen,  welche  für  diese  Vor¬ 
gänge  maßgebend  sind,  können  beträchtliche  sein.  Wie 
ich  mich  im  Zusammenhänge  mit  anderen  Unter¬ 
suchungen^*^)  durch  direkte  Messung  ■ —  allerdings  am  Er¬ 
wachsenen  —  überzeugt  habe,  können  bei  Verstopfung  der 
Trachea  mittels  Tamponkatheters  negative  Schwankungen 
in  der  Größe  von  bis  Vs  Atm.  auftreten  und  der  Unter¬ 
schied  zwischen  exspiratorischem  Drucke  heim  Pressen  und 
tiefstem  Zwerchfellstande  sogar  Vs  Atrn.  ausmachen.  Ohne 
auf  eine  mathematische  Betrachtung  der  kinetischen 
Energie  des  Luftstromes  (Bonders,  Meißner, 
Reichmann,  Geigel  u.  A.)  einzugehen,  von  welchem 
der  Fremdköri>er  getroffen,  bzw.  fort  gerissen  wird, 
sei  hier  nur  angedeutet,  wie  sich  die  Verhältnisse  schon 
in  rein  statischer  Richtung  gestalten  können.  Nehmen 
wir  eine  Dichtung  der  Luftröhre,  D.  =  6  m,  an,  die  der 
Knochen  auf  seinem  Wege  nach  abwärts  temporär  verlegt 
haben  mag,  so  konnte  sich  auf  den  bezüglichen  Querschnitt 
von  28-3  mnU  ein  Druck  geltend  machen,  der  einer  plötz¬ 
lichen  Belastung  des  Knochenstückes  um  ca.  112  g  ent¬ 
spricht.  In  Wahrheit  kommt  es  jedoch  auf  die  Geschwin¬ 
digkeit  und  Reibung  des  Luftstromes  an,  um  den  dyna¬ 
mischen  Effekt,  bzw.  die  Arbeitsleistung  desselben  be¬ 
urteilen  zu  können.  In  dieser  Hinsicht  wäre  auch  auf  die 
Bildung  von  Luftwirbeln  Rücksicht  zu  nehmen,  welche  das 
Druckgefälle  an  einzelnen  Stellen  beträchtlich  zu  ändern 
vermögen.  Ferner  ist  darauf  zu  verweisen,  daß  das  Kaliber 
der  Luftröhre  bei  Kindern,  wie  ich  in  meinem  Buche, ^') 
in  Uebereinstimmung  mit  Pieniäzek  und  FTetcher- 
Ingals  erörtert  habe,  durch  die  Respiration  beein¬ 
flußt  wird.  Und  zwar  dürfte  durch  vertiefte,  rasche  In¬ 
spirationen  nicht  nur  eine  relative  (gegenüber  der  Ver¬ 
engerung  bei  forcierter  Exspiralion),  sondern,  infolge  der 
größicren  Dehnba.rkeit  des  Tracheobronchialrohres  im  kind¬ 
lichen  Alter,  auch  eine  reelle  Erweiterung  der  Lich¬ 
tung  stattfinden.  Diese  Kaliberschwankungen  werden  bei 
angestrengter  Respiration  infolge  Vergrößerung  der  im  Zeit¬ 
differential  entstehenden  intra-  und  extratrachealen  Druck¬ 
differenzen  um  so  ausgesprochener  sein.^^)  Wir  verstehen 
dieserart,  wie  durch  die  Wirkung  der  bei  der  Inspiration 
sozusagen  von  oben  erfolgenden  Luftstöße  einerseits  und 
der  Veränderungen  des  Kalibers,  inspiratorische  Er¬ 
weiterung,  andererseits  eiiiTief  er  rücken  des  Knochens 
zustande  kommt.  Unterstützt  wird  dieser  Vorgang  durch  die 
Spannung,  bzw.  die  Kontraktion  der  Ringmuskulatur  der 
hinteren  Trachealwand,  die  ein  Zurückweichen  des  Knochens 
gegen  den  Kehlkopf  verhindert  und  dazu  beitragen  mag,  den- 
sellien  tiefer  zu  schieben.  Der  durch  den  Fremdkörper  ver- 
ursachle  Reiz  führt  zu  gesteigerler  Schleimi)roduklion,  wo- 

*“)  Verfahren  zur  Bestimmung  der  maximalen  Arbeitsleistung 
der  Atemmuskulatur. 

”)  1.  c.,  S.  125  bis  135. 

Ausführliche  Angaben  über  die  Dehnbarkeit  des  Tracheo¬ 
bronchialrohres  (Nicaise  1899)  in  verschiedenen  Lebensaltern  und  bei 
bestimmt  variiertem  Drucke  sind  bisher  noch  ausständig.  Wir 
hoffen  über  solche  Studien,  die  nach  Analogie  der  von  Thoma  und 
seinen  Schülern  sowie  von  Straßburger  an  den  Arterien  vor¬ 
genommenen  Versuche  angestellt  werden  sollen,  demnächst  berichten 
zu  können.  Ebenso  behalte  ich  mir  vor,  auf  eine  rechnerische  Betrachtung 
der  mechanischen  Arbeit  des  respiratorischen  Luftstromes  zurück¬ 
zukommen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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durch  die  Wandung  schlüpfriger  und  die  Reibung  des  durch 
den  Luftstrom  getriebenen  Knochens  yermindert  wird. 

Er  kommt  an  die  B  i  f  u  r  k  a t  i  o n  s  s  t e  1 1  e  und  tritt  in¬ 
folge  der  günstigeren  anatomischen  Verhältnisse,  größere 
Weite  und  Steilheit  des  rechten  Bronchus  gegenüber 
dem  linken,  sowie  unter  dem  stärkeren  inspira¬ 
torischen  Zuge  C, Bungenkapazität“  von  rechts  zu  links 
wie  etwa  100:80)  in  den  rechten  Bronchus  ein,  bis 
er  durch  den  sich  steigernden  Widerstand  aufge¬ 
halten  lind  fixiert  wird.  Die  Streckung  des 
Bronchialbaumes  während  der  Inspiration  (Tendeloo, 
H.  V.  Schrott  er),  durch  welche  vorhandene  Winkel  ge¬ 
mildert  werden,  begünstigt  das  Vordringen  des  Frernd- 
körpors  nach  der  Tiefe  hin.  Dort  wird  er  durch  die  reak¬ 
tive  Schwellung  der  Schleimhaut,  das  wulstformige  Vor¬ 
ragen  derselben  über  die  Knochenränder,  sowie  durch  Kon¬ 
traktion  der  Bronchiahnuskulatur  festgehalten.  Hiezu  kommt 
noch  die  Wirkung  zeitweise  auftretender  Hustenstöße,  durch 
welche,  wie  auch  G.  Gottstein,^^)  sowie  P.  Tetens- 
Hald^^)  betonen,  der  FremdköiTper  nur  um  so  fester  in 
den  Bronchus  hineingetrieben  und  die  Verkeilung  gestei¬ 
gert  wird.  Gottstein  (S.  379  seiner  Mitteilung)  hat  im 
besonderen  die  Schwierigkeiten  der  Elimination  eines,  den 
Bronchus  vollständig  obstruierenden  Fremdkörpers  vor 
Augen,  wobei  er  bemerkt,  daß  der  Druck  unterhalb  des¬ 
selben,  also  in  dem  abgesperrten  Bezirke,  jenem  der  äußeren 
Atmosphäre  gleichkomme.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
daß  ,,im  Momonte  des  Hustenexspirationsstoßes“  ein  und 
zwar  beträchtlicher  Ueber druck  gegenüber  jenem  der 
Luft  in  der  mehr  minder  verschlossenen  Seite  auftreten 
und  dadurch  ein  vorhandener  Fremdkörper  nur  noch  fester 
verkeilt  werden  muß.  Nur  darf  man  nicht  der  Vorstellung 
Raum  geben,  als  ob  in  dem  abgesperrten  Lungenlappen 
keine  respiratorischen  Druckschwankungen  zustande  kämen. 
Auch  die  Lungen-,  bzw.  Bronchialluft  dieser  Seite  wird  beim 
Husten  zusammengepreßt,  wie  man  sich  mittels  eines  Bal¬ 
lonkatheters  und  manometrischer  Messung  überzeugen  kann ; 
ich  verweise  in  dieser  Richtung  auch  auf  eine  Kurve,  die 
bei  einer  Patientin,  A.  P.,  mit  hochgradiger  Stenose  des 
linken  Hauptbronchus  (cf.  mein  Buch,  S.  322)  im  angedeu¬ 
teten  Wege  gewonnen  wurde.  Richtig  aber  ist,  wie  gesagt, 
daß  der  Druck  in  der  Trachea  im  Momente  des  Husten¬ 
stoßes  wesentlich  jenem  überlegen  sein  muß,  der  unter¬ 
halb  des  Fremdkörpers  zustande  kommt.  Außer  der  ver¬ 
minderten  oder  bei  längerer  Dauer  der  Obstruktion  (Atelek¬ 
tase)  so  gut  wie  fehlenden  Vis  a  tergo  ist  die  Elimination 
eines  über  die  Bifurkation  hinaus  vorgedrungenen  Fremd¬ 
körpers  noch  dadurch  erschwert,  daß  die  Bronchien  beim 
Husten  verengt,  die  Abgangs winkel  vergrößert,  der  Bron¬ 
chialbaum  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zusammengeschoben 
werden.  —  Dadurch,  daß  der  Husten  unter  den  genannten 
Umständen  die  Verschiebung  eines  Fremdkörpers  nach  der 
Peripherie  befördert,  steigert  er  auch  die  Gefahr  entzünd¬ 
licher  Komplikationen. 

Doch  wir  können  hier  nicht  ausführlicher  auf  diese 
Verhältnisse  eingehen.  (Schluß  lolgt.) 


Aus  dem  klinischen  Ambulatorium  für  Nervenkranke 
in  Wien.  (Vorstand :  Hofr.  v.  Wagner.) 

Ein  Fall  von  Scheuthauers  „Kombination  rudi¬ 
mentärer  Schlüsselbeine  mit  Anomalien  des 
Schädels“.  (Dysostose  cleido-cränienne.*) 

Von  Privatdozent  Dr.  Alfred  Fuchs,  klinischem  Assistenten. 
Meine  Herren  !  Ich  erlaube  mir.  Ihnen  einen  Fäll  vor¬ 
zustellen,  welcher  zwar  w^eniger  direktes  neurologisches 
Interesse  besitzt,  als  vielmehr  wegen  der  Seltenheit  der 

Mitteilungen  aus  den  Grenzgebietender  Medizin  und  Chirurgie,  1907. 
Suppl.  Bd.  HI,  S.  270. 

>9  Sitzungsber.  des  dänischen  oto-laryngologischen  Vereines  vom 
17.  Dezember  1906;  s.  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde  1907,  Nr.  4,  S.223. 

*)  Demonstration  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte, 
7.  Juni  1907. 


Symptomengruppierung  .bemerkenswert  erscheint.  Es  han¬ 
delt  sich  nämlich  um  eine  angeborene  Mißbildung,  eine 
,, Kombination  rudimentärer  Schlüsselbeine  mit  Anomalien 
des  Schädels“,  wie  sie  von  S che uthauer ^)  zuerst  be¬ 
schrieben  wurde.  Pierre  Marie  und  P.  Sainton^)  haben 
diese  Anomalie  als  ,,D  y  s  o  s  t  o  s  e  c  1  e  i  d  o  -  c  r  ä  n  i  e  n  n  e  h  e  r  c- 
ditaire“  bezeichnet,  unter  welchem  Namen  in  der  Literatur 
eine  Reihe  analoger  Beobachtungen  verzeichnet  erscheinl. 
ln  letzter  Zeit  hat  auch  M.  Klar'^)  diesem  Gegenstände 
eine  Abhandlung  gewidmet.  Ferner  findet  sich  eine  Zu¬ 
sammenstellung  .der  Literatur  über  diese  merkwürdige  Aliß- 
bildung  bei  Maurice  V  i  1 1  a  r  e  t  und  Louis  F  r  a  n  co  z,'^)  welche 
die  erwähnte  Nomenklatur  von  Marie  und  Sainton  ak¬ 
zeptierend,  unter  der  Bezeichnung  der  ,,  Dysostose  cleido- 
cränienne“  eine  Familie  von  vier  Mitgliedern  beschreiben, 
welche  dieselben  Erscheinungen  boten.  Die  Autoren  zitieren 
auch  als  hiehergehörend  einen  in  Wien  von  Preleitner^) 
beschriebenen  Fall  von  angeborenem  partiellen  Klavikular- 
defekt.  Die  radiologische  Seite  der  Sache  behandelt 
Schüller  in  seinem  Atlas ^)  unter  Bezugnahme  auf  Prä¬ 
parate  des  Wiener  pathologischen  Museums. 


Der  vorliegende  Fall  betrifft  einen  23  Jahre  alten  Mann, 
welcher  wegen  eines  Konjunktivalkatarrhes  die  Klinik  des 
Herrn  Hofr.  Schnabel  aulsuchte  und  von  dort  zur  Unter¬ 
suchung  seines  auffallenden  Schädels  an  uns  gewiesen 
wurde  (wofür  ich  Herrn  Koll.  Laub  er  sehr  dankbar  bin). 

Aus  der  Anamnese  des  Patienten,  welcher  die  Sym¬ 
ptome  der  Alißbildung  in  sehr  charakteristischer,  mit,  den 
in  der  Literatur  bekanntgegebenen  Fällen  vollkommen  kon¬ 
gruenter  Weise  bietet,  ist  nur  hervorzuheben,  daß  er  ein 
Zwillingskind  ist.  Der  andere  Zwilling  starb  bald  nach  .der 


9  Allgemeine  Wiener  medizinische  Zeitung  1871,  Nr.  37,  S.  293 
Bulletins  de  la  Soc.  mdd.  des  höpit.  de  Paris  1897  und  1898- 
9  Osteodysplasie  der  Schlüsselbeine,  der  Schädeldeckknochen  und 
des  Gebisses.  Zeitschrift  für  orlhop.  Chirurgie  1906,  Bd.  15,  S.  424. 
Iconographie  de  la  Salp6triere  1905,  S.  303. 

9  Wiener  klin.  Wochenschrift  1903,  S.  70. 

9  1905,  S.  54. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


Gcl)nrl  und  ist  über  dessen  Aussehen  nichts  zu  ermitteln. 
Weder  die  Eltern  noch  die  Geschwister  des  Mannes,  von 
welchen  mehrere  ani  Leben  sind,  noch  sonst  jemand  in  der 
Familie,  sollen  so  auffallende  Schädelbiklungen  haben,  sollen 
auch  alle  viel  größer  sein  als  er.  Er  ist  148  cm  lang  und 
in  auffallendem  Gegensätze  zu  dieser  niedrigen  Statur  steht 
sein  ]iach  Art  eines  Hydrozephalus  enorm  envoitertes  Kra- 
nium  (Zirkumferenz  62  cm,  Ouerumfajig  40V2  cm,  sagittal 
—  Nasenwurzel  —  protub.  occip.  38  cm). 

An  dem  Schädel  kann  man  die  offen  gebliebenen  Fon¬ 
tanellen  und  Nähte  sehr  gut  tasten.  An  Stelle  der  Schlüssel¬ 
beine  finden  sich  frei  flottierende,  kurze  und  schmale 
Knochenspangen,  rechts  5  cm,  links  6  cm  lang,  mit  spitzig 
zulaufenden  Enden,  so  d.iß  man  auch  diesem  Patienten 
die  Schultern  bis  zur  vollkommenen  Berührung  nach  vorne 
Zusammenlegen  kann.  (Siehe  Abbildung.) 

Ferner  hat  der  Mann  eine  verkümmerte  Bildung  der 
Kiefer,  des  Oberkiefers  sowohl  als  des  Unterkiefers,  auf 
welches  Vorkommnis  inshesondere  auch  Klar  (l.  c.)  auf¬ 
merksam  macht,  wobei  das  ganze  Gebiß  des  Mannes  aus 
zebn  Zähnen  besteht  (wovon  drei  Molares,  vier  Prämolares, 
zwei  untere  Eckzähne  und  ein  mittlerer  oberer  Schneide- 
zabn). 

'  Aeußerlich  sowohl  als  durch  Tästbefund  sind  keine 
weiteren  Skelettanomalien  nachweisbar,  welche  vielleicht  erst 
bei  der  von  Koll.  Schüller  vorgenommenen  llöntgenunter- 
suchung  sich  ergeben  werden.  Die  Untersuchung  ergibt  auch 
sonst  keinen  pathologischen  Befund,  weder  an  den  Organen, 
noch  ajii  Zentralnervensysteme;  insbesondere  ist  auch  das 
psychische  Verhalten  des  Mannes  durchaus  normal  und  be¬ 
sitzt  derselbe  eine  seine  Bildungsstufe  (er  ist  Bürstenbinder) 
sogar  überschreitende  Intelligenz. 

So  interessant  die  hier  in  Betracht  kommenden  ana¬ 
tomischen  Fragen  sind,  so  ist  das  neurolögische  Interesse 
trotz  der  enormen  Schädeldeformation,  in  den  bisher  belcannt 
gewordenen  Fällen,  mangels  weiterer  Defekte  des  Zentral- 
nervensystemes  ein  begrenztes.  Daisselbe  beschränkt  sich 
zunächst  auf  den  Umstand,  daß,  entsprechend  dem  Defekte 
des  knöchernen  Schultergürlels,  meist  auch  Muskelaplasien 
des  Schultergürtels  beobachtet  werden.  Bei  dem  vorgestellten 
Manne  z.  B.  eine  defekte  (wenn  nicht  ganz  fehlende?)  An¬ 
lage  der  Musculi  infraspinati,  wodurch  die  Schidterblätter 
ein  eigentümliches  Aussehen  erlangen. 


Aus  der  Prosektur  und  dem  bakteriologischen  Institut 
der  mähr.  Landeskrankenanstalt  in  Brünn.  (Vorstand  : 

Prosektor  Priv.-Doz.  Br.  C.  Sternberg.) 

lieber  den  Nachweis  von  Milzbrandbazillen  an 

Pferdehaaren. 

Von  Dr.  Atlianas  Tlieodorov,  Sofia. 

Die  in  Nummer  22  dieser  Zeitschrift  von  Begimentsarzt 
Dr.  V.  K.  Buß  veröffentlichte  Mitteilung:  Ueber  den 'Nach¬ 
weis  von  Milzbrandbazillen  an  Pferdehaaren,  und  die 
geringe  Zahl  einschlägiger  lleobachtungen  bilden  die  Ver¬ 
anlassung  zur  Publikation  eines  Falles  von  Milzbrand,  der 
vor  kurzem  in  der  hiesigen  Prosektur  zur  Obduktion  kam 
und  in  dem  es  gleichfalls  gelang,  die  lnfeklionsq.uelle  — 
auch  in  diesem  Falle  Pferdehaare  —  bakteriologisch  ein¬ 
wandfrei  festzustellen.  Fs  dürfte  die  Mitteilung  vielleicht 
auch  deswegen  von  Interesse  sein,  da  sich  bei  der  Unter¬ 
suchung  dieses  Falles,  wie  aus  den  folgenden  Ausführungen 
}c:r-  orgehen  wird,  einige  interessante  Nebeiibefunde  ergaben 
und.  i's  in  unserem  Falle  auf  relativ  einfacherem  Wege  ge¬ 
lling,  n  ist,  den  bakteriologischen  Nachweis  der  Alilzbrand- 
bazillen  an  Pfordehaaren  zu  führen.  Die  von  anderen  Unter¬ 
suchern  geübte  i\Iethodik  (Gruber  bei  Pferdehaaren,  Heim 
bei  Ziegenhaaren)  ist  in  der  erwähnten  Mitteilung  von  Buß 
geschildert. 


Maiie  P.,  37  Jahre,  im  zehnten  Monate  gravid,  ließ  sich 
wegen  eines  fieberhaften  Zustandes  am  28.  Mai  in  die  tuesige 
Landesgehäranstalt  (Direktor  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Rieilinger) 
aidnelnnen,  woselbst  eine  akute  Laryngitis  festgestellt  wurde, 
Pat.  wurde  deshalb  in  die  Landeskrankenanstalt  auf  die  Abteilung 
des  Herrn  Prim.  Katholitzky  transferiert.  Da  die  Atein- 
beschwerden  Zunahmen,  wurde  hier  die  Tracheotomie  ausgeführt. 
Die  Ki'anke  start)  nach  einer  halben  Stunde,  worauf  die  Sectio 
caesaixia  in  raortua  vorgenommen  und  eia  totes  Kind  entwickelt 
wurde. 

Dem  ])ei  der  Oliduktion  aufgenommenen  Protokolle  (Pro- 
sektor  Priv.-Doz.  Dr.  C.  Sternberg)  sei  hier  folgendes  ent¬ 
nommen  :  Die  äußere  Besichtigung  ergab  außer  der  Tracheotomie- 
und  der  Laparotondewunde  keinen  besonderen  Befund.  Die 
weichen  Schädeldecken  gerötet,  das  Schädeldach  oval,  dünn,  mit 
einem  leichten  Osteophyt  an  der  Innenfläche.  Die  Dura  mater 
gespannt,  die  inneren  Hirnhäute  zart,  über  der  Konvexität  des 
Stirnhirns  und  stellemveise  auch  über  dem  Kleinhirn  mit  kleinen 
und  einigen  größeren  Blutaustritten  (namentlich  entsprechend  den 
Furchen)  bezeichnet,  sonst  keine  Blutungen  aufweisend;  stellen¬ 
weise,  so  namentlich  über  den  Schläfelappen,  sind  die  Meningen 
mit  leicht  getrübter  Flüssigkeit  durchtränkt.  Die  Substanz  des 
Gehirnes  auffallend  ödematös,  teigig  weich,  wenig  blutreich,  stellen¬ 
weise  sehr  blaß;  namentlich  die  Substanz  des  Stirnhirnes  sehr 
weich,  ln  den  Seitenventrikeln  klare  Flüssigkeit. 

Unterhautzellgewehc  fettreich,  Muskulatur  welk,  blaß.  Im 
linken  Pleuraraume  etwa  ein  halber  Liter  blutige  Flüssigkeit; 
beide  Lungen  frei,  lufthältig,  nur  im  linken  überlappen,  nahe 
der  Oberfläche,  ein  durch  die  Pleura  durchschimmernder,  nuß- 
großer,  derbelastischer,  ziemlich  scharf  begrenzter,  dunkelroter, 
luftleerer  Herd,  wn  dein  sich  am  Durchschnitte  eine  geringe 
Menge  hämorrhagischer  Flüssigkeit  abstreifen  läßt.  Die  rechte 
Lunge  allenthalben  lufthältig,  mäßig  blutreich. 

Das  Zellgewebe  im  vorderen  Mediastinum  hochgradig  ödema¬ 
tös  durchtränkt,  über  der  Herzspitze  fast  schwappend.  Im  Herz¬ 
beutel  einige  Tropfen  klaren  Serums ;  das  Herz  von  entsprechender 
Größe,  die  Klappen  zart  und  schlußfähig;  das  Herzfleisch  blaß, 
mürbe,  leicht  zerreißlich. 

Die  Milz  auf  das  Drei-  bis  Vierfache  vergrößert,  mit  ge-^ 
spannter  Kapsel,  sehr  weich,  am  Durchschnitt  blaurot,  reichlich 
Pulpa  ausstreifbar. 

Die  übrigen  Bauchorgane  zeigen  keinen  besonderen  Befund, 
weswegen  ihre  Beschreibung  hier  unterbleiben  kann. 

Die  Tonsillen  nicht  vergrößert,  die  Schleimhaut  des  weichen 
Gaumens  blaß,  die  aryepiglottische  Falte  hei’der.seits  geschwollen 
und  gerötet,  ebenso  die  Schleimhaut  der  Epiglottis  und  des  Kehl¬ 
kopfes.  In  der  Vorderen  Wand  der  Trachea  findet  sich  eine 
Schnittwunde  (Tracheotomiewunde),  die  Schleimhaut  der  laift- 
röhre  stellenweise  mit  Blutungen  bezeichnet.  Die  Lymphdrüsen 
an  der  rechten  Halsseite,  wie  die  hronchialen  Lymphdrüsen  beider¬ 
seits  beträchtlich  vergrößert,  sehr  weich,  dunkelrot,  wie  blutig 
infarziert,  von  der  Scbnittfläche  reichlich  blutige  Flüssigkeit  aus- 
streifbar.  / 

Die  Sektion  des  der  Leiche  beigegebenen,  durch  Sectio 
caesarea  enthundenen  Kindes  ergibt  keinen  pathologischen  Befund. 

In  Deckglaspräparaten  aus  dem  hämorrhagischen  Infiltrate 
der  Meningen  Und  dem  Oedeni  im  Zellgewehe  des  vorderen  Me¬ 
diastinums  fanden  sich  reichlich  einzelne  und  in  langen  Ketten 
angeordnete,  typische  Milzhrandbazillen,  wodurch  die  bereits  ana¬ 
tomisch  gestellte  Diagnose  Milzbrand  bestätigt  war. 

Zur  hakteriologischen  Untersuchung  wurden  der  Gehirnrinde 
samt  Meningen,  den  dunkelroten,  weichen  Lymphdrüsen  am  Halse, 
dom  mediastinalen  Zellgewehe,  dem  Lungenherde  und  der  Milz 
Stückchen  entnommen,  mit  steriler  Kochsalzlösung  verrieben  und 
von  den  resultierenden  Aufschwemmungen  je  etwa  V2  cm"^  Mäusen 
intraperitoneal  injiziert.  Außerdem  erhielt  ein  Meerschweinchen 
1  enri  eines  Gemisches  von  IMilzsaft  und  Oedemflüssigkeit  intra¬ 
peritoneal  injiziert.  Von  denselben  Organen  wurden  Kulturen 
auf  Agar  und  Gelatine  angelegt. 

Die  vom  Gehirn  und  von  der  Milz  angelegten  Kulturen 
ergaben  reichliches  Wachstum  typischer  Milzbrandbazi  1  ten,  die 
sich  im  Tierversuche  als  sehr  virulent  erwiesen.  Aus  den  übrigen 
Organen  (Lymphdrüse,  Lunge  und  Oedeni)  gelang  der  kulturelle 
Nachiveis  nicht. 

Sämtliche  geimpften  Mäuse  erlagen  der  Infektion,  und  zwar 
teils  in  weniger  als  24  Stunden,  teils  (die  mit  Lymphdrüsen  und 
Lungensaft  injizierten  Mäuse)  nach  etwa  36  Stunden. 

Der  Sektionsbefund  war  bei  allen  Mäusen  im  wesentlichen 
identisch.  \Mn  sämtlichen  Tieren  wurden  aus  dem  Peritoneal¬ 
exsudate,  aus  dem  Milzsafte  und  aus  dem  Herzhlute  Deckglas¬ 
präparate  angefertigt  und  Kulturen  angelegt.  Das  Ergebnis  war 


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diMchw'Cg  oin  positives,  indem  überall  IMil/dirandbazillen  gefunden 
wurden. 

Das  geimpfte  Meerschweinchen  ging  nach  2i  SLunden  ein 
Die  haktei'inlogische  Uiitersuchnng  der  Organe  ergab  gleichfalls 
einen  positiven  Hefund. 

Envähnl  sei  noch,  daß,  mit  zweien  der  Vers'uclisniänse  im 
seihen  Gefäße  eine  dritte,  nicht  geimpfte  Maus  eingesperrt  war; 
dieselho  hatte  ein«'  der  an  Milzbrand  eingegangenen  Mäuse, 
welcher  die  Rrustorgane  fehlten,  aji, genagt.  Auch  diese  Mans 
nmrde  ungefähr  24  Stunden  später  tot  anfgefunden.  Die  hak- 
teriologische  Unters'uchnng  der  Organe  dieser  Maus  ergab  im 
Herzblute  und  im  Milzsafte  reichlich  Milzhrandbazillen.  Im  Darm¬ 
inhalte  gelang  der  Nachweis  derselben  nicht. 

Von  dieser  Maus  wurden  Stückchen  vom  Darme,  ferner 
eine  mesenteriale  Lymphdrüse,  welche  makroskopisch  schwärz¬ 
lich  aussah,  und  die  Milz  histologisch  untersucht.  Die  Darm¬ 
wand  zeigte  keine  besonderen  Veränderungen  (Blutungen  oder 
Entzündungserscheinungen).  Bei  Gr  am  scher  Färbung  fanden  sich 
in  den  oberflächlichen  Lagen  der  Schleimhaut,  sowie  in  den 
Follikeln  vereinzelte  Gram-positive  Bazillen,  die  morphologisch 
vollkommen  Milzhrandbazillen  entsprachen.  In  der  Milz  fand  sich 
eine  große  Menge  typischer  jMilzbrandhazillen,.  allentharben  in  der 
Pulpa  zwischen  den  Follikeln,  während  diese  selbst  frei  blieben. 
Die  Bazillen  lagen  in  großen  Nestern  und  Zügen  beisammen, 
zum  Teile  innerhalb  der  Bluträume.  Die  Mesenterialdrüse  erwies 
sich  bei  der  histologischen  Untersuchung  sehr  zellreich,  die  Lymph- 
sinus  beträchtlich  erweitert,  ihr  Endothel  desquamiert.  Milzhrand¬ 
bazillen  fanden  sich  in  der  Drüse  vereinzelt,  etwas  zahlreicher 
sind  sie  im  umliegenden  iFettgewebe  nachweisbar,  woselbst  man 
sie  auch  im  Lumen  großer  Blutgefäße  findet. 

Von  der  Leiche  der  Verstorhenen  wurden  Stückchen  aus 
dem  Stirnlappen  des  Gehirns,  aus  dem  im  Protokolle  erwähnten 
Herde  des  linken  Oherlappens  und  aus  der  Milz  histologisch 
untersucht. 

Der  Herd  in  der  Lunge  zeigt  bei  mikroskopischer  Unter¬ 
suchung  in  seinem  peripheren  Anteile  die  Alveolen  vollständig 
dui'ch  ein  fihrinreiches,  zellarmes  Exsudat  ausgefüllt.  Die  Al¬ 
veolarwandungen  erscheinen  verbreitert,  reichlich  von  ein-  und 
mehrkernigen  Leukozyten  durchsetzt  und  enthalten  in  der  Um¬ 
gebung  der  Kapillaren  feinkörnigen  Detritus.  Im  Zentrum  des 
Herdes  findet  sich  eine  umfangreiche,  unscharf  begrenzte  Blutung, 
innerhalb  welcher  nur  vereinzelte  Reste  von  Alveolarwandungen 
sichtbar  sind.  Zwischen  dieser  Blutung  und  dem  beschriebenen 
Gewebe  findet  sich  ein  breiter  Streifen,  innerhalb  dessen  weder 
Alveolarwandmigen,  noch  elastische  Fasern  sichtbar  sind,  der 
vielmehr  von  Detritus  gebildet  wird,  dem  vereinzelte  Chromatin¬ 
schollen,  Kerntrümmer  und  ab  und  zu  noch  erhaltene  Kerne 
von  ein-  Und  mehrkernigen  Leukozyten  beigemengt  sind.  Bei 
Fibrinfärbung  zeigt  sich  in  dem  früher  beschriebenen,  mehr  peri¬ 
pheren  Anteile  ein  reiches  Fibrinnetz.  Bei  Bakterienfärbung  finden 
sich  allenthalben  im  Bereiche  dieses  Herdes  sehr  zahlreiche 
typische  Milzhrandbazillen,  namentlich  in  großer  Menge  in  den 
weiten  Lymphräumen  unter  der  Pleura. 

Entsprechend  dem  makroskopischen  Befunde  finden  sich 
auch  mikroskopisch  Blutaustritte  unter  den  Meningen,  nament¬ 
lich  über  den  Furchen;  in  denselben  sind  auch  herdweise  An¬ 
häufungen  von  ein-  und  mehrkernigen  Leukozyten  in  einem  zarten 
Fihrinnetze  zu  sehen.  Bei  Gram-Färbung  finden  sich  an  diesen 
Stellen  typische  Milzhrandbazillen.  Die  Milz  zeigt  keine  beson¬ 
deren  Veränderungen;  in  den  nach  Gram  gefärbten  Pj’äparaten 
finden  sich  in  der  Pulpa  zerstreut  Milzhrandbazillen. 

Außerdem  wurden  von  dem  Fötus  der  Leiche  Leber  und 
Älilz  bakteriologisch  untersucht.  Weder  kulturell,  noch  durch  Ver¬ 
impfung  auf  Mäuse  gelang  in  diesen  Organen  der  Nachweis  von 
Milzhrandbazillen ;  die  Versuchstiere  blichen  dauernd  gesund. 

Durch  diese  Untersuchungen  war  die  auf  Grund  des 
anatomischen  Befundes  bereits  gestellte  Diagnose  Milzbrand 
einwandfrei  erwiesen. 

Die  von  Herrn  Stadtphysikusstellvertreler  Dr.  Koka  11 
gepflogenen  eingehenden  Erhebungen  über  den  Ursprung  der 
Erkrankung,  für  deren  freundliche  Ueberlassung  wir  Herrn 
Dr.  Kok  all  auch  an  dieser  Stelle  unseren  wärmsten  .Dank 
aussprechen,  ergal)en,  daß  die  Verstorbene  H^iimarbeiterin 
der  Preßtücherfabrik  S.  in  Brünn  war  und  daß  .sie  sich  mit 
dem  Flechten  von  Roßhaaren  zu  Preßtüchern  beschäftigte. 
Nach  Aussage  ihrer  Angehörigen  soll  sie  in  den  letzten  Tagen 
Husten  mit  blutigem  Auswurf  gehabt  haben  und  auch  ihre 
Kinder,  sowie  einige  andere  Personen  in  der  Umgebung,  die 


der  gleichen  Beschäftigung  o])liegen,  sollen  angeblich  ähn¬ 
liche  Erscheinungen  aufweisen. 

Die  genannte  Firma  S.  in  Brünn  hatte  vor  ungelahr 
drei  Monaten  von  dem  Tierhaarexporleur  B.  in  Moskau  zwei 
Waggons  Roßhaare  bezogen,  welche  in  ca.  70  kg  schweren, 
in  Sackleinen  verpackten  Ballen  hier  einlrafen  und  nach 
und  nach  verarbeitet  wurden. 

Die  genannte  Firma  bat  einen  eigenen  Dampfreini¬ 
gungsapparat  Rir  Roßhaare;  da  ihr  jedoch  derselbe  nicht 
genügend  verläßlich  erschien,  hatte  sie  seit  einent  Jahre 
mit  der  Lohefärberei  G.  in  Bimnn  ein  Abkommen  behufs 
Reinigung  und  Entfettung  der  Roßhaare  getroffen.  Die  bei 
dieser  Firma  gleichzeitig  gepflogenen  Erhebungen  ergaben, 
daß  die  Roßhaare  zunäclist  in  Ballen  durch  eine  Viertel¬ 
stunde  in  einem  Kessel  mit  kochendem,  mit  Soda  versetztem 
Wasser  eingelegt  und  sodann  einem  Waschprozeß,  eventuell 
einer  Färbung  unterworfen  werden.  Die  auf  diese  Weise 
gereinigten  Roßhaare  kommen  dann  zur  Strähnebildung  in 
die  Firma  S.  zurück,  von  wo  die  fertigen  , Strähne  zum 
Flechten  der  Preßtücher  in  Rahmen  an  Heimarbeiter  ins 
Haus  abgegeben  werden.  Die  Firma  S.  beschäftigt  gegen¬ 
wärtig  44  Familien  von  Heimarbeitern,  darunter  30  in 
Königsfeld ;  unter  letzteren  befand  sich  auch  die  Marie  |P. 

Auf  Grund  dieser  Erhebungen  wurden  von  Herrn 
Stadtphysikusstellvertreter  Dr.  Kokall  eine  Reihe  von  Ver¬ 
fügungen  getroffen,  so  auch  die  Sterilisation  sämtlicher  bei 
der  Firma  S.  lagernden  Roßhaare  durch  die  städtische  Des¬ 
infektionsanstalt  angeordnet,  obwohl  diese  Roßhaare,  aus 
Rußland  kommend,  das  Eingangszertifikat  an  der  österreichi¬ 
schen  Grenze  besitzen  müssen. 

Vor  der  Desinfektion  wurden  von  Herrn  Dr.  Kokall 
ans  zwei  Ballen  ungereinigter  Roßhaare,  sowie  aus  je  einem 
Ballen  gereinigter  PLoßhaare  der  Firma  S.  und  einem  Ballen 
gefärbter  Roßhaare  der  Firma  G.  Proben  entnommen  und 
dem  Prosektor  Priv.-Doz.  Dr.  C.  Sternberg,  zur  bakterio¬ 
logischen  Untersuchung  übergeben. 

Dieselbe  wurde  in  der  Weise  durchgeführt,  daß  aus 
jedem  dieser  Päckchen  eine  kleine  Menge  Haare  fein  zer¬ 
schnitten  und  etwa  eine  Stunde  in  steriler  Kochsalzlösung 
ausgelaugt  wurde.  Von  der  resultierenden  trüben  Flüssig¬ 
keit  wurde  je  1  enU  Mäusen  intraperitoneal  injiziert.  Von 
diesen  Versuchstieren  ging  nur  eines  (etwa  nach  36  Stunden) 
zugrunde,  welches  mit  dem  Waschwasser  einer  Probe  un¬ 
gereinigter  Roßhaare  geimpft  worden  war.  Die  Obduktion  der 
Maus  ergab  den  gleichen  Befund  wie  die  der  früher  er¬ 
wähnten  Versuchstiere.  Die  bakteriologische  Untersuchung 
des  Peritonealexsudates,  Milzsaftes  und  Herzblutes,  sowie 
die  histologische  Untersuchung  der  Milz  und  Leber  ergaben 
sehr  reichlich  typische  Milzhrandbazillen. 

Ein  Vergleich  des  aus  diesem  Tiere  gezüchteten  Milz¬ 
brandstammes  mit  dem  direkt  aus  der  Leiche  kultivierten 
Stamme  ergab,  daß  beide  imgefähr  die  gleiche  Virulenz  im 
Tierversuche  aufwiesen.  Die  mit  diesen  Stämmen  infizierten 
Mäuse  gingen  noch  vor  Ablauf  von  24  Stunden  ein  und  ließen 
aus  ihren  Organen  Reinkulturen  von  Milzbrandbazillen  ge¬ 
winnen. 

Gelegentlich  der,  wie  vorhin  erwähnt,  vom  Stadt- 
physikat  angeordneten  Desinfektion  der  verschiedenen  Ballen 
Roßhaare  in  der  städtischen  Desinfektionsanstalt  wurde  da¬ 
selbst  die  Wahrnehmung  gemacht,  daß  die  Roßhaare  vielfach 
noch  mit  verwesten  Hautstücken  im  Zusammenhänge 
standen,  die  infolge  der  Fäulnis  einen  penetranten  Gestank 
verbreiteten.  Aus  einem  Ballen  fiel  auch  eine  Kugel  heraus, 
wie  solche  sich  in  Sprenggeschossen  vorfinden.  Mit  Rück¬ 
sicht  hierauf  und  in  Berücksichtigung  der  Tatsache,  daß  die 
Haare  aus  Rußland  stammten,  wurde  vom  Stadtphysikate 
der  naheliegende  Verdacht  ausgesprochen,  ,,daß  die  tieri¬ 
schen  Produkte  direkt  von  Pferdekadavern  des  russisch- 
japanischen  Krieges  stammen.  Daß  hiedurch  die  Verbreitung 
nicht  nur  von  Milzbrand,  sondern  eventuell  auch  anderer 
Krankheiten  eine  drohende  ist,  wird  durch  den  Umstand  er- 


WIEJVER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


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I  üü 


leichtert,  als  diese  Haare  an  der  Einbriichstelle  in  Oester¬ 
reich  keiner  Desinfektion  unterzogen  werden.“ 

Aus  ähnlichen  Erwägungen  sah  sich  das  Brünner 
Stadtphysikat  bereits  im  Jahre  1903  veranlaßt,  an  das 
k.  k.  Ministerium  des  Innern  im  Wege  der  k.  k.  mährischen 
Statthalterei  mit  einer  Eingabe  heranzutreten,  in  welcher 
um  entsprechende  Regelung  der  einschlägigen  Verhältnisse 
angesucht  wurde;  auch  damals  kamen  nämlich  unter  den 
Arbeitern  der  früher  genannten  Firma  S.  Milzbraiiderkran- 
kuiigen  vor.  In  Erledigung  dieser  Eingabe  wurde,  wie  wir 
dem  betreffenden  Akte  entnehmen,  mit  Erlaß  des  k.  k.  Mini¬ 
steriums  des  Innern,  Z.  39.479/106 — 2,  eröffnet,  ,,dah  über 
die  Frage  der  Desinfektion  der  tierischen  Haare  z-um  Zwecke 
der  Verhütung  von  Milzbrand erkrankungen  bereits  ein  Gut¬ 
achten  des  k.  k.  Obersten  Sanitätsrates  vorliegt  und  daß 
wegen  Durchführung  der  von  dem  genannten  Fachrate  be¬ 
antragten  Maßnahmen  Verhandlungen  im  Zuge  sind“.  Diese 
Erledigung  ist  vom  29.  September  1903  datiert;  leider 
scheinen  die  erwähnten  Verhandlungen  auch  heute  noch 
nicht  zu  Ende  geführt  zu  sein. 

Fassen  wir  die  übrigen  Ergebnisse  der  Untersuchung 
dieses  Falles  zusammen,  so  wäre  noch  einiger  Umstände 
besondere  Erwähnung  zu  tun. 

Bemerkenswert  ist  zunächst  der  relativ  geringe  anato¬ 
mische  Befund,  insbesondere  die  wenig  weit  vorgeschrit¬ 
tenen  Veränderungen  im  Gehirne.  Bei  dem  Umstande,  als 
auch  der  Herd  in  der  Lunge  nur  eine  .geringe  Ausdehnung 
hatte,  hätte  bei  der  Sektion  leicht  die  Art  der  Erkrankung 
verkannt  werden  können.  Jedenfalls  beweistauch  dieser  Fall 
neuerdings,  von  welch  großem  Werte  die  bakteriologische 
Leichenuntersuchung  sein  kann. 

Des  weiteren  ist  von  Interesse,  daß  in  den  Organen 
der  Frucht  Milzbrandbazillen  nicht  nachgewiesen  wurden. 
Diesbezüglich  liegen  in  der  einschlägigen  Literatur  verschie¬ 
dene  Befunde  vor.  Während  Br  au  eil,  Davaine,  Bol¬ 
linger  und  Eppinger  keinen  Uehergang  der  Milzbrand¬ 
bazillen  von  der  Mutter  auf  das  Kind  nachweisen  konnten, 
vermochten  Strauß  und  Chamberland,  Koubassoff, 
Perron  cito,  March  and.  Pal  tauf  Milzbrandbazillen  in 
den  Organen  von  Föten  von  an  Milzbrand  verstorbenen 
Müttern  nachzuweisen. 

Schließlich  wäre  noch  der  positive  Befund  bei  jener 
iMaus  zu  besprechen,  die  experimentell  nicht  infiziert  worden 
war,  die  aber  mit  Milzbrandmäusen  in  einen  gemeinsamen 
Käfig  eingesperrt  wurde.  Auf  den  ersten  Blick  wäre  es  das 
Naheliegendste,  die  Milzbrandinfektion  dieser  Maus  darauf 
zurückzuführen,  daß  sie  zweifellos  eine  Milzbrandmaus  an- 
gefressen  hatte.  Im  Einklajige  damit  würde  auch  der  .histo¬ 
logische  Befund  von  Milzbrandljazillen  in  den  oberflächlichen 
Schichten  der  Darmschleimhaat  und  in  einer  mesenterialen 
Lymphdrüse  stehen.  Anderseits  wird  aber  bekanntlich  von 
hervorragenden  Autoren  (Koch,  Gaffky  und  Löffler)  auf 
Grund  einwandfreier  Untersuchungen  eine  Infektion  mit 
.Milzbrand bazi II en  vom  Magendarmkaiiale  aus  in  Abrede 
gestellt,  da  die  Milzbrandbazillen  ,,im  Magen  wesentlich 
unter  dem  Einflüsse  des  sauren  Magensaftes  alsbald  ab¬ 
getötet  werden  und  somit  überhaupt  nicht  Gelegenheit  haben, 
in  die  tieferen  Abschnitte  des  Verdauimgstraktes  zu  ge¬ 
langen  . Die  Fütterung  selbst  hoch  empfänglicher 

f’ierarten  mit  sporenfreiem  Kulturmaterial  oder  mit  Organ¬ 
stückchen  und  Gewebssaft  von  Milzbrandtieren  bleibt  völlig 
wirkungslos“  (So  beruh eira).  Es  ist  daher  auch  für  unseren 
Fall  ein  anderer  Infektionsmodus  in  Betracht  zu  ziehen  und 
wir  können  in  dieser  Hinsicht  vor  allem  die  Möglichkeit  nicht 
vo]i  iler  Hand  weisen,  daß  sich  die  fragliche  Maus  vielleicht 
bei  dem  Annagen  des  toten  Tieres  oder  sonst  bei  irgend¬ 
einem  Anlasse  eine  Verletzung  zugezogen  hat  und  daß  diese 
Verletzung  die  Eintrittspforte  für  die  Milzbrandbazillen  ge¬ 
wesen  ist. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 
Wien.  (Voi^stand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

Erwiderung  zu  den  Bemerkungen  L.  Zupniks 
über  Spezilizität  der  Bakterienpräzipitine. 

Von  Dr.  M.  Y.  Eisler. 

In  meiner  Mitteilung  über  die  Spezifität  der  Bakterien¬ 
präzipitine  wurden  auch  die  betreffenden  Arbeiten  Zupniks 
besprochen.  Dadurch  hat  sich  der  Verfasser  veranlaßt  gesehen, 
meine  Kritik  als  ganz  unberechtigt  zurückzuweisen.  Dieser  Ver¬ 
such  Zupniks  muß  wohl  als  gänzlich  mißglückt  bezeichnet 
werden,  denn  seine  Entgegnung  besteht  bloß  darin,  daß  er  ver¬ 
sucht,  mir  nachzuweisen,  ich  hätte  die  Arbeiten,  die  ich  zu  seiner 
Inkrimination  zitiert  habe  und  vor  allem  seine  eigenen  Puhli- 
kalionen  nicht  gelesen,  andere  Arbeiten  der  Agglutinalionsiiteraiur 
nicht  berücksichtigt  etc.  Das  Tatsächiiehe  meiner  Arbeit,  nämlich, 
daß  die  „Gattungspezifität“  Zupniks  bloß  als  ein  neuer  Aiis- 
dmek  für  die  vor  i  h  m  bereits  bekannte  spezifische  Mii- 
agglu filiation  sei,  wird  von  ihm  nur  insoferne  bestritten, 
als  er  die  Entdeckung  dieser  Tatsache  als  sein  Verdienst  in 
Anspruch  nimmt,  mit  welchem  Rechte,  resp.  Unrecht,  soll  noch 
gezeigt  werden.  Die  weiteren  von  Zupnik  (Zeitschrift  für  Hy¬ 
giene,  Bd.  49),  aus  der  Tatsache  der  Mitagglutination  gezogenen 
Schlüsse,  sind  in  der  bereits  von  mir  eiwähnten  Arbeit  von 
Kolle  (Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  52)  gebührend  gewürdigt, 
so  daß  ich  mich  mit  dem  Hinweise  auf  die  Publikation  begnügen 
kann,  um  so  mehr,  als  ich  hier  nur  auf  die  ‘von  Zupnik  er- 
Hobeiieii  Voiwürfe  antworten  möchte. 

iDer  erste  dieser  Vorwürfe  besteht  darin,  ich  hätte  aus 
der  Agglutinationsliteratur  nur  drei  Arbeiten  (Gruber,  Achard 
und  Pfaundier)  erwähnt,  d.  h.  mir  diese  Stellen  herausgegriften, 
die  sich  scheinbar  gegen  Zupnik  verwenden  lassen,  dagegen 
alles  das  mitzuteilen  imterlassen,  was  die  Stützen  meiner  Be¬ 
schuldigung  zunichte  macht.  Bei  Berücksichtigung  der  geradezu 
kolossalen  Agglutinationsliteratur  fehlt  es,  wie  ich  sehr  wohl 
weiß,  nicht  an  Arbeiten,  die  sich  gewissermaßen  im  Sinne  Znp- 
niks  veiwerten  lassen;  doch  nicht  um  solche  einzelne  Beob¬ 
achtungen  handelt  es  sich  hier,  sondern  um  die  allgemein  lierr- 
schende,  durch  zahllose  Untersuchungen  gestützte  Anschannng 
in  dieser  Frage,  welche  trotz  der  Aüsführungen  Zupniks  in 
der  Agglütination  —  selhstverständlich  unter  Berücksichtigung 
der  notwendigen  Versuchstechnik,  welche  Herrn  Zupnik  zu  fehlen 
scheint  (Kolle,  Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  52)  —  eine  art- 
spezifische  Reaktion  sieht. 

Auch  habe  ich  nicht,  wie  Zupnik  sagt,  die  zwischen 
der  Gr  über  scheu  und  seiner  Arbeit  erschienenen  Publikationen 
ganz  aus  dem  Auge  gelassen,  ich  erwähne  hier  als  Beispiel  dafür, 
daß  ich  eine  Arbeit  Dur  ha  ms  erwähnt  habe,  in  der  dieser 
Autor  ganz  genaue  theoretische  Vorstelhmgeu  über  das  Wesen 
der  spezifischen  Mitagglutination  —  Beemfliissung  des  Bazillus 
Gärtner  durch  Typhusserum  —  entwickelt  und  welche  Zupnik 
wohlweislicli  in  meiner  Arbeit  übersehen  hat.  Ebenso 
habe  ich  die  Arbeit  von  Kolle  (Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  52) 
zitiert,  in  der  ja  auch  zahlreiche  andere  Milteilimgen,  so  von 
Kolle  und  Pfeiffer,  sowie  von  Kollo,  G  o  1 1  s  c  h  1  i  c  h.  Heisch, 
Lenz,  Otto  erAvähnt  Averden,  Avelche  Zupnik  nach  dem  Urteile 
K  olles  nicht  völlig  A'crstanden  hat.  Ich  habe  mich  mit  der 
Zitierung  einiger  Aveniger  Arbeiten  hognügi,  weil  ich  annahm, 
daß  diese  bei  vorurteilsfreier  Beurteilung  genügen  würden,  den 
Stand  der  PTage  zu  charakterisieren.  Ich  glaube,  daß  mir  diese 
Aufgabe  auch,  außer  hei  Herrn  Zupnik,  geglückt  isl. 

Was  ]iuii  die  von  mir  angeführte  Arbeit  Gruhers,  respek¬ 
tive  G  r  u  b e  r  s  und  D  u  r  h  a  m  s  hetriffi,  so  hat  Z  n  p  n  i  k  einige, 
ihm  passende,  Stellen  aus  diesen  Arheiteu  lierausgeuommen,  an¬ 
dere  aber,  die  ihm  weniger  angenehm  Avaren,  unglücklicherweise 
Avieder  übersehen,  ebenso  wie  es  ihm  bei  der  Arbeit  von  Durham 
.passiert  ist.  Zupnik  sagt,  daß  Gruber  in  der  Arl)ei(  mit 
Durham  angiht,  daß  er  mit  Verdüimimgeii  1:1  gearheiiet  liahe. 
Dies  geschah  zu  dem  Zwecke,  um  eine  möglichst  rasche  Iminoi)i!i- 
sierung  und  HäufcheidAÜdimg  der  Bakterien  zu  hewirkeu.  In  der¬ 
selben  Arbeit  schreiben  aber  Gr  über  und  Durham,  daß  hoch- 
Avirksame  Immunseren  in  erstaunlich  liohen  Verdünnungen  deut¬ 
lich  agglomerierende  Wirkung  heivorhringcn.  Fenier  zitiert  Zup¬ 
nik:  daß  \mrschiedene  fremde  Immunseren  und  uiiler  Umständen 
seihst  Normaiseren  deutlich  agglomerierend  auf  Choleravihrionen 
und  Typhusbazillen  einAvirken.  So  Zupnik.  Dann  kommt  aber 
im  Original  folgende  nicht  ganz  unAviciitige,  von  Zupnik  leider 
wieder  nicht  angeführte  Stelle:  Bestehen  auch  keine  durch¬ 
greifenden,  qualitativen,  so  bestehen  doch  in  den. 
meisten  Fällen  genügend  große  quantitative  Unter- 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


röT 


sc.  liiiMio  in  (Um'  Wirkung  d  (>  r  I  in  in  unseren  auf  ilire 
siiezifiscli  z  u  ge  li  ö  r  i  g(‘  und  auf  fremde  Hakferien,  um 
s  ie  d  i  a  g  n  o  s  t  i  s  c  li  verwerfen  zu  können.  HesciiäCligen  wir 
uns  gieicli  niif  d<M‘  zweilen  „Inkriminafion“,  nämlich  Ziipnik 
und  seine  Milai lieiler  hälfen  sich  die  Ermifflung  der  diagnosfi- 
sche]i  Bedeulung  des  übersten  Agglulinalionslifers  angeeignei. 
Außer  der  von  mir  angefnlirfen  und  von  Zupnik  iiekrillellen 
Anmerkung  über  die  Berücksichtigung  der  Quantitäten 
kann  ich  ihm  noch  mit  einer  anderen  Stelle  aus  dieser  Arbcdl, 
die  aber  nicht  bloß  eine  Anmerkung  ist  und  auch  nicht  ’durch 
das  Wöi'lchen  vielleicht  eingelcilet  ist,  somit  den  strengen  An¬ 
forderungen  Zupniks  hoffentlich  genügen  dürfte,  dienen.  Nach¬ 
dem  Gruber  und  Durham  sagen,  daß  auch  Bazillus  Giirlner 
von  'rypßRs.serum  in  völlig  typischer  Weise  agglutiniert  wird, 
fahren  sie  folgendermaßen  fort :  Allerdings  zeigen  sich  auch 
hier  noch  qu  an  ( i  ta  ti  ve  Unterschiede  in  der  Wirkung 
d  es  Ty  p  hu si in  mu  n  s e  r  u m s  auf  Bac.  enterifidis  u  n  (I 
auf  echte  T  y  p  h  ns  b  a  z  i  1 1  e  n,  was  man  hei  Erprobung 
von  S  er  11  m  ve  r  d  ü  n  n  u  n  g  e  n  deutlich  erkennt.  Ich  glaube, 
daß  dieser  Satz,  welcher  aus  dem  Jahre  1896  stammt,  deutlich 
genug  spricht  und  eigentlich  jede  weitere.  Polemik  mit  Zupnik 
überflüssig  macht.  Schon  in  diesen  .ersten  Publikationen  über 
Agglutination  haben  Grube  rund  Durham  das  Wesentliche  dos 
Vorganges  erkannt.  Daß  die  zahllosen  Arbeiten  der  folgenden 
Jahre  manches  neue  Detail  gebracht  und  zum  Ausbaue  der  Lehre 
heigetragen  haben,  wird  niemanden,  außer  vielleicht  Zupnik, 
venvundern.  Uebrigens  schreibe  ich  diesbezüglich  in  meiner  Arbeit 
wörtlich  folgendes:  Bei  genauer  Durchsicht  der  Arbeiten  Zup¬ 
niks  über  die  Agglutination  kann  man  nur  die  Ueberzeugung 
gewinnen,  daß  Zupnik  durch  seine  Untersuchungen,  wie  so 
viele  andere  dazu  beigetragen  hat,  die  bereits  von  den  ersten 
Untersuchern  der  Agglutination  erkannten  Verhältnisse  zu  be¬ 
stätigen  und  unsere  Kenntnisse  über  diese  Reaktion,  namenllich 
ihre  diagnostische  Verwertbarkeit,  zu  erweitern, 

Höher  kann  ich  das  Verdienst  Zupniks  auch  jetzt  nach 
seiner  Erwiderung  nicht  bewerten.  Die  Schuld  daran  liegt  doch 
nicht  an  mir. 

Zupnik  wirft  mir  ferner  vor,  daß  ich  mich  auf  eine  im 
Jahre  1896  publizierte  Mitteilung  von  Achard  und  Be  ns  au  de 
bezogen  habe.  Ich  gebe  Zupnik  ohne  weiters  zu,  daß  ich  mich 
hei  diesem  Zitate  geirrt  habe  und  stelle  damit  fest,  daß  Achard, 
resp.  Ben  sau  de  (These  de  Paris  1897)  bereits  im  Jahre 
1897,  also  sechs  Jahre  vor  Zupnik,  gesagt  hat,  ^daß 
n  i  c  h  t  d  i  e  Agglutination  a  1  s  s  o  1  c  h  e,  sondern  der  G  r  a  d 
derselben  spezifisch  sei. 

Mein  sogenannter  dritter  Stützpunkt,  nämlich  die  Arbeit 
Pfaundlers,  kommt  überhaupt  nicht  in  Betracht;  da  ich  ja 
seihst  in  meiner  Arbeit  schreibe,  die  Anschauungen  Pfaundlers 
könnten  infolge  späterer  Untersuchungen  nicht  mehr  in  der  ui’- 
sprünglichen  Form  aufrechterhalten  werden. 

Ich  könnte  auch  die  Neugierde  des  Herrn  Zupnik  befrie¬ 
digen  und  ihm  mitteilen,  warum  voraussichtlich  Gruber,  Dur¬ 
ham,  Achard  und  die  anderen  Forscher  ihm  gegenüber  keine 
Prioritätsansprüche  geltend  gemacht  haben;  ja  wenn  Zupnik 
von  der  Bedeutung  seiner  Arbeiten  weniger  überzeugt  wäre,  könnte 
er  die  Antwort  vielleicht  selbst  finden. 

Endlich  behauptet  Zupnik,  ich  habe  seine  Arbeiten  nicht 
gelesen.  Ich  kann  ihn  des  Gegenteiles  versichern  und  sogar 
behaupten,  daß  ich  dieselben  sehr  genau  studiert  habe,  Avas  bei 
der  WeitschAveifigkeit  und  unklaren  SchreibA\mise  Zupniks  eine 
keinesAA’egs  leichte  Aufgabe  Avar.  Womit  Avill  nun  Zupnik  seine 
Behauptung  beweisen?  Er  sagt,  ich  hätte  geschrieben,  daß  es 
ihm  möglich  gCAvesen  sei,  unter  Berücksichtigung  der  A’gglut.ma- 
tionseigentün'dichkeiten  jedes  der  betreffenden  Immunseren,  die 
einzelnen  Arten  der  Hogcholera.gruppe  zu  differenzieien. 
ich  dabei  unter  Hogcholera gruppe  Amrstanden  habe,  kann  Avohl 
keinem  ZAA'eifel  unterliegen.  Ich  habe  diese  Bezeichnung  m  dem 
allgemein  üblichen  Sinne  gebraucht  und  die  dazu  gehörigen  Alten 
sogar  namentlich  angeführt.  Es  sind  zum  größten  feile  diejenigen 
Bakterien,  die  Zupnik  unter  den  typhoiden  Erkrankungen  des 
Menschen  zusammenfaßt.  Es  ist  mir  nicht  eingefallen,  zu  be¬ 
haupten,  daß  Zupnik  die  einzelnen  Arten  von  Schwemepest- 
errogern  imittels  Agglutination  unterschieden  hat,  da  er  ja,  wie 
ich  wmhl  geAvußf  habe,  diese  Arten  nur  kultuiell  unterscheu  en 
will  und  eine  Hogcholcragruppe  nach  seiner  Auffassung  unhaltbar 
ist.  Es  kann  sich  also  nach  dem  Gesagten  nur  um  Paratyphus- 
und  FleischA^ergiftungsbakterien  handeln.  Nur  von  diesen  a.so 
gilt  meine  Behauptung.  Was  aber  sagt  Zupnik?  * 

GS  ganz  nninöglicli,  cinzGluc  BtikticriGnurtcn  iinltGls  Aggliuina  lon 
zu  differenzieren,  sondern  nur  die  klinische  Diagnose  ,von  sic  len 
verschiedenen  typhoiden  Erkrankungen  —  a"sgenommen  den  fall 


Holst  —  des  Mensidien  zu  shdleii.  Nun  wäre  allerdings  zwisidien 
diesen  heidim  Alögliidikeilcii,  eventuell  dm'  Dnim'schied,  daß  dii' 
ersterc  mittels  hochAvertigi'r  Immunseren,  die  zweite  ji'doch  mil 
Patien lenseren  erfüllt  Avird.  Auf  diesen  Fntersidiied  liabe  aber 
gerade  ich  in  meiner  Arbeit  Avii'der  bingewieseii,  für  die  Bidiauptung 
Zupniks  kann  aber  die.ser  Unlm-schied  iiirdit  gelten,  da  er  jn 
seiner  diesbezüglichen  Arbeit  (Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  52) 
Avahllos  drei  Pa  tien  lenseren  und  eine  Anzahl  Kanin¬ 
chen  i  m  mu  n  se  re  n  verwendet  hat. 

In  diesem  Falle  kann  ich  also  beim  besten  Willen  keinen 
Unterschied  ZAvischeii  meinen  Worten  uml  der  AusdrucksAA'eise 
Zupniks  finden.  Ich  muß  also  den  Voiwurf  Zupniks,  daß  icdi 
seine  Arheitcn  nicht  gelesen  habe,  auf  das  entschiedenste  zurück- 
AAmisen. 

Alles  bisher  Erörterte  bezieht  sich  auf  die  Agglutination, 
AAmlche  in  meiner  Arbeit  über  die  Spezifität  der  Bakterieu- 
präzipitine  liloßi  AAmgen  ihrer  Uebereinistimmung  mit  den  Prä¬ 
zipitat  ionsA''orgängen  herangezogen  Avurde.  Meine  Ausführungen 
über  die  Bakterienpräzipitine  erledigt  abei'  Zupnik  nur  ganz 
nebenbei  in  zehn  Zeilen.  Durch  Anführung  der  Versuche  A'on 
Kraus  und  durch  eigene  Untersuchungen,  habe  ich  gezeigt,  daß 
es  mittels  der  Präzipitation,  ebenso  Avie  durch  die  Agglutination 
gelingt,  seihst  sehr  nahestehende  Bakterienarten  (Vilirionen, 
Kapselbakterien,  Dysenteriebazillen)  zu  differenzieren  und  die  Vlit- 
teilung  Zupniks,  daß  er  in  meinen  Präzipitationsversuchen  eine 
Avillkommene  Bestätigu ng  der  G  a  1 1  u  n  g  s  s  p e  z  i  f  i  t  ä  t  der  Bak¬ 
terienpräzipitine  sieht,  enthehrt  nicht  einer  geAvissen  unfreiAvilligen 
Komik.  Nach  den  eben  eiwälmten  Versuchsresultalen,  Avelche  die 
Artspezifität  der  Präzipitation  dartun,  ist  es  aber  geradezu  lächei'- 
lich,  AAmnn  Zupnik  A^erlangt,  ich  hätte,  um  die  Familienspezifität 
der  Reaktion  üherhauiit  in  Diskussion  ziehen  zu  dürfen,  Arten 
mehrerer  Gattungen  in  den  Bereich  meiner  Versuche  ziehen 
müssen. 

Durch  diese  Ausführungen  glaube  ich  die  ungerechtfeiJigten 
Beschuldigungen  Zupniks  gegen  mich  genügend  zurückgeAviesen 
zu  haben,  AAmmit  diese  Polemik  für  mich  auch  erledigt  ist.  An 
dem  Wesen  der  Agglutination  und  Präzipitation  Avird  natürlich 
auch  durch  diese  jüngste  Publikation  Zupniks  nicht  das  Ge¬ 
ringste  geändert  und,  ich  kann  nach  Avie  vor  mit  vollem  Rechte 
hehaupten,  daß  sich  Zupnik  auf  diesem  Gebiete  Verdienste 
anmaßen  Avill,  die  ihm  in  keiner  AVeise  gebühren. 


Paracelsus  in  Oesterreich. 

Von  Privatdozent  Dr.  phil.  Franz  Strunz,  Wien. 

Die  Geschichte  der  NatLirAvissenschafteii  und  Medizin, 
ja  sogar  die  der  Philosophie,  weist  nicht  viele  auf,  die 
als  Gelehrte  von  so  seltsamer  persönlicher  Eigenart  waren, 
als  der  aus  einem  alten  schAvähisctien  Adelsgeschlechte 
stammende  Theophrastus  Paracelsus.  Man  kann  aller¬ 
dings  an  Leonardo  da  Vinci  denken,  an  die  .großen  mittel¬ 
alterlichen  Physiker  oder  an  führende  Alchimisten,  ich 
glaube  aber,  es  Averden  sich  schwerlich  Gegenstücke  finden, 
von  derselben  originären  Kraft  und  einem  ähnlichen  stim- 
mungsstarkeii  Namen.  Es  ist  ein  geschichtlicher  Hauch  über 
diesen  durch  und  durch  deutschen  Manu,  wie  er  nur  die 
ganz  großen  und  aiifweckeiiden  Geister  umgab,  die  unser 
Leben  reich  und  wichtig  gestaltet  haben,  aber  deren  Gaben 
und  Neigungen  bald  —  gar  zu  liald  —  zu  einer  mythologi¬ 
sierenden  Deutung  drängten.  Fast  bei  keinem  Zweiten  der 
Geistesgeschichte  hat  der  ,,P».uhm“  so  entiStellt  und  eiit- 
Avirklicht,  so  raisch  und  sicher  das  einst  Lebendige  in  einen 
Mythus  gewandelt,  als  hei  diesem  im  Grunde  so  ischlichten 
und  ehrlichen  Manne.  Er  taucht  auf  in  einer  .Zeit,  als  ein 
neues  Gefühl  des  Lebens  sich  langsam  aus'  den  späimittel- 
alterlichen  Stimmungen  entbindet  und  eine  \mllig  neue 
A'Ienschenkunde  sich  vorbereitet,  als  überhaupt  der  Sinn 
für  die  Beobachtung  des  Menschlichen  und  die  Vertiefung 
in  die  intime  Person  ein  verfeinertes  Gefühlsleben  voraus¬ 
setzen.  Dais  Persönliche,  seine  sichtbare  Seite  und  die 
köiTperlichen,  man  möchte  Scigen,  physiologischen  Ansdrncks- 
mittel  schaffen  an  einem  neuen  Geschmacke,  d.  h.  an  einer 
ganz  neuen  Sinnlichkeit  der  Vernunft.  Das  liegt  in  einer 
Schärfe  der  Beobachtimg  menschlicher  Affekte,  die  gerade 
auch  bei  Paracelsus  auffallend  ist,  denn  der  psychologischen 
Gedankengänge  sind  liei  ihm  so  viele,  daß  man  ihn  unwill¬ 
kürlich  dem  genialen  Beobachter  und  Anatomen  Leonardo 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


da  Vinci  iialieziibringen  versucht  ist.  Auch  das  Gefühls- 
vorhälliiis  zur  Natur  gestaltet  sich  in  diesen  Tagen  —  'wie 
einst  ain  Ende  des  Altertums  —  wieder  intimer  und  indi¬ 
vidueller,  ja  es  vermag  sogar  die  leisesten  IMelodien  der 
Dinge  in  eine  feingestinnnte  Kunst  uinzusetzen  und  Sein 
und  Werden,  Reifen  und  Welken,  üherha.upt  alle  Erfüllungen 
und  „dunkeln  Zufälle“  des  Lehens  als  persönliche  W^erte 
in  die  Seele  zu  tragen.  Man  projizierte  seine  Gefühle  auf 
die  Welt  der  Natur  und  empfing  sich,  seihst  seelisch  reicher 
und  tiefer  zurück.  Das  neue  Lehensgefühl  der  llenaissance, 
das  sich  anfänglich  so  langsam  und  dann  mit , großer  Kraft 
aus  der  Kontinuität  des  Mittelalters  entwickelt  hat,  führte 
zu  einer  neuen  inneren  Stellung  zur  Natur,  zu  einer  neuen, 
in  hunter  Vielfalt  sich  differenzierenden  Fähigkeit  des  Ein- 
fühlens  in  die  Natur,  das  uns  ihre  wunderharsten  Reson- 
nanzen  des  Lehens  und  des  Todes  empfindbar  macht.  ^Das 
ist  das  Natur  ge  fühl,  wie  es  in  den  großen  Naturforschern 
und  Aerzten  der  Renaissance  wohnte  und  die  Schätze  ihrer 
Erfahrungen  mit  den  Symbolen  ihrer  Seele  umgab.  Auch 
das  ist  ein  Zug,  der  sofort  an  Paracelsus  Aenken  läßt. 
Aber  noch  vieles  andere,  das  das  völlig  ahblühende  Mittel- 
alter  vorhereiten  half:  die  persönliche  Innerlichkeit  des 
religiös -sittlichen  Prozesses  und  die  neue  Frömmigkeit  des 
inneren  Erlebens,  der  subjektiven  Gewißheit  und  symbo¬ 
lischen  Rede,  die  Ablehnung  aller  religiösen  Technik,  die 
Deutung  der  Welt  aus  dem  ,, Lichte  der  Natur“,  d.  i.  dem 
Göttlichen,  das  die  Welt  zur  Vollendung  bringt,  damit  sie 
ebenfalls  göttlich  werde.  Und  unter  ,,Welt“  verstand  Para¬ 
celsus  auch  (las  Geringste,  das  uns  der  Alltag  zuträgt,  die 
ganz  unscheinbarsten  Dinge,  von  denen  man  nur  selten 
spricht  und  doch  —  ,, seltsam  weit,  als  ob  es  mehr  be¬ 
deute,  hört  man  das  Wenige,  das  noch  geschieht“. 

Paracelsus  entstammt  einem  angesehenen  schwä¬ 
bischen  Adelsgeschlechte,  das  in  der  Nähe  von  Stuttgart, 
beim  Dorfe  Plieningen  seinen  Stammsitz  Hohenheim  hatte. 
Es  ist  (lies  die  alte  Familie  der  Bömbaste,  .deren  Schloß 
schon  um  1100  genannt  wird.  Darum  führte  auch  der  große 
Naturforscher  und  Arzt  eigentlich  den  richtigen  Namen 
Theophrast  Bombast  v.  Hohenheim.  Neben  dieser  Unter¬ 
schrift  und  Theophrastus  Paracelsus  ist  nur  noch  die 
Benennung  Theophrast  v.  Hohenheim  historisch.^)  Alle  an¬ 
deren  Bildungen  sind  .erfunden  und  unecht.  Geboren  wurde 
er  am  10.  November  1493  in  einem  Bauernhause  ,an  der 
Sihlbrücke  (am  Fuße  des  Etzelberges)  bei  Einsiedeln  im 
Kanton  Schwyz,  wo  sein  gelehrter  Vater,  Wilhelm  Bombast 
V.  Hohenheim,  als  praktischer  Arzt  wirkte.  Es  ist  liicht 
Aufgabe  dieser  Zeilen,  zu  untersuchen  und  darzutun,  wie 
und  warum  ein  Ast  der  schwäbischen  Familie  sich  hieher 
nach  der  Schweiz  verschlug  und  aucli  die  Details  .der  ein¬ 
zelnen  Lebensepochen  des  werdenden  und  fertigen  Gelehrten 
sollen  nur  erwähnt  werden,  soweit  sie  zu  Hohenheims  Wirk- 
saankeit  in  Oesterreich  Bezug  haben.  Schon  im  Jahre 
1502  hatte  die  Familie  Einsiedeln  verlassen  und  war  nach 
Villach  in  Kärnten  ül)ergesiedell,  wo  Theophrasls  Vater  eben¬ 
falls  der  ärztlichen  Praxis  oblag.  Von  geistesbildendeiU) 
Einflüsse  auf  Paracelsus  waren  neben  Wilhelm  Bombast 
V.  Hohenheim,  u.  a.  die  Schriften  des  Benediktinerabtes 
von  Si3onheim,  des  gelehrten  Polyhistor  Johannes  Trithe- 


9  Dßi'  Name  >Paracelsus<  ist  keineswegs  mit  Celsus  zusammen¬ 
zubringen,  sondern  die  Uebertragung  von  »Hohenheim«.  Auch  »Paramirum«, 
»Paragranum«  u.  a.  sind  ähnliche  Bildungen.  —  Vielfach  legte  man  ihm 
die  Namen  Aureolus  und  Philippus  bei.  Historischerwiesen  sind  sie  nicht. 

9  Besonders  in  philosophischer  Hinsicht  dürfte  der  im  folgenden 
genannte  Johannes  Trithemius  als  bildende  Lektüre  in  Betracht  kommen. 
In  chemischen  und  alchimistischen  Disziplinen  unterwies  ihn  Sigmund 
Füger  mit  seinen  Hilfsarbeitern,  in  deren  Laboratorien  der  junge  Para¬ 
celsus  (1510—1520)  viel  verkehrt  haben  dürfte.  Vgl.  »Große  Wundarznei« 
(Chirurg.  Bücher  und  Schriften,  Fol.-Ausg.,  Straßburg  1605,  S.  102).  Im 
übrigen  weiß  man  von  seinen  »Lehrern«  und  »Bildnern«  nichts  Be¬ 
stimmtes,  geradeso  wie  von  seinen  Universitätsjahren.  .  Die  Füger  von 
Friedberg  waren  Mitbesitzer  an  den  Silberbergwerken  von  Schwatz. 
Vgl.  Albert  Jäger:  Beiträge  zur  tirolisch-salzburgischen  Bergwerks¬ 
geschichte,  Wien  1875,  8®,  bzw.  »Archiv  für  österr.  Geschichte«,  53.  Bd  , 
•S.  17,  99  und  102;  Joh.  von  Sperger:  Tyrol.  Bergwerksgeschichte, 
Wien  1766. 


mius  (1462  lös  1516)  und  der  Silbcrl)ergwcrkbesil.zer  und 
Chemiker  Sigmund  Ifüger  von  Friedberg  zu  Scbwafz,  mit 
seinen  Laboraid.en.  Er  bezog  dann  die  Hohe  Schule'”^)  und 
es  war  das  auch  der  Beginn  seines  schicksalsreichen  jind 
berühmt  gewordenen  Wanderlebens,  das  er  bis  zu  seinem 
Tode  nicht  mehranfgah.  ,, Besser  ist  Ruhe  denn  Unruhe,  aber 
nützer  Unruhe  denn  Ruhe“  —  sagt  er  im  Codex  Vossi- 
anus.^)  Fast  ganz  Europa  hat  der  rastlose  und  wißbegierige 
Mann  durchquert  und  überall  ernste  ärzlliche  Arbeit  getan. 
Bis  Schweden,  Dänemark,  England,  Spanien  u.  a.  erstreckte 
Paracelsus  seine  Wanderungen  und  auch  Ungarn,  Kroatien, 
Krain  und  Italien  nennt  er  in  den  ,, Chirurgischen  Büchern“ 
als  Reisestationen.,  Besonders  betont  er  auch,  daß  er  .nicht 
nur  wisäenschaftlich  hochgebildeten  Medizinern  und  Natur¬ 
forschern  zu  Füßen  sah,  sondern  auch  aus  dem  Borne  der 
Volksweisheit  und  alltäglichen  Erfahrung  Wertvolles  und 
Bleibendes  schöpfte.  1526  versuchte  Paracelsus  in  Straßburg 
eine  bleibende  Wohnstätte  als  Chirurg  aufzuschlagen,  doch 
noch  im  seihen  Jahre  zieht  er  nach  Basel,  .wo  er  einen 
einflußreichen  und  berühmten  Mann  glücklich  hehandelt 
hatte ;  ich  meine  den  hochangesehenen  Buchdrucker  Jo¬ 
hannes  Frohen  aus  Hammelburg  in  Franken.  Hier  in  dieser 
geistig  so  regen  Universitätsstadt  gewann  er  intimere 
Beziehungen  zu  Desiderius  Erasmus^)  und  seinen,  insbe¬ 
sondere  auch  theologisch  stark  interessierten  Kreis.  Schon 
am  5.  Juni  1527  erließ  Paracelsus,  der  neuernannte  .Stadt¬ 
arzt  und  Professor,  an  die  Studenten  der  Baseler  Universität 
sein  Programm  der  medizinischen  Vorlesungen  (die  sogen. 
Intimatio®)  und  betonte  hiebei  rückhaltlos  und  energisch 
seine  Jleform.  Ein  prächtiges  Stück  paracelsischer  Kraft 
und  Thiahhängigkeit  und  zugleich  die  von  einem  hohen 
Bewußtsein  getragene  Kriegserklärung  gegen  das  griechisch- 
arabische  Systein  der  Heilkunde,  gegen  Claudius  Galenos 
und  Avicenna,  gegen  lebensdürre  scholastische  Wortkunst 
und  ,, philologische“  Medizin!  Anfeindungen  und  Pamphlete, 
die  nun  von  gegnerischer  Seite  sich  reichlich  einstellten, 
taachten  ihm  aber  auch  in  Basel  die  Wirksamkeit  .als  Arzt 
und  Gelehrten  unmöglich,  um  so  mehr,  als  er  ^selbst  durch 
sein  geradezu  provokatorisches  Sichaussondern  den  Haß 
seiner  wissenschaftlichen  Gegner  nur  noch  schürte.  Schon 
damals  stand  seine  Lebenshaltung  unter  dem  Leitgedanken  : 
,,Dn  sollst  keines  Anderen  Knecht  sein,  wenn  du  .dein 
eigener  Herr,  Wille  und  sell)stiges  Herz  sein  kannst“.  .  .  . 
Ein  berühmtes  Paracelsus  wort!  Anfang  Februar  1528 
ist  er  aus  Basel  ins  Elsaß  geflohen.  Er  wandte 
sich  über  Mühlhausen,  Ensisheim,  Ruffach  nach  Kol¬ 
mar.  Von  nun  ab  kam  der  wandernde  Gelehrte  nicht 
mehr  zur  Ruhe.  Sein  Lebensweg  führte  ihn  weit  hinaus 
in  schweizerische,  österreichische  und  deutsche  Gaue.  Um 
1529  verließ  er  wieder  Kolnrar  und  zog  nach  .Nürnberg, 
von  da  —  am  Wege  gegen  Regensburg  —  im  Dezember 
desselben  Jahres  nach  Beritzhausen  im  Labertale.  Hier 
reiften  seine  berühmte  polemische  Schrift  das  ,,Buch  Para- 
granum“  und  die  umfassende  Grundlegung  seines  Systems, 
die  zwei  inhaltreichen  Päramirumbücher.  Das  Beste,  was 
er  an  theoretischen  Werken  geschriel)en  hat!  Dann  treffen 
wir  ihn  in  Amherg,  1531  in  St.  Gallen,  1532  zog  er  über 
Hundwill  und  Urnäsch  ins  Appenzellerland.  Es  war  in  den 


9  Wohin  Paracelsus  sich  damals  von  Kärnten  aus  als  junger 
Universitätsstudent  wandte,  ist  nicht  bekannt.  Auch  wissen  wir  nicht 
genau,  wann  und  wo  er  seine  akademischen  Studien  mit  der  Promotion 
beendet  und  wo  er  zuerst  praktisch  gearbeitet  hat.  In  betreff  der  zeit¬ 
lichen  Aufeinanderfolge  kann  man  da  nur  vermuten.  Allerdings  nennt 
er  im  allgemeinen  die  Hohen  Schulen  der  Deutschen,  Italiener  und 
Franzosen. 

9  Univers. -Bibliothek  Leyden. 

9  Er  wohnte  während  seiner  Baseler  Jahre  (1521 — 1529)  bei 
Froben. 

®)  Vgl.  Toxites  libr.  XIV.  Paragraphorum  Ph.  Th.  Paracelsus. 
Straßburg  1575.  Das  »Programma«  ist  gezeichnet:  Theophrastus 
Bombast  ex  Hohenheim,  Eremita  Utriusque  Medicinae  Doctor  ac 
Professor.  Er  las  aber  als  erster  in  deutscher  Sprache  und  schloß  alle 
philologische  Exegese  alter  Autoren  von  seiner  lebendigen  Natur- 
wissenschaft  aus.  Das  war  ein  scharfer  Bruch  mit  dem  Mittelalter. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  769 


Tagen  der  lautesten  konfessionellen  Slreitpraxis.')  Innsbnick, 
Sterzing  und  Meran  liat  er  in  Jahren  seiner  ^Not  und  Ent- 
behrnng  als  Flüchtling  aufgesucht,  die  beiden  letzteren 
Städte  iin  Jalire  1534  während  der  Pestzeit.  Paracelsus 
sagt  aber,  daß  er  in  Meran  ,,Ehr  und  Glück  gefunden“  . 
Sommer  1535  wandte  er  sich  von  Meran  nach  Bad  Pfäffers 
n.  zw.  durchs  Vintschgan,  A'eltlin  und  Oberengadin.  Dann 
finden  wir  ihn  am  \\ege  nach  Schwaben,  wo  sein  Aufent¬ 
halt  in  Memmingen  und  Mindelheim  ebenfalls  aus  den 
Quellen  nachweisbar  ist.  Das  nächste  Reiseziel  war  die 
Reichsstadt  Ulm,  wo  er  sein  monumentales  Werk, 
die  ,, Große  Wundarznei“,  bei  Hans  Varnier  zum 
Drucke  bringen  wollte,  ein  Unternehmen,  das  sich 
aber  infolge  der  mangelhaften  typographischen  Aus¬ 
führung  zerschlug.  Paracelsus  reiste  daher,  als  er  die 
ersten  Druckproben  gesehen  hatte,  sofort  nach  Augsburg, 
um  hier  einen  anderen  Drucker  für  seine  Arbeit, zu  gewinnen! 
Es  ist  dies  Heinrich  Steiner,  der  auch  im  Sommer  1536 
das  berühmte,  die  meisten  Auflagen  erlehende  Werk  Hohen¬ 
heims  fertigstellte.  Es  ist  Ferdinand  L  gewidmet.  Die  Rimer 
Edition  aber  erklärte  Paracelsus  wegen  ihrer  minderwertigen 
Ausführung  für  ungültig.  Frühjahr  1537  wanderte  er  von 
Augsburg  kommend,  über  Eferding  an  der  Donau  (Besuch 
beim  Pfarrherrn  Johann  v.  Brandt)  nach  Kromau^)  in 
.Mähren,  wohin  zu  kommen  ihn  der  erkrankte  Johann  [Von 
der  Leipnik,  der  erste  Erbmarschall  von  Böhmen,  aufge¬ 
fordert  hatte.  Ein  noch  erhaltenes  ärztliches  Konsilium  er- 


’)  Hier  wies  man  dem  landfahrenden  und  armen  Gelehrten  die 
Tür.  Man  glaubte  nicht,  daß  ein  Mensch  in  so  schlichter  Gewandung  ein 
Arzt  sei.  Vgl.  Paracelsus:  Von  der  Pestilentz  an  die  Statt  Stertzingen. 
Straßburg  1576  (herausg.  von  Michael  Toxites).  Das  äußerst  inter¬ 
essante  in  Meran  geschriebene  Vorwort  macht  uns  so  recht  seine  leid¬ 
volle  und  düstere  Stimmung  fühlbar.  Er  schreibt  unter  dem  Eindrücke 
der  unangenehmen  Wirksamkeit  im  Kanton  Appenzell  (Sommer  1533), 
wo  der  innerlich  so  freie  Mann  die  »Hundskette«  des  konfessionellen 
Fanatismus  nicht  ertragen  konnte.  Darum  entzog  er  sich  diesen  Kreisen 
durch  die  Flucht,  wenn  auch  als  ganz  mittelloser  und  armer  Mann. 
Er  floh  nach  Innsbruck  und  von  da  über  den  Brenner  nach  Sterzing  und 
Meran.  So  sagt  Paracelsus  in  dem  Vorwort  zu  dem  genannte  Buche 
»Von  der  Pestilentz«  :  »Wiewol  mich  dz  gegenwertig  jar,  in  ein  vnge- 
duldig  Ellendt  getrieben,  dann  Gunst,  GewaltvnddieHunds- 
ketten,  waren  mir  zuschwer  vberladen,  auss  welcher  zwanck- 
nus  frembder  Land  behend  zu  besuchen  bezwungen  nach  kurtze  dich  zu 
[bejrichten  Inspruck  heimgesucht.  Dieweil  ich  aber  derselbigen  gleich- 
messigen  Staffierung  mitelmessig  erschien,  not  was  fürbass  zustreichen, 
also  Stertzingen  erlanget,  do  ich  sonderlich  zween  Freundt  ge¬ 
funden,  den  Kerner  vnnd  Marx  Poschinger,  die  nit  wenig  Freündschafft 
inir  bewisen,  vnder  welcher  die  Pestilentz  in  der  Region  inge¬ 
rissen  ....  in  betrachtung  meiner  not  ....  kein  arcanum  nit  ver¬ 
halten  ....  Aber  du  Leser  meins  Eilends  halben,  hab  kein  acht,  lass 
mich  mein  vbel  selber  tragen  ....  zweu  Bresten  halt  ich  an  mir,  an 
demselben  ort,  mein  Armut,  vnd  mein  Prombkeit,  die  Armut 
ward  mir  aussgeblasen,  durch  jren  Bürgermeister,  der  etwan  zu  Ins¬ 
pruck  die  Doctor  hatte  gesehen,  in  seidenen  Kleider  an  den  Fürsten¬ 
höfen,  nit  in  zerissen  lumpen  an  der  Sonnen  braten,  jetzt  wardt 
der  Sententz  gefeit,  dz  ich  kein  Doctor  were,  der  Frombkeit  halben 
richtet  mich  der  Prediger,  vnnd  der  Pfarrer  auss,  dieweil  vnd  ich  der 
Venus  kein  zutitler  (=  Frauenschmeichler)  bin,  auch  mit  nichten  lieb 
diejenigen,  die  da  lehren,  dass  sie  selbs  nit  thun,  also  ward  ich  in 
Verachtung  abgefertigt,  doch  nit  von  gemeinem  raht  nach  der 
Gemein,  sonder  wie  oben  wol  verstanden  mag  werden  (d.  b.  also  nur 
vom  Bürgermeister  und  den  Theologen),  hab  mich  weiter  mit  sampt 
Marxen  Poschinger  hinweg  an  M  e  r  o  n  gemacht,  dasselbs  Ehr  vnnd 
Glück  gefunden.«  —  Die  sinnstörenden  Entstellungen  von  Toxites 
habe  ich  nach  der  Textrevision  Karl  Sudhoffs  (Paracelsus-Frschgn.  11.  Heft 
1889,  S.  160 — 161)  korrigiert.  Aus  Frühling  1533  stammen  auch  die 
Worte  der  Handschrift  »De  Goena  Domini  XI  Theophrasti  Hohen- 
heimensis«  usw.  (Herzogi.  Bibliothek  in  Wolfenbüttel  »Codex  Extra- 
vaganeus«  Nr.  160  in  4°)  :  »So  wil  ich  aber  von  Irer  (d.  h.  der  Theo¬ 
logen)  hoff  art  vnangetast  sein,  Gott  wirds  auch  wol  seihest 
herfürbringen,  zu  seiner  Zeit,  wie  sein  Göttlich  willen  ist.  Ich  hette  hie 
bey  mir  mit  etlichen  Pfaffen  davon  geredt.  Aber  grosse  hoffart  presumirn 
vnd  andere  torheit  ist  viel  bey  Inen.  Etliche,  aber  wenig,  kommen  offte 
zu  mir,  und  Ich  zu  Inen,  die  nit  gar  vngeschickt  weren,  so  sie  nit  In 
der  Hundsketten  legen  gebunden  .  .  .  .«  Man  entnimmt  schon 
aus  dieser  Bemerkung,  daß  Paracelsus  auch  praktisch  an  den  damaligen 
religiösen  Kontroversen  teilnahm.  Nicht  nur  als  Literat.  Er  stand  aber 
jenseits  aller  Partei  und  bekannte  sich  weder  —  wie  er  sagt  —  zu  den 
»Pfaffen«  noch  zu  den  »Predigern.«  Seine  Stellung  in  der  Reformations¬ 
geschichte  bedarf  noch  einer  gründlichen  Untersuchung.  Einen  Beitrag  ver¬ 
suchte  der  Verf.  in  seiner  Paracelsusbiographie  (Leipzig  1903)  zu  bringen. 

®)  Vgl.  die  Vorrede  zum  »Buf  he  von  den  tartarischen  Krankheiten«. 
Opera.  Fol.-Ausg.  von  Joh.  Huser.  Straßburg  1603,  Bd.  1,  S.  282. 


iniierl,  an  diese  Zeit.  Auch  wurde  hier  ein  .drittes  Buch 
der  ,, Großen  Wundarznei“  fertig,  das  ebenfalls  die  Widmung 
an  Ferdinand  E  trägt,^)  wie  auch  die  ersten  Partien  der 
,,Astronomia  magna“,  der  Schluß  des  ,, Buches  von  den 
tartarischen  Krankheiten“  1°)  und  die  deutsche  Fassung  der 
„Defensiones“  und  des  „Labyrinthus“.  Es  wird  berichtet, 
daß  Parsicelsus  beim  Verlassen  von  Kroniau  eine  Jlenge 
Bücher  und  selbstgeschriebenes  Manuskriptenmaterial  zu¬ 
rückgelassen  habe.  Er  sei  abgereist,  erst  nachdem  er  ^,,von 
Seiner  Gnaden  einen  gnädigen  Urlaub  erbeten  und  Erlaubnis, 
weiter  zu  ziehen“,  auch  ,,zu  ferneren  Diensten  sich  em¬ 
pfehlend  und  nicht,  ohne  eine  Ordnung  zu  hinterlassen, 
wie  sich  Seiner  Gnaden  weiter  verhalten  solle“. Dann 
wanderte  er  seinem  neuen  Ziele  entgegen,  zuerst  zur  [March 
und  dann  längs  ihrer  Täler  gegen  Süden  — •  gegen  Wien. 
Am  Freitag  vor  Michaelis  1537  kam  Paracelsus  riach  Preß- 
burg,  wo  ihm,  wie  man  aus  dpn  städtischen  Kammerrech¬ 
nungen  des  Archives  der  Stadt  von  1537/38  entnehmen 
kann,  beim  Stadtrichter  Blasius  Beham  ein  offizielles  Fest¬ 
mahl  gegeben  wurde.^^)  Bald  nachher  —  also  noch  1537  — 
ist  er  nach  Wien  gekommen. Hier  in  unserer  Stadt  dürfte 
man  Paracelsus  großes  Interesse  entgegengebracht  haben, 
wenn  es  auch  den  damaligen  Wiener  Aerzten  nicht  gerade  lieb 
zu  sein  schien,  den  weltberühmten  Kollegen  unter  sich 
zu  sehen.  Mich  dünkt,  daß  ihn  auch  Ferdinand  J.  (f  1564), 
dem  er  sein  Hauptwerk,  die  bereits  erwähnte  ,, Große  Wund¬ 
arznei“  gewidmet  hatte,  zweimal  in  Audienz  empfing.  Der 
Bericht  Crato  v.  Crafftheims  (Leibarzt  Kaiser  [Maxi¬ 
milians  H.i^)  dürfte  verläßlich  sein  und  ich  sehe  daher 
keinen  Grund,  ihn  zu  bezweifeln.  Er  sagt  uns  .auch :  Para¬ 
celsus  habe  dem  Herrscher  furchtlos  und  schlicht  nahe¬ 
gebracht,  daß  er  nicht  die  Absicht  habe,  mit  seinen  Doktoren 
zu  disputieren;  er  lasse  ihnen  ihre  alte  Wissenschaft  und 
ärztliche  Kunst  und  er  behalte  die  seinige.  Er  spricht  über¬ 
haupt  nicht  besonders  begeistert  von  seinen  Wiener  Kollegen 
und  betont  auch,  daß  sie  es  immer  vermieden,  jmit  ihm  zu¬ 
sammenzukommen  oder  gar  über  seine  moderne  chemisch- 
tberapeutiscbe  Heilkunde  und  physiologiscb-pathologische 
Chemie  zu  sprechen.  Paracelsus  sagt  das  sehr  launig  und 
mit  feiner  Ironie :  ,,Sie  haben  befunden,  es  sei  besser,  so 
ich  zu  St.  Stephan  bin,  sie  seien  auf  , dem  Hohen  [Markt; 
und  gehe  ich  an  den  Lugeck,  daß  sie  gegen  St.  Laurenzen 
gehen. “^®)  Später  hat  er  dann  auch  erfahren  müssen,  wie 
die  Wiener  Aerzte  die  Drucklegung  des  ,,Labyrintlms“  und 
der  ,, Defensiones“  hier  zu  vereiteln  verstanden  und  mit 
Verbitterung  sagt  er  von  seinen  Standesgenossen:  ,,er  habe 
eben  wieder  einmal  vergessen,  daß  ein  Krügler  gegen  den 
anderen  sei,  und  daß  man  der  Katze  nicht  den  Schmer  ab¬ 
kaufe . “i*^)  Im  übrigen  schien  sich  Paracelsus  in  Wien 

recht  wohl  und  glücklich  zu  fühlen,  denn  ,, an  guten  Gesellen 
fehlte  es  nicht  —  meint  er  im  ,. Spitalbuch“  —  mit  denen 


®)  Sie  trägt  das  Datum:  Kroraau,  4.  Juni  1537.  Vgl.  seine  »Chirurg. 
Bücher  und  Schriften«.  Straßburg  1603,  Fol.-Ausg.,  S.  126. 

^®)  Die  Lehre  vom  Tartarus,  ein  Hauptbestandstück  seines  medi¬ 
zinisch-chemischen  Systems,  umfaßte  die  Ausscheidungen,  Versinterungen, 
Steinbildungen,  Präzipitate  in  den  Nieren,  Harnblase,  Gallenblase  etc. 
Der  Name  Tartarus  ist  rein  bildlich  gemeint  und  bezieht  sich  auf 
den  Weinstein,  der  sich  bei  der  Gärung  des  Traubensaftes  in  den  Fässern 
absetzt,  dem  heutigen  sauren  Kalisalz  der  Rechtsweinsäure.  Paracelsus 
reiht  die  tartarischen  Krankheiten  in  eine  völlig  neu  ätiologisch  be¬ 
stimmte  Krankheitsgruppe  ein. 

“)  Diese  Nachricht  stammt  allerdings  von  dem  sehr  übelberatenen 
Verfasser  von  verleumderischenParacelsus-Fabeln,  Thomas  Lieber  (Erastus). 
Vgl.  seine  Disput,  de  medicina.  Basil,  ap.  Pernam,  4°,  1571,  Bd.  4,  S.  159. 
—  Erastus  kann  man  als  Paracelsus-Quelle  neben  »Gewährsmänner«  wie 
B.  Dessenius,  Ath.  Kircher,  Herrn.  Conring  oder  den  »modernen«  Armand 
Delpeuch  u.  a.  stellen. 

Vgl.  des  Verfassers  Paracelsus-Biographie  (Leipzig  1903),  wo 
der  genaue  Wortlaut  wiedergegeben  ist.  S.  73. 

Paracelsus  Opera.,  Fol.-Ausg.  von  Joh.  Huser.  Straßburg  1605, 
Bd.  1,  S.  888. 

Christi.  Gottl.  von  Murr:  Neues  Journal  zur  Literatur-  und 
Kunstgeschichte.  Leipzig  1799,  Bd.  2,  S.  233. 

‘b  Paracelsus  Opera.,  Fol.-Ausg.  von  Joh.  Huser.  Straßburg  1605, 
Bd.  1,  S.  248  (im  Widmungsbrief  an  die  Stände  von  Kärnten). 

'b  Paracelsus  ebd. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


<u 


ich  an  der  Donau  mein  Cield  vertumnielte“.'^  Auch  reiche 
Honorare  flössen  ein  und  kost  hare  Geschenke,  die  ihm  den 
Wiener  Aufenthalt,  sorglos  und  sonnig  gestalteten.  Freilich 
liat  er  ebenfalls ,  hier  viel  reiche  ärztliche  Hilfe  geleistet 
und  miler  Armen  und  Kränken  viel  Gutes  getan,  so  daß  noch 
die  Sage  uns  das  fesselnde  und  unsagbar  sympathische 
Bild  einer  gediegenen  Persönlichkeit  überliefert..  Er  hat 
ja.  sellist  gesagt,  der  Aerztestand  wäre  die  höchste  und 
wunderharste  Fakultät,  ,,aber  der  Arzt  dürfe  kein  Larven¬ 
mann  sein,  kein  altes  Weib,  kein  Henker,  kein  Lügner,  kein 
Leichtfertiger^  sondern  es  muß  ein  wahrhaftiger  Mann  sein.“ 
Fnd  damit  gab  uns  Paracelsus  sein  eigenes  Porträt  als 
Arzt,  seine  erquickende  Freimütigkeit,  sein  reiner  Sinn  und 
die  geradezu  provokatorische  Offenheit  sind  aus  diesem 
Geiste  heraus.^®)  Die  Wiener  Sage  hat  diese  Züge  unver¬ 
geßbar  in  der  Erinnerung  behalten . Der  im  Jahre  1852 

verstorbene  Antiquar  Franz  Gräffer  in  Wien  erzählte  oft 
von  einem  Besuche  des  Paracelsus  beim  Buchhändler  Spann¬ 
ring  in  der  Schönlaterngasse  (im  Basiliskenhaus  Nr.  678, 
neu  7);  er  schildert  ihn  als  ein  kleines,  glattrasiertes  Männ¬ 
chen  mit  dünner  Stimme,  das  den  Eindruck  eines  Dreißigers 
machte.^^) 

Wo  wohnte  Paracelsus  in  Wien?  Soviel  man  aus 
ältej-en  Wiener  Chroniken  und  Memoiren“®)  eiiitnimmt,  nennt 
man  immer  den  sogenannten  ,, großen  Federlhof“  (heute 
1.,  Bäckerstraße  Nr.  2,  bzw.  Lugeck  Nr.  3,  als  768)  damals 
das  ,,Lazla-Haus“  (nach  dem  Besitzer  Ladislaus  von  Edlas- 
berg)  genannt.  Aber  es  wird  auch  noch  eine  zweite  Wohnung 
angeführt:  das  ,,Küß  den  Pfennig-Haus““^)  heim  Wirte 
Wangier  ,,zum  schwarzen  Adler“  neben  dem  Kronen-Hause 
in  der  Adlergasse  (Nr.  723,  neu  Nr.  4).  Es  ist  wohl  anzu- 
nchmen,  daß  Paracelsus  mehrere  Wohnungen  in  Wien  be¬ 
zog  und  oft  nur  auf  kurze  Zeit,  ja  ,oft  nur  für  eine  Nacht. 
Eben  vom  ,,Küß  den  Pfennig-Haus“  wird  dies  erzählt,  in 
welchem  sein  Famulus  (ein  Verwandter  des  Buchhändlers 
Oporinus)  krank  wurde,  worauf  er  dann  das  fütifte  ,und 
sechste  Stockwerk  des  Turmes  im  ,,Lazla-Haus“  (,, großer 
Ferlerlhof“)  bezog.  Auch  finden  sich  Andeutungen  und 
Sagen,  die  darauf  hinzuweisen  scheinen,  daß  Paracelsus 
ebenfalls  im  Servitenkloster  ganz  kurze  Zeit  gewohnt  haben 
dürfte.  Ich  nanntie  oben  das  ,,Küß  den  Pfennig-Haus“.  Es  ist 
gewiß,  daß  der  Name  nicht  von  der  recht  verschiedenartig 
drapierten  Sage  herkommt,  daß  Paracelsus  einen  auf  den 
Boden  geworfenen  Pfennig  in  ein  Goldstück  umgewandelt 
hahe  usw.,  denn  der  Name  Hanns  Küssenpfennig  wird  als 
Eigentümer  dieses  Hauses  schon  1411  —  und  126  Jahre 
später  kam  erst  Paracelsus  nach  Wien  —  in  der  ,, gemeinen 
Stadt  Steuer-iVnschlagbücher“  und  auch  anderwärts  im 
Grundbuche  genannt.  Uebrigens  leitet  sich  das  Wort  von 
Kux-Pfennig  ab  u.  zw.  ,,Knx“  im  Sinne  von  ,, Bergwerks¬ 
anteil“.  Der  letzte  dieses  übrigens  nicht  unberühmten  Na¬ 
mens,  ein  gewisser  Karl  Küßdenpfennig,  seines  Berufes 
nach  Gärtner,  starb  1839  in  Wien.  Ob  er  in  ganz  Oester¬ 
reich  erloschen  ist,  konnte  ich  leider  nicht  erfahren.  Das 
,,Lazla-Haus“  an  der  Ecke  des  Lugeck  in  die  obere  Bäcker¬ 
straße  wurde  1846  auf  1847  demoliert,  das  „Küß  den 
Pfennig-Haus“  mit  seinem  vorspringenden  llundturm  1877 
auf  1878  umgebaut.  Das  auf  Paracelsus  bezugnehmende’ 


Paracelsus  Chirurg.  Bücher  und  Schriften.  Fol.-Ausg.  von  Joh. 
Huser.  Straßburg  1605,  S.  311. 

Vgl.  des  Verfassers  Ausgabe:  Volumen  Paramirum  und  Opus 
Paramirum.  Leipzig-Jena  1904. 

Franz  Gräffer:  Kleine  Wiener  Memoiren . Zur  Geschichte 

und  Charakteristik  Wiens  und  der  Wiener,  11.  Teil.  Wien  1845.  (Fr.  Becks 
IJniversilätsbuchhandlung),  S.  287  bis  294.  Selbstredend  ist  seine 
novellistische  Skizze  »Paracelsus  in  Wien«  nicht  als  eine  einwandfreie 
Quelle  zu  werten.  Als  Stimmungsbild  ist  sie  nicht  uninteressant. 

Schimmer:  Häuserchronik  ....  1819,  S.  146;  W.  Kisch:  Die 
■  Ren  Straßen  und  Plätze  Wiens,  Bd.  1,  Wien  1888;  Moritz  Bermann: 
All-  m  :  Neu-Wien,  Wien  1888;  Franz  Gräffer  a.  a.  0.;  Carl  Aberle: 
Grabdenkmal,  Schädel  und  Abbildungen  d.  Theophrastus  Paracelsus. 
Salzburg  1891. 

Ich  möchte  daran  erinnern,  daß  aber  auch  Häuser  wie,  I.  Bez., 
F"*  iaingen  .i'aße  3  (606)  und  IX.,  Marktgasse  25  (52),  diesen  Namen 
führten. 


Staiulbild  mit  liischriftverseu  soll  leider  schon  1810  bei 
Adaptieruiigsarbeiten  in  \’erltist  geraten  sein. 

Paracelsus  ist  auch  ein  zweites  Vlal  in  Wien  gewesen 
und  zwar  1541  auf  der  Hin-  oder  Bückreise  nach,  l)zw.  von 
Breslau  nach  .Salzburg. 

Noch  im  Jahre  1537  zieht  er  wieder  nach  Villach  in 
Kärnten,  wo  unterdes  am  8.  September  1534  sein  Vater 
gestorben  war.^^)  Hier  und  in  St.  Veit  arbeitet  er  nunmehr 
metallurgisch  und  mineralchemisch,  wozu  ihm  die  Bergwerke 
im  Lavanttale  reiche  Gelegenheit  boten.  Georg  Joachim 
Bheticus  erzählt^®)  von  großen  Heilerfolgen,  die  auch  den 
damals  in  St.  Veit  weilenden  Leibarzt  des  Königs  von  Polen, 
Albert  Basa,  in  Verwunderung  versetzten.  Das  ist  bis  .1539. 
Dann  folgen  ärztliche  und  Naturforscherreisen  und  Berufun¬ 
gen  nach  Augsburg,  München;  Anfang  1541  nach  Grätz  in 
Oesterr.-Schlesien  (3.  Januar),  Breslau  (16.  .Januar)  und 
dann,  wie  bereits  erwähnt,  ein  zweitesmal  nach  Wien.  Im 
trühling  ,1541  war  der  bereits  kränkelnde  Paracelsus  be¬ 
stimmt  schon  in  Salzburg,  der  letzten  Station  seiner  an 
Arbeit  und  Geschehnissen  so  reichen  Wanderung.  Er  hatte 
den  W^eg  über  Ischl  genommen  und  ,,am  Schober“  (Fuschl- 
see)  im  Landgut  ,, Strobel“  Bast  gemacht,  von  wo  er  seinem 
Ireunde  .Takob  Töllinger  in  Aussee  ein  ärztliches  Konsilium 
übermittelte.^^)  Die  leise  Gerührtheit  in  den  warmen  Gru߬ 
worten  macht  uns  unwillkürlich  fühlbar,  als  ob  er  mitten 
im  erwachenden  Lenz  schon  gespürt  hätte,  daß  leider  sein 
Leben  langsam  im  Entgleiten  ist  und  daß  die  bitterernsten 
Tage  nicht  fern  sind,  ,,wo  die  Gesichter  der  Leute  an  den 

Fenstern  trübe  werden“ . Der  Brief  trägt  das  Datum 

vom  15.  April  1541.  Also  das  war  kurz  vor  seinem  Ein- 
Ireffen  in  Salzburg  und  fünf  Monate  vor  seinem  Tode.  Noch 
einmal  taucht  dann  sein  Name  in  einem  Konsilium  auf: 
es  ist  dies  der  Bericht  an  Franz  Boner  in  Krakau  und  trägt 
Salzburg,  5.  Augusti  1541  als  Datum. 

Paracelsus  wohnte  in  Salzburg  am  rechten  Salzachufer, 
au  der  Ecke  des  Platzl.  Später  zog  er  in  die  Herberge  ,,zum 
weißen  Roß“  in  der  Kaigasse,  wo  er  im  ,, kleinen  Stübel“ 
am  ,, Sankt  Matthäus’-Tag,  den  21.  des  Monates  Septembris, 
Mittags  Zeit“  vor  seinen  Bekannten  und  dem  kaiserlichen 
Notar  Hans  Kalbsohr  sein  Testament  machte.  Michael 
Toxites,  der  Herausgeber  desselben^''’)  berichtet,  daß  Para¬ 
celsus  dabei  ,, schwachen  Leibs“  auf  einem  Bette  saß.  Das 
Testament  ist  das  letzte,  was  uns  der  Geist  des  großen 
Gelehrten  hiiiterlassen.  Nochmals  lesen  wir,  wie  er,  der 
ja  selbst  arm  und  mittellos  war  und  zeitlebens  am  ,, Pflug 

^‘9  Ueber  die  Beziehungen  von  Vater  und  Sohn  wissen  wir  so  gut 
wie  nichts,  wenn  auch  in  der  »Großen  Wundarznei«  (Chir.  Bücher 
und  Schriften,  Fol.-Ausg.  Straßburg  1605,  S.  102)  bei  Erwähnung  seiner 
Lehrer  das  bekannte  Wort  steht:  »Erstlich  Wilhelmus  von  Hohenheim, 
mein  Vater,  der  mich  nie  verlassen  hat.«  .  .  .  Als  dieser  starb,  dürfte 
gewiß  Paracelsus  in  der  Ferne  gewesen  sein,  denn  erst  vom  12.  Mai 
1538  ist  das  Dokument  über  Tod  und  Nachlaß  datiert.  Man  vergleiche  hier¬ 
über  den  Wortlaut  der  Urkunde  bei  Michael  Toxites:  Testanientum  Philippi 
Theophrasti  Paracelsi.  Straßburg  1574  (gedruckt  durch  Christ.  Müller). 
S.  7  bis  8:  »Am  Tage  unserer  lieben  Frauen  Geburt  des  Jahres  1534, 
ist  der  ehrbar  wohlgelehrt  und  berühmt  Wilhelm  Bombast  von 
Hohenheim,  der  Arzney  Licentiat,  verschienen,  nachdem  er  zu 
Villach  als  ein  Inwohner  bei  32  Jahr  ungefährlich  gewohnt  und  all 
die  Zeit  seines  Wesens  Wandel  und  Leben  gegen  aller  meiniglich  ehrbar, 
ehrlich  und  wohl  gehalten;  das  mir,  Richter  Rat  und  die  ganze  Gemein 
der  Stadt  Villach  um  der  Wahrheit  willen  zu  bekennen  schuldig  ist.«  — 
Man  kann  wohl  annehmen,  daß  Paracelsus  erst  1537,  d.  h.  nach  seinen 
großen  Wanderungen  durch  Europa  —  also  nicht  schon  früher  einmal 
—  nach  Villach  kam.  Es  möchte  hier  erwähnt  sein,  daß  Paracelsus  nicht 
nur  Italien,  Deutschland,  Frankreich,  Spanien,  England,  Schw'eden,  Däne¬ 
mark,  Polen,  Ungarn,  Walachei  u.  a.  als  Länder  seiner  Wanderung  nennt, 
sondern  ganz  besonders  auch  Kroatien  und  Windisch  Mark  (Krain).  In 
der  »Großen  Wundarznei«  (Chir.  Bücher  und  Schriften,  Fol.-Ausg.  Stra߬ 
burg  1605,  S.  48)  erzählt  er  Erinnerungen  an  die  Hafenstadt  Zengg  »zu 
Zeug  in  Krabaten«. 

'•'^)  Rheticus  starb  am  4.  Dezember  1576  zu  Kaschau.  Er  war  ein 
bedeutender  Vertreter  der  Lehre  des  Kopernikus  und  als  Arzt  ein  warmer 
Anhänger  des  Paracelsus.  Vgl.  das  Brieffragment  des  Rheticus  in  Michael 
Neanders  »Orbis  terrae  partium  succincta  explicatio«  1583  (spätere  Aus¬ 
gabe  1586  u.  1589),  89  Karl  Sudhoff:  Rheticus  und  Paracelsus.  Verh.  der 
Naturf.  Gesellsch.  in  Basel,  Bd.  16. 

^9  Paracelsus  Opera  Fol.-Ausg.  Straßburg  1603,  Bd.  1,  S.  692. 

^®)  Michael  Toxites:  Testamentum  Ph.  Theophrastus  Paracelsi  .  .  .  . 
Straßburg  1574. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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tie]'  A'ahning“  stand,  ,,der  ariuoii  ^leiischen  von  den  Kirclien“ 
gedenkt  und  das  Wenige,  was  er  aus  den  Stürmen  seineis 
mhelosen  Lel)ens  gerettet  hatte,  „arm,  elend  und  dürftig 
Leut“  zueignet.  An  Büchern  fand  man  neben  medizinischen 
und  besonders  theologisclien  Mauuskripten  — meist  Arbeiten 
aus  seiner  letzten.  Zeit  —  nur  sehr  wenig:  eine  Handbibel, 
ein  xXeues  Testament,  die  Inlerpretationes  super  Euangeha 
in  duobus  libellis  von  Hieronymus,  Concordiae  Bibliorurn 
und  ein  Buch  medizinischen  Inhaltes.  Am  24.  September, 
also  drei  Tage  nach  der  Testamentserklärung,  des  .fahres 
1541  ist  Paracelsus  im  Alter  von  48  Jahren  zu  Salzburg 
gestorben.  Die  Beerdigung  des,  berühmten  Arztes  und  Natur¬ 
forschers  erfolgte  unter  großer  Teilnahme  am  Friedhofe 
zu  St.  Sebastian,  wo  er  —  nach  eigenem  Wunsche  —  mitten 
unter  den  Armen  des  Versorgungshauses  (Bruderhäusler) 
eine  Ruhestätte  fand.  Doch  schon  ein  halbes  Jahrhundert 
später  sah  man  sich  infolge  dos  Baues  der  Gabriel-Kapelle  im 
Friedhofe  genötigt,  die  Gebeine  zu  exhumieren  un^l  an  her 
Mauer  der  Kirche  von  St.  Sebastian  zu  bestatten.  .Auch  die 
Grabplatte  mit  der  bekannten  Inschrift  wurde  dahin  über¬ 
tragen.  1752  erhielt  dann  der  große  Tote  im  Stiegenhause 
der  St.  Sebastianskirche  ein  pyramidenartiges  Grabdenkmal, 
wo  jetzt  auch  seine  Gebeine  ruhen.  Die  alte  Platte  mit  dem 
Epitaph  ist  ebenfalls  wieder  angebracht  worden.  In  Zeiten 
der  großen  Epidemien  pilgerte  das  Volk  oft  an  das  Grab  des 
Paracelsus  und  noch  in  den  Dreißigerjahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  war  die  Erinnerung  an  seine  ruhmvolle  Heil¬ 
kunst  nicht  erloschen. 

Ich  erwähnte  schon  flüchtig,  daß  auch  die  schrift¬ 
stellerische  Tätigkeit  des  Paracelsus  mit  ihren  reifsten  Pro¬ 
dukten  auf  Oesterreich  weist.  Vieles  ist  hier  zu  Ende  geführt 
worden,  vieles  direkt  begonnen  und  abgeschlossen.  Es  kann 
nicht  Aufgabe  dieser  Skizze  sein,  eine  genaue  Uebersicht 
zu  bringen  und  soll  nur  einiges  genannt  sein,  das  auf  öster¬ 
reichischem  Boden  entstanden  oder  beendigt  wurde :  die 
.meisten  theologischen  Schriften  (Abendmahlschriften,  Bibel¬ 
kommentare,  Mariologisches  u.  a.)  aus  1532  bis  1535,-') 
die  aber  heute  noch  ungedruckt  sind,  das  Volumen  primiun 
suae  philosophiae  de  divinis  operibus  et  secretis  naturae 
(23  Bücher),  das  Volumen  secundum  de  vita  beata,  .die  Bücher 
über  Bergsucht  (um  1534/35),  das  Pest-Büchlein  an  die 
Stadt  Sterzing  (1535),  die  berühmte  Große  Wundarznei  (be¬ 
ziehungsweise  das  HI.  Buch),  die  Astronomia  magna  oder 
philosophia  sagax  der  großen  und  kleinen  AVelt,  die 
Chronik  des  Landes  Kärnten,  die  neun  Bücher  De  natura 
rerum,  die  deutsche  Fassung  der  Defensiones  und  desLaby- 
rinthus  IMedicorum  u.  a.  Von  heute  noch  erhaltenen  Hand¬ 
schriften,  bzw.  Abschriften  (ungedruckt)  weisen  auf  Oester¬ 
reich  die  beiden  groß.en  theologischen  Sammelschriften  in 
der  I^eydener  Universitätsbibliothek  die  früher  im  Besitze 
der  böhmischen  Grafen  Orsini  von  Rosenberg  waren.  Einen 
sehr  wichtigen,  ja  grundlegenden  Kodex  haben  wir  im  Kloster 
Ossegg  bei  Dux  in  Böhmen,  der  mit  seinen  wertvollen  Ver¬ 
zeichnissen  pa.racelis,ischer  Schriften  für  die  weitere  For¬ 
schung  richtunggebend  war.-®) 

Hier  in  Wien  (Hofbibliothek)  liegen  ebenfalls  mehrere 
recht  wertvolle  Manuskripte,  die  sich  aber  meist  auf 
Chemisch- Alchimistisches  des  Paracelsus  beziehen.  Zum 
Beispiel  Manuskript  11.259:  das  sind  389  beschriebene 


-®)  Noch  am  selben  Tage  u.  zw.  —  wie  damals  gebräuchlich  — 
12  Stunden  nach  eingetretenem  Tode,  lieber  Grabdenkmal  u.  a.  vergleiche 
man  Karl  Aberle  a.  a.  0.  Der  Wortlaut  der  Epitaph  kann  wohl  als 
bekannt  vorausgesetzt  werden. 

-'0  ln  diesen  Tagen  unterschrieb  er  sich  gern:  »Theophrastus  Von 
Hohenheym,  der  Heyligen  Schrillt  Professor,  beider  Artzney  Doctor.« 
Zum  Beispiel  in  der  Ueberschrift  zur  Vorrede  im  Buche:  Von  der 
Pestilentz  an  die  Statt  Stertzingen  (herausgegeben  1576  von  Toxites) 
oder  in  den  zwei  Briefen  an  den  Magistrat  von  Memmingen  (10.  Oktober 
1536).  Oder  1533  in  einer  Handschrift:  »Sacrarum  literarum  medi- 
cinarumque  doctor«,  in  der  Abendmahlsabhandlung  »Coena  Domini 
Declaratio«  steht:  »Aureolum  (!)  Theophrastum  Paracelsum  Sacr.  L 
Doctorem«. 

28)  Vgl.  die  Reproduktionen  in  des  Verf.  Paracelsusbiographie. 
Daselbst  auch  das  Faksimile  eines  Originalprozeßes  der  Wiener  Hof¬ 
bibliothek. 


Blätter  in  Quart,  wohl  um  L60Ü  gescliriel)eu.  Oder 
Mauuskript  11.428,  dann  11.200  (Manuskript  Ambras  158), 
das  ein  iriieresisantes  Konsilium  von  Blatt  240/41  enthält. 
Auch  seien  genannt  die  Manuskripte  11.144  (Vlftte  des 
XVI.  Jahrhunderts),  11.114/15,  mit  schon  gedrucktem  Mate¬ 
rial.  Nun  ist  sehr  wichtig,  daß  Manuskript  11.144  zwischen 
Blatt  126  und  127  zwei  Zettel  eingeheftet,  hat,  deren  erster 
ein  echtes  Rezept  von  der  eigenen  Hand  Paracelsus’  ist. 

Wenn  man  auch  heute  noch  nicht  abschließend  über 
Paracelsus  und  sein  Werk  sprechen  kann,  wenn,  wir  auch 
vorerst  nur  die  Leitgedanken  seines  Systems  in  den  Um¬ 
rissen  sicherzustellen  vermögen  —  ganz  zu  schweigeii  von 
seiner  völlig  eigenartigen,  außerkirchlichen  Theologie  des 
dogmenlosen  ,, christlichen  Humanismus“  —  so  wissen  wir 
doch  schon,  daß  er  nicht  nur  ein  Klassiker  in  der  Ge¬ 
schichte  der  VIedizin  und  der  Naturwissenschaften  war, 
sondern  a.uch  ein  wirklich  genialer  Mensch.  Alles,  was  er 
sagte,  trug  das  Kolorit  seiner  Subjektivität  und  zeugte  von 
jener  verinnerlichten  Art  eines  durchseelten  Denkens.  Es 
waren  wenige  unter  den  Menschen  der  Renaissance, 
welche  einer  w, ahrhaft  humanistischen  Lebensstellung 
so  starke  Vlächte  entbunden  und  sie  dabei  als  ,, Re¬ 
ligion“  mit  erciuickendem  Freimut  in  die  uralte  Me¬ 
lodie  des  Natu  r geschehens  verwoben  haben.  Menschen, 
welche  mit  gleicher  Gefühlsinneriichkeit  für  die  un¬ 
mittelbaren  Beziehungen  der  Seele  zum  Unendlichen  so  er¬ 
greifende  Worte  fanden,  ln  diesem,  aber  nur  in  diesem 
Sinne  war  Paracelsus  auch  IMystiker  und  Gefühlsphilosoph, 
denn  die  Einheit  des  Seelischen  und  Sinnlichen,  des  .Sub¬ 
jekts  und  Objekts  war  im  Tiefsten  seiner  Empfindung  ver¬ 
ankert  und  erfüllte  sein  ganzes  Wesen.  Auch  bei  ihm  erwacht 
das  Erkennen  zuerst  aus  warmem,  innerem  Erleben,  das  an 
Mystik  gemahnt  und  Gefühlsspekulation  genannt  werden 
kann.  Und  dabei  ist  er  einer  der  ersten  , großen  Empiriker 
und  Experimentatoren.  Erfahrenheit,  \V'’ohlgeübtsein,  Ver¬ 
such,  Beschreibung  der  Tatsachen  sind  Worte,  die  bei  JhiH 
in  den  verschiedensten  Varianten  immer  wiederkehren. 
Naturforschung  ist  auch  ihm  schon  ein  Suchen  nach  gesetz¬ 
lichen  Abhängigkeitsbeziehungen  des  Wirklichkeits¬ 
zusammenhanges.  Dazu  kommt  eine  reiche  Detailkenntnis 
in  den  einzelnen  naturwissenschaftlichen  und  medizinischen 
Gebieten  —  ich  erinnere  z.  B.  an  seine  medizinische  Chemie 
oder  an  klimatologische  Erfahrungen  —  und  besonders  auch 
seine  große,  rein  anschauliche,  ästhetische  Auffassung  der 
Natur,  die  an  Goethe  gemahnt.  Die  cheimisch-therapeutische 
Heilkunde  und  physiologisch-pathologische  Chemie  sind 
überhaupt  durch  Paracelsus  begründet  worden,  und  daß  er 
mit  der  hellen  Sinnlichkeit  der  Renaissance  den  Sinn  für 
das  Leben  wachrief  und  dadurch  biologischen  Interessen 
freiere  Bahn  schuf,  ist  sein  zweites  Hauptverdienst.  Er¬ 
faßt  Gott,  Welt  und  Seele  als  ein  Einheitliclies  (zusammen : 
Gott  ist  die  Welt,  die  Welt  ist  beseelt  auid  die  Seele  ist 
göttlich.  Darum  der  unendliche  Wert  der  letzteren.  Unser 
tiefster  Grund  ist  auch  der  Weltgrund,  unser  tausendfarbiges 
Leben  ist  auch  der  Welt  Leben,  es  ist  fortschreitende  Ver¬ 
gottung,  so  wie  Gott  sich  wieder  entgottet  und  iNatur  wird. 
Das  Göttliche  ist  die  Vollendung,  es  ist  der  Endpunkt  aller 
Evolution,  denn  alles  will  im  ,, Lichte  der  Natur“  vollendet 
sein.  Das  ist  der  permanente  Umsatz  des  Göttlichen,  psy¬ 
chischen  und  Physischen.  Himmel  und  Erde  sind  dasselbe, 
denn  der  Mikrokosmos  ist  der  Makrokosmos  und  umgekehrt. 
Der  Mensch  ist  die  Natur  und  die  Natur  ist  der  Vlensch. 
Immer  kehren  sie  in  der  anthropomorphisierenden  Natur¬ 
philosophie  des  Paracelsus  wieder:  Lebenseinheit,  Unend¬ 
lichkeitsgefühl  und  Erklärung  der  Natur  aus  dem  Menschen ! 
Man  bemerkt  da  unwillkürlich  die  Verwandtschaft  mit  der 
Gefühlsphilosophie  der  Renaissance  und  des  Humanismus, 
mit  den  Lehren  vom  Mikrokosmos,  wie  sie  Cusanus,  Reuch- 
lin,  Agrippa  u.  a.  ausgesprochen  haben,  oder  mit  der  sensu- 
alistiscben  Verherrlichung  des  Menschen  bei  Melanchthon, 
Taurellus,  I^uther  und  Böhme.  Aber  dabei  war  Paracelsus 
ein  großer  Dichter  pes  Todes.  Er  hat  mit  den  Fähigkeiten 
des  echt  phantasievollen  Menschen  und  doch  krilischeii 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


Forschers  über  das  Sterben  inicl  seine  körperlichen  und 
seelischen  Ausdrucksmittel  nachgedacht  und  in  wunder¬ 
barer  Bildlichkeit  der  Sprache  von  den  dunkeln  Seltsam¬ 
keiten  eines  erlöschenden  Lebens  geredet.  In  ergreifenden 
Bildern  und  Allegorien  verwebt  er  die  Gesetze  des  Todes 
mit  Dichtung,  Philosophie  und  Ethik  und  nicht  an  letzter 
Stelle  sind  es  seine  heute  noch  ungedruckten  theologischen 
Schriften,  die  uns  Wertvolles  vermitteln.  Freilich  darf  man 
nicht  an  konfessionelle  Ergüsse  und  dogmatische  Wort¬ 
spielerei  denken,  vielmehr  Paracelsus  steht  auf  völlig  außer¬ 
kirchlichem  Boden.  Weder  mit  Luther  noch  mit  Rom  hat 
er  auf  den  Höhepunkten  seines  Lebens  gemeinsame  Sache 
gemacht.  Er  war  durch  und  durch  liberal  und  .tolerant, 
trotz  seiner  warmen  religiösen  Begabung  und  tiefen  Fröm¬ 
migkeit.  Die  Sage  —  nicht  am  wenigsten  die  isalzburgische 
—  hat  Paracelsus  als  einen  lauten  Mann  der  Gasse  ge¬ 
schildert,  als  einen  marktschreierischen  ,, Goldmacher“  oder 
theatralisch  herausgeputzten  Faust.  Wir  wissen  heute,  daß 
(u-  nichts  von  dem  gewesen  ist.  Wenn  er  auch  als'  wisseni- 
schaftlicher  Polemiker  den  scharfen  und  volkstümlichen  Ton 
seiner  Zeit  anschlägt,  so  war  er  doch  im  Tiefsten  und 
Letzten  ein  stiller  und  einsamer  Mensch.  Die  Welt  Rer 
Seele  hat  immer  über  .ihn  Gewalt  besessen  und  sogar  die 
Oberfläche  seines  Lebens  spiegelt  ihre  Schicksale  und  Wand¬ 
lungen.  Man  kann  von  ihnen  reden,  wie  kürzlich  ein  feiner 
Dichter- Arzt  die  Geschichte  einer  Seele  erzählt  hat:  ,, eines 
Menschen  mühevolles  Wandern;  aus  Jugend  zur  Blüte,  aus 

leisem  BlätterfaJl  zum  Tode“ . 

Literatur: 

In  betreff  der  biographischen,  bibliographischen  und  quellenmäßigen 
Details  und  der  Paracelsischen  Naturwissenschaft  verweist  der  Verfasser 
auf  sein  Buch:  Theophrastus  Paracelsus,  sein  Leben  und  seine  Per¬ 
sönlichkeit,  Leipzig  (Verlag  Eugen  Diederichs)  1903.  Weiter  auf  seine 
Paracelsus- Ausgabe:  Das  Buch  Paragranum,  Leipzig  (ebd.)  1903;  Volumen 
Paramirum  und  Opus  Paramirum,  Leipzig-Jena  (ebd.)  1904  und  seine 
Abhandlungen:  Ein  Chemiker  der  deutschen  Renaissance,  Chemiker-Zeitung 
1906,  Nr.  63;  Theophrastus  Paracelsus,  Monatshefte  der  Comeniusgesell- 
schaft,  Berlin  (Weidmann)  12,  1903;  Die  naturwissenschaftlichen  Grund¬ 
lagen  der  Psychologie  des  Johann  Bapt.  van  Helmont,  Zeitschrift  für 
Philosophie  und  philosophische  Kritik  1904.  lieber  van  Helmont  und  Para¬ 
celsus  vergleiche  des  VerfassersMonographie:  Johann  Bapt.  van  Helmont.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  der  Naturwissenschaften.  Wien  und  Leipzig 
(F.  Deuticke)  1907.  Eine  Abhandlung,  die  sich  mit  den  theologischen  und 
ethischen  Gedankengängen  des  Paracelsus  beschäftigt,  veröffentlicht  er  in 
dem  nächsten  Heft  der  »Religion  und  Geisteskultur«  (herausgegeben  von 
Privatdozent  Lie.  Tb.  Steinmann).  Göttingen,  im  Verlage  von  Vandenhoeck 
und  Ruprecht.  —  Ganzbesonders  sei  aber  auch  hier  auf  diekritischenundgeist- 
vollen  Forschungen  des  Leipziger  Gelehrten  Prof.  Karl  Sudhoff  verwiesen :  Ver¬ 
such  einer  Kritik  der  Echtheit  der  Paracelsusschen  Schriften.  Bd.  1  (Berlin 
1894),  Bd.  2  (Berlin  1899);  Paracelsus-Forschungen,  l.  Heft  1887,  II.  Heft 
1889;  Hohenheims  literarische  Hinterlassenschaft,  Rom  1904  (Atti  del 
Congresso  internazionale  de  scienze  storiche;  Volume  XII,  Sezione  VIII: 
Storia  delle  Scienze  fisiche,  matematiche,  natural!  e  mediche);  Paracelsus 
in  Meran  (Verhandlungen  des  Naturforschertages  in  Meran  [1905].  II. 
2.  Hälfte.  Abt.  f.  Gesch.  d.  Med.  u.  Naturw.);  Rheticus  und  Paracelsus 
(Verhandlungen  der  Naturforschergesellschaft  in  Basel.  Bd.  16).  —  lieber 
Paracelsus  inSalzburgvergleicheman Karl  Aberle:  Grabdenkmal, Schädel  und 
Abbildungen  des  Theophrastus  Paracelsus.  Salzburg  1891.  —  Daß  schon 
1883  und  dann  1893  der  bekannte  Wiener  Gelehrte  und  Chemiker  Pro¬ 
fessor  Alexander  Bauer  für  Paracelsus  so  warme  und  feinfühlige  Worte 
fand  (Wiener  Zeitung  Nr.  283  bis  285,  1893;  Chemie  und  Alchemie  in 
Oesterreich,  Wien  1883),  also  in  einer  Zeit,  wo  die  diesbezügliche  For¬ 
schung  noch  in  den  Anfängen  war,  möchte  hervorgehoben  werden. 


Hßfet'ate. 

Die  Röntgenstrahlen  im  Dienste  der  Neurologie. 

Von  Wilhelm  Füruohr. 

375  Seilen  mit  28  Abbildungen. 

Berlin  1906,  S.  Karger. 

Die  Neurologen  haben  frühzeitig  das  Röntgen  verfahren  für 
ih.’e  vVissenschaft  herangezogen,  man  braucht  bloß  einen  Blick 
:::  d;.  seit  zehn  Jahren  erschienenen  Archive  aus  Deutschland, 
•  :na  i  rarikroich  zu  werfen,  um  sich  davon  zu  überzeugen,  ln 
A;.'n  sind  iienedikt  und  H.  Schlesinger,  in  Berlin  Oppen- 
l'.eim  unter  den  ersten  zu  nennen.  Radiologische  Illustrationen 
'tor  N'mroiogie  wurden  am  ersten  Böntgenkongresse  in  Berlin  von 
t-;  pi-nheim  und  Kassirer  in  einer  großen  Sammlung  aus¬ 


gestellt.  A.  Schüller  hat  in  einem  eigenen  Werke  den  Schädel 
bearbeitet. 

Oppenheim  wies  zuerst  am  Lebenden  die  Erweiterung 
der  Sella  turcica  hei  Hypophysistumor  nach  (1899),  er  ist  es 
auch,  der  Füruohr  zur  vorliegenden  Arbeit  veranlaßte.  Wir 
sehen  da  Revue  passieren  die  Krankheiten  des  Gehirns  und 
Schädels,  des  Rückenmarks  und  der  Wirbelsäule,  der  peripheren 
Nerven,  die  ,,vasomotorisch-trophischen  Neurosen“  usw.  Auch 
die  a.kute  und  chronische  Knochenatrophie,  wie  sie  (U’st  durch 
die  Radiologie  näher  erforscht  wurde  (Sud eck  und  Kienböck), 
Herz-  und  Zwercbfellerkrankungen,  Akromegalie,  Riesenwuchs, 
Myxödem,  Zwergwuchs  und  vieles  andere  wird  dargestellt,  soweit 
es  durch  die  Röntgenuntersuchung  bereichert  ^vurde,  selbst  die 
Lokalisation  von  Fremdkörpern  im  Schädel  und  Wirbelkanal.  Kurz, 
Fürnohr  hat  mit  großem  Fleiße  und  bewundernswerter  Ge¬ 
wissenhaftigkeit  alles  Einschlägige  gesammelt  und  in  schöner  Dar¬ 
stellung  wiedergegeben.  Alit  Recht  bemerkt  Oppenheim  in  dem 
vorangeschickten  Vorworte  :  „Man  wird  Fürnohr  die  Anerkennung 
nicht  versagen,  daß  er  seiner  Aufgabe  Herr  geworden  ist  und 
in  der  mit  vielem  Fleiße  und  Sachkenntnis  geschaffenen  Alono- 
graphie  etwas  Nützliches  und  Wertvolles  bietet.“  Nur  zwei  kleine 
Ausstellungen  seien  mir  gestattet:  in  der  Diagnose  der  Hirn¬ 
tumoren  und  tabischen  Wirbelsäuleveränderungen  hätte  strengere 
Kritik  Platz  greifen  sollen;  und  zweitens  hätte  das  Buch  an 
Uebersichtlichkeit  Avomöglich  noch  gewonnen,  wenn  vom  Kleiu- 
drucke  ausgiebigerer  Gebrauch  gemacht  worden  wäre.  Das  an¬ 
gefügte  große  Literaturverzeichnis  Avird  vielen  willkommen  sein. 

* 

Knochensyphilis  im  Röntgenbild. 

Von  R.  Halm  und  Deycke. 

Hamburg  1907,  L.  Gräfe  &  Sille  m. 

Stellt  den  XIV.  Ergänzungsband  der  von  Albers-Schön¬ 
berg  herausgegebenen  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Röntgenstrahlen  dar.  Es  ist  ein  Atlas,  der  durch  die  aiißer- 
ordenilich  schönen  Reproduktionen,  84  Bildern  auf  zehn  Brom¬ 
silbergelatinetafeln,  großen  Wert  besitzt.  Alan  sieht  da  die  sel¬ 
tenen  und  typischen  KnocheiiA-eränderungen  durch  Lues  an  großem 
Materiale  dargestellt,  die  man  oft  aus  dem  bloßen  Anblicke  des 
Radiogramms  richtig  diagnostizieren  kann.  44  Textseiten  gehen 
die  notwendigen  Erläuterungen;  auch  sind  die  früheren  Arbeiten 
Amn  Hahn,  A.  Köhler,  Holzknecht  und  Kienböck  berück¬ 
sichtigt,  nur  auf  die  Syphilis  der  Kinder  ist  zu  AA’^enig  Gewicht 
gelegt.  Sehr  gut  ist,  daß  nur  solche  Fälle  benützt  Avurden,  bei 
denen  die  Diagnose  Syphilis  vollkommen  sicher  Avar.  Kein  Kliniker 
oder  pathologischer  Anatom  Avird  an  dem  neuen  Werke  achtlos 
vorübergehen. 

♦ 

Die  Röntgentherapie  nach  ihrem  heutigen  Stande. 

Vortrag  von  Ed.  Gottsclialk. 

Stuttgart  1907,  F.  Enke. 

Der  auf  Veranlassung  des  Landeskomitees  für  das  ärztliche 
Fortbildungswesen  in  AVürttemberg,  am  27.  Alärz  1907,  gehaltene 
Vortrag  Gottschalks,  gibt  einen  brauchbaren  üeberblick  über 
das  Thema.  —  35  Seiten.  —  Einige  Krankengeschichten  finden 
sich  ebenfalls  vor,  zuletzt  leider  die  haltlose  Bemerkung:  ,,Die 
Expositionszeit  soll  sich  jeAveilig  auf  6  bis  15  Minuten  beschränken; 
die  Expositionsfläche  soll  bei  der  Unzuverlässigkeit  der  Do- 
sierungsraittel  nie  sehr  groß  geAvählt  Averden.“ 

* 

Mitteilungen  aus  der  Wiener  Heilstätte  für  Lupuskranke. 

Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Ed.  Lang. 

1.  Folge.  Mit  38  Abbildungen. 

Wien  1907,  J.  Safäf. 

Enlliält  vor  allem  A.  Jungmanns  Bericht  über  die 
in  der  Anstalt  im  Jahre  1905  geleistete  Arbeit.  Die  Arbeit  Avar 
dank  dem  großen  Alateriale  und  der  Hingabe  der  Aerzte  sehr 
groß,  der  Bericht  ist  mit  großer  Sorgfalt  abgefaßt.  Zu  den  bisher 
operierten  240  Fällen  von  Lupus  sind  53  neue  gekommen,  deren 
Krankengeschichte  mitgeteilt  AAÜrd.  Von  197  dauernd  beobachteten 
früheren  Fällen  sind  173  rezidivfrei  geblieben.  Hierauf  folgt  der 
Bericht  über  148  nach  Fi n sen  behandelte  Lupusfälle,  Avobei 
Jungmanns  automatische  Drucklinsen  in  Verwendung  kamen. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  773 


Zinn  ScliliisR'O  sind  die  inif  Rönlsonstrahlon  und  Radiani  go- 
inaclileii  Kifahniiigeii  erwäfiiil,  uiit  Reigabe  einer  Ablvildimg  von 
Jung  man  ns  „Ililngeslaliv“  für  die  Röntgenröhre.  102  Seilen. 

* 

Archives  of  the  Roentgen  Ray. 

Nr.  77—82  (Dec.  1906  —  May  1907), 

Edited  by  Cl.  A,  Wright  and  W.  Heaiie  Butcher. 

London  and  New  York,  Rebman. 

Stanley  Green  findet  die  Röntgenuntersuclmng  für  die 
Friilitliagnoso  der  Lungen luberkulose  wertvoll  und  gibt  Radio- 
gramme  bei  sie  sind  ohne  die  heute  bekannten  Kunstgriffe 
bergestellt.  Er  legt  atif  das  Williams  sehe  Symptom  der  ein- 
seilig  verminderten  Zwergfellbewegting  und  die  mangelnde  Spit^en- 
aufbellung  beim  Inspirium  Gewicht,  beschreibt  die  Yerdunk- 
lungsherde  durch  Infiltrate,  den  Schatten  des  Pleuraergusses  und 
das  Verhalten  der  Lunge  oherhalh,  endlich  den  Verlauf  der  Er¬ 
krankung  bei  fortgesetzten  Untersuchungen. 

Hall  Edwards  teilt  seine  günstigen  Erfahrungen  über 
Lupusbehandlung  mit  Röntgenstrablen  und  Kombination  mehrerer 
Verfahren  mit.  Schöne  Photographien  vor  und  nach  der  Be¬ 
handlung. 

Rordi er  bestätigte  durch  Versuche  —  wie  auch  gar  nicht 
anders  zu  erwarten  war  —  die  alte  Erfahrung,  daß  ein  Dosi¬ 
meter  (Baryuniplatincyanür)  sich  um  so  schneller  färbt,  je  rascher 
im  Primärslrom  die  Unterbrechungen,  also  auch  im  Sekundärstrora 
die  Röntgenlichtschläge  aufeinanderfolgen  u.  zw.  waren  die  für 
eine  hestimmte  Dose  erforderliche  Expositionszeit  und  die  Unter¬ 
brechungszeit  genau  im  arithmetischen  Verhältnisse  verkehrt  pro- 
porlioniert;  bei  500  Unterbrechungen  in  der  Sekunde  betrug  z.  B. 
die  Expositionszeit  20  Minuten,  bei  1000  Unterbrechungen  zehn 
Minuten.  Es  erklärt  sich  diese  Exaktheit  durch  Verwendung  eines 
guten  Quecksilberunterbrechers.  Würden  bei  langsamen  Unter¬ 
brechungen  stärkere  Röntgenlichtemissionen  erfolgen,  als  bei 
schnellen,  so  wäre  das  Verhältnis  ein  anderes. 

Derselhe  Forscher  prüfte  auch  die  von  Freund  mit  dem 
Jodometer  und  vom  Referenten  mit  dem  Quanlimeter  unter¬ 
suchten  Strahlungsregionen  der  Röhre  mit  seinem  Radiometer 
nach  und  kam  ebenfalls  zum  Resultate,  daß  das  Optimum  der 
Strahlung  nicht  gerade  unter  der  Röhre,  sondern  mehr  kathoden- 
wärls  liegt.  Älit  Recht  wird  daher  die  gebräuchliche  Position 
der  Radiometerträger  beanständet. 

Haret  hat  einen  neuen  radir^ogischen  Operationstisch  kon- 
stmiert. 

McK ulloch  findet  —  es  handelt  sich  um  eine  Frau  mit 
tuberkulösen  Lymphomen  — ,  daß  durch  Röntgenbestrahlung  die 
Schutzkraft  (Opsonic  index)  gegen  Tuherkelbazillen  auf  den  nor¬ 
malen  AVert  gehraebt  werden  kann. 

Laquerriere  hat  von  einem  Kollegen  folgende  Mittei¬ 
lung  erhalten,  welche  beweist,  daß  —  wie  erwartet  —  die  radio- 
chemische  Sterilität  des  Mannes  transitorisch  sei  n 
kann. 

Ein  32jähriger  Arzt  hat  seit  sechs  Jahren  (seit  1900)  im 
Röntgenlaboratorium  gearbeitet  und  sich  täglich  etwa  eine  Stunde 
(ausnahmsweise  bei  Experimenten  sieben  Stunden)  dem  nahen 
Röntgenlicht  ausgesetzt.  Ein  Jahr  darauf,  als  seine  klaitresse 
nicht  mehr  schwanger  wurde,  sah  er  ein,  daß  seine  Befruchtungs¬ 
fähigkeit  geschwunden  war.  In  der  Tat  wurde  das  Frauenzimmer 
später  durch  einen  anderen  Mann  schwanger.  1903  heiratete 
der  Arzt,  er  setzte  seine  radiologische  Tätigkeit  fort,  von  1905 
an  mit  —  allerdings  wenig  gewissenhaftem  —  Gebrauch  von 
ScliUtzvorrichtungen.  Im  September  1905  wurde  der  Same  unter¬ 
sucht,  es  fand  sich  Oligonekrospermie,  die  Lihido  sexualis  war  nicht 
herahgesetzt.  Nun  begann  der  Arzt  regelmäßig  Bismutkautschuk¬ 
schürzen  zu  tragen;  drei  Monate  s])äter  enthielt  das  Sperma 
wieder  ziemlich  reichlich  lehende  Spermatozoen  und  die  Frau 
wui'de  Ende  Januar  190G  'schwanger.  Der  Fall  ist  dem  Lapow- 
skis  ähnlich. 

Frau  Dr.  A.  F.  Sa  will  gibt  einen  ausführlichen  Be¬ 
richt  über  36  radiolherapeutisch  behandelte  Fälle  von 

II  e  r  p  e  s  tonsurans.  Sie  veiwende te  d as  S  a  1)  o  1 1  r  a  u  d- 
Noireische  Dosimeter  und  fand  es  sehr  verläßlich;  nie¬ 
mals  zeigte  sich  Idiosynkrasie  des  Patienten.  Die  Haan.' 

fielen  prompt  nach  zii’ka  zwei  Wochen  aus.  Als  die  Haare  nach  I 


mehreren  Monaten  nachwuebsen,  war  die  Krankheit  geheilt  bis  auf 
fünf  Fälle  mit  Rezidive;  hier  war  aber  der  Kopf  nicht  vollkommen 
epiliert  worden.  In  neun  Fällen,  war  der  Nachwuchs  der  Haare 
spärlich  u.  zw.  weil  überexponiert  worden  war,  wahrscheinlich 
infolge  Annäherung  des  S.  N.  -  Scheibchens  auf  mehr  als  halbe 
F  oku  s  h  au  tdi  s  t  a  n  z . 

R.  Jones  und  D.  Morgan  bringen  einen  Bericht  mit 
schönen  Photographien  und  Radiogrammen  über  Knochenzyslen, 
Osteosarkome  Und  Chondrome. 

Jubb  bildet  einen  Fall  von  Perobrachius,  Flossenarm  ab; 
Bunting  eine  Doppelmißbildung.  Orton  geniert*  sich  nicht, 
das  Ratliogramm  eines  normalen  Kniegelenkes  zu  bringen,  mit 
den  häufigen  Sesamhen  in  Gaslroknemius  und  will  uns  heute 
(1907)  noch  einreden,  daß  es  sich  um  einen  freien  Körper  im 
Gelenke  handle.  Abbe  demonstriert  in  eleganten  Abbildungen, 
Avie  man  mit  Radium  einen  Gewehrlauf  mit  Patronen  darstellen 
Und  durch  einen  mehr  als  1  dm  starken  Granit  eine  mit  Blei¬ 
draht  geschriebene  Schrift  radiographieren  kann. 

* 

Archiv  für  physikalische  Medizin  und  medizinische 

Technik. 

Herausgegeben  von  Kraft  und  Wiesiier. 

2.  Band,  Heft  1  und  2  (Oktober  bis  Februar  1907). 

Leipzig,  0.  Nemnich. 

Rieder  schildert  die  von  ihm  erfundene  Technik  der 
Orthoröntgenographie  des  Herzens,  die  also  als  weitere 
Vervollkommnung  zur  Orthodiaskopie  tritt  und  einwandfreie 
Resultate  gibt.  Schöne  Radiogramme  sind  auf  Tafeln  beigefügt. 
Auch  wird  so  der  Einfluß  der  Körperlage  und  Respirationsphase 
auf  Lage  von  Zwerchfell  und  Herz  studiert. 

'  Grashey  mach  tauf  einige  radiodiagnostische  Fehldiagnosen 
aufmerksam,  so  bei  Klavikulafrakturen,  Blasenaufnahmen,  Kuie- 
aufnahmen,  avo  man  Ossifikationsherde  im  Bandapparate  sieht 
und  nicht  für  Steine,  bzw.  freie  Körper  halten  soll. 

Wichmann  hat  LupUs  mit  Radium  behandelt  und  dann 
mikroskopisch  untersucht;  in  oberen  Schichten  war  die  Affektion 
geschAA'Unden,  in  tieferen  aber  nicht,  entsprechend  der  ungünstigen 
Tiefenverteilung  des  Lichtes  im  GeAvebe. 

Gehldorf  hat  einige  Quellsedimente  auf  Radioak¬ 
tivität  Und  Emanation  geprüft,  von  Kreuznach,  Münster 
am  Stein,  Reichenhall,  Salzschlirf,  Kissingen,  Landeck  in  Schlesien, 
mit  bedeutendem  GeJialte:  bis  zu  4740  Volt  Potentialabfall  durch 
125  g  in  der  Stunde.  Joachimsthaler  Uranpecherz  gab  13.000  Volt 
Abfall. 

Hilde  brand  gibt  das  Reshltat  seiner  radiologischen  Unter- 
süchungen  Amn  Verengerungen  des  Oesophagus  bekannt,  'er 
.reproduziert  technisch  vollkommene  Radiogramme  des  mit  Wis¬ 
mutbrei  gefüllten  Oesophagus  bei  Karzinom,  Narbenstrikturen 
und  Spasmus. 

Boas  behandelt  die  Technik  des  Baues  der  Induktoren, 
die  eine  geAvisse  Größe  nicht  übertreffen  müssen  und  betont  die 
Wichtigkeit,  Primärströme  von  nicht  zu  hoher  Spannung  zu  Amr- 
Avenden. 

Sommer  gibt  Ratschläge  zur  physikalischen  Nachbehand¬ 
lung  von  Frakturen;  er  hat  eine  große  Anzahl  von  Radiogrammen 
in  Holzknechts  Institut  bearbeitet. 

* 

Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen. 

Herausgegeben  von  Albers-Schönberg. 

Bd.  X,  Heft  4  bis  6. 

Hamburg,  L.  Gräfe  &  Sille  m. 

M  a  1 1  h  i  a  s  und  Fett  is t  es  gelungen,  Gallenblase  n- 
konkremente  —  sie  Avaren  sebr  kalkreich  —  auf  der  radio¬ 
graphischen  Platte  zur  Darstellung  zu  bringen.  Die  Operation 
bestätigt  die  Diagnose. 

Rieder  hat  in  einem  interessanten  Falle  Darmstri.k- 
luren  mit  der  radiologischen  Wismutmethode  nachgewiesen  und 
durch  treffliche  Radiogramme ,  illustriert. 

Gottschalk  hebt  die  Möglichkeit  der  Frühdiagnose  der 
Knochen tuherkulose  durch  Röntgenstrablen  neuerdings  hervor. 

Weisflog  bat  Enterolithen  im  Processus  vermiforiuis  nach¬ 
gewiesen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


'  i 


De  lke.sk  a  mp  crfursclit  das  Yerliallen  der  Knorhemirterien 
l)(‘i  Erkrankungen  und  Frakliiren  an  in.jizierlen  Pr<äparaton. 

Scliii'f:  Vortrag  auf  dom  III.  inUumationalen  Kongresse 
für  Eleklrobiologie  und  medizinische  Radiologie  in  Mailand, 
5.  l»is  i).  September  1906,  behandelt  die  l{adiotherapio  des  E[)i- 
Ihelioms,  die  Erfolge  sind  nach  eigenem  Materiale  und  enormer 
Kasuistik  geschildert. 

Seblayor  bebandell  die  ebronisebe  \Virb(dsäuIenankylosc 
vom  klinischen  und.  radiologischeii  Standpunkte  an  lebendem  Ma- 
leiiale  und  an  Präiuiraten.  Von  Interesse  ist  die  sich  dabei  ent¬ 
wickelnde  Knochenatropbie. 

Sjögren  schildert  Fälle  von  Oesophagusdilatation,  die  topo- 
grapbi.schen  Vci'hä II nis.se  lassen  sich  mit  der  Wismntmolhode 
genau  nachweisen.  ■ 

Lu  dl  off  diagnostiziert  radiologisch  eine  Reihe  von  Kreuz- 
beinfrakt'uren. 

Deycke  verfolgt  im  Radiogramme  die  Knochenverändc- 
jungen  bei  Leijra. 

Driiner  bringt  eine  lange  Abhandlung  über  stereoskopische 
Messung  in  der  Röntgentechnik. 

W.  Krause  studiert  die  Beziehungen  der  Halsrippe  zur 
Zervikodorsalskoliose  am  Lebenden,  Verhällnisise,  die  bisher  nur 
am  Präparate  erforscht  worden  waren. 

Schürmayer  prüft  die  Lage  der  Nieren  in  normalem 
und  pathologischem  Zustande  mittels  des  Radiogramnies  und 
kommt  zu  wertvollen  therapeutischen  Ergebnissen. 

* 

Die  Kathodenstrahlen. 

Von  Gt.  C.  Scliinidt. 

2.  Auflage. 

127  Seiten  mit  50  Abbildungen. 

Brauftschweig  1907,  F.  V  i  e  w  e  g  &  Sohn. 

ist  als  zweites  Heft  der  ,, Wissenschaft“,  Sammlung  natur¬ 
wissenschaftlicher  und  mathematischer  Monographien  erschienen. 
Eine  leichtverständliche  Abhandlung  für  Chemiker  und  Mediziner, 
mathematische  Entwicklungen  treten  in  den  Hintergrund.  Zum 
Schlüsse  des  dabei  streng  wissenschaftlichen  Werkes  wird  von  dem 
bekannten  Physiker  auseinandergesetzt,  wie  die  Eigenschaften  der 
Kathodenstrahlen  zu  dem  Begriff  des  Elektrons  geführt  haben. 
Ausstattung  und  Abbildungen  musterhaft. 

* 

Ueber  elektrische  Entladungen  im  luftverdünnten  Raum. 

Experiraentalvortrag  in  der  Naturwissenschaftlichen  Gesellschaft  der 
Stadt  Winterthur  von  Prof.  Dr.  E.  Sommer. 

München  1907,  0.  G  m  e  1  i  n. 

.  Sehr  leicht  gesebriebenes,  18  Seiten  starkes  Heftchen,  das 
uns  die  neuesten  Kenntnisse  über  das  G e  i  ßd  e  r  -  Licht,  die  Ka¬ 
thoden-  und  Kanalstiahlen  übermittelt. 

Der  Gummidruck. 

Von  Th.  Hofmeister. 

2.  Auflage. 

Halle  a.  S.  1907,  W.  Knapp. 

Der  Gummidruck  wird  bekanntlich  als  künstlerisches  Aus- 
diucksmittel  in  der  Photographie  verwendet.  Mit  diesem  Ver¬ 
fahren  wird  das  Bild  ,, nicht  kleinlich,  peinlirdi  genau“,  wie  es  sonst 
die  Photographie  bedingt,  sondern  ,,groß,  breit,  flott,  scharf  oder 
unscharf“,  wie  es  dem  Künstler  beliebt,  gebracht.  Für  medi¬ 
zinische  Zwecke  wird  der  Gummidruck  also  selten  geeignet  sein, 
da  es  hier  gewöhnlich  gei-ade  auf  möglichst  detaillierte  Wieder¬ 
gabe  ankommt.  Hofmeister  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht, 
nicht  die  große  Zahl  der  erfundeneji  Methoden,  sondern  bloß  die 
einfachste  und  beste  zu  schildern,  die  auch  er  am  meisten  ausübtr 

K  i  e  n  b  ö  c  k. 

Aus  versehiedetien  Zeitschriften. 

308.  Z  u  j-  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  u  n  d  D  i  a  g  n  o  s  e  der  Gelen  k  s- 
maus.  Von  Dr.  P.  Ewald,  Assistemzarzt  der  orthopädisch- 
chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Dr.  Vulpius  in  Heidelberg.  Ein 
18jäbriger  ki-äftiger  iMann,  der  früher  viel  Sport  betiieben  hatte, 
jetzt  aber  seit  zwei  Jahren  die  Bewegungsspiele  vernachlässigte. 


machte  eines  Tages  einen  ^Vettlauf  u.  zw.  „links  herum“,  so 
daß  also  bei  der  runden  Bahn  das  linke  Bein  dauernd  (due 
relativ  größere  Belastung  erfuhr.  Bei  einer  stärkeren  Anstren¬ 
gung  knickte  er  ])lötzlicb  mit  dem  tinken  Knie  ein  (kein  Fehliritl. 
keine  Verdrehung  des  Beines),  empfand  starken  Schmei'z  und 
konnte  nicht  mehr  auftreten.  Bald  Anschwellung,  welche  nach 
Ruhe  sclnvand;  es  blieb  jedoch  die  Unmöglichkeit,  das  Kui(‘ 
ganz  zu  strecken  und  über  einen  rechten  Winkel  hinaus  zu 
beugen.  Nach  vier  Wochen  kam  er  auf  die  Klinik.  IMan  fand 
an  der  Außenseite  des  linken  Kniegelenkes  eijien  erbsengroßen, 
äußerst  beweglichen,  glatten  Körper,  diagnostizierte  eine  Gelenks¬ 
maus,  schiiitt  darauf  ein  und  beförderte  den  freien  Gelenkskörper 
heraus.  Dem 'Aussehen  nach  stammte  das  Corpus  mobile  von 
einer  Geleidcsfläche,  wahrscheinlich  von  einem  Femurkondylus. 
Lagerung  auf  einer  Schiene.  Als  man  am  neunten  Tage  den 
Verband  abnahm,  bemerkte  man  zur  großen  Ueberraschung,  daß 
wieder  ein  solcher  freier,  ähtdichor  Geleidcskörijer  voi'handen  sei. 
Abermalige  Exzision.  Entlassung  des  Kranken  nach  weiteren 
14  Tagen.  Der  Fall  ist  in  zweifacher  Hinsicht  lehrreich.  Es . 
erfolgte  die  Absprengung  beim  angestrengten  Laufen,  bei  einer 
Potenzierung  der  noimalen  Funktion,  mithin  bei  einer  keines¬ 
wegs  schweren  Gewalteinwirkung  und  bei  einem  gesunden  Ge¬ 
lenke.  Die  rein  mechanische  Entstehung  des  Gclenkskörpers  ist 
auch  in  forensischer  Hijisicht  (Begutachtung  von  Fnfällen)  wichtig. 
Sodann  ist  das  multiple  Auftreten  von  Gelenkskörpern  zu  beachten 
Eine  Rönigenaufnahme  wäre  wohl  angezeigt  gewesen,  doch  lag 
bei  der  Klarheit  des  Falles  eine  solche  nicht  nahe;  immerhin 
wird  es  sich  empfehlen,  in  Hinkunft  stets  an  eine  solche  Multi- 
plizität  zu  denken.  Die  von  Bü dinger  in  neuerer  Zeit  für 
Gelenksmäuse  empfohlene  „große  Inzision“  möchte  Verf.  aber 
trotz  alledem  nicht  anraten.  —  (Deutsche  mediz.  AVochenschr. 

1907,  Nr.  18.)  E.  F, 

* 

309.  Zur  Frage  der  Wirkung  des  Digalens  (Digi¬ 
toxin  um  solubile  Cloetta)  auf  die  Blutversorgung 
des  ar mb  1  ü  tie r  he r  ze n s.  Von  J.  A.  Tsch  u  j  CAvsky, 
CharkoAv.  Bei  der  Würkung  des  Digalens  auf  die  Herztätigkeit 
müssen  drei  Pei’ioden  unterschieden  Averden.  Die  erste  Periode 
Avird  durch  folgende  Erscheinungen  charakterisiert.  Der  Tonus 
der  Amntrikelmuskulatur  Avird  geringer.  Systole  und  Diastole 
Averden  verstärkt,  so  daß  die  Gesamtamplitude  der  A^entrikei- 
kontraktion  doppelt  so  groß  oder  größer  wird.  Geringere  A^erlang- 
samung  der  Pulsfrequenz  bei  kleinen  Dosen  (1:6 — 7,000.000), 
Ptdsbeschleunigung  bei  mittleren  (l ;  3,500.000)  und  großen  Dosen 
(l :  1,000.000)  juit  rasch  vorübergehender  Pulsverlangsaniung  zu 
Beginn.  Die  erste  Periode,  AAmlche  am  ausgesprochensten  und  am 
längsten  andauernd  bei  Benützung  kleiner  Dosen  zutage  tritt, 
hat  soAvohl  für  <Iie  Blutversorgung  des  Herzens  selbst  als  auch 
für  die  des  Gesamtorganismus  die  größte  Bedeutung  und  kommt 
daher  vor  allem  am  Krankenbette  in  Betracht.  Die  zweite  Periode, 
Avelche  vor  allem  bei  AnAA^endung  mittlerer  und  großer  Dosen 
zutage  tritt,  erhält  ihr  Gepräge  dui’ch  allmäbliche  Tonuserhöhung 
der  Amntrikelmuskulatur,  die  erhöhte  Schnelligkeit  und  Dauer  der 
Systole  und  geringeres  Ausgeprägtsein  der  Diastole,  Avodurch  die 
Gesamtamplitude  der  Kannnerkontraktion  eine  A^erminderung  er¬ 
fährt,  ferner  Erhöhung  der  Schlagfrequenz.  Diese  Peiiode,  Avelche 
allerdings  auch  für  den  Therapeuten  dadurch  gewisse  Vorteile 
bieten  kann,  daß  durch  die  Amrstärkung  der  Systole  größere  peri- 
pherc  AViderstände  überAvunden  AA’erden  köjinen,  birgt  jedoch 
AA'ieder  große  Gefahren  in  sich  und  bildet  daher  die  äußerste 
Grenze  zAvischen  therapeutischer  und  toxischer  Wirkung.  Die 
dritte  Periode  entspricht  einer  bej’eits  halbtoxischen  AATrkung, 
tiitt  nur  bei  mittleren  und  großen  Dosen  ein  und  ist  durch  sehr 
starkes  Ueberwiegen  der  Systole  über  die  Diastole  charakterisiert. 
Die  Herztätigkeit  erhält  dadurch  einen  krampfartigen  Charakter; 
hie  und  da  tritt  Block  auf.  Die  Analyse  des  AVirkungsniechanismus 
des  Digalens  ergibt,  daß  soAvohl  der  Aluskelej'regungs-,  wie  auch 
der  Hemmungsapparat  des  Flerzens  in  Tätigkeit  gesetzt  Avird.  ln 
der  ersten  Periode  findet  eine  stärkere  Reizung  des  erregenden 
(Systolenverstärkung)  und  eine  mäßige  des  hemmenden  Apparates 
statt  (DiastolenAmi'stärkung  und  Ptdsverlangsamung  in  der  zAveiten 
Periode  zeigt  sieb  eine  noch  stärkere  Reizung  des  Erregungs¬ 
und  SchAvächung  des  Hemmungsapparates,  zugleich  aber  eine 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907, 


775 


direkte  Reizung  der  Herzmuskulatur  (Toiiusverstärkung).  In  der 
dritten  Reriode  iritl  die  Reizung  des  muskelerregenden  Ai)parales, 
SOU ie  der  Herzinuskulalur  selbst  ganz  in  den  Vordergrund  und  zu- 
gleich  eine  vollkommene  IJnlerdrückung  des  hemmenden  Apparates. 
Rezüglich  der  Rlutversorgung  de.s  Herzens  unter  dem  Einflüsse 
des  Digalens  niüsisen  auch  <lrei  Stadien  unterschieden  werden. 
Der  Koeffizient  der  Blutvrersorgimg  sinkt  zunächst  ein  wenig, 
steigt  dann  an,  um  allmählich  wieder  ahzusinken.  In  vielen 
Fällen,  besonders  hei  großen  Digalendosen,  kann  dieses  letzte 
Stadium  eine  Verlängerung  zeigen.  Die  Regünsligung  der  Blüh 
Versorgung  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Größe  der 
Digalendose  proportional  und  kann  die  Größe  des  das  Herz  durch- 
strömenden  Blutes  verdoppelt  werden.  Die  oben  beschriebenen 
\  eränderungen  der  Blutvcj-sorgung  sind  von  der  übrigen  Herz¬ 
tätigkeit  unabhängig  und  hängen  von  der  Einwirkung  des  Digalens 
auf  das  Gefäßsystem  des  Herzens  ab,  indem  die  Größe  der  Blutver- 
sorg'ung  eine  bunktion  der  größieren  oder  geringeren  Weite  der 
Herzgefäße  darstellt.  —  (Russkij  Wratsch  1907,  Nr.  9.) 

.1.  Sch. 

* 

310.  Ueber  den  vestibulären  S  y  mp  to  men  kom¬ 
plex.  Von  F.  Raymond.  Neben  dem  durch  Ohrensausen, 
Schwindel,  Erbrechen,  Glcichgowichlsslörungen  und  Nystagmus 
gekennzeichnelen  M  e  n  i  e  r  eschen  Symptomenkomplex  existiert 
auch  ein  veslibulärer  Symptomenkomplex;  während  ersterer  den 
Ausdruck  einer  Reizung  des  vestibulären  Apparates  darstellt,  ist 
letzterer  als  Ausdruck  einer  Paralyse  zu  betrachten.  Klinisch 
ist  der  vestibuläre  Symptomenkomplex  durch  das  Fehlen  der 
Orientierung  bezüglich  der  Veränderungen  der  Körperlage,  Gleich¬ 
gewichtsstörung  und  Fehlen  des  Drehschwindels  gekennzeichnet. 
Zum  Nachweis  bedient  man  sich  eines  Apparates,  welcher  aus 
einem  horizontalen,  um  eine  vertikale  Achse  drehbaren  Brett 
besteht.  Während  unter  normalen  Verhältnissen  bei  geschlossenen 
Augen  die  Drehungen  des  Apparates  und  deren  Richtung  deut¬ 
lich  wahrgenommen  werden  und  beim  Stillstand  der  Bewegung 
ein  Gefühl  der  Drehung  in  entgegengesetzter  Richtung  eintritl, 
nehmen  Patienten  mit  vestibulärem  Symptomenkomplex  bei  ge¬ 
schlossenen  Augen  weder  die  dem  Apparat  erteilten  Drehimgen 
wahr,  noch  tritt  bei  Stillstand  das  Gefühl  der  Drehung  in  ent- 
gegenge.setzler  Richtung  auf.  Bei  Drehung  des  Apparates  tritt 
nonnalerweise  auch  rotatorischer  Nystagmus  ein.  Das  Aus¬ 
bleiben  des  Nystagmus  hei  der  Rotation  läßt  auf  eine  vestibuläre 
Erkrankung  schließen,  welche  rechterseits  sitzt,  wenn  der  Ny¬ 
stagmus  beii  Drehungen  von  rechts  nach  links  ausbleibt  und 
linkerseits,  wenn  er  bei  Drehungen  von  links  nach  rechts  aus- 
bleibt.  Der  Vestibularapiiarat  dient  nicht  nur  zur  Wahrnehmung 
passiver  Bewegungen,  sondern  auch  aller  aktiven  Bewegungen 
heim  Heben,  Reiten  usw.  Das  Kleinhirn  fungiert  als  Zentral¬ 
station,  zu  welcher  alle  peripheren  Eindrücke,  die  im  Dienste  der 
Erhaltung  des  Gleichgewichtes  stehen,  gelangen.  Die  Febermitt- 
lung  zum  Kleinhirn  erfolgt  durch  den  Nervus  vestibularis,  so  daß 
Erkrankungen  dieses  Nervs  zu  Störungen  des  Gleichgewichtes 
führen  müssen.  Eine  weitere  Leistung  des  Nervus  vestibularis 
ist  die  Regulierung  der  Augenbewegungen  während  der  Drehung 
oder  der  Progression  des  Körpers.  Die  Leistung  der  Vestibular- 
nerven  steht  im  Dienste  des  Orientierungssinnes  imd  der  vesti¬ 
buläre  Symptomenkomplex  ist  der  klinische  Ausdruck  einer  Er¬ 
krankung  des  Labyrinths.  —  (Bull,  de  l’Acad.  de  Äled.  1907, 

Nr.  13.)  a.  e. 

* 

311.  Zur  Frage  der  Oe  s  o  i)  h  a  g  u  s  p  1  a  s  ti  k.  Voji  Doktor 
med.  IV.  Rohitzky.  ln  der  Literatur  sind  bisher  plastische 
Operationen  an  der  Speiseröhre  nur  bei  Oosopbagiiskai'zinomen 
berichtet,  v.  Hacker  hat  als  erster  nach  Resektion  eines 
Karzinoms  den  Defekt  der  Speiseröhre  durch  eine  Lai)penplastik 
aus  der  Halshaut  zu  decken  versucht,  indem  er  in  einem  ersten 
Operationsakt  aus  zwei  seitlichen  rechteckigen  Hautlappen  die 
bin  tore  Whind,  das  beißt  eine  hintere  Rinne  an  Stelle  des  Oeso- 
phagusdefektes  bildete;  in  einem  zweiten  Akte  durebtreunte  er  die 
seitliche  Basis  der  beiden  Hautlappen  und  stellte,  indem  er  die 
beiden  Hautlappen,  die  an  der  Innenfläche  mit  Epidermis  be¬ 
kleidet  sind,  vorne  zusammennäbte,  so  ein  vollständiges  Rohr  her. 
In  den  meisten  der  in  der  Literatur  erwähnten  Fällen  wurde 


auch  der  erkrankte  Kehlkopf  mitreseziert,  so  daß  die  klassische, 
ZAveiflügelige,  v.  Hacker  sc  he  Methode  nur  bei  fehlendem 
Kehlkopfe  mit  gutem  Erfolge  aiisgefübrt  wurde.  Eine  Oesophagus- 
plastik  bei  narbiger  Striklur  ist  bisher  in  der  Eiteiatur  nicht, 
berichtet.  Verf.  ist  es  nun  geglückt,  mit  gutem  Erfolge  eine 
Oesophagusplastik  bei  Narbenstenose  aiiszuführen.  Eine  dOjäbrige 
Frau  verätzte  sich  mit  Königswasser  Mundhöhle  und  Speiseiöbre, 
nach  vier  bis  fünf  Monaten  zeigten  sich  die  ersten  Symptome 
einer  Oesopliagusstriklur,  die  15  cm  hinter  der  Zahnreibe  begann; 
sie  wurde  erfolgreich  mit  systematischer  Bougierung  behandelt 
und  geheilt  entlassen.  Nach  drei  Jahren,  in  wereber  Zeit,  die 
Patientin  ohne  Behandlung  war,  kam  sie  wieder  in  das  Spital, 
wo  man  nun  eine  absolut  undiirchgängige  Striklur  konstatierte. 
Nach  vielen  vergeblichen  Versuchen,  per  os  und  per  gastrostomiam 
eine  feinste  Sonde  durch  den  Oesophagus  zu  führen,  entschloß  sich 
der  Autor  zu  einem  operativen  Eingriffe.  Die  Speiseröhre  wurde 
im  Halsteil  freigelegt,  von  oben  und  von  unten  Sonden  eingeführt 
und  der  impermeable  narbige  Oesophagusteil  —  zirka  6  cm  lang 

—  ISO  exzidiert,  daß  ein  schmaler  rückwärtiger  Streifen,  die 
beiden  ösophagotomisclien  Oeffnungen  verbindend,  stehen  blieb; 
nun  wurde  aus  der  Haut  des  Halses  ein  Lappen  mit  einem  Stiel 
nach  unten  Umschnitten  und  über  ein  durch  Faden  nach  oben  und 
unten  gesichertes  Drainrobr,  mit  der  Epidermis  nach  innen,  an 
das  obere  Oesophaguslumen  in  den  bestehenden  Rest  so  genäld., 
daß  ein  neues,  am  Stiel  noch  offenes  Rolir  gebildet  war;  in 
einem  zweiten  Operationsakte  wurde  die  Basis  des  Stieles  durch- 
trennt  und  nun  auch  die  untere  Oeffnung  vollständig  umsäumt, 
so  daß  die  Kontinuität  der  geschlossenen  Speiseröhre  vollkonuuen 
bergestellt  war.  Das  Drainrobr  wurde  am  20.  Tage  entfernt, 
nachdem  Pat.  schon  vorher  per  os  flüssige  Nahrung  erhielt. 
Pat.  befindet  sich  zirka  sieben  Monate  nach  der  Operation  voll¬ 
kommen  wohl,  kann  alles  genießen;  es  besieht  eine  im  Oesophogo- 
skop  sichtbare  leichte  Ausbuchtung  im  unteren  Ahsclmitte  des 
neuen  Rohres,  jedoch  kein  deutliches  Divertikel.  Verf.  glaubt,  daß 
der  Erfolg  vor  allem  darin  begründet  ist,  daß  während  der  opera¬ 
tiven  Behandlung  die  Speiseröhre  als  Leitrobr  für  Speisen  gänzlich 
ausgescbaltet  wurde,  und  hält  daher  die  Gastrostomie  für  einen 
normalen  Vorakt  jeder  plastischen  Operation  am  Oesophagus. 

—  (Archiv  für  klin.  Chirurgie  1907,  Bd.  82,  Heft  2.)  F.  H. 

* 

312.  T  h  0  r  a  X  s  c  h  ü  s  s  e  u  n  d  B  a  u  c  h  d  e  c  k  e  n  s  p  a  n  n  u  n  g. 
Von  0.  Hildebrand.  Es  ist  dem  Verfasser  wiederholt  aufge- 
fallen,  daß  l)ei  Thoraxverlctzungen  Bauchdeckenspannung  zu  sehen 
und  zu  fühlen  ist  und  daß,  sei  es  die  weitere  klinische  Beob¬ 
achtung,  sei  es  die  Operation,  resp.  die  Sektion,  jede  Beteiligung 
des  Abdomens  ausschließen  ließ.  Es  werden  vier  Fälle  von 
Schußverletzungen  des  Thorax  ausführlich  mitgeteilt,  hei  welchen 
ausgesprochene  Abdominalsymptome  vorhamlen  waren  (sfarrc! 
Kontraktur  der  Bauchmuskeln  oder  Schmerzen  an  umschriebemer 
Stelle),  ohne  jede  Spur  von  Abdominalverletzung.  Di'ei  Fälle 
waren  penetrierende  Schußverletzungen,  in  einem  war  die  Tborax- 
wand  nicht  einmal  vollständig  durchsetzt.  Die  Einschüsse  lagen 
alle  im  Bereiche  des  Thorax,  drei  in  Interkostalräumen,  einer 
hatte  eine  Rippe  gebrochen.  In  drei  Fällen  war  eine  exquisite, 
linksseitige  Spannung  der  Bauclimuskulatur  vorhanden,  während 
in  dem  vierten  ebenso  wie  in  dem  di'itbm  Falle  heftige  Schmerzen 
in  zirkumskripten  Partien  des  Abdomens  angegeben  wurden.  Bei 
anderen  Verletzungen  des  Thorax,  z.  B.  bei  Stichverletzungen, 
hat  Verf.  ähnliche  Erscheinungen  nicht  beobachtet.  Dies  wird 
damit  erklärt,  daß  bei  Schußverletziingen- vielfach  noch  eine  zweite 
Verletzung  der  Thoraxwand  vorhanden  ist  und  daß  die  Bauch¬ 
muskeln  von  der  unteren  Hälfte  der  Interkostalnerven  versorgt 
werden.  Es  können  also  im  Bereich  des  Thorax  Verletzungen 
von  Jnterkostalnerven  eintreten,  deren  nervöses  Ausbreitungs¬ 
gebiet  die  Bauchwand  ist.  In  den  vom  Verf.  mitgeteilten  vier 
Fällen  lagen  die  Verletzungen  der  Rückwand  des  riiorax  und 
eine  Veiielzung  der  Seitenwand  alle  im  Bereiche  der  unteren 
Hälfte  der  Rippen,  also  auch  der  unteren  Hälfte  der  Interkostal¬ 
nerven  mit  dem  Versorgungsgebiet  in  der  Rauchwand.  Durch 
Reizung  des  sensiblen  Nervenanteiles  eines  unteren  luterkostal¬ 
nerven  werden  Schmerzen  im  Abdomen,  resp.  wiial  Kontraktur 
der  Bauchmuskeln  ausgelöst.  Eine  Bauchdeckenspannung  in 
solchen  Fällen  zeigt  also  noch  keineswegs  eine  VMiJetzung  des 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


Alxloniens  an  nnd  gil)l.  auch  darum  noch  keine  Indikation  /air 
Laparotomie  ab.  —  (Berliner  klin.  Wochcnsclir.  1907,  Nr.  18.) 

E.  F. 

* 

313.  Ueber  das  Vorlialteii  des  arteriellen  Blut¬ 
druckes  bei  puerperaler  Eklampsie.  Von  H.  Vaquez. 
Es  ist  schon  seit  längerer  Zeit  bekannt,  daß  der  Puls  während  der 
■eklampliscben  Krampfanfälle  hart  Und  gespannt  ist,  daß  ferner 
Akzcnluation  des  II.  Aortentones  besteht  und  aus  diesen  Be¬ 
funden  der  Schluß  auf  eine  Veränderung  im  Zirkulationsapparat 
gezogen  werden  kann.  Es  ist  die  Blutdrucksteigerung  bei 
Eklampsie  ein  konstantes,  namentlich  unmittelbar  vor  den  An¬ 
fällen  stark  hervortretendes  Phänomen,  welches  wichtige  dia¬ 
gnostische  und  prognostische  Schlüsse  gestattet.  Die  Angabe, 
daß  während  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  nor- 
malorwerse  Blutdrucksteigerung  besteht,  ist  nicht  stichhältig;  eine 
Blutdrucksteigerung  ist  unter  physiologischen  Verhältnissen  nur 
während  des  Geburtsaktes,  am  stärksten  beim  Austreten  des 
Kopfes  nachweisbar  und  hängt  mit  der  gesteigerten  Muskelarbeit 
zusammen.  Sonst  ist  arteiielle  Hypertension  während  der 
Schwangei’schaft-  und  im  Wochenbette  ein  pathologisches  Phä¬ 
nomen,  welches  der  Eklampsie  zukommt.  Der  Beweis  des  Zu¬ 
sammenhanges  zwischen  arterieller  Drucksteigerung  und  Eklampsie 
wird  durch  die  sphygmomanometrische  Messung,  sowie  durch 
die  Untersuchung  des  Pulses,  der  Gefäße  und  des  Herzens  er 
bracht.  Die  Drucksteigerung  bei  Eklampsie  ist  nicht  nur  konstant, 
sondern  auch  oft  sehr  beträchtlich,  wobei  die  normalen  Werte  um 
10  bis  12  cm  überschritten  werden  können.  Blutdruck  und  Ge¬ 
fäße  zeigen  bei  Eklampsie  das  gleiche  Verhalten,  wie  bei  Blei¬ 
vergiftung  und  Morbus  Brightii.  Die  bloße  Palpation  des  Pulses 
ist  täuschend,  da  es  sich  meist  um  jugendliche  Individuen  mit 
dünner  Und  weicher  Radialis  handelt.  Während  des  Bestehens 
der  Hypertension  ist  der  zweite  Aortenton  in  gleicher  Weise  akzen¬ 
tuiert,  wie  bei  Saturnismus  und  Morbus  Brightii.  Die  Perkussion 
des  Herzens  ergibt  Vergrößerung  der  Herzdämpfung,  welche  zu¬ 
nächst  und  meist  ausschließilich  durch  Hypertrophie  des  linken 
Ventrikels  bedingt  ist,  häufig  ist  Galopprhythmus  vorhanden.  Die 
Blutdrucksteigerung  ist  nicht  eine  Folge  der  Konvulsionen,  sondern 
geht  deren  Auftreten  voraus  Und  erreicht  meist  unmittelbar  vor 
den  Anfällen  maximale  Werte.  Die  Hypertension  zeigt  entweder 
kurze  paroxys  tische  Steigerungen,  oder  hält  sich  durch  längere 
Zeit  auf  dem  Niveau,  während  ällmähliches  Absinken  zur  Norm 
auf  Heilungstendenz  hinweist.  Anhaltende  Blutdmcksteigerung 
nach  Ablauf  der  Konvulsionen  ist  prognostisch  bedenklich,  ist 
jedoch  der  Dmck  auf  15  bis  16  cm  gesunken,  so  ist  die  Gefahr 
vorüber,  wenn  nicht  vorher  schwere  Komplikationen,  wie  zum 
Beispiel  Hirnblutung,  aufgetreten  sind.  Die  Blutdruckmessung  ist 
für  die  Diagnose  der  Eklampsie  wichtiger,  als  die  Untersuchung 
des  Harns,  weil  eklamptische  Konvulsionen jzu  einer  Zeit  auftreten 
können,  wo  noch  kein  Eiweiß  im  Harn  nachweisbar  ist.  Eklampsie, 
Urämie  und  Saturnismus  zeigen  die  gleiche  Pathogenese.  Amau¬ 
rose  und  Hemianopsie  treten  bei  Eklampsie  auch  unabhängig  von 
Urämie  auf  und  sind  auf  Gefäßkrampf  zurückzuführen ;  auch 
Tetanie  Und  Delinen  der  Puerperae  sind  eklamptischer  Natur 
und  durch  Gefäßkrampf  bedingt.  Die  Hämorrhagien  bei  Eklampsie 
stehen  nicht  mit  Infektion  oder  Intoxikation,  soudera  mit  der 
raschen  und  hochgradigen  Steigerung  des  arteriellen  Blutdruckes 
in  Zusammenhang.  Die  schweren  Veränderungen  in  der  Leber 
bei  Eklampsie  sind  durch  die  Modifikationen  des  Organs  unter 
dem  Einflmsse  der  Gravidität  zu  erklären.  Außer  an  der  Leber, 
findet  man  an  den  Nieren,  dem  Gehirne  und  den  Meningen  häufig 
Veränderungen.  Die  pathologischen  Befunde  bei  Eklampsie  sind 
durchwegs  durch  die  Blutdrucksteigerung  zu  erklären.  Es  ist  aber 
nicht  richtig,  wie  dies  viele  Theorien  tun,  die  Eklampsie  auf 
die  verschiedenen  Organ  Veränderungen  zurückzuführen;  diese  sind 
nicht  Ursachen,  sondeiai  Folgen  der  Eklampsie,  hzw.  der  die  Patho¬ 
genese  hebe rrsch enden  Steigerung  dos  arteriellen  Blutdruckes.  Es 
können  trotz  schwerer  klinischer  Erscheinungen,  pathologische 
Veränderungen,  z.  B.  der  Nieren,  vollständig  fehlen.  Die  momen- 
lane  arterielle  Ischämie  erklärt  auch  die  schweren  parenchyma¬ 
tösen  Degenerationen  der  Ueber  Und  der  Niere,  welche  bei 
Eklampsie  gefunden  werden.  Die  Bluldrucksteigerung  ist  die  Folge 
eines  Gefäßkrampfes,  welcher  in  der  Regel  rasch  vorübergehl. 


Länger  anhaltender  Gefäßkrampf  führt  zu  schweren  Folgezu¬ 
ständen,  wie  HirnldutuTig,  akute  gelbe  Leberatrophie  und  Ne¬ 
phritis.  Bei  Frauen,  welche  an  Eklampsie  gelitten  haben,  findet 
man  nicht  selten  im  späteren  Leben  dauernde  Hypertension  und 
deieir  Folgezuslände.  Jedenfalls  beherrschen  die  Gefäßkrisen  und 
die  konsekutive  Blutdrucksteigerung  die  Pathogenese  der  Eklampsie 
und  es  sind  alle  anderen  Theorien  hinfällig.  —  (Sem.  med. 

1907,  Nr.  11.)  a.  e. 

* 

314.  (Aus  der  Provinzial-Hebammenlehranstalt  Breslau.)  Er¬ 

folge  bei  hoher  Zange.  Von  Dr.  C.  Riemann.  Die  Arbeit 
ist  ein  interessanter  Bericbt  über  100  ausgeführte  hohe  Zangen. 
Das  Gesamtresultat  derselben  ist  folgendes:  O^/o  Sterblichkeit  der 
Mütter;  16®/o  verlängertes  fieberhaftes  Wochenbett;  7°/o  mütter¬ 
liche  Verletzungen  schwereren  Grades;  31,  bzw.  22 Sterblich¬ 
keit  der  Kinder;  10%  kindliche  Verletzungen  schwereren  Grades. 
Zu  den  schwereren  Verletzungen  der  Mutter  gehören :  ein  Scheiden- 
dammrißi,  ein  bis  auf  den  Knochen  reichender  Scheidenriß,  ein 
tief  in  das  Parametrium  sich  erstreckender  Zervixrißi,  eine  Rekto¬ 
vaginalfistel,  eine  Peroneuslähmung,  eine  Blasenureterenscheiden- 
fisbel  Und  Peroneusparese ;  die  kindlichen  Verletzungen  schwereren 
Grrades  waren;  dreimal  eine  Plexuslähmung,  eine  Infraktion  des 
Scheitelbeines,  dreimal  eine  Impression  'des  Stirn-,  beziehungs¬ 
weise  Scheitelbeines,  zweimal  eine  Stirnfraktur,  ein  Kephalhäma- 
tom.  Sein  Urteil  über  den  Wert  der  hohen  Zange  faßt  Riemann 
in  folgendem  zusammen:  1.  Die  hohe  Zange  birgt  für  Mutter 
und  Kind  nicht  die  Gefahren,  daß  sie  inl  allgemeinen,  wie  be¬ 
sonders  bei  engen  Becken,  zu  verwerfen  ist.  2.  Die  Kindersterb¬ 
lichkeit  mit  31,  bzw.  22%,  die  mütterlichen  Verletzungen  in 
7%,  die  Verlängerung  des  Wochenbettes  in  16%  und  die  kind¬ 
lichen  Verletzungen  in  10%  der  Fälle  weisen  jedoch  darauf  hin, 
daß  die  hohe  Zange  nicht  ohne  strengste  Indikation,  d.  h.  ohne 
daß  für  Mutter  oder  Kind  eine  ernste  Gefahr  besteht,  angelegt 
werden  darf.  3.  Die  besten  Resultate  liefert  die  hohe  Zange : 
a)  bei  gut  figuriertem  Kopfe  und  frischem  Kinde,  d.  h.  wenn  die 
Indikation  von  der  Mutter  ausgeht.  In  solchen  Fällen  gelingt 
es,  bei  starken  Verengerungen  von  8  bis  SVr  ein  relativ  starke, 
lebensfrische  Kinder  zU  entwickeln;  b)  bei  Multiparen  mit 
9  bis  IOV2  cm.  4.  Die  Leistungsfähigkeit  der  hohen  Zange  nimmt 
mit  zunehmender  Beckenverengerung  ab.  Als  eigentlich  konkur¬ 
rierende  Operationen  kommen  nur  in  Betracht  die  Symphyseo- 
tomie  und  die  Pubiotomie.  Sein  Urteil  darüber  faßt  Riemann 
in  folgenden  Worten  zusammen:  ,,Habe  ich  die  Wahl  zwischen 
zwei  Operationen,  die  wie  die  Symphyseotomie  und  Pubiotomie 
5  bis  7%  Mütter  und  17  bis  19%  Kinder  zum  Opfer  fordern,  und 
der  hohen  Zange,  die  bei  einer  Mortalität  der  Mütter  gleich  0% 
nur  eine  um  ca.  4%  erhöhte  Sterblichkeit  der  Kinder  zur  Folge 
hat,  so  werde  ich  im  Interesse  der  Mutter  stets  dieses  zweite  Ent¬ 
bindungsverfahren  vorziehen.“  — ■  (Monatsschrift  für  G'eburtshilfe 
und  Gynäkologie,  Bd.  25,  H.  4.)  E.  V. 

♦ 

315.  (Aus  dem  syphilidologischen  Laboratorium  des  In¬ 
stituts  für  experimentelle  Medizin.)  Beobachtungen  über 
Bewegung  und  Agglutination  der  S p i r o c h a e t e  pal¬ 
lida.  Von  1).  K.  Sabolotny  und  P.  P.  Maslakovvetz.  (Vor¬ 
läufige  Mitteilung.)  Zur  Entnahme  des  Spirochäten  enthaltenden 
Materiales  bedienen  sich  die  Verfasser  eines  kleinen  Saugappa¬ 
rates.  Bei  diesem  Verfahren  erhalten  sie  weitaus  mehr  Spiro¬ 
chäten,  als  mittels  anderer  Verfahren.  Wird  derart  gewonnenes 
Material  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  versetzt,  so  kann 
man  die  Spirochäten  in  suspendiertem  Zustande  bis  zu  einer 
Woche  aufbewahren.  Ward  einer  derartigen  Spirochätenauf¬ 
schwemmung  Serum  von  Personen  zugesetzt,  die  schon  lange 
syphilitisch  sind,  so  läßt  sich  eine  sehr  charakteristische  Er¬ 
scheinung  beobachten  —  nämlich  ein  Zusammenkleben  oder  eine 
Agglutination  der  Spirochäten.  Die  Spirochäten  treten  zunächst 
mit  den  Enden  aneinander  und  bilden  sternförmige  Figuren. 
Die  weiteren  Stadien  bestehen  darin,  daß  aus  den  Sternen  Knäuel 
werden ;  die  zuletzt  angelagerten  Spirochäten  bewahren  zunächst 
noch  ihre  Bewegungsfähigkeit,  welche  allmählich  erlischt.  Die  Ge¬ 
samtdauer  der  Verklebung  beträgt  drei  bis  vier  Stunden.  Mittels 
Färbung  der  Präparate  läßt  sich  der  ganze  Vorgang  als  unzweifel¬ 
hafte  spezifische  Agglutination  der  Spirochäten  demonstrieren. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


777 


Bei  weiterer  Beobaehtung  der  Knäuel  sieht  man  einen  körnigen 
Zeifall  deiselben,  so  daß*  — ■  auch  nach  Färbung  —  die  einzelnen 
Spirochätenindividuen  immer  weniger  deutlich  werden.  Die  Ver¬ 
fasser  glauben,  daßi  der  Grund  der  schweren  Äutfindharkeit  der 
Spirochäten  hei  terliären  Luesformen  in  der  körnigen  Degeneration 
infolge  der  Serumwirkung  zu  suchen  ist.  Indem  weitere  Unter¬ 
suchungen  in  Aussicht  gestellt  werden,  wird  der  Meinung  Ilauni 
gegehen,  daß  die  Erscheinung  der  Spirochätenagglutination  eine 
wichtige  Stütze  für  das  Studium  der  Syphilisimmunität  bildet. 
—  (Bussky  Wratsch  1907,  Nr.  11.)  J.  Sch. 

* 

316.  Ueber  tuberkulöse  Sklerodermie.  Von  Milian. 
Die  Narben  nach  tuberkulösen  Hauterkrankungen  zeigen  verschie¬ 
dene  Form,  bekannt  sind  namentlich  die  keloidartigen  und  ge¬ 
strickten  Narben.  Eine  bisher  weniger  beachtete  Form  kann  man 
als  Sklerodermienarben  bezeichnen.  Man  findet  an  der  Mündung 
von  Knochenfisteln,  bei  veraltetem  Lupus  vulgaris  und  Lupus 
erythematosus  Hautstellen,  welche  die  Merkmale  der  typischen 
Sklerodermie  aufweisen.  Da  man  an  diesen  Stellen  noch  mani¬ 
feste  tuberkulöse  Herde  nachweisen  kann,  so  kann  man  eigent¬ 
lich  nicht  von  Narben  sprechen  Und  bezeichnet  den  Befund  rich¬ 
tiger  als  tuberkulöse  Sklerodermien.  Bei  Unterschenkelgeschwüren 
findet  man  in  der  Umgebung  öfter  das  für  Sklerodermie  »harak- 
teristische  Verhalten,  ebenso  auch  bei  den  nach  Unterschenkel- 
geschwüren  zurückbleibenden  Narben.  Man  faßt  diesen  Befund 
gewöhnlich  als  trophische  Störung  auf  und  bezeichnet  ihn  als 
„glossy  skin“.  Der  Verdacht,  daß  diese  varikösen  Geschwüre 
mit  „glossy  skin“  tuberkulösen  Ursprunges  sein  könnten,  wurde 
in  zwei  Fällen  durch  die  Ergebnisse  der  klinischen  Untersuchung 
und  durch  die  positive  Reaktion  der  Patienten  auf  Tuberkulin 
bestätigt.  Von  einem  derartigen  Geschwüre  wurde  ein  vom  Ge¬ 
schwürsrande  entnommenes  Stückchen  einem  Meerschweinchen 
subkutan  überimpft  und  das  anscheinend  vollständig  gesunde  Tier 
nach  vier  Monaten  getötet.  Es  fand  sich  das  Bild  einer  generali¬ 
sierten  sklerotischen  Tuberkulose  mit  beträchtlicher  harter  Schwel¬ 
lung  der  Lymphdrüsen,  Milz-  und  Lebertumor,  sowie  Tuberkel 
in  der  Lunge.  Aus  dieser  Beobachtung  geht  hervor,  daß  eine 
tuberkulöse  Sklerose  der  Haut  vorkommt  und  daß  die  mit  „glossy 
skin“  einhergehenden  varikösen  Geschwüre  in  Wirklichkeit  tuber¬ 
kulöse  Geschwüre  sind,  welche  die  sklerotisch- tuberkulöse  Varie¬ 
tät  der  Unterschenkelgeschwüre  repräsentiere]!.  —  (Bull,  et  Mein, 
de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1907,  Nr.  11.)  '  a.  e. 

* 

317.  (Aus  dem  Rockefeller-Institute  for  Vledical  Researcb.) 
Die  Sensibilität  ider  Abdoniinalorgane  und  die  Be¬ 
einflussung  ders  eiben  durch  Injektionen  von  Ko¬ 
kain.  Von  L.  Käst  und  S.  J.  Meitzer,  New -York.  Es  besteht 
ein  Widerspruch  darin,  daß  es  zweifellos  einen  intraabdominalen 
Schmerz  gibt,  der  bei  Peritonitis,  Appendizitis,  Darm-,  Gallen¬ 
blasen-  und  Nierenkoliken  etc.  in  die  Erscheinung  tritt,  während 
die  Chirurgen,  welche  so  viele  Laparotomien  ausführen,  seit  der 
Benützung  der  Schleichschen  Infiltrationsanästhesie  ohne  all¬ 
gemeine  Narkose  immer  wieder  behaupten,  daß  die  Eingeweide 
dabei  völlig  unempfindlich  seien.  Lennander  und  Bier  sagen, 
daß  man  die  Eingeweide  schneiden,  drücken,  brennen  könne, 
ohne  dem  Patienten  irgendeinen  Schmerz  zu  bereiten.  Magen, 
Darm,  Netz,  Mesenterium,  Milz,  Heber,  Gallenblase,  Niere,  Harn¬ 
blase,  Uterus  etc.  sind  nach  Le-nnander  ohne  jede  Empfin¬ 
dung  für  Schmerz  oder  andere  G-efühlseindrücke ;  nur  das  Peri¬ 
toneum  parietale  ist  schmerzempfindlich.  Die  meisten  Chirurgen 
glauben  auch,  daß  die  entzündeten  Organe  ebenfalls  keinen 
Schmerz  empfinden.  Das  Auftreten  von  intraäbdominalen  Schmer¬ 
zen  (ohne  Operation)  erklärt  Lennander  damit,  daßi  die 
Schmerzen  entweder  vom  Peritoneum,  parietale  oder  von  den 
Spinalnerven  der  hinteren  Bauchwand  (Lymphangitis  und  Lymph¬ 
adenitis,  welche  sich  gegen  die  rückwärtige  Bauchwand  fort¬ 
setzen),  vielleicht  auch  von  der  unteren  Fläche  des  Zwerchfelles 
heiTühren.  Die  Verfasser  führten  nur  Tierversuche  aus.  Bei 
narkotisierten  und  laparotomierten  Katzen  irnd  Hunden  zeigte 
der  gereizte  Magendarmkanal  (nach  dem  Erwachen  aus  der  Aether- 
naj'kose)  lebhafte  Schmerzempfindung.  Wurde  airer  zur  An¬ 
ästhesie  die  Sc  hie  ich  sehe  Miischung  angewandt,  so  schwand 
schon  kurze  Zeit  nach  der  Injektion  alle  Empfindlichkeit  des 


Darmes.  Auch  sehr  kräftige  faradische  Beize  blieben  nunmehr 
ohne  jede  Reaktion.  Nach  30  bis  40  ßlinuten  war  die  Em¬ 
pfindlichkeit  wiedergekehrt.  Das  Kokain  übt  also  selbst  in  einer 
geringen  Menge  nicht  nur  einen  lokalen,  sondern  auch  einen 
allgemein  anästhesierenden  Einfluß  aus.  Die  anästhesierende  Wir¬ 
kung  auf  die  Eingeweide  trat  auch  dann  auf,  wenn  das  Kokain 
in  die  Vorder-  oder  Hinterbeine,  in  die  Brustmuskeln  etc.  injiziert 
wurde.  Eine  etwas  größere  Dosis  von  Kokain,  z.  B.  003,  hob 
alle  Empfindlichkeit  auch  an  entzündeten  Organen  auf  und  auch 
das  parietale  Peritoneum  verlor  danach  jede  Empfindung-.  Die 
Verfasser  resümieren:  Die  derzeit  herrischende  Anschauung,  ge¬ 
gründet  auf  exakte  chirurgische  Beobachtungen,  ist  die,  daß  die 
Bauebeingeweide  sowohl  im  normalen  als  auch  entzündeten  Zu- 
stiiade  keiner  Sebmerzempfindung  fähig  sind.  Wir  haben  am  Tier¬ 
experimente  gefunden,  daß  die  Empfindlichkeit  für  Schmerzeiu- 
diücko  vorhanden  ist  in  normalen  Organen  und  daß  dieselbe 
beträchtlich  erhöht  ist  in  entzündeten  Organen.  Wir  haben  weiter 
gefunden,  daß  eine  subkutane  oder  intramuskuläre  Injektion  einer 
relativ  kleinen  Dosis  von  Kokain  imstande  ist,  die  Empfindlich¬ 
keit  in  normalen  wie  in  entzündeten  Organen  vollständig  auf¬ 
zuheben.  Wir  gelangen  deshalb  zur  Annahme,  daß  die  Anästhesie 
der  inneren  Bauchorgane,  wie  sie  von  den  Chirurgen  festgestellt 
wurde,  in  dem  Hebrauche  von  Kokain  ihre  Erklärung  findet. 
Wir  haben  schließlich  gefunden,  daß  die  Injektion  einer  geringen 
Kokainmenge  auf  den  Erregungszustand  des  narkotisierten  und 
operierten  Tieres  eine  beruhigende  Wirkung  ausübt.  Es  ist  ein- 
leucbtend,  daß  die  beiden,  die  Kokainwirkung  betreffenden  neuen 
Tatsachen  auch  für  die  praktische  Medizin  von  Bedeutung  werden 
können.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  19.) 

E.  F. 

318.  E  r  f  a  h  r  u  n  g  e  n  ü  b  e  r  P  u  b  i  o  t  o  mi  e  .  Von  P.  B  a  u  ni  m. 
ln  einer  ausführlichen  Arbeit  berichtet  Bau  mm  über  seine  an 
zehn  Pubiotomien  gemachten  Erfahrungen.  Es  wurden  vier  Erst¬ 
gebärende  und  sechs  Mehrgebärende  operiert.  Siebenmal  Avurde 
das  Kind  mit  der  Zange  entwickelt,  dreimal  wurde  es  nach  der 
Operation  spontan  geboren,  ln  allen  Fällen  war  die  Indikation 
durch  ein  Mißverhältnis  zwischen  Kopf  und  Becken  gegeben, 
in  der  Hauptsache  handelte  es  sich  um  Becken  mit  einer  Con- 
jugata  diagonalis  von  8V2  bis  10  cm.  Von  den  zehn  Müttern 
ist  keine  gestorben.  Fünfmal  fanden  sich,  abgesehen  von  Damm¬ 
rissen,  keinerlei  Verletzung  der  Scheide,  während  fünfmal  starke 
Scheidenzerreißiungen  zu  konstatieren  waren  u.  zw.  dreimal  der¬ 
art,  daß  man  von  der  Scheide  aus  mit  zwei  Fingern  zwischen 
die  durebsägten  Knochenenden  gelangte;  eine  dieser  Verletzungen 
ereignete  sich  bei  spontanem  Geb urts verlaufe  nach  der  Ibrido- 
tomie.  Der  Wochenbettverlauf  war  in  keinem  Falle  tadellos.  Drei- 
n'ial  traten  vorübergehende  Temperatursteigerungen  auf,  in  den 
sieben  übrigen  Fällen  traten  sehr  unangenehme  Komplikationen 
ein;  besonders  bemerkenswert  ist  das  dreimalige  Vorkommen 
von  Sequesterbildung  an  den  durchsägten  Knochenenden.  Wie¬ 
wohl  es  in  keinem  einzigen  Falle  zu  einer  kallösen  V^ereiniguiig 
der  Knochen  kam,  konnte  man  doch  mit  der  wiedererlangten 
Gehfähigkeit  zufrieden  sein.  Die  Erfahrungen  lassen  das  Urteil 
Bau  mm s  dahin  lauten,  „daß  die  Pubiotomie  keine  leicht  zu 
nehmende  Operation  ist.  Die  Gefahren  sind  groß',  die  nach- 
folgienden  Komplikationen  sind  ernster  Natur,  sie  treten  sehr 
häufig  auf  und  sind  im  voraus  unberechenbar,  mag  man  es  an- 
. fangen,  wie  man  will.“  Da  die  Sectio  caesarea  lOO^/o  lebende 
Kinder,  die  Pubiotomie  nur  einige  80%  gibt,  während  die  Sterb¬ 
lichkeit  der  Mütter  bei  der  Pubiotomie  nur  wenig  geringer  ist, 
so  darf  man  nach  Bau  mm,  wenn  man  mit  einer  Schwangeren 
mit  zu  engem  Becken  die  beste  Entbindungsart  berät  und  diese 
Schwangere  bereit  ist,  im  Interesse  ihres  Kindes  ein  Risiko  für 
ihr  Leben  und  ihre  Gesundheit  einzugehen,  ihr  nur  ein  für  das 
Kind  absolut  sicheres  Verfahren  in  Vorschlag  bringen  und  das 
ist  nur  der  Kaiserschnitt.  Solange  die  Umstände  die  genügende 
Asepsis  für  die  Operation  garantieren,  hält  Bau  mm  auch  nach 
Beginn  der  Geburtstätigkeit  an  diesem  Grundsätze  fest.  Sind  die 
Chancen  für  den  konservativen  Kaiserschnitt  vorüber  und  handelt 
es  sich  darum,  die  Geburt  mit  Erhaltung '  des  Kindes  zu  be¬ 
schließen,  dann  bleibt,  wenn  die  üblichen  Methoden  versagen, 
nur  die  Pubiotomie  übrig.  Auch  künstliche  Frühgeburten,  sofer'-' 


778 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


sie  nicht  vor  dein  letzlon  Monat  eingeleitet  sind,  rechifertigen 
iin  Notfälle  die  Pubiotoinie,  weil  solche  Kinder  nach  der  Geburt 
mit  ziemlicher  Sicherheit  am  Leben  zu  erhalten  sind.  Für  falsch 
aber  hält  Bau  mm  die  Kombination  von  künstlicher  Frühgeburt 
und  Puhiolomie  als  methodisches  Entbindnng'sverfahren  bei  engem 
Becken  zu  empfehlen.  Daß  die  Fubiotomie  eine  Operation  für 
die  allgemeine  Praxis  ist,  glaubt  Baumm  aus  zwei  Gründen 
nicht:  1.  1st  die  Puhiotomie  noch  keineswegs  ein  nach  allen 
Seilen  hin  geklärtes  Verfahren.  Wir  stehen  noch  im  Sladium 
der  Versuche  und  Kontroversen.  Unsere  Erfahrungen  sind  hier 
noch  nicht  abgeschlo.ssen.  2.  Setzt  die  Indikalionsstelluiig  ein 
reiches  IMaß  von  geburtshilflicher  Erfahrung  und  gehurtshilflichem 
Feiugefühl  voraus,  wie  es  von  einem  nicht  s]iezialistiscli  aus¬ 
gebildeten  Geburtshelfer  kaum  zu  verlangen  ist.  —  (Monatsschrift 
für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  Bd.  25,  H.  4.)  E.  V. 

* 

319.  Ein  neues  tierisches  Heil  s  e  r  u  m  gegen  m  i  k  r  o- 
hische  Infektionen  heim  Älenschen.  Von  Professor 
B.  Deut  sch  mann  in  Hamburg.  Verf.  hat  durch  Einführung 
sUdgender  Dosen  von  Hefe  in  den  Tierkörper  und  durch  nach- 
herige  Entnahme  des  Blutes  von  solchen  Tieren  ein  Serum  ge¬ 
wonnen,  das  zunächst  für  Augenkrankheiten  infektiöser  Natur 
liestimmt  war.  Es  wurde  aber  auch  bei  anderen  Infektionskrank¬ 
heiten  versucht  und  erwies  sich  als  ein  hervorragendes  Unter¬ 
stützungsmittel  des  menschlichen  Organismus  im  Kampfe  gegen 
Pneumo-,  Stuphylo-,  Streptokokken,  resp.  deren  Toxine,  indem 
es  nicht  nur  das  Allgemeinbefinden  günstig  beeinflußte,'-  sondern 
auch  den  Krankheitsprozeß  abkürzte,  was  sich  durch  prompte 
Herabsetzung  der  Temperatur  um  zwei  bis  drei  Grad,  nach  einer 
einmaligen,  subkutan,  resp.  intermuskulär  verabreichten  Dosis  von 
2  bis  4  cnP  und  durch  die  schneller  eintretende  Krisis  und  Ab¬ 
heilung  der  entzündlichen  Prozesse  dokumentierte.  Das  Serum 
hat  sich  bei  Hunderten  von  Injektionen  als  absolut  unschädlich 
enviesen.  Auf  Ersuchen  des  Verfassers  hat  D.  Deneke  im  All¬ 
gemeinen  Krankenhause  zu  Hamburg  24  Fälle  von  kruppöser 
Pneumonie  mit  dem  Serum  hehandelt.  Drei  waren  bereits  mori¬ 
bund.  Von  den  übrigen  zeigte  die  Hälfte  als  Serumwirkung  ein 
Absinken  der  Temperatur,  gebessertes  Allgemeinbefinden.  Auf¬ 
fallend  war,  daß  am  vierten,  einmal  sogar  am  zweiten  Kra.nkheits- 
tage  ein  plötzlicher  kritischer  Abfall  nach  der  Injektion  eintrat, 
dem  schnelle  Genesung  folgte,  ln  der  zweiten  Hälfte  der  'Fälle 
zeigte  sich  zwar  auch  ein  Fieberahfall,  aber  nicht  mit  wesentlich 
geändertem  Krankheitsverlaufe.  Geschadet  hat  das  Serum  ]iie. 
Bei  Envachsenen  beträgt  die  Dosis  für  die  Injektion  3  bis  4  cm®, 
bei  Kindern  0-75  bis  1  cm®.  Die  Injektion  ist  zu  Aviederhplen, 
wenn  nach  spätestens  zwei  Tagen  ein  kritischer  Abfall  nicht 
eingetreten  ist.  Die  intramuskuläre  Einspritzung  Aviid  am  Ixvsten 
in  Brust  oder  Bauch  gemacht.  .Vueh  septische  oder  pyämische 
Infektionen,  soAvie  Eiysipel,  schwere  Influenza,  akute  Angina, 
(dgnen  sich  für  die  Serumhehandlung ;  zu  versuchen  ist  es  auch 
bei  Scharlach,  Masern,  Typhus,  hei  Furunkulose,  Akne,  Impetigo, 
Ekzemen.  Die  xVnwendungsweise  richtet  sich  hei  fiebernden 
Kranken  nach  der  Körpertemperatur  und  der  ScluA-ere  der 
Affeklion,  sonst  nach  dem  Grade  der  Erkrankung  und  nach  dem 
Uohensalter  der  Patienten.  Gegeben  Averden  Dosen  von  0-5,  1, 
U5,  2,  3  und  4  cm®,  zAvei  bis  dreimal  Avöchentli(di.  IDas  Serum 
kann  auch  in  doppelter  Dosis  per  rektum  durch  Klysma  verab¬ 
reicht  Averden.  Hervorragendes  leistet  das  Serum  bei  den  akuten 
und  chronischen,  besonders  eitrigen  Entzündungsprozessen  am 
Auge.  Verf.  teilt  einige  typische  Krankheitsfälle  mit.  Jede  andere 
Therapie  neben  der  speziellen  Serumbehandlung  Avar  ausge¬ 
schlossen;  das  Auge  Avar  nur  unter  leichtem  Verbände  gehalten. 
Schweje  Fälh'  von  Hypo]jyonkeralitis  gelangten  zu  schneller 
Heilung  mit  auffallend  geringer  Hornhauttrübung.  Verf.  empfiehlt 
cs  auch,  prophylaktisch  hei  üperationen  und  Verletzungen,  avo 
nur  der  geringste  Verdacht  auf  Infektion  besteht;  es  genügen 
hier  einmalige  Dosen  Amn  2  cm®.  Bei  schon  ausgehrochenem  Krank- 
heitsi)rozessc  muß  die  Dosis  eA^entuell  auf  3  bis  4  cm®  g(^steigert 
Averilen.  Bei  eingelretener  Besserung  ist  es  ratsam,  die  Injek- 
lioneu  in  größeren  Pausen  noch  fortzusetzen.  Auch  Irei  Tuber¬ 
kulose  Avurde  das  Seium  versucht;  in  einigen  Fällen  alter  chirur¬ 
gischer  Tulx'rkulosen,  bei  einer  schAveien  Blasentu  berkul  ose  erwies 
sich  dasselbe  als  ileilmiltel,  bei  anderen  Fällen  versagte  es.  Bei 


Lupus  Avirkte  es  günstig  auf  schnelle  Abstoßung  der  Borken.  Boi 
fiebernden  Phthisen  rät  Verf.,  mit  kleinen  Probedosen,  0-5  bis 
UOciii®  zu  beginnen.  Das  Serum  Avird  nacb  den  Aiigaben  des 
Verfassers  in  Hamburg  bergestcllt  und  in  Fläschchen  mil  2  cm® 
Inhalt  ahgegehen ;  der  Preis  dieser  Dosis  ist  Mk.  2-20.  —  (.Alüiich. 

mediz.  Wochenschrift  1907,  Nr.  19.)  ■  G. 

* 

320.  (Aus  dem  städtischen  Krankenhause  IMoahil  in  Berlin.) 

Escalin  (Aluminiumglyzerinpaste)  ein  Mittel  zur 
Stillung  von  M  a  g  en  d  a  r  in  h  1  u  t  u  n  ge  n  und  zur  Ver¬ 
schorfung,  von  IMagengeschAV  üren.  Von  Professor  Doktor 
G.  Klemperer.  Bei  Einnahme  von  Bismutum  subnitricum  kann 
man  auch  Vergiftungen  erleben.  Verf.  hat  eine  solche  Vergiftung 
mit  lehensgefährlichen  Symiptomeir  einmal  seihst  nach  Verab¬ 
folgung  von  10  g  Wismut  in  AufschAvemmung  beobachtet.  Er 
suchte  also  .seit  Jahren  nach  einem  ungiftigen  Ersätze.  Diesen  , 
glaubt  er  im  feingepulAmrten  Aluminium  gefunden  zu  haben. 
Durch  Tieiwersuche  Avurde  dessen  \mllige  Ünschädlichkeit  und 
dessen  Wert  bei  begrenzter  Abrasio  der  Magenschleimbaut  vor¬ 
erst  dargetan.  Sodann  nabmen  gesunde  Menschen  schadlos  bis 
zu  20  g  auf  einmal.  Da  man  es  nicht  mit  Wasser  verrühren  kann, 
so  empfahl  sein  chemischer  Mitarbeiter  Dr.  Umber,  das  iVlumi- 
nium  mit  Glyzerin  im  Verhältnis  von  2:1  zu  Aau’reiben ;  das 
läßt  sich  leicht  und  ohne  Rückstand  mit  Wasser  zu  einer  Emul¬ 
sion  auf  schlemmen.  Man  verschreibe  das  Escalin,  so  Avurde  das 
Präparat  getauft,  in  Pastillen  ä  2-5  g.  Je  fünf  Pastillen  sind 
in  Stanniolhüllen  in  Glasröhrchen  Amrpackt.  Man  Avirft  vier  Pa¬ 
stillen  in  ein  halbes  Glas  Wasser  und  verrührt  so  lange,  bis 
eine  ganz  gleichmaßiige  AufschAvemmung  entstanden  ist.  Diese 
trirdvt  der  Patient  auf  nüchternem  Magen.  Den  Rückstand  schlemmt 
man  nochmals  mit  Wasser  auf  und  läßt  auch  dies  trinken.  Danach 
soll  der  Patient  eine  bis  ZAAmi  Stunden  ohne  Nahrung  bleiben. 
Die  Erfolge  Avaren  gute.  Zwölf  Fällen  profuser  IMagenhlutungen 
AAUirden  je  10  g  Escalin  gegeben,  danach  den  ganzen  Tag  keine 
Nahrung,  allenfalls  schluckten  sie  kleine  Eiis, Stückchen.  Die  Kranken 
erhielten  in  sechsstündigen  Intervallen  je  300  cm®  Milch  per 
rectum  und  bei  bedroblicher  Anämie  subkutane  Kochsalzinfu- 
sionen.  Am  nächsten  Morgen  Avieder  10  g  Escalin  und  danach 
in  ein-  bis  zAveistündlichen  Pausen  je  100  g  gekühlter  Milch. 
Ebenso  am  dritten  und  vierten  Tage,  Avohei  am  Aderten  Tage 
sebon  mehrmals  aufgeAveichter  ZAAÜeback,  auch  Gelbei  zur  Milch 
zugesetzt  Avurde.  Vom  fünften  Tage  an  Kartoffelpüree,  dann  ge¬ 
mischte  Kost.  Alle  ZAvölf  Fälle  sind  ohne  Rezidiv  geheilt.  Her¬ 
vorheben  möchte  Verfasser,  daß  auch  der  Stuhl  danach  Amlt- 
konmien  hlutfrei  war  und  blieb,  naebdem  einmal  das  Aliuninium 
in  demselben  erschienen  Avar.  Weiters  kam  ein  Fall  von  scliAAmrer 
Darmlilutung  aus  einem  Duodenalgeschwüre,  auch  eine  starke 
Darmblutung  in  der  vierten  Woche  eines  Bauchtyphus  mit  Escalin 
zur  Heilung.  Ferner  Avurden‘17  Fälle  von  rundem  iVIagengeschAvür 
damit  behandelt.  Schon  vom  ersten  Tage  an  bekam  der  Kranke 
kleine  Gaben  eisgekühlter  Milch,  vom  dritten  Tage  Gelbei  und 
ZAviehack,  vom  fünften  Tage  geAviegtes  Fleisch.  Die  Kranken 
AVurden  bald  schmerzfrei  (Aluminiumschorf),  Blut  in  den  Stuhl¬ 
gängen  (bei  Beginn  der  Behandlung  nachweisbar)  wurde  am 
ersten  bis  zweiten  Tage  nach  dem  Wiedererscheinen  des  Alu¬ 
miniums  (der  Stuhlgang  bekommt  eine  silberfarbige  Beimischung) 
nicht  mehr  gefunden.  Escalin  scheint  also  die  Heilung  des  Ulcus 
zu  fördern.  Den  Säuregehalt  des  Magens  beeinflußt  das  Escalin 
nicht.  Auch  bei  chronischen  Diarrhöen  aus  DarmgescliAvüren, 
bei  Darmphthise  Und  beim  einfachen  chronischen  Darmkatari'h 
brachte  das  Escalin  rasche  Besserung,  resp.  Heilung.  Diese  Fälle 
sind  indes  noch  nicht  zahlreich  genug.  Empfehlen  kann  Verfassm’ 
das  Älittel  schon  jetzt  als  Heilmittel  für  Magen-  und  Darm- 
hlutungen,  in  zAveiter  Linie  als  Abkürzungsmittel  der  Kur  bei  der 
Heilung  von  JMagengescliAvüren.  —  (Die  Therapie  der  (.legenwart, 
Mai  1907.)  E.  F. 

* 

321.  (Aus  der  therapeutischen  Klinik  des  Prof.  A.  M.  LeAvin 
des  medizinischen  Institutes  für  Frauen  zu  St.  Petersburg.) 
Materialien  zur  funktionellen  Diagnostik.  Uelx'r 
die  Funktionsstörungen  des  Herzens  bei  fibrinöser 
Pneumonie.  Von  A.  S.  SzoloAvzowa.  Die  Verfasserin  hat 
bei  einer  Anzahl  von  Pneuiuoniefällen  (zwölf  Fälle  von  fibiinöser, 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WUCHENSCHRIFT.  1907. 


779 


ein  Fall  von  grippöser  Pneuinoiüo)  die  Funklionspriilung  des 
Herzens  nach  Katzen  stein  durchgeführt.  Die  Methode  besteht 
darin,  daßi  dem  Herzen  durch  Kompression  beidei’  Femoralarterien 
eine  erhöhte  Arbeitsleistung  zugemutet  wird.  Das  gesunde  Herz 
antwortet  aut  diese  erhöhte  Inans])ruchnalime  mit  verslärkter 
Arbeit,  die  nach  außen  hin  durch  Steigen  des  arteriellen  Druckes 
sinnfällig  wird.  Der  Puls  bleibt  liiebei  entweder  unverändert  od(U' 
seine  Frequenz  nimmt  ab.  Bei  hypertrophischem  Herzen  im 
Stadium  der  Kompensation  erhielt  Katzen  stein  Blutdruck¬ 
erhebungen  über  15  mm  Quecksilber  und  zugleich  Pulsverlang¬ 
samung.  Tritt  jedoch  nach  Kompression  der  Kruralarterien  ge¬ 
ringe  oder  keine  Blutdruckerhöhung  oder  gar  Senkung  des  Blut¬ 
druckes  ein  und  wird  dabei  der  Puls  frequenter,  so  ist  das  Herz 
je  nach  der  jeweiligen  Kombination  dieser  Erscheinungen,  die 
bei  Katzenstein  ausführlich  erörtert  werden,  in  minderem  oder 
höherem  Grade  funktionsuntüchtig.  Die  Verfasserin  kommt  nun  auf 
Grund  ihrer  sehr  genauen  klinischen  Beobachtungen  zu  folgenden 
Resultaten.  Das  Gift  der  fibrinösen  Pneumonie  hat  eine  ziemlich 
anhaltende  Wirkung  auf  den  Herzmuskel  u.  zw.  läßt  sich  mittels 
der  Ka  tz  en  steinschen  Methode  Funktionsuntüchtigkeit  des 
Herzens  noch  zu  einer  Zeit  nachweisen,  wo  sonstige  objektive 
vVnzeichen  hiefür  fehlen.  Die  stärkste  Schwächung  der  Herztätig¬ 
keit  bestellt  nicht  zur  Zeit  der  Krise,  sondern  zwei  bis  drei 
Tage  nach  derselben.  Bei  Grebrauch  von  Digitalis  —  selbst  zur 
Zeit  der  Krise  —  tritt  eine  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit 
des  Herzens  ein  u.  zw.  ist  diese  Besserung  der  Funktionstüchligkeit 
viel  dauerhafter  als  bei  Gebrauch  von  anderen  Hei'zmitteln,  dei'cn 
Wiikung  sehr  bald  nacli  dem  Aussetzen  wieder  abklingt.  Die  Ver¬ 
fasserin  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß  die  günstige  Wirkung 
der  Digitalis  außer  der  direkten  Wirkung  auf  den  Herzmuskel 
auch  darauf  berulil,  daß  der  bei  fibrinöser  Pneumonie  —  besonders 
zwei  bis  drei  Tage  nach  der  Krise  —  niedrige  Blutdruck  erböhl 
wird.  (Da  durch  die  interessanten  Untersuchungen  von 
.Tanowsky  (diese  Wochenschrift  1907,  Nr.  16)  der  Wert  der 
K  a  l  z  e  n s  t  ei n sehen  IMethode  in  Zweifel  gezogen  worden  ist,  so 
liegt  in  den  positiven  Resultaten  obiger  Aidieit  ein  Hinweis  darauf, 
über  die  K  a  tzens  t  einsche  Methode  derzeit  noch  nicht  ganz 
hinwegzugehen.  Bef.)  —  (Russkij  MTulsch  1907,  Nr.  7,  11,  12.' 

J.  Sch. 

* 

322.  U  e  b  e  r  d  i  e  B  e  r  e  c  h  t  i  g  u  n  g  e  i  n  e  r  a  k  t  i  V  e  r  e  11  R  i  c  h- 
tung  in  der  geburtshilflichen  Therapie.  Von  M.  11  of- 
nieier.  Hofmeicr  erörtert  die  Frage,  wieweit  sich  die  Geliurts- 
helfer  (in  erster  Linie  im  Interesse  des  Kindes)  einer  mehr 
aktiveren  Richtung  in  der  geburtshilflichen  Therapie  zuzuwenden 
haben.  Die  Frage,  ob  bei  Eklampsie  durch  ein  aktiv-chirurgisches 
Vorgehen  hessere  Resultate  wie  bisher  siidi  auch  für  die  Kinder  er¬ 
reichen  ließen,  läßt  Hofmeier  offen.  Ob  sich  bei  Fällen  von 
Nabelschnurumschlingungen  oder  von  Placenta  praevia  durch 
weitergehende  operative,  chirurgische  Eingriffe  wesentliche  Besse¬ 
rungen  erzielen  lassen  werden,  bezweifelt  Hofmeier  stark.  Nach 
seinen  Erfahrungen  bei  Placenta  praevia  glaubt  Hofmeier  be¬ 
stimmt,  daß  sich  unter  prinzipieller  Verwendung  der  kombinierten 
Wendung  und  unter  Zuhilfenahme  der  Metreuryse  in  einzelnen 
Fällen,  wo  das  Leben  des  Kindes  ernstlich  in  Frage  kommt, 
durchaus  befriedigende  und  genügende  Resultate  ohne  chirur¬ 
gische  Eingriffe  werden  erzielen  lassen.  Ob  man  bei  Becken¬ 
endlagen,  Querlagen  etc.  gelegentlich  einmal  durch  weitergehende 
chirurgische  Eingriffe:  Spaltung  des  Zervix,  Spaltung  des  Becken¬ 
bodens  etc.,  ein  stark  gefährdetes  Kind  eher  am  Leben  erhalten 
wird,  wird  im  Einzelfalle  zu  erwägen  sein.  Eine  sachgemäße 
Metreuryse  und  Kolpeuryse  wird  auch  hier  in  mancher  Beziehung 
die  Prognose  bessern  können.  Wenn  auch  ein  völliger  \  erzieht 
auf  die  künstliche  Frühgeburt  derzeit  Hofmeier  nicht  bej'ech- 
tigt  erscheint,  so  hofft  er  doch,  daßi  unter  Beschränkung  der  In¬ 
dikation  auf  nicht  zu  erhebliche  Verengerung  und  unter  Durch¬ 
führung  eines  aktiveren  Verfahrens  bei  der  Leitung  dieser  (;(e- 
burten  die  Resultate  für  die  Kinder  noch  erheblich  verbesserungs¬ 
fähig  sind.  Hofmeier  sieht  eine  mäßiige  Vermehrung  der  Quanti¬ 
tät  der  Operationen,  besonders  der  Zangenoperationen,  im  Inter¬ 
esse  des  Kindes  durchaus  für  berechtigt  an  und  hält  auch  eine 
gewisse  Verschieluing  in  der  Qualität  unter  kritischer  Berück¬ 
sichtigung  des  Einzelfalles  durchaus  für  angezeigt.  Den  Nutzen 


des  j'adikalen  Standpuidrtes  aber,  den  einzelne  Geburtshelfer  in 
dieser  Fruge  cinnehmen,  kann  Hofmeier  durchaus  nicht  für 
erwiesen  halten.  -  -  (Zeitschr.  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie, 
Rd.  59,  H.  2.)  _  E.  V. 

^/ermisehte  flaehriehten. 

Ernannt:  Der  a.  o.  Professor  Dr.  Alois  Lode  zum  ordent¬ 
lichen  Professor  der  Hygiene  in  Innsbruck.  —  Sanitätskonzipist 
Dr.  Richard  C  h  r  i  s  t  o  p  h  zum  Bezirksarzte  und  der  Sanitäts¬ 
assistent  Dr.  Emil  Brück  zum  Sanitätskozipisten  ^  für  Nieder¬ 
österreich.  —  In  Paris  :  Der  Professor  der  medizinischen  Pathologie 
Dr.  H  u  t  i  n  e  1  zum  Professor  der  Kinderheilkunde  und  Dr.  S e g o nd 
zum  Professor  der  chirurgischen  Klinik.  —  Dr.  Teissier  zum 

Professor  für  innere  Medizin  in  Lyon. 

* 

Dr.  Jaroslav  Hlava,  Professor  der  palhologischeu  Anatomie 

und  derzeit  Rektor  der  böhmischen  Universität  in  Prag  wurde  als 

lebenslängliches  Mitglied  ins  Herrenhaus  berufen. 

♦ 

Verliehen:  Dem  mit  dem  Titel  eines  außerordentlichen 
Universitätsprofessors  bekleideten  Privatdozenten  und  Primarärzte 
des  Kaiser  -  Franz  -  Joseph  -  Spitales  in  Krakau  Dr.  Alexander 
Bossowski  das  Ritterkreuz  des  Franz-Joseph-Ordens.  -  Dem 
Priv.-Doz.  für  innere  Medizin  und  Laryngologie  Dr.  Felix 
Klemperer  in  Berlin  der  Professortitel.  —  Dem  Priv.-Doz. 
für  Physiologie  Dr.  Oskar  Schulz  in  Erlangen  der  Professortitel. 
—  Den  Priv.-Doz.  Dr.  Gürber  (Physiologie),  Dr.  Rostoski 
(innere  Medizin)  und  Dr.  Burkhardt  (Chirurgie)  in  Würzburg 

der  Titel  und  Rang  eines  außerordentlichen  Professors. 

* 

Habilitiert:  Dr.  Ed.  A  1 1  a  r  d  für  innere  Medizin  in 
Greifswald. 

W  0  h  1  f  a  h  r  t  s  V  e  r  e i n  für  Hinterbliebene  d  e  r 
Aerzte  Niederösterreichs.  Der  Wohlfahrtsverein  hielt 
am  27.  April  unter  Vorsitz  seines  Obmannes  Herrn  Dr.  T  e'nnen- 
baum  im  Festsaale  des  Wiener  medizinischen  Doktorenkollegiums 
seine  diesjährige,  von  Aerzten  aus  ganz  Niederösterreich  stark 
besuchte  Generalversammlung  ab.  Es  wurden  unter  großer 
Akklamation  der  Mitglieder  Herr  Hofrat  Prof.  Ch.robak  wegen 
seiner  besonderen  Verdienste  um  die  Aerzteschaft  wie  um  den 
Verein  sowie  die  bekannte  Philanthropin  Frau  Marie  Thielen, 
die  dem  Vereine  neuerdings  unter  schmeichelhafter  Anerkennung 
seines  segensreichen  Wirkens  K  5000  gespendet  hat,  zu  Ehren¬ 
mitgliedern  ernannt.  Dem  Rechenschaftsberichte  des  Ausschusses 
ist  zu  entnehmen,  daß  im  Jahre  1906  an  die  Hinterbliebenen 
verstorbener  Mitglieder  K  14.000  und  in  den  wenigen  Jahren 
des  Bestandes  K  93.000  ausbezahlt  worden  sind  und  daß  der 
Verein  über  einen  Reservefonds  von  K  23.000  verfügt.  Dem 
Vereine  gehören  fast  alle  Professoren,  Dozenten  und  Primarärzte 
Wiens  und  890  Aerzte  als  Mitglieder  an.  In  den  Vorstand  wurden 
Dr.  Tennenbaum  (Obmann),  Prof.  Dr.  K.  A.  Herzfeld  und 
Dr.  J.  Weis  (Obmannstellvertreter),  Dr.  Seif  (Kassier)  und  die 
Herren  Dr.  Bergmann,  Dr.  F  r  i  e  d  I,  Dr.  Lang,  Doktor 

S  c  h  m  ar  d  a,  Dr.  F.  Steiner  und  Dr.  W  a  1  d  s  t  e  i  n  gewählt. 

* 

Der  soeben  erschienene  Geschäftsbericht  des  Deutschen 
Zentralkomitees  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose,  erstattet  vom 
Generalsekretär  Dr.  Nietn  er,  weist  für  das  abgelaufene  Jahr 
erfreuliche  Fortschritte  auf.  Danach  bestehen  zurzeit  in  Deutsch¬ 
land  87  Volksheilstätten  mit  8422  Betten  und  35  Privatheilstätten 
mit  2118  Betten,  eine  Anzahl,  welche  die  Gesamtheit  aller  in 
ganz  Europa  bestehenden  Volksheilstätten  übertrilft.  Im  Bau  sind 
weitere  11  Volksheilstätten,  mit  800  Betten.  Auch  die  Einrichtungen 
zur  Unterbringung  tuberkulöser  Kinder  haben  eine  Erweiterung 
erfahren ;  es  bestehen  an  Heilstätten  für  Kinder  mit  ausgesprochener 
Tuberkulose  17  Anstalten  mit  650  Betten  und  für  skrofulöse 
Kinder  67  Anstalten  mit  6092  Betten.  Als  besonders  erfreulich 
ist  die  schnelle  Entwicklung  der  Auskunfts-  und  Fürsorgestellen 
zu  bezeichnen.  Im  Laufe  weniger  Jahre  sind  117  derartige  Stellen, 
von  denen  31  von  Gemeinden  bestritten  werden,  errichtet,  in  der 
Mehrzahl  nach  dem  von  P  ü  1 1  e  r  &  K  a  y  s  e  r  1  i  n  g  für  Berlin 
organisierten  System.  Auch  die  Fürsorge  für  Schwei’kranke  ist 
im  stetigen  Fortschritt  begriffen.  Es  gibt  bis  jetzt  10  besondere 
Pflegeheime  und  zwei  weitere  sind  im  Bau.  Dazu  kommen  noch 
67  WLalderholungsstätten  und  zwei  ländliche  Kolonien.  Der 
Geschäftsbericht  des  Zentralkomitees  ist  für  Interessenten  unent¬ 
geltlich  beim  Generalsekretär,  Eichhornstraße  9,  zu  erhalten. 

* 

Am  14.  und  15.  September  1907  findet  in  der  neuen  Kunst¬ 
gewerbeschule  in  Dresden,  Eliasstraße,  die  erste  Jahres- 


780 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


versaiiiinluiig  der  Gesellschaft  Deutscher  iVerveii- 
ärzle  stall.  Programm.  I.  Eröffnung  und  Begrüßung  der  Ver¬ 
sammlung  am  Samslag,  den  14.  September  früh  9  Uhr  durch 
11.  Oppenheim-  Berlin.  II.  Referate ;  Chirurgische  Therapie  der 
Gehirnkrankheiten  mit  Ausschluß  der  Tumoren.  Bef.  F.  Krause- 
Berlin.  Die  Hirnpunklion.  Ref.  E.  Ne ißer- Stettin.  Chirurgische 
Behandlung  der  Rückenmarkshautgeschwülste.  Ref.:  L.  Bru}is- 
llannover.  Therapie  der  Erkrankungen  der  Cauda  equina.  Ref.: 
R.  Cassirer -Berlin.  Nachmittagssitzung  um  8V2  Uhr.  Fort¬ 
setzung  der  Referate  und  Diskussion  derselben.  III.  Vorträge: 
Nonne -Hamburg:  Differenliakliagnose  des  Tumor  cerebii. 

Scbüller- Wien:  Schädel-Röntgenographie  mit  Demonstrationen. 
Hartmann- Graz:  Beiträge  zur  Diagnostik  operabler  Hirneikran- 
kungen.  S ae  11  ge r- Hamburg:  Ueber  Herdsymptonie  bei  diffusen 
Himerkrankuirgen.  xV.  Pick -Prag:  Thema  Vorbehalten.  Drille 
Sitzung  am  15.  September  um  9V2  Uhr.  Aschaffenburg-Köln: 
Die  , Bedeutung  der  Angst  für  das  Zustandekommen  der  Zwangs¬ 
vorstellungen.  V.  Frankl -Hoch  wart- Wien:  Ueber  die  Diffe- 
rentialdiagnose  der  juvenilen  Blasenstörungen  und  über  das  spinale 
Blasenzentrum.  Kühne-Kottbus :  Die  kontinuierliche  Bezold- 
Edelmannsche  Tonreihe  als  Untersuchungsmethode  für  den 
Nervenarzt.  L.  R.  Älüller- Augsburg:  lieber  die  Empfindungen  in 
unseren  inneren  Organen.  K  o  bus  ta  m  m- Königstein  und 
Warnke- Berlin:  Demonstrationen  zur  physiologischen  Anatomie 
der  Medulla  oblongata.  Oppenheim-Berlin:  Allgemeines  und 
Spezielles  zur  Prognose  der  Nervenkrankheiten.  Veraguth- 
Zürich :  Die  Bedeutung  des  psycho-galvanischen  Reflexphänomens. 
E.  Müller-Breslau  (a.  G.):  lieber  die  Symptomatologie  der  mul¬ 
tiplen  Sklerose.  K.  Reic her-AVien  (a.  G.):  Kinematograpbie 
in  der  Neurologie. 

* 

Der  dritte  internationale  Kongreß,  für  Irrenpflege  findet  unter 
dem  Präsidium  des  Herrn  Hofrates  Prof.  Dr.  Obersteiner, 
vom  7.  bis  11.  Oktober  1908  in  AVien  statt.  Beitrittserklärungen 
zu  demselben,  sowie  Anmeldungen  von  A'^orträgen  wollen  bis 
spätestens  1.  Juli  1908  an  den  Generalsekretär  Priv.-Doz.  Doktor 
xAlexander  Pilcz  in  AVien  IX.,  Lazarettgasise  14,  eingeschickt 
werden,  welcher  auch  nähere  Auskünfte  zu  erteilen  bereit  ist. 

Das  genauere  Programm  wird  seinerzeit  verlautbart  werden. 

♦ 

Im  Jahre  1906,  dem  34.  seit  der  Eröffnung,  haben  im 
Leopoldstädter  Kinde  rspitale  in  AVien  14.001 
Kinder  ärztliche  Behandlung  gefunden.  Von  diesen  waren  nach 
dem  Ausweise  des  leitenden  Primararztes  Dr.  Passini  1189 
Spitalspfleglinge,  12.504  Ambulante  und  308  Impflinge.  An 
Diphtherie  waren  319  erkrankt  und  mit  Serum  behandelt  worden. 
Mortalität  7‘52'^'o. 

♦ 

Lehrbuch  der  Gynäkologie  von  Prof.  Max  Runge. 
Dritte  Auflage.  Verlag  von  J.  .  Springer,  Berlin.  Preis 
Mk.  10.  Die  vorliegende  Neuausgabe  dos  Lehrbuches,  dessen 
zweite  Auflage  in  dieser  AA^ochenschrift  (s.  Nr.  6,  Jahrgang  1904) 
eine  eingehende  Besprechung  erfahren  hat,  ist  wieder  einer  sorg¬ 
samen  Durcharbeitung  unterzogen  worden.  Ein  wesentliches  Ge¬ 
wicht  wurde  auf  die  Angabe  der  wichtigsten  Literaturquellen  ge¬ 
legt,  die  es  dem  Leser  ermöglichen,  über  einzelne  Kapitel  sich 
ausführlicher  zu  unterrichten. 

* 

Im  A'^erlage  von  F.  Enke  in  Stuttgart  ist  soeben  der  von 
Prof.  J.  Schwalbe  in  Berlin  herausgegebene  Jahrgang  1907 
des  Jahrbuches  der  praktischen  Medizin  er¬ 
schienen.  Preis  M.  13.  Der  vorliegende  Jahrgang,  von  dem 
hauptsächlich  dessen  frühzeitiges  Erscheinen  rühmend  hervor¬ 
zuheben  ist,  gibt  in  der  alten  bewährten  Gliederung  einen  voll¬ 
ständigen  kritischen  Ueberblick  über  die  Publikationen  des  ver¬ 
gangenen  Jahres.  Das  AVerk  macht  es  dadurch  auch  dem  be¬ 
schäftigten  Praktiker  möglich,  in  bequemer  AV eise  bezüglicb  aller 
Gebiete  der  praktischen  Medizin  sich  im  Laufenden  zu  erhalten. 

Aus  dem  Sanitätsbericht  der  Stadt  Wien  im 
erweiterten  Geraeindegebiet.  23.  Jahreswoche  (vom  2.  bis 
8.  Juni  1907).  Lebend  geboren,  ehelich  567,  unehelich  28t),  zu- 
sanunen  856.  Tot  geboren,  ehelich  51,  unehelich  24,  zusammen  75. 
Gesamtzahl  der  Todesfälle  646  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  ein¬ 
schließlich  der  Ortsfremden  17’0  Todesfälle),  an  Bauchtyphus  0, 
l'iecklyphus  0.  Blattern  0,  Masern  31,  Scharlach  2,  Keuchhusten  3, 
Diphtherie  und  Krupp  12,  Influenza  0,  Cholera  0,  Ruhr  0,  Rotlauf  3, 
Lungentuberkulose  132,  bösartige  Neubildungen  51,  Wochenbett- 

hoher  3.  Angezoipte  Infeklionskrankheiten:  An  Rotlauf24( _ 13),  Wochen- 

belificber  5  (-f  4),  Blattern  0  (- 5),  A'arizellen  56  (—  13),  Masern  436 
{  ■  127).  Scharlach  110  (—  11),  Flecktyphus  0  (0),  Bauchtyphus  7  (-f  3), 
I  nhr  0  (0),  Cholera  0  (0),  Diphtherie  und  Krupp  79  (-[-  19),  Keuch¬ 
husten  35  ( —  10),  Trachom  4  (-[-  2),  Influenza  0  (0),  Genickstarre  9  ( —  9). 


B'C  r  i  c  h  t  i  gu  n  g  :  lii  Nr.  24,  Seite  749,  ei-ste  S|)alle, 
36.  Zeile  von  unten,  soll  cs  ricblig  beißen:  Eine  Störung  dieses 
A'erhältnisses  ist  in  der  Regel  fatal. 


Freie  Stellen. 

Stadtarztesstelle  in  der  Stadt  Mistek  (Mähren).  Mit 
diesem  Posten  ist  ein  Jahresgehalt  von  K  2400  verbunden,  wofür  der 
Stadtarzt  sämtliche  sanitären  und  sanitätspolizeilichen  Agenden  nach  den 
bestehenden  Sanilätsgeselzen,  sowie  die  Agenden  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  ohne  weitere  besondere  Vergütung  zu  besorgen  hat.  Gewünscht 
wird  ein  jüngerer  Arzt  mit  Doktorat  der  gesamten  Heilkunde,  deutscher 
Nationalität,  welcher  auch  der  böhmischen  Sprache  mächtig  ist,  mit 
längerer  Spitalspraxis  und  tüchtigen  Kenntnissen  in  der  Chirurgie  und 
Geburtshilfe.  Die  Anstellung  erfolgt  auf  ein  Jahr  provisorisch  und  kann 
nach  dieser  Zeit  die  definitive  Anstellung,  womit  der  Anspruch  auf 
Pension  im  Sinne  der  Dienstpragmalik  der  Beamten  der  Stadt  verbunden 
ist,  erfolgen.  Gesuche  mit  genauem  Nachweis  über  den  Lebenslauf  unter 
Vorlage  des  Geburts-  oder  Taufscheines  sind  bis  längstens  30.  Juni  d.  J. 
an  das  Bürgermeisteramt  der  Stadt  Mistek  einzusenden,  das  auch  gerne 
bereit  ist,  etwaige  Anfragen  und  Auskünfte  ehetunlichst  zu  beantworten. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  11.  April  1907 
(siehe  Nr.  15  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  1907) 
für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
in  Empfang  genommen.  Nr.  2. 

Geschenke: 

a)  aus  dem  Nachlasse  des  Herrn  Dr.  Ed.  Fischer. 

Ables  W.,  Die  Arzneien  und  ihre  Heiltugenden.  Wien  1845.8“. 

Kehrer  F.  A.,  Lehrbuch  der  operativen  Geburtshülfe.  Stuttgart  1891.  8“. 
Langer  C.  v.,  Lehrbuch  der  systematischen  und  topograph.  Anatomie. 

Vierte  Auflage,  bearbeitet  von  Prof.  C.  Toldt.  Wien  1890.  8“. 
Lafaurie  A.,  Ueber  die  Unzulänglichkeit  der  bisherigen  Pemphigus-Dia- 
gno  e.  Würzburg  1856.  8“. 

Mühlibach  N.  Th.,  Der  Kropf.  AVien  1822.  8“. 

Purcell  J.,  Von  der  Kolik.  Deutsch  von  Dr.  Job.  Aug.  Gesner. 
Nördlingen  1775.  8®. 

Rosas  A.,  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.  Wien  1834.  8®. 

Troschel  M.,  Chirurgische  Verbandlehre.  Zwölf  Kupfertafeln  mit  Be¬ 
schreibung.  Fünfte  Auflage.  Berlin  1865.  8®. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nerven-  und 
Geisteski ankheilen.  Halle  a./S.  1896-1898.  5  Hefte. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Augenheil¬ 
kunde.  Halle  a./S.  1896—1898.  7  Hefte. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Frauenheil¬ 
kunde  und  Geburtshilfe.  Halle  a./S.  1896 — 1901.  9  Hefte. 
Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nasen-, 
Ohren-,  Mund-  und  Halskrankheiten.  Halle  a /S  1895  —  1898. 
Zeitschrift  der  Wundärzte  Oesterreichs.  Proßnitz  und  Wien.  1866 — 1868. 
4®.  3  Bände.  (Ergänzung.) 

Medizinisch-  chirurgisches  Zentralblatt.  Red.  v.  Ch,  L.  Praetoriu  s  etc. 
Wien  1870 — !895  4®.  (26  Bände)  Mil  Beilage  Mediz.-chirurgische 
Journal-Revue  1875 — 1889.  (15  Bände.)  (Ergänzung.) 

Transactions  of  the  American  surgical  Association.  Vol.  Ill,  IX, 
Philadelphia  1885,  1891.  (Ergänzung.) 

Casopis  Lekaruv  Ceskyeh.  V  Pra/ie  1882  — 1887;  6  Bände. 

Przeglad  Lekarski.  Krakow  1883—1887;  5  Bände.  (Ergänzung.) 

b)  Verschiedene  Geschenke: 

Finger  Ernest,  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  I  Teil. 

Die  Hautkrankheiten.  Leipzig  und  AVien  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Del  Castillo  R.,  Die  Augenheilkunde  der  Römerzeit.  Autorisierte  Ueber- 
setzung  aus  dem  Spanischen  von  Dr.  M.  Neuburger.  Leipzig 
und  AVien  1907.  8®.  Von  Herrn  Prof.  Neuburger. 

Jolles  Adolf,  Die  Fette  vom  physiologisch  -  chemischen  Standpunkte. 
Straßburg  1907.  8®.  Vom  Autor. 

Waller,  Medical  Dictionary  II.  Fourth  Edition,  improved  and  enlarged 
by  M.  White.  Leipzig  und  Wien  1907.  Von  Herrn  Dr.  Max  AVeiß. 
Glenard  H.,  Les  Ptoses  viscerales.  Paris  1899.  8®.  Von  Herrn  Privat¬ 
dozent  Dr.  Pauli. 

Williamson  R.  F.,  Diabetes  mellitus  and  its  treatment.  Edinburgh  und 
London  1898.  8®.  Von  Herrn  Privaldozent  Dr.  Pauli. 

Riant  A.,  Le  surmenage  inlellecluel  et  les  exercices  physiques.  Paris 
1889.  8®.  A'^on  Herrn  Dr.  Galatti. 

XV.  Jahresbericht  des  Vereines  Heilanstalt  Alland  für  das  Jahr  1906. 
Wien  1907.  8®.  Von  der  Direktion. 

Der  fünfunddreißigste  schlesische  Bädertag  und  seine  Verhandlungen. 
Bearbeitet  und  herausgegeben  vom  Vorsitzendvm  P.  Dengler. 
Rcinorz  1907.  8®.  Vom  schlesischen  Bädertag. 

Die  Gemeindeverwaltung  der  Stadt  Wien  im  Jahre  1905.  Bericht 
des  Bürgermeisters  Dr.  Lueger.  Wien  1907.  8®.  Vom  Bürger¬ 
meister  Dr.  Karl  Lueger. 

XVe  Congres  international  de  Medecine.  Lishonne  19 — 26  avril  1906. 
Section  :  VII.  Neurologie,  Psychiatrie  et  Anthropologie  criminelle. 
XI  Ophthalmologie,  XIII.  Obstötrique  el  Gynecologie.  XVII.  Medecine 
coloniale  et  navale.  Von  Herrn  Dr.  v.  Hovorka. 

Die  therapeutischen  Leistungen  des  Jahres  1906.  Bearbeitet  vom 
Herausgeber  Dr.  Pollatschek.  Wiesbaden  1907.  8®.  Vom  Heraus¬ 
geber. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


781 


Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 


Offizielles  Protokoll  «1er  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
Sitzung  vom  14.  Juni  1907. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde 

Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  6.  Juni  1907. 


INHALT: 


in  Wien, 
in  Wien. 


24.  Kongreß  für  innere 
18.  April  1907. 


Medizin  zu  Wiesbaden,  vom  15. 


bis 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  14.  Juni  1907. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Königstein. 

.Schriftführer:  Priv.-Doz.  Dr.  K.  Stejskal. 

Der  Präsident  der  Gesellschaft  Ilofrat  Chroliak  macht 
Mitteilung  von  dem  Ahlelien  des  ehemaligen,  langjährigen  Älit- 
gliedes  Dr.  Joachim  Freund  und  ersucht  die  Versammlung, 
sich  zum  Zeichen  der  Trauer  von  den  Sitzen  zn  erheben. 

Weiters  teilt  er  mit,  daß  der  Verwaltungsrat  der  Gesellschaft 
für  den  alle  drei  Jahre  zu  verleihendelm  Goldberger-Preis 
folgendes  Thema:  „Experimenteller  Beitrag'  zür  Frage  der  Deein- 
flussung  von  Organsystemen  und  Organfunktionen  nnlereinander, 
in  normalen  oder  pathologischen  Verhältnissen“,  .gestellt  hat, 

Professor  Dr.  Hermann  Schlesinger  demonstriert  einen 
Kranken  mit  Spondylitis  infectiosa  nach  Dengue- 
Fieber. 

Der  35jährige  Kranke  akquirierte  im  Oktober  v.  J.  in 
Aegypten  typisches  D  e  n  g  n  c  -  F  i  e  h  o  r.  Diese  in  wärmeren  Län¬ 
dern  heohachtete  Erkrankung  wird  auch  in  Europa  bis  zur  Höhe 
von  Konstantinopel  beobachtet.  Sie  ist  eiue,  wie  es  scheint,  sehr 
iiifektiö.se  Krankheit,  die  hauptsächlich  charakteris  isch  ist  durch 
jähen  Beginn,  heftige  Schmerzen,  namentlich  in  den  Grelenks- 
gCigenden  und  Steigerung  der  Schmerzen  bei  Bewegungen,  durch 
hohes  Fieber,  das  nach  einer  Remission  wieder  ansteigt  und  end¬ 
lich  durch  das  Auftreten  eines  Exanthems,  dem  eine  Schuppung 
nachfolgt,  Dio  Krankheit  endet  in  der  Regel  mit  Heitimg. 

Pat.  Irekam  nach  der  Dengue  eiive  schwere  Erkrankung 
fies  Zeniralncrvensystomes,  wahrscheinlich  eine  Eiizephalo-Myelo- 
meningitis  mit  Bewnßtlosigkcif,  Ilirim  rvenlähmungen,  Exlremi- 
tätenlähmungen,  Opisthotonns,  Nackensteifigkeit  etc.  Regierungs- 
rat  Dr.  v.  Becker  in  Kairo,  der  dem  Vortragenden  die  genaue 
Krankengeschichte  in  liebenswürdigster  Weise  ühcrmitteltc, 
schrieb,  daß  er  diese  Komplikation,  resp.  diesen  Folgezüstand 
des  Dengue-Fiebers  bereits  sechsmal  heol)achtet  habe. 

Nach  fast  dreiwöchiger  Bewußtlosigkeit  allmähliche  Besse¬ 
rung.  Die  Hirnncrvenerscheirmugen  verschwanden  allmählich,  je¬ 
doch  war  Gehen,  sogar  Stehen  ohne  Unlerstützimg  infolge  starker 
Schmerzen  ünmöglich. 

Als  Pat.  vor  sieben  AVochen  nach  Europa  kam,  wurde  vom 
Vor  Ir.  eine  auf  Druck  empfindliche  Kyphose  der  I^ondenwit'hel- 
säiile  gefunden,  die  sich  offenbar  erst  auf  der  Heise  ausgchildet 
hatte  und  jetzt  noch  sichtbar  ist.  Es  bestand  L’atellar-  und  rechts¬ 
seitiger  Fußklonns. 

Das  Fehlen  irgendwelcher  tuherkulöser  Veränderungen  in 
der  Lunge  und  am  übrigen  Körper,  die  Anamnese,  welche  das 
Fehlen  einer  hereditären  Belastung  oder  einer  auf  Tuherkiilose' 
suspekten  Erkrankung  ergab,  die  Entwicklung  des  Wirifelsäulcn- 
leidens  im  nnmittelharen  Anschlüsse  an  das  Dengue-Fieber,  ließ 
Vortr.  von  Anfang  an  an  Spondylitis  infectiosa  im  Sinne 
von  Qüinke  denken.  Der  weitere  Verlauf  spricht  für  die.se 
Annahme.  Es  trat  in  wenigen  Wochen  eine  außerordentliche 
Besserung  des  Zustandes  ein,  so  daß  Bat.  schon  allein  mehrere 
hundert  Schritte  gehen  kann. 

Eine,  diagnostische  Tuherknlininjektion  (l  mg)  ergab  nicht 
die  geringste  lokale  oder  allgemeine  Reaktion. 

Die  von  Priv.-Doz.  Dr.  Kienböck  vorgonominenen  Röntgen- 
nntersuchungen  zeigten  Snhluxationsslellung  eines  Wirbels,  lodiie 
Wirheldeslruktion,  aber  das  Vorhamtensein  einer  allmählich  kleiner 
werdenden  Älasse  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Ijcnden- 
wirhel. 

Mit  Ausnahme  des  wegen  Schmerzen  im  Kreuze  noch  etwas 
mühsamen  Ganges  ist  nirgendis  eine  motorische  oder  sensible 
Störung  nachweisbar. 

Spondylitis  mil  ähnlichem  Verlaufe  wurde  nach  verschie¬ 
denen  Infektionskrankheiten,  relaliv  am  häufigsten  nach  Typhus, 
lieohachtet.  Vortr.  hat  im  Vorjahre  hei  einem  Typhuskranken  eine 
Spondylitis  an  gleicher  Stelle  Ijeohachtet;  die  Wirhelerkrankung 
heilte  aus,  wie  dies  zumeist  hei  infektiöser  Spondylilis  der 
Fall  ist.  l 


Der  vorgestellte  Fall  scltciiit  der  e  rs  t  h  e  o  1)  ac  li¬ 
fe  te  einer  S p o n d y  1  i  t i s  i n  f e  c  t i o s a  n a c h  De n g u e-F i e  h e  r 
zu  sein. 

Iri'of.  V.  Zeißl:  Meine  Herren!  Vor  mehr  als  vier  Jahren,  am 
2G.  Februar  1903,  berichtete  ich  das  erstemal  in  der  Gesellschaft 
für  innere  Medizin  in  Wien  über  die  Wirkung  des  Atoxyls  (Met- 
arsensäureanilid)  als  Roborans.  Unter  den  Kranken,  über  welche 
ich  damals  referierte,  befand  sich  ein  Hörer  der  Philosophie,  der 
mit  einem  pustulösen  Syphilid  behaftet  war.  Da  der  Pat.  sehr 
abgemagert  und  hochgradig  blutarm  war,  verabreichte  ich  ihm 
genau  nach  Schilds  Angaben  zunächst  Atoxyl,  um  ihn  für 
eine  antisyphilitische  Kur  zu  kräftigen.  Unter  ausschließlicher 
Atoxylbehandlung  nahm  der  Pat.  in  drei  Wochen  um  4  kg  zu. 
Obwohl  dem  Kranken  in  dieser  Zeit  2'00  Atoxyl  eingespritzt 
worden  war,  sah  ich  keinen  deutlichen  Einfluß  auf  das  Syphilid. 
Ich  verabreichte  nun  durch  weitere  15  Tage  noch  1'40  Atoxyl 
und  ließ  täglich  3'00  graue  Salbe  einreiben  und  täglich  1’50  Jod- 
natriurn  einnehmen.  Unter  dieser  Atoxyl-Quecksilber-Jodbehand- 
lung  nahm  der  Kranke  noch  um  weitere  2  kg  zu  und  schwand 
der  syphilitische  Ausschlag  und  der  Primäraffekt.  Ich  ließ  noch 
weitere  vier  Wochen  1‘50  Jodnatrium  einnehmen  und  blieb  der 
erwähnte  Studiosus  Philosophiae  bisher  von  Erscheinungen  der 
Syphilis  frei. 

Obgleich  ich  seit  mehr  als  vier  Jahren  das  Atoxyl  an¬ 
wendete,  habe  ich  doch  noch  nicht  den  Mut,  ein  endgültiges 
Urteil  über  die  Einwirkung  desselben  auf  die  Syphiliserscheinungen 
zu  fällen.  Ich  bitte  mir  den  Ausdruck  zu  gestatten,  ich  habe  die 
Empfindung,  daß  die  Syphiliserscheinungen  deshalb  schwinden, 
weil  das  Atoxyl  den  Kräftezustand  der  Luetiker  hebt.  Es  in  seiner 
Wirkung  in  gleiche  Linie  mit  Quecksilber  und  Jod  zu  stellen, 
wage  ich  noch  nicht.  Auf  jeden  Fall  halte  ich  es  für  angezeigt, 
namentlich  bei  schwächlichen  Syphilitischen  Quecksilber  und  Jod 
nicht  allein  gebrauchen  zu  lassen,  sondern  daneben  auch  Atoxyl 
als  Roborans  anzuwenden.  Jedenfalls  sieht  man  bei  vulgären 
Dermatosen  (Lichen  ruber,  Psoriasis,  Akne)  eine  Wirkung  des 
Atoxyls  erst  dann,  wenn  man  mehrmals  pro  die  0‘20  Atoxyl  ein¬ 
gespritzt  hat.  Es  stellt  sich  ja  auch  bei  asiatischen  Pillen  meist 
erst  dann  eine  sichtbare  Wirkung  ein,  wenn  man  mehrere  Tage 
täglich  je  0  05  Arsen  inkorporiert  hat. 

Von  den  Pat.,  welche  im  Kaiser-Franz-Joseph- Ambulatorium 
und  in  meiner  Privatpraxis  mit  Atoxyl  behandelt  werden,  sind 
leider  nur  diese  zwei  erschienen. 

Diesem  Manne  (P.  X.),  Postbediensteter,  mit  einem  maculo- 
papulösen  Syphilide,  wurden  bisher  2'20  Atoxyl  eingespritzt. 
Nach  der  achten  Injektion,  also  nach  Einverleibung  von  1’20 
Atoxyl,  traten  Papeln  an  der  Mundschleimhaut  und  eine  Alopecia 
luetica  auf.  Wie  Sie  an  diesem  Kranken  sehen,  sind  die  Er¬ 
scheinungen  an  der  Haut  und  Schleimhaut  in  Rückbildung. 

Der  28  Jahre  alte  J.  E.,  Gemüsehändler,  ist  seit  1900 
luetisch.  Das  letzte  Rezidiv  wurde  mit  Mergal  bis  23.  Mai  1907 
mit  Erfolg  behandelt.  Vom  10.  bis  30.  Mai  war  der  E.  von 
Lueserscheinungen  frei.  Am  30.  Mai  haben  sich  an  ihm  Papeln 
an  der  Eichel  und  der  Skrotalhaut  entwickelt,  welche  sich  nach 
Einspritzung  von  U40  Atoxyl  ohne  jede  Lokalbehandlung  langsam 
involvieren.  Er  hat  um  2  kg  an  Körpergewicht  zugenommen. 

Die  Frau  mit  dem  Erythema  papulatum  hat  in  10  Tagen 
l'OO  Atoxyl  erhalten,  seit  12.  Juni  fängt  das  Erythem  abzu¬ 
blassen  an. 

Herr  W.  infizierte  sich  1902,  wurde  bis  1904  intensiv 
behandelt  und  entzog  sich  bis  Februar  1907  der  ärztlichen  Be¬ 
handlung.  Im  Februar  1907  bestanden  ausgebreitete  Papeln  an 
der  Zungenoberlläche  und  Papeln  am  Skrotum.  Bis  30.  März 
Heilung  durch  eine  Zittmannsche  Behandlung.  Am  10.  Mai 
neuerlich  Papeln  an  der  Zunge  und  am  Skrotum.  Sieben  Tage 
35  Mergalkapseln.  IVegen  Gingivitis  und  Salivation  Mergal  aus¬ 
gesetzt.  Vom  18.  Mai  bis  12.  Juni  2'4  Atoxyl.  Heilung  der  Zunge 
bis  auf  eine  linsengroße  Stelle,  Resorption  der  Effloreszenzen  am 
Skrotum.  Es  ist  denkbar,  daß  hier  die  Nachwirkung  des  durch 
sieben  Tage  verabreichten  Mergals  eine  Rolle  spielt.  Als  Prä¬ 
ventivbehandlung  bei  Bestand  des  Primäraffekts  vor  Ausbruch 
des  Exanthems  konnte  mein  Assistent,  Dr.  Pollitzer,  bisher 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


keinen  Erfolg  sehen.  Obgleich  ich,  auch  dann,  wenn  ich  jeden 
zweiten  Tag  längere  Zeit  0‘20  Atoxyl  einspritzte,  n  i  e  eine 
Arsenvergiftnng  sah,  möchte  ich  doch  vor  zu  großen  Dosen 
warnen,  weil  Wälsch  bei  Frühbehandlung  eines  Syphilisfalles 
mit  Atoxyl  Intoxikationserscheinungen  sah,  ohne  daß  die 
Syphiliseruption  beeinllußt  wurde. 

Ich  glaube,  daß  das  Atoxyl  sich  einen  gewissen  Platz  in 
der  Syphilistherapie  erobern  wird,  schon  deshalb,  weil  es  nicht 
ausgeschlossen  ist,  daß  durch  die  roborierende  Wirkung  des 
Atoxyls  ein  geringeres  Quantum  der  Antisyphilitika  zur  Heilung 
der  Syphilis  notwendig  sein  wird.  Dr.  D  indermann  und 
Dr.  Pollitzer  werden  nach  längerer  Beobachtungszeit  über  die 
von  uns  mit  Atoxyl  behandelten  Luetiker  berichten. 

Prof.  Dr.  0.  Loewi :  E  i  Ji  e  n  e ii e  F  u  n  k  t  i  o  n  tl  e  s  F  a  n- 
k  r  e  a  s  und  i  h  r  e  B  e  z  i  e  h  u  n  g  z  u  m  D  i  a  b  e  t  e  s  mellitus. 
Nachdem  durch  Eckhardts  Versuche  sympathische  Hemmungen 
für  die  Nerven  nachgewiesen  wurden,  deren  zentrale  oder 
periphere  Reizung  zu  gesteigerter  Umwandlung  von  Cdykogen  in 
Zucker  und  Uebertritt  des  letzteren  in  den  Harn  führt,  schien 
die  Prüfung  geboten,  ob  etwa  das  Pankreas  die  Funktion  habe, 
sympathische  Hemmungen  zu  reizen  und  der  Diabetes  nach 
Exstirpation  des  Pankreas  die  Folge  des  Wegfalls  derartiger 
Hemmungen  sei.  Als  Objekt  zur  Prüfung  dieser  Hypothese  diente 
der  Musculus  dilatator  pupillae,  als  Reagens  auf  die  Funktions- 
tüchtigkeit  seiner  Hemmungen  sein  Verhalten  gegenüber  In¬ 
stillation  von  Adrenalin,  einer  Substanz,  die  sympathische 
Förderungsnerven  reizt. 

Für  diese  Wahl  war  folgendes  bestimmend:  Instilliert  man 
in  ein  normales  Auge  Adrenalin,  so  ändert  sieb  —  außer  beim 
Frosch  —  die  Pupillenweite  nicht  oder  nicht  merklich.  Hat  man 
dagegen,  wie  Meitzer  nachwies,  24  Stunden  zuvor  das 
Ganglion  cervicale  sup.  exstirpiert,  so  tritt  bald  nach  der 
Instillation  von  Adrenalin  eine  beträchtliche  Mydriasis  ein.  Dem¬ 
nach  sind  mit  der  Ganglienexstirpation  Hemmungen  für  die 
Adrenalinempfmdlichkeit  des  Dilatator  pupillae  beseitigt  worden. 
Wenn  anders  also  das  Pankreas  den  oben  supponierten  reizenden 
Einfluß  auf  sympathische  Hemmungen  übt,  so  muß  nach 
Exstirpation  des  Pankreas  als  Folge  von  Adrenalininstillation 
Mydriasis  eintreten.  In  der  Tat  trat  bei  den  dieserhalb  bisher 
operierten  Tieren  —  zwei  Hunden  und  zwei  Katzen  —  24  Stunden 
nach  Totalexstirpation  des  Pankreas  nach  Adrenalininstillation 
eine  beträchtliche  Mydriasis  ein.  Demnach  scheint  wirklich  das 
Pankreas  sympathische  Hemmungen  zu  erregen,  bzvv.  die  Reiz¬ 
barkeit  sympathischer  Förderungsnerven  herabzusetzen.  Will 
man  vom  Verhalten  der  sympathischen  Hemmungen  des  Dilatator 
pupillae  einen  Analogieschluß  auf  das  der  Hemmungen  der 
glykogenumwandelnden  Nerven  ziehen,  so  wäre  damit  das  Auf¬ 
treten  des  Diabetes  nach  Pankreasexstirpation  erklärt.  —  Die  zu 
diagnostischen  Zwecken  angestellte  Prüfung  des  Einflusses  von 
Adrenalininstillation  beim  Menschen  —  bei  der  Untersuchung 
wurde  ich  wirksam  von  Herrn  v.  Steyska,  1  unterstützt  — 
führte  vorläufig  zu.  folgendem  bemerkenswerten  Ergebnis  : 

Bei  10  von  18  Diabetikern  trat  eine  beträchtliche 
Mydriasis  ein.*)  (Unter  den  negativen  Fällen  war  ein  Fall  von 
Akromegaliediabetes.)  Von  28  anderen  Kranken  versebiedener  Art 
zeigten  nur  noeb  zwei  Mydriasis:  erstlich  ein  Fall  von  Pankreas¬ 
gangverschluß  (klinische  Diagnose,  ohne  spontane  oder  auch  nur 
alimentäre  Glykosurie !  Die  beiden  Pankreasfunktionen  könnten 
danach  getrennt  gestört  sein),  ferner  war  ein  Fall  von  Basedow. 
Hier  dürfte  das  Auftreten  der  Adrenalinmydriasis  nicht  die 
Folge  einer  absoluten,  sondern  einer  infolge  zu  starker 
fördernder  sympathischer  Impulse  relativen  Insuffizienz  der 
Hemmungen  sein. 

Diskussion:  Dr.  Ernst  Freund:  Ich  möchte  ganz  kurz 
darauf  hinweisen,  daß  auch  vom  chemischen  Standpunkt  die 
Beziehungen  der  von  Prof.  Loewi  mitgeteilten  hochinteressanten 
Beobachtung  zum  Diabetes  als  sehr  plausibel  zu  bezeichnen  sind. 
So  groß  auch  die  Anzahl  der  chemischen  Untersuchungen  hei 
Diabetes  ist,  es  ist  im  wesentlichen  in  bezug  auf  die  Zucker- 
aussebeidung  keine  (lualitative  Anomalie  des  Stoffwechsels  ge¬ 
funden  worden  und  alle  gefundenen  Bilanzänderungen  lassen  sich 
von  dem  Verluste  des  nicht  behaltenen  Zuckers  herleiten. 

Es  gibt  aber  auch  eine  Reihe  von  klinischen  Beobachtungen, 
die  direkt  dagegen  sprechen,  bei  Diabetes  irgendeine  chemische 
Insuffizienz  der  Leberzelle  anzunehmen,  etwa  die  Fähigkeit, 
Zucker  in  Glykogen  umzusetzen. 

*)  Hei  fünf  ad  hoc  ophthalmologisch  genau  untersuchten  Fällen 
wurde  ein  völlig  normaler  Augenbefund  erhoben;  insbesondere  fehlten 
irgendwelche  Anzeichen  von  Okulomotoriusparese. 


Dahin  gehört  vor  allem  die  Tatsache,  daß  unter  dem 
Einflüsse  mancher  fieberhafter  und  kachektischer  Einflüsse 
(Tuberkulose)  die  Zuckerausscheidung  des  Diabetikers  geringer 
werden  kann. 

Es  ist  nicht  anzunehmen,  daß  gerade  durch  einen  solchen 
schweren  Insult  eine  verloren  gegangene  chemische  Funktion 
wieder  hergestellt  wird.  Das  Fieber  allein  erklärt  die  Zucker¬ 
zerstörung  nicht,  da  ja  bei  manchem  Fieber  die  Zuckerausscheidung 
bestehen  bleibt. 

Weiters  spricht  die  von  Külz  entdeckte  Tatsache  gegen 
die  Annahme  einer  chemischen,  substanzlichen  Insuffizienz,  daß 
die  Insuffizienz  des  Diabetikers  eine  relative  ist. 

Ein  Diabetiker,  der  nicht  einmal  100  g  Kohlehydrat  voll¬ 
kommen  bewältigen  kann,  sondern  5  g  ungenützt  ausscheidet, 
kann  gleichwohl  von  weiteren  gleichzeitig  eingeführten  100  g 
Kohlehydrat  den  allergrößlen  Teil  assimilieren. 

Ja,  es  zeigt  sich,  daß  der  Diabetiker,  je  größere  Mengen 
Kohlehydrate  man  einführt,  desto  bessere  prozentuelle  Ausnützung 
aufweist. 

Wenn  jemand  z.  B.  bei  50  g  Brot  27  g  Zucker  ausscheidet, 
so  scheidet  er  bei  100  g  Brot  niebt,  wie  man  erwarten  würde, 
das  Doppelte  (54  g)  aus,  sondern  nur  42  g  und  bei  200  g  Brot 
statt  108  g  nur  (10  g  aus. 

Diese  Beobachtungen  sind  unvereinbar  mit  der  Annahme 
einer  chemischen  Insuffizienz;  wären  die  Zellen  insuffizient,  so 
müßte  bei  reichlicherer  Einführung  von  Kohlehydraten  um  so  mehr 
Kohlehydrat  unausgenützt  bleiben. 

Solche  Beobachtungen  lassen  sich  eher  mit  physikalischer 
Insuffizienz  der  Leber  erklären,  derzufolge  bei  normaler  Zell¬ 
beschaffenheit  die  Gelegenheit  zur  Zuckerresorption  in  den  Ka¬ 
pillaren  eine  ungenügende  ist,  wie  das  z.  B.  durch  zu  raschen 
Blutdurchtritt  oder  durch  zu  breite  Gefäßbahnen  möglich  wäre. 

Da  ist  es  dann  begreiflich,  daß  bei  konzentrierteren  Zucker¬ 
lösungen  relativ  mehr  Zucker  von  den  Randzellen  der  erweiterten 
Kapillaren  zur  Resorption  gelangt.  Eine  solche  abnorme  Durch¬ 
lässigkeit  des  Leberkapillargebietes  ist  ebenso  akut  wie  chronisch 
erzeugbar  (Toxine)  und  abänderbar,  z.  B.  durch  das  Fieber  oder 
durch  nervöse  Einflüsse,  die  ja  die  Zuckerausscheidung  des 
Diabetikers  so  wesentlich  beeinflussen,  ohne  daß  man  annehmen 
könnte,  daß  durch  freudige  Eindrücke  eine  verloren  gegangene 
Zellsubstanz  wieder  geschaffen  werden  könnte. 

Diese  Erwägungen  haben  mich  schon  in  einem  an  dieser 
Stelle  im  Jahre  1902  gehaltenen  Vorträge  veranlaßt,  darauf  hinzu¬ 
weisen,  daß  ,,die  verschiedenen  Formen  des  Diabetes  mellitus 
einheitlich  auffaßbar  wären  als  Folgen  einer  Gefäßlähmung, 
resp.  Reizung  der  Gefäßdilatation  einmal  von  zentralen,  das 
andere  Mal  von  peripheren  Stellen  des  Nervensystems,  einmal 
durch  fremde  toxische,  ein  anderes  Mal  durch  autotoxische  Reize 
hervorgerufen“. 

Es  schien  mir  passend,  hieran  zu  erinnern,  weil  es  zeigt, 
wie  die  an  der  Pupille  zu  beobachtende  Gefäßalteration  bei  der 
Leber  zur  Zuckerausscheidung  führen  kann. 

Priv.-Doz.  Dr.  F  a  1 1  a :  Meine  Herren  !  Herr  Loewi  hat 
das  Zustandekommen  der  Zuckerausscheidung  beim  Diabetes 
mellitus  in  der  Weise  erklärt,  daß  der  Zuckerausscheidung  stets 
Hyperglykämie  und  dieser  wiederum  eine  vermehrte  Umwandlung 
von  Glykogen  in  Zucker  vorausginge.  Ich  möchte  dem  gegenüber 
nur  betonen,  daß  dieser  Theorie  andere  Anschauungen  gegenüber¬ 
stehen,  vor  allem  die  von  der  N  a  u  n  y  n  sehen  Schule  vertretene 
Theorie  von  der  Dyszooamylie,  d.  h.  von  der  Störung  in  der 
Glykogenese  und  die  durch  Respirationsversuche  gut  fundierte 
Annahme,  daß  das  Verbrennungsvermögen  für  Traubenzucker 
teilweise  oder  völlig  in  Verlust  geraten  sei. 

Den  Ausführungen  des  Herrn  F  r  e  u  n  d  kann  ich  nicht  un¬ 
bedingt  zustimmen.  Das  von  Herrn  Freund  erwähnte  Gesetz, 
nach  welchem  bei  Diabetikern  auf  Zulage  von  Kohlehydraten  die 
Steigerung  der  Zuckerausscheidung  im  Verhältnis  zur  Mehrzufuhr 
zurückbliebe,  daß  also  das  Ausnützungsprozent  anstiege,  hat  nur 
sehr  bedingte  Gültigkeit.  Es  mag  für  manche  leichte  Fälle  von 
Diabetes  mellitus  zutreffen,  für  die  meisten  schweren  Fälle  gilt 
es  nicht,  vor  allem  nicht  für  den  experimentellen  Pankreasdiabetes. 
Hier  sehen  wir  ja  das  Verbrennungsvermögen  für  Zucker  auf  der 
Höhe  der  Stoffvvechselstörung  völlig  aufgehoben.  Ich  erinnere  an 
die  Versuche,  über  welche  ich  hier  vor  kurzem  berichtete,  die 
zeigten,  daß  auch  bei  Zufuhr  ganz  kolossaler  Mengen  von  Trauben¬ 
zucker  eine  nennenswerte  Verbrennung  desselben  nicht  stattfindet. 
Aehnliche  Fälle  sind  auch  aus  der  Pathologie  des  menschlichen 
Diabetes  bekannt.  Es  gibt  überhaupt  Fälle  von  Diabetes  mellitus, 
welche  gegen  Kohlehydratzufuhr  außerordentlich  empfindlich 
sind.  Vor  allem  aber  stimmt  das  postulierte  Gesetz  nicht  für  die 
Beziehungen  zwischen  Zuckerausscheidung  und  Eiweißzufuhr 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


783 


Denn  hier  sehen  wir  in  den  schweren  Fällen  von  Diabetes  mellitus 
häufig  hei  Zulage  nicht  sehr  großer  Mengen  von  Eiweiß  kolossale 
Zuckerausscheidungen  auftreten,  die  in  gar  keinem  Verhältnis 
mehr  stehen  zur  Menge  des  im  Eiweiß  mehr  zugeführten  zucker- 
hildendon  Materiales. 

Voj'sia.ml  Dr.  Freund:  Ich  möclite  zu  (hui  llemerkungeu 
des  Dr.  kalta  nur  Ireinerken,  daß  seine  exi)('riinen(ell(Mi  l'h"g('i)- 
nisse  sich  doch  hau|)lsä(ddicli  aut'  den  pankri'aslosen  Hund  he^ 
zielu'u,  während  <lie  K  i'i  I  z  sclien  Heohachtungen  doch  dem 
menschlicdien  Dial)et('s  entspreclum. 

Es  ist  allerdings  auch  niidd.  zu  hezweiteln,  daß  hei  maxi¬ 
malem  Charakter  der  Itrkrankung,  z.  D.  hei  maximalster  Er- 
weileriiug  dei-  Kapillaren,  das  Külzsclu^  Fhänomen  nicht  mehr 
l)roduzierhar  ist. 

Prof.  Loewi  (Schlußwort):  Gegenüber  Herrn  Freund 
betone  ich,  daß  ich  die  Reizung  und  Hemmung  sympathischer 
Fasern  nicht  auf  Reizung  und  Hemmung  der  Rlutgefäßnerven 
beziehe,  da  nach  Eckhardts  Versuchen  eine  splanchnische 
Vasokonstriktion  je  nach  dem  Orte  der  Reizung  mit,  wie  ohne 
Glykosurie  einhergehen  kann. 

Herrn  Falt  a  erwidere  ich,  daß  die  Nötigung,  eine  Ver¬ 
brennungsstörung  oder  Unfähigkeit,  Glykogen  anzubauen,  beim 
Diabetes  anzunehmen  nicht  vorliegt,  wir  vielmehr  zur  Erklärung 
aller  Symptome  auch  mit  der  alleinigen  Annahme  der  nach¬ 
gewiesenen  raschen  Glykogenumwandlung  in  Zucker  auskommen. 

Priv.-Doz.  Dr.  K.  Ullmann:  1.  V  a  r  i  z  c  u  ä  h  n  1  i  c  he 
K  a  p  i  1 1  a  r  p  h  1  e  b  i  t  i  s  und  I..  y  m  p  h  a  n  g  o  i  t  i  s  bei  tuber¬ 
kulösem  Tumor.  Der  SOjährige  Mann  wurde  bereits  am 
23.  Februar  1.  ,T.  wegen  eines  monströsen,  stellenweise  kolliques- 
zierenden  Skrofuloderma  beider  Gesäßbacken  von  einer  tuber¬ 
kulösen  Mastdarmfistel  ausgehend  in  der  dermatologischen  Gesell¬ 
schaft  von  mir  vorgestellt.  (Vgl.  Sitzungsprotokoll  Wr.  klin.  Wochen¬ 
schrift  1907,  Nr.  14,  S.  431.)  Es  finden  sich  fast  symmetrisch  an 
beiden  unteren  Extremitäten  schwammartige,  stellenweise  beet¬ 
artig  die  Hautoberfläche  überragende  Infiltrationen,  den  oberen 
Hautschichten  angehörig,  die  ungefähr  den  Eindruck  von  ein¬ 
fachen  Varikositäten  machen,  ohne  es  aber  zu  sein.  Es  handelt 
sich  augenscheinlich  nicht  um  entzündliche  Wandverdickungen 
größerer  Hautvenen,  nicht  um  einfache  Periphlebitis,  sondern  um 
meist  längsgestellte,  ovaläre  Plaques  und  Streifen,  mit  stellen¬ 
weise  deutlich  netzförmiger  Anordnung.  Einzelne,  namentlich  die 
kleinsten  Stränge  sind  rosarot,  an  ein  urtikarielles  Oedem  er¬ 
innernd,  die  meisten  grau  oder  bräunlich  livid,  der  Farbe  des 
Tumors  am  Gesäß  fast  gleichend,  so  daß  man  sich  des  Eindrucks 
nicht  erwehren  kann,  es  handle  sich  um  metastatische  Tumorbildung. 

Die  histologische  Untersuchung  von  frischen  und  älteren 
Partien,  durch  Exzision  gewonnen,  zeigt  ein  eigenartiges  Rild,  das 
wegen  seiner  Seltenheit  wohlverdient,  festgehalten  zu  werden.  Die 
Präparate,  die  ich  Ihnen  hier  eingestellt  habe,  ergeben  im  Wesen 
eine  chronische  Entzündung  des  Bindegewebes  mit  Ausgang  in 
fibröse  Verdichtung,  der  Prozeß  sitzt  lediglich  in  den  obersten 
Kutisschichten,  ringsum  der  Venen,  Lymphgefäße  und  Lymph¬ 
spalten  des  Papillarkörpers  und  der  unten  liegenden  Kutisschichten. 
Die  Venenwände  sind  verdickt  und  etwas  entzündlich  ver.ändert, 
die  Lymphgefäße  dagegen  sehr  auffallend  wie  varikös  erweitert 
und  das  Bindegewebe  des  Rete,  wie  ringsum  die  Gefäße  und 
Schweißdrüsen,  von  einer  sulzig  durchscheinenden  Exsudatmasse 
gleichmäßig  durchsetzt.  Nirgends  ist  eine  Ansammlung  von 
Leukozyten  oder  von  spezifisch  tuberkulösem  Gewebe,  lymphoiden 
Zellen  zu  bemerken.  Demnach  eine  Stauungsentzündung  im  kapil¬ 
laren  Gefäßgebiete.  Ein  Zusammenhang  dieser  umschriebenen 
entzündlichen  Veränderungen  mit  solchen  an  größeren  Venen 
kann  hier  weder  klinisch  noch  histologisch  konstatiert  werden, 
wohl  aber  finden  sich  auch  hie  und  da  deutlich  varikös  erweiterte 
Hautvenen. 

Die  Veränderung  dürfte  mit  der  von  L  e  j  a  r  s  beschriebenen, 
retikulären  Lymphangoitis  Tuberkulöser  viel  Gemeinsames  haben. 

Es  liegt  nahe,  eine  durch  den  tuberkulösen  Tumor  bedingte 
Kompression  und  Verödung  größerer  Gefäße  als  Ursache  von 
Stauung  im  Zusammenhänge  mit  der  Schädigung  des  Gefäßsystems 
durch  die  kreisenden  toxischen  Produkte  aus  dem  Tumor  für  das 
Zustandekommen  der  geschilderten  Veränderungen  in  Betracht 
zu  ziehen.  Schon  1860  hat  Rokitansky  Venenerweiterungen 
in  der  Umgebung  von  Tumoren  als  einen  nicht  seltenen  Befund 
bezeichnet,  eine  Tatsache,  die  auch  auf  die  toxische  Schädigung 
der  Gefäßwand  aus  den  Zerfallsprodukten  des  Tumors  hinweist, 
da  es  bleibende  Erweiterung  ohne  Schädigung  der  Gefä߬ 
wand  wohl  nicht  gibt. 

2.  1  n  f  e  k  t  i  ö  s  e  s  G  r  a  n  u  1  o  m  in  Form  multipler 
Knotenbildung  im  Gesichte.  An  dem  28jährigen,  an¬ 
scheinend  ganz  gesunden  Mann  zeigten  sich  vor  Jahresfrist  zahl¬ 


reiche,  dicht  stehende,  mäßig  derbe,  dem  Lupus  sehr  ähnliche, 
lachsfarbene  bis  braunrote,  halb  erbsen-  bis  halbbobnengroße  Knoten 
der  Haut  des  Nasenrückens,  die  von  den  Nasenöffnungen  bis 
an  die  Wurzel  hinauf  reichten.  Das  unverhältnismäßig  rasche 
Wachstum  der  Knoten  machte  die  Diagnose  Lupus  allerdings' schon 
damals  fraglich  und  mußte  deshalb  auch  die  pseudoleukämische 
Natur  der  Uildungen  ins  Auge  gefaßt  werden.  Der  auffallend 
günstige  Elfekt  einer  Röntgenbehandlung  schien  die  letztere  An¬ 
nahme  besonders  wahrscheinlich  zu  machen.  Doch  ergab  der 
histologische  Befund  eines  unbehandelten  größeren  Knotens,  daß 
sowohl  Lupus  als  Leukämie  ausgeschlossen  werden  mußten.  Es 
finden  sich,  wie  die  eingestellten  Präparate  zeigen,  wohl  die 
Elemente  eines  Granuloms,  d.  h.  hauptsächlich  junge  Rindegewebs¬ 
zellen  mit  langen  spindeligen  Kernen,  die  eine  Art  netzförmiges 
Stroma  abgeben  und  die  in  sich  noch  zahlreiche  zellige  Elemente 
anderer  Art  enthalten,  vorwiegend  noch  sogenannte  Plasmazellen, 
nur  ganz  vereinzelt  aber  mononukleäre  Zellen,  Mastzellen  und 
Lymphozyten.  Die  Infiltration  sitztauch  deutlich  um  mit  Endothel 
ausgekleidete  Lymphgefäßspalten,  nicht  aber  rings  um  Blutgefäße. 
Auf  andere  Details  soll  hier  vorläufig  nicht  eingegangen  werden. 
Die  histologische  Struktur  gestattet  es  jedenfalls  nicht,  dieser 
Bildung  ohne  weiteres  einen  Platz  in  der  im  Jahre  1899  von  B  o  e  c  k 
aufgestellten  Gruppe  der  ,, benignen  Sarkoide  und  Miliarlupoide“ 
anzuweisen,  dazu  fehlen  ja  Riesenzollen  von  sarkomatösem 
Habitus  und  gerade  die  reichlichen  Plasmazellen  in  diesem  Falle 
fehlen  gänzlich  bei  Boecks  Fällen.  Auch  in  die  von  Kaposi 
und  S  p  i  e  g  1  e  r  aufgestellton  ,, Sarkoiden“  Tumoren  paßt  dieser 
Fall  nicht  ganz  hinein,  wegen  klinischer  wie  histologischer  Dif¬ 
ferenzen.  Die  Abwesenheit  leukämischer  Befunde  an  Drüsen, 
Milz  und  Blut  (Doz.  Dr.  Schur)  schließt  die  Diagnose  Pseudo¬ 
leukämie  (Leukämie)  ebenfalls  aus,  abgesehen  von  dem  Mangel  an 
mononukleären  Zellen  im  Granulom  seihst.  Läßt  sich  dieses  also 
nicht  in  bereits  klinisch  gut  definierte  und  benannte  und  histo¬ 
logisch  gut  untersuchte  ähnliche  Bildungen  einreihen,  so  wäre  es 
doch  gewiß  ebenso  unangebracht,  die  Affektion  schon  jetzt  als 
eine  eigenartige  bisher  nicht  beschriebene  aufzufassen.  Dazu  reicht 
gerade  bei  den  Granulomen  die  Histologie  an  und  für  sich  nicht 
aus,  so  lange  wenigstens  die  Erreger  selbst  nicht  bekannt  sind. 
Auch  in  diesem  Falle  -wurde  nach  dieser  Richtung  gesucht  und 
nichts  gefunden.  Klinisch  scheint  eine  chronische  Rhinitis  atrophi¬ 
cans,  für  deren  genauen  Befund  ich  Herrn  Prof.  0.  Chiari  besten 
Dank  schulde,  vielleicht  ätiologisch  heranzuziehen  zu  sein.  Ist 
ja  auch  der  Lupus  nasi,  wie  eben  gerade  Chiari  seinerzeit 
zeigte,  oft  nur  eine  Fortsetzung  der  primären  Schleimhautinfektion. 
Herrn  l’rof.  Palla. uf  sage  ich  für  die  freundliche  Durchsicht  der 
Pi'äiKU'ate  heslen  Dank.  —  (Beide  Fälle  werden  ausführlich  l)e- 
schi'iehen  werden.) 

Dr.  C.  v.  Pirquet,  Assistent  der  Klinik  Esc  her  ich,  stellt 
ein  sechsinonaligc's  Kind  vor,  hei  dem  die  Diagnose  der 
ruherkulose  dui'ch  die  A  1 1  e  r  g  i  e  i)  r  o  h  e  gestellt  wui’de. 
Geboi'cm  a,m  17.  Januar  1907,  wurde  im  Alter  von  fi'inf  Wochen 
hei  der  Fürsorgestelle  des  Vereines  aufgenommen.  Anamnese: 
Mutk'f  gesund,  Vater  lungeidvrauk,  von  neun  Geschwislern  leben 
nur  dr('i,  die  amh'nm  sind  sänitliche  im  Laufe  der  ersten  zwei 
Lebensjahre  an  uubekamilen  Krankheiten  gestorben.  Bei  der  Auf¬ 
nahme  war  flas  Kind  gesund,  speziell  tlie  Haut  Ijot  keijie  Vd'i- 
änderungeu,  Gewicht  3640  g. 

ln  der  Zeit  vom  19.  Februar  bis  jetzt  wurde  das  Kind 
jede  Wüjche  in  der  Schutzstelle  gewogen  und  besi(ditigt.  Die 
Gewichtskurve  zeigt  bis  10.  April  eine  gute,  l»is  11.  Mai  eine 
geringe  Zunahme,  seither  Abfall  von  5250  auf  4680  g.  Am  22.  j\l:lrz 
lindet  sich  nolicu  t:  ,, Ulkus  mudi  Ekzem  der  rechten  Wange,  Tuber¬ 
kulose?“  10.  April.  Lymiduulenilis  colli.  Ulkus  der  rechten  Wange 
größer.  26,  April.  Broiichilis.  11.  Mai.  Tuherkulinimpfung  bei 
Kind  und  .Mutier  positiv.  21.  Mai.  Drüsenschwellung  eher  größer. 
10.  Juni.  Tulx'rkuiid  (Folliklis). 

Bei  der  Spitalsaufnahme  ;im'  12.  Juni  findet  sich  ein  gut 
entwickeltes,  etwas  ahgcmagerles  Kind  ohne  Zeichen  von  Rachitis. 
.Vuf  eler  Haut  dei'  r(‘(diten  Wange  eine  5  cm  durchmessende  Slelle 
mit  gt'rötefem,  erhahemm  Bande,  mit  gelhli<dien  und  schwarzen 
Borken  bedeckt,  ln  der  Umgehung  des  Heirh's  einige  blasse 
Knötchen.  .Mehrere  bis  ühei'  holmengroßie  Lymphdri’isen  im  i'cchlen 
Kieferwinkel.  .\uf  der  übrigen  Haut,  mit  .Vusnahme  des  Kopfes, 
verstreute  Effloreszenzen ;  ziemdich  scdiarf  ahgegrenzte,  3  bis  5  mm 
durchnressende  Knöhdien,  teilweise  mit  zentraler  Borkenbildung. 
Nach  Ablösung  der  Borken  ist  eine  kleine  Delle  sichtbar.  Lunge 
und  übiige  Organe  ohne  pathologischen  B<d'und. 

Bemerkenswert  ist  hier,  <laß(  wir  den  ganzen  Verlauf  der 
Tuheikulose  verfolgen  können.  Das  tuberkulöse  Ulkus  auf  der 
Wange  stellt  wahrscheinlich  den  Primäraffekt  dar,  auf  den  die 
.-Vnschwellungen  der  regionären  Lyuq)hdrüsen  folgten.  In  diesem 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  25 


Stadiiiiü  Jiim  konnl.i;  <li(‘  Diagnose  auf  TuhcM-kiiloso  (lurch  Tuhor- 
kiiliiiiiiij)l'iing  gestellt  werden,  l’ositivo  Heaklion  in  diescen  LelxMis- 
aller  ist  eiin^  große  Seltenheit.  Das  jüngste  Kind,  hei  dein  ich 
hislnu’  jiosilive  Reaktion  gesehen  habe,  war  fünf  .Monate  all. 
In  dii'sem  Falle  nun  ist  die  Diagnose  durcdi  das  eingidrelenc 
Tuherkulid  (Folliklis)  gesichert  worden.  Sie  sehen  Allergii'prohcn, 
weUdie  ich  vorgestern  und  heule  morgens  ausgeführt  habe,  an 
beiden  Rnlerarinen  des  Kindes.  Die  Konirollstelle  isl  (dn  ein¬ 
facher  Kratzeffekt,  während  die  Tuherkulinstellen  10.  bis  12  inin 
durchniesseiide,  eben  tastbare  Rapeln  darstellen;  die  von  heute 
früh  sind  frischrut,  die  von  vorgestern  etwas  jilässer  und  leicht 
pigmentiert. 

Prim.  Priv-Doz.  Dr.  Schnitzler  stellt  einen  dreijährigen 
Knaben  vor,  Inn  dein  er  wegen  II  i  r  s  c  h  s  p  r  u  n  g  schpr  Krank¬ 
heit  <lie  llesekt,  ion  der  Flex  um  sigmoidea  ausgcfüln't 
hat.  llnregelniäßigkeiten  in  der  Stühlen lleerang  wui’den  schon  in 
den  ersten  Lehenstagen  des  Kindes  heinerkt,  späh*]'  fielen  dei- 
iMutter  die  Anftreihung  des  Bauches,  Schnierzäußerungen  des 
Kindes  lind  Darmsteifungen  auf.  In  der  zweiten  Hälfte  des  .lahres 
HlOt)  traten  dreimal  Anfälle  von  Darmversedduß  auf.  In  einem 
sohdien  Falle  wurde  das  Kind  iMitte  Dezember  190o  auf  die 
Abteilung  Schnitzlers  gebracht.  Die  Anamnese*  und  die  deut¬ 
lich  sichtbaren  Steifungen  der  enorm  dilatierlen  Flexur  ermög¬ 
lichten  die  Diagnose  auf  Mega  colon  con  ge  nit  um,  Ilirsch- 
s  p  r  u  n  g  sehe  Krankheit.  S  c  h  n  i  I  z  I  c  r  n  ä h  t  e  zunächst  die  ganze 
Flexur  vor  und  trug  sie  drei  Tage  späh'r  extraiieritoneal  ah. 
Dann  wurde  durch  einige  Monate  der  Anus  praeternaturalis  be¬ 
lassen.  Schließlich  Aviirde  dieser  durch  Darnmaht  beseitigt  und 
ein  nonnales  Refimlc'n  des  Kindes  erzielt.  Um  auf  die  verschie¬ 
denen  Theorien  über  die  iFntstehung  der  Hirschsprung  sehen 
Krankheit  einzugehen,  erwähnt  Schnitzler  nur  die  Auffassung 
von  Perthes  über  die  Redeutung  einer  klappenähnlichen  Bil¬ 
dung  am  unteren  Ende  der  Flexur.  Schließlich  erwähnt  Schnitz¬ 
ler  die  Vorzüge  des  von  ihm  in  dem  vorgestellten  Falle  einge¬ 
schlagenen  Verfahrens  der  zweizeitigen  Resektion  der  Flexur 
gerade  nnt  Bezug  auf  die  hei  der  H  i  r  s  c  h  s  p  r  u  n  g  schon  Krank¬ 
heit  hestehenden  Verhältnisse. 

Dr.  Heyrovsky:  Icli  erlauho  mir,  meine  Herren,  aus  dem 
Amhulatorium  der  Klinik  meines  Chefs,  Herrn  Hofrales  Hochenegg 
einen  Fall  von  seltener  Verletzung  des  Halses  vorzustellen.  Der 
(i2jährige  Patient  wurde  im  Januar  1906  von  einem  Insassen 
einer  Zwangsarbeitsanstalt,  in  welcher  er  als  Werkführer  tätig 
war,  durch  einen  von  links  hinten  geführten  Stich  an  der  linken 
Halsseite  verletzt.  Der  herheigerufene  Arzt  fand  in  der  Mitte  des 
linken  Kopfnickers  eine  schräg  von  oben  hinten  nach  vorne 
unten  verlaufende,  3  cm  lange,  in  der  Richtung  gegen  den  hinteren 
Rand  des  Schildknorpels  in  eine  Tiefe  von  3  bis  4  cm  reichende 
Stichwunde.  Die  Vena  jugul.  externa  war  schlitzförmig  eröffnet. 

Die  Wunde  heilte  in  kurzer  Zeit.  Die  vorher  normale 
Stimme  des  Pat.  ist  seit  der  Verletzung  heiser.  Der  Kehlkopf¬ 
spiegelbefund  ergibt  eine  Lähmung  des  linken  Stimmhandes. 

Eine  Schliiigstörung  ist  nicht  vorhanden.  Die  Pulsfrequenz 
beträgt  70  Schläge  in  der  Minute. 

Die  Respiration  bietet  nichts  Abnormes. 

Die  Untersuchung  der  Augen  des  Pat.  ergibt  eine  Parese 
des  linken  N.  sympathicus.  Die  linke  Pupille  ist  enger  als  die  rechte. 
Auf  Kokain  erweitert  sich  die  rechte,  nicht  aber  die  linke  Pupille. 
Links  ein  meßbarer  Enophthalmus.  Keine  deutliche  Ptosis. 

In  der  Gefäßinnervation  und  Schweißsekretion  der  Haut  der 
beiden  Gesichtshälften  kein  nachweisbarer  Unterschied. 

Wir  finden  also  bei  dem  Pat.  Ausfallserscheinungen  von 
seiten  des  linken  Nervus  vagus  (Lähmung  des  linken  N.  recurrens) 
und  des  linken  N.  sympathicus  (Myosis,  Enophthalmus).  Diese 
Erscheinungen  wurden  unmittelhar  nach  der  Verletzung  be¬ 
obachtet  und  sind  also  auf  die  Verletzung  zurückzuführen.  Die 
Lähmung  des  linken  Stimmhandes  kann  durch  eine  Verletzung 
des  linken  N.  recurrens  oder  des  linken  N.  vagus  selbst  bedingt 
sein.  Da  neben  der  Lähmung  des  Stimmhandes  auch  Symptome 
einer  Parese  des  Sympathikus  vorhanden  sind,  scheint  mir  die 
i\n nähme  einer  Verletzung  des  Vagusstammes  seihst,  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  anatomische  Lage  der  beiden  Nerven,  wahrschein¬ 
licher  zu  sein,  um  so  mehr,  da  von  den  regelmäßigen  Folgen  der 
einseitigen  Vagusdurchschneidung  (der  ’  erschwerten  Respiration, 
erhöhter  Pulsfrequenz  iind  Heiserkeit)  meist  nur  die  Heiserkeit 
hestehen  bleibt.  Die  isolierten  Verletzungen  des  Halssympathikus 
sind  außerordentlich  selten.  Die  Ausfallserscheinungen  sind  be¬ 
kanntlich  Myosis,  Ptosis,  Röte  und  erhöhte  Temperatur  der 
Gcsichtsbälfte,  sowie  eine  Differenz  der  Schweißsekretion  der 
lieiden  Gesichtshälften.  Die  Lähmungserscheinungen  sind  in  der 
Regel  von  kurzer  Dauer. 


Dem  Herrn  Primarius  v.  Winiwarter  verdanke  ich  die 
Älilloilung  eines  ähnlichen  Falles  einer  Schrolschußverletzung  des 
Halses. 

Ein  Älann  mit  70  Jahren  wurde  hei  einer  Treibjagd  an¬ 
geschossen.  Sofort  nach  der  Verletzung  fiel  den  Anwesenden  die 
heisere  Stimme  des  Pat.  auf.  Primarius  v.  Winiwarter  konnte 
am  nächsten  Tage  links  vom  Kehlkopf  eine  kleine,  einem  Secliser- 
schrot  entsprechende  Einschußöffnung  feststellen.  Das  Schrotkorn 
war  nicht  zu  fühlen  upd  heilte  anstandslos  ein. 

Die  Untersuchung  des  Kehlkopfes  ergab  eine  Lähmung  des 
linken  Stimmhandes.  Die  Lähmung  und  Heiserkeit  schwanden 
nach' etwa  drei  Wochen. 

Hofrat  Prof.  Dr.  v.  Eiseisberg  stellt  einen  51jährigen  Arzt 
vor,  der  vor  elf  Tagen  mit  seinem  Motorfahrrade  slürzle  und  eine 
Fraktur  im  Collum  anatomicum  dc's  linken  Humerus  erlitt.  Da 
der  behandelnde  x\rzt  wedc'r  den  Puls  der  Arteria  cubitalis,  noidi 
den  dcj'  Arteria.  radialis  tasten  konnte,  schickte  er  ihn  zur  xVuf- 
nahino  in  die  Klinik. 

Es  hestand  damals  ein  mächtiges  Hämatom  an  der  Innen¬ 
seite  des  linken  Ohorarnies,  der  Puts  in  der  Kiihital-  und  Radial¬ 
gegend  fehlte,  die  Extreinitäl  vom  Ellbogen  peripherir'wärls  war 
k;äll(‘r  und  blässer  als  die  der  anderen  Si'ite  und  Pat.  klagle 
daselbst  über  Paräslheisien  (Gefühl  von  Pelzig-  und  Taubs(*in). 

Sofoj't  Avurden  Blidegel  (im  ganzen  ungefähr  zwei  Dutzend) 
längs  des  Unterarmes  Und  der  Hand  Avährend  dei'  ersten  24  Stiimlcn 
gesetzt  und  A\miterhin  eine  Biorsche  Saugglocke  für  den  Unterarm 
täglich  durch  einige  Stunden  hindurch  g(d)raucht.  Die  Exlremilät 
Avurdo  allmählich  Avieder  Aväriner  und  röter,  so  daß  man  di’ci 
'Tage  später  eine  leichte  Gipshanfschiene  zur  Fixation  des  Armes 
anlegen  konnte. 

Jetzt  hei  der  Entlassung  des  Verletzten  fehlt  zwar  immer 
noch  der  Kid)ital-  und  Radialpuls,  doch  die  Gefahr  (finer  Schädi¬ 
gung  der  Extremität  infolge  Zirkulationsstörung  ist  Avohl  nicht 
mehr  zu  fürchten. 

Anschließend  an  diesen  Fall  macht  Redner  auf  die  Wiehl ig- 
keit  aufmerksani,  hei  jeder  Fraktur  sich  vom  Bestehen  des  Pulses 
im  pc’ripheren  ■  iVh schnitte  der  verletzten  Extremität  zu  überzeugen, 
indeun  beim  Uebersehen  dieses  Symptomes,  namcntl'ch,  Avenn  ein 
zirkulärer  Verband  angelegt  Avird,  der  Arzt  leicht  \mn  einer  Gangrän 
des  helreffenden  Gliedes  überrascht  werden  kann. 

AVeiters  berichtet  er  über  ein  von  ihm  in  K('>nigsherg  he- 
handeltes  Kind  mit  einer  Fraktur  des  Oherschenkels  und  fehlendem 
peripheren  Pulse.  Er  griff  (hunals  blutig  ein,  räumte  das  Hänia- 
tom  aus,  Amrschloß  einen  Schlitz  in  der  Arteiäa  temoralis  mit 
Avandständiger  Ligatur  und  erzielte  aid‘  diese  AVeise  ein  Audl- 
k  0 mme n  1 )  c* f i' led  i  gen d  e  s  Re s  u  1 1  at. 

Dr.  Ludwig  Teleky:  Die  Phosphornekrose  ist  heute  in 
den  AAfiener  Spitälern  eine  ziemlich  seltene  Erkrankung.  Das  Avar 
nicht  immer  so.  In  den  Fünfziger-  und  Sechzigerjahren  des  Amr- 
gangejien  Jahrhunderts  sah  man  sie  hier  sehr  häufig.  Lo!fins<'r 
allein  hat  im  Amrlaufe  \mn  15  Jahren  75  Fälle  gesehen.  Manche 
Autoren  und  auch  einzelne  Behörden  haben  daraus,  daß  die 
Phosphornekrose  in  den  AViener  Spitälern  heute  so  viel  seltener 
ist  als  früher,  den  Schluß  gezogen,  daß  die  Phosphornekrose  über¬ 
haupt  selten  gewordc'n  sei  und  daß  die  Verhältnisse  in  der  Zünd¬ 
hölzchenindustrie,  die  ja  allein  die  Ursache  für  die  Entstehung 
der  Phosphornckrose  ahgibl,  um  so  viel  besser  geworden  seien. 

Dieser  Schluß  ist  unrichtig.  Die  Aenderung  in  der  Nekrosc- 
häüfigkeit  rührt  daher,  daß  es  in  AVien  heute  keine  Zündhölzch('n- 
industrie  mehr  gibt,  Avährend  Mitte  dev  Fünfzigerjahre  in  AVien 
ca.  2000  Arbeiter  nnt  der  Erzeugung  von  Zündhölzchen  hc- 
schäfligt  Avaren.  .  ' 

Im  A'ongen  Jahre  Avurde  an  die  Klinik  Eiselsherg  eine  an 
Phosphoiiiekrose  erki-ankte  Frau  aid'genonünen,  die  ganz  auf¬ 
fallende  Angaben  über  die  Häufigkeit  der  Nekrose  in  ihrem 
Heimatsorte  machte.  Mit  Zustimmung  des  Herrn  Hofrates  Professor 
Aq  Eiselsherg,  faßte  ich  den  Ents(dduß,  in  (ten  Gebi(‘ten  der 
Zündliölzchenindustrie  selbst  Erhebungen  über  die  lläufiLdceil  d(‘r 
Phosphornekrosc  aiizustellen,  die  Nekrose  an  Ort  und  Stelle  zu 
studieren. 

Ich  setzte  mich  mit  dem  A^erhandc  (h'V  Arheiterschafl  der 
cheinischen  Industrie  in  A'erhindung  und  fand  hei  diesem  ver¬ 
ständnisvollste  Unterstützung,  hdi  habe  im  Sommer  vorigen 
Jahres  das  Zcidrum  der  böhmischen  Zündhölz(dieninduslrie  be- 
suebt,  Avobei  mir  der  Mann  der  obenerwähnten  Palientin  und 
die  A'erlraüensmänner  der  Gewerkschaft  als  Führer  dienten.  Im 
Herhste  habe  ich  dann  auch  in  Steiermark  zwei  Orte  mit  großen 
Zündhölzchenfahriken  aufgesucht.  A'on  diesen  Reisen  stammen 
die  Photograi)hien,  die  ich  Ihnen  hier  vorzidegen,  mir  erlaube. 

Meine  Erhebungen  fanden  eine  Avirkungsvolle  Ergänzung 
durch  Fragehogen,  die  meine  Schwester,  derzeit  Operationszögling 


785 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


an  (l(‘i’  Klinik  des  lloli'alos  v.  E  i  s  o  I  s  1j  o  i'g,  au  eine  grolle  Auxalil 
von  Spiläleni  vorsaiidle. 

ir  hal)on  übei’  hundert  Fragebogen  ausgcschickt,  von  denen 
aber  kaum  die  Halite  beanhvorlet  wurden.  .Vus  18  Spitälern 
wurden  uns  über  100  Nekroset'älle  initgeteill.  80  Fälle  liabe 
i(di  selbst  uutersuebt.  GO  Fälle  konnte  icli  anderweitig  ermitleln. 
liisgesand.  konnte  icdi  (über  mebrere  Fälle  erhielt  ich  Mitteilung 
von  veisehicdeneu  Seiten)  so  genaue  Daten  über  212  Fälle  er¬ 
halten,  von  rieuen  IGO  aus  den  letzten  zehn  Jahren  stammen, 
lieber  38  weitere  Fälle  erhielt  ich  Angaben,  die  aber  nicht  so 
vollständig  waren  um  eitle  Aufnahme  der  Fälle  in  die  genauen 
Zusammenstellungen  und  Berechnungen  zu  ermöglichen. 

Die  genaueren  Daten  und  Resultate  meiner  Unter.suchungen 
find  en  sich  in  emer,  in  diesen  Tagen  hei  Deut  icke  erscheinenden 
tiusführlichen  Publikation  (Die  Phosidiornekrose.  Schriften  der 
'•  österreichischen  Gesellschaft  für  Arbeiterschutz,  Heft  XIl).  Fnsere 
Erhöhungen  Inihen  sich  auf  Betriebe  erstreckt,  die  verbal tnismäßiig 
günstigere  Verhältnisse  darliielon.  Wenn  wir  aber  annohmen, 
daß  die  Nekrosehäufigkeit  in  den  übrigen  Betritdten  nur  ebenso 
groß  sei,  wie  in  den  von  uns  hesuchten  und  nvenn  wir  weiter 
berücksichtigen,  daß  unsere  eigenen  Erhebungen  keineswegs 
lückenlos  sind,  so  kommen  wir  zu  dem  Schlüsse,  daß  in  den 
letzten  zehn  Jahren  in  Oesterreich  350  bis  400  Nekrosefälle  vor- 
gekommen  sind,  während  die  Gewerbeinspektorenberichte  nur 
75  Idlllo  ausweisen.  Sie  sehen  also,  daß  die  Nekrose  in  Oester¬ 
reich  keineswegs  eine  Seltenheit  ist,  somlern  im  Gegenteile  eine 
ä  sehr  häufige  Erkrankung. 

Was  die  Natur  der  Phosphornekrose  anhelangt,  so  ist  man 
heute  allgemein  darin  einig,  daß  durch  die  cbronische  Phosphor- 
vei'giftung  das  gesamte  Knocheiisystem  eine  Veränderung  erleidet. 
Es  kommt  hei  den  Zündhölzchenarlieitern  häufig  zu  Spontan- 
frakfuren  der  langen  Röhrenknochen,  besonders  der  Obei  schenke!. 
Auch  ich  habe  solche  Fälle  gesehen.  Die  Nekrose  der  Kiefer- 
:  knochen  kommt  dadurch  zustande,  daß  der  durch  die  chronische 

Phosphorvergiftung  veränderte  Knochen  eindringenden  Eiterungser¬ 
regern  keinen  Widerstand  zu  leisten  veianag.  Kein' Knochen  aber  ist 
so  sehr  dem  Eindringen  von  Eiterungserregern  ausgesetzt,  als 
die  Kiefeiknochen.  In  jenen  Fällen  aber,  in  denen  es  hei  ge¬ 
sunden  Knochen  zu  einem  lokal  eiigbegrenzten  Prozeß  einer 
Periostitis  kommt,  kommt  es  hei  dem  durch  den  Phosphor  ver¬ 
änderten  Knochen,  weil  er  eben  den  Eiterungserregern  nicht 
..  Widerstand  zu  leisten  vermag,  zu  einer  weitausgedehnten  Nekrose. 
•I  Ich  will  auf  den  klinischen  Teil  hier  nicht  näher  eingehen, 

da  meine  Schwester  und  ich  gemeinsam  eine  Publikation  hier¬ 
über  vorhereiten.  Ich  will  nur  erwähnen,  daß  es  hei  15  bis  20®/o 
der  Erkrankten  zum  Tode  kommt,  meist  durch  Fortschreiton  der 
Eiterung  auf  das  Gehirn  oder  seine  Häute.  Auch  zu  einer  Ver- 
citerung  des  Augapfels  kann  die  Erkrankung  in  manchen  Fällen 
führen. 

,  Was  die  Behandlung  anhelangt,  so  waren  die  Autojxm  von 

jeher  verschiedener  Meinung  darüber,  oh  hei  der  Nekrose  des 
Unterkiefers  die  operative  oder  die  konservative  Behandlung  vor- 
•'  zuziehen  sei.  Gewiß  kann  es  Fälle  geben,  hei  denen  anhaltende 

>  heftige  Schmerzen  oder  die  Kachexie  zum  raschen  operativen 

>.  Eingriffe  zwingen.  Doch  ist  der  kostnetische  Endeffekt  hei  den 

f  konservativ  behandelten  Fällen  stets  ein  bei  weitem  besserer.  An 

k  Stolle  des  resezierten  Unterkiefers  findet  man  häufig  nur  hinde- 

;  gewehigo  Stränge  oder  dünne,  nur  selir  selten  über  federkieldicke 

^  Knochenspangen,  was  ein  Zurücksinken  der  Weichteile,  respektive 

F  hei  halbseitiger  Resektion,  eine  starke  seitliche  Vers(duehung  zur 

*  Folge  hat.  Bei  den  konservativ  hehandelten  Fällen  hingegen  er- 

leicht  die  Totenlade  häufig  eine  solche  Stärke,  daß  sie  nach 
V  Abstoßung  des  Nekrotischen  in  ihrer  Dicke  dem  Körper  des  nor- 

malen  Unterkiefers  entspricht  und  sogar  häufig  stärker  ist  als 

-  dieser,  so  daß  in  manchen  Fällen  das  Kinn  sogar  plumper  und 
derber  erscheint  als  unter  normalen  Verhältnissen.  Auf  einer 
meiner  Photographien  sehen  sie  drei  Männer,  einen  operativ  Be¬ 
handelten  mit  kleinem,  zurückgesunkenem,  Kinne,  einen  konservativ 
Behandelten  mit  annähernd  normaler  Konfiguration  des  Kinnes, 
einen  zweiten  konservativ  Behandelten  mit  starkem  und  plumpem 
Kinne. 

ä.  Wichtiger  als  die  Therapie  erscheint  aber  die  Prophylaxe. 

Die  Häufigkeit  der  Nekrose  in  Oesterreich  rührt  daher,  daßi  wir 
■  über  die  hygienische  Einrichtung  der  Zündhölzchenfahriken  nur 

eine  recht  geringe  Anforderungen  stellende  Verordnung  besitzen 
und  daß  selbst  diese  Verordnung  nirgends  zur  vollen  Durchführung 
■p  gebracht  ist. 

Aber  in  keiiiem  Lande  ist  es  bisher  geglückt,  durch  noch 

-  so  weitgehende  Vorschriften  die  Nekrose  zum  Verschwinden  zu 
bringen.  In  Ländern,  deren  Zündhölzchenindustrie  ähnliche  Ver¬ 
hältnisse  bietet  wie  die  österreichische,  ist  es  nirgends  geglückt, 


die  Nekrosefälle  aucdi  nur  erheblich  zu  vt'rmindern.  D('shalb 
iiaheu  zahlreiche  Länder  die  Verwendung  des  weißen  oder  gelben 
(giftigen)  Phosphors  zur  Erzeugung  von  Zündhölzchen  uid,ersagt. 
Finnland,  Dänemark,  Deutschland,  die  Schweiz  und  die  Nieder- 
buide  haben  bereits  das  Weißphosphorvorbot.  Frankrcdch  und 
Rmnänien,  avo  Staatsmouopol  hestebt,  erzeugen  in  ihren  Fabriken 
nur  schwedisebe  Zünilhölzcdien  (mit  dem  ungiftigen  roten  Pbos- 
phor)  und  an  allen  Reibflächen  eidzündhare  Zündhölzchen  mil 
einer  ungiftigen,  keinen  weißen  Phosphor  enthaltenden  Zünd- 
Uiasse.  Luxemburg  und  Italien  hal)en  sich  in  einei'  internationalen 
Konvention  Amiidlichtet,  innerhall)  \u)n  vier  Jahren  ein  Wedß- 
phosphorverbot  zur  Durchführung  zu  bringen.  Hoffen  Avii\  daß 
sich  auch  Oesterreich  bald  dieser  Konvention  anschließt. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Wien. 

S  i  t  z  u  n  g  d  e  r  p  ä  d  i  a  t  r  i  s  c  h  e  11  S  e  k  t  i  o  n  V  o  m  6.  J  u  n  i  1007. 

J.  F  r  i  e  d  j  u  n  g  stellt  ein  vierjähriges  ungeimpftes  Mädchen 
mit  sekundärer  Vakzine  im  Gesichte  vor.  Die  Infektion 
ging  von  einem  älteren  Bruder  aus,  der  am  11.  Mai  geimpft  Avorden 
war.  Die  Uebertragung  dürfte  nach  den  Angaben  des  Vaters  und 
dem  Befunde  am  13.  Tage  post  vaccinationem  geschehen  sein, 
also  zu  einem  Termin,  der  mit  der  Angabe  der  Autoren,  die 
I.ymphe  werde  etAva  am  neunten  Tage  uiiAA'irksam,  im  Wider¬ 
spruche  steht. 

L.  J  e  h  1  e  demonstriert  einen  durch  S  e  r  u  m  b  e  h  a  n  d- 
lung  geheilten  Fall  von  Zerebrospinal  menin¬ 
gitis.  Das  Kind  erkrankte  unter  Mattigkeit  und  wiederholtem 
Erbrechen  an  Kopfschmerz  und  Nackensteifigkeit  und  delirierte. 
Die  Lumbalpunktion  ergab  eiterhaltige  Flüssigkeit.  Nach  intra¬ 
duraler  Injektion  von  20  cm'*  von  P  a  1 1  a  u  f-Serum  kam  das  Kind 
zum  Bewußtsein,  dann  stellten  sich  aber  Avieder  Fieber  und  Be¬ 
nommenheit  ein,  Avelche  nach  einer  zAveiten  Injektion  dauernd 
verschwanden.  Drei  Tage  nach  der  ersten  Injektion  trat  ein  Herpes 
auf,  im  Blaseninhalt  Avurden  Meningokokken  nachgewiesen. 

Th.  E  s  c  h  e  r  i  c  h  bemerkt,  daß  das  P  a  1 1  a  u  f  -Serum  nach 
seinen  Erfahrungen  in  leichten  und  mittelscliAveren  Fällen  von 
Zerehrospinalmeningitis  günstig  Avirkt,  bei  schAveren  aber  versagt. 
Das  Vorkommen  von  Meningokokken  in  den  Herpesblasen  zeigt, 
daß  dieselben  als  ein  metastatischer  Prozeß  aufzufassen  sind. 

Schey  zeigt  ein  einjähriges,  aus  Jaffa  in  Palästina  stam¬ 
mendes  Kind  mit  Malaria.  Dasselbe  zeigt  einen  hochgradigen 
Milz-  und  Lebertumor,  die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  be¬ 
trägt  2V2  Millionen.  Das  Fieber  hat  einen  unregelmäßigen  Ver¬ 
laufstypus. 

Gl.  V.  Pirquet:  U  e  b  e  r  diagnostische  Impfung 
mit  Tuberkulin. 

P.  Moser  hält  die  Methode  für  eine  wichtige  Bereicherung 
der  Diagnostik.  Unter  den  von  ihm  geimpften  120  Kindern  kamen 
28  zur  Obduktion.  Von  17,  welche  keine  Reaktion  gezeigt  hatten, 
Avurde  bei  14  keine  Tuberkulose  gefunden,  drei  Avaren  tuberkulös, 
es  handelte  sich  um  die  vom  Vortr.  erwähnten  Fälle  von  Kachexie 
oder  ante  exitum.  Die  elf  Fälle,  welche  reagiert  hatten,  Avaren 
alle  tuberkulös.  Moser  möchte  das  Verfahren  auch  bei  Stillenden 
diagnostisch  verwenden,  um  Tuberkulöse  vom  Stillgeschäft  aus¬ 
zuscheiden. 

J.  Fried  j  u  n  g  bemerkt,  daß  es  dann  scliAver  fallen  Avürde, 
überhaupt  Ammen  zu  bekommen.  Sc  bloß  mann  fand,  daß 
die  Hälfte  der  von  ihm  untersuchten  Ammen,  von  denen  die 
meisten  blühend  aussahen,  auf  Tuberkulin  reagierten. 

Tb.  E  s  cheri  ch  weist  auf  die  Einfachheit  der  Beobachtung 
der  Reaktion  bei  dieser  Methode  hin.  Sie  hat  gezeigt,  daß  die 
Tuberkulose  im  frühesten  Kindesalter  selten  ist.  Die  Methode  ist 
leicht  ausführbar  und  läßt  in  kürzester  Zeit  die  Diagnose  stellen. 

24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907.  (Fortsetzung.) 

Referent :  N.  Meyer-  Bad  Wildungen. 

V.  Sitzung:  MittAvoch  den  17.  April,  vormittags. 

J  a  m  i  n  -  Erlangen  demonstriert  stereoskopische 
Röntgenaufnahmen  menschlicher  Herzen,  deren 
Koronararterien  mit  einer  MenigeaufschAvemmung  in  Gelatinelösung 
injiziert  waren.  Die  in  Gemeinschaft  mit  M  e  r  k  e  1  -  Erlangen  mit 
dieser  Methode  ausgeführten  Untersuchungen  zeigten,  daß  sowohl 
hinsichtlich  der  Verteilung  der  Koronararterien  auf  die  funktionell 
verschiedenwertigen  Herzabschnitte  als  auch  hinsichtlich  der 
unter  normalen  Verhältnissen  vorhandenen  anatomischen  Ver¬ 
bindungen  mannigfache  individuelle  Variationen  Vorkommen,  die 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  25 


bei  der  Erklärung  der  Folgen  eines  Koronarverschlusses  zu  be¬ 
achten  sind.  In  Fällen  einseitiger  üstiumstenose  war  es  stets 
luüglicli,  von  der  gesunden  Arterie  aus  auch  das  Gebiet  der  er¬ 
krankten  durch  die  Injektion  zu  füllen,  doch  waren  die  Ueher- 
triltswege  verschieden,  bald  über  die  Vorhöfe  in  gröberen  Aesten, 
bald  im  Muskellleisch  der  Kamnierwand  und  besonders  im  Septum 
in  feinen  Verbindungen  verlaufend.  Die  Älethode  gestattet  die 
Beobachtung  der  gesamten  Koronararterienverzweigung  am  unver¬ 
letzten  Herzen,  ohne  die  nachfolgende  llerzsektion  irgendwie 
zu  behindern  und  kann  daher  als  eine  zweckmäßige  Ergänzung 
der  letzteren  in  geeigneten  Fällen  gelten. 

Diskussion.  Schwalbe-  Berlin  ist  der  Ansicht,  daß 
nach  diesen  Unteruchungen  der  von  C  o  h  n  h  e  i  m  angestellte 
Begriff  der  „Endarterien“  wenn  überhaupt,  so  jedenfalls  nur  für 
wenige  Organe  noch  aufrecht  erhalten  werden  könne.'  Spalte¬ 
holz  stimmte  diesen  Ausführungen  zu  und  erklärte  auch  eine 
erneute  Untersuchung  der  Verteilung  der  Gehirnarterien  für  sehr 
wünschenswert,  da  auch  an  diesem  Organ  manche  Beobachtungen 
dagegen  sprechen,  daß  es  sich  um  Endarterien  handelt.  Darauf 
folgte  die  Demonstration  der  in  einem  Nebenraum  aufgostellten 
Originalpräparate,  Photographien  und  Zeichnungen. 

D  e  t  e  r  m  a  n  n  -  Freiburg  :  Demonstration  eines  einfachen, 
sofort  gebrauchsfertigen  B  1  u  t  v  i  s  k  o  s  i  m  e  t  e  r  s. 

D  e  t  e  r  m  a  n  n  untersucht  die  Blutzähigkeit  hei  Zimmer¬ 
temperatur  und  bei  Anwendung  der  Schwere  als  Druck  mit  einem 
sanduhrförinig  gestalteten  Viskosimeter,  das  in  einem  Wasser¬ 
mantel  eingeschlossen  ist  und  sich  zum  Zweck  wiederholter 
Untersuchungen  leicht  um  180''  drehen  läßt.  Er  bezieht  alle  ge¬ 
fundenen  Durchflußzeiten  auf  20''  und  berücksichtigt  den  Unter¬ 
schied  der  zufälligen  Untersuchungstemperatur  vermittels  Fest¬ 
stellung  der  gesetzmäßigen  Aenderungen  der  Blutviskosität  bei 
verschiedener  Temperatur,  also  vermittels  Kenntnis  der  Viskosi- 
lätskurven  bei  sich  ändernder  Temperatur.  Die  so  gewonnenen 
Kurven  verlaufen  wahrscheinlich  in  Form  einer  Parabel.  Durch 
Aufstellung  einer  Kurventahelle  für  alle  vorkommenden  Blutarten 
ist  man  in  der  Lage,  sogleich  alle  gefundenen  Durchlaufszeiten 
auf  20”  zu  beziehen  und  nach  Eichung  des  Instruments  mit 
Wasser  oder  Anilin  gültige  Blutzähigkeitswerte  schnell  zu  gewinnen. 

Der  kleine  Apparat  ist  gut  transportabel,  ohne  Vorbereitungen 
benutzbar.  Durch  diese  Methode  werden  auch  die  Fehlergrenzen 
weiter  eingeengt,  besonders  wenn  man  die  physiologischen  Schwan¬ 
kungen  der  Blutzähigkeit  in  der  übrigen  Methodik  genügend  be¬ 
rücksichtigt. 

E  h  r  e  n  r  e  i  c  h  -  Kissingen  :  Demonstration  von  m  i  k  r  o- 
s  k  0  p  i  s  c  h  e  n  P  r  ä  i)  a  r  a  t  e  n  von  H  ü  h  n  e  r  k  a  r  z  i  n  o  m  e  h. 

E  h  r  e  n  r  e  i  c  h  demonstriert  makroskopische  und  mikro¬ 
skopische  Präparate  von  Hühnerkarzinomen.  Vortr.  verfügt  jetzt 
insgesamt  über  sieben  Fälle  von  malignen  Tumoren  beim  Huhn, 
von  denen  fünf  sichere  Kju  rzinome  sind.  Er  zeigt,  daß  das  Kai’- 
zinoin  beim  Huhn  ziemlich  häufig  auftritt. 

F  r  a  n  z  e  -  Bad  Nauheim  :  Demonstration  einer  d  u  r  ch  - 
sichtigen  Z  e  i  c  h  e  n  e  h  e  n  e  für  Orthodiagraphie. 

Gräupner-Bad  Nauheim:  Demonstration  eines  Ergo¬ 
meters  für  dosierte  Arbeitsleistung  mit  ver¬ 
schiedenen  ]\I  u  s  k  e  1  g  r  u  p  p  e  n. 

G  r  ä  u  p  n  e  r  demonstriert  einen  Ergometer,  vermittels  dessen 
er  die  Größe  der  Herzgefäßfunktion  objektiv  prüft  und  durch  me߬ 
bare  Relationen  ausdrückt.  Die  Relationen,  die  Gräupner  bei 
der  funktionellen  Prüfung  der  Herzgefäßarbeit  gefunden  hat,  sind 
streng  physikalischer  Natur  und  lassen  sich  folgendermaßen  aus- 
drücken :  Bei  gleicher  Triebkraft  des  Herzmuskels  stellt  der  volle 
Blutdruck,  resp.  der  Blutdrukkoeffizient  sich  desto  rascher  nach 
dosierter  Körperarbeit  ein,  je  weniger  der  Widerstand  in  Gefä߬ 
arbeit  (=  Spannungsarbeit)  sich  ändert.  Nun  kann  man  den  Wider¬ 
stand  ändern,  indem  man  das  Arbeitsmaß  proportional  steigert. 
So  lange  nun  der  Herzmuskel  leistungsfähig  ist,  so  lange  hat 
er  die  Fähigkeit,  den  höheren  Widerstand  zu  überwinden  —  resp. 
wmnn  er  den  Widerstand  nicht  überwindet,  so  dauert  es  desto 
längere  Zeit,  ehe  der  Blutdruckquotient  in  voller  Höhe  nach  der 
Beendigung  der  Arbeit  sich  einstellt.  1st  der  Herzmuskel  funktionell 
ermüdet,  so  sinkt  der  Blutdruckquotient  desto  tiefer  und  (!s 
dauert  desto  länger,  ehe  der  Quotient  (=  Schlagvolum)  ansteigt. 
Auf  diesem  Wege  urteilt  Gräupner  über  Suffizienz,  funktionelle 
und  pathologische  Insuffizienz  —  je  kleiner  die  Arbeit  und  je 
eher  die  pathologische  Insuffizienz  eintritt,  desto  schwächer 
ist  der  Herzmuskel. 

Diskussion.  F.  K  1  e  m  p  e  r  e  r  -  Berlin  bestreitet  die 
Richtigkeit  der  G  r  ä  u  p  n  e  r  sehen  Voraussetzung,  daß  man  an 


irgendeinem  Ergometer  die  Arbeitsleistung  in  dem  Sinne  dosieren 
könne,  daß  dadurch  ein  bestimmter  Gefäßwiderstand  gesetzt  werde. 
Die  Gefäßinnervationen  seien  nach  Grad  und  Art  in  weitgehendem 
Maße  unabhängig  von  der  Menge  und  Art  der  geleisteten  Arbeit 
und  nicht  diese,  sondern  psychische  Faktoren,  die  mit  der  Arbeit 
verbunden  sind,  seien  in  erster  Linie  bestimmend  für  die  Ver¬ 
änderungen  des  Blutdrucks  bei  einer  Arbeitsleistung.  Dement¬ 
sprechend  hat  Klemperer  sich  von  dem  Zutreffen  der 
G  r  äu  p  n  e  r  sehen  Kurven  nicht  überzeugen  können,  jede  der¬ 
selben  traf  er  gelegentlich  beim  Gesunden,  jede  beim  Herz¬ 
kranken  an. 

'  Hoffmann-  Bad  Nauheim :  Ueber  einige  neue 
Modifikationen  der  unblutigen  Blutdruckmes¬ 
sung  nach  R  i  V  a  -  R  o  c  c  i  beim  Menschen. 

H  o  f  m  a  n  n  demonstriert  einen  Apparat  für  photographische 
Aufnahmen  von  Blutdruckwerten  beim  Menschen.  Außer  für  diese 
dient  der  Apparat  noch  für  Aufnahme  von  Sphygmogrammen  und 
Plethysmogrammen.  Demonstrierender  hat  zu  gleicher  Zeit  unter¬ 
einander  auf  demselben  Film  vier  Aufnahmen  photographiert 
(Phlethysmogramm  des  linken  Armes,  des  rechten  Beines,  Auf¬ 
nahme  des  Spitzenstoßes  und  Sphygmogramm  der  Karotis).  An 
dem  Apparat  ist  außerdem  ein  Zeitmesser  (in  gewissen  Zeitab¬ 
ständen  fallender  W'^assertropfen)  angebracht,  der  ebenfalls  auf 
photographischem  Wege  arbeitet. 

M  ü  1 1  e  r  -  Breslau  und  .loch  m  a  n  n  -  Berlin :  Demonstration 
einer  einfachen  Methode  zum  Nachweise  proteolytischer 
F  e  r  m  e  n  t  w  i  r  k  u  n  g  e  n. 

Das  Verfahren  beruht  zunächst  auf  der  Verwendung  von 
Blutserumplatten,  d.  h.  von  Glasschalen,  die  mit  erstarrtem  tierischen 
Blutserum  ausgegossen  sind.  Bringt  man  darauf  das  zu  prüfende 
Material,  z.  B.  einzelne  Eitertröpfchen,  so  entstehen  bei  50  bis  ßO“ 
in  wenigen  Stunden  tiefe  Löcher,  die  nicht  auf  der  Anwesenheit 
von  Bakterien,  sondern  auf  der  eiweißlösenden  Wirkung  des  an  die 
weißen  Blutkörperchen  gebundenen  Ferments  beruhen.  Das  Ver¬ 
fahren  ist  imstande,  langwierige  chemische  Untersuchungen  ent¬ 
behrlich  und  die  interessanten  Tatsachen  des  eiweißlösenden  Fer¬ 
ments  der  weißen  Blutkörperchen  auch  der  Klinik  dienstbar  zu 
machen.  Bemerkenswert  ist  die  Tatsache,  daß  ein  eiweißlösendes 
Ferment  durch  die  genannte  Methode,  abgesehen  vom  Menschen, 
nur  noch  bei  Affen  (insbesondere  bei  den  höheren)  und  merk¬ 
würdigerweise  bei  Hunden  nachweisbar  ist.  Im  Blute  des  Menschen 
kreist  ein  Hemmungskörper,  der  die  Wirkung  des  proteolytischen 
Ferments  aufhebt,  bzw.  abschwächt.  Die  Wechselwirkungen 
zwischen  Ferment  und  Hemmungskörper  lassen  sich  mit  Hilfe 
der  neuen  Methode  leicht  studieren.  Sie  sind  wichtig  zur  Unter 
Scheidung  der  einzelnen  Formen  krankhafter  Ergüsse  in  die  ein¬ 
zelnen  Körperhöhlen  (insbesondere  bei  Flüssigkeitsansammlungen 
im  Rippenfell-  und  Bauchfellraum). 

Strauß-  Berlin  :  Demonstration  von  P u  1  s  d  r  u  c  k  k  u  r  v  e  n 
(turgo-tonometrische  Pulsdruckkurven). 

Strauß  demonstriert  Kurven,  welche  einerseits  mit  dem 
Turgo-Sphygmographen,  anderseits  mit  einer  neuen  Vorrichtung  auf¬ 
genommen  sind,  welche  die  Druckschwankungen  eines  Quecksilber¬ 
manometers  auf  eine  berußte  Trommel  überträgt.  Aus  den  Kurven 
läßt  sich  der  systolische  und  diastolische  Puls  durch  einfache  Aus¬ 
messung  der  Druckgröße,  hei  welcher  die  betreffenden  Pulse  ge¬ 
schrieben  sind,  auf  relativ  einfache  Weise  ermitteln. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag:  den  21.  Juni  1:907,  7  Ulir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Hofrat  Prof.  Dr.  V.  v.  Ebner  stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  lliid.  Kaufinaiiii:  Ueber  Kontraktionsphänomene  am  Magen. 

2.  Priv.-Doz.  Dr.  Oskar  Sioerk :  Ueber  experimentelle  Leber¬ 
zirrhose  auf  tuberkulöser  Basis.  (Vorläufige  Mitteilung  mit  Demonstration.) 

3.  Dr.  Julius  Bartel :  Mitteilungen  mit  Demonstrationen. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Programm  der  am  Montag  den  24.  Juni  1907,  6  Uhr  abends,  im 
Hörsaal  der  k.  k.  Universitätsohrenklinik  stattfindenden  Sitzung. 
Demonstrationen  angemeldet  die  Herren  E.  Urbantschitscli,  F.  Alt» 
If.  Frey,  A.  Politzer,  11.  Neninann,  E.  Buttin  und  B.  Barany. 
Urbantschit.scli.  Alexander.  Frey. 


V«r*ntworllich«r  Btdaktaur:  Adalbert  Karl  Tmpp.  Vtrlag  von  Wilhelm  Branmttller  in  Wien. 

Druck  von  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  ThereiiengaBie  8. 


rr  ■  ^ 

Die 

„Wieuer  kllulsclie 
Woclieiisclirlft“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  mindestens 
zwei  Bogen  Großqnart. 

Zuschriften  für  die  Redaktion 
sind  zu  richten  nach 

Wien,  IX/i,  Wasagasse  12. 

Bestellungen  und  Geld¬ 
sendungen  an  dieVerlags- 
handlung. 

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unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  0.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  E.  Finger, 
M.  Gruber,  A.  Kolisko,  H.  Meyer,  K.  v.  Noorden,  H.  Obersteiner,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  G.  Riebl,  Artbur  Scbattenfrob,  F.  Scbauta,  J.  Schnabel,  C,  Toldt, 
A.  V.  Vogl,  J.  V.  Wagner,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrat  Prof.  H.  v.  Bamberger. 
Herausgegeben  von 

Anton  Freih.  v.  Eiseisberg,  Theodor  Esoherioh,  Ernst  Fuchs,  Julius 
Hoohenegg,  Ernst  Ludwig,  Edmund  v.  Neusser,  L.  R.  v.  Sohrötter  und 

Anton  Weiohselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiert  von  Prof.  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


rr . . 

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jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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Aufträge  für  das  In-  und  Aus¬ 
land  werden  von  allen  Buch¬ 
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handlung  übernommen.  — 
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lung  nicht  erfolgt  ist,  gelten 
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werden  mit  60  h  =:  50  Pf.  pro 
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Telephon  Nr.  17.618. 


XX.  Jahrgang.  Wien,  27.  Juni  1907.  Nr.  26. 

INHALT: 


1.  Origiualartikel :  1.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie.  III.  Die 
elektrische  Uebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven.  Von 
Prof.  Dr.  P.  Chvostek. 

2.  Aus  dem  Rudolfinerhaus  in  Wien-Döbling.  Zur  Technik 
der  Operationen  an  der  Hypophyse.  Von  Primararzt  Doktor 
Ludwig  Moszkowicz. 

3.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in  Wien. 
(Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.)  lieber  experimentelle  Haut¬ 
tuberkulose  bei  Affen.  Von  Prof.  Dr.  R.  Kraus  und  Priv.- 
Doz.  Dr.  S.  Grosz. 

4.  Aus  der  II.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien.  (Vorstand: 
Hofrat  Prof.  Dr.  Julius  Hochenegg.)  Ein  Fall  von  subkutan 
entwickeltem  Plattenepithelkarzinom  der  Glutäalgegend.  Von 
Dr.  Julius  Richter,  Operationszögling. 

5.  Zur  Bronchoskopie  bei  Fremdkörpern.  Von  Dr.  phil.  et  med. 
Hermann  v.  Schrötter  in  Wien. 


II.  Referate:  Deskriptive  Biochemie  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  chemischen  Arbeitsmethoden.  Von  Dr.  Siegmund 
Frankl.  Ref.:  Otto  v.  Fürth-Wien.  —  Die  wirtschaftlich 
wichtigen  Zecken  mit  besonderer  Berücksichtigung  Afrikas.  Von 
H.  Dönnitz.  Die  blutsaugenden  Dipteren.  Von  K.  Grünberg. 
Taschenbuch  der  mikroskopischen  Technik  der  Protisten¬ 
untersuchung.  Von  S.  V.  Prowazek.  Atlas  und  Grundriß  der 
Bakteriologie  und  Lehrbuch  der  speziellen  bakteriologischen 
Diagnostik.  Von  K.  B.  Lehmann  und  R.  0.  Neumann. 
Praktikum derBakteriologie  und  Protozoologie.  Von  K.  Kißkalt 
und  M.  Hart  mann.  Ref.:  Dr.  A.  Ghon.  —  Lehrbuch  der 
Mikrophotographie.  Von  Dr.  R.  Neuhauß.  Ref.:  J.  Erdheim. 

III.  Ans  verscliiedeueu  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

y.  Yerhandlnngen  ärztlicher  Gesellschaften  nndEongreßberichtc. 


Beiträge  zur  Lehre  von  der  Tetanie. 

Hl.  Die  elektrische  Uebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Chvostek. 


Bei  der  Bedeutung,  die  der  erhöhten  elektrischen  Er¬ 
regbarkeit  der  motorischen  Nerven  für  die  Diagnose  der 
Tetanie  allseits  zuerkannt  wird,  mag  es  vielleicht  überflüssig 
erscheinen,  wenn  im  folgenden  in  Kürze  die  Erfahrungen,  die 
ich  über  das  Erb  sehe  Phänomen  im  Verlaufe  der  Jahre 
machen  konnte,  angeführt  werden.  Zur  Motivierung  sei  daher 
I®  bemerkt,  daß  sich  die  gewonnenen  Anschauungen  nicht  voll- 
ständig  mit  den  herrschenden  Auffassungen  über  die  dia- 
gnostische  Bedeutung  dieses  Phänomens  decken  und  unserer 
Auffassung  nach  in  gewissem  Sinne  einer  Korrektur  bedürfen. 
''  Im  Anschlüsse  soll  dann  ein  eigentümliches  Verhalten  der 
motorischen  Nerven  bei  Tetanie  gegen  den  elektrischen  Strom 
Erwähnung  finden,  dem  in  manchen  Fällen  eine  diagnostische 
Bedeutung  zukommen  kann. 

Im  Laufe  der  Zeit  haben  die  Anschauungen  über  die 
Wertigkeit  der  einzelnen  Symptome  für  die  Diagnose  der 
Tetanie  eine  Wandlung  erfahren.  Während  man  ursprüng- 
lieh  geneigt  war,  jedem  der  Kardinalsymptome  der  Tetanie: 

.  *  der  mechanischen  Uebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven, 
dem  Erb  sehen  und  Tr  o  u  s  seau  sehen  Phänomen  eine 
p:  pathognomische  Bedeutung  zuzusprechen,  sah  man  sich  dann 
später  durch  den  Nachweis,  daß  das  Fazialisphänomen  auch 
bei  nicht  Tetaniekranken  Vorkommen  kann,  veranlaßt,  der 


mechanischen  Uebererregbarkeit  der  Nerven  eine  diagnostische 
Bedeutung  überhaupt  abzusprechen.  Die  Berechtigung  dieses 
Standpunktes  wurde  in  einer  der  vorhergehenden  Mitteilungen 
erörtert.  Es  sollte  dann  das  Tr  o  u  s  se  a u  sehe  allein,  oder 
das  Erb  sehe  Phänomen  genügen,  um  die  Diagnose  zu  stellen. 
Durch  den  Nachweis,  daß  sich  die  erhöhte  elektrische  Erreg¬ 
barkeit  auch  bei  anderen  Individuen  findet,  kam  das  E  r  b- 
sche  Phänomen  in  Mißkredit,  so  daß  Schlesinger^)  mit 
Ausnahme  des  Trousseauschen  Phänomens  kein  Symptom 
als-  für  die  Tetanie  charakteristisch  annimmt.  Späterhin  wurde 
dann  auch  diesem  die  diagnostische  Verwertbarkeit  abge¬ 
sprochen,  da  das  Vorkommen  des  Trousseauschen  Phä¬ 
nomens  auch  bei  Hysterie  beobachtet  werden  konnte.  Folge¬ 
richtig  wäre  es  nun  gewesen,  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  die 
Anwesenheit  eines  Symptomes  allein  nicht  ausreicht,  eine 
sichere' Diagnose  zu  stellen.  Dieser  Standpunkt  jedoch  wird 
keineswegs  eingenommen.  Im  Gegenteile  macht  sich  in  neuerer 
Zeit  immer  mehr  und  mehr  das  Bestreben  geltend,  ohne  auf 
Widerstand  zu  stoßen,  die  elektrische  Uebererregbarkeit  als 
für  die  Diagnosenstellung  maßgebend  hinzustellen.  Nach  der 
Auffassung  der  meisten  Autoren,  die  sich  in  letzter  Zeit  mit 
Tetanie  beschäftigten,  soll  weder  das  Fazialisphänomen  allein, 
noch  das  Tr ous  se  a  usche  Phänomen  für  die  Diagnose  irgend 
etwas  beweisen,  ja  selbst  die  Kombination  beider  wird  von 
einzelnen  als  belanglos  angesehen  und  nur  das  Vorhanden¬ 
sein  des  Erbschen  Phänomens  soll  ausschlaggebend  sein.  Die 
Berechtigung  dieses  Standpunktes  könnte  dann  zugegeben 
werden,  wenn  als  erwiesen  angesehen  werden  könnte,  daß 


.Ö3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  26 


dem  Krh sehen  Phänomen  gegenüber  den  beiden  übrigen 
Kardinaisymptomen  wirklich  eine  solche  Prävalenz  zukommt, 
wie  man  dies  anzunehmen  geneigt  scheint.  Dies  ist  nun,  wie 
wir  glauben,  keineswegs  der  Fall. 

Die  elektrische  Uebererregbarkeit  der  motorischen 
Nerven  ist  ein  konstantes  Symptom  der  Tetanie  in  demselben 
Maße  wie  die  mechanische  Uebererregbarkeit.  Im  akuten  An¬ 
fälle  der  Tetanie  wird  sie  wohl  kaum  vermißt  werden,  wenn 
man  oft  genug,  zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  verschiedenen 
Nerven  prüft.  Auch  die  elektrische  Erregbarkeitsänderung 
zeigt  ebenso  wie  die  mechanische  ein  ungemein  variables 
Verhalten  und  ein  Schwanken  der  Intensität  unabhängig  von 
den  Schwankungen  der  übrigen  Symptome.  Es  gibt  Fälle,  bei 
welchen  das  Erb  sehe  Phänomen  ausgesprochen  vorhanden 
ist,  an  allen  Nerven  nachgewiesen  werden  kann  und  die 
übrigen  Erscheinungen  überdauert.  Dann  sehen  wir  solche 
Fälle,  bei  welchen  kurze  Zeit,  oft  Stunden,  nach  dem  Ab¬ 
klingen  des  Krampfanfalles  die  elektrische  Uebererregbarkeit 
rasch  schwindet,  eventuell  nur  mehr  an  einem  oder  dem 
anderen  Nerven,  und  da  nur  in  einem  Grade  vorhanden  ist, 
der  uns  ihre  Anwesenheit .  nicht  sicher  erkennen  läßt.  In 
anderen  Fällen  ist  sie  überhaupt  kaum  angedeutet,  wir  finden 
Werte,  die  wir  bei  Gesunden  auch  als  hoch  bezeichnen 
müßten;  auch  nichts  von  den  sonstigen  Kriterien  der  er¬ 
höhten  elektrischen  Erregbarkeit  ist  vorhanden  und  nur  der 
Nachweis  noch  höherer  Werte  im  weiteren  Verlaufe 
läßt  uns  die  vorangegangene  Erregbarkeitszunahme  erschließen. 
Manchmal  ermöglicht  uns  in  einem  solchen  Falle  die  Zu¬ 
nahme  der  Erregbarkeit,  vielleicht  nur  an  einem  Nerven,  in 
Breiten,  wie  wir  sie  bei  nicht  an  Tetanie  Kranken  wohl  kaum 
beobachten  können,  die  Annahme  einer  erhöhten  Erregbarkeit. 
Daß  es  Fälle  gibt,  bei  welchen  im  akuten  Stadium  der 
Tetanie  das  Erb  sehe  Phänomen  überhaupt  vermißt  und  nicht 
wenigstens  im  Verlaufe  wiederholter  Untersuchungen  an 
einem  oder  dem  anderen  Nerven  nachgewiesen  werden  könnte, 
ist  jedenfalls  eine  große  Seltenheit.  Mir  ist  in  meinen 
Beobachtungen  kein  derartiger  Fall  vorgekommen.  West- 
phaP)  teilt  einen  Fall  von  Tetanie  mit  normaler  Erregbar¬ 
keit  mit.  Notwendig  ist  aber,  worauf  schon  Erb  hin¬ 
weist,  die  wiederholte  Untersuchung  und  die  Untersuchung 
verscldedener  Nerven,  da  sie  oft  nur  an  einzelnen  Nerven, 
z.  B.  am  Nervus  ulnaris  nachweisbar  sein  kann,  an  den 
übrigen  fehlt  oder  an  einem  Nerven  vorhanden  ist,  bald 
schwindet,  um  eventuell  nach  einiger  Zeit  an  einem  anderen 
nachgewiesen  werden  zu  können.  Wir  begegnen  also  den¬ 
selben  Verhältnissen  bei  der  elektrischen  Uebererregbarkeit, 
die  wir  auch  bei  der  mechanischen  Uebererregbarkeit  nach- 
weisen  können. 

In  den  intervallären  Phasen  der  Tetanie  —  in  dem  so¬ 
genannten  Latenzstadium  —  zeigt  sich  aber,  daß  die 
mechanische  Uebererregbarkeit  gegenüber  dem  Erb  sehen 
Phänomen  prävaliert.  Wir  finden  in  einer  weitaus  größeren 
Anzahl  dieser  Fälle  das  Fazialisphänomen  persistent  und  zwar 
oft  in  Graden,  die  uns  allein  schon  die  Existenz  einer  Tetanie 
mehr  als  wahrscheinlich  machen  müssen,  während  die 
elektrische  Uebererregbarkeit  bereits  vollständig  fehlt  oder 
Werte  ergibt,  die  innerhalb  der  normalen  Breiten  gelegen 
sind.  Das  Fazialisphänomen  ist  viel  häufiger,  oft  das  einzige 
l.atenzsymptom  der  Tetanie  und  Fälle  mit  allein  vorhandener 
erhöhter  elektrischer  Erregbarkeit,  ohne  gleichzeitige  andere 
Symptome,  gehören  gewiß  zu  den  seltenen  Vorkommnissen. 
Hochgradiges  isoliertes  Erbsches  Phänomen  konnte  ich 
überhaupt  noch  nicht  beobachten,  v.  F  r  a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a r  t^) 
teilt  in  seinen  Zusammenstellungen  über  die  Prognose  der 
Tetanie  einen  derartigen  Fall  mit.  Schon  die  Seltenheit 
isoliert  vorhandener  elektrischer  Uebererregbarkeit  muß  uns 
bei  dem  Umstande,  daß  sie  außerdem  noch  bei  nicht  an 
Tetanie  erkrankten  Personen  angelrolTen  werden  kann,  mit 
der  Verwertbarkeit  des  Er  bschen  Phänomens  in  diesen  Stadien 
der  Tetanie  für  die  Diagnose  dieser  Erkrankung  eine  gewisse 
Bückhaltung  auferlegen. 

So  hochgradige  Aenderungen  der  elektrischen  Erreg¬ 
barkeit,  wie  sie  bei  Tetanie  angetrolfen  werden  können. 


dürften  sich  wohl  kaum  bei  einer  anderen  Erkrankung  finden. 
Wenigstens  -kann  ich  mich  keines  einzigen  derartigen  Falles 
entsinnen  und  wäre  —  glaube  ich  —  bei  dem  Bestehen  einer 
solchen  zum  mindesten  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  einer 
Tetanie  gerechtfertigt,  die  sich  auch  dann  bei  Berücksichtigung 
der  Anamnese  etc.  begründen  lassen  dürfte.  Es  liegen  für 
diese  Grade  der  Erregbarkeitsänderung  die  Verhältnisse  ebenso 
wie  für  das  Fazialisphänomen.  Ein  isoliert  vorhandenes 
Erb  sches  Phänomen  von  geringer  Intensität  kann  ebenso¬ 
wenig  für  die  Diagnose  verwertet  werden,  wie  wir  aus  einem 
angüdeuteten  Fazialisphänomen  auf  das  sichere  Vorhanden¬ 
sein  einer  Tetanie  schließen  könnten,  während  hochgradige 
Veränderungen  der  elektrischen  oder  mechanischen  Erreg¬ 
barkeit  einen  derartigen  Schluß  wohl  rechtfertigen.  Wir 
müssen  eben  —  und  darin  scheint  zum  großen  Teile  die 
Ursache  der  differenten  Anschauungen  zu  liegen  —  da  es  ja 
keine  pathognomischen  Erscheinungen  sind,  nicht  nur  das 
Vorhandensein  der  mechanischen  und  elektrischen  Er¬ 
regbarkeitsänderung  berücksichtigen,  sondern  auch  ihre 
Intensität  für  die  Verwertbarkeit  zu  diagnostischen  Schlüssen 
in  Betracht  ziehen. 

Hochgradige  Veränderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit 
sind  nun  selbst  in  den  akuten  Stadien  der  Tetanie  durchaus 
keine  konstante  Erscheinung  und  in  einer  großen  Reihe  von 
Fällen  sind  sie  gerade  vorhanden  oder  nur  angedeutet.  Und 
so  leicht  uns  in  den  ausgesprochenen  Fällen  die  Entscheidung 
fällt,  so  schwierig  wird  sie  uns  in  den  letzteren.  Es  ist 
leichter  —  so  paradox  es  erscheinen  mag  —  geringe  Grade 
der  mechanischen  Uebererregbarkeit  feslzustellen,  obwohl  wir 
für  sie  keinen  zahlenmäßigen  Ausdruck  erbringen  können, 
als  geringe  Aenderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit  als 
außerhalb  der  normalen  Grenzen  gelegen,  als  pathologisch 
anspreclien  zu  können. 

Wenn  wir  die  Kriterien,  die  Erb"^)  für  die  erhöhte 
elektrische  Erregbarkeit  als  maßgebend  angeführt  hat :  das 
Auftreten  der  Ka.  S.  Z.  bei  einer  geringeren  Stromstärke,  das 
rasche  Auftreten  der  Ka.  D.  Z.  schon  bei  geringem  Strom¬ 
zuwachs,  das  frühzeitige  Auftreten  der  An.  Oe.  Z.  neben  der 

An.  S.  Z.  und  endlich  in  den  höchsten  Graden  das  Auftreten 

des  An.  Oe.  Te.  einzeln  auf  ihre  Wertigkeit  prüfen,  so  wird 
uns  diese  Schwierigkeit  verständlich.  Was  zunächst  die 
niedrigen  Stromstärken  anbelangt,  die  uns  eine  krankhafte 

Steigerung  der  Erregbarkeit  dartun  sollen,  so  ist  die  Be¬ 
urteilung  dieser  mit  gewissen  Schwierigkeiten  verbunden.  Die 
Minimalwerte,  bei  welchen  wir  die  Ka.  S.  Z.  erhalten, 

schwanken  —  abgesehen  von  den  einzelnen  Nerven  —  bei 
den  verschiedenen  Individuen  innerhalb  solcher  Breiten  und 
zeigen  auch  bei  demselben  Individuum  zu  verschiedenen 
Zeiten  solche  Schwankungen,  daß  die  Entscheidung,  ob  eine 
pathologische  Erregbarkeitsveränderung  vorliegt,  aus  diesen 
Werten  allein  wohl  selten  zu  treffen  sein  dürfte.  Stintzing^) 
gibt  z.  B.  für  den  Fazialisstamm  die  Extremwerte  von  0'8  bis 
28  M.-A.,  für  den  Nervus  ulnaris  die  Werte  von  0‘6  bis 
2  6  M.-A.  für  die  Ka.  S.  Z.  an  und  v.  F  r  a  n  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  t'O 
findet  an  denselben  Nerven  zu  verschiedenen  Zeiten 
Schwankungen  für  die  Ka.  S.  Z.  bis  zu  1  M.-A.  Werte,  die 
unterhalb  dieser  Grenzwerte  gelegen  sind,  sind  bei  der 
Tetanie  selbst  im  akuten  Anfall  nicht  konstant  und  können 
selbst  in  diesem  Zahlen  angelroffen  werden,  die  gegen  die 
obere  Grenze  zu  gehen.  Die  Entscheidung  kann  dann  eventuell 
nur  aus  der  Abnahme  der  Erregbarkeit  und  mit  Abklingen 
der  übrigen  Erscheinungen  erschlossen  werden,  wenn  diese 
Erregbarkeitsdifferenzen  wieder  die  Grenzen  der  normalen 
Schwankungen  überschreiten  und  konstant  anhalten.  Die  Ent¬ 
scheidung  erfordert  also  unter  Umständen  länger  dauernde  Be¬ 
obachtung  und  wird  sich  für  Fälle,  in  welchen  die  Erregbarkeits¬ 
änderung  anhält,  wohl  kaum  erbringen  lassen.  In  den  inter¬ 
vallären  Phasen  sind,  wenn  Erregbarkeitsveränderungen  über¬ 
haupt  nachweisbar  sind,  Mittelwerte,  wie  sie  bei  Gesunden  an¬ 
getroffen  werden,  viel  häufiger  als  ausgesprochene  Ver¬ 
änderungen.  Dem  frühzeitigen  Auftreten  der  An.  Oe.  Z.  kann 
wohl  kaum  eine  entscheidende  Bedeutung  zugesprochen 
werden,  da  gerade  bei  dieser,  auch  bei  vollständig  Gesunden, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


dasselbe  VerhaUen  nicht  so  selten  angetrollen  werden  kann. 
Weit  mehr  Bedeutung  kommt  dem  Auftreten  der  Ka.  Oe.  Z. 
zu,  die  bei  normalen  Individuen  —  wenn  überhaupt  —  so 
nur  bei  sehr  hohen  Stromstärken  erzielt  werden  kann.  Sind 
die  Brregbarkeitsveränderungen  bei  Tetanie  keine  sehr  aus¬ 
gesprochenen,  so  können  wir  auch  hier  dieselbe  vermissen 
oder  sie  bei  Werten  erzielen,  die  wir  als  innerhalb  der  Norm 
gelegen  auffassen  müssen.  In  einzelnen  Tüllen  kann  verhältnis¬ 
mäßig  frühzeitiges  Auftreten  der  Ka.  Oe.  Z.  auch  bei  hohen 
Anfangswerten  für  die  S.  Z.  und  sonst  fehlenden  Erscheinungen 
erhöhter  elektrischer  Erregbarkeit  beobachtet  werden.  Von  Be¬ 
deutung  erscheint  die  Neigung  zu  Dauerkontraktionen.  Die  Ver¬ 
kürzung  des  Intervalles  zwischen  S.  Z.  und  Te.  kann  wohl  als 
die  am  meisten  in  Betracht  kommende  Aenderung  angesehen 
werden.  Sie  findet  sich  auch  in  Fällen,  bei  welchen  die  Minimal¬ 
werte  für  die  Ka.  S.  Z.  verhältnismäßig  hoch  gelegen  sind  und  kann 
oft  das  einzige  Symptom  sein,  das  uns  die  erhöhte  Erreg¬ 
barkeit  erschließen  läßt.  Nur  können  wir  auch  bei  Tetanie 
in  Fällen,  bei  welchen  der  weitere  Verlauf  das  Bestehen 
einer  Aenderung  erkennen  läßt,  einen  Stromzuwachs  für  das 
Auftreten  des  Te.  brauchen,  wie  wir  ihn  auch  sonst  bei 
normalen  Menschen  finden  können  und  kommt  das  ver¬ 
hältnismäßig  frühzeitige  Auftreten  des  Ka.  S.  Te.  —  wenn 
auch  selten  —  bei  sonst  fehlenden  Erscheinungen  erhöhter 
elektrischer  Erregbarkeit  vor.  Das  Auftreten  des  An.  Oe.  Te. 
findet  sich  bei  Tetanie  verhältnismäßig  häufig  in  Fällen  mit 
ausgesprochenen  Erregbarkeitsänderungen.  Aber  selbst  ihr 
Vorkommen  bei  relativ  niedrigen  Stromstärken  beweist  uns 
nicht  absolut  das  Vorhandensein  erhöhter  elektrischer  Er¬ 
regbarkeit. 

Marina"^)  konnte  bei  Hysterie  eine  eigentümliche 
elektrische  Reaktion,  die  er  neurotonische  Reaktion  benennt, 
beobachten,  die  sich  dadurch  charakterisiert,  daß  ohne 
Steigerung  der  Erregbarkeit  die  An.  Oe.  Z.  bei  Reizung  vom 
Nerven  aus  verhältnismäßig  frühzeitig  auftritt  und  sowohl  bei 
Ka.  S.  als  auch  bei  An.  S.  und  An.  Oe.  tetanische  Reaktion 
beobachtet  wird.  Er  konnte  in  seinem  ersten  Falle  vom 
Nervus  radialis  aus  die  An.  Oe.  Z.  bei  2  M.-A.,  die  Ka.  S.  Z. 
bei  3  M.-A.  und  die  An.  S.  Z.,  An.  Oe.  Te.  und  Ka.  S.  Te. 
bei  4  M.-A.  erzielen ;  in  seinem  zweiten  Falle  fand  sich  vom 
selben  Nerven  aus  die  An.  S.  Z.  bei  1  M.-A.,  die  Ka.  S.  Z. 
bei  2  M.-A.,  die  alsbald  in  Te.  übergeht,  die  An.  Oe.  Z.  bei 
2‘5  M.-A.  und  An.  S.  Te.  und  An.  Oe.  Te.  bei  5  M.-A.  Die 
prinzipielle  Differenz  gegenüber  dem  elektrischen  Verhalten 
bei  Tetanie  sieht  er  in  dem  Fehlen  der  Steigerung  der  elek¬ 
trischen  Erregbarkeit.  Ebenso  konnte  Remak®)  diese  eigen¬ 
tümliche  Reaktion  bei  normalen  Werten  für  die  Ka.  S.  Z. 
beobachten.  In  einem  Falle  (vermutlich  progressive  Muskel¬ 
atrophie),  bei  welchem  ihm  als  Test  wert  die  Zahlen  der  einen 
normalen  Hand  zur  Verfügung  standen,  fand  er,  daß  auf  der 
kranken  Seite  —  bei  gleichen  Zahlen  für  die  Ka.  S.  Z.  und  An.  S.  Z. 
auf  beiden  Seiden  —  vom  Nervus  ulnaris  aus  die  An.  S.  Z.  und 
der  Ka.  S.  Te.  bei  viel  geringeren  Werten  auftraten.  Auch 
war  an  der  kranken  Seite  An.  Oe.  Te.  zu  konstatieren,  der 
auf  der  gesunden  Seite  nicht  ausgelöst  werden  konnte. 

Er  fand:  Nervus  ulnaris  links  Ka.  S.  Z.,  0'75  M.-A., 
An.  S.  Z.,  1-5  M.,  An.  Oe.  Z.  2-5  M.-A.,  Ka.  S.  Te.  6  M.-A., 
rechts  Ulnaris  Ka.  S.  Z.,  0  8  M.-A.,  An.  Oe.  Z.  UO  M.-A., 
An.S.Z.  U5  M.-A.,  Ka.  S.  Te.  2  M.-A.,  An.  Oe.Te.  6  bis  7  M.-A. 

Das  sind  Zahlen,  die,  wenn  wir  sie  in  einem  Falle,  bei 
welchem  die  Diagnose  einer  Tetanie  fixiert  werden  soll,  be¬ 
gegnen  würden,  ohne  weiters  die  Annahme  eines  positiven 
Erbschen  Phänomens  rechtfertigen  müßten  Es  zeigen  diese 
Beobachtungen,  daß  weder  das  frühzeitige  Auftreten  der 
An.  Oe.  Z.  noch  das  der  Ka.  S.  D.  Z.,  noch  das  Auftreten  des 
An.  Oe.  Te.  die  Annahme  einer  gesteigerten  elektrischen 
Erregbarkeit  rechtfertigen.  Liegen  nun  in  einem  Falle  von 
Tetanie  keine  extremen  Minimalwerte  für  die  Ka.  S.  Z.  vor, 
oder  sind  wir  nicht  in  der  Lage,  aus  dem  weiteren  Verlaufe 
durch  die  Abnahme  der  Werte  eine  vorhergegangene  erhöhte 
elektrische  Erregbarkeit  zu  erschließen,  so  ergeben  sich  für 
unsere  diagnostischen  Erwägungen  oft  unüberwindliche 
Schwierigkeiten.  Ausschlaggebend  könnte  das  Auftreten  des 


Ka.  Oe.  'fe.  sein,  aber  leider  ist  dieser  eine  verhältnismäßig 
seltene  Erscheinung,  auch  in  Fällen  mit  sonst  ausgesprochener 
erhöhter  elektrischer  Erregbarkeit. 

So  einfach  scheinbar  die  Entscheidung  ist,  ob  im  ge¬ 
gebenen  Falle  das  E  r  b  sehe  Phänomen  vorliegt,  so  schwierig 
ist  sie  eigentlich.  Es  liegen,  um  ein  Beispiel  aus  einem 
anderen  Gebiete  heranzuziehen,  ähnliche  Verhältnisse  vor 
wie  bei  der  Diagnose  einer  Kaverne  der  Lunge.  Die  Diagnose 
einer  solchen  aus  den  einzelnen  Symptomen  ist  scheinbar 
einer  der  leichtesten.  Und  doch  gibt  eine  genauere  Beob¬ 
achtung,  daß  keines  der  Kavernensymptome  eigentlich  absolut 
beweisend  ist,  ja  selbst  alle  zusammen  noch  nicht  das*  Vor¬ 
handensein  einer  Kaverne  beweisen  und  daß  die  Diagnose 
einer  Kaverne  eigentlich  zu  einer  der  schwierigsten  gehört. 
Wir  diagnostizieren  aus  denselben  Symptomen  bei  Tuberku¬ 
lose  die  Kaverne  und  behalten  auch  Recht,  weil  eben  bei 
dieser  Erkrankung  die  Höhlenbildung  so  ungemein  häufig 
ist.  Wie  groß  aber  die  Ueberraschung,  wenn  bei  supponierter 
tuberkulöser  Affektion  der  Lunge  die  ausgesprochenen  Kavernen¬ 
symptome  zurückgehen,  der  weitere  Verlauf  die  Diagnose  der 
Tuberkulose  und  der  Kaverne  als  falsch  erkennen  läßt,  oder 
die  Autopsie  nicht  die  Spur  einer  Höhlenbildung  erweist.  Die 
elektrische  Untersuchung  in  ausgesprochenen  Fällen  von 
Tetanie  zeigt  ein  Verhalten  der  Nerven,  das  von  der  Norm 
wesentlich  ab  weicht.  Die  leichtere  Ansprechbarkeit  für  den 
elektrischen  Strom,  das  frühzeitige  Auftreten  des  Te.  und  das 
Auftreten  von  Zuckungen,  die  wir  in  der  Norm  nicht  oder 
nur  bei  extremen  Stromstärken  finden,  erweist  uns  die  er¬ 
höhte  elektrische  Erregbarkeit.  Wir  werden  in  Fällen  von 
Tetanie  mit  der  Annahme  einer  solchen  auch  Recht  behalten, 
wenn  die  Veränderungen  keine  sehr  ausgesprochenen  sind, 
weil  eben  die  klinische  Erfahrung  lehrt,  daß  die  Erregbarkeits¬ 
änderung  ein  konstantes  Symptom  der  Tetanie  ist.  Anders  aber 
liegen  die  Verhältnisse,  wenn  sonst  keine  Erscheinungen  von 
Tetanie  vorliegen.  Die  Beobachtung  Remaks  zeigt  in  drastischer 
Weise,  daß  sämtliche  für  die  erhöhte  elektrische  Erregbarkeit  als 
charakteristisch  angesehene  Abweichungen  von  dem  Ver¬ 
halten  normaler  Nerven  sich  auch  in  Fällen  finden  können, 
ohne  erhöhte  elektrische  Erregbarkeit,  ohne  die  mindesten 
Erscheinungen  einer  Tetanie.  Dieser  Umstand  muß  aber  wohl 
als  ein  schwerwiegender  gegen  die  Annahme  in  Betracht 
kommen,  die  Diagnose  einer  Tetanie  einzig  und  allein  auf  das 
Vorhandensein  der  elektrischen  Erregbarkeitsänderungen  zu 
basieren.  Diese  Bedenken  müssen  um  so  berechtigter  er¬ 
scheinen,  als  ja  auch  erwiesen  ist,  daß  sicher  erwiesene  er¬ 
höhte  elektrische  Erregbarkeit  auch  außerhalb  der  Tetanie 
angetroffen  werden  kann. 

Wenn  auch  die  neurotonische  Reaktion,  wie  es  bisher 
den  Anschein  hat,  nicht  sehr  häufig  angetroffen  zu  werden 
scheint,  so  verdient  doch  ein  Umstand  besondere  Erwähnung  ; 
ihr  Vorkommen  bei  Hysterie.  Die  zwei  Fälle,  die  Marina 
mitteilt,  betrafen  hysterische  Personen.  Aber  gerade  gegen¬ 
über  der  Hysterie  ist  die  Diagnose  einer  Tetanie  oft  schwierig 
und  macht  sich  in  letzter  Zeit  immer  mehr  die  Anschauung 
geltend,  daß  für  die  Differenzierung  einzig  und  allein  das 
Vorhandensein  der  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit  ma߬ 
gebend  ist.  Daß  die  Sache  nicht  so  einfach  sein  kann,  geht  aus 
dem  bisher  angeführten  schon  hervor  und  soll  an  anderer  Stelle 
noch  erörtert  werden.  Hier  wollen  wir  nur  noch  nachsehen, 
ob  wir  nicht  Differenzierungsmomente  der  neurotonischen 
Reaktion  gegenüber  der  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit 
finden  können,  die  uns  unter  Umständen  bei  der  Identität 
der  sonstigen  Erscheinungen  von  Belang  sein  würden.  Denn 
ein  Testobjekt,  wie  es  Remak  in  seinen  gesunden  Nerven 
zur  Verfügung  hatte,  haben  wir  bei  der  Tetanie  nicht,  höchstens 
der  weitere  Verlauf  kann  ein  solches  bringen.  Ein  Unter¬ 
scheidungsmerkmal  scheint  uns  in  dem  Verhalten  der  Nerven 
gegen  den  faradischen  Strom  gelegen  zu  sein. 

Die  Angaben  über  das  Verhalten  der  motorischen  Nerven 
bei  Tetanie  gegenüber  dem  faradischen  Strom  sind  verhältnis¬ 
mäßig  spärlich.  Im  allgemeinen  werden  die  Angaben  von 
Erb^)  bestätigt,  daß  bei  Tetanie  auch  die  faradische  Erreg¬ 
barkeit  erhöht  ist,  daß  größere  Rollenabstände  zur  Auslösung 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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der  Minimalzuckung  genügen,  oder  daß  bei  gleichen  Rollen¬ 
absländen  die  Größe  der  erzielten  Kontraktion  eine  be¬ 
deutendere  ist.  V.  F r  a  n  k  1  -  H  0  c  h\v  a  r  t  h  betont  dann,  daß 
die  faradische  Erregbarkeit  durchaus  nicht  immer  gleichzeitig 
gesteigert  ist,  ein  Verhalten  das  späterhin  von  Bernhard 
S  t  e  w  a  r  t,  ^  A  s  t,  ‘ 2)  und  C  u  r  s  c  h  m  a  n  n  bestätigt  werden 
konnte.  Nach  meinen  eigenen  Beobachtungen  ist  bei  Tetanie 
auch  die  faradische  Erregbarkeit  in  der  Regel  erhöht,  doch 
sind  häufig  die  Erscheinungen  weit  weniger  in  den  Vorder¬ 
grund  tretend  als  bei  der  galvanischen  Erregbarkeit  und  ist 
daher  die  Entscheidung,  ob  eine  solche  überhaupt  vorliegt, 
noch  schwieriger  als  bei  der  galvanischen  Untersuchung.  Auch 
die  Angaben  von  v.  F  r  a n  kl- Ho  c  h  w a  r  t  h  decken  sich 
mit  meinen  Erfahrungen,  daß  die  Schvvankungen  in  der 
faradischen  und  galvanischen  Erregbarkeit  durchaus  nicht 
konform  zu  sein  brauchen. 

Ein  Verhalten  möge  hier  Erwähnung  finden,  dem  ich 
wiederholt,  namentlich  in  der  letzten  Zeit,  begegnet  bin  und 
dem  eine  gewisse  Bedeutung  zuzukommen  scheint.  Während 
für  das  Auftreten  der  Minimalzuckung  vom  Nerven  aus  Rollen¬ 
abstände  erforderlich  waren,  die  als  untere  Werte  auch  für 
normale  Individuen  gelten  konnten,  ja  sogar  Mittelwerten 
entsprachen,  trat  bei  einzelnen  Tetaniekranken  sofort  mit 
dieser  eine  anhaltende  Muskel  unruhe,  ein  fibrilläres  Woogen 
auf,  das  mit  einer  leichten  tetanischen  Reaktion  einherging. 
Das  dominierende  Element  ist  aber  für  gewöhnlich  das 
Muskel  wogen.  In  einer  geringeren  Anzahl  der  Fälle  trat  die 
tetanische  Kontraktion  mehr  in  den  Vordergrund  und  war 
das  Muskelvvogen  weniger  deutlich.  Mit  der  Stromunterbrechung 
schwindet  die  Erscheinung  sofort.  Besonders  schön  ist  diese 
Erscheinung  bei  Reizung  des  Nervus  fazialis  vom  Stamme 
aus  zu  demonstrieren.  Wir  bekommen  in  solchen  Fällen  oft 
gar  keine  ausgesprochene  Zuckung,  sondern  es  tritt  sofort, 
wenn  die  nötige  Stromstärke  erreicht  ist,  zunächst  sichtbar 
am  Augenlid  das  Muskelzittern  auf  und  bei  genauerem  Hin¬ 
sehen  läßt  sich  eine  leichte,  anhaltende  Kontraktion  im 
Musculus  orbicularis  erkennen.  Bei  geringem  Zuwachs  der 
Stromstärke  tritt  das  fibrilläre  Zittern  in  den  Hintergrund  und 
die  tetanische  Kontraktion  ist  ausgesprochen.  Auch  vom 
Nervus  ulnaris  aus  konnte  ich  in  einzelnen  Fällen  gleich  mit 
dem  Auftreten  der  ersten  Reaktion,  auch  wenn  die  Rollen¬ 
abstände  keine  gesteigerte  Erregbarkeit  erkennen  ließen,  ohne 
Auftreten  einer  vorübergehenden  Zuckung,  gleich  das  Auf¬ 
treten  eines  leichten  Tetanus  konstatieren.  Bei  Reizung  dieses 
Nerven  konnte  ich  das  Muskelflimmern  nicht  sehen. 

Dieses  Muskelflimmern  erinnert  an  die  Erscheinungen, 
die  Erb  bei  der  myotonischen  Reaktion  bei  direkter  gal¬ 
vanischer  Reizung  der  Muskeln  beobachten  konnte,  wobei 
den  rhythmischen  Kontraktionen  erst  eine  unruhige,  wogende, 
undulierende  Bewegung  im  Muskel  vorausgeht.  Auch  mit  dem 
faradischen  Strom  erhielt  B  ernh  ardt^‘^)  bei  Reizung  der 
Muskeln  bei  Myotonie  unregelmäßige,  nicht  rhythmische, 
wogende  Kontraktionen.  Gegenüber  der  myotonischen  Re¬ 
aktion  die  auch  im  Verlaufe  der  Tetanie  beobachtet  werden 
kann  Hoffman,^^)  v.  Voss,^*’)  Schul  tze^^),  ist  sie  allein 
schon  durch  den  Umstand  differenziert,  daß  die  Erscheinung 
bei  Reizung  mit  schwachen  faradischen  Strömen  vom  Nerven 
aus  auftritt,  während  es  mir  bisher  nicht  gelang,  diese  Er¬ 
scheinung  bei  direkter  Muskelreizung  zu  sehen,  und  daß  das 
Ueberdauern  der  Kontraktion  fehlt.  Diese  Neigung  der  Muskel 
zu  Flimmern  steht  scheinbar  in  Zusammenhang  mit  dem  bei 
tetaniekranken  Menschen  und  beim  epithelkörperlosen  tetani¬ 
schen  Tiere  häufig  zu  beobachtenden  spontanen  Muskel¬ 
flimmern.  Von  der  neurotonischen  Reaktion  Marinas 
ist  die  elektrische  Uebererregbarkeit  der  Nerven  bei  Tetanie 
wie  es  scheint  durch  die  faradischen  Erregbarkeits¬ 
änderungen  zu  differenzieren.  In  solchen  Fällen  wie  in 
der  Beobachtung  R  e  m  a  k  s,  wo  der  Wert  für  die  Ka. 
S.  Z.  sehr  niedrig  gelegen  ist,  auch  die  übrigen  Kriterien  wie 
das  frühzeitige  Auftreten  des  Ka.  S.  Te.  der  An.  Oe.  Z.  und 
des  An.  Oe.  Te.  im  Sinne  einer  gesteigerten  elektrischen  Er¬ 
regbarkeit  sprechen  müssen,  kann  die  Entscheidung  das  Ver¬ 
halten  der  Nerven  gegen  den  faradischen  Strom  geben. 


Finden  wir  das  Auftreten  der  ersten  Zuckung  bei  Reizung 
vom  Nerven  aus  schon  bei  sehr  großem  Rollenabstande,  oder, 
was  wesentlicher  ist,  ist  die  Differenz  zwischen  erster  Zuckung 
und  Te.  sehr  gering,  oder  tritt  eigentlich  gar  keine  distinkte 
Zuckung,  sondern  gleich  Te.  auf,  so  würde  dies  einer  er¬ 
höhten.  elektrischen  Erregbarkeit  entsprechen.  Das  frühzeitige 
Auftreten  des  Te.  ist  wichtiger,  weil  für  die  Minimalzuckung 
durch  den  faradischen  Strom  bei  Tetanie  sehr  häufig  Werte 
getroffen  werden,  die  als  innerhalb  der  Norm  gelegen  ange¬ 
sehen  werden  können.  Das  frühzeitige  Auftreten  des  Te.  bei 
faradischer  Reizung  erwähnen  aber  weder  Marina  noch 
R  e  m  a  k  für  die  neurotonische  Reaktion  als  bemerkenswert. 
Remak  erwähnt,  daß  die  Zuckungen  bei  Bestimmung  des 
faradischen  Schwellenwertes  nichts  auffallendes  zeigen,  daß 
es  hingegen  auf  der  kranken  Seite  in  seinem  Falle  zur 
Nachdauer  der  Kontraktion  (Minimalwert  112  mm  R.-A.  von 
90  mm  ab  Nachdauer  des  Te.)  kam.  Diese  Nachdauer  des  Te. 
bei  faradischer  Reizung  vom  Nerven  aus  bei  der  neuro¬ 
tonischen  Reaktion,  die  für  die  Differenzierung  gegenüber  der 
einfach  gesteigerten  Erregbarkeit  bei  Tetanie  von  Belang 
wäre,  scheint  aber  keinesfalls  konstant  zu  sein,  wenigstens 
bonnte  sie  Marina  in  seinen  beiden  Fällen  nicht  erzielen. 

Noch  eine  Erscheinung  möge  hier  Erwähnung  finden, 
die  mir  für  die  Stellung  der  Diagnose  in  einigen  Fällen  von 
Tetanie  mit  wenig  ausgesprochener  elektrischer  Uebererregbar¬ 
keit  zu  statten  kam.  Vorausgeschickt  muß  aber  werden,  daß 
sie  für  Tetanie  keineswegs  pathognomonisch  ist,  auch  bei 
Gesunden  angetroffen  werden  kann,  aber  verhältnismäßig  sehr 
selten  und  nicht  in  dem  Maße,  wie  ich  es  bei  Tetaniekranken 
beobachten  konnte.  Wenn  man  mit  dem  galvanischen  Strom 
vom  Nerven  aus  einmal  mit  fixierter  Elektrode  und  Taster¬ 
schluß  reizt,  dann  so  vorgeht,  daß  man  den  Stromschluß  durch 
ganz  vorsichtiges  Auflegen  der  Elektrode  auf  dieselbe  Stelle 
herbeiführt  und  die  Stromstärken  vergleicht,  bei  welchen  die 
Zuckungen  auftreten,  so  finden  wir  eine  auffallende  Differenz 
in  dem  Verhalten  gesunder  und  an  Tetanie  leidender  In¬ 
dividuen. 

Bei  Gesunden  ist  zwischen  beiden  Untersuchungs¬ 
methoden  entweder  gar  keine  oder  nur  eine  sehr  geringe, 
nach  beiden  Seiten  ausschlagende  Differenz.  Der  Einfachheit 
halber  seien  hier  aus  einer  Reihe  von  Beobachtungen  einige 
angeführt.  Bemerken  will  ich  nur  noch,  daß  immer  zuerst  der 
Stromschluß  durch  die  nicht  fixierte  Elektrode  (im  folgenden 
als  labil  benannt),  dann  erst  bei  fixierter  Elektrode  durch 
Tasterschluß  (im  folgenden  als  stabil  bezeichnet)  bewerk¬ 
stelligt  wurde. 

M.  H.,  Hysterie.  Nervus  facialis-Stamm  links  Ka.  S.  Z. 
1‘2  M.-A.  labil,  i'2  M.-A.  stabil;  zwischen  beiden  keine  Differenz. 
Nervus  ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  2'2  M.-A.  labil,  2'2  M.-A.  stabil  ; 
stabil  etwas  stärker. 

A.  T.,  Enteroptose.  Nervus  facialis-Stamm  links  Ka.  S.  Z. 
1‘8  M.-A.  labil,  1‘8  M.-A.  stabil ;  labil  etwas  stärker.  Nervus 
ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  1‘3  M.-A.  labil,  1'3  M.-A.  stabil ;  keine 
Differenz. 

W.  R.,  Cholelithiasis.  Nervus  facialis-Stamm  links  Ka.  S.  Z. 
2  M.-A.  labil,  2  M.-A.  stabil;  keine  Diffei'cnz.  Nervus  ulnaris 
rechts  Ka.  S.  Z.  1‘2  M.-A.  labil,  1‘2  M.-A.  stabil;  keine 
Differenz. 

Nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  erhielt  ich  etwas  größere 
Differenzen.  Als  Extremfall  möge  folgende  Beobachtung  Er¬ 
wähnung  finden : 

M.  N.,  Rheumatismus  artic.  Nervus  facialis-Stamm  links 
Ka.  S.  Z.  2'8  M.-A.  labil,  3‘2  M.-A.  stabil.  Nervus  ulnaris  rechts 
Ka.  S.  Z.  1'5  M.-A.  labil,  1'5  M.-A.  stabil ;  keine  Differenz. 

Dagegen  findet  sich  bei  Tetanie  ein  anderes  Verhalten. 
Es  sind  die  Differenzen  zwischen  der  stabilen  und  der  labilen 
Elektrode  —  wobei  hier  nochmals  hervorgehoben  werden 
mag,  daß  die  Nervenreizung  nur  durch  einfaches  Auflegen  der 
Elektroden  u.  zw.  in  ganz  sachter  Weise  erzielt  wmrde  und 
daß  peinlichst  derselbe  Reizpunkt  eingehalten  wurde  ■ —  oft 
sehr  ausgesprochene  und  fallen  immer  zugunsten  der  labilen 
Untersuchungsmethode  aus.  Es  treten  nicht  nur  die 
Schließung.szuckungen  bei  viel  niedrigeren  Stromstärken  auf, 
sondern  es  gelingt  auch,  die  OelTnungszuckungen  —  die  Strom- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Öffnung  durch  einfaches  Abheben  der  Elektrode  bewirkt  — 
bei  viel  niedrigeren  Stromstärken  zu  erzielen.  Zur  Perlu- 
strierung  seien  einige  Beispiele  angeführt: 

S.  J.,  30  Jahre  alt.  Seit  dem  14.  Jahre  öfter  Krämpfe  in 
den  Armen,  öfter  das  Gefühl  von  Zusammenziehen  in  den  unteren 
Extremitäten.  Seit  einigen  Monaten  Krämpfe  in  den  Händen, 
lypische  Krämpfe.  Fazialisphänomen  positiv.  Nervus  ulnaris 
rechts  faradisch  92  mm,  Tetanus  85.  Nervus  facialis-Stamm  links 
.).j  mm,  gleich  leichter  Tetanus  und  Muskelflimmern.  Nervus 
ulnaris  rechts  Ka.  S.  Z.  ES  M.-A.  labil,  3  M.-A.  stabil;  Ka.  Oe.  Z. 
4  M.-A.  labil,  6  M.-A.  stabil. 

..  Jahre  alt,  Beamter.  Seit  einiger  Zeit  Neigung  zu 

Iviämpfen,  zeitweilig  Parästhesien  in  den  Händen.  Fazialis- 
phänonien  sehr  ausgesprochen.  Trousseau  negativ.  Nervus 
faciahs-Stamm  links  faradisch  96  mm,  Ka.  S.  Z.  1  M.-A.  labil, 
1‘8  M.-A.  stabil.  Nervus  ulnaris  rechts  faradisch  96  mm,  gleich 
leichter  Tetanus,  Ka.  S.  Z.  1  M.-A.  labil,  1'4  M.-A.  stabil;  An.  S  Z 
und  An.  Oe.  Z.  2-3  M.-A.  labil,  2-8  M.-A.  stabil;  Ka.  Oe.  Z. 
3  4  M.-A.  labil,  bei  6  M.-A.  stabil  noch  fehlend. 

I)iese  Erscheinung  fand  sich  bei  hochgradig  vorhandener 
elektrischer  Erregbarkeit  viel  weniger  ausgesprochen  als  in 
fällen  mit  höheren  Werten,  war  im  allgemeinen  weniger 
deutlich  bei  den  Werten  für  die  Ka.  S.  Z.,  am  deutlichsten 
für  die  Ka.  Oe.  Z.  Für  den  faradischen  Strom  konnte  ich 
bisher  eine  solche  Differenz  in  den  Erregungswerten  weder 
bei  normalen  —  wenigstens  nicht  an  Tetanie  kranken  — 
Personen,  noch  bei  Tetanie  finden. 

Eine  befriedigende  Erklärung  für  dieses  Verhalten 
konnte  ich  nicht  finden.  Es  wäre  naheliegend,  anzu¬ 
nehmen,  daß  das  frühzeitige  Auftreten  bei  Berührungs¬ 
schluß  auf  einer  Summation  der  mechanischen  und 
elektrischen  Uebererregbarkeit  beruhe.  Fand  sich  auch  die 
Erscheinung  in  solchen  Fällen,  bei  welchen  die  mechanische 
Uebererregbarkeit  wenig  ausgesprochen  war  und  bei  welchen 
die  Berührung  mit  der  Elektrode,  ohne  Strom  geprüft,  keine 
Zuckung  auslöste  und  geschah  auch  das  Auflegen  der  Elek¬ 
trode  mit  großer  Vorsicht,  so  wäre  eine  Summation  der  Reize 
immerhin  doch  möglich  gewesen.  Dagegen  spricht  aber  das 
Auftreten  der  Differenz  auch  bei  der  Oe.  Z.  Da  die  Unter¬ 
suchung  mit  der  stabilen  Elektrode  immer  erst  an  zweiter 
Stelle  gemacht  wurde,  entfällt  der  Einwand,  daß  eventuell 
aufgetretene  Erregbarkeitsänderungen  im  Nerven  oder  Ver¬ 
minderung  des  Hautleitungswiderstandes  in  Betracht  kommen 
könnten.  Stintzing  begegnet  bei  Bestimmung  seiner 
Grenzwerte  bei  normalen  Personen  offenbar  einer  ähnlichen 
Erscheinung.  Um  die  Reizpunkte  der  Nerven  genau  festzustellen, 
verschiebt  er  die  Reizelektrode  ohne  Strom  und  führt  dann 
verschiedene  Schließungen  aus.  Die  Verschiebungen  sind, 
wie  er  angibt,  sehr  geringe,  höchstens  noch  Millimeter 
betragende.  Bei  diesem  Einstellen  des  Stromgebers  ist  seinen 
Erfahrungen  nach  eine  Vorsicht  zu  gebrauchen :  »Es  darf 
niemals  im  Augenblicke  des  Stromschlusses  verschoben  werden. 
Geschieht  letzteres,  so  tritt  die  Minimalzuckung  zu  früh  auf 
infolge  einer  Summierung  von  Reizen  an  verschiedenen 
Punkten  eines  und  desselben  Organes.«  Daß  dieses  Moment 
vielleicht  mit  in  Betracht  kommt,  kann  zugegeben  werden, 
die  alleinige  Ursache  ist  es  gewiß  nicht.  Denn  auch  bei 
unseren  nicht  an  Tetanie  leidenden  Individuen  konnten  wir, 
wie  früher  angeführt  wurde,  solche  geringfügige  Differenzen 
finden ;  sie  sind  aber  bei  diesen  durchaus  nicht  konstant, 
fehlen  sehr  häufig  vollständig,  sind  sehr  geringfügig  und  nicht 
nur  nach  einer  Seite  hin  ausschlagend.  Dann  spricht  da¬ 
gegen  auch  wieder  das  Auftreten  der  Erscheinung  auch  bei 
der  Stromöffnung.  Daß  es  sich  bei  dieser  Erscheinung  nicht 
um  etwas  für  die  Tetanie  Pathognomonisches,  etwas  von 
den  normalen  Vorgängen  ganz  Abweichendes  handeln  kann, 
ist  klar.  Wir  können  daher  nur  das  häufige  Auftreten,  die 
größere  Intensität  der  Erscheinung  gegenüber  der  Norm, 
namentlich  die  deutliche  Differenz  bei  dem  Auftreten  der 
Ka.  Oe.  Z.,  analog  den  übrigen  Erscheinungen  der  gesteigerten 
elektrischen  Erregbarkeit,  als  in  der  Erregbarkeitsänderung 
begründet  annehmen.  Der  Umstand,  daß  dies  i  Erscheinung 
bei  extremer  Erregbarkeit  weniger  ausgesprochen  ist  als  bei 


geringeren  Graden,  spricht  nicht  gegen  diese  Annahme,  weil 
bei  minimalen  Stromstärken  die  Differenzen  eben  geringer 
sein  müssen.  Bei  der  Schwierigkeit  der  Entscheidung,  ob 
gegebenenfalls  eine  erhöhte  elektrische  Erregbarkeit  vor- 
liegt,  kann  uns  auch  dieses  Verhalten  unter  Umständen  von 
Belang  sein. 

Zusammenfassend  können  wir  sagen ;  Das  Erb  sehe 
Phänomen  ist  ein  konstantes  Symptom  der  Tetanie  in  den 
akuten  Stadien.  Im  akuten  Anfalle  von  Tetanie  ist  es,  ebenso 
wie  die  mechanische  Uebererregbarkeit  der  motorischen  Nerven 
immer  nachweisbar,  wenn  genügend  oft,  zu  verschiedenen  Zeiten 
und  an  verschiedenen  Nerven  untersucht  wird.  Denn  auch  die 
elektrische  Uebererregbarkeit  kann  kurze  Zeit  nach  einem 
Krampfanfalle  nicht  mehr  nachweisbar  sein,  ist  nicht  an 
allen  Nerven  gleichmäßig  vorhanden  und  zeigt  Schwankungen, 
unabhängig  von  den  übrigen  Symptomen.  Ausgesprochene 
Erregbarkeitsänderungen  mit  extrem  niedrigen  Werten  für 
die  Schließungszuckung,  sehr  frühzeitigem  Auftreten  der 
Oeffnungs-  und  Dauerzuckungen,  mit  dem  Auftreten  von 
Oeffnungstetanus  für  Anode  und  Kathode,  sind  ebenso  wie 
extreme  Grade  von  Fazialisphänomen  oder  mechanischer 
Uebererregbarkeit  der  übrigen  Nerven  nicht  allzuhäufig.  Sind  sie 
vorhanden,  dann  genügen  sie  wohl  ebenso  wie  letztere  allein 
zur  Stellung  der  Diagnose.  Weitaus  häufiger  sind  selbst  in 
den  akuten  Stadien  weniger  ausgesprochene  Veränderungen, 
verhältnismäßig  selten  ist  der  An.  Oe.  Te.  und  noch  seltener  der 
Ka.Oe.Te.  zu  erzielen.  Selb.st  die  Minimalwerte  für  dieKa.S.  Z. 
sind  oft  so,  daß  sie  als  innerhalb  der  Grenzwerte  auch  gesunder 
Individuen  gelegen,  angesehen  werden  müssen.  In  solchen 
Fällen  kann  uns  der  weitere  Verlauf  durch  die  Abnahme  der 
W erte  mit  dem  Abklingen  der  übrigen  Symp  tome  die  Erregbarkeits¬ 
änderung  erweisen.  Selbst  mittlere,  sicher  noch  erkennbare  Grade 
des  E  rb  sehen  Phänomens  sichern  allein  die  Diagnose  der  Tetanie 
nicht,  da  sie  ebenso  wie  mittlere  Grade  des  Fazialisphänomens 
auch  bei  niclit  an  Tetanie  kranken  Personen  angetrolfen  werden 
können.  Die  Feststellung  geringerer  Grade  von  elektrischer 
Uebererregbarkeit  ist  aber  schwieriger,  als  die  Feststellung 
solcher  Grade  von  mechanischer  Uebererregbarkeit.  Denn  die 
Grenzen  für  die  Werte  der  einzelnen  Zuckungen  schwanken 
auch  bei  normalen  Individuen  innerhalb  so  großer  Breiten, 
daß  die  Differenzierung,  ob  wir  es  mit  normalen  oder  mit 
pathologischen  Werten  zu  tun  haben,  schwierig  ist.  Keine, 
der  bei  der  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit  vorhandenen 
Aenderungen  der  normalen  Zuckungsformel  erweist  mit  Sicher¬ 
heit  das  Bestehen  einer  solchen.  Wir  finden  dieselben  Er¬ 
scheinungen:  Das  frühzeitige  Auftreten  des  Ka.  S.  Te.,  der 
An.  Oe.  Z.  und  des  An.  Oe.  Te.  auch  an  Nerven  ohne  erhöhte 
Erregbarkeit  bei  der  neurotonischen  Reaktion.  Die  Differenzierung 
dieser' von  der  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit  ist,  wenn 
nicht  extrem  niedrige  Werte  für  die  Ka.  S.  Z.  vorliegen  oder 
uns  der  weitere  Verlauf  einen  Testwert  bringt,  unmöglich. 
Unter  Umständen  kann  uns  in  schwierig  zu  entscheidenden 
Fällen  die  faradische  Untersuchung  durch  das  sofortige  Auf¬ 
treten  des  Te.  bei  den  Minimalstromstärken  die  Entscheidung 
bringen.  Auch  scheint  uns  die  an  Tetaniekrankenzu  konstatierende, 
Erscheinung,  daß  die  Zuckungen,  insbesondere  die  Ka.  Oe.Z., 
viel  früher  bei  Stromschluß  und  Oeffnung  durch  Elektroden¬ 
kontakt  und  Entfernung,  als  bei  stabil  angebrachter  Elektrode 
und  Tasterschluß  und  Oeffnung  auftreten,  für  die  Annahme 
einer  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit  verwendbar.  Die 
faradische  Erregbarkeit  der  Nerven  zeigt  im  allgemeinen 
weniger  ausgesprochene  Veränderungen  als  die  galvanische, 
sie  kann  aber  ausgesprochen  vorhanden  sein  auch  in  Fällen, 
bei  welchen  che  galvanischen  Veränderungen  keine  deutlichen  sind. 
In  den  intervallären  Phasen  der  Tetanie,  auch  in  solchen  Fällen, 
bei  welchen  noch  immer  zeitweilig  Parästhesien,  Neigung 
zu  Krämpfen  etc,  bestehen,  findet  sich  das  Erbsche  Phänomen 
seltener  als  das  Fazialispliänomon.  Es  kommt  daher  dem 
Erbschen  Phänomen,  eine  so  hervorragende  Bedeutung  ilim 
auch  für  die  Diagnose  der  Tetanie  zukommt,  keineswegs  eine 
solche  Prävalenz  gegenüber  den  übrigen  Kardinalsymptomen 
der  Tetanie,  insbesondere  der  mechanischen  Uebererregbar¬ 
keit  der  Nerven  zu,  daß  der  Standpunkt  gerechtfertigt  wäre, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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J  OfA*- 


einzig  und  allein  von  der  Feststellung  der  elektrischen  Ueber- 
erregbarkeit  die  Diagnose  der  Tetanie  abhängig  zu  machen. 

Literatur. 

’)  Schlesinger,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  19.  Bd.  — ®)Westphal, 
Herl.  klin.  Wochenschr.  1901,  Nr.  33.  —  v.  F  r  an  k  1  -  H  o  c  h  w  a  r  t  li, 
Zentralbl.  f.  Neurolog.  1906,  Nr.  18.  —  Erb,  Elektrotherapie,  Leipzig  1886.  — 
Stintzing,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  39.  Bd.  —  ®)  v.  Frankl- 
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Neurolog.  Zentralbl.  1896,  Nr.  17.  —  ®)  R  e  m  a  k,  Neurolog.  Zentralbl. 
1896,  Nr.  13.  —  »)  Erb,  Ziemssens  Handb.  1876,  12.  Bd.  —  i«)  Bern¬ 
hardt,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1891,  Nr.  26.  —  ")  S  te  w  a  r  t.  Transact, 
of  the  assoc,  of  americ.  physic.  1889. —  A  s  t,  Deutsches  Arch.  f.  klin. 
Med.  63.  Bd.  —  Curschmann,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1904, 
Nr.  38,  39.  —  Bernhardt,  zitiert  nach  Erb,  Elektrotherapie.  — 
Hoffmann,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Nervenheilk.  9.  Bd.  -  ’®)  v.  V  o  ß, 
Deutsche  Zeitschr.  f.  Nervenheilk.  26.  Bd.  —  ^chultze,  Deutsche 
Zeitschr.  f.  Nervenheilk.  25.  Bd. 

Aus  dem  Rudolfinerhaus  in  Wien-Döbling. 

Zur  Technik  der  Operationen  an  der  Hypo¬ 
physe*) 

Von  Primararzt  Dr.  Ludwig  Moszkowic/. 

Am  23.  Mai  1907  .Ooficlitete  Prof.  Scliloffer  in 
dieser  Wochenschrift  liher  eine  auf  nasalem  Wege  uusge- 
führte,  erfolgreiche  Exstiri/ation  eines  Hypophysentumors. 
Damit  ist  erwiesen,  daß  eine  solche  Operation  nicht  allzu 
tollkühn  ist;  zu  diskuiieren  wäre  nur  üher  die  Technik  der 
Operation  und  so  möge  es  mir  deim  gestaltet  sein,  üher 
eine  Operationsmethode  zu  herichten,  die  ich  seit  iDezemher 
1906  an  der  Leiche  aiisgearbeitet  habe. 

Was  die  Berechtigung  zur  Ausführung  einer  so  ge¬ 
wagten  Operation  betrifft,  so  sei  auf  die  ausfühirliche  Ar¬ 
beit  iSchloffers  (Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  Bd.  50, 
S.  767)  verwiesen,  in  der  auch  alle  ;im  Hinblicke  auf  die 
Möglichkeit  einer  Operation  wichtigen  Arbeiten  auf  dem 
Gehiete  der  Anatomie,  Physiologie  und  Diagnostik  der , Hypo- 
physentumoren  berücksichtigt  und  alle  bisher  vorgeschla¬ 
genen  Operationsmetboden  erörtert  werden. 

Jeder  Nervenarzt,  der  die  an  Hypoi)hysentumorcn 
leidenden  Kranken  in  ihrem  qualvollen  Endstadium  gesehen 
hat,  muß  wohl  auf  den  Gedanken  gekommen  sein,  daß 
man  versuchen  sollte,  auf  operativem  Wege  Hilfe  i  zu 
schaffen.  Viele  der  Kranken  erblinden,  andere  leiden  lUnter 
fürchterlichen  Kopfschmerzen,  Konvulsionen,  psychische 
Störungen  kommen  hei  einzelnen  vor,  hei  den  meisten  er¬ 
leidet  der  Stoffwechsel  Störungen,  die  sich  habt  in  dem 
Symptomenkomplex  der  iVkromegalie,  bald  in  Adipositas 
universalis,  häufig  in  Anomalien  der  Geschlechtsfunktion 
kundgeben. 

Ich  wurde  durch  Herrn  Priv.-Doz.  Dr.  Alfred  Fuchs 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  diese  Indikation  besteht, 
daß  es  aber  an  einer  geeigneten  ■Operationsmethode  fehlt 
und  habe  nun  seit  Dezember  1906  im  , anatomischen  In¬ 
stitute  des  Herrn  Hofrates  Zuck  er  kan  dl  eine  solche  Ope¬ 
rationsmethode  aus  gearbeitet,  wobei  mir  Herr  Prof.  Tandler 
in  äußerst  liebenswürdiger  Weise  seine  wertvolle  Unter¬ 
stützung  zuteil  werden  ließ.  Ich  spreche  ihm  hiefür  auch 
an  dieser  Stelle  meinen  herzlichen  Dank  aus. 

Nach  dem  nun  zu  schildernden  Verfahren  habe  jeh 
sechsmal  die  normale  Hypophyse  planmäßig  hloßgelegt  und 
es  ist  wohl  erlaubt,  anzunehmen,  daß  eine  Methode,  welche 
es  ermöglicht,  das  kleine  normale  Organ  zu  entfernen,  erst 
recht  geeignet  sein  wird,  um  Tumoren  der  Hypophyse  an¬ 
zugehen.  Ich  .zögerte  mit  der  Publikation  des  Verfahrens 
nur  deshalb,  weil  ich  ahwarten  wollte,  oh  mir  nicht  ein 
geeigneter  Fall  zur  Operation  zugewiesen  wird. 

Da.  ]nm  Scliloffer  nach  einer  ähnlichen  IMethode 
einen  Fall  mit  Glück  operiert  hat,  so  möge  es  mir  nun  ge¬ 
stattet  sein,  unsere  .Methode  mitzuteilen,  die  mir  etwas 
schniiender  zu  sein  scheint  als  die  von  Scliloffer  an- 
gewendele. 

*)  Nach  einem  am  31.  Mai  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
gehaltenen  Vortrage. 


Die  zur  Bloßlegung  der  Hypophyse  angegebenen  Ope¬ 
rationsmethoden  kann  man  in  zwei  Gruppen  einteilen,  in 
solche,  hei  denen  das  Organ  auf  intrakraniellem  Wege 
aufgesucht  wird  und  jene,  bei  welchen  der  ..Operateur  extra- 
kraniell  von  der  Schädelbasis  Vordringen  will. 

Die  erste  Gruppe  wird  wohl  auch  weiterhin  übzu- 
teilen  sein  in  extradural  und  i nt ra dural  auszufüh¬ 
rende  Operationen.  , 

Allen,  intrakraniellen  Methoden  liegt  die  Idee  zugrunde, 
daß  es  gelingen  könnte,  die  Operation  völlig  aseplisch  aus¬ 
zuführen  und  hm  dieser  Idee  willen  nimmt  der  Operateur 
außerordentliche  Schwierigkeiten  in  Kauf.  Ein  Blick  auf 
einen  frontal  durch  die  Hypophyse  geführten  Schädelschnitt 
helehrl  uns,  daß  die  beiden  Optici,  die  Karo tiden  und  die 
Sinus  cavernosi  die  gefährliche  Nachharschaft  des  Organes 
bilden  und  daß  die  x4ugenmuskelnerven  und  Trigemini  ,bei 
der  Operation  leicht  zu  Schaden  kommen  können.  Die  nor¬ 
male  Hypophyse  ist  heim  Erwachsenen  meist  nur  durch 
eine  dünne  Knoebenwand  von  der  Keilbeinhöhle  getrennt. 
Die  Hypophysentumoren  wachsen  zum  mindesten  mit  einem 
Teile  ihres  Umfanges  gegen  die  Keilbeinhöhle  hin  und 
drängen  die  hintere  und  obere  Wand  der  Höhle  nach  vorne 
und  unten.  Es  scheint  mir  daher  nahezu  aussichtslos,  von 
der  Schädelhöhle  her  einen  Hypophysentumor  zu  entfernen, 
ohne  gleichzeitig  die  Keilbeiiihöhle  zu  eröffnen.  Nicht  min¬ 
dere  Schwierigkeit  dürfte  es  bieten,  den  Weg  .durch  das 
Stirnbein  von  vorne  und  von  der  Seite  her  (Vorschlag  von 
Krause)  so  zu  wählen,  daß  man  völlig  sicher  ist,  den 
Sinus  frontalis  nicht  zu  eröffnen,  zumal  dieser  sehr  variabel 
und  oft  nach  den  Seiten  zu  sehr  ausgedehnt  ist.  Alle  intra¬ 
kraniellen  Methoden  haben  also  den  Nachteil,  daß  sie  tech¬ 
nisch  außerordentlich  schwierig  sind  und  doch  nicht  jhe 
Gewähr  bieten,  daß  die  Operation  aseptisch  verläuft,  da  die 
Eröffnung  einer  der  erwähn  ten  Nehenhöhlen  der  Nase  nicht 
sicher  vermieden  werden  kann. 


Es  schien  mir  daher  von  vorneherein  nur  pine  der 
extrakraniellen  Methoden  in  Betracht  zu  kommen.  Bei 
diesen  soll  die  Keilbeinhöhle  i)lanmäßig  eröffnet  werden 
und  von  hier  aus  kann  man  in  .die  durch  den  Tumor  er¬ 
weiterte  Sella  turcica  eindringen,  indem  man  die  ..dünne 
Knochenplatte,  welche  die  Hypophyse  in  der  Regel  .noch 
bedeckt,  durchbricht.  Der  Operateur  hätte  sich  bloß  davor 
zu  hüten,  die  Seitenwand  der  Keilheinhöhle  und  die  seit- 
licheii  Partien  ihrer  oberen  Wand  zu  verletzen,  an  denen 
sich  der  Nervus  oi)tic.us  (lur(‘h  eine  deutlich  vorspringende 
Knochenleiste  markiert.  Dann  begegnet  er  auf  diesem  Wege 
keinem  wichtigen  Gebilde. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Zum  Rachenclache  und  zur  Keilbeiiiliölile  nun  ha])en 
sich  die  Chirurgen  auf  dreifache  Weise  den  Weg  gebahnt. 

Der  eine  Weg  führt  durcJi  die  Nasenhöiile.  Jüie  äußere 
Nase  wird  zur  Seite  geklappt  (v.  Bruns),, von  den  Musc,lieln 
und  dem  Septum  wird  soviel  entfernt,  als  nötig  erscheiid, 
um  das  Rachendach  genügend  bloßzulegen. 

Der  zweite  Weg  geht  durch  den  harten  , Gaumen. 
Der  Schleimhautüberzug  des  harten  und  weichen  Gaumens 
wird  median  gespalten  und  die  horizontale  Gaumenplalte 
nebst  einem  Teile  des  Vomer  herausgemeißelt  (Cussen- 
bauer).  Oder  aber  es  wird  der  Processus  alveolaris  beider¬ 
seits  vom  Oberkieferkörper  ahgetrennt  und  mit  dem  .ganzen 
harten  Gaumen  nach  abwärts  geklappl,  mit  dem  Charnier 
im  Bereiche  des  Hamulus  pterygoideus  (Part sch,  Kocher). 

Endlich  gibt  die.  Pharyngotomia  sul)hyoidea 
(v.  Langenbeck)  einen  guten  Zugang  zum  Rachendache. 

Von  diesen  drei  Wegen  schien  mir  nur  jener  gangbar, 
der  die  Wände  des  Pharynx  intakt  läßt.  ..Ein  Patient,  dem 
man  den  gefährlichen  Eingriff  an  der  Schädelbasis  :  zu¬ 
mutet,  darf  nicht  auch  noch  der  Gefahr  .einer  Aspirations- 
pnenmonie  ausgesetzt  werden.  Die  durch  den  Zungengrund 
und  durch  den  Gaumen  führenden  Operationswege  schienen 
mir  da, her  ungangbar  zu  sein,  weil  sie  .den  Schluckmecha¬ 
nismus  gefährden. 

Es  blieb  nur  me, hr  der  Weg  durch  ,die  Nasenhöhle 
übrig,  der  ja  auch  schon  von  anderer  .Seite  vorgeschlagen 
war.  Ich  h,atte  jeüoch  noch  ein  Bedenken.  .Wenn  mir  auch 
die  Freilegung  und  Exstirpation  eines  Hypophysentumors 
von  der  Nasenhöhle  aus  durchaus  möglich  erschien,  .so 
hielt  ich  es  doch  für  selbstverständlich,  daß  eine  reinliche 
Operation  auf  diesem  Wege  unmöglich  und  eine  .post¬ 
operative  Meningitis  daher  nnvermeidlich  sei. 

Schloff  er  wies  zwar  ln  seiner  Arbeit  darauf  Jiin, 
daß  eine  Oeffnung  des  S  ubarachno  ideal  raumes  nicht 
unbedingt  eine  Meningitis  zur  Folge  haben  müsse,  jndcm 
er  aus  der  Literatur  berechnete,  daß  von  den  Fällen  von 
Schädelbasisfraktur,  die  durch  Abfluß  von  Licpior  cerebro¬ 
spinalis  als  Fälle  komplizierter  BasisEraktur  mit  Einreißen 
der  Dura  sichergestellt  sind,  nur  16-0 ®/o  an  Meningitis  ge¬ 
storben  sind. 

Doch  schien  es  mir,  daß  eine  Hypophysenoperation 
nur  gewagt  werden  dürfte,  wenn  wir  eine  .Methode  finden, 
um  bei  der  unvermeidlichen  Eröffnung  der  Aleningen  .(lie 
Infektion  zu  verhindern  und,  was  besonders  wichtig  ist, 
na.c.h  Beendigung  der  Operation  einen  verläßlichen  Ab¬ 
schluß  der  Oeffnung  an  der  Schädelbasis  gegen  die  Nasen- 
und  Rachenhöhle  erzielen  zu  können. 

Karplus  und  Spitzer  (Zentralblatt  für  Physiologie, 
Bd.  19,  Nr.  22),  welche  eine  Methode  .zur  Freilegung 
der  Brücke  ansgearbeitet  haben,  betonen  die  Notwendig¬ 
keit  eines  exakten  A^erschlusses  der  Knochenlücke  an  der 
Schädelba,sis.  Es  gelang  ihnen,  Tiere,  viele  Tagepind  Wochen 
am  Leben  zu  erhalten,  denen  die  Hirnbasis  ..so  breit  aufge¬ 
macht  wurde,  daß  bequem  in  der  Mitte  jmd  seitlich  Brücken- 
durchtrennungen  gemacht  werden  konnten.  Sie  beschreiben 
ihre  Methode  folgendermaßen : 

Große  Sorgfalt  verwendeten  wir  auf  einen  exakten  V  cr- 
scliluß  der  Knochenöff  nn  ng  nach  der  Operation.  Bei 
kleinen  Löchern  ini  Knochen  haben  wir  die  Jodoformknochen- 
plonibe  mit  gutem  Erfolge  angewendet;  in  anderen  Fällen  haben 
wir  das  Locli  mittels  eines  in  Mastixlös'ung  getränkten  Walte- 
pfropfens  verschlossen.  Für  die  großen  Oeffnungon  im  Knochen 
aber  erwiesen  sich  uns  als  treffliche  Verschlußmitlel  Blondren 
aus  Guttapercha,  wobei  wir  uns  eines  auch  von  Zahnärzten 
gebrauchten  Präparates  bedienten.  Wir  formten  aus  dem  leicht 
erwärmten  Gidtapercha  ein  der  Knochenöl  tniiug  auch  in 
ihrer  Tiefe  mögli(dist  entsprecdiendes  Stück.  Die  Knochen ränder 
trockneten  wir  reicht  sorgfältig  mit  Hilfe  eines  kleinen  Galvano¬ 
kauters,  führten  dann  die  geformten  Guttaperchaplon)hen  ein  und 
fuhren  nun  neuerdings  mit  dem  Galvanokauter  entlang  den 
Knocdienrändern.  Ami  iibm-sl riidien  wir  nocdi  die  l’lomhe  über 
ihre  Ränder  hinaus  mit  einer  Maslixlösung,  oder  mit  einer  Lösung 
von  Guttapercha  in  Chloroform. 


Kiiochenplombcii  heilen  ja  aiudi  am  Menschen  ein, 
aber  .wohl  nur  unter  völlig  aseplisclieu  Verhältnissen  jind 
am  besien,  wo  darüher  die  Haut  geschlossen  .wenhoii  kann. 

Es  schien  mir  daJier  verläßlicher,  zum  Verschlüsse 
der  Knochenlücke  nach  der  Exstirpation  des  Hyiiophysen- 
tumors  lebendes  Material  zu  verwenden  mid  ic,h  .daclite 
mir,  daß  sich  hiezu  am  besten  ein  JTautlappen  eignen  müßte. 

Dies  ist  also  der  Qperat ionsplan :  , 

Die  Operation  wird  zweizeilig  ansgeführt,  ln  der  ersten 
Sitzung  wird  die  Nase  aufgeklappt,  das  Septum  .und  von 
den  Naseiimuscheln  und  dem  Siehheine  soviel,*  als  nötig 
erscheint,  entfernt,  die  Keilbeinhöhle  eröffnet,  jedoch  die 
letzte  Knochenspange,  die  den  Hypophysentumor  noch  be¬ 
deckt,  intakt  gelassen.  Nun  wird  ein  gestielter  Haut  lappen 
von  genügender  Länge  von  der  Stirne  auf  die  wundgemachte 
untere  Fläche  der  Schädelba.sis  gelegt  u.  zw.  s'o,  daß  seine 
Spitze  in  die  Keilbeinhöhle  zu  liegen  kommt  und  so  gerade 
eben  die  letzte  Knochenspange  bedeckt,  die  uns  noch  vom 
Hypophysentumor  trennt.  Nun  wird  der  Lappen  durch  .Tam¬ 
ponade  an  den  Knochen  gedrückt,  die  Nasenlu'ihle  .wird 
tamponiert,  die  äußere  Nase  hleiht  aufg('klappt  bis  /air  Aus¬ 
führung  der  zweiten  Operation.  Diese  darf  erst  ausgeführt 
werden,  wenn  der  Haut  lappen  ordentlich  angeheilt  ist  pind 
wird  dann  unter  viel  günstigeren  Umständen  erfolgen  /i,ls 
die  erste.  Der  Boden  und  die  Wände  yler  .Naseidiöhle  können 
mit  steriler  Gaze  bedeckt  werden,  der  Hautlappen,  j:lef  das 
Dach  des  Operationsfeldes  bildet,  ist  sorgfältig  zu  ..reinigen. 
Seine  Spitze,  die  in  der  Keilbeinhöhle  liegt,  .wird  zurück¬ 
präpariert.  Nun  liegt  die  letzte  Knochenlamelle  frei,  .sie 
wird  entfernt  u.  zw.  so  ausgiebig,  daß  .nun  die  Dura  oder 
der  derbe  Ueberzug  des  Hypophysentumors  inzidiert  und 
dieser  selbst  entfernt  wmrden  kann.  Sowie  dieser  .Akt  voll¬ 
endet  ist,  wird  die  zurückgeklappte  Spitze  des  JTaullappens 
in  die  Knochenlücke  am  Boden  der  Sella  .turcica  gepreßt 
und  mit  Jodoformgaze  fest  angedrückt. 

Wie  man  siehl,  hat  der  Operationsplan  manche  Aehn- 
lichkeit  mit  der  von  Prof.  Schloffer  ausgeführten  ersten 
Hypophysenoperation.  Ein  wesentlicher  Unterschied  besteht 
bloß  darin,  daß  ich  mir  die  Operation  .zwmizeitig  dachte 
und  daß  ich  die  möglichste  Reinlichkeit  des  .wesentlichen 
zweiten  Aktes  der  Operation,  sowde  den  exakten  A^^rschluß 
der  Knochenlücke  an  der  Schädelbasis  durch  Einpflanzung 
eines  Hautlappens  ansfrebte. 

Ueberdies  kann  die  Operation  etwas  schonender  aus¬ 
geführt  werden,  als  dies  Schloffer  getan  hat.  Es  hat 
sich  als  überflüsisig  herausgestellt,  die  Orbitahvand  zu  .ver¬ 
letzen,  wm.s  nicht  ohne  Bedeutung  ist.  Im  orbitalen  Fett¬ 
gewebe  entwdckelt  sich  leicht  eine  Phlegmone,  dann  .hat 
Schlot  fers  Patient  nach  der  Operation  eine  Schwächung 
des  Rectus  int.  oculi  sin.  gezeigt,  offenbar  infolge  der 
Lockerung  seiner  hinteren  Insertion.  Schloffer  entfernte 
,,die  innere  Wand  der  linken  Orbita  bis  .nahe  an  das  Foramen 
opticum“.  Er  entfernte  ferner  die  innere  Wand  der  Highmors¬ 
höhle,  was  wohl  auch  entbehrlich  ist.  Von  .den  Nasen¬ 
muscheln  stört  die  unterste  gar  nicht,  es  .genügt  die  Ent¬ 
fernung  der  zwei  oberen  Nasenmuscheln  und  der  Hiebbein¬ 
zellen  unter  Belassung  der  Lamina  papyracea. 

Wenn  auch  dadurch  in  der  queren  Richtung  der  Raum 
zu  eng  erscheint,  so  habe  ich  dafür  .in  der  senkrechten 
Richtung  das  Operationsfeld  mir  dadurch  erweitert,  daß 
ich  die  vordere  und  untere  Wand  der  Stirnhöhle  resezierte, 
ein  Vorgang,  der  auch  deshalli  nötig  ist,  weil  der  Haut¬ 
lappen,  der  herunterzuschlagen  ist,  auf  dem  ganzen  Wege 
über  wmndgemachten  Knochen  zu  liegen  kommen  muß.  Es 
ist  also  wichtig,  daß  die  Stirnhöhle  eröffnet  und  ihre  Schleim¬ 
haut  sorgfältig  entfernt  wird.  Vielleicht  wird  es  sogar  von 
Vorteil  sein,  mit  einem  scharfen  Löffel,  die  .Oberfläche  des 
Knochens  abzuschaben,  damit  der  Hautlappen  auf  wunden, 
blutenden  Knochen  zu  liegen  kommt. 

Abb.  2  zeigt  an  einem  Medianschnitle,  wde want  der  Zu¬ 
gang  ist,  den  wir  auf  diese  Weise  .gewinmui.  Sie  wuirde 
nach  einem  sagiltalen  Durclischnitte  des  Schädels  gezeich- 


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net,  an  dem  ich  am  31.  Mai  1907  in  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  die  bloßgelo;gfe  Hypophysis  demonstrierte. 

Es  möge  nun  die  genaue  Beschreibung  der  Xtpcra- 
tionsmcthode  folgen. 


Fig.  2. 

Fig.  3  zeigt  in  der  punktierten  Linie  die  .Schnittfüh¬ 
rung  zur  Umschneidung  der  Nase  und  Begrenzung  yles 
Lappens,  der  in  die  Nasenhöhle  zu  verpflanzen  .ist.  Der 
Lappen  enthält  die  Arteria  angularis  und  frontalis  der  linken 
Seite  und  dürfte  durch  diese  Arterien  ausgiebig  ernährt 
werden.  Er  ist  etwa  drei  Finger  breit  .gedacht  und  reicht 
bis  nahe  an  die  Haargrenze  an  der  rechten  Schläfe.  Die 


Verpflanzung  langer  Haare  wäre  nicht  vorteilhaft,  ander¬ 
seits  muß  der  Lappen  so  lang  genommen  werden,  daß  seine 
Spitze  in  die  Keilbeinhöhle  zu  liegen  kommt.  Es  wäre  da¬ 
her  zweckmäßig,  den  Lappen  erst  nach  Bloßlegung  der 
Keilbeinhöhle  zu  umschneiden,  wenn  man  bereits  über  die 
Distanz  zwischen  Stirne  und  Keilbeinhöhle  orientiert  ist. 
Doch  kann  auch  das  Studium  des  llöntgenbildes  darüber 
Aufschluß  geben,  wie  groß  der  J.,appeii  genommen  werden 
soll.  Der  an  tier  Stirnhaut  gesetzte  Defekt  wird  mit 
Thiersch  sehen  Lappen  zu  decken  sein,  weshalb  es  vor¬ 
teilhaft  wäre,  das  Periost  des  Stirnbeines  nicht  mit  in  den 
Lappen  zu  nehmen. 

Nach  der  Ausschneidung  des  Hautlappens  Avird  mit 
einigen  Meißelschlägen  der  Processus  frontalis  des  rechten 


Oberkiefers  und  der  Ansatz  des  rechten  Nasenbeines  lin 
der  Richtung  des  Hautschnittes  gelockert.  Dann  wird  -init 
der  Schere  das  Septum  mobile  der  Nase  Aurchtrennt  und 
ein  möglichst  großes  Stück  des  knorpeligen  Septum  aiasi 
im  Zusammenhänge  mit  der  äußeren  Nase  herausgeschnit¬ 
ten.  Nun  wird  die  Nase  nach  links  geklappt,  was  meist  erst 
gelingt,  nachdem  auch  das  linke  Nasenbein  und  .ein  Teil 
des  Stirnfortsatzes  des  linken  Oberkiefers  abgesprengt  wor¬ 
den  sind.  Nun  wird  jeder  der  beiden  Stirnsinus  mit  einem 
Bohrer  eröffnet  und  von  der  kleinen  Oeffnung  aus  mit  einer 
Luer sehen  Zange  die  ganze  vordere  und  untere  Wand 
der  Stirnhöhle  abgetragen.  Der  Gebrauch  des  Meißels  ist 
zu  widerraten,  da  die  Verhältnisse  der  Stirnsinus  sehr 
variabel  sind  und  bei  kleinem  Sinus  leicht  die  Schädel¬ 
höhle  eröffnet  werden  könnte. 

Während  dieser  Arbeit  vHrd  man  am  Lebenden  wohl 
die  Nasenhöhle  mit  in  Adrenalin  geti’änkten  Wattebäusch- 
chen  tamponieren,  wodurch  die  weitere  Operation  sich 
weniger  blutig  gestaltet.  Es  folgt  die  Abtragung  des  knor¬ 
peligen  und  knöchernen  Septums,  soweit  dies  mit  ,  der 
Listonschen  Zange  gelingt.  Die  mittlere  und  obere  Muschel 
jederseits  wird  mit  der  Schere  abgetragen,  die  Siebhein¬ 
muscheln  werden  mit  dem  scharfen  Löffel  ausgeräumt,  wo¬ 
bei  die  Lamina  papyracea  leicht  geschont  werden  kann. 


Fig.  4. 

Nun  ist  der  Zugang  nach  der  Tiefe  ivollkommen  frei. 
Vom  Vomer  sind  in  der  Regel  die  .Alae  vomeris  noch 
in  Verbindung  mit  dem  Rostrum  sphenoidale  stehen  ge¬ 
blieben.  Dieser  letzte  Teil  des  Vomer  wird  ,nun  entfernt, 
wobei  in  der  Regel  eine  oder  beide  .Keilbeinhöhlen  breit  er¬ 
öffnet  werden.  Dieser  Teil  und  alle  folgenden  lAkte  der 
Operation  müssen  unter  guter  Beleuchtung  ausgeführt 
werden.  Bei  gutem  Oberlichte  und  Operation  am  .hängenden 
Kopfe  wird  man  vielleicht  ohne  künstliche  Beleuchtung  .aus- 
kommen,  sonst  wird  ein  Stirnreflektor  zu  verwenden  sein. 
Mir  hat  bei  den  Leichenversuchen  ein  Beleuchtungsapparat, 
der  in  Fig.  4a  abgebildet  ist,  gute  .Dienste  geleistet.  Ich 
ließ  mir  an  ein  Glühlämpchen,  wie  es  ,zur  Beleuchtung 
des  Rachens  verwendet  wird,  einen  15  cm  Jangen  Glas¬ 
stab  mit  abgebogenem  Ende  aufmontieren  (Firma  Reiniger, 
Gebbert  und  Schall).  Das  Ende  des  Glasstabes  leuchtet  und 
stellt  eine  aseptische  Lichtquelle  dar,  die  bequem  auf  jede 
beliebige  Stelle  des  tiefgelegenen  kleinen  Operationsfeldes 
dirigiert  werden  kann.  Ein  Zystoskop  ließe  sich  .ähnlich 
verwenden. 

Unter  guter  Beleuchtung  Avird  nun  namentlich  die 
mitere  Wand  der  Keilbeinhöhle  sorgfältig  abgetragen,  weil 
dadurch  der  Zugang  zur  Hypophyse  ausgiebig  erweitert 
werden  kann.  Zur  Orienlieruiig  dient  die  Schleimhaut  ,des 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Raclieiidaclies,  die  bis  an  die  leicht  tastbare  .Wirbelsäule 
mit  dem  Elevatorium  abgehebelt  wird.  Die  Kiiocheiispaiige, 
welche  den  Boden  der  Keilbeinliöhle  bildet,  springt  als 
quere  Leiste  vor.  Um  sie  abtragen  zu  können,  braucht  man 
eine  kräftige,  abgehogene  Zange,  wie  die  in  |Lig.  4c  ab¬ 
gebildete  modifizierte  Lu  ersehe  Zange. 

Damit  ist  nun  der  erste  Operationsakl  vollendet.  Wir 
haben  nur  nocli  den  HaulJappen  von  der  iStirne  vollends 
abzulösen  unrl  nach  unten  zu  schlagen,  wobei  ^zu  beachten 
ist,  daß  die  Schädelhasis  möglichst  geglättet  und  niöglichst 
überall  wund  gemacht  werden  muß.  Die  Schleimhaut  4er 
Stirnhöhle  und  der  Keilbeinhöhle  müssen  sorgfältig  .ent¬ 
fernt  werden.  Der  Hautlappen  wird  mit  Jodofonngaze  ^an 
die  Schädelbaisis  und  in  die  Keilbeinhöhle  gepreßt.  i 

Bei  der  zweiten  Operation  wird  die  Spitze  ,dos  an¬ 
geheilten  Hautlappens  abgelöst  und  nach  vorne  umgeklappt 
und  so  mit  langen  Haken  festgehalten.  Nun  Jiegt  die  letzte 
Knochenspange  frei,  die  den  Hypophysentumor  noch  deckt. 
Die  Aufgabe  besteht  darin,  dieses  dünne  Knochenblättchen 
zu  durchbrechen,  ohne  den  dahinter  liegenden  Tumor ,zu  ver¬ 
letzen.  Ich  habe  mir  für  diesen  Zweck  ,eine  Reihe  kleiner 
Bohrer  an  langen  Stielen  konstruieren  lassen,  deren  .Spitze 
so  gedeckt  ist,  daß  man  mit  dem  Bohrer  nur  wenige  Milli¬ 
meter  tief  eindringen  kann.  Von  einer  kleinen  ^Oelffnung 
aus  wird  das  Knochenblätlchen  völlig  aufgebrochen,  am 
besten  und  schonendsten  mit  einem  Instrumente,  das  ich 
in  Anlehnung  an  die  Dahlgrensche  Zange  in  ^zartester 
Form  ausführen  ließ  (Fig.  4b  und  d;  d^drma  Thürriegl). 

Ist  der  Tumor  noch  von  einer  fibrösen  Schichte  be¬ 
deckt,  so  muß  diese  mit  der  Schere  eingesclmitten  werden. 
Dann  wäre  der  Tumor  mit  stumpfen  Löffeln  ,zu  entfernen 
und  die  Oeffnung  an  der  Schädelbasis  sofort  .durch  den 
Hautlappen  zu  schließen. 

Es  scheint  mir  sicher,  daß  es  nach  diesem  Operations¬ 
plane  gelingen  müßte,  einen  Patienten  von  seinem  Hypo¬ 
physentumor  zu  befreien,  ohne  daß  eine  Meningitis  ent¬ 
steht.  Es  wird  nun  Sache  der  Neurologen  sein,  die  geeig¬ 
neten  Fälle  für  die  Operation  ausfindig  zu  machen.  Am 
geeignetsten  sind,  wie  auch  Schloffer  betont,  jene,  hei 
denen  der  Tumor  vornehmlich  gegen  die  Keilheinhöhle 
wächst,  was  durch  genaues  Studium  der  Röntgenbilder  sich 
wird  nachweisen  lassen.  Wichtig  wird  es  auch  sein,  nur 
an  solchen  Patienten  zu  operieren,  deren  Kräfte  durch  die 
Stoffwechselerkrankung  noch  nicht  zu  sehr  gelitten  haben. 
Anderseits  dürfen  wir  uns  nicht  verhehlen,  daß  es  schwer 
sein  wird,  einen  Patienten  zur  Operation  zu  überreden, 
ehe  er  über  stärkere  subjektive  Beschwerden,  Sehstörungen 
oder  Schmerzen,  zu  klagen  hat. 

Alles  kommt  darauf  an,  daß  die  nächsten  Fälle,  die 
zur  Operation  kommen,  richtig  ausgewählt  werden,  wenn 
nicht  die  gewiß  berechtigte  und  sicherlich  nnt  Erfolg  aus¬ 
führbare  Operation  in  Mißkredit  kommen  soll. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institut  in 
Wien.  (Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf.) 

lieber  experimentelle  Hauttuberkulose  bei 

Affen. 

Von  Prof.  Dr.  R.  Kraus  und  Priv.-Doz.  Dr.  S.  (fvo.sz. 

Im  nachfolgenden  sollen  die  Ergebnisse  unserer  Ver¬ 
suche,  welche  die  experimentelle  Erzeugung  von  Hauttuber¬ 
kulose  l)ei  Affen  (Macacus  rhesus)  m  i  t  R  e  i  n  k  u  1  tu  r e  n  v  o  n 
Tuberkelbazillen  verschiedener  Provenienz  zum 
Gegenstände  haben,  mitgeleitt  werden. 

Diese  Versuche  bilden  die  Fortsetzung  früherer  Ver¬ 
suchsreihen,  über  welche  der  eine  von  uns  (Kraus)  in  Ge¬ 
meinschaft  mit  0.  Kren  in  den  Sitzungsberichten  der  kaiser¬ 
lichen  Akademie  der  Wissenschaften  1905  und  in  der  Sitzung 
der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  vom  15.  De¬ 
zember  1905  (Wiener  klin.  Wochenschrift  1905,  Nr.  51)  be¬ 
richtet  hat. 


Es  gelang  mittels  Skarifikation  unter  Einbringung  von 
Material  tuberkulöser  Organe  von  Affen  und  Menschen 
(Lupus;  tuberkulöse  Hauterkrankimgen.  bei  Affen  zu  er¬ 
zeugen,  welche  entweder  lokalisiert  bleiben  oder  per  con- 
tinuitatem  und  auf  dem  Wege  der  Lyrnpbbahnen  in  der 
Nachbarschaft  sich  ausbreiten.  Diese  Affektionen,  welche 
dem  Lupus  vulgaris  und  der  tuberkidösen  I^ymphangitis 
des  Menschen  entsprechen  würden,  haben  sich  auch  bei 
bistologi scher  Untersuchung  als  tuberkulöse  Prozesse  er¬ 
wiesen.  Einige  wenige  mit  Reinkulturen  ausgeführte  Impf¬ 
versuche,  über  welche  auch  berichtet  wurde,  haben  positive 
Ergebnisse  geliefert. 

Zur  selben  Zeit  berichteten  Baermann  und  Halber¬ 
städter  aus  Batavia  über  ähnliche  Versuche,  die  sie 
größtenteils  mit  Organen  tuherkulöser.  Tiere,  nur  zum  ge¬ 
ringeren  Teile  mit  Reinkulturen  anstellten  (Berliner  klini¬ 
sche  Wochenschrift  1906,  12.  Februar).  Damit  war  der 
Beweis  geliefert,  daß  es  möglicb  ist,  der  mensch¬ 
lich  e  n  H  au  t  tu  b  e  r  k  u  lo  s  e  ä  h  n  1  i  c  h  e  F  o  r  m  e  n  bei  Affen 
experimentell  zu  erzeugen. 

Seither  hat  Lewandowsky  über  Versuche,  die  er  an 
Meerschweinchen  und  Kaninchen  vorgenommen,  berichtet 
(Verhandlungen  der  Deutschen  dermatologischen  Gesell¬ 
schaft,  IX.  Kongreß,  Bern  1906).  Einreibungen  lebender 
Tuberkelbazillenkulturen  vom  Menschen  in  Skarifikations- 
wunden,  weniger  sicher  in  oherflächlich  gereizte  Haut  oder 
intrakutane  Injektion,  führen  nach  seinen  Untersuchungen 
])ei  Kaninchen  und  Meerschweinchen  eine  Hauttuberkulose 
herbei,  die  bei  den  ersteren  ohne  Allgemeinsymptome  ver¬ 
heilt,  bei  letzteren  zu  .einer  langsam  fortschreitenden  All¬ 
gemeintuberkulose  führt.  Die  Hauttuberkulose  tritt  bei  diesen 
Tieren  in  Gestalt  unregelmäßiger,  häufig  gezackter  Ulzera 
auf,  mit  schmierigem  Belage,  unterminierten  Rändern  und 
sehr  derber,  ziemlich  scharf  umschriebener  Randinfiltration 
(Lewandowsky,  1.  c.). 

Demgegenüber  müssen  wir  auf  Grund  früherer  Ver¬ 
suche  (mit  0.  Kren)  und  erneut  unternommener,  wieder¬ 
holen,  daß  es  uns  nicht  gelungen  ist,  jnit  Reinkulturen  ver¬ 
schiedener  Provenienz  bei  Meerscbweinchen  und  Kani liehen 
tuberkulöse  H au  taf  f  ek  tio  n en  progredienter  Natur 
hervorzurufen. 

Die  Versuchsreihe,  über  welche  wir  nunmehr  bericblen 
wollen,  bezieht  sich  auf  kutane  Impfungen  bei  Affen  mit 
Reinkulturen  von  Tuberkelbazillen  verschiedener  Herkunft 
(Demonstration  von  geimpften  Makaken  und  histologischen 
Präparaten  durch  R.  Kraus,  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Ge¬ 
sellschaft  der  Aerzte,  11.  Januar  1907).  Es  war  zunächst 
festzu stellen,  ob  Reinkulturen  von  Tuberkelbazillen  imstande 
sind,  ähnliche  Hautaffektionen  hervorzurufen,  wie  sie  bei 
früheren  Uebertragungen  mit  Organen  erzeugt  wurden. 
Weiters  war  die  Frage  zu  lösen,  ob  die  Verschiedenheit  der 
Bazillenstämme  auch  in  den  Impfprodukten  ihren  Ausdruck 
fände. 

Die  Versuche  wurden  mit  Tuberkel  bazillen 
menschlicher  Herkunft,  die  teils  dem  Typus  humanus, 
teils  dom  Typus  bovinus  entsprachen,  weiters  mit  Perl- 
suchtstämmen  und  mit  Vogeltuberkulose  vorge¬ 
nommen.  Für  die  Ueberlassimg  einzelner  Kulturen  sind  wir 
Herrn  Dr.  E.  Loewenstein  in  Belzig  und  Frau  Dr.  L.  Ra¬ 
bin  o  witsch  in  Berlin  zu  Dank  verpflichtet. 

Die  Impfungen  mit  menschlichen  Tuherkel- 
bazillen,  die  sämtlich  für  Meerschweinchen  sich  als  pa¬ 
thogen  erwiesen,  ergal)en  verschiedene  Resultate. 

Zur  Verwendung  gelangten  ein  a  v  i  r  n  1  e  n  t  e  r  S  tarn  m, 
Stamm  Courmont,  Stamm  B las e n t u !) e r  k  u lo s e, 
welche  dem  Typus  humanus  entsprechen;  Stamm  Septi- 
caeinie,  welchen  Loewenstein  aus  menschlichem  Spu¬ 
tum  gezüchtet  hat  und  der  sich  nach  W^eberywie  Hühner- 
tuberkelbazillen  verhält;  Stamm  Hodentuberkulose, 
der  ebenfalls  von  Loewenstein  gezüchtet  wurde,  nach 
unseren  Versuchen  dem  Typus  bovinus  entsprechen  dürfte. 
Außerdem  nahmen  wir  typische  P e  r  1  s  u  c  h  t  s  tä  in  rn  e, 
welche  sowohl  für  Kaninchen  als  für  Meerschweinchen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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pathogen  waren,  in  VerAvendiing,  endlich  haben  wir  ,ver- 
sncht,  mit  Stämmen,  welclie  als  Vogeltuberkulose 
lind  r^oschtuberkiiloso  charakterisiert  sind,  Ucber- 
(l  agimgen  vorzimehmen.  , 

Als  Ergebnis  dieser  IJntersiichnngen  kann  zunächst 
festgestelll  werden,  daß  sowohl  Tu h erkel  bazillen 
menschlicher  Provenienz,  .als  auch  Perlsucht¬ 
bazillen  tuberkulöse  Hautaffektionen  bei  Affen 
her vorzuruf en  imstande  sind. 

A^ach  Impfung  mittels  Skarifikation  im  Supraorbital¬ 
bereiche  kommt  es  nach  10  bis  14  Tagen  ^zu  entzündlichen 
Veränderungen,  welche  eine  Zeitlang  bestehen  bleiben,  teils 
zu  Zerfall  und  Geschwürsbildung  führen,  oder  sich  rück- 
bilden  können.  Nur  die  Stämme  der  Vogel  tuber¬ 
kulöse  und  Froschtuberkulose  haben  ganz  ge¬ 
ringfügige  klinische  Veränderungen  erzeugt. 

Die  dem  Typus  human us  zugehörigen  Stämme 
rufen  Affektionen  hervor,  die  im  wesentlichen  auf 
die  Skarifikationss teilen  beschränkt  bleiben, 
über  diese  hinaus  nicht  wachsen  und  keine  Tendenz 
zur  Ein  Schmelzung  zeigen.  Die  Veränderungen 
können  nach  längerem  Bestände  ab  klingen  und  zu 
völliger  Ausheilung  kommen. 

Im  Gegensätze  hiezu  ließ  sich  mit  einem  Stamme 
menschlicher  Tuberkulose,  der  als  Typus  bovinus  anzusehen 
sein  dürfte*)  und  ferner  namentlich  mit  Stämmen  tieri¬ 
scher  Herkunft  (Perlsucht)  regelmäßig  ein  Krank¬ 
heitsbild  erzeugen,  das  nicht  so  gutartig  verlief, 
wie  die  vorhergehend  beschriebenen.  Die  Infil¬ 
tration  beschränkt  sich  nicht  auf  die  Impfstelle,  sondern  hat 
die  Tendenz  darüber  hinaus  sich  auszudehnen.  Nach  kurzem 
Bestände  der  entzündlichen  Erischeinungen  kommt  es  zu  ge- 
schwürigem  Zerfalle  der  infiltrierten  Hautstellen  und  zu 
tuberkulösen  Veränderungen  der  regionären  Lymph- 
drüsen.  Parotis  und  S  uhl i n gual d  r  üs en.  Der  Aus¬ 
gang  dieser  Impftuberkulose  war  regelmäßig  ein  letaler,  be¬ 
dingt  durch  die  Propagation  des  Virus  in  die  inneren  Organe 
(Lunge,  Milz,  Leber). 

Die  histologische  Untersuchung  der  infizierten 
Hautpartien  ergab  je  nach  dem  zur  Anwendung  .gelangten 
Bakterienmateriale  differente  Bilder,  welche  hier  kurz  skiz¬ 
ziert  werden  sollen.  Wir  sehen  Formen  (bei  Vogeltuberku¬ 
lose),  die  in  ihrem  Aufbau  nichts  für  , Tuberkulose  Charak- 
ristisches  boten,  vielmehr  lediglich  das  Bild  einer  unscharf 
umschi’iebenen,  diffusen,  entzündlichen  Infiltration  zeigten. 
Besonders  da,  wo  sich  der  Prozeß  im  Korium  abspielt, 
beschränkt  sich  die  Infiltration  auf  die  Spalten  zwischen 
den  Gewebsbündeln. 

Eine  zweite  Form  besteht  in  einer  umschriebenen 
Knotenbildung,  die  eine  Infiltration  des  Gewebes  mit  epi- 
theloiden  Zellelementen  darstellt..  Von  einem  Epitheloid- 
tuberkel  unterscheidet  sich  ein  solcher  Knoten  durch  das 
Erhaltenlileiben  der  präexistenten  Gefäße  (Stamm  Septi- 
caernie).  Als  eine  dritte  Form  wären  hervorzuheben  jene 
Knotenbildungen,  weldie  in  der  Peripherie  tuberkelähnliche, 
an  epitheloiden  Zellen  arme,  verkäsende  Knötchen  mit  spär¬ 
lichen  Riesenzellen,  in  den  zentralen  Anteilen  ausgedehnte, 
verkäsende  Partien  aufweisen.  IManchmal  rücken  dieselben 
an  die  Oberfläche,  bringen  das  Epithel  zum  Schwunde,  so 
daß  l’irosionen  und  zentrale  Geschwürsflächen  entstehen. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Ergebnisse  der 
Untersuchung  der  Gewebsschnitte  auf  Tuberkeibazillen. 

Es  ergab  sich  gesetzmäßig  das  ganz  auffallende  Re¬ 
sultat,  daß  die  anatomisch  und  klinisch  als  pro¬ 
gredient  charakterisierten,  mit  Zerfall  einher¬ 
gehenden  Formen  (Typus  bovinus,  Perl  sucht) 
wenig  oder  nur  ganz  vereinzelt  Tu  berkelbazillen 
enthalten,  während  die  mit  menschlichen  Tuber- 
kelbazilleii  erzeugten  Impfprod  ukte,  die  sich 
vollständig  rückbilden,  nicht  progredient  sind, 
liiclit  zu  Zi'i’fall  neigen,  ganz  enorme  Mengen  von 

D  üi  dieser  Richlung  sollen  noch  weiter  Versuche  angeslellt  werden. 


Bazillen  auf  weisen  ii.  zw.  stellenweise  in  einer 
Anordnung,  wie  sie  den  Leprabazillen  im  Gewebe  der 
Lepraknoten  ähnelt. 

Auch  bei  den  mit  Vo  ge  1 1  u  ber  kulo  s  e  ge¬ 
impften  V  e  r  s  u  c  h  s  t  i  e  r  e  n  f  i  n  d  e  t  m  a n,  t  r o  t  z  d  e  ni  die 
klinisch  und  anatomisch  erhebbaren  Verände¬ 
rungen  nur  geringgradig  und  durchaus  un- 
charakteristisch  sind,  ganz  enorme  Meng  e  n  von 
Tu  berkelbazillen  im  Gewebe. 

Wir  begnügen  uns  vorläufig  diese  Ergebnisse  hier 
festznlegen  und  behalten  uns  vor,  in  einer  ausführlichen 
Arbeit,  die  anderen  Ortes  erscheinen  soll,  das  gesamte 
Material  mitzuteilen. 


A.US  der  II.  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien. 
(Vorstand :  Hofrat  Prof.  Dr.  Julius  Hochenegg.) 

Ein  Fall  von  subkutan  entwickeltem  Platten¬ 
epithelkarzinom  der  Glutäalgegend. 

Von  Dr.  Julius  Richter,  Operalionszögling. 

Im  folgenden  sei  ein  Fall  von  Plattenepithelkrobs  mit¬ 
geteilt,  bei  dem  die  Deutung  des  histologischen  Befundes, 
bzw.  die  Erklärung  der  Histogenese  der  Geschwulst  einige 
Schwierigkeiten  verursacht  hat  und  daher  von  Interesse 
sein  dürfte. 

Der  Fall  betrifft  einen  67jährigen  Patienten,  welcher  früher 
immer  gesund  war.  Im  Jahre  1879  bemerkte  er,  durch  stechende 
Schmerzen  aufmerksam  gemacht,  etwa  5  cm  rechts  vom  Anus  ein 
derbes,  etwa  erbsengroßes  Knötchen,  welches  die  Haut  kaum  vor¬ 
wölbte.  Die  Schmerzen,  auf  welche  die  Defäkatiou  keinen  Einfluß 
hatte,  ließen  nach  und  das  Knötchen  erreichte  hinnen  Jahresfrist  die 
Größe  einer  Kirsche.  Es  blieb  dann,  von  normaler  Haut  bedeckt 
und  ohne  Schmerzen  zu  verursachen,  bis  zum  Sommer  des 
Jahres  1905  unverändert.  Um  diese  Zeit  griff  die  bisher  streng 
umschriebene  Verhärtung  auf  die  Umgebung  über  und  es  entstand 
eine  diffuse  Induration  nach  oben  und  außen.  Im  September 
1905  lu’ach  diese  an  der  tiefsten  Stelle  auf  und  es  entleerte  sich 
angeblich  nur  blutig  gefärbte  Flüssigkeit.  Seit  dieser  Zeit  wech¬ 
selten  Verheilung  und  Aufbruch  mehrmals  miteinander  ab.  Es 
entwickelten  sich  auf  diese  Weise  mehrere  wenig  stark  sezer- 
nieieiide  Fisteln.  Jedesmal,  wenn  die  Geschwulst  an  einer  Stelle 
aufhrach,  verspürte  Pat.  eine  große  Erleichterung,  indem  die 
Spannung  nachließi,  so  daß  er  beschloß,  die  Aufbrüche  durch 
feuchte  Umschläge  offen  zu  halten.  Pat.  bemerkte  auch,  daß 
dite  GeschAvulst  in  der  letzten  Zeit  ziemlich  rasch  an  Größe  zu¬ 
nahm. 

Die  Defäkatiou  Amrursachte  ihm  niemals  Schmerzen  und 
ging  immer  regelmäßig  und  glatt  vor  sich;  seit  den  letzten 
14  Tagen  besteht  mäßige  Obstipation. 

Die  Untersuchung  von  Herz,  Lunge  und  Abdomen  des  gut¬ 
genährten  und  kräftigen  Patienten  bei  seiner  Aufnahme  ergibt 
vollständig  normalen  Befand. 

B'CÜ  der  Inspektion  des  Gesäßes  sieht  man  die  rechte  Hälfte 
Amn  einer  überhandtellergroßen  Vorwölbung  eingenommen,  Avelche 
in  die  Analfalte  hineinreicht,  aber  nicht  auf  den  Anus  üher- 
greift.  Im  Bereiche  dieser  Vorwölbung  ist  die  Haut  stark  ge¬ 
rötet  und  auf  ihrer  Kuppe  läßit  sich  deutliche  Fluktuation  nach- 
weisen.  Knapp  neben  dieser  Stelle  sieht  man  drei  dicht  neben¬ 
einander  liegende  krönen-,  bis  guldenstückgroße,  blumenkohlartigc 
GeschAvürc,  Avelche  pilzförmig  über  das  Niveau  der  umgebenden 
Haut  berAmrragen.  Ihre  derben  Ränder  sind  wallarüg  aufgeworfen, 
gescliAvürig  zerfallen  und  mit  nekrotischen  Massen  bedeckt.  Der 
Grund  ist  trichterförmig  cingezogen  und  mit  gelben,  schmutzigeu 
Massen  belegt.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  ergibt  aber, 
daß.  Avir  hier  keine  oberflächlichen  Geschwüre  vor  uns  haben, 
sondern  daß  diese  nur  die  Ausmündungsstellen  langer,  in  die 
Tiefe  gehender  Gänge  sind.  Wir  finden  also  hier  Fisteln,  deren 
äußere  Oeffnungen  die  oben  heschrieheneu  'Formen  zeigen. 

Die  Digitaluiitiersuchung  des  Bidvtums  ergibt  nichts  Auf¬ 
fälliges. 

In  der  Nähe  des  unteren  Randes'  der  Vorwölhimg  ist  eine 
kronenstückgroße,  deutlich  fluktuierende  und  sehr  schmerzhafte 
Stelle  (paraanaler  Abszeß).  Hier  wurde  inzidiert  und  es  entleerte 
sich  eine  dunkelbraune  Flüssigkeit.  Die  Wunde  wurde  draiiiiert 
und  mit  Jodoformgaze  tamponiert. 

Die  Probeexzision  aus  dem  Zentrum  der  einen  papillären 
Ei'habenheit  ergibt  Platlenepilhelkarzinom  mit  spärlicher  Ver¬ 
hornung.  . 


Nr.  26 


797 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Ifofral  Iloch'Oiicgg  stellte  die  Walirsclieinliclikeilsfiiagnose 
auf  Karzinom,  hervorgegangoii  aus  der  Wand  einer  Derrnoidzysie. 

Die  Operation  wurde  am  27.  Oktober  vom  Assistenten 
Dr.  Hans  Lorenz  aiisgefiilirt. 

tier  Patient  wird  in  linke  Seitenlage  gebracht,  wie  zur 
Operation  für  Kraske-llochenegg  und  nach  vorliergegangener 
Reinigung  des  Operationsfeldes  wird  die  (leschwulst  weit  im 
Oesunden  iimsdmilten,  so  daß.  auch  ein  Teil  der  Olutäalnmsku- 
latiir  imtgenommen  wird.  Der  Tumor  wird  hierauf  vom  Rektürn 
ahpräpai'iert,  rlessen  hintere  AVand  datlurch  auf  ungefähr  G  cm 
Länge  freiliegt;  Stcdßhein  und  unterster  Anteil  des  Kreuz¬ 
beines  werden  mit  der  Knochenscliere  entfernt.  Der  große  Sub-  - 
stanzverlust.  wird  durch  einige  Nähte  in  den  Wundwinkeln  ver¬ 
kleinert.  Die  übrige  AA^undhöhle  offen  gelassen,  mit  Jodoformgaze 
tamponiert  uud_  drainiert.  Der  Wuindverlauf  war  ein  vollständig 
normaler  und  die  AA  unde  heilte  per  granulationern  aus. 

Das  bei  der  Operation  gewonnene  Präparat  ist  ungefähr 
kteinkindskopfgroß.  und  umfaßt  einen  großen  Anteil  der  angren¬ 
zenden  Glutäalmuskulatur,  des  Zellgewebes,  sowie  die  erwähnten 
resezierten  Knochenstücke. 

Auf  dem  über  die  größte  Zirkumferenz  des  Präparates  ge¬ 
führten  Durchschnitte,  welcher  in  seiner  Richtung  dem  Amrlaufe 
einer  der  früher  heschriehenen  Fistelgänge  entspricht,  erscheint 
etwa  in  der  Mitte  des  Ohjektes  ein  ungefähr  hühnereigroßer  Hohl¬ 
raum,  welcher  mit  größtenteils  festen,  zentral  bröckeligen,  tj'ockeneu, 
teilweise  iperlmutlerartig  glänzenden  Massen  ausgefüllt  ist.  Diese 
hängen  mit  dem  größiten  Teile  der  Zirkumferenz  dieses 
Hohlraunies  innig  zusammen  und  sind  nicht  von  ihm  ablösbar. 
In  dem  gegen  den  rückwärtigen  Pol  dieses  Hohlraumes  zu  ge¬ 
legenen  Anteil  zeigt  die  Geschwulst  keinen  Zusammenhang  mit 
der  AAmnd  und  ist  hier  leicht  ausschälhar.  Im  hinteren  Ende  geht 
der  Hohlraum  in  einen  zweiten,  etwa  nußgroßen  über,  der  mit 
dem  ersten  durch  eine  ungefähr  3  cm  im  Durchmesser  haltende 
Oeffnung  in  A'erhindung  steht.  Durch  diese  Oeffnung  ragen  die 
heschriehenen  Gewehsniassen  pfropfarlig  in  den  zweiten  Hohl¬ 
raum  hinein  und  erfüllen  diesen  vollsländig,  ohne  mit  der  AVhind 
in  Zusammenhang  zu  stehen.  Hebt  man  diese  Massen  an  der 
AA^and  des  Hohlraumes!  ah,  so  erscheint  jene  bis  zu  der  eben  be¬ 
schriebenen  Oeffnung  von  einem  2  cm  breiten,  weißen,  trockenen, 
gegen  das  angrenzende  Zellgewebe  scharf  ahgrenzbaren  Gewebe 
gebildet,  welches  die  gleiche  Beschaffenheit  hat,  wie  die  den 
Hohlraum  ausfüllenden  Massen. 

An  der  Uebergangss teile  vmn  dem  großen  in  den  kleinen 
Hohlraum  zeigt  die  AA'’and  feinwarzige,  flache,  in  das  Innere 
vorragende  Exkreszenzen.  Die  AA'and  des  kleinen,  nußgroßen  Hohl¬ 
raumes  zeigt  endlich  eine  dünne,  glatte,  verhornte  Auskleidung. 
Das  den  Hohlraum  ausfüllende  Gewebe  erfüllt  in  gleicher  Weise 
die  eingangs  beschriebenen  FisteLä^^ge  so  vollständig,  daß  deren 
AA^and  nicht  sichtbar  ist  und  ragt  pilzförmig  über  die  äußere 
Oberfläche  hinüber,  ohne  daß  ein  Zusammenhang  zwischen  diesem 
Grewehe  und  der  äußeren  Haut  bestünde. 

Zur  histologischen  Untersuchung  gelangten  Stücke  aus 
allen  Teilen  der  AA^and,  aus  den  Fistelöffnungen,  ans  dem 
Inhalte  und  dem  Abszesse.  Die  Objekte  wurden  in  der  ge- 
wtohnlichen  AVeise  gehärtet,  in  Paraffin  eingebettet  und  die 
Präparate,  für  deren  Durchsicht  ich  Herrn  Priv.-Doz.  .Doktor 
C.  Sternberg  bestens  danke,  mit  Hämalaun-Eosin  gefärbt. 

Das  weiche,  trockene  Gtewebe,  welches,  wie  beschrieben, 
den  vorderen  Teil  der  AA^and  des  großen  Hohlraumes  bildet,  besteht 
aus  mächtigen,  plumpen,  kolbigen  Zellsträngeii  und  -nestern, 
welche  aus  großen  Plattenepithelien  zusammengesetzt  sind.  I.,etz- 
tere  haben  vielfach  einen  dunkel  färbbaren,  unregelmäßig  ge¬ 
formten  Kei-n  und  ein  ziendich  homogenes  intensiv  färbbares 
Protoplasma.  Zwiseben  breiteren  und  schmäleren  Zellsträngen 
und  -nestern,  sowie  innerhalb  solcher  finden  sich  zwiebelschalen- 
förmig  geschichtete,  homogene,  strukturlose,  mit  Eosin  sich  gleich¬ 
mäßig  rot  färbejidc  Gebilde,  welche  den  bekannten  Kaidcroid- 
perlen  entsprechen.  Diese  Zellstränge  und  -nester  reichen  tief 
in  das  umgebende  Gewebe  hinei)i,  stellenweise,  bis  in  das  Fett¬ 
gewebe  und  zeigen  peripher  dichte  Anhäufungen  von  ein-  und 
mehrkernigen  Leukozyten. 

Den  gleichen  Aufbau  und  dieselbe  Zusammensetzung  wie  die 
eben  beschiiebene  AA'and  zeigen  die  peripheren  Anteile  der  den 
ganzen  Hohlraum  erfüllenden  Alassen,  während  diese  im  Zentrum 
ausgedehnt  nekrotisch  sind  und  nur  undeutlicli  mehr  eine  Strukiur 
erkennen  lassen.  Die  Schnitte  aus  den  Partien,  wo  die  After- 
massö  an  die  läußere  Haut  angrenzt,  zeigen,  das  typische  Ril  l 
eines  Plattenepilhelkaxzinoms,  von  dem  gleichen  Aufbaue  wie 
in  der  AATmd  des  Hohlraumes  und  in  seinem  Inneren,  ln  diesen 


Schnitten  sehen  wir  auch,  daß  zwischen  der  äußeren  Haut  und 
dem  hervorwuchernden  G’ewebe  kein  Zusammenhang  besteht. 

Die  papillären  Exkreszenzeu  an  der  llehergangsstello  des 
großen  in  den  kleinen  Hohlraum  zeigen  bei  mikroskopischer  Unter¬ 
suchung  ob(!rfiächlich  eine  epidermisähnliche  Auskleidung,  an 
welcher  man  eine  ziemlich  breite  Hornschiebt  und  eine  mächtigere 
Zone  Malpighischer  Zellen  untierscheiden  kann.  Nach  unten  zu 
ist  diese  im  allgemeinen  geradlinig  begrenzt.  Nur  vereinzelt  sind 
flache,  in  die  darunterliegenden  Schichten  reichende  Zapfen  sicht¬ 
bar;  an  mehreren  Stellen  senkt  sich  das  Epithel  in  Form  von 
breiten  Kolben  und  Zapfen  in  das'  angrenzende  Gewebe  ein, 
so  daß  an  einer  Stelle  ein  umfangreicher  Herd  zustande  kommt, 
Avelcher  den  gleichen  Aufbau  zeigt,  wie  die  früher  beschriebenen 
Geschwulstmasisen,  also  aus  Nestern  von  Plattenepithelzellen  be¬ 
steht,  welche  Kankroidperlen  einschließen.  Diese  Herde  reichen 
hart  bis  an  die  äußere  Haut  heran  und  zeigen  peripher  eine  be¬ 
trächtliche  Infiltration  von  ein-  und  mehrkernigen  Leukozyten. 

Der  beschriebene  kleine  Hohlraum  wird  von  einer  schmalen 
Zone,  stark  verhornter  Epidermis  ausgekleidet,  welche  in  der  Ober¬ 
fläche  von  mehreren  Lagen  vollkommen  verhornter,  größtenteils 
abgehobener  Zellen  gebildet  wird,  die  oft  ein  zusammenhängendes 
Band  darstellen.  Darauf  folgt  eine  Zone  gut  färbbarer  Plattenepi¬ 
thelien.  Diese  Schicht  ist  allenthalben  ziemlich  gleich  breit,  gegen 
die  Unterlage  fast  durchweg  geradlinig  abgegrenzt  und  nur  ganz 
vereinzelt  bildet  sie  niedrige,  flache  Retezapfen. 

Auf  diese  Zellen  folgt  ein  ziemlich  kernarmes  Bindegewebe, 
welches  in  seinen  äußeren,  an  <las  Fettgewebe  angrenzenden 
Teilen,  von  reichlichen  Leukozyten  durchsetzt  ist.  Der  Schnitt 
durch  das  Geschwür  zeigt  Gewebszerfall  und  in  dem  umgebenden 
Gewebe  starke  Anhäufung  von  ein-  und  mehrkernigen  Leuko¬ 
zyten.  ,  I 

In  dem  vorliegenden  Falle  handelt  es  sich,  wie  aus 
dem  makroskopischen  und  mikroskopischen  Befunde  hervor¬ 
geht,  zweifellos  um  ein  Plattenepithelkarzinom.  Dieses  füllt 
einen  hühnereigroßen  Hohlraum  aus,  mit  dessen  A¥and  es 
größtenteils,  aber  nicht  überall  innig  zusammenhängt.  AAto 
dieser  Zusammenhang  besteht,  bilden  eben  Tümormassen 
die  AAhind  des  Hohlraumes.  In  den  rückwärtigen  Anteilen 
aber,  wo  —  wie  heschrieben  —  der  Tumor  in  den  Hohl¬ 
raum,  wie  in  eine  Schale  eingelagert  ist,  wird  jler  letztere 
von  einer  schmalen  Epidermisschichte  ausgekleidet,  die  keine 
Zapfen  bildet;  auch  fehlen  hier  Anhanggehilde  der  Haut 
(Haare,  Drüsen). 

An  der  Uebergangss  teile  des  nußgroßen  in  den 
hühnereigroßen  Hohlraum  finden  sich  einige  papilläre,  über 
die  Oberfläche  erhabene  Exkreszenzen,  welche  bei  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  teilweise  bereits  in  ein  Platten¬ 
epithelkarzinom  umgewandelt  sind.  Die  äußere  Haut  zeigt 
nirgends  einen  Zusammenhang  mit  dem  Neoplasma. 

Es  handelt  sich  hier  also  um  ein  Platten- 
epithelkarzinom,  welches  nicht  von  der  Haut  aus¬ 
gegangen  ist,  sondern  sich  aus  der  AAUand  eines 
subkutan  g  e  1  e  g  e  n  e  n  H  o  h  1  r a  u  m  e  s  e  n  t  w  i  c  k  e  1 1  h  a t. 

Bei  der  Frage  nach  dem  AVesen  dieses  Flohlraumes 
wäre  in  erster  Linie  nach  Form  des  klinischen  Aussehens 
an  eine  Dermoidzyste  zu  denken,  um  so  melir,  als  ja  die 
Entwicklung  von  Plattenepithelkrebsen  aus  Dermoidzysten 
nicht  so  selten  beobachtet  wurde.  Einschlägige  Alitteilungen 
liegen  in  der  Literatur  vor  von  H.  AA^olff,^)  Mertens,“) 
Czerny,^)  Anna  PölzU^)  u.  a.  m. 

Gegen  diese  Deutung  spricht  jedoch  der  histologische 
Befund.  AATe  aus  der  früheren  Beschreibung  ersichtlich, 
zeigt  die  AUand  des  Hohlraumes  ülrerall  dort,  wo  sie  noch 
unverändert  erhalten  war,  lediglich  eine  Epidennisausklei- 
duiig;  es  fehlt  durchweg  an  anderen  Gebilden  der  Haut, 
so  daß  wir  weder  aus  der  Zusammensetzung  der, AAhand,  noch 
aus  dem  Inhalte  der  Höhle  einen  Anliallspunkt  für  die  An¬ 
nahme  einer  Dermoidzyste  gewinnen. 

Es  wäre  nun  zu  erwägen,  oIj  der  Hohiraum  vielleicht 
als  Atherom  zu  denken  wäre.  Bei  Beurteilung  dieser  Frage 
müssen  wir  uns  daran  erinnern,  daß  die  Atherome  heute 
vielfach  nicht  mehr  als  Retentionszysten  der  Talgdrüsen 
aufgefaßt,  sondern  namentlich  seit  den  Arbeiten  von 
F.  Franke,*')  Török')  und  Gliiari®)  von  emljryoiialen 
Einschlüssen  abgeleitet  w^erden. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907 


Nr.  26 


IJosomlers  war  cs  Franke/')  welcher  in  einer  ans- 
J'iihrliclien  Ar])eit  nacliwies,  daß  „die  nnt('r  dem  Namen 
AMierome  bekannten  (ieschwülste  in  zwei  genetisch  ver¬ 
schiedene  Ahleilungen  zu  scheiden  sind,  in  lletenlions- 
gescliwülste,  die,  in  der  Kiitis  sitzend,  im  ext.rauterinen 
Lc])en  aus  Haar-  und  Talgfollikcln  entstehen  und  eigent¬ 
lich  nur  vergrößerte  Koinedonen  vorstellen,  also  eigentlich 
h'ollikularzysten,  und  in  solche,  die  ihren  Ursprung  unab¬ 
hängig  von  fertig  ausgebildelcm  Uaarbälgen  usw.  aus  im 
intrauterinen  Lehen  (nur  im  subkutanen  Gewebe?)  ahge- 
schnürten  Epidermiszapfen  nehmen“. 

In  der  Bezeichnung  dieser  Geschwülste  schließt  er  sich 
dem  von  II  es  che  1'^)  vorgeschlageiien  Namen  ,, Epidermoid“ 
vollständig  an. 

E.  Franke"’)  i>cpclireil)i  auch  einen  Fall,  in  welchem  cs 
zur  Entwicklung  eines  Karzinoms  in  einem  am  Damnenl)allcn 
gelegenen,  allseitig  geschlossenen  Epidermoid  kommt. 

Török')  legt  ein  großes  Gewicht  für  die  Unterschei¬ 
dung  der  Atherome  von  den  Follikularzysten  auf  das  .Vor¬ 
handensein  eines  Papillarkörpers  iii  der  Atheromwand  und 
sieht  darin  gleichzeitig  einen  Beweis,  daß  die  Atherome  aus 
embryonal  ahgcsprengteji  Keimen  der  Haut  hervor¬ 
gegangen  sind. 

Unna,^)  welcher  in  bezug  auf  die  Ahstannnung  der 
Atherome  mit  den  früher  genannten  Autoren  vollständig 
übereinstlmmt,  meint,  daß  die  vVushildung  eines  Papillar¬ 
körpers  kein  sicheres  Kriterium  für  die  IJiagnose  ,, Atherom“ 
sei,  indem  er  sagt: 

„l)arül)er  dürften  wir  uns  doch  hei  der  anerkannten 
Variabilität  des  Papillarkörpers,  derselbe  mag  Vorkommen, 
wann  und  \vo  er  wolle,  keiner  Illusion  hingehen,  daß  eine 
sti’cnge  Scheidung  auf  die  Existenz  gerade  dieses  Gebildes 
hin  a  priori  nicht  zugelassen  werden  kann.“ 

Ferner  sagt  Unna:  ,,Ich  traue  einem  jeden  Atherom 
dagegen  dasselbe  zu,  wie  jeder  Follikularzyste,  daß  sie  sich 
gelegentlich  durch  Epithelwucherung  einen  neuen  Pcäpillar- 
körper  schaffen  kann.“ 

Wenn  Török  auf  das  Vorhandensein  eines  Papillar¬ 
körpers  in  der  Atheromwand  ein  großes  Gewicht  für  die 
Diagnose  ,, Atherom“  legt,  so  müßten  wir  in  unserem  Falle 
die  Annahme  eines  Atheroms  fallen  lassen;  denn  wie  wir 
trüber  nachgewieseii  haben,  finden  wir  Ijei  der  mikroskopi¬ 
schen  Untersuchung  entweder  eine  sehr  geringe  IfnUvicklung 
otler  ein  kehlen  des  Papillarkörpers  in  der  Wand. 

Wie  aber  aus  den  vorstehenden  Ausführungen  hervor¬ 
gehl,  berechtigt  der  histologische  Befund  in  unserem  Falle 
nicht  dazu,  das  Alherom,  hzw.  Epidermoid  auszu¬ 
schließen,  wir  müssen  vielmehr  die  iMöglichkeit  zugehen, 
daß  hier  ein  xVtherom  Vorgelegen  haben  könnte. 

Immerhin  erscheint  uns  sowohl  nach  dem  histologi¬ 
schen  Befunde,  als  auch  ganz  besonders  bei  Berücksich¬ 
tigung  der  anamnestischen  Daten  eine  aiulere  Deutung  des 
Falles  wahrscheinlicher. 

Sehen  wir  die  Anamiiese  durch,  so  spricht  das  Krank¬ 
heitsbild  dafür,  daß  es  sich  ursprünglich  um  eine  chronische 
I' ollikulitis  gehandelt  hat,  die  des  öfteren  abiszedierte.  Offem- 
bar  ist  nun  die  hiel)ei  entstandene  xXbszeßhöhle  von  der 
äußeren  Haut  her  epidermisiert  worden,  ein  Vorgang,  der 
mit  dazu  heigetragen  haben  dürfte,  daß  der  Abszeß  sich  nicht 
vollständig  schloß  und  nicht  ganz  ausheilte.  Auch  die  im 
vorstelumden  geschilderten  histologischen  VArränderungen 
si)rech(m  in  gleicher  Weise  wie  der  klinische  AArlauf  dafür, 
daß  chronisch-entzündliche  \"eränderungen  die  Veraidassmig 
zur  Bildung  des  fraglichen  Hohlraumes  gegeben  haben. 

Die  Fpidermisierung  derartiger  Höhlen  wird  hekannt- 
lich  nicht  so  sellcm  heohachtet;  so  sei  z.  B.  ,an  eine  Beoh- 
achtung  L.  Spilzers^^)  erinnert,  in  der  es  ebenfalls  zur 
Fpidermisauskleidung  vereiterter  follikel  und  dadurch  zur 
Bildung  eigentümlicher  Narben  („Koniedonemiarben“)  ge¬ 
kommen  ist. 

Aelmliche  Vorgänge  können  sich  auch  in  Schleimhäuten 
abspielen,  wie  unsere  eigenen  ifrfabriingen  an  Fällen'^) 
sogenannter  ,, tuberkulöser  lleocökaltumoren“  zeigten. 


Hier  kommt  es  zur  Verlagerung  von  Darmdiüsen  in 
die  Suhmukosa,  welche  dann  sehr  oft  mit  den  hier  be¬ 
findlichen  Abszessen  in  Kommunikation  treten  und  diese 
mit  Epithel  auskleiden.  Dadurch  kommen  die  mit  Epithel 
ausgekleideten  Hohlräume  und  Gänge  zustande,  welche  den 
Entzündungsprozeß  zu  keiner  Ausheilung  kommen  lassen. 

ln  analoger  Weise  dürfte  also  auch  die  Epidermis- 
auskleidung  in  dem  Hohlraumo  unseres  Falles  aufzufassen 
sein:  es  handelt  sich  um  eine  chronische  Follikulitis  .und 
Ahszeßhöhle  mit  sekundärer  Epithelisierung  von  der  äußeren 
Oberfläche  her. 

ln  weiterer  Entwicklung  geriet  nun  dieses  Epithel  in 
atypische  Proliferation  und  gab  Veranlassung  zur  Entstehung 
eines  Plattenepithelkrehses . 

Wie  in  allen  Fällen,  so  ist  natürlich  auch  jn  der  vor¬ 
liegenden  Beobachtung  .die  Ursache  der  Krebsentwicklung 
nicht  bekannt;  immerhin  liegt  es  aber  nahe,  in  diesem  Falle 
die  Entstehung  des  Karzinoms  auf  die  langdauernden  Ent¬ 
zündungen,  welche  sich  in  der  Abszeßhöhle  abspielten,  be¬ 
ziehungsweise  auf  die  wiederholten  Reize,  die  das  Epithel 
trafen,  zurückzuführen,  in  analoger  Weise,  wie  wir  auch 
sonst  bisweilen  die  Entwicklung  von  Karzinomen  mit  wieder¬ 
holt  abgelaufenen,  lokalen,  chronischen  Entzündungsprozes¬ 
sen  in  Zusammenhang  zu  bringen  gewohnt  sind;  wir  er¬ 
innern  z.  B.  an  die  Karzinomentwickhmg  auf  dem  Boden 
eines  Lupus  oder  luetischer  Veränderungen,  an  primäre 
Krebse  der  Haut  oder  Schleimhäute,  z.  B.  den  Schornstein¬ 
feger-,  Teer-  und  Paraffinarbeiterkrebs  usw. 

Fassen  wir  also  die  vorstehenden  Ausführungen  zu- 
sannne]!,  so  können  wir  zwar  in  dem  vorliegenden  Falle 
die  Möglichkeit,  daß  es  sich  ursprünglich  um  ein  Atherom 
gehandelt  hat,  nicht  mit  Sicherheit  ausschließen,  möchten 
uns  aber  auf  Grund  des  klinischen  und  anatomisch-histolo¬ 
gischen  Befundes  eher  der  Auffassung  znneigen,  daß  ein 
aus  einer  chronischen  Follikulitis  h  e  r  v  o  r  g  e  g  a  n- 
gener  und  sekundär  epithelis  ierter  (epidermi- 
sierterf  Abszeß  Vorgelegen  hat,  in  dem  sich  in 
w^ e i  t e r e  r  b" o  1  g e  aus  der  W a. n d  a u s  k  1  e  i  d  u  n  g  e  i  n  v er¬ 
hör  n  e  n  d  e  s  P 1  a  1 1  e  n  e  p  i  t  h  e  1  k  a  r  z  i  n  o  m  (K  a  n  k  r  o  i  d) 
entwickelt  hat. 

Literatur; 

h  Wolff  H.,  Arch.  f.  klin  Chir.,  Bd.  62.  —  Mertens,  Beiträge 
z.  klin.  Chir,,  Bd.  31.  —  ®)  Czerny,  Arch.  f.  klin.  Chir.,  Bd.  10. 
h  Heschel,  Prag.  Viorteljahresschrift,  1860,  Bd.  4.  —  D  Franke  F., 
Virchows  Arch.,  Bd.  121.  —  ®)  Franke  F.,  Arch.  f.  klin.  Chir.,  Bd.  34. 

—  h  Török,  Monatsh.  f.  prakt.  Dermatolog.,  Bd.  12.  —  C  h  i  a  r  i, 
Prager  Festschr.  Berlin  1890.  —  ®)  Unna,  Histopathol.  der  Hautkrankh. 
Erg.-Bd.  II.  T.  (Orth).  —  Spitzer,  Dermatol.  Zeitschr.,  Bd.  10.,  H.  2. 

—  ”)  Richter,  Zieglersche  Beiträge,  Bd.  39.  —  Pölzl  A.,  Zen- 
tralbl.  f.  pathol.  Anat.,  Bd.  15,  S.  561. 


Zur  Bronchoskopie  bei  Fremdkörpern. 

Von  Dr.  phil.  et  med.  Ilermauii  v.  Sclirötter  in  Wien. 

(Schluß.) 

Berücksichtigt  man  die  genannten  Momente,  so  er¬ 
scheint  es  nicht  mehr  befremdlich,  daßi  der  relaliv  so  große 
K  n  o  c  h  e  n  d urcli  die  Res  p  i  r  a  t  i  o  n  s  t ä  t  i  g k e  i  t,  hzw.  durch 
die  im  Gefolge  des  Husentreizes  auftretenden,  maximalen  In¬ 
spirationen  in  die  Tiefe  gerissen  und  trotz  Enge  der  Teile 
erst  im  rechten  Bronchus  verankert  wuirdo.  Vermögen  die 
reaktiven  Bewegungsvorgänge  den  fremden  Körper  nicht 
herauszu befördern,  so  hegrmstigen  dieselben  geradezu,  je 
stürmischer  der  Suffoka.tionsanfall  ist,  die  xVspi  ration 
dosselhen  in  das  Bronchialgehiet,  was  aber  wieder  sein 
Gutes  hat,  indem  dadurch  die  Gefahr  einer  Ouerschnitts- 
verlegung  des  gesamten  Bronchialrohres  verhindert  und  das 
Corpus  alieniim  nach  einem  der  beiden  Aeste  hinabgezogem 
wird.  Die  Aspiration  in  den  Bronchus  erfolgt  hei  Fremd¬ 
körpern  der  in  Rede  stehenden  Dimensionen  nicht  auf  ein¬ 
mal,  sondern  offenbar  in  mehreren  Etappen;  trotz  der 
Größe  desselben  war  hier  die  })esondere  Form,  die  Flach¬ 
heit  des  Knochens  (Querstellung)  einer  Beförderung 
durch  die  VV" irkung  des  L  u  f  t  s  t  r  o  m  e  s  günstig. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


l)as  Kirochenstück  war  nach  den  klinisclieu  Er¬ 
sehe  i  nun  gen  offenbar  ziinächsl,  ini  oberen,  byparleriellen 
Abscbnitle  des  re  eilten  Haiiiitbronebus  stecken  gehlieheii 
und  batte  dadureb  zu  einer  Ausiscbaltung  sänd.licher  Liingen- 
lappen  geführt,  als  deren  Ausdruck  wir  die  boidigradige 
Dyspnoe,  die  auffallende  Einziehung  der  recliten,  unteren 
Brustwaiid  auffassen  mußten.  Schon  durch  die  forcierten 
Respirationen  und  die  Hustenbewegung  des  Kindes  während 
der  ersten,  am  8.  Oktober  vorgenomnienen  Unlersucliung, 
sowie  zum  Teile  auch  durch  das  Eingehen  mit  dem  Katheter 
veranlaßt,  rückte  das  Knochenfragment  (ieferin  den  Bronchus 
hinab  und  veränderte  seine  Lage  zu  den  abgehenden  Aesten. 
Diesbezüglich  wird  maiU  sich  aber  zu  vergegenwärtigen 
haben,  daß  es  sich  bei  den  hier  in  Betracht  kommenden 
Distaiiizen  nur  um  eine  geringe  Verschiebung  zu  handeln 
brauchte,  um  damit  wieder  die  Ventilation  eines  derLappen 
zu  ermöglichen  und  das  klinische  Bild  zu  verändern. 

Wie  dem  auch  sei,  nach  der  ersten  Untersuchung, 
bzw.  dem  Eingehen  mit  dem  Katheter  war  die  so  auffallende, 
inspiratorische  Einziehung  der  rechten,  unteren  Brustgegeml 
verschwunden,  so  daß  man  annehmen  durfte,  daß  die  Luft 
nicht  bloß  in  den  Ober-,  sondern  zum  Teile  auch  in  den 
Mittellappen  wieder  einströmen  konnte  und  im  wesentlichen 
der  Bronchus  für  den  unteren  Lappen,  also:  etwa  ein  Drittel 
der  Lunge  verlegt  war.  Vielleicht  daß  während  der  fol¬ 
genden  Nacht,  als  abermals,  mehr  minder  plötzlich,  stärkere 
Atemnot  eintrat,  neuerlich  eine  geringfügige  f^ageverände- 
rung  erfolgte.  Mit  Rücksicht  auf  die  sO'  feste  Vhraiikerung 
des  Jxnochenfraigmentes,  die  uns  genugsam  zu  schaffen 
machte,  erscheint  dies  aber  kaum  wahrscheinlich.  Eher 
dürften  hiefür  Schwellungsvorgänge  der  Bronchialschleim- 
haut  verantwortlich  sein.  —  Wir  fanden  den  Knochen  zu¬ 
letzt  im  Bereiche  der  Teilungsstelle  des  Haupt¬ 
stammes  für  den  Unterlappen,  den  Zugang  der  entsprechen¬ 
den  Aeste  schräg  überdeckend. 

Wenn  auch  die  Lageveränderung  des  Knochens,  durch 
den  tieferen  Sitz  desselben,  die  Extraktion  erschweren 
konnte,  so  war  dieser  Umstand  anderseits  wieder  für  den 
Gesamtzustand  des  Kindes  günstig,  da  sich  die  Ventilations¬ 
verhältnisse  durch  Freiga.be  eines  Teiles  der  rechten  Lunge 
wesentlich  besserten.  Hiedurch  wurden  während  der 
Zeit  bis  zur  definitiven  Untersuchung  am  9.  Oktober  (zirka 
24  Stunden)  Atemarbeit  gespart,  bzw.  der  Herzmuskel  ge¬ 
schont  und  die  Chancen  für  den  operativen  Eingiäff  ge¬ 
steigert.  Wir  werden  darauf  noch  zurückkommen. 

Was  den  Sitz  des  Fremdkörpers  und  seinen  Einfluß 
auf  die  Respiration  der  rechten  Lunge  aidangt,  so*  wäre 
es  von  Itderesse  gewesen,  dieses  Verhaften  auch  noch  durch 
die  Radioskopie  zu  kontrollieren,  wozu  aber  damals  im 
St.  Annen-Kinderspitale  keine  Gelegenheit  war.  Ein  Trans¬ 
port  ad  hoc  nach  einer  anderen  Station  schien  uns  jedoch 
nicht  notwendig  zu  sein,  da  wir  ja  die  Gegenwart  eines 
Knochenfragmeides  jm  rechten  Bronchus  schon  bei  der 
ersten  Inspektion  feststcllen  konnten. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  der  Knochen  —  wiewohl 
solche  Freindköjper  gcwöludich  am  liöidgenschirme  nicht  in  Er¬ 
scheinung  treten  —  hier  klar  zum  Ausdrucke  gekonmien  wäre, 
da  sich  das  verkalkte  Gehilde,  von  immerhin  heträchtlicher  Größe, 
gewdß  scharf  von  den  Weich  teilen  des  iMediasLinums  und  den 
Rippenspangen  des  Säuglings  ahgehohen  hätte.  Dm'  Knochen 
wäre  rechts  jm  Bereiche  des  Ililusschaltens  oder  mit  Rücksicht 
auf  seine  Lageveränderung  an  der  äußeren  Grenze  desselben 
zu  sehen  gewesen.  Hiehci,  hätte  man  auch  heohachlen  kötmeii, 
inwieweit  die  für  Rronchostenose  charaktei'islisctien  fu'schei- 
nungen,  Dislokation  des  Mediastinums,  al)normes  Wuhalteu  des 
Diaphragmas  u.  a.,  vorhanden  waren,  die  häufig  sehr  deutlicti 
sind,  aber  nicht  immer  hestehen  müssen,  indem  die  in:si)iratorische 
Dj'uckdifferenz  der  verengten  Seite  auf  verschiedene  Weise  — 
abhängig  von  der  Aluskelaktion  sowie  der  Nachgieldgkeit  dei' 
fraglichen  Teile  —  ausgeglichen  werden  kann,  liier  wurde  der 
Druckiinterschied  jedenfalls  zu  einem  Teile  durch  das  starke  Ein¬ 
sinken  der  untei'en  Partie  des  elastischen  Brust korhes  ,, gedeckt“, 
außej'dem  Juag  aber  auch  eine  seitliche  Dislokation  der  meilia- 
stinalen  Wand  erfolgt  sein. 


Doch  dies  nur  uebeubei;  wir  bedurfleii,  wie  gesagt, 
der  Diaskoi)ie  nicht.  Bei  der  zweiten  Untersuclnmg,  welche 
mit  dem  geeigneten  Rohre  durchgeführt  wurde,  konide 
der  Fremdkörper  mit  aller  Bestimmtheit  zur  Ansicht  ge¬ 
bracht  und  sein  näherer  ISilz  im  Bronchialbuume  hinreichend 
klai'gestellt  werden.  Als  Bekmcfitungsapparat  benützte  ich 
die  Clarsche  Stirnlami)e,  welche  auch  hier  trotz  der  Enge 
des  verwendeten  Tubus  eine  vorzüglicfie,  zentrierte  Beleuch¬ 
tung  des  Arbeilsfeldeis  gestattete.  Ich  selbst,  war  erstaunt, 
welch  scharfe  Bilder  sich  noch  mit  dem  Rofire  von  18  cm 
Länge  und  einem  Ouerschnitte  von  19-G  mm  (D.=^5mm)  ge¬ 
winnen  ließen,  wozu  noeh  die  perspektivische  Verküi'zung 
des  Gesichtsfeldes  kam.  Bei  einem  Abstande  des  inder¬ 
suchenden  Auges  von  ca.  20  cm  von  der  oberen  Rohr¬ 
mündung,  also  in  einer  Distanz  von  38  cm  vom  Arbeits¬ 
gebiete,  erscheint  ja  der  DurchmeSiSer  der  unteren  Rohr¬ 
mündung  um  ca.  48V')  gegen  jenen  der  oberen  verkleinert, 
so  daß  das  Gesichtsfeld  iiur  5-3  nmU  beträgt,  somit  um 
ca.  70Vo  gegen  den  Ouerschnitt  des  Rohres  verkleinert  ist. 

Was  die  Läirge  des  Tubus  anbelangt,  so  hatte  icli 
dieselbe  etwas  größer  gewählt,  als  unbedingt  notwendig  war; 
mit  Rücksicht  auf  die  Distanz  der  Eiidveilungsstelle  hätten 
vielleicht  3  bis  4  cm  erspart  werden  können.  Dies  würde 
jedoch  keinen  Vorteil  für  die  Technik  der  Extraktion  er¬ 
geben  hallen ;  es  war  vielmehr  günstig,  daß  noch  ein. größerer 
Anteil  des  Rohres  über  den  Oberkiefer  des  Kindes  vorragte, 
da  dies  die  Führung  des  Tubus  erleichterte.  Trotz  des 
kleinen  Gesichtsfeldes  vermochte  ich,  nachdem  der  im  Rohre 
aufsteigende  Schleim  abgesaugt  worden  war,  zunächst,  die 
Bifurkation  deutlich  als  schmale,  halbmondförmige  Leiste 
zu  erkennen;  dann  trat  beim  weiteren  Verschieben  nach 
rechts  ein  wnnßcs  Gebilde  in  Erscheinung.  Es  ist  ein  Glück, 
daß  Fremdkörper  zumeist  eine  auffallend  weiße  Färlmng 
zeigen  und  sich  dadurch  scharf  von  der  benachbarten 
Schleimhaut  abheben,  sonst  könnte  es  bei  so  kleinen  Ge¬ 
sichtsfeldern  gegebenen  Falles  schwierig  sein,  die  Anwesen¬ 
heit  eines  Corpus  adieu  um  zu  erkennen. 

Nach  abermaligem  Absaugen  der  Schleimblasen  mit 
dem  weichen  Aspirationsschlauche  könnte  urder  wechseln¬ 
dem  Drucke  auf  die  umgebenden  Wandpartien  festgestellt 
werden,  daß  ein  plattenförmiges  Fragment  vorlag,  welches 
derart  an  der  Teilungsstelle  des  dorisalwäiis  absteigenden 
Unterlappenastes  stecken  gebliidien  war,  daß  an  der  vor¬ 
deren  (ventralen)  Umrandung  noch  ein  schmaler  Anteil  des 
Bronchiallumens  freiblieb.  Durch  Druck  auf  die  entspre¬ 
chende  Wandpartie  ließ  sich  dieser  Raum  noch  vergrößern, 
wobei,  iianienllich  bei  tiefer  Inspiration,  die  Kante  des 
Knochens  a — b,  wie  aus  Fig.  4  zu  ersehen,  (leidlich  zum 
xVusdrucke  kam.  Von  den  Seiten  her  erschien  das  Knochen- 
stück  von  stark  geröteter  Schleindiaut  umfaßt.  Alan 
konnte  also-  nicht  bloß  an  den  Fremdkörper  herankommen, 
das  Schaben  des  Tubus  an  dem  harten  Geldlde  hören,  man 
vermochte  sogar,  was  für  die  Extraktion  von  maßgebender 
Bedeutung  war,  sich  über  die  Lagfe  desselben  zu  orientieren 
und  im  besonderen  lestzustellen,  daß  nelien  dem  Knochen- 
fragmenle  noch  Lichtung  zu  gewinnen  war,  also  die  Alög- 
lichkeit  bestand,  mit  einem  Instrumente  um  dasselbe  heruni- 
zukommen.  Aus  dem  Befunde  ging  deutlich  hervor,  in 
welcher  Bichtung  die  Branchen  der  Pinzette  zur  Anwendung 
kommen  mußlen,  um  den  Fremdköriier  mit.  Hoffnung  auf 
Erfolg  extrahieren  zu  können.  Es  war  klar,  daß  nur  in  der 
Sagitlalen  ein  Umfassen  des  Knochenfragmentes  möglich 
war,  während  ein  Ergreifen  in  darauf  senkrechler,  fron¬ 
taler  Richtung  vollkommen  fruchtlos  geldieben  wäre.  Ferner 
mußfe  man  trachten,  die  Kante  a — b  möglichst  in  die  Alitle 
des  Tubus  einzustellen,  den  vmntralwärts  vorhandenen  Raum 
durch  entsprechenden  Dj'uck  zu  vergrößern,  um  den  Knochen 
(bei  sagil taler  Stellung  der  Branchen)  sicher  umfassen  zu 
können. 

Da.  es  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  nicht  möglich 
war,  die  W  i  r  k  u  n  g  der  Pinzette  mit  dem  xVuge  zu  koidrol- 
lieren,  hatte  ich  mir  zuvor  die  erforderliche  Länge  des  Inslru- 
!  mentes  genau  markiert  und  gab  den  Branchen  die  ent- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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sprechende  Richhing.  Ich  wiiilie  dieser  Art,  d,aß  die  ge- 
ül'fiiete  Pinzette,  unter  sanftem  Drucke  eingeführt,  bei  rich¬ 
tiger  Haltung  des  Thbus  den  Knochen  umfassen  mußte. 
—  Ein  deutliches  Sehen  durch  Rohre  von  5  Iris  ,7  mm 
Durchmesser  ist  ja  bei  eingeführtem  Instrumente,  selbst 
bei  Verwendung  feinster  Pinzetten,  ausgeschlossen.  Der 
Schwerpunkt  der  direkten  Metliode,  bzw.  der  Verwendung 
des  geraden  Rohres  liegt  in  den  Fällen,  wo  enge  Kaliber 
in  Betracht  kommen,  vor  allem  in  der  Möglichkeit,  den 
Fremdkörper  präzise  einzustellen,  wodurch  man  mit  In¬ 
strumenten  sicher  an  denselben  herankommen  kann.  Benützt 
man  überdies  eine  Pinzette  von  bekannter  Länge  (leichte 
Biegung  des  Fühmngsstabes  an  entsprechender  Stelle)  mit 
nach  außen  federnden  Branchen,  die  man  geöffnet;  gleich¬ 
sam  in  Fortsetzung  des  Rohres,  an  den  Fremdkörper  heran¬ 
treten  läßt,  so  wdrd  dieses  sozusagen  selbst  Greif  ins  tru- 
ment.^®) 

Dieser  Kunstgriff,  auf  welchen  icli  bereits  im  Jahre 
1899  aufmerksmn  gemacht  habe,  scheint  mir  nicht  ent¬ 
sprechend  beachtet  worden  zu  sein.  Ich  erlaube  mir  daher 
nochmals  auf  die  praktischen  Winke  zu  verweisen,  die  ich 
in  meinem  Buche  (S.  556  bis  561,  sowie  557  bis  558) 
niedergelegt  habe.  Hier  möchte  ich  nur  im  allgemeinen  be¬ 
tonen,  daß  es,  „soll  das  Werk  gelingen“,  unter  schwierigen 
Verhältnissen  in  der  Tat  auf  solche  Feinheiten  ankommt,  wie 
ich  sie  daselbst  anzudeuten  bemüht  war,  und  daß  man  sich 
bei  richtiger  Verwendung  selbst  einfacher  Behelfe  manche 
Komplikation  und  Enttäuschung .  ersparen  kann.  In  dieser 
Hinsicht  gewinne  ich  mehr  und  mehr  die  üeberzeiigung,  daß 
man  mit  einer  gut  konstruierten  Pinzette  (S.  66  meines 
Buches)  —  quellbare  Fremdkörper,  wie  Bohnen  oder  Mais¬ 
körner  (G.  Killian,  Nehrkorn,  Gottstein,  Schmige- 
low),  ausgenommen  —  in  der  überwiegenden  Zahl  der 
Fremdkörperfälle  auskommen  wird.  Bei  bestehender  Schwel¬ 
lung  der  bronchialen  IVand,  oberhalb  eines  lange  getragenen 
Fremdkörpers,  müßte  man  gegebenen  Falles  auf  eine  (endo- 
bronchiale)  Dilatation  der  verengten  Partie  rekurrieren. 

Bereitete  auch  in  dem  hier  besprochenen  Fälle,  wie 
aus  der  Operationsgeschichte  hervorgeht,  das  Erfassen 
des  fremden  Körpers  trotz  Benützung  eines  Tubus 
von  5  mm  bei  einem  Arbeitsfelde  von  kaum  20  mm“, 
und  obgleich  die  Luftröhre  nicht  kokainisiert  worden 
war,  keine  besonderen  Schwierigkeiten,  so  waren  diese 
vor  allem  darin  gelegen,  den  einmal  erfaßten  Knochen 
schonend  zu  entwickeln  u nd  denselben  ohne  V er- 
letzung  durch  die  Trachea,  beziehungsweise  die  Glottis 
nach  außen  zu  bringen.  Zu  diesem  Zwecke  kamen  sanfte 
rüttelnde  Bewegungen  unter  großen  Exkursiojien  des  In¬ 
strumentes,  Vor-  und  Rückwärtsbewegen  des  Tübus  behufs 
Entspannung  der  bronchialen  Wandung,  ferner  Seiten¬ 
neigung  des  Kopfes  und  geänderte  Rumpfhaltung  als  unter¬ 
stützende  Hilfsmittel  zur  Anwendung.  Außerdem  wurden, 
sowohl  beim  Erfassen  als  bei  der  weiteren  Extraktion  des 
Fremdkörpers,  die  Respirationsbewegungen  in  ihrem  Ein¬ 
flüsse  auf  die  Lichtung  ausgenützt.  Dieser  Art  konnte  jeder 
plötzliche  Ruck  vermieden  und  die  Wirkung  der  zur  Ex¬ 
traktion  notwendigen  Kraft  (Zug)  möglichst  gleichmäßig 
verteilt  werden;  trotz  des,  ich  kann  nicht  anders  sagen,  als 
geradezu  enormen  Widerstandes,  der  sich  der  Lockerung  des 
Kjiochens  aidänglich  eidgegonstellte,  konide  derselbe  in  der 
Tat  ohne  Läsion  der  Luftröhre  und  des  Kehlkopfes  ans 
Eicht  gf'brach.t  werden.  Fast  11  Minuten  vergingen  aber  vom 
Zeilpunkle  der  ersten  Einstellung  des  Fremdkörpers  bis 
zu  seiner  Extraktion,  und  es  dauerte  1  Minute,  bis  er 
zum  letzten,  diitten  Äla.l  erfaßt,  den  Weg  vom  rechten  Bron- 
chiis  bis  in  die  Außenwelt  zurückgelegt  hatte.  Der  Knochen 

Ich  bemerke  hiezu,  daß  für  die  Fremdkörperextrakti  on  bei 
Kindern  ein  Instrument  Verwendung  finden  könnte,  welches  derart 
konstruiert  ist,  daß  am  distalen  Ende  des  Rohres  nach  außen  federnde 
brauchen  angebracht  sind,  die  durch  eine  ringförmige  Manschette  von 
oben  her  geschlossen  werden  können.  Rezüglich  der  Konstruktion  eines 
solchen  »Pinzettenrohres«,  durch  welches  sich  die  Einführung  eines 
Greifinstrumentes  umgehen  ließe,  verweise  ich  auf  meine  Notiz  in  der 
Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde  1907,  Nr.  5. 


kam  unblutig  heraus,  der  nach  aufwärts  geförderte  Schleim 
zeigte  keine  Beimischung  von  Blut.  Wie  sich  nach  der 
Extraktion  zeigte,  war  er  an  der  günstigsten,  der  kürzesten 
Kante  a — b  erfaßt  worden;  er  dürfte  wohl  mit  seiner  Spitze 
voraus  aspiriert  worden  sein. 

Noch  mag  die  Frage  berührt  werden,  ob  sich  der  Ein¬ 
griff  nicht  vielleicht  leichter  in  der  ursprünglichen  Position 
des  Fremdkörpers  hätte  bewerkstelligen  lassen,  als  der¬ 
selbe  im  Anfangsteile,  des  rechten  Hauptbronchus  gelagert, 
anscheinend  die  Ventilation  aller  drei  Lappen  verhinderte. 
Abgesehen  davon,  daß  es  sich  bei  den  Dimensionen  der 
Teile  nur  um  geringe  Unterschiede  in  den  Distanzen  handeln 
kann,  das  Gesichtsfeld  im  wesentlichen  das  gleiche  ist,  so 
wäre  es  immerhin  möglich,  daß  der  Knochen  am  ersten 
Tage  günstigere  Angriffsflächen  für  die  Pinzette  geboten, 
daß  man  ihn  vielleicht  besser  von  zwei  Seiten  her  hätte 
umgreifen  können.  Ebenso  dürfte  die  Verkeilung  ursprüng¬ 
lich  eine  weniger  feste  gewesen  sein  als  bei  der  definitiven 
LTntersuchung.  Aber  auch  unter  dieser  Annahme  wären  die 
Widerstände  bei  der  Extraktion  im  Bereiche  der  Bifurkation 
(Abgangswinkel)  der  Luftröhre  und  des  Kehlkopfes  dieselben 
und  die  Maßnahmen  zu  deren  lleberwindung  die  nämlichen 
gewesen.  Außerdem  hätte  man  bei  dem  ursprünglichen  Sitze 
des  Knochens  unter  viel  schlechterer  Ventilation,  wahr¬ 
scheinlich  sogar  temporär  insuffizienter  Atmung  des  Kindes 
arbeiten  müssen,  während  am  zweiten  Tage,  wo  die  Re¬ 
spiration  des  Ober-  und  wohl  auch  zum  Teile  des  Mittel¬ 
lappens  der  rechten  Lunge  ermöglicht  war,  die  Bedingungen 
für  eine  genügende  Sauerstoffzufuhr  günstiger  lagen.  Durch 
die  unteren  Löcher  des  Tubus  konnte  die  Luft  (zeitweise) 
auch  zum  Oberlappen  der  rechten  Lunge  Zutritt  erhalten.  — 
Wie  in  der  Krankengeschichte  bemerkt,  besserte  sich  die 
Ventilation  des  Kindes  schon  nach  der  ersten  Untersuchung, 
indem  die  forcierten  Respirationsbewegungen  eine  Lage¬ 
veränderung  des  Knochenfragmentes  bewirkten.  Allem  An¬ 
scheine  nach  wurde  dieselbe  noch  durch  das  Eingehen  mit 
dem  Katheter  befördert.  Nehmen  wir  sogar  an,  der  Fremd¬ 
körper  wäre  durch  diesen  Eingriff  allein  aus  seiner  ur¬ 
sprünglichen  Stellung  gebracht,  bzw.  tiefer  geschoben 
worden,  so  hatte  sich  die  Situation  nicht  verschlechtert. 
Denn  es  wurde,  wie  schon  angedeutet,  durch  die  Lageverän¬ 
derung  des  Knochens  ein  günstiger  Einfluß  auf  den  Re¬ 
spirationsapparat,  bzw.  das  Herz  herbeigeführt,  sO'  daß  der 
definitive  Eingriff  bei  gutem  Allgemeinzustande  des  Kindes 
ausgeführt  werden  konnte;  außerdem  machte  sich  während 
der  Operation  selbst  nur  geringe  Dyspnoe  geltend,  die  leicht 
zu  beherrschen  war.  —  Nichtsdestoweniger  w<äre  der  Fall 
auch  bei  gestörter  Respiration,  trotz  stärkerem  Wogen 
des  Arbeitsfeldes  zu  erledigen  gewesen. 

Es  versteht  sich,  daß  damit  keineswegs  dem  hier  he- 
nützten  Verfahren,  mit.  Hilfe  eines  eingeführten  Katheters 
eine  Lockerung,  Aspiration  oder  spontane  Ausstoßung  des 
Fremdkörpers  herbeizuführen,  das  Wort  geredet  werden  soll. 
Immerhin  schien  mir,  als  ich  am  ersten  Tage  auf  eine  .Ex¬ 
traktion  mit  Hilfe  des  schulgerechten  Verfahrens  verzichten 
mußte,  ein  solcher  Versuch  gerechtfertigt  zu  sein,  da  der¬ 
selbe  möglicherweise  Erfolg  haben  und  das  Kind  schon 
mit  diesem  einfachen  Hilfsmittel  von  seinem  qualvollen  und 
gefährlichen  Zustande  befreit  werden  konnte.  Dachte  doch 
niemand  daran,  daß  es  sich  um  ein  Knochenstück  von  solcher 
Größe  und  daher  um  eine  so  feste  Verankerung  handeln 
würde,  wie  sich  dies  erst  nach  dem  definitiven  Eingriffe 
herausstelltc.  Daß  hier  eine  spontane  Expektoration  des 
Fremdköriiers  ausgeschlossen  war,  braucht  nicht  betont  zu 
werden.  Im  allgemeinen  wird  man  jedoch  trachten,  eine 
unnötige  Häufung  endobroiichialer  Eingriffe  zu  ver¬ 
meiden,  da  jede  Einführung  eines  Instrumentes  in  die 
tiefen  Luftwege,  al)gesehen  von  der  hiebei  notwendigen 
Digitalexploralion,  namentlich  im  Kindesalter  die  Gefahr 
einer  Infektion  einschließt.  Man  wird  bestrebt  sein,  bezüg¬ 
liche  Fälle  so  r  a  sch  als  möglich  mit  den  geeignetsten 
Mitteln  zu  erledigen,  ln  meinem  Falle  war  dies  erst  am 
zweiten  Tage  nach  dem  Ereignisse  möglich. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


801 


Was  die  Literatur  aiilangt,  so  kommen  hier 
nur  diejenigen  kälte  in  Betraclit,  die  sich  auf  die  Aiters- 
breite  von  Vs  bis  iVs  Jahren  beziehen,  bei  denen  .  die 
obere  Bronchoskopie,  die  Einführung  eines  geraden 
Rohres  im  natürlichen  Wege,  zur  Extraktion  des  Fremd¬ 
körpers  benützt  wurde.  Zwei  wertvolle  Mitteilungen  dieser 
x\rt  verdanken  wir  H.  Neu  may  er  fl904),  während  die 
anderen  Fälle,  welche  sich  auf  die  in  Rede  stehende  Alters¬ 
periode  beziehen,  P.  Pieniäzek  (1902),  F.  Nowotny  (1905) 
und  S.  Jankauer  (1905),  im  Wege  der  unteren  Methode, 
nach  Eröffnung  der  Luftröhre  behandelt  wurden  und 
daher  schon  in  technischer  Richtung  auf  einer  anderen  Stufe 
stehen;  die  Ttacheotoimie  beeinflußit  außerdem  auch  die 
Prognose  des  Falles  in  ungünstiger  Weise.  G.  Gottstein 
(1903)  versuchte  bei  einem  einjährigen  Kinde,  welches  an¬ 
geblich  die  Schwanzflosse  eines  Herings  aspiriert  hatte, 
zwar  zunächst  die  Bronchoiskopia  superior  in  Aethernarkose, 
mußte  aber  bald  davon  Abstand  nehmen,  da  die  Dyspnoe 
des  Kindes  zunalun;  daher  Tracheotomie  und  Einführung 
eines  Rohres  (D.  =  7  mm)  durch  die  Wunde,  ohne  daß  es 
gelang,  den  Fremdköiirer  aufzufinden.  Bei  der  zweiten  In¬ 
spektion,  mehrere  Tage  später,  gelang  es,  die  Fischgräte 
zu  sehen,  und  mittels  Pinzette  zu  extrahieren.  Zirka  drei 
Wochen  später  wurde  die  Kanüle  entfernt,  Heilung. 

Für  uns  besitzen,  wie  gesagt,  nur  die  beiden  Fälle  von 
N  e  u  m  a  y  e  r  Interesse. 

In  dem  einen,  ein  ISmonatliches  Kind  betreffend,  bei 
welcliem  Erscheinungen  von  rechtsseitiger  Bronchostenose  be¬ 
standen,  konnte  die  endoskopische  Untersuchung  36  Stunden  nach 
Aspiiation  des  Fremdkörpers  ausgeführt  werden.  Chloroformnar¬ 
kose;  nach  mehreren  Versuchen,  bei  denen  der  Tubus  in  die  Speise¬ 
röhre  ahgeglitten  war,  gelang  es,  das  Instrument  durch  den  Larynx 
in  die  Trachea  einzuführen.  Beim  weiteren  Vorsc hieben  des  B obres 
erkannte  man  im  rechten  Bronchus  deutlich  einen  Fremdkörper, 
der  quer  in  der  Lichtung  lag  und  eine  Strecke  weit  nach  abwärts 
zu  reichen  schien.  Es  gelang  leicht,  den  Fremdkörper  mit  einer 
scharfen  Zange  zu  fassen  und  in  den  Tubus  hereinzuziehen'. 
Es  handelte  sich  um  einen  Geflügelknochen  von  1-5  cm  Länge, 
8  mm  Breite  und  2  mm  Dicke.  Zunächst  Besserung  der  Atmung, 
nach  zwölf  Stunden  jedoch  Symptome  der  Pneumonie,  hohes 
Fieber  und  24  Stunden  nachher  Exitus  letalis.  Bei  der  Sektion 
Bronchopneumonie  des  rechten,  weniger  des  linken  Unterlappens, 
Vergrößeiimg  des  Thymus. 

Noch  wichtiger  erscheint  der  zweite  Fall.  Derselbe 
bezieht  sich  auf  ein  Kind  von  9  Monaten,  das  ein  Stückchen  ge¬ 
kochtes  Fleisch  aspiriert  hatte.  Es  kam  bereits  nach  einer  Stuiule 
in  Behandlung.  Das  Kind  bot  Stridor  uiul  Zyanose,  die  Stimme 
rein.  Als  Neumayer  zur  Intervention  erschien,  war  bereits 
von  seiten  eines  Chirurgen  die  Trachea  behufs  Inzision  freigeiegt 
worden.  Das  ■  Kind  befand  sich  in  Chloroformnarkose.  Neu¬ 
mayer  führte  ohne  Schwierigkeit  einen  Tubus  in  den  Kehlkopf, 
bzw.  die  Luftröhre  ein  und  konnte  sofort  in  der  Tiefe  derselben 
den  Fremdkörper  erkennen,  der  am  Eingänge  in  den  rechten 
Bronchus  gelagert  war.  Derselbe  wurde  mittels  Pinzette  erfaßt 
und  durch  den  Tubus  entfernt.  Die  Atmung  sofort  frei.  Bei  Be¬ 
sichtigung  der  Trachea  und  großen  Bronchien  nichts  mehr  von 
einem  Corpus  alienum  zu  finden ;  die  bereits  angelegte  Weichteil¬ 
wunde  am  Halse  wird  vernäht.  Das  Kind  bleibt  fieberfrei,  Stimme 
rein.  Heilung.  * 

Hier  konnte  mithin  sogar  bei  einem  neunmonatlichen 
Kinde  die  Tracheotomie  noch  in  letzter  Stunde  umgangen 
und  der  Fremdkörper  ohne  besondere  Schwierigkeit  per 
vias  naturales  entfernt  werden.  Leider  ist  in  der  bezüg¬ 
lichen  Publikation  nicht  bemerkt,  wie  die  Rohre  dimensio¬ 
niert  (Querschnitt)  waren,  welche  Neu  m  a  y  e  r  verw endet 
hat.  —  In  meinem  Falle  lagen  die  Verhältnisse  ungün¬ 
stiger.  Handelte  es  sich  dort  um  die  Aspiration  eines  weichen 
Fleischstückes  von  solchen  Dimensionen,  daß  es,  ebenso 
wie  der  Knochen  des  ersterwähnten  Falles  von  Neumayor, 
durch  den  Tubus  hindurch  nach  außen  gezogen  werden 
konnte,  sO'  lag  bei  mir  ein  scharfkantiges  Knochenstück  von 
auffallender  Größe  vor,  bei  dessen  Extraktion,  abgesehen 
von  der  Schwierigkeit,  das  Gebilde  überhaupt  frei  zu  machen, 
die  Gefahr  einer  Läsion  der  tracheoHbronchialen  Wand 
eine  bedeutende  war.  Zu  beiden  Seiten  des  Tubus  ragten 
die  scharfen  Ecken  des  Knochens  vor  und  nur  durch  pein¬ 


liche  Sorgfalt  hei  der  Extraktion  ließ  sich  eine  Verletzung 
der  Teile  vermeiden.  Ferner  war  die  Sachlage  im  Falle  ,von 
Noumayer  durch  den  bereits  begonnenen  chirurgischen 
Eingriff  erleichtert,  indem  bei  Versagen  der  oberen  Alethode 
rasch  Abhilfe  möglich  war;  das  Kind  war  bereits  chloro¬ 
formiert,  die  Luftröhre  lag  frei  zur  Eröffnung.  Es  konnte 
mithin  sofort  durch  die  Trachealwand  eingegangen  werden. 
Mir  schien  es  wünschenswert,  die  Extraktion  ohne  Nar¬ 
kose  zu  bewerkstelligen,  ich  operierte  ohne  allgemeine  An¬ 
ästhesie  bei  aufrechter  Haltung  des  Kindes,  was  in  tech¬ 
nischer  Richtung  schwieriger  ist.  Ich  war  jedoch  von  dem 
Gedanken  geleitet,  dem  Kinde  nach  Möglichkeit  die  Narkose 
als  eine,  dem  Organismus  keineswegs  gleichgültige  Einwir¬ 
kung  zu  ersparen.  Meine  Erfahrungen  hatten  mich  mehr 
und  mehr  davon  überzeugt,  daß  diese  Forderung  auch  bei 
Kindern  des  in  Rede  stehenden  Alters  durchführbar  sei 
und  es  selbst  unter  solchen  Bedingungen  wie  hier  gelingen 
würde,  mit  möglichst  einfachen  Mitteln  auszukommen. 

Schien  mir  in  meinem  Buche  (cf.  S.  45  und  51),  be¬ 
züglich  der  Vermeidung  der  Narkose  hei  Kindern,  gerade 
in  Rücksicht  auf  die  Fälle  von  Neu  may  er,  sowie  jene  von 
Siebenmann  oder  Garei,  noch  Reserve  geboten,  indem 
ich  selbst  hei  Kindern  in  diesem  Alter,  bzw.  unter  vier 
Jahren,  noch  nicht  zu  intervenieren  in  die  Lage  gekommen 
war,  so  konnte  ich  durch  den  in  Rede  stehenden  Fall  nun¬ 
mehr  den  Beweis  erbringen,  daß  sich  die  allgeme-ino 
Anästhesie  auch  im  S  äug  ling  s  al  ter  umgehen  läßt. 
Daß  dies,  wenn  der  Eingriff  dabei  ebenfalls  schonend  be¬ 
werkstelligt  werden  kann,  einen  Gewinn  bedeutet,  braucht 
heute,  wo  auf  allen  Gebieten  der  Chirurgie  das  Bestreben 
besteht,  die  allgemeine  Anästhesie  zu  vermeiden,  kaum  be¬ 
sonders  betont  zu  werden.  Ja,  ich  hin  zur  Ueberzeugimg 
gelangt,  daß  es  sogar  gewisse  Vorteile  bietet,  am 
nicht  narkotisierten  Kinde  zu  operieren. 

Die  Betätigung  der  xAtemmuskulatur  leidet  in  tiefer 
Narkose,  sie  führt  rascher  zu  asphyktischen  Zuständen, 
welche  die  Situation  komplizieren.  Ohne  Anästhetikum  atmet 
das-  Kind,  durch  die  Reize  angeregt,  nur  um  so  stärker  und 
kompensiert  dieserart  die  schon  durch  etwaige  Schleim¬ 
ansammlung  bewirkte  Stenosierung  des  trachealen  Quer¬ 
schnittes.  Es  ist  von  Wert,  bei  bestehenden  Reflexen  zu 
arbeiten;  die  Reaktion  der  Teile  belehrt  darüber,  was  man 
denselben  zumuten  darf.  Ferner  läßt  sich  —  dies  gilt  aller¬ 
dings  für  größere  Kinder  —  die  Atmung  willkürlich  beein¬ 
flußen,  so  daß  man  die  Veränderungen  des  Kalibers  bei 
der  In-  und  Exspiration  ausnützen  kann.  Die  Rückenlage 
mit  hängendem  Kopfe,  in  welcher  zumeist  bei  Anwendung 
allgemeiner  Narkose  operiert  wird,  verursacht  eine  ver¬ 
mehrte  Spannung  der  Teile  und  unter  Umständen  —  wie 
experimentell  festgestellt  ist  — ■  eine  Verengerung  der  Tra^ 
cliea  in  sagittaler  Richtung  (damit  mag  es  übrigens  auch  Zu¬ 
sammenhängen,  daßi  größere  Fremdköriier  bei  liegender  Po¬ 
sition  des  Kindes  relativ  schwer  herausgebracht  wurden). 
Allerdings  läßt  sich  die  Spannung  durch  richtige  Haltung 
des  Kopfes  von  seiten  eines  geschulten  Gehilfen  vermin¬ 
dern.  Bei  aufrechter  Position,  am  sitzenden  Kinde,  vermag 
man  aber  auch  den  Gesamtzustand  mit  viel  größerer  .Sicher¬ 
heit  ZU  kontrollieren,  indem  der  Gesichtsausdruck,  die  Färlre 
der  Haut  und  Lippen  ein  richtiges  Urteil  über  das  All¬ 
gemeinbefinden  gestatten.  —  Ich  glaube,  ich  würde  in 
meinem  Falle,  wenn  wir  das  Kind  narkotisiert  gehabt  hätten, 
viel  unsicherer  vorgegangen  sein  und  hätte  nicht  so  ener^ 
gisch  zugegriffen,  als  dies  zur  Extraktion  erforderlich  war. 
Dadurch  konnte  möglicherweise  die  definitive  Entfernung 
des  Fremdkörpers  verzögert  werden.  Ebenso  dürften  die 
Widerstände  bei  der  Extraktion  des  Knochenfragmentes  am 
liegenden  Kinde,  bei  überstrecktem  Kopfe  noch  größere  als 
im  Sitzen  gewesen  sein,  wo  ich  dieselben  bequem  durch 
geeignete  Haltung  des  Kopfes  mildern  konnte.  So  waren 
keine  Täuschungen  über  den  Allgemeinzustand  (Re¬ 
spiration  und  Puls)  möglich,  ebenso'  konnte  ich  mich  über 
den  lokalen  Effekt  der  eiuzelnen  Maßnahmen  genau  unter¬ 
richten. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  26 


Die  am  nicht  nar  k  o  L i  s  i  er  t e  n  Kinde  (.lurch  Un¬ 
ruhe  desselben  hedinglen  Schwierigkeiten  lassen  sich  einer¬ 
seits  durch  richtiges  Halten  des  Kindes,  andererseits 
durch  entsprechende  Führung  des  Tubus  beseitigen.  Der 
Schwerpunkt  hiebei  liegt  in  der  Detätigung  der  linken  Hand. 
Diese  hat  das  Rohr  zu  lialten  und  zu  dirigieren,  die  , durch 
die  Atem-  und  Hustenbeweguugen  des  Kindes  bedingten 
\Trschiebungen  des  distalen  Rohrendes  zu  vermiudern,  das 
Wogen  des  Arbeitsfeldes  durch  abgestuften  Druck  auszu¬ 
gleichen.  Dabei  stützt  die  Hand  den  Oberkiefer,  bzw.  den 
Kopf  des  Kindes  und  erleichtert  die  Ihiltung  desselben.  Ge¬ 
rade  die  bei  dem  hier  besprochenen  Falle  gewonnenen  Er¬ 
fahrungen  haben  gezeigt,  daß  man  bei  genügender  Technik 
auch  ohne  Narkose  auskomme]i  kann  und  sich  eine  hier¬ 
aus  resultierende  Schädigung  des  Organismus  vermeiden 
läßt.  —  Wir  sind  überzeugt,  daß  in  meinem  Falle,  bei  wel¬ 
chem  bereits  broncho'-pneumonische  Prozesse  in  Entwick¬ 
lung  begriffen,  sowie  die  Atemmuskulatur  und  das  Herz 
durch  das  mechanische  Respirationshindernis  hochgradig 
in  Anspruch  genommen  waren  ■ —  man  vergleiche  die  aus¬ 
gesprochenen  Erscheinungen,  die  Einziehung  der  unteren 
Rrustwand  am  8.  Oktober,  dem  ersten  Beohachtungstage 
—  der  Organismus  und  vor  allem  das  Herz  der  durch 
Chloroform  verursachten  Schädigung  nicht  mehr  ge¬ 
wachsen  gewesen  wären.  Der  in  seiner  Funktion  durch 
die  Mehrleistung  bereits  geschwächte  Herzmuskel  hätte  die 
kumulative  Wirkung  der  beginnenden  Entzündung  (Infek¬ 
tion)  und  der  Narkose  nicht  mehr  überwunden.  Diese  hätte 
hier  entschieden  den  operativen  Eingriff  zunichte  gemacht 
und  einen  ungünstigen  Ausgang  des  Falles  herbeigeführt. 

Schon  Neumayer  hat  und,  wie  ich  nach  diesen  Be¬ 
trachtungen  nur  nachdrücklich  betonen  kann,  mit  vollem 
Rechte  in  der  Epikrise  zu  seiner  Beobachtung  1  bemerkt, 
,,daß  die  Chlorofornmarkose,  welche  nicht  umgangen  werden 
konnte,  die  Entwicklung  der  Pneumonie  gefordert  hat“,  wo¬ 
durch  dieser  so  schöne  F;all  letal  endete.  Es  bedarf,  glaube 
ich,  keiner  weiteren  Worte,  um  beweisen  zu  müssen,  daß 
es  nicht  Prinzipienreiterei  von  mir  ist  —  wie  ein 
freundlicher  Referent  meines  Buches  kürzlich  zu  be¬ 
merken  die  Güte  hatte  —  wenn  ich  mich  bemüht 
habe,  ohne  Narkose  auszukommen,  sondern  daß  für  mich 
nicht  bloß  deren  Entbehrlichkeit  in  rein  technischer 
Richtung  maßgebend,  sondern  auch  das  Wohl  der  meiner 
01)hut  anvertrauten  Patienten  bestimmend  war.  Daß  es 
auch  schließlich  eleganter  ist,  wenn  sich  der  gleiche 
Effekt  mit  weniger  Mitteln  erreichen  läßt,  wird  nie¬ 
mand  bezweifeln. 

In  diesem  Zusammenhänge  ist  noch  darauf  aufmerk¬ 
sam  zu  machen,  daß  im  Falle  meines  10  Monate  alten 
Kindes  zur  abschließenden  Untersuchung,  bzAv.  zur  Ex¬ 
traktion,  auch  kein  T.okalanästhetikum  in  Anwen¬ 
dung  kam.  AVohl  wurde  vorher,  als  die  notwendigen  in¬ 
strumenteilen  Behelfe  noch  nicht  alle  bei  der  Hand  waren, 
eine  einmalige  Pinselung  des  Pharynx  und  Kehlkopfein¬ 
ganges  mit  lOo/oiger  Kokainlösung  vorgenommen,  der  Ein¬ 
griff  aber  erst  drei  A^'iertelstunden  später  ausgeführt,  so 
daß  von  einer  nachträglichen  Wirkung  des  Medikamentes 
kaum  gesprochen  werden  kann.  In  die  Trachea  und  die 
Bronchien  wurde  überhaupt  kein  Anästhetikum  eingebracht ; 
ebenso  erschien  es  mir  unzweckmäßig,  das  Arljeitsfeld  mit 
Kokain-Adrenalin  zu  betupfen,  in  der  Absicht,  etwa  diellyper- 
hämie  und  Schwellung  der  Schleimhaut  zu  beseitigen,  da 
hier  die  feste  ATuaiukerung  des  Fremdkörpers  bei  der  Größe 
und  Beschaffenheit  desselben  durch  die  Ouerspannung  der 
gesamten  Bronchialwand  verursacht  war.  Die  Anwendung 
von.  Ad  renalin  hätte  sogar  zu  Täuschungen  führen  können, 
indem  eine  Hämorrhagie  trotz  Verletzung  der  Schleimhaut 
ausbleiben  konnte.  So  aber  durfte,  als  ich  mich  wieder¬ 
holt  überzeugt  hatte,  daß  es  nach  Anwendung  des  Aspira- 
lionsschlauches  und  nach  Erfassen  des  Knochens  nicht 
blutete,  getrost  stärkerer  Zug  angebracht  werden,  um  den 
Knochen  zu  lockern,  l)zw.  herauszubringen.  Die  Reflexe 
des  Tracheo-Bronchialrohres  gaben  somit  auch  ohne  die 


Benützung  von  Kokain  kein  Hindernis  für  ein  präzises  Ar¬ 
beiten  im  Bronchialbaume  ab;  ich  war  überzeugt,  durch 
meine  vorsichtig  rüttelnden  Bewegungen  nichts  verletzt  zu 
haben.  Uehrigens  wird  ja  von  den  meisten  Untersuchern 
betont,  daß  die  das  Operieren  erschwerende  Reflexerreg¬ 
barkeit  der  Bronchialschleiiuhaut  häufig  trotz  tiefer  Nar¬ 
kose  und  gleichzeitiger  Amrwendung  von  Kokain  fortbesteht. 
Die  allgemeine  und  lokale  Anästhesie  bietet  demnach  in 
dieser  Richtung  keinen  Aborted.  Hier  wäre  weiters  zu  be¬ 
merken,  daß,  wie  ich  mich  nunmehr  des  öfteren  selbst  ül)er- 
zeugt  habe,  die  sensible  Reflexerregbarkeit  der  Rachen¬ 
gebilde,  sowie  der  Tracheo^Bronchialschleindiaut  bei  Kin¬ 
dern  der  ersten  Lebensjahre  gegenüber  dem  A'erhalten  älterer 
Individuen  an  Intensität  zurücksteht.  Auch  bei  dem  in  Rede 
stehenden  Falle  bestand  während  der  Arbeit  im  rechten 
Bronchus  nur  geringer  Hustenreiz,  ebenso'  fehlte  stärkere 
Schleimsekretion.  Hofrat  Es  eher  ich  teilte  mir  in  diesem 
Zusammenhänge  mit,  daß  auch  auf  Grund  anderweitiger 
Erfahrungen,  wie  bei  der  Vornalmie  von  Magenspülun¬ 
gen  u.  a.,  bei  Säuglingen  eine  gegenüber  dem  späteren 
Kindesalter  entschieden  geringere  reflektorische  Erregbar¬ 
keit  auf  taktile  Reize  aiizunehmen  ist.  —  Es  Ijesteht  hier  eine 
gewisse  Analogie  mit  dem  Greisenalter,  wo  ja  ebenfalls 
die  Reizbarkeit  gegenüber  jener  in  den  mittleren  Jahren 
zurücksteht. ^^0 

Die  djirch  das  Schlucken,  das  Husten  und  Pressen 
des  nicht  narkotisierten  Kindes  verursachten  Bewegun¬ 
gen  des  Tubus  lassen  sich,  wie  schon  gesagt,  durch 
richtige  Betätigung  der  linken  Hand  ausgleichen.  Ebenso 
bereitet  die  Einführung  eines  mit  einem  weichen  Man¬ 
drin  armierten  Rohres  in  den  Kehlkopf  auch  ohne  die  Be¬ 
nützung  von  Kokain  keine  Schwierigkeiten.  Vlühe  macht 
es  gegebenen  Falles  nur  mit  der  Kuppe  des  Zeigefingers 
der  linken  Hand,  um  die  oft  stark  nach  rückwärts  geneigte, 
kelchförmige  Epiglottis  der  Kleinen  herum  zu  kommen  und 
nicht  in  den  Rachen  zu  gleiten.  Ich  lege  Gewicht  darauf, 
stets  ohne  metallenen  Fingerling,  welcher  das  Tast¬ 
gefühl  beeinträchtigt,  in  den  Rachenraum  einzugehen.  Auch 
vermeidet  man  dieserart  A^’erletzungen  der  Mund-  oder 
Rachenschleimhaut.  Ich  begnüge  mich  mit  einem  dicken 
Heftpflasterstreifen,  den  ich  auf  der  Dorsalfläclie  meines 
Fingers  anbringe. 

Ich  füge  dem  noch  in  Kürze  bei,  daß  ebenso'  wie  iZur 
direkten  Besichtigung  der  Luftwege  auch  zur  Oesophago- 
skopie  im  K i n d e s a  1 1 e r  a  1 1  g e m e i ne  u n d  1  'O k a  1  e  A n- 
ästhesie  entbehrlich  sind. 

Schon  L.  Ebst'cin  (1898)  hat  ein  Sjähriges  Kind  ohne  Nar¬ 
kose  Ösophagoskopisch  hehandelt.  Kausch  berichtete  über  eine 
bezügliche  Untersuchung  ohne  Benützung  von  Kokain  —  hei  einem 
5jährigen  Knaben.  So  hatte  ich  selljst  wenige  Tage  nach  der  Extrak¬ 
tion  des  Knochenslückes  h(ü  dein  in  Rede  stehenden!  Alädchen  M.  S., 
elmnfalls  iin  St.  Annen  -  Kinders])it.ale  in  Wien,  Gelegenheit,  die 
direkte  Inspektion  der  Luft-  und  Speiseröhre  Ijei  einem  23  Monate 
allen  Knaben  R.  I.  durchzuführen,  hei  welchem  Erscheinungen 
der  Trachealstenose  Unbekannter  Natur  ausgeprägt  waren. 
Ohne  Anwendung  von  Kokain  wurde  in  sitzender  Stellung 
ein  Rohr  von  6  mm  durch  die  Stinunhänder  durchgeschoben 
und  ca.  1-5  cm  unter  der  Glottis  das  Bestehen  einer 
queren  Slenosierung  der  Lnftiöhro  festgeslollt ;  es  bestand  starke 
Schwellung  der  Schleimhaut,  namentlich  im  Bereiche  ihrer  hin¬ 
teren  Wand,  die  Zeichnung  der  Ringe  verwischt.  Ebenso  winsle 
der  Oesophagus  bis  zur  Kardia  ah  gesucht  und  daselbst  nor¬ 
maler  Befund  festgestellt.  Nach  dieser  Untersuchung,  sowie  (dner, 
mehrere  'tage  später  vorgenoimnenen,  neuerlichen  Bi'sichligung 
der  Trachea  keinerlei  Reaklionserscheinungen,  kein  Oedem  der 
Epiglottis  oder  der  Schleimhaut  über  den  .\  ryknorpeln.  Der  be¬ 
züglich  seiner  Aetiologie  nicht  hinreichend  klargestellte  Fall  — 
vielleicht  handelh'  es  sich,  wmun  wir  bei  dem  iMangel  lueliscdier 
Antezedenzien  mit  Di’.  L.  Je  hie  da.ciden,  um  eine  auf  der  Basis 
von  Diiihtlieritis  bestandene,  entzündliche  Schwellung  der  Tracheal- 
schleimhaut  —  endete  mit  Heilung. 

So  konnte  i(di  erst  wiialer  vor  wenigen  'ragen  liei  einem 
noch  ni(dd  ßjähiigen  Kinde,  hei  welchem  eine  Sfriktur  d  (' r 
Speiseröhre  durch  Laugenverälzung  bestand,  die  Oesophago- 

•®)  Konf.  u.  a.  mein  Buch  1.  c.,  S.  39. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


8ÜÜ 


skopie  üline  jedes  weilere  Hill'siiiillel,  ohne  Kokain,  aLisführen 
und  die  verengle  Stelle  (18  cm  von  der  Zalnireilie)  in  aller 
Hnhe  den  .Vnwesenden  (hmionslrieren.  Das  Kind,  in  ein  Lein¬ 
tuch  eing(diüllt,  wurde  wieder  von  einem  (iehilt’en  aut’  den  Schoß 
geiiommen,  der  Kopf  von  einem  anderen  gehallen;  der  Tubus 
ließ  si(di  glatt  linlcu'  Leitung  des  Fingers  in  den  Pharynx,  hzw^  in 
die  Speisei'tdire  einführen.  Vorgehen  uulcr  Kontrolle  des  Auges, 
Ahsaugen  des  Schleimes,  Festslellung  der  slenosierten  Partie, 
ihrer  borin  und  Ausdehnung  nach.  Hier  hatte  wohl  niemand 
die  Lm])findung,  tlaß  die  Unlersuchung  für  das  Kind  ([ualvoll 
gewesen  sei.  —  Von  meinen  Erfahrungen  (Oesophagoskopie  wegen 
Freimlkörpern)  hei  Kindern  über  4  bis  5  Jahre  sehe  ich 
hier  vollsländig  ab. 


Wie  wertvoll  ist  es  doch,  wenn  die  Kleinen  gleich 
nach  einem  bezüglichen  Eingriffe  hei  vollem  Wohlbefinden 
die  Anstalt  verlassen,  als  oh  sich  nichts  Besonderes  zuge¬ 
tragen  hätte,  während  nach  Anwamdnng  der  Narkose  weitere 
Ueberwachung  des  Kindes  n.  a.  erforderlich  sind. 


Doch  beschränken  wir  uns  auf  die  Technik  der 
direkten  Inspektion  der  Luftwege.  Nach  den  ge¬ 
machten  Erfahrungen  werden  wir  die  Narkose  nicht 
als  eine  notwendige  Vor  a  u  s  s  e  t  z  u  n  g  f  ü  r  d  ie  o  h  e  r  e 
Bronchoskopie  hei  kleinen  Kinde  r  n  ansehen .  Ich 
habe  das  Richtige  getroffen,  wenn  ich  in  meinem  Buche 
(S.  51  und  52)  die  Hoffnung  aussprach,  daßi  man,  ent¬ 
sprechende  Dexterilät  des  Operateurs  vorausgesetzt,  gelbst 
unter  diesen  Umständen  ohne  allgemeine  Anästhesie  aus- 
kommen  dürfte.  Ich  werde  daher  auch  in  Zukunft  zum 
Wohle  der  meiner  Behandlung  an  vertrau  len  Patienten  trach¬ 
ten,  nach  Möglichkeit  die  Narkose  zu  umgehen,  um  deren 
keineswegs  gleichgültigen  Einfluh  auf  den  Gesamtorganis- 
miis  zu  vermeiden.  Dieses  bisher  von  mir  in  meinen  sämt¬ 
lichen  fällen  beobachtete  Verhalten  erscheiid.  mir  jeden¬ 
falls  schonender,  als  beispielsweise  ein  siebenjähriges 
Kind  dreimal  innerlialh  der  Zeit  von  16  Tagen  der  liefen 
Chloroformnarkose  in  der  Dauer  von  etwa  drei  Viertel¬ 
stunden,  unter  gleichzeitiger  Venvendung  von  Kokain,  aus- 
zuselzen,  um  ein  vor  SVa  Monaten  aspiriertes  Zinnpfeifchen 
zu  extrahieren.  Ich  glaube,  nicht  fehlzugehen,  wenn,  ich 
behaupte,  daß  sich  auch  hier  trotz  der  übrigen  Schwierig¬ 
keiten  des  Falles  durch  Gewöhnung,  heziehungs- 
weise  Schulung  des  Kindes  der  gewünschte  Effekt  hätte 
erreichen  lassen.  —  Die  Narkose  soll,  so  selbstverständ¬ 
lich  dies  vielleicht  klingt,  nicht  Betpiemlichkeits-  oder  Be- 
ruhigungsmittel  für  den  Arzt  .sein,  sondern  nur  dann  heran¬ 
gezogen  'werden,  wenn  sie  zum  Heile  des  Patienten,  fje- 
ziehungsweise  zum  Gelingen  des  Eingriffes  unhedingt 
erforderlich  ist. 


Gerade  hei  Kindern  in  den  ersten  Lebensjahren, 
die  man  gut  am  Schoße  eines  Assislenlen  placieren  und  ge¬ 
nügend  zu  halten  vermag,  scheint  mir  allgemeine  Anästhesie 
entbehrlich  zu  sein.  Eher  kann  sich  dieselbe  hei  Kindern 
im  mittleren  Alter  notwendig  erweisen,  die  besonders  un¬ 
gebärdig,  nicht  zu  beruhigen  sind  und  hei  denen  schon 
mit  Rücksicht  auf  die  Umstände  des  Falles  —  Aspiration 
eines  quellbaren  Fremdkörpers,  der  rasches  Handeln 
erheischt,  Sitz  desselben  in  der  Trachea  u.  a.  —  eine  Ge¬ 
wöhnung  und  entsprechende  Schulung  ausgeschlossen  ist. 

Auch  auf  die  lokale  Anästhesie  wird  man  häufig 
verzichten  können.  Wissen  wir  ja,  welch  geringen 
Nutzen  die  Anwendung  v<m  Kokain  oder  seiner  Ersalz- 
niiilel,  z.B.  hei  der  Entfernung  vonPapillomen  des  Kehlkopfes 
im  frühen  Kindesalter  besitzt,  indem  die  Würg-  und 
Hustenbewegungen,  sowie  die  massenhafle  Schleinisekre- 
tion,  die  ja  gerade  hier  störend  sind,  durch  das  genannte 
Mittel  nicht  beseitigt  werden.  Außerdem  aber  erscheint  die 
Verwendung  von  Kokain  für  die  Trachea  und  Bronchien 
in  dem  in  Rede  stehenden  Aller  nicht  unl)edenklich.  Denn 
nicht  bloß  bei  der  Benützung  des  Anästheliknms  in  Spray¬ 
form,  die  gewiß  zu  verworfen  ist,  sondern  aueb  nach  dem 
Betupfen  der  entsprechenden  Schleimhäute  sind  bereits  und 
zwar  vier  Todesfälle  iiacb  der  Bronchoskopie  hei  Kindern 
vorgekommen,  welche  von  den  betreffenden  Autoren  (Lindt, 


Elctchor-Ingals,  Schnii  gelow’®)  seihst  auf  die  Ko- 
kainintoxikalion  bezogen  wiirdeii.  Allerdings  war  in  diesen 
Fällen  gleicbzeilig  auch  allgemeine  Anästhesie  herangezogen 
woi'den.  Die  Erscheinungen  der  Kokainvergiflung  traten 
nach  dem  Ifrwachen  aus  der  Narkose  aid'.  —  .ledentalls 
ist  bei  der  Verwendung  von  K^o  k  a  i  n  z  u  o  n  d  o  s  k  o  p  i  s  c  h  (;  n 
Zwecken  in  den  ersten  Lebensjahren  besondere  Vor¬ 
sicht  geboten,  besser  noch,  wenn  man  auch  ohne  diese 
Hilfsmittel  auskommen  kann. 

Ueherhlickt  man  die  Verhältnisse,  wie  sie  in  dem  he- 
sprochenen  Falle  (M.  S.)  durch  das  Alter  des  Kindes,  den 
Sitz  und  die  Beschaffejdieit  des  Knochens  gegeben  waren, 
der  ohne  allgemeine  Narkose  extrahiert  wurde,  so  dürfte, 
wenn  rechtzeitiges  Einschreiten  möglich  ist,  in  der  Xüt 
kaum  ein  Fremdkörperfall  vorkoinmen,  der  sich  mittels  der 
direkten  oberen  Methode  nicht  in  befriedigender  Weise  be¬ 
herrschen  ließe.  Daß  mir  die  Extraktion  hei  yorhanden- 
sein  eines  geeigneten  Rohres  auch  schon  am  ersten  Tage 
gelungen  wäre,  glaubte  ich  bereits  andeuten  zu  dürfen. 

Wo  es  nur  immer  bei  genauer  Würdigung  der  ganzen 
Sachlage  angeht,  wird  man,  und  darin  möchte  ich  Neu- 
mayer^^)  gegenüber  von  v.  Eicken  und  Gottstoin  bei¬ 
stimmen,  sich  hestreben,  die  obere  Bronchoskopie, 
durch  den  Larynx  hindurch,  auszuführen.  xVueh  Fremd¬ 
körper  besonderer  Dimensionen  müssen  schließlich,  wenn 
sie  die  Glottis  passieren  konnten,  auf  gleichem  Wege  her¬ 
auszubefördern  sein,  woferne  sie  nicht,  wie  etwa  Bohnen 
oder  yiaiskörner,  ihr  Volumen  vergrößern  oder  sich  be¬ 
reits  sekundäre  V^eränderungen  irn  Kehlkopfe  eingestellt 
haben.  Daß  hei  schwerer  Dyspnoe,  wie  im  Fälle  einer 
V^crkeilung  des  Fremdkörpers  in  der  Luftröhre,  die  Trar 
cheotomie  indiziert  ist,  woran  sich  die  direkte  lnspek¬ 
tion  von  der  Wunde  aus  anschließen  wird,  bedarf  keiner 
Betonung. 

Schließlich  lassen  sich  allgemeine  Regeln  immer  nur 
in  beschränktem  Maße  aufslellen.  xVeußere  Umstände,  so¬ 
wie  subjektive  Momente  werden  ja  auch  auf  diesem  opera¬ 
tiven  Gebiete  stets  eine  Rolle  spielen.  Auch  hier  wird  ein 
sorgfältig  individualisierendes  Vorgehen  unter  den 
jeweils  gegebenen  Umständen  am  sichersten  zu  einem  er¬ 
folgreichen  Ergebnisse  führen. 

Fasse  ich  nochmals  zusammen,  so  gelang  es  mir 
bei  eine  m  K)  M  o  n  a  t  e  a  1 1  e  n  K  i  n  d  e,  d  u  r  c  h  ä  u  ß  e  r  e 
Umstände  (Fehlen  eines  Trd)us  von  entsprechenden  Di¬ 
mensionen)  um  einen  Tag  verzögert,  ein  scharf¬ 
kantiges  Knochenstück  von  auffallender  Größe 
(Dimension  9X11  mm),  das  sich  schließlich  an  de r 
Teilungsstelle  des  rechten  Bronchus  ver¬ 
ankert  hatte,  im  Wege  der  oberen  Methode 
(Tubus  von  5  mm  Durchmesser  und  18  cm  Länge,  Pinzette) 
ohne  Narkose,  ohne  Lokalanäs  tfies  i,e  mit  Sicher¬ 
heit  und  schonend  zu  entfernen;  Erscheinungen 
von  Bronchopneumonie  mäßigen  Grades,  Hei¬ 
lung.  ' 

Ich  möchte  nicht  schließen,  ohne  Herrn  Hofrat  Esche- 
rich  für  die  freundliche  Ucberlassung  dieses  interessanten 
Falles  zu  danken,  der,  wie  ich  annelimen  darf,  für  die 
Technik  der  bronchoskopischen  Extraktion  nicht  ohne 
Wert  ist. 


Ich  zitiere  hier  nur  den  letztgenannten  Autor:  Sitzungsbericht 
dos  dänischen  oto-laryngologischen  Vereines  vom  17.  Dezember  1906; 
siehe  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde  1907,  Nr.  4,  S.  221. 

S.  3  des  Separatabdruckes  seiner  Arbeit  1.  c. 


I^eferate. 


Deskriptive  Biochemie  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  chemischen  Arbeitsmethoden. 

Von  Dr.  Siegmuud  Friiukl,  Priv.-Doz.  für  medizinische  Chemie  an  der 

Wiener  Universität. 

639  Seiten.  Wiesbaden,  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 

Das  vortiegemte  Werk  uiuiäßt  die  Besclireilamg  der  physio¬ 
logisch  wichtigen.  Substanzen,  ihrer  Darstellungs-,  Isolierungs-  und 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  26 


quantitativen  Bestimnrung.smet.lioden.  ,,AVas  der  physiologisclien 
Chemie  a.m  meisten  fehlt,“  sagt  der  Autor  in  seiner  V'^orrede,  „ist 
gleicLsam  eine  chemisclie  Anatomie  der  Gewehe,  insbesondere 
aber  eine  chemi.sche  Histologie.  In  den  letzten  .Jahren  hat  aber 
das  planmäßige  Studium  der  physiologisch  wichtigen  Substanzen 
so  überraschend  große  Fortschritte  gemacht,  daß  es  für  eine  Dar¬ 
stellung  der  physiologischen  Chemie  zweckmäßig  ist,  diese  Dis¬ 
ziplin  in  einen  chemisch-anatomischen  und  chemisch-])hysiologi- 
schen,  resp.  einen  statischen  und  dynamischen  Teil  zu  trennen. 
Dieser  Versuch  wij’d  in  dem  vorliegenden  Werke  gemacht.“ 

Der  Autor  hat  mit  großer  Umsicht  und  Sachkenntnis  sich  der 
außerordentlich  mühevollen  Aufgabe  unterzogen,  alles  auf  dem 
in  dieser  Weise  begrenzten  Arbeitsgebiete  angehäufte  IMaterial 
zu  ordnen  und  zu  sichten.  In  den  bisher  vorliegenden  Lehr¬ 
büchern  der  physiologischen  Chemie  kann  naturgemäß  der  rein 
deskriptive  Teil  dieser  Wissenschaft  nur  in  seinen  Hauptzügen, 
nicht  aber  mit  der  Ausführlichkeit  eines  Handbuches  behandelt 
werden;  und  auch  das  von  Thierfelder  vor  mehreren  Jahren 
neubearbeitete  Hoppe- Seyl ersehe  Handbuch  der  physiologisch- 
chemischen  Analyse  entspricht,  abgesehen  davon,  daß  es  von 
anderen  Gesichtspunkten  aus  aufgefaßt  ist,  heute  nicht  mehr 
den  Anfordemngen  an  ein  Handbuch,  welches  den  allerneuesten 
Fortschritten  der  Wissenschaft  Rechnung  trägt. 

So  füllt  denn  das  Werk  Fränkls  eine  Lücke  in  der  Literatur 
aus  und  wird  sich  sicherlich  schnell  in  den  physiologisch- 
chemischen  Laboratorien  einbürgern.  Jeder  auf  diesem  Gebiete 
praktisch  Tätige  wird  dem  Autor  für  dieses  klar  und  präzis  ge¬ 
schriebene  und  durch  die  Fülle  des  darin  enthaltenen  Materiales 
doppelt  Avillkommejie  Nachschlagebuch  Dank  wissen. 

0 1 to  V.  F  ü  r  t  h  -  Wien. 

* 

Die  wirtschaftlich  wichtigen  Zecken  mit  besonderer 
Berücksichtigung  Afrikas. 

Von  H.  Döniiitz. 

Mit  38  Abbildungen  auf  6  Tafeln. 

Leipzig  1907,  Verlag  von  Job.  Amb.  B  a  r  t  b. 

Der  Mangel  zusammenfassender  Werke  über  die  Zecken 
veranlaßte  das  Erscheinen  des  Buches.  Hervorgegangen  aus  eigenen 
Untersuchungen,  die  sich  zunächst  nur  auf  die  Zecken  der  afri¬ 
kanischen  Schutzgebiete  Deutschlands  erstreckten,  dann  aber  auf 
die  Zecken  von  ganz  Afrika  sich  ausdelmten,  behandelt  das  Buch 
in  eingehender  tVeise  nur  die  wirtschaftlich  wichtigen  Zecken- 
ai'ten,  die  als  Ueberträger  verderblicher  Viehseuchen  bekannt  sind ; 
die  übrigen  Arten  sind  nur  kurz  behandelt,  ebenso  auch  die 
amerikanischen  Arten,  während  die  Zecken  von  Asien  und 
Australien  überhaupt  nur  soweit  berücksichtigt  werden,  als  sie 
auch  in  Afrika  Bedeutung  haben. 

Das  Buch  erörtert  im  allgemeinen  Teile  die  Stellung  der 
Zecken  im  Systeme,  ihre  Terminologie  und  ihren  inneren  Bau, 
sodann  die  Biologie  Und  Kopulation,  ihr  Vorkommen,  die  für 
sie  in  Betracht  koanmenden  Wirtstiere  und  den  Einfluß  des  Klimas 
auf  die  Zeckenfauna.  Den  Schluß  <les  allgemeinen  Teiles  bildet 
ein  Ueberblick  über  das  System  der  Zecken. 

Im  speziellen  Teile  werden  zutiächst  die  Genera  und  Artei» 
der  heiden  Familien :  Argasinen  und  Ixodinen  nach  den  oben 
gegebenen  Gesiebtspunkten  besprochen,  sodann  die  durch  die 
Zecken  verursachten  Krankheiten,  die  Spirillosen  und  Piroplas¬ 
mosen  und  ihre  Bekämpfung.  Den  Schluß  des  zweiten  Teiles 
bilden  zwei  Tabellen  zur  Bestimmung  für  die  Genera  und  Arten. 

Das  Buch  besitzt  alle  Vorzüge  eines  klar  gesebriebenen 
Werkes,  das  {hm  Zweck  verfolgt,  nicht  nur  dem  Fachmanne  zu 
dienen,  sondern  auch  jenem  Teile  der  Mediziner,  die  diesem 
wiclitigen  Gebiete  Interesse  entgegenbringen. 

* 

Die  blutsaugenden  Dipteren. 

Leitfaden  zur  allgemeinen  Orientierung  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  in  den  deutschen  Kolonien  lebenden  Krankheitsüberträger. 

Von  K.  Grliiiberg. 

Mit  127  Abbildungen  im  Text, 

Jena  1907,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Ir.  knapper  und  übersichtlicher  Darstellung  werden  in  dem 
Buche  alle  als  Blutsauger  bekannleu  Diplerengruppen  besprochen. 
ni.;se  zu.^ammenfassende  Darstellung  war  ein  Bedürfnis,  da  bis 


her  nur  die  Familien  der  Culiciden  und  Glossinen  eine  ein¬ 
gehende  BearheitUiig  erfahren  hatten. 

Besoirders  berücksichtigt  werden  in  dem,  Werke  die  wich¬ 
tigsten  der  in  den  deutschen  Kolonien  vorkommenden  Arten. 
Dem  deutschen  Tropenarzte  vor  allem  ist  dadurch  Gelegenheit 
gegeben,  )Sicb  rasch  zu  orientieren. 

Im  allgemeinen  Teile  bespricht  Grünberg  die  Anatomie 
und  die  Entwicklung  der  Dipteren,  im  sbeziellen  Teile  bringt 
er  zunächst  eine  Uebersicht  über  die  Gruppen  und  Familien 
der  Dipteren  mit  ihren  Unterfamilien,  Gattungen  und  Arten.  Am 
Schlüsse  eines  jeden  Kapitels  über  die  einzelnen  Familien  finden 
sich  Literaturangaben.  Am  breitesten  behandelt  ist  die  arten¬ 
reiche  Familie  der  Stechmücken  (Culicidae),  die  ja  auch  für 
den  Mediziner  besondere  Bedeutung  bat. 

Zusammen  mit  dem  Werke  von  Dönitz  über  die  Zecken 
hat  das  Buch  von  Grünberg  eine  in  der  medizinischen  Literatur 
bestandene  Lücke  ausgefüllt.  Es  wird  schon  deshalb,  ganz  ah- 
geseben  von  seinen  anderen  Vorzügen,  freundlich  aufgenommen 
werden. 

* 

Taschenbuch  der  mikroskopischen  Technik  der  Protisten¬ 
untersuchung. 

Von  S.  T.  Prowazek. 

Leipzig  1907,  Verlag  von  Job.  Amb.  Barth. 

Nach  allgemeinen  Erörterungen  über  die  mikroskopische 
Untersuchung  behandelt  Prowazek  zunächst  die  sogenannten 
Vitalfarbstoffe  und  die  Darstellung  der  Kernsubstanzen,  um  in 
einem  speziellen  Teile  alle  gebräuchlichen  Alethoden  der  Dar¬ 
stellung  zu  bringen,  die  für  die  einzelnen  Klassen  der  Protozoen 
mit  ihren  Ordnungen  und  Arten  in  Betracht  kommen. 

Das  Taschenbuch  ist  für  den  Mediziner  geschrieben,  wes^ 
halb  vor  allem  die  pathogenen  Protozoen  Berücksichtigung  finden, 
ohne  daß  {lie  nicht  pathogenen  Arten  vernachlässigt  werden; 

Der  Name  des  Autors  allein  bürgt  für  die  Güte  und  Brauch¬ 
barkeit  des  handlichen  Taschenbuches. 

* 

Atlas  und  Grundriß  der  Bakteriologie  und  Lehrbuch 
der  speziellen  bakteriologischen  Diagnostik. 

Von  K.  B.  Lelimauu  und  B,  0.  Neumann. 

Teil  I:  Atlas. 

Vierte  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 

München  1907,  Verlag  von  J.  F.  Lehmann. 

Gegenüber  der  dritten  Auflage  hat  die  vorliegende  vierte 
eine  teilweise  Umarbeitung  und  eine  wesentliche  Vermehrung 
ihres  Inhaltes  erfahren.  Neu  sind  zunächst  zwei  diagnostische 
Tafeln :  die  eine  zeigt  verschiedene  Typen  von  Plattenkolonien 
in  Gelatine,  mit  den  dazu  gehörigen  Abbildungen  der  mikro¬ 
skopischen  Präparate,  die  andere  die  verschiedenen  Typen  der 
Stichkulturen  in  Gelatine,  außerdem  eine  xlhbildung  von  Gekitinc- 
plattenkolonien  einiger  Hefe-  und  Schimmelpilze.  Besser  gelungen 
ist  sicher  die  zweite  Tafel,  die  erste  bedarf  einer  Verbesserung, 
einer  schärferen  Ausarbeitung  der  einzelnen  Typen.  Neu  sind 
ferner:  eine  Tafel  mit  den  Wachstumstypen  verschiedener  Strepto¬ 
kokken  und  Kokken  auf  Blutagar  und  mehreren  Abbildungen  des 
Menningokokkus,  eine  Tafel  mit  Plattenkolonien  des  Bacterium 
typhi  auf  den  Nährbö{len  von  v.  Drigalski,  Endo  und  Löffler, 
('ine  Tafel  mit  Abbildungen  verschiedener  Hefe-  und  Schimmel- 
liilzformen,  Abbildungen  des  Streptococcus  mucosus,  von  Kala- 
hazar,  Hundepiroplasma  und  Trypanosomenformen  (Tryp.  Levisi, 
Brucei  und  gambiense),  sowie  eine  sehr  fein  durchgeführte  Tafel 
mehrerer  Spirochätenarten  (Zahnspirochäte,  Spirochäte  bei  Angina 
Vincenti,  Rekurrensspirochäte,  Hühnerspirochäte  und  Spirochaete 
pallida). 

Die  alten  Tafeln  haben  fast  alle  eine  mehr  oder  minder 
weitgehende  Umarbeitung  erfabren,  indem  weniger  instruktive 
Ahhildungen  eliminiert,  dafür  neue  aufgenommen  wurden.  Hervor¬ 
zuheben  ist  diese  Umarbeitung  bei  den  Tafeln  des  Streptococcus 
pyogenes,  der  Sarcina  tetragena,  des  Bacterium  typhi,  des  Bac¬ 
terium  murisepticum,  des  Bacillus  anthracis,  mycoides  und  vul- 
gatus,  des  Vibrio  cholerae  u.  a.  Besonders  anerkennenswert  er¬ 
scheint  dabei  auch  das  Bestreben  der  Autoren,  die  vielfach  grellen 
und  dadurch  unnatürlichen  Farben  der  ersten  Auflagen  ahzu- 
tönen,  die  Abbildungen  diskreter,  feiner  durchzufübren. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


8Üö 


Dio  neue  Auflage  lial:  deiunacli  uiclit  mir  an  Tnliall  ge¬ 
wonnen,  sonilorn  auch  in  der  Ausführung  Forlscliril.te  gemacht 
und  damil.  ein  Anreclit  erworben,  die  Zahl  der  Freunde  dieses 
Lehrbuches  rasch  zu  vermehren. 

* 

Praktikum  der  Bakteriologie  und  Protozoologie. 

Von  K.  Kißkalt  und  M.  Hartmann. 

Mit  89  teils  mehrfarbigen  Abbildungen  im  Text. 

Jena  1907,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Das  Buch  soll  zur  Ausbildung  des  Mediziners  in  der 
Protistenkunde  bestimmt  sein,  dabei  aber  nicht  den  Zweck  ver¬ 
folgen,  die  schon  vorhandenen  Lehrbücher  der  Bakteriologie  zu 
ersetzen.  Es  zerfällt  in  zwei  Teile,  in  ein  Praktikum  der  Bak¬ 
teriologie  Und  in  ein  Praktikum  der  Protozoologie.  Der  erste  Teil, 
von  Kißkalt  verfaßt,  soll  den  Älediziner  befähigen,  sich  auf 
dem  Gebiete  der  Bakteriologie  die  grundlegenden  Kenntnisse  an¬ 
zueignen  und  ist  so  eingerichtet,  daß  in  Form  eines  Kurses  in 
der  Dauer  von  00  Tagen,  bei  einer  täglichen  Arbeitszeit  von 
zwei  bis  drei  Stunden,  die  wichtigsten  Methoden  und  Tatsachen 
der  Bakteriologie  durchgenomnien  werden.  Die  Einteilung  des 
Stoffes  hält  sich  nicht  an  das  System  der  Bakterien,  ist  vielmehr 
eine  willkürliche,  jedoch  von  dem  Plane  geleitet,  in  der  ersten 
Hälfte  des  Kurses  die  einfachen,  in  der  zweiten  Hälfte  die  schwie¬ 
rigen  Methoden  durchzunehmen. 

Der  zweite  Teil,  von  Hartmann  verfaßt,  soll  dem  Mediziner 
theoretisch  und  praktisch  mit  den  wichtigsten  Protozoen  bekannt 
machen  und  ist  in  allgemeine,  technische  und  spezielle  Abschnüte 
eingeteilt.  Nach  einer  allgeiuieinen  lieber, dcht  tiher  Bau  uml  Ent¬ 
wicklung  der  Protozoen  und  einem  kurzen  Ueherblicke  über  das 
System  der  Protozoen,  bespricht  Hartmann  in  klarer  und  leicht 
verständlicher  Form  die  wichtigsten  pathogenen  und  nicht  patho¬ 
genen  Arten  der  Ordnung  Amöhina,  der  Flagellaten,  Kokzidien, 
Gregariniden  und  Ziliaten. 

Die  praktische  Bedeutung  der  Protozoen  für  die  Medizin 
ist  beute  bereits  eine  große,  ihre  Kenntnis  daher  notwendig.  Der 
Gedanke,  die  Bakteriologie  und  Protozoologie  nach  Art  des  vor¬ 
liegenden  Buches  vereint  zu  behandeln,  ist  sicher  ein  guter,  das 
Erscheinen  des  Buches  also  von  diesem  Standpunkte  aus  zu 
hegmßen.  Unrichtig  erscheint  dem  Referenlen  jedoch  die  Un¬ 
gleichheit  in  der  Behandlung  des  Stoffes:  im  ersten  Teile  die 
Forderung  der  strikten  Absolvierung  eines  täglichen  Arbeits¬ 
pensums,  im  zweiten  Teile  die  Freigabe  der  Arbeitseinteilung. 
Ob  diese  oder  jene  Art  vorzuziehen  sei,  ist  wohl  Geschmackssache. 
Dem  Referenten  würde  der  im  zweiten  Teile  des  Buches  ein¬ 
geschlagene  Weg  besser  gefallen.  Er  bat  den  großen  Vorzug  der 
Uebersichtlichkeit  und  erzieht  zur  Selbständigkeit. 

t\.  Ghon. 

♦ 

Lehrbuch  der  Mikrophotographie. 

Von  Dr.  R.  Neuhauß. 

Dritte  umgearbeitete  Auflage. 

Leipzig  1907,  Hirzel. 

Wer  sich  mit  mikrophotographischen  Arbeiten  beschäftigt, 
der  kennt  das  vorzügliche  Buch  Neuhauß’,  das  nun  in  dritter, 
umgearbeiteter  Auflage  erschienen  ist.  Die  Darstellung  des  Stoffes 
ist  eine  erschöpfende.  Es  werden  zunächst  die  den  verschiedenen 
Zwecken  angepaßten  mikrophotographischen  Apparate  und  ins¬ 
besondere  das  Objektiv  und  Okular  besprochen.  Es  folgt  eine 
Dai'stellung  der  verschiedenen  Lichtquellen  und  Bcleuchtnngs- 
arten  und  endlich  die  Herstellung  des  negativen  und  positiven 
Bildes.  In  allen  Abschnitten  wird  die  Geschichte  der  Mikrophoto¬ 
graphie  eingehend  berücksichtigt  und  auch  die  neuere  Literatui’ 
ausgiebig  zitiert.  Daß  der  jüngsten  Errungenschaft  auf  dem  Ge¬ 
biete,  der  Aufnahme  mit  ultraviolettem  Lichte,  ein  eigenes  Kapitel 
gewidmet  ist,  versteht  sich  von  selbst. 

Bei  der  Durchsicht  des  vorliegenden  Werkes  kommt  man 
angesichts  der  Summe  des  eifordeitichen  technischen  Könnens, 
zur  Feberzeugung,  daßi  es  nicht  jedermanns  Sache  sei,  gute  Mikro- 
photogrannue  herzustellen.  Die  meis'.en  werden  daher  wohl  darauf 
angewiesen  sein,  sich  dieselben  vom  S])ezialisten  anfertigen  zu 
lassen.  Wie  ein  Präparat  beschaffen  sein  muß,  um  ein  brauch¬ 
bares  Bild  zu  liefern,  wird  dem  der  Mikrophotographie  ferner 
Stehenden  eingehend  auseinandergesetzt.  Ebenso  werden  die  ver¬ 


schiedenen,  zum  Zwecke  der  Publikation  erforderlichen  Repro- 
duktions-  und  Vervielfältigungsverfahren  (Autotypie,  Lichtdruck, 
Heliogravüre)  besprochen  und  an  der  Hand  dreier,  vorzüglicher 
Täfeln  ihre  Vor-  und  Nachteile  dargelegt. 

Neuhauß’  Lehrbuch  der  Mikrophotographie  kann  jeder¬ 
mann  aufs  wärmste  empfohlen  werden.  J.  Erd  heim. 

Aus  Verschiedenen  Zeitschriften. 

323.  (Aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte  und  der  Uni¬ 
versitätsklinik  für  Hautkrankheiten  in  Rerliii:)  Unter¬ 
suchungen  über  die  Wirkung  des  Atoxyls  auf  die 
Syphilis.  Von  Dr.  P.  Uhlenhuth,  Dr.  E.  Hoffmann  und 
Dr.  K.  Ptoscher.  Nachdem  Reobachtungen  an  Tieren  gelehrt 
hatten,  daß  das  Atoxyl  auf  Trypanosomen  und  Spirochäten  eine 
eklatante  Wirkung  zeige  (Uhlenhuth,  Groß,  Ri  ekel),  wurden 
Versuche  an  mit  Syphilis  infizierten  Affen  gemacht,  welche  derart 
aufmunteriid  ausfieleu,  daß  nun  auch  therapeutische  Versuche  an 
syphilitischen  Menschen  angestellt  wurden,  anfangs  in  vorsichtiger 
Weise,  unter  Aufsicht  des  Geheimrates  Prof.  Dr.  Lesser.  Man 
injizierte  geringe  Dosen  Atoxyl  und  erzielte  keinen  Heileffekt. 
Da  erschienen  die  Mitteilungen  von  Paul  Salmon  in  Paris,  wonach 
Atoxyl  in  großen  Dosen  „vollständige  Heilung“  der  Syphilis  be¬ 
wirken  solle.  Es  wuirden  nunmehr  elf  Kranke,  welche  mit  pri¬ 
mären  oder  sekundären  Erscheinungen  der  Lues  behaftet  waren, 
mit  Atoxyl  injiziert  und  nun  waren  die  Erfolge  von  befriedigender 
Art.  In  zehn  Fällen  wurden  die  Injektionen  mit  einer  lOToigen 
(pro  Injektion  0-50  g  Atoxyl),  in  einem  Falle  mit  einer  löToigen. 
zwei  Minuten  bei  100'^  sterilisierten  Lösung  intramuskulär  in 
die  Glutäen  vorgenom'men  und  teils  täglich,  teils  mit  ein-  und 
zweitägigen  Intervallen  wiederholt.  Jetzt  werden  alle  zwei,  später 
eventuell  alle  drei  Tage  die  Injektionen  wiederholt.  Ueber  0-60  g 
pro  do'si  gingen  die  Verfasser  nicht  hinaus.  Nur  ab  und  zu  kurze 
Zeit  andauernde  Schmerzen  an  der  Einspritzungsstelle.  Vier 
Kranke  litten  an  kolikartigen,  heftigen,  mit  Appetit-  und  Schlaf¬ 
losigkeit  einhergehenden  Schmerzen,  einer  an  Durchfallen,  einer 
an  Albuminurie  mit  Zylindern  und  roten  und  weißen  Blutkörper¬ 
chen  im  Sediment.  Sonst  befanden  sich  die  Kranken  wohl  und 
nahmen  sämtlich  an  G-ewicht  zu.  Besonders  eklatant  war  die 
Wirkung  des  Atoxyls  in  drei  Fällen  von  Syphilis  ulcerosa  praecox 
(maligne  Syphilis),  wo  der  Rückgang  der  Infiltration  des  Ge¬ 
schwürrandes,  die  Abflachung  und  die  Vernarbung  der  Ldzera- 
tionen  ebenso  schnell  erfolgten,  wie  hei  der  Kalomelbehandlung. 
Zwei  Fälle  waren  früher  gegen  eine  Quecksilberhehandlung 
i^efraktär  gewesen.  Sehr  gut  war  die  Wirkung  auch  auf  die  lokal 
nur  indifferent  behandelten  Primäraffekte;  die  Schanker  über¬ 
häuteten  sich  verhältnismäßig  rasch,  die  Härte  verschwand. 
Auch  die  Frühsyphilide  haben  auf  das  Mittel  deutlich  reagiert, 
jedoch,  besonders  bei  den  papulösen  Exanthemen,  scheinbar  lang¬ 
samer  als  bei  einer  'Quecksilherbehandlung.  Die  Schleimhaut- 
ersebeinungen  verhielten  sich  ähidich,  hier  wurde  außerdem 
(ebenso  hei  den  frambösiformen  Ulzera tionen)  auch  lokal  mit 
einer  AtoxyllösUng  gepinselt;  diese  lokale  Behandlung,  .eventuell 
auch  in  Salbenform,  wird  fortgesetzt  werden.  Ueber  weitere  Er- 
fabrungen  soll  später  mitgeteilt  werden.  Jetzt  schon  läßt  sich 
sagen,  daß  Atoxyl  in  genügend  großen  Dosen  auf  syphilitische 
Krankheitserscheinungen  eine  unverkennbare  Wirkung  besitze, 
welche  bei  den  malignen  Formen  besonders  eklatant  hervorge treten 
ist.  Eiu  abschließendes  Urteil  über  den  Wert  des  Atoxyls  an  Stelle 
und  neben  den  altbewährten  Quecksilber-  und  Jodpräp'araten  wollen 
die  Verfasser  noch  nicht  abgehen.  (Deutsche  med.  Wochenschrift 
1907,  Nr.  22.)  —  Auch  Prof.  0.  Lassar  berichtet  unter  dem  Titel : 
Atoxyl  hei  Syphilis,  über  seine  Erfahrungen  mit  diesem 
Mittel.  Es  ist  keineswegs  ein  indifferentes  Mittel,  bei  längerem 
Gel)raucbe  tritt  eine  evidente  kumulative  Beeinflussung  in  die 
Ersebeinung;  Störungeti  im  Befinden  erfordern  die  sofortige 
Sistierung  des  Gebrauches.  Im  Vereine  mit  Dr.  Theodor  iMayer 
hat  der  Vertäsiser  mehr  als'  52  Patienten,  zum  Teile  auch  ambu¬ 
lante,  piit  Atoxyl  Irehandelt.  0-5  g  Atoxyl  in  lOVoiger,  steriler 
Lösung,  dreimal  wöchentlich  injiziert,  brachte  die  Erscheinungen 
der  Syphilis  prompt  zum  Rückgänge,  einerlei,  ob  cs  sich  um 
frische  oder  ältere  Fälle  handelte.  Es  waren  nur  Fälle,  die  vorher 
überhaupt  nicht,  am  allerwenigsten  mit  Quecksilber  oder  Jod 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  2G 


])'ehan(lelt  waren.  Priinäraffelkte  fallen  nach  einigen  glutäalcn 
Atoxylinjoktionen  der  Resorption  anheim;  das  etwa  ])estchende 
Exanthem  l)laßt  his  zur  Unsichtharkeit:  ah;  die  Papeln  verlieren 
ihre  Rötung,  zeigen  uider  Schwund  des  plastischen  Exsudates 
nachweisharc  Ahflachung  und  typische  Rräunung;  Elzerationcn 
schließten  sich  ^unter  Ueherhäutung ;  annuläre  Syphilide  trocknen 
ein  und  gummöse  Infiltrate  weichen  der  Behandlung  im  gleichen 
Sinne.  Bei  einem  Bruchteile  der  Kranken  schritt  aber  der  Ileil- 
verlauf  nur  langsam  fort,  in  einem  Falle  von  spezifischer  Iritis 
hlieh  der  Erfolg  aus,  wurde  aber  durch  einige  Einreihungen 
herheigeführl.  Auch  Lassar  möchte  mit  seineni  SchluBurtcile 
über  den  Wert  dieses  iMitlels  bei  Syphilis  noch  zurückhalten. 
Geboten  erscheint  schon  jetzt  sorgfältige  Auswahl  der  Fälle  in 
bezug  auf  Zirkulation,  Nerven-  und  Verdauungssystem  und  der 
stete  Hinblick  auf  die  Eventualität  unerwarteter  und  uidiehsamer 
Zwischenfälle.  Er  beschäftigt  sich  jetzt  auch,  die  für  .Tod  und 
Quecksilber  bisher  unangreifbaren  zentralnervösen  Nachkrank¬ 
heiten  ,mit  Atoxyl  in  'Angriff  zu  nehmen.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift  l‘JÜ7,  Nr.  22.)  E.  F. 

* 

824.  (Aus  dem  0  h  u  c  h  0  w  sehen  Männerkrankenhause  zu 
'St.  iäitershurg.)  Zur  Frage  von  dem  gegenseitigen  Ver¬ 
halten  d e r  E  h  r  1  i c  h  s c  h e u  Di  a z  o r c a k  t  i  o  n,  der  B a k  t e r  i- 
ämie  und  der  Widalschen  Reaktion  hei  Unterleibs¬ 
typhus.  (Vorläufige  Älitteilung.)  Von  A.  Th.  Gonken.  Nach 
Dmilrenkos  Arbeit  über  die  Diazoreaktion  ist  die  Aetiologie 
und  Patbogenese  derselben  noch  lange  nicht  entschieden.  Be¬ 
züglich  des  Typhus  sind  alle  Autoren  eines  Sinnes,  daßi  sie  als 
konstantes  Merkmal  in  der  zweiten  Hälfte  der  ersten  Krankheits¬ 
woche  zu  konstatieren  ist,  so'dann  ihre  Akme  erreicht  und  schließi- 
lich  mehr  oder  weniger  rasch  verschwindet.  Bei  Rückfällen  fand 
Dmitreiiko  'tlie  Diazoreaktion  meist  am’  vierten  his  sechsten 
Tage  mit  dem  Bemerken,  daß  Temperaturerhöhungen,  welche  durch 
Diätfehler  und  Komplikationen  nicht  typhösen  Charakters  heflingt 
sind,  keim“  Diazoinaktion  zur  Folge  haben.  Verf.  hat  nun  die 
Befunde  über  Diazoreaktion  im  Harne  der  untersuchten  Typhus- 
kranken  dos  genannten  Krankenhauses  mit  den  Befunden  über 
Bakteriämie,  welclie  Dr.  Stühlern  an  densolhen  Kranken  nach 
Conrad  is  Methode  erhoben  hatte,  verglichen  und  fand  einen 
auffallenden  Parallelismus  zwischen  Diazoreaktion  und  Bakteri¬ 
ämie  Li.  zw.  hlieh  die  Diazoreaktion  aus,  sobald  die  Bazillen  aus 
dem  Blute  versebwunden  waren  (13  Fälle),  oder  fiel  iiegativ 
aus,  sobakl  Bakteriämie  fehlte  (drei  Fälle).  Verf.  hat  dann  seine 
Uidersuchungen  fortgesetzt,  wobei  er  genaue  Bestimmungen  der 
Agglutinationskraft  nacb  Widal  vornahm  und  teilt  nun  das  Er¬ 
gebnis  von  32  selbständig  untersuchten  Fällen  mit.  Seine  Schlüsse 
lauten:  1.  Diazoreaktion  und  Bakteriämie  verlaufen  in  den  Fällen 
von  üiderleihstyplms,  welche  mit  in  bezug  auf  Diazoreaktion 
indifferenten  i\rzneimitteln  behandelt  werden,  parallel  ujid  die 
Diazoreaktion  tritt  nur  in  jener  Periode  des  Typhus  auf,  in  wel¬ 
cher  der  Ebert  h  sehe  Bazillus  in  lebensfähigem  Zustande  im 
Blute  eidhalten  ist.  2.  Die  Elimination  der  Bazillen  aus  dem 
Blute  oder  die  derselben  vorausgehende  vollständige  Agglutination 
derselben  führen  zur  Abnahme  der  Intensität  der  Diazoreaktion 
und  vollkommienem  Verschwinden  derselben,  trotzdem  das  Fieber 
aidiält  und  bei  den  Kranken  scharf  ausgeprägter  Status  typhosus 
zu  konstatieren  ist,  was  jedoch  von  Darm-  oder  Lungenaffektion 
ahhängt;  demeidsprechend  wächst  die  Widal  sehe  Reaktion  (Anta¬ 
gonist  der  Bakteriämie)  jäh  an  und  erreicht  zuweilen  sehr  hohe 
Werte,  3.  ln  Tyidvusfällen,  welche  mit  Salol,  Kalomel  und  Tann- 
alhiii  hehamlelt  worden  waren,  konide  der  erwähnte  Parallelis- 
nius  keinmal  konstatiert  werden,  denn  hei  vorhandener  Bakteri¬ 
ämie  fehlte  eine  typische  Diazoreaktion  (es  konnte  nur  eine 
dunkolgelbe  oder  rotgelbe  Verfärhung  des  Schaumes,  welche  für 
Diazoreaktion  nicht  charakteristisch  ist,  erzielt  werden).  —  (.Mün¬ 
chener  medizinische  Wochenschrift  1907,  Nr.  18.)  G. 

* 

32ö.  Die  Behandlung  der  Fälle  von  schwerer 
L  a  r  y  n  X  t  u  h  e  r  k  u  1  o  s  e.  Von  Dr.  Artur  T  h  o  s  t,  Handjurg,  Si)ezia!- 
arzt  am  Eppendorfer  Krankenhaus.  Nach  Besprechung  der  usuellen 
syir.plomatischen  Therapie  bei  Tuberculosis  laryngis,  redet  Doktor 
Thost  der  Chirurgie  das  Wort.  Die  Larynxtuberkulose  ist  den 


malignen  Larynxerkrankungen  gleich  zu  achten  uml  Gluck  hat 
dui'ch  Fälle  von  Dauerheilung  vermittels  totaler  Laryngektomie 
den  Weg  gezeigt,  der  von  der  Laryngologie  bedächtig  und  he- 
sonnen,  aber  auch  nicht  zu  zaghaft  verfolgt  werden  soll.  — 
(Zeitschrift  für  klinische  Äledizin,  Bd.  LXI,  H.  3  und  4.) 

K.  S. 

* 

326.  (Aus  der  Breslauer  chirurgischen  Klinik.)  äV  eile  re 

cxjjcri  ment  eile  Untersuchungen  zur  Frage  der 
Talma  sehen  Operation.  Von  Dr.  Orni.  Orni  berichtet 
über  seine  Versuche,  durch  welche  Methode  zunächst  Darm-, 
schlingen,  Leber  und  Vlilz  in  ausgedehnte  und  gut  vaskularisierte 
Verwachsung  juit  der  Bauchwand  gebracht  werden  können,  mit 
anderen  Worten,  die  größtmöglichste  Aushildung  eines  Pfortader¬ 
kreislaufes  im  Anschlüsse  des  in  Betracht  kommenden  viszeralen 
Gefäßgebietes  an,  das  Gebiet  der  vorderen  Bauchwand  durch  andere 
Methoden  herbeigeführt  werden  könnte,  als  durch  die  bereits 
einmal  von  Orni  und  Slo  gemachte  lockere  Tamponade  der 
ganzen  Bauchhöhle  mittels  eines  sehr  langen,  sterilen  Gazestreifens. 
Die  von  Orni  gewonnejien  Bes’ultate  sind  folgende:  1.  Durch 
Annähen  von  steriler  Gaze  an  die  Innenseite  der  Bauchwand 
erzielt  man  eine  feste  und  breite  Verwachsung  der  Rauchwand 
mit  den  Ba'ucheingcweiden.  2.  Hunde  geben  innerhalb  eines 
bis  drei  Tagen  an  urämischen  Erscheinungen  zugrunde,  wenn  man 
ihnen  beide  Nierenvenen  gleichzeitig  unterbindet.  3.  Wenn  ein 
Vernähen  der  Niere  mit  Netz  oder  Mesenterium  statlgefunden  hat. 
so  können  a)  manche  Tiere  die  Pfortaderunterhindung  vertragen, 
manche  nicht;  h)  manche  Tiere  fristen  nach  einem  beiderseitigen 
Nierenvenenabschluß  das  Lehen,  bisweilen  hleiben  sie  am  Lehen; 
c)  die  Berlinei'blaulösung,  die  von  dom  Pfortadersyslern  luu'  in¬ 
jiziert  wird,  reicht  in  das  Nierengewebe,  dagegen  reicht  die  Lösung, 
die  von  der  Vena  cava  aus  injiziert  wird,  in  das  Pfortadersystem. 
4.  Bei  Versuchen,  eine  Anastomose  zwischen  Niere  und  Netz 
oder  Mosenterium  zu  erzielen,  bleibt  es  ziemlich  gleich,  ob  die 
Niere  dekapsuliert  wird  oder  nicht.  Die  Einpflanzung  des  Netzes 
nach  Nephrotomie  erzielt  vortreffliche  Anastomosen.  —  (Beiträge 
zur  klinischen  Chirurgie,  Band  53,  Heft  2.)  E.  V. 

4c 

327.  Ueher  die  symmetrische  Asphyxie  der  Ex¬ 
tremitäten.  Von  Dehove.  Die  Erkrankung  wird  vorwiegend 
beim  weiblichen  Geschlecht  und  im  dritten  Lebensdezennium  be¬ 
obachtet.  Die  symmetrische  Asphyxie  betrifft  die  peripheren 
Körperteile  —  Hände,  Füße  und  Nasenspitze  —  und  es  werden 
gewöhnlich  die  Anfälle  durch  Kälte  oder  durch  psychische  Emo¬ 
tionen  ausgelöst.  In  einzelnen  Fällen  können  die  Zirkulations¬ 
störungen  so  weit  ausgesprochen  sein,  daß  es  zu  Gangrän  kommt. 
Man  unlersctieidet  zwei  Phasen  des  Anfalles,  die  synkopale  durch 
Blässe  der  Haut  und  die  asphyk tische,  durch  Zyanose  der  Haut 
gekennzeiclmele  I^hase.  In  dem  mitgetcilten  Falle,  eine  23jährige 
Frau  betreffend,  zeigt  der  Anfall  einen  anderen  Ablauf,  indem 
zunächst  Zyanose,  dann  Blässe,  schließlich  reaktives  Erythem 
aufiritt.  Wenn  die  Patientin  eine  Hand  in  kaltes  Wasser  ein- 
laucht,  so  tj'itt  an  dieser  Hand  der  Anfall  auf,  während  die 
andere  Hand  noilnal  bleibt.  Das  steht  mit  der  Tatsache  in 
Widerspruch,  welche  uider  normalen  Verhältnissen  beobachtet 
wird  und  darin  hestehl,  daß  das  Eintauchen  der  (“inen  bland 
in  kaltes  Wasser  auch  die  Temperatur  der  anderen  Hand  herab- 
selzt.  Wäbrend  der  synkopalen  Periode  ruft  der  Einstich  einer 
Nadel  weder  eine' Schmerzempfindung  noch  Blutaustritt  hervor. 
Die  nicht  seltenen  subjektiven  Sensihilitäts'störungen,  sowie  neur¬ 
algische  Schmerzen  fehlen  in  dem  milgeteilten  Falle.  Es  sind  in 
diesem  Falle  ausschließlich  die  vasomotorischen  Nerven  von  d(‘r 
Erkrankung  betroffen.  Die  während  des  Anfalles  vorgenommene 
Blut  Untersuchung  bat  keinerlei  Veränderung  an  den  Erythrozyfen 
und  Leukozyten  ergehen.  Die  spektroskopische  Untersuchung  er¬ 
gibt  während  der  Zyanose  den  Ahsorptionsstreifen  des  ri'du- 
zierten  Hämoglobins,  während  der  Periode  des  reaktiven  Ery- 
Ihems  die  beiden  Absoriilionsslreifen  des  Oxybämoglobins.  Es 
konnte  bei  Wiederholung  der  Kälteeinwirkung  eine  Ahschwächung 
dieser  festgeslellt  werden.  Wenn  es  zuerst  gelang,  durch  Ein¬ 
lauchen  der  Hand  in  Wasser  von  25*^  einen  Anfall  hervorzurufen, 
so  war  es,  wenn  man  nach  einer  Viertelstunde  wieder  einen 
Anfall  hervorrufen  wollte,  notwendig,  Wasser  von  15'’  zu  nehmen. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


807 


Auch  durch  Einlauchen  in  5‘Vo  Phenollösung  .kann  ein  An  lall 
produziert  werden.  In  einer  Reihe  von  Fällen  steht  die  sytn- 
ineti'ische  Asphyxie  mil  Hysterie  in  Zusannnenhang.  In  dem 
mitgeteilten  Falle  ist  kein  Zeichen  der  Hystorici  nachzuweisen, 
wohl  aber  Symptome  eines  leichlen  Morbus  Brighlii  —  Spuren 
von  Albuinen,  Polyurie  und  Galopprhyihmus.  Es  scheint  syni- 
melrische  Asphyxie  bei  Morbus  Brigbtii  nicht  selten  zu  sein. 
Die  Prognose  ist  nicht  ungünstig.  Die  in  dem  Falle  indizierte 
Behandlung  besteht  in  Elektrotherapie,  speziell  in  Form  der  Hoch¬ 
frequenzströme  und  einer  der  Nervenaffektion  angepaßten  Diät. 
—  (Journ.  de  Prat.  1907,  Nr.  14.)  a.  e. 

328.  Vergleichende  Untersuchungen  über  die 
Toleranz  des  diabetischen  Organismus  gegenüber 
verschiedenen  Kohlehydraten.  Von  M.  Labbe.  Es 
wurden  der  Reihe  nach  verschiedene  Diälformen  für  Diabetiker 
emiifohlen,  u.  a.  Milchdiät,  Kartoffeldiät,  Ernährung  mit  Hafer¬ 
mehl  us\v.  Die  aus  den  Beohachlungen  sich  ergebenden  Mei¬ 
nungsverschiedenheiten  sind  dadurch  zu  erklären,  daß  bei  dem 
Vergleich  der  einzelnen  Diälformen  <lie  Quantität  der  zugc- 
führlen  Kohlehydrate  nicht  berücksichtigt  wurde,  worauf;  es 
wesentlich  ankommt.  Aus  den  mit  Berücksichtigung  dieses  Mo¬ 
mentes  angestellten  Untersuchungen  des  Verfassers  ergibt  sich 
folgende  Skala  der  kohlehydrathaltigen  Nahrungs'mittel  hinsicht¬ 
lich  der  Toleranz  des  diabetischen  Organismus,  ln  erster  Reihe 
stellen  die  Kartoffeln,  dann  folgen  der  Reihe  nach ;  Hafermehl, 
Makkaroni,  Kastanien,  Reis,  Bohnen,  Linsen  Erbsen,  Milch,  Brot 
und  erst  am  Schlüsse  die  verschiedenen  , Zuckerarten.  Die  Kar¬ 
toffeln  bieten  außer  der  relativ  größten  Toleranz  den  Vorteil, 
daß  sie  meist  gern  und  auch  in  größeren  Quantitäten  genommen, 
werden,  in  verschiedener  Weise  und  auch  mit  reichlichem  Fett¬ 
zusatz  zubereitet  werden  können.  Das  Hafermebl  wird  meist 
gut  vertragen,  ohne  aber  die  Toleranz  für  andere  Kohlehydrate 
zu  steigern,  wie  dies  von  verschiedenen  Beobachtern  behauptet 
wird.  Die  besten  Dienste  scheint  das  Hafermehl  bei  den  schweren 
Diabetesfällen  zu  leisten;  ein  Nachteil  des  Hafermehls  liegt  darin, 
daß  es  nicht  in  größeien  Mengen  und  nicht  durch  lange  Zeit 
genommen  werden  kann,  manchmal  kommt  es  auch  zu  Diarrhoe 
und  Verdauungsstörungen.  Sehr  vorteilhaft  sind  die  trockenen 
Hülsenfrüchte,  weil  sie  auch  in  größeren  Mengen  mit  Fettzusatz 
gut  vertragen  werden  und  dem  Organismus  Eiweißi  und  Mineral¬ 
salze  zuführen.  Auch  der  Reis  wird  von  Diabetikern  relativ 
gut  vertragen  und  kann  als  teilweiser  Ersatz  des  Brotes  heran¬ 
gezogen  werden.  Weniger  ausgesprochen  ist  die  Toleranz  des 
dial)elischen  Organismus  für  Milch,  welche  anderseits  wegen  ihres 
relativ  geringen  Kohlehydratgehaltes  als  Bestandteil  einer  an 
Kohlehydraten  armen  Ernährung  verwertbar  ist.  Das  Brot  ist 
für  die  Ernährung  der  Diabetiker  wenig  geeignet,  da  seine  Kohle¬ 
hydrate  eine  stärkere  GlykosUrie  hervorrufen,  als  die  in  anderen 
Nahrungsmitteln  enthaltenen  Amylumarten.  Die  Diabetiker, 
welche  oft  starke  Brotesser  sind,  vertragen  die  vollständige  Ent¬ 
ziehung  des  Brotes  im  allgemeinen  besser  als  die  Einschränkung 
der  Ration.  Am  schlechtesten  werden  die  verschiedenen  Zucker¬ 
arten  vertragen,  sie  sind  für  die  Ernährung  des  Diabetikers  durch¬ 
aus  ungeeignet  und  nur  dort  in  relativ  kleinen  Mengen  gestattet, 
wo  ein  unbesiegbares  Verlangen  nach  Zucker  besteht,  wie  dies 
manchmal  bei  Diabetikern  vorkommt.  Die  Unterschiede  in  der 
Toleranz  des  diabetischen  Organismus  für  die  in  den  verschie¬ 
denen  Nahrungsmitteln  enthaltenen  Kohlehydrate  ist  nicht  aus 
den  Verhältnissen  der  Resorption  im  Darm  zu  erklären,  sondern 
eher  auf  Verschiedenheiten  der  chemischen  Konstitution  zurück¬ 
zuführen,  wovon  die  Art  des  Ueberganges  in  Glykose  abhängig 
ist.  —  (Bull,  et  Mein,  de  la  Soc.  med.  des  hop.  de  Paris  1907, 

Nr.  9.)  'T- 

* 

329.  Ueber  Behandlung  der  Sk  a  bi  es  mit  Peru¬ 
balsam.  Von  F.  .1.  W.  Porter  (Colchester).  Die  Behandlung 
besteht  in  folgendem:  Der  Patient  bleibt  zunächst  eine  halbe 
Stunde  lang  in  einem  möglichst  heißen  Bade  und  wird  dann  mit 
Flanell  und  gewöhnlicher  Seife  ordentlich  abgerieben.  Hierauf 
wird  er  abgelrocknet  und  mit  einer  Mischung  von  Perubalsam 
und  Glyzerin  im  Verhältnisse  von  3:1  eingerieben.  Das  Mittel 
wird  —  am  besten  mit  einer  weichen  Nagelbürste  möglichst 


energisch  in  tlie  Haut  eingei'ieben.  Hierauf  zieht  der  Patient  ein 
einfaciies  Baumwollhemd  und  den  Spilalkiltel  an.  Unterdessen  wii’d 
seine  gewöhnliche  Kleidung  desinfiziert.  In  schwereren  Fällen 
wird  die  Einreilmng  am  nächsten  Tage  wiederholt.  Baden  ist 
zunächst  durch  sieben  Tage  zu  unterlassen.  Patient  muß  sich 
durch  drei  Wochen  einmal  wöchentlich  einer  Konlrolhmtersuchung 
unterziehen.  Verf.  hat  diese  Methode  an  51  Soldaten  mit  gutem 
Erfolge  verwendet  und  em])fiehlt  sie  vor  allem  für  militärische 
Zwecke,  wenn  es  darauf  ankommt,  den  Mann  möglichst  kurze 
Zeit  dem  Dienste  zu  entziehen.  —  (British  medical  Journal  1907, 

30.  März.)  ‘  J.  Sch. 

* 


330.  Zur  Behandlung  des  akuten  G  e  1  e  n  k  s  r  h  e  u  in  a- 
tismus.  Von  Prof.  Dr.  G.  Ktemiierer  in  Berlin.  Di(^  Salizyl- 
präparate  versagen  in  etwa  einem  Viertel  aller  Fälle  von  akutem 
Gelenksrheumalismus,  sie  verhindern  nicht,  daß  Komiilikalionen 
(Endo-  und  Perikarditis)  während  der  Einnahme  eines  solchen 
Mittels  auftreten,  sie  stellen  ein  Nierengift  dar,  weshalb  man 
deren  Gebrauch  zuweilen  sistieren  muß.  Anderseits  sind  diese 
Präparate  in  bekannter  Weise  fieber-  und  schmorzwidrig,  den 
Schweißausbruch  anregend  usw.,  und  beruht,  wie  Verf.  ausführt, 
diese  antipyretische,  antineuralgische  und  diaphoretische  Wirkung 
der  Salizylpräparale  auf  Hyperämie  bestimmter  Gefäßgebiete. 
Darum  wirkt  auch  die  in  anderer  Weise  bewirkte  Hyperämisierung 
der  Gelenke  bei  der  akuten  Polyarlhritis  gut,  wofür  der  Verfasser 
ebenfalls  eine  Reihe  von  Beweisen  erbringt.  Darum  hat  er,  wie 
es  Bier  selbst  schon  in  zehn  Fällen  mit  Erfolg  getan  hat,  im 
städtischen  Krankenhause  Moabit  in  Berlin,  eine  größere  Anzahl 
solcher  Kranker  ausschließlich  mit  der  Bi  ersehen  Stauung  be¬ 
handelt.  Oberhalb  jedes  entzündeten  Gelenkes  wurde  vor-  und 
nachmittags  jo  zwei  bis  drei,  gelegentlich  auch  vier  Stunden  lang 
die  Stauungsbinde  angelegt  u.  zw.  so,  daß  Biers  heiße  rote 
Stauung  erzielt  wurde.  Die  schmerzstillende  Wirkung  war  fast 
stets  eklatant  und  überdauerte  'das  Liegen  der  Binden  um  zwei 
bis  fünf  Stunden;  die  .meisten  Patienten  waren  zufrieden,  nur 
in  wenigen  Fällen  mußten  kleine  Morphimudosen  gegeben  werden. 
Für  die  Hüften  ist  die  Stauung  gar  nicht,  für  die  Schultern 
unvollkommen  anwendbar;  wenn  also  Hüften  oder  Schultern 
stärker  befallen  waren,  wenn  trotz  der  Binden  die  Schmerzen 
in  einem  Gelenke  sehr  arg  waren  oder  das  Fieher  übermäßig 
stieg,  schließlich,  wenn  nach  20  Tagen  unter  der  Stauung  keine 
Heilung  eintrat,  so  ging  man  zur  Salizylbehandlung  (Aspirin) 
über.  Bebandelt  wurden  67  typische  Fälle  von  akutem  Gelenks- 
rheumatismus.  Unter 'bloßer  Stauung  trat  Heilung  ein  in  48  Fällen 
(am  4.  bis  7.  Tage  49  Fälle,  am  8.  bis  10.  Tage  15  Fälle, 
a,m  11.  bis  13.  Tage  5  Fälle  und  der  Rest  von  9  Fällen  in 
14  bis  20  Tagen).  In  20  Fällen  wurde  zur  Salizylbebandlung 
übergegangen,  idas  Aspirin  allein  wurde  vom  Anfang  an  ange- 
wenciet  in  19  Fällen  (Heilung  in  14  Fällen  in  6  bis  20  Tagen), 
in  15  Fällen  blieben  Stauung  und  Aspirin  erfolglos  und  die 
Heilung  erfolgte  in  21  bis  75  Tagen.  Die  Aspirinbebandlung 
erwies  sieb  der  Stauungsbehandlung  als  überlegen,  von  87  Fällen 
konnten  nur  68  (780/o)  überhaupt  der  Stauung  zugeführt  werden, 
von  den  mit  Stauung  behandelten  Kranken  wurden  innerhalb 
20  Tagen  nur  70''/<'  zur  Heilung  gebracht.  Von  den  der  Stauung 
widerstehenden  19  Fällen  wurden  noch  10  mit  Aspirin  geheilt 
und  die  mit  Aspirin  allein  behandelten  Fälle  wiesen  73°<i  Heilung 
auf.  Gleichwohl  ist  sicher,  daß  man  mit  der  Stauungsbehandlung 
allein  viele  Fälle  von  Gelenksrheumatismus  zur  Heilung  bringen, 
kann  und  daß  diese  Behandlung  für  leichte  und  mittlere  Fälle 
durchaus  ausreicht.  Die  Stauungsbehandlung  ist  gewiß  umständ¬ 
lich,  sie  ist  aber  ganz  ungefährlich,  bei  Nierenreizung  angezeigt, 
auch  dann,  wenn  die  Salizylpräparate  nach  12-  bis  14lägiger 
Anwendung  wirkungslos  sind.  In  protrahierten  Fällen  kann  man 
beide  Methoden  kombinieren.  Die  Salizylpräparatie  entwickeln 


:reben  ihrer  hypcrämisierendien  auch  eine  mäßige  bakterizide  lälig- 
ceit,  die  durch  Salizyl  hervorgerufene  Hyperämie  dauert  länger 
rn,  ist  universell ;  für  Fälle  mit  stärker  Ivirulenten  Bakterien  ist 
lie  Salizylwirk'ung  nicht  zu  entbehren.  —  (Die  Therapie  der 
TefTeiiwart  1907.  Heft  6.)  E-  • 


* 


331 .  Die  Unters  u c h  u  n  g  d e s  H e r  z  e  n  s  in  B  e c  k e n- 

h 0 c  h l a  g  e  r  u  n  g,  e  i  n  H i  l f  s  m  i  t  te  1  z  u  r  D  i  a  g  n  0  s  e  d e  I  H  e r  z- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  26 


krankh'citon.  Von  Dr.  A.  Stern  in  Frankfurl  a.  M.  Es  Avurtlc 
von  vielen  Autoren  auf  die  Wiclitigkeit  der  Ilerzuntersucliung 
in  verecliicdenen  Körperstellungen  (iin  Stehen,  Liegen,  Vornüher- 
neigen  und  in  Seiteidage)  hingeAviesen,  weil  Intensität  und  Cha¬ 
rakter  der  akustischen  Phänomene  in  verschiedenen  Lagen 
Avechseln.  Verf.  hat  an  zahlreichen  Patienten  des  Frankfurter 
Heiligengeisthospitalcs  pnd  seiner  Privatpraxis  die  Untersucliung 
des  Herzens  in  Beckenhochlagerung  vorgenonunen  und  gefunden, 
daß  iu  Fällen  mit  luinen  Herztönen  durch  die  Lagerung  selbst 
keinerlei  Geräusche  neu  entstehen.  In  der  Regel  wird  an  der 
Spitze  der  systolische  Ton  reiner,  d.  li.  kürzer  und  mehr  tonartig 
und  das  begleitende  physiologische  Geräusch  tritt  zurück.  In 
vielen  Fällen  wird  der  systolische  Ton  gleichzeitig  leiser,  dagegen 
Averden  die  pathologischen,  systolischen  Geräusche  in  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  in  Beckenhochlagerung  deutlicher,  manchmal  breiter. 
Oft  Averden  sie  lauter  und  in  ihrem  akustischen  Charakter  Amr¬ 
ändert.  ZuAveilen  tritt  in  Beckenhochlage  eine  Spaltung  der  Systole 
auf.  Dadurch  gelang  es  in  einzelnen  unklaren  Fällen  oft,  ein 
scheinbares  systolisches  Geräusch  als  für  die  Diagnose  bedeutungs¬ 
los  hinziistellen.  Gegen  den  Sternalrand,  am  Knorpelansatze  tier 
vierten  Rippe,  ist  hei  der  Beckenhochlage  die  Systole  oft  lauter 
als  zuvor  und  der  Akzent  rückt  auf  den  zweiten  Ton.  Der  zweite 
Pulmonalton  Avird  tlabei  regelmäßig  gegen  den  zAAmiten  Aortenton 
Amrstärkt,  Avas  besonders  bei  Mitralinsuffizienz  stark  in  die  Er¬ 
scheinung  tritt.  Dieses  Phänomen  ist  um  so  auffallender,  als 
die  Aortentöne  leiser  Averden.  Der  zweite  Pulmonallon  Avird  sehr 
oft,  bei  Kindern  fast  immer,  gespalten.  Das  diastolische,  respek¬ 
tive  präsystolische  Geräusch  hei  Mitralstenose  und  Insuffiziönz 
hat  Verf.  regelmäßig  lauter,  länger  und  rauher  Averden  gehört. 
Das  diästolischo  Geräusch  der  Aorteninsuffizienz  wird  nicht  lauter, 
eher  leiser.  Die  Venengeräusche  AmrscliAvinden  in  Beckenhochlago, 
Avie  oft  schon  in  einfacher  Rückenlage.  Die  Pulszahl  bleibt  meist 
unverändert,  zUAveilen  tritt  geringe  PulsAmiiangsamung  ein.  Der 
Blutdruck  geht  meist  um  ein  Geringes  in  die  Höhe  oder  bleibt 
unverändert.  Verf.  sucht  nun  die  mitgeteilten  Befunde  zu  er¬ 
klären  Und  ist  selbst  der  Ansicht,  daßi  er  bei  Deutung  der  Aus- 
kuliationsphänomene  über  Vermutungen  kaum  hinauskommt,  da 
präzise  Analysen  bis  heute  nicht  möglich  sind.  Die  Avesentlichen 
Vorteile  jedoch,  Avelche  die  Herzuntersuchung  in  Beckenhochlage 
bietet,  sind  nach  Verf.  folgende:  Es  Avird  im  allgemeinen  eine 
Konti'olle  der  in  anderen  Lagen  gefundenen  Perkussiöns-  und 
Auskultationsresultate  ermöglicht.  Die  Perkussion  der  relativen 
rechten  Herzdämpfungsgrenze  gewinnt  an  Sicherheit.  Die  Dia¬ 
gnose  des  Avahren  akustischen  Charakters  der  unreinen  Systolen 
Avird  in  vielen  Fällen  erleichtert,  manchmal  überhaupt  ermög¬ 
licht.  Das  diastolische  Geräusch  der  mit  Insuffizienz  komplizierten 
Älitralstenose  Avird  öfter  deutlicher  erkennbar.  —  (Münchener 

medizinische  Wochenschrift  1907,  Kr.  18.)  G. 

♦ 

332.  Aus  dem  Institute  für  experimentelle  Pathologie  der 

Wiener  UniAmrsität  (Prof.  Dr.  R.  Pal  tauf).  Zur  Frage  der 
mechanischen  Erregbarkeit  der  Magensaftsekretion 
(ein  experimenteller  Beitrag  zur  Physiologie  der  Magensekretion). 
Von  Dr.  Artur  Schiff,  Privatdozent  für  innere  Medizin  an  der 
Wiener  UnHersität.  Nach  PuavIoav  gibt  es  nur  zwei  Arten  A'on 
Reizen,  durch  Avelche  Magensaftsekretion  angeregt  werden  kann. 
Die  psychische  Erregbarkeit  des  Appetites  ist  einer  der  wdrksamsten 
Reize  zur  Einleitung  einer  chemischen  Älagcnsaftsekreüon  und 
in  zweiter  Linie  kommt  die  spezifisch  chemische  Einwirkung 
d('r  Ingesta  auf  die  Schleimhaut  dos  Magens  in  Betracht.  Die 
nii  chanischen  Eigenschaften  der  Speisen  an  und  für  sich  sind 
nach  PawloAv  völlig  unfähig,  eine  Sekretion  von  Magensaft 
auszulösen.  Kach 'tlen  überzeugenden  Experimenten  Scliiffs  muß 
nian  jedoch  dem  länger  dauernden  mechanischen  Reize  find  der 
mechanischen  Belastung,  AAÜe  sie  durch  eingeführte  Ingesta  ho- 
wiikt  Averden,  einen  wesentlichen  Einflußi  aid'  die  Stärke  der 
^^ckielion  zugestehen,  wenngleich  die  Bedeut ung  dei’  mechanisch  n 
Ihize  in  quanlitativf'r  Beziehung  hinter  jener  der  .spezifisch- 
eln  iui.schen  Reize  zuiücksteht.  —  (Zeitschrift  fi'ir  klinische  Medizin, 
Fd.  lAi,  Heft  3  und  4.)  K.  S. 

333.  (.\us  der  Grazer  chirurg.  Klinik.)  Heber  stumpfe 

\  1  e  S y  n  gc  n  (G-s  Darmes  und  des  xM  e  s  e  n  t  e  r  i  u  m  s.  \  An 


Dr.  Her  tie.  Auf  Grund  des  Materiales  der  letzten  zehn  Jahre 
der  Grazer  chirurgischen  Klinik  bespricht  11  er  tie  ausführlich 
die  stumpfen  Verletzungen  des  Darmes  und  des  xMesenteriums. 
In  ihrer  Aetiologie  spielt  die  Avichtigste  Rollo  der  llufschlag;  mehr 
als  ein  Drittel  der  Darm  Verletzungen  durch  stumpfe  GcAvalt  sind 
auf  Hufschlag  zurückzuführen,  ferner  sind  häufig  Verletzungen 
durch  Schlagen  oder  Stoßen  mit  einem  harten  Gegenstände,  zum 
Beisincl  Verletzungen  durch  eine  Wagendeichsel  oder  durch 
Maschinengewalt.  Unter  den  Verletzimgen,  Avelche  einen  hreiten 
Angriffspunkt  am  Abdomen  nehmen,  sind  in  erster  Linie  Ueber- 
fahrungen,  dann  auch  Sturz  in  die  Tiefe,  Sprung  oder  Sturz  auf 
den  Bauch  zu  nennen.  Um  die  Pathogenese  der  Darmverletzungcn 
durch  stumpfe  GeAvalt  zu  studieren,  stellte  Her  tie  experimentelle 
Untersuchungen  soAvohl  am  Danne  des  lebenden  Hundes,  als 
auch  am  frisch  ausgeschnittenen  Darm©  an.  Es  ergab  sich  dabei 
keine  auffällige  Differenz.  Die  einzelnen  Schichten  des  Darmes 
leisten  hei  Uebeixlehnung  einen  Amrschiedeneii  Widerstand.  Am 
ersten  reißt  heim  Hunde  die  zarte  Serosa,  dann  die  Muskulaiis 
und  Mukosa  ein,  am  widerstandsfähigsten  ist  die  Submukosa, 
Avas  jedenfalls  ihrem  Gehalte  an  elastischen  Elementen  zuzu¬ 
schreiben  ist.  Bei  traumatischen  Rupturen,  AAmlche  sich  gegenüber 
den  durch  langsame  Blähung  erzeugten  ziemlich  scharf  unler- 
scheiden,  hesteht  geAvöhnlich  kein  großer  Unterschied  in  der  Be¬ 
teiligung  der  einzelnen  Schichten  der  DarmAvand,  doch  ist  auch 
hier  die  Serosa  und  Schleimhaut  Ufehr  zerrissien  als  die  Sub'mukosa. 
Beim  Mechanislnus  der  Darmruptur  kommen  drei  Arten  in  Be¬ 
tracht:  1.  Durchquetschung,  2.  Berstung  oder  Platzen,  3.  Aluiß 
durch  Zug.  Die  oberste  Ileumschlinge  ist  als  Prädilektionsstelle 
für  quere,  totale  Darmruptur  aufzufassen,  Aveiterhin  kommen  als 
solche  die  übrigen  Jejunumschliugen  in  Betracht,  Avährend  dem 
untersten  Ileum  in  dieser  Hinsicht  keine  Bedeutung  beizulegen 
ist,  da  jede  andere  Stelle  des  freien  Dünndarms  ebenso  häufig 
betroffen  sein  kann.  Bei  der  Darmwunde  kann  man  im  allge¬ 
meinen  zAvei  Haupt  typen  Amn  Verletzungen  unterscheiden,  und 
zAvar  ihrer  Größe  nach  kleine  Wunden,  von  Erbsen-  bis  höchstens 
Bohnengröße,  und  größere,  AvenigsteiLs  1  cm  lauge  Wunden;  letztere 
kommen  öfters  als  die  kleinen  Wunden  vor.  Oefters  sind  rrach 
stumpfer  GeAA^alteinwirkung  mehrfache  Veiictzungen  des  Darmes 
zu  finden.  Doch  gibt  es  auch  Verletzungen,  welche  nicht  zu 
einer  Perforation  des  Darmes  führen,  und  trotzdem  sehr  ernste 
Folgen,  ja  den  Tod  nach  sich  ziehen.  Man  unterscheidet  bei  der 
Darmruptur  allgemeine  und  lokale  Symptome.  Zu  den  allgemeinen 
gehört  zunächst  der  Schock  im  Anschlüsse  an  das  Trauma.  Die 
Beobachtung  des  Pulses,  der  anfangs  Amrlangsamt  ist,  ist  sehr 
Avichtig.  Bei  rasch  fortschreitenider  oder  septischer  Peritonitis 
Avird  er  rasch  schlecht,  sehr  frequent  und  ktein,  meist  aber  ist 
ein  ZAvischenstadium,  in  dem  der  Puls  gut  ist.  Wenn  der  Puls 
in  den  ZAveiten  12  bis  36  iStunden  nach  der  Verletzung,  wenn  auch 
nur  langsam  und  bei  gut  bleibender  Qualität,  steigt,  dann  ist 
die  Darmruptur  wahrscheiidich  und  mit  der  Laparotomie  nicht 
zu  Avarten.  Länger  andauernde  AtembeschAA'erden  von  kostalem 
Typus  haben  ernsteren  Charakter.  Verhältnismäßig  wenig  Be¬ 
deutung  ist  der  Temperatur  beizulegen.  Zu  den  lokalen  Sym¬ 
ptomen  der  Darmruptur  gehört  das  Auftreten  von  freiem  Gase 
in  der  Bauchhöhle.  Reichliches  Ausströmen  von  Gas  tritt  in  der 
ersten  Zeit  nach  der  Verletzung  meist  nur  bei  Rupturen  des 
Magens  auf,  Avährend  Löcher  im  Darme,  ja  selbst  quere  Ab¬ 
reißungen  nur  zu  geringem  oder  gar  keinem  Gasaustritte  führen. 
Das  Auftreten  einer  zAAmifellosen  Dämpfung  bald  nach  dem  Trauma 
kann,  AAmnn  nicht  gleichzeitig  Gas  in  der  Bauchhöhle  auftritt,  als 
von  einer  inneren  Blutung  herrührend  betrachtet  Averden.  Spon- 
faner  Schmerz  ist  unmittelhar  nach  dem  Trauma  häufig,  pflegt  aber 
dann  nachzulassen.  Druckschmerz  tritt  in  diffuser  und  zirkum¬ 
skripter  Form!  auf.  Erbj'echen,  besonders  galliges  Erbrechen,  ist  ein 
Avichliges  Syuiptom,  doch  spricht  ein  Fehlen  oder  VArhauden- 
sein  nicht  gegen,  bzw.  für  eine  Darmruptur.  Als  Grund  für  die 
Beimengung  der  Galle  zum  Mageninhalle  muß  man  eine  Lähmung 
•  des  Pylorus  und  anliperisfaltische  Darmbewegungen  annehmeu. 
Diese  kann  hervorgerufeu  Averden  durch  die  Entwicklung  einer 
Peritonitis,  vielleicht  des  Traumas  selbst.  Sehr  frühzeitig  tritt 
oft  eine  brettharte  Siiamiung  der  Bauchdeckcui  nach  dem  Trauma 
auf.  UrinbeschAverdeu,  ebenso  Verhalten  von  Stuhl  und  Winden 
kann  oft  beobachtet  Averden.  Die  Therapie  besteht  in  der  Laparo- 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


809 


tomie;  das  oinfa(diste  Verfahren  hesteht  in  Verschließung  der  1 
Perforationsöffnung  und  ist  hei  ganz  frischen  Fällen  und  kleinen 
Löcdiern  ungezeigt.  Für  ältere  Fälle  vergesse  man  auf  den  Aus¬ 
weg,  eine  Fistel  oder  einen  Anus  praeternaturalis  anzulegen, 
nicht.  Ist  bereits  Peritonitis  vorhanden,  so  ist  hier  nach  den 
allgemein  üblichen  Regeln  der  Behandlung  einer  Perforations- 
peritonitis  vorzugehen,  ln  den  ersten  zwölf  Stunden  nach  der 
Verletzung  konnte  von  den  Fällen  von  Her  tie  durch  Opera¬ 
tion  fast,  die  Hälfte  gerettet  werden,  während  schon  in  den  zweiten 
zwölf  Stunden  die  Anzahl  der  Heilungen  auf  ungefähr  ein  Fünftel 
hinabgeht.  158  Krankengeschichten  und  ein  Literaturverzeichnis 
von  329  Nunilmem  beschließen  die  ausführliche  Arbeit.  —  (Bei¬ 
träge  zur  klinischen  Chirurgie,  Bd.  53,  Heft  2.)  E.  V. 

* 

334.  Untersuchungen  über  die  Giftigkeit  von 
A k t i n o m y z e s k u  1 1 u r e n  und  das  Vorhandensein  lös¬ 
licher  Produkte.  Von  Poncet,  Lacomme  und  Thevenot. 
Die  Versuche  wurden  mit  festen  Glyzerinagar-  und  flüssigeri 
Glyzerinbouillonkulturen  angestellt.  Die  festen,  vier  Monate  alten 
Kulluren  wurden  zerkleinert,  durch  18  Stunden  mit  physiologischer 
Kochsalzlösung  behandelt,  zentrifugiert  und  filtriert.  Die  Be- 
siduen  wurden  in  drei  annähernd  gleiche  Teile  geteilt,  mit  Alkohol 
von  90Co,  bzw.  Aether  und  Choloroform  behandelt  und  die  er¬ 
haltenen  Lösungen  filtriert.  Die  Mazeration  in  physiologischer 
Kochsalzlösung  ergab  222  cm^,  wovon  40  einem  Kaninchen  in 
die  Randvene  des  Ohres,  der  Best  subkutan  in  die  Oherschenkel- 
gegend  eingespritzt  wurde.  Es  trat  bei  dem  Tiere  keine  Reaktions¬ 
erscheinung  auf;  ebenso  blieb  die  Injektion  der  mit  Chloroform 
und  Aether  erhaltenen  Mazeration  wirkungslos,  während  die 
direkt  in  das  Blut  injizierte  Alkoholrnazeration,  (wahrscheinlich 
durch  Koagulation  desl  Blutes,  sofort  den  Tod  des  Versuchstieres 
bewirkte.  Die  flüssige  Aktinomyzeskultur,  welche  fünf  Wochen 
alt  war,  wuitle  wiederholt  filtriert  und  vom  Filtrat  je  150  cm^ 
in  die  Ohrvene  und  subkutan  eingespritzt.  Es  trat  heim  Tiere 
Lähmung  der  Hinterbeine  und  Exitus  ein.  Die  Obduktion  ergab 
eine  Blutung  im  Subarachnoidealraum  im  Gebiet  des  verlängerten 
Markes  infolge  der  durch  das  große  Quantum  der  injiziertem 
Flüssigkeit  henmrgerufenen  Hypertension.  Die.se  Versuche  zeigen, 
daß  die  Aktinomyzeskulturen  keine  in  Glyzerinbouillon,  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung,  Alkohol,  Aether  oder  Chloroform  lös¬ 
lichen  Toxine  enthalten.  Es  kommt  zwar  klinisch  bei  .äktinomy- 
kose  ein  Krankheitsbild  vor,  welches  man  als  Aktinomyzessepti- 
kämie  bezeichnen  könnte,  durch  schmutzig-gelbe  Gesichtsfarbe, 
unregelmäßige  Pdeberanfälle,  Schmerzen,  verschiedene  Nerven- 
symptome,  widerwärtigen  Geruch  der  Sekretionen  und  des  Eiters, 
entzündliche  Erkrankung  der  serösen  Häute  gekennzeichnet.  Diese 
Erkrankung  ist  nicht  auf  Mischinfektion,  sondern  auf  die  Wir¬ 
kung  von  Toxinen  zurückzuführen,  welche  die  Körpergewebe  selbst 
bei  Gegenwart  des  Strahlenpilzes  erzeugen.  Auch  im  Orga¬ 
nismus  produziert  der  Strahlenpilz  kein  lösliches  Toxin,  sondern 
es  geht  die  Bildung  der  giftigen  Substanzen  von  den  auf  das 
Vorhandensein  des  Pilzes  in  spezifischer  Weise  reagierenden  Ge¬ 
webszellen  aus.  —  (Bull,  de  l’Acad.  du  Med.  1907,  Nr.  16.)  a.  e. 

335.  Einige  Erfahrungen  über  den  Typh  us  verlauf 
bei  geiinp  f  te  n  und  nicht  geimpften  Mannschaften  der 
S  c  h  u  t  z  t  r  u  p  p e  für  D  e  u  t  s  c  h  -  S  ü  d  w  e  s  t -  A  f  r  i  k  a.  Von  Doktor 
Eichholz,  Oberarzt  bei  der  Schutztruppe  (ehemals  kommandiert 
zur  Typhusstation  des  Etappenlazarettes  Windhuk,  Mai  bis 
Juni  1905).  Verf.  hat  zum  Studium  des  Typhusverlaufes  bei  Ge¬ 
impften  und  Nichtgeimpften  von  ca.  150  Typhusverclächtigen  nur 
68  in  seine  Uebersicht  aufgenoinmen.  Gezählt  wurde  der  Fall 
nur  dann,  wenn  folgende  zwei  Hauptbedingungen  erfüllt  waren ; 

1.  Es  mußte  ein  sicherer  Typhus  sein;  2.  der  Kranke  mußte 
spätestens  ^^cht  Tage  nach  dem  Auftreten  der  ersten  Krankheitsi- 
erscheinungen  in  das  Lazarett  Windhuk  gebracht  sein  und  dort 
mindestens  zehn  Tage  nach  Entfieberung  sich  auf  gehalten  haben. 
Einen  Typhus  nahm  Verf.  an,  wenn  die  gesamte  Fieberkurve 
das  typische  Aussehen  zeigte,  die  Milz  deutlich  vergrößiort  war 
und  sichere  Roseolen  vorhanden  waren.  Auf  erbsenfarbeneu  Stuhl 
wurde  weniger  Gewicht  gelegt.  In  der  Hälfte  der  lälle  wurde  noch, 
eine  Blutuntersuchung  gemach^  um  Malaria  mit  absoluter  Sichcr- 


1  heit  ausschließen  zu  können.  Widal  sehe  Reaktion  konnte  aus 
äußeren  Gründen  nicht  gemacht  werden.  Verf.  stellt  in  zwei 
beigefügten  Tabellen  den  Typhusveiiauf  der  34  Geimpften  und 
34  Nichtgeimi)ften  gegenüber.  Es  ergaben  sich  folgende  Mittel- 
wei'te :  Von  den  Geimpften  starben:  O'*/'«;  schwere  Komplikationen 
hatten:  8-8 "/o ;  über  40”  C  hatten:  48-3'yo.  Von  den  Nichtgeimpften 
starben :  8-8'*, o ;  schwere  Komplikationen  hei :  22'6®/o ;  über  40°  C 
bei:  79'2‘^/o.  Ueber  40°  C  Fieber  dauerte  durchschnittlich  bei  Ge¬ 
impften  1-4  Tage,  bei  Nichtgeimpften  2-4  Tage.  Ueber  39°  C  Fieber 
bei  Geimpften  6-2  Tage,  bei  Nichtgeimpften  9-3  Tage.  Das  Fieber 
dauerte  überhaupt  Ijei  den  Nichtgeimpften  länger -als  bei  den 
Geimpften.  Aus  dieser  Gegenüberstellung  geht  hervor,  daß  der 
Geimpfte  durchschnittlich  bessere  Chancen  hat  als  der  Nicht¬ 
geimpfte.  Mehrfache  Impfungen  ergaben  keinen  auffallenden  Unter¬ 
schied.  Die  Behandlung  war  bei  beiden  gleich  und  bestand  aus 
Bettruhe,  Diät  und  kühlen  Bädern.  Antipyretika  wurden  nicht 
verordnet.  Nach  der  Statistik  des  Verfassers  scheint  durch  die 
Impfung  am  meisten  die  Zahl  der  Todesfälle  heruntergedrückt 
zu  werden,  dann  folgt  die  Zahl  der  Komplikationen  und  schließ*- 
lich  die  Höhe  und  Dauer  des  Fiebers.  Verf.  hebt  zum  Scldusse 
hervor,  daß  die  Zahl  seiner  Beobachtungen  wohl  relativ  klein 
sei,  daß  aber  der  Umstand,  daß  nur  exakte  Daten  für  den  Ver¬ 
gleich  zwischen  Krankheitsverlauf  bei  Geimpften  und  Nicht¬ 
geimpften  herangezogen  wurden,  der  Arbeit  doch  einen  gewissen 
Wert  verleiht.  —  (Münchener  medizinische  Wochenschrift  1907, 
Nr.  16.)  G. 

* 

336.  (Aus  dem  London-Hospital  AVhitechapel.)  Ein  Fall 

von  abnormer  Entwicklung  des  Oesophagus.  Von 
J.  E.  Spicer.  Es  handelte  sich  um  ein  neugeborenes,  normal 
und  rechtzeitig  zur  Welt  gekommenes  Kind,  welches  22  Stunden 
nach  der  Geburt  starb.  Die  Obduklion  ergab  eine  Unvollständig^ 
keit  im  Septum  tracheooesophageale.  Der  obere  Teil  des  Oeso¬ 
phagus  endete  nach  unten  zu  in  einen  Blindsack,  der  untere 
mündete  nach  oben  zu  in  die  Trachea.  Es  bestanden  noch  fol¬ 
gende  Mißbildungen :  Offenes  Foramen  ovale,  Anomalien  der 
Mündungsweise  der  arteriellen  und  venösen  Gefäße  in  das  Herz, 
Hypertrophie  des  rechten  Herzohres  und  des  Ventrikels,  eine 
rechte  und  linke  Vena  cava  superior,  Fehlen  eines  eigentlichen 
Arcus  aortae,  Verengerung  des  linken  Harnleiters,  Anus  imper¬ 
foratus  bei  gut  entwickeltem  S.  Bomanum.  Die  übrigen  Organe 
waren  normal.  —  (Lancet,  19.  Januar  1907.)  J.  Sch. 

337.  (Aus  der  Frauenklinik  und  dem  pathologischen  In¬ 
stitute  der  Universität  Leipzig.)  Die  Veränderungen  an  Pla¬ 
zenta,  Nabelschnur  und  E  i  h  ä  u  t  e  n  bei  Syphilis  u  n  d 
ihre  Beziehungen  zur  S  p  i  r  o  c  h  a  e  t  e  pallid  a.  Von  D  ok  tor 
F.  Mohn.  Makroskopisch  fällt  an  den  Plazenten  Syphilitischer 
die  Größe,  Derbheit  und  Brüchigkeit,  die  blasse,  graugelbliche 
Farbe  Und  Schwere,  besonders  in  dem  Verhältnisse  zu  dem  oft 
sehr  geringen  Gewichte  des  Fötus  vor  allem'  auf.  Die  Höhe  des 
absoluten  Gewichtes  hat  sicher  nichts  für  Lues  Charakteristisches, 
aber  auch  das  relative  Gewicht  gibt  differentialdiagnostisch  einen 
ebensowenig  sicheren  Anhaltspunkt;  doch  ist  ein  hohes  rela¬ 
tives  Gewicht  der  Plazenta  verdächiig  für  Lues.  Bei  16  syphili¬ 
tischen  Plazenten,  die  auf  Spirochäten  untersucht  wurden,  waren 
sie  sechsmal  nachweisbar,  zum  Teile  allerdings  sehr  spärlich. 
Diabei  fanden  sie  sich  lediglich  im  fötalen  Anteile  der  Plazenta, 
vor  (allemi  in  den  Zotten,  nur  einmal  in  der  Membrana  chord,  nie 
aber  in  der  Plazenta  materna  und  den  intervillösen  Räumen. 
In  drei  Plazenten  konnte  Mohn  die  Spirochäten  außerdem  in 
den  Gefäßen  selbst  nachAveisen.  Niemals  waren  die  Spirochäten 
in  der  Serotina  zu  finden.  Zu  finden  waren  die  normalen  oder 
etwas  bindegewebsreichen  Zotten  in  der  Umgebung  sehr  leuko¬ 
zytenreicher  Infiltrationen.  Die  Schlüsse,  welche  Mohn  aus 
seinen  Untersuchungen  an  26  syphilitischen  Plazenten,  Eihäuten 
und  Nabelschnüren  zieht,  sind  folgende:  1.  Nur  selten  sind  die 
Eihäuto  völlig  normal  (2);  2.  das  Chorion  ist  bedeutend  häufiger 
infiltriert  (25)  als  das  Amnion  (12);  3.  das  Amnion  wird  allein 
ino  befallen;  4.  besonders  gern  scheinen  bei  längerer  Reten¬ 
tion  der  Plazenta  im  Uterus  Leukozyteninvasionen  in  bci;le  Ei¬ 
häute  zu  erfolgen;  5.  Gonorrhoe  und  Endometritis  üben  einen 
entschiedenen  Eiuflußi  auf  die  Eihäute  aus,  vorzüglich  aber  nur 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


auf  da«  Chorion;  6.  ob  auch  die  Syphilis  der  Mutter  allein  eine 
Leuko/.yteninfillration  in  den  Eiliäulen  heiTorrufen  kann,  läl’d 
sich  aus  Älolins  ZusannnenstelhniK  Jiicdit  erselien.  .ledenfalls  wird 
sich  die  sichere  Entscheidung,  ol)  solche  Enlzündungserscdiei- 
nungen  in  den  Eiliäulen  spezifisch  -  syphililischer  Natur  sind  oder 
nicht,  nur  im  einzelnen  Falle  treffen  lassen  durch  den  positiven 
Nachweis  von  Spirochäten;  7.  eine  Eezieh'ung  zwischen  Slärkc 
der  Verändmaing  in  den  Ifihäulen  nnd  der  Infektion  der  Fruchl, 
wie  sie  Thomsen  annimmt,  hal  Mohn  nicht  wahinelimen 
k(jnnen,  ist  wohl  auch  nicht  wahrscheinlich  nach  dem  negativen 
Siiirochätenbefund.  • —  In  üher  öOTo  der  Fälle  war  ilie  Nahel- 
schniir  spirochälenhaltig,  während  in  fast  70°, <•  von  Fällen  mit 
Syphilis  der  Eltern  Siiirochäten  in  der  Nahelsclinur  äherhaiipt 
vorhanden  waren.  —  (Zeitschrift  für  Gehurtshilfe  und  Gynäkologie, 
Hd.  LIX,  Heft  2.)  _  E.  V. 

Vermisehte  l'laehriehten. 

Für  das  kommende  Studienjahr  wurde  der  Professor  für 
Histologie  Hofral  Dr.  Viktor  Ebner  v.  Rofenstein  zum  Rcklor 
der  Hniversitäl  und  I*rof.  Richaid  Pal  tauf  zum  Dekan  der 

medizinischen  Fakultät  in  Wien  gewählt. 

♦ 

P  rei  s  an  S'S  c  h  r  0  i  b  u  n  g.  Die  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien  schreihl  neuerdings  den  von  Med.  Dr.  Moritz 
Goldlierger  gestifleten  Preis  im  Retrage  von  K  2000  für  die 
hi'ste  Reantworlung  des  vom  Präsidium  gestellten  Preisthemas: 
,,E  x])e  r  ime  n  1  e  1 1  e  Reiträge  zur  Frage  der  Heein- 
flussung  von  ü  r  ga  n  s  y  s  t  ein  e  n  nnd  0  r  g  a  n  f  u  n  k  t  i  o  n  c  n 
untereinander,  in  normalen  oder  pathologischen 
Verhältnissen.“  Um  diesen  Preis  können  Aerzle  aus  Oester¬ 
reich-Ungarn  und  ganz  Deutschland  konkurrieren.  Berücksich¬ 
tigung  finden  nur  Arbcnten,  welche  in  deutscher  Sprache  verfaßit, 
his  längstens  15.  Mai  1909  an  das  Präsidium  der  k.  k.  Ge- 
sellscliaft  der  Aerzte  in  Wien,  mit  einem  Motto  versehen,  ein- 
g(‘sendet  werden.  Dazu  ist  ein  mit  demselhen  Molto  versehenes 
verschlossenes  Kuvert  einzusenden,  welches  Name  und  Adresse 
des  Aulors  enlhäll.  Die  Zuerkennung  des  Preises  erfolgt  in  der 
ersten,  im  Monate  Oklober  1909  statlfindenden  'Sitzung  der 
k.  k.  GesellschafI  der  Aerzte  in  IVien,  ulie  Ausfolgung  desselhen 
an  den  preisgekrönten  Rewerher  am  28.  Oktober,  als  dem  Sterbe¬ 
tage  des  Stiflers.  Hat  die  jireisgekröntc  Arbeit  mehr  als  einen 
Verfasser,  so  kann  der  Preis  unter  den  Verfassern  zu  gleichen 
Teilen  geteilt  werden.  Die  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
behält  sich  das  Recht  vor,  die  preisgekrönte  Arbeit  zu  publi- 
zieiam.  Im  übrigen  behält  der  Autor  alle  Rechte  an  seinem 
geistigen  Eigentume.*) 

Ernannt:  Die  außerordentlichen  Professoren  in  Budapest 
Dr.  Joh.  Bok^y  (Kinderheilkunde)  und  Dr.  Alexander  Kor  any  i 
(innere  Medizin)  zu  ordentlichen  Professoren  —  Prof.  Dr.  August 
Bier,  der  Nachfolger  v.  B  e  r  g  m  a  n  n  s  in  Berlin  zum  ordentlichen 
Professor  der  Chirurgie  bei  der  Kaiser  Wilhelmsakademie  für 
das  militärärztliche  Bildungswesen. 

* 

Verliehen:  Dem  ordentlichen  Professor  der  Kinderheil¬ 
kunde  Dr.  Matthias  Jakubowski  in  Krakau  aus  Anlaß  seiner 
üebernahme  in  den  Ruhestand  der  Titel  eines  Hofrates. 

* 

H  a  h  i  1  i  tier  t:  In  'Wien:  Dr.  Wilhelm  Falta  für  innere 
i\l('dizin  und  Dr.  Heinrich  Neumann  für  Ohi'onheilkunde.  — 
An  der  höhmischen  Pniversilät  in  Prag:  Dr.  Anton  Ostreil 
für  (iehurlshilfe  und  Dr.  Ottokar  Rutvirt  für  Ohren-,  Nasen- 
und  Bachenkiankheilen.  —  Dr.  Wolfgang  Heu  h  nor  für  Phar¬ 
makologie'  ill  Slraßhui-g.  —  Dr.  Löh  für  experimenlelle  Palho- 
logie  in  Basel. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  Anatomie  in  Bordeaux 
Dr.  A.  Cannieu.  —  Der  Professor  der  externen  Pathologie  in 
Charkow  Dr.  S  o  k  o  1  o  w. 

* 

Nach  dem  vom  Primarärzte  Dr.  .Tosef  Heim  erslallelen 
ärztlichen  .lahix'sberichh'  des  St.  .1  o  s e  f  -  K  i  n  de  r  sp  i  t  a  1  o  s  in 


*)  Nach  ^  1  h  des  Statuts  kann  der  Preis,  falls  die  ausgeschrieliene 
Preistrage  iibc'rhaupt  keine  oder  keine  befriedigende  Beantwortung  erfahren 
hat,  dein  )ei’fasser  der  liesten  im  J/iufe  der  letzten  drei  .lahre  vor  Schluß 
des  Kinreichungstermines  erschienenen  oder  ad  hoc  im  Manuskrijite  dem 
Präsidium  der  k.  k.  Gesellscliaft  der  Aerzte  vorgelegten  Untersuchungen 
aus  dem  Gebiete  der  medizinischen  Wissenschaften,  mit  Einschluß  der 
theoretischen  Fächoi*,  vei’liehen  werden. 


Wi('n  sind  HlOß  daseihst  1200  Kinder  in  Behaiidlung  gestanden.  Das 
Sterhlichkeitsprozenl  belrug  im  allgemeinen  12-8o.  Nebst  den  im 
Spitale  verpflegten  1200  Kiiuh'rn  wurden  13494  Kinder  im  Am- 
bulaloi'ium  behandelt  und  55  Kinder  geimpfi.  Es  waren  somit  im 
Jahre  1906  im  ganzen  14.749  Kinder  hehandelt  worden.  Mit 
Diphtherie  wai'en  316  Kinder  aufgenommen  worden.  Sti'rblich- 
keit  —  12-38"/n. 

* 

Zu  Beginn  der  am  15.  .Tuni  1907  ahgehaltenen  Sitzung 
dos  Obersten  Sanitäts  rates  widmete  der  Vorsitzende 
Hofrat  v.  Vogel  dem  verstorbenen  Mitgliede  des  Fachrates 
Ohersanitätsrat  Hofrat  Jordan  einen  warmen  Nachruf.  Hierauf 
wurden  nachstehende  Gegenstände  in  Beratung  gezogen  :  1.  Fort¬ 
setzung  dos  Referates  über  die  spezialistische  Aus¬ 
bildung  der  Aerzte  (Referent :  Hofrat  E  x  n  e  r  namens  des 
Spezialkomitees);  2.  Gutachten  über  einige  in  Verkehr  gebrachte 
Haarfärbemittel  (Referent:  Professor  K  r  a  t  s  c  h  m  e  r) ; 
3.  Gutachten  über  die  Zulässigkeit  der  Verwendung  von  Ameisen¬ 
säure  als  Konservierungsmittel  fi'ir  F  ruchtsäfte 
(Referent:  Derselbe);  4.  Gutachten  über  die  Verwendung  von 
Pflanzenfett  (Kunerol)  in  G  e  f  a  n  g  e  n  a  n  s  t  a  1 1  e  n  (Referent : 
Derselbe);  5.  B  e  s  e  tz  u  n  g  s  v  o  r  s  c  h  1  ä  g  e  für  die  Besetzung 
der  erledigten  Stelle  eines  Landes-Sanitätsreferenten 
in  M  ähren  und  je  einer  Oberbozirksarztesstelle  in 
0  b  e  r  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  und  in  Tirol  (Referent:  Ministerialrat 
D  aimer).  Zum  Schlüsse  der  Sitzung  wurde  von  den  Ober¬ 
sanitätsräten  Hofrat  Chrobak,  Hofrat  Freiherrn  v.  Eiseis¬ 
berg  und  Hof  rat  v.  J  ak  s  c  h  ein  Initiativantrag  wegen  Abstellung 
einiger  Uebelstände  bei  den  die  Weltkurorte  Böhmens  verbindenden 
Eisenbahnzügeneingebracht.  Schließlich  wurde  ein  Memorandum 
der  Vereinigung  österreichischer  Hochschuldozenten  in  Ange¬ 
legenheit  der  Besetzung  spezialärztlicher  Stellen  in 
den  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  zur  Kenntnis  des  Obersten 
Sanitätsrates  gebracht. 

* 

Vorläufiges  Ergebnis  der  S  a  n  i  t  ä  t  s  s  tati  s  l  i  k  bei 
der  Mannschaft  des  k.  und  k.  Heeres  im  A])ril  1907. 
Krankenzugang  21.037  Mann,  entsprechend  69%o  der  durchschnitt¬ 
lichen  Kopfsfärke;  an  Heilanstalten  ahgegeben  9486  Mann,  <'nt.- 
sprcchend  SP/oo  der  durchschnittlichen  Kopfstärke;  Todesfälle 
63  Mann,  entsprechend  0-207oo  der  durchschnittlichen  Kopfstärke. 

* 

Dr.  Ludwig  Moszkowicz,  Priniararzt  des  Rudolfincj'- 
hauscs,  ordiniert  IX.,  Alserstraße  20,  von  3  his  4  Uhr.  Telephon¬ 
nummer  18.533. 


Freie  Stellen. 

Distriktsarztesstelle  für  den  Sanilätsdistrikt  Stift 
T  e  p  1  (Böhmen),  welcher  zwölf  Ortsgemeinden  mit  einem  Flächeninhalte 
von  6  '720  ha  und  einer  Bevölkerung  von  2784  Seelen  umfaßt.  Mit  dieser 
Stelle  ist  der  Bezug  eines  Jahresgehaltes  von  K  800  und  eines  Reise¬ 
pauschales  jährlicher  K  270  verbunden.  Die  ordnungsmäßig  belegten 
Gesuche,  welchen  auch  ein  von  einem  landesfürstlichen  Bezirksarzte 
ausgestelltes  oder  bestätigtes  Zeugnis  über  die  physische  Diensttauglichr 
keit  des  Bewerbers  beizuschließen  ist,  sind  bis  30.  Juni  1.  J.  beim 
Bezirksausschüsse  Tepl  einzubringen.  Der  Amtssitz  des  Distriktsarztes 
befindet  sich  in  der  Gemeinde  Stift  Tepl  und  besteht  die  Aussicht,  daß 
der  Distriktsarzt  auch  als  Ordinarius  des  Stiftes  Tepl  bestellt  wird. 

Distriktsarztesstelle  für  die  Sanitätsdistrikte  in  K  r  a  i  n : 
1.  Großlupp  mit  dem  Jahresgehalte  von  K  1600;  2.  Möttling  mit 
dem  Jahresgehalte  von  K  1400  und  3.  Tr  ata  mit  dem  Jahresgehalte 
von  K  1600.  Mit  jeder  dieser  Stellen  ist  auch  eine  Aktivitätszulage  von 
K  200  verbunden.  Außerdem  wird  der  Distriktsarzt  in  Großlupp  noch 
von  der  Sanitätsdistriktsvertretung  einen  Zuschuß  jährlicher  K  600  inso- 
lange  beziehen,  bis  er  die  Bahnarztesstelle  daselbst  erhält.  Bewerber 
um  eine  dieser  Stellen  haben  ihre  Gesuche  bis  15.  Juli  1907  an  den 
Landesausschnß  des  Herzogtums  Krain  einzusenden  und  in  denselben 
das  Alter,  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  die 
österreichische  Staatsbürgerschaft,  physische  Eignung,  moralische  Unbe¬ 
scholtenheit,  bisherige  Verwendung  und  Kenntnis  der  slowenischen  und 
deutschen  Sprache  nachzuweisen.  Beigefügt  wird,  daß  nur  solche  Be¬ 
werber  berücksichtigt  werden,  welche  eine  zweijährige  Spitalspraxis 
nachzuweisen  vermögen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeinde  0  ber- 
k  a  p  e  1 1  (Oberösterreich),  Bezirk  Rohrbach,  mit  einer  Einwohnerzahl 
von  2038  Seelen.  Mit  dieser  Stelle  ist  ein  jährlicher  Gehalt  von  K  600 
seitens  der  Gemeinde  und  eine  Landessubvention  von  K  1000  verbunden. 
Bewerber  wollen  ihre  mit  den  Nachweisen  der  ärztlichen  Befähigung, 
der  österreichischen  Staatsbürgerschaft,  der  physischen  Eignung,  der 
moralischen  Unbescholtenheit,  des  Alters  und  der  Konfession  versehenen 
Gesuche  bis  20.  A  u  gu  s  1 1.  J.  entweder  direkt  beim  oberösterreichischen 
Landesausschusse  oder  im  'Wege  der  Sanitätsgemeindevertretung  Ober¬ 
kappel  überreichen.  Der  Posten  kann  sofort  provisorisch  von  der 
Sanitätsgemeindevertretung  verliehen  werden. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


811 


Yerhandlangen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Eongreßberichte. 

INHALT: 

Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  ia  Wien.  I  24.  Kong^reß  für  innere  Medizin  zu  Wieshaden,  vom  15.  bis 
Sitzung  vom  21.  Juni  1907.  t  18.  April  1907. 


Offizielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der 

Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  21.  Juni  1907. 

Vorsitzender:  Hofrat  Prof.  v.  Ebner. 

Schriftführei :  Dr.  Blau. 

Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg  stellt  den  An  (.rag,  es 
möge  in  Anbetracht  der  größeren  Zahl  angenieldeter  Vorträge 
und  bei  der  andauernd  regen  Beteiligung  an  den  Sitzungen  vor 
den  Sonnnexferien  noch  eine  Sitzung  stattfinden. 

Dieser  Antrag  wird  angenoinnien  und  der  28.  Juni  als  letzter 
Sitzungstag  bcstinnnt. 

Hofrat  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg  stellt  einen  86jährigon 
Hann  vor,  der  im  April  1.  J.  die  Klinik  mit  der  Angabe  aufsudde, 
daßi  er  seit  zwei  Jahren  leidend  sei.  Seit  dieser  Zeit  breche 
er  oft  nach  Mahlzeiten  im  Unmittelbaren  Anschlüsse  an  die  Atah- 
rungsaufnahme  und  habe  dabei  das  Gefühl,  als  ob  die  Nahrung 
gar  nicht  in  den  Magen  gelangt  sei.  In  letzter  Zeit  sei  es  vor- 
gekominen,  daß  auch  tags  zuvor  aufgenommeue  Nahrung  in  voll¬ 
kommen  unverdautem  Zustande  erbrochen  wurde.  Er  habe  bis¬ 
her  um  zirka,  neun  Kilogramm  abgenommen.  Diese  iVugaben 
des  Patienten  erwiesen  sich  während  der  Spitalsbeobachtung  als 
vollkommen  richtig  und  wäre  noch  hinzuzufügen,  daß'  Sondie- 
mngsversuche  ein  zirka  in  der  Höhe  der  Kardia  sitzendes  Hindernis 
ergaben,  welches  insofernc  absolut  genannt  werden  mußte,  als 
auch  feinste  Sonden  niemals  in  den  Magen  gelangten.  Damit 
stimmte  auch  überein,  'daß.  Pät.,  während  er  in  der  Klinik  be¬ 
obachtet  wurde,  selbst  Flüssigkeiten  meistens  nicht  in  den  xtlagen 
lu’achte,  sondern  wenige  Minuten  nach  ihrer  Aufnahme  erbrach. 
Nur  selten  konnte  der  Patient  etwas  in  den  Magen  hinabbringen. 
Der  Gedanke  an  ein  Carcinoma  oesophagi  mußte  in  Anbetracht 
des  langen  Bestandes  des  Leidens  hei  relativ  doch  nicht  so 
hocligradiger  Abmagerung  und  dem  gleichzeitigen  Befunde  einer 
so  hochgradigen  Stenose  fallen  gelassen  werden  und  man  dachte 
von  vornherein  an  ein  Divertikel  des  Oesophagus.  Damit  stimmten 
auch  Röntgenbiider  überein,  die  nacli  Füllung  des  Oesophagus 
mit  Wismutbrei  aufgenommen  wurden.  Dieselben  ergaben  eine 
mächtige  Aussackung  des  Oesophagus  im  kardialen  Anteile,  wobei 
eben  nur  der  tiefe  Sitz  der  als  Divertikel  gedeuteton  Aussackung 
auffallen  mußte.  Es  konnte  sich  aber  noch  immer  um  ein  so 
tief  hinabreichendes  Divertikel  handeln.  Niemals  jedoch  wurde, 
trotz  sorgfältiger  Beobachtung,  beim  Verschlucken  von  Flüssig- 
heilen  eine  iVnschwellimg  am  Halse  des  Patienten  heoliacldet, 
die  auf  den  eventuellen  Abgang  des  Diverlikels  liingewiesen  tiäite. 
Dem  borabgekommenen  Patienten  wurde  nun  zunächst  eine  Gastro¬ 
stomie  als  Ernährungsfistel  nach  dem  Witzelschen  Ihinzipe 
angelegt  Und  erst  nachdem  er  sich  einigcrmaßien  eriiolt  hatte, 
wurde  die  Oesophagoskopie  ausgeführt.  Dabei  kam  ich  in  einen 
Bliudsack,  aus  dem  ich  r'eichlich  alte  Speisereste  entleerte;  nirgends 
konnte  ich  mehr  eine  Andeutung  von  Licldung  finden,  so  daß 
auch  durch  'diese  Untersuchung  der  Verdacht  auf  Oesophagus- 
diverlikel  bestätigt  erschien,  wenngleich  die  Mündung  desselben 
in  den  Oesophagus,  bzw.  der  Abgang  von  letzterem  auch  durch 
diese  Methode  der  Untersuchung  nicht  festgestellt  werden  konnte. 
Pat.  reagierte  auf  die  Oesophagoskopie  mit  einer  Eintagspneumonie. 
Nach  voliständig'er  Erholung  wünsclde  er  dringend  eine  Beseili- 
gung  seines  Oesophagusdivertikels  —  die  Diagnose  halte  der 
Patieni  sclion  ans  Rußland  fertig  miigebracht  — ,  es  war  al)er 
im  voiliegenden  Falle  scliwer,  zu  entsclieiden,  ob  man  vom 
Halse  aus  oder  per  laparoiomiam  eingehen  solle.  Der  beste  Weg, 
von  hinten  mit  Resektion  einer  entsprechenden  Anzaid  von 
Rippen,  erschien  mir  in  Anbetracht  der  doch  nicht  klar  liegenden 
V’erhällnisse  zu  eingreifend.  Nun  ergai)en,  am  Tage  vor  der 
Operation  neuerdings  angefertigte  Röntgenbiider  zwar  wieder  eine 
scharf  begrenzte,  große  Aussackung  des  Oesophagus  i:u  kardialen 
Teile,  aber  diesmal  setzte  sich  der  Wismutschatteu  iu  Form 
eines  fingerförmigen  Fortsatzes'  gegen  den  Magen  zu  fort.  Damit 
mußte  die  Diagnose  Divertikel  fallen;  denn  derartige  Fort¬ 
setzungen  eines  Divertikels  kommen  nicht  vor.  Man  mußte  jetzt 
die  Diagnose  auf  Dilatation  des  Oesopluigus,  wahrsciieinlicli  auf 
Grund  von  Oesophagospasmus,  machen.  Daß'  die  neuerlichen 
Röntgenaufnahm'en  gegen  die  früheren  in  der  genannten  Weise 
kontrastierten,  hatte  seinen  walirscheinliclien  Grumt  darin,  «laß 


durcli  die  woclienlango  Ausschaltung  des  Oesopliagus  diircii  die 
Witze  Ische  Gastrostomiefistcl  der  Kartliospasmns  nactigelass('U 
lialte.  Daraufhin  entschloßi  ich  mich,  per  laparotomiam  eiiizu- 
geben.  Ich  eröffnete  den  Magen  so  weit,  daß  icli  die  ganze 
Hand  einfüliren  konnte  und  sondierte  die  Kardia.  Wälirend  an¬ 
fangs  nur  ganz  dünne  Steinsonden  in  die  Kardia  eingei'üiivt 
werden  konnten,  passierten  schließilicli  stärkere  und  endlich  komit'C 
ich  den  Daumen  einführen.  In  ganz  charakteristischer  Weise 
trat  jetzt  ein  Kardiospasmus  mit  derartiger  Vehemenz  auf,  daß 
mein  .Daumen  fest  innklammert  wurde  und  ich  in  dems('il)en 
ein  ganz  taubes  Gefühl  bekam.  Der  Krampf  ließ'  jedoch  l)ald 
nach  und  nun  dilatierte  ich  die  Kardia  in  gieichmäßäger  Weise, 
wozu  mir  der  Daumen  sicherer  erschien  als  die  seinerzeit  von 
V.  Mikulicz  vorgescldagene  Kornzange.  Vom.  IMimde  her  wurden 
nun  Bougies  eingeführt  und  schließlich  gelang  es,  den  seinerzeit 
von  mir  angegebenen  konischen  Schlauch  vom  Alagcn  lier  ilurcli 
die  Kardia  durchzuzichen.  Nun  wurde  ein  am  Katheter  der 
Witzelschen  Gastroslomio  befestigter  Faden  durch  den  Oeso¬ 
phagus  gezogen  und  beim  Munde  heransgeleitet,  um  jederzeit 
sicher  den  Oesophagus  bougieren  zu  können.  Die  Operation 
wurde  in  typischer  Weise  lieendet. 

D'or  Kranke  ist  jetzt  völlig  geheilt.  Es  gelingt,  ohne  jed¬ 
wede  Schwierigkeit  Bougies  Nr.  24  vom  Munde  aus  in  den  Magen 
einzuführen.  Es  sind  zwar  in  der  Literatur  eine  •  Reihe  von 
Fällen  bekannt,  bei  denen  es  sich  um  hochgradigen  Ocsopliago- 
spasnms  handelte,  die  Fälle  aber,  in  denen  es  im  Anscldusse 
an  den  Kardiospasmus  zu  so  hochgradiger  Oesophagusdilaiation 
kommt,  sind  Seltenheiten. 

Prof.  Dr.  Julius  Tandler:  IMeine  Herren!  Es  ist  eine  iie- 
kannte  Tatsache,  daß  nicht  nur  die  Gelenksflächen,  sondern  auch 
die  Muskellänge  abhängig  ist  von  den  Bewegnngsmechanismen, 
welche  in  den  betreffenden  Gelenken  durchgeführt  werden.  Viel¬ 
fach  hängt  ja  auch  die  Ruhestellung  der  Gelenke  von  dem  Tonus 
und  der  Länge  der  diese  Gelenke  beherrschendeil  Muskeln  ab. 
An  manchen  Gelenken  stellen  die  an  eine  bestimmte,  Funktion 
angepaßien  Muskellängen  sogar  direkt  Hemmnngsapparate  inso-* 
weit  dar,  als  sie  die  Exkursionsbreite  des  Gelenkes  beschränken, 
vielfach  sogar  Bewegungsautomatismen  begünstigen.  So  sehen 
wir  auch  am  Kniegeienke  eine  solche  Anpassungserscheinung 
insoferne  Platz  greifen,  als  der  Kniestrecker,  der  Muscidus  quadri¬ 
ceps,  fiinklionell  und  anatomisch  für  die  maximale  Abbeugung 
des  Kniegelenkes  zu  kurz  wird  und  so  eine  automatisclie  Streck- 
vorrichtnng  dieses  Gelenkes  darstellt.  Da.  icli  mich  seit  vielen 
Jahren  gerade  mit  der  Frage  des  Einflusses  des  Muskeltonns 
auf  die  habituelle  Stellung  der  Gelenke  vom  küiistleriscli  anatomi¬ 
schen  Standpunkte  beschäftige,  so  war  gerade  das  vor  einiger 
Zeit  vom  Kollegen  Erben  liier  zur  Entlarvung  eines  Simiilan len 
demonstrierte  Experiment  für  mich  von  besonderem  Interesse. 
Das  Experiment  von  Erben  bestand  in  folgendem:  Legt  man 
einen  Menschen  auf  seine  Bauchseite  und  beugt  man  nun  das 
Knie  durch  Erheben  des  Unterschenkels  hei  entspannter  Mus¬ 
kulatur,  so  fällt  der  Unterschenkel,  der  Schwere  folgend,  lioden- 
wäi'ts.  Wenn  nun  die  Abbeiigung  des  Kniegelenkes  einen  rechten 
Winkel  überschreitet,  so  würde  nach  den  Worten  Er  hens  ein 
schlaff  gelähmter  Unterschenkel  jetzt  stehen  bleiben  oder  ver¬ 
möge  seiner  Schwere  die  Kniebeugung  noch  vermehren.  Der 
von  Erben  demonstrierte  Batient  aber  vollzog  auch  jetzt  eine 
wuchiigo  Kniestreckimg.  Nach  der  Meinung  Er  he  ns  müß'te  nun 
die  erste  Hälfte  dieser  Bewegung  durcli  Kontraktion  des  Knie- 
slreckers  bewirkt  sein.  Es  ist  selhstverständlicli,  daßi  ich  dieses 
Verfahren  in  seiner  kliiiisclien  Gebrauclisfähigkeit  nicht  zu  be¬ 
urteilen  vermag,  will  aber  zugehen,  daß  es  in  dieser  Weise  ge¬ 
lingt,  Simulanten  zu  entlarven.  Nur  die  Argumentation  zu  diesem 
Experimente,  d.  h.  daß  ein  aktives  Kontraktionsphänomen  des 
Musculus  (luadriceps  femoris  notwendig  sei  für  die  erste  Hälfle 
der  beschriebenen  Bewegung,  niiißi  ich  auf  Grundlage  einer  Reilie 
von  Experimenlcn  anzweifeln.  Legt  man  einen  normalen  Men- 
sclien  auf  einer  liorizonlalcn  Unleriagc  auf  den  Bauch  und  beugt 
<lami  si'in  Kiiiegeienk  über  einen  rechten  Winkel  bei  vollkommen 
ersclda fiter  Muskulatur  dos  Beines,  so  sclmelll  der  Unterschenkel 
wieder  anaiomiscli  in  die  Strccksteltimg  zurück.  Bei  genauer 
Beobachtung  der  Beckenstellung  siebt  man,  daß  bei  starker  Ab¬ 
beugung  des  Kniegelenkes  das  Hüftgelenk  ein  wenig  mitgebeugt 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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wird  lind  daß  die  Ijordose  der  Wirlielsänle  ein  wenig  vergrüßerl 
wird.  G](Mcli7X!itig  äußern  die  lie  I  reffen  den  Un|ersnclit''n  schnierz- 
hafkis  Ileinniung.sgefühl  an  der  Vorderseite  Ihres  Oberscdienkels. 
Will  ein  Miuisch  in  der  Haiudilage  seinen  Unterschenkel  in  der 
neugeslelhing  jensdts  des  rechten  Winkels'  hehalten,  so  gehört 
dazu  eine  ziemlich  kräflige  Kontraktion  seiner  Knieheuger.  Ich 
hah(‘  solche  Experimente  in  großer  Zahl  an  normalen  Älenschen 
durchgeführt  und  cs  läßt  sich  zeigen,  daß  die  Schmdligkeit,  mit 
wi'lcher  der  Unti  j'schenke!  liotlenwärts  z'urückgeschnellt  wird,  im 
allgcmeimm  vom  Tonus  des  Ouadrizeps  alihängt.  Zwei  Herren 
unseres  Instil utes  hahen  sich  in  lielienswürdiger  Weise  bereil 
erklärt,  dieses  Exiierimenl  hier  an  sich  vornehmen  zu  lassen  nnd 
ich  werde  es  den  Herren  dann  sofort  demonstrieren.  Ich  lialie 
bisher  noch  keinen  nonnalen  ]\lensclien  gefunden,  an  w'elchem 
dieses  Phänomen  nicht  prompt  eintreten  würde.  Ihn  alier  zu 
zeigen,  daß  es  sich  liier  nicht  nur  um  eine  funklionelle/sondern 
auch  um  eine  analomische  Kürze  des  Kniestreckers  handelt,  hala* 
ich  aiudi  Leichen  in  Hauchlage  gebracht  und  an  ihnen  experi- 
menliert.  Beugt  man  bei  nicht  mehr  tolenstarren  Leichen  das 
Kniegelenk  in  der  besprochenen  Weise  ah,  so  geben  die  meisten 
Leichen  iliesellie  Erscheinung  wie  der  Lebende.  Auch  die  Beu¬ 
gung  des  Hüftgelenke.s  bei  starker  Flexion  des  Kniegelenkes  kann 
deutlich  zur  Ansicht  gebracht  tverden.  Das  Exiieriment  fällt  so¬ 
lange  posiliv  aus,  bis  der  tote  Muskel  schließlich  vollkommen 
ühi'rdi'hnt  ist.  An  einzelnen  Leichen  konnte  ich  über  50  Beu¬ 
gungen  durchführen,  ohne  das  Phänomen  zum  Schwinden  zu 
bringen.  Durchschneidet  man  nun  den  Musculus  rectus  femoris, 
so  bh'ibt  der  Unterschenkel  sofort  gebeugt,  resp.  er  sinkt  noch 
gegen  dim  Oberschenkel  hinunter,  ein  Beweis,  daß  gerade  dieser 
Kopf  des  Ouadrizeps  die  Hauid.hemmung  abgihl.  Auch  der  nar¬ 
kotisierte  Mensch,  hei  dem  gewiß  das  aktive  Kontrakt ionsjihänonien 
auszuschalten  ist,  streckt  bei  der  gegebenen  Versuchsanordnung 
das  Kniegelenk  automatisch.  Man  kann  die  relative  Insufl'izienz 
des  Ouadrizeps  auch  noch  erweisen,  wenn  man  einen  Menschen 
so  auf  einer  Tischplatte  in  Rückenlage  bringt,  daß  seine  Unter¬ 
schenkel  frei  über  die  Tischkante  hinunterhängen;  dann  sind 
dii'se  nicht  lotrecht  eingestellt,  wie  es  der  Schwere  entsprechen 
würde,  sondern  sie  bilden  mit  dem  horizontalen  Oberschenkel 
(Inen  hodenwärts  gerichteten,  stumpfen  Winkel.  Ein  Beweis,  daß 
der  zu  kurze  Ouadrizeps  die  rechtwinklige  amuskuläre  Beugung 
des  Kniegelenkes  nicht  zugibt.  Bringt  der  Untersuchende  den 
Uiderschenkel  in  die  Lotrechte,  so  schnellt  er  automatisch  in 
die  früher  beschriebene  Stellung  zurück. 

IMeinc  Denen!  Die  relative  Kürze  der  Kniestrecker  hat  nicht 
nur  ihre  individuelle  Variante,  sondern  scheint  auch  nach  Rasse¬ 
zugehörigkeit  in  besonderer  Weise  zu  variieren.  Jeder  weiß,  wie 
verschieden  leicht  oder  schwer  den  einzelnen  Personen  die  tiefe 
Kniidreuge  wird  und  jedem,  der  heim  Militär  gedient  hat,  ist 
es  bekannt,  wie  viele  Rekruten  die  tiefe  Kniebeuge  trotz  aller 
Bemühung  nicht  ausführen  können.  Bedenkt  man  nun,  daß  es 
(dne  ganze  Zahl  von  Völkerschaften'  gibt,  bei  denen  die  liefe 
Ktiiebeuge  derart,  daß  die  Nates  die  Fersen  berühren,  eine  Pvuhe- 
Stellung  bedeutet,  so  ist  es  klar,  daß  eine  weitgehende  Differenz 
iit  der  Länge  des  Ouadrizeps  femoris  zwischen  den  Angehörigen 
solcher  Völkerschaften  und  den  Europäern  sein  muß.  Niemals 
wohl  wird  ein  Eui‘oi)äer  die  maximale  Abbeugung  des  Knie- 
gdenkes  als  Ruhestellung  für  sich  beanspruchen. 

Ich  möchte  nun  den  Anwesenden  die  besprochenen  Ex- 
p(-rimente  an  noiinalen  Menschen  mit  gut  entwickelter  Musku¬ 
latur  de  m  o  n  s  t  r  i  e  r  en . 

Piiv.-Doz.  Dr.  Max  Reiner:  Im  Anschlüsse  an  die  Aus¬ 
führungen  Prof.  Tandlers,  sowie  mit  Beziehung  auf  den  Fall, 
welchen  Priv.-Doz.  Dr.  Erben  vor  drei  Wochen  hier  vorgestellt 
hat,  erlauhe  ich  mir  einen  14jährigen  jungen  Mann  zu  demon¬ 
strieren,  der  mit  doppelseitiger  Quadrizepslähmung  behaftet 
ist.  Die  Lähmung  ist  die  Folge  einer  Attacke  von  Poliomyelitis, 
welche  der  Pat.  vor  sieben  Jahren  durchgemacht  hat.  Der  rechts¬ 
seitige  Ouadrizeps  ist  komplett  gelähmt,  links  läßt  sich  noch  eine 
minimale  Funktionsfähigkeit  des  Rectus  cruris  feststellen. 

Dieser  junge  Älann  zeigt,  wenn  man  ihn  auf  den  Bauch 
legt  und  die  Kniegelenke  über  den  rechten  AVinkel  hinaus  beugt, 
dasselbe  Phänomen,  welches,  wie  Tandler  eben  ausgeführt  hat, 
auch  bei  Gesunden  (und  auch  an  Leichen)  eintritt  —  der  Unter- 
scheidcel  schnellt  wieder  zurück,  trotzdem  bei  dieser  Versuchs¬ 
anordnung  der  Zug  der  Schwerkraft  im  Sinne  der  Vermehi'ung 
der  Beugung  wiikt.  In  unserem  Falle  fungiert  also  selbst  der  ge¬ 
lähmte  Ouadrizeps  (als  elastisches  Band)  noch  kräftig  genug,  um 
durch  seine  Vcikürzungstendenz  der  Schwerkraft  entgegen  zu 
wirken.  l*ls  g<'ht  daraus  auch  hervor,  daß  die  Verlängerung  des 
ufdähmlea  Muskfds  in  unstuem  Falle  keine  besonders  hoch¬ 
gradige  ist. 


Daß  aber  doch  eine  Verlängerung  des  gelähmten  Muskels 
stattgefunden  hat,  läßt  sich  durch  eine  Modifdeation  des  Versuches 
erweisen.  Ich  lagere  jetzt  den  Pat.  so,  daß  er  mit  der  Streckseite 
seiner  Oberschenkel  auf  einem  mäßig  hohen  Tische  liegt,  während 
er  den  Oberkörper  samt  dem  Becken  herunterhängen  läßt 
(wobei  sich  Pat.  mit  den  Händen  auf  den  Boden  stützt).  Nun 
ist  das  Hüftgelenk  gebeugt,  der  Musculus  rectus  cruris  durch  die 
Annäherung  seiner  Insertionspunkte  entspannt.  Beuge  ich  nun¬ 
mehr  den  Unterschenkel  über  den  rechten  Winkel,  so  fällt  die  Ferse 
gegen  das  Gesäß  herunter,  die  elastische  Wirkung  des  gelähmten 
Muskels  ist  jetzt  durch  seine  Entspannung  ausgeschaltet.  Bei  in¬ 
takten  Kniestreckern  dagegen  wird,  wie  ich  mich  an  Gesunden 
wiederholt  überzeugt  habe,  auch  unter  den  zuletzt  geschilderten 
Versuchsbedingungen  das  Rückfedern  in  die  Strecklage  beob¬ 
achtet. 

Im  allgemeinen  können  wir  sagen,  daß  die  beträchtliche 
Verlängerung,  welcher  gelähmte  Muskeln  oft  unterliegen,  nur  die 
Folge  der  Kontraktur  sind,  vorausgesetzt,  daß  der  gelähmte  Muskel 
an  der  konvexen  Seite  der  Deformität  verläuft.  Ist  aber,  wie  in 
unserem  Falle,  die  Kontrakturbildung  ausgeblieben,  so  hält  sich 
auch  die  Verlängerung  des  gelähmten  Muskels  in  mäßigen 
Grenzen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  mir  erlauben,  auf 
<las  Inter('sse,  das  dieser  Fall  auch  sonst  noch  bieiel,  binzuweisen. 
Es  handelt  sich  hier  um  eine  nahezu  isolierte  Lähmung  der 
Kniestrecker  bcidei'seits.  Mit  Ausnahme  der  beiden  stark  gc- 
schwäcditeii  Adduktoren  sind  alle  übrigen  Muskeln  der  beiden 
unteren  Extremitäten  vollkommen  funktionsfähig.  Ich  verweise 
insbesondere  auf  die  sehr  kräftigen  Glutaei,  die  iulaklen  Knie- 
beuger,  sowie  auf  die  kräftig  entwickelte  Wadenmuskidatur.  Ich 
ma.(die  auch  darauf  aufmerksam,  daß  dieser  Patient,  trotz  seiner 
Kniestreckerlähmuug,  weder  eine  Beugekoni rakfur  der  Kniegelenke, 
noch  eine  Hyperextension  derselben  akcpiiriert  hat.  Es  ist  nun 
interessant,  wie  dieser  Patient  den  bilateralen  Ausfall  der  mäch¬ 
tigen  Extensorgruppe  zu  decken  vermag. 

Im  Stehen  entbehrt  er  seine  Kniestrecker  gar  nicht;  der 
Ouadrizeps  ist  ja  auch  normalerweise  bei  der  sogenaunten  be- 
(piemen  Slehhaltnng  vollkommen  untätig  und  wird  nur  bei  der 
strammen  militärischen  Grundstellung  in  Anspruch  genommen. 

Beim  Gehen  aber  hat  der  Quadrizeps  normalerweise  in  zwei 
Phasen  des  Schrittes  Spannung  zu  entwickeln.  Einmal  in  dem 
Momente,  wo  das  eben  vorne  aufgesetzte  Bein  die  Rolle  des 
Stützbeines  übernommen  hat.  Da  geht  die  Schwerlinie  •  des 
Körpers  jioch  hinter  der  Achse  des  Kniegelenkes  vorliei,  sucht 
also  die  Beugung  zu  vermehren.  Dieser  Beugungstendenz  wirken 
noimalerweise  sowohl  die  Spannung  des  Quadrizeps,  als  auch 
die  Beschleunigung  entgegen,  welche  der  Älasse  des  Körpers  durch 
das  (hintere)  Stemmbein  eben  verliehen  worden  ist.  Unser  Patient 
deckt  nun  den  Ausfall  der  Quadrizepswirkung  durch  eine  be¬ 
sonders  kräftig  ausgeführte  Plantarflexion  des  Stemmbeines,  ver¬ 
mehrt  also  die  Schwerpunktsheschleunigung  durch  einen  übet" 
kräftigen  Abstoß  des  Stemmbeines  vom  Boden,.  Dadurch  gewinnt 
sein  Gang  den  stampfenden  Charakter,  den  Sie  an  jhm  wahr¬ 
nehmen. 

Noch  in  einer  zweiten  Phase  des  Schrittes  kommt  normaler¬ 
weise  die  Quadrizepswirkung  zur  Geltung,  sobald  sich  nämlich 
der  Rumpf  über  das  Stützbein  hinüber  nach  vorne  bewegt.  Der 
Rumpf  .beschreibt  hiebei  einen  Bogen,  dessen  Mittelpunkt  durch 
den  Fuß  des  Stützbeines  repräsentiert  wird.  Die  Höhe  di(ises 
Bogens  wird  nun  aber  in  der  Regel  durch  eine  entsprechende 
Kniebeuge  des  Stützbeines  (ca.  15°  nach  R.  du  B  o  i  s  -  Re  y  in  o  nd) 
nicht  unwesentlich  verringert.  Unserem  Patienten  .gestattet  nun 
zwar  seine  kräflige  Schwerpunktsbeschleunigung  auch  eine  leichte 
Kniebeuge,  aber  nicht  im  vollen  Ausmaße.  Die  Folge  davon 
ist,  daß  er  der  "Masse  seines  Körpers  höhere  Elengationen  in 
vertikaler  Richtung  erteilen  muß,  so  daß  sich  sein  Scheitel  beim 
Geben  stärker  hebt  und  senkt.  Indessen  tritt  dieses  Phänomen 
jetzt  weniger  deutlich  hervor,  als  es  vor  drei  Jahren,  als  ich 
den  Patienten  zum  ersten  Male  untersuchen  konnte,  der  Fall  war. 

Sehr  interessant  ist  der  Modus,  wie  der  Patient  beim  Trepp¬ 
absteigen  seinen  Quadrizc'ps  ersetzt.  Auch  hier  hat  dieser  Muskel 
als  antagonistischer  Synergist  zu  funktionieren,  indem  er  die 
KniebeUgung,  durch  welche  die  Verkürzung  des  (hinteren)  Beines 
um  die  Höhe  der  Stufe  bewirkt  wird,  regulieit.  Der  Patient 
weiß  nun  diese  Verkürzung  dadurch  entbehrlich  zu  machen,  daß 
er  .die  schwungbeinseitige  Körperhälfle  nach  voiaie  dreht  und 
sich  mit  der  kräftig  ausgestn'ckten  Fußispitze  auf  die  vorden* 
(unleri“)  Stufe  fallen  läßl.  Einerseits  eri’eicht  ei'  duridi  die  starke 
Ecpiinusslellting  eim*  Verlängerimg  des  Beines  und  verlängert  da- 
ilurch  die  Fallhöln“,  anderseits  sichert  er  durcdi  ilen  Zug  des 
gespannten  ÄIusculus  tricejis  dem  oberen  Tibiaende  und  damit 


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dem  Kniegelenke  eine  nach  rückwärls  wirkende  Komponente, 
so  (Iah  er  sich  auf  das  Hanghein  fallen  lassen  kann,  ohne  in 
dic'sem  Momente  die  Gefahr  dos  Zusammenknickens  im  Knie- 
geleidvo  für(drten  zu  müssen.  i 

Das  Treppa’iifsteigen,  wobei  der  Quadrize])S  ;ils  synergisti¬ 
scher  Agonist  tätig  ist,  bewirkt  unser  Patient  durch  energische 
Zuhilfenahme  seiner  erhaltenen  Extensorgruppen  CHüftstrecker, 
Wadenmnskeln).  Gegen  das  Einknicken  sichert  er  die  Ktiiegelenke 
dadurch,  daß  er  .seine  Rumpflast  vermittels  seiner  Arme  auf  die 
Streckfläcben  der  Oberschenkel  überträgt. 

Ich  unterlasse  es,  auf  die  übrigen  Ausfallserscheinungen, 
welche  beim  Niederselzen,  Aufstehen,  Bergauf-  und  Bergabsloig(m 
und  so  weiter  zutage  treten,  näher  einzugehen  und  verweise 
diesbezüglich  auf  meinen  Artikel  in  der  Zeitschrift  für  ortho¬ 
pädische  Chirurgie  1904. 

Hier  imöchte  ich  nur  noch  auf  die  nicht  unintcressanlio 
Tatsache  verweisen,  daß  unser  Patient  es  gelernt,  hat,  trotz  der 
EähmUtig  seiner  Kniestrecker  eine  Kniehocko  mäßigen  Grades 
auszuführeTi.  Die  Kniehocke  erfordert  bekanntlich  den  kräftigen 
Synergismus  aller  drei  großen  Extensorgruppen.  Bevor  unser 
Patient  die.ses  Experiment  ausführt,  stellt  er  sich  so  zwischen 
zwei  Stühle,  daß  er  im  Falle  des  Einknickens  mittels  der  beiden 
vorgestreckten  Hände  an  den  Sitzflächen  der  Stühle  einen  Hall 
findet.  Wie  Sie  sich  überzeugen,  kann  er  die  Beugung  der  Knie¬ 
gelenke  so  weit  treiben,  daß  diese  ungefähr  einen  Winkel  von 
150  bis  140*^  bilden.  Diese  Stellung  ist  charakteiisiert  durch  sehr 
starke  Vorneigehaltung  des  Rumpfes  und  durch  kräftigste  An¬ 
spannung  der  Glutäal-  und  der  Wadenmuskulatur. 

Diskussion:  Priv.-Doz.  Dr.  Erben:  Der  Kranke  des  Kollegen 
Reiner  liegt  am  Bauch,  ich  halte  seinen  Oberschenkel  erhoben  und 
mache  mit  dem  Unterschenkel  eine  extreme  Beugung.  Damit  sind 
alle  soeben  vorgebrachten  Einwände  gegen  die  Grundlage  meiner 
Methode  und  die  daraus  gefolgerten  Schlüsse  widerlegt.  Die 
elastische  Kraft  der  gedehnten  Muskeln  und  Bänder  reicht  jetzt 
nicht  aus,  den  über  das  Lotrechte  hinausgebeugten  Unterschenkel 
aus  seiner  Lage  zu  bringen;  der  Unterschenkel  verharrt  durch 
den  Zug  seiner  Schwere  gebeugt,  die  Schwerewirkung  überwindet 
dann  den  elastischen  Zug.  Das  kann  ich  an  den  meisten  Menschen 
zeigen  und  habe  ich  zu  Versuchszwecken  zwei  Frequentanten 
meines  Ambulatoriums  mitgebracht.  Nur  bei  fetten  Leuten  und 
bei  chroniseben  Veränderungen  am  Knie,  welche  die  Exkursions¬ 
größe  des  Gelenks  einschränken,  sinkt  der  extrem  gebeugte 
Unterschenkel  von  selbst  zurück  —  trotz  emporsteigenden  Ober¬ 
schenkels. 

Die  Kritik  des  Herrn  Prof.  Tandler  trifft  für  das,  was 
ich  das  vorige  Mal  an  dem  auf  dem  Boden  Liegenden  demonstriert 
habe,  zu.  Damals  ließ  icb  den  Oberschenkel  horizontal  liegen. 
Zuhause  machte  ich  die  Probe  auf  der  schiefen  Ebene  —  bei 
hochgelagerten  Knien  —  die  mir  hier  nicht  zur  Verfügung  stand. 
Jetzt  fiel  mir  ein,  daß  man  die  schiefe  Ebene  durch  Hochhalten 
des  Oberschenkels  ersetzen  kann,  wie  ich  es  eben  demonstriert 
habe.  Ich  begreife  nicht,  warum  Prof.  Tandler  bei  seiner 
weit  ausgreifenden  kritischen  Studie  verabsäumt  hat,  seine  Ver¬ 
suche  über  relative  Längeninsuffizienz  unter  anderem  auch  bei 
Schieflagerung  des  Oberschenkels  durchzuführen  ;  mein  voraus¬ 
gegangener  Vortrag  mußte  ihm  dazu  doch  die  Anregung  geben, 
er  hätte  dann  die  Wirkung  der  relativen  Längeninsuffizienz  des 
Kniestreckers  nicht  überschätzt. 

Durch  das  Hochlagern  des  Knies  steigere  ich  die  Wirkung 
der  Schwerkraft  und  der  Unterschenkel  bleibt  in  seiner  extremen 
Beugung  stehen.  Vermindere  ich  in  dieser  Einstellung  die  Beugung, 
so  federt  —  wie  Sie  sahen  —  der  Unterschenkel  beugewärts 
zurück;  in  die  Richtung  der  Beugung  zieht  ihn  die  Schwere.  Die 
von  Prof.  Tandler  betonte  relative  Längeninsuffizienz  des 
Kniestreckers  ist  unter  diesen  Umständen  kein  Hindernis  für  den 
positiven  Ausfall  meines  Versuchs.  Erfolgt  aus  dieser  extremen 
Kniebeugung  heraus  eine  Streckbewegung,  so  kann  dies  nur  durch 
willkürliche  Verkürzung  des  Kniestreckers  geschehen. 

Selbst  das,  was  ich  mit  dem  horizontal  gelagerten  Ober¬ 
schenkel  das  vorige  Mal  demonstrierte,  war  für  eine  willkürliche 
Innervation  des  Kniestreckers  charakteristisch.  Der  stark  zurück¬ 
gebeugte  Unterschenkel  wurde  blitzschnell  gestreckt. 
Durch  Versuche  an  Gesunden,  welche  die  Kniebeuger  zu  ent¬ 
spannen  vermögen,  weiß  ich,  daß  die  erste  Hälfte  einer  solchen 
Kniestreckung  langsam  und  zögernd  vor  sich  geht  (durch  den 
elastischen  Zug  der  gespannten  Muskeln  und  Bänder)  und  daß 
die  Streckbewegung  erst  in  der  zweiten  Hälfte  durch  das  Flinzu- 
kommen  der  Erdanziehung  eine  Beschleunigung  erfährt.  Mein 
Simulant  machte  aber  von  vorneberein  eine  blitzschnelle  Ex¬ 
tension. 


Erhebt  man  den  Unterschenkel  eines  am  Bauch  Liegenden 
in  der  geschilderten  Weise  und  stellt  ihn  mit  einer  leichten 
Neigung  gegen  die  Medianebene,  so  wird  bei  einer  komplcten 
(schlaffen)  Beinlähmung  infolge  der  nunmehr  veränderten  Schwere¬ 
wirkung  zunächst  eine  Vermehrung  der  Oberschenkelrolhmg  ein- 
treten  und  die  mediane  Neigung  des  Unterschenkels  wird  zu¬ 
nehmen.  Der  Simulant  jedoch  wird  eine  geradlinige  Streckung 
ausführen,  frei  von  einer  solchen  Seitenabweichung  des  Unter¬ 
schenkels.  Das  gibt  einen  weiteren  Prüfungsbehelf  beim  Verdacht 
von  Simulation. 

Priv.-Doz.  Dr.  Reiner:  Wenn  das  Experiment  bei  er¬ 
hobenem  Kniegelenke,  resp.  bei  der  Lagerung  des  Patienten  auf 
eine  schiefe  Ebene  (mit  dem  Kopf  nach  unten)  gelingt,  so  hängt 
dies  damit  zusammen,  daß  das  ganze  System  um  eine  horizontale 
Achse  gedreht  wurde.  Dadurch  kommt  der  Stützpunkt  des  Unter¬ 
schenkels,  das  Kniegelenk,  höher  zu  liegen  und  der  Unterschenkel 
gerät  in  eine,  gegenüber  der  horizontalen  viel  weniger  geneigte  Lage. 
Es  ist  aber  verständlich,  daß  ein  um  so  größerer  Anteil  desUnter- 
scbenkelgewichtes  vom  Kniegelenke  getragen  wird,  je  steiler  auf¬ 
recht  der  Unterschenkel  steht  und  daß  umgekehrt  der  Anteil 
des  Gewichtzuges,  der  zur  Beugung  des  Kniegelenkes  frei  wird,  umso 
größer  ist,  je  kleiner  der  Winkel  wird,  den  die  Achse  des  Unter¬ 
schenkels  mit  der  Horizontaleberie  einschließt.  Die  Kraft  wächst 
bekanntlich  mit  dem  Cosinus  dieses  Winkels.  Da  es  sich  hier  um 
eine  Wechselwirkung  zwischen  Schwerkraft  und  dem  elastischen 
Zuge  handelt,  so  kann  man  den  positiven  Ausfall  des  Experimentes 
bewirken,  indem  man  für  den  Faktor  ,, Schwerkraft“  bessere  Be¬ 
dingungen  setzt  und  das  ist  die  Modifikation  des  Versuches,  den 
Erben  heute  gezeigt  hat  oder  indem  man  den  Faktor  „elastischer 
Zug“  verringert  und  das  ist  die  von  mir  früher  demonstrierte 
Modifikation.  Das  von  mir  früher  Gesagte  wird  dadurch  in  seiner 
Gültigkeit  nicht  tangiert. 

Professor  Dr.  Tandler:  Meine  Herren!  Das  Ex¬ 
periment,  welches  Dr.  Er  hon  uns  soeben  vorgeführl  hat  und 
welches  er  mir  knapp  vor  Beginn  der  Sitzung  im  Nelienranme  de¬ 
monstrierte,  unterscheidet  sich  vollkommen  von  dem,  welches 
er  vor  drei  Wochen  au  dieser  Stelle  ausführte.  Es  ist  selbst¬ 
verständlich,  daß  sich  meine  Ausführungen  nur  auf  ein  Experi¬ 
ment  beziehen  können,  welches  ich  selbst  gesehen  .habe  oder 
M-elches  sich  mit  den  xAusführungen  dessen,  der  es  beschreibt, 
vollkommen  deckt.  Insolange  ich  dieses  neue  Experiment  nicht 
durchgeprüft  habe,  kann  ich  über  die  dabei  in  Betracht  kommenden 
Verhältnisse  keinerlei  Auskunft  geben.  Erben  hat  in  seiner  De¬ 
monstration  das  Experiment  ebenso  ausgeführt,  wie  ich  es  heute 
hier  gezeigt  habe.  Die  Schieflagerung  des  Oberschenkels  aber, 
welche  er  nicht  gezeigt  hat,  sondern  von  der  er  nur  Erwähnung 
getan  hat,  habe  ich  selbstverständlicherweise  ebenfalls  nach¬ 
geprüft,  aber  in  der  Weise,  daß  ich  die  Unterlage  des  zu  unter¬ 
suchenden  Menschen  als  ganze  gegen  die  Florizontale  so  neigte, 
daßi  der  Kopf  tiefer  lag  als  die  Ferse.  Ich  habe  bei  dieser 
Schieflagerung  genau  dieselben  Resultate  wie  bei  der  Horizontal¬ 
lagerung  erzielt.  Im  übrigen  möchte  ich  bemerken,  daßi  es  sich 
mir  picht  darum  gehandelt  hat,  zu  entscheiden,  in  welcher  Stel¬ 
lung  das  Bein  noch  gestreckt  wird,  sondern  darum,  daß  aktive 
Muskelkontraktion  zur  Streckung  (les  Kniegeleidces  in  der  be¬ 
sprochenen  Lage  nicht  notwendig  sei,  daß  es  ßich  also  hier 
um  einen  vom  iMenschen  erworbenen  Automatismus  handle.  Be¬ 
züglich  der  Ae'ußerung  von  Erben  über  den  zwischen  uns  vor¬ 
herrschenden  Kampf  in  dieser  Frage  möchte  ich  nur  bemerken, 
daß  ich  nicht  hieher  gekommen  bin,  um  zu  kämpfen,  sondern 
eine  Eigentümlichkeit  der  menschlichen  Muskulatur  ira  anato¬ 
misch-physiologischen  Sinne  zu  betrachten. 

Assistent  Dr.  med.  et  phil.  Hermann  Algyogyi  (als  Gast): 
Meine  Herren!  Ich  erlaube  mir  Ihnen  aus  Prof.  Benedikts 
Nerven-,  bzw.  Spitalsabteilung  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  einen 
Fall  vorzuführen,  der  einerseits  wegen  seines  seltenen  Vor¬ 
kommens,  anderseits  aber  wegen  einiger  Besonderheiten  von 
Interesse  ist.  Es  handelt  sich  um  einen  40jährigen  Pat.,  der  — 
um  aus  der  Krankengeschichte  bloß  das  wichtigste  hervorzu¬ 
heben  -  aus  gesunder  Familie  abstammt,  Lues  leugnet,  sehr  mäßiger 
Trinker  und  Raucher  ist  und  der  bis  auf  Masern  in  seiner  Kindheit 
und  eine  hartnäckige  Gonorrhöe  vor  20  Jahren  bis  zum  Beginne 
seiner  gegenwärtigen  Erkrankung  am  21.  November  1906  stets  ge¬ 
sund  gewesen  sein  will.  Damals  verspürte  er  am  Nachnnttag  plötz¬ 
lich  ein  Gefühl  wie  von  „Pfeffer“  (also  eine  Parästhesie)  in  der 
rechten  Nasenhälfte  und  Schmerzen  in  der  rechten  Kopfhälfte ; 
gleichzeitig  traten  auch  Schluckbeschwerden  und  Heiserkeit  — 
jedoch  ohne  Sprach-  und  ohne  Bewußtseinstörnng  —  sowie  eine 
Hemiparese  rechts  und  eine  Schwäche  im  linken  Beine  auf,  so 
daß  Pat.  zu  Bette  gebracht  werden  mußte.  Ein  rasch  herbei 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


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geholter  Arzt  verordiiete  ihm  ein  Pulver,  das  er  jedoch  nicht 
schlucken  konnte.  Am  anderen  Morgen  ließen  die  Kopfschmerzen 
rechts  etwas  nach,  traten  aber  dafür  um  so  kräftiger  links  auf ; 
auch  bemerkte  der  Pat.,  daß  er  in  der  linken  Körperhälfte  stark 
schwitze  (im  Beine  schwächer)  und  mit  Ausnahme  des  Gesichtes 
kein  richtiges  Gefühl  habe,  insbesondere  keinen  Schmerz  und 
keinen  Temperaturunterschied  empfinde,  dabei  aber  trotzdem 
andauernd  ein  unangenehmes  Kältegefühl  im  linken  Fuße  und 
vermehrtes  Hunger-,  besonders  aber  Durstgefühl  verspüre.  Pat. 
ließ  sich  nun  in  das  englische  Hospital  in  Colombo  auf  Ceylon, 
wo  er  damals  weilte,  auf  nehmen,  wo  man  außer  den  erwähnten 
Symptomen  —  bis  auf  die  Schwäche  im  linken  Beine  —  auch 
eine  Parese  des  rechten  Mundfazialis  und  eine  Verengerung  der 
rechten  Pupille  konstatieren  konnte.  Infolge  der  Schlinglähmung 
mußte  Pat.  durch  25  Tage  mittels  Schlundsonde  ernährt,  werden . 
Von  da  ab  konnte  er  schon  schlucken.  Beim  Aufsitzen  im  Bette 
kam  er  regelmäßig  ins  Schwanken,  mit  der  Tendenz,  nach  links 
zu  fallen.  Am  Ende  der  fünften  Woche  wurde  dann  Patient  — ■ 
bis  auf  das  Schwinden  der  Schlinglähmung  und  der  leichten 
Besserung  des  Gehvermögens  —  im  allgemeinen  ungebessert  aus 
dem  Hospitale  entlassen.  Seine  Gehschwäche  besserte  sich 
hierauf  bis  zum  24.  Februar  allmählich  so  weit,  daß  er  mit 
Hilfe  eines  Stockes  herumgehen  konnte.  Er  schiffte  sich  nun 
nach  Europa  ein  und  an  Bord  besserte  sich  seine  Gehschwäche 
so  weit,  daß  er  bald  auch  des  Stockes  entraten  konnte.  Nach 
seiner  Landung  konsultierte  er  meinen  Vorstand,  der  ihn  am 
26.  März  in  seine  Spitalsabteilung  an  der  Allgemeinen  Poliklinik 
aufnehmen  ließ. 

Seither  hat  sich  sein  Zustand  bis  heute  im  großen  und 
ganzen  nicht  wesentlich  gebessert.  Kurz  zusammengefaßt,  finden 
wir  beim  Pat.  folgende  Symptome  :  rechte  Lidspalte  und  Pupille 
etwas  enger  als  links,  Reaktion  der  Pupillen  beiderseits  prompt, 
rechter  Bulbus  leicht  zurückgesunken ;  es  bestehen  somit  rechts 
okulopupilläre  Symptome.  Augenbewegungen  beiderseits  voll¬ 
kommen  frei,  keine  Doppelbilder,  leichter  Nystagmus  beim 
Seitwärtsblicken ;  Augenhintergrund  beiderseits  normal  (Unter¬ 
suchung  von  Prof.  V.  R  e  u  ß).  Sensibler  und  motorischer  Trige¬ 
minus  beiderseits  normal ;  leichte  Insuffizienz  der  Lippen¬ 
muskeln  rechts,  außerdem  Zwangslachen ;  die  Zungenbewegungen 
sind  normal ;  Gaumensegel  wird  beim  Anlauten  in  beiden  Hälften 
gleich  gut  gehoben.  Geruch,  Geschmack  und  Gehör  intakt.  Die 
Sprachprüfung  ergibt  bloß  heisere  Stimme,  welche  laryngoskopisch 
durch  eine  rechtsseitige  Stimmbandlähmung  bedingt  ist  (Unter¬ 
suchung  von  Priv.-Doz.  Dr.  K  o  s  c  h  i  e  r),  für  welche  eine  periphere 
Ursache  (Aneurysma  usw.)  nicht  aufzufinden  war. 

Motilität:  aktive  Bewegungen  in  allen  Gliedmaßen  .voll¬ 
kommen  frei ;  leichte  Adynamie  des  rechten  Oberarmes  beim 
Händedruck;  in  den  übrigen  Gliedmaßen  ist  die  grobe  motorische 
Kraft  nicht  herabgesetzt,  trotzdem  Pat.  andauernd  über  Schwäche 
in  den  Beinen  beim  Gehen  klagt. 

Sensibilität:  rechts  normal,  auch  im  Gebiete  des 
Trigeminus;  links  ist  die  Berührungsempfindung  bis  zum  Trige¬ 
minusgebiete  nur  leicht  abgestumpft,  ebenso  auch  die  faradokutane 
Sensibilität,  während  die  Schmerz-  und  Ternperaturempfindung  in 
diesem  Bereiche  vollkommen  fehlt  bis  zum  Gebiete  der  oberen 
vier  Zervikales  und  bis  auf  IV2  cm  von  der  Mittellinie  vorne 
am  Rumpfe,  wo  dieselben  bloß  herabgesetzt  sind.  Tiefe 
Sensibilität  (Lagegefühl,  Stereognose)  beiderseits  intakt;  keine 
Ataxie,  kein  Romberg.  Thoraxorgane  bis  auf  den  etwas  lauteren 
zweiten  Aortenton  normal,  ebenso  auch  die  Bauchorgane.  Puls¬ 
zahl  :  80  bis  85. 

Reflexe:  Patellarreflex :  rechts  etwas  erhöht  (keine  Hyper¬ 
tonie  der  Äluskulatur) ;  Plantarreflex:  rechts  vorhanden,  links 
nicht  auslösbar ;  Achillessehnen-  und  Cremasterreflexe  beiderseits 
vorhanden;  Bauchreflexe  rechts  deutlich  gesteigert;  Radiusreflex: 
rechts  etwas  erhöht;  Trizepsreflex:  beiderseits  vorhanden ;  Gaumen¬ 
reflex:  fehlt;  Rachenreflex:  stark  herabgesetzt ;  KonjunktivaP  und 
Kornealrefiex :  beiderseits  normal. 

Körpergewicht  vor  der  Erkrankung  82  kg,  bei  der  Aufnahme 
am  26.  März  80  kg  und  heute  78  kg. 

Die  Urinuntersuchung  ergab:  5'2°/o  Zucker  bei  normaler 
Harnmenge  und  sonst  normalen  Harnbestandteilen;  durch  eine 
spezifische  Diät  gelang  es  mir,  die  Zuckerausscheidung  auf 
einige  Zehntel  Prozent  herabzudrücken,  wobei  er  das  Durstgefühl 
verlor  und  in  den  letzten  zwei  Tagen  schwand  der  Zucker  voll¬ 
kommen  aus  dem  Urin,  wobei  er  bereits  zwei  Semmeln  pro  Tag 
essen  durfte.  Seit  dem  4.  Mai  klagt  Pat.  andauernd  über  sehr 
heftige  Schmerzen  im  linken  Oberschenkel. 

Auf  Grund  dieses  Symptomenbildes  kann  nun  die  Diagnose 
nicl'it  zweifelhaft  sein.  Dieselbe  wird  durch  die  rechtsseitige  Re¬ 
kurrenslähmung  und  die  wechselständige  Empfindungslähmung, 


welche  für  eine  einseitige  Herderkrankung  in  der  Medulla  oblongata 
charakteristisch  sind,  vollkommen  gesichert.  Wir  haben  es 
demnach  mit  Rücksicht  auf  die  befallenen  Hirnnerven  der  rechten 
Seite  (Fazialis,  Rekurrens)  mit  einem  Herde  in  der  rechten  Hälfte 
der  Oblongata  zu  tun.  Die  klinische  Diagnose  lautet  daher : 
Akute  oder  apoplektische  Bulbärparalyse.  Wegen  der  leichten 
Parese  de;^  Mundfazialis  muß  der  Herd  proximalwärts  bis  zum 
Fazialiskern  (0  b  e  r  s  t  e  i  n  e  r  s  Ebene  h)  und  kaudalwärts  bis 
zur  Kreuzung  der  motorischen  Leitungsbahnen  reichen  (d.  i.  bis 
zu  0  b  e  r  s  t  e  i  11  e  r  s  Ebene  b).  Was  nun  die  genauere  Lokal¬ 
diagnose  in  der  Querschnittsausdehnung  anlangt,  so  müssen  be¬ 
troffen  sein : 

1.  Wegen  der  Stirarnbandlähmung,  die  spinalen  Anteile 
des  Nucleus  ambiguus,  des  motorischen  Vaguskerns  (Grabower, 
S  c  h  1  e  s  i  n  g  e  r),  welche  nach  den  Befunden  von  W  ä  1 1  e  n  b  e  r  g, 
van  0  o  r  d  t,  Dana  u.  a.  das  Zentrum  für  die  Kehlkopf¬ 
muskulatur  darstellen,  während  in  dessen  proximalen  und  medialen 
Anteilen  das  Zentrum  für  die  Schlingbewegung  lokalisiert  ist.*) 
Da  die  Schlinglähmung  in  unserem  Falle  bloß  vorübergehend 
(durch  25  Tage)  bestand,  so  muß  der  dauernde  Herd  die  letzteren 
Teile  des  Nucleus  ambiguus  verschont  haben. 

2.  Wegen  der  leichten  Parese  des  rechten  Mundfazialis  kann 
der  rechte  Fazialiskern  nur  in  geringem  Grade  betroffen  sein. 

3.  Wegen  der  wechselständigen  Lähmung  der  Schmerz- 
Lind  Temperaturempfindung  (mit  Ausnahme  des  Trigeminusgebietes) 
müssen  deren  Leitungsbahnen  fast  v'^ollkommen  unterbrochen  sein, 
welche  nach  der  jetzt  vorwaltenden  Auffassung  (W  a  1 1  e  n  b  e  r  g, 
Kohnstamrn,  ÄI  a  r  b  u  r  g,  Mai  u.  a.)  nach  der  Kreuzung 
in  der  grauen  Substanz  des  Hinterhorns  im  Gebiete  des  Tractus 
anterolateralis,  dem  sogenannten  Gower  sehen  Bündel  nach 
aufwärts  zur  Oblongata  ziehen  und  hier  im  ventrolateralen  Anteile 
der  Substantia  (oder  formatio)  reticularis  lateralis  als  Tractus 
spinotectales  und  Tractus  spinothalamici  verlaufen. 

4.  Wegen  der  leichten,  rechtsseitigen  oculopupillären 
Symptome  müssen  in  geringem  Grade  auch  die  sympathischen 
Bahnen  in  der  Oblongata  affiziert  sein,  welche  nach  J.  Hoff¬ 
mann  und  Marburg  in  der  Oblongata  stets  homolateral, 
u.  zw.  nach  Marburg  im  dorsomedialen  Teile  der  Substantiva 
reticularis  lateralis  verlaufen. 

5.  In  geringem  Grade  wird  auch  die  gekreuzte,  motorische 
Leitungsbahn  betroffen  sein,  da  durch  über  drei  Monate  eine 
Parese  der  rechten  Unterextremität  bestand  und  auch  jetzt  noch 
eine  Herabsetzung  der  groben  motorischen  Kraft  im  rechten  Arm 
b3im  Händedruck  nachweisbar  ist. 

Zu  den  Besonderheiten  des  Falles  könnte  man  rechnen  • 
1.  Die  durch  mehrere  Wochen  bestandene  Tendenz  nach  links, 
d.  i.  nach  der  dem  Herde  entgegengesetzten  Seite 
zu  fallen,  ähnlich  wie  in  einem  Falle  von  Leyden  und  von 
W  a  1 1  e  n  b  e  r  g.  Dieses  Symptom  möchte  ich  auf  die  vorüber¬ 
gehende  Leitungsunterbrechung  jener  Olivenfasern  beziehen, 
welche  zum  kontralateralen  Corpus  restiforme  ziehen,  welches 
mit  dem  Kleinhirn  in  Verbindung  steht.  2.  Das  in  der  Regel 
seltene  Freibleiben  der  sensiblen  Trigeminuswurzel  auf  der  Seite 
des  Herdes,  welche  infolge  leichter  Reizung  von  seiten  des  Herdes 
bloß  eine  initiale,  partielle  Parästhesie  darbot.  3.  Die  (von  mir 
zuerst  beim  Pat.  beobachtete,  in  den  letzten  Tagen  allerdings 
bereits  geschwundene)  beträchtliche  Melliturie  (bis  zu  b'2'^l-.), 
welche  trotz  des  Fehlens  früherer  Harnuntersuchungen  wahr¬ 
scheinlich  vom  Anfang  an  bestanden  hat,  da  sich  beim  Pat. 
gleich  nach  dem  Insult  vermehrtes  Hunger-  und  Durstgefühl  ein¬ 
stellte. 

Was  nun  die  Entstehungsursache  des  Leidens  anlangt,  so 
kann,  da  Tumoren  infolge  des  akuten  Einsetzens  und  besonders 
wegen  der  Besserung  einiger  Symptome  voii  vornherein  ausge¬ 
schlossen  sind,  nur  eine  Gefäßläsion  in  Betracht  kommen.  Eine 
Blutung  ist  aber  ebenfalls  auszuschließen,  da  Blutungen  in  der 
Oblongata  erfahrungsgemäß  sehr  selten  sind  und  dann  in  der 
Regel  stürmischer  einsetzen  (mit  Bewußtseinverlust  usw.)  und 
meist  sehr  rasch  ad  exitum  führen.  Es  bleibt  somit  nur  die 
Annahme  eines  Gefäßverschlusses  übrig  u.  zw.  entweder  durch 
Emb  olie  oder  Thrombose  im  Gebiete  der  rechten  Arteria  vertebralis. 
Da  eine  Quelle  für  einen  Embolus  (Herzfehler,  Nierenleiden, 
Malaria  usw.)  aber  nicht  aufzufinden  ist,  so  wird  mit  Rücksicht 
auf  den  etwas  lauteren  zweiten  Aortenton  und  darauf,  daß 
Thrombosen  in  der  Oblongata  bäufiger  sind  als  Embolien,  eine 
autochthone  Thrombose  vorliegen.  Wir  haben  es  demnach  mit 
einer  (partiellen)  Thrombose  der  Arteria  vertebralis  selbst  zu  tun, 
denn  eine  Thrombose  ihres  Astes,  der  Arteria  cerebelli  infer,  post.. 


*)  Nach  den  Befunden  von  W  a  1 1  e  n  b  e  r  g,  van  0  0  r  d  t, 
R  a  n  s  o  h  0  f  f,  Dana,  Marburg  u.  a. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


815 


jilleia  kann  hier  wegen  der  Größe  und  Ausdehnung  des  Herdes 
nicht  in  Betracht  kommen,  da  ilir  Versorgungsgebiet  auch  nach 
den  Untersuchungen  \V  a  1 1  e  n  h  e  r  g  s  ein  kleineres  ist,  als  jenes, 
das  dem  Herde  in  unserem  Falle  entsprechen  muß. 

D r.  R.  Kaufmann ;  U  c  h  e  r  K  o  n  l  r  a  k  t  i  o  n  s  p  h  ä  n  o  ni  one 
am  ^lag('n.  (Erscheinl  ausführlich  iu  dieser  Wochensclirifl.) 
Die  Diskussion  zu  diesem  Voiirage  wird  auf  die  nächste  Silzung 
verschoben. 

Priv.-Doz.  Dr.  Oskar  Stoerk:  Ueber  experimentelle 
Leberzirrhose  auf  luherkuloser  Basis.  (Erscheinl  aus¬ 
führlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Dr.  Bartel:  D'ie  demonstricrien  Objekte:  1.  rechtsseitige 
Inguinallymphdrüse  eines  Meerschweinchens  nach  subkutaner 
'ruberkuloseinfektion.  Diese  Drüse  ehedem  bohnengroß  und  er¬ 
weicht,  hatte  sich  unter  spezifischer  Behandlung  auf  knapp 
Hanfkorngröße  verkleinert  und  ist  nunmehr  derb  bindegewebig 
mit  vereinzelten  Riesenzellen.  2.  Kleiner  schwieliger  Herd  in  der 
Lunge  desselben  Tieres  mit  Bronchiektasie.  3.  und  4.  Die  Lungen¬ 
unterlappen  zweier  Meerschweinchen,  von  welchen  das  eine  (3) 
einer  sehr  schwachen  Tuberkuloseinfektionsgelegenheit  ausgesetzt 
war,  während  das  zweite  (4)  durch  Fütterung  infiziert  lange  Zeit 
einer  spezifischen  Behandlung  unterzogen  worden  war.  (Beide 
Tiere  sind  gleichzeitig  in  Kayserling  aufgestellt.)  5.  Verdichteter 
Lungenherd  mit  reichlichen  eosinophilen  Zellen  in  einer  Meer¬ 
schweinchenlunge.  Das  betreffende  Tier  war  gleichfalls  einer  sehr 
geringfügigen  Tuberkuloseinfektion  ausgesetzt  gewesen  und  zeigte 
bei  der  Obduktion  eine  adhärente  Stelle  eines  Lungenlappens.  Die 
der  Verwachsung  entsprechende  Lungenpartie  enthielt  ektatische 
Bronchien  mit  sehr  flachem  Epithel  in  derbem  Bindegewebe  ohne 
Erscheinungen  von  Bronchitis.  Auch  in  der  Umgebung  der  Bronchi- 
ektasien  fanden  sich  wie  in  der  Lunge  überhaupt  reichlich  eosino¬ 
phile  Zellen. 

24.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden 

15.  bis  18.  April  1907.  (Fortsetzung.) 

Referent:  N.  Meyer-Bad  Wildungen. 

V.  Sitzung:  Mittwoch  den  17.  April,  vor.mittags. 

P 1  e  s  c  h  -  Ofen-Pest :  Methoden  und  Ergebnisse 
der  klinischen  Blutmenge  nhestim  in  ungen. 

P  losch  demonstriert  einen  handlichen  Apparat  zur  Be¬ 
stimmung  des  0-Gehaltes  und  der  CO-Kapazität  im  Blute  ohne 
Pumpe.  Der  Apparat  dient  sämtlichen  Farbbestimmungen  und  zur 
Hämoglobinometrie.  Die  Hämoglohinbestimmungen  sind  genauer 
als  mit  dem  Spektrophotometer.  Mit  Hilfe  der  beiden  Apparate 
führte  er  einerseits  auf  dem  Wege  der  Kohlenoxydinhalation, 
anderseits  durch  Injektion  von  isotonischer  Kochsalzlösung  seine 
Blutraengenbestimmung  aus.  Das  Prinzip  der  Inhalationsmethode 
ist  folgendes  :  Eine  abgemessene  Menge  (ca.  100  cm®  für  70  kg 
schweren  Menschen)  Kohlenoxyd  wird  dem  Individuum  zum  Ein- 
athmen  gegeben.  Nach  der  Inhalation  wird  Blut  entnommen  und 
darin  das  Kohlenoxyd  gasanalytisch  oder  chromophotometrisch 
bestimmt.  Bei  der  Infusionsmethode  wird  eine  Blutprobe  ent¬ 
nommen,  durch  intravenöse  Kochsalzinfusion  das  Blut  verdünnt. 
Das  nach  der  Inhalation  entnommene  Blut  wird  im  Pie  sch  sehen 
Chromophotometer  mit  dem  vor  der  Inhalation  entnommenen 
Blute  verglichen. 

Die  Ergebnisse  der  Untersuchungen  werden  in  folgenden 
Schlußsätzen  zusammengefaßt : 

1.  Laut  den  bisher  vorliegenden  Resultaten  der  Blutmengen- 
hestimmung-im  lebenden  Organismus  beträgt  die  zirkulierende 
Blutmenge  des  gesunden  Erwachsenen  ö"/.',  resp.  V^o  des  Körper¬ 
gewichtes, 

2.  Die  Hämoglobinmenge  eines  gesunden  erwachsenen 
Menschen  beträgt  0'7%,  resp.  Vuo  des  Körpergewichtes. 

3.  Die  Blutmenge  des  Hundes  beträgt  7  bis  8'Vo,  des  Pferdes 
7  bis  10“/ü,  des  Kaninchens  5  bis  6'Vu  des  Körpergewichtes. 

4.  Nach  den  bisherigen  Resultaten  haben  fette  Individuen 
im  Verhältnis  zum  Körpergewichte  eine  geringere  Blutmenge  als 
magere  Individuen. 

5.  Bei  Chlorotischen  -wechselt  die  kreisende  Blutmenge 
zwischen  7 '7  und  10'87o  des  Körpergewichtes. 

6.  Bei  der  Anämie,  die  nach  schweren  Blutungen  entstanden 

ist,  beträgt  die  Blutmenge  4'6  bis  des  Körpergewichtes. 

7.  Bei  Nephritikern  ohne  Oedeme  fand  sich  die  Blutmenge 
gegen  die  Norm  vermehrt  u.  zw.  beträgt  sie  beim  Menschen 
8‘09  bis  9’91“/o,  d.  h.  '/jj-s  bis  Vio-oa  des  Körpergewichtes,  _  beim 
Hunde  15'83  bis  16  06®  o,  d.  h.  'In-i  bis  '/«-s  des  Körpergewichtes. 


8.  Die  Hämoglobimnenge  ist  bei  den  Nephritikern  ebenfalls 
vermehrt  und  zwar  beträgt  sie  beim  Menschen  0'97  bis  l’42®/p, 
heim  Hunde  3T  bis  3'5'7..  des  Körpergewichtes. 

9.  Sowohl  bei  der  Kochsalzinfusionsmethode  als  hei  der 
Kohlenoxydinhalationsmethode  sind  bisher  keinerlei  Schäden  für 
das  untersuchte  Individuum  beobachtet  worden. 

10.  Als  die  klinisch  empfehlenswerteste  Methode  ist  die 
intravenöse  Infusion  von  isotonischer  Kochsalzlösung,  verbunden 
mit  der  chromophotornetrischen  Bestimmung  der  Abnahme  der 
Färbekraft  des  Blutes  zu  betrachten. 

H  u  i  s  m  a  n  s  -  Köln :  Zur  Nosologie  und  patho¬ 
logischen  Anatomie  der  Tay  Sachsschpn  fami¬ 
liären  amaurotischen  Idiotie. 

Hu  is  mans  kommt  bei  Vergleichung  des  klinischen  Bildes 
mit  dem  pathologisch-anatomischen  Befund  zu  dem  Resultate, 
daß  die  Tay- S  achssche  Erkrankung  kein  charakteristisches 
Krankheitsbild  ist,  weil  sämtliche  klinischen  Symptome  auch  hei 
anderen  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  Vorkommen  und 
weil  ferner  ein  Zusammenhang  des  klinischen  Bildes  mit  einem 
bestimmten  anatomischen  Befund  nicht  vorhanden  ist. 

Die  familiäre  amaurotische  Idiotie  ist  eine  A  b- 
art  der  Littleschen  Krankheit  resp.  der  zere¬ 
bralen  Diplegie  und  beruht  häufig  auf  entzündlichen  Prozessen. 
Im  H  u  i  s  m  a  n  s  sehen  Falle  bestand  eine  Pachy-  et  Leptomenin¬ 
gitis,  Sinusthrombose  und  Hydrozephalus  chron.  mit  ihren  Folgen. 

Anfallend  ist  die  auch  in  anderen  Fällen  erwähnte,  gleich¬ 
zeitig  mit  der  T  a  y  -  S  a  c  h  s  sehen  Krankheit  sich  entwickelnde 
Rachitis.  Wahrscheinlich  beruhen  beide  Affektionen  auf  denselben 
Ursachen,  vor  allem  Veranlagung,  schlechten  hygienischen  Ver¬ 
hältnissen  und  Infektion  resp.  Toxinwirkung. 

Rheinboldt  -  Kissingen  :  Demonstration  eines  S  p  h  y  g- 
m  o  s  k  0  p  s. 

VI.  Sitzung;  17.  April  1907,  nachmittags. 

H  e  i  1  n  e  r  -  München :  D  i  e  B  e  d  e  u  t  u  n  g  d  e  r  Wasser¬ 
zufuhr  für  die  F  e  1 1  z  e  r  s  e  t  z  u  n  g  im  Organismus. 

Während  über  die  Wirkung  der  Wasserzufuhr  auf  die  Ei¬ 
weißzersetzung,  resp.  die  Stickstoffausscheidung  im  Harne  viele 
sorgfältige  Beobachtungen  vorliegen,  waren  unsere  Kenntnisse 
über  die  Frage  der  Einwirkung  der  Wasserzufuhr  auf  die  Fett¬ 
zersetzung  in  Ermangelung  exakter  physiologischer  Untersuchungen 
durchaus  unzureichend.  Durch  vier  gleichgerichtete  Respirations¬ 
versuche  von  sechs-  bis  achttägiger  Dauer  im  V  o  i  t  sehen  Respi¬ 
rationsapparate  wird  am  hungernden  Hunde  und  am  hungernden 
Kaninchen  nachgewiesen,  daß  durch  Wasserzufuhr  (2  Liter  beim 
Hunde,  150  cm®  beim  Kaninchen)  übereinstimmend  eine  im 
IMittel  ca.  9®/o  betragende  Steigerung  der  Fettzersetzung  herbei¬ 
geführt  wird.  Auch  die  Stickstoffausfuhr  im  Harne  ist  mit  einer 
(wahrscheinlich  nur  scheinbaren)  Ausnahme  durchweg  gesteigert. 

Die  spezifisch-dynamische  Wirkung  der  Nahrungsstoffe  (nach 
Ruhne  r),  welche  sich  besonders  nach  abundanter  Zufuhr  der 
einzelnen  Nahrungsstoffe  geltend  macht,  galt  bis  jetzt  nur  für 
die  energieliefernden  Nahrungsstoffe.  Es  lag  der  Gedanke  nahe, 
daß  die  bei  den  Versuchen  beobachtete  Steigerung  der  Fett¬ 
zersetzung  (und  der  Eiweißzersetzung)  bedingt  sei  nicht  durch 
das  zugeführte  Wasser  an  sich,  sondern  durch  die  Ahundanz  des 
Wassers.  Diese  Annahme  fand  in  entsprechenden  Versuchen  ihre 
Bestätigung.  Das  hungernde  Tier  bedarf  unter  normalen  Bedingungen 
so  gut  wie  keiner  Wasseraufnahme.  Das  Wasser  wird  ihm  in 
genügender  Menge  durch  Zerfall  seiner  Leibessubstanz  geliefert. 
Das  bei  normalem  Hunger  gegebene  Wasser  ist  daher  exquisit 
abundant.  Die  bei  diesen  Versuchen  beobachtete  Steigerung  der 
Fettzersetzung  (und  der  Stickstoffausfuhr)  bleibt  nun  überein¬ 
stimmend  aus,  wenn  das  zugeführte  Wasser  im  Körper  einen 
physiologischen  Zweck  erfüllt.  Dies  zeigte  sich  1.  in  vier  über¬ 
einstimmenden  Versuchen,  in  welchen  hungernden  Kaninchen  je 
150  cm®  Wasser  gegeben  wurden,  in  welchem  jedoch  je  32  g 
Dextrose  gelöst  waren.  Hier  fand  also  das  Wasser  als  Lösungs¬ 
mittel  für  einen  Nahrungsstolf  zweckmäßige  Verwendung.  2.  in 
einem  Versuche,  in  welchem  ein  Kaninchen  bei  völligem  Hunger 
in  einer  Umgebungstemperatur  von  33®  C  gehalten  wurde.  Hier  er¬ 
füllten  die  150  cm®  zugeführten  Wassers  den  Zweck,  den  durch 
die  hohe  Außentemperatur  verursachten  Wasserverlust  zu  decken. 

Bis  vor  kurzem  herrschte  noch  große  Meinungsverschieden¬ 
heit,  oh  die  nach  Zufuhr  reichlicher  Wassermengen  beim  hun¬ 
gernden  Tiere  beobachtete  Steigerung  der  Stickstoffausscheidung 
auf  einer  Mehrzersetzung  von  Eiweiß  im  Harne  beruhe  oder 
durch  Ausschwemmung  stickstoffhaltiger  Zersetzungsprodukte  aus 
den  Geweben  bedingt  sei.  Durch  einen  Vergleich  der  korrespon¬ 
dierenden  Chlor-  und  N-Ausscheidung  konnte  gezeigt  werden,  daß 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907. 


Nr.  26 


es  sich  wohl  um  eine  Mehrzersetzung  von  l'hweiß  handelt.  Der 
Mehrzersetzung  von  Fett  entspricht  auch  eine  solche  von  Eiweiß, 
wie  überhaupt  das  Verhalten  der  Eiweiß-  und  Fettzersetzung  durch¬ 
aus  parallel  geht.  I\Ian  kann  daher  sagen,  auch  das  Wasser  ent¬ 
faltet  wie  die  andern  energieliefernden  Nahrungstoffe  bei  abundanter 
Zufuhr  eine  spezifisch-dynamische  Wirkung  auf  die  Stoffzersetzung. 
Durch  das  abundant  zugeführte  Wasser  wird  jedoch  nicht  in 
erster  Linie  das  Wasser  selbst,  sondern  Eiweiß  und  Fett  in  ver¬ 
mehrter  Menge  zersetzt. 

Die  in  den  vorliegenden  experimentellen  Befunden  ent¬ 
haltenen  Tatsachen  können  demgemäß  praktisch  vielleicht  für  die 
Behandlung  der  Fettleibigkeit  einigermaßen  Anwendung  finden. 

Leo-  Bonn :  Untersuchung  über  die  Eiweiß- 
V  e  r  d  a  u  u  n  g. 

Die  Salzsäure  verbindet  sich  in  zweifacher  Weise  mit  dem 
Fibrin.  Erstens  direkt,  gleichgültig  ob  Pepsin  zugegen  ist  oder 
nicht.  Diese  Verbindung  ist  aber  nicht  imstande,  das  Pepsin  derart 
zu  verketten,  daß  Proteolyse  erfolgt.  Letztere  wird  nur  durch  die 
zweite  Bindungsart  der  Salzsäure  bewirkt  und  diese  kommt  durch 
Vermittlung  des  Pepsins  zustande,  während  man  früher  ein  um¬ 
gekehrtes  Verhalten  annahm.  Die  erstere  Verbindung  wird  durch 
CatiOs,  nicht  aber  durch  Günzburg  und  Congo  angezeigt.  Da  die 
zu  ihrer  Bildung  erforderliche  Salzsäure  nicht  unbeträchtlich  ist,  muß 
man  hei  Subazidität  mehr  Salzsäure  geben,  als  es  meist  geschieht. 

Die  tryptische  Proteolyse  beruht  auf  einer  Anlagerung  der 
Enterokinase  an  das  Fibrin  unter  Vermittlung  des  Trypsinggens. 
Der  Nachweis  einer  ungenügenden  tryptischen  Proteolyse  in  dem 
entleerten  Darininhalt  schließt  bei  starker  Diarrhöe  nicht  die  Ab¬ 
wesenheit  von  Pankreassaft  im  Darminhalt  aus.  Um  letztere  nach¬ 
zuweisen  oder  auszuschließen,  wird  empfohlen,  die  ungelösten 
Eiweißstücke  mit  Sodalösung,  eventuell  unter  Zufügung  von 
Enterokinase  der  Bruttemperatur  auszusetzen.  (Autoreferat..) 

L  0  m  m  e  1  -  Jena  :  Die  Verwertung  parenteral 
ein  geführten  Eiweißes  im  Tier  kör  per. 

Ivommel  hat  die  Eiweißzersetzung  im  Tierkörper  hei  intra¬ 
venöser  Eiweißzufuhr  untersucht.  Die  beobachteten  Hunde  be¬ 
fanden  sich  im  Stickstoffgleichgewicht  oder  im  Hunger.  Es  zeigte 
sich,  daß  der  Eiweißstickstoff  des  zugeführten  Schweineserums  bei¬ 
nahe  quantitativ  im  Harn  wieder  erschien,  also  dieses  Eiweiß  zer¬ 
setzt  wurde.  Die  Zeitkurve  der  über  ca.  drei  Tage  sich  erstreckenden 
Mehrausscheidung  des  Stickstoffes  war  sehr  ähnlich  gestaltet  wie 
hei  Eiweißaufnahme  durch  den  Darm,  was  dafür  spricht,  daß 
nicht  ausschließlich  die  im  Darm  herrschenden  Verdauungs-  und 
Resorptionsvorgänge  an  dieser  langsamen  Eiweißzerlegung  be¬ 
teiligt  sind.  Merkwürdiger  Weise  wurden  größere  Mengen  von 
arteigenem  (Hunde-)Serum  bei  intravenöser  Einverleibung  auch 
von  dem  schwer  hungernden  Hund  nicht  verwertet.  Das  arteigene 
Serum  scheint  nicht  in  der  Weise  angreifbar  zu  sein,  wie  das 
im  Darm  aufgenommene,  bzw.  wieder  aufgebaute  Nahrungseiweiß, 
das  also  in  irgendwelcher  Weise  von  den  stabileren  Eiweißstoffen 
des  Blutes  verschieden  sein  muß.  Wenn  das  arteigene  Serum  vor¬ 
der  Einspritzung  auf  68®  erhitzt  wurde,  erwies  es  sich  als  teil¬ 
weise  zersetzlich.  Ein  aus  Milch  dargestelltes  Alkalialbuminat 
konnte  ebenfalls  bei  „parenteraler“  Einverleibung  nicht  verwertet 
werden.  —  Von  dom  eingespritzten  artfremden  Serum  konnten 
Spuren  noch  tagelang  nach  der  Einverleibung  im  Blut  nachgewiesen 
werden,  ohne  daß  dieser  Nachweis  gegen  die  Zersetzung  des 
größten  Teiles  des  Eiweißes  ins  Gewicht  fallen  kann. 

W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  und  v.  M  e  r  i  n  g  -  Halle  :  lieber  den 
Einfluß  verschiedener  Substanzen  auf  die  durch 
Ueberhitzung  veranlaßte  Temperatursteigerung. 

W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  und  v.  M  e  r  i  n  g  fanden,  daß  antipyretische 
Mittel  (Antipyrin,  Phenazetin,  Chinin  und  Salizylsäure),  sowie 
Alkohol,  ferner  diejenigen,  welche  die  Schweißsekretion  steigern 
oder  beschränken,  beim  JMenschen  auf  den  Temperatur¬ 
verlauf  nach  Ueberhitzung  im  Glühlichtbad  (durch  heiße,  bzw. 
Luftbäder)  keinen  Einfluß  haben.  Die  Autoren  kommen  zu  dem 
Schluß  :  Durch  Ueberhitzung  werden  so  günstige  Bedingungen  für 
die  Wärmeabgabe  geschaffen,  daß  sie  durch  medikamentöse 
Mittel  nicht  mehr  zu  steigern  sind,  ferner:  für  die  Wärme- 
b  i  n  d  ung  durch  Wasserverdunstung  kommt  nur  ein 
mäßiger  Grad  von  Hautfeuchtigkeit  in  Betracht,  die  Schweißsekretion 
in  tropfbar  flüssiger  Form  ist  dafür  ganz  gleichgültig. 

Zweifellos  wirken  alle  Antipyrelika  mit  einem  hauptsächlichen 
Anteil  durch  Vermehrung  der  Wärmeabgabe. 

Isaac  \md  R.  v.  d.  Velden-  Marburg ;  Die  K  r  e  is¬ 
la  u  f  w  i  r  k  u  n  g  isolierter  E  i  w  e  i  ß  k  ö  r  p  e  r. 

Es  gelang  den  Verfassern  mit  jodierten  Eiweißkörpern  (Eier¬ 
albumin,  krist.  Albumin,  Globulin,  Albumosen),  die  nur  intra¬ 
molekular  gebundenes  Jod  enthielten,  bei  intravenöser  Zufuhr 
im  Kreislautexperiment  typische  Wirkungen  zu  erhalten,  die 


mit  dem  nicht  jodierten  Ausgangsmaterial  nicht  erreicht  werden 
konnten.  Es  handelt  sich  dabei  vor  allem  um  eine  sehr  starke 
zentrale  Vagusreizung  durch  die  jodierten  Produkte,  die  durch 
Atropinisierung  oder  Vagusdurchschneidung  ausgeschaltet  werden 
konnte.  Diese  vagotrope  Wirkung  Hat  jedoch  nur  bei  der  Katze 
(Fleischfresser)  ein,  wurde  aber  beim  Kaninchen  (Pflanzenfresser) 
vermißt.  Weiter  vermochten  Verf.  nicht  den  von  C  y  o  n  gefundenen 
Antagonismus  zwischen  Atropin  und  Schilddrüsensubstanzen  am 
Herzvagus  große  Bedeutung  zuzumessen,  da  dies  Phänomen,  auch 
auf  andere  Weise  hervorgerufen  werden  kann. 

Pel  -Amsterdam  :  Paroxysmale  Hämoglobinurie 
u  n  d  H  y  p  e  r  g  1  o  b  u  1  0  s  e. 

Ein  66jähriger  Offizier  leidet  an  paroxysmaler  Hämoglobinurie 
und  gleichzeitiger  Hyperglobulie.  Es  besteht  die  Möglichkeit,  daß 
die  Hämoglobinurie  primär  ist  und  die  Hyperglobulie  ein 
Kompensationsvorgang  ist,  oder  daß  es  sich  umgekehrt  verhält, 
schließlich  können  beide  abhängig  von  einer  Giftwirkung  sein. 
So  ist  es  bekannt,  daß  hämolytische  Sera  in  kleinen  Dosen  gift- ' 
bildend,  in  großen  Dosen  hämolytisch  wirken.  Es  ist  Pel  aber 
nicht  gelungen,  Hämolysine  aus  dem  Serum  darzustellen. .  Vor¬ 
tragender  erwähnt  sodann  die  stark  wechselnde  Zahl  der  Chromo- 
zyten ;  es  sei  dieses  Verhalten  wahrscheinlich  auf  ungleiche  Ver¬ 
teilung  derselben  zurückzuführen,  man  dürfe  aber  daraus  keinen 
Rückschluß  auf  die  Gesamtblutmenge  ziehen. 

Wandel-  Kiel :  Leberveränderungen  bei  akuter 
Lysol-  und  Kresolvergiftung. 

Durch  zahlreiche  Tierversuche  hat  Wandel  bewiesen,  daß 
bei  geeigneter  Versuchsanordnung,  welche  die  Resorption  großer 
Mengen  Kresols  vom  Magen  aus  garantiert,  gesetzmäßig  starke 
Veränderungen  in  dem  Hauptresorptionsorgan,  der  Leber,  vor  sich 
gehen.  Der  Transport  des  Giftes  erfolgt  durch  die  Pfortader, 
welche  selbst  durch  Zerstörung  ihrer  Blutbestandteile  und  Ab¬ 
stoßung  ihrer  Intimazellen  auf  die  Giftpassage  reagiert.  Die 
„Schlacken“  dieses  Pfortaderblutes  findet  man  in  den  Leberästen 
der  Pfortader  wieder.  Von  hieraus  gelangt  das  Gift  durch  Diffusion, 
manchmal  auch  gröbere  Zerstörungen  (Blutungen  mit  und  ohne 
Thrombosen)  in  das  Leberparenchym,  welches  in  leichten  Fällen 
nur  durch  Protoplasmaaufhellungen  und  -Schwund,  in  schweren 
mit  partiellem  Zelltod,  in  den  schwersten  mit  ausgedehnter  Ne¬ 
krose  antwortet.  Den  Weg  der  Giftwirkung  bezeichnen  außerdem 
braune  Körnchen,  Zerstörungsprodukte  der  roten  Blutzellen. 

Die  histologischen  Veränderungen  sind  das  anatomische  Kor¬ 
relat  für  die  chemischen  Entgiftungsvorgänge  in  der  Leber. 
Destruktionen  finden  wir  überall,  wo  noch  freies  Kresol  mit  dem 
Protoplasma  in  Berührung  kommt ;  wir  vermissen  sie  da,  wo  der 
Enigiftungsvorgang,  die  Paarung  an  Glykuron-  oder  Schwefelsäure 
schon  vollendet  ist,  z.  B.  meist  an  der  Lebervene,  welche  wohl  in  der 
Hauptsache  den  Transport  der  ungiftigen  Paarungskörper  vermittelt. 
Bei  schweren  Vergiftungen  dringt  das  freie  Kresol  durch  die  Leber 
und  ist  jenseits  der  Leber  in  teilweise  freiem  Zustande  noch 
nachweislich,  z.  B.  in  der  bei  Gallenfisteltieren  gewonnenen  Galle.  Es 
ist  hier  wohl  locker  gebunden  an  Alkalien  oder  Körper  der  Fett¬ 
reihe.  Demonstration  von  Abbildungen  und  Präparaten. 

Z  i  e  g  1  e  r  -  Breslau  :  Experimentelle  Erzeugung 
und  das  Wesen  der  Leukämie. 

Durch  Röntgenbestrahlung  der  Milz  hat  Vortr.  bei  der  Zer¬ 
störung  der  Milzfollikel  eine  Vermehrung  einkerniger,  myeloider 
Leukozyten  und  myeloide  Umwandlung  der  Milz  hervorgerufen, 
ferner  unter  Auftreten  einkerniger  Leukozyten  eine  lymphoide 
Hyperplasie  des  Knochenmarks.  Partielle  Follikelzerstörung  der 
Milz  führt  ebenfalls  zur  myeloiden  Umwandlung  von  Blut  und 
Milz,  welche  Veränderungen  aber  wieder  schwinden  können.  Um¬ 
gekehrt  hat  Knochenmarkschädigung  noch  zu  keinem  Ergebnis 
geführt.  Er  faßt  die  Leukämie  deshalb  als  eine  gestörte  Korre¬ 
lation  des  Verhältnisses  Milz — Knochenmark  auf,  welche 
beide  in  ihren  normalen  Beziehungen  ein  normales  Blutbild 
garantieren.  Einseitige  Schädigung  führt  zu  entsprechender  Hyper¬ 
plasie  der  korrelativen  Elemente.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag  den  28.  Juni  1907,  7  Ulir  abends, 

unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Prof.  Dr.  L.  Köiiig-stein  stattfindendeii 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  Preleituer :  Bericht  über  die  Frequenz  der  Laugenver¬ 
ätzungen  und  ein  Vorschlag  zu  deren  Verhütung. 

2.  Diskussion  zum  Vortrag  des  Dr.  Rud.  Kaufmann:  Heber 
Kontraktionsphänomene  am  Magen.  (Zum  Wort  •  gemeldet:  Dr.  Joiias 
und  Dr.  Emil  Scliütz.) 

3.  Prof.  Dr.  S.  Stern :  Wesen  der  Erinnerungsbilder. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Vtr.ntworUich.r  B.d>kt.ar:  Adalbert  Karl  Trupp.  V„l„  „„  Wilhelm  Braumhller  in  Wi.n, 

Draok  von  Bruno  Bartelt,  Wien  XVIII.,  Thereaien&raaBe  8. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1907.  Nr.  26. 


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Stiiier,  Prof.  Dr.  B.,  Die  asthenische  Konstl- 

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