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HANS BETHGE
WILHELM LEHMBRUCK
ZUM GEDÄCHTNIS
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BEI ALFRED RICHARD MEYER BERLINsWILMERSDORF
AN WILHELM LEHMBRUCK
Du schöpftest aus den Sphären, — Traum war Deine
Beschwingte Hand, sie tastete voll Scheu
Und Demut nach den dämmernden Gesichten,
Die um Dich glitten, lächelnd, ätherfein
Und so voll süßer Trauer und der Erde
Enthoben, voll Entsagung, seelenhaft.
Warst Du nicht bang, wenn sich geheime Lieder
Aus Himmel und aus Hölle, eng vereint,
Vermählten Deinem Geiste, der aufhorchend,
Dem Wunder weit geöffnet, dumpf sich hingab?
Durch Rauch und Schlacken drang Dein suchend Aug'
Erschreckt und aufgerissen, manchmal schreiend
Und dann auch lächelnd wie ein Kinderauge
Ins Wesenhafte; rätselsüß erstand
Aus Traum und Liebe Deines Werkes Blüte,
Betaut von weher Ahnung und beglänzt
Vom zauberischen Sternenlicht des Jenseits.
Was sich aus Qual und lastendem Gefühl
Und Seligkeit und zarter Scham Dir losrang,
Ward uns, die Dich gebeugt sahn hingehn unter
Dem schicksalhaften Himmel der Verheißung,
Zur schönsten Frucht im Garten unserer Seele.
Du suchtest wie ein Kranker sucht nach Strahlen
Der Sonne, nach dem gottgewollten Rhythmus
Des Schönen, in Verzweiflung rängest Du, —
Denn was ist schön? Was sich verklärt aus Schmerzen ;
Die Läuterung der Wirrnis zur Gestaltung;
Was aus dem tobenden Meer der ewigen Sehnsucht
Zum Strand geschleudert wird; was sich aus Tränen
Sanft blühend aufreckt in die Abendröte.
Ja, Schönheit: Fluch des Bildners, Glück der Enkel,
O Fluch und Himmelsglanz, Zwiespalt der Welt.
Zwiespalt war in Dir tausendfach. Wir haben
Leicht selig sein im Anblick Deiner Schöpfung,
Dir war die Seligkeit nur flüchtiger Anhauch
Auf des Gestaltens dornenvollem Wege,
Und wo Entzücken unser Auge füllte,
Da standest Du zerweht und abgewendet.
Was das Geschick Dir darbot, war ein Grüßen
Aus Paradiesesfernen, quälerisches
Zergrübeln Deiner Schläfen und ein kühles,
In Nacht getauchtes Glänzen Deiner Hand.
Du lebst, denn Deines Geistes goldene Flügel
Umschweben uns; denn Deines Werkes Atem
Rauscht durch die Brust der Lebenden wie Gnade,
Da Gnade doch so selten ist. — Laß mich
Liebkosen Deiner Hände schmalen Schatten,
Der über Deinem Grab schwebt, blumengleich.
AUF EINEN MÄDCHENKOPF
SKULPTUR VON LEHMBRUCK
Märzmädchen, magres, sehnsuchtsblasses Haupt,
Schmächtig das Haar an dünner Schläfenwand,
So herb der Lippen Süße, so voll Scheu
Der aufgereckte Hals, so unsagbar
Versehnt und angstvoll das lächelnde Aug', —
Ja, lächle, lächle, mondbeglänzte Seele,
Unkundig dieses Daseins, in Dir wallt
Des Vorfrühlings verhangner Birkenhain,
Rings um Dich ist der Rätsel buntestes,
Verlockendes, wirr flirrendes Gewebe, —
Halt ein, halt ein, — was Dich von fern anfällt,
Ist Deiner Gegenwart noch Angst und Traum:
Die Welt mit Beckenschlag und Tanz und Tränen,
Mit Frühling, Beischlaf, Nachtigall und Mond.
WORTE AM GRABE
ERWEITERT
Iieber Freund! Der Tod ist über Dich gekommen,
jso frühe wie das Schicksal es wollte, doch viel zu
frühe für Deine Freunde und viel zu frühe für Deine
Kunst. Deine Hände haben uns Unvergeßliches ge*
schenkt, aber Du gehörtest nicht zu jenen, die ihre
Entwicklung schnell vollenden, sondern Dein ganz
verinnerlichtes Wesen war von langsamem Wuchs,
unddiewinkendenHöhenDeinerkünstlerischenReife
lagen noch vor Dir, — Du hast diese schönen Gebiete
nicht mehr betreten dürfen, zu Deiner Freunde tiefstem
Schmerz. Wir sind ärmer geworden durch Deinen
Tod, — Träume und Visionen, die dazu geschaffen
waren, uns das Leben reicher und beglückender emp?
finden zu lassen, sind ausgelöscht für immer. Du
warst ein einsamer Mensch, immer kämpfend und
nach dem Höchsten strebend. Du hast mit Deinen
Gesichten gerungen, wie nur ein Künstler es tut, dem
die Gestaltung der Oberfläche nicht genügt, sondern
der den Dingen bis zu ihren letzten, geheimnisvollen,
im Göttlichen verankerten Wurzeln nachgeht. Du
gehörst zu denen, die das Land der Griechen mit der
Seele suchten und die auf dem dornenvollen Wege
nach diesen holden Regionen erlahmten.
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Du warst vom Schicksal nicht allzu fest in dieses Sein
gestellt, und das Tempo Deiner Tage lief schnell. Die
Sohlen Deiner Füße berührten die Erde gleich sam nur
tastend, und Dein Haupt war immer in den Wolken.
Du schrittest nicht über die Erde, sondern Du schweb*
test über sie hin, und die vielen lauten Geräusche des
Daseins ließest Du lächelnd an Dir vorübergleiten,
es war Dir nicht von Wert, Dich unter sie zu mischen.
Die Welt, die Du in Dir selber trugst, war viel zu
reich und beschäftigte Dich viel zu sehr, als daß Dir
die Welt der Außendinge hätte von Bedeutung sein
können.
Du hast, nach den tastenden Versuchen des Anfangs,
während dererstenjahre Deiner Entwicklungin Paris,
der Stadt, die Du am meisten geliebt hast, drei große
Bildwerke hervorgebracht, die Dein Wesen, jedes auf
eine besondere Art, deutlich zum Ausdruck bringen.
Die Werke dieser Trilogie sind die ,Stehende', die
»Kniende* und der »Schreitende*. Die »Stehende*, das
früheste dieser Werke, ist das innerlich einfachste, das
äußerlich anmutigste, in den Flächen das üppigste. Von
ihr bis zu der sehnsuchtsvoll hingedehnten .Knien*
den* ist ein weiter Weg. Der »Schreitende* aber ist die
komplizierteste, die abweisendste und ergreifendste
dieser drei Gestalten. Er zeigt die mächtigsten Verti*
kalen, die je aus Deiner Hand emporgestiegen sind,
fast erschreckende Vertikalen, von einem schmerzlich
erregenden Rhythmus. Die .Kniende' ist zugleich
Strenge und Lieblichkeit, zugleich herb und träume*
risch, von einer ganz seherisch zusammengefaßten
Energie der Lineamente. Eine rührende gotische
Schlankheit ist in ihr, eine ganz vergeistigte Hins
gäbe, ein gleichsam ernstsmusikalischer Reichtum der
Architektur. Der »Schreitende* dagegen ist eher wie
eine Dissonanz. Die Rückenansicht dieser Gestalt, be*
sonders mächtig im Kontur, wirkt wie die verkörperte
Tragödie. Man fühlt das inbrünstige Aufwärtsver*
langen, das heroische Wollen dieses Menschen, aber
man weiß auch : er wird dasZiel niemals erreichen. Das
wahrhaft Ergreifende, das wahrhaft Monumentale
dieses Schreitenden sind die Beine: die erschreckend
mageren, voll Inbrunst emporverlangenden Beine,
die den ganzen Jammer und die trauervolle Frucht?
losigkeit des Daseins mit sich schleppen und wie
das Schicksal selber zu schreiten scheinen. Dieser
tragische Mensch ist die düsterste, untergründigste
und schmerzlichste Deiner Visionen, aus qualvollen
Stunden heraus geboren. Er mutet uns heute wie ein
wehvolles Symbol Deines eigenen Wesens an, denn
auch Deinem einsamen Aufwärtsklimmen blieben
die letzten verlockenden Ziele versagt.
In Deinem Schaffen war alles Intuition und Instinkt
und wenig Wille. Du warst ein Dahintreibender,
keinen Prinzipien und keinem System verbunden,
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ein lässiger Wanderer, geleitet von inneren Kräften,
von Offenbarungen heimgesucht, nicht selten von
paradiesischen, aber zuweilen auch von quälerischen.
Nicht der Wille war das Starke in Dir, sondern das
Müssen, der unergründliche Wille von etwas Höhe*
rem, als Du selber warst, der Trieb des Schicksals.
Die schönsten Deiner plastischen Werke scheinen von
allem Zweck befreit zu sein, sie stehen wie mystisch
gewachsene Gebilde der Natur selber da, gleich
Bäumen oder Wolken oder Blumen oder seltsamen
Felsenkronen. In Deinem Werk ist zugleich etwas
Schwebendes, Tänzerisches; ein melancholisches
Tönen aus den Untergründen des Daseins; und ein
Wehen aus überirdischen Bezirken.
Deine Plastik ist frei von den malerischen Ele*
menten, die der Impressionismus, voran Rodin, und
dieser mit genialer Beschwingtheit, in die plastischen
Gebilde hineingetragen hatte, — sie hat eher eine Ver*
bindung mit den frühen Werken der Griechen und
der gotischen Welt. Viele und nicht die schlechte*
sten Deiner Formen hast Du in visionärer Über*
treibung dargeboten, um ihre innere, ihre seelische
Wesenheit um so deutlicher zu verkünden. Diese
Verlängerungen der Glieder, diese Dehnungen der
Flächen hast Du aus dem Wesen der Natur wie selbst*
verständlich abgeleitet, — man kann sehr weit gehen
im Übersteigern äußerer Formen und doch natürlich
//
dabei bleiben, das hat uns auch Rodin gezeigt,
besonders überzeugend in seinen späten Hand?
Zeichnungen.
Auch von Dir gibt es viele Handzeichnungen und
andere graphische Arbeiten, oft von ganz primitiven,
umreißenden Linien, deren Atem man zu spüren
meint, von Linien einer evahaften Ursprünglichkeit.
Vieles, was Dich quälte, hast Du in Deine Radie?
rungen hineingetragen, in denen man Gestalten be?
gegnen kann, die aus dem Inferno zu stammen
scheinen oder die doch von der Luft jener schmerz*
vollen Regionen angeweht sind.
Du hast immer wieder Mädchenköpfe und Mädchens
gestalten modelliert. An ihnen ist etwas Ätherhaftes,
ein holdes Glänzen seelenhafter Atmosphäre. Die
lyrische Zartheit, die keusche Sinnlichkeit, den blü?
tenhaften Schimmer, die wehvolle Süße, das Mona?
LisasLächeln dieser Figuren empfinden wir als ein
mystisches Wehen aus den zartesten und verschwieg
gensten Gründen der Seele. Auf diesen innigen, in
sich versunkenen Köpfen, die oft einen so Schemen?
haftsrätselvollen Ausdruck zeigen, liegt ein seltsam
unirdisches Glänzen, wie auf Sternen, die aus der
Ewigkeit auftauchen, um bald wieder in ihr zu
verschwinden. Manche dieser Köpfe sind das am
holdesten Zwecklose in Deinem Werk, lyrisch trän?
szendental, vorfrühlingshaft, wie ein Grüßen aus
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dem Lande Arkadien. Sie zeigen die schlanke Rund?
heit und herbe Süße einer wie in traumwandlerischer
Sicherheit vereinfachten Form. Sie zeigen jene Ruhe,
die nicht Starrheit oder Müdigkeit, sondern eine im
Innersten gebändigte Bewegung flutender Empfin?
düng ist. Die schönsten unter ihnen sind durch ihre
Einfachheit erhaben und sanft umweht von der Luft
des Unendlichen.
In Deiner Brust war ein seltsam mystisches Zu?
sammenfließen von Elementen der gotischen und der
hellenischen Welt, ein reizvolles und nicht selten be?
zauberndes Schauspiel. Das Beste in Deiner Kunst ist
naturhaft, ungeistreich, nicht aus dem Hirn, sondern
aus Trieb und Seele geboren. Ja, Deine Werke sind
seelische Gesichte, in eine aus gewissen visionären
Besonderheiten der Natur inbrünstig erfühlte Form
gebracht, sie sind von einer lauteren, keuschen inneren
Wahrhaftigkeit, deshalb werden sie auch bestehen
bleiben über die Zeit hinaus, in der sie entstanden sind.
DIESES BUCH WURDE ALS PRIVATDRUCK
IN EINER EINMALIGEN AUFLAGE VON
600 EXEMPLAREN BEI OTTO v. HOLTEN IN
BERLIN HERGESTELLT. DIE EXEMPLARE
I-X WURDEN AUF KAISERLICH JAPAN,
DIE EXEMPLARE XI -XXX AUF DEUT,
SCHEM BÜTTEN ABGEZOGEN, IN SEIDE
GEBUNDEN UND VOM AUTOR MIT HAND,
SCHRIFTLICHEM NAMENSZUG
VERSEHEN
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